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Zeune, Joachim: Rezension über: Andreas Nierhaus, Kreuzenstein. Die mittelalterliche Burg als Konstruktion der Moderne, Wien, Köln, Weimar: Böhlau, 2014, in: Mitteilungen des Instituts für Österreichische Geschichtsforschung, 124 (2016), 2, S. 532-534, DOI: 10.15463/rec.99643088

First published: Mitteilungen des Instituts für Österreichische Geschichtsforschung, 124 (2016), 2

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18. Mai 1891 er als Hauptredner fungierte, und als führender Vertreter der sogenannten böh- mischen – d.h. tschechischen – Lobby in Wien nach. Finanziell unterstützte Albert beispiels- weise auch die Historiker Antonín Rezek, den Fortsetzer von František Palackýs „Geschichte von Böhmen“, der einer von Alberts letzten Gästen in dessen Villa im heimatlichen Žamberk (Senftenberg) war (S. 224), und Josef Pekař (S. 135f.). Jaroslav Goll, der Lehrer des Letzteren, war Alberts jüngerer Mitschüler am Gymnasium in Königgrätz gewesen (S. 182). Beschlossen wird das Buch von einem Kapitel über Alberts „zweites Leben“, sein Nachleben im Spiegel der Nachrufe, der Erinnerungen und Lobreden anlässlich der runden Wiederkehr seines Geburts- und Todestages sowie in diversen Handbüchern und Nachschlagewerken bis hin zum Online- lexikon Wikipedia. Es ist zu wünschen, dass dieser wichtige Beitrag zur Wissenschafts-, Geistes-, Sozial- und Kulturgeschichte Wiens, aber auch zur politischen Geschichte Böhmens und Cisleithaniens im letzten Viertel des 19. Jahrhunderts, eine Übersetzung ins Deutsche oder ins Englische erleben möge. Im Zuge der Übersetzung sollten dann auch die auf Eduard Albert und sein akademisches Umfeld bezüglichen Ergebnisse der von der Autorin nicht berücksichtigten For- schungen von Felicitas Seebacher (insbesondere ihre ungedruckte, im Jahr 2000 approbierte Klagenfurter Dissertation über „Die Wiener Medizinische Schule im Spannungsfeld von Wis- senschaft und Politik“, bes. S. 360–378) und von Tatjana Buklijas (etwa der Aufsatz: Surgery and national identity in late ninteenth-century , in: Studies in History and Philosophy of Biological and Biomedical Sciences 38 [2007] 756–774, bes. 768–771) eingearbeitet werden. Wien Thomas Winkelbauer

