Plenarprotokoll 16/124

Deutscher

Stenografischer Bericht

124. Sitzung

Berlin, Freitag, den 9. November 2007

Inhalt:

Gedenken an historische Ereignisse am 9. No- Meckel, Dr. , weiterer vember ...... 12949 A Abgeordneter und der Fraktion der SPD sowie der Abgeordneten , Hans-Joachim Otto (Frank- Tagesordnungspunkt 33: furt), Christoph Waitz, weiterer Abge- ordneter und der Fraktion der FDP: a) Unterrichtung durch die Bundesregierung: Errichtung eines Freiheits- und Ein- Jahresbericht der Bundesregierung heits-Denkmals zum Stand der deutschen Einheit 2007 (Drucksache 16/6500) ...... 12949 B – zu dem Antrag der Abgeordneten Wolfgang Börnsen (Bönstrup), b) Beschlussempfehlung und Bericht des Dr. , , Ausschusses für Verkehr, Bau und Stadt- weiterer Abgeordneter und der Frak- entwicklung tion der CDU/CSU sowie der Abge- – zu der Unterrichtung durch die Bun- ordneten Dr. h. c. , desregierung: Jahresbericht der Bun- , Dr. Gerhard Botz, desregierung zum Stand der deut- weiterer Abgeordneter und der Frak- schen Einheit 2006 tion der SPD: Errichtung eines Frei- heits- und Einheits-Denkmals – zu dem Entschließungsantrag der Ab- geordneten , Ulrich – zu dem Antrag der Abgeordneten Adam, , weiterer Abge- Dr. , Dr. Lukrezia ordneter und der Fraktion der CDU/ Jochimsen, , weiterer Abge- CSU sowie der Abgeordneten Stephan ordneter und der Fraktion DIE LINKE: Hilsberg, Andrea Wicklein, Errichtung eines Denkzeichens mit (Neuruppin), weiterer Abgeordneter Dokumentationszentrum zur Erin- und der Fraktion der SPD zu der Un- nerung an die friedliche Revolution terrichtung durch die Bundesregie- 1989 rung: Jahresbericht der Bundesre- – zu dem Antrag der Abgeordneten gierung zum Stand der deutschen Katrin Göring-Eckardt, Grietje Bettin, Einheit 2006 Ekin Deligöz, weiterer Abgeordneter (Drucksachen 16/2870, 16/3310, 16/4041) 12949 D und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Diskussionsprozess über c) Beschlussempfehlung und Bericht des ein Freiheits- und Einheitsdenkmal Ausschusses für Kultur und Medien: unter breit angelegter Beteiligung – zu dem Antrag der Abgeordneten der Öffentlichkeit initiieren Wolfgang Börnsen (Bönstrup), (Drucksachen 16/6925, 16/6776, 16/6926, Dr. Norbert Lammert, Ulrich Adam, 16/6927, 16/6974) ...... 12950 B weiterer Abgeordneter und der Frak- tion der CDU/CSU, der Abgeordneten , Bundesminister Dr.h.c.Wolfgang Thierse, Markus BMVBS ...... 12950 C II Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 124. Sitzung. , Freitag, den 9. November 2007

Joachim Günther (Plauen) (FDP) ...... 12952 B Dirk Fischer (Hamburg) (CDU/CSU) ...... 12981 D (CDU/CSU) ...... 12953 D Heidi Wright (SPD) ...... 12983 C Dr. Gesine Lötzsch (DIE LINKE) ...... 12955 C Jürgen Koppelin (FDP) ...... 12984 D Peter Hettlich (BÜNDNIS 90/ (SPD) ...... 12985 A DIE GRÜNEN) ...... 12956 D

Iris Gleicke (SPD) ...... 12959 B Zusatztagesordnungspunkt 13: Hans-Joachim Otto (Frankfurt) (FDP) ...... 12960 C Erste Beratung des von den Fraktionen der Dr. Georg Milbradt, Ministerpräsident CDU/CSU und SPD eingebrachten Entwurfs (Sachsen) ...... 12961 D eines Siebenundzwanzigsten Gesetzes zur Änderung des Abgeordnetengesetzes Dr. Lukrezia Jochimsen (DIE LINKE) ...... 12963 C (Drucksache 16/6924) ...... 12986 B Jan Mücke (FDP) ...... 12964 C Dr. Lukrezia Jochimsen (DIE LINKE) ...... 12964 D in Verbindung mit Dr. h. c. Wolfgang Thierse (SPD) ...... 12965 A Zusatztagesordnungspunkt 14: Wolfgang Börnsen (Bönstrup) (CDU/CSU) . . 12966 A Erste Beratung des von der Bundesregierung Gunter Weißgerber (SPD) ...... 12967 C eingebrachten Entwurfs eines Dritten Geset- Klaas Hübner (SPD) ...... 12968 A zes zur Änderung des Bundesministerge- setzes (Drucksache 16/5052) ...... 12986 C Zusatztagesordnungspunkt 11: (SPD) ...... 12986 C Antrag der Abgeordneten , Jörg van Essen (FDP) ...... 12988 C Dr. , , wei- terer Abgeordneter und der Fraktion BÜND- Dr. Norbert Röttgen (CDU/CSU) ...... 12989 C NIS 90/DIE GRÜNEN: Tempolimit 130 km/h Dr. (DIE LINKE) . . . . . 12990 D auf Autobahnen sofort einführen (Drucksache 16/6894) ...... 12969 D (Köln) (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) ...... 12991 D in Verbindung mit Hartmut Koschyk (CDU/CSU) ...... 12992 D

Zusatztagesordnungspunkt 12: Zusatztagesordnungspunkt 15: Antrag der Abgeordneten Dr. Dagmar a) – Zweite und dritte Beratung des von der Enkelmann, Dr. Gesine Lötzsch, Dorothée Bundesregierung eingebrachten Ent- Menzner, weiterer Abgeordneter und der wurfs eines Gesetzes zur Neurege- Fraktion DIE LINKE: Schnellstmögliche lung der Telekommunikationsüber- Einführung eines generellen Tempolimits wachung und anderer verdeckter von 130 Stundenkilometern auf Bundes- Ermittlungsmaßnahmen sowie zur autobahnen Umsetzung der Richtlinie 2006/24/EG (Drucksache 16/6932) ...... 12969 D (Drucksachen 16/5846, 16/6979) . . . . 12993 C Fritz Kuhn (BÜNDNIS 90/ – Zweite und dritte Beratung des von DIE GRÜNEN) ...... 12970 A den Abgeordneten , Hans-Christian Ströbele, Wolfgang (CDU/CSU) ...... 12971 D Wieland, weiteren Abgeordneten und Patrick Döring (FDP) ...... 12973 C der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN eingebrachten Entwurfs eines Jörg Vogelsänger (SPD) ...... 12974 B Gesetzes zur Reform der Telekom- Lutz Heilmann (DIE LINKE) ...... 12975 B munikationsüberwachung (... Gesetz zur Änderung der Strafprozessord- Dr. (CDU/CSU) ...... 12977 A nung) Dr. Anton Hofreiter (BÜNDNIS 90/ (Drucksachen 16/3827, 16/6979) . . . . 12993 D DIE GRÜNEN) ...... 12978 C b) Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses zu dem Antrag der Ab- (SPD) ...... 12979 B geordneten Jörg van Essen, Sabine (Bayreuth) (FDP) ...... 12980 D Leutheusser-Schnarrenberger, Mechthild Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 124. Sitzung. Berlin, Freitag, den 9. November 2007 III

Dyckmans, weiterer Abgeordneter und der Inge Höger (DIE LINKE) ...... 13012 A Fraktion der FDP: Reform der Telefon- Wolfgang Gunkel (SPD) ...... überwachung zügig umsetzen 13012 D (Drucksachen 16/1421, 16/6979) ...... 12993 D (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) ...... 13014 D , Bundesministerin BMJ . . . . 12994 A Jörg van Essen (FDP) ...... 12995 C Zusatztagesordnungspunkt 17: Siegfried Kauder (Villingen-Schwenningen) (CDU/CSU) ...... 12996 C a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) 12998 B eines Gesetzes zur Änderung des Unter- Siegfried Kauder (Villingen-Schwenningen) haltsrechts (CDU/CSU) ...... 12999 A (Drucksachen 16/1830, 16/6980) ...... 13016 B (DIE LINKE) ...... 12999 A b) Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses zu dem Antrag der Ab- Jerzy Montag (BÜNDNIS 90/ geordneten Sabine Leutheusser- DIE GRÜNEN) ...... 13000 B Schnarrenberger, , , weiterer Abgeordneter und Siegfried Kauder (Villingen-Schwenningen) der Fraktion der FDP: Unterhaltsrecht (CDU/CSU) ...... 13001 C ohne weiteres Zögern sozial und verant- Jerzy Montag (BÜNDNIS 90/ wortungsbewusst den gesellschaftli- DIE GRÜNEN) ...... 13001 D chen Rahmenbedingungen anpassen (Drucksachen 16/891, 16/6980) ...... 13016 B (SPD) ...... 13002 B

Hans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/ in Verbindung mit DIE GRÜNEN) ...... 13002 D Gert Winkelmeier (fraktionslos) ...... 13003 D Zusatztagesordnungspunkt 18: Joachim Stünker (SPD) ...... 13004 B – Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs Namentliche Abstimmung ...... 13006 A eines Ersten Gesetzes zur Änderung des Unterhaltsvorschussgesetzes Ergebnis ...... 13009 D (Drucksachen 16/1829, 16/5444) ...... 13016 C – Bericht des Haushaltsausschusses gemäß § 96 der Geschäftsordnung Tagesordnungspunkt 37: (Drucksache 16/5446) ...... 13016 C Antrag der Abgeordneten Birgit Homburger, Brigitte Zypries, Bundesministerin BMJ . . . . 13016 D Dr. , , weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP: Aus- Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) 13018 A bildung der Polizeikräfte in (CDU/CSU) ...... 13019 A forcieren (Drucksache 16/3648) ...... 13006 B Jörn Wunderlich (DIE LINKE) ...... 13021 A Irmingard Schewe-Gerigk (BÜNDNIS 90/ in Verbindung mit DIE GRÜNEN) ...... 13022 B (SPD) ...... 13023 C

Zusatztagesordnungspunkt 16: Dr. Jürgen Gehb (CDU/CSU) ...... 13025 A Antrag der Abgeordneten Winfried Nachtwei, (CDU/CSU) ...... 13025 B Jürgen Trittin, , wei- terer Abgeordneter und der Fraktion BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN: Ohne Polizei und Tagesordnungspunkt 41: Justiz keine Sicherheit – Polizei- und a) Antrag der Abgeordneten Dr. Lothar Justizaufbau in Afghanistan drastisch be- Bisky, Dr. Lukrezia Jochimsen, Dr. schleunigen , weiterer Abgeordneter und (Drucksache 16/6931) ...... 13006 C der Fraktion DIE LINKE: Anpassung der Gisela Piltz (FDP) ...... 13006 D Sozialgesetzgebung für Kultur-, Me- dien- und Filmschaffende Ralf Göbel (CDU/CSU) ...... 13007 D (Drucksache 16/6080) ...... 13027 A IV Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 124. Sitzung. Berlin, Freitag, den 9. November 2007 b) Antrag der Abgeordneten Brigitte der Richtlinie 2006/24/EG (Zusatztagesord- Pothmer, Katrin Göring-Eckardt, Kerstin nungspunkt 15 a) ...... 13031 D Andreae, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Neue Sicherheit für flexible Arbeitsver- Anlage 5 hältnisse (Drucksache 16/6436) ...... 13027 A Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Dr. und Dr. Hans Georg Faust (beide CDU/CSU) zur Abstimmung Nächste Sitzung ...... 13027 C über den Entwurf eines Gesetzes zur Neure- gelung der Telekommunikationsüberwa- chung und anderer verdeckter Ermittlungs- Anlage 1 maßnahmen sowie zur Umsetzung der Richtlinie 2006/24/EG (Zusatztagesordnungs- Liste der entschuldigten Abgeordneten . . . . . 13029 A punkt 15 a) ...... 13032 D

Anlage 2 Anlage 6 Erklärung des Abgeordneten Volker Schneider (Saarbrücken) (DIE LINKE) zur Abstimmung Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten über den Entwurf eines Gesetzes zur Reform Helga Kühn-Mengel, Dr. Reinhold Hemker, der Telekommunikationsüberwachung (... Ge- , , René setz zur Änderung der Strafprozessordnung) Röspel und Jella Teuchner (alle SPD) zur Ab- (Zusatztagesordnungspunkt 15 a) ...... 13029 D stimmung über den Entwurf eines Gesetzes zur Neuregelung der Telekommunikations- überwachung und anderer verdeckter Ermitt- lungsmaßnahmen sowie zur Umsetzung der Anlage 3 Richtlinie 2006/24/EG (Zusatztagesordnungs- Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten punkt 15 a) ...... 13033 A Gunter Weißgerber und Rainer Fornahl (beide SPD) zur Abstimmung über die Beschluss- empfehlung zu den Anträgen: Anlage 7 – Errichtung eines Freiheits- und Ein- Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten heits-Denkmals Dr. Eva Möllring, und – Errichtung eines Denkzeichens mit Manfred Kolbe (alle CDU/CSU) zur Abstim- Dokumentationszentrum zur Erinne- mung über den Entwurf eines Gesetzes zur rung an die friedliche Revolution 1989 Änderung des Unterhaltsrechts (Zusatztages- ordnungspunkt 17 a) ...... 13033 B – Diskussionsprozess über ein Freiheits- und Einheitsdenkmal unter breit ange- legter Beteiligung der Öffentlichkeit Anlage 8 initiieren Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten (Tagesordnungspunkt 33 c) ...... 13029 D Maria Eichhorn und Thomas Bareiß (beide CDU/CSU) zur Abstimmung über den Ent- wurf eines Gesetzes zur Änderung des Unter- Anlage 4 haltsrechts (Zusatztagesordnungspunkt 17 a) 13033 D Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Christoph Strässer, , Dr. , (), Marco Anlage 9 Bülow, Siegmund Ehrmann, Gabriele Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Frechen, , Renate Gradistanac, Dr. (CDU/CSU) zur Ab- Angelika Graf (Rosenheim), Gabriele stimmung über den Entwurf eines Gesetzes Groneberg, Gabriele Hiller-Ohm, Christel zur Änderung des Unterhaltsrechts (Zusatz- Humme, , , tagesordnungspunkt 17 a) ...... 13034 B Ernst Kranz, Jürgen Kucharczyk, , Dr. , Dr. Rolf Mützenich. , Dr. , Anlage 10 Bernd Scheelen, , Wolfgang Spanier und Dr. Ditmar Staffelt (alle SPD) zur Erklärung nach § 31 GO des Abgeordneten Abstimmung über den Entwurf eines Geset- (CDU/CSU) zur Abstimmung zes zur Neuregelung der Telekommunika- über den Entwurf eines Gesetzes zur Ände- tionsüberwachung und anderer verdeckter Er- rung des Unterhaltsrechts (Zusatztagesord- mittlungsmaßnahmen sowie zur Umsetzung nungspunkt 17 a) ...... 13034 D Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 124. Sitzung. Berlin, Freitag, den 9. November 2007 V

Anlage 11 Anlage 13 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Neuabdruck eines Redebeitrags zur Beratung Annette Widmann-Mauz (CDU/CSU) zur Ab- der Beschlussempfehlung und des Berichts: stimmung über den Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Unterhaltsrechts (Zusatz- – zu der Verordnung der Bundesregie- tagesordnungspunkt 17 a) ...... 13035 B rung: Fünfte Verordnung zur Ände- rung der Verpackungsverordnung

Anlage 12 – zu dem Antrag: Verpackungsverord- nung sachgerecht novellieren – Wei- Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung chen stellen für eine moderne Abfall- der Anträge: und Verpackungswirtschaft in – Anpassung der Sozialgesetzgebung für Deutschland Kultur-, Medien- und Filmschaffende – zu dem Antrag: Weg vom Öl im – Neue Sicherheit für flexible Arbeits- Kunststoffbereich – Chance der No- verhältnisse velle der Verpackungsverordnung nut- zen und mit Biokunststoffen echte (Tagesordnungspunkt 41 a und b) ...... 13035 D Kreisläufe schließen Gerald Weiß (Groß-Gerau) (CDU/CSU) . . . . 13035 D (123. Sitzung, Tagesordnungspunkt 26) . . . . 13040 B Angelika Krüger-Leißner (SPD) ...... 13037 B Michael Brand (CDU/CSU) ...... 13040 C Heinz-Peter Haustein (FDP) ...... 13038 C Dr. Lothar Bisky (DIE LINKE) ...... 13039 A Anlage 14 Brigitte Pothmer (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) ...... 13039 D Amtliche Mitteilungen ...... 13042 A

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 124. Sitzung. Berlin, Freitag, den 9. November 2007 12949

(A) (C) Redetext

124. Sitzung

Berlin, Freitag, den 9. November 2007

Beginn: 9.00 Uhr

Präsident Dr. Norbert Lammert: Überweisungsvorschlag: Die Sitzung ist eröffnet. Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung (f) Sportausschuss Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich begrüße Sie Rechtsausschuss Finanzausschuss herzlich und wünsche uns allen einen guten Morgen und Ausschuss für Wirtschaft und Technologie gute Beratungen. Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz Heute ist der 9. November, der Tag im Jahresablauf, Ausschuss für Arbeit und Soziales der wie kein zweiter herausragende Ereignisse, Höhe- Verteidigungsausschuss punkte und Tiefpunkte der deutschen Geschichte mar- Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend kiert, von der Ausrufung der Republik 1918 über die Ausschuss für Gesundheit Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit staatlich organisierten Judenpogrome 1938 bis zum Fall Ausschuss für Bildung, Forschung und der Mauer 1989. Fast auf den Tag genau vor 200 Jahren Technikfolgenabschätzung wurde Robert Blum geboren, deutscher Revolutionär, Ausschuss für Tourismus (B) (D) Kämpfer für Einheit und Freiheit, Mitglied der Frankfur- Ausschuss für Kultur und Medien ter Nationalversammlung. Robert Blum reiste zusam- Haushaltsausschuss men mit zwei weiteren Abgeordneten im Oktober 1848 b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be- nach Wien, wo nach der Wiener Märzrevolution Frei- richts des Ausschusses für Verkehr, Bau und heitsbewegungen der nichtdeutschsprachigen Nationen Stadtentwicklung (15. Ausschuss) ausgebrochen waren, zur Unterstützung der dortigen Aufständischen. Nach einigen öffentlichen Auftritten – zu der Unterrichtung durch die Bundesregie- und Reden wurde er am 4. November verhaftet. Unmit- rung telbar nach seiner Verhaftung schrieb er seiner Frau: Jahresbericht der Bundesregierung zum Stand Ich werde unfreiwillig hier zurückgehalten. Denke der deutschen Einheit 2006 dir indes nichts Schreckliches, wir werden sehr gut behandelt. Allein die große Menge der Verhafteten – zu dem Entschließungsantrag der Abgeordne- kann die Entscheidung wohl etwas hinausschieben. ten Arnold Vaatz, Ulrich Adam, Peter Albach, Am 9. November 1848 wurde er standrechtlich erschos- weiterer Abgeordneter und der Fraktion der sen. Einen Tag später wäre er 41 Jahre alt geworden. CDU/CSU sowie der Abgeordneten Stephan Hilsberg, Andrea Wicklein, Ernst Bahr (Neu- Die Geschichte der Bemühungen der Deutschen um ruppin), weiterer Abgeordneter und der Frak- die Verbindung von Einheit und Freiheit ist lang und tion der SPD zu der Unterrichtung durch die schwierig. Sie ist von vielen tragischen Ereignissen be- Bundesregierung gleitet, bevor sie 1989/90 ihren glücklichen Abschluss gefunden hat. Jahresbericht der Bundesregierung zum Stand der deutschen Einheit 2006 Ich rufe nun die Tagesordnungspunkte 33 a bis 33 c auf: – Drucksachen 16/2870, 16/3310, 16/4041 – a) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesre- Berichterstattung: gierung Abgeordneter Jahresbericht der Bundesregierung zum Stand c) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be- der deutschen Einheit 2007 richts des Ausschusses für Kultur und Medien – Drucksache 16/6500 – (22. Ausschuss) 12950 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 124. Sitzung. Berlin, Freitag, den 9. November 2007

Präsident Dr. Norbert Lammert (A) – zu dem Antrag der Abgeordneten Wolfgang Zu den Anträgen auf den Drucksachen 16/6776 und (C) Börnsen (Bönstrup), Dr. Norbert Lammert, 16/6925 zur Errichtung eines Freiheits- und Einheits- Ulrich Adam, weiterer Abgeordneter und der denkmals liegt ein Änderungsantrag von einer Gruppe Fraktion der CDU/CSU, der Abgeordneten von Abgeordneten vor. Dr. h. c. Wolfgang Thierse, Markus Meckel, Dr. Gerhard Botz, weiterer Abgeordneter und Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache eineinhalb Stunden vorgesehen. – Hierzu der Fraktion der SPD sowie der Abgeordneten höre ich keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlos- Cornelia Pieper, Hans-Joachim Otto (Frank- furt), Christoph Waitz, weiterer Abgeordneter sen. und der Fraktion der FDP Ich eröffne die Aussprache. Das Wort erhält als Erster Errichtung eines Freiheits- und Einheits- der Bundesminister für Verkehr, Bau und Stadtentwick- Denkmals lung, Wolfgang Tiefensee. – zu dem Antrag der Abgeordneten Wolfgang (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Börnsen (Bönstrup), Dr. Norbert Lammert, der CDU/CSU) Ulrich Adam, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordne- Wolfgang Tiefensee, Bundesminister für Verkehr, ten Dr. h. c. Wolfgang Thierse, Markus Meckel, Bau und Stadtentwicklung: Dr. Gerhard Botz, weiterer Abgeordneter und Sehr verehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten der Fraktion der SPD Damen und Herren! Liebe Gäste! Ich bin sehr dankbar, dass wir den Bericht zur deutschen Einheit heute, am Errichtung eines Freiheits- und Einheits- 9. November, beraten. Wenn ich auf die Tribüne schaue, Denkmals wo ich eine Vielzahl von jungen Leuten sehe, dann führe – zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Lothar ich mir vor Augen, dass gerade Sie, die Sie vielleicht 18, Bisky, Dr. Lukrezia Jochimsen, Petra Pau, wei- 19 Jahre alt sind, die Ereignisse um Ihre Geburt herum terer Abgeordneter und der Fraktion DIE nur vom Hörensagen kennen. LINKE Der 9. November 1989 ist eine Zäsur in der deutschen Errichtung eines Denkzeichens mit Doku- Geschichte, eine Zäsur nicht nur für Deutschland, son- mentationszentrum zur Erinnerung an die dern auch für Europa und die ganze Welt. Für mich als friedliche Revolution 1989 jemanden, der in den neuen Bundesländern groß gewor- den ist, ist mit dem Fall der Mauer am 9. Novem- – zu dem Antrag der Abgeordneten Katrin (B) ber 1989 in vielerlei Hinsicht ein Tor aufgegangen. Das, (D) Göring-Eckardt, Grietje Bettin, Ekin Deligöz, was wir über Jahre und Jahrzehnte ersehnt haben, ist weiterer Abgeordneter und der Fraktion Wirklichkeit geworden: endlich Demokratie, Freiheit BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der Weg hin zur Einheit. Diskussionsprozess über ein Freiheits- und (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU, der FDP Einheitsdenkmal unter breit angelegter Be- und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) teiligung der Öffentlichkeit initiieren Dieser Tag ist nicht vom Himmel gefallen, auch wenn – Drucksachen 16/6925, 16/6776, 16/6926, es wie ein Wunder scheint. Er hatte Vorläufer. Deshalb 16/6927, 16/6974 – halte ich es für ausgesprochen sinnvoll, heute auch über Berichterstattung: ein Denkmal für die Freiheit und Einheit zu diskutieren. Abgeordnete Wolfgang Börnsen (Bönstrup) Wir müssen an diesen Tag erinnern und uns dennoch vor Dr. h. c. Wolfgang Thierse Augen führen, dass wir eine Bringschuld gegenüber un- Hans-Joachim Otto (Frankfurt) seren polnischen Nachbarn – Stichwort Gdańsk – und Dr. Lukrezia Jochimsen unseren tschechischen Nachbarn – Charta 77 – haben. Katrin Göring-Eckardt Sie und Perestroika, Glasnost und der zerschnittene Sta- cheldrahtzaun in Ungarn gemahnen uns: Es gibt Men- Der Ausschuss für Kultur und Medien hat in seine schen, die mit ihrem Blut diesen 9. November 1989 Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/6974 die An- möglich gemacht haben. Wir sollten an sie erinnern, träge der Fraktionen der CDU/CSU und der SPD sowie wenn wir über ein Denkmal, über Denkmäler sprechen. der Fraktionen Die Linke und Bündnis 90/Die Grünen Ohne diese Menschen gäbe es keine deutsche, keine eu- betreffend die Errichtung eines Freiheits- und Einheits- ropäische Einheit. denkmals auf den Drucksachen 16/6925, 16/6926 und 16/6927 einbezogen. Über diese Vorlagen soll jetzt (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU, der FDP ebenfalls abschließend beraten werden. – Ich stelle fest, und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie dass dazu Einverständnis besteht. Dann ist das so be- bei Abgeordneten der LINKEN) schlossen. In diese Zeit fällt ein wunderbares Wort von Willy Zum Jahresbericht der Bundesregierung zum Stand Brandt: Jetzt wächst zusammen, was zusammengehört. – der deutschen Einheit 2007 liegt ein Entschließungsan- Wir legen Ihnen einen Bericht vor, der von diesem Zu- trag der Fraktionen der CDU/CSU und der SPD sowie sammenwachsen spricht. Dieser Bericht hat aber auch ein Entschließungsantrag der Fraktion der FDP vor. eine Problematik. Er beschreibt nämlich vorwiegend die Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 124. Sitzung. Berlin, Freitag, den 9. November 2007 12951

Bundesminister Wolfgang Tiefensee (A) Differenzen. Er setzt die wirtschaftliche Entwicklung, zwei Jahre arbeitslos sind und beheimatet sind in Regio- (C) die soziale Entwicklung, die Entwicklung auf dem Ar- nen, die eine Arbeitslosigkeit von über 15 Prozent aus- beitsmarkt in den neuen Bundesländern immer in Rela- weisen. Das Neue ist, dass das auch Gebiete in den alten tion zu der in den alten Bundesländern. So kann es leicht Bundesländern treffen wird, weil auch sie von dieser passieren, dass wir die Diskussion nur über die Unter- Problematik betroffen sind. schiede führen. Deshalb wünschte ich, dass dieser Be- richt mit seiner realistischen Sicht auf das, was sich in Wir müssen mehr für Forschung und Entwicklung den neuen Bundesländern in den letzten Monaten und tun. Wir tun das, indem wir mit Innovationswettbewer- Jahren verändert hat, die Tür für eine weitere Herange- ben wie „Wirtschaft trifft Wissenschaft“ die Verbindung hensweise öffnet, die ich mit „Zusammen wachsen“ be- von Industrie und Wissenschaft, Forschungseinrichtun- zeichnen möchte; denn nicht nur zusammenzuwachsen gen und Forschungsinstitutionen verbessern. im Willy-Brandt’schen Sinne ist wichtig, sondern auch, Wir müssen auch bei der demografischen Entwick- dass Deutschland in Ost und West gleichermaßen die lung ansetzen. Noch immer wandern viel zu viele krea- Herausforderungen annimmt und dass die neuen Bun- tive Menschen aus. Sie gehen in die alten Bundesländer desländer ihren Beitrag dazu leisten. Wir sollten also die oder in die Wachstumszentren der neuen Bundesländer, produktive Spannung von Differenzen, die darin besteht, und die ländlichen Räume bluten aus. Am Stettiner Haff dass wir in den neuen Bundesländern anderes als die al- und um den Kyffhäuser herum erproben wir mit Modell- ten Bundesländer einbringen können, um Deutschland projekten, wie der ländliche Raum Attraktivität und da- und Europa insgesamt voranzubringen, in der Zukunft mit Bindewirkung entfalten kann, damit junge, kreative mehr in den Blick nehmen. Leute, damit Frauen und Männer diese Orte nicht verlas- Es gibt äußerst positive Entwicklungen in den neuen sen, sondern bleiben bzw. hinziehen. Das ist eine gigan- Bundesländern. Sie sind markiert durch die hervorra- tische Zukunftsaufgabe, der wir uns stellen. Wir sind auf gende industrielle Entwicklung, die ein deutliches Mehr gutem Wege. Wir brauchen alle Instrumentarien, um den in Relation zu den anderen Bundesländern aufweist. Aufschwung Ost zu beschleunigen. 10 Prozent, 11 Prozent Wachstum zeigen, dass wir auf- Hierzu dient die Betrachtung der Geschichte. Demo- holen. Die schlechte Nachricht: von einem vergleichs- kratie, demokratische Entwicklung, der Aufbau der weise niedrigen Niveau aus. Der Arbeitsmarkt belebt neuen Länder zusammen mit den Bürgerinnen und Bür- sich. Die Zahl der Kurzzeitarbeitslosen wird in den gern, das ist die Essenz, aus der ein weiterer Auf- neuen Bundesländern in gleichem Maße wie in den alten schwung entstehen kann. Ich sage noch einmal: Lassen reduziert. Die schlechte Nachricht: Das Niveau ist nach Sie uns in Berlin an die Zeit des 9. November 1989 erin- wie vor hoch, zu hoch, immer noch doppelt so hoch wie nern, und zwar nicht nur als Rückbezug auf die Ge- (B) in den alten Bundesländern. Die Langzeitarbeitslosigkeit schichte davor und um dieses Datum herum, sondern (D) verfestigt sich auf hohem Niveau. Wir haben eine gestei- auch, um über Demokratie, Aufbruch zur Demokratie gerte Exportquote zu verzeichnen. Das Bruttoinlands- und Stabilität der Demokratie zu reden. produkt steigt. Das ist gut. Die schlechte Nachricht: Es beträgt im Vergleich zu den alten Bundesländern nur Wir haben das Problem des aufkeimenden Rechts- 67,5 Prozent. Dieses Sowohl-als-auch, dieses Viel-er- extremismus. Wir haben das Problem, dass Straftaten reicht-viel-zu-tun, markiert diesen Bericht zum Stand mit rechtsradikalem Hintergrund in Deutschland zuneh- der deutschen Einheit. men, besonders in den neuen Bundesländern. Wir müs- sen auch im Hinblick auf das Datum 9. November Was müssen wir tun? Wir müssen bei der wirtschaft- – 9. November 1989, aber auch 9. November 1938 – lichen Entwicklung ansetzen. Deshalb muss alles über diese Fragen diskutieren. unterstützt werden, was in Richtung Stärkung der Ge- meinschaftsaufgabe, Förderung der industriellen Dienst- Entscheidend war nicht zuletzt der 9. Oktober 1989 in leistungen und des Beherbergungsgewerbes geht. Wir meiner Heimatstadt . brauchen eine Aufstockung in diesem Bereich. Ich (Beifall bei Abgeordneten der SPD, der CDU/ denke dabei auch an die Investitionszulage. Wir müssen CSU und der FDP) die Zahlung der Investitionszulage über das Jahr 2009 hinaus fortsetzen, damit sowohl in den kleinen und gro- Diejenigen, die die friedliche Revolution miterlebt ha- ßen Wachstumszentren als auch auf dem flachen Lande, ben, wissen, dass es ohne Leipzig einen solchen 9. No- also in den ländlichen Räumen, gefördert werden kann. vember nicht gegeben hätte. Auch hier gilt es, in der Öffentlichkeit ein markantes, signifikantes Zeichen zu (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der setzen, damit wir uns daran auch in Zukunft erinnern. CDU/CSU) (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Wir müssen etwas tun, um denjenigen eine Perspek- der CDU/CSU und der FDP) tive zu geben, die langzeitarbeitslos sind. Die Langzeit- arbeitslosigkeit ist die Geißel in den neuen Bundeslän- Wenn es darüber hinaus gelingt, an bestimmten Orten dern. Mein Kollege Franz Müntefering und ich haben Zeichen zu setzen, wie es schon heute beispielsweise in deshalb das Modell „Kommunal-Kombi“ ausgearbeitet; Magdeburg geschieht, damit Eltern eine Anlaufstelle ha- gestern haben wir darüber mit den Ländervertretern noch ben, um ihren Kindern zu sagen: „Ich war damals dabei; einmal diskutiert. Wir wollen sozialversicherungspflich- ich habe mit dafür gesorgt, dass du frei reden und reisen tige Arbeitsplätze für diejenigen schaffen, die länger als kannst, dass du dich organisieren kannst, dass du in 12952 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 124. Sitzung. Berlin, Freitag, den 9. November 2007

Bundesminister Wolfgang Tiefensee (A) Demokratie und Freiheit lebst“, dann wären das Erin- solches fordern wir schon seit Jahren im Zusammenhang (C) nern und der Aufbruch komplett. mit diesem Bericht. hat gesagt: (Beifall bei der FDP) Wir wollen ein Volk der guten Nachbarn sein, im Es kommt jetzt darauf an, die Konsequenzen aus die- Inneren und nach außen. sem Bericht und denen der Vorjahre schneller als in der Vergangenheit aufzunehmen und sie in die Realität um- Lassen Sie uns den Bericht zum Stand der deutschen zusetzen. Deshalb möchte ich einige Fakten aus dem Be- Einheit und den 9. November 1989 dazu nutzen, unsere richt darlegen und versuchen, ein paar Lösungswege Kraft für ein Zusammenwachsen in Deutschland einzu- aufzuzeigen. setzen und dafür, dass Freiheit und Demokratie nicht nur hier, sondern auch andernorts zum Durchbruch kommen. Fakt ist zwar, dass die Arbeitslosigkeit im Osten unseres Landes, wie Sie, Herr Minister, gesagt haben, Vielen Dank. zurückgegangen ist. Aber sie ist nach wie vor doppelt (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und der so hoch wie in den alten Bundesländern. Fakt ist auch, FDP) dass die überwiegende Zahl der Geringverdiener und ALG-II-Empfänger im Osten Deutschlands wohnt.

Präsident Dr. Norbert Lammert: Ich möchte deshalb die wirtschaftliche Lage etwas Liebe Kolleginnen und Kollegen, auf der Besuchertri- detaillierter betrachten. Das Bruttoinlandsprodukt – so büne hat Lothar de Maizière, der erste und letzte frei steht es in Ihrem Bericht – stieg im Osten real mit gewählte Ministerpräsident der DDR, Platz genommen. 3 Prozent leicht stärker als im Westen mit 2,7 Prozent. Lieber Herr de Maizière, ich begrüße sie ganz herzlich Damit sind wir beim Pferdefuß der Entwicklung. Die heute im Deutschen Bundestag. Wirtschaftskraft je Einwohner beträgt in den neuen Bun- desländern nach wie vor zwei Drittel der Wirtschafts- (Beifall) kraft in den alten Bundesländern. Wenn wir die Anglei- chung von Ost und West weiter in solchen Schritten Ich verbinde meinen und unseren Gruß ausdrücklich mit betreiben, werden wir noch in Jahrzehnten über die An- unserem großen Respekt, den ich Ihnen stellvertretend gleichung reden. Deshalb muss uns hier etwas Neues für viele Frauen und Männer diesseits und jenseits politi- einfallen. scher Ämter für den herausragenden Beitrag zum Aus- druck bringen möchte, den Sie zur Vollendung der Ein- (Beifall bei der FDP) heit in Freiheit und Frieden geleistet haben. Weniger produktive Arbeitsplätze und geringere Be- (B) (D) (Beifall) zahlung bedeuten mehr Abwanderung im Osten Deutschlands; das ist ein Kreislauf, infolgedessen in ei- Mein herzlicher Gruß gilt auch Bischof Huber, dem nigen Jahren junge und qualifizierte Arbeitskräfte fehlen ich zugleich für seinen geistigen und geistlichen Einstieg werden. Dies hat die Bundesregierung in ihrem Bericht in den heutigen Tag bei der ökumenischen Morgenbesin- richtig aufgezeigt. Dort heißt es: nung herzlich danken möchte. Die Bevölkerungszahl in den neuen Ländern geht (Beifall) kontinuierlich zurück. Wir setzen die Aussprache fort. Der nächste Redner Das stimmt, und das wird in einigen Gebieten auch nicht ist der Kollege Joachim Günther für die FDP-Fraktion. zu verhindern sein. Ich zumindest bin aber nicht bereit, das Ganze einfach hinzunehmen oder als unabwendbar (Beifall bei der FDP) zu bezeichnen.

