Beihefte Der Francia Bd. 12 1983
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Dies ist darauf zurückzuführen, daß die von der Revolution postulierte Verwirklichung des Gleichheits- und Freiheitsanspruchs aller Menschen kein abgeschlossener Prozeß ist, sondern auch in unserer Gegenwart im Zentrum der politischen und sozialen Kämpfe steht. Das beherzigenswerte Diktum des englischen Gelehrten Edward Hallett Carr: Studiere den Historiker, ehe du anfängst, die Fakten zu studieren1 trifft besonders auf die Geschichtsschreiber der Revolution zu; denn die den Bedingtheiten ihrer Epoche, ihres Landes und ihrer Klasse verhafteten Historiker können den weltverändernden Aufbruch nicht aus wissenschaftlicher Distanz, sie müssen ihn vielmehr als aktuelles Politikum betrachten. Die Revolution verwandelte Frankreich in einen bürgerlichen Rechts- und Verfas sungsstaat. Die wesentlichen Errungenschaften ihrer ersten, liberal-konstitutionellen Phase - Aufhebung der Privilegienordnung, persönliche Freiheit, rechtliche Gleich heit, Sicherheit des Privateigentums - blieben bestehen und wurden in den Umwäl zungen und politischen Erschütterungen des 19. und 20. Jahrhunderts niemals ernst haft in Frage gestellt. Daher fanden sich nur wenige französische Gelehrte, die die Revolution in Bausch und Bogen ablehnten; ihre Kontroversen entzündeten sich vorwiegend an der Jakobinerherrschaft, an den Terrormaßnahmen, an der Frage, ob und in welchem Maße die Teilnahme der Unterklassen am Staatsleben und an den Siegen der Revolution notwendig war. In Deutschland hingegen verdammte die dominierende Richtung der Geschichts wissenschaft während fünf Generationen nahezu einstimmig Theorie und Praxis des französischen Staatsumsturzes und war von Abscheu und Feindseligkeit gegenüber der gewaltsamen Realisierung der Aufklärungsideale erfüllt. Da jede Ideologie erst von ihrer gesellschaftlichen Ursache und ihrer politischen Funktion her zutreffend interpretiert werden kann, ist diese negative Einstellung nur aufgrund der Machtver hältnisse in Deutschland seit dem Revolutionszeitalter zu verstehen. Eine kurze Skizzierung dieser Zusammenhänge ist daher geboten. Während die französische Bourgeoisie im Bewußtsein ihrer wirtschaftlichen Stärke mutig und entschlossen auftrat und die traditionellen Gewalten revolutionär be zwang, war die Bürgerklasse in den Teilstaaten des alten Deutschen Reiches ökono misch schwach, von den Bedürfnissen des Adels weitgehend abhängig und daher im * Aus: Jahrbuch des Instituts für Deutsche Geschichte, Band 3 (1974) S. 11-43. 1 Edward Hallett CARR, Was ist Geschichte? Stuttgart 1963, S. 23. 302 Walter Grab allgemeinen von Untertanengesinnung, Servilismus und Zunftgeist erfüllt. Die ab strakt-idealistische Haltung der meisten deutschen Dichter, Philosophen und Publizi sten der Revolutionsepoche spiegelt die objektiv begründete Ohnmacht des zersplit terten deutschen Bürgertums ideologisch wider. Da der Verteidigungskrieg Frank reichs schon während der Direktorialherrschaft in eroberungslüsterne Aggression und nationalistische Expansion umschlug, scheiterten die deutschen radikaldemokra tischen jakobinischen Schriftsteller und Journalisten, die sich auf die Bestrebungen der Unterschichten orientierten und die theoretischen Postulate der Aufklärung nach Völkerfreundschaft und Volksverbundenheit in revolutionäre Praxis umzusetzen suchten. Ihre Hoffnungen, daß das bürgerliche Frankreich bei der Republikanisie- rung und Demokratisierung Deutschlands, d. h. bei der Lösung seiner nationalen und sozialen Probleme, tatkräftigen Beistand leisten und eine auf den Grundsätzen der Moral beruhende Politik führen werde, erwiesen sich als Illusionen. Die entstehende bürgerliche deutsche Nation, die sich nicht aus eigener Kraft von den Fesseln der überlebten Privilegienordnung und von der politischen Herrschaft der traditionellen Gewalthaber zu befreien vermochte, erlebte die Revolution als Invasion und Eroberung durch die Armeen desselben Staates, der zuvor Weltverbrüderung und Völkerverbindung auf seine Fahnen geschrieben hatte. Die wirtschaftlichen Interes sen der siegreichen französischen Bourgeoisie geboten es allerdings, die revolutionä ren Maximen der persönlichen Freiheit und der rechtlichen Gleichheit beizubehalten und auch in Deutschland durchzusetzen. Mit der Beseitigung des längst in politische Verwesung