Erich Ollenhauer Über Die Politische Lage

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Erich Ollenhauer Über Die Politische Lage SOZIALISTISCHE MITTEILUNGEN News for German Socialists in England This News Letter is published for the information of Socialdemo- crats from Germany who are opposing dictatorship of any kind Nr. 109/110 März/April 1948 [Seite: - 1 - ] Erich Ollenhauer über die politische Lage In einer Versammlung der Vereinigung der deutschen Sozialdemokraten in Großbritannien, die am 19. März in London stattfand, sprach der 2. Vorsitzende der SPD, Erich Ollenhauer. Er verzichtete darauf, einen Bericht über die allgemeine Situation in Deutschland zu geben, um sich desto klarer mit den politischen Problemen auseinanderzusetzen. Der Zustand der alliierten Militärregierung in Deutschland, so erklärte er, wird weder von deutscher noch von alliierter Seite als befriedigend empfunden. Die Frage der deutschen Mitarbeit tritt immer mehr in den Vordergrund; dabei spielt natürlich die Frage der SPD, der stärksten deutschen Partei, eine erhebliche Rolle. Es fehlt nicht an Kritikern, die behaupten, die SPD weigere sich, an Einrichtungen, die über den Länderrahmen hinausgehen, mitzuarbeiten; sie beantworte die Frage nicht, welche Bedingungen sie für ihre Mitarbeit stelle, und sie lasse sich von "engem Parteiinteresse" leiten. Diese Kritik bezeichnete Ollenhauer als unberechtigt. Die wirkliche Lage sieht so aus, daß weder die politische noch die wirtschaftliche Einheit Deutschlands hergestellt ist, und dafür sind nicht die Deutschen verantwortlich, sondern die Gegensätze zwischen den ehemaligen Alliierten des Krieges. An der Frage der wirtschaftlichen und politischen Einheit scheiterte die Londoner Konferenz. Zwar existiert in den Westzonen Deutschlands eine gewisse Selbstverwaltung in Gemeinden und Ländern, aber Deutschland ist noch kein freier Staat. Der Alliierte Kontrollrat in Berlin regiert ohne Mitbestimmung der Deutschen. Und die Uneinigkeit im Kontrollrat bedeutet die Lahmlegung wichtiger Gebiete des deutschen Lebens, wofür die Verschleppung der Währungsreform ein deutliches Beispiel ist. Keine Länderregierung hat das Recht, ein vom Landtag beschlossenes Gesetz ohne Zustimmung des betreffenden Militärgouverneurs durchzuführen. Auch die neue Frankfurter "Charter" hat an dem alten Zustand prinzipiell nichts geändert. Sie hat allerdings die Mitgliederzahl und die Funktionen des Wirtschaftsrats erweitert und auch dafür gesorgt, daß sich jetzt die Länderregierungen den Maßnahmen des Wirtschaftsrates fügen müssen, daß also Bizonenrecht Landesrecht bricht. Aber auch die Beschlüsse des Wirtschaftsrats bedürfen der Zustimmung der Militärregierung. Ollenhauer erklärte, es sei ein völlig falscher Schluß, wenn man annehme, daß die SPD, wenn sie im Frankfurter Wirtschaftsrat nicht an der Verwaltung mitarbeiten will, sich damit grundsätzlich distanzieren wolle. Die SPD will die Zusammenarbeit mit den Besatzungsmächten nicht einstellen. An ihrer Haltung zu den Besatzungsmächten hat sich nichts geändert. Gewiß ist die Haltung gegenüber den verschiedenen Besatzungsmächten nicht einheitlich, und ein gewisser Kleinkrieg zwischen deutscher und alliierter Verwaltung ist fast unvermeidlich. Aber nur in einer Zone ist keine Zusammenarbeit möglich: in der Ostzone. Das ist aber nicht die Schuld der SPD. Ueber den Wirtschaftsrat sagte Ollenhauer, er sei nicht unser Ideal. Unser Ideal ist die gesamtdeutsche Einheit. Aber mitarbeiten will die SPD. Ihre Reorganisationsvorschläge zielten darauf hin, den Wirtschaftsrat so wirksam wie möglich zu machen. Die SPD steht grundsätzlich dem Wirtschaftsrat positiv [Seite im Original:] - 2 - gegenüber; sie bejaht den Gedanken des Zentralismus und den Gedanken der Marshall-Hilfe. Aber die Erweiterung des Wirtschaftsrats[1] hat nichts an seiner parteipolitischen Zusammensetzung geändert. Die SPD sieht sich dort einer von der CDU geführten kompakten bürgerlichen Mehrheit gegenüber, und es ist nie vorgekommen, daß der "linke Flügel" der CDU in entscheidenden Fragen mit der SPD gegangen ist. Die Frankfurter "Direktoren" treten immer für die Interessen der Unternehmer und Sachwertbesitzer ein, und der Wirtschaftsdirektor Dr. Müller[2] hat bei seiner Amerikareise ausdrücklich erklärt, die Marshall-Hilfe solle den deutschen Unternehmern direkt gegeben werden. Daraus erklärt es sich, daß der SPD- Vorstand auf seiner Kasseler Tagung[3] mit allen gegen 3 Stimmen (bei 3 Enthaltungen) beschloß, in Frankfurt keine Koalitionspolitik zu machen. Aber das bedeutet nicht, daß die SPD generell in die Opposition gegangen ist. Der Kasseler Beschluß ermöglicht es den sozialdemokratischen Ministern in den Länderregierungen, von Fall zu Fall über die Weiterführung der Koalitionspolitik zu entscheiden. Ollenhauer erklärte dann, die Entwicklung der nächsten Zeit werde mehr noch durch internationale Spannungen als durch