Joachim Günther (Plauen) (FDP): (Beifall bei der FDP) Sehr geehrter Herr Präsident! Meine lieben Kollegin- Diskussionen, wie sie jetzt in begonnen ha- nen und Kollegen! Ich finde es gut, dass Sie, Herr ben, darüber, ganze Randgebiete der Entvölkerung zu Präsident und Herr Minister, den 9. November bereits überlassen, können nicht das Ziel sein, wenn man eine gewürdigt haben. Ich möchte mich dem voll und ganz liebenswerte Heimat erhalten will. anschließen. Ich finde es sehr gut, dass wir die Debatte zur deutschen Einheit an diesem Tag zu einer Stunde (Beifall bei der FDP) durchführen, in der eine breite Öffentlichkeit sie mitbe- Deshalb müssen wir ständig versuchen, die Rahmenbe- kommt. dingungen, die wir – das betone ich – selbst beeinflussen können, zum Positiven zu wenden. Heute vor 18 Jahren ist die Mauer gefallen. Das ist ein Thema, das uns 18 Jahre danach weiter beschäftigt Wir als FDP haben dafür in den vergangenen Jahren und, wenn wir diesen Bericht genau betrachten, sicher- konkrete Vorschläge unterbreitet; sie liegen auch jetzt lich auch in 18 Jahren noch beschäftigen wird. Sie, Herr wieder vor. Ich möchte nur zwei davon ganz kurz strei- Minister, haben uns einen Bericht vorgelegt, der – das fen: Wie lange wurde in allen Parteien über die Schaf- sage ich bewusst – strukturierter und aussagekräftiger ist fung von Modellregionen gesprochen und gerichtet? als die Berichte der Vorjahre. Aber auch dieser Bericht Nichts ist auf den Weg gekommen. Die Infrastrukturpro- enthält kein Gesamtkonzept zur Entwicklung Ost; ein jekte „Deutsche Einheit“ müssen konsequent zu Ende Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 124. Sitzung. Berlin, Freitag, den 9. November 2007 12953

Joachim Günther (Plauen) (A) geführt werden, ohne Zeitverzögerungen in einigen Be- Ich möchte noch einen Punkt ansprechen, den ich als (C) reichen. gefährlich betrachte und der für unser Land kompliziert werden kann. Neben Universitäten und industriellen Ich bitte die Bundesregierung, die Fördermittel für die Schwerpunkten dürfen wir den ländlichen Raum nicht EU-Osterweiterung aus den Strukturfonds wirklich für außer Acht lassen. Als ein Beispiel möchte ich hier das den grenzüberschreitenden und transeuropäischen Aus- Erzgebirge nennen, eine Region, wo es im Moment noch bau der Verkehrsnetze einzusetzen. Dies wird immer Löhne gibt, die irgendwo bei 3,40 Euro beginnen. Das dringender. Vor uns steht der 21. Dezember 2007: Die ist zu gering für das tägliche Leben. Aber ich bitte Sie, Grenzkontrollen zu Tschechien entfallen. Das Schengen- noch weiter zu denken. Wenn diejenigen, die solche Abkommen tritt dort in Kraft. Die Situation wird dem zu Löhne erhalten, in 10 bis 15 Jahren in das Rentenalter erwartenden Verkehr nicht gerecht. Da müssen wir Ab- kommen, dann wird die Durchschnittsrente so drastisch hilfe schaffen. sinken, dass wieder andere Mittel aus dem Sozialbereich (Beifall bei der FDP) eingesetzt werden müssen. Es besteht die Gefahr, dass wir in einigen Gebieten in Deutschland eine Art Armen- Nehmen wir das Beispiel „Bildung und Hochschul- haus bekommen. Da müssen wir gegensteuern. standorte“, also die Voraussetzung, dass die Jugend im Lande bleibt und sich weitere Industrie ansiedelt. Sie als Auch hierzu gibt es ein Konzept von uns. Ich weiß, Bundesregierung schreiben in Ihrem Bericht, dass ost- dass es darüber viele Diskussionen gibt. Das Bürger- deutsche Universitäten vor einer besonderen Heraus- geld für Geringverdienende einzuführen, um ein men- forderung stehen und bis 2020 einen Minderbedarf von schenwürdiges Leben zu ermöglichen, fände ich wich- 150 000 Studienplätzen haben. Wer diese Zahl theore- tig; das wäre eine tolle Sache. tisch hochrechnet, der kommt zu dem Schluss: Diese (Beifall bei der FDP) Universität wird geschlossen, und diese Universität wird geschlossen. – Das ist meines Erachtens nicht hinnehm- Sie sehen, meine Damen und Herren: Es gibt in unse- bar. rem Vaterland auch 18 Jahre nach dem Mauerfall noch viel zu tun. Wer mich vor 17 Jahren, als wir über die Ich freue mich besonders, dass Sie in Ihrem Bericht Einheit gesprochen haben, gefragt hat: „Wie lange wird mitteilen, dass der Bund finanzielle Mittel zur gezielten dieser Angleichungsprozess denn dauern?“, dem habe Anwerbung westdeutscher Studenten und zum Aufbau ich damals gesagt: Ich schätze, fünf bis zehn Jahre. – der Universitäten zur Verfügung stellt. Das ist gut, aber Heute weiß ich: Das war deutlich zu kurz gesprungen. es muss sofort erfolgen. Die Universitäten im Osten Heute weiß ich, dass wir noch mehr dafür tun müssen müssen die Voraussetzungen erhalten, sich selbstständig und unsere Anstrengungen verdoppeln müssen, damit es (B) zu Eliteuniversitäten zu entwickeln. Wir haben den nicht zu großen Unterschieden und sozialen Spannungen (D) Traum – mit Blick in Richtung Osteuropa –, auch Stu- kommt. denten aus dem Ausland in diese Regionen zu bekom- men, wenn wir im Osten solche Eliteuniversitäten haben. Wir sind dazu bereit. Wir arbeiten an diesem Projekt Das wäre ein Aufschwung, und das wäre eine Verfesti- konkret mit. Die Vorschläge der FDP liegen vor. Ich gung der Universitätslandschaft. wäre Ihnen dankbar, wenn wir uns miteinander offensiv damit befassen könnten, um das Ziel zu erreichen, dass (Beifall bei der FDP) sich der Osten Deutschlands in einigen Jahren sozusagen Wenn wir von Forschung sprechen, dann möchte ich als angeglichene Gesellschaft innerhalb unseres Vater- nur erwähnen: Seit Jahren reden wir über die Ansiedlung landes versteht. einer Großforschungsanlage im Osten Deutschlands. Herzlichen Dank. ( [FDP]: Das steht im Koalitions- (Beifall bei der FDP sowie des Abg. Markus vertrag!) Meckel [SPD]) Wir haben noch keine, die diesen Namen wirklich ver- dient. Deswegen gilt es, auch auf diesem Gebiet weiter Präsident Dr. Norbert Lammert: voranzukommen. Für die CDU/CSU-Fraktion erhält nun der Kollege Volker Kauder das Wort. (Beifall bei der FDP sowie des Abg. Markus Meckel [SPD]) (Beifall bei der CDU/CSU) Neben den Universitäten gäbe es noch viele andere Volker Kauder (CDU/CSU): Punkte zu erwähnen. Herr Minister, wenn meine Zeit et- was länger wäre, würde ich die Stadtumbaupro- Herr Präsident! Sehr verehrte Kolleginnen und Kolle- gramme besonders loben; denn sie sind ein sehr positi- gen! Der 9. November hat für uns Deutsche zwei Ge- ves Beispiel dafür, wie es in diese Richtung weitergeht. sichter. Da ist der 9. November, die Pogromnacht, in der Sie greifen inzwischen in Ost und West. Sie sind das die Juden in unserem Land körperlich verfolgt und er- Fundament dafür, dass wir in der Stadtentwicklung vo- mordet wurden, in der Synagogen angezündet, Ge- rankommen. schäfte geplündert wurden und in der es keine Proteste auf den Straßen in Berlin und in unserem Land gab. Es (Beifall bei der FDP sowie der Abg. Iris wurde weggeschaut. Dieser Tag ist für uns ein Tag, der Gleicke [SPD]) uns beschämt, ein Tag, an dem der Naziterror so richtig 12954 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 124. Sitzung. Berlin, Freitag, den 9. November 2007

Volker Kauder (A) begonnen hat, der unser Land weit zurückgeworfen hat. Interview im Morgenmagazin des WDR und in einem (C) Die moralischen Grundlagen sind zerstört worden. Interview in einer großen Tageszeitung auf die Frage, wie es nun weitergehen soll, gesagt hat: Soll etwa jeder, Dann, 50 Jahre später: Die Deutschen im Osten ste- der deutscher Abstammung ist, jetzt auf einmal Rente hen auf. Tausende versammeln sich vor den Grenzaus- beziehen? gangsstellen und rufen: Wir wollen raus. Sie protestieren mutig, obwohl sie die Kenntnis vom 17. Juni 1953 hat- Soll jetzt jeder, der deutscher Abstammung ist, auf ten. Diese Menschen gehen auf die Mauer, stürmen die einmal unser Kindergeld bekommen? – Da kann ich nur Mauer. Deswegen dürfen sie heute mit Stolz auf das sagen: Wer den Deutschen im Osten die Sozialleistungen schauen, was damals gemacht wurde und was heute nicht gegönnt hat, braucht sich heute nicht als jemand 18 Jahre alt wird: die deutsche Einheit. aufzuspielen, der die Interessen der Menschen im Osten wahrnimmt. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜND- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie NISSES 90/DIE GRÜNEN) bei Abgeordneten der SPD Mit der deutschen Einheit hat etwas ganz Neues be- Lesen Sie die Interviews von ! Dann gonnen. Aber vor allem hat für viele Menschen ein wird für Sie von den Linken der 9. November 1989 zu neues Leben, für viele hat eigentlich erst ihr Leben be- einem noch größeren Tag der Schande, als er ohnehin für gonnen: Sie waren befreit aus den Gefängnissen von Sie und Ihre Vorgänger geworden ist. Bautzen und Hohenschönhausen. Todesstreifen und Sta- cheldraht, Bedrängung und Vernehmungen gab es nicht (Beifall bei der CDU/CSU – Dr. Norbert mehr. Das Leben der anderen ist zum eigenen Leben ge- Röttgen [CDU/CSU]: Wo ist er denn?) worden. Meine sehr verehrten Damen und Herren, viele Zei- Wir haben heute einige derjenigen, die unter diesem tungen titeln heute: Die deutsche Einheit wird 18; sie menschenverachtenden Drucksystem gelitten haben, wird volljährig. – Ja, aber jeder weiß: Auch derjenige, eingeladen. Ich heiße sie herzlich willkommen und freue der volljährig ist, hat noch eine große Entwicklung vor mich darüber, dass sie die neu gewonnene Freiheit jetzt sich. Die Entwicklung ist noch lange nicht abgeschlos- für neues Leben nutzen konnten. sen. Das sehen wir auch im Bericht zur deutschen Ein- heit. (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und der FDP) Wir haben viel erreicht, und darauf dürfen wir alle miteinander stolz sein. Ich sage nur ein Beispiel von vie- (B) Wir haben uns in der Großen Koalition nicht nur mit len, die man nennen könnte: 4,8 Milliarden Euro hat der (D) der Frage beschäftigt, wie es in den neuen Ländern wei- Bund bisher im Zusammenhang mit der Wismut ausge- tergeht, sondern natürlich auch an diejenigen Menschen geben, um ein Gebiet zu sanieren, das in der DDR ver- gedacht, die unter dem alten System gelitten haben. Es wüstet wurde. Dort sind im Übrigen, unbestritten blü- war zwar nicht ganz einfach; aber wir haben es ge- hende Landschaften entstanden. schafft, eine Pension, eine Entschädigung für diejeni- gen einzuführen, die in den Gefängnissen der DDR ei- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie nen Teil ihres Lebens gelassen haben. Ich danke allen bei Abgeordneten der SPD) Kolleginnen und Kollegen der Großen Koalition dafür, Minister Tiefensee hat darauf hingewiesen, dass es dass dies gelungen ist. aber noch viel zu tun gibt. Herausforderungen sind für (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) uns in besonderer Weise die demografische Entwick- lung, dass zu wenige Menschen in den neuen Ländern Die deutsche Einheit war nicht selbstverständlich. Sie geboren werden – das ist kein Sonderproblem; das haben war das Werk der Menschen. Aber sie konnte nur gelin- wir in der ganzen Bundesrepublik, aber dort herausra- gen, weil es im Osten und im Westen immer Menschen gend –, und die Abwanderung. gab, die an die deutsche Einheit geglaubt haben. Die deutsche Einheit konnte nur aus folgendem Grund gelin- Die Abwanderung ist natürlich eine freie Entschei- gen: Es war Schicksal – dies gilt nicht für den dung der Menschen. Ich bitte bei allen Diskussionen zu 9. November 1938 und den 9. November 1989; das wa- berücksichtigen: Es wäre wohl zynisch, denjenigen, die ren Geschehnisse, die von Menschen gemacht wurden –, Jahrzehnte hinter Mauer und Stacheldraht gehalten wur- dass genau zu dieser Zeit einer Kanzler war, der die den und nicht reisen konnten, jetzt zu sagen: Ihr müsst in deutsche Einheit wollte. Nur wer die deutsche Einheit den neuen Ländern bleiben und dürft nicht weg. Es wur- wollte, konnte die Einheit herbeiführen und zum Kanzler den aber auch keine Räume entleert, wie einmal formu- der Einheit werden: . liert worden ist. Vielmehr haben die Menschen eine freie Entscheidung getroffen. (Beifall bei der CDU/CSU – Lachen bei Abge- ordneten der LINKEN) Wir müssen nun in den neuen Ländern Bedingungen schaffen, dass junge Menschen aus den alten Bundeslän- – Frau Kollegin von der Linken, da gibt es überhaupt dern in die neuen Länder zurückkehren, dass es attraktiv nichts zu lachen. An Ihrer Stelle würde ich das Gesicht ist, in den neuen Ländern zu studieren, dass es attraktiv nicht verziehen und eisern schweigen. Es war nämlich ist, in den neuen Ländern berufstätig zu sein. Von dieser Ihr Parteivorsitzender, Oskar Lafontaine, der in einem Debatte muss das Signal ausgehen: Es lohnt sich, in den Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 124. Sitzung. Berlin, Freitag, den 9. November 2007 12955

Volker Kauder (A) neuen Ländern zu lernen, es lohnt sich, in den neuen neue Herausforderung. Wir sehen, dass wir mit unserer (C) Ländern zu leben. Arbeit etwas erreichen können. Das macht uns Mut und gibt uns Optimismus, dass wir bei allem, was noch zu (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und der tun ist, der inneren Einheit Tag für Tag und Jahr für Jahr FDP) ein Stück näher kommen werden. Damit dies gelingt, Es ist nicht nur in Baden-Württemberg und Bayern muss man sich, trotz aller Probleme, die wir haben, im- schön, sondern es ist auch in Mecklenburg-Vorpommern mer wieder an das zurückerinnern, was 1989 geschehen und in Sachsen schön. ist: an die Freude des Aufbruchs zu Einheit und Freiheit. (Iris Gleicke [SPD]: Und Thüringen! – (Anhaltender Beifall bei der CDU/CSU – Bei- Dr. Dagmar Enkelmann [DIE LINKE]: Und in fall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der Brandenburg!) FDP) – Und in Thüringen und in vielen anderen Ländern. Präsident Dr. Norbert Lammert: (Heiterkeit) Das Wort erhält nun die Kollegin Dr. Gesine Lötzsch, Fraktion Die Linke. Es ist in ganz Deutschland schön, und zu Deutschland gehören auch die neuen Bundesländer. (Beifall bei der LINKEN) (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- neten der SPD und der FDP) Dr. Gesine Lötzsch (DIE LINKE): Vielen Dank. – Herr Präsident! Meine sehr geehrten Deswegen ist es gut, dass es – auch wenn der Begriff Damen und Herren! Herr Präsident, Sie haben in Ihren schon ziemlich abgegriffen ist – Leuchtturmprojekte einführenden Worten auf die wechselvolle Geschichte gibt. Wir müssen darüber reden, dass die allermeisten des 9. November hingewiesen. Für meine Fraktion Universitäten in den neuen Ländern Leuchtturmprojekte möchte ich ganz deutlich sagen: Wir dürfen nie den An- sind. Wenn ich mich erinnere, wie bei uns zu meiner Stu- blick der brennenden Synagogen vom 9. November dienzeit das Zahlenverhältnis von Studenten zu Profes- 1938 aus unserem Gedächtnis entlassen. Das muss im- soren war, und wenn ich mir heute das Zahlenverhältnis mer Anlass für uns sein, gegen Neofaschismus und von Studenten zu Professoren an den Universitäten in Rechtsextremismus zu kämpfen. den neuen Ländern anschaue, kann ich nur sagen: Ei- gentlich müsste jeder ein Interesse daran haben, in einer (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- so guten Situation zu studieren. neten der SPD) (B) (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Meine Damen und Herren von der SPD, Sie haben (D) frenetisch geklatscht, als mein Vorredner auf Oskar Wir müssen Leuchtturmprojekte in den neuen Ländern Lafontaine und seine Äußerungen in den Jahren 1989/90 aufbauen, damit die Menschen sagen: In diesem Umfeld einging. Ich möchte Sie daran erinnern: Oskar sehe ich Chancen und Zukunft. Lafontaine war damals Ihr Kanzlerkandidat und später Es gibt ein Projekt, bei dem man geradezu darüber- Ihr Parteivorsitzender. schreiben könnte: Bei uns wird Zukunft gemacht. Ich (Beifall bei der LINKEN – Lachen bei der meine das Biomasseforschungszentrum in Leipzig, aus CDU/CSU und der SPD – Christian Lange dem heraus neue Impulse für erneuerbare Energien kom- [Backnang] [SPD]: Dann ist er angekommen, men werden. Es lohnt sich, sich um dieses Projekt herum wo er hingehört!) anzusiedeln, sowohl für den Mittelstand als auch für junge Menschen, die sich für diese Forschung interessie- Um einen Uferweg am Potsdamer Griebnitzsee ist ein ren. heftiger Streit entbrannt. Nach dem Mauerfall schlender- ten dort täglich Spaziergänger mit Blick auf wunder- In den neuen Bundesländern wachsen eine moderne schöne Weiden und das tiefgrüne Wasser des Griebnitz- Wirtschaft und eine moderne Industrie. Nun kommt es sees entlang und genossen die gewonnene Freiheit. darauf an, dass wir diesen Wachstumsprozess im Osten Damit soll nach Auffassung der dortigen Villenbesitzer ebenso wie im Westen befördern. Das Wachstum kommt Schluss sein. Sie reklamieren den Weg für sich. Sie lie- ebenso wenig von allein, wie die deutsche Einheit von ßen den Weg kurzerhand durch eine Handvoll Schläger- allein kam. Gerade im Hinblick auf die Entwick- typen absperren. Da diese Wildwestmethoden untersagt lungschancen und die Entwicklungsmöglichkeiten, die wurden, versuchen die Anwälte der Villenbesitzer jetzt in den neuen Ländern bestehen, gilt, dass wir in der Gro- mit allen juristischen Mitteln, den Weg für die Öffent- ßen Koalition Kurs halten und den Aufschwung weiter lichkeit sperren zu lassen. Diese Leute wollen den Blick anfeuern müssen. Das muss unser Thema sein. In der auf den See mit niemandem teilen. Sie wollen ihn ganz Konsequenz muss der Aufschwung bei allen Menschen für sich allein haben. in unserem Land ankommen. Diese Geschichte beschreibt die Situation in unserem (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie Land plastischer als alle Berichte und Studien, die die bei Abgeordneten der FDP) Bundesregierung bisher vorgelegt hat. Die deutsche Einheit, die mit dem heutigen Tag (Jan Mücke [FDP]: Das glauben Sie doch 18 Jahre alt geworden ist, ist für uns eine immer wieder selbst nicht!) 12956 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 124. Sitzung. Berlin, Freitag, den 9. November 2007

Dr. Gesine Lötzsch (A) Jeden Tag erleben wir, wie öffentliches Eigentum in pri- Mittel dieser Bundesprogramme in den Osten. Bei der (C) vate Taschen fließt, wie Bürgerinnen und Bürger enteig- Exzellenzinitiative der Bundesregierung gingen die ost- net werden, und jeden Tag erleben wir, wie die Bundes- deutschen Universitäten ganz leer aus. Die Begründung regierung Zäune zieht, die die Gesellschaft in viele der Bundesregierung war lapidar: Wir fördern nur die kleine Teilgesellschaften aufspalten. Besten. Wenn der Osten nicht gut ist, dann hat er Pech gehabt. Da frage ich mich, Herr Tiefensee: Was machen (Beifall bei der LINKEN – Widerspruch bei Sie als Ostbeauftragter der Bundesregierung? Haben Sie der SPD) mehr zu bieten als schöne Worte und kleinlaute Forde- Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung hat in rungen an die Bundesregierung? Ich habe von Ihnen bis- einer aktuellen Studie festgestellt, dass 10 Prozent der her vor allen Dingen schöne Worte gehört, aber keine Deutschen fast zwei Drittel des gesamten Volksvermö- konkreten Taten gesehen. Die erwarten wir. gens besitzen, die Mehrheit dagegen fast nichts hat. Die (Beifall bei der LINKEN) Studie zeigt, dass das Durchschnittsvermögen eines Westdeutschen zweieinhalbmal höher als das eines Ost- Wir als Linke wollen mit den vielen abgestuften Un- deutschen ist. Ostdeutsche sind eher verschuldet und be- gerechtigkeiten in unserem Land Schluss machen. Wir sitzen seltener Wohneigentum. Auch Frauen sind be- wollen einen gerechten Mindestlohn, egal ob in Ost oder nachteiligt. Ihr Kapital ist im Schnitt fast 30 000 Euro West. niedriger als das von Männern. (Beifall bei der LINKEN) (Zuruf von der CDU/CSU: 40 Jahre!) Wir wollen eine armutsfeste Rente. Sie soll im Osten Diese Verteilung ist nicht von Gott gegeben, sie ist auch nicht niedriger sein als im Westen. Wir wollen bessere nicht mit dem Zuruf „40 Jahre!“ zu erklären, sie ist das Bildungschancen für alle, egal ob sie in Frankfurt/Oder Ergebnis der Umverteilungspolitik der alten und der oder in Frankfurt/Main zur Universität gehen. neuen Bundesregierung. (Beifall bei der LINKEN) (Beifall bei der LINKEN) Meine Damen und Herren, ich freue mich, dass Herr Die CDU/CSU-SPD-Regierung denkt nicht im Traum Lothar de Maizière hier so freundlich begrüßt wurde. Ich daran, diese Umverteilung zu stoppen. Nein, Sie legen möchte Sie aber daran erinnern, dass auch der letzte Mi- immer noch eins drauf. Die geplante Erbschaftsteuerre- nisterpräsident der DDR, , einen wesentli- form wird die Reichen noch reicher machen. Das ist ein chen Anteil daran hatte, dass der Weg in die deutsche Skandal. Einheit friedlich und erfolgreich gegangen werden konnte. (B) (Beifall bei der LINKEN) (D) (Zurufe von der CDU/CSU und der FDP: Oh!) Der geplante Verkauf der Bahn ist eine Enteignung der Bürgerinnen und Bürger, die die Bahn mit ihren Vielen Dank. Steuern über Jahrzehnte finanziert haben. Für den Osten, (Beifall bei der LINKEN) Herr Kollege Tiefensee, ist dieser Verkauf besonders schlimm, weil er zu vielen Streckenstilllegungen in den Präsident Dr. Norbert Lammert: neuen Bundesländern führen wird. Auch die Einführung Das Wort erhält jetzt der Kollege Peter Hettlich für von Studiengebühren schafft Bildungsmauern, die sich die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. nicht durch Stipendien durchbrechen lassen werden. (Beifall bei der LINKEN – Christian Lange Peter Hettlich (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): [Backnang] [SPD]: Sie hätten sich aus Anlass Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und dieses Tages ein bisschen mehr Mühe geben Kollegen! Liebe Kollegin Lötzsch, das war eine wirklich können!) schwache Rede. Für eine ostdeutsche Familie, die kaum über Ersparnisse (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS- verfügt, ist es eine große finanzielle Belastung, ihre Kin- SES 90/DIE GRÜNEN, der CDU/CSU, der der auf die Universität zu schicken. SPD und der FDP) Zusammengefasst kann man sagen: Es ist nicht gut, Ich muss Ihnen ganz ehrlich sagen – wir kennen uns wenn man arm ist. Es ist gar nicht gut, wenn man arm ist schon lange –: Die Redebeiträge der Linken in den De- und im Osten lebt. Es ist ganz schlecht, wenn man arm batten über den Bericht zum Stand der deutschen Einheit im Osten lebt und eine Migrantin ist. in den letzten Jahren hatten mehr Qualität; Sie waren schon erheblich weiter. Das heute war nur billige Pole- Wer für Ostdeutschland eine Zukunft will, der muss mik. Sachliche und inhaltliche Punkte waren in Ihrer in Bildung investieren. Ich interessiere mich schon län- Rede nicht zu finden. Das bedauere ich zutiefst. ger für die Verteilung der Gelder im Rahmen von Bun- desprogrammen. Es zeigt sich, dass der Osten unter- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN durchschnittlich wenig Geld aus diesen Programmen sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der erhält. Für die Raumfahrt gehen nur 7 Prozent, für die SPD und der FDP – Dr. Dagmar Enkelmann Energieforschung nur 10 Prozent und für den Studenten- [DIE LINKE]: Weil nicht sein kann, was nicht und Wissenschaftleraustausch nur ganze 4 Prozent der sein darf!) Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 124. Sitzung. Berlin, Freitag, den 9. November 2007 12957

Peter Hettlich (A) An der heutigen Debatte ärgert mich: Wir diskutieren eine öffentliche Diskussion. Wir signalisieren mit unse- (C) viel zu selten über Themen, die die neuen Bundesländer rem Antrag eindeutig die Ernsthaftigkeit dieses Anlie- betreffen. Ich kann zwar verstehen, dass Sie über das gens. Freiheits- und Einheitsdenkmal heute, am 9. November, an prominenter Stelle diskutieren wollen, aber warum Übrigens hat Herr Minister Tiefensee am Montag musste das in einer verbundenen Debatte stattfinden? – das hat man mir zugetragen – zugegeben, dass 2009 Wir haben eh wenig Zeit, um über die Rede von Herrn offensichtlich ein sehr ehrgeiziger Zeitplan ist, und da- Tiefensee zum Stand der deutschen Einheit zu diskutie- mit wäre dieses symbolträchtige 20. Jahr der friedlichen ren. Damit belasten wir diese Debatte, die wir einmal im Revolution gefährdet. Das ist beispielsweise wieder ein Jahr führen. Warum waren Sie, wenn es schon so ein Problem, das man schon sehr lange hätte diskutieren wichtiges Thema ist, nicht in der Lage, einen separaten können. Wir wissen, dass wir bereits vor sieben Jahren Debattenpunkt aufzusetzen oder wenigstens die Debat- einen Gemeinschaftsantrag hier im Bundestag hatten, tenzeit um eine Stunde zu verlängern? der von der Mehrheit abgelehnt worden ist. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Denkmäler sind mehr als ein zu Beton erstarrtes Hel- sowie bei Abgeordneten der SPD) dengedenken. Wir erwarten mehr als die Manifestation von Geschichte. Wir wünschen uns, dass ein solches Das ist bedauerlich und zeigt die Arroganz der Großen Denkmal auch eine Inspirationsquelle ist und vor allen Koalition, die wir an dieser Stelle wieder erleben. Dingen Raum für eine Diskussion über die Zukunft der 1989 erkämpften Freiheiten schafft. Ich habe jetzt das Problem, dass ich zwei Reden hal- ten muss, die inhaltlich schwer miteinander zu verknüp- Abschließend möchte ich noch etwas zum Standort fen sind. Aber ich fange jetzt an. sagen. Ich unterstütze den Änderungsantrag der Kolle- gen Weißgerber und Fornahl, wohl wissend, dass dieser Die Diskussion über das Freiheits- und Einheits- Antrag vermutlich heute hier nicht die Mehrheit finden denkmal hat von Anfang an einen sehr unglücklichen wird, was ich sehr bedauere, und wohl wissend, dass ich Verlauf genommen. Es ist im Hauruckverfahren hier damit eher ein Signal für eine offene Debatte über den heute aufgesetzt worden. Dies kann man nicht als seriös Standort setze. Es wären nämlich neben Leipzig und bezeichnen. Wir hatten nicht einmal in unserem Aus- Berlin noch andere Städte zu nennen. Der Kollege schuss, der für die Belange der neuen Bundesländer zu- Günther weiß, dass in Plauen bereits im September des ständig ist, eine vernünftige Vorlage. Wir haben zum Jahres 1989 die Menschen auf die Straße gegangen sind. Schluss über einen Antrag abstimmen müssen, von dem Also, wir müssen diese Debatte offener führen, und ich wir zu diesem Zeitpunkt schon wussten, dass er nicht plädiere an dieser Stelle dafür, dass die Einbringung die- mehr aktuell war. Ich muss Ihnen ehrlich sagen: Das hilft (B) ses Antrags in den Bundestag heute nicht das Ende die- (D) dieser Debatte und ihrem weiteren Verlauf ganz sicher ser Debatte sein darf. nicht. (Wolfgang Börnsen [Bönstrup] [CDU/CSU]: (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Jede Gemeinde kann frei entscheiden, was sie Ich erwarte, dass wir hier in Zukunft zu einer anderen macht!) Kultur des Umgangs miteinander kommen. Aus diesem Grunde bitte ich noch einmal um etwas Der Tagesspiegel hat in einem Artikel über den grü- mehr Nachdenklichkeit und etwas mehr Seriosität in der nen Antrag auf unsere Tendenz zum Grundsätzlichen Zukunft bei der Behandlung dieses Themas. hingewiesen, und das nehmen wir eindeutig als Kompli- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) ment an. Denn das ist unsere Stärke. Wir fordern, über dieses Thema noch einmal eine grundsätzliche Diskus- Meine Damen und Herren, wir kommen nun zum sion über das Ob, das Wann und die Form eines solchen Bericht über den Stand der deutschen Einheit. Wenn Denkmals zu führen. Dabei müssen wir die Öffentlich- ich nach rechts schaue, sehe ich, dass Frau Bundeskanz- keit, Verbände und Initiativen stärker in den Prozess die- lerin Merkel auch dieses Jahr wieder nicht anwesend ist; ser Ausgestaltung einbeziehen. letztes Jahr war sie wenigstens eine halbe Stunde hier. Herr Präsident Lammert hat in seiner Rede am Und wenn ich auf die linke Seite schaue, dann freue ich Montag gesagt, dass das nicht von oben verordnet wer- mich, dass ich wenigstens einmal wieder einen sächsi- den darf. Die friedliche Revolution war eine basisdemo- schen Ministerpräsidenten hier im Bundestag begrüßen kratische Revolution, und sie wurde von unten getragen. darf. Die anderen Ministerpräsidenten glänzen wie Insofern muss es auch so sein, dass über das Thema ei- üblich durch Abwesenheit. Vermutlich liegt es daran, nes Denkmals auch basisdemokratisch diskutiert wird dass in den Ländern keine Wahlen stattfinden. Ich finde und dass wir deswegen die Leute, die damals mit auf die es sehr bedauerlich. Denn das ist ein ganz wichtiges Straße gegangen sind, auch in dieser Diskussion mitneh- Thema, und ich möchte, dass dieses Thema unter mög- men. lichst großer Anteilnahme von den jeweils Betroffenen und Verantwortlichen auch hier im Bundestag behandelt (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) wird. Das ist wirklich ein sehr trauriges Bild. Ein gutes Beispiel für einen solchen Prozess ist die Dis- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN kussion um das Berliner Mauergedenken. Wir brauchen und bei der FDP sowie bei Abgeordneten der keine allfälligen Festlegungen, sondern wir brauchen SPD) 12958 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 124. Sitzung. Berlin, Freitag, den 9. November 2007

Peter Hettlich (A) Da wir schon bei traurigen Bildern sind, können wir tal stammen müsste, in großem Umfang kompensiert (C) direkt zu Ihrer Rede kommen, Herr Minister. Diese war wird. Die Zuschüsse im Rahmen des Solidarpakts wer- ein saft- und kraftloser Versuch, so zu tun, als ob es für den ab 2009 stetig sinken. Wir fragen uns, wodurch den Aufbau Ost eine Strategie Ihres Hauses gäbe und als diese Lücke ab 2019 geschlossen werden soll. Wir sind würde diese nicht vorhandene Strategie auch noch nach sehr skeptisch, ob die Banken bereit sein werden, sich Plan verlaufen. hier einzubringen. Ich sehe keine Perspektive, dass sich an dieser Stelle ein Wachstumstreiber entwickeln wird. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Wie wir am Mittwoch dieser Woche in unserer Dis- Sie haben diese im Bericht zum Stand der deutschen kussion im Ausschuss erlebt haben, kommen Sie in die- Einheit mit wunderbaren blumigen Worten garniert. Ich sem Zusammenhang immer wieder auf die Verkehrs- zitiere: infrastruktur zu sprechen. Wie eine Monstranz wird Die neuen Bundesländer befinden sich auf einem dieses Thema von der Regierung, von Ihrer Partei, aber guten wirtschaftlichen Weg. Oder: Ostdeutschland auch von anderen Kollegen vor sich hergetragen. Ich hat sich zum Land der Chancen entwickelt. Oder: habe Ihnen gesagt, dass wir eine Studie mit dem Titel Die Schere zwischen Ost und West schließt sich „Jobmaschine Straßenbau“ durchgeführt haben, die ich wieder. Ihnen nur empfehlen kann und die ich den Kollegen gerne zukommen lasse. Darin haben wir sehr detailliert – Das sind Rückfälle in alte Zeiten. Ich dachte, wir hät- deutlich gemacht, dass es keine Korrelation zwischen ten das mit dem letzten Bericht zum Stand der deutschen Straßenbau und wirtschaftlicher Weiterentwicklung gibt. Einheit überwunden. Lieber Kollege Hacker, da Sie das Beispiel Ludwigs- Ich komme auf die letzte Aussage mit der Schere zwi- lust als ein Beispiel für gelungene Verkehrsinfrastruktur schen Ost und West zurück, weil man sich mit ihr inten- in Verbindung mit Wirtschaftswachstum angeführt ha- siver auseinandersetzen muss. Herr Tiefensee kommt zu ben, möchte ich Sie darauf hinweisen: Gestern wurde der Erkenntnis, dass sich diese Schere schließt, weil das hier bemängelt, dass die Benzinpreise in Deutschland Wachstum in Ostdeutschland im letzten Jahr um ein Rekordniveau erreicht haben. Wenn Sie sagen, durch 0,3 Prozent höher war als in Westdeutschland. Das ist so die Verkehrsinfrastruktur sei es uns gelungen, dass die ähnlich, als wenn Herr Gabriel sagen würde: Wir hatten Leute aus Schleswig-Holstein bis nach Ludwigslust pen- einen verregneten Sommer. Der Klimawandel ist kein deln, dann frage ich Sie: Wovon sollen diese Leute in Problem. – Dieses Jahr werden die Zahlen ganz anders Zukunft die Spritkosten für die Auspendelung bezahlen? aussehen. Der Vorsprung der ostdeutschen Bundesländer Das müssen Sie mir einmal erklären. Das ist keine Ant- gegenüber den westdeutschen Bundesländern ist einge- wort auf die Probleme in Ostdeutschland. (B) büßt, und die Schere ist eingerostet. Das ist nicht zum (D) ersten Mal der Fall, sondern das erleben wir seit Mitte (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) der 90er-Jahre. Zum nächsten Punkt. Wie sieht es eigentlich mit den Woher soll das Wachstum, von dem Sie immer spre- Wachstumstreibern aus? Ich empfehle Ihnen die Studie chen, eigentlich kommen? Schauen wir uns doch einmal des Berlin-Instituts für Bevölkerung und Entwicklung die entsprechenden Parameter in der Wirtschaftstheorie mit dem Titel „Talente, Technologie und Toleranz – wo an. Auf der Nachfrageseite gibt es ein ganz klares Krite- Deutschland Zukunft hat“. Schauen Sie sich einmal an, rium: die Bevölkerungsentwicklung. Über dieses auf welchen Plätzen die neuen Bundesländer stehen. Bei Thema brauche ich hier wohl nicht lang und breit zu der Technologie liegt Sachsen auf Platz neun, Thüringen sprechen. Wir alle wissen, welche Probleme wir hier ha- auf Platz elf, und die drei anderen ostdeutschen Bundes- ben. Die Bevölkerungszahlen sinken aus den vielfältigs- länder belegen die letzten Plätze. Bei den Talenten ist ten Gründen dramatisch. Diesen Wachstumstreiber wer- Sachsen auf Platz zehn, Brandenburg auf Platz zwölf, den wir in Ostdeutschland auf lange Sicht nicht haben. und die anderen sind auf den letzten Plätzen. Bei der To- leranz findet man Sachsen, Thüringen, Brandenburg, Auf der Angebotsseite geht es um die Ausstattung mit Mecklenburg-Vorpommern und Sachsen-Anhalt auf den Humankapital; das ist die nächste Baustelle. In Ost- letzten Plätzen. deutschland findet nicht nur ein allgemeiner Rückgang der Bevölkerungszahl statt, sondern vor allen Dingen Da ich gerade beim Thema Toleranz bin, möchte ich auch ein Rückgang der Zahl der Erwerbstätigen und ins- Ihnen, Herr Ministerpräsident, sagen: Sie haben auf dem besondere der qualifizierten Erwerbstätigen. Wie wir Landesparteitag Ihrer Partei in Sachsen zu den Vor- wissen, wandern hauptsächlich junge und gut qualifi- kommnissen in Mügeln – ich komme aus diesem Land- zierte Frauen ab. Weil diese Jahrgänge dann auch im kreis und kenne Mügeln daher sehr gut – gesagt: Das, Hinblick auf die Geburtenjahrgänge fehlen, kommen was in Mügeln passiert ist, sei keine Hetzjagd in Mügeln hier zwei Dinge zusammen. Insofern verschärft sich die gewesen, sondern eine Hetzjagd auf Mügeln. – Ich frage Situation noch weiter. Auch dieser Wachstumstreiber Sie: Wie verträgt sich diese Aussage damit, dass Bun- fällt also aus. deskanzlerin Merkel bei Manmohan Singh in Indien für Investitionen in Deutschland wirbt? Der dritte Wachstumstreiber ist die Kapitalakkumu- lation. Bis jetzt ist es noch so, dass durch den Solidar- Der dumpfe Spruch „Deutschland den Deutschen!“ pakt über Investitionszuschüsse und Förderungen die ist in bestimmten Regionen Deutschlands zum Teil Kapitalakkumulation, die eigentlich aus privatem Kapi- schon bittere Realität. Wenn man sich diese Regionen Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 124. Sitzung. Berlin, Freitag, den 9. November 2007 12959

