Karl Rösch

Franz Josef Strauß – Bundestagsabgeordneter im Wahlkreis Weilheim 1949–1978

Herbert Utz Verlag Geschichtswissenschaften · Band 32

Satz, Layout, Umschlaggestaltung: Matthias Hoffmann

Umschlagabbildung: Privatbesitz

Zugl.: Diss., München, Univ., 2013

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ISBN 978 3 8316 4392 9

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Inhaltsverzeichnis Vorwort ...... 9

1. Einleitung ...... 11 1.1. Einführung ...... 11 1.2. Fragestellungen ...... 14 1.3. Eingrenzung ...... 16 1.4. Untersuchungszeitraum und Periodisierung ...... 21 2. Forschungsstand ...... 27 3. Quellenlage ...... 38 3.1. Bundeswahlkreis-Akten ...... 38 3.2. Nachlass Strauß ...... 43 3.3. Gedruckte Quellen ...... 47 3.4. Örtliche CSU-Organisationen ...... 50 3.5. Zeitzeugen ...... 52 3.6. Sonstige Quellen ...... 54 4. Vita des Abgeordneten Franz Josef Strauß ...... 56 5. Direktmandat ...... 71 5.1. Regularien und Rezeption ...... 71 5.2. Selbstverständnis von Franz Josef Strauß ...... 74 6. Der Bundeswahlkreis Weilheim ...... 84 6.1. Geografische Ausdehnung ...... 84 6.2. Landkreise und Gemeinden ...... 86 6.3. Strukturen ...... 90 7. Rahmenbedingungen ...... 95 7.1. Gesellschaftliche und wirtschaftliche Entwicklung ...... 95 7.2. Parteienlandschaft ...... 103 7.3. Medienlandschaft ...... 112 8. Personen im Wahlkreisumfeld ...... 119 8.1. Mandatsträger und wichtige Personengruppen ...... 119 8.2. Freunde ...... 126 8.3. Politische Gegner ...... 132 8.3.1. Geachtete Kontrahenten ...... 132 8.3.2. Max Klotz ...... 135 8.3.3. Alfons Bayerl ...... 138 8.4. Marianne Strauß ...... 141 8.5. Ermelinde Schäffler, geb. Bauer ...... 145 9. Bundeswahlkreis-Geschäftsstelle ...... 148 9.1. Aufbau und Aufgaben ...... 148 9.2. Arbeitsweise der Geschäftsstelle in Schongau ...... 153

5 9.2.1. Unterbringung und Wahrnehmung ...... 153 9.2.2. Sekretär Alfred Cieslik ...... 155 10. Aktivitäten im Bundeswahlkreis ...... 168 10.1. Strategien und Anforderungen ...... 168 10.1.1. Strategien ...... 168 10.1.2. Anwesenheit ...... 174 10.1.3. Arbeitsbelastung ...... 181 10.2. Versammlungstätigkeit ...... 194 10.2.1. Bürgersprechstunden ...... 194 10.2.2. Aussprache-Abende ...... 198 10.2.3. Öffentliche Versammlungen („Aufklärungsveranstaltun- gen“) ...... 203 10.2.4. Themenauswahl ...... 209 10.3. Interessenkonflikte ...... 216 10.4. Anfragen und Anträge im Bundestag ...... 223 10.5. Parteiarbeit ...... 227 10.5.1. Aktivitäten auf Kreisebene ...... 227 10.5.2. Junge Union ...... 237 10.5.3. Reisen nach Bonn ...... 240 10.6. Gelder und Finanzen ...... 242 10.7. Aktivitäten im vorpolitischen Raum ...... 249 10.8. Petitionen ...... 264 10.9. Kommunalpolitische Vorgänge ...... 293 10.9.1. Lokale Projekte ...... 293 10.9.2. Bergwerksschließungen ...... 300 10.9.3. Vereinigung der Landkreise Weilheim und Schongau .... 309 10.9.4. Selbstständigkeit von Altenstadt ...... 315 10.10. Soziales Engagement ...... 319 10.11. Öffentlichkeitsarbeit ...... 321 10.11.1. Pressearbeit ...... 321 10.11.2. Presseecho ...... 332 10.12. Nicht wahrgenommene Gestaltungsmöglichkeiten ...... 351 11. Politische Schwerpunktthemen im Wahlkreis ...... 359 11.1. Einordnung ...... 359 11.2. Europa ...... 360 11.3. Vertriebene ...... 363 11.4. Jugend ...... 369 11.5. Landwirtschaft ...... 376 11.6. Fremdenverkehr ...... 379 11.7. Sonstige Themen ...... 382 12. Wahlen ...... 383 12.1. Bundestagswahlen ...... 383 12.1.1. Strauß als Bewerber und Wahlkämpfer ...... 383 12.1.2. Kandidatenbriefe und Kandidatenprospekte ...... 394

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12.1.3. Wahlkämpfe 1949–1976 ...... 397 12.1.4. Wahlergebnisse ...... 410 12.2. Landtagswahlen ...... 414 13. Zusammenfassung und Ausblick ...... 416 13.1. Schlussbemerkungen ...... 416 13.2. Die Person Franz Josef Strauß ...... 427 14. Quellenverzeichnis ...... 438 14.1. Archivalien ...... 438 14.1.1. Archiv für Christlich-Soziale Politik ...... 438 14.1.2. Archive und persönliche Sammlungen ...... 438 14.2. Gedruckte Quellen ...... 438 15. Literaturverzeichnis ...... 441 Monografien ...... 441 Sammelwerke...... 448 Hochschulschriften ...... 450 Graue Literatur ...... 450 16. Abkürzungsverzeichnis ...... 453 17. Anhang ...... 454 17.1. Sachbereiche der Petitionen ...... 454 17.2. Karten ...... 465 17.3. Gemeindeverzeichnisse ...... 474 17.4. Bevölkerungsstatistik ...... 480 17.5. CSU-Wahlergebnisse ...... 481 17.6. Landräte ...... 482 17.7. Direkt gewählte Landtagsabgeordnete ...... 483 17.8. Interviewpartner ...... 484 17.9. Abdrucke relevanter Quellen ...... 486 17.9.1. Bundeswahlkreisorganisation der CSU 1955 ...... 486 17.9.2. Jahresbericht des Landkreises Bad Tölz 1952 ...... 492 17.9.3. Ausgewählte Petitionen ...... 494 17.9.4. Pressezitate ...... 503 17.10. Abbildungen markanter Quellen ...... 511 Register ...... 607

