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Texte des RECS #38

Grottenarchitekturen in der Region /

Autor: Roland Sommer (Europa-Universität Viadrina) Datum: 12.11.2020

Epochenkategorie: 17. Jahrhundert, 18. Jahrhundert, 19. Jahrhundert Sachklassifikation: Architekturgeschichte, Architektur, Gartenkunst Schlagwörter: Architektur, Berlin, Brandenburg, Brandenburg-Preußen, Friedrich II., Friedrich Wilhelm I., Friedrich Wilhelm II., Friedrich Wilhelm III., Friedrich Wilhelm IV., Garten, Gartendenkmal, Gartenkunst, Neuer Garten, Park Sanssouci, Potsdam, Preußen, Prinz Heinrich,

Diesen Artikel zitieren: Roland Sommer: Grottenarchitekturen in der Region Berlin/Brandenburg, in: Texte des RECS #38, 12/11/2020, URL: https://recs.hypotheses.org/6113. 1 Lizenzhinweis: Dieser Beitrag unterliegt der Creative-Commons-Lizenz Namensnennung: Keine kommerzielle Nutzung; keine Bearbeitung (CC-BY-NC-ND), darf also unter diesen Bedingungen elektronisch benutzt, übermittelt, ausgedruckt und zum Download bereitgestellt werden. Den Text der Lizenz erreichen Sie hier: https://creativecommons.org/licenses/by-nc-nd/4.0/ Research Center Sanssouci. Für Wissen und Gesellschaft I Allee nach Sanssouci 6 I 14471 Potsdam I www.recs.academy I ISSN 2366-9144

<1> Das Ende des Dreißigjährigen Krieges und das Erstarken der geplünderten und entvölkerten Mark Brandenburg, der Wunsch nach neuer Lebensfreude und nach beruhigenden, schönen Dingen für das Auge führte in den späten 1640er Jahren im Bereich des Gartens zu neuen künstlerischen Projekten und zur Errichtung von Schmuckbauten. Zu diesen zählten auch künstlich geschaffene Grottenarchitekturen. Sie nahmen seit jener Zeit und durchgängig bis zur Gegenwart einen Platz im regionalen Baugeschehen ein, wenngleich in unterschiedlicher Intensität.

Rheinsberg, Schlossgarten Rheinsberg, Blick über den Teich auf die Egeriagrotte, Copyright: SPSG, Foto: Leo Seidel

Anhand vielzähliger Objekte lässt sich die facettenreiche Entwicklungsgeschichte dieser Architekturgattung für Berlin/Brandenburg mit ihren formalen und inhaltlichen Besonderheiten veranschaulichen. Grotten sind in ihrer baulichen Form zumeist individuelle Solitäre mit einem hohen Maß an Außergewöhnlichkeit. Dennoch lassen sich, mit Kenntnis der entstehungsgeschichtlichen Rahmenbedingungen und der Beweggründe ihrer Errichtung, Gemeinsamkeiten und übergreifende Entwicklungsphasen für diesen Architekturtypus

2 Lizenzhinweis: Dieser Beitrag unterliegt der Creative-Commons-Lizenz Namensnennung: Keine kommerzielle Nutzung; keine Bearbeitung (CC-BY-NC-ND), darf also unter diesen Bedingungen elektronisch benutzt, übermittelt, ausgedruckt und zum Download bereitgestellt werden. Den Text der Lizenz erreichen Sie hier: https://creativecommons.org/licenses/by-nc-nd/4.0/ Research Center Sanssouci. Für Wissen und Gesellschaft I Allee nach Sanssouci 6 I 14471 Potsdam I www.recs.academy I ISSN 2366-9144 erkennen. Zusammenfassend kann von zwei Hochphasen des regionalen Grottenbaus ausgegangen werden: Den Grotten als höfische Bauaufgabe im 18. Jahrhundert folgte zwischen 1850 bis 1920 der bürgerliche Grottenbau samt Gestaltungen im öffentlichen Raum.