Peter Hettlich (A) anschaut, stellt man fest: Diese Regionen sind die rück- sem Prozess herausstellen; liebe Frau Kollegin Lötzsch, (C) ständigsten, sowohl was ihre wirtschaftliche Entwick- das sage ich gerade an Ihre Adresse. Denn wenn wir die- lung als auch was ihre politische und gesellschaftliche ses nicht tun, werden ein weiteres Mal die Lebensleis- Entwicklung angeht. Durch solche Aussagen kann man tungen der Menschen entwertet. Aber wir dürfen auch diese Situation nicht verbessern. Hier muss man ganz nichts schönreden, und wir dürfen uns nicht damit abfin- klar Position beziehen. Nur dann, wenn in Ostdeutsch- den, dass sich eine große Zahl von Menschen leider nach land Toleranz herrscht, haben wir in Anbetracht der wie vor als Verlierer im Prozess der deutschen Einheit globalisierten Welt die Chance, Ansiedlungen zu ermög- betrachtet. Es ist wahr: In diesem Prozess von Einheit lichen, auch aus Indien, was ich mir ausdrücklich wün- und fortschreitender Globalisierung gibt es Gewinner, schen würde. aber es gibt eben auch Verlierer. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, Dennoch ist ein Mehrwert entstanden, der sich nicht bei der SPD und der LINKEN) in Zahlen und Tabellen beschreiben lässt. Zu diesem Mehrwert gehört die individuelle Freiheit ebenso wie Meine Damen und Herren, ich komme zum Ende das wachsende demokratische Bewusstsein und die Be- meiner Rede. Herr Tiefensee – ich spreche Sie nicht per- reitschaft, Verantwortung für sich, für andere und auch sönlich, sondern stellvertretend für die Bundesregierung für unser Gemeinwesen zu übernehmen. Zu diesem an –, wenn Sie schon kein Konzept für den Aufbau Ost Mehrwert gehört auch, dass die junge Generation in Ost- haben, dann seien Sie wenigstens so realistisch und ehr- und Westdeutschland ganz unbefangen aufeinander zu- lich, den Menschen zu sagen, dass ihnen die Politik der geht. Wir müssen allerdings darauf achten, dass aus die- Großen Koalition nicht helfen wird. ser Unbefangenheit keine Geschichtslosigkeit wird. (Hans-Joachim Hacker [SPD]: Na, Peter!) Freiheit und Demokratie sind bei uns im Osten erst 17 Jahre jung und stehen noch längst nicht in voller Dann wissen die Menschen zumindest, dass sie ihr Blüte. Freiheit und Demokratie müssen täglich aufs Schicksal selbst in die Hand nehmen müssen. Neue erkämpft und bewahrt werden. Unsere Grund- Wir haben uns Gedanken darüber gemacht, wie man rechte sind eben nicht vom Himmel gefallen. Das muss die endogenen Potenziale in Ostdeutschland stärken auch an dem Freiheits- und Einheitsdenkmal, über das kann. Auch dieses Schriftstück, das ich gerade in den noch zu diskutieren ist, deutlich werden. Händen halte – die Untersuchung „Existenzgründungen Aber auch die braunen Rattenfänger, die besonders in Ostdeutschland“ –, empfehle ich Ihnen sehr. im Osten ihr Unwesen treiben, sind nicht vom Himmel (Iris Gleicke [SPD]: Wir haben schon gesehen, gefallen. Hier gilt es, sorgfältig zu unterscheiden zwi- (B) dass du drei Stück dabei hast!) schen den Verführern und den Verführten. (D) – Ja, ich habe drei Exemplare hier. – Dieses Thema ist (Beifall bei Abgeordneten der SPD, der CDU/CSU nämlich sehr wichtig. Wenn uns von oben die große und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Politik nicht mehr hilft, dann müssen wir uns selber hel- fen. Das verbreitete Gefühl einer kollektiven Demütigung, das Gefühl, ungerecht behandelt worden zu sein, das Ich danke Ihnen für Ihre Geduld. sind wesentliche Bestandteile des Nährbodens für (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) rechtsextremistische Ideen und Bestrebungen. Deshalb kann heute niemand im Ernst bestreiten, dass der Rechtsextremismus in Ostdeutschland ein schwerwie- Präsident Dr. Norbert Lammert: gendes Problem ist. Seine Ursachen sind aber nicht in Die Kollegin Iris Gleicke ist die nächste Rednerin für den Töpfchen der DDR-Krippen zu finden, sondern in die SPD-Fraktion. dem verbreiteten Gefühl von Deklassierung und der (Beifall bei Abgeordneten der SPD) ebenso verbreiteten Orientierungslosigkeit. Es ist wahr: Wer offen und ehrlich über den Stand der deutschen Ein- heit sprechen will, muss auch über die damit zusammen- Iris Gleicke (SPD): hängenden Probleme sprechen. Damit erweckt man lei- Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! der fast zwangsläufig den Eindruck, das Glas sei halb 18 Jahre nach dem Fall der Mauer haben wir eigentlich leer. Wir alle wissen aber: Das Glas ist mehr als halb allen Grund, stolz auf das zu sein, was wir erreicht ha- voll. ben. Aber das Ziel der Angleichung der Lebensver- hältnisse ist noch längst nicht erreicht. Für diejenigen, (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten die bis heute keine Arbeit gefunden haben, für diejeni- der CDU/CSU) gen, die nach langen Jahren der Arbeitslosigkeit nur ei- Damit sind wir wieder bei dem, was wir erreicht ha- nen ganz kleinen Rentenanspruch haben, für Jugendli- che, die trotz aller Anstrengungen, die wir unternommen ben und worauf wir durchaus stolz sein können. Es geht nicht darum, das Erreichte mehr oder weniger würdevoll haben, bis heute keine Chance auf einen Ausbildungs- in Feierstunden zu beweihräuchern. Solange die Arbeits- platz haben, ist dieses Ziel noch in weiter Ferne. losigkeit in Ostdeutschland mehr als doppelt so hoch ist Insofern ist die Frage nach dem Stand der deutschen wie in Westdeutschland, würden die Leute das als zy- Einheit immer auch eine Frage der Perspektive. Ich will nisch empfinden. Wir im Osten sitzen nicht mehr hinter das sehr deutlich sagen: Wir müssen das Positive in die- der Mauer und machen Westpakete auf, und wir sind 12960 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 124. Sitzung. Berlin, Freitag, den 9. November 2007

Iris Gleicke (A) auch nicht mehr die Brüder und Schwestern, derer man Präsident Dr. Norbert Lammert: (C) am 17. Juni gedenkt. Wir sind Bürgerinnen und Bürger Das Wort erhält nun der Kollege Hans-Joachim Otto dieser Bundesrepublik Deutschland, mit gleichen Rech- für die FDP-Fraktion. ten und mit gleichen Pflichten. (Beifall bei der FDP) (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Hans-Joachim Otto (Frankfurt) (FDP): Die Einheit ist Realität. Nun gilt es, sie zu vollenden. Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die libe- Nun gilt es, die mit ihr verbundenen Wünsche und Hoff- rale Fraktion begrüßt es sehr, dass wir mit den Koaliti- nungen zu erfüllen. Dass die jungen Deutschen aus Ost- onsfraktionen eine grundsätzliche Übereinstimmung und Westdeutschland einander in großer Unbefangenheit über die Errichtung eines Freiheits- und Einheitsdenk- gegenübertreten, muss uns ermutigen. Dass bei der älte- mals haben herstellen können. Das ist, wie ich finde, ge- ren Generation im Osten oft noch ein Gefühl der Demü- rade an diesem heutigen Tage ein sehr wichtiges politi- tigung überwiegt, muss uns nachdenklich stimmen. sches Signal. Gleichwertige Lebensverhältnisse – das ist das Ziel, (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD) auf das wir verpflichtet sind und bleiben. Gelegentlich hat man jedoch das Gefühl, dass die Buchhalter und Erb- Für uns Liberale sind – Sie werden das verstehen – senzähler das Steuer übernehmen und den Prozess des die persönliche und die gesellschaftliche Freiheit Werte Zusammenwachsens in eine andere Richtung lenken von ganz besonderer Bedeutung. Deswegen begrüßen möchten. Sie reden viel von Transfermitteln, von Geld wir es auch sehr, dass dieses Denkmal ein Freiheits- und und von Bilanzen. Der Lebensrealität der Menschen Einheitsdenkmal – also in dieser Reihenfolge – ist. wird das nicht gerecht. Ich sage es ohne Bitterkeit, aber (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten auch nicht ohne einen gewissen Zorn: Die ostdeutschen der CDU/CSU und der SPD) Länder sind schon seit langem Beteiligte an einem Ver- teilungskampf, bei dem es ums liebe Geld geht. Beim Es sind einige Namen von Menschen erwähnt wor- Geld, das wissen wir alle, hört bekanntlich die Freund- den, die für die Einheit sehr wichtige Beiträge geleistet schaft auf – nicht immer, aber immer öfter. haben. Ich möchte hier auch einen Namen ausdrücklich erwähnen, der in diesem Zusammenhang erwähnt wer- ( [FDP]: Sehr wahr!) den muss, nämlich Hans-Dietrich Genscher. Deshalb war es sehr gut, dass Gerhard Schröder da- (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten mals mit den Bundesländern den Solidarpakt II ge- der CDU/CSU und der SPD) (B) schnürt hat. Der Solidarpakt II ist zum Symbol für Zu- (D) verlässigkeit und Beständigkeit beim Aufbau Ost Er ist der Mann, der Entscheidendes für die deutsche geworden. Das zeigt sich auch immer dann, wenn ver- Einheit getan hat. sucht wird, dieses Paket wieder aufzuschnüren. Wir wer- Als Partei Hans-Dietrich Genschers ist es für die FDP den das nicht zulassen. deshalb von besonderer Bedeutung, ein Denkmal für die (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Gewinnung der deutschen Einheit zu errichten. Die deut- der CDU/CSU) sche Einheit ist zu einer Selbstverständlichkeit geworden und wird allenfalls thematisiert – Herr Tiefensee hat das Wir werden gegebenenfalls immer wieder und, wenn nö- vorhin angesprochen –, wenn es um die Probleme und tig, mit der gebotenen Deutlichkeit und auch Lautstärke die Unterschiede geht. Dass es aber ein großes Glück ist, daran erinnern, dass manche der heutigen Geberländer, dass wir 1989 und 1990 die friedliche Revolution und wie etwa Bayern, selbst jahrzehntelang unterstützt wor- die Wiedervereinigung erleben durften, in deren Verhält- den sind und auch heute – beispielsweise beim Ausbau nis die Unterschiede und Probleme nachrangig sind, der Bundesfernstraßen in Bayern – nicht ganz schlecht kann man nicht oft genug betonen. Ich freue mich des- bedient werden. halb sehr, dass wir heute die Errichtung eines Denkmals beschließen, welches daran erinnert. Meine sehr verehrten Damen und Herren, liebe Kolle- ginnen und Kollegen, all denen, die am Sinn des Auf- Bei der Überlegung hinsichtlich der spannenden baus Ost zweifeln, empfehle ich einen Blick in den Jah- Frage, wo dieses Freiheits- und Einheitsdenkmal stehen resbericht 2007 zum Stand der deutschen Einheit. Darin sollte, hat mich die Argumentation des Bundestagspräsi- steht nämlich, was alles erreicht worden ist. Das ist eine denten Norbert Lammert überzeugt. In seiner sehr be- ganze Menge, und wir können stolz darauf sein. merkenswerten Rede zum Tag der Deutschen Einheit am 3. Oktober 2007 in Schwerin sagte er wörtlich: Durch den Bericht wird aber auch deutlich, was noch alles zu tun ist. Diese Arbeit wird noch etliche Jahre in Wir haben aus gutem Grund insbesondere in der Anspruch nehmen. Dabei sind wir jetzt und in Zukunft Hauptstadt zahlreiche auffällige Stätten der Erinne- auf zuverlässige Rahmenbedingungen angewiesen. Da- rung an die Verbrechen zweier Diktaturen in ran lassen wir nicht rütteln, und dafür stehen wir ein. Deutschland. Es gibt keinen vernünftigen Grund, nicht auch in ähnlich demonstrativer Weise der Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. Freiheits- und Einheitsgeschichte unseres Landes zu gedenken. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Sehr richtig. Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 124. Sitzung. Berlin, Freitag, den 9. November 2007 12961

Hans-Joachim Otto (Frankfurt) (A) (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten sind. In nicht weniger als 80 Orten gab es in diesem (C) der CDU/CSU und der SPD sowie des Abg. Zeitraum jeweils mehr als zehn Demonstrationen. Ein Peter Hettlich [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Denkmalpaar würde dieser Revolution in allen Bezirken NEN]) der ehemaligen DDR nicht gerecht werden. Gerade die Tatsache, dass die nationalen Denkmale (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und und Mahnmale zur Erinnerung an die dunklen Seiten der der SPD) deutschen Geschichte in der Hauptstadt, in der Mitte , versammelt sind, unterstreicht für mich die Not- Daher lassen Sie uns in der Hauptstadt ein Freiheits- wendigkeit, dass auch die Erinnerung an eines der glück- und Einheitsdenkmal für die ganze Republik errichten lichsten Ereignisse der deutschen Geschichte in, wie es und die Städte und Bundesländer ermutigen und auffor- Norbert Lammert ausgedrückt hat, „ähnlich demonstrati- dern, weitere Denkmale für die Freiheit und Einheit zu ver Weise“ in Berlin stehen muss. Dieses Gegenüber errichten. von Schrecken und Freude, die Abbildung der Ge- Dazu noch ein letztes Wort: Herr Ministerpräsident schichte nicht nur in ihren negativen, sondern auch in ih- Milbradt – Sie sprechen gleich anschließend –, wäre es ren positiven, optimistischen und vorbildhaften Facetten nicht eine großartige Idee, wenn der Freistaat Sachsen halte ich für besonders wichtig. im Gedenken an die Ereignisse in Leipzig in dieser (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten Stadt ein Freiheits- und Einheitsdenkmal errichtete und der CDU/CSU) wir auch andere Länder ermutigten, es Ihnen gleichzu- tun? Dies ist für mich auch das wichtigste Argument dafür, dass wir überhaupt ein Freiheits- und Einheitsdenkmal Herzlichen Dank. errichten sollten. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten Viele sagen – auch in meiner Fraktion –, dass doch der CDU/CSU und der SPD) das Brandenburger Tor das beste Freiheits- und Einheits- denkmal sei, was man sich nur vorstellen könne. Manche Präsident Dr. Norbert Lammert: halten auch das Reichstagsgebäude, in dem wir heute mit einer Selbstverständlichkeit tagen, die noch vor Das Wort hat nun der Ministerpräsident des Freistaa- 20 Jahren unvorstellbar war, für ein Symbol für die Frei- tes Sachsen, Dr. Georg Milbradt. heit und die Einheit Deutschlands. Beides trifft ohne (Beifall bei der CDU/CSU) Zweifel zu, und es gibt darüber hinaus zahllose weitere (B) inoffizielle und persönliche Freiheits- und Einheitsdenk- (D) male, beispielsweise die unvermittelt geöffneten Grenz- Dr. Georg Milbradt, Ministerpräsident (Sachsen): übergänge, die gestürmten und besetzten Zentralen der Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Für die Unterdrücker von MfS und SED oder das schmale Band Debatte am heutigen Tage bin ich dankbar. Wir sind der des ehemaligen Mauerverlaufs. Aber all diese Freiheits- Erfüllung eines Versprechens näher gekommen: Es gibt und Einheitsdenkmale können ein nationales Denkmal in in Ostdeutschland eine Reihe blühender Landschaften. Berlin, das zur Erinnerung an die friedliche Revolution Dafür bedanke ich mich bei Ihnen, meine Damen und im Herbst 1989 und an die Wiedervereinigung errichtet Herren Abgeordneten, und bei der Bundesregierung für wird, nicht ersetzen. die Unterstützung. Meine Damen und Herren, noch ein Wort zu dem Mein Dank gilt aber auch den Leistungen der Men- Gruppenantrag: Ich hoffe sehr, dass die Frage, Leipzig schen zwischen Rügen und dem Fichtelberg. Sie alle ha- und Berlin oder Berlin, nicht die grundsätzliche Über- ben sich mit teilweise schmerzlichen Anpassungen in einstimmung verdunkeln kann. Berlin muss es sein; das eine neue Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung hinein- habe ich begründet. Ich würde mich durchaus freuen, gefunden. Jeder Einzelne hat nach seinen Kräften mit wenn auch ein Freiheits- und Einheitsdenkmal in Leip- angepackt. Das ist eine beeindruckende und bewun- zig errichtet würde; dernswerte Leistung, die in Debatten über den Osten oft unbeachtet bleibt. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD) (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- neten der SPD und der FDP) aber nicht nur dort und nicht als Denkmalpaar. Leipzig war unbestritten der wichtigste Ort des Widerstands und Ich bedanke mich herzlich für die Hilfe und die Soli- die Keimzelle der friedlichen Revolution. Aber wollen darität aus dem Westen, die Ostdeutschland immer noch wir wirklich neben der Hauptstadt allein Leipzig als erfährt, insbesondere über den Bundeshaushalt und die zweite Stadt hervorheben? Was ist mit all den anderen Sozialversicherungen. Deswegen habe ich Verständnis Orten, mit Suhl, mit Plauen, mit Magdeburg oder mit für jeden, der Fragen zum Stand zur deutschen Einheit Greifswald, um nur einige zu erwähnen? hat und der nach 17 Jahren Aufbau Ost genau hinsehen möchte. Ich habe auch Verständnis für jeden, der ange- (Beifall des Abg. Markus Meckel [SPD]) sichts der Erfolge in Ostdeutschland Schlaglöcher und Ich habe mir eine Karte angesehen, in der die Demon- soziale Probleme in westdeutschen Gemeinden diskutie- strationen von August 1989 bis April 1990 verzeichnet ren möchte. 12962 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 124. Sitzung. Berlin, Freitag, den 9. November 2007

Ministerpräsident Dr. Georg Milbradt (Sachsen) (A) Wir müssen uns immer wieder die tatsächlichen Ver- (Hartmut Koschyk [CDU/CSU]: Sehr richtig!) (C) hältnisse deutlich vor Augen führen. Zwar gibt es auch Wir kämpfen in Ostdeutschland jeden Tag um jeden in Westdeutschland Problemkommunen, aber sie liegen Arbeitsplatz. Ich führe genauso wie meine Kollegen in in einem wirtschaftlich starken Umfeld. Es ist unbestrit- den anderen Ländern viele Gespräche, um Vertrauen zu ten, dass wir – insbesondere die jeweiligen Länder im gewinnen und zu stärken. Hier müssen die Bundes- und Rahmen des regionalen Ausgleichs – uns darum küm- die Landespolitik synchron sein. Mehr Jobs lautet die mern müssen. Antwort auf das Problem der Abwanderung. Es gibt eine Im Osten dagegen verhält es sich umgekehrt: Ein- ganze Reihe von Regionen – das wurde bereits ange- zelne wirtschaftlich starke Städte stehen immer noch ei- sprochen –, in denen es anderen lohnenswert erscheint, ner großen Anzahl schwacher Gebiete gegenüber; denn zu uns zu kommen. der Ostdurchschnitt liegt nur bei etwa 70 Prozent West. In Ostdeutschland gibt es bereits Zentren, die Zuwan- Die Arbeitslosigkeit ist flächendeckend doppelt so hoch derung verzeichnen. Die Arbeitslosigkeit ist hoch, aber wie in Westdeutschland. sie sinkt, und die Zahl der Beschäftigungsverhältnisse Es ist kein Geheimnis, dass niemand in den neuen steigt. Die Erfolge werden in den Zentren sichtbar. Dies Ländern glücklich über diesen Zustand ist. Niemand will muss sich auch mehr und mehr auf die peripheren Regio- sich dauerhaft auf Transfergeldern ausruhen. Wir wollen nen ausdehnen. keine Kostgänger sein, sondern auf eigenen Beinen ste- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) hen. Jedes Land hat sich in den vergangenen Jahren nach Kräften angestrengt. Auch das verdient Anerkennung. Aber jede undifferenzierte, die unterschiedliche Wirt- schaftskraft nicht beachtende Diskussion über Löhne (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- verunsichert nicht nur die lokalen Arbeitgeber, sondern neten der SPD und der FDP) schadet auch den Arbeitnehmern. Jeder weiß, dass in Ich sage ganz deutlich – auch an die Linksfraktion ge- manchen Branchen und Regionen zum Beispiel ein Lohn richtet –: Wir wollen nicht dauerhaft von Umverteilung von 7,50 Euro schlichtweg nicht durchsetzbar oder in leben, sondern von dem, was wir selber erwirtschaften. anderen Bereichen eine Anpassung an den Westlohn zur- zeit nicht möglich ist. Hier muss mit Augenmaß gehan- (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, der FDP delt werden. Selbstverständlich möchten wir nicht, wenn und der LINKEN) es möglich ist, auf Lohnerhöhungen verzichten, aber wir müssen deutlich machen, dass auch die Alternativen zu Das Aufholen wird uns aber nicht immer leicht gemacht. einer undifferenzierten Entwicklung der Löhne genannt Denn leider heißt die Politik, die wir in Deutschland für werden müssen: Arbeitslosigkeit, Schwarzarbeit und (B) (D) Ostdeutschland machen, viel zu oft „Überholverbot“. Abwanderung. Wir brauchen Regeln, die der spezifischen Situation (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- in Ostdeutschland angepasst sind. Wir brauchen die neten der FDP) Möglichkeit, unsere Wirtschaft nach allen Regeln der Kunst zu tunen, wie es unsere europäischen Nachbarn Dank einer weitsichtigen Bundes- und Landespolitik auch tun. Wir würden auch manchmal gerne mehr Gas ist rund um Dresden das größte und einzige europäi- geben. sche, weltweit konkurrenzfähige Halbleitercluster ent- standen; hier gibt es 25 000 Arbeitsplätze in 250 Firmen. Wir haben zum Beispiel in Leipzig/Halle in Rekord- Jeder fünfte Mikroprozessor weltweit kommt aus Ost- zeit einen Flughafen gebaut. Das ist mit der Marscher- deutschland. Europa spielt hier wieder in der Weltliga leichterung durch das Bundesverkehrswegeplanungsbe- mit. schleunigungsgesetz möglich geworden, das heute in Gesamtdeutschland gilt, leider aber nur in stark ver- Wir erleben neuerdings, dass wichtige Mikroelektro- wässerter Form. Wir haben diesen Flughafen mit DHL nikfirmen nicht in Europa investieren, sondern in Ame- zum internationalen Frachtdrehkreuz ausgebaut. Das rika oder Asien, wo sie mehr Unterstützung bekommen, Konzept ist aufgegangen. Die Arbeit trägt Früchte: die uns von der EU verwehrt wird. Meines Erachtens 2 000 Arbeitsplätze sind schon entstanden; 10 000 wei- darf Europa nicht tatenlos zusehen, wenn eine Zukunfts- tere werden folgen. technologie an ihrer Zukunft bei uns, auch in Ost- deutschland, zu zweifeln beginnt. Der Bundesverkehrsminister hat sich in den vergan- genen Tagen von den Vorständen von Lufthansa Cargo Wir erwarten, dass sich Berlin und Brüssel für eine die beeindruckende Entwicklung zeigen lassen. DHL hat neue europäische technologieorientierte Industriepolitik sein Zentrum von Brüssel nach Leipzig verlegt. Weitere starkmachen. Europa muss sich entscheiden, welche Luftfahrtunternehmen sollen folgen. Das heißt aber Branchen und Entwicklungen strategische Bedeutung im auch, dass Berlin den 24-Stunden-Betrieb in Leipzig Ringen der großen Wirtschaftsräume der Welt um Ein- rückhaltlos unterstützen muss, fluss und Gestaltung des 21. Jahrhunderts haben, so wie das auch unsere Konkurrenten in Amerika und Asien (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) tun. Die Luft- und Raumfahrt gehört zum Beispiel ebenso dazu wie die Mikroelektronik in Ostdeutschland. indem unsere gesetzlichen Regeln den europäischen Standards angepasst werden und damit denen unserer Meine Damen und Herren, in den nächsten Wochen europäischen Wettbewerber entsprechen. fallen die Kontrollen an unseren Ostgrenzen weg; der Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 124. Sitzung. Berlin, Freitag, den 9. November 2007 12963

Ministerpräsident Dr. Georg Milbradt (Sachsen) (A) Schengen-Raum erweitert sich. Das ist aber nicht nur ein dingungen, eine faire und solidarische Diskussion sowie (C) Thema für den Innenminister, der beispielhaft in den die Anerkennung der Leistungen der Deutschen in Ost Grenzregionen wirbt und Vertrauen schafft. In den neuen und West im Rahmen des Vereinigungsprozesses. Wir Räumen werden sich, ähnlich wie in den Grenzregionen haben – darauf ist hier schon hingewiesen worden – Westdeutschlands, die Wirtschaftsbeziehungen neu durch die friedliche Revolution eine einmalige Chance orientieren. Das ist eine große Chance für Deutschland in unserer Geschichte bekommen: die Wiedervereini- und insbesondere für die Regionen an der Ostgrenze von gung in einem friedlich zusammenwachsenden Europa. Passau bis zur Ostsee. Wir stehen vor einer immensen Es liegt an uns, diese Chance zu nutzen. Steigerung des Handelsvolumens mit Mittel- und Ost- europa. Das wollen wir auch. Voraussetzung ist aber, Herzlichen Dank. dass Umfang und Qualität der grenzüberschreitenden (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- Verkehrsnetze bald denen an der West- und Südgrenze neten der SPD und der FDP) entsprechen. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- Präsident Dr. Norbert Lammert: neten der FDP) Nächste Rednerin ist die Kollegin Dr. Lukrezia Die durch die Geschichte des 20. Jahrhunderts her- Jochimsen für die Fraktion Die Linke. vorgerufenen Beeinträchtigungen müssen wir überwin- (Beifall bei der LINKEN) den. Unser Horizont darf nicht an der Grenze enden. Wir liegen – Gott sei Dank – in der Mitte Europas und sollten das nutzen. Dr. Lukrezia Jochimsen (DIE LINKE): Herr Präsident! Kolleginnen und Kollegen! Ich spre- Dazu brauchen wir deutlich mehr Geld für Infrastruk- che nach den großen Daten, auf die der Ministerpräsi- tur, und zwar in Ost und West, an der Grenze wie im dent verwiesen hat, zu einem speziellen Thema, nämlich Binnenland. der Errichtung eines Freiheits- und Einheitsdenkmals. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie Schnell, schnell, schnell, bloß keine Diskussion, kein bei Abgeordneten der SPD) Nachdenken, so müsste man den Antrag der Koalitions- fraktionen und der FDP auf Errichtung eines Freiheits- Wir sind das Herz Europas; wir sind in der Mitte, und und Einheitsdenkmals überschreiben. wir sollten unsere Aufgaben erfüllen, im Interesse unse- rer eigenen wirtschaftlichen Zukunft. (Beifall bei der LINKEN) Ich bin froh, dass die Investitionszulage noch nicht Noch nicht einmal der federführende Kulturausschuss (B) (D) vom Tisch ist. Für uns ist wichtig, dass die Fortführung hatte vorgestern Zeit für eine Aussprache. Der Antrag bis 2013 noch einmal sehr sorgfältig erwogen wird; denn wurde per Mehrheit aufgesetzt, angenommen und in ei- wir brauchen mehr Wirtschaftskraft. Nach wie vor wer- ner Weise durchgezogen, die aus meiner Sicht allen par- den nur zwei Drittel des ostdeutschen Einkommens lamentarischen Sitten hohnspricht, selbst erwirtschaftet. (Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Peter Hier sind West und Ost in einem Boot. Wenn die Hettlich [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Transferbelastung des Westens, insbesondere über die und das ausgerechnet bei einem Denkmal, das der Errin- öffentlichen Haushalte und die Sozialsysteme, sinken gung demokratischer Freiheiten in der DDR gewidmet soll, was wir alle wollen, dann muss der Osten weiter werden soll. Sie merken offensichtlich noch nicht ein- stärker wachsen als der Westen. Das gilt insbesondere mal, wie weit Ihr Gebaren von der Atmosphäre und dem für die Industrie. Niveau der runden Tische entfernt ist, an denen die De- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- mokratie in der DDR neu geboren wurde. Und warum? neten der SPD und der FDP) Weil heute der 9. November ist und an diesem Symbol- tag ein neues Nationalsymbol etabliert werden soll. Das ist die einzige Möglichkeit, das leidige Trans- Basta! Und was soll symbolisiert werden? Einerseits die ferthema zu bewältigen. Sonst bleibt es bei dem unbe- friedliche Revolution im Herbst 1989 und andererseits friedigenden Zustand, den alle Beteiligten, sowohl dieje- die Wiedergewinnung der staatlichen Einheit sowie die nigen, die empfangen, als auch diejenigen, die zahlen, freiheitlichen Bewegungen und Einheitsbestrebungen beklagen. der vergangenen Jahrhunderte. Wir können uns – und sollten das auch – gemeinsam Man merkt sofort: Da sind große Verwischtechniker über die Erfolge beim Aufbau Ost freuen. Aber wir dür- am Werk, die alles Mögliche zusammenbringen wollen, fen in unseren Anstrengungen nicht nachlassen, sondern ohne zu fragen, ob das überhaupt geht. Hauptsache, das müssen jede Initiative belohnen, die Bremsklötze besei- Denkmal steht 2009 in Berlin. Seit heute früh gibt es ei- tigen kann, und jede Unterstützung gewähren, die die nen zusätzlichen Vorschlag. Er sieht zwei Denkmäler, ostdeutschen Länder in die Lage versetzt, auf eigenen genannt ein Denkmalpaar, vor, das eine in Berlin und das Beinen zu stehen. andere in Leipzig. Wenn es nach Herrn Minister Das ist nicht immer nur die finanzielle Unterstützung, Tiefensee geht, soll es Hunderte Denkmäler überall im sondern auch die Berücksichtigung der nach wie vor Land geben. So wurde der Minister neulich in den Zei- sehr unterschiedlichen wirtschaftlichen und sozialen Be- tungen mit der Aussage zitiert, wo die vielen Krieger- 12964 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 124. Sitzung. Berlin, Freitag, den 9. November 2007

Dr. Lukrezia Jochimsen (A) denkmäler stünden, könnten doch nun Freiheitsdenk- Jan Mücke (FDP): (C) mäler errichtet werden. Das ist doch grotesk. Frau Kollegin Jochimsen, Sie haben soeben die, ich muss schon sagen: Unverschämtheit besessen, die Bür- Wir machen dabei nicht mit, und zwar nicht weil uns gerrechtsbewegung in der DDR für Ihre Zwecke zu be- Freiheit und Einheit egal sind, sondern weil wir uns dem nutzen. politischen Erbe der ostdeutschen Bürgerrechtsbewe- gung besonders verpflichtet fühlen. (Beifall bei der FDP, der CDU/CSU und der SPD sowie der Abg. [BÜND- (Lachen bei der CDU/CSU, der SPD, der FDP NIS 90/DIE GRÜNEN] – Zurufe von der LIN- und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – KEN: Oh!) Christian Lange [Backnang] [SPD]: Das ist purer Hohn! Schämen Sie sich eigentlich Ich glaube, dass gerade Sie als Angehörige der Fraktion nicht? – Arnold Vaatz [CDU/CSU]: Unglaub- einer Partei, die mehrfach umbenannt wurde und fusio- lich!) nierte, aber in der Kontinuität der alten SED steht, nicht diejenigen sein sollten, die an die Bürgerrechtsbewegung – Beruhigen Sie sich! – Wer die friedliche Revolution im in Leipzig erinnern. Herbst 1989 mit der Wiedergewinnung der staatlichen Einheit Deutschlands 1990 in eins wirft, wird diesem (Volker Kauder [CDU/CSU]: Sehr richtig!) Erbe nicht gerecht, weil beide Vorgänge zwei Stufen ei- Deswegen haben der Kollege Weißgerber und ich ge- nes komplexen internationalen, historischen Prozesses meinsam mit vielen anderen Kollegen einen Gruppen- darstellen, die nicht unmittelbar aufeinander bezogen antrag eingebracht, der zur Abstimmung steht und für werden können. Diese Revolution mit dem Ruf „Wir den ich um Zustimmung werben möchte. In ihm steht, sind das Volk“ ist singulär in der deutschen Geschichte, dass wir an beiden Standorten, in Berlin und in Leipzig, sodass sie erst recht nicht mit den freiheitlichen Bewe- der Freiheit und der Wiedergewinnung der Einheit unse- gungen und Einheitsbestrebungen der vergangenen Jahr- res Vaterlandes gedenken. Sie haben offensichtlich ver- hunderte vermengt werden kann. gessen, gegen wen die 70 000 Leipziger am 9. Oktober Wir schlagen deshalb ein anderes Erinnern vor: eigentlich auf die Straße gegangen sind. Es ist gegen die SED gewesen, als deren Nachfolgerin Ihre Partei heute (Dr. Norbert Röttgen [CDU/CSU]: Das glaube im Bundestag sitzt. Ich finde, dass Ihnen eine solche Be- ich gern!) merkung nicht zusteht. Erinnern an diejenigen, die oft unter großer persönlicher (Beifall bei der FDP, der CDU/CSU, der SPD Gefahr Demokratie und Freiheit in der DDR einforder- und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (B) ten, Erinnern an die Abertausend Bürger und Bürgerin- (D) nen in Leipzig, die demonstriert, protestiert, geredet und Präsident Dr. Norbert Lammert: andere überzeugt haben, Erinnern an diejenigen, die in Zur Erwiderung. den Kasernen und Polizeiwachen geblieben sind und da- für gesorgt haben, dass die Demokratie ohne Blutvergie- ßen begann. Dafür treten wir mit unserem Antrag ein. Dr. Lukrezia Jochimsen (DIE LINKE): Herr Kollege Mücke, es tut mir eigentlich leid, dass (Unruhe bei der CDU/CSU – Lachen des Abg. Sie die Diskussion jetzt auf dieses Niveau herunterbrin- Arnold Vaatz [CDU/CSU]) gen. Da aus unserer Sicht eine solche unblutige Revolution (Beifall bei der LINKEN – Zurufe von der keinen herkömmlichen Denkmalkult erlaubt, möchten CDU/CSU und der FDP: Oh! – Volker Kauder wir in Leipzig ein Denkzeichen zusammen mit einem [CDU/CSU]: Pfui! – Volker Kauder [CDU/ Ort der Information und einem aktiven Museum errich- CSU] und Dr. Norbert Röttgen [CDU/CSU]: ten, welches den Nachgeborenen die grundsätzliche Gut, dass er das ausgesprochen hat!) Auseinandersetzung mit der Idee der Freiheit eröffnet. Ich bin versucht, Sie zu fragen, wie Sie eigentlich mit Natürlich muss darüber eine groß angelegte öffentli- den zwei Blockparteien umgehen, die Ihre Partei über- che Diskussion geführt werden – in diesem Sinne stim- nommen hat. men wir dem Antrag der Grünen zu –, eine Diskussion, (Beifall bei der LINKEN – Widerspruch bei ausführlich statt schnell, schnell, schnell, nachdenklich der FDP) statt unüberlegt und vor allem jene Bürgerrechtler und Bürgerrechtlerinnen einbeziehend, die damals das Land Mich brauchen Sie nicht zu fragen, möglicherweise ge- verändert haben und die sich heute von der Politik nicht nauso wenig wie ich Sie dazu befragen kann. mehr vertreten sehen. Natürlich erinnern wir uns in unserer Fraktion und in Ich danke Ihnen. unserer Partei genau an diese Geschichte. (Beifall bei der LINKEN) (Zuruf von der CDU/CSU: Übernehmen Sie doch dann mal Verantwortung für Ihren La- Präsident Dr. Norbert Lammert: den!) Zu einer Kurzintervention erhält der Kollege Jan Es liegt uns am Herzen, dass viele der Menschen, die da- Mücke das Wort. mals diesen Wandel herbeigeführt haben – gehen Sie Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 124. Sitzung. Berlin, Freitag, den 9. November 2007 12965

Dr. Lukrezia Jochimsen (A) doch einmal durch die ostdeutschen Länder –, sich heute Gewiss, wir Deutschen sind und bleiben verpflichtet, (C) nicht mehr vertreten fühlen. Deswegen finden wir: Wenn uns unserer Schandtaten, vor allem der Verbrechen des es ein Denkmal gibt, dann muss das Denkmal zuerst NS-Staates und seiner Opfer, zu erinnern. Es war not- nach Leipzig. wendig und richtig, dass der Deutsche Bundestag in sei- ner letzten Sitzungswoche in Bonn im Juni 1999 die Ent- (Jan Mücke [FDP]: Ausgerechnet Sie fordern scheidung für das Holocaust-Denkmal im Zentrum der das!) deutschen Hauptstadt getroffen hat. Dieser Pfahl in un- Dort hat alles angefangen, dort soll erinnert werden, und serem nationalen Fleisch ist schmerzlich notwendig. Wir dafür bin ich hier eingetreten. haben dauerhaft der Opfer zu gedenken. (Beifall bei der LINKEN) Aber ein Volk kann vermutlich nicht nur aus seinem Versagen Orientierung gewinnen. Auch wir Deutschen können Ermunterung vertragen, zum Beispiel durch die Präsident Dr. Norbert Lammert: Erinnerung an die freundlichen Seiten unserer Ge- Nächster Redner ist nun der Kollege Wolfgang schichte, an die Freiheits- und Einheitsbestrebungen, an Thierse für die SPD-Fraktion. die Aufbrüche und Anfänge, an die Erfolge, ohne die (Beifall bei der SPD) Widersprüche, das Scheitern, die Schandtaten zu ver- drängen, zu vergessen. Dr. h. c. Wolfgang Thierse (SPD): Also erinnern wir an 1848 und 1918, an 1945 und Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Frau Kol- eben an 1989 und daran, dass Einheit und Freiheit zu- legin Jochimsen, Ihre Rede – lassen Sie mich Ihnen das sammengehören und dass das so bleiben soll. sagen – war von einer Dreistigkeit, dass mir regelrecht (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und der die Luft weggeblieben ist. FDP) (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und der Seien wir endlich ein normales, ein durchschnittliches, FDP sowie der Abg. Monika Lazar [BÜND- ein gewöhnliches europäisches Volk, das auch dies kann. NIS 90/DIE GRÜNEN]) Wir schlagen vor, dieses Denkmal in Berlin zu errich- Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Idee für ein ten, weil es sinnvollerweise in die Hauptstadt gehört. Freiheits- und Einheitsdenkmal, über die wir heute de- Hier in Berlin wurde die Mauer erstürmt und zerbro- battieren, ist nicht neu. Die Diskussion darüber währt chen, gewiss. Aber die friedliche Revolution war bei- schon lange. Prominente Befürworter haben sich geäu- leibe kein Berliner Ereignis; sie ereignete sich in vielen ßert, von Lothar de Maizière bis zu Richard Schröder, Orten der DDR. Leipzig war ein entscheidender Ort. Das (B) den ich herzlich begrüße, werde ich, das sollten wir alle nicht vergessen. (D) (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU, der FDP (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) FDP) und Wolfgang Huber. Vor drei Jahren hatte Deshalb sollten wir in der weiteren Diskussion, im Wett- bereits eine große Anzahl von Abgeordneten aus ver- bewerb und in der Realisierung darüber nachdenken, wie schiedenen Fraktionen einen ähnlichen Antrag unter- auch in Leipzig der Selbstbefreiung und Wiedervereini- stützt. Es geht also nicht um ein Hauruckverfahren, Kol- gung ein Zeichen der Erinnerung gesetzt werden kann, lege Hettlich. Das Motiv war und ist: Wir Deutschen und uns dazu auch verpflichten. sollten all unseren Mut zusammennehmen und mit ei- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten nem Denkmal daran erinnern, dass deutsche Geschichte der CDU/CSU, der FDP und des BÜNDNIS- auch einmal gut ausgehen kann und gut ausgegangen ist. SES 90/DIE GRÜNEN) (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und der Weil wir das wollen, ist der vorgelegte Änderungsantrag, FDP) liebe sächsische Kollegen, überflüssig. Wir sollten an das Annus mirabilis, an das Jahr der Wun- (Joachim Günther [Plauen] [FDP]: Nein!) der 1989/90, erinnern. Wir sollten ein Erinnerungsmal daran errichten, dass – mit den Worten des großen Histo- Liebe Kolleginnen und Kollegen, diesem Anliegen, rikers Fritz Stern – die Bevölkerung der DDR die erste diesem Projekt werden auch – wenig überraschend – und einzige erfolgreiche friedliche Revolution in Gang Skepsis und Ablehnung entgegengebracht. Es heißt, ein gesetzt hat, die Deutschland je erlebt hat. Wir sollten ein solches Denkmal sei schlicht überflüssig, es komme zu Denkzeichen dafür errichten, dass endlich Einheit und früh, wir seien zu eilfertig. Nun ja, ohne Diskussionen Freiheit, Freiheit und Einheit zusammen verwirklicht wird es und soll es auch nicht gehen. Wir wollen kein werden konnten und nicht das eine dem anderen geopfert Denkmal, das in einer ministeriellen oder parlamentari- wurde. schen Geheimaktion geplant und verwirklicht wird. Im Gegenteil, die Verständigung über Sinn, Gestalt und Ort (Beifall bei der SPD) eines solchen Denkmals kann und soll der kollektiven Wir sollten ein Mahnmal unseres historischen Glücks er- Selbstverständigung der Deutschen dienen. Einmi- schung ist ausdrücklich erwünscht. richten, damit wir nicht vergessen, wie kostbar und wie verletzlich Freiheit und Einheit sind und wozu uns unser (Beifall bei Abgeordneten der SPD, der CDU/ nationales Glück verpflichtet. CSU und der FDP) 12966 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 124. Sitzung. Berlin, Freitag, den 9. November 2007

