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Freundschaftliche Hermann Höcherl – Erinnerungen Porträt einer eines Weggefährten herausragenden Persönlichkeit

Theo Waigel

Es war eine bewegende Szene, als im Mai seiner Oberpfälzer Herkunft an Zärtlich- 1989 im Dom von Regensburg der Bischof keiten so wenig gewöhnt wie der ihn be- der Diözese, der Bundespräsident und der suchende nüchterne Schwabe, umarmte Bundeskanzler, der bayerische Minister- mich und nahm Abschied von mir. Diese präsident, viele Mitglieder des Bundeska- Szene hat sich tief in meine Erinnerung binetts und eine große Zahl von Menschen eingegraben und wird mich mein ganzes aus der Oberpfalz und ganz Bayern von Leben begleiten. einem Politiker Abschied nahmen, der den Ein halbes Jahr zuvor war er der erste Menschen sehr nahe stand. Mir selbst hatte Politiker in der CSU, der, ungefragt und er einmal erzählt, wie er sich seine Beer- niemandem verpflichtet nach dem Tod digung wünsche. von Franz Josef Strauß, mich als Partei- Er wollte einen fröhlichen Abschied vorsitzenden vorschlug. Er musste sich von dieser Welt. Es sollte einen Freitisch dafür herbe Kritik eines Münchener Blat- und Tanz geben. Nicht für Kränze und tes gefallen lassen. Doch das war ihm wohltätige Zwecke sollte gespendet wer- gleichgültig. Hermann Höcherl war eine den, sondern um dieser Beerdigung einen unverwechselbare Persönlichkeit. Er ver- lebendigen volkstümlichen Rahmen zu suchte nie einen anderen zu imitieren und geben. Nicht auf ein anonymes Konto zeigte mir manchmal seinen tadelnden sollte eingezahlt werden, sondern auf Zeigefinger, wenn er wieder erfahren dem Sarg sollte eine offene Vitrine liegen, hatte, dass ich ihn in geselliger Runde in welche die anwesenden Trauergäste oder gar im offiziellen Kreis versucht ihre blauen Adler versenken sollten. Lei- hatte nachzuahmen. Es war die liebens- der habe ich es nicht gewagt, in meiner of- würdige Belehrung eines Älteren, der fiziellen Trauerrede am 26. Mai 1989 im sich darüber freute, dass ihn der Jüngere Dom zu Regensburg diesen Vorschlag zu mochte, auch wenn der es dabei manch- konkretisieren. mal am Respekt vermissen ließ. Mit Hermann Höcherl verband mich Ich will versuchen, mich Hermann Hö- ein besonderes persönliches Verhältnis. cherl auf dem Weg persönlicher Begeg- Dies zeigte sich auch bei unserem letzten nungen zu nähern und damit Zugang zu Gespräch wenige Wochen vor seinem seinem politischen, philosophischen und Tod in Brennberg. Wir wussten beide, theologischen Denken zu finden. Der dass es unsere letzte Begegnung sein Verstorbene ging in seinem Handeln als würde. Dennoch kam kein trauriges Wort Politiker von einem christlich-pragmati- über seine Lippen, keine Klage über seine schen Politikverständnis aus. Er erfasste schweren Krankheiten. Er drückte nur die die Leute so, wie sie nun einmal sind, und Freude über das Kommen und Dasein des nicht, wie sie nach den Vorstellungen ide- Jüngeren aus. Zum Abschied geschah et- alistischer Weltverbesserer sein sollten. was Ungewöhnliches: Der alte Mann, von Utopien, illusionistischen Zukunftspro-