<2> Flankiert werden diese Hochphasen durch die Grotten unter Kurfürst Friedrich Wilhelm ab ca. 1650 und durch Gewerbeobjekte unserer Tage. In einem zunehmend erstarkenden Preußen zeichneten sich bis zum Ende des 18. Jahrhunderts das Herrscherhaus, die Hohenzollern, und der Adel für derartige Bautätigkeiten verantwortlich. Entsprechend der durch die meisten Vertreter des Hauses Hohenzollern gepflegten opulenten Hofkultur wurden mittels Schmuckbauten die Ziele einer inszenierten Selbstdarstellung bzw. die Legitimation der Stellung des Bauherrn verfolgt. Adelige waren früh bemüht, mit diesen baulichen Manifestationen Schritt zu halten. Wenngleich vermeintlich nach barocken Vorlagen, entstanden Grotten zum Ende des 18. Jahrhunderts auch inspiriert von Gedanken der Aufklärung und einem neuen Selbstbewusstsein unter Rückgriff auf antike Formen. Je nach Anschauung dienten Grotten für Unterhaltung und Ablenkung oder als stille Orte der Suche nach Wahrheit und innerem Frieden.

<3> Mit Abnahme der höfischen Bautätigkeit zu Beginn des 19. Jahrhunderts ist nach 1850 eine deutliche Zunahme an Objekten des wohlhabenden Großbürgertums zu verzeichnen. Hier wurde sowohl der Gelehrte als auch der Industrielle aus privaten oder unternehmerischen Beweggründen zum Auftraggeber. Parallel zur bürgerlichen Adaption wurden neben den Privatbauten auch Kommunal- und Gewerbeobjekte Teil der zweiten Hochphase. Initiierende Gedanken konnten sich neben einer rein kommerziellen Ausrichtung u. a. aus botanischen, zoologischen oder pädagogisch-naturwissenschaftlichen Gründen, aus sozial- stadtplanerischen Anforderungen sowie aus dem Willen der Manifestation religiöser Werte entwickeln. Das breite Nutzungsspektrum, gepaart mit der stark erweiterten Auftraggeberschaft und materialtechnischen Neuerungen, führte zum Massenphänomen Grotte um 1900.

3 Lizenzhinweis: Dieser Beitrag unterliegt der Creative-Commons-Lizenz Namensnennung: Keine kommerzielle Nutzung; keine Bearbeitung (CC-BY-NC-ND), darf also unter diesen Bedingungen elektronisch benutzt, übermittelt, ausgedruckt und zum Download bereitgestellt werden. Den Text der Lizenz erreichen Sie hier: https://creativecommons.org/licenses/by-nc-nd/4.0/ Research Center Sanssouci. Für Wissen und Gesellschaft I Allee nach Sanssouci 6 I 14471 Potsdam I www.recs.academy I ISSN 2366-9144

<4> Die ursprünglich mythologischen Bedeutungen von Grotten wandelten sich bereits seit der italienischen Renaissance zunehmend in weltliche Anschauungen. Nach der symbolischen Verwendung antiker Ikonographie zu Barockzeiten muss mit Adaption des Bautypus durch Bürgertum, Kommunen und Gewerbetreibende und dem damit verbundenen Bedeutungs- und Nutzungswandel, eine zunehmende Profanierung attestiert werden. Trotz dieser Entmystifizierung blieben unterschwellig die Assoziationen zum Geheimnisvollen und Übersinnlichen bis in die heutige Zeit erhalten.

<5> Formal-gestalterisch gibt es ihn nicht, den Bautyp Berliner Grotte und auch keine Grotten nach Brandenburger Manier, was letztlich auch diesen von einer immanenten Andersartigkeit lebenden Architekturen widersprechen würde. Nachfolgend sollen zusammenfassend wesentliche Entwicklungsschritte des regionalen Grottenbaus dargestellt werden. Aufgrund der inhaltlichen Komprimierung können sowohl die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen der stark differierenden Entstehungsumstände als auch die Angaben zu ausgewählten Bauherren und Einzelobjekten nur sehr verkürzt wiedergegeben werden.

