informationen 68|Seite 37 buchbesprechungen Die „Denkmalfigur“ Kurs der NSDAP aussagen musste. Als Hitler ermöglichte der Familientherapeutin Eva Hans Litten 1933 Reichskanzler wurde und die NSDAP an Madelung die Organisation „One by One“, die die Macht gelangte, endete die freie Advokatur Workshops und Konferenzen mit Täter- und und Hans Litten lernte die Rache der „neuen Opfernachfahren veranstaltet und zu deren „Seine große Angst – und seine große Tapfer- Herren“ kennen. Nach dem Reichstagsbrand Mitorganisatoren sie gehört. Jedem Interview keit“, so antwortete Margot Fürst (1912–2003) wurde er verhaftet und bis zu seinem Tod 1938 geht ein Kurzportraits des Elternteils voraus, auf die Frage, was ihr am stärksten von Hans gequält und gefoltert. Er zeigte sich bis zu sei- der im Widerstand war. Mehrere Väter oder Litten im Gedächtnis geblieben ist. Ihr ist die nem Selbstmord mit 34 Jahren als ein aufrech- Mütter gehörten dem Widerstand vom 20. Juli biografische Annäherung an eine der interes- ter Konzentrationslagerhäftling. an, einige der Bekennenden Kirche. Der antifa- santesten Persönlichkeiten aus der Geschichte In der Zeit seiner Gefangenschaft bemühten schistische Widerstand ist mit der KPD und der der deutschen Jugendbewegung, der Rechtsge- sich viele um Littens Freilassung, insbesondere Roten Kapelle vertreten. Einzelne Eltern zähl- schichte und des Kampfes gegen den National- seine Mutter Irmgard. Der Titel des Buches ten zu weiteren Widerstandsgruppen wie dem sozialismus vor 1933 mit gewidmet. Die wohl („Denkmalfigur“) geht auf das Schlüsselwort für Goerdeler-Kreis, dem Freiburger Bonhoeffer- engste Mitarbeiterin und Freundin – eine zeit- den Code zurück, über den sich Irmgard Litten Kreis, der Gruppe um Beck und Canaris, dem lang war Hans Litten in sie verliebt gewesen – mit ihrem im KZ inhaftierten Sohn verständigen Solf-Kreis und dem Kreisauer Kreis. Die Väter hat die Verbindungen zwischen den Autorinnen konnte. Nach seinem frühen Tod hat seine Mut- der befragten Zeitzeugen waren vorwiegend und dem Autor des vorliegenden Buches her- ter zuerst 1940 in Paris ihren Bericht über den Offiziere, Juristen, Publizisten und Pastoren; gestellt. Das Buch ist weiterhin dem Journa- Kampf um sein Leben in Buchform veröffent- die Mütter waren Angestellte. listen Kurt Neheimer (1924–1995) gewidmet, licht, zahlreiche Übersetzungen und Neuaufla- Die Herausgeber wahren den Respekt für die auf dessen jahrzehntelangen Recherchen es gen folgten. Litten wurde in der DDR mehrfach Zeitzeugen. So geben sie uns Anregungen zum wesentlich beruht. Ohne die beiden Personen geehrt: Die erste „Volksrichterschule“ in Pots- Verstehen und zum qualifizierten Hinterfragen, wäre es nicht zustande gekommen. dam wurde, ebenso wie die Neue Friedrichstraße aber sie stellen keine persönlichen Bezüge her. Der 1903 in geborene und in Königs- in Berlin, nach ihm benannt, im vereinigten Ber- Der Historiker Scholtyseck thematisiert das berg in einer bürgerlichen Professorenfamilie lin schließlich das Gebäude der in dieser Straße Zeitzeugeninterview als Dokument subjektiver aufgewachsene Hans Litten – sein als Jude gelegenen Bundesrechtsanwaltskammer. Hans Wahrheit, das es mit der empirischen Wahrheit geborener Vater hatte sich als junger Mann Litten ist zur Ikone linker Juristen in Ost- wie abzugleichen gilt. Er erörtert sehr differenziert taufen lassen – setzte sich früh mit dem Westdeutschland geworden. die Mechanismen, die Wahrnehmung und Erin- Judentum auseinander und wählte Hebräisch Mit den überlieferten Bildern des jugendbe- nerung beeinflussen. als Abiturfach. Als jugendbewegter Aktivist wegten Aktivisten und engagierten Juristen Madelung verweist im Vorfeld auf die psychi- gehörte er dem deutsch-jüdischen Wander- sind in der Auseinandersetzung von Knut Berg- schen und familiendynamischen Phänomene bund „Kameraden“ an und bildete 1925 mit bauer, Sabine Fröhlich und Stefanie Schüler- von Widerstand. Da ist die Frage des Gewis- Max Fürst – dem Freund bzw. Ehemann von Springorum viele bisher wenig beleuchtete sens: Wie etabliert sich ein „Menschheitsgewis- Margot Fürst – als Führer die radikal antibür- Facetten des Lebens von Hans Litten bekannt sen“ gegenüber dem „Gruppengewissen“. Was gerliche und geschlechterpolitisch bewusst geworden, ohne das er dabei auf einen Denk- ist Verrat? Was bedeutet es, im Widerspruch egalitäre Jugendgruppe „Schwarze Haufen“, malsockel gestellt worden wäre. Das interes- zur herrschenden Gesellschaft zu stehen? Wel- der sich auch Jugendliche aus dem Ruhrgebiet sante Buch ist insbesondere für die geschichts- che Konflikte resultieren daraus für die Kin- und Berlin und vor allem viele selbstbewusste politische Diskussion geeignet. der, im Spannungsfeld zwischen der Loyalität Mädchen anschlossen. Viele der Angehörigen gegenüber der Familie und der sie umgebenden engagierten sich später im Kommunistischen Knut Bergbauer, Sabine Fröhlich, Stefanie Gesellschaft zu stehen? Jugendverband oder in der KJ-Opposition. Die Schüler-Springorum: Denkmalsfigur. Die Formen möglicher Traumatisierungen für Gruppe löste sich 1928 auf. Biographische Annäherung an Hans Litten die Familien im Widerstand sind vielschichtig. Litten glaubte lebenslang an die gesellschafts- 1903–1938. Göttingen: Wallstein Verlag, Dazu gehört die eigene Verfolgung, die Angst verändernde Kraft der „Ideen der Jugendbewe- 2008. vor Verfolgung, vor den Folgen für die Angehö- gung“, hatte einen Hang zum Religiösen und Kurt Schilde rigen und der erlebte Terror. Für die Kinder ent- Mystischen. 1928 legte Litten sein Assessor- wickeln sich vielfach unbewußte Traumata, die examen ab und wurde ein engagierter Rechts- von der Elterngeneration weitergegeben wer- anwalt. Für die „“ hat er häufig Kom- „Mein Vater den, und die Erkenntnis, traumatisierte Eltern munisten vertreten. Er war aber nie ein treuer wird gesucht ...“ zu haben, die ihre Kinder in ihrer emotionalen Parteigänger der KPD und hat auch Anarchis- Entwicklung nur begrenzt fördern können. Die ten und oppositionelle Kommunisten in Prozes- Notsituation der „Heldenkinder – Verräterkin- sen gegen KP-Stadträte vertreten. Er zeichnete In „Heldenkinder –Verräterkinder“ kommen der“ hat mit dem Ende des Nazi-Regimes nicht sich durch eine profunde Kenntnis und virtuose 15 Menschen zu Wort, deren Eltern im Wider- aufgehört und geht über die individuellen Handhabung der Strafprozessordnung aus und stand gegen das Nazi-Regime standen. Über Schäden, an denen die Betroffenen leiden, weit setzte sich bis an die Grenzen seiner Belast- die Schicksale ihrer Väter oder Mütter ist schon hinaus. Vor allem in Westdeutschland wurde barkeit für seine Mandanten ein. Dies ging viel geschrieben worden: Wie sie, die Nachge- der Widerstand noch lange und überwiegend einigen Staatsanwälten und Richtern zu weit borenen, damit umgehen, ist noch wenig dis- als Verrat aufgefasst. In vielen Familien wurde und es kam bei Verfahren zu Ausschlüssen sei- kutiert. In dem Band werden die großen Fragen über die Widerstandstätigkeit nicht gespro- ner Person. Die Durchsetzung des Demonstra­ diskutiert: Wie entwickelte sich der Wider- chen, Zurückkehrende wollten über das erfah- tionsverbots am 1. Mai 1929 bezeichnete er stand? Wie wirkte sich die politische Haltung rene Leid nicht reden. So entstehen weitere als Anstiftung zum Mord und zur gefährlichen und Betätigung der Eltern auf die Kinder aus? Erinnerungslücken in den Familiengeschichte, Körperverletzung. Fast zwei Jahre war er mit Welche Konsequenzen drohten den Menschen die sich unheilvoll auswirken. den Prozessen um den „“ beschäftigt, im Widerstand, deren Familien? Aber auch: Wie So spiegeln die Interviews viel von dem, was die ihn zu einem bekannten Anwalt werden lie- wurde in der Familie mit der Widerstandstä- Madelung theoretisch beschreibt. Sie stehen für ßen. Durch eigene Ermittlungen konnte er viele tigkeit der Eltern umgegangen? Wurde er ver- sich – als persönliche Dokumente dessen, an Erkenntnisse gewinnen, die er in den Prozessen heimlicht, war er eingebunden in einen Freun- was sich Erwachsene heute aus ihrer Kindheit verwerten konnte. deskreis oder gesellschaftlichen Verband? Wie und Jugend erinnern. Die Gespräche dokumen- Bis 1932/33 war er an zahlreichen Prozessen reagierte die Nachkriegsgesellschaft auf sie? tieren Widerstand in einer persönlichen Dimen- beteiligt, die mit dem „Kampf um die Straße“ Ohne Zweifel bergen die Interviews auch mora- sion – auch in den Auswirkungen bis heute. zwischen Kommunisten und Nationalsozialisten lische Fragen. Empfand man sich als Opfer oder zusammenhingen. So wirkte er 1931 als Neben- Täter? Ist gewaltsamer Widerstand zu akzep- Eva Madelung, Joachim Scholtyseck: kläger in einem Schwurgerichtsprozess gegen tieren? Ist es verantwortbar, mit der eigenen Heldenkinder – Verräterkinder. Wenn SA-Männer und ließ in einem Parallelprozess Widerstandstätigkeit die eigene Familie zu die Eltern im Widerstand waren. den „Parteiangestellten “ als Zeu- gefährden? München: C.H. Beck Verlag, 2007 gen laden, der unter Eid zum angeblich legalen Den Zugang zu Interviewpartnern und -innen Rosa Rahner informationen 68|Seite 38 buchbesprechungen „Würdigung“ des schen Bevölkerung, für die von links bzw. rechts gewerkschaftlichen Zentralverband der Ange- orientierten Deutschen im Ausland unternom- stellten, operierten von Anfang an auf der Basis Widerstandes – leider menen antinazistischen Anstrengungen ebenso des Einheitsfrontgedankens und wurden bis fehler- und lückenhaft wie für die konservativer Regimegegner aus zur Zerschlagung ihrer Widerstandsstruktur im Militär, Adel und Bürgertum hierzulande. Spe- Herbst 1934 von der dortigen KPD-Bezirkslei- Spezialliteratur zum deutschen antinazistischen zifizierend werden der Umsturzversuch vom 20. tung unmittelbar beeinflusst. Solche Richtigstel- Widerstand wurde vor allem im Lauf der letzten Juli 1944 und einige der von NS-Gegnern ent- lungen wären noch viele erforderlich. wickelten „Projekte für ein “ 25 bis 30 Jahre in erfreulich großer Zahl vor- Abgesehen davon ist unverständlich, warum erörtert. Einer knappen Zusammenfassung der gelegt. Während Monographien, Erinnerungs- dem Widerstand aus der organisierten Arbeiter- Darlegung schließen sich eine vielleicht doch berichte, Dokumentationen und lokalhistori- bewegung, dessen Anteil am Gesamtspektrum etwas zu straff gehaltene Bibliographie sowie sche Darstellungen nunmehr in Hülle und Fülle des antinazistischen Widerstandes mit deut- ein Personen- und ein Sachwortverzeichnis an. lich über 90 Prozent den der Konservativen, zur Verfügung stehen, wurden hingegen nur Erfreulich ist, dass die Autorin auf die tragende Liberalen, Monarchisten, Militärs und Kirchen- äußerst wenige Regional- und Länderstudien Rolle des vom vormaligen hessischen Innenmi- leute zusammengenommen weit übertraf, nur erstellt. Von den nicht minder raren Überblicks- nister und Gewerkschaftsführer Wilhelm Leusch- so wenig Platz eingeräumt wird, und zwar allen- darstellungen zum Widerstand auf Reichsebene ner und seinen Freunden verstärkt seit Ende der falls 15 Prozent der Darstellung. Die Aktivitäten wie zu den vom Exil aus geleisteten antinazisti- 1930er Jahre reichsweit geknüpften konspira- kleinerer, damit aber keineswegs unbedeutender schen Aktivitäten sind im Grunde nur ein paar, tiven, primär sozialdemokratisch-gewerkschaft- Widerstandsstrukturen (SAP, ISK, Neu Beginnen, so etwa Hartmut Mehringers Werk „Widerstand lichen Vertrauensleutenetzes hinweist, das KPO und Deutsche Volksfront) werden sogar bis und Emigration. Das NS-Regime und seine Geg- nach einem von den Militärs herbeigeführten zu ihrer Unkenntlichkeit komprimiert (S. 45 f., ner“ aus dem Jahr 1997 als wirklich überzeu- Umsturz sofort hätte hervortreten sollen, um 51 f., 54, 163). gend zu bezeichnen. Besonders beklagenswert dem Unternehmen die angestrebte politische Und die „Würdigung“ des KPD-Widerstandes, ist jedoch – auch Barbara Koehn weist in ihrem Ausrichtung zu geben (S. 58–61, 300–303). dessen Anteil am Gesamtwiderstand zumal in Buch darauf hin (S. 18) –, dass eine erschöp- Dazu wird auch das u. a. von Carlo Mierendorff industriellen Ballungsräumen immerhin rund fende Gesamtdarstellung zu dieser Thematik gewissermaßen als politisches Fundament des vier Fünftel betrug, muss mit kümmerlichen noch immer fehlt. Ein solches wissenschaftliches „20. Juli“ vorgeschlagene Konzept einer aus 16 Seiten auskommen (S. 47–55, 140–142, Großprojekt bedürfte allerdings nicht nur einer Christen, Sozialisten, Kommunisten und Libe- 159–163). Obendrein noch enthalten diese Dar- soliden Finanzierung, sondern wäre prinzipiell ralen gebildeten „überparteilichen Volksbewe- stellungsteile – und beileibe nicht nur sie – zur nur als gemeinsame Forschungsanstrengung der gung zur Rettung Deutschlands“ im Rahmen des Genüge inadäquate, weil missverständliche, mit dem Widerstand befassten Fachleute, Ver- Mitte 1943 formulierten Aufrufs „Sozialistische widersprüchliche oder fehlgehende Formulie- einigungen und Institute zu bewältigen. Solange Aktion“ vorgestellt, desgleichen eine der beiden rungen, etwa wenn erst apodiktisch behauptet freilich jene umfassende, aller Voraussicht nach für Leuschner 1942/43 verfassten Denkschrif- wird, 1933 sei „die letzte Nummer der ‚Roten auf mehrere Bände anzulegende Widerstands- ten Ludwig Bergsträssers zur Schaffung eines Fahne’“, des Zentralorgans dieser Partei, erschie- monographie nicht präsent ist und auch geeig- demokratischen Nachkriegsdeutschlands (S. nen (S. 47 u. S. 48), und einige Seiten weiter nete Überblicksdarstellungen weiterhin Selten- 332–338). dann plötzlich von deren „illegaler Ausgabe“ die heitswert haben, sollte eigentlich jeder hierzu Durchaus zutreffend ist in diesem Kontext Rede ist (S. 51). Das Außerachtlassen der diver- neu erschienene Titel allgemeiner Art von vorn- Koehns Einschätzung, es sei „nie die Absicht sen kommunistischen Widerstandsaktivitäten herein als begrüßenswert klassifiziert werden, der militärischen Verschwörer gewesen, sich während der Kriegsjahre verwundert gleichfalls selbst wenn er – wie das vorliegende Werk – den der Regierungsgewalt zu bemächtigen und eine sehr. Nur auf das Mitte 1943 in Krasnogorsk Widerstand zwar in seiner ganzen Breite und Militärdiktatur auszuüben“ (S. 199), wenigstens nahe Moskau auf Wunsch Stalins als Zusammen- Vielfalt zu behandeln sucht, dabei aber dann nicht auf Dauer, wie etwas später und nun kon- schluss von emigrierten führenden deutschen doch streckenweise recht fragmentarisch bleibt. kret bezogen auf die Umsturzbemühungen des Kommunisten mit in Kriegsgefangenschaft gera- Koehn, vor vier