Kern-Band 24
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Blick über Grenzen Vorwort Kunst, Kultur und schöpferische, kreative national gesehen qualitativ und quantitativ Leistungen sind nicht an politisch gezogene hervorragend. Es wurde viel erhalten und Grenzen gebunden. Daher überschreiten wir restauriert, was heute, nach der Öffnung der mit diesem Heft auch die Grenze zu unseren Grenze nun in sichtbarem Zusammenhang mit heutigen Nachbarn, eine Grenze, die in den dem Kulturbestand unserer Nachbarn wieder vergangenen Jahrhunderten über lange Zeit- zu sehen ist. Es zeigt, dass Denkmalpflege auch räume nicht existiert hat. Und dieser Blick vorausschauend sein muß, dass zeitliche und hinüber zeigt uns, dass wir die gleiche kultu- politische Grenzen nicht trennen dürfen. relle Geschichte wie unsere Nachbarn haben, Die Öffnung der Grenze hat eine Ausein- dass sich die Entwicklung von Kunst und andersetzung mit der Geschichte, einer mit Kultur nicht wesentlich von unserer unter- uns gemeinsamen Geschichte ermöglicht. Dies scheidet. erlaubt ein freieres, unbelastetes Verhältnis, Über lange Zeiträume hinweg waren in auch zur gemeinsamen Kultur und damit zur Niederösterreich, Wien, Ungarn, Tschechien Pflege traditioneller Werte und Güter. oder der Slowakei die gleichen Personen als Künstler, Baumeister, Architekten, Gartenge- stalter, Komponisten, Bildhauer tätig. Bedeu- tende Baumeister wie Johann Bernhard Fischer von Erlach oder Josef Kornhäusl bauten „drü- ben und herüben“, aber auch die Handwerker, die Tischler, Maler, Zimmerer usw. waren dieselben. Zum Verständnis der jeweils auf der ande- Landeshauptmann Dr. Erwin Pröll ren Seite Lebenden ist dieses Wissen über die gleiche kulturelle Geschichte wichtig und be- sonders in Hinblick auf die EU-Osterweite- rung kann es zum Abbau vorhandener Ängste beitragen. Wir wollen damit aber auch zeigen, dass es in diesen Ländern, besonders in den letzten Jahren große Anstrengungen zur Erhal- tung dieses Kulturgutes gegeben hat. So gibt es, trotz vieler Nutzungsänderungen, vorbild- liche Restaurierungen. Die Leistungen in der Denkmalpflege Niederösterreichs, die in den letzten Jahren so verdienstvoll vom nun in Ruhestand befindli- chen Landeskonservator HR Dr. Werner Kitlitschka betreut wurden, sind, auch inter- Editorial über der Grenze historische Objekte teilweise hervorragend restauriert worden. Der über viele Jahrzehnte dauernde Dornröschenschlaf mancher Objekte hat weniger zerstört, als die extensive Nutzung mancher Objekte im soge- nannten Westen. Alte Handwerkstechniken, die Basis für eine gute Restaurierarbeit, haben sich hier besser erhalten als in den westlichen Industrieländern. Und dieses Wissen um die Die Reise zu unseren Nachbarn in der Slowa- traditionelle Verwendung der Baustoffe und kei, in Ungarn oder in Tschechien ist einfacher deren Verarbeitung kommt auch uns zu gute. geworden. Die Formalitäten an der Grenze Die Zusammenarbeit in der Denkmalpflege sind entfallen und sogar der Einkaufstourismus über Landesgrenzen hinweg kann so für beide hat eingesetzt in den letzten Jahren. Osteuropa Seiten befruchtend wirken, im Austausch wis- nähert sich mit riesigen Schritten der gemein- senschaftlicher und handwerklicher