Anfänge des regionalen Grottenbaus unter Kurfürst Friedrich Wilhelm <6> Die bauliche Manifestation der unter Kurfürst Friedrich Wilhelm forcierten Stabilisierung der politischen Lage lässt sich am Berliner Schlossareal ablesen. Unter Einbeziehung antiker Bautypologie sollte die Herrschaft durch Zurschaustellung von Tradition historisiert und legitimiert werden. Künstliche Grottenarchitekturen bildeten einen wichtigen Bestandteil dieser Inszenierung. Im Berliner repräsentierte neben einer mit Wasserspielen dekorierten Kolossalfigur des Neptun von 1647, grottierten Kleinarchitekturen und einem unverwirklichten Grottenbau, der als westlicher Abschluss des Wassergartens konzipiert war, insbesondere das Neue Lusthaus die Ambitionen des Regenten. Dieses von Memhardt 1650 geschaffene Gebäude beherbergte im Erdgeschoss eine Grotte. Schildpatt, Korallen und ein

4 Lizenzhinweis: Dieser Beitrag unterliegt der Creative-Commons-Lizenz Namensnennung: Keine kommerzielle Nutzung; keine Bearbeitung (CC-BY-NC-ND), darf also unter diesen Bedingungen elektronisch benutzt, übermittelt, ausgedruckt und zum Download bereitgestellt werden. Den Text der Lizenz erreichen Sie hier: https://creativecommons.org/licenses/by-nc-nd/4.0/ Research Center Sanssouci. Für Wissen und Gesellschaft I Allee nach Sanssouci 6 I 14471 Potsdam I www.recs.academy I ISSN 2366-9144 brandenburgischer Adler aus Muschelschalen schmückten die Wände, versteckte Springbrunnen konnten Besucher überraschen und wasserhydraulische Automaten erzeugten Vogelgezwitscher.

<7> Parallel wendete sich Friedrich Wilhelm intensiv der Neuanlage einer Kulturlandschaft in und um Potsdam zu. Wenngleich die konkrete Erscheinung von Grotten im Potsdamer Lustgarten und Stadtschloss nicht überliefert ist, belegen archivalische Hinweise die Beschäftigung mit der Thematik. Für den ländlichen Raum sind die Grotten Luise Henriettes im Lustgarten des Oranienburg sowie des Lustschlosses Bornim hervorzuheben. Im Oranienburger Park entstand 1651 ein kleines Lusthaus mit flankierenden Grottierungen und Wasserkünsten. Die Bornimer Anlage, eine zeitgenössische Sehenswürdigkeit, präsentierte sich mit einer filigran gestalteten Treppenanlage mit Wasserkaskade, grottierten Partien und mythologischen Bezügen. Im Erdgeschoss, hinter einem umlaufenden Wassergraben gelegen, nahm ein Grottenraum mit Wasserorgel die Thematik auf.

Aufblühen der Grottierkunst unter Friedrich II. <8> Während aus der frühesten Zeit keine Grotte überkommen ist und vieles im Bereich der Spekulation liegt, haben sich aus der unter Friedrich II. groß angelegten Ausbau- und Verschönerungsphase der Potsdamer Stadt-, Schlösser- und Gartenlandschaft, mit gestalterischer Verquickung von Natur und Architektur, viele bauliche Zeugnisse erhalten, wofür Park Sanssouci sicher das herausragende Beispiel ist.

<9> Erste Grotten entstanden bereits zu Friedrichs Kronprinzenzeit in und Rheinsberg. Die auf 1735 zu datierende Grotte im Sockelgeschoss vom Neuruppiner Apollotempel, deren Wanddekorationen leider verloren sind, kann als frühester, wenngleich fragmentarisch erhaltener Grottenraum der Region gelten. Für Rheinsberg ist die um 1739 konzipierte Grotte im unteren Turmkabinett mit Wandbelägen aus Glasschlacken zu nennen.