Jahrzehnten nach Frankreich Jahres 1938 (S. 215) relativiert wird. tenen Wehrmachtangehörigen ins Leben geru- übergesiedelt, hat dort bis zu ihrer Emeritierung Nicht wenige Wertungen und Sichtweisen der fene Nationalkomitee Freies Deutschland sowie 2001 als Professorin für deutsche Literatur und Autorin werden dagegen Skepsis, wenn nicht auf den diesem kurz nach seiner Gründung in Philosophie gewirkt; sie ist Präsidentin der Inter- sogar Widerspruch hervorrufen, so etwa wenn Lunjowo zwei Monate darauf angeschlossenen nationalen Alfred-Döblin-Gesellschaft und Mit- sie Carl Goerdeler als „Liberalen“ (S. 22) und Bund Deutscher Offiziere wird näher eingegan- glied der Forschungsgemeinschaft 20. Juli 1944. den 1930 zu den Sozialdemokraten übergetrete- gen (S. 171–182, 190–198). Gleich mit dem ersten Satz der Einleitung ihrer nen Bergsträsser als nach wie vor „linksliberal“ Zu den Absonderlichkeiten des Buches gehört erstmals vor fünf Jahren auf Französisch erschie- (S. 335) einstuft oder wenn der Staatsstreich- ferner, dass antifaschistisches Agieren von nenen Publikation stellt sie völlig richtig fest, versuch oppositioneller Militärs und Bürgerlicher Frauen darin so gut wie nicht vorkommt, wäh- „der deutsche Widerstand gegen Hitler“ nehme von 1938, in den u. a. auch schon Leuschner ein- rend die Forschung längst von einem Frauenan- zwar „in der Zeitgeschichte einen besonderen geweiht war, von ihr als „sorgfältig vorbereitet“ teil am Widerstand von bis zu 15 Prozent aus- Platz ein, gleichwohl“ sei „er in Deutschland wie bezeichnet wird (S. 27). Ebenso dürfte sehr frag- geht. im Ausland immer noch weitgehend unbekannt“ lich sein, ob sich Mierendorff und Theodor Hau- Befremdlich ist zudem die viel zu späte Datie- (S. 11). Eine weitere, dort indes nicht eigens for- bach tatsächlich „Affinitäten mit dem Anarchis- rung des Beginns des „systematischen Juden- mulierte Begründung findet ihr – wie es scheint mus“ bzw. „der Konservativen Revolution“ attes- mords“ auf „Juni 1942“ (S. 130, Anm. 5). Auch – diesbezüglich Abhilfe intendierendes Werk im tieren lassen, der Koehn auch noch irrigerweise die angeblich „auf eine Million“ zu schätzende Widerspruch gegen die jahrzehntelange, poli- die erstgenannte, anders als jene jedoch in toto „Zahl der durch die katholische Kirche geret- tisch-ideologisch jeweils unterschiedlich moti- libertäre Denkströmung ideengeschichtlich sub- teten Juden“ (S. 85, Anm. 2) ist wirklich durch vierte Verzerrung und Verengung des Wider- sumiert (S. 303 f.). nichts zu verifizieren; günstigstenfalls kann von standsbildes im westlichen wie im östlichen Mit Bestimmtheit zurückzuweisen sind außer- mehreren Zehntausend Menschen jüdischer Her- deutschen Teilstaat. dem ihre Behauptungen, „die Rede von Otto kunft ausgegangen werden, die im gesamten Mehrfach und unmissverständlich bezieht Wels gegen das Ermächtigungsgesetz“ sei „die Herrschaftsbereich der NS-Diktatur durch Hil- Koehn Stellung gegen die weit verbreitete erste sozialdemokratische Widerstandsaktion“ feleistungen nichtjüdischer Menschen zu über- Annahme, nur sehr wenige Menschen hätten (S. 37) und seine Partei wäre „keineswegs auf leben vermochten, wozu dann noch jene zu dem NS-Regime die Stirn geboten. Die Auto- eine Existenz in der Illegalität vorbereitet“ rechnen wären, die vor der rassistischen Verfol- rin führt hierzu u. a. eine durchaus realistische gewesen (S. 39). Hierdurch gerät nämlich das gung rechtzeitig genug ins Ausland zu entkom- Berechnung aus Exilkreisen ins Feld, nach der schon seit 1932 gerade mit ausdrücklicher men vermochten; für das Gebiet des Deutschen während der NS-Gewaltherrschaft insgesamt bis Unterstützung dieses SPD-Vorsitzenden in eini- Reiches handelt es sich dabei – wie Koehn an zu 600.000 Personen deutscher Staatsangehö- gen Parteibezirken als Prototyp einer künftigen anderer Stelle (S. 129) selbst konstatiert – um rigkeit aus politischen Gründen verfolgt worden Widerstandsorganisation entwickelte konspira- „etwa 278.000“ Personen. In ihrer überwiegen- sind (S. 19). tive „Pioniersystem“ außer Betracht. den Mehrzahl mussten diese jedoch den Kirchen In ihrer Überblicksdarstellung werden Beispiele Die „jungen Menschen“, die in Frankfurt am keineswegs zu Dank verpflichtet sein. Deren für Widerstandshandlungen aus der Arbeiter- Main u.a. „eine illegale Zeitschrift mit dem Titel generelles Versagen vor dem Holocaust wird mit schaft ebenso präsentiert wie für solche von ‚Der junge Kämpfer’“ herausgaben, gehörten dem ziemlich verblüffenden und im Prinzip den Jugendlichen, für oppositionelle Aktivitäten aus nicht etwa „einer sozialdemokratischen Beam- gesamten Widerstand herabsetzenden Hinweis den Kirchen ebenso wie für jene aus der jüdi- tenorganisation“ an (S. 65), sondern dem frei- zu exkulpieren versucht, „jeder Protest Anders- buchbesprechungen informationen 68|Seite 39 denkender“ sei sowieso „von vornherein zum derseitigen Zukunftsvorstellungen sowie einer Scheitern verurteilt“ gewesen und hätte „sogar möglichen künftigen Kooperation aufgenomme- neuzugänge die Lage der Juden noch verschlechtern“ können nen Sondierungsgespräche; diese führten dann (S. 103, Anm. 26). wegen eines Gestapospitzels im konspirativen Peinlichkeiten und Absurditäten ähnlicher Art Apparat der Kommunisten zu einer Festnahme- Johannes Winter: Die verlorene Liebe der finden sich in dem Werk zuhauf, hätten sich welle, welche nicht nur große Teile ihrer Wider- Ilse Stein. Deportation, Ghetto, Rettung. aber durch eine sorgfältige Lektoratsbetreu- standsstrukturen weit über Berlin hinaus lahm- Frankfurt: Brandes & Apsel, 2007 ung unschwer vermeiden lassen. Ungewiss ist gelegt, sondern auch das ganze Staatsstreich- im Gegensatz dazu, ob es eine solche vermocht vorhaben vorzeitig in Gefahr gebracht hat, in Rüdiger Hachtmann: Wissenschaftsma- hätte, die Autorin vor jener auch semantisch das die beiden bei dieser Gelegenheit gleichfalls unsäglichen vierseitigen Fußnote zu bewahren, verhafteten SPD-Funktionäre maßgeblich invol- nagement im „Dritten Reich“. Geschichte mit der sie General Carl-Heinrich von Stülpnagel viert gewesen sind. Lebers Festnahme am 5. der Generalverwaltung der Kaiser-Wil- gegenüber den „Vertretern einer nach links ten- Juli 1944 wird zwar kurz angesprochen, freilich helm-Gesellschaft, 2 Bände. Göttingen: dierenden Historikerschule“ in Schutz zu neh- ohne Nennung dieser Hintergründe (S. 247). Wallstein, 2007 men trachtet, die ihn „antisemitischer Vergehen Wiederholte Fingerzeige gibt Koehn auf die (sic!) sowohl an der Ostfront wie auch in Frank- europäischen Dimensionen des deutschen anti- Renata Schwarz: Von Mainz nach La Paz. reich bezichtigt“ (Anm. 28, S. 264–268). nazistischen Widerstandes, auf die Gemein- Kindheit eines jüdischen Mädchens in Welche Grunderkenntnisse vermittelt das Buch wohlorientierung sogar der von konservativen Deutschland und Flucht nach Bolivien. ansonsten? „Unbestreitbar“ sei, so heißt es bei- Regimegegnern entwickelten Zukunftsvor- Sonderheft der Mainzer Geschichtsblät- spielsweise, „dass die katholische Kirche besser stellungen, überhaupt auf die „fortschrittliche ter, hg. vom Verein für Sozialgeschichte als die von den Deutschen Christen beherrschte Modernität“ – zu ergänzen wäre: mancher – Mainz e.V., 2007 protestantische Kirche Widerstand leistete“ (S. damaliger „Reformpläne“, die es verdienten, nun 105). „Die einzigen oppositionellen Gruppen, „von allen falschen, dem Vorurteil verschuldeten die auf einen Erfolg im Kampf gegen Hitler und Etiketten befreit“ zu werden (S. 342 f.). Es stellt Historische Kommission des SPD-Unter- sein Regime hoffen konnten“, hätten „Konser- sich nur die Frage, was das wohl heißen mag bei bezirks Offenbach (Hg.): Historischer vative in Verwaltung und Heer gebildet“ (S. einer Autorin, für die Willy Brandts fulminante Kalender der Offenbacher Sozialdemo- 199). Überhaupt wäre „die Wehrmacht“ die „ein- Erklärung des Jahres 1969, die von ihm geführte kratie 1866 bis 2007. Offenbach: Verlag zige Kraft“ gewesen, „die das Regime stürzen neue Bundesregierung wolle „mehr Demokra- Offenbacher Editionen, 2008 konnte“ (S. 23), was – anders als die Behaup- tie wagen“, am Ende nicht anderes war, als eine tungen, „viele“ Generale seien „Hitlergegner“ „staatsfeindliche Parole“ (S. 323, Anm. 52). Reiner Tosstorf: Wilhelm Leuschner gewesen (S. 228) und mehr noch „zwischen Ihre Courage, sich als strikte, wenn auch reali- gegen Robert Ley. Ablehnung der dem Regime und der Elite der Wehrmacht“ habe ter fachfremde Fürsprecherin des Widerstandes damals ein „heimlicher Krieg“ stattgefunden (S. vornehmlich konservativ-christlicher Ausprä- Nazi-Diktatur durch die Internationale 286) – tatsächlich kaum in Zweifel zu ziehen gung an eine neue überblicksartige Darstellung Arbeitskonferenz 1933 in Genf. Frank- ist. Hingegen sei „der Arbeiterwiderstand“ zwar gewagt zu haben, muss die Fachwissenschaft furt: VAS, 2007 „verdienstvoll“ gewesen, aber „trotz der vielen trotz allem beschämen. Ein „überparteilicher Opfer, die er forderte, ohne großen Einfluss“ Standpunkt“ liegt dieser jedoch entgegen der Landeszentrale für politische Bildung geblieben (S. 29). Behauptung der Verlagswerbung mitnichten Rheinland-Pfalz (Hg.): Verfolgung und Letzteres widerspricht allerdings diametral zugrunde. Dazu ergreift Barbara Koehn viel zu Widerstand in Rheinland-Pfalz 1933- Koehns im Kapitel zum Arbeiterwiderstand arti- oft und allzu offensichtlich Partei für den Kon- 1945. Bd. 1: Gedenkstätte KZ Osthofen kulierter Einschätzung, im Falle eines erfolgrei- servativismus und selbst für Positionen der – Ausstellungskatalog. Mainz: Landes- chen Umsturzes wären „Tausende, wenn nicht „Konservativen Revolution“. Um eine angemes- zentrale für politische Bildung, 2008 Zehntausende oder vielleicht sogar Hunderttau- sene Würdigung des antinazistischen deutschen sende von Gewerkschaftern und Sozialdemokra- Widerstandes in seiner Gänze handelt es sich ten aufgestanden“, um „die Regierung Beck-Go- bei ihrem Werk insofern sicherlich nicht. Joachim Scholtyseck, Christoph Studt erdeler-Leuschner“ zu unterstützen und „ihr eine (Hg.): Universitäten und Studenten im demokratische Grundlage“ zu geben“ (S. 61). Barbara Koehn: Der deutsche Widerstand Dritten Reich. Bejahung, Anpassung, Wenngleich die Existenz jenes weit verzweigten gegen Hitler. Eine Würdigung. Widerstand. Berlin: LIT Verlag, 2008 konspirativen Vertrauensleutenetzes Leuschners Berlin: Duncker & Humblot, 2007 und seiner Mitstreiter inzwischen zumindest für Axel Ulrich Freundeskreis Paul Wulf (Hg.): Lebens- einige Regionen und Städte hieb- und stichfest unwert? Paul Wulf und Paul Brune. NS- nachgewiesen werden konnte, mit der Vermu- Psychiatrie, Zwangssterilisierung und tung, „Hunderttausende“ von Regimegegnern Widerstand. Nettersheim: Verlag Gras- seien darin eingebunden gewesen, ist Koehn – Eine unbequeme wurzelrevolution, 2007 darin gewiss Gerhard Beier folgend – übers Ziel Erinnerung allzu weit hinausgeschossen. Um eine weitere gravierende Fehleinschätzung handelt es sich Ilse Macek (Hg.): ausgegrenzt – entrech- bei ihrer Behauptung, die von Leuschner und Das Buch Christine Hohmanns über Denken tet – deportiert. Schwabing und Schwa- seinen Freunden nach dem Umsturz angestrebte und Handeln des Pädagogen, Bildungspolitikers binger Schicksale 1933-1945. München Einheitsgewerkschaft hätte „die Gewerkschafts- und Volkskundlers Adolf Reichwein im Nazis- Volk Verlag, 2008 bewegung entpolitisieren“ sollen (S. 302). mus ist zugleich ihre Dissertation, mit der sie an Darüber hinaus übergeht die Autorin geflissent- der Universität Wuppertal 2006 promovierte. Digne M. Marcovicz: Massel. Letzte Zeu- lich – sieht man von einem einzigen versteck- Ihre Bilanz, „dienstbares Begleiten“ und „spä- gen. München/Wien: Carl Hanser Verlag, ten und noch nicht einmal ganz zutreffenden ter Widerstand“, verursachte einige Aufregung. diesbezüglichen Hinweis ab (S. 333, Anm. 67) In der Historischen Pädagogik als auch in dem 2007 – die von verschiedenen Verschwörern beab- seit über 25 Jahren existierenden Adolf-Reich- sichtigte, übrigens sogar von Generaloberst a. wein-Verein erfuhr Hohmanns Arbeit nachhal- Matthias Thoma: „Wir waren die Judde- D. Ludwig Beck im Frühjahr 1944 in Erwägung tigen Widerspruch. Der renommierte Nazismus- bube“. Eintracht Frankfurt in der NS-Zeit. gezogene Verbreiterung des „20. Juli“-Bündnis- und Widerstandsforscher Hans Mommsen sieht Göttingen: Verlag Die Werkstatt, 2007 ses um die Kommunisten, die aber – wie etwa in Hohmanns Beurteilung des Verhaltens von Friedrich Meinecke oder Emil Henk bezeugt Reichwein nach 1933 eine Denunziation (Süd- Ton van Reen: Gestohlene Jugend. Grafe- haben – wohlweislich erst nach einem geglück- deutsche Zeitung vom 13. Juni 2007, S. 14). nau: Edition Wohler, 2008 ten Militärschlag hätte herbeigeführt werden Adolf Reichwein, 1898 geboren, arbeitete nach sollen. Gänzlich unerwähnt bleiben die trotz- Studium und Promotion in der Erwachsenen- dem bereits einen Monat vor jenem Umsturz- bildung der Weimarer Republik, wurde persön- Jan-Pieter Barbian: Die vollendete Ohn- versuch durch Julius Leber und Adolf Reichwein licher Referent des preußischen Kultusminis- macht? Schriftsteller, Verleger und Buch- mit der neuen operativen KPD-Landesleitung ters Carl Heinrich Becker und 1930 Professor händler im NS-Staat. Ausgewählte Auf- in der Reichshauptstadt hinsichtlich der bei- für Geschichte und Staatsbürgerkunde an der sätze. Essen: Klartext, 2008 informationen 68|Seite 40 buchbesprechungen