Andreas Nierhaus, Kreuzenstein. Die mittelalterliche Burg als Konstruktion der Moderne. Böhlau, Wien–Köln–Weimar 2014. 256 S., 131 s/w-Abb. ISBN 978-3-205- 79557-5. Die nördlich von Wien gelegene Burg Kreuzenstein zählt zweifelsohne zu den fantastischs- ten, spektakulärsten, aber auch eigenwilligsten Burgneuschöpfungen des Historismus. Bis 1874 standen am Platz der heutigen Burg lediglich einige stark fragmentierte Mauerreste ohne große bauliche Imposanz, die wenig von der langen Geschichte der bereits 1115 als Grizzane- staine erwähnten und 1645 von den Schweden gesprengten Burg erahnen ließen. Dass aus- gerechnet aus dieser eher unauffälligen Ruine eines der aufregendsten Produkte der Burgen- und Mittelaltereuphorie des 19. Jahrhunderts entstehen sollte, schien undenkbar. Welch un- geheure visionäre Kraft diesem Bauprojekt letztlich zugrunde lag, zeigt die Aussage des Bau- herrn Hans Graf Wilczek, der nicht nur in der Ruine keinen einzigen gewölbten oder geschlos- senen Raum mehr vorfand, sondern überdies „auch kein Fenster, welches noch einen Sturz gehabt hätte“. So gründlich sei „alles verwüstet“ gewesen. Eigentlich von Graf Wilczek als neue Familiengruft geplant, erwuchs aus diesen bescheidenen Anfängen 1874 bis 1906 ein wahres Ungetüm an Burg, ein bizarres Konglomerat aus hohen Türmen, Erkern, ausgekragten Wehr- gängen und Obergeschossen, zugleich durchdrungen von feingliedrigen, fast sakralen Baufor- men. Kreuzenstein entfaltet dabei eine monumentale Wucht und Wehrhaftigkeit, die dem ebenso Aufsehen erregenden, fast zeitgleich im Bau befindlichen Königsschloss Neuschwan- stein (1868–1886) gänzlich abgeht. Graf Wilczek (1837–1922), einer der damals bedeutend- sten Sammler mittelalterlicher Kunst- und Alltagsgegenstände, nutzte seinen Sammlertrieb und seine damit verbundenen Beziehungen zu Kunsthändlern und Objekteigentümern, um europaweit unzählige Spolien aus historischen Bauwerken zu erwerben und in seinem Burg- neubau zu integrieren. Aus den unscheinbaren Burgtrümmern erwuchs, unbehindert von his- torischen und burgenkundlichen Vorgaben, eine gewaltige Fantasieburg, eine abstruse, fast surreale Collage verschiedenartigster Bauteile. Als 1901 der bekannte, freilich fachlich nicht