7 Vorwort

Die vorliegende Arbeit wurde im Sommersemester 2013 von der Fakultät für Geschichts- und Kunstwissenschaften der Lud- wig-Maximilians-Universität München als Dissertation angenom- men. Mein vielseitiger Dank gilt Prof. Dr. Ferdinand Kramer, Lei- ter des Instituts für Bayerische Geschichte der Ludwig-Maximili- ans-Universität und Erster Vorsitzender der Kommission für Bay- erische Landesgeschichte bei der Bayerischen Akademie der Wis- senschaften für die Anregung zu dieser Studie und für die wohl- wollende Unterstützung. Seine fachlichen und methodischen Ratschläge waren für mich von hohem Wert. Dem Koreferenten Prof. Dr. Horst Möller, ehem. Leiter des Instituts für Zeitgeschich- te, München-Berlin, bin ich dankbar für seine hilfreichen Anre- gungen. Den Kindern von Franz Josef Strauß gilt mein Dank für die Genehmigung, uneingeschränkt den Nachlass ihres Vaters ein- zusehen. Zu großem Dank verpflichtet bin ich Frau Dr. Höpfin- ger, Leiterin des Archivs für Christlich-Soziale Politik, mit ihrem Team für die unbürokratische Unterstützung. Dies gilt vor allem für Dr. Claus Brügmann, der kurz vor seinem Tode noch meine Aussagen zu den Bundeswahlkreis-Akten und zum Nachlass von Franz Josef Strauß kritisch überprüfte. Viele Archivare von Ge- meinden und Verbänden haben mir ebenfalls sehr geholfen. Ohne die zahlreichen Hinweise und Korrekturarbeiten von PD Dr. Martin Ott, Dr. Alexandra Scherrer, Dr. Veronika Diem, und vor allem von meiner Schwester Inge Sigmund und meiner Toch- ter Stephanie hätte meine Dissertation nicht ihren Qualitätsstand erreicht. Zusätzlich hat mir PD Dr. Martin Ott während des Promo- tionsstudiums geholfen, die Schwierigkeiten zu überwinden, mit

9 Vorwort denen ein Seiteneinsteiger konfrontiert wird. Rechtzeitig fertigge- stellt werden konnte die Dissertation nur, weil Bernhard Graf von Zech-Kleber und Dr. Ulrich Puchner in der schwierigen Endphase tatkräftig bei der Erstellung der Druckversion mithalfen. Besonderen Dank schulde ich den vielen Zeitzeugen und In- terviewpartner, die ihre privaten Sammlungen öffneten und mir wertvolle Unterlagen und Fotos zur Verfügung stellten, insbeson- dere Frau Ermelinde Schäffler, St. Augustin und Frau Irmgard Cieslik (†). Zusammen mit rd. 1 200 gespeicherten Zeitungsarti- keln entstand so die Sammlung Rösch, die nach Abschluss meiner wissenschaftlichen Tätigkeit an das Archiv für Christlich-Soziale Politik übergehen wird. Nicht zuletzt gilt mein Dank meiner Frau Erika Rösch-von der Ley, die mit Geduld die Folgen der zeitlichen Belastung ertrug.

Starnberg, im Juli 2014 Karl Rösch

10 1. Einleitung

1.1. Einführung

„Ich kann nicht mehr tun als mich physisch zu ruinieren. Der Landkreis Garmisch-Partenkirchen ist der einzige Landkreis mei- nes Stimmkreises, in dem ich zweimal spreche, nämlich in Gar- misch und in Mittenwald. In allen übrigen Landkreisen vermag ich nur in den Kreishauptstädten zu sprechen. Von meiner wirk- lichen, bis an die Grenze der überhaupt körperlich erträglich ge- henden Arbeitsbelastung durch mein Amt und politische Tätig- keit vermag man sich anscheinend noch keine ausreichende Vor- stellung zu machen …“1 Mit diesen Worten reagierte Franz Jo- sef Strauß 1958 – zu dem Zeitpunkt Bundestagsabgeordneter und Bundesverteidigungsminister – auf eine Beschwerde des Kreisver- bands Garmisch-Partenkirchen der CSU in seinem Bundeswahl- kreis. „Franz Joseph hat geholfen“ und „Franz Joseph hülf uns vür- derhien“ waren die Inschriften eines Bildes in der vom Team 70 1975 herausgegebenen Werbe-Broschüre „Enthüllungen über ei- ne Partei“. Dieses Bild, gestaltet nach Art von Votivbildern in Wall- fahrtsorten, zeigt Strauß als Redner vor oberbayerischer Land- schaft. (Abb. 1).2 Was als Übertreibung im Wahlkampf erscheint, fand vielfach Bestätigung in Dankbriefen an Strauß. So schrieb etwa ein Jurist aus dem Wahlkreis (Abb. 2), der in einer Ausein- andersetzung mit der Allgemeinen Ortskrankenkasse Unterstüt- zung gesucht hatte: „Hochverehrter Herr Bundesminister! Vor Glück und Aufregung finde ich nicht die geeigneten Worte, um

1 ACSP, Bundeswahlkreis Weilheim 12: Strauß an Kreisverband Gar- misch-Partenkirchen 7. 11. 1958. 2 ACSP, DS 2: 15: CSU-Landesleitung: Enthüllungen über eine Partei, Mün- chen 1975.

