Ich Bleibe Optimist – Trotz Allem“ 33
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02 Geusendam 24.08.2006 22:32 Uhr Seite 33 Oddey, Engelhardt, von Seeler „Ich bleibe Optimist – trotz allem“ 33 Vorwort. Die hier vorgelegte biographische Do- Markus Oddey, kumentation Wilhelm Geusendams ist im Auf- trag und auf Initiative von Gisela Böhrk und Hannes Engelhardt, Gerd Walter erstellt worden. Isabelle von Seeler: Sie basiert aufgrund des Mangels eines priva- ten Nachlasses Geusendams und entsprechen- „Ich bleibe der wissenschaftlicher Literatur auf Recher- chen im Archiv der sozialen Demokratie in Bonn, im Fraktionsar- Optimist – trotz chiv der SPD im schleswig-holsteinischen Landtag in Kiel und in allem“ dem Bestand des SPD-Kreisvereins Lübeck. Leider ergaben Nach- forschungen bei den Zuständigen des Archivs der Frankfurter Rund- Wilhelm Geusendam – schau der Karl-Gerold-Stiftung keine nennenswerten Ergebnisse, so Demokratischer Sozialist und dass zu Wilhelm Geusendams Zeit bei der FR nur wenig zu sagen Parteiorganisator bleibt. Um die lückenhafte Quellenlage auszugleichen und das Bild der Eine biographische Person Geusendams zu komplettieren, wurde weiter auf die Metho- Dokumentation de der „Oral History“ in Form von Interviews mit Familienangehöri- gen und ehemaligen Parteigefährten zurückgegriffen. An dieser Stel- le gilt unser besonderer Dank Geert Geusendam, Gisela Böhrk, Gert Börnsen, Jürgen Busack, Günther Jansen, Ulrich Meyenborg, Frie- demann Schnepel und Gerd Walter, die durch ihre Auskunftsbereit- schaft unsere Informationsgrundlage erweiterten. Zudem war der Rohentwurf der Chronik des SPD-Kreisverbandes Lübeck der Jahre seit 1967 von Ulrich Meyenborg, die kurz vor der Veröffentlichung steht, als Daten- und Faktengerüst sehr hilfreich. Danken möchten wir außerdem Prof. Dr. Uwe Danker, der dieses Projekt koordiniert und wissenschaftlich betreut hat. Die Verfasser: Markus Oddey, Hannes Engelhardt und Isabelle von Seeler Einleitung. „Ich bleibe Optimist - trotz allem“.1 Mit diesem Bekennt- nis zu seinem sozialistischen Jugendideal lässt Wilhelm Geusendam seine 1983 herausgegebenen Lebenserinnerungen schließen. Der hier vorliegende Text dokumentiert – ausgehend von Geusendams prägenden Erfahrungen im Bremer Arbeitermilieu, in der Sowjetuni- on, im NS-Staat und in der Zeit seiner politischen Standortbestim- mung nach Kriegsende – seine ungebrochene Identität als demokra- tischer Sozialist und seine partei- und pressepolitische Tätigkeit in Schleswig-Holstein. Zu fragen ist nach den Schwerpunkten seiner politischen Arbeit im Land, nach seinen Ämtern und seinen politi- schen Erfolgen und Niederlagen in der Kommunal- und Landespoli- tik sowie in der Parteipressearbeit. Besondere Bedeutung kommt da- bei seinem Wirken als Chefredakteur und Verlagsleiter des Druck- verlages „Wullenewever“ (1959-1976), als Kreisvorsitzender der SPD in Lübeck (1967-1977) – hier insbesondere seinen Bemühun- gen um den Zusammenhalt zwischen Fraktion und Partei – und als stellvertretender Landesvorsitzender im Zusammenwirken mit Jo- 1 Vgl. Danker/ Jensen/ Lorenzen-Schmidt chen Steffen (1969-1973) zu. Im Mittelpunkt stehen immer auch 1985, S. 156. 