MIÖG 124 (2016) Literaturberichte 533 unumstrittene Burgenbaumeister Bodo Ebhardt Kreuzenstein auf Einladung Graf Wilczeks besuchte, notierte er wohl nicht ganz ohne Neid: „Kreuzenstein wird aus geringen alten Resten wieder hergestellt unter Hintansetzung aller etwa bei Chillon, Hohkönigsburg oder der Ma- rienburg befolgten Grundsätze, ohne alle Pläne und Zeichnungen. Alles wird nach Angaben auf der Baustelle gebaut, was zweifellos der malerischen Gestaltung sehr zu Gute kommt.“ Höchstes Lob spendete er daher dem „hervorragenden Architekten Walcher von Moltheim“. Was aber Ebhardt selbst auf nationaler Ebene bereits damals zu schaffen machte – zunehmend kritisch agierende Denkmalschützer wie Dehio, Alois Riegl oder sein späterer Erzfeind Otto Piper, die letztlich eine Art „Echtheitsfetischismus“ begründeten –, rückte bald darauf auch die über originalen Bauteilen befundfrei errichtete Fantasieburg in die heftige Kritik der Öffent- lichkeit. Andreas Nierhaus, Kunsthistoriker, hat sich der schwierigen Aufgabe unterzogen, in mehr als fünfzehnjähriger Forschungsarbeit akribisch alle Fakten zu diesem extravaganten Baupro- jekt zu recherchieren, auszuwerten und kritisch zu bewerten. Dies geschieht in vier Haupt- kapiteln – „Mittelalterbilder“ / „Eine moderne Burg“ / „Herrschaft der Dinge“ / „Mediale Korrespondenzen“ –, die jeweils in mehrere Unterthemen gegliedert sind. Eingeleitet wird das Kapitel 1 durch Ausführungen zum Topos „Ritter – Burg“ der neuzeitlichen Mittelalter- rezeption, die einem eigenständigen Prozess der kontinuierlichen Selbsterneuerung und Rea- litätsverfremdung unterlag und sich auch medial über Burgumbauten, Burgneubauten, Ritter- romane, Opern, Schauspiele und später dann auch Comics über Europa verbreitete. Kreuzenstein spiegelt diese Entwicklung in spannender Art und Weise. Beleuchtet werden zu Recht die frühen, zeitgleichen und auch jüngeren Beispiele des Historismus bzw. der Burgen- romantik in den Unterkapiteln „Modernisierungen“ und „Die Burg im Garten“. Auch die beiden Unterkapitel „Die Burg als Monument“ und „Die Burg als Zeitvertreib“ stellen weitere, durchaus ansehnliche Burgenkreationen des Historismus vor, lassen vor allem aber Kreuzen- stein als eine absolut singuläre Neuschöpfung erkennen. Kapitel 1 schließt mit einer Betrach- tung der verklärten Burgenrezeption unter den Nationalsozialisten – für Niehaus zugleich das inhaltlich endgültige Ende der Burg. Kapitel 2 beschäftigt sich mit der Person des Bauherrn, der Baulogistik, dem äußeren und inneren Erscheinungsbild des Bauwerks, dessen Bewoh- nung und Wirkung auf frühe Besucher, während Kapitel 3 sich mit dem kuriosen Baumaterial – historische Versatzstücke aus den verschiedensten Bauten Mitteleuropas – kunsthistorisch und denkmalpflegerisch auseinandersetzt. Das letzte Kapitel untersucht die Wirkung Kreu- zensteins auf die Medien Fotografie – Heterotopie, Themenpark – Tableau vivant, Panorama, Historienbild – Film. Zu den Texten gehören 667 Anmerkungen, ein Literaturverzeichnis sowie ein Namens- und Ortsregister. Sehr gelungen ist die Bildauswahl, die in der Vielfältigkeit ihrer Motive die gesamte Themenfülle und Themenbreite abdeckt. Insbesondere die 1884 einsetzende Fotose- rie zu den Aufbauarbeiten der Burg sowie die grandiosen fotografischen Abwicklungen des fast fertigen Bauwerks 1898 und 1906 bestechen nicht zuletzt im Vergleich mit den gleichfalls eindrucksvollen Fotografien von Wolfgang Thaler aus dem Jahr 2014. Gerade durch ihre Schwarzweißkontraste entfalten sie alle eine faszinierende Massivität, nehmen Kreuzenstein seine bauliche Realität, verfremden es zu der abstrakten Kulisse einer fantastischen Filmburg oder zum dreidimensionalen Abbild der großartigen Comic-Burgen eines Vicente Segrelles in „El Mercenario“. Wenn man an diesem überaus ansprechend gestalteten und faktenreich ausgestatteten, allerdings wegen der für etliche Kunsthistoriker typischen Überfrachtung mit Fremdwörtern nicht einfach zu lesenden Buch eine inhaltliche Kritik anbringen will, dann die, dass die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit der Burgenrezeption – deren Produkt Kreuzenstein ja letztlich darstellt – sich nur auf das 18. und 19. Jahrhundert beschränkt, nicht aber deren Wurzeln im Mittelalter ausleuchtet. Denn letztlich präsentiert die Burgenrezeption des His-

MIÖG 124 (2016) 534 Rezensionen torismus kein isoliert auftretendes Neuprodukt, sondern steht Kreuzenstein vielmehr am Ende eines langen Entwicklungsstrangs, der bereits im Hochmittelalter einsetzt und dann im 15. und 16. Jahrhundert mit dem endgültigen Untergang des Rittertums die entscheidende Wen- de Richtung Kreuzenstein nimmt. Doch ist – zur Entlastung von Nierhaus – das Studium der frühen Burgenrezeption sicherlich der praktischen Burgenforschung vorbehalten, denn sie er- fordert vor allem kritische Bestandsanalysen an bestehenden Bauten und folglich Korrekturen zahlreicher Fehlinterpretationen. Dessen ungeachtet haben Nierhaus und der Böhlau-Verlag mit diesem Buch einen wertvollen und wichtigen Beitrag zum Thema der „Burg in der Mo- derne“ vorgelegt. Eisenberg-Zell Joachim Zeune