11 Einleitung mein dankerfülltes Herz richtig sprechen zu lassen für das gro- ße Glück, das Sie durch Ihr Wohltun in meine Familie gebracht haben. […] Ich kann nur den Allmächtigen bitten, daß er Sie uns gesund erhält, denn […] es bauen ungezählte Tausende ihre Hoff- nung auf Sie, Herr Bundesminister, […]. Der Segen Gottes möge immer auf Ihnen ruhen und auf Ihren lieben Angehörigen …“3 Tausende von Petitionen aus dem Wahlkreis wurden an Strauß ge- richtet und von ihm als Leistungsbilanz in den Wahlkämpfen aus- gewiesen (Abb. 3). Nicht immer war Strauß erfolgreich: „Der Minister bedauert, daß Ihrer Bitte, der er nachdrückliche Unterstützung hat zuteil werden lassen, kein größerer Erfolg beschieden war“4 Und es gab auch kritische Stimmen, nicht nur in Wahlkampfzeiten. 1951 be- klagte ein Bürger aus Peiting in einem offenen Brief ein „unausge- wogenes soziales Verständnis“ von Strauß: „Es würde mich freu- en, wenn Sie mir antworteten, daß Sie außer den zu Ihren Diskus- sionsabenden mit Auto vorfahrenden geladenen Gästen auch die Arbeitnehmer sowie die Arbeitslosen, Rentner und Flüchtlin- ge zu dieser Sorte Menschen (also Bürger) zählten …“5 Die aus einer großen Zahl von Korrespondenzen herausgegriffenen Bei- spiele mögen einen ersten Hinweis auf die Vielfalt der Herausfor- derungen und Probleme geben, welche die Wahlkreisarbeit eines Abgeordneten des Deutschen Bundestages in den Nachkriegsjahr- zehnten bestimmten. Gleichzeitig verdeutlichen sie, dass mit der Untersuchung der Wahlkreisarbeit auch ein Beitrag zur Biografie

3 ACSP, Bundeswahlkreis Weilheim 53 / 2: Dr. N. an FJS, Bad Tölz 30. 12. 1954. 4 ACSP, Bundeswahlkreis Weilheim 49: Ministerbüro an Fr. Hanika, Bonn 8. 11. 1958. 5 Offener Brief an den Bundestagsabgeordneten Herrn Oberregierungsrat Franz J. Strauß von Hans Umbrecht, Peiting 28. 3. 1951, in: Schongauer Nach- richten 3. 4. 1951.

12 Einführung des Abgeordneten, in diesem Fall von Franz Josef Strauß, geleistet werden kann, der als mehrfacher Bundesminister, CSU-Vorsitzen- der und Bayerischer Ministerpräsident die bayerische und deut- sche Nachkriegsgeschichte stark mit beeinflusst hat. Das Ziel der folgenden Studie ist demnach, das Wirken eines Bundestagsabge- ordneten im Wahlkreis zu erschließen und gleichzeitig einen Bei- trag zu einer wissenschaftlichen Biografie von Strauß zu leisten. Keine politische Funktion hatte Strauß länger inne als die des für den Wahlkreis Weilheim direkt gewählten Abgeordneten im Deutschen Bundestag. Er war neben seinen politischen Spitzen- ämtern von Beginn der ersten Legislaturperiode 1949 an über fast drei Jahrzehnte Mitglied des Hohen Hauses in Bonn. Bei den ers- ten Bundestagswahlen am 14. 8. 1949 gehörte er neben und Fritz Schäffer zur kleinen Gruppe von CSU-Kandida- ten, die in Ober- und Niederbayern ein Direktmandat gewinnen konnten. Alle anderen gingen an die SPD oder an die Bayernpar- tei. Strauß rückte durch diesen Wahlerfolg sehr jung auf in die Führungsriege der CSU um Hans Ehard, Ministerpräsident und Parteivorsitzender, Josef Müller, stellvertretender Ministerpräsi- dent, Michael Horlacher, Landtagspräsident und stellvertreten- der Parteivorsitzender, Anton Pfeiffer, Staatsminister und Chef der Staatskanzlei, Fritz Schäffer, Bundesminister der Finanzen, und Alois Hundhammer, Fraktionsvorsitzender im Bayerischen Land- tag und Staatsminister für Unterricht und Kultus. Er verteidigte sein Mandat bei den Bundestagswahlen 1953, 1957, 1961, 1965, 1969, 1972 und 1976 mit insgesamt wachsenden Mehrheiten. Ab 1957 gehörte der Wahlkreis zu den Hochburgen der CSU bei den Bundestagswahlen.6 Das Bundestagsmandat gab Strauß erst auf,

6 Schindler, Peter: Datenhandbuch zur Geschichte des Deutschen Bundesta- ges 1949 bis 1982, Baden-Baden 1984, 68–78.

13 Einleitung als er am 6. 11 1978 als Nachfolger von Alfons Goppel in das Amt des Bayerischen Ministerpräsidenten gewählt wurde.

1.2. Fragestellungen

Will man die Arbeit von Strauß im Wahlkreis erfassen, dann gilt es, zunächst die Rahmenbedingungen seiner Tätigkeit zu erschlie- ßen. Die vorliegende Arbeit skizziert zunächst die Biografie von Strauß. Dann werden das Profil des Wahlkreises mit seinen ent- sprechenden Veränderungen, die personalen Netzwerke, die re- gionale Presse und schließlich das Wahlkreisbüro und dessen Ar- beit beschrieben. Die Versammlungstätigkeit gehört ebenso dazu wie die Bürgersprechstunden, die Parteiarbeit, der vorpolitische Raum, das soziale Engagement und die Pressearbeit. Folgen- schwere kommunalpolitische Ereignisse werden ebenso erörtert wie die Politikfelder, denen sich Strauß im Wahlkreis besonders verpflichtet fühlte. Letztendlich dienten all diese Aktivitäten dem Ziel, von der Bevölkerung als ihr Abgeordneter wahrgenommen und gewählt zu werden. Deshalb werden auch alle Wahlkämpfe vor Ort behandelt. Vor allem die Vielzahl und die Themenbreite von Petitionen an den Abgeordneten ermöglichen es, die Probleme im Wahlkreis, die personalen Netzwerke und die Erwartungshaltungen an ihn und schließlich seine Arbeit im Wahlkreis im Konkreten zu er- schließen. Mit welcher Intensität und mit welchen Methoden hat er sich in seiner Abgeordnetentätigkeit der Petitionen und Bitten der einzelnen Bürger angenommen, und welche Ergebnisse und welches Echo hat er erzielt? Die Wahlerfolge der CSU im Betrach- tungszeitraum waren neben vielen anderen Gründen auch auf die Verankerung im vorpolitischen Raum zurückzuführen. Dazu