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (A) Die intellektuelle und künstlerische Herausforderung brach sich die Freiheitsrevolution Bahn. Freiheit, (C) ist ohnehin beträchtlich. An die deutsche Freiheitsge- Gleichheit, bürgerliche Rechte, Pressefreiheit, Gewal- schichte, die Wiedervereinigung und ihre europäischen tenteilung – diese zutiefst demokratischen Ideen gehören Zusammenhänge zu erinnern und das künstlerisch Ge- seitdem zu unserem politischen und historischen Erbe. stalt annehmen zu lassen, das ist wahrlich eine giganti- 100 Jahre später hat der Parlamentarische Rat sie ganz sche Aufgabe. Wir kennen Helden- und Kriegsdenkmä- bewusst im Grundrechtekatalog unserer Verfassung ver- ler, Opfer- und Totendenkmäler. Wir kennen mehr oder ankert. weniger peinliche Nationaldenkmäler. Aber wie soll his- Vorher gab es die Weimarer Verfassung von 1919. Sie torisches Glück, wie sollen Freiheit und Einheit in eine war eine freiheitliche Verfassung mit liberalen und so- dauerhafte künstlerische Form gerinnen? Ich bin sehr ge- zialen Grundrechten und vielleicht zu vielen plebiszitä- spannt. ren Elementen. Sie – nicht eine Räterepublik oder Räte- Wir stehen vor einer großen Herausforderung. Es diktatur nach sowjetischem Vorbild – war das Ergebnis wäre trotzdem gut, wenn wir es bis zum 20. Jahrestag der Revolution von 1918. Diese junge Demokratie hatte der deutschen Einheit schaffen könnten. Das ist ein ehr- nur einen kurzen Atem, ging unter im menschenverach- geiziges Ziel, aber kein Dogma. Beschließen wir heute tenden Terror des NS-Regimes. also den Start dieses notwendigen und wichtigen Pro- Dann kamen mit der Gründung der Bundesrepublik jekts. 1949 Demokratie, Rechtsstaat und Parlamentarismus. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Die Freiheit, den Alliierten geschuldet, fand zurück zu ihren Wurzeln. Sie durfte im Westen gelebt werden. Im Präsident Dr. Norbert Lammert: Osten schlugen am 17. Juni 1953 die sowjetische Besat- Ich erteile das Wort dem Kollegen Wolfgang Börnsen zungsmacht und DDR-Grenztruppen den Volksaufstand für die CDU/CSU-Fraktion. nieder. Es gab über 100 Tote, 20 Hinrichtungen und 3000 Verhaftungen. Die erste große Freiheitsbewegung (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) gegen die kommunistische Diktatur wurde niedergepan- zert. Der 17. Juni gehört zu unserer Freiheitsgeschichte. Wolfgang Börnsen (Bönstrup) (CDU/CSU): (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und der Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! FDP) Der 9. November ist ein Tag der Trauer und gleichzeitig ein Tag des Glücks, ein deutscher Tag: Reichskristall- Ohne Freiheit gibt es keine Demokratie. Die Deutsche nacht und Mauerfall. 1938 die hässliche Fratze unserer Demokratische Republik war eine demokratische Täu- schung, ein Potemkinsches Dorf der Begrifflichkeiten. (B) Vergangenheit und 1989 ein Tag, an dem die Träume (D) tanzen lernten. Die Freiheit? Ein Traum, eingesperrt zwischen Stachel- draht und Staatssicherheit. Erst 1989 wurde sie er- Ich habe den für mich bewegendsten Augenblick un- kämpft, friedlich und ohne Blutvergießen. serer jüngsten Geschichte im Bonner Wasserwerk erlebt. Es war gegen 21 Uhr. Auf der Tagesordnung stand die Es ist an der Zeit, sich der gesamten Freiheitsge- Beratung des Vereinsförderungsgesetzes. Der Plenarsaal schichte unseres Landes zu erinnern. Keine Nation kann war gut besetzt, es sollte nämlich eine namentliche Ab- ihre Identität und ihre Orientierung allein aus ihrem Ver- stimmung folgen. unterbrach plötz- sagen und ihren dunklen Kapiteln gewinnen. Vorgestern, lich die Debatte. Kanzleramtsminister er- bei der Anhörung des Kulturausschusses zum Gedenk- hielt das Wort – dann die explosive Mitteilung: Die stättenkonzept, hat sich Salomon Korn wie die überwie- Mauer ist gefallen. Wir sind das glücklichste Volk der gende Mehrzahl der Historiker für das Freiheits- und Welt. Liesel Hartenstein fiel Willy Brandt in die Arme. Einheitsdenkmal hier in der Hauptstadt ausgesprochen, und Wolfgang Mischnick kämpften auf- weil die Befreiung von Diktaturen als Zeichen der Ermu- gewühlt mit ihren Tränen. Spontan sang das gesamte tigung dokumentiert werden muss. Doch es gilt, unsere Parlament unsere Nationalhymne von Einigkeit und gesamte Freiheitsgeschichte wahrzunehmen. Ein Denk- Recht und Freiheit. Drei Kollegen von den Grünen ver- mal für Freiheit und Einheit kann diese Funktion erfül- ließen den Plenarsaal. Trotzdem werde ich diesen wun- len. Es macht die Signalfunktion von Freiheit deutlich. derbarsten Augenblick meines parlamentarischen Le- Es steht für die glücklichen Augenblicke unserer Ge- bens nie vergessen, weil ich miterleben durfte, dass sich schichte. Solche Momente gehören nicht in die Besen- in meinem eigenen Land der Wille zur Freiheit friedlich kammer der Erinnerung. Bahn gebrochen hat durch die unbändige Spontaneität (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und der der Leipziger, die Courage der Bürgerrechtler und den FDP) Mut von Menschen in unserem Land. Im Gegenteil, es wird Zeit, sich daran zu erinnern: Un- (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und der sere Landsleute haben sich über viele Jahrhunderte mit FDP) Leidenschaft und ihrem Leben für die Freiheit einge- Deutschlands Freiheits- und Einheitsgeschichte geht setzt. Diese Tugenden haben Vorbildcharakter für die jedoch über diesen epochalen Augenblick hinaus. Schon junge Generation. Erinnern braucht Gestalt. Denkmäler 1817 stritten Studenten beim Wartburgfest für Freiheit sind notwendig. Ohne sie geht Erinnerung verloren. Er- und ein geeintes Vaterland. Beim Hambacher Fest for- innern braucht vor allen Dingen Wissen. Nur wer infor- derte man Freiheit und Demokratie. Doch erst 1848 miert ist, kann auch gedenken. Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 124. Sitzung. Berlin, Freitag, den 9. November 2007 12967

Wolfgang Börnsen (Bönstrup) (A) Ein Denkmal muss auch ein Lern- und Erinnerungsort Denn meine Gedanken (C) sein. Dafür sind Voraussetzungen zu schaffen; denn, wie zerreißen die Schranken die Sachverständigen bei der Anhörung feststellten, es und Mauern entzwei: gibt einen Mangel an positiven Geschichtserinnerungen. Die Gedanken sind frei! Es fehlt an Kenntnis über die deutsche Freiheitsge- Bitte stimmen Sie mit für das Denkmal für Freiheit schichte. Das Denk-Mal muss die Ausrichtung der Ge- und Einheit hier in der Hauptstadt! staltung bestimmen. Das Nach-Denken ist ebenso anzu- regen wie das Voraus-Denken. (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und der FDP) Wo soll es stehen? Wir sagen: in Berlin. – Der Wunsch der Leipziger, es bei sich aufzustellen, ist außer- ordentlich verständlich, gingen doch von dort die folgen- Präsident Dr. Norbert Lammert: reichen Montagsdemonstrationen aus. Das Wort erhält nun der Kollege Gunter Weißgerber, SPD-Fraktion. (Beifall des Abg. Jan Mücke [FDP]) (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Eine Stele an der Nikolaikirche erinnert bereits an die der FDP und des Abg. Peter Hettlich [BÜND- beispielgebende Tat der Leipziger in dieser Stadt. Da wir NIS 90/DIE GRÜNEN]) aber die ganze Freiheitsgeschichte unseres Landes auf- nehmen wollen, ist die Hauptstadt der richtige Ort. Gunter Weißgerber (SPD): Klar ist: Das Freiheitsdenkmal muss 2009 errichtet Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es redet werden, in einem Jahr vierfachen Jubiläums: 160 Jahre ein Leipziger, und daher meinen viele, dass es lokalpa- Paulskirche, 20 Jahre Mauerfall, 90 Jahre Weimarer Ver- triotisch zugeht. Überhaupt nicht! fassung, 60. Geburtstag der Bundesrepublik. Das ist ein Jahr, um der Freiheitsgeschichte unseres Landes in Für mich ist es undenkbar, in Leipzig ein Denkmal Würde, aber auch in Freude und Fröhlichkeit zu erin- hinzustellen und es in Berlin nicht zu tun. Die deutsche nern. Nachkriegsgeschichte ist für mich ohne die geteilte Stadt Berlin, ohne die Blockade, ohne den Volksaufstand, Die Verwirklichung des Denkmals erfolgt gemeinsam ohne den Mauerbau, ohne die Ostberliner Untergrund- mit der Deutschen Gesellschaft. Sie steht für Seriosität szene und ohne den Sturm auf die Umweltbibliothek und Kompetenz. Ihre Mitstreiter Lothar de Maizière, überhaupt nicht denkbar. Deshalb gehört nach Berlin auf Jürgen Engert, Florian Mausbach, Günter Nooke, jeden Fall ein ganz wichtiges Denkmal, und zwar dieses. Richard Schröder – einige sind heute hier – haben mit Deshalb verstehe ich überhaupt nicht, warum die Linke (B) dafür gesorgt, dass eine Idee aus der Mitte der Gesell- die Geschichte so verkürzt. (D) schaft Gestalt annahm. Klar ist natürlich: Der Mauerfall, der auch mit Berlin Heute sorgen wir im Deutschen Bundestag dafür, dass zusammenhängt, ist eine Folge von Ereignissen, die sich sie Realität wird. Bemerkenswert ist, dass die drei vor- speziell im Herbst 1989 in Ostdeutschland vor allem in liegenden Anträge in ihrer Zielsetzung fast übereinstim- der Provinz abgespielt haben; aber natürlich auch in Ost- men. Vor sieben Jahren scheiterte eine solche Initiative. berlin; ich denke an die Gethsemanekirche. Die ganzen Bei meinen zahlreichen Gesprächen in den vergangenen Bilder habe ich noch vor mir. Ich habe vor dem Fernse- zwei Jahren zur Beförderung des Antrags habe ich die her mitgelitten. In der Provinz aber ging die Bewegung Erfahrung gemacht: Heute sind alle, ob Kritiker oder Be- los, speziell in Leipzig. Sie werden in Ostdeutschland fürworter, in ihrer geschichtlichen Betrachtung differen- fast niemanden finden, der nicht sagen wird – egal wo er zierter geworden als in der Vergangenheit. Sie sind viel wohnt und wo seine Demonstrationen stattfanden –: ei- bereiter, dem ermutigendem Freiheits- und Einheitsge- gentlich Leipzig. Dort hat sich nämlich alles fokussiert. danken einen höheren Stellenwert einzuräumen. Auch das ist ermutigend. Es waren ja nicht nur 70 000 Leipziger am 9. Okto- ber 1989 auf der Straße. Es waren auch viele von aus- wärts dabei. Sie sind nach Leipzig gefahren, weil klar Präsident Dr. Norbert Lammert: war: Von dort ist das Signal am mächtigsten. Aus diesem Herr Kollege, Sie denken bitte an die Redezeit – trotz Grunde und deshalb, weil der Ruf „Wir sind das Volk“ in des wichtigen Themas. Leipzig entstanden ist – daraus wurde: „Wir sind ein Volk“; wir sind jetzt ein Volk in einem freien Land; wun- Wolfgang Börnsen (Bönstrup) (CDU/CSU): derbar! –, haben wir diesen Änderungsantrag vorgelegt. Herr Präsident, ich komme zum Schluss. Ich bedanke mich ausdrücklich bei denjenigen, die Kein Text fasst dieses Ideal von Freiheit schöner als mir hierbei Unterstützung erwiesen haben. Es sind übri- das Volkslied aus dem Jahr 1780, dass 1848 verboten gens nicht nur Sachsen; die Kolleginnen und Kollegen wurde: Die Gedanken sind frei. Darin heißt es in der drit- kommen aus allen Bundesländern, aus Ost wie West. Die ten Strophe: Unterstützung vollzieht sich also auf nationaler Ebene und nicht nur auf regionaler Ebene. Dafür bedanke ich Und sperrt man mich ein mich. im finsteren Kerker, das alles sind rein (Beifall bei der SPD und der FDP sowie bei vergebliche Werke. Abgeordneten der CDU/CSU) 12968 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 124. Sitzung. Berlin, Freitag, den 9. November 2007

(A) Präsident Dr. Norbert Lammert: (Beifall bei der SPD) (C) Letzter Redner zu diesem Tagesordnungspunkt ist der Es gibt gute Beispiele dafür, in welchen Bereichen Kollege Klaas Hübner, SPD-Fraktion. uns dies schon gelungen ist. Ich denke an den Bereich der erneuerbaren Energien und an den Bereich der Solar- Klaas Hübner (SPD): zellentechnologie. In meinem Wahlkreis hatten vor Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her- sieben Jahren zehn junge Leute die Idee, eine Solarzel- ren! Lieber Kollege Gunter Weißgerber, ich kann gut lenproduktion aufzubauen. Sie haben damals zu zehnt verstehen, dass man darauf hinweist, dass die friedliche angefangen. Heute beschäftigen sie in ihrer eigenen Revolution, die zur Einheit geführt hat, in Gesamtost- Firma 1 500 Mitarbeiter. Das hat mittlerweile zu deutschland stattgefunden hat und dass ihrer überall ge- weiteren Investitionen aus Kanada und den USA in die dacht werden soll. Aber wir haben heute über den Region um Wolfen und Thalheim bei Bitterfeld ge- Antrag zu entscheiden, ein bestimmtes Denkmal zu er- führt. Insgesamt sind in diesem Bereich dort heute richten, und zwar hier in der Hauptstadt Berlin. Richard 5 000 Menschen beschäftigt. Schröder hat gesagt: (Beifall des Abg. Jörg Tauss [SPD]) Berlin [ist] die Hauptstadt des Landes und damit auch die Hauptstadt unserer Erinnerungskultur. Nach den jetzigen Investitionsplanungen ist fest davon auszugehen, dass im Jahre 2010 10 000 Menschen in ei- Wir entscheiden heute über einen entsprechenden An- nem vollkommen neuen Technologiebereich einen Ar- trag. Deshalb möchte ich darum bitten, ihm in der vorlie- beitsplatz haben werden. genden Fassung zuzustimmen. Das zeigt: Es lohnt sich, in neue Technologien zu in- Das enthebt uns nicht der Notwendigkeit der Diskus- vestieren. Es lohnt sich auch, das von staatlicher Seite sion, gemeinsam mit den Landesregierungen und den durch eine gute Förderpolitik zu begleiten. Dies bringt Menschen darüber nachzudenken – einer meiner Vorred- den Menschen etwas. Dies führt zur Schaffung von Ar- ner hat es gesagt –, wie man auch an anderen Orten eine beitsplätzen und ist gut für die neuen Bundesländer. Stätte des Erinnerns und des Ehrens dessen, was 1989 geschehen ist, in geeigneter Weise errichten kann. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) (Beifall bei Abgeordneten der SPD) In diesem Zusammenhang möchte ich auf einen Punkt hinweisen, der auch Bestandteil unseres Ent- Ich möchte im Rahmen des Jahresberichts zum Stand schließungsantrages ist. Er betrifft die Verstetigung des- der deutschen Einheit noch auf einen ganz anderen As- sen, was wir GA-Mittel-Förderung nennen. Hierbei geht (B) pekt eingehen. Die Wirtschaftskraft Ostdeutschlands ist es um eine Investitionsförderung, die die zielgenaueste (D) in den letzten 17 Jahren deutlich gestiegen. Wir haben ist, die wir haben. Denn hier werden Investitionen geför- zwar heute nur 70 Prozent der Wirtschaftskraft des Wes- dert, die zur Schaffung von Arbeitsplätzen führen. Die tens; aber immerhin haben wir sie. Dass wir in den letz- Mittel für dieses zielgenaue Instrument sollten wir auf ten 17 Jahren so weit gekommen sind, ist eine gewaltige möglichst hohem Niveau verstetigen. Das bietet uns die Leistung des Gesamtstaates. Es ist nicht nur eine Leis- beste Gelegenheit, eine zielgenaue Wirtschaftspolitik zu tung Ostdeutschlands, sondern sie ist auch geprägt von betreiben. Insofern bitte ich den Haushaltsausschuss, der Solidarität des Westens, wofür ich mich an dieser noch einmal zu überdenken – ich weiß, dass das in Zei- Stelle ausdrücklich bedanken will. ten, in denen die Steuerschätzung nicht so gut ausfällt, wie man sich das wünscht, schwierig ist –, ob man nicht Wir müssen aber weiterkommen. Wir müssen Chan- eine Verstetigung der Mittel auf altem Niveau erreichen cen ergreifen, um schneller an die durchschnittliche kann. Ich glaube, dies wäre gut für die neuen Bundeslän- Wirtschaftskraft Gesamtdeutschlands aufzuschließen. der. Dabei muss man erkennen, dass uns das nur sehr schwer gelingen wird, wenn wir versuchen, den Aufholprozess (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der dadurch zu generieren, dass wir parallele Strukturen zu CDU/CSU) bestehenden Industriezweigen aufbauen. Solche Indus- trien hätten sich nachher in einem Verdrängungswettbe- Sicherlich sollten wir gerade bei einer Debatte um die werb zu behaupten. deutsche Einheit nicht verschweigen, dass es noch Pro- bleme gibt. Wir sollten aber vor allen Dingen auf die Er- Es wird vielmehr notwendig sein, dass wir in Ost- folge und auf die ungemeinen Chancen der vor uns deutschland Forschung und Innovationen bei neuen liegenden Entwicklung hinweisen. Wir sollten den Men- Technologien fördern und damit auf neue Märkte vorsto- schen keine Angst machen, sondern Mut machen, diese ßen; denn dort, wo neue Märkte entstehen, ist es am ein- Chancen zu ergreifen. Dadurch, dass sich die Europäi- fachsten, entsprechend zu wachsen und schnell an die sche Union nach Osteuropa erweitert hat, hat die Zahl Spitze zu kommen. Darum haben die Koalitionsfraktio- der Menschen in Europa um 20 Prozent, die Wirtschafts- nen in ihrem Entschließungsantrag zum Jahresbericht kraft aber nur um 5 Prozent zugenommen. Das heißt, zum Stand der deutschen Einheit einen besonderen hier ist ein Potenzial, das noch entwickelt werden kann Schwerpunkt auf eine verstärkte Förderung von For- und entwickelt werden muss. Das ist ein Wachstums- schung und Innovationen in den neuen Bundesländern potenzial direkt an der Grenze der neuen Bundesländer, gelegt. Hierin sehe ich eine Chance, Ostdeutschland das wir als Chance begreifen sollten und nutzen müssen. nach vorne zu bringen. Die EU-Erweiterung stellt für die neuen Bundesländer in Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 124. Sitzung. Berlin, Freitag, den 9. November 2007 12969

Klaas Hübner (A) erster Linie nicht ein Risiko, sondern eine Chance dar. kennbar die Mehrheit war. Das heißt, der Änderungs- (C) Lassen Sie uns das den Menschen sagen! Lassen Sie uns antrag ist damit abgelehnt. ihnen Mut machen. Ich glaube, das haben die Menschen in Ostdeutschland, aber auch in Gesamtdeutschland ver- Ich erlaube mir in diesem Zusammenhang den Hin- dient. weis, der im Übrigen in der Debatte von verschiedenen Rednern vorgetragen worden ist, dass niemand ernsthaft Vielen Dank. erwartet, dass mit dem heutigen Beschluss die Debatte zu Ende ist. Sie soll damit ausdrücklich auf eine mög- (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und der lichst breite Basis gestellt werden. FDP) (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- Präsident Dr. Norbert Lammert: neten der SPD) Ich schließe die Aussprache. Ich darf noch darauf hinweisen, dass mir zu der Ab- stimmung über die Beschlussempfehlung des Ausschus- Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage auf ses eine persönliche Erklärung zum Abstimmungsver- Drucksache 16/6500 an die in der Tagesordnung aufge- halten nach § 31 unserer Geschäftsordnung von den führten Ausschüsse vorgeschlagen. Die Entschließungs- Kollegen Gunter Weißgerber und Rainer Fornahl vor- anträge auf den Drucksachen 16/7014 und 16/7015 sol- liegt.1) Die nehmen wir selbstverständlich zu Protokoll. len an dieselben Ausschüsse überwiesen werden. Sind Sie damit einverstanden? – Das sieht so aus. Dann sind Wir stimmen jetzt über die Beschlussempfehlung ab, die Überweisungen so beschlossen. also über die Zusammenführung der Anträge und Annahme in der Fassung des Antrages auf Drucksache 16/6925. Wer Wir kommen unter dem Tagesordnungspunkt 33 b zur stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt Beschlussempfehlung des Ausschusses für Verkehr, Bau dagegen? – Wer enthält sich? – Das war jetzt zweifellos und Stadtentwicklung zu dem Jahresbericht der Bundes- eindeutiger. Das Erste war die Mehrheit. Die Beschluss- regierung zum Stand der deutschen Einheit 2006 und zu empfehlung ist angenommen. dem Entschließungsantrag der Fraktionen der CDU/CSU und SPD zu diesem Bericht. Unter Buchstabe c empfiehlt der Ausschuss die Ab- lehnung des Antrages der Fraktion Die Linke auf Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfeh- Drucksache 16/6926 mit dem Titel „Errichtung eines lung auf Drucksache 16/4041, in Kenntnis der Unter- Denkzeichens mit Dokumentationszentrum zur Erinne- richtung auf Drucksache 16/2870 den Entschließungs- rung an die friedliche Revolution 1989“. Wer stimmt für antrag der Fraktionen der CDU/CSU und SPD auf diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – (B) Drucksache 16/3310 anzunehmen. Wer stimmt für diese (D) Wer enthält sich? – Die Beschlussempfehlung ist mit Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer eindeutiger Mehrheit angenommen. enthält sich der Stimme? – Die Beschlussempfehlung ist mit Mehrheit angenommen. Schließlich empfiehlt der Ausschuss unter Buch- stabe d seiner Beschlussempfehlung die Ablehnung des Unter Punkt 33 c unserer Tagesordnung geht es um Antrages der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf die Beschlussempfehlung des Ausschusses für Kultur Drucksache 16/6927 mit dem Titel „Diskussionsprozess und Medien auf der Drucksache 16/6974. über ein Freiheits- und Einheitsdenkmal unter breit an- Wir kommen zunächst zu dem Antrag der Fraktionen gelegter Beteiligung der Öffentlichkeit initiieren“. Wer der CDU/CSU, SPD und FDP auf Drucksache 16/6925 stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt sowie zum Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und dagegen? – Wer enthält sich? – Die Beschlussempfeh- SPD auf Drucksache 16/6776 mit gleichlautenden Ti- lung ist mit der Mehrheit der Koalitionsfraktionen ange- teln: Errichtung eines Freiheits- und Einheits-Denkmals. nommen. Unter Buchstaben a und b empfiehlt der Ausschuss, Ich rufe nun die Zusatzpunkte 11 und 12 auf: die genannten Anträge zusammenzuführen und in der Fassung des Antrags auf Drucksache 16/6925 anzuneh- ZP 11 Beratung des Antrags der Abgeordneten Fritz men. Kuhn, Dr. Anton Hofreiter, Winfried Hermann, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜND- Hierzu liegt ein Änderungsantrag der Abgeordneten NIS 90/DIE GRÜNEN Gunter Weißgerber, Rainer Fornahl, Simone Violka und weiterer Abgeordneter vor. Darüber stimmen wir nun Tempolimit 130 km/h auf Autobahnen sofort zunächst ab. Wer für diesen gerade genannten Ände- einführen rungsantrag auf Drucksache 16/7047 stimmt, den bitte – Drucksache 16/6894 – ich um das Handzeichen. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich der Stimme? ZP 12 Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Dagmar Enkelmann, Dr. Gesine Lötzsch, (Zuruf von der CDU/CSU: Das ist nicht ganz Dorothee Menzner, weiterer Abgeordneter und klar!) der Fraktion DIE LINKE – Das Präsidium ist sich einig, dass die Mehrheit knap- per war, als vermutet wurde, dass aber das Zweite er- 1) Anlage 3 12970 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 124. Sitzung. Berlin, Freitag, den 9. November 2007

Präsident Dr. Norbert Lammert (A) Schnellstmögliche Einführung eines generellen Deutschland könnte ein Viertel – das besagt eine Studie, (C) Tempolimits von 130 Stundenkilometern auf die im Auftrag der Brandenburger Landesregierung ent- Bundesautobahnen standen ist – gerettet werden. Das ist ein elementarer Grund. An dieser Stelle frage ich immer wieder die – Drucksache 16/6932 – Union und die FDP: Wieso weichen Sie diesem Grund Überweisungsvorschlag: immer aus? Wieso wollen Sie diesen sachlichen Grund Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung (f) Innenausschuss nicht zur Kenntnis nehmen? Wir können Menschenleben Ausschuss für Wirtschaft und Technologie retten. Ich fordere die CDU/CSU auf, dies zu tun. Ausschuss für Gesundheit Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Ausschuss für Tourismus Der dritte Grund ist nicht minder wichtig: Es würde Haushaltsausschuss weniger Staus auf unseren Autobahnen geben; Diese Beratung unterscheidet sich von der vorherigen auch dadurch, dass der Antrag auf schnellstmögliche (Jörg van Essen [FDP]: Das Gegenteil ist der Umsetzung bei dem eben mit Mehrheit beschlossenen Fall!) Antrag nicht gestellt wurde. denn Staus entstehen, wenn Fahrer mit sehr hohen Ge- Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für schwindigkeiten auf Fahrer mit niedrigerer Geschwin- diese Aussprache eineinviertel Stunden vorgesehen. – digkeit stoßen. Der Verkehrsfluss würde durch ein Tem- Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlos- polimit also harmonisiert. In der Studie, die gestern von sen. der Brandenburger Regierung vorgestellt wurde, wurde das empirisch untersucht. Sie kommt zu dem Ergebnis, Bevor ich die Aussprache eröffne, bitte ich um dass bei einem Tempolimit von 130 km/h auf einer schnellstmögliche Herstellung der nötigen Aufmerksam- sechsspurigen Autobahn pro Tag 7 200 Fahrzeuge mehr keit bei denjenigen, die an dieser Debatte teilnehmen durchkämen, sich der Verkehrsdurchfluss also entspre- können und wollen. chend erhöhen würde, und zwar, weil die Harmonisie- rung des Verkehrs durch ein Tempolimit gegeben wäre. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort erhält zunächst der Kollege Fritz Kuhn für die Fraktion Bündnis 90/Die (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Grünen. sowie bei Abgeordneten der SPD) Der vierte Grund – wenig diskutiert in der Öffentlich- Fritz Kuhn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): keit, aber ich will ihn nennen –: Stress und Aggressio- Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich nen würden abgebaut, und vor allem für ältere Men- (B) (D) möchte mit zwei Zitaten beginnen: schen wären die Autobahnen wieder leichter benutzbar. Wir wollen die steuerliche Besserstellung hochver- (Jörg van Essen [FDP]: Keine Altersdiskrimi- brauchender Dienstwagen abschaffen. nierung!) Ein schneller und unbürokratischer Weg zum Kli- Ich richte folgende Frage an die CDU/CSU: Wenn wir maschutz ist die Einführung einer allgemeinen Ge- eine alternde Gesellschaft haben und auch mehr ältere schwindigkeitsbegrenzung von 130 km/h. Menschen auf den Autobahnen fahren, muss man dann Das ist vor wenigen Tagen auf dem SPD-Parteitag in nicht irgendwann einmal von diesem Hochgeschwindig- Hamburg so beschlossen worden. keitswahn abkommen, der nur noch in Deutschland, aber sonst nirgendwo in Europa stattfindet? (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPD, ich sowie bei Abgeordneten der SPD – Zuruf von will Ihnen sagen, dass wir diesen Beschluss gut finden. der FDP: Ein solcher Quatsch!) In unserem Programm haben wir uns zwar für ein Tem- polimit von 120 km/h ausgesprochen, heute beantragen Deswegen sage ich denen von der FDP, die jetzt hier wir aber die Umsetzung Ihres Beschlusses. Ich will deut- geifern – den jungen Mann kannte ich bisher noch gar lich machen, aus welchen Gründen wir das tun. Im We- nicht –: Das Tempolimit in Deutschland wird kommen, sentlichen sprechen vier Gründe für diese Position: so wie das Rauchverbot in den Gaststätten gekommen ist. Sie können sich noch ein Weilchen dagegen wehren, Erstens. Ein Tempolimit auf deutschen Autobahnen aber die Vernunft wird sich an dieser Stelle schlicht und bringt sofort – ich betone: sofort – eine Reduktion der einfach durchsetzen. CO2-Emissionen um mindestens 2,5 Millionen Tonnen jährlich. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Ich möchte zu zwei Gegenargumenten kommen, die Das entspricht immerhin 7 bis 8 Prozent der durch Pkws immer vorgebracht werden. Das erste Argument, das auf Autobahnen verursachten Emissionen. auch von Umweltminister Gabriel in Interviews genannt wird, – Der zweite Grund ist, dass ein Tempolimit auf Auto- bahnen die Zahl der Verkehrstoten reduzieren würde. (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Von den jährlich 600 Verkehrstoten auf Autobahnen in NEN]: Wo ist er eigentlich?) Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 124. Sitzung. Berlin, Freitag, den 9. November 2007 12971

Fritz Kuhn (A) – vielleicht steckt er im Stau, weil wir kein Tempolimit Downsizing und ein Wettbewerb um das ökologischste (C) haben; das kann man in seinem Fall nicht wissen – Auto stattfinden. Das geht ohne Tempolimit nicht ohne Weiteres. (Zustimmung bei Abgeordneten der SPD) Ich will zum Schluss sagen: Manches ist einfach eine lautet: Die CO2-Einsparungen in Höhe von Angewohnheit, die man nicht so gerne aufgeben will. 2,5 Millionen Tonnen durch ein Tempolimit seien zu we- Ich darf Frau Nahles von der SPD zitieren. nig, man müsse die CO2-Emissionen um 270 Millionen Tonnen reduzieren, um die Klimaschutzziele zu errei- ( [SPD]: Das ist bekannt!) chen. Ich kann nur sagen: Das ist ein absurdes Verständ- nis dessen, wie wir Klimaschutz in Deutschland betrei- Vizepräsidentin Petra Pau: ben sollten. Kollege Kuhn, das müssen Sie sich bitte aufheben. Sie haben Ihre Redezeit schon überschritten. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (Zuruf von der SPD: Das kann man auch weg- Denn es ist doch klar, dass wir alle Maßnahmen brau- lassen!) chen. Wir sind doch nicht in der komfortablen Situation, uns von 20 Maßnahmen drei auszusuchen. Klimaschutz, die Reduzierung um 270 Millionen Tonnen erreichen Fritz Kuhn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): wir nur, wenn wir alle Maßnahmen anpacken. Es dauert eine halbe Minute, Frau Präsidentin.

Im Übrigen hat man – auch Frau Merkel und Herr Vizepräsidentin Petra Pau: Gabriel – uns immer erzählt, das Gebäudesanierungspro- Ein letzter Satz! gramm – es ist wirklich gut – sei ein so tolles Programm, das man unbedingt machen müsse. Es sei ein Glanzstück des Klimaschutzes. Dieses Programm hat im Jahr 2006 Fritz Kuhn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Frau Nahles sagte nach dem Parteitag: 1 Million Tonnen CO2 eingespart. Warum sind 2,5 Millionen Tonnen plötzlich zu wenig, wenn bei an- Aber ich fahre gerne auch mal schnell Auto, wo das deren Programmen 1 Million Tonnen eine riesige und möglich ist. Auf meine Lieblings-Rennstrecke auf gute Zahl ist? der A 48 würde ich nur sehr ungern verzichten. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Frau Nahles, ich kann nur sagen: Das ist ein Fall für die Drogenbeauftragte der Bundesregierung. Deswegen sage ich an die Adresse der Bundesregierung: Wer ein wirkliches Klimaschutzprogramm umsetzen (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (B) und verwirklichen will, kommt an einem Tempolimit auf (D) den deutschen Autobahnen nicht vorbei. Vizepräsidentin Petra Pau: (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Für die Unionsfraktion hat nun der Kollege Storjohann das Wort. Das zweite Argument ist industriepolitischer Art. Es wird gesagt, die deutsche Automobilindustrie könne nur Gero Storjohann (CDU/CSU): auf dem heutigen Stand weiter exportieren, wenn wir Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und kein Tempolimit haben, weil auf unseren Fahrzeugen Herren! Herr Kuhn hat uns eben eine Studie aus Bran- das Marketinglabel „Tested on the German Autobahn“ denburg zum Besten gegeben, mit der er als Beispiel die stehen müsse. Dazu kann ich nur sagen: Wer die Realität sechsspurigen Autobahnen anführte. Ich hatte vor mei- der Exporte der deutschen Automobilindustrie kennt, nem Auge jetzt überprüft, wo wir in Schleswig-Holstein der weiß, dass das eine absurde Konstruktion ist. Por- sechsspurige Autobahnen haben und wo sich die Grünen sche exportiert vorwiegend in die Vereinigten Staaten, jemals für einen sechsspurigen Autobahnausbau ausge- die ja nun nachgerade ein Tempolimit der Sonderklasse sprochen hätten. Deswegen gibt es einen Konflikt: Sie haben. Daran kann es also wirklich nicht liegen. werden die Verkehrssicherheit insgesamt forcieren (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN müssen, aber dann müssen Sie auch den Ausbau von sowie bei Abgeordneten der SPD) Straßen bei uns unterstützen. Außerdem produziert der größte Konkurrent der deut- Knapp 23 Jahre ist es her, da beantragten die Grünen schen Automobilindustrie, Toyota, in Japan, wo es ein im Deutschen Bundestag aus Gründen des Umweltschut- Tempolimit von 110 km/h gibt. Die Automobilindustrie zes und der Verkehrssicherheit ein Tempolimit von kann also durch eine allgemeine Geschwindigkeitsbe- 100 km/h; das war in der 10. Wahlperiode 1985. In der grenzung auf Autobahnen nicht so sehr geschwächt wer- 11. Wahlperiode, im September 1988, beantragten die den. Grünen Tempo 100 als Maßnahme gegen Luftver- schmutzung und Gesundheitsgefährdung wegen fotoche- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) mischen Smogs. In der 12. Wahlperiode, im September 1993, wollten die Grünen dann 20 km/h mehr, also Es geht, glaube ich, um eine ganz einfache Frage. Tempo 120 durchsetzen. Grund war diesmal die Be- Wenn wir eine Geschwindigkeitsbegrenzung hätten, kämpfung des Waldsterbens. würde der Drang, immer größere, schnellere und auf- grund der Sicherheitstechnik schwerere Autos zu bauen, (Fritz Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: endlich aufhören. Es würden endlich ein vernünftiges Das stimmt ja auch alles!) 12972 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 124. Sitzung. Berlin, Freitag, den 9. November 2007

Gero Storjohann (A) In der 13. Wahlperiode, im Oktober 1997, wollten die (Zuruf vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: (C) Grünen für Pkw bis 2,8 Tonnen Gesamtgewicht Und Kindergärten, Schulen und Zebrastrei- Tempo 100 auf Autobahnen und für alle anderen fen!) Tempo 80 einführen. Diesmal musste unter anderem die Darüber hinaus sind heute bereits knapp 40 Prozent neue Erscheinung wilder Straßenrennen dafür herhalten, des Autobahnnetzes dauerhaft oder durch Baustellen ge- wie es in dem damaligen Antrag hieß. In der 14. und der schwindigkeitsbeschränkt. Auf knapp 10 Prozent des 15. Wahlperiode stellten die Grünen gar keinen Antrag Netzes werden Geschwindigkeitsbeschränkungen zum Tempolimit. durch Verkehrsbeeinflussungsanlagen in Abhängigkeit (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Zu- von Verkehrsdichte oder Wetterlage angeordnet. Damit rufe von der CDU/CSU und der FDP: Da ha- unterliegt knapp die Hälfte des deutschen Autobahnnet- ben sie auch regiert!) zes faktisch schon heute einem Tempolimit. – Da regierten sie. Außerhalb dieser Bereiche gibt es keinen vernünfti- gen Grund, ein allgemeines Tempolimit einzuführen – Meine Damen und Herren von den Grünen, wenn Ih- schon gar nicht aus Gründen der Verkehrssicherheit. Un- nen wirklich an einem allgemeinen Tempolimit gelegen sere Autobahnen sind die bei Weitem sichersten Straßen wäre, dann hätten Sie als Regierungspartei sieben Jahre in Deutschland. Zeit dafür gehabt, es einzuführen. Stattdessen stellen Sie (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) jetzt, in der 16. Wahlperiode und wieder in der Opposi- tion, in einem Jahr bereits den zweiten Antrag zum Tem- Auf den Bundesautobahnen werden rund 31 Prozent polimit. aller in Deutschland von Kraftfahrzeugen gefahrenen Kilometer zurückgelegt. Der Anteil an Verkehrstoten Ihrem Anliegen eines Tempolimits erweisen Sie ei- liegt auf den Bundesautobahnen bei etwa 12 Prozent und gentlich einen Bärendienst. Es geht Ihnen gar nicht um ist somit im Vergleich zu allen anderen Straßen wesent- die Sache, sondern um das Vorführen unseres Koaliti- lich geringer. onspartners SPD. (Zuruf von der SPD: Viel zu hoch!) (Zuruf von der FDP: So ist es!) – Ja, er ist noch zu hoch. Deswegen arbeiten wir an vie- Das ist keine seriöse Politik. len Konzepten, und natürlich muss auch der Kontroll- druck erhöht werden. All das wollen wir gemeinsam an- (Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- packen. NEN]: Geben Sie zu: Das freut Sie!) (B) 60 Prozent aller tödlichen Verkehrsunfälle – dieser (D) Anfang des Jahres wollten Sie als klimapolitische So- Anteil ist viel zu hoch – geschehen auf Landstraßen; hier fortmaßnahme Tempo 120 auf allen deutschen Autobah- gibt es übrigens ein allgemeines Tempolimit von nen. Jetzt wollen Sie wieder Tempo 130. Wer diesen 100 km/h. Danach folgen mit 28 Prozent die Unfälle, die Zickzackkurs noch nachvollziehen kann, möge sich bitte innerorts passieren; hier gilt ein allgemeines Tempolimit melden. von 50 km/h. Auf den deutschen Autobahnen verun- glücken rund 7,5 Prozent aller Verkehrsteilnehmer. Le- Meine Damen und Herren, die CDU/CSU-Fraktion diglich 6 Prozent aller Unfälle mit Personenschaden er- lehnt ein allgemeines Tempolimit auf den deutschen Au- eignen sich hier. Daher sollten Tempolimits auf tobahnen ab. Autobahnen nur an bekannten Unfallschwerpunkten und bei hohem Verkehrsaufkommen angeordnet werden. In (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – der Studie aus Brandenburg wurde deutlich, dass die An- Elisabeth Scharfenberg [BÜNDNIS 90/DIE ordnung eines Tempolimits von 130 km/h auf dem lan- GRÜNEN]: Erklären Sie doch mal, warum!) gen Abschnitt vor Berlin durchaus sinnvoll war und sich Für den Klimaschutz würde ein generelles Tempo- im Nachhinein als sehr richtig erwiesen hat. limit auf Autobahnen kaum erkennbare Verbesserungen (Zuruf von der LINKEN: Ach?) bringen. Die BASt hat im Jahre 1992 berechnet, dass rund zwei Drittel der Fahrleistungen auf Autobahnen mit Geschwindigkeitsbeschränkungen müssen für den Geschwindigkeiten unter der Richtgeschwindigkeit von Verkehrsteilnehmer immer nachvollziehbar sein. 130 km/h abgewickelt werden. Damals wurde festge- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Zuruf stellt, dass nur etwa 13 Prozent aller von Personenkraft- von der FDP: Sehr richtig!) wagen erbrachten Fahrleistungen mit Geschwindigkei- ten von über 150 km/h gefahren werden. Bereits heute leisten verkehrsabhängige Streckenbeein- flussungsanlagen, mit deren Hilfe die Anordnung von Seit der Erhebung vor 15 Jahren hat sich das Ver- Geschwindigkeitsbeschränkungen und Überholverboten kehrsaufkommen auf unseren Straßen jedoch um ein situationsabhängig geregelt werden kann, einen großen Vielfaches erhöht. Das bedeutet, dass schon heute auf Beitrag zu einem optimalen Fahrverhalten. vielen Streckenabschnitten gar nicht mehr schneller als (Zuruf von der CDU/CSU: Sehr richtig!) mit Tempo 130 gefahren werden kann. Das gilt insbe- sondere an Autobahnkreuzen, in der Nähe von Städten Dadurch wird der Verkehrsablauf auf unseren Autobah- und in Ballungszentren. nen verbessert und die Verkehrssicherheit erhöht. Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 124. Sitzung. Berlin, Freitag, den 9. November 2007 12973