Walter Sauer, Expeditionen ins afrikanische Österreich. Ein Reisekaleidoskop. (Studien zum Südlichen Afrika, Bd. 12.) mandelbaum, Wien 2014. 473 S., zahlr. meist farbige Abb. ISBN 978-3-85476-451-9. Angesichts anhaltender Flüchtlingsströme und damit verbunden stetig wachsender Xeno- phobie in Europa kommt dieses Buch zur rechten Zeit. Es kann als „kulturgeschichtliche Einführung“, als „Steinbruch für multikulturelle Pädagogik“ oder auch als „ein touristisches Handbuch“ gelesen werden (S. 10). Wer den Expeditionen ins afrikanische Österreich folgen will, braucht keinen Weltatlas, um eine vermeintlich bisher unbekannte Region auf dem so- genannten Schwarzen Kontinent zu suchen. Man sollte stattdessen eine gute Karte des heuti- gen Österreich zur Hand haben, denn es ist „in erster Linie ein Österreich- und erst sekundär ein Afrikabuch“ (S. 10), auch wenn die Reihe, in der dieses Buch erschienen ist, anderes zu suggerieren scheint. Sauer sucht nach den „Repräsentationen von Afrika oder von Afrikaner/ inne/n im öffentlichen Raum“, die über weite Strecken die fragwürdigen „Afrikabilder in unseren Köpfen“ spiegeln (S. 9). Nach dem bereits 1996 erschienenen, inzwischen vergriffe- nen Stadtführer „Das afrikanische Wien“ nimmt der Verf. nun seine Leser mit auf spannende Exkursionen durch ganz Österreich: nach Wien (S. 69–197), ins (S. 199–218), nach Nieder- (S. 219–256) und Oberösterreich (S. 257–294), (S. 295–323), Tirol (S. 325–356), (S. 357–378), Steiermark (S. 379–416) und Kärnten (S. 417–441). Jedem dieser Kapitel sind eine Übersichtskarte und eine Skizze der aktuellen Afrikabeziehun- gen (Außenpolitik, Wirtschaft, Entwicklungszusammenarbeit, Kultur, Diaspora) des jeweili- gen Bundeslandes vorangestellt. Eine umfangreiche Liste gedruckter Quellen und weiterfüh- render Literatur (S. 442–450) bietet viele Anhaltspunkte zum Weiterlesen, der Orts- und Personenindex (S. 453–473) erlaubt die gezielte Suche. Sauer geht von einem „(neo-)kolonia- listisch geprägten Charakter der europäischen bzw. österreichischen Beziehungen zu Afrika und seinen Menschen“ aus und will diese Prägung anhand der Spuren, die die Afrikabeziehun- gen und -interessen im kollektiven Bewusstsein hinterlassen haben, aufdecken (S. 9). Er be- schränkt sich dabei im Wesentlichen auf das „tangible heritage“, während Ausstellungen, Fil- me, Musik- und Theateraufführungen, die das Bild ohne Zweifel mitgeprägt haben, nur am Rande skizziert werden, da es sich um Ausdrucksformen des „intangible heritage“ handelt. Das tut dem Ziel jedoch keinen Abbruch, zeigt sich doch bereits an den konkreten Objekten die Widersprüchlichkeit der politischen und wirtschaftlichen Interessen, die den heutigen Afri- kabeziehungen/-bildern zugrunde liegen, z.B. in Logos der Werbegraphik und kolonialer Raubkunst in Museen. Gleichzeitig werden aber auch positive Veränderungen sichtbar, z.B. in afrikabezogenen Straßennamen (Nelson Mandela) oder Lokalen und Ausstellungen, die „geeignet sind, problematische Bilder Afrikas aufzulösen und durch realistische zu ersetzen“ (S. 9). Einleitend stellt Sauer als der wohl beste Kenner der österreichisch-afrikanischen Ge- schichte die Vielfalt dieser Beziehungen dar von der römischen Antike (Isiskult, z.B. in Frau- enberg), über die Kreuzzugszeit, in der sich einerseits das negative Bild des schwarzen Kon-

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