Pädagogischen Akademie Halle. 1933 wurde den Notwendigkeiten der Tarnung begründet, neuzugänge die Akademie von der nazistischen Kultusver- interpretiert dies aber dann als Beweis für eine waltung geschlossen, Reichwein beurlaubt. Von geringwertige Widerstandstätigkeit Reichweins. Sam Apple: Schlepping durch die Alpen. 1933 bis Mai 1939 war er als Lehrer an einer So bleibt völlig unklar, weshalb aus dem „dienst- Ein etwas anderes Reisebuch. Zürich: einklassigen Volksschule in Tiefensee bei Berlin baren Begleiter“ ein Widerständler wird. Die Atrium Verlag, 2007 tätig, anschließend in Berlin als Leiter der Schul- Unklarheit wird noch dadurch verstärkt, dass abteilung im Museum für Deutsche Volkskunde. Hohmann darauf verzichtet, den Kreisauer Kreis Armin Strohmeyer: Verlorene Generation. In dieser Zeit schloss er sich dem Widerstands- sowie seinen Stellenwert im deutschen Wider- Dreissig vergessene Dichterinnen & kreis um Helmuth James Graf von Moltke an, stand genauer darzustellen. So bleibt auch das dem Kreisauer Kreis. Im Oktober 1944 ermorde- Umfeld undeutlich, in das sich Reichwein mit Dichter des „Anderen Deutschland“. ten ihn die Nazis. seiner Widerstandshaltung einordnet. Zürich: Atrium-Verlag, 2008 Hohmann bescheinigt der vorliegenden Reich- Das interessante Buch Christine Hohmanns ist wein-Forschung einen überwiegend gefühlsbe- leider schwer zu lesen. Sie frönt ausgiebig einer Jürgen John: Die Gaue im NS-System tonten, hagiographischen und kanonisierenden Unsitte wissenschaftlicher Publikation und und der Gau Thüringen. Erfurt: Landes- Umgang mit Reichwein. Sie belegt dies überzeu- schreibt in etlichen Kapiteln über eine halbe zentrale für politische Bildung Thüringen, gend in ihrer Darstellung des Forschungsstan- oder zweidrittel einer Seite reichende Anmer- 2008 des. Die wesentliche Bedingung hierfür sieht kungen. Dies Vorgehen unterbricht die Gesamt- Hohmann in einem Ineinandergreifen von priva- darstellung empfindlich. Zumal in dem Kleinge- Herbert Westenburger: Wir pfeifen ten und öffentlichen Interessen. Insbesondere druckten Hinweise, Kommentare und Beurtei- die dominierende Einflussnahme der Familie lungen platziert sind, die manchmal im Gegen- auf den ganzen Schwindel. Versuche und der Freunde Reichweins beim Aufbau eines satz zur Gesamtdarstellung stehen oder die Ein- jugendlicher Selbstbestimmung. Reichwein-Archivs und der Gründung des Adolf- deutigkeit von Aussagen wieder aufheben. Baunach: Spurbuchverlag, 2008 Reichwein-Vereins sowie der jahrzehntelange Hohmanns kritische Einwände gegen die vorlie- fragwürdige Umgang mit Texten Reichweins, gende Reichwein-Forschung beinhalten die Auf- Thomas Fischer, Rainer Wirtz (Hg.): insbesondere dem 1937 erstmals veröffentlich- forderung zu kritischer Forschungsarbeit. Auf Alles authentisch. Popularisierung der ten Buch „Schaffendes Schulvolk“, beförderten die erinnerungspolitisch bedeutsame Frage, was Geschichte im Fernsehen. Konstanz: eine unkritische Sichtweise. die Erinnerung an Reichwein uns heute noch UVK, 2008 Im Anschluss an ihre Bilanzierung des defizitä- bedeuten kann, gibt ihr Buch keine Antwort. ren Standes der Reichweinforschung stellt Hoh- mann die politische Entwicklung Reichweins, Christine Hohmann: Dienstbares Stephan von Borstel, Dietfrid Krause- seine Vorstellungen von Gemeinschaft, Volk und Begleiten und später Widerstand. Der Vilmar: breitenau 1933–1945. bilder, Nation dar und bezieht sich hierbei auf die For- nationale Sozialist Adolf Reichwein im texte, dokumente. images, texts, docu- schungen von Stefan Vogt. Reichwein trat 1930 Nationalsozialismus. Bad Heilbrunn: ments. Kassel: Kassel university press, in die SPD ein und gehörte dort zur „Jungen Verlag J. Klinkhardt, 2007 2008 Rechten“ bzw. zu den nationalen Sozialisten. Die Klaus Himmelstein nationalen Sozialisten in der SPD, die vor 1933 Uwe Hoßfeld, Michal Šimůek: Die die Diskussion mit dem linken Flügel der Nazi- Kooperation der Friedrich-Schiller- Partei suchten, waren zwar Gegner der Nazis, Universität Jena und Deutschen verwischten aber den „Abgrund“ (Alexander Financiers, Finanzen Karls-Universität Prag im Bereich der Schifrin) zwischen Sozialismus und Faschismus und Finanzierungsformen „Rassenlehre“ 1933–1945. Erfurt: und idealisierten die ideologischen Motive des Faschismus. Hohmann sieht in der politischen Landeszentrale für politische Bildung Orientierung Reichweins als nationaler Sozialist Zu den in der Forschung kaum beachteten Fra- Thüringen, 2008 einen wesentlichen Grund für seine Anpassungs- gestellungen gehört die nach der Finanzierung möglichkeit nach 1933. und den Financiers des Widerstandes. Hier setzt Carsten Schreiber: Elite im Verborgenen. In den folgenden Kapiteln ihres Buches befasst der vorliegende fünfte Band der Schriftenreihe Ideologie und regionale Herrschaftspra- sich Hohmann detailliert mit der politischen der Forschungsgemeinschaft 20. Juli 1944 e.V., xis des Sicherheitsdienstes der SS und und pädagogischen Tätigkeit Reichweins in Tie- „Financiers, Finanzen und Finanzierungsformen seines Netzwerkes am Beispiel Sachsens. fensee, mit seiner publizistischen Tätigkeit in des Widerstandes“ an. München: R. Oldenbourg Verlag, 2008 der Nazizeit, mit seiner Tätigkeit als Leiter der Im ersten Teil werden Vorträge der XVI. Königs- Abteilung Schule und Museum am Staatlichen winterer Tagung (2003) wiedergegeben. Museum für Deutsche Volkskunde in Berlin, mit Joachim Scholtyseck befasst sich zunächst mit Gerhard Hoffmann, Ulrich Schneider seinen Vorträgen und Lehrgängen sowie seiner Robert Bosch und dem Boschkreis, den er als (Hg.): Buchenwald April 2008. Interna- Kooperation mit Nazi-Organisationen. Aus mei- finanziellen, geistigen und politischen Unter- tionales Jugendtreffen und Gedenken. ner Sicht ist ihre Einschätzung dieser Tätigkeiten stützer des Widerstands vom 20. Juli 1944 dar- Hg. im Auftrag der Lagerarbeitsgemein- als „dienstbares Begleiten“ sehr zugespitzt, aber stellt, wobei vor allem die sehr übersichtliche schaft Buchenwald-Dora e.V., Berlin und doch ausreichend belegt. Hohmanns Versuch, Darstellung der Protagonisten des Widerstands Lagergemeinschaft Buchenwald-Dora/ das Denken und Handeln Reichweins in der NS- bei der Firma Bosch – R. Bosch, C. Goerderler, H. Freundeskreis e.V. Frankfurt (Main) Zeit in einer kurzen Formel fassbar zu machen, Walz – und die Verflechtung mit anderen Ver- drückt aus, dass Reichwein eine problematische schwörern überzeugt. Leider wird hier kaum auf Werner Jung: Nationalsozialismus. Anpassung an die Verhältnisse im nazistischen die Schattenseiten – v.a. die Zwangsarbeit – die- Ein Schnellkurs. Köln: DuMont, 2008 Deutschland vollzog, die in der bisherigen For- ses kriegswichtigen Konzerns hingewiesen. schung überwiegend beschönigt wurde, dass er Im Gegensatz zu Robert Bosch, der während der aber kein Parteigänger der Nazis war und wurde. Weimarer Republik Anhänger der liberalen DDP Hartmut von Hentig: Nichts war Reichwein charakterisierte seine problematische war und zudem jahrelang SPD-Abgeordnete umsonst. Stauffenbergs Not. Göttingen: Nähe zum NS-System 1937 in einem Brief an unterstützte, war die Persönlichkeit, die Carlos Wallstein-Verlag, 2008 seinen Freund Walter Dexel: „Wir werden nicht Collado Seidel in seinem Artikel beleuchtet, viel mehr ohne Schatten leben können. Abfinden und umstrittener. Seidel zeigt die Widersprüchlich- Jörn Kobes, Jan-Otmar Hesse (Hg.): seinen Weg gehen, ist der einzige Ausweg.“ keit Kurt Schmitts auf, indem er seine Entwick- Frankfurter Wissenschaftler zwischen Im letzten Kapitel, dem aus meiner Sicht lung vom Kaiserreich bis in die BRD betrachtet 1933 und 1945. Göttingen: Wallstein- schwächsten, geht Hohmann auf den Wider- und ihn als „exemplarisch für jene konservativen Verlag, 2008 stand Reichweins als Mitglied des Kreisauer Eliten [bezeichnet], die das Ende der Weimarer Kreises ein. Mit detaillierten Nachweisen Republik bejubelten [...] die Machtergreifung wendet sie sich auch hier gegen die vorherr- Hitlers begrüßten [und finanziell unterstütz- Judit Pákh: Das rote Hanau. Arbeit und schenden generalisierenden oder überhöhen- ten], willig bereit waren, an der Errichtung des Kapital 1830–1949. Darstellung und den Interpretationen der Widerstandstätigkeit ,Neuen Deutschlands‘ tatkräftig mitzuwirken, Dokumente. Hanau: CoCon-Verlag, 2007 Reichweins. Die dürftige Quellenlage in Bezug die angekündigten Ziele Hitlers dabei aller- auf Reichweins Widerstand sieht sie zwar in dings zunächst nicht ernst nahmen“ (S. 71). buchbesprechungen informationen 68|Seite 41

Erst durch den Röhm-Putsch und nachdem die gruppen, Einzelschicksale und Widerstands- eigenen Erwartungen an das neue System ent- aktionen finden, beispielsweise schreibt Eugen neuzugänge täuscht wurden, bekam Schmitts Euphorie einen Herman-Friede über die Widerstandsgruppe Knacks, seine Einstellung zum NS-Regime wan- „Gemeinschaft für Frieden und Aufbau“. Sönke Neitzel: Abgehört. Deutsche delte sich langsam, er fing an mit dem Wider- Wer sich jedoch diesem Band als eine vollstän- Generäle in britischer Kriegsgefangen- stand zu sympathisieren, wurde jedoch nur mar- dige Antwort der bisher kaum zu Tage getrete- schaft 1942-1945. Berlin: List, 2007 ginal – auch von konservativen Widerstands- nen Fragen nach den Financiers, Finanzen und kreisen – in Aktivitäten eingeweiht. Finanzierungsformen des Widerstandes vorstellt, Landeszentrale für politische Bildung Im dritten Beitrag widmet sich Wolfgang Benz wird enttäuscht werden. Denn das ist nicht die Rheinland-Pfalz: Konzentrationslager, dem Bemühen, Menschen jüdischen Glaubens Intention des Herausgebers Detlef J. Blesgen, zu retten. Vor allem beschäftigt er sich hier mit der in diesen Band nicht die lückenlose Darstel- Sonderlager, Polizeihaftlager. SS-Sonder- der Frage der Finanzierung und Hilfe bei Fluch- lung dieses Themenkomplexes sieht, sondern lager/KZ Hinzert und andere Orte des ten von jüdischen Kindern, die meist von wohl- vielmehr einen ersten Anfang in dieser Rich- Verbrechens in den Lagersystemen der habenden Personen oder Organisationen aufge- tung für die weitere Forschung erkennt. Den- NS-Zeit. Dokumentation der Fachtagung. bracht wurde. Zudem gibt Benz ausführlich Aus- noch hätte man vielleicht die Untersuchungen Mainz: LpB Rheinland-Pfalz, 2007 kunft über die verschiedenen Motive und dem bei dem ein oder anderen Beitrag etwas präzi- Nachruhm der Helfer, welche nicht pauschali- ser auf das Hauptthema konzentrieren sollen Alexander Brakel: Der Holocaust. Juden- siert werden dürften, da diese sehr weit ausei- und auch über den elitären, militärischen und verfolgung und Völkermord. Berlin-Bran- nander gingen. Benz versucht keine Auflistung konservativen Widerstand und deren Finan- denburg: be.bra Verlag, 2008 der Financiers des Rettungswiderstands, son- ciers hinaus ausdehnen sollen, um die gesamte dern stellt einzelne Helfer, Gruppen und Schick- Breite des Widerstands zu erfassen. Zudem sale dar, z.B. Otto Weidt, der durch die Gewinne hätte eine etwas kritischere Auseinanderset- Ilse Weber: Wann wohl das Leid ein Ende seines Unternehmens Behörden bestach, um zung mit den dargestellten Akteuren, wie es hat. Briefe und Gedichte aus Theresien- Juden zu retten und zu verstecken. beispielsweise bei dem Beitrag von C.C. Seidel stadt. Hg. von Ulrike Migdal. München: „Existenzsicherung und Existenznöte von Katho- über Kurt Schmitt der Fall war, nicht gescha- Carl Hanser Verlag, 2008 liken im Widerstand“ ist der Artikel von Winfried det. Die Stärken dieses Bandes liegen zweifels- Becker überschrieben, welcher sich mit katho- frei im zweiten Teil, der durch die persönlichen Dorothee von Meding, Hans Sarkowicz: lischen Oppositionellen während des Hitlerfa- Schilderungen und Originalabdrucke dem Band Philipp von Boeselager. Der letzte Zeuge schismus befasst. Darin wird geschildert, wie seine Authentizität verleiht. Aus dem Grund her- des 20. Juli 1944. München: ZS Verlag, verfolgte Katholiken sich gegenseitig halfen aus, dass eine Vielzahl von Widerständlern und 2008 und dadurch überlebten. Becker stellt viele indi- deren Financiers beleuchtet werden, kann dieser viduelle Schicksale vor. Das Spannende hieran Band als Basis gesehen werden, von der aus die ist vor allem, dass die Menschen zwar aus ver- Forschung jenes Themenkomplexes seinen Aus- Konstanze von Schulthess: Nina Schenk schieden Schichten der Gesellschaft kamen, gangspunkt nehmen könnte. Gräfin von Stauffenberg. Ein Porträt. aber durch das gemeinsame Schicksal und ihren München/Zürich: Pendo Verlag, 2008 Glauben verbunden waren. Detlef J. Blesgen (Hg.): Financiers, Wer sich für die finanzielle Situation der Beken- Finanzen und Finanzierungsformen des Wilma Aden-Grossmann: Berthold Simon- nenden Kirche und deren Agieren im Dritten Widerstandes. Münster: LIT, 2006 sohn. Biographie des jüdischen Sozial- Reich interessiert, dem sei der Artikel von Ger- Mathias Scheibinger pädagogen und Juristen (1912–1978). hard Besier und Gerhard Lindemann empfoh- Frankfurt/New York: Campus, 2008 len. Die beiden Autoren schildern die Arbeit der Bekennenden Kirche, welche trotz ihrer eigenen Trotzkisten gegen Hitler finanziellen Engpässe versuchte, Gelder von ver- Lorenz Pfeiffer, Dietrich Schulze-Marme- schiedenen Seiten zu erhalten, um damit ihren ling (Hg.): Hakenkreuz und rundes Leder. Mitgliedern, die wegen ihres „Bekenntniskamp- „Judäische Volksfront – so ein Quatsch! Fußball im Nationalsozialismus. Göttin- fes“ Schaden erlitten hatten, finanziell zu unter- Wir sind die Volksfront von Judäa!“ In einer gen: Verlag Die Werkstatt, 2008. stützen. Ein Beispiel führt im hinteren Teil Jutta berühmten Sequenz ihres Filmklassikers „Das Kindel an, die Walter Bauer als großzügigen Leben des Brian“ persifliert die britische Komi- Johannes Ibel (Hg.): Einvernehmliche Financier der Bekennenden Kirche darstellt. kergruppe Monty Python die Tendenz linker Zusammenarbeit? Wehrmacht, , In diesem zweiten Abschnitt werden weiter- Gruppen, sich in internen Kleinkriegen zu erge- SS und sowjetische Kriegsgefangene. führende Quellen – Tagebuchnotizen, geheime ben, zu spalten und von einander abzugrenzen. Berlin: Metropol, 2008 Schreiben etc. – ebenso wie kürzere Beiträge zur Gerade Trotzkisten werden gerne mit diesem finanziellen Dimension des Widerstands ange- Stereotyp in Verbindung gebracht. Das verwun- führt. Hinzu kommen persönliche Schilderungen dert nicht. So sind laut Verfassungsschutzbe- Wolfgang Benz, Angelika Königseder ehemaliger Augenzeugen und Verwandter. So richt allein in der Bundesrepublik derzeit etwa (Hg.): Das Konzentrationslager Dachau. schildert Harald Joerges seine eigene Tätigkeit 30 trotzkistische Kleingruppen aktiv. Geschichte und Wirkung nationalsozia- als Beschaffer von Devisen zur Finanzierung Der Historiker Peter Berens möchte ein ande- listischer Repression. Berlin: Metropol, des 20. Juli 1944. Der wegen Zusammenarbeit res Bild zeichnen. Sein Anliegen ist es, „die 2008 mit Widerständlern von der Gestapo verhaf- Trotzkisten als nach außen gerichtete, prak- tete Ulrich Sahm berichtet über Widerstands- tisch tätige Menschen […], die den Lauf der Karl Heinz Jahnke: Gegen das Vergessen. aktivitäten des deutschen Diplomaten Rudolph Geschichte verändern wollten“ darzustellen (S. Biographische Notizen. Forschungen zum 9). Um es vorweg zu nehmen: Mit seiner Arbeit von Scheliha. Christine F. Koenigs beschreibt Widerstand gegen die NS-Diktatur in als Enkelin eines Unterstützers des deutschen über trotzkistische Widerstandsgruppen gegen Widerstands ihren Großvater Franz W. Koenigs den Nationalsozialismus an Rhein und Ruhr, im Deutschland. Rostock: Ingo Koch Verlag, und dessen Kurier Hans Leibholz als Beispiel Saarland und im westlichen Exil ist ihm dies 2008 deutsch-niederländischer