14 Fragestellungen gehörten die Vereine in allen Spielarten, berufsständische Verei- nigungen, kommunale Organisationen, Unternehmen, verschie- denste Gruppierungen und exponierte Einzelpersönlichkeiten. Mit der katholischen Kirche und großen Teilen des Bayerischen Bauernverbands besaß die CSU die Unterstützung der wichtigsten Institutionen auf dem Lande,7 wozu auch der ländlich geprägte Bundeswahlkreis Weilheim gehörte. In welcher Weise ist Strauß auf diese Organisationen zugegangen? Von zentraler Bedeutung für die Wahlkreisarbeit war die Ko- operation mit den Orts- und Kreisverbänden der Partei bzw. de- ren Vertretern und Delegierten. Davon war abhängig, ob Strauß jeweils wieder als Kandidat nominiert wurde. Zusätzlich waren die Vertreter der Orts- und Kreisverbände wichtig für die Kommu- nikation zwischen Bevölkerung und Abgeordnetem und natürlich für die Organisation der Wahlkämpfe vor Ort. Welche Rolle spielte Strauß in den lokalen Parteigliederungen? Weiter sind über die Partei hinaus die Amtsträger vor Ort, Bür- germeister, Kreis- und Gemeinderäte sowie die Landräte und Landtagsabgeordneten als Teil der personalen Netzwerke im Wahlkreis zu berücksichtigen, auch wenn diese sich mit den zu- nehmenden Erfolgen der CSU immer mehr mit Funktionsträgern in der Partei überschnitten. Gab es besondere Vertrauensperso- nen innerhalb dieses Kreises? Andererseits ist auch zu fragen, welche Rolle seine politischen Gegner und Kritiker im Wahlkreis gespielt haben? Schwerpunkt der Arbeit eines jeden Abgeordneten im Wahl- kreis war das Auftreten bei Wahlkämpfen. Welche Möglichkeiten hat Strauß wahrgenommen und welche nicht? Das aufkommen- de Fernsehen hatte in den beiden ersten Phasen noch keine lo-

7 Balcar, Jaromír: Bayern im Bund, Band 5: Politik auf dem Land. Studien zur bayerischen Provinz. 1945 bis 1972, München 2004, 500.

15 Einleitung kale Bedeutung. Umso mehr ist die Analyse des lokalen Presse- echos ein wichtiger Teil bei der Erforschung der Abgeordnetentä- tigkeit. Und schlussendlich stellt sich die Frage, wie Strauß die wachsende Belastung durch die Häufung von Ämtern auf Landes- und Bundesebene bewältigt hat und wie sich dies auf seine Wahl- kreisarbeit ausgewirkt hat? In persönlichen Briefen in der Wahlkreisarbeit und bei seinen öffentlichen Auftritten im Wahlkreis äußerte sich Strauß immer wieder zu den damals aktuellen politischen Themen. Sie stellen eine wesentliche Ergänzung zu seinen sonstigen Äußerungen dar und ermöglichen es – insbesondere in den ersten Jahren – Leitbil- der und politische Einstellungen von Strauß präziser zu umreißen. Neben der Frage, mit welchen Themen sich Strauß im Wahl- kreis beschäftigt hat, ist nicht minder aufschlussreich, mit wel- chen Themen – wiewohl naheliegend – er sich nicht oder nur we- nig beschäftigt hat.

1.3. Eingrenzung

Der Titel der Arbeit enthält weitreichende Einschränkungen. Es geht nicht um den Landes- und Bundespolitiker oder Staatsmann Strauß und somit nicht um die „Taten (und Untaten) und das Ge- pränge eines Großen“8. Stattdessen soll auch mit Ansätzen aus der Alltagsgeschichte9 seine über Jahrzehnte währende Wahlkreis-

8 Lüdtke, Alf: Was ist und wer treibt Alltagsgeschichte, in: Hitzer, Bettina / Welskopp, Thomas (Hg.): Die Bielefelder Sozialgeschichte. Klassische Texte zu einem geschichtswissenschaftlichen Programm und seinen Kontroversen, Bielefeld 2010, 303–336, 303. 9 Hardtwig, Wolfgang: Alltagsgeschichte heute. Eine kritische Bilanz, in: Schulze, Winfried (Hg.): Sozialgeschichte, Alltagsgeschichte, Mikro-Historie, Göttingen 1994, 19–32, 19.

