Die Lange Nacht Über Die Widerstandskämpferin Cato Bontjes Van Beek
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„Leben will ich, leben, leben“ Die Lange Nacht über die Widerstandskämpferin Cato Bontjes van Beek Autor: Hermann Vinke Regie: Daniela Herzberg Redaktion: Dr. Monika Künzel Musik: Helge Burggrabe SprecherInnen Julia Jentsch Stephan Schad Angelika Thomas Lorenz Meyboden Julian Greis Oliver Mallison Sendetermine: 14. November 2020 Deutschlandfunk Kultur 14./15. November 2020 Deutschlandfunk __________________________________________________________________________ Urheberrechtlicher Hinweis: Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt und darf vom Empfänger ausschließlich zu rein privaten Zwecken genutzt werden. Jede Vervielfältigung, Verbreitung oder sonstige Nutzung, die über den in den §§ 45 bis 63 Urheberrechtsgesetz geregelten Umfang hinausgeht, ist unzulässig. © Deutschlandradio - unkorrigiertes Exemplar - insofern zutreffend. „Leben will ich, leben, leben“ Die Lange Nacht über die Widerstandskämpferin Cato Bontjes van Beek Seite 2 1. Stunde (Hinweis: der Name Cato wird auf der letzten Silbe betont, also niederländisch ausgesprochen: Cató!) Musik: Goldberg-Variation Joh. S. Bach (Igor Levit) Sprecherin 1 (Cato) Meine liebe, gute Mama, immer sehe ich Euch noch vor mir und ich bin so sehr froh, dass ich Dich, Meme und nun endlich, nach so langer Zeit, auch Tim gesehen habe. Ich machte mir bittere Vorwürfe, dass ich es Dir und Tim so schwer gemacht habe durch mein Weinen. Es war vielleicht ein etwas unglücklicher Tag in der Beziehung, denn schon beim Rundgang am Vormittag kamen mir die Tränen, als ich den blauen Himmel und die weißen Wolken sah. Du musst nicht mehr daran denken, dass ich so geweint habe, meine liebe Mama, denn die Freude siegt doch stets wieder, dass Ihr alle immer so nahe bei mir seid und mich nicht verlasst. Erzähler: Am 20. Juni 1943 schreibt Cato Bontjes van Beek aus dem Frauengefängnis an der Barnimstraße in Berlin ihrer Mutter Olga diesen Brief. Die Haftanstalt ist Catos letzte Station vor Plötzensee, wo die Widerstandskämpferin am 5. August 1943 hingerichtet wird. In den Zeilen klingt die Erschütterung über die Begegnung zwei Tage zuvor noch nach. Sprecherin 1 (Cato): Momentan ist natürlich mein ganzes Denken darauf gerichtet, dass Tim da ist und Ihr Drei bald gemeinsam in Fischerhude seid, und glaube mir, ich bin bei Euch als wäre es Wirklichkeit, so wie früher, als ich noch so war, wie ich nun wieder bin. Ich brauche nur die Augen zu schließen und dann sehe ich alles ganz lebendig vor mir und höre Eure Stimmen. Es entwickeln sich sicherlich besondere Eigenschaften bei einem Menschen, der durch so dicke Mauern und Gitter von seinen Lieben getrennt ist. Heute sind es neun Monate her, dass ich in Haft bin und damals war es auch ein Sonntag. Eben habe ich das Buch von W. Waetzold über Albrecht Dürer und seine Zeit fertig gelesen. Ich mag mich von den Bildern noch gar nicht trennen und sehe sie mir immer wieder an. Wenn Du in Fischerhude bist, dann sieh‘ Dir das Bildnis einer Unbekannten an. Es ist das Bild Nr. 34, die Frau sieht nach unten und mich packt jedes Mal beim Betrachten dieselbe Liebe, die ich zu den Bildnissen der