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grammen stand er mit Skepsis, ja mit Ab- litischen Respekt zu erweisen. Er verbat es lehnung gegenüber. Politik war für ihn sich, wegen seiner Gratulation gegenüber die Lösung von Problemen in kleinen dem Nobelpreisträger kriti- Schritten, die es erlauben, Folgen und siert zu werden, genauso wenig wie er um Nebenfolgen abzuschätzen und im Falle Erlaubnis bat, wenn ihn Bundeskanzler falscher Entscheidungen auch wieder für eine wichtige Mission Korrekturen vorzunehmen. Als Pragma- gewinnen wollte. „So ist es ja auch wieder tiker entsprach er dem Politiker, den Karl nicht, dass ich da den Stoiber anrufen Popper in seinem Buch Auf der Suche nach würde, um mir da eine Erlaubnis abzuho- einer besseren Welt beschrieben hat. Dem len. Wissen Sie, ich hatte und habe keinen entsprach seine taktische Begabung im Vorgesetzten in diesem Sinne.“ Hermann Umgang mit Menschen und im Erkennen Höcherl gehörte auch zu jenen, die den Di- von Konstellationen. Bei aller Grundsatz- alog mit der jüngeren Politikergeneration treue, bei aller Härte in der Auseinander- stets gesucht haben. Er langweilte die Ju- setzung mit dem politischen Gegner, bei gend und Jüngeren nicht mit Lobpreisun- der innerhalb der CSU oft nicht einfachen gen der so genannten guten alten Zeit. Er parteiinternen Willensbildung war Her- war neugierig auf das, was die Jungen mann Höcherl stets ein Mann des Aus- dachten und wie sie sich entwickelten. Er gleichs, der Kompromissbereitschaft und nahm ihnen nichts weg, er wachte nicht ei- auch der parteiübergreifenden Zu- fersüchtig über Statussymbole, er war im sammenarbeit. Der Kompromiss war für Gegensatz zu den meisten älteren Politi- ihn das unverzichtbare, friedensstiftende kern wirklich am Nachwachsen einer ak- Element unserer parlamentarischen De- tiven, intellektuell geschulten, humanis- mokratie. tisch gebildeten und ökonomisch lernwil- ligen jüngeren politischen Generation in- Kein vorgefasstes Schema teressiert. Er hat sich bei aller Verankerung in der Seine unabhängige Meinung änderte CSU während seiner ganzen politischen er auch nicht, wenn die CSU Kampagnen Laufbahn Unabhängigkeit und Eigen- gegen Personen der CDU führte. Als von ständigkeit bewahrt. Dies gilt auch in der 1976 bis 1980 Helmut Kohl immer wieder politischen Beziehung zu seinem langjäh- unter Beschuss der CSU geriet, nuschelte rigen politischen Weggenossen Franz Jo- er mir einmal im Bundestagsrestaurant sef Strauß. Hermann Höcherl lässt sich in zu: „Ihr schlagt auf ihn [Kohl] ein, immer kein vorgefasstes Schema einordnen. Bei wieder und immerzu. Doch der Kerl seinem 75. Geburtstag im legendären Kel- steht, steht und steht.“ ler der bayerischen Vertretung in Bonn In Brennberg daheim, doch in der Welt formulierte er in Anwesenheit von Franz bewandert – auch das gehörte zu den Le- Josef Strauß: „Mein Verhältnis zu Strauß bensmaximen von Hermann Höcherl: war immer gut.“ Darauf stockte er etwas, „Ich möchte nicht zu den Altersgenossen um dann fortzufahren: „Eigentlich ziem- gehören, die die Zeiten ihrer Jugend und lich gut.“ Letztlich beruht seine Origina- jüngeren Jahre auf Kosten der Generation lität in seiner Liberalität, in der er einen von heute verklären. [. . .] Der so genannte scharfen Intellekt mit Ironie, auch Selbst- Nachwuchs muss sich genauso wie meine ironie, sowie mit tief empfundener Hu- Generation an den Früchten erkennen las- manität verband. Feinde hatte Hermann sen.“ Höcherl nie. Er ließ sich auch nicht von sei- Über welche Perspektive Hermann nen politischen Freunden abhalten, dem Höcherl verfügte, brachte er im Sommer politischen Gegner menschlichen und po- 1987 zum Ausdruck. Er berichtete von der