Gero Storjohann (A) Die CDU/CSU spricht sich für den verstärkten Aus- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordne- (C) bau elektronischer Verkehrsbeeinflussungsanlagen ten der FDP – Zuruf von der SPD: Schwach!) entlang unserer Autobahnen aus. Im Bundeshaushalt für dieses Jahr haben wir für den Bau solcher Anlagen Vizepräsidentin Petra Pau: 30 Millionen Euro vorgesehen. Eine flexible Geschwin- Für die FDP-Fraktion hat nun der Kollege Döring das digkeitsregelung ermöglicht, dass die Autofahrer ihr Wort. Fahrtempo an die jeweilige Verkehrssituation und an die Umfeldbedingungen wie das Wetter und den Straßenzu- (Beifall bei Abgeordneten der FDP) stand anpassen. Untersuchungen haben ergeben, dass die Zahl der Un- Patrick Döring (FDP): fälle beim Einsatz elektronischer Verkehrsbeeinflus- Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! sungsanlagen um 20 bis 30 Prozent zurückgegangen ist. Ich bin schon überrascht, wie undifferenziert Sie, Herr Das hat auch zur Folge, dass diese flexible Regelung bei Kollege Kuhn, versucht haben, Ihren früheren Koali- den Autofahrern große Akzeptanz erfährt. tionspartner hier durch Verwendung falscher Zahlen vor- zuführen. (Elisabeth Scharfenberg [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Frenetischer Beifall bei der CDU/ (Elisabeth Scharfenberg [BÜNDNIS 90/DIE CSU!) GRÜNEN]: Welche waren denn falsch?) Diese Flexibilität erlaubt im Gegensatz zur Anord- Ich will versuchen, ein wenig sachlicher zu bleiben und nung eines starren Tempolimits, dessen Einführung die Zahlen zu nennen, die tatsächlich Grundlage einer Grüne und Linke heute vorschlagen, die optimale Nut- Debatte zu diesem Thema sein sollten. zung der Autobahn. Ein allgemeines Tempolimit ist im Ich habe mich übrigens gefragt, was sich seit dem Gegensatz zur Anordnung der Geschwindigkeit durch 20. September dieses Jahres eigentlich geändert hat. An Verkehrsbeeinflussungsanlagen nicht sinnvoll. Es muss diesem Tag haben wir an dieser Stelle nämlich schon alles vermieden werden, wodurch die Attraktivität der einmal mit den Stimmen der Koalition und der FDP Ihre sichersten Straße in Deutschland, nämlich der Autobahn, gleichlautenden Anträge abgelehnt; dass es in dem einen beeinträchtigt werden könnte. Fall um 120 km/h und in dem anderen Fall um 130 km/h (Elisabeth Scharfenberg [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- ging, sei einmal übersehen. Damals haben wir in einer, NEN]: Was? Das gibt es ja wohl nicht!) wie ich finde, sehr differenziert geführten Debatte deut- lich gemacht, warum wir diese Anträge ablehnen. Es Durch Einführung eines allgemeinen Tempolimits würde geht nämlich gerade nicht um das Motto „Freie Fahrt für (B) diese Attraktivität geschmälert. freie Bürger“, (D) (Fritz Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ha- (Irmingard Schewe-Gerigk [BÜNDNIS 90/ ben Sie das selber geschrieben, oder wie?) DIE GRÜNEN]: Na klar!) Durch die Anordnung eines allgemeinen Tempolimits sondern darum, dass man Tempolimits an Stellen, an de- laufen wir außerdem Gefahr, dass sich ein erheblicher nen sie sinnvoll sind, einführen sollte, dass man sie aber Anteil des Verkehrs auf die Landstraßen verlagert. dort, wo sie vom Fahrer bzw. vom Nutzer der Straße (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) eher nicht verstanden werden, nicht generell einführen sollte. Generelle Lösungen sind nicht so gut wie ausge- Meine Damen und Herren, Landstraßen sind aufgrund feilte und strukturell richtige Lösungen. Das muss man des Begegnungsverkehrs besonders gefährlich. Das Ri- zur Kenntnis nehmen. siko, auf einer Landstraße getötet zu werden, ist viermal so hoch, wie es auf der Autobahn ist. Überdies werden (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Landstraßen mit ihren häufigen Ortsdurchfahrten im Ge- Das kann man auch belegen. Einige Zahlen sind eben gensatz zu Bundesautobahnen von schwach motorisier- schon genannt worden. Ich gebe Ihnen recht, dass wir in ten Verkehrsteilnehmern, von Radfahrern und Fußgän- Deutschland mit 5 600 Toten zu viele Opfer durch Ver- gern genutzt. kehrsunfälle haben. Wir alle arbeiten gemeinsam daran, (Fritz Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: das zu ändern. Aber wenn wir uns das genauer an- Oh! Wie schrecklich!) schauen, sehen wir: Weniger als die Hälfte kommt bei Unfällen zu Tode, die durch nicht angepasste Geschwin- Eine Verlagerung des Verkehrs von Bundesautobahnen digkeit verursacht sind. Das ist das Erste, was man zur auf Landstraßen würde eine erhebliche Gefährdung aller Kenntnis nehmen muss: Weniger als die Hälfte wird des- Verkehrsteilnehmer nach sich ziehen und auf Kosten der wegen Opfer im Verkehr, weil der Unfall durch über- Verkehrssicherheit gehen. höhte Geschwindigkeit zustande kommt, sagt das Kraft- fahrt-Bundesamt; dessen Zahlen nehme ich jetzt einmal. Dies alles macht deutlich: Die Anträge der Grünen und der Linken sind nicht durchdacht. Sie sind reiner Insofern sind die Hochrechnungen zu Vermeidungs- Aktionismus. Daher lehnt die CDU/CSU-Bundestags- potenzialen absolut falsch. Denn 40 Prozent des Ver- fraktion die Vorschläge der Linksfraktion und der Frak- kehrs finden heute auf Autobahnen statt, und lediglich tion des Bündnisses 90/Die Grünen zur Einführung eines 12 Prozent der Opfer sind bei Unfällen auf Autobahnen allgemeinen Tempolimits ab. ums Leben gekommen. Das heißt, trotz des massiven 12974 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 124. Sitzung. Berlin, Freitag, den 9. November 2007

Patrick Döring (A) Verkehrsanteils der Autobahnen kommen die meisten Wir hatten 2000, glaube ich, eine Abstimmung, bei der (C) Menschen auf tempolimitierten Straßen zu Tode, näm- ich mit dabei war, da hat ein Umweltminister Trittin so lich auf Bundesstraßen und innerorts. Wie hat die SPD- einen Antrag abgelehnt. Das muss man sich in Erinne- Fraktion zu Recht in ihrem Vermerk zu dem Antrag auf rung rufen. dem Parteitag geschrieben: (Zurufe von der CDU/CSU: Aha!) (Ulrich Kelber [SPD]: Nicht zu diesem Partei- tag!) Herr Trittin kann es ja richtigstellen, wenn ich etwas Fal- sches sage. Die Gefahr, auf Bundesstraßen oder innerorts zu Tode zu kommen, ist viermal so hoch wie auf Autobahnen. Der Bundesparteitag der SPD in Hamburg wurde Das war ein Grund, warum die SPD-Fraktion dieses von vielen Medien begleitet. Das ist ein gutes Zeichen Tempolimit abgelehnt hat. für meine Partei. (Ulrich Kelber [SPD]: Falsch zitiert!) (Zustimmung bei Abgeordneten der SPD) – Das war der Vermerk Ihrer Fraktion zu dem Antrag auf Das Interesse ist auch bei den Mitgliedern des Deutschen dem Parteitag im letzten Jahr. Bundestages immer noch sehr groß: Die Grünen und die Linken schreiben einen Antrag nach dem anderen ab und (Ulrich Kelber [SPD]: Nein! 2005! Richtig zi- bringen ihn in den Bundestag ein. Besonders kreativ ist tieren!) das nicht, meine Damen und Herren. Da lobe ich mir die FDP; die hat so etwas nicht nötig. Das zweite Argument, das für ein Tempolimit ins Feld geführt wird, ist die Verringerung der CO2-Emis- Die Frage einer Tempobegrenzung auf 130 km/h auf sionen. Ich habe schon in der Debatte am 20. September deutschen Autobahnen wird immer sehr emotional dis- deutlich gemacht, dass die Zahlen des Umweltbundes- kutiert. Das betrifft Befürworter und Gegner gleicherma- amtes widerlegt sind, weil das Amt von zwei falschen ßen. Vielleicht ist heute eine gute Gelegenheit für beide Grundannahmen ausgegangen ist. Die erste Annahme, Seiten, ein wenig abzurüsten; das täte uns allen gut. von der das UBA ausgegangen ist, lautet: Alle, die schneller fahren können, fahren auf den 60 Prozent der (Zuruf von der SPD: Sehr gut!) Strecken, auf denen kein Tempolimit herrscht, auch Der Beschluss auf dem Bundesparteitag der SPD wurde schneller als 130. Das ist aber, wie wir alle, die wir in in erster Linie unter dem klimapolitischen Aspekt ge- Deutschland unterwegs sind, wissen, nicht der Fall. fasst. Dazu das Zitat: Viele Menschen fahren auch auf nichtlimitierten Stre- Ein schneller und unbürokratischer Weg zum Kli- (B) cken nicht schneller als 130, sodass das Minderungspo- (D) tenzial eine völlig andere Basis hat. maschutz ist die Einführung einer allgemeinen Ge- schwindigkeitsbegrenzung von 130 km/h. Die zweite Annahme, von der das Umweltbundesamt ausgegangen ist, lautet: Bei einem allgemeinen Tempoli- (Beifall des Abg. Ulrich Kelber [SPD]) mit halten sich auch alle an dieses Tempolimit. Auch das Wir als SPD-Fraktion werden die Umsetzung des Be- wird durch das, was wir täglich erleben auf deutschen schlusses erörtern, und wir Verkehrspolitiker werden mit Straßen, widerlegt. Denn dort, wo wir allgemeine Tem- unserem Koalitionspartner über ein Verkehrssicherheits- polimits haben – auf Bundesstraßen und innerorts –, fin- paket beraten. Das gehört sich nun einmal so. den 75 Prozent der Verstöße gegen Tempolimits statt. Nur etwas mehr als 20 Prozent der Verstöße gegen Ge- Die Debatte über ein Tempolimit von 130 km/h hat schwindigkeitsbeschränkungen finden auf Autobahnen sowohl einen klimapolitischen als auch einen verkehrs- statt. Auch diese Zahlen stammen vom Kraftfahrt-Bun- politischen und Verkehrssicherheitsaspekt. Mein Kol- desamt. Das heißt, überall dort, wo den Menschen gene- lege Gerd Friedrich Bollmann ist da ein ausgewiesener relle Lösungen vorgesetzt werden und diese nicht ver- Experte und wird einige Ausführungen zum klimapoliti- standen werden, kommt es nicht zu mehr schen Aspekt machen. Ich werde mich auf die beiden an- Verkehrssicherheit und nicht zu weniger Emissionen, deren Bereiche konzentrieren. sondern zum Gegenteil. Deshalb sind die Anträge wie Es bleibt dabei: Die Autobahnen sind die sichersten am 20. September abzulehnen. Straßen in Deutschland. Das sollte man hier auch nicht Herzlichen Dank. wegreden. Aufgrund des Parteitagsbeschlusses haben wir zu prüfen, ob man diese noch sicherer machen kann. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Das werden wir auch tun. Dabei ist das Tempolimit von 130 km/h nur ein Aspekt. Ich bin der festen Überzeu- Vizepräsidentin Petra Pau: gung, dass durch die Erweiterung der Verkehrsbeein- Das Wort hat der Kollege Jörg Vogelsänger für die flussungsanlagen mit flexiblen Geschwindigkeitsre- SPD-Fraktion. gelungen ein großer Beitrag geleistet werden kann. Darin gibt es Übereinstimmung hier im Haus. Damit habe ich auch gar kein Problem. Das hat auch für mich Jörg Vogelsänger (SPD): weiterhin eine hohe Priorität. Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kollegin- nen und Kollegen! Es ist schon interessant, Herr Kuhn: Wenn der Autofahrer nachvollziehen kann, warum Im Regierungshandeln ist alles ein bisschen schwieriger. eine bestimmte Höchstgeschwindigkeit vorgeschrieben Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 124. Sitzung. Berlin, Freitag, den 9. November 2007 12975

Jörg Vogelsänger (A) ist, dann wird er sich auch stärker daran halten. Das ist über das Tempolimit den zuständigen Fachminister. (C) so. Unvernünftige Autofahrer wird es immer geben. Auch dies zeigt ganz einfach wieder, welchen Stellen- wert Herr Tiefensee dieser Problematik offensichtlich (Zuruf von der FDP: So ist es!) zumisst. Auch der des Weiteren mit diesem Thema be- Hier müssen Kontrollen greifen. Auch wenn das nicht fasste Umweltminister Gabriel lässt sich durch einen flächendeckend möglich ist, sind die Bundesländer in Staatssekretär vertreten. besonderer Pflicht. Leider wird in den meisten Bundes- (Zuruf von der SPD: Ein guter Mann!) ländern bei der Polizei eher Personal abgebaut. Das be- trifft übrigens Landesregierungen jeder Farbe. Wenn mir Daran sieht man, wie ernst die Bundesregierung die Kli- andere Beispiele genannt würden, wäre ich froh. madebatte nimmt. Im Übrigen muss das Gespräch mit den Ländern oh- Herr Storjohann, ich danke Ihnen für Ihre Zusammen- nehin gesucht werden. Die Einführung des Tempolimits stellung der Geschichte der Diskussion im Deutschen von 130 km/h erfordert eine Änderung des § 3 der Stra- Bundestag über ein Tempolimit. Ich komme allerdings ßenverkehrsordnung. Dies ist nach meiner Kenntnis im zu einem anderen Ergebnis: Ein Tempolimit steht auch Bundesrat zustimmungspflichtig. weiterhin auf der Tagesordnung, und es wird demnächst Die Debatte über ein Tempolimit von 130 km/h kommen. könnte versachlicht werden, wenn neues Datenmaterial Liebe Kolleginnen und Kollegen, das Tempolimit ist zur Verfügung gestellt würde. Ich habe heute früh um in dieser Wahlperiode ein Dauerbrenner im Bundestag, 7.30 Uhr – es wird also früh gearbeitet – ein Gespräch und zwar zu Recht. Die letzte Debatte ist noch nicht so dazu mit dem Brandenburger Verkehrsminister geführt. lange her; sie fand am 20. September statt, Herr Döring Das Datenmaterial wird nicht von heute auf morgen vor- erwähnte sie auch. In dieser Debatte haben CDU/CSU, liegen, aber wir sollten das Bundesamt für Straßenver- SPD und FDP wortreich erklärt – heute haben sie alles kehr beauftragen, neues Datenmaterial zusammenzustel- wiederholt –, len, damit wir diese Debatte noch sachlicher führen können. Das Material ist vielfach über ein Jahrzehnt alt. (Patrick Döring [FDP]: Die Argumente haben Das muss man hier einfach sagen. sich auch nicht verändert!) Ich habe mir den § 3 der Straßenverkehrsordnung warum Deutschland kein allgemeines Tempolimit noch einmal genau angesehen. Eine denkbare Sofort- braucht. Die vorgebrachten Argumente sind allerdings maßnahme wäre die Herabsetzung der zulässigen so wenig überzeugend, dass ich es mir erspare, erneut Höchstgeschwindigkeit für Kleintransporter von 2,8 darauf einzugehen. bis 3,5 Tonnen. (D) (B) Aber dann kam vor zwei Wochen die Kehrtwende bei (Heidi Wright [SPD]: Sehr gut! Das ist über- der SPD. fällig!) Darüber muss man auch debattieren. Gerade diese Fahr- (Zuruf von der SPD: Das war ja gar keine!) zeuggruppe ist zunehmend in schwerste Verkehrsunfälle Auf ihrem Parteitag fasste sie den Beschluss, den der verwickelt. Ich kann Ihnen hierzu Beispiele aus meinem Kollege Vogelsänger heute schon zitierte. Dazu kann ich Wahlkreis nennen. nur sagen: Donnerwetter! Mit diesem Beschluss nähert Eine andere Möglichkeit wäre es, die Entwicklung sich die SPD übrigens zumindest im Bereich der Ver- des Unfallgeschehens bei dieser Fahrzeuggruppe über kehrspolitik der Linken an. die Bundesanstalt für Straßenwesen zu beobachten. Viel- leicht könnte dies zu einer Versachlichung der Diskus- (Lachen bei der SPD) sion beitragen. Sie zeigen damit, dass Sie lernfähig sind, und Sie arbei- Dies wünsche ich mir auch in den Ausschüssen, wo- ten daran, für die Linke koalitionsfähig zu werden. Wir bei ich neben einer Debatte im Verkehrsausschuss und stehen gewissermaßen gemeinsam erstens für Klima- im Umweltausschuss auch eine Debatte im Rechtsaus- schutz und CO2-Reduzierung, zweitens für Verkehrssi- schuss anrege. cherheit, weniger Verkehrsunfälle und Verkehrstote und drittens für kleinere und sparsamere Fahrzeuge. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. Aber machen wir uns keine Illusionen! Herr (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Tiefensee, der jetzt nicht anwesend ist, ließ als zuständi- der CDU/CSU) ger Fachminister kürzlich verlautbaren: „Tempolimit für Klimaschutz nutzlos“. Ja, was denn nun, liebe Kollegin- Vizepräsidentin Petra Pau: nen und Kollegen von der SPD? Ich will Ihnen jetzt Für die Fraktion Die Linke hat nun der Kollege Lutz nicht zu nahe treten; aber Sie sollten vielleicht ganz ein- Heilmann das Wort. fach einmal darüber nachdenken, ob dieser Minister (Beifall bei der LINKEN) wirklich der richtige Mann ist, die Linie der Partei in der Regierung zu vertreten; Lutz Heilmann (DIE LINKE): (Beifall bei der LINKEN – Renate Künast Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: „Die Linie Werte Gäste! Leider vermisse ich bei unserer Debatte der Partei“? Das war mal!) 12976 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 124. Sitzung. Berlin, Freitag, den 9. November 2007

Lutz Heilmann (A) denn nicht nur beim Tempolimit, auch beim geplanten Ein Wort möchte ich noch an meine Kollegin aus Lü- (C) Verkauf von Anteilen der Bahn und bei der Besteuerung beck, Frau Hiller-Ohm, richten. Sie ist heute leider nicht von Dienstwagen liegt der Minister nicht nur neben un- hier. Ich bedauere das sehr, da sie sich erst letzte Woche serer Linie, sondern auch neben der seiner eigenen Par- in einer Pressemitteilung im Wahlkreis Lübeck vehe- tei. Davon einmal abgesehen, wäre es doch eine Revolu- ment für ein Tempolimit ausgesprochen hat und sehr tion gewesen, wenn in unserem gelobten Land des engagiert dafür kämpft. Ich habe sie auch am 20. Sep- Geschwindigkeitswahns der Verkehrsminister ein Tem- tember bei der Abstimmung über unseren damaligen An- polimit gefordert hätte. Aber Pustekuchen! trag vermisst. Ich sage ihr trotzdem – sie verfolgt die Sit- zung vielleicht am Fernsehgerät –: Frau Kollegin, lassen Sehr bedauerlich ist auch, dass selbst der Umweltmi- Sie Ihren Ankündigungen und Pressemitteilungen end- nister, der sich heute ebenfalls nur vertreten lässt, in die- lich Taten hier in Berlin folgen! Oder sind Sie tatsächlich sen Kanon einstimmt. Erst befürwortet er ein Tempoli- der Meinung, dass die Menschen in Lübeck das nicht mit, um es wenige Wochen später abzulehnen. mitbekommen? Die Kollegin Heidi Wright war da we- (Ulrich Kelber [SPD]: Stimmt ja gar nicht!) sentlich konsequenter. Sie hat unermüdlich für ein Tem- polimit gestritten. Dafür gebührt ihr mein Respekt und Jetzt beginnt er ganz zaghaft, wieder eines zu fordern. meine Hochachtung. Ich zitiere ihn: Wer ein Tempolimit allein zur Begren- (Patrick Döring [FDP]: Vergiftetes Lob!) zung des Kohlendioxidausstoßes befürworte, laufe Ge- fahr, sich in unnötigen Debatten zu verzetteln. Ich denke, Bevor hier die Freude auf der rechten Seite überhand- der Minister hat sich hier wohl eher beim Basteln an sei- nimmt, möchte ich ein paar Worte an die CDU/CSU ner Karriere verzettelt, wenn ich die letzten Nachrichten richten. lässt sich gerne landauf, landab richtig verstanden habe. als Klimaschützerin feiern. (Zuruf von der SPD: Er hat es nie abgelehnt! (Ernst Hinsken [CDU/CSU]: Zu Recht!) Zitieren Sie es doch!) Was die internationalen Beschlüsse angeht, erkennen wir Konsequenterweise wurde der Antrag auf dem SPD-Par- auch an, dass es Fortschritte gibt. Auf nationaler Ebene teitag gegen die ausdrückliche Empfehlung des Minis- sieht die Bilanz aber sehr dürftig aus. Das vor wenigen ters beschlossen. Wochen mit großem Tamtam verkündete Klima- und Energiepaket droht im Dschungel der Ressortabstim- Ich kann den Ministern Tiefensee und Gabriel nur sa- mung vom Tiger zum Bettvorleger zu mutieren. Mit ih- gen: Selbstverständlich dient ein Tempolimit sowohl rer eindeutigen Absage an ein Tempolimit – ich zitiere: (B) dem Klimaschutz als auch der Verkehrssicherheit. Ich „Mit mir wird es das nicht geben“ – hat Frau Merkel ge- (D) bin der Meinung, dass sich Deutschland endlich zu einer zeigt, dass es ihr mit dem Klimaschutz nicht ernst ist. Vision Zero bekennen sollte; denn jeder und jede Ver- kehrstote sind einer und eine zu viel. Ähnlich verhielt sie sich Anfang des Jahres, als sie die deutsche Autoindustrie vor allzu strengen Anforderun- (Beifall bei der LINKEN) gen der EU geschützt hat. Das Wohl der Industrie ist ihr Von daher ist es natürlich schon verwunderlich, dass sich wichtiger als das Wohl der Menschen und der Schutz des das Verkehrsministerium für dieses Thema nicht erwär- Klimas. men kann. Dort scheint man eher der Meinung zu sein, (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS- dass großflächige Plakate – wahlweise mit Tieren oder SES 90/DIE GRÜNEN) mit Prominenten – wirksamer als ein Tempolimit sind. Auf internationaler Ebene Gas geben, aber zuhause auf Da ich gerade bei Tieren bin, stelle ich eine Frage an der Bremse stehen: Das passt nicht zusammen, liebe Herrn Gabriel, die Sie, Herr Staatssekretär, an ihn wei- Kolleginnen und Kollegen von der Union. tergeben können: Was sagt eigentlich Knut im Berliner Zoo zum Tempolimit? Hat nicht das Umweltministerium (Beifall bei der LINKEN – Dr. Andreas vor zwei Tagen mit sehr viel Wirbel die nationale Biodi- Scheuer [CDU/CSU]: Mein Gott!) versitätsstrategie verabschiedet, die nach den eigenen In meiner letzten Rede zum Tempolimit erwähnte ich, Aussagen des Ministers über 300 Zielvorgaben enthält? dass die Mehrheit der Deutschen den Börsengang der Aber Sie streben mit dieser Strategie nur Sachen an; ver- Bahn ablehnt. Das Protokoll verzeichnet daraufhin „Bei- pflichten wollen Sie sich zu nichts. fall bei Abgeordneten der CDU/CSU“. Verständlicher- Ich freue mich jedenfalls, der SPD und besonders weise verzeichnet es keinen Beifall von Ihnen, als ich dem Umweltminister mitteilen zu können, dass wir die darauf hinwies, dass 73 Prozent der Deutschen ein Tem- Bedeutung der Verkehrssicherheit in unserem Antrag polimit befürworten. Verstehen Sie mich richtig: Ich er- selbstverständlich berücksichtigt haben. Wenn also nur warte nicht, dass ausgerechnet Sie mir Beifall klatschen. der fehlende Bezug zur Verkehrssicherheit im Beschluss Das würde mir, nebenbei bemerkt, auch zu denken ge- der SPD der Grund für dessen Ablehnung war, dann ben. Sie sollten aber zur Kenntnis nehmen, dass auch steht Ihrer Zustimmung zu unserem Antrag nichts im 40 Prozent der Wählerinnen und Wähler der CDU/CSU Wege. für ein Tempolimit von 130 Stundenkilometer sind. Ich frage mich, wer diese Menschen in Ihrer Fraktion ver- (Ulrich Kelber [SPD]: Außer Ihrer Rede!) tritt. Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 124. Sitzung. Berlin, Freitag, den 9. November 2007 12977

Lutz Heilmann (A) (Patrick Döring [FDP]: Darüber müssen Sie Aber das ist die Scheinheiligkeit, mit der hier zu Werke (C) sich Ihren Kopf nicht zerbrechen!) gegangen wird. Abschließend erinnere ich Sie und alle, die sich – aus (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) welchen Gründen auch immer – gegen ein Tempolimit aussprechen, an das heutige Datum. Heute vor 18 Jahren Ohne die Steilvorlage, die der Kollege Kuhn für seine fiel zu Recht die Mauer. Was kurz davor noch fast un- heutige Rede bekommen hat, hätte er die Rede wahr- scheinlich gar nicht halten können, weil sie dann kein denkbar schien, wurde Realität. Ich hoffe, dass Sie sich heute einen Ruck geben, damit auch beim Tempolimit Volumen gehabt hätte. Ein einziger Presseartikel zum das Undenkbare geschieht und die Mauer in Ihren Köp- Bereich Tempolimit ist die Grundlage für seine ganzen Ausführungen. Aber das Thema ist vielschichtiger. fen fällt. Wir diskutieren hier zum zweiten Mal binnen weniger Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit und wünsche ein Monate darüber. Erst musste der SPD-Parteitag stattfin- schönes Wochenende. den, damit die Opposition aus Grünen und Linken re- (Beifall bei der LINKEN) flexartig aus dem Oppositionsschlaf erwacht und das Thema aufgreift. Aber die Grundlage der Debatte sind Vizepräsidentin Petra Pau: wieder Verbote und Limits. Ihnen fällt nichts anderes ein, vor allem nicht, Politik auf der Basis von Selbstbe- Für die CDU/CSU-Fraktion hat nun der Kollege stimmtheit und Eigenverantwortung zu machen. Viel- Dr. Andreas Scheuer das Wort. leicht wird das Ganze noch darin gipfeln, dass Sie wegen (Beifall bei der CDU/CSU) dem Ausstoß von Treibhausgasen ein Weideverbot für Kühe beantragen, verbunden mit einem Arbeitsverbot Dr. Andreas Scheuer (CDU/CSU): für Landwirte. Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kolle- (Widerspruch beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- gen! Herr Kollege Heilmann, dass Sie als Führungskraft NEN – Marco Bülow [SPD]: Passauer Fest- in der DDR hier diesen symbolträchtigen Tag in Bezug spiele!) auf die Wiedervereinigung ansprechen, zeigt, wie schi- zophren Ihre Politik ist. Denn in der Republik des Trabis Wir haben attraktive Autobahnen. Sie wollen durch fanden keine Diskussionen über Verkehrssicherheit oder solche Diskussionen diese Autobahnen in ihrer verkehrs- Klimaschutz und sicherlich auch nicht über ein Tempo- politischen Bedeutung degradieren, limit statt. (Lachen beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (B) (Heidi Wright [SPD]: Das ist jetzt aber ein sie unattraktiver machen und durch das Tempolimit Aus- (D) bisschen schwach!) weichverkehre ermöglichen. Schauen Sie sich einmal Das zeigt die Doppeldeutigkeit, mit der Sie Politik ma- die Unfallzahlen an. Wir arbeiten als Verkehrspolitiker chen. wirklich hart daran, die Vision Zero zu erfüllen, die Zahl der Unfälle und der Verkehrstoten weiter zu reduzieren, (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) weitere Verbesserungen in Europa zu erreichen. Sie kön- nen deutsche Autobahnen einfach nicht mit Autobahnen Die Anträge der Grünen und der Linken zum Tempo- in Italien, zum Beispiel über den Brenner, vergleichen, limit sind heute wieder einmal Symbolpolitik, reine die viel enger und kurvenreicher sind. Auf unseren älte- Ideologie und parlamentarische Bewegungstherapie. ren Autobahnen haben wir ohnehin schon ein Tempoli- Mein Kollege Storjohann hat Ihnen, verehrte Kollegin- mit, nen und Kollegen der Grünen, schon den Spiegel Ihrer politischen Geschichte in Bezug auf das Tempolimit vor- (Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- gehalten. Sie waren sieben Jahre in der Regierung. Gott NEN]: Und die Autobahnen durch München sei Dank waren Sie so durchsetzungsschwach, dass Sie und Augsburg? Gucken Sie sich die mal an!) das Tempolimit nicht auf den Weg gebracht haben. eine Verkehrsregelung, die dieser Autobahnsituation an- Da der Herr Kollege Trittin vorhin mit Zwischenrufen gemessen ist. geglänzt hat, möchte ich ihn fragen, wie oft er früher wohl unter Termindruck unterwegs war. Wenn er mit Dort, wo die Richtgeschwindigkeit gilt und wo es dem Dienstwagen keine Limitierung gibt, hat man die Möglichkeit, den Verkehr zu beschleunigen und die Mobilität zu erhöhen. (Jürgen Koppelin [FDP]: Und der Flugbereit- Angesichts der Zahl der Verkehrstoten sind wir uns alle schaft!) einig, dass wir weiterhin an der Reduzierung dieser Zahl arbeiten müssen. Wenn wir aber die Zahlen von – und der Flugbereitschaft; danke für den Hinweis, Herr Deutschland mit denen von Belgien, Österreich, Slowe- Kollege Koppelin – durch die Republik gereist ist, wird nien, Tschechien oder den USA vergleichen, dann er sich wahrscheinlich auch nicht an die Richtgeschwin- schneidet Deutschland – auch ohne Tempolimit – viel digkeit gehalten haben. besser ab. (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) NEN]: Da haben Sie gleich die Fahrbereit- schaft am Hals!) Da ist also kein Zusammenhang festzustellen. 12978 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 124. Sitzung. Berlin, Freitag, den 9. November 2007

Dr. Andreas Scheuer (A) Meine Damen und Herren, bezogen auf den Gesamt- Schauen Sie sich die Zahlen in den USA an! Bei der dor- (C) kraftstoffausstoß ist es sehr optimistisch gerechnet, dass tigen Produktion der großen Klimaschutzkiller orientiert der Ausstoß durch ein Tempolimit um 1,4 Prozent redu- man sich gar nicht an Verkehrssicherheitsaspekten. Wir ziert werden würde. Das Tempolimit würde allerdings zu sind an der Spitze der Bewegung für Innovation und Kli- einer unverhältnismäßig massiven Gängelung der Bür- maschutz. Wir müssen die deutsche Automobilindustrie gerinnen und Bürger führen. Das halte ich für falsch. weiterhin auf diesem Weg unterstützen. Umwelt- und Klimaschutz dürfen nicht reflexartig und blindwütig gemacht werden, sondern müssen sich an Herzlichen Dank. Realität und Vernunft anpassen. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- neten der FDP – Renate Künast [BÜND- (Lutz Heilmann [DIE LINKE]: Vernunft, Herr NIS 90/DIE GRÜNEN]: Wenn das Frau Scheuer, vermisse ich bei Ihnen!) Merkel gehört hätte!) Bezogen auf Verkehrssicherheit und Klimaschutz ist ein Tempolimit die falsche Antwort. Vizepräsidentin Petra Pau: Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat nun der (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Kollege Dr. Anton Hofreiter das Wort. NEN]: Wie wäre es mit einem Misstrauens- antrag gegen die Bundeskanzlerin?) Dr. Anton Hofreiter (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Das Tempolimit ist unsinnig in Bezug auf die Verkehrs- NEN): sicherheit, mobilitätspolitisch nachteilig und geht um- Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und weltpolitisch ins Leere. Führen wir doch lieber Kollegen! Andi, tut mir leid, aber das war unfreiwillig Verkehrssicherheitstrainings mit einem Spritsparmodul komisch. durch, vielleicht sogar verpflichtend. (Heiterkeit und Beifall beim BÜNDNIS 90/ (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der NEN]: Keine Gängelei!) SPD) Es wird alles Mögliche angeboten, auch intelligente Ver- Der Vorwurf der Potenzraser hat dich anscheinend so kehrsleitsysteme, die flexibel und innovativ sind. Setzen schwer getroffen, dass du dich rechtfertigen musstest. wir uns an die Spitze der Bewegung, damit wir in Das ist hoffentlich nicht das Bild von Bayern. Europa mit diesen Verkehrsleitsystemen weiterhin Zurück zur Ernsthaftigkeit, denn es handelt sich um (B) Marktführer sind! ein ernstes Problem. Die Regierung spricht gerne über (D) Ein Appell an die Medien zu der Raserdarstellung. den Klimaschutz und die Sicherung der Mobilität der Frau Kollegin Künast, Sie machen ja immer die Andeu- Bürger. Aber unsere Aussitzkanzlerin Merkel und die tung, dass die unbeschränkte Geschwindigkeit gerade traurigen Ankündigungsminister Gabriel und Tiefensee für Männer wichtig sei, quasi als Potenzmittel. sind noch nicht einmal in der Lage, ein Tempolimit auf Autobahnen einzuführen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD – Renate (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS- Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja, SES 90/DIE GRÜNEN)

sprechen Sie es aus!) Dabei würde ein Tempolimit CO2 in der Größenordnung des Ausstoßes eines durchschnittlichen Kohlekraftwer- Es ist wirklich schäbig, wenn Sie so argumentieren. kes einsparen sowie die Zahl der Toten und Schwerver- Denn die Berichte in den Medien über Raser, die mit ei- letzten reduzieren. Wir behaupten sicherlich nicht, dass nem großen Wagen durch das Land fahren und dabei allein ein Tempolimit als Klimaschutzstrategie ausreicht. ständig Gas geben, sich also unter dem Aspekt der Ver- Aber es ist ein wichtiger Baustein. kehrssicherheit unvernünftig verhalten, zeichnen kein vollständiges Bild der Realität. Sehr viele Bürgerinnen (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und Bürger halten sich an die Richtgeschwindigkeit. Die sowie bei Abgeordneten der SPD und der LIN- Durchschnittsgeschwindigkeit liegt unter 100 km/h, be- KEN) zogen auf alle Straßen. Wir sollten ausreichend Kraft ha- ben und auf die Eigenverantwortung und die Freiwillig- Angesichts der sinkenden Rohölvorräte gefährdet keit der Bürger setzen, anstatt ständig zu gängeln und Ihre Verkehrspolitik, insbesondere die Ihres traurigen mit Verboten zu drohen. Verkehrsministers, die Mobilität der Bürger. Ihnen liegt offensichtlich nur etwas an der Mobilität für wenige Ra- (Beifall bei der CDU/CSU) ser und Drängler. Ein Beispiel: Ein Porsche Cayenne verbraucht in der Spitze fast 70 Liter auf 100 Kilometer. Hätten wir bereits ein generelles Tempolimit, wäre Das wollen Sie weiter zulassen. Das ist ein Skandal. das Autoland Deutschland definitiv nicht an der Spitze bei intelligenten Verkehrssicherheitssystemen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LIN- (Lutz Heilmann [DIE LINKE]: Ich möchte KEN – [SPD]: Das ist ein Zerr- kein Autoland Deutschland!) bild, das Sie entwerfen!) Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 124. Sitzung. Berlin, Freitag, den 9. November 2007 12979