italienischen Frührenaissance habe. Über meinem Bett hängt solch‘ ein schöner Frauenkopf, und „Leben will ich, leben, leben“ Die Lange Nacht über die Widerstandskämpferin Cato Bontjes van Beek Seite 3 es war beim Aufwachen des Morgens so schön, ihn immer gleich zu sehen. Es ist wirklich fast dasselbe, ob man dieses Bild betrachtet, eine Fuge von Bach hört oder im Johannes-Evangelium liest. Das höhere Wesen offenbart sich in allen drei Dingen. Musik: Goldberg-Variation (Igor Levit) Erzähler: Cato Bontjes van Beek gehörte der Roten Kapelle an, einer der größten Widerstandsgruppen gegen das Nazi-Regime. Rote Kapelle – die Bezeichnung stammte aus dem Fahndungsbuch von Gestapo und militärischer Abwehr. Catos Sehnsucht richtet sich auf Fischerhude. Das Dorf an der Wümme liegt unweit von Bremen. Dort wurde sie am 14. November 1920 geboren. Musik: (Helge Burggrabe) Erzähler: Cato hängt mit jeder Faser am Leben. Dass ihr Schicksal und das der anderen Anhänger der Roten Kapelle weitgehend in Vergessenheit geraten ist, liegt an der Nachkriegsgeschichte im geteilten Deutschland. Für die DDR waren sie Kundschafter an der unsichtbaren Front, also Aktivisten im Dienste der vom Faschismus bedrohten Sowjetunion. In Westdeutschland verbreiteten Magazine und Zeitungen das Bild einer weltumspannenden Spionage-Organisation im Dienste des Kreml. Zwischen den Fronten des Kalten Krieges war kein Platz für die Erinnerung an den mutigen Widerstand der Roten Kapelle. O-Ton Johannes Tuchel (A1) 2.00 Diese Widerstandsgruppe ist nach 1945 lange Jahre überhaupt nicht als Teil des Widerstandes gegen den Nationalsozialismus wahrgenommen worden, sondern wurde immer wieder in einen ganz anderen Kontext gestellt, in den Kontext von Spionage, Agenten und verruchten Dingen. Dieser Begriff „Rote Kapelle“ – damit fängt es schon an – ist eine Bezeichnung, die Abwehr und Geheime Staatspolizei prägten für diese Gruppe. Rot, ganz klar, ganz eindeutig, kommunistisch. Kapelle – was ist eine Kapelle? Nicht das Gebäude, sondern im Jargon der Spionageabwehr ist ein Funker, der in einer bestimmten Gruppe tätig ist, ein Pianist. Und mehrere Pianisten, also mehrere Funker, ergeben eine Kapelle. Und eine kommunistische Spionagegruppe bekam daher diesen Oberbegriff der „Roten Kapelle“. Tatsächlich aber war es so, dass das, was die Gestapo unter dem Oberbegriff, alles versammelt hat, gar nichts miteinander zu tun hatte. Es gab Gruppen des sowjetischen militärischen Nachrichtendienstes GRU in Brüssel und in Paris, richtige militärische nachrichtendienstliche Einheit. Und es gab tatsächlich hier in Berlin eine „Leben will ich, leben, leben“ Die Lange Nacht über die Widerstandskämpferin Cato Bontjes van Beek Seite 4 Widerstandsgruppe um Arvid Harnack und Harro Schulze-Boysen, mehr als hundert Männer und Frauen, übrigens die Widerstandsgruppe mit dem größten Frauenanteil überhaupt, die hier in Berlin aktiv waren. Ein einziger Offizier des sowjetischen Nachrichtendienstes besuchte im Oktober 1941 hier in Berlin Harro Schulze- Boysen, führte mit ihm ein Gespräch. Und dies ist die ganze Zusammenarbeit zwischen der sogenannten Berliner Roten Kapelle und den Gruppen des militärischen Nachrichtendienstes der Sowjetunion. Erzähler: Professor Johannes