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Hermann Höcherl – Porträt einer herausragenden Persönlichkeit

EWG der Sechser-Gemeinschaft und über die Größe der Europäischen Union: „Zu Porträt von Hermann Höcherl um 1965 groß ist sie nicht, ich könnte mir gut als © Deutsches Historisches Museum Berlin weitere Mitglieder DDR, Polen, CSSR,ˇ Ungarn, Rumänien, Jugoslawien und na- türlich Österreich vorstellen. Selbst Russ- land könnte ich mir als Mitglied vorstel- len, war es doch schon eine große Macht Europas.“ Er bezeichnet dann die Euro- päische Union als die größte Errun- genschaft der europäischen Geschichte. Alle früheren Versuche, das europäische Abendland zu einigen, seien von Kabalen und Krieg begleitet gewesen. Heute ge- schehe es zivilisiert über Anträge. „Mit Gespür und Sachverstand“ Der Mann der Heimat, der seit 1952 un- unterbrochen dem Kreistag von Regens- burg angehört hatte und der den Dele- gierten des Landkreises Regensburg letztlich den Sieg über den Gegenkandi- daten 1953 mit einer Stimme Mehrheit verdankte, war ein Architekt nicht nur der europäischen Agrarpolitik. Hermann Höcherl wusste, wo letztlich Dinge ent- schieden werden. Angesprochen auf die Frage, warum er nie überlegte habe, in die gesetz genauso wie für das Bundesbank- Landespolitik zu wechseln, verwies er auf gesetz, dem er föderale Elemente ver- Kiesinger, der doch auch immer wieder passte. Erst im letzten Jahr sind diese Be- weg wollte aus Baden-Württemberg, zu- stimmungen durch die europäische Geld- rück nach Bonn. „Im Bundesland, da kön- politik und die Zuständigkeit der Euro- nen sie doch nur lauter kleine Dinge be- päischen Zentralbank entscheidend ver- wegen“, war seine höchst subjektive Be- ändert worden. wertung der Landespolitik. Ein Beispiel Der gläubige liberale Katholik Her- dafür war auch seine Freundschaft und mann Höcherl war sich nicht nur der in- Lehrzeit im gleichen Parlamentarierzim- neren Werte seiner Kirche, sondern auch mer bei Michael Horlacher, dem früheren der äußeren Umstände wie dem regelmä- Präsidenten des Bayerischen Landtags, ßigen Gottesdienstbesuch am Sonntag der sich 1949 für die Bundespolitik ent- durchaus bewusst. In dem Gebetbuch schieden hatte. allerdings, das er vor sich aufschlug, wa- Noch ein weiteres Merkmal von Her- ren immer einige Seiten eingefügt, die mann Höcherl könnte für Jungparlamen- ihm nebenbei das Erlernen von französi- tarier Erfolg versprechend sein. Er arbei- schen Vokabeln ermöglichten, wenn der tete sich in die ihm aufgetragenen Mate- Gottesdienst oder die Predigt allzu sehr rien mit Gespür und Sachverstand so ein, von dem abwich, was sich Hermann Hö- dass ihm kein Ministerialrat etwas vor- cherl an Vermittlung letzter Wahrheiten machen konnte. Dies galt für das Kartell- erhoffte.