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<10> Die Aufzählung für die Potsdamer Parkanlagen beginnt mit der Neptungruppe im Bassin des Lustgartens am Stadtschloss. Für den Park Sanssouci sind die Thetisgrotte, die jüngst restaurierte Neptungrotte, die Marmorkolonnade, eine grottierte Terrassenmauer vor der Bildergalerie sowie ein unvollendeter Grottenbau am westlichen Parkende zu nennen. Die erhaltene und neuerlich restaurierte Neptungrotte repräsentiert eindringlich Friedrichs Schaffenszeit der 1750er Jahre. Sie stellt als große, freistehende, hoch dekorative Architektur für den regionalen Grottenbau einen Meilenstein dar.

Potsdam, Park Sanssouci, Östlicher Lustgarten, Neptungrotte, Copyright: SPSG, Foto: André Stiebitz

<11> Der Grottensaal im Neuen Palais ist mit seiner räumlichen Dimension die größte Grottenarchitektur im Gebiet Berlin/Brandenburg. Die grottierte Decke, die Voutenzone mit plastisch ausgeformten Meereswesen mit Muschel- und Schneckenbekleidungen, die Mineralienstreifen der Wände und Stützen, die vielgestaltigen Muschelblüten und der inkrustierte Natursteinfußboden mit maritimer Bildsprache bestimmen noch heute sein

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Erscheinungsbild. Geschaffen in den 1760er Jahren unterlag der Saal fortwährenden Umgestaltungen und Reparaturen, die erst mit der Kampagne unter Kaiser Wilhelm II. ihren Abschluss fanden.

Potsdam, Park Sanssouci, Neues Palais, Grottensaal, R. 177, Copyright: SPSG, Foto: Celia Rogge

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Die „Rheinsberger Grottenwelt“ Prinz Heinrichs <12> Prinz Heinrich, Bruder Friedrichs II., schuf mit hohem künstlerischen und programmatischen Anspruch an Schloss und Park, herausragende Werke der frühklassizistischen Raumkunst und Außengestaltungen im Landschaftsstil. Im Ensemble finden sich Grottenräume und derartige Staffagebauten unterschiedlichster . Der Muschelsaal mit seinen Festons und Bouquets unter Verwendung echter Weichtiergehäuse wurde Ende der 1760er von Langhans entworfen. Die sogenannte Italienische Grotte von 1771 demonstriert, wie im Grottenbau zuweilen Architektur und Bildende Künste verschmelzen. Ohne den Einsatz von Grottierungen und jeglichem plastischen Schmuck entstand diese Grotte als begehbare Bildwelt.

Rheinsberg, Lustgarten Rheinsberg, Egeriagrotte mit ruhender Egeria, Copyright: SPSG, Foto: P.-M. Bauers

<13> Im Park fanden sich neben der Alten Grotte aus dem Jahre 1753 u. a. eine Einsiedelei mit Bezug zur Grottenthematik, eine Grotte auf der Neuen Insel und eine Nachempfindung der

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Egeriagrotte. Für die Alte Grotte, nach Außen ein großer Feldsteinbau, ist der Verlust der Ausgestaltung der Kabinette mit Stuckierungen, Muschelwerk und gläsernen Eiszapfen zu beklagen. Die Einsiedelei aus dem Jahre 1768 folgte dem Grundgedanken, dass eine ehemals hochwertige Grotte, die verfallen war, von einem Einsiedler als Basis für ein Borkenhaus genutzt wurde. Diese Staffage beinhaltete also eine zerfallene Grotte, welche jedoch samt Borkenhaus in einem Zuge errichtet wurde. Für die Egeriagrotte musste 1790 die Einsiedelei weichen. Die Egeriagrotte wird aufgrund der Bedeutung des italienischen Originals als politischer Ort gewertet. Es wird vermutet, dass Heinrich mittels der Grotte seinem Bruder Friedrich II. signalisierte, ihm bei Bedarf mit Rat zur Seite zu stehen.