02 Geusendam 24.08.2006 22:32 Uhr Seite 34 34 Oddey, Engelhardt, von Seeler „Ich bleibe Optimist – trotz allem“ Selbstverständnis und Motivation Geusendams als Politiker und Per- son. Den meisten, insbesondere jüngeren Menschen dürfte Wilhelm Geusendam unbekannt sein. Selbst bei vielen Zeit- und Parteigenos- sen dürfte er knapp 30 Jahre nach dem Rückzug von seinen Par- teiämtern in Vergessenheit geraten sein. Wissenschaftler haben sich mit ihm bisher nicht beschäftigt. Literatur zu Geusendam liegt dem- entsprechend kaum vor. Daten und Fakten zur Parteigeschichte lie- ferten die für die Zeit bis 1967 von Franz Osterroth und für die sich anschließenden Jahre von Ulrich Meyenborg vorgelegten Chroniken – letztere als noch zu veröffentlichendes Manuskript – zur Geschich- te der Lübecker SPD. Hinzu treten eine Reihe biographischer Studi- en zu ehemaligen politischen Mitstreitern, die meist nur am Rande auch Informationen zu Geusendam erhalten. In Überblicksdarstel- lungen zur Entwicklung der SPD in Schleswig-Holstein spielt Geu- sendam allenfalls eine Nebenrolle. Überhaupt fehlt bisher eine um- fangreiche wissenschaftliche Aufarbeitung der Entwicklung des SPD-Landesverbandes und der an ihn angeschlossenen Kreisver- bände für die Jahre nach 1959. Trotzdem ist Geusendam eine der profilierten Persönlichkeiten der schleswig-holsteinischen SPD – ein „Vollblutpolitiker mit Ausstrahlungskraft, der hinter dem Ram- penlicht der Tagespolitik stetig den Versuch unternimmt, Ideen wei- terzuentwickeln und auf der anderen Seite beherzt zugreift, wo Or- ganisationsarbeit erforderlich ist.“2 An seinem politischen Wirken lassen sich aber auch die großen parteipolitischen Probleme der deutschen Sozialdemokratie exem- plarisch verhandeln: Die schwierige Entwicklung der eigenen Me- dienunternehmen und ihrer Zielkonflikte, die Aufgabe, eine für die Basis der Partei attraktive politische Programmatik und deren Orga- nisation zu schaffen, sowohl auf kommunal- als auch auf landespoli- tischer Ebene – und zwar gleichzeitig für die traditionelle, gewerk- schaftsnahe Klientel sowie auch für die Generation der anstürmen- den Jungsozialisten – einschließlich der damit unweigerlich verbun- denen Abgrenzungstendenzen. Sicherlich besteht die Gefahr, Geusendam für diese Entwicklun- gen und Konfliktlinien im Rahmen einer biographischen Skizze eine zu hohe Bedeutung beizumessen, ja sogar sich von ihm vereinnah- men zu lassen. Das gilt auch dann, wenn man sich ihm nicht nur über die Erinnerungen und Einordnungen ehemaliger Weggefährten, sondern auch über erreichbare schriftliche Unterlagen nähern möch- te. Die Tatsache, dass ein privater Nachlass praktisch fehlt, macht die Arbeit nicht leichter. Auch in dem sehr umfangreichen Bestand des SPD-Kreisvereins Lübeck finden sich verhältnismäßig wenige Schriftstücke aus der Feder von Geusendam. Seine Handakten sind in diesem Bestand überhaupt nicht verzeichnet. Gleiches gilt für die 2 Vgl. Pressemitteilung der s-h Landtags- nur ganz sporadischen Spuren, die Geusendam im Bestand des SPD- fraktion vom 3.9.1976, in: LtA, MF Geu- Landesverbandes Schleswig-Holstein oder des nur mit organisatori- sendam. schen Schwierigkeiten einsehbaren sozialdemokratischen Unterneh- 02 Geusendam 24.08.2006 22:32 Uhr Seite 35 