die Ernährungs- und Wirtschaftskrise in Deutschland bestimmt werden. Die Gleichschaltung in der Tschechoslowakei [4] hat die Gefahr deutlich gezeigt, die Westeuropa droht, und der Marshall-Plan und die engere Zusammenarbeit der westlichen Demokratien sind Gegenaktionen gegen die Gleichschaltung im Osten. Deutschland ist auf keiner der beiden Seiten Partner, aber es wird auf beiden Seiten in Rechnung gestellt. Unter diesen Umständen gibt es heute in Deutschland keine nur innenpolitische Frage. Am krassesten zeigt sich das in der Politik der SEP und KP. Sie sind Instrumente der russischen Außenpolitik. Sie treiben eine schwarzweißrote Einheitspropaganda, wollen "Volkskongresse" und "Volksdemokratie" etablieren, um Deutschland in die Einflußsphäre der Sowjetunion eingliedern zu können. Der von ihnen propagierte "Volksrat", der das deutsche Volk vertreten soll, würde dasselbe sein wie das Lublin-Komitee[5] es seinerzeit in Polen war. Aber das polnische Beispiel hat gezeigt, wohin die Entwicklung gegangen ist. Der SPD-Vorstand hat beschlossen, daß die Teilnahme an Volkskongressen mit der Mitgliedschaft in der SPD unvereinbar ist, und dieser Beschluß ist nirgends auf Widerspruch im Kreise der SPD-Anhänger gestoßen. Ollenhauer wies auf die neue nationalistische Gefahr in Deutschland hin und auf die Notwendigkeit, die Demokratie zu verteidigen. Antidemokratisch ist nicht nur die kleine Schicht, die aktiv für die kommunistische Konzeption eintritt; auch Opportunisten aus dem Bürgertum leisten ihr Vorschub. Mit Recht hat Dr. Schumacher gesagt, daß die Demokratie in Deutschland kaum weiter reiche als der Einfluß der SPD, die heute wieder einmal in der Front zur Verteidigung der Demokratie steht. Ueber die Marshall-Hilfe sagte Ollenhauer, sie erfolge auf Grund nüchterner Erwägungen: Europa kann nur demokratisch sein, wenn es wirtschaftlich gesundet. Wenn die Wahl lautet, ob sich Deutschland einseitig der russischen Herrschaft unterwerfen und die elementaren Rechte der Demokratie preisgeben soll oder ob es sich für die westliche Freiheit entscheiden soll, dann steht die SPD kompromißlos und eindeutig auf der Seite des Westens. Zur innenpolitischen Situation in Deutschland bemerkte Ollenhauer, daß man die reaktionäre Gefahr nicht unterschätzen dürfe. Die Bayernpartei liefere ein krasses Beispiel für wilden Föderalismus. Der Vorschlag Adenauers, Rheinland-Westfalen mit der Pfalz zu vereinen, ziele auf einen schwarzen Block mit 15 Millionen Einwohnern, der womöglich mit Bayern und Oesterreich gemeinschaftliche Sache machen soll. Wenn die Währungsreform erst einmal kommt, werden die sozialen Spannungen in Deutschland erst wirklich zum Vorschein kommen. Das könnte nationalistischen Tendenzen einen bedenklichen Auftrieb geben. Die SPD ist sich dieses Problems voll bewußt. Sie tritt für die Notwendigkeit sozialer Umgestal- [Seite im Original:] - 3 - tung ein, um die Wirkungen des Schocks aufzufangen. Sie fordert Sozialisierung der Schlüsselindustrien, Bodenreform und Lastenausgleich. Als 1945 das Hitlerregime zusammenbrach, ist die fällige Revolution ausgeblieben. Aber die Konsequenzen aus dem Zusammenbruch müssen noch gezogen werden, und die Deutschen müssen den Willen dazu aufbringen. Hier liegt eine historische Aufgabe der deutschen Arbeiterbewegung. Der Kampf der SPD ist ein Teil des westeuropäischen Kampfes. Fällt Westdeutschland, gewinnt die totalitäre Diktatur eine wichtige Durchbruchsschlacht. Deutschland kann nur als Demokratie leben. Und die Existenz der deutschen Demokratie hängt von der Lebenskraft der westlichen Demokratien ab, die Deutschland als Partner werden akzeptieren müssen. Die Kriegspsychose, die heute nicht nur in Deutschland herrscht, ist gefährlich, weil sie als Mittel zur Unterminierung des Glaubens und Willens dienen kann, wie es in Frankreich 1939 und 1940 geschah. Es gilt, die Demokratie und ihren Verteidigungswillen zu festigen. Die gegenwärtige Lage bietet ein großes Risiko, aber auch eine große Chance: den Aufbau eines neuen Europa als politische und wirtschaftliche Einheit auf demokratischer und sozialer Grundlage. An diesem Aufbau mitzuwirken, ist Wille und Ziel der deutschen Sozialdemokratie. Sitzung der Sozialdemokratie Am 17. und 18. Februar tagte in Kassel der Parteivorstand, am 18. und 19. Februar der Parteiausschuß der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands. Nachstehend Kommuniques dieser Sitzungen sowie kurzer Kommentar. I. Kommuniqué der PV-Sitzung Am 17./18. Februar 1948 tagte in Kassel der Parteivorstand der SPD. Zur Beratung stand ein umfangreiches Programm grundsätzlich-politischer und praktisch-organisatorischer Fragen. Die wichtigste war die Festlegung von Richtlinien für die Haltung der erweiterten SPD-Fraktion im Wirtschaftsrat, zu der der stellvertretende Vorsitzende Erich Ollenhauer einen umfassenden Situationsbericht
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