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Von seinen historischen Kenntnissen dass jede Entscheidung der CSU unter und Bewertungen legte Höcherl beim gro- dem Aspekt des christlichen Sittengeset- ßen Stadtjubiläum in Regensburg Zeugnis zes gesehen und dann vollzogen werden ab. Nach einer glänzenden Rede des da- müsse. Dies war sicherlich ein Versuch, maligen Kulturministers Hans Maier gra- die Mehrheitsbildung zu beeinflussen, tulierte ihm Höcherl mit dem Hinweis, er weil er ansonsten solchen pathetischen habe nur Barbara Blomberg vergessen. Sätzen skeptisch gegenüberstand. Natür- Ohne sie hätte es Juan Austria nicht gege- lich war Hermann Höcherl ein Vertreter ben, keinen Sieg bei Lepanto, und dann der Wahrheit, aber doch eher der geläu- säße statt Bischof Graber ein Ayatollah mit terten Wahrheit, die nicht immer alles auf am Tisch. den offenen Markt tragen muss. So war es Sein flexibles Verhältnis zu starren Mo- ihm gemeinsam mit anderen Parlamenta- ralvorschriften stellte Hermann Höcherl riern an der Spitze der CDU/CSU gelun- unter Beweis, als er als erster Unionspoli- gen, dem Finanzminister Fritz Schäffer tiker in den siebziger Jahren ein langes, das Geständnis zu entlocken, er habe sie- bemerkenswertes Interview mit dem ben Milliarden DM gehortet, von denen Playboy führte. Natürlich waren die Mo- weder der Kanzler noch das Kabinett, ralapostel in der CSU entsetzt und auch noch das Parlament etwas wüssten. Es war kirchliche Kreise alles andere als angetan. natürlich schon unverfroren vom Bundes- Als ihm jedoch auch noch seine Frau Vor- finanzminister, so etwas außerhalb der haltungen machte, warum er ausgerech- heute üblichen Transparenz zu tun. Hö- net einem Magazin ein Interview gebe, in cherl hatte sich zwar an der Aufklärung dem so viel nackte Frauen und Obszö- des Sachverhalts beteiligt, war aber ange- nitäten abgebildet seien, konterte er die- tan von der Schläue und Raffinesse des Fi- sen Vorwurf mit einer sehr eigenwilligen, nanzministers und hätte an seiner Stelle aber doch einleuchtenden Argumenta- keine Sekunde anders gehandelt. tion. „Meine liebe Frau“, erwiderte er ihr, Wie klug Hermann Höcherl Prioritä- „du hast nicht bedacht, dass durch mein ten einzuschätzen wusste, zeigte sich Interview zehn Seiten lang keine nackten 1961, als er am liebsten Bundesminister Weiber abgebildet werden konnten, was der Finanzen geworden wäre. Dies ver- sonst sicherlich stattgefunden hätte. So hat hinderte die FDP, weil sie das Bundes- mein Interview in diesem Blatt auch sein wirtschaftsministerium () Gutes.“ nicht erreichen konnte und ein anderes gleichwertiges ökonomisches Ministe- Geläuterte Wahrheit und rium forderte. Ähnlich erging es auch mir kluge Prioritäten 1989, als sich die Frage des Eintrittes des Höcherl gehört der so genannten liberalen CSU-Vorsitzenden in das Kabinett Kohl Gruppe in der Landesgruppe der CSU an. stellte. Ich war mir der schwierigen Situa- Sein Gegenkandidat um das Amt des Lan- tion eines Finanzministers und seiner be- desgruppenvorsitzenden 1953 war Ri- grenzten Popularität durchaus bewusst. chard Jäger, ein glänzender Jurist, ausge- Es war aber das Ministerium, in dem ein zeichneter Redner und vorzüglicher Vize- CSU-Vorsitzender am meisten für Bayern präsident des Deutschen Bundestags, der tun kann, und das Ministerium, das nach auch als Vorsitzender des Verteidigungs- dem Bundeskanzler und dem Bundesau- ausschusses eine wichtige Rolle spielte. Jä- ßenminister am stärksten in der europä- ger wiederum gehörte zur konservativen ischen Politik und in der globalen Ent- Seite der CSU um Hundhammer. In seiner wicklung mitwirken kann. Heute bestrei- Vorstellungsrede sprach Höcherl davon, tet wohl niemand, dass dies trotz aller He-