Erfahrungen. samen europäischen Mitte. Es ist Zeit, abgese- Wir wollen Sie, verehrte Leser mit dieser hen von wirtschaftlichen Interessen auch die Broschüre animieren die Grenze zu überschrei- gemeinsame Geschichte zu betrachten. Dazu ten, oder an ihr entlang zu wandern. Nehmen gehören all die Kunstschätze, die aus einem sie sich Zeit und gehen sie auf Entdeckungs- gemeinsamen kulturellen Raum entstanden reise, in vergangene Zeiten, in einen alten und sind. neuen gemeinsamen Wirtschaftsraum und in Die Dörfer an den Flüssen March und eine gemeinsame kulturelle Geschichte. Thaya haben wieder Zugang zu ihren Ge- schwistern am anderen Ufer, Familien, die so Blick über Grenzen Blick zufällig von den örtlichen Gegebenheiten ge- Gerhard Lindner trennt waren sind wieder verbunden. Wirt- schaftlicher und kultureller Austausch kann wieder funktionieren und an eine Zeit an- schließen, als die Grenze keine trennende war. Spezielle geografische und naturräumliche Gegebenheiten schaffen meist einen eigenen Wirtschaftsraum, auch das ist hier ersichtlich. Politische Grenzen halten sich nicht immer daran, können aber die über Jahrhunderte ent- standene Basis nicht zerstören. Noch großteils verschont von den Ikonen der Konsumgesellschaft, von den unzähligen Tafeln, Schildern, Behübschungen, Regle- mentierungen etc. in unserem Land, die uns schon lange jeden Blick verstellen, sind hier, Blick über Grenzen Thomas Samhaber Grenzsteine – Kulturdenkmäler der Rudolf Klaffenböck besonderen Art 37 Entlang der Grenze 6 Dr. Andrea Komlosy DI Thomas Dillinger Waldviertel- Mühlviertel-Südböhmen 40 Dr. Gerhard Schimak Dipl.-Ing. Dr. Hannes Schaffer Dr. Eugen Scherer Die unberührt gebliebene Landschaft 11 Denkmalschutz, Kulturstrasse und Identität 45 Mag. Katharina Schwarz-Herda Grenzenlose Kultur 13 LAbg. Herbert Nowohradsky Die Bernsteinstraße im Weinviertel 20 Das Restaurierbeispiel 46 Annemarie Täubling Der Nationalpark Donau-Auen 22 DI Robert Brunner Aktuelles aus der Denkmalpflege Der Nationalpark Thayatal 25 in Niederösterreich 51 Dr. Erich Steiner Teiche diesseits und jenseits der Grenze 28 Prof. Vaclav Bu°z˘ek Adelige Residenzen in den böhmischen Ländern entlang der österreichischen Grenze 30 Juraj Z˘áry Slowakische Schlösser und Burgen -1 32 Mag. Peter Kresánek Slowakische Schlösser und Burgen -2 35 Entlang der Grenze „Beim Gehen sehen“, sagt Rudolf Klaffenböck Rudolf Klaffenböck Grenzregionen sind meist Abwanderungs- „Es ist mir ein inneres Bedürfnis zu gehen, den Fotograf und gebiete und einem steten Wandel unterzogen. Boden zu berühren und mich zu erden. Gehen Kabarettist Diesen zeitgeschichtlichen Umbruch nach bedeutet für mich die intensivste Form der dem Wegfall des „Eisenen Vorhangs“ doku- Wahrnehmung und die unabhängigste Art der mentierte der Passauer Rudolf Klaffenböck aus Fortbewegung. Beim Gehen sehen. Gehen hebt der Sicht eines „Spurensammlers“ mit fotogra- die Zeit auf.” (Rudolf Klaffenböck) fischem Blick. Während seiner fast 100-tägigen Wanderung entlang der österreichischen Staats- Fotos und Texte stammen aus dem Buchtitel grenze berührt er vergessene, zum Teil lange GRENZgehen: eine Wanderung entlang der Die Ausstellung Zeit hermetisch abgeriegelte Landstriche der österreichischen Staatsgrenze zu Tschechien, „GRENZgehen“ von ehemals kommunistischen Nachbarländer der Slovakei, Ungarn und Slovenien/ Rudolf Rudolf Klaffenböck. im Museum Moderner Kunst Tschechien, Slowakei, Ungarn und Slowenien. Klaffenböck.