Grotten in Adelsbauten und -gärten des 18. Jahrhunderts <14> Bis um 1700 sind im Gebiet Berlin/Brandenburg ausschließlich durch die Hohenzollern beauftragte Grottenbauten bekannt. Nachfolgend griffen Adel und wohlhabende Gutsherren diese Bauaufgabe als luxuriöse Extravaganz auf. Den herrschaftlichen Beauftragungen sind u. a. die große Grotte in Oranienburg von 1754 und mehrere Objekte in der markgräflichen Anlage in Schwedt, wie eine Marmor-Grotte im Erdgeschoss, zuzuordnen.

<15> Die Stärkung der privaten Bautätigkeit von qualitätsvollen Stadtpalais in Berlin mit Einrichtung grottierter Gartensäle fällt ausgerechnet in die Zeit des sparsamen Königs Friedrich Wilhelm I., der selbst nicht als Bauherr von Schmuckbauten auftrat. Für die Zeit der ersten Stadterweiterungen zwischen 1730 und 1740 sind z. B. die Souterrain-Grotte im Palais von Samuel von Marschall, ein Grottenraum im Palais von Franz Wilhelm von Happe und die Grotte im Ordenspalais zu nennen. Für Schloss Monbijou ist über eine zeichnerische Darstellung das Vorhandensein eines hochwertigen Grottenraums hinter einer offenen Arkade belegt. Für die Gräfin Lichtenau, der Mätresse Friedrich Wilhelms II., entstand ab 1791 auf ihrem Anwesen in die Partie des Ritzschen Felsens, der wohl eine begehbare Grotte beherbergte.

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9 Lizenzhinweis: Dieser Beitrag unterliegt der Creative-Commons-Lizenz Namensnennung: Keine kommerzielle Nutzung; keine Bearbeitung (CC-BY-NC-ND), darf also unter diesen Bedingungen elektronisch benutzt, übermittelt, ausgedruckt und zum Download bereitgestellt werden. Den Text der Lizenz erreichen Sie hier: https://creativecommons.org/licenses/by-nc-nd/4.0/ Research Center Sanssouci. Für Wissen und Gesellschaft I Allee nach Sanssouci 6 I 14471 Potsdam I www.recs.academy I ISSN 2366-9144

Ende des 18. Jahrhunderts standen einige Grottenarchitekturen im Kontext aufklärerischer und freimaurerischer Gedanken. Sie dienten rituellen Handlungen oder sollten als Orte der Insichgekehrtheit u. a. dabei helfen, die Ursprünge des Menschseins zu ergründen und ein neues Bewusstsein zur Natur zu entwickeln. Beispiele dieser Sonderentwicklung im Zusammenhang mit den beginnenden gesellschaftlichen Umwälzungen finden sich u. a. mit einer Grotte im Park der Loge Royal York in Berlin und den Gestaltungen im Hof der Potsdamer Benkertstraße.

Okkultismus unter Friedrich Wilhelm II. <17> Der verwendete Begriff Okkultismus soll im Sinne einer esoterisch-spiritistischen Strömung verstanden werden, von der Lust auf Erforschung des Geheimen und Verborgenen. Bei den oftmals in Verbindung zu Grotten zitierten Geisterbeschwörungen handelte es sich wohl eher um bewusste Inszenierungen zur nächtlichen Unterhaltung. Friedrich Wilhelm II. ließ sein privates Refugium, den Neuen Garten in Potsdam, als sentimentalen Landschaftsgarten mit philosophisch aufgeladenen Staffagebauten anlegen. In diesem Park verschwimmen die Grenzen zwischen echtem Naturraum und einer ästhetisierten Kunst-Landschaft. Das Beispiel der Crystall- und Muschelgrotte, mit ihrer begrünten und in einen Berghang integrierten Dachfläche, belegt dieses Ziel eindringlich. Die Fassade der Grotte wurde mit Natursteinen im Sinne eines natürlichen Felsenbaus aufgeschichtet, dagegen waren die Kabinette im Inneren streng architektonisch gegliedert, prunkvoll grottiert, mit Malerei an der Decke und Marmorfußboden gestaltet sowie mit einer Möblierung versehen. Die vermeintliche Höhle entpuppte sich als kleiner Palast. Die frühklassizistischen Tendenzen des Architekten Langhans im Muschelsaal des Schlosses Rheinsberg entwickelte Friedrich Wilhelm II. weiter, was in den 1780er Jahren zur strengeren Gestaltung im führte. Den seeseitigen Muschelsaal im Marmorpalais zieren wenige Bouquets aus echten Weichtiergehäusen, dafür unterstreichen hunderte gleichförmiger Gipsmuscheln an Rahmungen und Gesimsen die geradlinige Formensprache.