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Hermann Höcherl – Porträt einer herausragenden Persönlichkeit

rausforderungen die richtige Weichen- suchte ihm dann klarzumachen, dass dies stellung für die Jahre 1989 bis 1998 auch nicht seinem Niveau entspreche. Als ich im Interesse der CSU gewesen ist. nach einer solchen Sitzung neben Her- Noch eine Bemerkung Höcherls aus mann Höcherl, was für beide eine Qual dem Jahre 1987 wirft ihren Schatten in die war, nach Bonn flog, riet mir Hermann heutige Zeit. Er betont, das Verhältnis Höcherl: „Sie sollten übrigens zu jeder zwischen Frankreich und der Bundesre- Sitzung des Landesvorstands der Jungen publik Deutschland könne nicht eng ge- Union immer einige Leute der Jungen nug sein. Frankreich und die Bundesre- Union gefesselt mitbringen.“ publik müssten der harte Kern des neuen Europas werden. „Das gelingt nur, wenn Ein verhängnisvoller Irrweg sich auch Frankreich bemüht, auch nur Nach der verlorenen Bundestagswahl von den Anschein zu vermeiden, in der 50:50- 1972 gab es auf einem Gutshof in Spöck ei- Gesellschaft die Führungsrolle zu bean- nen ersten Versuch, der sich 1976 mit dem spruchen. Das alles ist nur möglich, wenn Trennungsbeschluss in Kreuth fortsetzte. mit Sorgfalt darauf geachtet wird, dass Anwesend waren alle Granden der CSU; die zehn anderen Parteien nicht den Ein- neben Strauß, Stücklen, Heubl, Zimmer- druck gewinnen oder vermuten, dass mann, Höcherl, Wacher, einige Bezirks- über sie hinweg entschieden wird.“ Man vorsitzende und ich als Youngster. Ziem- könnte diese Feststellung in unserer lich bald bedrängte Strauß die Führungs- schwierigen europäischen Zeit nicht bes- spitze der CSU, nun Mut zu beweisen für ser formulieren. eine neue Formation zwischen CDU und Bei Landesvorstandssitzungen der CSU. Im Verlauf des Vormittags gab es Christlich-Sozialen Union, an denen ich noch einige, die sich vehement gegen diese seit meiner Wahl als Landesvorsitzender Idee sperrten. Von denen nahmen aller- der Jungen Union im Jahre 1971 teilnahm, dings bereits nach dem Mittagessen einige wiederholte sich meist folgendes Ritual. Abschied; Stücklen, weil er zu einer Auf- Strauß hielt eine brillante Eingangsrede, sichtsratsitzung des Überlandwerkes in analysierte die großpolitische Wetterlage Treuchtlingen musste, Heubl aus anderen und schonte bei der innenpolitischen Be- Gründen. Noch während des Mittages- wertung weder Freund noch Feind. An- sens hatte der neben mir sitzende Her- schließend überließ er die Diskussion den mann Höcherl das Ganze als einen riesi- Mitgliedern des Landesvorstands, die zu- gen Blödsinn und eine abenteuerliche Idee meist mit einer zustimmenden Formel bezeichnet. Auf ihn setzte ich nun meine zum Eingangsvortrag von Strauß began- ganze Hoffnung, nachdem der Druck auf nen. Während dieser Zeit vertiefte sich mich als Landesvorsitzender der Jungen Strauß bereits in die ihm vorgelegten Union immer stärker wurde. Als aber die Presseartikel der Tageszeitungen. Dort Reihe an Hermann Höcherl kam, nun sei- fand er jeweils bald die Meldung eines nen Widerstand zu artikulieren, murmelte Ortsverbands der Jungen Union, der sich er nur immer wieder etwas von einem ge- an Person und Politik von Strauß rieb, meinsamen Dach, das CDU und CSU ver- was immer für entsprechende Aufmerk- binden müsse, das aber auch eine orga- samkeit in den Medien sorgte. Strauß nisatorische Trennung nicht völlig un- wurde wütend, richtete seinen Blick auf möglich mache. Zu näheren Einzelheiten mich, zeigte mir wütend den Zeitungsar- wollte Hermann Höcherl nicht Stellung tikel und forderte mich dann auf, diese nehmen. Das führte dazu, dass im Laufe Kerle zur Räson zu bringen und aus der des späten Nachmittages und des Abends Jungen Union herauszuwerfen. Ich ver- nur noch vom „Modell Höcherl“ gespro-