Widerstandsaktivität. gelungen. Annemarie Porter stellt zusammen mit Hedwig Die Entstehung dieser Strömung geht auf die Beate Meyer (Hg.): Die Verfolgung und Brüchert den organisierten Transport jüdischer späten Jahre der Weimarer Republik zurück, wo Ermordung der Hamburger Juden 1933- Kinder aus Mainz nach England dar, indem sie sie sich 1930 als „Linke Opposition der KPD“ 1945. Geschichte. Zeugnis: Erinnerung. selbst als Beispiel dient. Einem anderen Thema (LO) gegründet hat. Die Gruppe berief sich auf : Landeszentrale für politische widmet sich Astrid von Pufendorf, welche die Leo Trotzkis Kritik am aufsteigenden Stalinis- Bildung Hamburg, 2006 Biografie von Erwin Planck in der Geschäftsfüh- mus in der Sowjetunion. Sie verstand sich als rung der Firma Otto Wolff und dessen Wandlung Fraktion der Kommunistischen Partei Deutsch- vom Antiparlamentaristen zum Hitler-Gegner lands (KPD) und versuchte deren von Moskau Hildegard Thevs: Stolpersteine in Ham- aufarbeitet. Die Texte sind zum Teil ergänzend vorangetriebene, fundamentale Wandlung – zu burg-Hamm. Biographische Spurensuche. zu den im ersten Teil angeführten Beispielen, einer undemokratischen, bürokratischen Füh- Hamburg: Landeszentrale für politische doch lassen sich auch viele darüber hinausge- rerpartei – rückgängig zu machen. Ihre Anhän- Bildung Hamburg, 2007 hende Informationen über weitere Widerstands- ger kritisierten zudem die verhängnisvolle informationen 68|Seite 42 buchbesprechungen politische Linie der Parteiführung angesichts 1935 gelang es der Gestapo, die IKD Rhein- ges verübt worden sind. Hinzu kamen Antifa- des immer stärker werdenden Faschismus. Im Ruhr weitgehend zu zerschlagen. Doch auch in schisten aus Belgien, Frankreich, Jugoslawien, Gegensatz zur offiziellen KPD-Position, Sozial- den Gefängnissen, Zuchthäusern und KZs setz- den Niederlanden, Polen und Russland. demokraten seien „Sozialfaschisten“, mit denen ten die Trotzkisten ihre Widerstandstätigkeit Bereits damals konnten 60 Tatorte ermittelt man nicht zusammenarbeiten könne, vertraten fort. In Buchenwald etwa bildeten die Inhaf- werden. Die Ausführenden der Hinrichtun- die Oppositionellen in Anlehnung an Trotzki tierten Trotzkisten eine Zelle der „Internatio- gen waren Gestapobeamte, Wehrmachts- die Ansicht, dass es ein Bündnis – eine „Ein- nalen Kommunistischen Liga“ (IKL). Sie trafen angehörige, Mitglieder der NSDAP und des heitsfront“ – der beiden großen Arbeiterpar- sich regelmäßig und diskutierten politische Volkssturms, also Menschen aus der Mitte der teien und der Gewerkschaften bräuchte, um Fragen. Eines ihrer Mitglieder, das in der KZ-Bä- Gesellschaft. Die Befehle zum Massenmord Hitlers Aufstieg zu stoppen. ckerei arbeitete, versorgte seine Genossen mit kamen von der Hitlerregierung und von den Obwohl die LO zu keinem Zeitpunkt mehr als zusätzlichen Brotrationen und half, ihr Überle- Spitzen der Wehrmacht. 1.000 Mitglieder hatte, konnte sie doch einen ben zu sichern. Nach mehreren Jahren intensiver Forschungs- gewissen Einfluss in den kommunistischen In der Freiheit hielten häufig die Frauen den arbeit können jetzt die Ergebnisse darge- Milieus erlangen. Dies gelang ihr vor allem Widerstand aufrecht und bemühten sich, die stellt werden. In dem Buch werden die Morde durch die Verbreitung der Schriften Trotzkis, Verbindungen zum Exil nicht abbrechen zu las- im Rombergpark und in der Bittermark, die von denen sie knapp 100.000 Stück absetzen sen. Mit Beginn des Zweiten Weltkrieges zeig- Erschießungen in der Wenzelbergschlucht konnte. Bis 1933 konnte sie zudem die Aufla- ten die bis dato aufrecht erhaltenen Strukturen sowie die Hinrichtungen im Ruhrgebiet und genhöhe ihrer Zeitung kontinuierlich steigern. der trotzkistischen Widerstandsgruppen jedoch Südwestfalen geschildert. Anknüpfungspunkte Außerdem konnten die Trotzkisten, dort, wo erhebliche Auflösungserscheinungen. Viele bieten Autoren früherer Arbeiten wie Willi Her- sie stark genug waren, tatsächlich erfolgreiche IKD-Mitglieder flüchteten ins Ausland oder zog, Reinhard Opitz und Lore Junge. Ein Vorzug Einheitsfronten organisieren. Berens berich- wurden zu Strafbataillonen oder Wehrmachts- des Buches ist, dass zahlreiche Einzelschicksale tet über lokale Zusammenschlüsse von KPD einheiten eingezogen. Ein erheblicher Teil von Aufnahme gefunden haben. Detailliert wird und SPD in Bocholt, Erkenschwick, Dinslaken, ihnen kam im Krieg ums Leben. über Folter und Terror berichtet. Beeindruckend Bruchsal, Oranienburg und Dessau, die jeweils Peter Berens Werk stellt eine enorme Fleißarbeit ist die Standhaftigkeit von Angehörigen der von der LO initiiert worden waren: „Dies gelang dar. Er hat zahlreiches Archivmaterial ausge- Arbeiterbewegung. vor allem deshalb, weil die LO […] innerhalb der wertet und sogar noch einige Zeitzeugen inter- Besonders wertvoll ist das Kapitel „Eine Doku- KPD als Fraktion wirkte und einen Teil der Mit- viewen können. Dankenswerterweise hat er im mentation der Verbrechen in der Endphase des gliedschaft gewinnen konnte. Solche Erfolge Anhang Kurzbiographien der meist unbekann- Krieges“. Dort sind 870 Orte aufgeführt, an blieben allerdings der berühmte Tropfen auf ten Akteure des trotzkistischen Widerstands denen in den letzten Wochen des Krieges Hin- dem heißen Stein, der an der allgemeinen zusammengetragen. Dennoch werden Leser richtungen stattfanden. Insgesamt konnten Unfähigkeit der Arbeiterbewegung, dem Natio- ohne Vorkenntnisse der Geschichte von KPD 31.018 Tote ermittelt werden. Dieses Kapitel nalsozialismus gemeinsam zu begegnen, nichts und LO gelegentlich Probleme bei der Lektüre enthält auch einen Abschnitt über die Todes- ändern konnte.“ (S. 55f) von Berens Buch bekommen. So gibt der Autor märsche aus den Konzentrationslagern. Von Nach der Machtübernahme Hitlers trennten inhaltliche Debatten zwischen den Oppositio- besonderer Bedeutung ist auch, dass der Autor sich die Trotzkisten, sofern sie nicht schon nellen oft nur schlagwortartig wieder. Auch die der Frage nachgegangen ist, was mit den Tätern zuvor ausgeschlossen worden waren, von der während des spanischen Bürgerkriegs aktive in der Nachkriegszeit geschehen ist. Das Ergeb- KPD. Unter dem Namen „Internationale Kom- marxistische Partei POUM setzt er als bekannt nis dieser Recherchen, die sich auf Westdeutsch- munisten Deutschlands“ (IKD) unternahmen voraus (S. 72). Jedoch wird sie an keiner Stelle land beziehen, ist außerordentlich bedrückend. sie den Versuch, eine neue revolutionäre Par- eingeführt und findet nicht einmal im Abkür- Es fand keine wirkliche Entnazifizierung und tei aufzubauen. Außerdem entfalteten sie eine zungsverzeichnis des Buches Erwähnung. Aburteilung statt. Es ging dabei um die Nazi- rührige Tätigkeit gegen die nationalsozialisti- Nichts desto trotz kann man Berens Arbeit ins- führer und andere Funktionsträger des NS-Staa- sche Herrschaft. Diese steht im Mittelpunkt gesamt als sehr gelungen bezeichnen. Ihm ist tes sowie die Hauptstützen aus der Wirtschaft. von Berens Buch. es geglückt, ein lebendiges Bild des trotzkisti- Die in einzelnen Prozessen Abgeurteilten erhiel- Er berichtet beispielsweise über das Gefecht schen Widerstands zu zeichnen. Nebenbei ist ten größtenteils geringe Strafen, wurden meist von Büchen – „eines der wenigen Beispiele von positiv hervorzuheben, dass er die bislang wenig frühzeitig freigelassen und waren bald wieder bewaffneten Widerstand gegen die Machtüber- beachteten personellen Kontinuitäten zwischen angesehene Bürger der Bundesrepublik nahme“ (S. 59). Am 5. März 1933, dem Sonn- der frühen linken Opposition in der KPD und Das Buch schließt wesentliche Lücken im tag der Reichstagswahl, versuchten SA und SS den späteren Trotzkisten deutlich macht. Insge- Geschichtsbild über das Geschehen in den einen Marsch durch das Remscheider Arbeiter- samt fällt Berens der Verdienst zu, einen bisher letzten Kriegsmonaten. Die Forschungen sind viertel Büchen, eine Hochburg der IKD, durch- wenig beachteten Teil deutscher Widerstands- damit jedoch nicht abgeschlossen, da noch zuführen. Sie wurden aus den angrenzenden geschichte aufgearbeitet zu haben. ganze Regionen fehlen. Es wäre sehr wün- Häusern und einer Böschung mit einem Feu- schenswert, wenn die Untersuchungen fortge- erhagel empfangen. Erst die hinzugezogene Peter Berens: Trotzkisten gegen Hitler. setzt werden könnten. Polizei konnte mit Hilfe von Panzerwagen den Köln: Neuer ISP Verlag, 2007 Widerstand brechen. Diese Auseinanderset- Marcel Bois Ulrich Sander: Mörderisches Finale. zung, an der die IKD maßgeblich beteiligt war, Die NS-Verbrechen bei Kriegsende. hat bisher in der Forschung keine Beachtung Herausgegeben vom Internationalen gefunden. Berens kommt der Verdienst zu, sie Rombergpark-Komitee. wieder in Erinnerung zu rufen. Nazi-Verbrechen Köln: PapyRossa, 2008 Dennoch kam „ ,Massenwiderstand’, wie ihn am Ende des Krieges Karl Heinz Jahnke die KPD unter immensen Opfern vergeblich durchzuführen versuchte, […] für die IKD nie in Frage. Dafür war sie zu klein und vor allem hat- Von der Geschichte des Zweiten Weltkrieges ist The Boys ten ihre Mitglieder ein viel zu klares Verständ- die Endphase am schlechtesten erforscht. In nis von dem Ausmaß der Unterdrückung und den letzten drei Monaten gab es noch zahlrei- Zerstörungen, die der Faschismus in der Arbei- che Tote. Dies war die Folge des brutalen Völ- Martin Gilbert veröffentlichte 1996 die Origi- terklasse anrichtete“ (S. 73). Vielmehr organi- kermordes durch Hitlerdeutschland. In großer nalausgabe von The Boys, in der 732 jüdische sierte sich die IKD, die reichsweit wenige hun- Zahl erfolgten Morde an politischen Gefange- Kinder und Jugendliche zu Wort kommen. Sie dert Mitglieder zählte, ab Ende 1933 in lokalen nen, Häftlingen der Konzentrationslager sowie waren zumeist Waisen, stammten meistens Fünfergruppen. 1934 begannen die Trotzkisten ausländischen Zwangsarbeitern und Kriegs- aus Polen, hatten die Judenverfolgung über- gezielt in Betrieben, kirchlichen Kreisen und gefangenen. Das neue Buch von Ulrich Sander lebt und wurden 1945 nach Großbritannien jüdischen Verbänden zu arbeiten und einzelne schließt eine Lücke und enthält wichtige Ergeb- geflogen. Deren Lebensgeschichten hat Gilbert Personen für sich zu gewinnen. Berens schreibt nisse neuer Forschung. zu einer Art Kollektivbiographie arrangiert hierüber: „Die illegale Arbeit verlangte von den Eigentlich ist es eine Gemeinschaftsarbeit, die und damit eines der wichtigsten Bücher zur Aktivisten der IKD ein hohes Maß an Einsatz, auf Initiative des Rombergpark-Komitees ent- Geschichte der Schoah geschaffen. Opferbereitschaft und Selbstdisziplin. Dies standen ist. Am 24. März 2005 hatten sich in Die 732 Überlebenden – darunter um die acht- stand im Widerspruch zu den meist mageren Dortmund Vertreter aus 24 Städten getroffen, zig Mädchen – verbrachten ihre Kindheit meist Resultaten der Untergrundtätigkeit“ (S. 92). in denen Verbrechen in der Endphase des Krie- in polnischen Städten und Dörfern in überwie- buchbesprechungen informationen 68|Seite 43 gend jüdisch-orthodoxer Umgebung. Sie leb- Überlebenswillen von Kinder und Jugendlichen. schaften und dann fast ein Jahrzehnt an der ten oft in orthodoxen Familien: „Ich trug die Es ist sehr zu begrüßen, dass dieses Werk nun Fakultät für Journalistik. Hier wirkte sie mit traditionelle Tracht eines religiösen jüdischen endlich in deutscher Sprache vorliegt. hohem Einsatz als Professorin und zeitweilig Jungen, den langen dunklen Gehrock, und ein als Prodekanin. Sie hatte wesentlichen Anteil schwarzes Samtkäppi. Ich hatte Schläfenlocken Martin Gilbert: Sie waren die Boys. Die an der Förderung des wissenschaftlichen Nach- …“ – wie der heute in London lebende Leo- Geschichte von 732 jungen Holocaust- wuchses. Wissenschaftlich war sie weiter auf pold Tepper sich erinnert, oder sie waren „auf Überlebenden. Aus dem Englischen von ihrem Hauptforschungsgebiet, dem Einfluss der moderate Weise religiös“. Als Kinder wurden Reinhard Brennicke. Berlin: Verlag für Französischen Revolution auf die deutschen sie häufig angefeindet, wie Rose Kalman aus Berlin-Brandenburg, 2007 Jakobiner, tätig. Klodawa sich erinnert: „Vor dem Krieg war das Kurt Schilde Schwer zu verstehen war für sie, dass sie nach eine sehr antisemitische Gegend.“ Es gab auch den Hochschulverordnungen der DDR schon Kinder, die ganz normal mit katholischen Polen mit 60 Jahren, 1963, emeritiert wurde und spielen konnten oder Positives über die deut- Zur Erinnerung damit das Leben als Hochschullehrer aufgeben sche Minderheit ihrer Heimatorte zu berichten an Hedwig Voegt musste. hatten. Sie bewies mit ihren Publikationen die Fähig- Sie waren meist zehn oder elf Jahre alt, als es keit, wissenschaftliches Neuland zu erschlie- 1939 mit dem Überfall der deutschen Wehr- Zu den Verdiensten der Willi-Bredel-Gesellchaft ßen. Ihre Arbeiten stehen in einer Reihe mit macht für die jüdische Bevölkerung in Polen zählt immer wieder, durch spezielle Publikatio- den Publikationen von Walter Markow, Hein- lebensgefährlich wurde: Mordaktionen der nen an Persönlichkeiten des antifaschistischen rich Scheel und Klaus Tröger, die sich ebenfalls Wehrmacht, zwangsweise Übersiedlung in Widerstandes zu erinnern. So entstand auch mit dem deutschen Jakobinertum befassen. Ghettos, Deportationen in Konzentrations- für Ursula Suhling die Möglichkeit, über Hed- Nach ihrer Entlassung aus dem Hochschul- und Vernichtungslager. Sie sahen deutsche wig Voegt zu berichten, eine Frau, die es ver- dienst ging Hedwig Voegt nicht nach Hamburg Soldaten, die sich jüdische Männer schnapp- dient, nicht vergessen zu werden. zurück, sondern blieb in . Hier hatte sie ten, ihnen die Bärte abrissen oder sie vor aller Sie wurde am 28. Juni 1903 in einer Ham- ihre neue Heimat gefunden, obwohl die Ver- Augen ermordeten. Oftmals mussten sie hilf- burger Arbeiterfamilie geboren, ihr Vater war bindung zu ihren Freunden in Hamburg nie los erleben, wie ihre Familienangehörigen und Klempner. Sie war ein begabtes Mädchen, abriss. Der reiche Briefwechsel nach Hamburg Freunde getötet wurden oder verschwanden: erhielt aber nicht die Möglichkeit, eine solide bot der Autorin wichtige Anhaltspunkte. Noch „Von Mutter, Schwester und Bruder hörte ich Schulbildung zu erhalten. Sie begann eine 25 Jahre hat Prof. Dr. Hedwig Voegt mit großer nie wieder etwas“ (Harry Balsam). Verein- Lehre als Kontoristin beim Depeschenbüro der Intensität gearbeitet, bevor sie am 14. März zelt konnten sie aus dem Ghetto flüchten und Telegraphen-Union Hamburg. Später arbeitete 1988 in Leipzig verstarb. Deutlichstes Zeugnis dadurch überleben, oder sie mussten das Kon- sie bei der Deutschen Reichspost. Mit 22 Jah- sind ihre vielen Bücher, u.a. über Johann Hein- zentrationslager Auschwitz durchleiden. ren fand Hedwig Voegt Anschluss an die KPD. rich Voß, Georg Friedrich Rebmann, Johann Einige der Boys wurden zur Zwangsarbeit nach Besonders aktiv war sie als Korrespondentin Heinrich Merck, Georg Kerner und Adolph Frei- Deutschland verschleppt wie der 15-jährige bei der Hamburger „Volks-Zeitung“. herr Knigge. Jerzy Herszberg in Braunschweig oder Chaim Selbstverständlich war es für sie, an den Hedwig Voegt darf nicht vergessen werden, Liss in einem Lager bei Hannover: „Mein Vater Aktionen der KPD gegen den Vormarsch der ihr Leben verkörpert einen wichtigen Teil deut- gehörte zu denen, die nicht überlebten.