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Der Zeit Friedrich Wilhelms II. sind außerdem ein bemerkenswertes Wohnaus im Felsenstil in der Nähe von Schloss Sanssouci, die Grotte mit nachgewiesener doppelter Wandung für spiritistische Sitzungen im Schlosspark Marquardt und ein unverwirklichter Grottensaal im Pfingstbergschloss zuzuordnen.

Der Grottentypus zwischen Ablehnung und neuem Erwachen <19> Die erste Hälfte des 19. Jahrhunderts lässt eine Zurückhaltung gegenüber der Neuerrichtung von Grotten erkennen. Die politisch unruhige napoleonische Zeit in Preußen sowie die Hinwendung zum Klassizismus gaben kaum Anlass für prunkvolle Grottenbauten. Die wenigen Ausführungen unter den Königen Friedrich Wilhelm III. und Friedrich Wilhelm IV. belegen jedoch die angepasste Fortführung dieser Bauidee.

<20> Im abgelegenen entstand um 1800 für Friedrich Wilhelm III. und seiner Gemahlin Königin Luise ein Sommersitz. Neben einer Gedenkgrotte in Form eines versunken erscheinenden Tempels wurde an anderer Hangseite ein Japanischer Teehaus-Pavillon von einem Grottenraum aus Feldsteinen getragen. Den Innenraum der Grotte überzog eine aufwendige, mosaikartige Grottierung unter Verwendung von Austernschalen und weiteren organischen Materialien.

<21> König Friedrich Wilhelm IV. hingegen trat als Förderer anspruchsvoller Bauaufgaben in Erscheinung. Viele seiner durch italienische Vorbilder und der Stilrichtung der Romantik geprägten Bauprojekte blieben unverwirklicht oder konnten nur in reduzierter Form realisiert werden. Beispiele hierfür sind die Umformung der Thetisgrotte zum Felsentor und die Errichtung der Grotte im Nordischen Garten als Kompromisse zur Ursprungsplanung des Projekts Triumphstraße. Zu nennen sind weiterhin im Park Sanssouci der Entwurf von Schinkel für die Römischen Bäder mit konkretem Rückgriff auf ein italienisches Vorbild, die kleine Kaskade mit grottierter Nische aus dem Jahre 1844 sowie die grundlegende Erneuerung der grottierten Terrassenmauer an der Bildergalerie aus friderizianischer Zeit.

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<22> Entwicklungen der 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts – Übergang zum öffentlichen Raum Die Abnahme der höfischen Bautätigkeit sollte jedoch für den Grottenbau nicht das Ende, sondern einen Neuanfang unter veränderten Rahmenbedingungen bedeuten. Seit ca. 1850 ist eine deutliche Zunahme an Grottenbauten zu verzeichnen, beauftragt vom wohlhabenden Großbürgertum, von kommunaler Seite und Gewerbetreibenden. Für die Wandlung der Bauherrenschaft und die neuerliche Grottenbegeisterung war ein komplexes Zusammenspiel unterschiedlichster Faktoren ausschlaggebend. Begünstigt wurde diese Tendenz u. a. durch die stilistische Neuausrichtung von Klassizismus zu Historismus, die Auswirkungen touristischer Attraktionen wie die Erschließung der Blauen Grotte auf Capri, den Einfluss religiöser Faktoren wie der Lourdes-Erfahrung, das bauliche Schaffen prägnanter Persönlichkeiten wie der Ludwigs II. in Bayern, die Möglichkeiten elektro- und materialtechnischer Neuerungen, veränderte sozial-stadtplanerische Anforderungen sowie durch die Verbindung didaktischer und kommerzieller Nutzung naturwissenschaftlicher Forschung.