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chen wurde, ohne dass etwas zur Konkre- Loyalität zum Parteivorsitzenden und be- tisierung dieses Modells im Einzelnen aus- wahrte sich alle Zukunftsoptionen. geführt wurde. Auf mich entlud sich am Ende der Veranstaltung der ganze Zorn Anekdoten von Franz Josef Strauß, nachdem ihm Ein- Es war erstaunlich, dass der Deutsche Bau- flüsterer angeblich kritische Äußerungen ernverband 1965 Hermann Höcherl als zu Gehör gebracht hatten. Trotzdem habe Agrarminister akzeptierte, wohingegen ich mich damals nicht anders entschieden zwei Jahre zuvor der gelernte und stu- als 1976 und auch später in den neunziger dierte Landwirt Hans-August Lücker Jahren. Auch Hermann Höcherl stand auf (ebenfalls CSU) trotz des nachdrücklichen der Seite derer, die eine Trennung von Wunsches von Bundeskanzler Erhard ab- CDU und CSU als verhängnisvollen Irr- gelehnt wurde. Es spricht auch für Her- weg der deutschen Parteiengeschichte be- mann Höcherl, wie er sich von dem durch- wertet haben. setzungsstarken und ideenreichen Leiter Moralische und politische Pharisäer des Bayerischen Landfunks, Erich Geiers- waren ihm ein Gräuel. Als eines Tages berger, entscheidende Denkanstöße ge- ein als besonders sittenstreng bekannter ben ließ. Doch bei aller Liebe zu den Bau- Unionsmann in der Fraktion gegen die ern, seine Geduld gegenüber deren For- Aufweichung des Sexualstrafrechts tobte, derungen und Unmutsäußerungen war rief mich Hermann Höcherl an den Vor- nicht unbegrenzt. Als er in meiner nähe- standstisch und flüsterte mir zu: „Dabei ist ren Heimat bei einer Bauernveranstaltung der noch sehr aktiv und nicht nur am häus- mit Pfiffen bedacht wurde, verlor er die lichen Herde.“ Fassung und rief den wütenden Bauern Klugheit und politische Schläue zeig- zu: „Was glaubt’s denn, ihr Zipfel, habts ten sich 1962 in einem Disput der damali- nix g’lernt und wollts zahlt werden wie gen Kabinettsmitglieder der CSU mit Regierungsdirektoren.“ Ich brauche nicht Franz Josef Strauß, dessen Rücktritt zu betonen, dass die Veranstaltung vor- wegen der Spiegel-Affäre unumgänglich zeitig geschlossen werden und der deut- geworden war. Als Strauß die anwesen- sche Landwirtschaftsminister den Ver- den Bundesminister aufforderte, sich so- sammlungssaal durch einen hinteren lidarisch zu erklären und mit ihm zu- Ausgang verlassen musste. Als ich davon rückzutreten, erklärte Hermann Höcherl einmal im legendären alten Restaurant des diese Bereitschaft unverzüglich. Richard Bundestags in Bonn Journalisten erzählte Stücklen, der sehr an seinem Bundespost- und diese darüber schrieben, rief mich ministerium hing, wandte ein, dass ein Hermann Höcherl wütend an und bat Rücktritt aller doch nicht sehr sinnvoll sei, mich dringend, diese „saudumme Ge- weil auch danach wieder eine CSU- schichte“ nicht noch einmal zu wiederho- Repräsentanz im Bundeskabinett not- len, weil er selbst heute noch wegen die- wendig und geboten sei. Dies hat Strauß ses Vorkommnisses mit wütenden Anru- Stücklen nie verziehen. Beim Hinausge- fen bedacht werde. hen aus dem Dienstzimmer von Strauß Eines Tages saßen wir frühmorgens fragte Stücklen ärgerlich Hermann Hö- um neun Uhr nebeneinander im Plenum. cherl, warum er sich so schnell und wider Als einer der ersten Redner sprach bessere Einsicht so geäußert habe. Hö- Graf Lambsdorff, damals wirtschaftspoli- cherl erwiderte ungerührt: „Wir treten tischer Sprecher der FDP. Als Lambsdorff zurück, und in der gleichen Sekunde tre- das Rednerpult verließ und sich auf sei- ten wir natürlich ins Kabinett wieder ein.“ nem vorderen Platz niedersetzen wollte, Damit erfüllte Hermann Höcherl seine machte ihm Hermann Höcherl ein from-