Tuchel, Leiter der Gedenkstätte Deutscher Widerstand in Berlin, kommt das Verdienst zu, zusammen mit anderen Historikern die Widerstandsgruppe Rote Kapelle aus der ideologischen Konfrontation des Ost-West-Konfliktes befreit zu haben. In Vorträgen und Büchern legt Tuchel dar, wie vielfältig die Gruppe zusammengesetzt war. Menschen ganz unterschiedlicher politischer Couleur gehören dazu. Was sie verbindet, ist die Gegnerschaft zum NS-Regime. O-Ton Johannes Tuchel: (Tuchel A 2) 1.16 Tatsächlich war die Berliner Widerstandsgruppe etwas, das wir heute als ein Netz bezeichnen würden, also keine Gruppe, wo es Mitgliedsausweise gab oder feste hierarchische Strukturen, sondern eher informelle Gruppen, eher Kreise, Schriftsteller, religiöse Sozialisten, Kommunisten und Sozialdemokraten. Alles finden wir hier. Und diese Gruppe wandte sich vor allen Dingen während des Krieges 1941/42 in Flugschriften hier an die Berliner Bevölkerung. Im Jahr davor 1940/41auch hatte es, solange es hier in Berlin eine sowjetische Botschaft gab, Kontakte gegeben zwischen Berliner Widerstandskämpfern und dieser sowjetischen Botschaft. Und die sowjetische Botschaft hatte auch Funkgeräte zur Verfügung gestellt. Tatsächlich funktionierte von diesen Geräten kein einziges. Und von den angeblich 500 Funksprüchen der Roten Kapelle, die etwa in den Legenden der Gestapo sogar von Ruderbooten vom Wannsee aus gesendet wurden und Ähnliches, tatsächlich gab es einen einzige Probefunkspruch, der den wirklich konspirativen Text hatte: „Tausend Grüße allen Freunden“. Das ist alles, was von der großen Sendetätigkeit der Roten Kapelle übrig geblieben ist. Erzähler: Cato Bontjes van Beek schließt sich seit Sommer 1941 der Widerstandsgruppe Rote Kapelle an. Sie beteiligt sich an der Herstellung und Verteilung von Flugblättern. Ihre Prägung erhält Cato durch ihr Elternhaus in Fischerhude, ein Haus der Maler, Musiker, Philosophen und Lebenskünstler. Auch liebt sie die Landschaft, die das Dorf an der Wümme umgibt, das angrenzende Teufelsmoor, das Hochwasser, das die Wiesen im Herbst und Frühjahr überschwemmt. „Leben will ich, leben, leben“ Die Lange Nacht über die Widerstandskämpferin Cato Bontjes van Beek Seite 5 O-Ton Tim Bontjes van Beek (Tim A 3) 1.08 Dieses Fischerhude wird ja von mehreren Flüssen durchzogen. Die Wümme ist der Hauptfluss. Dann gibt es noch einen Nordarm, einen Südarm und verschiedene andere Flüsse. In der Wümme haben wir natürlich immer gebadet und geschwommen. Unsere sportlichen Aktivitäten sind wir da losgeworden. Dieses Grundstück hinter unserem Haus das war der sogenannte Berg. Das war unser Sportplatz. Da haben wir Speer geworfen, Diskus, Kugelstoßen, weit gesprungen, hoch gesprungen. Und da haben wir auch gebuddelt, Höhlen gebaut. Wir haben dann Flugzeuge kopiert und haben so getan, Steuerknüppel und solche Sachen. Cato war sowieso immer, wenn sie ein Flugzeug hörte, rastete sie aus, lief einfach diesem Flugzeug nach, da musste sie so hochgucken. Das war so schön für sie. Erzähler: Tim Bontjes van Beek, Catos Bruder, schildert eine weitgehend unbeschwerte Kindheit in dem Bauerndorf Fischerhude, wo die Landwirte hauptsächlich von der Viehwirtschaft leben und Maler und andere Künstler eine kleine exotische Minderheit