“ NSDAP teilzunehmen. Nach 1933 gehörte sie scher Geschichte des 20. Jahrhunderts. Ursula Diese kollektive Biographie hat Gilbert in Kapi- zu denen, die illegalen Widerstand leisteten. Suhling hat zur Erschließung ihrer Biografie tel über die Vorkriegsjahre, den beginnenden Deshalb wurde sie im Dezember 1934 verhaf- einen wichtigen Beitrag geleistet. Zweiten Weltkrieg, die Ghettos, Deportationen, tet und einige Monate später zu zwei Jahren Arbeitslager, Auschwitz, Buchenwald, Skla- Zuchthaus verurteilt. Haftstationen wurden Ursula Suhling: Rebellische Literatur – venarbeit, Todesmärsche und Theresienstadt das Konzentrationslager Fuhlsbüttel und das Quelle moralischer Kraft: Hedwig Voegt gegliedert. Zuchthaus Lübeck-Lauerhof. Hier lernte sie (1903–1988). Hamburg: Willi-Bredel- Die Befreiung erlebten die unterernährten und die Mutter der Autorin, Lucie Suhling, kennen. Gesellschaft, 2007 häufig schwer kranken Kinder und Jugend- Beide arbeiteten in der Zuchthausbibliothek. Karl Heinz Jahnke lichen in letzter Minute in Theresienstadt, 1937 erfolgte die Entlassung aus der Haft. Buchenwald oder auf den Todesmärschen. Als Trotz starker Kontrolle nahm Hedwig Voegt sie russische Soldaten oder amerikanische erneut am Widerstand teil. Im Dezember 1938 Panzer sahen, endete ihre Unfreiheit, woran erfolgte die zweite Festnahme. Nach einigen Das DRK im Nazismus sich Michael Etkind erinnert: „In dieser Nacht Wochen musste sie freigelassen werden. Im schlief ich zum ersten Mal seit zwanzig Mona- Juni 1941 fand eine weitere Verhaftung statt. ten wieder in einem Bett.“ Den Neuanfang nach zwölf Jahren Naziherr- Während zur Sozial- und Wohlfahrtspolitik In mehreren Flügen gelangten die Jugendli- schaft und sechs Jahren Krieg erlebte die des Nazismus mittlerweile eine ansehnliche chen nach Großbritannien, wo sie in besonders 42-Jährige in Hamburg. Sie fand Arbeit als Forschungsliteratur vorliegt, haben die Akti- für sie organisierten Häusern betreut wurden. Referentin bei der Arbeitsrechtsabteilung des vitäten des Deutschen Roten Kreuzes (DRK) Viele versuchten, von ihrer neuen Heimat aus, Landesarbeitsamtes Hamburg. Selbstverständ- bislang nur wenig Aufmerksamkeit gefunden. Angehörige zu finden, meist ohne Erfolg. lich war für sie die Wiederaufnahme der Tätig- Vielfach beschränken sich die Aussagen auf die Die Jugendlichen wurden von erfahrenen Män- keit in der KPD. Erneut schrieb sie Artikel für Feststellung, dass das DRK nach der Macht- nern und Frauen betreut, die teilweise vor dem die Hamburger „Volks-Zeitung“. Zeitweilig war übertragung schrittweise zu einer Sanitäts- Krieg als Flüchtlinge nach England gekommen sie auch Mitglied der Bezirksleitung der KPD. hilfstruppe für die Wehrmacht umfunktioniert waren. Als zentraler Treffpunkt entstand in Ihr Wunsch, endlich zu studieren, erfüllte sich wurde. Ansonsten war eher wenig über die Ent- London der Primrose Jewish Youth Club, der Ende 1948, als sie zu einem Studium in der wicklung des traditionsreichen Verbandes zu von Paul Yogi Mayer, ebenfalls ein Vorkriegs- Sowjetischen Besatzungszone delegiert wurde. erfahren – sieht man einmal von der oft verklä- flüchtling aus Deutschland, geleitet wurde. Sie studierte in und Leipzig Journalis- renden Erinnerungs- und Rechtfertigungslitera- Hier konnten sie sich treffen und andere Men- tik und Publizistik. Im Dezember 1952 konnte tur ab. Dies ist verwunderlich, denn immerhin schen kennen lernen. Viele Ehen sind in dem sie in der DDR mit der Arbeit „Der demokrati- war das Deutsche Rote Kreuz zu Beginn der Club gestiftet worden. Es gab vier Fußball- sche Patriotismus in der deutschen jakobini- dreißiger Jahre eine Massenorganisation mit mannschaften und viele weitere Freizeitange- schen Literatur (1790-1800)“ promovieren. Die fast 160.000 aktiven Angehörigen sowie ein- bote. Bis heute ist den Boys männlichen wie Wahl dieses Themas war eine Entscheidung, einhalb Millionen Mitgliedern. Als einem der weiblichen Geschlechts der Zusammenhalt die ihr ganzes weiteres Leben prägen sollte. Spitzenverbände der Wohlfahrtspflege kam ihm eminent wichtig – sie sind eine große Familie Forschungen zum Einfluss der Französischen einige Bedeutung zu. Kein Wunder also, dass geworden, welche die meist ermordeten ori- Revolution von 1789 auf die deutsche Literatur das DRK ein ernst zu nehmender Faktor im Kal- ginären Familienangehörigen ersetzen muss. und Publizistik wurden zum Hauptgegenstand kül der NS-Machthaber war. Heute sind sie in der ‘45 Aid Society zusam- ihrer Forschungen. 1955 erschien ihr Buch „Die Und die Bedeutung des DRK nahm sogar noch mengeschlossen. deutsche jakobinische Literatur und Publizistik zu: Zwischen 1937 und 1942 stieg die Mitglie- Der mit mehreren Abbildungen versehene Band 1789-1800“. Ab 1953 war Hedwig Voegt als derzahl auf über vier Millionen und die Zahl der ist eines der wichtigsten Bücher zur Geschichte Hochschullehrerin in Leipzig tätig, zunächst aktiven Einsatzkräfte soll im Krieg zwischen des Nationalsozialismus. Es erinnert an den am Institut für Publizistik und Zeitungswissen- 400.000 und 600.000 gelegen haben – rund informationen 68|Seite 44 buchbesprechungen zwanzig Prozent waren für die Mitwirkung am matie zurückgestutzt wurde, übernahmen mit 1930er und 40er Jahre beschäftigt? Welchen Amtlichen Sanitätsdienst der Wehrmacht abge- Paul Hocheisen und (ab 1936) Ernst Robert Einfluss hat das nationale politische Erbe auf stellt. Hinzu kamen Aktivitäten im zivilen Ret- Grawitz (einer der Initiatoren der „T4“-Kran- die Darstellung der „großen Männer“? tungswesen, im Luftschutz, die Hilfeleistung kenmorde) hochrangige SA- bzw. SS-Führer als Durch dieses zugrunde liegende Fragemuster bei öffentlichen Notständen und Unglücks- geschäftsführende Präsidenten das faktische soll die vergleichende Lektüre erleichtert wer- fällen, die allgemeine Gesundheitspflege, der Kommando und bald waren alle wichtigen den. Betreuungsdienst für Soldaten und der Unter- Positionen mit Angehörigen der SS besetzt. Hilfreich für den Einstieg ist die den Beiträ- halt von Erholungsheimen sowie die Fürsorge Folglich kollidierte der einstige humanitäre gen vorangestellte Betrachtung der „Probleme für Kriegsgefangene. In einem Regime, das den Anspruch immer wieder mit den Direktiven des der Biographik“, in der Lutz Niethammer einen Krieg von Anfang an im Blick hatte, also kei- NS-Staates und hatte letztlich den Loyalitäts- Abriss derselben gibt und insbesondere auf neswegs unwichtige Aufgaben. ansprüchen des Regimes nichts entgegenzu- die unterschiedlichen Biographie-Kulturen in Allerdings war das DRK institutionell nicht setzen. Bisweilen wurde man selbst zum unmit- Deutschland und Großbritannien eingeht. unmittelbar in das NS-System eingebun- telbaren Nutznießer der NS-Unrechtspolitiken. Die Beiträge zu den so genannten Hauptfi- den und es handelte sich dabei auch nicht, So zum Beispiel beim Einsatz ausländischer guren sind gekennzeichnet durch eine chro- wie nach dem Krieg bisweilen angenommen Kriegsgefangener beim Bau des DRK-Präsidial- nologische Darstellung der biographischen wurde, um ein organisatorisches Anhängsel der gebäudes in Potsdam-Babelsberg. Geschichtsschreibung ihrer jeweiligen faschis- NSDAP. Entscheidendes Charakteristikum war Die Stärke der vorliegenden Studie von Mor- tischen Führer, wodurch Kontinuitäten und vielmehr eine eigentümliche Doppelstellung, genbrod und Merkenich liegt zweifellos in der Brüche in der geschichtswissenschaftlichen die dem Verband eine gewisse Autonomie ver- Rekonstruktion der verbandspolitischen und Betrachtung deutlich werden. Die Gemein- lieh, ohne dass damit die wachsende Abhän- organisationsgeschichtlichen Entwicklungen, samkeit in der Geschichtsschreibung der DDR, gigkeit vom Staat zu verhindern gewesen wobei allerdings einige entscheidende Fra- Österreichs, Italiens und Frankreichs liegt in wäre: Einerseits war das DRK eine der wenigen gen auf Grund der unbefriedigenden Quellen- ihrer ideologischen Instrumentalisierung. So großen Organisationen, die formal außerhalb lage nur aufgeworfen, aber nicht beantwortet sind die Charakterisierung und die Einschät- des NS-Regimes angesiedelt blieb, bzw. nicht werden. Insbesondere die Verstrickung des zung der Bedeutung der jeweiligen Figur für unmittelbar an die Partei-, Staats- oder Wehr- DRK in die Verbrechen des NS-Staates und die nationale Geschichte stark von der poli- machtsapparat gekoppelt war. Eng verflochten die Beteiligung an den „Euthanasie“-Morden tisch-ideologischen Ausrichtung des Autors mit der internationalen Rote Kreuz Bewegung und den „medizinischen“ Menschenversuchen, abhängig. Außerdem ist zu beobachten, dass und orientiert an den völkerrechtlichen Prinzi- gehört nach wie vor zu den blinden Flecken in die Beschäftigung mit der Biographie der pien der Genfer Konventionen verfügte es über der Geschichte und viel Neues hält die Studie faschistischen Führer nicht allein Historikern eine eigenständige organisatorische Struktur. in diesem Punkt nicht bereit. Auch ist letzt- vorbehalten war. So existieren auch biographi- Genau dies führte dazu, dass das DRK biswei- lich wenig über die konkrete alltagspraktische sche Abhandlungen von Journalisten und Psy- len höchst misstrauisch beäugt wurde, fürch- DRK-Arbeit zu erfahren. Jenseits der institutio- chologen. tete man doch die Entstehung einer Organisa- nellen Verflechtungen bleibt diese Ebene in der Die Beiträge zu den Nebenfiguren sind auf- tion, die der direkten Kontrolle des NS-Staates Darstellung eigentümlich blass. Gerade hier grund der Tatsache, dass in Großbritannien, entzogen ein Eigenleben führte und anderen wäre jedoch zu zeigen gewesen, ob und wie den Niederlanden und Norwegen der Faschis- NS-Verbänden wichtige Ressourcen und Per- sich die ideologisch-rassistischen Vorgaben des mus zu keiner Zeit staatstragende Funktion sonal entzog. Folgerichtig kam es immer wie- Regimes in den alltäglichen Handlungspraxen hatte, etwas anders strukturiert. Dem gerin- der zu interessenpolitischen Konflikten mit vor Ort niedergeschlagen haben und welche geren Bekanntheitsgrad der drei dargestell- NS-Gliederungen, die im DRK eine ernsthafte Folgen dies hatte. ten Führer ist geschuldet, dass die jeweiligen Konkurrenz für die eigenen Aufgabengebiete Autoren kurz auf das Leben der Figuren ein- sahen oder sich ihrerseits anschickten, Kompe- Birgitt Morgenbrod/Stephanie Merkenich: gehen. Im Beitrag zu O. Mosley werden die tenzen und Arbeitsfelder anzueignen. Das Deutsche Rote Kreuz unter der Probleme der biographischen Geschichtsschrei- Gleichwohl war die relative Autonomie des NS-Diktatur 1933–1945, Paderborn et.al.: bung im Gegensatz zu den anderen Beiträgen DRK weder gleichbedeutend mit dem Erhalt Ferdinand Schöningh 2008 durch die Auseinandersetzung mit einzelnen der politischen, konfessionellen und „rassi- Sven Steinacker Aspekten seiner Persönlichkeit aufgezeigt schen“ Neutralität, noch lässt sich angesichts (z.B. Mosleys antisemitische Einstellung). Das der faktischen Verflechtung mit dem Regime erschwert in diesem Fall den Vergleich mit den ernsthaft von einer tatsächlichen Unabhängig- anderen Beiträgen. Gemein ist allen Beiträgen keit sprechen. Im Gegenteil: Schon früh zeigte Führer faschistischer zu den Nebenfiguren, dass die biographische sich, dass man – solange der Bestand der Bewegungen Geschichtsschreibung durch die strikte Ableh- eigenen Organisation nicht gefährdet schien nung des Faschismus gekennzeichnet ist und – durchaus bereit war, sich in den Dienst nazis- die Führer der extremen Rechten oftmals als tischer Politik zu stellen. Gerade die Sorge Die im Sammelband „Führer der extremen Verräter dargestellt werden. um den Erhalt der institutionellen Sonderrolle Rechten“ zusammengefassten geschichtswis- In diesem Sammelband werden alle zugrunde führte dazu, dass man dem Regime bei seinen senschaftlichen Fachartikel beschäftigen sich liegenden Leitfragen beantwortet. Er hat ein- Bemühungen um Anerkennung und Vergünsti- mit der Darstellung der Führer der faschisti- deutig fachwissenschaftlichen Charakter, was gungen weit entgegen kam und sich in einigen schen Bewegungen in verschiedenen europäi- nicht zuletzt durch den großen Anmerkungs- Punkten mehr als nur als „willfähriges Sprach- schen Ländern und ihren jeweiligen nationa- apparat am Ende jedes Beitrags deutlich wird. rohr“ (S. 391) präsentierte. Die traditionelle len Geschichtsschreibungen. Als Hauptfiguren Die Kenntnis bestimmter biographischer Werke Herrschaftsnähe, der militärische Ursprung werden in der Geschichtsschreibung der DDR und ihrer Autoren wird vorausgesetzt, was dem sowie der nationalkonservative und großbür- und Österreich Hitler, in der italienischen und interessierten Laien den Einstieg nicht leicht gerliche-adelige Hintergrund vieler DRK-Funk- französischen Mussolini bzw. Petain analysiert. macht. Gleichzeitig kann das aber als Motiva- tionäre waren Mechanismen, die das DRK wir- Als Nebenfiguren werden die jeweiligen natio- tion zur eingehenderen Beschäftigung mit der kungsvoll an das Regime banden. So waren nalen biographischen Forschungen zum Briten jeweiligen nationalen Geschichtsschreibung die entscheidenden Weichen bereits gestellt, O. Mosley, zum Niederländer A. A. Mussert und und zur Beschäftigung mit der jeweiligen Figur bevor das DRK-Gesetz vom Dezember 1937 zum Norweger V. Quisling betrachtet. Diese genutzt werden. In diesem Zusammenhang ist den künftigen Kurs endgültig festlegte. Unmit- Auswahl soll zum einen für eine europäische die bereits erwähnte kurze Darstellung der Bio- telbar nach der Machtübertragung wurden die Abdeckung des Untersuchungsgegenstands graphie der drei Nebenfiguren sicherlich nütz- jüdischen Mitarbeiter aus den Ämtern vertrie- sorgen und zum anderen die Frage klären, ob lich. ben, die nazistische Ideologie hielt Einzug und eine Beschäftigung mit diesen vermeintlichen Reichsadler und Hakenkreuz im DRK-Emblem