16 Eingrenzung kale Bedeutung. Umso mehr ist die Analyse des lokalen Presse- arbeit im Vordergrund stehen und damit eine spezifische Annä- echos ein wichtiger Teil bei der Erforschung der Abgeordnetentä- herung an die Biografie von Strauß unternommen werden.10 Der tigkeit. Und schlussendlich stellt sich die Frage, wie Strauß die „große“ Strauß, der hauptsächlich „große“ Politik gemacht hat, wachsende Belastung durch die Häufung von Ämtern auf Landes- wird von seinen regionalen Wurzeln, dem „kleinen Raum“, her und Bundesebene bewältigt hat und wie sich dies auf seine Wahl- betrachtet. kreisarbeit ausgewirkt hat? In der vorliegenden Untersuchung soll Strauß auch nur als In persönlichen Briefen in der Wahlkreisarbeit und bei seinen Bundestagsabgeordneter und nicht als Parteifunktionär betrach- öffentlichen Auftritten im Wahlkreis äußerte sich Strauß immer tet werden. Die Parteiämter als Landesvorsitzender, Generalse- wieder zu den damals aktuellen politischen Themen. Sie stellen kretär, Geschäftsführer, stellvertretender Fraktionsvorsitzender eine wesentliche Ergänzung zu seinen sonstigen Äußerungen dar oder als Vorsitzender der Landesgruppe der CSU können nur in- und ermöglichen es – insbesondere in den ersten Jahren – Leitbil- soweit Berücksichtigung finden, als sie die Wahlkreisarbeit beein- der und politische Einstellungen von Strauß präziser zu umreißen. flusst haben. Auch sein Wirken als Parlamentarier im Bundestag Neben der Frage, mit welchen Themen sich Strauß im Wahl- in Bonn liegt außerhalb der Betrachtung. Die verlässliche Beant- kreis beschäftigt hat, ist nicht minder aufschlussreich, mit wel- wortung der Frage, inwieweit er aus der Wahlkreisarbeit heraus chen Themen – wiewohl naheliegend – er sich nicht oder nur we- spezifische Initiativen in Bonn entwickelte, würde umfangreiche nig beschäftigt hat. Recherchen in der Überlieferung der Ausschüsse des Deutschen Bundestages, der CSU-Landesgruppe und in der Überlieferung einschlägiger Ministerien erfordern. Dies kann hier nicht geleistet 1.3. Eingrenzung werden. Einige Anträge im Bundestag haben ihren Niederschlag in der Lokalpresse erfahren und sind in der vorliegenden Arbeit Der Titel der Arbeit enthält weitreichende Einschränkungen. Es aufgegriffen worden. Untersuchungsgegenstand ist demnach die geht nicht um den Landes- und Bundespolitiker oder Staatsmann Arbeit des direkt gewählten Abgeordneten im Bundeswahlkreis Strauß und somit nicht um die „Taten (und Untaten) und das Ge- Weilheim. pränge eines Großen“8. Stattdessen soll auch mit Ansätzen aus der Darüber hinaus ist darauf zu achten, dass die „große Politik“, Alltagsgeschichte9 seine über Jahrzehnte währende Wahlkreis- die Strauß von Anbeginn seiner Abgeordnetentätigkeit betrieb, nicht beherrschend für die vorliegende Arbeit sein kann, auch wenn er sie im Wahlkreis in seinen Reden vielfach thematisierte. 8 Lüdtke, Alf: Was ist und wer treibt Alltagsgeschichte, in: Hitzer, Bettina / Welskopp, Thomas (Hg.): Die Bielefelder Sozialgeschichte. Klassische Texte Die allgemeinen politischen Fragen der Epoche werden deshalb zu einem geschichtswissenschaftlichen Programm und seinen Kontroversen, Bielefeld 2010, 303–336, 303. 9 Hardtwig, Wolfgang: Alltagsgeschichte heute. Eine kritische Bilanz, in: 10 Rauh-Kühne, Cornelia: Das Individuum und seine Geschichte. Konjunk- Schulze, Winfried (Hg.): Sozialgeschichte, Alltagsgeschichte, Mikro-Historie, turen der Biografik, in: Wirsching, Andreas (Hg.): Oldenbourg Geschichte Göttingen 1994, 19–32, 19. Lehrbuch. Neueste Zeit. 2. Aufl., München 2009, 215–230, 216.

17 Einleitung nur insoweit behandelt, als sie für sein Auftreten im Wahlkreis ei- ne Rolle spielten. Für eine Bewertung und Einordnung der Abgeordnetentätig- keit von Strauß wäre ein Vergleich mit mindestens einem weiteren, besser mit mehreren direkt gewählten Abgeordneten sicherlich Gewinn bringend. Insbesondere wären regionale, in Struktur und Parteienlandschaft sowohl vergleichbare als auch unterschiedli- che Bundeswahlkreise zu untersuchen. Für einen Vergleich mit außerbayerischen Wahlkreisen käme am ehesten der Wahlkreis von in Frage, der in derselben Zeit Mitglied des Bundestags war und wenigstens teilweise eine vergleichbare Äm- terfülle hatte. Wegen des direkten Gegnerbezugs wäre auch inter- essant, wie , durch die Kriegszeit ähnlich geprägt wie Strauß, seine Wahlkreise Hamburg VIII und Hamburg-Berge- dorf betreute. ( war nie direkt gewählter Abgeordne- ter.) Bisher hat nur der direkt gewählte Abgeordnete Klaus Rose ein autobiografisches Buch über seinen Bundeswahlkreis Passau verfasst, allerdings für eine spätere Zeitphase.11 Für vergleichen- de Studien böten sich im Archiv für Christlich-Soziale Politik (AC- SP) die Aktenbestände von 28 weiteren Bundeswahlkreisen an, z. B. die Nachlässe von Richard Jaeger (1913–1998), MdB und Bun- desminister, und von Hermann Höcherl (1912–1989), ebenfalls MdB und Bundesminister.12 Die Durchführung von vergleichen- den Analysen würde aber den vertretbaren Aufwand für diese Ar- beit sprengen. Die umfangreichen Akten der Bundeswahlkreis-Geschäftsstel- le von Strauß liefern ein facettenreiches Bild der Sorgen und Nöte der Bevölkerung und eröffnen damit auch einen Blick auf die So-

11 Rose, Klaus: Beiträge zur CSU-Geschichte, Vilshofen 2006. 12 Höpfinger, Renate: Archiv für Christlich-Soziale Politik. Verzeichnis der Bestände, München 2008.

18 Eingrenzung zial- und Politikgeschichte des Weilheimer Raumes. Gleichwohl kann der weitreichende gesellschaftliche Wandel13 in Südbayern in vorliegender Studie nicht weiter erörtert werden.14 Wegen der durchgängig lückenhaften Quellenlage gelingt es nicht, Einzel- vorgänge inhaltlich komplett darzustellen. Dies soll auch nicht angestrebt werden, da die Vorgehensweise von Strauß im Wahl- kreis und nicht die Einzelergebnisse im Vordergrund stehen. Vor allem kann die Wirkung der sicher zahlreich getroffenen mündli- chen „Nebenabreden“ naturgemäß nicht nachvollzogen werden. Die weit überwiegende Anzahl der ausgewerteten Vorgän- ge liefern Mosaiksteine für ein geradezu euphorisches Bild von Strauß in der Öffentlichkeit seines Wahlkreises. So ist auf einer Postkarte zu lesen: „Mein lieber Parteifreund Strauß! Die Bundes- tagsfraktion der CSU / CDU hat (1. 2. 50) unseren allseits beliebten Landsmann Franz Strauß, von dem wir hundert Exemplare nö- tig hätten, zum stellvertretenden Fraktionsvorsitzenden gewählt. Diese Auszeichnung ist auch eine Ehrung für unser Bayernlandl und bedarf es gar keiner weiteren langatmigen Ausführungen. M. – München gratuliert herzlichst. Meine volle Sympathie haben Sie sowieso seit Jahren und werden wir in alter Treue und An- hänglichkeit weiterhin zusammenstehen. Bis aufs frohe Wieder-