Dr. Anton Hofreiter (A) So populistisch wie Sie von der CDU/CSU normaler- In der rot-grünen Koalition mussten Sie und wir ähnliche (C) weise sind, lassen Sie sich sagen: Die Mehrheit der Bür- Erfahrungen machen; gegen den Willen des Koalitions- ger ist mittlerweile für ein Tempolimit. partners wird nicht gestimmt. Ich würde mich auch wun- dern, wenn im Berliner Senat die Parteitagsbeschlüsse (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN der Linken eins zu eins umgesetzt würden. sowie bei Abgeordneten der LINKEN und der Abg. Heidi Wright [SPD]) (Beifall bei der SPD) Im Bereich der Verkehrssicherheit ist die Nichtein- Von Vorführen kann hier absolut nicht die Rede sein. führung eines Tempolimits ein Skandal. Gestern wurde Aber in der Sache gebe ich Ihnen weitgehend recht. bekannt, dass die Bundesanstalt für Straßenwesen bereits Ich bin froh, dass das Thema durch den SPD-Parteitags- 1984 geschätzt hat, dass die Zahl der Toten durch ein beschluss wieder Fahrt aufgenommen hat. Tempolimit um 20 Prozent reduziert werden könnte. Aber wie haben alle roten und schwarzen Verkehrsmi- (Beifall bei Abgeordneten der SPD) nister bis heute reagiert? Statt ein Tempolimit einzufüh- Wenn der Parlamentarische Geschäftsführer der Union ren, haben sie diese Studie weggeschlossen und der erklärt, in dem Parteitagsbeschluss der SPD erkenne er BASt weitere Untersuchungen verboten. Angesichts von eine ideologisch linke Bevormundungspolitik, so muss 600 Toten sollten sie sich schämen. erstaunt festgestellt werden, dass es offensichtlich auch (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – in den USA diese linke Bevormundungspolitik gibt. Patrick Döring [FDP]: Wir haben die Senkung (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ doch ohne Tempolimit geschafft! Guck dir DIE GRÜNEN sowie des Abg. Josef Göppel doch die Zahlen an!) [CDU/CSU]) Die SPD beschließt auf ihren Parteitagen immer dann Darüber hinaus: Außer in Nepal, Uganda und auf der ein Tempolimit, wenn sie nicht an der Macht ist. Isle of Man hat diese linke Bevormundungspolitik offen- (Uwe Beckmeyer [SPD]: Was?) sichtlich weltweit Platz ergriffen. – Ich habe gesagt: nicht an der Macht. Sie mögen an der (Heiterkeit und Beifall bei der SPD und dem Regierung beteiligt sein. Aber angesichts Ihrer traurigen BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Ergebnisse muss man sagen, dass Sie nicht an der Macht In Europa ist Deutschland das letzte Land, das sich sind. den Luxus erlaubt, auf ein Tempolimit zu verzichten. In (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS- allen europäischen Ländern liegen die Begrenzungen (B) SES 90/DIE GRÜNEN – Uwe Beckmeyer zwischen 90 und 130 Kilometern pro Stunde. Für ein (D) [SPD]: Anton, jetzt hast du aber überzogen!) Land, dem in der Klimafrage eine Führungsrolle zuge- rechnet wird, ist dies meiner Meinung nach unglaubwür- Es wird uns vorgeworfen, dass wir damals, als wir mit dig. 8 Prozent an der Regierung und der Macht beteiligt wa- ren, kein Tempolimit eingeführt haben. Im Vergleich zu (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ Ihren traurigen Ergebnissen in dieser Regierung waren DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der wir grandios, sogar mehr als das. LINKEN) Angesichts dieser Tatsachen kann man der Mehrheit Daher gilt: Ein guter Grund, der für das Tempolimit dieses Hauses nur eines sagen: Verabschieden Sie sich spricht, ist der Umweltschutz. Der Ausstoß von Treib- aus der verkehrspolitischen Steinzeit und führen Sie ge- hausgasen ließe sich pro Jahr um mehr als 2,5 Millionen nauso wie alle anderen kultivierten Nationen ein Tempo- Tonnen CO2 reduzieren. Das ist ein Wert, der zu einer limit für entspanntes Fahren, mehr Sicherheit und mehr Zeit ermittelt wurde, als die Zahl der Kraftfahrzeuge und Klimaschutz ein. deren Leistung deutlich geringer waren. Seit 1992 er- höhte sich die Zahl der zugelassenen Kfz von (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – 36 Millionen auf 55 Millionen, das ist eine Steigerung Patrick Döring [FDP]: Generallösungen, um mehr als 50 Prozent. Wir können also gut und gerne nichts anderes!) davon ausgehen, dass die Einsparungen deutlich höher wären. Es ist unverständlich, dass bis heute keine neuen Vizepräsidentin Petra Pau: Zahlen ermittelt wurden. Für die SPD-Fraktion spricht nun der Kollege Gerd (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ Bollmann. DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der (Beifall bei der SPD) LINKEN und des Abg. Josef Göppel [CDU/ CSU] – Patrick Döring [FDP]: Im Gegenteil! Weil die Motoren viel effizienter geworden Gerd Bollmann (SPD): sind!) Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich nehme ein Ergebnis meiner Rede gleich vorweg: Sie Ein Tempolimit wäre eine der wenigen Maßnahmen, die von den Fraktionen der Grünen und der Linken wissen ohne jegliche Anlauf- und Investitionskosten durchzu- ganz genau, dass wir von der Koalition Ihren Anträgen führen wären. Die erreichten CO2-Einsparungen lassen nicht zustimmen werden, so richtig sie auch sein mögen. sich trotz aller Versuche nicht kleinreden. 12980 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 124. Sitzung. Berlin, Freitag, den 9. November 2007

Gerd Bollmann (A) Das energetische Gebäudesanierungsprogramm ist si- lichkeit, Komfort und Sicherheit wären die Kriterien, an (C) cherlich in hohem Maße lobenswert, nicht nur allein we- denen sich die Ingenieure messen lassen müssten. Es gen der vielen Arbeitsplätze, die dadurch geschaffen gibt gar kein besseres Mittel, die Zukunftsfähigkeit der wurden. Aber warum ist eine Einsparung von 1 Million deutschen Automobilindustrie und somit Arbeitsplätze Tonnen CO2 bei der Gebäudesanierung und einem Ein- zu sichern. satz von 1 Milliarde Euro viel, wenn eine Einsparung (Beifall bei Abgeordneten der SPD) von 2,5 Millionen Tonnen CO2 beim Tempolimit wenig sein soll? Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Opposition, (Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem wir Sozialdemokraten nehmen das Thema „Tempolimit“ BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) sehr ernst. Anträge, in denen die schnellstmögliche oder die sofortige Einführung gefordert werden, bringen uns Das Energie- und Klimaschutzprogramm, das in Me- aber nicht weiter, sondern schaden eher der gemeinsa- seberg beschlossen wurde, soll unter Berücksichtigung men Sache. Ich bin sicher: Gute Argumente – ich bin bisheriger Maßnahmen für CO2-Einsparungen in Höhe überzeugt, dass sie eindeutig aufseiten der Befürworter von 36 Prozent gut sein. Wir brauchen aber 40 Prozent. eines Tempolimits sind – werden in Zukunft immer mehr Das Tempolimit wäre ein weiterer, wenn auch vielleicht Menschen von der Notwendigkeit eines Tempolimits kleiner Schritt hin zu diesem Ziel. überzeugen. Lassen Sie uns deshalb auch im politischen (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ Alltag das gemeinsame Ziel nicht aus den Augen verlie- DIE GRÜNEN) ren! Oder anders und pragmatisch von Ver- Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. kehrsminister Dellmann ausgedrückt: Auch Kleinvieh (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ macht Mist. – DIE GRÜNEN sowie des Abg. Josef Göppel (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten [CDU/CSU]) der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsidentin Petra Pau: Es wären keine komplizierten Verordnungen mit el- Das Wort hat der Kollege Horst Friedrich für die lenlangen Anhängen nötig. Das zuständige Ministerium FDP-Fraktion. müsste nicht ganze Abteilungen allein mit der Frage der (Beifall bei Abgeordneten der FDP – Ulrich Durchsetzung beschäftigen, wie es vielfach bei anderen, Kelber [SPD]: Ich hoffe, Sie berücksichtigen technisch hochkomplizierten Punkten des Klimaschutz- (B) die Argumente Ihres Namensvetters aus dem (D) programms der Fall ist. Aber der Umweltschutz geht be- UBA mal!) kanntlich über den Schutz des Klimas hinaus. So ließe sich zum Beispiel auch der Ausstoß von Kohlenmonoxid und anderen Schadstoffen reduzieren, und nicht zuletzt Horst Friedrich (Bayreuth) (FDP): würde auch die Lärmbelästigung abnehmen. Im Übrigen Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! steigt der Schadstoffausstoß ab 130 Stundenkilometern Als Abgeordneter, der diesem Hause schon ein bisschen exponentiell an. länger angehört, habe ich einmal im Archiv gestöbert und festgestellt, dass ich vor ziemlich genau 16 Jahren Die Gegner eines Tempolimits führen gerne den Ver- meine erste Rede zum Thema „Tempolimit“ gehalten lust von Arbeitsplätzen in der deutschen Automobilin- habe. Damals war die SPD in der Opposition, auch die dustrie ins Feld. Ich weiß natürlich, dass der Verlust von Linken, vertreten unter anderem durch die Abteilung Arbeitsplätzen gern als Totschlagargument für alles Bündnis 90, und es gab eine übereinstimmende Argu- Mögliche missbraucht wird. Circa 75 Prozent der in mentation für ein Tempolimit. Die seitdem diskutierten Deutschland produzierten Autos werden ins Ausland ge- Fakten haben sich nicht verändert. liefert, und zwar nachweislich nahezu vollständig in Länder, in denen ein Tempolimit gilt. Der größte Teil der Erstens. Mich fasziniert, Herr Kollege Hofreiter, dass außereuropäischen Lieferungen geht mit mehr als einer Sie es trotz Ihres Appells, die verkehrspolitische Stein- halben Million Autos in die USA. Glauben Sie zum Bei- zeit zu verlassen, in der Phase von 1998 bis 2005 – da- spiel, dass viele dieser Käufer in den Vereinigten Staaten mals haben Sie mit den Kollegen von der SPD offen- wirklich wissen, dass wir in Deutschland immer noch sichtlich die Grundüberzeugung geteilt, dass es besser mit 200 Stundenkilometern über die Autobahn brettern ist, nicht für ein Tempolimit einzutreten – nicht geschafft dürfen? Glauben Sie wirklich, wir verkauften auch nur haben, ein Tempolimit einzuführen. Entweder haben die ein einziges Auto weniger, wenn in Deutschland ein Kollegen von der SPD ihre Anträge bis 1998 nicht wirk- Tempolimit von 130 Stundenkilometern eingeführt wird? lich ernst gemeint, oder Sie haben nicht nachhaltig ver- sucht, das Ganze umzusetzen. Ein gewisses Maß an (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ Glaubwürdigkeit würde Ihren Anträgen schon guttun. DIE GRÜNEN) (Beifall bei der FDP) Was die Zukunft der Automobilindustrie betrifft: Ein Tempolimit würde die Entwicklungsbemühungen in Sie stellen diese Anträge immer dann, wenn es dafür fruchtbare Bahnen lenken. Nicht mehr die Leistungs- keine Mehrheit gibt. Aber wenn Sie dafür eine Mehrheit stärke wäre ausschlaggebend, sondern Umweltverträg- hätten – sieben Jahre hatten Sie dafür Zeit; in dieser Phase Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 124. Sitzung. Berlin, Freitag, den 9. November 2007 12981

Horst Friedrich (Bayreuth) (A) ist von Ihnen kein einziger Antrag gestellt worden –, stel- – Ich orientiere mich nur an Ihrem Kollegen Hofreiter, (C) len Sie sie nicht. Das macht Sie nicht glaubwürdiger. der von verkehrspolitischer Steinzeit gesprochen hat. Wenn es eine verkehrspolitische Steinzeit gegeben hat, Zweitens. Herr Kollege Bollmann, Sie argumentieren hat es wahrscheinlich auch dementsprechende Schilder auf der Basis von 1992 und stellen die Hochrechnung an, gegeben, ganz zu schweigen davon, dass die Schilder dass mit einem Ansteigen der Anzahl der Pkws auch die aufgestellt und gepflegt werden müssen, was Geld kos- Ersparnis größer wird. Sie sollten wenigstens zur Kennt- tet. nis nehmen, dass sich auch die Motortechnologie verän- dert hat, und zwar zum Positiven. Deswegen ist ein (Beifall bei der FDP) schlichtes Hochrechnen auf der Basis von 1992 nicht Vor diesem Hintergrund ist es völlig eindeutig, dass nachvollziehbar. Sie diesen Antrag heute nur gestellt haben, um die SPD (Widerspruch des Abg. Gerd Bollmann [SPD]) zu ärgern. Das kann man als FDP gerade noch akzeptie- ren. – Sie haben es gerade vorgerechnet. Ich habe Ihrer Rede doch zugehört. – Dieser Punkt ist, wie gesagt, aus mei- (Heiterkeit bei der CDU/CSU) ner Sicht nicht ganz nachvollziehbar. Das wird aber den Themen Unfallsicherheit, Todesrate (Beifall bei der FDP) auf Autobahnen und Erhöhung der Akzeptanz von Vor- schriften nicht gerecht. Im Übrigen vergessen Sie hier offensichtlich, dass auf den Autobahnen in Deutschland weder eine Durch- (Beifall des Abg. Jürgen Koppelin [FDP]) schnittsgeschwindigkeit von 130 noch von 150 Stunden- Ihrer Glaubwürdigkeit im Hinblick auf die Durchsetz- kilometern oder noch schneller gefahren wird. Das ist barkeit von Anträgen im Falle einer Regierungsbeteili- aus Gründen der Dichte überhaupt nicht mehr möglich. gung haben Sie erst recht keinen Gefallen getan. Da Sie aus Wanne-Eickel kommen und in der Nähe des Kölner Rings wohnen, müssten Sie eigentlich wissen, (Beifall des Abg. Jürgen Koppelin [FDP]) worum es geht. Es bleibt wieder nur bei Schauanträgen, die nicht (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- ernst gemeint sind. Vielleicht sollten wir uns irgendwann NEN]: Wanne-Eickel liegt nicht in der Nähe einmal ernsthaft über die Lösung der Probleme unterhal- des Kölner Rings!) ten und gemeinsam darüber nachdenken, wie wir die Verkehrssicherheit in Deutschland über das Niveau hi- Ich bin im Übrigen gespannt, ob Sie mir wirklich ein- naus, das wir jetzt schon haben, weiter verbessern kön- mal eine Autobahn zeigen können, auf der man noch un- nen. (B) gestört 200 km/h fahren kann, wenn man es denn will. (D) Es kann ja sein, dass das morgens um 3 Uhr irgendwo (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten auf der A 20 möglich ist, aber Realität ist es auf deut- der CDU/CSU) schen Autobahnen nicht. Vizepräsidentin Petra Pau: ( [SPD]: Warum stellen Sie Für die Fraktion der CDU/CSU hat nun der Kollege sich dann so an? – Ulrich Kelber [SPD]: Dann Dirk Fischer das Wort. ist es ja kein Problem!) – Herr Kollege Kelber, weder in der Opposition noch in Dirk Fischer (Hamburg) (CDU/CSU): der Regierung haben Sie einen Antrag für ein starres Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kolle- Tempolimit gestellt. Sie versuchen jetzt, mit einer festen gen! Deutschland braucht kein Tempolimit. Reglementierung – unabhängig von der Situation – ein Problem zu lösen, das Sie damit nicht lösen können. (Hartmut Koschyk [CDU/CSU]: Sehr richtig!) (Beifall bei der FDP) Die Debatte darüber ist alt. Unsere Fraktion hat ein star- res Tempolimit auf Autobahnen immer abgelehnt, und Wir sind schon immer für intelligente Verkehrsleitsys- zwar aus guten Gründen. teme gewesen. Fakt ist, dass die deutschen Autobahnen die bei wei- (Heidi Wright [SPD]: Oh!) tem sichersten Straßen sind, um die wir weltweit benei- det werden. Es gibt keinen Zusammenhang zwischen ei- – Frau Kollegin Wright, Ihre geschätzte Kollegin Ferner nem generellen Tempolimit und dem Sicherheitsniveau hat, als sie noch verkehrspolitische Sprecherin Ihrer auf Autobahnen im internationalen Vergleich. Im Gegen- Fraktion war, alle Anträge der damaligen Koalitionsfrak- teil: Unsere Maßnahmen sind viel erfolgreicher gewesen tionen von Union und FDP zum Thema Telematik und als die anderer Länder, die ein starres Tempolimit haben. intelligente Verkehrsleitsysteme abgelehnt. Sie hat ge- glaubt, uns mit Vorschlägen aus der Steinzeit – dazu ge- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) hörte beispielsweise das Aufstellen von Schildern – übertrumpfen zu können. Was wirkt hier zusammen? Es sind: Verkehrsleit- systeme, die aktuelle Informationen über die jeweils (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- angepasste Geschwindigkeit im Sinne von § 1 der NEN]: In der Steinzeit gab es überhaupt keine Straßenverkehrs-Ordnung liefern; spezielle Geschwin- Verkehrsschilder!) digkeitsbeschränkungen, die es auf Autobahnen 12982 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 124. Sitzung. Berlin, Freitag, den 9. November 2007

Dirk Fischer (Hamburg) (A) zahlreich gibt; ein guter Straßenbau, im Hinblick auf die sungsanlagen. Es ist schon gesagt worden: Mit unserem (C) gesamte Verkehrssicherheitsbilanz ist insbesondere der Haushaltsantrag wollen wir diesen Anteil möglichst zü- Bau von Ortsumgehungen hervorzuheben, wodurch der gig deutlich erhöhen. Schwerlastverkehr aus den geschlossenen Ortslagen he- rausgehalten wird; Aufklärung und Erziehung in der (Beifall des Abg. Jörg Vogelsänger [SPD]) Fahrschulausbildung und danach; die hohe Qualität un- Der Bundesumweltminister hat zu Recht darauf hin- serer Kfz, die sich positiv auf Sicherheit und Umwelt gewiesen, dass es hier eher um eine Symbolpolitik geht; auswirkt. denn der Mehrverbrauch, der sich aus dem Nichtvorhan- Ein starres Tempolimit würde zu Rückverlagerungen densein eines starren Tempolimits auf Autobahnen er- des Verkehrs von den Autobahnen auf die Landstraßen gibt, beträgt etwa 250 Millionen Liter Kraftstoff im Jahr. führen, die oftmals noch durch geschlossene Ortschaften Das sind rund 0,4 Prozent; bei der CO2-Emission ist das führen. Damit würden wir unserer Verkehrsunfallbilanz deutlich unter 1 Prozent. einen Tort antun, denn diese Landstraßen und insbeson- (Beifall des Abg. Patrick Döring [FDP]) dere die innerörtlichen Straßen sind die gefährlichsten Straßen, die wir in Deutschland haben. Wenn man dies so zuspitzt, als würden das Heil und das Wohl des Landes davon abhängen, dann ist das, gelinde (Patrick Döring [FDP]: So ist es!) gesagt, eine zu große Übertreibung, als dass man sie Es ist schon gesagt worden, dass der Fahrleistungsan- ernst nehmen könnte. teil auf Landstraßen 40 Prozent beträgt, sich dort aber (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) 60 Prozent aller tragischen Unfälle mit Todesfolge ereig- nen, obwohl es ein starres Tempolimit von 100 km/h Wenn überhaupt, geht es hierbei um einen marginalen gibt. Das ist fast viermal so viel wie auf unseren Auto- CO2-Effekt. bahnen. Gleiches gilt für den Bereich der Lärmemissionen. (Patrick Döring [FDP]: So ist es!) Autobahnen sind hauptsächlich außerorts gelegen. Füh- Das wäre ein ganz schlechter Abschlag. Das würden wir ren sie durch Wohngebiete, haben wir heute dort eigent- mit der Verschlechterung unserer Verkehrsunfallbilanz lich überall Tempolimits in Deutschland. teuer bezahlen. Allgemein gilt, dass der Lkw-Anteil am Verkehr die Man muss einmal daran erinnern: Wir hatten 1970 Höhe des Lärmpegels bestimmt; denn 10 Lkw erzeugen ohne die neuen Bundesländer, also mit einer um etwa so viel Lärm wie 100 Pkw. Das kann es also auch nicht sein. (B) 20 Prozent geringeren Fläche und Bevölkerung, fast (D) 20 000 Verkehrstote. Heute liegt die Zahl leicht oberhalb Umweltpolitisch wird hier eindeutig mit Kanonen auf von 5 000. Das ist eine gute Entwicklung, die wir weiter- Spatzen geschossen. Statt starrer Verbote gilt es viel- führen wollen, weil jedes Leben wertvoll ist und ge- mehr, das flexible Instrument der Verkehrsbeeinflus- schützt werden muss. sungsanlagen noch stärker zu nutzen. Mit diesen Anla- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) gen kann man flexibel auf Verkehrssituationen und Witterungsbedingungen reagieren, bei denen ein Tempo Wir müssen aber alles dafür tun, dass der Verkehr gebün- von 130 km/h viel zu hoch wäre. Ich stelle mir einmal delt da abgewickelt wird, wo das am sichersten ist, und vor: Nebel, Glatteisbildung, und da steht „130 km/h“. das ist nun eindeutig auf den Autobahnen der Fall. Was ist das für eine Information an den Autofahrer? Auch für den Umwelt- und Klimaschutz ergeben (Lutz Heilmann [DIE LINKE]: Reiner Unsinn! – sich keine signifikanten Verbesserungen durch ein Tem- Zuruf von der SPD: So ein Unsinn!) polimit. Der Pkw-Verkehr ist an den CO2-Emissionen in Deutschland mit ungefähr 12 Prozent beteiligt. Ein gene- Da muss er wissen: In dieser Situation sind 30, 40, relles Tempolimit von 130 km/h auf Autobahnen beträfe 50 km/h genug, gilt nicht das, was dort ausgeschildert nur einen begrenzten Anteil des Verkehrs, worden ist. Anders als bei einem generellen Tempolimit können wir also aktuelle Informationen liefern. Deswe- (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- gen finden solche Anlagen beim Autofahrer eine sehr NEN]: Wir können auch Tempolimits in den hohe Akzeptanz. Wir haben damit auf der A 5 westlich Städten machen, wenn es Ihnen hilft!) von Frankfurt in der Gesamtentwicklung hervorragende nämlich nur den Autobahnverkehr, wo auf einem Anteil Erfahrungen gemacht. von rund 5 Prozent unseres gesamten Straßennetzes sen- Wer ein allgemeines Tempolimit fordert, muss es sationelle 32 Prozent unseres gesamten Kfz-Verkehrs auch kontrollieren können. Daher müsste die Kontroll- abgewickelt werden – sensationelle Bündelung! –, von dichte durch die zuständigen Bundesländer deutlich er- diesem wiederum nur den Pkw-Verkehr und davon nur höht werden. den Anteil Fahrleistung oberhalb 130 km/h. (Beifall des Abg. Jörg Vogelsänger [SPD]) Zudem sind heute bereits knapp 40 Prozent des Auto- bahnnetzes dauerhaft oder zeitweise geschwindigkeits- Dann wäre schon jetzt aufgrund geltender Regelungen beschränkt. Auf weiteren 9 Prozent des Netzes erfolgt viel mehr möglich, insbesondere bei der Bekämpfung eine Geschwindigkeitsregelung über Verkehrsbeeinflus- von extremen und hochgefährlichen Regelverstößen. Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 124. Sitzung. Berlin, Freitag, den 9. November 2007 12983

Dirk Fischer (Hamburg) (A) Herr Kollege Hofreiter, Sie haben hier ein Zerrbild Vizepräsidentin Petra Pau: (C) gezeichnet. Die deutschen Autofahrer, die deutschen Für die SPD-Fraktion hat die Kollegin Heidi Wright Bürger, sind nicht halbwilde Nörgler, Drängler, Raser das Wort. und, und, und. Es sind in aller Regel verantwortungsbe- wusste Leute. Die Einzelnen, die diesem Bild entspre- (Beifall bei der SPD) chen, müssen wir herausfiltern und über entsprechende Bußgelder, Punkte oder Fahrverbote bewirken, dass sie Heidi Wright (SPD): den Führerschein endgültig verlieren. Denn die haben Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! nicht das Verantwortungsbewusstsein, das wir von Auto- Meine Freude über den Parteitagsbeschluss der SPD fahrern verlangen. Da sind wir uns hier alle einig. zum Tempolimit hält immer noch an, ebenso meine Freude über die Unterstützung meiner Fraktion. (Patrick Döring [FDP]: So ist es!) (Beifall bei Abgeordneten der SPD und des Deswegen spielen Sie diese extremen Verhaltensweisen BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Jürgen bitte nicht gegen das allgemeine Thema aus! Das ist ein Koppelin [FDP]: Unsere Freude auch! Das ist absolutes Zerrbild, das wir nicht im Raum stehen lassen eine Schadenfreude!) dürfen. (Beifall bei der CDU/CSU) Ich danke allen, die mithelfen, dass wir an diesem wich- tigen Thema dranbleiben und gemeinsam zu guten und Es gibt leider Bundesländer, in denen eine ganz an- richtigen Ergebnissen kommen werden. dere Tendenz vorherrscht: Dort wird die Kontrolldichte eher verringert, als dass sie erhöht wird, was ich sehr be- Es ist nicht so, dass die Weisheit eines SPD-Parteita- dauere. Wer aber immer schärfere Regelungen einführt ges sich flugs auf alle oder gar auf unseren Koalitions- und immer weniger kontrolliert, macht aus dem Rechts- partner, die Union, überträgt. Aber es ist klar: Dieser Be- staat einen Popanz nach dem Motto: Es steht zwar auf schluss hat Auswirkungen auf die SPD-Fraktion. dem Papier; aber man braucht sich nicht darum zu küm- Bei der Union strahlt mir die langjährige Erkenntnis mern, es ändert sich sowieso nichts. des Kollegen Josef Göppel entgegen. (Beifall des Abg. Horst Friedrich [Bayreuth] (Beifall bei Abgeordneten der SPD und des [FDP]) BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Lassen Sie mich abschließend kurz feststellen: Ein Ich weiß: Dies hat Strahlwirkung in Ihre Fraktion. Aller- Tempolimit würde die Interessen der Hersteller und der dings sind die Abwehrschirme von oben noch festgezurrt Kunden an immer besserer Sicherheits- und Fahrzeug- (B) und festgespannt. Aber Sie werden sich noch wundern: (D) technologie eher reduzieren. Eine Antriebsfeder für den Mit der Unterstützung der Bevölkerung werden wir die- technischen Fortschritt sollte aber sein, dass unsere ses Thema voranbringen. Fahrzeuge im Zweifel auch für High Speed ausgerüstet sind, weil dies auch in anderen Geschwindigkeitslagen (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ eindeutig positive Wirkungen hat. DIE GRÜNEN) Wir werden Mehrheiten dafür bekommen. Sie werden Vizepräsidentin Petra Pau: sich noch wundern, wie viel Drive das Thema eines Kollege Fischer, Sie müssen bitte Ihren letzten Satz Tempolimits von 130 Stundenkilometern hat. formulieren. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Dirk Fischer (Hamburg) (CDU/CSU): Wir glauben, dass wir mit einer verbesserten Fahr- Ich muss mich leider auf das Thema Verkehrssicher- zeugtechnik, der Umstellung der Kfz-Steuer von der heit beschränken; Hubraumbesteuerung auf die emissionsbezogene Be- (Jürgen Koppelin [FDP]: Haben Sie keine steuerung und dem Eintreten für Antriebsmotoren, die Hemmungen!) den Kohlendioxidausstoß verringern – Stichworte: Erd- gas, Biokraftstoffe, Wasserstofftechnologie –, die rich- denn viele andere Punkte hat mein Kollege Gerd tige Richtung einschlagen. Bollmann schon angesprochen. Ich will den Vorspann, also den Hinweis auf unsere Bemühungen um gute An- Vizepräsidentin Petra Pau: sätze in der Verkehrssicherheit, weglassen und gleich zu Herr Kollege Fischer, dazu haben wir in den Beratun- den harten Fakten kommen. Harte Fakten sind: mehr als gen noch Zeit. Ich bitte Sie wirklich, zum Schluss zu 5 000 Tote – Tendenz steigend; 75 000 Schwerverletzte. kommen. (Patrick Döring [FDP]: Aber nicht auf Auto- bahnen! Insgesamt!) Dirk Fischer (Hamburg) (CDU/CSU): Sie erleiden Schädelhirnverletzungen, Querschnittsläh- Damit haben wir eine bessere Antwort auf die beste- mungen und Verluste von Gliedmaßen. Diese Verletzun- henden Probleme als Sie mit einem starren Tempolimit. gen führen zu dauerhaften Behinderungen. 12 Prozent (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. dieser Verletzungen geschehen auf Autobahnen. Das Jörg van Essen [FDP]) sind horrende und besorgniserregende Zahlen. 12984 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 124. Sitzung. Berlin, Freitag, den 9. November 2007

Heidi Wright (A) (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ senschaftlich aufzuarbeiten und uns zur weiteren Ent- (C) DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der scheidung vorzulegen. Der Präsident sagte mir, seine Er- CDU/CSU und der LINKEN) wartungen bei den Emissionseinsparungen gingen weit über 2,5 bis 3 Millionen Tonnen hinaus. Der Verkehrsminister schlägt richtigerweise Spritspartrainings vor. Er propagiert Antiaggressionsak- (Beifall bei Abgeordneten der SPD und des tionen. Dazu werden an den Autobahnen große Plakate BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) aufgehängt. Darauf heißt es: „Gelassen läuft’s“ oder: Ra- sen ist wenig sexy. Aber wir haben bereits Grundlagen. Es gibt die Studie aus Brandenburg – gestern vorgelegt und heute schon (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ viel zitiert. Weiterhin haben wir Grundlagen in Form der DIE GRÜNEN) zweijährigen Unfallverhütungsberichte. Wir haben inter- nationale Grundlagen des ETSC, des European Trans- Das besagt alles; diese Aktionen sind richtig. Was sollen port Safety Council. All diese Grundlagen lassen jetzt sie bewirken? Runter mit dem Tempo! schon Schlüsse zu. Diese Schlüsse drängen sich regel- (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS- recht auf. SES 90/DIE GRÜNEN) Unangepasste Geschwindigkeit ist die Hauptunfallur- Es hilft also kein Drumherumreden. Wir sind zu sache. Die Risikogruppe junge Männer – das sind schnell auf deutschen Straßen, und zwar auf allen Stra- 8 Prozent – verursacht ein Drittel aller Unfälle. Aber ge- ßen. rade diese Gruppe ist gegen ein Tempolimit. Da liegt es doch in meiner, in unserer Verantwortung, dass wir die (Jürgen Koppelin [FDP]: Kommen Sie mal Sicherheit auch dieser jungen Menschen gewährleisten. – nach Schleswig-Holstein! Da können Sie gar Ich habe noch so vieles aufgeschrieben und hätte vieles nicht 130 fahren!) zu sagen, aber die Zeit drängt mich. Deshalb überschreibe ich meine Vorschläge in diesem Zum Schuss: Das Tempolimit wird kommen, sehr Zusammenhang mit „Entschleunigung“. Es geht nicht verehrte Kolleginnen und Kollegen. nur um ein Tempo von 130 Stundenkilometern. (Patrick Döring [FDP]: Das haben Sie in Ihrer (Beifall bei Abgeordneten der SPD und des Regierungszeit bewiesen!) BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Viele sagen abschätzig: Das ist Symbolpolitik. Ja, das Wir sind zu schnell, und bei der Verkehrssicherheit – das ist ein gutes Symbol für unsere Verantwortung, und das ist unsere Aufgabe – bleiben wir unter unseren Möglich- ist ein Signal für Veränderung hin zu mehr Verkehrssi- (B) keiten. Das ist tödlich. Wir brauchen ein Tempolimit. cherheit und zu mehr Klimaschutz. (D) (Beifall bei Abgeordneten der SPD und des Sprüche wie „Freie Fahrt für freie Bürger“ oder gar BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Hartmut „Des Deutschen liebstes Kind ist das Auto“ sind absolut Koschyk [CDU/CSU]: Nein!) out und bewirken ein peinliches Image für Deutschland. Wir erkennen, dass wir in der Verkehrssicherheits- politik wieder mehr bei den Menschen ansetzen müssen. Vizepräsidentin Petra Pau: Somit heißt es im Vorspann des neuen Bußgeldkatalogs: Kollegin Wright, der Kollege Koppelin möchte Ihnen 95 Prozent der Unfälle sind auf das Fehlverhalten des mit einer Zwischenfrage die Chance geben, noch etwas Fahrers zurückzuführen. – Das bedeutet, dass wir die zu sagen. Lassen Sie sie zu? Technik nicht wie in der Vergangenheit, in der wir uns bei der Verbesserung der Verkehrssicherheit hauptsäch- lich auf die Technik verlassen haben, über alles stellen Heidi Wright (SPD): dürfen. Technik ist das Zauberwort. Wenn es dann gar Ja, gut, wunderbar! noch als „intelligente“ Technik garniert wird – toll! Liebe Kollegen, Technik ist nicht alles. Jürgen Koppelin (FDP): (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Frau Kollegin, nachdem ich Ihnen aufmerksam zuge- hört habe, darf ich einmal fragen, warum Sie in der Zeit, Ich denke, wir müssen wieder mehr die Menschen, als Sie den Bundeskanzler gestellt haben – da war es auch die Defizite der Menschen in den Mittelpunkt stel- Herr Schröder –, nicht das gemacht haben, was Sie uns len. Beim Dreiklang der Verkehrssicherheit – Mensch, jetzt hier als Weisheit verkünden. Maschine und Infrastruktur – darf der Mensch nicht ver- nachlässigt, aber auch nicht überfordert werden. Der Heidi Wright (SPD): Mensch macht Fehler. Bei höheren Geschwindigkeiten Das ist ganz wichtig, und ich nehme das auf meine – das soll doch jemand einmal widerlegen! – sind die ganz persönliche Kappe. Wir haben damals keinen sol- Fehler fataler, oft tödlich. Das ist eine Tatsache. chen Antrag gestellt. Es gab im Jahr 2000 einen Antrag Leider fehlen uns in Deutschland – darauf haben viele – Berichterstatter war damals Albert Schmidt von den Kollegen hingewiesen – aktuelle Grundlagen. Ich habe Grünen –, den wir damals allerdings abgelehnt haben. heute Morgen mit dem Präsidenten des UBA gespro- Wir hatten argumentiert, wir hätten Sympathie für den chen. Präsident Troge ist beauftragt – das wird noch Antrag, aber die Bevölkerung würde nicht in Gänze da- konkretisiert –, neue Daten schnell zu ermitteln, sie wis- hinterstehen. Die Zeiten haben sich geändert, und wir Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 124. Sitzung. Berlin, Freitag, den 9. November 2007 12985

Heidi Wright (A) haben uns geändert. Wir werden ein Tempolimit bekom- (Beifall der Abg. Heidi Wright [SPD]) (C) men. Wir haben uns vorgenommen, beim Fahrverhalten der Glück auf, Kollegen! Menschen anzusetzen. In absehbarer Zeit wird ein ent- (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ sprechender Antrag in den Ausschüssen des Deutschen DIE GRÜNEN – Patrick Döring [FDP]: Sie Bundestages beraten. Wer mit Bleifuß fährt, trägt stark machen Politik nach Umfragewerten! Da zu dem unangemessen hohen CO2-Ausstoß bei. Wenn würde ich mir ziemlich viele Gedanken ma- wir es erreichen, dass die Menschen in Deutschland ihr chen bei den aktuellen Werten, Frau Kollegin – Fahrverhalten ändern und selbstbestimmt ein kraft- bei 30 Prozent! – Jürgen Koppelin [FDP]: Po- stoffsparendes Fahrverhalten an den Tag legen, kann die litik nach Umfragen!) CO2-Emission deutlich reduziert werden, was notwendig ist. Wir müssen bei der Schulung von Fahrern ansetzen. Vizepräsidentin Petra Pau: (Beifall des Abg. [CDU/CSU]) Das Wort hat der Kollege Uwe Beckmeyer für die SPD-Fraktion. Fahrerinnen und Fahrer von Fahrzeugen mit 2,8 bis 3,5 Tonnen legen ein unangemessenes Fahrverhalten an (Beifall bei der SPD) den Tag. Das ist eine kleine schnelle Einheit, die auf deutschen Autobahnen eine Art Flugersatzverkehr be- Uwe Beckmeyer (SPD): treibt. Das betrifft auch die Umzugsfahrzeuge auf deut- Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und schen Autobahnen. Dies muss uns nachdenklich stim- Herren! Wir haben eine engagierte, manchmal ideologi- men und zu der Überlegung bringen, ob wir nicht bei sche, manchmal auch emotionale Debatte erlebt. Aber diesen Fahrzeugtypen ansetzen können, um eine Redu- ich frage den Deutschen Bundestag: Was wollen Sie zierung der Unfallträchtigkeit zu erreichen. denn tun? Es ist keine Mehrheit im Deutschen Bundes- Wir müssen uns verstärkt um den Einsatz von Fahr- tag zu erwarten. assistenztechniken in diesen Fahrzeugen kümmern. Das (Fritz Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: ist möglich. Die Industrie bietet entsprechende Techni- Es gibt hier schon eine Mehrheit!) ken an: Fahrzeuge mit Bremsverstärkern, die verhindern, dass das Fahrzeug aus der Spur kommt, und Fahrzeuge, – Herr Kuhn, Ihre Initiative hat doch mit Ihrem Parteitag bei denen nicht nur Haltepunkte für die Sicherung der zu tun – das sage ich einmal ganz nüchtern –; das ist Ladung vorgesehen sind, sondern die echte Ladesiche- nicht nur Eigennutz Ihrer Partei. Das ist doch wahr- rungssysteme an Bord haben. Ich denke, das sind wich- scheinlich ganz persönlich motiviert. – Aber sei’s drum! tige Punkte. Wir werden Ihnen das in einem Antrag prä- (B) Wir haben lange nicht mehr 75 Minuten lang über dieses sentieren. (D) Thema diskutiert. Bis zu diesem Zeitpunkt haben wir es aber genossen. Wir sind dafür, dass für Kraftfahrzeuge dieser Ge- wichtsklasse in der Bundesrepublik Deutschland gene- Was tut der Deutsche Bundestag jetzt? Das ist der ent- rell ein Tempolimit gilt. scheidende Punkt. Sind wir Manns oder Frau genug, ha- ben wir die Kraft, etwas auf den Weg zu bringen, das so- (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der wohl der Verkehrssicherheit dient als auch zu einer FDP) Verminderung des CO2-Ausstoßes auf deutschen Auto- bahnen und deutschen Straßen generell führt? An dieser Auch dazu werden wir Ihnen einen Antrag vorlegen. Stelle möchte ich einmal sagen: Jemand, der auf einer Bezogen auf die Verkehrssicherheit müssen wir uns Landstraße oder Bundesstraße zu Tode kam, ist genauso angesichts des tatsächlichen Geschehens auf Außerorts- ein Verkehrstoter wie jemand, der auf einer Autobahn zu straßen überlegen, ob es nicht sinnvoll ist, mit Unterstüt- Tode kam. Manchmal gewinnt man nämlich den Ein- zung der Länder gerade auf diesen Straßen die erlaubte druck, die Autobahn sei eine besondere Art von Straße Geschwindigkeit stark zu reduzieren. und Unfälle dort seien besondere Unfälle. Ich möchte deutlich in Erinnerung rufen, dass drei Viertel der Un- (Beifall der Abg. Heidi Wright [SPD]) fälle auf Außerortsstraßen nicht auf Bundesautobahnen stattfinden. Es kann nicht sein, dass drei Viertel aller tödlichen Ver- kehrsunfälle durch unangemessenes Fahrverhalten, un- Was tun wir? Die Koalition bereitet einen Antrag vor angemessene Geschwindigkeit auf baumbestandenen – das kündige ich hier an –, der den Gesichtspunkten der Alleen – ob es nun eine Landstraße oder eine Bundes- CO2-Reduzierung, aber auch der Reduzierung der Zahl straße ist – verursacht werden. der Unfallschäden und Unfalltoten auf deutschen Stra- ßen gerecht werden soll. Wir wollen eine Reduzierung (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU so- der Zahl der Unfalltoten und eine Reduzierung der CO2- wie des Abg. Patrick Döring [FDP]) Emissionen. Das ist eine klare Orientierung. Zum Schluss ein Appell des Bundestages an die Län- In der heutigen Debatte haben Sie mitbekommen, der: Das alles ist nichts wert, wenn nicht mehr Ver- dass in der Koalition hinsichtlich eines generellen Tem- kehrsüberwachung stattfindet. Wir brauchen eine stär- polimits von 130 km/h auf Autobahnen keine Einigkeit kere Verkehrsüberwachung in der Bundesrepublik herrscht. Gleichwohl finde ich es angemessen, dass die- Deutschland, um der Tendenz zum Rasen bei Einzelnen ses Ziel in der Koalition verfolgt wird. entgegenwirken zu können. Ich glaube, das ist wichtig. 12986 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 124. Sitzung. Berlin, Freitag, den 9. November 2007