Nebenfiguren wissenschaftlich ertragreich ist. Georg Christoph Berger Waldenegg, symbolisierten mehr als deutlich, welchen Her- Die Herausgeber gaben dafür in ihrer Einlei- Francisca Loetz (Hg.): Führer der extremen ren man zu dienen gedachte. Entscheidend tung folgende Leitfragen vor: Rechten – Das schwierige Verhältnis aber für den Kurs waren letztlich die personal- Wie gehen die Historiker mit der Geschichte der Nachkriegsgeschichtsschreibung zu politischen Weichenstellungen. Während die ihres Landes um? Welche nationalspezifischen „großen Männern“ der eigenen Kompetenzen der bisherigen Verbandsführung Züge trägt die Geschichtsschreibung der Nach- Vergangenheit. Zürich, 2006 weitgehend auf repräsentative Aufgaben im kriegszeit, wenn sie sich mit den Führern ihrer Guido Schorr Rahmen der internationalen Rot Kreuz-Diplo- Völker oder faschistischen Bewegungen der buchbesprechungen informationen 68|Seite 45 Autobiografische Notizen spricht von eigenen Fehlern, bestürzend späten kenntnisreich und detailliert einen wichtigen Einsichten und von geplatzten Illusionen. Teil der Jugendbewegung dar. Karl Heinz Jahnkes Und er berichtet von einem zähen Ringen um Gradlinigkeit, auch wenn scheinbar endlos Herbert Westenburger: Wir pfeifen Es gibt wohl keinen anderen Historiker und Kompromisse zu schließen waren. Von Freund- auf den ganzen Schwindel. Versuche Publizisten in Deutschland, der wie Prof. Dr. schaft, nicht zuletzt von verlässlicher Freund- jugendlicher Selbstbestimmung. Jahnke systematisch, vielfältig und über Jahr- schaft aus dem „Westen“. Zu nicht wenigen Baunach: Spurbuchverlag, 2008 zehnte hinweg wissenschaftlich fundierte Bio- Textstellen wäre nachzufragen. Begonnenes Elke Engelhard grafien von Menschen erstellt hat, die in der bleibt fortzusetzen. Ein berührendes Buch. Konfrontation mit dem Nazi-Regime standen und dafür oft mit dem Leben bezahlten. Ange- Karl Heinz Jahnke: Gegen das Vergessen. sichts der zum Teil schwierigen Quellenlage Biographische Notizen. Forschungen zum Konservative sind das manchmal kurze biografische Skizzen, Widerstand gegen die NS-Diktatur in Kontinuitäten zum Teil aber auch umfangreichere Darstel- Deutschland. Rostock: Ingo Koch Verlag, lungen geworden. Karl Heinz Jahnke, ehemals 2008 Hochschullehrer der Universitäten Greifswald Dietrich Marquardt Ludwig Elm setzt sich in seinem Buch „Der und Rostock (ab 1968), hatte zu seiner eige- deutsche Konservatismus nach Auschwitz – nen Biografie, die die Kindheitsjahre (geboren Von Adenauer und Strauß zu Stoiber und Mer- 1934) unter dem NS-Regime, die Jugendjahre Bündische Jugend kel“ mit der Genese des deutschen Konserva- im Nachkriegsdeutschland und die Erwachs- tismus nach 1945 auseinander. enenjahre in der DDR, die Entlassung kurz Eingangs stellt er die Frage, was denn eigentlich nach der Wende sowie die wissenschaftlich- In dem vorliegenden Buch schildert Herbert unter dem „deutschen Konservatismus“ zu ver- publizistische Weiterarbeit danach umfassen, (Berry) Westenburger seine Erinnerungen stehen sei. Ist es zulässig, von „dem“ deutschen bisher nur weniges veröffentlicht. Um so über- an seine Kindheit und seine Zeit als jun- Konservatismus im Sinne einer mehr oder min- raschender ist das vorliegende Buch, das im ger Erwachsener, die maßgeblich von sei- der kohärenten politischen Strömung oder Welt- Untertitel „Biographische Notizen“ genannt ist, nen Erfahrungen im Nerother-Wandervogel anschauung (von der Politik Metternichs und wo es ebenso gut „Autobiographische Notizen“ geprägt war. Bismarcks, über die Zeit der Weimarer Republik, heißen könnte: Vielleicht deutet dies immer Das Buch ist in drei Teile aufgeteilt: der erste des Nationalsozialismus, bis heute) zu reden? noch eine gewisse Scheu an vom eigenen Ich Teil mit der Überschrift „Wir pfeifen auf den Wenn ja, was macht den Konservatismus zu zu berichten. vielleicht wurde dies aber auch ganzen Schwindel“ schildert die Zeit von einem kohärenten Ganzen? Wodurch zeichnet deshalb gewählt, weil Jahnke seine biografi- 1932–1939, der zweite Teil „… Sie glauben, die sich diese politische Strömung aus, die heute schen Materialien in ähnlicher Weise vorlegt, Gruppe sei tot. Wie wenn sie nur schliefe?“ die im Allgemeinen mit der CDU/ CSU oder die- wie er es für andere Antifaschisten getan hat. Jahre 1939–1945 und im dritten Teil „Wir müs- ser Partei nahestehenden Persönlichkeiten und Freie textliche Darstellung, Fotografien von pri- sen Spuren hinterlassen, damit andere folgen Verbände, in Verbindung gebracht wird? vaten und öffentlichen Ereignissen, Reproduk- können“ werden Westenburgers Nachkriegs- Folgt man Ludwig Elm, so lässt sich die erste tionen von Briefen sowie Anhänge mit Doku- erfahrungen dargestellt. Ergänzt wird der Text Frage bejahen. Die daraus resultierende Frage menten sind die Mittel, mit denen in Summe durch einen umfangreichen Anhang mit zahl- was denn nun konstitutiv für den deutschen ein Porträt entsteht, das objektivierbar-wissen- reichen Fotos und Dokumenten. Konservatismus nach 1945 sei, ist Objekt sei- schaftlich bleibt, aber doch auch sehr persön- Berry Westenburger fand 1932 im Alter von ner Auseinandersetzung. liche Eindrücke bietet, die sich dem Lesenden zwölf Jahren zum Nerother-Wandervogel in Bereits in seiner Einleitung verweist er auf die und Betrachtenden nicht selten erst „zwischen Frankfurt am Main. In dieser Gruppe fand er Kontinuitäten in den Oberschichten und Füh- den Zeilen“ erschließen. das, was seine Familie – dominiert vom stren- rungspositionen von NS-Funktionären in den Karl Heinz Jahnke ist dem Studienkreis Deut- gen Stiefvater – ihm nicht bieten konnte: konservativen Parteien, aber auch bei den Wür- scher Widerstand 1933–1945 seit seiner Grün- Kameradschaft, Abenteuerlust, Lebensfreude, denträgern von Regierung und Wirtschaftsver- dung eng verbunden. Im Verzeichnis seiner den Widerwillen gegen alle gesellschaftlichen bänden in der BRD. Publikationen, die einen wichtigen Teil dieses Kompromisse. Aber schon bald konnten sich In eben diesen ersten Abschnitt betont Elm zwei Buches darstellen, werden die Beiträge in den die Gruppe des Nerother Wandervogel nur erste Merkmale, die er für charakteristisch für „informationen“ separat aufgeführt. Sie geben noch illegal treffen. 1938 wurden sie entdeckt den deutschen Konservatismus nach 1945 hält: einen verlässlichen Überblick darüber, wie und kamen vorübergehend in Gestapohaft. Einerseits die antisozialistische Ausrichtung, sich die Beschäftigung mit antifaschistischem Ab 1939 wurde Berry an verschiedenen Front- welche er als Motiv des deutschen Konservatis- Widerstand in west- und ostdeutschen wissen- abschnitten als Flakhelfer eingesetzt. 1943 mus überhaupt ausmacht. Andererseits – als schaftlichen Publikationen über einen langen gerät er, nach der Niederlage des Afrika-Korps, spezifische Eigenschaft des Konservatismus der Zeitraum entwickelten. erst in britische, dann in amerikanische Kriegs- BRD – die Form der Erinnerungskultur im Hin- Eine schwere Erkrankung und die Befürch- gefangenschaft. Angetrieben von der Nach- blick auf die NS-Zeit. Diese, so Elm, zeichne tung einige wichtige Buchprojekte nicht mehr richt, dass seine Mutter – eine „Halbjüdin“ sich im konservativen Diskurs durch eine aus- abschließen zu können, waren zusätzlicher – deportiert worden sei, unternimmt er zwei geprägte Dethematisierung, Verdrängung und Anlass dieses Versuches einer Lebensbilanz, Fluchtversuche, die allerdings misslingen. Wie durch ein revisionistisches und relativistisches die naturgemäß in erster Linie dem eigenen er später feststellen muss, verliert sich die Spur Geschichtsbild aus, welches Täter zu Opfern sti- wissenschaftlichen Werk (das auch wichtige seiner Mutter in Auschwitz. 1946 kehrt Wes- lisiert und Opfern die Anerkennung verweigert. Arbeiten zur Geschichte der Arbeiterjugend-Be- tenburger nach Deutschland zurück. Im weiteren zeichnet der Autor die Anfänge wegung sowie zur Regionalgeschichte Meck- In Frankfurt hatten seine alten Freunde bereits der konservativen Bewegung in Deutschland lenburgs umfasst), aber auch den Wirkungen in begonnen, gegen viele Widerstände eine neue nach und wie diese mit ihrer antisemitischen der Lehrtätigkeit gilt. Horde aufzubauen. Bis 1948 war Berry Westen- und militaristischen Ausrichtung zu Wegberei- Aufrechter Gang, eigenständige Urteilsbil- burger Landessprecher der „Hessischen Jungen- ter und Stütze des NS-Faschismus wurde. An dung waren in der DDR nicht gefragt. Jahnke schaft“. Später hielt er viele Jahre lang in Schu- verschiedenen Stellen wird deutlich inwieweit berichtet von Reglementierungen und Anwürfe, len Vorträge über die Jugendbewegung. konservative Gruppen und Persönlichkeiten die man nur als absurd und kafkaesk einstu- Berry Westenburgers Buch ist humorvoll, eine konformistische bzw. tragende Rolle im fen kann. Wie mit Wissenschaftlern, die ab anrührend und lebendig geschrieben. NS-Staat spielten. 1989 nicht mit Überanpassung auf die neuen Manche Darstellungen sind etwas unübersicht- Hauptsächlich geht es Ludwig Elm in diesem geschichtspolitischen Vorgaben reagierten, ver- lich, z.B. die Schilderung der Nachkriegszeit Abschnitt um eine erste Positionsbestimmung fahren wurde, zeigt, dass aufrechter Gang in und der Kampf mit den Behörden. Sehr ein- des deutschen Konservatismus, um einerseits der BRD durchaus auch eine schwierige Fortbe- drucksvoll sind die Zitate aus Feldpostbriefen, seine Schnittmengen und Verstrickungen mit wegungsart sein kann. „Kein Bedarf“, das klang die sich die Freunde während des gesamten dem NS-Faschismus deutlich zu machen, ande- gelegentlich unisono – einst für eine wichtige Krieges schrieben und die einen Eindruck vom rerseits aber eben auch zwischen Konservatis- Publikation, jetzt für eine ganze Professur. Leben als Soldaten vermitteln. Ebenfalls sehr mus und NS-Faschismus die notwendige Unter- Jahnke zeigt aber auch, wie Netzwerke außer- aufschlussreich sind die im Anhang enthalte- scheidung zu treffen. halb des staatlichen Bereichs bescheiden und nen Fotos und Dokumente. Im Anschluss richtet der Autor seinen Blick auf doch nachhaltig wirksam werden können. Er Berry Westenburger stellt in diesem Buch die unmittelbare Zeit nach 1945. Nach dem informationen 68|Seite 46 buchbesprechungen

8. Mai 1945, so Elm, bedurfte es einer Neu- konstitutiven Charakter konservativer Ideale Eine junge Frau macht sich mit Else auf die strukturierung im konservativen Lager. Doch für die BRD aufzuzeigen. Suche nach ihrer Mutter. Man durchquert die nach einer kurzen Phase, in welcher ein „anti- Baracken, Else sieht das ganze Elend. Das stellt faschistischer Konsens“ galt, sammelte Ade- Ludwig Elm: Der deutsche Konservatis- sie vor immer neue Fragen, die sie in ihrem nauer bereits im Bundestagswahlkampf 1949 mus nach Auschwitz – Von Adenauer und Alter aber nicht beantworten kann. Wählerstimmen im rechten Lager. In einer Rede Strauß zu Stoiber und Merkel. Köln: Papy- Plötzlich tritt da in ihr Leben die Mitgefangene verkündete er, die neue Bundesregierung „wird Rossa, 2007 Z 477, die Else für mehrere Monate mit in ihr auch [...] Schluss machen müssen mit aller Ruben Kaster, José Matthias Birrer eigenes Zimmer nimmt. Z 477 ist eine junge Entnazisiererei [...]“ (S. 74). Diesem Programm Frau namens Wanda und „musste für Ruhe und entsprechend fanden in seiner ersten Regie- Ordnung sorgen. Sie war nämlich ein Kapo, rungserklärung auch nur die deutschen „Opfer“ eine Aufpasserin.“ Erwähnung. Elses Geschichte – Else „fühlte sich (in dieser Zeit) sicher und Adenauers „Schlussstrichpolitik“ sollte wegwei- Ein Mädchen überlebt beschützt“. Wanda ermöglicht ihr ein (fast) send für spätere konservative Auseinanderset- Auschwitz sorgloses normales Leben. Sie weiß auch, dass zungen mit der NS-Zeit sein. Elses „richtige“ Mutter auf der Krankenstation Im Zeichen dieser Politik stand, als die Verant- liegt und auch die Zwillingsbrüder Dieter und wortung für die juristische Aufarbeitung der Die Entstehungsgeschichte des Buches „Elses Uwe im Lager sind. „Aber Else wollte davon NS-Verbrechen an die bundesdeutsche Justiz Geschichte. Ein Mädchen überlebt Auschwitz“ eigentlich gar nichts wissen.“ Wanda erklärt ihr übergeben wurde, eine Welle von Begnadigun- von Michail Krausnik und Lukas Ruegenberg, auch, was das „Z“ bedeutet: „Z für Zigeuner. So gen der durch die Alliierten verurteilten Täter, das der inzwischen beträchtlich angewachse- nennen uns die Nazis.“ gleichzeitig gab es eine Vernachlässigung in der nen Kinder- und Jugendliteratur zum Holocaust Auf ihren Gängen durch das Lager wird Else juristischen Verfolgung weiterer NS-Verbrechen. zuzurechen ist, ist mindestens ebenso interes- immer wieder mit schrecklichen Vorkommnis- Die von Ludwig Elm als für den deutschen Kon- sant wie das Schicksal, das darin geschildert sen konfrontiert. Durch den Stacheldrahtzaun servatismus kennzeichnende antisozialistische wird. verfolgt sie die ankommende Züge und die bzw. antikommunistische Ausrichtung schlug Die Hamburgerin Else Schmidt, die 1943 als Befehle: „Schnell, schnell! Aufschließen!“ und sich im Verbot der KPD und der Diskreditierung achtjähriges Mädchen „zur Zigeunerin abge- jeden Morgen „neue Menschenschlangen vor der VVN nieder. stempelt wurde und dem Rassenwahn der dem Gebäude“. Dass mit Kiesinger 1966 ein ehemaliger Natio- Nationalsozialisten ausgesetzt war“ und als Eine Wende bringt der August 1944: Das nalsozialist die Regierungsgeschäfte übernahm Kind die Höllen von Auschwitz und Ravens- „Zigeunerlager“ Auschwitz-Birkenau wird auf- bedeutete gleichwohl, dass es keinerlei Rolle brück überlebt hatte, wurde 60 Jahre danach gelöst. „Auch für Else hieß es: Abtransport.“ mehr spielte, wer Nationalsozialist und somit von der Königin von England in deren Schloss Dabei trifft sie auf ihre Zwillingsbrüder und mitverantwortlich für die NS-Barbarei war. zu einer Audienz eingeladen. Sie schlägt die auf ihre Schwester Elisabeth. Die zweijährige Erst 1970 gab es die erste Gedenkstunde Drohungen der Nazis und den Rat der Freun- Schwester Rosemarie wird Else mit der Bemer- gegenüber den Opfern des NS-Regimes im Bun- dinnen und Freunde „Else, behalte das für kung anvertraut, sie solle „gut auf sie aufpas- destag, initiiert von Willy Brandt und der SPD. dich!“ in den Wind und nutzt die Gelegenheit sen.