August Kopisch: Blaue Grotte auf Capri, um 1834, Copyright: SPSG, GK I 683, Foto: Wolfgang Pfauder 12 Lizenzhinweis: Dieser Beitrag unterliegt der Creative-Commons-Lizenz Namensnennung: Keine kommerzielle Nutzung; keine Bearbeitung (CC-BY-NC-ND), darf also unter diesen Bedingungen elektronisch benutzt, übermittelt, ausgedruckt und zum Download bereitgestellt werden. Den Text der Lizenz erreichen Sie hier: https://creativecommons.org/licenses/by-nc-nd/4.0/ Research Center Sanssouci. Für Wissen und Gesellschaft I Allee nach Sanssouci 6 I 14471 Potsdam I www.recs.academy I ISSN 2366-9144

<23> Es entstanden z. B. im botanisch-zoologischen Bereich sehr aufwendige Grotten, wie das Berliner Aquarium aus dem Jahre 1869. Das Aquarium wurde im Inneren fast gänzlich durch Grottengänge erschlossen. In der von Tieren bevölkerten Geologischen Grotte wurde dem Besucher die Schichtung der Erdrinde in verkleinertem Maßstab vor Augen geführt. Für Wasserspiele an den Wänden wurde Regen in einer Anlage auf dem Dach aufgefangen. In diesem Zusammenhang sind auch Grotten im Zoologischen sowie im Botanischen Garten zu nennen.

<24> Die Umsetzung thematischer Programme mit festgeschriebener Bauikonographie wie die typisierten Nachempfindungen von Egeria- oder Lourdesgrotten blieben die Ausnahme. Für die Manifestation religiöser Werte durch Mariengrotten, können für Berlin die Ausführungen in der Lichtenberger Mauritiuskirche und in einem ehemaligen Klostergarten in Lankwitz gelten.

Grottenbau in Bürgervillen, Mietshäusern und Privatgärten <25> Mit Fortschreiten der Industriellen Revolution und mit Herstellung der Reichseinheit im Jahre 1871 wurde ein gesellschaftlich-wirtschaftlicher Strukturwandel in Gang gesetzt. Als Auswirkung im Architekturbereich entfaltete sich neben neuen Bauaufgaben mit einem wohlhabenden Großbürgertum eine neue Auftraggeberschicht für Schmuckbauten. Diese Entwicklung spiegelt sich für den Zeitraum von 1850 bis um 1900 in mindestens 30 privat initiierten Grottenarchitekturen im Untersuchungsgebiet wider. Entwicklungen der Bauindustrie verhalfen dem Grottenbau zu effektiven Möglichkeiten der Naturimitation, insbesondere die Einführung von Zementmassen für die Kunststeinherstellung und Drahtputztechniken. Hierdurch entstanden neue konstruktive Lösungen unter gleichzeitiger Reduzierung der Baukosten.

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Für den privat initiierten Grottenbau der 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts ist die Grottenanlage des Berliner Hoteliers und Cafétiers Ferdinand Keck in Zehlendorf hervorzuheben. Auf dem um 1878 geschaffenen Anwesen mit Herrenhaus entstand in einer künstlichen Felsschlucht ein sehr aufwändiges Grottengebäude mit mehreren Innenräumen, Turm und einer Ausstattung mit Automaten in Menschengestalt. Heute sind lediglich stark fragmentarische Reste der Grundmauern erhalten.