übergegangenen alten Deutschen Reiches verwirklichte Napoleon ein jakobinisches Postulat und ermöglichte dadurch einen wichtigen politischen Fort schritt. Da er jedoch im eigenen wie in Frankreichs Machtinteresse die Freiheits- und Unabhängigkeitsbestrebungen Deutschlands mißachtete und unterdrückte, schoß als Reaktion auf die Fremdherrschaft das antifranzösische und antiaufklärerische Ideen gut üppig ins Kraut. Infolge des Verstummens der Jakobiner und der anscheinenden Unmöglichkeit, eine auf dem Prinzip der Volkssouveränität beruhende Ordnung zu stabilisieren, erhielten im Bewußtsein der deutschen gebildeten Öffentlichkeit kon servative Ideologien starkes Gewicht. Die romantische Verklärung vergangener Ge sellschaftsbezüge besaß die ideologische Funktion, das staatstheoretische und politi sche Denken in Deutschland vom Ideengut der Aufklärung zu entfremden und die durch die Revolution erschütterte autoritär-hierarchische Herrschaft der an vorindu striellen Wertvorstellungen orientierten Regierenden und Privilegierten im Bewußt sein der Untertanen zu festigen. Die politischen Romantiker stießen ins deutschtü- melnde Wunderhorn, idealisierten das ständische Sozialsystem des Mittelalters und ersehnten die Wiederkehr einer Epoche, in der deutsche Kaiser unter moralischer Lenkung der Kirche ganz Europa ihren Willen aufgezwungen hatten. Das entstehende deutsche Nationalgefühl, das die Jakobiner vergeblich in die Bahnen des demokrati schen Patriotismus zu lenken versucht hatten, erhielt mit der Betonung emotionaler und irrationaler, angeblich höherstehender deutscher Gemütswerte einen chauvinisti schen Beigeschmack. Die vorwiegend reaktionären Zielsetzungen des romantischen Nationalismus, die in diametralem Gegensatz zur politischen Botschaft der Revolu tion standen, erleichterten es den absolutistischen Gewalten Preußens und Öster reichs, den nationalen Befreiungskampf dynastischen Interessen unterzuordnen. In der Restaurationszeit nach dem Wiener Kongreß förderten die weiterhin unum- Französische Revolution u. deutsche Geschichtswissenschaft 303 schränkt regierenden Gottesgnadenherrscher romantische Vorstellungen von der Vortrefflichkeit einer paternalistisch-ständischen Ordnung, da sie zur Abwehr libera ler und demokratischer Postulate einer neuen ideologischen Basierung der alten Herrschaftsverhältnisse bedurften. Die Behauptungen romantischer Staatsphiloso phen wie Joseph Görres, Friedrich Schlegel und Adam Müller, daß die in der französischen Menschenrechtserklärung niedergelegten Grundsätze dem deutschen Wesen fremd seien und zum deutschen Nationalcharakter in Widerspruch stünden, dienten den trotz der französischen Revolution nicht zu Fall gebrachten traditionellen Machtträgern dazu, die alte Sozialhierarchie aufrechtzuerhalten und das Bürgertum von der Teilnahme am politischen Entscheidungsprozeß auszuschließen. Die These der politischen Romantik, daß der Rationalismus der Aufklärung in den Terror Robespierres und die Gewaltherrschaft Napoleons gemündet habe, führte zum Schluß, daß ewige Minderjährigkeit und Unmündigkeit das Los der Völker sei und daß die herkömmliche Sozialstruktur und die absolutistische Herrschaft somit not wendig und unumgänglich aufrechterhalten werden müsse. Bei der Geburt der modernen bürgerlichen deutschen Nation, als die ersten industriekapitalistischen Unternehmungen entstanden und die wirtschaftlichen Veränderungen eine politische und geistige Regeneration erforderlich machten, fiel mithin nicht der Aufklärung, sondern der politischen Romantik die ideologische Patenschaft zu. Infolge der Restauration trat zu den schon früher bestehenden politischen und konfessionellen Gegensätzen die Kluft zwischen der dynamischen bürgerlich-kapitalistischen Ent wicklung auf wirtschaftlichem und dem Weiterbestehen der statischen Adelsherr schaft auf politischem Gebiet.2 Auch die Verfassungen, die in den Jahren nach dem Wiener Kongreß von einigen süddeutschen Staaten erlassen wurden, erkannten keineswegs das Prinzip der Volkssouveränität an, sondern waren sogenannte land ständische Konstitutionen, die die alten Geburts- und Herkunftsvorrechte beibehiel ten und auf dem Grundsatz der politischen Ungleichheit der Untertanen beruhten. Leopold von Ranke, der als erster die aus der Philologie übernommene quellenkriti sche Methode auf die Historie anwandte und im allgemeinen