Uwe Beckmeyer (A) (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der ZP 14 Erste Beratung des von der Bundesregierung ein- (C) CDU/CSU) gebrachten Entwurfs eines Dritten Gesetzes zur Änderung des Bundesministergesetzes Diese Koalition wird die Kraft finden, bei der Ver- kehrsbeeinflussung noch mehr auf die Tube zu drü- – Drucksache 16/5052 – cken. Verkehrsbeeinflussung auf deutschen Autobahnen Überweisungsvorschlag: gibt es heute schon. Wir haben gute Erfahrungen damit Innenausschuss (f) gemacht. Aber wir wissen auch: Verkehrsbeeinflussung Ausschuss für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung bedeutet Stauvermeidung, CO2-Reduzierung und einen Rückgang der Zahl schwerer Unfälle auf Autobahnen. Haushaltsausschuss gemäß § 96 GO Gleichzeitig bedeutet es einen deutlichen Zuwachs an Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Sicherheit. Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. Ich habe jetzt für die Koalition ein kleines Bündel von Ich bitte die Kolleginnen und Kollegen, die scheinbar Maßnahmen vorgestellt. Wir wollen im Deutschen Bun- unentschlossen sind, ob sie an dieser Debatte teilnehmen destag mit diesem Maßnahmenbündel demnächst unse- wollen oder andere Verpflichtungen haben, das schnell ren Beitrag zur CO2-Reduzierung und zur Verkehrssi- zu entscheiden und die nötige Ruhe herzustellen, sodass cherheit auf deutschen Straßen leisten. wir der Debatte folgen können. Schönen Dank für die Aufmerksamkeit. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Kollege Olaf Scholz für die SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) (Beifall bei der SPD)

Vizepräsidentin Petra Pau: Olaf Scholz (SPD): Ich schließe die Aussprache. Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir dis- kutieren hier über ein Thema, das große öffentliche Auf- Wir kommen zum Antrag der Fraktion Bündnis 90/ merksamkeit genießt und für die Abgeordneten und in Die Grünen auf Drucksache 16/6894 mit dem Titel der öffentlichen Diskussion nicht immer leicht ist. Die- „Tempolimit 130 km/h auf Autobahnen sofort einfüh- ses Thema wird zu Recht ausreichend gewürdigt. Denn ren“. Die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen wünscht na- wir sind mit der besonderen Situation konfrontiert, dass mentliche Abstimmung in der Sache. Die Fraktionen der die Abgeordneten über das, was sie an Gehalt, an Diäten CDU/CSU und SPD wünschen Überweisung, und zwar und an Altersversorgung erhalten, selbst entscheiden; zu (B) federführend an den Ausschuss für Verkehr, Bau und (D) Stadtentwicklung und mitberatend an den Innenaus- diesem Thema will ich noch kommen. Ich glaube, des- schuss, den Ausschuss für Wirtschaft und Technologie, halb ist es richtig, dass wir mit großer Sachlichkeit und den Ausschuss für Gesundheit, den Ausschuss für Um- Vernunft an diese Debatte herangehen. welt, Naturschutz und Reaktorsicherheit, den Ausschuss Was haben wir uns vorgenommen, bei der Änderung für Tourismus sowie an den Haushaltsausschuss. des Abgeordnetengesetzes jetzt durchzusetzen? – Ers- tens. Die Altersversorgung der Abgeordneten soll redu- Die Abstimmung über den Antrag auf Ausschuss- ziert werden. Zweitens. Wir werden auch für die Abge- überweisung geht nach ständiger Übung vor. Ich frage ordneten das Renteneintrittsalter mit 67 Jahren festsetzen, deshalb: Wer stimmt für die beantragte Überweisung? – so wie das für die Bürgerinnen und Bürger in der gesetz- Gegenprobe! – Gibt es Enthaltungen? – Dann ist die lichen Rentenversicherung auch der Fall ist. Drittens. Überweisung so beschlossen. Damit stimmen wir heute Wir werden dauerhaft einen Orientierungsmaßstab für über den Antrag auf Drucksache 16/6894 nicht ab. das festlegen, was die Abgeordneten als Entschädigung, als Diäten, bekommen sollen. Es soll dem, was ein Bür- Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf Drucksache 16/6932 an die in der Tagesordnung aufge- germeister einer Gemeinde mit 50 000 bis 100 000 Ein- führten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit ein- wohnern in Deutschland auch erhält, oder dem, was ein verstanden? – Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung beisitzender, ein einfacher Bundesrichter an einem der so beschlossen. vielen Gerichtshöfe der Bundesrepublik Deutschland be- kommt, entsprechen. Das ist – so glauben wir – eine an- Ich rufe die Zusatzpunkte 13 und 14 auf: gemessene Bezugsgröße. Über diese drei Entscheidun- gen wollen wir heute hier diskutieren. ZP 13 Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/ CSU und SPD eingebrachten Entwurfs eines Sie- Ich will etwas zur Entschädigung sagen. Der erste benundzwanzigsten Gesetzes zur Änderung Satz, den man dazu sprechen muss, lautet: Die Abgeord- des Abgeordnetengesetzes neten verdienen viel Geld. Sie verdienen mehr Geld als die meisten ihrer Wählerinnen und Wähler, und jeder, – Drucksache 16/6924 – der darüber einen falschen Eindruck erweckt, spricht Überweisungsvorschlag: nicht die Wahrheit. Ich persönlich habe es auch nie ge- Ausschuss für Wahlprüfung, Immunität und mocht, wenn sich Abgeordnete in öffentlichen Debatten Geschäftsordnung (f) darüber beklagen, dass sie nicht genug Geld bekämen Innenausschuss Rechtsausschuss und verglichen mit anderen Führungskräften – oft schon Haushaltsausschuss gemäß § 96 GO im mittleren Bereich – in der Wirtschaft, in den Verbän- Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 124. Sitzung. Berlin, Freitag, den 9. November 2007 12987

Olaf Scholz (A) den und in den Gewerkschaften ein relativ geringes Ge- so, als würde man sich drücken wollen. Wir sollten uns (C) halt bezögen. nicht drücken, sondern uns zu dieser Entscheidung be- kennen und deshalb den Maßstab, den wir diskutieren, Es gehört meiner Meinung nach auch dazu, zu sagen: auch vertreten. Es ist ein ordentliches, ein hohes Einkommen, das die Abgeordneten beziehen, und das muss auch klargestellt (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- werden. neten der FDP) Wenn wir uns also über die Frage unterhalten, was ein Wir haben jetzt eine Erhöhung in zwei Schritten vor- Abgeordneter als Entschädigung bekommen soll, dann gesehen. Natürlich hat das – leider war das zu erwarten, geht es vor allen Dingen darum, dass wir uns einen Maß- und darüber will ich mich auch nicht beklagen, weil es stab überlegen. Wie soll der aussehen? Was sollen dieje- berechtigt ist, so etwas hin- und herzudiskutieren – in nigen erhalten, die als 613 Abgeordnete heute darüber der Öffentlichkeit die aufgeregte Frage ausgelöst, ob es entscheiden, wie es mit den Steuern weitergeht, ob sich nicht zu viel sei und ob es nicht auch weniger hätte sein die Bundeswehr an internationalen Einsätzen beteiligt, können. ob wir unsere Soldaten in den Kosovo oder nach Afgha- nistan schicken, um dort den Frieden herzustellen und zu Meine Damen und Herren, abgesehen davon – darauf sichern? Wir sind diejenigen, die Fragen wie beispiels- will ich noch zu sprechen kommen –, dass wir auch eine weise die einer Beteiligung an einer militärischen Inter- Änderung bei der Altersvorsorge vornehmen – es liegt vention im Irak – wir wollten uns nicht beteiligen – erör- den Menschen berechtigterweise übrigens sehr am Her- tern. Wir sind diejenigen, die entscheiden, ob die Steuern zen, dass diese nicht zu üppig ausfällt –, ist es so, dass erhöht oder gesenkt werden sollen, wie es mit der Unter- die Erhöhung jetzt so ausfällt, weil wir seit 2003 keine nehmensbesteuerung und der Erbschaftsteuer weiter- Erhöhung durchgesetzt haben. geht, wie sich das Arbeitslosengeld entwickelt und wie Nun, es hat keine armen Leute getroffen; das muss die Zukunft der Krankenversicherung aussieht. man dazusagen. Niemandem von uns ist es schlecht ge- All das sind Fragen, die die vom Volk gewählten gangen, weil keine Erhöhungen stattgefunden haben, 613 Abgeordneten zu behandeln haben. Sie vertreten und niemand sollte diesen Eindruck erwecken. Aber es Wahlkreise mit mehr oder weniger als 250 000 Wahlbe- ist auch ein Stück Wahrheit, dass seit 2003 in keinem rechtigten und natürlich all denjenigen, die noch nicht Jahr eine Erhöhung der Diäten, des Gehalts der Abge- wahlberechtigt sind, weil sie zu jung sind, aber dennoch ordneten, vorgenommen wurde. Hätten wir für jedes zu den Einwohnern eines solchen Wahlkreises gehören. Jahr – 2004, 2005, 2006, 2007 – und jetzt auch für 2008 und 2009 eine Erhöhung beschlossen, dann wäre es je- Das ist eine sehr verantwortungsvolle Tätigkeit, und (B) des Mal eine Erhöhung um 1,509 Prozent gewesen. Hier (D) es ist das höchste Amt, in das man in unserer Demokra- hätte wohl niemand gesagt, das sei zu viel. Zumindest tie vom Volk gewählt werden kann. Direkt gewählt wer- hätte niemand gesagt, das sei maßlos. Das spricht doch den kann man vom Volk nur zum Abgeordneten. Die Re- dafür, genau so vorzugehen, wie wir es jetzt tun. gierung, die Staatssekretäre, der Präsident und andere werden durch Versammlungen bestimmt. Wir sind es, Wir wollen einen Maßstab entwickeln und die Höhe die einer direkten Wahl unterliegen und als Gesetzgeber der Diäten an der Höhe der Bezüge der Bürgermeister Verantwortung tragen. mittelgroßer Gemeinden und der einfachen Bundesrich- ter orientieren; an diesen Maßstab wollen wir uns in Zu- Wir müssen die Frage beantworten, ob der Maßstab kunft immer halten. Wenn ihr Gehalt um 1 Prozent angemessen ist oder nicht. Wir glauben, dass das, was steigt, erhöhen wir auch unsere Bezüge um 1 Prozent. vor vielen Jahren schon einmal als Maßstab entwickelt Wenn ihr Gehalt um 2 Prozent steigt, erhöhen wir auch worden ist, nämlich das Gehalt eines Bürgermeisters ei- unseres um 2 Prozent. Wenn ihre Bezüge nicht steigen, ner Gemeinde mit 50 000 bis 100 000 Einwohnern, ein erhöhen wir auch unsere nicht. angemessener Maßstab ist. Mein Rat an alle Abgeordneten in diesem Haus und Meine Damen und Herren, das Problem ist also wahr- an die Öffentlichkeit lautet: Sie sollten uns dabei unter- scheinlich nicht die Höhe. Auch diejenigen, die vor- stützen, damit die Leute nicht mehr denken, dass wir die schlagen, man soll das auf eine Kommission delegieren Höhe unserer Diäten ganz frei und selbst bestimmen. oder einen Maßstab bzw. eine automatische Erhöhung Wir wollen einen langfristig angelegten, dauerhaften fest ins Gesetz hineinschreiben, sagen meistens nicht, Maßstab entwickeln, an dem uns alle messen können. Je- dass sie eine Absenkung der Diätenhöhe wollen; jeden- der soll wissen, woran er in den nächsten 20, 30 Jahren falls habe ich Herrn Westerwelle noch nie so verstanden, ist. Heute können wir dafür sorgen, dass das möglich dass er für eine Reduzierung der Diäten ist. Deshalb ge- wird. Vielleicht ist das sogar ein großer Beitrag zur Er- hört es – so glaube ich – zur Ehrlichkeit der Debatte höhung der Akzeptanz der parlamentarischen Demokra- dazu, dass wir auch sagen: Wir suchen nach einem Maß- tie. Meine Bitte an Sie ist: Helfen Sie mit! stab. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Wir entscheiden uns jetzt nicht dafür, eine Verfas- sungsänderung durchzuführen, die das auf irgendwen Meine Damen und Herren, wir müssen natürlich auch anders delegiert. Obwohl es wahrscheinlich den meisten darüber sprechen, dass nicht nur die Diäten der Abge- Abgeordneten recht wäre, nicht selber die Verantwortung ordneten eine ordentliche Höhe haben, sondern dass das tragen zu müssen, wäre es letztendlich doch ein bisschen auch für ihre Altersversorgung zutrifft. Anders als bei 12988 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 124. Sitzung. Berlin, Freitag, den 9. November 2007

Olaf Scholz (A) der Entschädigung – hier meinen die meisten, das ist im hinzufügen, welche Konsequenzen das für die Altersver- (C) Großen und Ganzen schon in Ordnung; einige finden al- sorgung haben soll: Soll ihr Umfang reduziert werden, lerdings, die Erhöhungen müssten nicht sein; hier muss soll er gleich bleiben, oder soll er erhöht werden? Alle man zueinander finden; denn es kann nicht beides richtig drei Varianten sind möglich. sein – sagen bei der Altersversorgung viele: Das ist zu Ich bin dafür, dass wir uns zu dem bekennen, was wir viel. – Ich finde – hier bin ich mir mit den Kollegen von aufgrund des Wunsches und angesichts der berechtigten der Union einig –, wer das sagt, hat recht. Hier musste Kritik der Bevölkerung richtigerweise tun müssen: Wir man handeln. müssen unseren Altersversorgungsanspruch reduzieren. Ich glaube aber, dass die Kritik am Umfang unserer Diese Senkung sollten wir nicht hinter einem System- Altersversorgung daher rührt, dass die Leute vielfach wechsel „verschwurbeln“, sondern sie real durchführen. noch Regelungen im Kopf haben, die aus anderen Zeiten Das wollen wir mit dem vorliegenden Gesetzentwurf stammen. tun. (Zuruf von der CDU/CSU: So ist es!) Schönen Dank. Die Bürgerinnen und Bürger müssen wissen: Bis 1995 (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) war es so, dass ein Abgeordneter für jedes Jahr, das er Mitglied des Deutschen Bundestages war, 4 Prozent der Vizepräsidentin Petra Pau: Höhe seiner Entschädigung als Altersversorgungsan- Für die FDP-Fraktion hat nun der Kollege van Essen spruch bekommen hat. Das hat den nachhaltigen, weil das Wort. bis heute wirkenden Eindruck erweckt, das sei noch im- mer so und das sei ziemlich viel. Wir haben das bereits (Beifall bei der FDP) in der Vergangenheit auf 3 Prozent reduziert. Jetzt wol- len wir den Steigerungssatz noch einmal reduzieren, und Jörg van Essen (FDP): zwar auf 2,5 Prozent. Wenn wir das tun, ist die Versor- Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! gung völlig anders geregelt, als es damals der Fall war. Die FDP-Bundestagsfraktion lehnt diesen Gesetzentwurf Wenn man diese Entwicklung betrachtet, kann man, der Großen Koalition ab. wie ich glaube, feststellen: Wir haben uns den Vorstel- (Beifall bei der FDP) lungen der Menschen angenähert. Es ist richtig, dass wir mit dieser Reform eine Senkung der Höhe des Altersver- Wir wollen einen Systemwechsel, und zwar in mehrfa- sorgungsanspruchs verbinden. cher Hinsicht. (B) Ich bitte Sie darum – das will ich dazusagen –, dass Wir erleben in der Diskussion, die wir in diesen Tagen (D) wir offen und ehrlich miteinander diskutieren. Wer sagt, in den Zeitungen lesen können, dass es ganz offensicht- dass wir einen Systemwechsel vornehmen – das kann lich ein großes Akzeptanzproblem für eine Diätenerhö- man durchaus sagen – und unsere Altersversorgung an- hung im Deutschen Bundestag gibt. Das gilt nicht nur ders organisieren sollten, der bekommt Beifall von Leu- für diese, sondern für jede Diätenerhöhung, die zur De- ten, die systematisch denken und der Meinung sind, dass batte steht. Deshalb muss es nach meiner Auffassung un- ein anderes System besser ist. Meistens bekommt er aber sere Aufgabe sein, uns ein System zu überlegen, bei dem Beifall von Leuten, die glauben, dass wir, wenn wir von die Bürger das Gefühl haben: Das Ganze ist transparent, einem Systemwechsel sprechen, meinen, dass wir den und das Ganze ist gerecht. Wenn entschieden wird von Umfang unserer Altersversorgung reduzieren; auch denen, die die Gehaltserhöhung bekommen, haben die diese Meinung habe ich teilweise gehört, allerdings nicht Bürger – das ist ganz natürlich – das Gefühl, dass es von vielen Kollegen in diesem Hause. nicht gerecht ist, weil man nicht zu seinen Lasten ent- scheidet. Wer sich selbst das Gehalt festsetzt, der tut das in der Regel nicht zu seinem Nachteil. Das ist das Gefühl Vizepräsidentin Petra Pau: der Bürger – was wir nach meiner Auffassung ernst neh- Kollege Scholz, ich verstehe, dass es Sie drängt, auch men müssen. das noch zu erklären. (Beifall bei der FDP) Olaf Scholz (SPD): Wir sehen das ja auch an den Schreiben, die uns in die- Das mache ich auch. sen Tagen erreichen. Wir haben ein weiteres Problem, nämlich das Pro- Vizepräsidentin Petra Pau: blem, im Bundestag selbst die notwendigen Entschei- Sie haben Ihre Redezeit aber schon weit überschrit- dungen, die anstehen, zu treffen. Auch das gehört zur ten. Vielleicht können Sie mit Ihrem Koalitionspartner Beschreibung der Realität. Das war der Hintergrund da- eine Verabredung treffen, wie Sie diesen Aspekt nachher für, dass wir als FDP sagen: Wir brauchen einen System- noch in die Debatte einbringen können. wechsel. – Das Bundesverfassungsgericht hat es uns nicht leicht gemacht, als es entschieden hat, dass die Ab- Olaf Scholz (SPD): geordneten selbst, durch Gesetz, die Höhe der Diäten Ich komme zum Schluss. Ich möchte nur noch auf ei- festlegen müssen. Das ist nicht unser Wunsch gewesen; nes hinweisen, Frau Präsidentin: Wer sagt, dass ein an- gleichwohl ist es die Entscheidung des Bundesverfas- deres System eingeführt werden sollte, der sollte auch sungsgerichts. Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 124. Sitzung. Berlin, Freitag, den 9. November 2007 12989

Jörg van Essen (A) (Dr. Michael Bürsch [SPD]: Eben!) (Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE (C) GRÜNEN]: Das ist eine Flucht vor der Verant- Deshalb haben wir schon unmittelbar nach der letzten wortung!) Bundestagswahl einen sehr gut durchdachten Vorschlag in das Parlament eingebracht, nämlich einen Vorschlag Die Diäten sollen durch eine unabhängige Kommission, zu einer Verfassungsänderung – es bedarf nach unserer die beim Bundespräsidenten anzusiedeln ist, festgesetzt Auffassung einer Verfassungsänderung –, die es ermög- werden. Und wir wollen, dass die Abgeordneten selbst licht, dass eine unabhängige Kommission vom Bundes- für ihre Altersversorgung sorgen müssen. präsidenten als neutraler Institution einberufen wird, die Vielen Dank. in Zukunft die Höhe der Diäten verbindlich festlegt. (Beifall bei der FDP) (Beifall bei der FDP) Da Sie die Frage aufgeworfen haben, Herr Kollege Vizepräsidentin Petra Pau: Scholz: Das kann das Gleiche sein wie heute, das kann Für die CDU/CSU-Fraktion hat nun der Kollege mehr sein, das kann aber auch weniger sein. Dr. Norbert Röttgen das Wort. Ich bin der Auffassung, wir sollten uns einem solchen (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Vorschlag unterwerfen. Ich glaube auch, dass das beides löst: das Mutproblem, das wir haben, aber insbesondere Dr. Norbert Röttgen (CDU/CSU): – das ist für mich das Wichtigste – das Akzeptanzpro- Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kol- blem bei den Bürgern. Denn die Bürger müssen das legen! Die geltende Verfassung gebietet, dass der Bun- Gefühl haben, dass die Abgeordneten so, wie die Verfas- destag in dieser Angelegenheit entscheidet; das steht in sung das vorschreibt, nämlich angemessen, bezahlt wer- Art. 48 des Grundgesetzes. den, und ich habe den Eindruck, dass die Bürger das auch wollen. (Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: So ist es!) Ein anderer Punkt, der für uns ganz wichtig ist und bei dem wir ebenfalls eine Systemänderung wollen, ist Solange dies gilt, müssen wir dem auch gerecht werden. die Frage der Altersversorgung. Unser Vorschlag sieht (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und vor, dass auch dafür die unabhängige Kommission beim der SPD) Bundespräsidenten Vorschläge machen soll. Wir werden uns diesen Vorschlägen dann selbstverständlich zu unter- Ich will aber auch sagen, dass ich es inhaltlich für werfen haben. Ich will hierbei für die FDP-Bundestags- richtig halte. Ich bin der Auffassung, dass wir zu dem, (B) fraktion keinen Zweifel daran lassen, was unser was wir in dieser Frage entscheiden, stehen müssen. (D) Wunschmodell wäre: Wir wollen von der jetzigen beam- (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem tenähnlichen Versorgung weg. BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (Beifall bei der FDP) Ich bin dagegen, dass wir uns hinter einer Kommission Der Grund dafür ist einfach: Wir Abgeordneten sind verstecken und sagen: Wir haben das nicht entschieden, keine Beamten. Deswegen sollten wir uns weder bei dem wir müssen doch das nehmen, was die Kommission ge- Maßstab der Diäten – B 6 – noch bei der Altersversor- sagt hat. – So viel Selbstbewusstsein, Klarheit und gung an den Beamten orientieren. Die Abgeordneten sind Transparenz – ein viel verwendetes Wort – können die frei von Aufträgen und Weisungen, sagt das Grundgesetz Bürgerinnen und Bürger von uns erwarten. Wir müssen klar und eindeutig. Sie haben damit einen völlig anderen an uns den Anspruch haben, dass wir vor sie treten und Status, als es Beamte haben. Deshalb ist unser Vorschlag vor den Augen der Öffentlichkeit, wie es das Bundesver- der, dass die Abgeordneten in Zukunft selbst, durch ei- fassungsgericht gesagt hat – ich ergänze: erhobenen gene Beiträge, für ihre Altersversorgung sorgen sollen. Hauptes –, einen Vorschlag unterbreiten. (Beifall bei der FDP) (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Das ist kein theoretisches Modell: Die FDP hat das in Herr van Essen, die Schwäche Ihrer Rede war, dass Nordrhein-Westfalen umgesetzt. Sie abstrakt von einem Systemwechsel und dem, was Sie sich alles vorstellen können, gesprochen haben. (Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie haben gar nichts umgesetzt! (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und Das war Ihre Landtagsfraktion!) der SPD) Nein, zum parlamentarischen Selbstverständnis und Mut Wer sich mit den Kollegen in Nordrhein-Westfalen un- gehört es, die Vorschläge konkret auf den Tisch zu legen terhält, der stellt fest, dass das auch funktioniert. Alles und nicht nur zu kritisieren. das, was hier gegen diesen Vorschlag der FDP vorgetra- gen worden ist, ist also durch die Praxis widerlegt wor- (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie den. bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Von daher wiederhole ich noch einmal: Die FDP- Bundestagsfraktion lehnt den Gesetzentwurf der Großen Wer nicht konkret wird, der entscheidet nicht. Wir Koalition ab. Wir wollen einen Systemwechsel. müssen auch aus sachlichen Gesichtspunkten und nicht 12990 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 124. Sitzung. Berlin, Freitag, den 9. November 2007

Dr. Norbert Röttgen (A) nur, weil wir die Pflicht haben, entscheiden. Wer nicht mentarischen Selbstachtung, dass wir bereit sind, das, (C) dafür entscheidet, sondern ablehnt, der entscheidet sich was wir selber als Gesetz beschlossen haben, auch um- dagegen, dass das, was wir für die gesetzliche Renten- zusetzen. Nach 12, 13 Jahren könnte es so weit sein. Das versicherung entschieden haben, auch für die Abgeord- wollen wir mit diesem Gesetzentwurf erreichen. neten gelten soll. Wir sind der Auffassung: Wenn die Ar- beitnehmerinnen und Arbeitnehmer nach einem Prozess (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) von 20 Jahren ein Renteneintrittsalter von 67 Jahren ak- In einem ersten Schritt sind das 330 Euro in einem zeptieren müssen, dann muss das auch der Bundestags- Zeitraum von fünf Jahren. Wenn ich den Vorschlag unter abgeordnete akzeptieren. Wer dagegen stimmt, der allen Gesichtspunkten betrachte, dann muss ich sagen: stimmt auch dafür, dass wir das Privileg behalten, anders Er ist maßvoll und ausgewogen. als die arbeitende Bevölkerung mit 65 Jahren in Rente zu gehen. Wir sind gegen dieses Privileg für Abgeord- Ich möchte eine abschließende Bemerkung zur öffent- nete. Stimmen Sie mit uns! lichen Debatte machen; denn in der öffentlichen Debatte geht es um mehr als um 330 Euro, also um 4,7 Prozent (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) innerhalb von fünf Jahren. Ich möchte Heribert Prantl Die Bevölkerung muss mehr für ihre Altersversor- aus der Süddeutschen Zeitung zitieren, gung tun, also mehr zurücklegen. Es gibt keine Sitzungs- (Hans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/DIE woche, in der wir nicht an die Bevölkerung appellieren: GRÜNEN): Sie sollten ihn öfter zitieren! Stellt euch auf die demografische Entwicklung ein! – Es kann nicht sein, dass wir uns von dieser Entwicklung in der, wie andere auch, etwas über die öffentliche Debatte der Bevölkerung, von der wir ihr predigen, ausnehmen, hinsichtlich der Abgeordnetendiäten geschrieben hat: indem wir bei einer Versorgung bleiben, bei der pro Jahr Sogleich wird die Vorurteilsmaschinerie angewor- Wachstumsschritte von 3 Prozent vorgesehen sind, wo- fen und das Parlament als Raffkartell beschimpft. mit wir uns besserstellen als die allgemeine Bevölke- Diese antiparlamentarische Narretei begleitet nun rung. Darum sind wir dafür, dass wir den Aufbau unse- schon die gesamte Geschichte der Bundesrepublik. res Pensionsanspruches um 16,6 Prozent zurückführen. Das halten wir für geboten und richtig. Wer das ablehnt, Als den erfreulichsten Punkt dieser Debatte möchte der ist dafür, dass wir ein Privileg behalten. Wir sind ge- ich feststellen: Nicht nur Heribert Prantl in der Süddeut- gen dieses Privileg. Wir wollen, dass wir an der Ent- schen Zeitung, auch die Kommentatoren in der Frank- wicklung der Bevölkerung teilnehmen und auch das leis- furter Rundschau, in der Welt, im Tagesspiegel und in ten, was wir ihr zusätzlich abverlangen. der Zeit haben dafür gesorgt, dass über diese Narretei (B) Das führt dazu, dass die Ansprüche substanziell redu- nachgedacht wird. Beim Thema der Abgeordnetendiä- (D) ziert werden. Wer will, dass man nach 23 Jahren einen ten, das man sachlich kritisieren kann – ich nehme keine Anspruch von 69 Prozent erwirbt, der muss unseren Vor- dieser Zeitungen für unseren Vorschlag in Anspruch –, schlag ablehnen. Wer akzeptiert, dass man dafür müssen wir zwischen einer sachlichen Debatte und anti- 27 Jahre braucht und am Ende nur das Rentenniveau der parlamentarischer Stimmungsmache unterscheiden. gesetzlichen Rentenversicherung erreicht, der muss für In diesem Geist haben wir diesen Vorschlag unterbrei- unseren Antrag votieren. tet, und in diesem Geist sollten wir die weitere Beratung Ein weiterer Punkt. Wer dem Gesetzentwurf nicht zu- miteinander angehen. stimmt, der sollte einen Gesetzentwurf einreichen, mit Ich danke Ihnen. dem das Abgeordnetengesetz geändert wird. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie (Dr. [FDP]: Haben wir ja!) bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE – Das Abgeordnetengesetz. GRÜNEN) ( [FDP]: Wir haben unsere Haus- Vizepräsidentin Petra Pau: aufgaben gemacht!) Für die Fraktion Die Linke hat nun die Kollegin Vor über zehn Jahren hat das Haus gesagt: Wir haben ei- Dr. Dagmar Enkelmann das Wort. nen Maßstab gefunden. Man muss ein System, eine An- knüpfung finden. Ansonsten kann man den Bürgern (Beifall bei der LINKEN) nicht erklären, warum es der und kein anderer – ein nied- rigerer oder ein höherer – Betrag ist. Dr. Dagmar Enkelmann (DIE LINKE): Olaf Scholz hat völlig zu Recht gesagt: Wir haben vor Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr über zehn Jahren den Maßstab gefunden. Wir wollen an Kollege Röttgen, ich gestehe, ich bin ein Fan von die Regelungen für Bürgermeister kleinerer und mittle- Heribert Prantl und lese seine Kommentare in der Süd- rer Städte – 50 000 bis 100 000 Einwohner – anknüpfen deutschen Zeitung zumeist mit großem Genuss. Ich ver- und uns an den Bundesrichtern orientieren, die ebenso weise auf denselben Kommentar, den Sie gerade zitiert wie wir eine unabhängige Tätigkeit ausüben. haben. In diesem Kommentar wundert er sich darüber, dass es eine Schärfe in der öffentlichen Ablehnung der Der Maßstab steht seit über zehn Jahren im Gesetz. Diätenerhöhung gibt, sieht uns Abgeordnete am mittelal- Ich finde, es ist ein Gebot der Konsequenz und der parla- terlichen Pranger und stellt – jetzt zitiere ich ihn – „ab- Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 124. Sitzung. Berlin, Freitag, den 9. November 2007 12991

Dr. Dagmar Enkelmann (A) gründiges Misstrauen in die Integrität der Volksvertre- (Beifall bei der LINKEN) (C) ter“ fest. Ich finde, Prantl hat recht. Während der Anspruch auf Altersversorgung heute (Dr. Norbert Röttgen [CDU/CSU]: Wie gehen erst nach acht Jahren entsteht, soll er nach dem neuen wir damit um?) Vorschlag bereits nach einem Jahr entstehen. Auch dies erklären Sie nicht. Dieses Misstrauen besteht; aber ich denke, dieses Miss- trauen besteht zu Recht. Ein Weiteres sage ich ganz deutlich: Wir haben uns hier im Bundestag gegen die Rente ab 67 ausgesprochen, (Widerspruch bei der CDU/CSU, der SPD und und wir sind auch gegen die Rente ab 67 für Abgeord- dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Dr. Carl- nete. Aber während es Arbeitnehmerinnen und Arbeit- Christian Dressel [SPD]: Ist das Ihr Parlamen- nehmern immer schwerer gemacht wird, über Altersteil- tarismusverständnis, Frau Enkelmann?) zeit, Erwerbsminderung usw. vorzeitig in die Rente Blicken wir nur auf die letzten Wochen: In der Som- einzusteigen, ist es bei Abgeordneten nach 18 Jahren Zu- merpause haben sich Kollegen quer durch alle Fraktio- gehörigkeit zum Bundestag durchaus möglich, mit nen darüber erregt, dass die Preise für Milch und 57 Jahren ohne Abschläge in die Rente zu gehen. Daran Fleischerzeugnisse steigen, und gefordert, darüber nach- wird nichts geändert. zudenken, dass das Arbeitslosengeld II angehoben wird. Es bleibt bei unserer grundsätzlichen Kritik, dass Ab- Das Ganze ist im Sommerloch versenkt worden, passiert geordnete Leistungen beziehen, für die sie keinerlei Bei- ist nichts. Seit Wochen wird hier darüber geredet, dass träge einzahlen. Mit dieser Privilegierung muss endlich die Bezugsdauer von Arbeitslosengeld I verlängert wird. Schluss gemacht werden. Wir werden einen Vorschlag Nichts liegt dazu auf dem Tisch. Es wurde großartig auf den Tisch legen, der vorsieht, dass Abgeordnete in angekündigt, die Kürzung der Pendlerpauschale zurück- die gesetzliche Rentenversicherung einzubeziehen sind. zunehmen. Auch das ist wieder vom Tisch gefegt. Rent- nerinnen und Rentner wurden in diesem Jahr mit (Beifall bei der LINKEN) 0,54 Prozent abgespeist. Es hieß, mehr sei nicht drin. Heribert Prantl sieht uns am Pranger. Gott sei Dank Diese Liste ließe sich beliebig fortsetzen. wurde der Pranger in der 48er-Revolution abgeschafft. Nun aber sollen im Hauruckverfahren die Diäten mal Aber die Empörung vieler Bürgerinnen und Bürger kön- eben ordentlich um 9,4 Prozent angehoben werden. Um nen wir sehr gut nachvollziehen. es in absoluten Zahlen auszudrücken – wir reden hier Danke. über zwei Jahre, nicht über fünf oder sieben Jahre –: in zwei Jahren um immerhin fast 700 Euro. Angesichts (Beifall bei der LINKEN) (B) dessen braucht man sich über Misstrauen nicht zu wun- (D) dern. Vizepräsidentin Petra Pau: Das Ganze wird mit dem wirtschaftlichen Auf- Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen spricht nun schwung begründet. Abgesehen davon, dass man sich der Kollege Volker Beck. hier offenkundig mit fremden Federn schmückt, ist es eine Tatsache – darüber haben wir hier auch mehrfach Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): diskutiert –, dass viele Menschen von diesem wirtschaft- Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich kann lichen Aufschwung nicht profitieren: diejenigen, die mich des Eindrucks nicht erwehren, Herr Prantl könnte nach wie vor keine Arbeit haben; diejenigen, die mit ei- genau solche Reden gemeint haben, wie sie gerade ge- nem Hungerlohn auskommen müssen und als soge- halten wurden. nannte Aufstocker ergänzende Sozialleistungen brau- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN chen; diejenigen, die als Leiharbeiter arbeiten und sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der fürchten müssen, dass sie als Erste gefeuert werden; oder SPD und der FDP) diejenigen, die inzwischen zwei oder drei Minijobs ha- ben, um überhaupt leben zu können. Der Aufschwung Solche Angriffe sind in einer seriösen Debatte über die hat Schattenseiten; aber Sie wollen ein gewaltiges Stück Abgeordneten und ihre Stellung in Verfassung und Ge- vom Kuchen abbekommen. sellschaft unangemessen. Nun versüßen Sie das Ganze der staunenden Öffent- Trotzdem muss ich feststellen, geschätzte Koalition: lichkeit mit der Ankündigung einer Kürzung bei der Al- So, wie Sie das Thema angegangen sind, müssen Sie tersversorgung. Schauen wir uns diese einmal genauer sich nicht wundern, wenn das manchen sauer aufstößt. an, stellen wir fest, Herr Kollege Scholz, Herr Kollege Nach einer Koalitionsrunde am Wochenende liegt kein Röttgen, dass es eine Milchbubenrechnung ist. Ergebnis vor. Die Koalition schafft es zwar nicht, sich auf eine Mindestlohnregelung für Arbeitnehmerinnen (Volker Kauder [CDU/CSU]: Milchbuben gibt und Arbeitnehmer zu einigen, sorgt aber für die Min- es nicht!) destversorgung der Abgeordneten. Eine prozentuale Kürzung bedeutet eben nicht eine auto- (Dr. [SPD]: Das ist doch nicht matische Absenkung in absoluten Zahlen; denn wenn die dasselbe! Das ist doch auch populistisch!) Diäten höher sind, führt dies auch zum Steigen der Al- tersversorgung, da sie sich an der Höhe der aktuellen Wenn man nichts zustande bekommt und dann mit ei- Diäten bemisst. Auch das sollten Sie ehrlich sagen. nem solchen Vorschlag kommt, dann muss man sich 12992 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 124. Sitzung. Berlin, Freitag, den 9. November 2007