-2. Aufl.-Passau: Stutz, 1999 Passau, ist noch bis 26. Die Erlebnisse dieser Reise hat er in ISBN 3-88849-019-7 November zu besichtigen. Tagebuchnotizen und s/w-Fotos festgehalten. Selbstportrait im Fremdenzimmer, 1994 6 Wirtin, Eggern, Waldviertel, 1994 Kurze Achtel-Station im „Gasthaus zur Waldhütte“ der Familie Schassl. „13 Veranstaltungen mit circa 400 bis 600 Leuten hama früher g’habt im Saal; jetzt ist alles aus, wegen der Discos und der privaten Vereinsfeste. Bald werden wir zusperren“, sagt die Wirtin, wechselt für das Foto ihre Kittel- schürze und lädt mich auf das Achtel ein. Zollwach-Hütte, Sierndorf an der March, 1995 Vor mir das erste öster- reichische Zollwachhäus- chen auf dieser Etappe. Heißen die gußeisernen Öfen auch hier „Ire“? Jawohl, und ein Reisstroh- besen hängt auch an der Wand. Stechmücken um- tanzen mich und werden an schattigen Stellen immer aggressiver. Rechter Hand Sierndorf, dahinter Weingärten, die eine lang- gestreckte Hügelkette hin- aufwachsen. 7 Preßhäuser, Falkenstein, Weinviertel, 1995 Ich mache noch ein paar Bleistift-Skizzen von den unterschiedlich gemauer- ten Eingängen in der Kellergasse, weil mich organische „Architektur ohne Wasserwaage“ schon immer begeistert hat. Aus den Lüftungslöchern der Weinkeller strömt der intensive Geruch gären- der Trauben. Frau Stecher, meine Vermieterin, wäscht mir in der Maschine meine Hemden und kredenzt mir eine Flasche selbstge- bauten Welschriesling. Fußballplatz, Brand, Waldviertel, 1994 Ich folge lautem Geschrei und Pfiffen und lande am Sportplatz beim Fuß- ballspiel Brand gegen Großdietmanns. Die grün- weiß-bedresste Heimmann- schaft gewinnt 4:3. Milan, dem tschechischen Mittelstürm- er des SV Brand, werden die Zurufe des Trainers durch einen tschechischen Übersetzer wild gestikulie- rend ins Spielfeld geschri- en. Die heimischen Fuß- ball-Fans, zwischen Vereinslokal und gegneri- schem Tor skandierend, ersetzen jeden Fernseh- Kommentator. Der Schiedsrichter verdaut selbst nach einem annu- lierten Tor der Heim- mannschaft die härtesten „analen“ Titulierungen. 8 Forstauto, Petronell- Carnuntum, 1995 Im Graben des einstigen Wasserschlosses Petronell parkt vor einem hölzer- nen Schiebetor, über dem das ausladende Geweih eines 1931 erlegten Hirsches wacht, ein grü- ner VW-Käfer. Das feh- lende Autokennzeichen ersetzt ein handgeschrie- benes grünes Schild mit dem Wort: Forstbetrieb. 9 Papiermühlen-Besitzer, Bad Groß-Pertholz, 1994 Besuch des Papiermühlen- betriebes bei der Familie Mörzinger nahe Bad Großpertholz. Der Senior führt mich durch den antiquiert anmutenden Betrieb, in dem hand- geschöpftes Papier bis zur Größe DIN A2 hergestellt wird. Er setzt sich neben den „Holländer“, einen Granitbottich, in dem die zerfaserten und vorgefaul- ten Hadern zu Brei zer- mahlen werden. Die Räume ähneln einer ver- lassenen Weißwäscherei des vorigen Jahrhunderts. Geschlossener Grenz- übergang, Schwarzau, Waldviertel, 1994 Wir gehen gemeinsam zu einem unbesetzten