<27> Wenngleich erst im Jahre 1912 auf dem Anwesen der Familie Siemens in der Villenkolonie Alsen am Kleinen Wannsee errichtet, entspricht auch die imposante Siemens-Grotte den großbürgerlichen Intentionen der Gründerzeit bzw. den hohen Gestaltungsansprüchen der Ende des 19. Jahrhunderts populären Villenkolonien. Die Portalarchitektur überrascht vor allem durch die Art der Begehbarkeit über gespiegelt-geschwungene Treppenführungen im Inneren. Als Beispiele für Grotten in Mietshäusern seien die Tuffsteingestaltungen am Perelsplatz und ein Grottenbrunnen in einem Hinterhof in Berlin-Moabit genannt.

Naherholung und Unterhaltung als Bauaufgaben um 1900 <28> Mit dem Einsatz von Grotten im öffentlichen Raum wurde der Bautypus endgültig zum gesellschaftsübergreifenden Phänomen. Vermeintlich als unfunktional geltend, erfüllten gerade Grotten hervorragend den Zweck eines symbolhaften Gegenpols zur industrialisierten Umgebung mit Rückbesinnung auf eine gemeinsame Tradition.

<29> Neben architektonisch geprägten Grotten wie am Bayerischen Platz in Berlin und am Hang vom Marienberg in Brandenburg an der , entstanden naturalistische Tuffsteingrotten in alter Manier. Während am Mariendorfer Rathausplatz die Grottierungen als Zierde einer Treppenanlage Verwendung fanden, wurden beispielsweise die Objekte am Neuköllner Wildenbruchplatz und im Stadtpark Lichtenberg als freistehende Solitärgebäude ausgeführt.

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14 Lizenzhinweis: Dieser Beitrag unterliegt der Creative-Commons-Lizenz Namensnennung: Keine kommerzielle Nutzung; keine Bearbeitung (CC-BY-NC-ND), darf also unter diesen Bedingungen elektronisch benutzt, übermittelt, ausgedruckt und zum Download bereitgestellt werden. Den Text der Lizenz erreichen Sie hier: https://creativecommons.org/licenses/by-nc-nd/4.0/ Research Center Sanssouci. Für Wissen und Gesellschaft I Allee nach Sanssouci 6 I 14471 Potsdam I www.recs.academy I ISSN 2366-9144

Mit der Unterhaltungsbranche entstand eine zusätzliche Ausrichtung des Grottenbaus im Sinne einer kommerziellen Allgemeinnützigkeit. Eine aufsehenerregende und auf Dekoration ausgerichtete Funktion ersetzte nun garten- und architekturtheoretische Überlegungen. Die Ausführungen reichten vom gehobenen Ambiente, riesigen Sälen, über kleine Kaffee- oder Schankstuben, Fahrgeschäfte in Vergnügungsparks bis hin zum Kinobau. In Berlin- Schöneweide sind mit wenigen Fragmenten des Biergartens der ehemaligen Borussia- Brauerei wenige bauliche Überreste dieser Entwicklungsphase erhalten.

<31> Mit dem Ersten Weltkrieg, der schwierige wirtschaftliche Zeiten nach sich zog, wie auch in Zeiten des Nationalsozialismus, den Kriegsjahren und während der Wiederaufbauphase, erlosch das Interesse am Grottenbau für einige Jahrzehnte. Das Wiederaufflammen seit den 1980er Jahren, insbesondere im gewerblichen Bereich, wurde durch neue wirtschaftliche Möglichkeiten der Nachwendezeit intensiviert. Seitdem dienen künstliche Felslandschaften und Grotten vorrangig als zweckorientierte Erlebnisarchitekturen.

15 Lizenzhinweis: Dieser Beitrag unterliegt der Creative-Commons-Lizenz Namensnennung: Keine kommerzielle Nutzung; keine Bearbeitung (CC-BY-NC-ND), darf also unter diesen Bedingungen elektronisch benutzt, übermittelt, ausgedruckt und zum Download bereitgestellt werden. Den Text der Lizenz erreichen Sie hier: https://creativecommons.org/licenses/by-nc-nd/4.0/