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mes Kreuzzeichen, um ihn daran zu erin- auch zum 90. Geburtstag von Altbundes- nern, dass er frühmorgens bereits in der kanzler zugetragen ha- christlichen Morgenandacht Psalmen ben. Es gab eine Festsitzung des Kabinetts vorgelesen habe. Als Lambsdorff dann im Palais Schaumburg, und Bundeskanz- Hermann Höcherl einen Satz zuwarf: ler Ludwig Erhard hielt eine Laudatio. „Hören Sie bloß auf, Sie wollten neulich Während dieser Würdigung kam verspä- meine Familie umbringen“, war ich über tet Bundesminister Hermann Höcherl diese Replik doch sehr erstaunt. Auf zum Festakt, und anstatt sich ruhig auf sei- meine besorgte Frage an Hermann Hö- nen Platz hinzusetzen, begrüßte er der cherl, was das zu bedeuten habe, offen- Reihe nach jeden der dort Versammelten, barte er: „Eine peinliche Geschichte. Auf was die festliche Atmosphäre etwas be- der letzten Treibjagd habe ich seinen Bru- einträchtigt haben soll. Als dann der Kanz- der angeschossen.“ In der Tat hatte der leramtsminister Westrick seinem Nach- gefürchtete Jäger Hermann Höcherl dem barn zuflüsterte, „der Mann ist ja betrun- Bruder Graf Lambsdorffs eine volle La- ken“, war Hermann Höcherl voll wach dung Schrot in den hinteren Körperteil und zischte ihm zu: „Anders hält man’s verabreicht, was natürlich in Jägerkreisen bei euch auch nicht aus.“ hinter vorgehaltener Hand mit einigem Noch heute wundere ich mich über Spott weitererzählt wurde. die Regenerationsfähigkeit von Höcherl Ich lernte aber auch im Plenum einen innerhalb weniger Stunden. Eines Abends wütenden Hermann Höcherl kennen, erschien er nicht mehr ganz nüchtern wenn ein unbedarfter Sozialdemokrat bei mir im Dienstzimmer des Landes- ihm das angebliche Zitat vorhielt, „man gruppenvorsitzenden. Plötzlich zog er könne schließlich nicht immer mit dem aus seinem weiten Mantel Unterlagen des Grundgesetz unterm Arm herumlaufen“. Bundesverteidigungsministeriums, die Ich habe Hermann Höcherl selten so wü- für ein Gutachten gedacht waren („streng tend erlebt, als er spontan das Rednerpult geheim“) in der Angelegenheit Kiss- erstieg, den Gegner beschimpfte und eine ling/Wörner. Er äußerte sich in drasti- sofortige Entschuldigung für diese un- schen Worten über den Intelligenzquo- glaubliche Beleidigung verlangte. Un- tienten der Herrschaften auf der Hardt- verzüglich stieg Horst Ehmke, der dama- höhe und über deren Leichtsinn, ihm diese lige Kanzleramtsminister, von der Regie- Akten mitzugeben. Nach längerem Be- rungsbank, begab sich zu Hermann Hö- mühen gelang es mir, ihn unter tätlicher cherl und versuchte ihn zu besänftigen. Mithilfe zurück in ein auf ihn wartendes Und auch von der Fraktionsspitze der Auto vor dem Bundestagseingang zu brin- SPD machten sich die Verantwortlichen gen. Mir schwante Furchtbares, weil am sofort auf den Weg, um wieder eine Ver- nächsten Tag, und zwar zu früher Mor- söhnung mit Hermann Höcherl auf den genstunde, Hermann Höcherl in der Par- Weg zu bringen. Bei dieser Szene merkte lamentarischen Kontrollkommission, die ich, wie hoch das Ansehen Hermann Hö- damals von den Spitzen der Fraktionen be- cherls über Parteigrenzen hinweg war. setzt war, Bericht über diese unange- nehme Angelegenheit geben sollte. Sei- Adenauers Geburtstag tens der SPD war Hans-Jochen Vogel ein Die Erzählungen über seine liebenswerten in diesen Fragen bewanderter und ge- Schwächen, die sich manchmal auch zu fürchteter Jurist. Er war immer gut vorbe- Eskapaden auswuchsen, sind natürlich reitet, und es stand zu erwarten, dass er Legion. Etwas Außergewöhnliches soll diese Chance für einen mächtigen Schlag sich nach Erzählungen von Beteiligten der Opposition nutzen würde. Hermann