“ Es folgt erneut eine mehrere Tage und Bezeichnenderweise blieben Franz Josef Strauß und erzählt ihre Geschichte. Einer oder eine Nächte lange Fahrt in einem Eisenbahnwaggon und Georg Kiesinger dieser fern. schreibt sie auf und fügt sie der Sammlung von mit der Endstation Frauenkonzentrationslager Ludwig Elm porträtiert exemplarisch das Zeitzeugenberichten des Dokumentations- und Ravensbrück. außenpolitische Profil der Konservativen der Kulturzentrums Deutscher Sinti und Roma in Die Kindergruppe wird getrennt. Else bleibt nur BRD dieser Zeit am Beispiel der Unterstützung Heidelberg hinzu. zwei Monate in diesem KZ. Aber: „Über vieles, von Pinochets militärfaschistischer Diktatur Hier nun stößt der Bilderbuchillustrator Lukas was sie in Ravensbrück erleben musste, kann durch die CDU. So reiste Franz Josef Strauß Ruegenberg auf die Geschichte. Er will daraus Else nicht sprechen.“ Es war die Hölle – vor 1977 zum Amtsbesuch nach Chile. Desweite- ein Buch machen und die Illustrationen bei- allem auch für sie persönlich. ren rechtfertigte der der Union nahestehende steuern. Für die Textgestaltung gewinnt er den Da tritt erneut eine Wende ein. Else wird aus und der Deutschlandstiftung angehörige Kurt mit dem Deutschen Jugendliteraturpreis aus- der Baracke geholt, geduscht, neu eingekleidet Ziesel (ein früherer NS-Publizist) mit offen ras- gezeichneten Autor Michail Krausnick und für und danach in die Kommandantur gebracht. sistischer Programmatik die Apartheidregimes das Nachwort den Vorsitzenden des Zentralrats Dort wartet bereits ihr Pflegevater, der Hafen- in Süd-Afrika und Süd-Rhodesien. Deutscher Sinti und Roma, Romani Rose. arbeiter Emil Matulat auf sie. Zu Hause wird Auch in der jüngeren Vergangenheit waren ras- Das Ergebnis ist eine der ganz wenigen authen- Else bedrängt alles zu erzählen: „Else schil- sistische Motive und Äußerungen präsent. Um tischen Schilderungen der Verbrechen des derte alles ganz nüchtern, ohne innere Beteili- nur ein Beispiel zu nennen wäre da die Äuße- Hitler-Faschismus begangen an den Sinti und gung, so als würde sie berichten, wie eine Birne rung Stoibers zur Asylpolitk von 1998, in wel- Roma. vom Baum fällt.“ cher er vor einer „durchrassten“ Gesellschaft Worum geht es in diesem Buch? Das Mädchen Bald geht sie wieder zur Schule, über die wah- warnte. Else wächst am Rande von Hamburg relativ ren Gründe für ihre lange Abwesenheit muss Die konservative Prägung des heutigen politi- wohlbehütet bei Pflegeeltern auf, als sie im sie lügen. Die tätowierte Häftlingsnummer schen Klimas der BRD kann man laut Elm bei- März 1943 von „zwei Männern in langen Leder- überklebt sie mit einem Pflaster. Der Lehrer will spielsweise an der restriktiven Asylpolitik, der mänteln“ aus der Wohnung geholt und in einen sie zwingen, das Pflaster zu entfernen, denn er elitefördernden Bildungspolitik, sowie an den „Fruchtschuppen am Hafen“ gebracht wird, wo vermutet „dass Else womöglich ein verstecktes autoritären Tendenzen in der Sicherheitspoli- sie auf viele angsterfüllte Menschen trifft, die Judenkind wäre.“ Als Else nach seiner Drohung, tik als auch an dem oftmals relativistischen wie Else „evakuiert“ werden sollen. sie mit dem Stock zu schlagen, die Worte „Ess- Geschichtsbild festmachen. Dem Vater gelingt es, Else aus den Fängen Ess!“ und deren Befehl „Strengstes Stillschwei- Ludwig Elm schafft es in seinem Buch ein der Gestapo zu befreien und sie wieder nach gen“ hervorstößt, lässt er von ihr ab. sehr umfassendes und differenziertes Bild Hause zu bringen. Krausnick als Autor des Buches nimmt die des deutschen Konservatismus nach 1945 zu Ein Jahr später, im April 1944, wird sie erneut literarische Position eines engagierten Doku- zeichnen. aus der Wohnung geholt. Da offenbaren ihr die mentaristen ein. Er erzählt das Schicksal aus Seine bisweilen etwas sprunghafte Schreib- Pflegeeltern ihre wahre Identität und verspre- der Perspektive des Kindes. Das gelingt nicht weise und das durchgängige Vorgreifen in chen ihr, dass sie nun zu ihrer „richtigen Mut- immer, wirkt an einigen Stellen gewollt. Inte- andere Themenbereiche sind einerseits sinnig, ter“ gebracht wird. ressant ist seine Technik, an bedeutsamen Stel- um den Kontext der Gesamtsituation zu erfas- Es folgt eine bedrückend lange Zugfahrt in len seiner Schilderung, kursiv abgesetzte Texte sen, bisweilen allerdings erschwert dies das einem Viehwaggon und die beängstigenden einzufügen, die bestimmte Teile der Schilde- Lesen. Umstände der Ankunft im Lager. rung vertiefen und später aufbrechende Emo- Ludwig Elm ist es wichtig die historischen Sie erlebt den oft beschriebenen und dokumen- tionen Elses erklären sollen: So bei dem Befehl Kontinuitäten des Konservatismus deut- tierten entwürdigenden Alltag in einem KZ. der Lehrerin „Schnell, schnell, aufschließen!“ scher Prägung heraus zu arbeiten, aber ohne Alle Habseligkeiten, die ihre Pflegeeltern ihr oder bei dem Wort „Kopfsteinpflaster“ oder bei bestehende Unterschiede in den verschiedenen mitgegeben haben, werden ihr weggenommen. den „Totenschädeln, die weiß gekalkten, … die Epochen und die Unterschiede zum Faschismus Sie wird tätowiert und bekommt die Nummer sie damals im Schuppen an der Bracke gesehen an sich zu nivellieren. Diese von ihm heraus- Z 105-40. „Das sei jetzt ihr Name, wurde ihr hatte.“ Auch die knappe Schilderung über das gearbeiteten Konstanten sind wichtig, um den gesagt.“ weitere Leben von Else am Ende des Buches ist buchbesprechungen informationen 68|Seite 47 eine Bereicherung und rundet das Bild dieses sal passiv hinzunehmen als die Erwachsenen. zukommen zu lassen und daneben die schier außergewöhnlichen Schicksals ab. Dies führte, so der Autor, jedoch aufgrund unübersehbare Forschung zu berücksichtigen. Illustrationen können bekanntlich die Rezep- mangelnder Erfahrung zu teilweisen leichtsin- Eine Chance, zum anderen, als erste Orientie- tion einer erzählten Geschichte vernebeln oder nigen Aktionen. Welche wiederum Verfolgung, rung einen kompakten Überblick zu geben, erhellen. Die Illustrationen von Lukas Ruegen- Verhaftungen und nicht selten Hinrichtungen „um gleichsam Licht in den historiographischen berg sind ein hervorragendes Beispiel dafür, zur Folge hatten. Dschungel zu bringen.“ wie die Rezeption einer Geschichte erhellt wer- In dem einführenden Aufsatz Mit den Waffen Jung nähert sich dem Themenkomplex „Natio- den kann. Es gibt in der Kinder- und Jugend- der Phantasie und der Lust am Risiko spricht er nalsozialismus“ in insgesamt zehn Kapiteln mit literaturforschung eine lange Diskussion darü- bereits die verschiedene Gruppen, die in den fol- einer über weite Strecken chronologischen Dar- ber, wie „wahrheitsgemäß“ das Grauen in den genden Texten ausführlicher behandelt werden, stellungsweise. Er beginnt mit einem Kapitel KZ in einem Buch für Kinder und Jugendliche an: Die politischen Jugendgruppen, die jüdi- über die Anfänge der NSDAP. Darin beschreibt dargestellt werden muss/darf. Ruegenberg hat schen Jugendlichen, die Bündische Jugend, die er zunächst die rechtsextremen Tendenzen und mit seinen Illustrationen zu diesem Buch eine religiösen Gruppen sowie die Edelweißpiraten. Strömungen während der Weimarer Republik, beispielhaft überzeugende Antwort gefunden. Gesondert geht Schilde auf die Forschungen geht danach näher auf die Person Adolf Hitler Besonders hervorzuheben ist das Nachwort von der Rostocker Universität zwischen 1968 und und nationalsozialistische Ideologie ein und Romani Rose, dem Vorsitzenden des Zentral- 1989 zum antifaschistischen Widerstands- beschäftigt sich schließlich mit der NSDAP und rats Deutscher Sinti und Roma. Hier wird das kampf ein. Der Legitimationszwang der DDR- ihrem Aufstieg, bevor er eine – an Jürgen W. ganze Ausmaß des Völkermords der Nazis an Geschichtswissenschaft, kritisiert der Autor, Falters Standardwerk „Hitlers Wähler“ ange- den Sinti und Roma kompakt und verständlich führte zu einer eindeutigen Überbetonung des lehnte – kurze Übersicht über Mitglieder und dargestellt. Es soll und darf nicht aufgerech- kommunistischen Jugendwiderstands, wenn- Wähler der NSDAP gibt. Abschließend wird die net werden, Fakt ist aber, dass das Schicksal gleich nicht die gesamte Forschungsarbeit zu Machtübernahme im Zuge der – für viele Zeit- der Sinti und Roma wie anderer Minderhei- verwerfen sei. In diesem Zusammenhang ver- genossen überraschenden – Ernennung Hitlers ten auch, nie die öffentliche Aufmerksamkeit weist er auf die ebenfalls nicht zweckfreie Ein- zum Reichskanzler thematisiert. bekommen haben, die sie verdient hätten. ordnung des Widerstands seitens der Bundes- In den Wochen und Monaten, die sich an die- Es ist zu hoffen und zu wünschen, dass die- republik: Ein ganz erheblicher Mangel der west- sen verhängnisvollen 30. Januar 1933 anschlie- ses wichtige Buch einen Beitrag dazu leisten deutschen Forschung insgesamt sei, so Schilde ßen, bauen die Nationalsozialisten ihre Macht- wird, dieses Kapitel faschistischer Verbrechen in seinen Aufsätzen zur jüdischen Jugendoppo- stellung binnen kurzer Zeit aus. Die brutale mehr als bisher in das öffentliche Bewusst- sition, der einseitige Blickwinkel auf die schein- Verfolgung politischer Gegner verschärft sich sein zu rücken und, dass es seinen Weg in jede bar reine Opferperrolle der Juden. nach der „Reichstagsbrandverordnung“ Ende Schulbibliothek und in die Hände eines jeden Die Geschichte der Jugendopposition wird ver- Februar 1933 weiter. Wenige Tage nach den Geschichtslehrers findet. anschaulicht durch Aufsätze und Passagen, Reichstagswahlen vom 5. März 1933 werden in denen Einzelschicksale dargestellt werden. die Länder – später auch Organisationen, Ver- Michail Krausnick, Lukas Ruegenberg: Diese Abschnitte dienen der Verdeutlichung bände und Vereine – „gleichgeschaltet“. Im Elses Geschichte. Ein Mädchen überlebt der Tragweite und der Schwere der Folgen des Sommer 1934 wird die parteiinterne Opposi- Auschwitz. Düsseldorf: Sauerländer non-konformen beziehungsweise widerständi- tion durch die Ermordung von mindestens 89 Verlag, 2007 gen Handelns der Jugendlichen. So beschreibt SA-Führern und Kritikern ausgeschaltet. Kurz Dirk Krüger Schilde unter anderen eindringlich das Schick- nach dem Tod Hindenburgs im August 1934 sal von Eva-Maria Buch, einer Angehörigen der werden die Ämter des Reichspräsidenten und „Roten Kapelle“, die im Alter von 22 Jahren des Reichskanzlers schließlich bei Hitler ver- hingerichtet wurde. einigt. Dieser besitzt zu diesem Zeitpunkt eine Jugend in Opposition Alles in allem schafft es der Sammelband von fast unumschränkte Machtposition und forciert zum NS-Staat Kurt Schilde einen guten Überblick über die den Führerkult um seine Person weiter. Die – Vielfalt der Möglichkeiten von jugendlicher im dritten Kapitel beschrieben – außen- und Opposition im Nationalsozialismus und über innenpolitischen „Erfolge“ des NS-Regimes Einen systematischen Überblick über die die unterschiedlichen Jugendgruppen an sich werden von großen Teilen der Bevölkerung Jugendopposition von 1933 bis 1945 zu bieten während dieser Zeit zu geben. Zur vertiefenden alleine seiner Person zugeschrieben. ist das Anliegen des im Jahre 2007 erschiene- Lektüre bieten sich die weiterführenden Litera- In den folgenden Kapiteln 4 und 5 beschreibt nen Sammelbandes von Kurt Schilde. Bereits turhinweise im Anhang an. Jung die Mittel und Wege, mit denen sich die seit mehreren Jahrzehnten widmet sich Schilde NSDAP Zustimmung und Unterstützung in der diesem Thema. Zusammengestellt hat er eine Kurt Schilde: Jugendopposition 1933–1945. Bevölkerung versicherte. Hier finden ideolo- Auswahl seiner Aufsätze aus dem Zeitraum von Ausgewählte Beiträge. gische Bezugspunkte wie die – nach rassisti- 1983 bis 2006. Diese wurden zum Teil über- Berlin: Lukas Verlag, 2007 schen Kriterien zusammengesetzte – „Volksge- arbeitet, teilweise jedoch auch unverändert Iris Rath meinschaft“ ebenso Erwähnung wie die Propa- übernommen. ganda der Partei in Kultur und Erziehung. Auch Bewusst geht Schilde in seiner Arbeit von die Organe und Institutionen, durch die poli- einem weiten Begriff der Jugendopposition tisch und „rassisch“ unliebsame Bevölkerungs- aus, um gerade dadurch einen großen Bogen Nationalsozialismus teile unterdrückt wurden, werden hier näher ziehen zu können und somit möglichst viele als Schnellkurs? beschrieben. Erscheinungen mit einzubeziehen. Insgesamt lässt sich konstatieren, dass Zustim- Denn das Buch macht eines recht deutlich: mung und Anpassung während der NS-Zeit den Die eine jugendliche Opposition gab es nicht, In der Buchreihe „Schnellkurs“ des DUMONT Normalfall darstellten. Dennoch wurde auch stattdessen gab es mannigfaltige Ausprägun- Verlags sind inzwischen zahlreiche Überblicks- vereinzelt Widerstand gegen die NS-Herrschaft gen. Von gemeinsamen privaten Fahrten und darstellungen zu verschiedenen Themen aus geleistet. Dieser zeigte sich in verschiedensten dem Singen bündischer Lieder – die bereits den unterschiedlichsten kulturellen und reli- Formen, die von kritischem und abweichendem gegen die Monopolstellung der HJ verstießen giösen Bereichen erschienen. Daneben werden Verhalten bis zum aktiven politischen Kampf – über den Kampf mit dem HJ-Streifendienst mittlerweile auch verschiedene historische The- mit dem Ziel des Regimesturzes reichen. Im und dem Begehen verschiedener Delikte bis menfelder behandelt. Folgenden werden die Aktivitäten verschiede- hin zum eindeutigen politischen motivierten Werner Jung, Direktor des NS-Dokumentations- ner Widerstandsbewegungen beschrieben und Widerstand gegen das Regime. zentrums der Stadt Köln, unternimmt im vorlie- daneben unter anderem die Stellung der Kir- Oftmals, so Schilde, trieben die Nationalsozia- genden Band den Versuch, die Geschichte des chen zum NS-Regime thematisiert. listen selbst die Jugendlichen durch ihr repres- Nationalsozialismus auf zirka 190 Seiten darzu- Doch auch durch das beherzte Eintreten eini- sives Handeln in die Opposition und provozier- stellen. Der Verfasser ist sich der Problematik, ger weniger konnte die Ausgrenzung und Ver- ten so erst widerständiges Verhalten. Dies traf ein solch komplexes und vielschichtiges Thema folgung der jüdischen Bevölkerung, die schließ- vor allem auf die „wilden Cliquen“ zu, wie etwa auf diesem knappen Raum zu erörtern, durch- lich im Massenmord mündete, nicht verhindert die Edelweißpiraten aus dem Rheinland. aus bewusst und spricht in diesem Zusammen- werden. Die zunehmenden antisemitischen Dis- Ebenso geht aus den Aufsätzen Schildes her- hang von einem Wagnis, aber auch von einer kriminierungen, die wirtschaftliche Ausplün- vor, dass die Jugendlichen häufig viel wagemu- Chance (S. 7). Ein Wagnis, zum einen, der Kom- derung der jüdischen Bevölkerung, der Novem- tiger und viel weniger bereit waren, ihr Schick- plexität der Thematik eine differenzierte Sicht berpogrom und der Massenmord an Juden und informationen 68|Seite 48 buchbesprechungen anderen „unliebsamen“ Bevölkerungsgrup- Anpassen, gehen oder den Literaten wurde manifest. Der NS-Ideolo- pen – etwa die rassistische Verfolgung von gie eng verbundene Autoren wie Werner Beu- „Zigeunern“, „Asozialen“, „Homosexuellen“ und in der Nische überleben melburg, Hans Friedrich Blunck, Will Vesper „Schwarzen“ - werden in den Kapiteln 7 und 9 – Literaturbetrieb in der oder Agnes Miegel rückten nun in die erste behandelt. NS-Zeit Reihe. Mit Ausbruch des Kriegs verschärft sich die Buchhandlungen und Verlage wurden rasch zu Lage der Verfolgten weiter. Der von Deutsch- gefügigen Vollstreckern des Willens der Par- land angezettelte Eroberungskrieg war von Menschen, die mit Büchern zu tun haben – sei tei. Sie produzierten oder stellten nur noch Anfang an als Vernichtungs- und Rassen- es, dass sie schreiben, sie verlegen oder mit jene Bücher in die Schaufenster, die Goebbels’ krieg geplant und wird – vor allem an der ihnen handeln – können nicht so verführbar Propagandaministerium und der Reichsschrift- Ostfront – mit unvorstellbarer Grausamkeit sein wie andere, „gewöhnliche Sterbliche“, die tumskammer genehm waren. Dass der Buch- geführt. Der Beginn des Kriegs, sein Verlauf Politik und gesellschaftliche Umstände wenig handel allerdings in keiner Weise umgehend und sein Ende werden in den Kapiteln 8 und reflektieren. Dass diese Annahme eine Illusion von der „neuen Zeit“ profitierte, legt Barbian 10 näher beschrieben. Hier finden, neben den ist, ist – spätestens – seit 1933 bekannt. Als in einem eigenen Aufsatz dar. Vielmehr brach Massenmorden im Zuge des Krieges, auch die Nationalsozialisten die Macht übernahmen, der Verkauf von Büchern und Lizenzen nach die Behandlung der Kriegsgefangenen und war vielen Intellektuellen klar, was geschehen 1933 enorm ein; erst später wurden Werbe- ZwangsarbeiterInnen Erwähnung. Des Wei- würde. Sie wussten durch politische Erfahrung maßnahmen ergriffen, die den Verkauf des teren wird auf die Situation in Deutschland und Vision, dass sie in Deutschland nicht mehr „deutschen Buchs“ besonders fördern sollten. während der letzten Kriegsjahre eingegan- würden arbeiten können. Sie verließen das Der Börsenverein des Deutschen Buchhandels gen, auch die Bombenangriffe der Alliierten Land ihrer Sprache und versuchten in ande- hatte sich besonders eilig auf die Seite der und die zunehmenden Widerstandsaktivitä- ren Ländern ihre Arbeit fortzuführen; manche Nationalsozialisten geschlagen. Etliche seiner ten (u.a. die Militärverschwörung des 20. Juli – wenige – entschieden sich für den aktiven bedeutenden Mitglieder allerdings verließen 1944) im Zuge der nahenden militärischen Widerstand. Deutschland (wie Samuel Fischer beziehungs- Niederlage der Deutschen Wehrmacht werden Viele Intellektuelle aber blieben. Sie passten weise sein Nachfolger Gottfried Bermann beschrieben. Das Kapitel schließt mit einer sich an, obwohl sie vorher nicht zu den Freun- Fischer) oder versuchten – wie Ernst Rowohlt „Schreckensbilanz der nationalsozialistischen den der Nationalsozialisten gehört hatten. – die liberale Verlagspolitik unter größten Herrschaft“. Manchen, die ohnehin in Wartestellung gestan- Schwierigkeiten fortzuführen. Insgesamt zeichnet sich das Buch durch eine den hatten, gelangen Karrieresprünge im NS- Eindrucksvoll beschreibt Barbian etwa die detaillierte Darstellung der Zusammenhänge Kulturbetrieb, die ihnen zu Zeiten der Weimarer Situation Erich Kästners zwischen 1933 bis auf dem neuesten Stand der historischen For- Republik unmöglich gewesen wären. Andere 1945. Der Autor, der als „Asphaltliterat“ in schung aus. Dennoch lasen sich im Text einige gingen in die später so genannte „innere Emi- der Weimarer Republik erfolgreich und popu- wenige Flüchtigkeitsfehler nachweisen. So gration“: Sie hatten Skrupel und Selbstzweifel, lär geworden war, erlebte die NS-Diktatur wird z.B. auf Seite 129 die Interpretation nahe aber verhielten sich unauffällig gegenüber den als Zeit in einem „Käfig“, wie er seine Lage gelegt, dass die jüdische Bevölkerung erst neuen Machthabern. Sie schlossen die Augen selbst darstellte. Was die Unterdrückung und 1938 eine so genannte „Reichsfluchtsteuer“ zu vor der dramatischen Entwicklung, die um sie Anpassung psychisch bedeutete, hat Kästner bezahlen hätte. Tatsächlich war diese Steuer herum stattfand. Für viele der Autoren, Ver- nach dem Krieg vielfach beschrieben. Weni- bereits 1931 durch das Kabinett Brüning ein- leger oder Buchhändler war dieser Rückzug in ger genau schilderte er, warum er in Deutsch- geführt worden. Diese Steuerlast wurde von die Nische ein oft langwieriger, schleichender land blieb (und nicht emigrierte, wie so viele den Nationalsozialisten schrittweise erhöht Prozess – allerdings mit dem immer gleichen seiner Autoren-Kollegen), und auf welche und richtete sich aufgrund der antijüdischen Ergebnis: Sie setzten sich nicht zur Wehr. Die Weise er sein Weiterarbeiten in Deutschland Politik ab 1933 primär gegen die – zur Auswan- Opfer des Nationalsozialismus scheinen sie bei betrieb. Er bemühte sich um Aufnahme in die derung genötigte – jüdische Bevölkerung.Dem ihrem inneren Rückzug kaum wahrgenommen Reichsschrifttumskammer, wurde allerdings Autor ist es gelungen, möglichst viele Aspekte zu haben. nicht aufgenommen. Trotzdem konnte „Das der nationalsozialistischen Herrschaft zu Jan-Pieter Barbian, Direktor der Stadtbiblio- fliegende Klassenzimmer“ noch ungehindert berücksichtigen und eine thematische Schwer- thek Duisburg, ist ein ausgewiesener Experte erscheinen; später waren seine Veröffent- punktsetzung zu vermeiden. Bei dem geringen des Literaturbetriebs in der NS-Zeit. In einer lichungsmöglichkeiten stark eingeschränkt. Textumfang ist ihm jedoch beizupflichten, dass Reihe von Beiträgen hat er die Biografien ein- Kästner überlebte unter anderem als Dreh- zwangsläufig einige Aspekte, „die dem einen zelner Autoren und das Umfeld ihres Handelns buchautor. Für den NS-Prestige-Film Münch- oder der anderen wichtig erscheinen mögen, untersucht. Seine Befunde sind in aller Regel hausen schrieb er das Drehbuch. Später zu kurz oder gar nicht dargestellt werden“ nicht überraschend, aber gerade in der Zusam- sprach er ungern davon. Von der von Kästner (S.7). Des Weiteren lässt sich ein hohes Maß an menschau erneut erschütternd. Der Band diagnostizierten „Krankheit des schlechten Übersichtlichkeit konstatieren. Die Rezeption umfasst 13 Aufsätze, die zwischen 1995 und Gedächtnisses“, von der so viele Deutsche wird durch strukturierende Randbemerkungen 2007 in verschiedenen Zeitschriften bereits nach dem Krieg befallen waren, blieb er selbst erleichtert, während eine Vielzahl abgebildeter veröffentlicht wurden. Daher kommt es zu nicht frei. Quellenmaterialien die historischen Zusammen- gelegentlichen Doppelungen in der Darstellung An mehreren Autoren – darunter Peter Huchel hänge anschaulich machen. oder auch der Bewertung von Ereignissen, was und Ina Seidel – macht Barbian deutlich, wie Der Kürze der Darstellung ist es wohl geschul- letztlich aber die Eindrücke der Lektüre nur der Alltag von Literaten in der NS-Zeit aus- det, dass kaum Raum für einen Überblick über bestärkt. sah. Anpassung ermöglichte ein Nischen- aktuelle oder historische Kontroversen geblie- Durch den Terror, den die Nationalsozialisten Dasein in feindlicher Umwelt. Unbeugsam- ben ist. Des Weiteren sind kaum Literaturnach- in allen Bereichen des öffentlichen Lebens keit und Widerstand mussten andere – wie weise verfügbar, die eine intensivere Beschäf- verbreiteten, wurden Tausende von Persön- etwa Jochen Klepper, dem ein eigenes Kapi- tigung mit einem bestimmten Themenbereich lichkeiten aus Kultur, Wissenschaft, Politik tel gewidmet ist, mit dem Tod bezahlen. Die erleichtern würden. Stattdessen finden sich im und Wirtschaft inhaftiert, misshandelt oder Lebensläufe lesen sich wie Lektionen in Mut – Anhang einige weiterführende allgemeine Lite- vertrieben (Horst Möller nennt in „Exodus oder auch dem Gegenteil davon. In jedem Fall raturhinweise „über die man jedoch schnell zu der Kultur. Schriftsteller, Wissenschaftler und sollte man sich an Jan-Pieter Barbians Fazit weiteren Informationen und Veröffentlichun- Künstler in der Emigration nach 1933“ die halten und die Autoren wie auch die Verleger gen gelangen kann“ (S. 7). Insgesamt stellt Zahl 8.600). Diejenigen, die blieben oder nun differenziert betrachten. Schade nur, dass es das vorliegende Werk eine gute Überblicksdar- aufstiegen, unterlagen ständiger Kontrolle am Ende des Bandes kein Register mit Namen stellung mit einer Fülle von Informationen zum und Steuerung. Die Bücherverbrennungen des und Orten gibt – das würde die Arbeit mit Thema „Nationalsozialismus“ dar, ohne jedoch 10. Mai 1933 gaben das Fanal für die Hetz- diesem so nützlichen Buch noch angenehmer als fundiertes Einführungsbuch in die Thematik jagd auf jede Art von Literatur, die nicht der machen. gelten zu können. Hierzu wäre tatsächlich eine neuen Norm entsprach. Eine der ersten Ins- längere Darstellung vonnöten. titutionen, die gleichgeschaltet wurden, war Jan-Pieter Barbian: Die vollendete Ohn- die Sektion für Dichtung in der Preußischen macht – Schriftsteller, Verleger und Buch- Werner Jung: Nationalsozialismus. Akademie der Künste, die ihren Vorsitzenden händler im NS-Staat. Essen: Klartext, 2008 Ein Schnellkurs. Köln: DuMont, 2008 vor die Tür jagte. Gottfried Gabriele Prein Christian Zech Benn setzte sich zur gleichen Zeit für Loyali- tät zur NS-Regierung ein. Die Spaltung unter buchbesprechungen informationen 68|Seite 49

Buchenwald, ich kann DDR und waren mit der politischen Entwick- Leider fehlt dem Buch eine Begründung der dich nicht vergessen lung nach 1990 nicht einverstanden. Aber alle Auswahl der verwendeten Biografien. So ist nahmen und nehmen die Verantwortung des z.B. keine überlebende Frau aus Buchenwald Buchenwaldschwurs bis heute sehr ernst. Sie dokumentiert worden – etwa weil man keine 60 Jahre nach der Befreiung baten die Her- arbeiteten in der Gedenkstätte Buchenwald gefunden hat? Eine Einleitung o.ä. hätte der- ausgeber des Buches die letzten Überleben- mit, im Buchenwald-Dora-Komitee, in der VVN artige Fragezeichen von vornherein zerstreuen den des Konzentrationslagers Buchenwald um oder stellen bzw. stellten sich als Zeitzeugen können. Interviews, 18 mehr oder weniger ausführli- zur Verfügung. Mit den Schilderungen, wie sie Auf jeden Fall aber ist das Buch eine Würdi- che Biografien werden hier veröffentlicht. Die den Tag der Selbstbefreiung des Konzentra- gung des Lebens und der Kämpfe der Buchen- ehemaligen Gefangenen waren als Kommu- tionslagers Buchenwald erlebten, treten sie waldhäftlinge damals wie heute. Und es fin- nisten oder Sozialdemokraten in Buchenwald der darüber weit verbreiteten Geschichtsver- den sich immer wieder noch neue Aspekte inhaftiert, als Sinto, als Farbiger, als Familien- fälschung entgegen. Und sie verwehren sich oder Momente, die nicht so bekannt waren angehörige der Verschwörer des 20. Juli. Die gegen die heute so gängige Totalitarismus- oder sind. Die Biografien der bisher öffentlich meisten Texte berichten nicht nur über den theorie, indem sie ihre Erfahrungen in der DDR weniger in Erscheinung getretenen Überle- Weg bis ins Konzentrationslager Buchenwald, nach dem KZ öffentlich machen. Die Texte sind benden waren mir die interessantesten. Ihre sondern auch den weiteren Lebensweg nach mit Fotos der jeweiligen Personen ergänzt, Lebenswege sind nicht so gradlinig geschil- 1945. Dargestellt werden die Biografien von z.T. auch mit Dokumenten aus der KZ-Haft. Im dert, dadurch rücken sie näher und werden Willi Kirschey über Benno Biebel, Otto Grube, Anhang findet sich ein Namensregister. fassbarer. Kurt Julius Goldstein, Franz von Hammerstein, Dem in den Biografien dargestellten Leben Ewald Hanstein bis hin zu Gert Schramm, und Wirken der 18 ehemaligen Buchenwald- Peter Hochmuth, Gerhard Hoffmann (Hg.): 1929 geboren und der Jüngsten der hier häftlinge gebührt jede Hochachtung. Daher Buchenwald, ich kann dich nicht vergessen benannten Überlebenden, Manche waren ist dieses Buch ein wichtiges Dokument. – Lebensbilder. Berlin: Dietz, 2007 mehrere Jahre in Buchenwald gefangen und Dennoch wirken die Biografien manchmal zu Doris Seekamp arbeiteten im Lagerwiderstand mit; andere glatt. Selten ist sichtbar, was direkte Äuße- waren nur kurz von Auschwitz dorthin verlegt rungen der Überlebenden sind oder was die worden oder waren ganz außen vor den Toren Beschreibung der jeweiligen Autoren/Autorin- Buchenwalds gefangen. So sind ihre Erfah- nen ist. Hierdurch und durch den immer ähn- rungen in Buchenwald auch sehr unterschied- lichen Aufbau der Biografien geht Lebendig- lich, allerdings verbindet sie alle, dass sie hier keit und vielleicht auch Widersprüchlichkeit Solidarität empfunden haben, die überlebens- in den Schilderungen verloren. Ein Buch, das wichtig war. heute dem Leben und Wirken der ehemali- Die Texte sind um die Bedeutung des Buchen- gen Buchenwaldhäftlinge Respekt zollen soll, waldschwurs herum entwickelt. Die meisten könnte durchaus mehr die unterschiedlichen der hier vorgestellten Überlebenden lebten Lebensentwürfe der Gefangenen würdigen und arbeiteten nach 1945 in der damaligen und dadurch lebendiger sein. ... wieder gelesen:

Jana Mikota Flucht in Frankreich von Soma Morgenstern

„Widerständige Wege“ als Thema der begann in Berlin als Lite- informationen passt auch auf das Leben raturkritiker für verschie- des Schriftstellers Soma Morgenstern, der dene Zeitschriften – u.a. 1890 in Budzanów bei Tarnopol geboren die Vossische Zeitung – zu wurde und 1976 in New York verstorben schreiben. 1928 kehrte er ist. Sein autobiografischer Roman Flucht nach Wien zurück. in Frankreich bietet vielfältige Lesarten Morgenstern bemerkte an, gehört zu den facettenreichsten Roma- früh die Bedrohung durch nen des Exils und soll an dieser Stelle die Nationalsozialisten „wieder gelesen“ werden. Die Entste- und schrieb bereits 1930 hungsgeschichte des Romans wird in Mor- in der Frankfurter Zeitung gensterns Nachlass kaum dokumentiert. über einen uniformierten Er ist unmittelbar nach seiner Exilierung in Hitlerjungen: „Das große die USA entstanden und wurde erst 1998 Hakenkreuz blühte ihm posthum veröffentlicht. wie die Blume einer exoti- Morgenstern wuchs in einer frommen schen Krankheit am Arm. jüdischen Familie in Ostgalizien auf, 1912 Als sei er für die Politik nahm er das Studium der Rechtswissen- schwer geimpft worden, schaften auf, dass er 1921 mit einer Pro- ein Pockenträger des motion abschloss. Er widmete sich jedoch Hitlerheils“ (Schulte, S. nicht einer juristischen Laufbahn, sondern 368). Am 13. März 1938