13 Doering-Manteuffel, Anselm / Raphael, Lutz: Nach dem Boom. Perspekti- ven auf die Zeitgeschichte seit 1970, Göttingen 2008. 14 Schlemmer, Thomas / Woller, Hans (Hg.): Bayern im Bund, Bd. 1: Die Erschließung des Landes 1949 bis 1973, München 2001. Schlemmer, Thomas / Woller, Hans (Hg.): Bayern im Bund, Bd. 2: Gesellschaft im Wandel. 1949 bis 1973, München 2002. Schlemmer, Thomas / Woller, Hans (Hg.): Bayern im Bund, Bd. 3: Politik und Kultur im föderativen Staat. 1949 bis 1973, München 2004. Balcar, Jaromír: Bayern im Bund, Band 5: Politik auf dem Land. Studien zur bayerischen Provinz. 1945 bis 1972, München 2004. Grüner, Stefan: Bayern im Bund, Band 7: Geplantes „Wirtschaftswunder“? In- dustrie- und Strukturpolitik in Bayern 1945 bis 1973, München 2009.

19 Einleitung sehen in junger Frische sendet liebe Heimatgrüße …“15 Deshalb wird höchstes Augenmerk auf die Erfassung von negativen Hin- weisen gelegt und die aufgefundenen kritischen Vorgänge werden ausnahmslos zitiert und bewertet, so z. B. wenn der CSU-Landtag- sabgeordnete und Malermeister aus Weilheim Hans Rau schreibt: „… Ich weiß nicht, ob in den Landkreisen Schongau, Bad Tölz oder Garmisch solche harten Probleme bestehen, ich sehe mich nicht mehr in der Lage, ohne jegliche Unterstützung und noch dazu un- ter Aufwendung meiner gesamten Freizeit für die CSU zu arbei- ten, ohne daß man dabei einen Dank erhalten wird. […] Es wäre erfreulich, wenn man von Seiten der CSU einmal fragen würde, was die Breitenarbeit in 5-jähriger Tätigkeit an Aufwand gekostet hat. Nur so weitermachen, dann braucht die SPD wahrlich nicht mehr viel zu tun. Denn wenn die letzten Treuen die Lust verlieren, ist es um unsere Zukunft wahrlich schlecht bestellt ….“16 Die immer noch fehlende, umfassende wissenschaftliche Bio- grafie17 über Strauß wird als „empfindliches Desiderat der For- schung“ wahrgenommen.18 „Eine quellengestützte, alle politi- schen Ämter und Funktionen berücksichtigende Lebensbeschrei- bung des CSU-Politikers bleibt nach wie vor eine der zentralen Herausforderungen der zeithistorischen Biografik“19 – verständ-

15 ACSP, Bundeswahlkreis Weilheim 63: H. Maier an Strauß, München 5. 2. 1950. 16 ACSP, Bundeswahlkreis Weilheim 44: Rau an Sekretariat, Weilheim 7. 9. 1963. 17 Klein, Christian: Handbuch Biografie. Methoden, Traditionen, Theorien, Stuttgart [u. a.] 2009. 18 Seefried, Elke: Franz Josef Strauß (6. 9. 1915 bis 3. 10. 1988). Eine politi- sche Biografie. Wissenschaftliches Symposium anlässlich des 20. Todestages München, 6. 10. 2008, http: / /www.ahf-muenchen.de / Tagungsberichte / Be- richte / pdf / 2008 / 228–08.pdf, Stand: 19. 6. 2014. 19 Zellhuber, Andreas / Peters, Tim B.: Die CSU-Landesgruppe im Deut- schen Bundestag. Sitzungsprotokolle 1949–1972, Düsseldorf 2011, XVII.

20 Untersuchungszeitraum und Periodisierung lich angesichts des Umfanges des Nachlasses von Strauß und an- derer Überlieferungen sowie der reichhaltigen Sekundärlitera- tur zu seiner Epoche.20 Die vorliegende Arbeit kann nur einen begrenzten Beitrag zu einer Biografie von Strauß leisten, in ers- ter Linie zur politischen Heimat des Bundespolitikers in seinem Wahlkreis, wo er nach eigenem Bekunden sein „politisches Hand- werk“ gelernt hat.21

1.4. Untersuchungszeitraum und Periodisierung

Die zeitgeschichtliche Forschung verlässt gerade wegen der Vor- annahme einer Kontinuität der Geschichte die „dekadologische“ Arbeitsweise, die sich für den hier betrachteten Zeitraum Ende 1949 bis Ende 1978 anbieten würde. Aber auch die vorgeschla- gene Alternative der Hinwendung zu einer „Problemgeschichte“ und damit zu einer Orientierung an Herausforderungen und an den Wandel von Leitbegriffen erscheint für das vorliegende The- ma nicht angemessen.22 Der Boom mit Beginn des Wiederaufbaus Ende der 40er Jahre (– so definiert von Doering-Manteuffel und Raphael –) und die Zeit nach dem Boom mit der Ölkrise 1973 / 74 als Auslöser haben sicher die Herausforderungen für Bevölkerung und Politik auch im Bundeswahlkreis Weilheim mitbestimmt. Sie spiegelten sich in der Arbeit der Abgeordneten und in den An- liegen, die an sie herangetragen wurden. Ernährungsprobleme, Wohnraumbeschaffung, Arbeitslosigkeit, Existenzgründungen und kommunale Aufgaben haben jedoch eigene zeitliche Schwer-

20 Inzwischen ist bekannt geworden, dass Prof. Horst Möller, ehemaliger Leiter des Instituts für Zeitgeschichte, München, an einer Strauß-Biografie arbeitet. 21 Strauß, Franz Josef: Die Erinnerungen, Berlin 1989, 72. 22 Doering-Manteuffel, Anselm / Raphael, Lutz 2008, 7–8.