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Höcherl kam noch etwas müde und ver- meinem Strafregister auf dieser Erde. wittert aussehend in die Sitzung, setzte Doch ich werde mich auch zu wehren sich auf den ihm zugewiesenen Platz und wissen. Wenn es nämlich auf dieser buck- begann ohne eine Notiz, ohne Unterlagen, ligen Welt schon rechtliches Gehör gibt, ohne Vorlage zu referieren. Ich war bass dann wird einem der große Gott das nicht erstaunt, als ich mit anhörte, wie Hermann versagen. Wenn die mir also alles vorhal- Höcherl die gesamte Sachlage exakt und ten, alle Lumpereien, alle Sünden, alle analytisch sauber zusammenfasste und Fehler, die ich auf dieser Welt begangen noch bemerkenswerte Vorschläge für eine habe, werde ich antworten: ,Einwand, Gesetzesnovellierung machte. Ich habe Euer Ehren. Ihr hättet mich ja als Engel er- eine solch schnelle Revitalisierung noch schaffen können, groß, schön, blond und nie bei einem anderen Menschen erlebt. rein (so wie etwa von Weizsäcker). Doch Hans-Jochen Vogel und alle anderen An- wie haben Sie mich gemacht? Vermurkst wesenden bedankten sich artig beim gro- haben Sie mich! Klein, dick, hässlich und ßen Meister Höcherl und gratulierten ihm mit allen Sünden und Lastern dieser Welt zu seinen glänzenden Vorschlägen. behaftet. Und so müssen Sie mich auch wieder nehmen!’.“ „Mit allen Sünden und Lastern…“ Dieser letzte Satz spricht eine große Eines Abends, kurz vor seinem 75. Ge- theologische Wahrheit aus. Hermann Hö- burtstag, suchte er mich im Zimmer des cherl setzt wie August Everding in sei- Landesgruppenvorsitzenden wieder ein- nem letzten großen Gespräch mit Kardi- mal auf. Wir leerten gemeinsam eine Fla- nal Ratzinger auf einen gütigen, lieben- sche Whisky, und plötzlich teilte mir Her- den, barmherzigen und verzeihenden mann Höcherl eine theologische Lebens- Herrgott. Den hat er auch sicherlich ange- weisheit mit, die ich nie mehr in meinem troffen, als er über die letzte Schwelle am Leben vergessen werde. 18. Mai 1989 gegangen ist. „Lieber Waigel“, sagte er, „ich geh jetzt Uns bleibt die Erinnerung an einen auf 75 zu und sollte einige Aktien im Jen- großartigen Menschen, mit großen Bega- seits anlegen. Ich kann mir ja gut vorstel- bungen, seinen Widersprüchen und mit len, was passiert, wenn ich einst drüben Lebensweisheiten, die uns auch heute ankomme. Die wissen natürlich alles aus noch etwas geben.

Rückblick auf ein politisches Leben „Alle Politik ist Teamarbeit in Arbeitsteilung. Wenn ich die Ausstattung der Bundes- republik in politischer und wirtschaftlicher Hinsicht betrachte, ist es gelungen, an Siegermächten vorbei etwas zu errichten, was bei uns die wenigste Anerkennung, bei anderen Neid erweckt. Da es im Leben des Einzelnen noch der Völker etwas Sta- tisches gibt, alles im Fluss ist und jede Generation ein Treuhänder der vorausge- gangenen und der kommenden ist, nehme ich für mich in Anspruch, meinen be- scheidenen Anteil für das Erbe der Enkel geleistet zu haben. Sicher nicht ohne Feh- ler und Irrtümer. Aber das Recht zum Irrtum ist ein zugeschriebenes Grundrecht, das nur Heuchler leugnen.“ Hermann Höcherl in: Reiner Vogel, Hermann Höcherl. Annäherung an einen politi- schen Menschen, Regensburg 1988.

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