Oddey, Engelhardt, von Seeler „Ich bleibe Optimist – trotz allem“ 35 mensbereiches hinterlassen hat, die beide im Archiv der sozialen Demokratie bei der Friedrich-Ebert Stiftung in Bonn eingesehen wurden. Ergänzende Unterlagen des SPD-Landesverbands finden sich im Fraktionsarchiv der SPD im schleswig-holsteinischen Land- tag in Kiel. Ein Nachweis von Kausalitäten zwischen den von Geu- sendam eingenommenen Positionen und den auf Vorstandssitzungen und auf Parteitagen tatsächlich gefassten Beschlüssen fällt nicht im- mer leicht. Fast alle herangezogenen, für Geusendam relevanten Parteiakten atmen ohnehin nicht gerade viel Empathie. Entsprechen- de Leitartikel in den von Geusendam geführten Zeitungen fehlen. All das lässt bereits auf einen grundsätzlich vorsichtigen Men- schen schließen, der schon während seiner KZ-Haft gelernt hat, sich unscheinbar zu machen – einen Mann des Apparats, der als Nieder- länder niemals ein Mandat bekleidete, der in der Öffentlichkeit nicht weiter groß in Erscheinung trat und dort als Organisator und Pro- grammatiker diente, wo die Partei ihn hinstellte. Dass diese biogra- phische Skizze überhaupt entstanden ist, verdankt sie vor allem Gi- sela Böhrk. Ursprünglich hat Wilhelm Geusendam sie als Fortset- zung seiner zuvor dokumentierten „Herausforderungen“ der Jahre bis 1945 selbst verfassen wollen. Jedoch kam vieles dazwischen: Seine Krankheit, Finanzierungsprobleme und sein politisches Mani- fest „Sozialistische Volkspartei oder liberale Reformpartei“ als Überlegungen zur neuen Programmdiskussion in Vorbereitung des Mannheimer Bundesparteitags von 1985. I. Jugend, Sowjetunion und NS-Staat (1911-1945). Auf die eben angespiel- ten „Herausforderungen“ stützt sich auch im Wesentlichen die Dar- stellung dieses ersten Kapitels. Viel „neues“ bleibt, wie im Verlauf zu sehen sein wird, nicht hinzuzufügen; Geusendam selbst spricht in seiner „aktiven“ Zeit wenig mit seinen Zeitgenossen über die Erfah- rungen seiner Jugend und als Verfolgter. So bleibt den Verfassern nur, auf die Probleme und Gefahren hinzuweisen, die ein solcher au- tobiographischer Bericht birgt: Die selektive menschliche Erinne- rung, ohnehin an nur eine – die eigene – Perspektive gebunden, er- gibt kein vollständiges und nicht zwangsläufig ein für Außenstehen- de schlüssiges Bild von der Person und der Persönlichkeit Wilhelm Geusendams. I.1 Jugend. Bereits seine Kindheits- und Jugendjahre im Bremer Ar- beitermilieu erinnert der dort am 4.9.1911 mit niederländischer Staatsbürgerschaft geborene Wilhelm Geusendam später als „eine einzige Herausforderung“3: Er ist Sohn des überzeugten KPD-Akti- visten Johann Geusendam (1886-1945) und Kind in einer vierköpfi- gen Arbeiterfamilie, die sich bei Dauerarbeitslosigkeit mühselig durchs Leben schlagen muss. Er ist auch Zeitzeuge einer als äußerst „ungerecht“ empfundenen „Politik von oben“, die sich über die fort- gesetzt angedrohte Ausweisung gegen die eigene Familie wandte.4 3 Danker/ Jensen/ Lorenzen-Schmidt Der Vater wird im Zuge der Niederschlagung der Bremer Räterepu- 1985, S. 11. blik im Winter 1918/19 durch Reichswehr und Freikorpstruppen 4 Vgl. Danker/ Jensen/ Lorenzen-Schmidt mehrfach verhaftet. Geusendam lernt früh, dass für seine politische 1985,