21 Einleitung punkte und taugen somit nicht als Skalierung der Zeitachse, ent- lang der sich die signifikante Arbeit eines MdB in seinem Wahl- kreis entwickelt hat. Auch der Wandel von Leitbegriffen als Hintergrund für die Wahlkreisarbeit von Strauß erscheint zu theoretisch.23 Zwar kom- men Begriffe wie Fortschritt, Modernisierung, Nation und Werte- wandel auch bei Strauß häufig vor, aber eben nur in gesamtpoli- tischen Betrachtungen und nur selten in der Beschäftigung mit lokalen Themen der Wahlkreiskreisarbeit wie Petitionen, kom- munalpolitische Vorgänge, soziales Engagement und Auftreten im vorpolitischen Raum. Die direkte Koppelung allein an die Ministerämter und an die Intervalle ohne Ministeramt wie in anderen Politikerbiogra- fien24 und in der Strauß-Biografie von Stefan Finger eignet sich wegen des fehlenden Bezugs auf die Abgeordnetentätigkeit nicht zur Periodisierung.25 Die drei Jahrzehnte dauernde Mandatszeit von Strauß als Bundestagsabgeordneter ab 1949 erfährt eine inne- re Gliederung vor allem durch die zahlreichen anderen Aufgaben und Ämter, die er bald übernehmen sollte. Die Fülle der leiten- den Staats- und Parteiämter (Generalsekretär, geschäftsführender Vorsitzender der CSU-Landesgruppe, stellvertretender Vorsitzen- der der CDU / CSU-Fraktion, Parteivorsitzender, Minister) muss- te Auswirkungen auf Präsenz und Intensität der Wahlkreisarbeit haben. Unter Berücksichtigung der wachsenden Ämterfülle er- schien eine naturgemäß unscharfe Phaseneinteilung in die Jahre

23 ebd., 117–120. 24 Wengst, Udo: 1897–1967; eine politische Biographie, München 1997; Weber, Petra: Carlo Schmid 1896–1979. Eine Biographie, München 1996; Soell, Hartmut: – eine politische Biographie, Ber- lin / Bonn 1976. 25 Finger, Stefan: Franz Josef Strauß. Ein politisches Leben, München 2005.

22 Untersuchungszeitraum und Periodisierung von 1949 bis 1955 als Phase 1, von 1956 bis 1969 als Phase 2 und von 1970 bis 1978 als Phase 3 als sinnvoll. Durch seine Wahlsiege 1949 und 1953 über die BP im Wahl- kreis etablierte sich Strauß als erfolgreicher Politiker. Phase 1 wurde zur „Etablierungsphase“. In sie fiel auch sein parlamen- tarischer Durchbruch bei der vielzitierten Rede („Ein deutscher Verteidigungsbeitrag“) am 7. 2. 1952 im Deutschen Bundestag. Die wahlkreisspezifischen Kennzeichen für diese „Etablierungspha- se“ sind neben öffentlichen Diskussionsabenden und Sprechstun- den die häufigen Auftritte im vorpolitischen Raum. Strauß ging zu den Menschen und hörte sie an. In den Anfangsjahren füllte – durchaus beabsichtigt – die Diskussion den Hauptteil der Veran- staltungen.26 Phase 2 war die „Konsolidierungsphase“. Strauß lud interessierte Bürger zu Aussprache-Abenden und „Aufklärungs- veranstaltungen“ ein. Es gab eine Fülle von Kontaktangeboten auch außerhalb der Wahlkampfzeiten und die Menschen kamen mit ihren Anliegen und Fragen zu ihrem inzwischen prominenten Minister bzw. Parteivorsitzenden. In Phase 3 war Strauß ohne Ministeramt. Umso mehr nahmen ihn die Bürger als Parteivorsitzenden wahr. In dieser Funktion führte er seinen Kampf gegen die Regierung Brandt und deren Ostpolitik. Auch bei feierlichen Anlässen verzichtete er nicht auf seine Angriffe gegen die Bundesregierung.27 Die klassische Wahl- kreisarbeit kam zum Erliegen. Die Betonung seines Abgeordne- tenstatus bei den regelmäßigen Danksagungen nach Wahlen und bei den üblichen Botschaften zu Weihnachten und Neujahr wur-

26 Strauß-Abende: politische Unterrichtsstunden. Ein volles Haus bei der CSU-Veranstaltung. Würziger Diskussions-Abend, in: Neues Weilheimer Tag- blatt 17. 1. 1950. 27 Jubiläums-Bilanz bei der CSU. Strauß blickt zurück und rechnet ab. Eindrucksvolle 25-Jahr-Feier im „Rassen“ – Dank und Ehrungen, in: Gar- misch-Partenkirchner Tagblatt 9. 7. 1971.

23 Einleitung de zunehmend deklamatorisch.28 Während sie in den 1950er Jah- ren noch einen lokalen Bezug hatten,29 waren sie schon ab En- de der 1950er Jahre immer häufiger mit bundesrepublikanischen Themen überfrachtet.30 Zum Jahreswechsel 1969 / 1970 gerieten die guten Wünsche für die Leser des „Weilheimer Tagblatt“ gar zu einer Abrechnung mit der Regierung Brandt.31 Die Wirkung und Bedeutung des Repräsentativen wurde zunehmend augenfällig, wenn bei den Versammlungen immer häufiger von der Art der Anreise32 – am Steuer eines Flugzeuges, unter Angabe des Flug- zeugtyps (Beechcraft Musketeer!)33 – und über die „Begleitmusik“ beim Einzug, meist war es der Bayerische Defiliermarsch, berich- tet wurde.34 Der letzte bürgernahe Aussprache-Abend fand im Ju- ni 1969 in Weilheim statt. Begegnungen mit den Bürgern konnten bei Kundgebungen mit über 6 000 Besuchern nicht mehr stattfin- den, Bayernhymne und Deutschlandlied ersetzten die Diskussi- on.35 Dies wurde von der Lokalpresse durchaus kritisch registriert: „Strauß endet abrupt und verläßt die Bühne. […] Der zweimalige laute Zwischenruf ‚Diskussion‘ verhallt wirkungslos in dem sich

28 Dank und Gute Wünsche, in: Tölzer Kurier 27. 12. 1963. 29 Schongauer Nachrichten Weihnachten 1953. 30 Ein neues Jahr mit neuen Aufgaben. Bundestagsabgeordneter und Ver- teidigungsminister Franz-Josef Strauß zu den Problemen der Politik, in: Gar- misch-Partenkirchner Tagblatt 31. 12. 1958. 31 Die Regierung an Fehlern hindern, in: Weilheimer Tagblatt 31. 12. 1969. 32 Am Rande notiert …, in: Schongauer Nachrichten 15. 5. 1970. 33 Bundesfinanzminister landet als Pilot in Altenstadt, in: Schongauer Nach- richten 10. 7. 1968. 34 „Keinen Ministersessel um jeden Preis“. Franz Josef Strauß auf CSU-Wahlversammlung in Weilheim – Saal vorzeitig wegen Überfüllung ge- schlossen, in: Weilheimer Tagblatt 16. 9. 1965. 35 Strauß: „Entscheidung von geschichtlicher Tragweite“. Wandelhalle kann die Besuchermassen nicht fassen, in: Tölzer Kurier 22. 9. 1976.

24 Untersuchungszeitraum und Periodisierung leerenden Saal. Das war der kürzeste Strauß, den es je gab!“36 Die Phase 3 wurde so zur „Repräsentationsphase“, sehr deutlich spür- bar im Fremdenverkehrsort Garmisch-Partenkirchen: „Die Gar- mischer Bürgermusikkapelle […] schmetterte im Partenkirchner Rassensaal unter der Märchenwald-Kulisse des Bauerntheaters, als die Ehrengäste einzogen …“.37 Es ist aber nicht die Art des Re- präsentierens, die Heinz Rausch von den Abgeordneten verlangt („Der Abgeordnete muss repräsentieren!)“.38 Strauß hatte gerade nicht die verschiedensten Veranstaltungen – vom Faschingsball bis zum Fußballspiel – besucht, nur um gesehen zu werden. Nur selten nahm er an einer Veranstaltung um ihrer selbst willen teil. Bis zum Ende seiner Abgeordnetenzeit 1978 zeigte Strauß nur noch eine reduzierte Präsenz im Wahlkreis. Die Wahlkämpfe 1972 und 1976 zog er in einem stark verdichteten Programm durch. Bei bis zu elf Besuchen in den Gemeinden an einem Tag blieb keine Zeit für die Sorgen der Bürger. Die Wahlkreisarbeit beschränk- te sich auf Massenkundgebungen mit dem CSU-Vorsitzenden als Publikumsmagnet.39 Strauß war sich dieser veränderten Situati- on wohl bewusst. Beim Dank an die Wähler nach der für ihn per- sönlich erfolgreichen Wahl 1972 fügte er schuldbewusst hinzu: „… obwohl ich mich in diesem Wahlkampf auch um viele andere

36 Auf „weicher Welle“ in den Endspurt – Nach fünfzig Minuten alles vorbei, in: Tölzer Kurier 23. 9. 1969. 37 Jubiläums-Bilanz bei der CSU. Strauß blickt zurück und rechnet ab. Eindrucksvolle 25-Jahr-Feier im „Rassen“ – Dank und Ehrungen, in: Gar- misch-Partenkirchner Tagblatt 9. 7. 1971. 38 Rausch, Heinz: Der Abgeordnete. Idee und Wirklichkeit, München 1973, 84. 39 Franz Josef Strauß: Breitseiten am laufenden Band. CSU-Landesvorsit- zender in überfüllter Hochlandhalle, in: Weilheimer Tagblatt 13. 11. 1972.

25 Einleitung

Wahlkreise kümmern mußte, wie es meine Pflicht alsParteivorsit - zender ist.“40 Erst nach der Niederlage bei der Bundestagswahl 1976 wurden die Versammlungen mit Strauß wieder anders gestaltet. Der allge- meinen Aussprache wurde Raum eingeräumt („Das sollte künftig der Stil unserer Veranstaltungen sein!“) und auch der bayerische Defiliermarsch fehlte.41 In diesen letzten Abschnitt fallen zwei Er- eignisse ohne sichtbare Auswirkungen auf die Wahlkreisarbeit. Am 1. 1. 1970 wurde zum einen die Bundeswahlkreis-Geschäfts- stelle offiziell nach Garmisch-Partenkirchen verlegt und bekam mit Richard Greinwald einen neuen Geschäftsführer. Gleichwohl blieb das „Büro Strauß“ in Schongau mit dem alten Geschäfts- führer Alfred Cieslik weiterhin besetzt.42 Zum zweiten wurde das Wahlkreisgebiet im Zuge der Landkreisgebietsreform 1972 neu aufgeteilt. Beide Ereignisse hatten aber kaum Auswirkungen auf die letzte Bundestagswahl 1976 mit Strauß als Direktkandidaten und ergaben somit keinen Anlass für eine weitere Zäsur.

40 Den Helm fester binden“. Erstes Gespräch mit Franz-Josef Strauß nach seinem Wahlsieg, in: Weilheimer Tagblatt 20. 11. 1972. 41 Gaißach erlebt einen FJS voll tiefer Besorgnis: „Demokratie in der Welt ist im Rückzug“. Strauß gibt vor Parteifreunden einen „Bericht zur Lage der Nation“ aus seiner Sicht, in: Tölzer Kurier 22. 12. 1976. 42 Braun, Luitpold: Der unbekannte Strauß. Die Schongauer Jahre, Schongau 1992, 126.

26 Geschichtswissenschaften

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