Volker Beck (Köln) (A) nicht wundern, wenn das gegen das Parlament und die die Altersversorgung zurücklegen. Das kann jeder nach- (C) Politik verwendet wird. Das muss man Ihnen bei aller vollziehen. Mit diesem Vorschlag als Alternative zum Seriosität in der Sache entgegenhalten. Das ist einfach bestehenden System sollte man sich meines Erachtens unsensibel. So darf man solche Debatten nicht führen. ernsthaft beschäftigen. Trotzdem wende ich mich eindeutig gegen bestimmte Sie haben vorhin angesprochen, Herr Röttgen – die Töne in der Debatte. Wenn das Parlament aufgrund der Zahlen sind richtig –, dass Sie die Diäten in zwei Schrit- verfassungsrechtlichen Lage das Abgeordnetengesetz ten um 4,7 Prozent und 4,48 Prozent erhöhen wollen. ändern muss – niemand auf dieser Welt kann ihm das ab- Das sind keine dramatisch hohen Zahlen. Gleichzeitig nehmen; es gibt kein höheres Wesen, dass diese Entschei- wird die Altersversorgung um 16,6 Prozent gesenkt. dungsgewalt hat –, dann darf man das nicht als Selbstbe- (Dr. Norbert Röttgen [CDU/CSU]: Richtig!) dienung denunzieren, lieber Kollege Westerwelle. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, Nachdem Sie es für richtig gehalten haben, den Spiegel bei der CDU/CSU und der SPD) noch vor den Oppositionsparteien über Ihre Vorschläge zu informieren, war am Montag dieser Woche im Spiegel Das ist schofel. Es ist antiparlamentarisch und beschä- in einer Überschrift zu lesen: „Diäten steigen kräftig, digt die parlamentarische Demokratie. Pensionen sinken leicht“. Nach unserer Verfassung haben die Abgeordneten Anspruch auf eine angemessene, ihre Unabhängigkeit si- Vizepräsidentin Petra Pau: chernde Entschädigung. Der Sinn dieser Bestimmung Kollege Beck, Sie müssen bitte weitere Literaturemp- liegt darin, dass die Abgeordneten nach bestem Wissen fehlungen nachreichen und zu Ihrem letzten Satz kom- und Gewissen die Entscheidungen zum Wohle des deut- men. schen Volkes treffen – nur das sollte sie im Herzen be- wegen –, Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Das ist wunderbar. – Das zeigt zumindest, dass kein Mensch versteht, was wir hier tun. Deshalb sollten wir statt den Verlockungen der Wirtschaft durch Nebenjobs zu einem verständlicheren System kommen. Wir sollten und Anschlussjobs nachzugeben. auch über die Doppelversorgung der Abgeordneten auf (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) der Regierungsbank reden. Ich kann nicht verstehen, dass ein Bundesminister, der diesem Hohen Haus ange- Dass wir eine vernünftige Entschädigung brauchen, hört, sowohl die Abgeordnetenversorgung als auch die (B) ist unbestritten. Trotzdem müssen wir feststellen, dass Ministerversorgung bekommt, (D) nicht verstanden wird, was wir hier machen. Deshalb meine ich, dass wir bei der Beratung des Gesetzentwurfs (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS- darüber nachdenken sollten, ob wir nicht einen System- SES 90/DIE GRÜNEN) wechsel machen. Wir haben in unserer Fraktion seit Be- wenn auch nicht zu 100 Prozent; das wird verrechnet. ginn der Wahlperiode darüber geredet. Wir haben über den Präsidenten ein Gutachten in Auftrag geben lassen, Vizepräsidentin Petra Pau: das inzwischen vorliegt. Kollege Beck, ich bitte Sie! Das Gutachten ist zu folgendem Ergebnis gekommen: Wenn wir das jetzige Niveau der Altersversorgung der Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Abgeordneten – ich will nicht den falschen Eindruck er- Aber diese Doppelversorgung – auch darüber sollten wecken, dass wir unheimlich kürzen würden – durch ein wir reden – muss meines Erachtens weg. Versorgungswerk für Abgeordnete finanzieren würden, dann würde das Pi mal Daumen einen monatlichen Be- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) trag von 2 600 bis 3 000 Euro pro Abgeordneten bedeu- ten. Das ist das Ergebnis des Gutachtens, das, um zu ei- Vizepräsidentin Petra Pau: ner seriösen Grundlage zu kommen, gegebenenfalls Für die Fraktion der CDU/CSU hat nun der Kollege überprüft werden müsste. Hartmut Koschyk das Wort. Ich glaube, eine solche Lösung wäre verständlicher (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) als das bestehende komplizierte Regelwerk im Abgeord- netengesetz. Denn bisher fragen immer wieder Kollegin- Hartmut Koschyk (CDU/CSU): nen und Kollegen bei den Parlamentarischen Geschäfts- Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! führungen nach – das ist bei Ihnen sicherlich nicht Unser Bundestagspräsident hat seit Beginn dieser Legis- anders –, was das Gesetz im Einzelfall für sie bedeutet. laturperiode die Vorsitzenden aller Fraktionen dieses Der einfache Abgeordnete weiß also nicht einmal selber, Hauses zweimal zu ausführlichen Gesprächen über die wie das Gesetz auszulegen ist, weil es zu kompliziert ist. Entwicklung der Abgeordnetenentschädigung, der Al- Wie sollen die Menschen draußen im Lande das verste- tersversorgung der Abgeordneten und alle in diesem Zu- hen? sammenhang stehenden Fragen eingeladen. Die Koali- Ich glaube, dass das kein populistisches Argument ist. tionsfraktionen haben bei diesen Gesprächen gespürt Uns geht es vielmehr darum, offenzulegen, was wir für – ich sage das sehr offen –, dass daraus kein gemeinsa- Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 124. Sitzung. Berlin, Freitag, den 9. November 2007 12993

Hartmut Koschyk (A) mer Vorschlag für das Hohe Haus erwächst. Deshalb ha- spricht vielem, was der Bundestag längst beschlossen (C) ben die Koalitionsfraktionen sich auf den Vorschlag ver- hat. Wir sollten jetzt den Mut haben, endlich dazu zu ste- ständigt, der Ihnen heute vorliegt. hen. Lieber Herr Kollege Beck, ich darf Ihnen sagen, dass Herzlichen Dank. selbstverständlich auch wir die Frage von Alternativen (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) in der Versorgung bis hin zu einem Versorgungswerk ge- prüft haben. Wir haben einen solchen Vorschlag heute aber auch deshalb nicht unterbreitet, weil wir meinen, Vizepräsidentin Petra Pau: dass wir nicht auf der einen Seite Sonderversorgungssys- Ich schließe die Aussprache. teme in unserem Land schließen und auf der anderen Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf Seite ein Sonderversorgungswerk für Abgeordnete auf- den Drucksachen 16/6924 und 16/5052 an die in der Ta- bauen können, für das am Ende der deutsche Steuerzah- gesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. ler dasselbe aufwenden muss wie für die bisherige Ver- Sind Sie damit einverstanden? – Das ist der Fall. Dann sorgung der Abgeordneten. Letztendlich hat sich dann sind die Überweisungen so beschlossen. nur die Technik, die Systematik verändert. Sie haben ja ehrlicherweise gesagt, dass es Ihnen auch darum geht, Ich rufe die Zusatzpunkte 15 a und 15 b auf: durch einen Systemwechsel die gleiche Versorgung zu a) – Zweite und dritte Beratung des von der Bun- erreichen. Sorgen wir doch lieber, wie mit unserem Vor- desregierung eingebrachten Entwurfs eines schlag, dafür, dass die Altersversorgung um 16 Prozent Gesetzes zur Neuregelung der Telekommu- sinkt und wir uns damit dem allgemeinen Trend der Ab- nikationsüberwachung und anderer ver- senkung von Altersversorgungen anschließen! deckter Ermittlungsmaßnahmen sowie zur Ich will etwas zu dem Thema Maßstab sagen. Wir Umsetzung der Richtlinie 2006/24/EG diskutieren – ich habe mir das extra noch einmal angese- – Drucksache 16/5846 – hen – seit 1977 über eine Bezugsgröße für die Abgeord- netenentschädigung. Bereits damals wurde in den Debat- – Zweite und dritte Beratung des von den Ab- ten auf Wahlbeamte von kommunalen Körperschaften geordneten Jerzy Montag, Hans-Christian mittlerer Größe verwiesen. Wir haben 1994 beschlossen, Ströbele, Wolfgang Wieland, weiteren Abge- dass die Richtgröße B 6/R 6 ist, aber nicht, weil wir das ordneten und der Fraktion BÜNDNIS 90/ für die einzig wahre Bezugsgröße hielten. 1993 hat es DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines eine Kommission gegeben, geleitet vom damaligen Prä- Gesetzes zur Reform der Telekommunikati- (B) sidenten des Bundesarbeitsgerichtes, Professor Kissel. onsüberwachung (… Gesetz zur Änderung (D) Liebe Kolleginnen und Kollegen, was Ihnen die Koali- der Strafprozessordnung) tionsfraktionen heute vorschlagen, ist genau das, was die Kissel-Kommission 1993 vorgeschlagen hat und was wir – Drucksache 16/3827 – 1994 beschlossen haben. Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsaus- schusses (6. Ausschuss) In den letzten Jahren hat es gute Gründe dafür gege- ben – die wirtschaftliche Situation unseres Landes, die – Drucksache 16/6979 – Arbeitsmarktsituation –, den Beschluss von 1994 nicht zu verwirklichen. Aber ich meine, nun ist die Zeit ge- Berichterstattung: kommen, dass der Deutsche Bundestag, nachdem er ein- Abgeordnete Siegfried Kauder (Villingen- mal eine solche Richtgröße – Entschädigung eines Ober- Schwenningen) bürgermeisters einer mittleren Stadt, eines Landrates Joachim Stünker eines mittleren Kreises in Deutschland – beschlossen Klaus Uwe Benneter hat, dazu steht und das umsetzt. Deshalb sollten wir das, Jörg van Essen was die Koalitionsfraktionen vorgelegt haben, in der Be- Wolfgang Nešković ratung sachlich diskutieren. Jerzy Montag Ich sage ganz offen: Wenn ich den Bürgerinnen und b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be- Bürgern in meinem Wahlkreis, der eine Stadt und andert- richts des Rechtsausschusses (6. Ausschuss) zu halb Landkreise umfasst, erkläre, dass ich es aufgrund dem Antrag der Abgeordneten Jörg van Essen, meiner Arbeit als direkt gewählter Abgeordneter für an- Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, Mechthild gemessen halte, dass meine Bezüge auf dem gleichen Dyckmans, weiterer Abgeordneter und der Frak- Niveau sind wie die des Oberbürgermeisters und der bei- tion der FDP den Landräte, dann bin ich sicher, dass ich kein Problem Reform der Telefonüberwachung zügig umset- haben werde. Die Menschen werden meine Bezüge zen ebenfalls für angemessen halten. – Drucksachen 16/1421, 16/6979 – (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- neten der SPD) Berichterstattung: Abgeordnete Siegfried Kauder (Villingen- Wir senken nun das Niveau der Altersversorgung und Schwenningen) führen die Rente mit 67 für Abgeordnete ein. Das ent- Joachim Stünker 12994 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 124. Sitzung. Berlin, Freitag, den 9. November 2007

Vizepräsidentin Petra Pau (A) Klaus Uwe Benneter (Beifall des Abg. Joachim Stünker [SPD]) (C) Jörg van Essen Wolfgang Nešković Deutschland hat sich ungefähr ein gutes Jahr lang Jerzy Montag – und zwar allein auf weiter Flur – im Europäischen Rat gegen diese weitgehenden Vorschläge der vier Staaten Zu dem von der Bundesregierung eingebrachten Ent- ausgesprochen. wurf eines Gesetzes zur Neuregelung der Telekommuni- kationsüberwachung und anderer verdeckter Ermitt- (Jerzy Montag [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- lungsmaßnahmen, über den wir später namentlich NEN]: Rot-Grün!) abstimmen werden, liegt ein Änderungsantrag der Frak- Wir haben unter Rot-Grün, aber auch mit Unterstützung tion Bündnis 90/Die Grünen sowie ein Entschließungs- des ganzen Deutschen Bundestages deutlich gemacht, antrag der Fraktion der FDP vor. dass uns das viel zu weit geht. Wir haben in ausführli- Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die chen Gesprächen – auch mit Telekommunikationsunter- Aussprache eine Dreiviertelstunde vorgesehen. – Ich nehmen – darauf hingewiesen, dass man allenfalls die höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen. Daten speichern kann, die ohnehin beim Telefonieren er- hoben und bereits zu Abrechnungszwecken gespeichert Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat die Bundes- werden. Wir Deutsche haben uns in Europa dafür einge- ministerin der Justiz, Brigitte Zypries. setzt, die Richtlinie so zu formulieren, dass das möglich ist. (Beifall bei der SPD) (Beifall bei der SPD) Brigitte Zypries, Bundesministerin der Justiz: Ich möchte Sie bitten, das zur Kenntnis zu nehmen und Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und nicht zu behaupten, wir hätten auf europäischer Ebene Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir beraten etwas lanciert, was wir jetzt umsetzen. Das ist völlig da- heute abschließend über zwei Gesetzentwürfe: zum ei- neben. nen über den Entwurf eines Gesetzes zur Reform der Te- lekommunikationsüberwachung und zum anderen über Die Tatsache, dass die Iren gegen diese Richtlinie kla- den Entwurf eines Gesetzes, mit dem eine europäische gen, heißt nicht, dass sie inhaltlich dagegen sind; sie wa- Richtlinie – Stichwort „Vorratsdatenspeicherung“ – um- ren ja Antragsteller. Das heißt nur, dass sie den System- gesetzt werden soll. Im Hinblick auf die Redezeit haben wechsel angreifen, den die Engländer während ihrer der Kollege Stünker und ich vereinbart, dass er zur Tele- Präsidentschaft durch die Überführung der Entscheidung kommunikationsüberwachung redet und ich zur Vorrats- (B) von der dritten in die erste Säule vorgenommen haben. (D) datenspeicherung. Nicht, dass Sie sich wundern, warum Die Engländer haben das getan, um eine Mehrheitsent- ich einen Teil in meiner Rede ausspare. scheidung herbeiführen zu können und damit Deutsch- land als blockierendes Land auszubremsen und die Das Gesetz zur Vorratsdatenspeicherung dient der Macht Deutschlands zu beschränken. Es geht bei der Umsetzung einer europäischen Richtlinie. Wie kam es Klage nicht um den Inhalt der Richtlinie. Deswegen zu dieser europäischen Richtlinie? Nach den Attentaten kann man nicht glauben, dass der Europäische Gerichts- von Madrid wurde anhand von Handys, die man gefun- hof über den Inhalt entscheiden wird. Da liegen Sie völ- den hatte, festgestellt, mit wem die Attentäter zuvor tele- lig falsch. foniert hatten. Auf diese Weise konnte man andere aus dem terroristischen Umfeld fangen, die an den Attenta- (Beifall bei Abgeordneten der SPD) ten beteiligt waren. Das war der Anlass für England, Schweden, Frankreich und Irland, eine Initiative im Rat Wir haben erreicht, dass die Richtlinie ganz erheblich zu starten mit dem Ziel, dass künftig in ganz Europa Ver- entschärft wurde. Wir setzen jetzt diese Richtlinie, die bindungsdaten gespeichert werden. bei der Umsetzung einen gewissen Spielraum lässt, in minimaler Weise um. Wir sehen von den möglichen Es ist also keineswegs so, dass Deutschland, wie Frau Speicherfristen die geringste Speicherfrist von sechs Leutheusser-Schnarrenberger in einem Artikel der Stutt- Monaten vor, und wir orientieren uns auch an anderer garter Zeitung heute behauptet, dieses Thema bei der Stelle am geringsten Level. Frau Leutheusser, Sie haben EU lanciert habe. Vielmehr haben die genannten Länder in Ihrem Interview mit der behauptet, massiv auf die Umsetzung ihrer Vorschläge gedrungen. dass wir mit diesem Gesetz dem Verfassungsschutz und Diese sahen die Speicherung der Daten bis zu sonstigen Geheimdiensten Tür und Tor öffnen würden. 36 Monaten vor, darunter die Daten jedes versuchten Das ist einfach nicht richtig. Anrufes, der Bewegungsdaten beim Telefonieren mit dem Handy sowie vieles andere. Der Antrag dieser Län- (Beifall bei Abgeordneten der SPD) der war in der dritten Säule. Das heißt, es musste Ein- stimmigkeit herrschen. Dieses Gesetz enthält überhaupt keine Regelungen über künftige Kompetenzen der Geheimdienste. Dies muss in (Jerzy Montag [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- einem anderen Gesetz geregelt werden. Damit wir uns NEN]: Zu Recht in der dritten Säule!) darüber klar sind: Aufgrund dieses Gesetzes ist kein Zu- griff möglich. – Darüber wird der Europäische Gerichtshof entschei- den, Herr Kollege Montag, und nicht Sie. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 124. Sitzung. Berlin, Freitag, den 9. November 2007 12995

Bundesministerin Brigitte Zypries (A) Aufgrund dieses Gesetzes bleibt es dabei, dass die Jörg van Essen (FDP): (C) Daten gespeichert werden, die heute bereits zu Abrech- Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir nungszwecken drei Monate gespeichert werden. Die Da- sprechen heute über zwei Themenfelder: erstens über die ten umfassen Angaben darüber, mit wem ich telefoniert Telekommunikationsüberwachung und zweitens über habe, wann ich telefoniert habe, wie lange das Gespräch die Vorratsdatenspeicherung. Gerade die Telekommuni- gedauert hat und wie teuer es war. Diese Daten, die für kationsüberwachung ist ein Thema, das mich seit mei- Abrechnungszwecke gebraucht werden, werden gespei- nem Eintritt in den Deutschen Bundestag beschäftigt. chert, nicht mehr und nicht weniger. Richtig ist, dass die Ich bin derjenige gewesen, der Jahr für Jahr die Überwa- Daten künftig nicht drei Monate, wie es heute üblich ist, chungszahlen abgefragt hat, weil diese Zahlen sonst sondern sechs Monate gespeichert werden. Richtig ist nicht errechnet worden wären. Das ärgert mich; denn die ebenfalls, dass wir auch Daten speichern, die heute nicht Parlamente müssen natürlich wissen, ob sie gegebenen- gespeichert, aber generiert werden. Es werden nur Daten falls eingreifen müssen. gespeichert, die ohnehin generiert werden; es müssen Das Ergebnis der Berichte, nach denen ich bei der keine zusätzlichen Daten generiert werden. Das heißt, Bundesregierung gefragt habe, war, dass wir von Jahr zu dass auch die Daten, die bei Nutzung einer Flatrate an- Jahr erhebliche Steigerungsraten hatten. Im letzten Jahr fallen, gespeichert werden müssen. Insoweit ist das eine hat es – Gott sei Dank; auch das darf man hier sagen – Regelung, die über das, was heute möglich ist, hinaus- zum ersten Mal einen Rückgang gegeben. Ich finde, dass geht, aber eben auch nur insoweit. Ich wäre dankbar, sich ein Parlament damit beschäftigen muss, warum es wenn man diese Tatsache zur Kenntnis nehmen würde. diesen Anstieg gab. Das ist erklärungsbedürftig. Es be- Mit der Erweiterung von Telekommunikationsüber- deutet nämlich einen ganz erheblichen Eingriff in die In- wachungsmöglichkeiten hat die Regelung schon gar timsphäre eines Bürgers, wenn Telefonate abgehört wer- nichts zu tun. Dass da ein großer Unterschied besteht, den. wollen wir auch dadurch deutlich machen, dass zu den Die parlamentarischen Beratungen in der Vergangen- beiden Gesetzen unterschiedliche Personen reden. Die heit haben deutlich gemacht, dass es Verbesserungsbe- TKÜ-Novelle ist eine Novelle, die nur dazu führt, dass darf gab, insbesondere bei den Verfahrenssicherungen. die Rechte der deutschen Bundesbürgerinnen und Bun- Deshalb will ich zunächst zu dem aus meiner Sicht einzi- desbürger im Hinblick auf Datenüberwachung oder Ab- gen positiven Punkt kommen: Bei den Verfahrenssiche- hörmöglichkeiten verbessert werden. Sie werden über- rungen gibt es eindeutig Fortschritte. Das will ich als haupt nicht verschlechtert. Vertreter der Opposition ausdrücklich anerkennen.

(B) (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der Es gibt aber auch heftige und, wie ich finde, berech- (D) CDU/CSU) tigte Kritik. Insbesondere für Berufsgruppen, die be- wusst geschützt werden müssen, gibt es Regelungen, die Durch die einfache Speicherung der Vorratsdaten wird nicht nachvollziehbar sind. Absolut geschützt sind nur auch nichts verschlechtert; denn es bleibt dabei, dass die Geistliche, Verteidiger und Abgeordnete. Daten nicht beim Staat, sondern wie heute bei den Tele- kommunikationsunternehmen gespeichert werden. Es (Zurufe des Abg. Siegfried Kauder [Villingen- bleibt dabei: Einen Zugriff auf diese Daten kann es nur Schwenningen] [CDU/CSU] und des Abg. geben, wenn man den Verdacht auf eine erhebliche Joachim Stünker [SPD]) Straftat hat und ein richterlicher Beschluss vorliegt. Es – Sie können gleich dazu Stellung nehmen. – Wie absurd kann nicht willkürlich auf Daten zugegriffen werden. das Ganze ist, können wir gerade bei dem Beruf des Ver- Deswegen sind die Beispiele aus den genannten Inter- teidigers erleben. Viele Beratungen finden zunächst ein- views falsch. mal nicht unter dem Aspekt des Strafrechts, also der Ver- teidigung, statt. Deshalb kann man vieles gar nicht Ich wäre dankbar, wenn Sie diesen Unterschied zur vorhersehen; die Entwicklung kann sich sehr schnell Kenntnis nähmen und helfen würden, auch in der öffent- wandeln. Daher ist die Kritik, die insbesondere von den lichen Kommunikation deutlich zu machen, dass wir entsprechenden Verbänden geübt wird, absolut berech- nicht auf dem Weg in einen Überwachungsstaat sind, tigt; sie findet ausdrücklich unsere Unterstützung. sondern dass wir die Voraussetzungen dafür schaffen, dass schwerste Kriminalität, terroristische Taten und or- (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten ganisierte Kriminalität wirksam bekämpft werden kön- der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE nen. GRÜNEN) (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Anwälte, Ärzte und viele andere Berufsgruppen haben der CDU/CSU) berechtigterweise Sorgen. In Zukunft findet eine Ver- hältnismäßigkeitsprüfung statt. Keiner kann mehr sicher sein, dass das Vertrauensverhältnis, das gegenüber einem Vizepräsident Dr. : Arzt, einem Rechtsanwalt oder anderen bestehen muss, Das Wort hat jetzt der Kollege Jörg van Essen für die nicht in Gefahr gerät. FDP-Fraktion. (Joachim Stünker [SPD]: Und wie ist das (Beifall bei der FDP) heute?) 12996 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 124. Sitzung. Berlin, Freitag, den 9. November 2007

Jörg van Essen (A) Wir haben genauso heftige und, wie ich gleich darle- Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: (C) gen werde, berechtigte Kritik an der Vorratsdatenspei- Das Wort hat der Kollege Siegfried Kauder von der cherung. Es mangelt doch bereits an einer wirklich CDU/CSU-Fraktion. tragfähigen Grundlage, Frau Ministerin. Sie haben dar- gestellt, wie es zu der EU-Richtlinie gekommen ist. Das (Beifall bei der CDU/CSU – Dr. Jürgen Gehb ändert aber nichts daran, dass Irland berechtigterweise [CDU/CSU]: Jetzt kommt wieder Sachkunde den Europäischen Gerichtshof angerufen hat. Ich weiß, in die Debatte!) wie das Urteil aussehen wird. Wer das Urteil zu der Fluggastdatenspeicherung gelesen hat, weiß, zu wel- Siegfried Kauder (Villingen-Schwenningen) (CDU/ chem Urteil es hier kommen wird. Sie hätten warten CSU): müssen, bis dieses Urteil vorliegt. Herr Präsident! Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen! Die Bundeskanzlerin hat zu Beginn der Legislaturpe- Wer im Zusammenhang mit dem Entwurf eines Gesetzes riode das Versprechen gegeben, dass EU-Richtlinien in zur Neuregelung der Telekommunikationsüberwachung Zukunft nur noch eins zu eins umgesetzt werden. Dieses und anderer verdeckter Ermittlungsmaßnahmen sowie Versprechen ist erneut gebrochen worden. Das ärgert zur Umsetzung der EU-Richtlinie zur Vorratsdatenspei- uns. cherung das Schreckgespenst eines Orwell’schen Über- wachungsstaates an die Wand malt, der zündelt. (Beifall bei der FDP) (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- Diese Richtlinie gibt vor, Regelungen zum Umgang mit neten der SPD) schweren Straftaten zu treffen. Sie haben den Umfang der Regelungen auf erhebliche Straftaten, auf Straftaten, Er zündelt in einem hochsensiblen Bereich und versucht, die mit Telekommunikation zu tun haben, erweitert. Da- das Vertrauen der Bevölkerung in staatliches Handeln zu mit gehen Sie weit über die EU-Richtlinie hinaus. unterminieren. Er zündelt im Bereich der inneren Sicher- heit sowohl am Ende der Prävention als auch am Ende Uns macht die anlass- und verdachtslose Speicherung der Repression. Das dürfen wir nicht zulassen. von Daten von Bürgern am meisten Sorgen. Bürger wer- den unter Generalverdacht gestellt. Wie ist denn die augenblickliche Gesetzeslage? Es geht bei diesem Gesetzentwurf nicht um den Großen (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten Lauschangriff; den haben wir schon in der Strafprozess- des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der ordnung. Es geht nicht um das Abhören von Telekom- LINKEN) munikationsinhalten; das haben wir schon. Es geht um (B) Das ist ein klarer und eindeutiger Verstoß gegen das das Abgreifen von Übermittlungsdaten, sogenannten (D) Recht auf informationelle Selbstbestimmung. Ich bin Verkehrsdaten. Herr Kollege Ströbele, auch das haben deshalb sehr froh, dass mehrere Kollegen meiner Frak- wir schon in § 100 g und § 100 h der Strafprozessord- tion prüfen, ob es sinnvoll ist, das Bundesverfassungsge- nung. richt anzurufen. Ich bin sicher, dass sie das tun werden, Genau bei diesen beiden Vorschriften bestand Hand- und ich bin genauso sicher, dass sie ausgesprochen gute lungsbedarf; denn diese beiden Paragrafen laufen zum Chancen haben, zu erleben, dass das Bundesverfas- 31. Dezember 2007 aus. Hätte die Bundesregierung sungsgericht dieses Gesetz kippt. Es muss gekippt wer- nicht reagiert, würde das bedeuten, dass wir Verkehrsda- den. ten ab dem 1. Januar 2008 überhaupt nicht mehr abfra- Frau Ministerin, ich erinnere daran, dass der Bundes- gen dürfen. Das ist unter dem Gesichtspunkt der inneren tag Sie mit den Stimmen aller Fraktionen ausdrücklich Sicherheit ganz und gar nicht vertretbar. aufgefordert hat, einer solchen Vorratsdatenspeicherung nicht zuzustimmen. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- neten der SPD) (Beifall des Abg. Jerzy Montag [BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN]) Die Bundesregierung ist über das, was man aus ge- setzgeberischer Sicht dringend tun musste, hinausgegan- Wir erleben heute eine klare und eindeutige Missachtung gen, aber nicht, um in die Rechte unbescholtener Bürger des Deutschen Bundestages. Das ist für uns nicht akzep- einzugreifen, sondern um den achten Abschnitt des ers- tabel. ten Buches der Strafprozessordnung neu zu ordnen. Das war auch geboten. Fachkundige können sich den gelten- (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten den § 100 h der Strafprozessordung gern einmal an- des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der schauen. Im ersten Absatz gibt es eine Verweisungskette, LINKEN) die keiner nachvollziehen kann. Im zweiten Absatz ist Die Entscheidung meiner Fraktion ist unzweideutig: etwas enthalten, das viele übersehen, nämlich der Schutz Wir lehnen Ihre Vorschläge heute hier ab. von Berufsgeheimnisträgern. Schauen Sie sich § 100 h Abs. 2 StPO einmal genau an! Die nichtprivilegierten Vielen Dank. Berufsgeheimnisträger sind dort überhaupt nicht ge- schützt. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der LINKEN) (Joachim Stünker [SPD]: Richtig!) Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 124. Sitzung. Berlin, Freitag, den 9. November 2007 12997

Siegfried Kauder (Villingen-Schwenningen) (A) Dieses Gesetz wird also zu einer Verbesserung der Genau diese Vorgaben berücksichtigt der Gesetzent- (C) Rechte der Berufsgeheimnisträger führen und nicht zu wurf. Deswegen gibt es daran überhaupt nichts zu kriti- einer Verschlechterung. sieren. Es wird keinen Überwachungsstaat geben, um das klar zum Ausdruck zu bringen. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- neten der SPD) (Jerzy Montag [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Ach nee!) Man wird es der Bundesregierung nicht verübeln kön- nen, dass sie die neueste Rechtsprechung des Bundes- Wir wollen keinen gläsernen Menschen, wir wollen ei- verfassungsgerichts zum Schutz des höchstpersönlichen nen gläsernen Verbrecher. Daran werden wir festhalten. Lebensbereichs mit eingebunden hat, enthalten in Um nichts anderes geht es bei diesem Entwurf. § 100 a Abs. 4 des Gesetzentwurfes. Dem wird sich wohl keiner verwehren können. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- neten der SPD – Jerzy Montag [BÜNDNIS 90/ (Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE DIE GRÜNEN]: Das ist jetzt Populismus!) GRÜNEN]: Das ist eine Placeboregelung! Die hat keinerlei Wirkung!) Man darf nicht den Eindruck erwecken, als würden wir flächendeckend Daten erheben. Um was geht es Streit ist bei der Frage entstanden, ob es zwei unter- denn bei der Vorratsdatenspeicherung? Es geht darum, schiedliche Gruppen von Berufsgeheimnisträgern geben dass Sinn und Zweck eines ohnehin schon bestehenden darf oder nicht. Ich wiederhole es: Diese Unterscheidung Zustands anders gelagert werden. Schauen Sie in § 100 g gibt es schon nach jetzigem Recht. Ich erlaube mir, auf der Strafprozessordnung im derzeitigen Zustand! Er be- eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts im sagt, dass man Verbindungsdaten für Zwecke der poli- 107. Band der amtlichen Sammlung auf Seite 299 hinzu- zeilichen Ermittlung erheben darf. weisen. Es ging um einen Fall, in dem ein Terrorist mit sechs Tatgenossen einen Anschlag auf die OPEC-Konfe- (Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE renz in Wien im Jahr 1975 verübt hat. Drei Menschen GRÜNEN]: Aber nur bei einem bestimmten wurden getötet, 70 wurden als Geisel genommen. Die Verdacht!) Ermittlungsbehörden hatten die begründete Vermutung, Wer den dritten Satz des ersten Absatzes des § 100 g dieser Top-Terrorist aus Deutschland habe sich ins Aus- liest und versteht, der wird sehr schnell feststellen, dass land abgesetzt und halte Kontakt zu einer Journalistin ei- man auch zukünftig anfallende Verbindungsdaten ab- nes großen Magazins in Deutschland. Dann wurden Ver- greifen darf. bindungsdaten erhoben. Diese Erhebung hat dazu (B) geführt, dass man diesen Top-Terroristen festnehmen Was ändert sich mit dem Gesetzentwurf an der jetzi- (D) konnte und, obwohl er von der Kronzeugenregelung Ge- gen Gesetzeslage? Nichts Wesentliches. brauch gemacht hat, zu neun Jahren Freiheitsstrafe ver- urteilen konnte. – Genau diesen Zustand wollen wir bei- (Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE behalten. Das Bundesverfassungsgericht hat bestätigt, GRÜNEN]: Sie wissen es besser!) dass Drittbetroffene in solchen gravierenden Fällen ab- Der einzige technische Unterschied ist, dass Telekom- gehört werden dürfen und dass Verbindungsdaten erho- munikationsunternehmen die Daten nicht mehr freiwillig ben werden dürfen. Das soll auch so bleiben. speichern, sondern dass sie gesetzlich dazu aufgerufen Natürlich soll es auch den Schutz von nichtprivile- werden. gierten Berufsgeheimnisträgern wie Ärzten, Anwälten (Joachim Stünker [SPD]: Verpflichtet! – Hans- und Journalisten geben. Das Bundesverfassungsgericht Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- sieht vor, dass in solchen Fällen ein Abwägungsprozess NEN]: Zu einem anderen Zweck!) stattzufinden hat; genau das ist im neuen § 160 a des Entwurfes zur Änderung der Strafprozessordnung vorge- Der Staat darf aber auf diese gespeicherten Daten nicht sehen, nichts anderes. willkürlich zugreifen, sondern nur bei erheblicher Kri- minalität und nur dann, wenn der Richter es bewilligt. Nun kann man sich darüber aufregen, dass Verteidiger Das sind genau die Vorgaben, die das Bundesverfas- gegenüber Anwälten, Abgeordnete gegenüber Ärzten sungsgericht gemacht hat. und Geistliche gegenüber Journalisten privilegiert sind; denn bei den jeweils zuerst Genannten besteht jeweils (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- ein absolutes Beweisverwertungsverbot. Das ist aber neten der SPD) verfassungsrechtlich nun einmal so vorgegeben. Deswegen, Herr Kollege van Essen, habe ich keine gro- (Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE ßen Sorgen, dass dieses Gesetz vor dem Bundesverfas- GRÜNEN]: Wo denn?) sungsgericht nicht standhält. Im Übrigen dürfen wir nicht immer wie das Kaninchen vor der Schlange vor Man muss von unten anfangen zu argumentieren: Bei verfassungsgerichtlichen Entscheidungen stehen, die den Ärzten, Anwälten und Journalisten ist es verfas- noch gar nicht gefallen sind. sungsrechtlich nicht geboten. Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts im 107. Band auf Seite 299 (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- hat das glasklar zum Ausdruck gebracht. Bei den ande- neten der SPD – Dr. Jürgen Gehb [CDU/ ren drei Berufsgruppen ist es zwingend vorgeschrieben. CSU]: So ist das! Wir sind der Gesetzgeber!) 12998 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 124. Sitzung. Berlin, Freitag, den 9. November 2007

Siegfried Kauder (Villingen-Schwenningen) (A) Natürlich dürfen wir uns nur im grundrechtlich zuläs- (Joachim Stünker [SPD]: Na, na!) (C) sigen Rahmen bewegen. Darüber haben wir uns lange Gedanken gemacht. Die Pressefreiheit ist zu wahren. Dabei muss auf manche Bestimmungen hingewiesen Um auch das klar zu sagen: Journalisten verbessern sich werden, die bisher nicht so sehr im Fokus der Debatte gegenüber dem bestehenden Zustand ganz deutlich. Wir standen, die aber große Besorgnis im Hinblick auf die legen im neuen Abs. 3 des § 108 der Strafprozessord- Bestandskraft der Regelungen rechtfertigen. nung fest, dass die Verwertung von Zufallsfunden bei Sie ändern mit diesem Gesetzentwurf nicht die Kom- Journalisten nur in deutlich eingeschränktem Maße zu- petenzen von Bundesnachrichtendienst, Verfassungs- lässig ist. schutz und Militärischem Abschirmdienst, aber Sie neh- (Daniela Raab [CDU/CSU]: So ist es!) men im neuen § 113 b Telekommunikationsgesetz ausdrücklich Regelungen auf, wonach die Verpflichteten Kommen die Ermittlungsbehörden im Rahmen einer die Daten, die pauschal von jedem gespeichert werden, Hausdurchsuchung in eine Redaktion, dürfen sie etwas, der telefoniert, surft oder mailt, auf Anforderung an Ver- was sie zufällig finden und sich auf § 353 b des Strafge- fassungsschutz, Bundesnachrichtendienst und Militäri- setzbuches, also auf Geheimnisverrat, bezieht, nicht ver- schen Abschirmdienst – im Rahmen der Kompetenzauf- werten; da wird eine Sperre eingebaut. gaben – herausgeben dürfen. Nach der Richtlinie wäre das nicht geboten gewesen. Hier geht man deutlich über (Jerzy Montag [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- die Richtlinie hinaus. Warum gibt es überhaupt diese NEN]: Nur zu Beweiszwecken nicht!) Verpflichtung der Diensteanbieter, in der Weitergabe der Daten viel weiter zu gehen? – Zu Beweiszwecken, Herr Kollege Montag. – Die Jour- nalisten verbessern sich also deutlich in ihrer Position. Nicht die Inhalte werden gespeichert; das sagen auch Sie sind damit – wir haben mit ihnen gesprochen – ei- wir bei jeder Gelegenheit. Aber alle Telekommunika- gentlich auch zufrieden. tionsverbindungsdaten werden gespeichert. Das ist mehr, als derzeit zu Abrechnungszwecken gespeichert wird. (Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE Dass man aus diesen Daten, aus allen Telefonnummern, GRÜNEN]: Mit wem haben Sie denn da ge- aus dem Zeitpunkt der Verbindung und aus allen IP- sprochen?) Nummern, sehr wohl nachvollziehen kann, wie das Tele- Sie sehen also, dass wir berechtigte Interessen sehr kommunikationsverhalten eines Bürgers bzw. einer Bür- wohl berücksichtigen. Populismus werden wir aber nicht gerin aussieht, ist absolut unstreitig. Dass aufgrund des- unterstützen. sen Profile erstellt werden können, ist vollkommen unstreitig. Genau das ist datenschutzrechtlich relevant. (B) Wer innere Sicherheit in diesem Lande will, wer will, (D) dass Menschen sicher und in Freiheit leben, der darf (Joachim Stünker [SPD]: Das geht doch gar nicht nur auf Freiheitsrechte schauen, sondern der muss nicht! Das ist Volksverdummung, was Sie ma- sich dessen bewusst sein, dass wir einen von der Verfas- chen!) sung gegebenen Auftrag haben, die innere Sicherheit zu – Das ist keine Volksverdummung, sondern das Rekur- schützen. Daran werden wir festhalten. Deswegen bitte rieren auf die Rechtsprechung des Bundesverfassungs- ich alle, die diesem Ziel folgen, dem Gesetzentwurf zu- gerichtes. zustimmen. (Beifall bei der FDP und dem BÜNDNIS 90/ (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Denn das Bundesverfassungsgericht sagt: Schon die Er- Zu einer Kurzintervention erteile ich das Wort der hebung und Speicherung dieser Daten sind grundrechts- Kollegin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger von der relevant. FDP-Fraktion. Ihr Hinweis, Frau Ministerin, wie heute in einem In- (Joachim Stünker [SPD]: Warum darf die terview von Ihnen zu lesen ist, dass das Recht auf infor- das?) mationelle Selbstbestimmung durch die Benachrichti- gung der Bürgerinnen und Bürger gewährleistet wird, Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP): reicht hier eben nicht aus. Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kolle- (Hartmut Koschyk [CDU/CSU]: Das ist doch gen! Ich bin in der Debatte angesprochen worden und eine Kurzintervention, oder?) möchte die Gelegenheit nutzen, etwas zu ergänzen zu den Ausführungen meines Fraktionskollegen van Essen, Ich denke, das zu sagen, gehört zu dieser Debatte. der die Kernpunkte unserer Kritik richtig benannt hat, (Beifall bei der FDP, dem BÜNDNIS 90/DIE aber auch die Punkte angesprochen hat, die wir für eine GRÜNEN und der LINKEN) Verbesserung halten, wie wir es auch im Ausschuss ge- sagt haben. Wir setzen uns mit diesem umfangreichen Gesetzgebungsvorhaben also sehr konstruktiv auseinan- Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: der. Zur Erwiderung Herr Kauder. Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 124. Sitzung. Berlin, Freitag, den 9. November 2007 12999

(A) Siegfried Kauder (Villingen-Schwenningen) (CDU/ Es sollte noch einmal deutlich gemacht werden, worum (C) CSU): es dabei geht. Per Gesetz – das ist die Neuerung, also Es war schon bemerkenswert, was Frau Kollegin verpflichtend – werden die Telekommunikationsunter- Leutheusser-Schnarrenberger von sich gegeben hat. nehmen verpflichtet, Verbindungsdaten sechs Monate Kein Wort zum Interesse und zu der Aufgabe des Staa- lang auf Vorrat zu speichern. Ganz konkret bedeutet tes, die innere Sicherheit zu wahren! dies, dass es möglich ist, nachzuvollziehen, wer mit wem in den letzten sechs Monaten wie lange und von wo (Zurufe von der FDP: Oh!) aus per Telefon, Handy, SMS oder E-Mail in Verbindung Sind wir nicht aufgerufen, schwere und schwer zu ermit- stand. „Vorratsdatenspeicherung“ ist in diesem Zusam- telnde Straftaten aufzuklären? Darauf hat die Bevölke- menhang vielleicht nicht der politisch absolut treffliche rung einen Anspruch. Auch das ergibt sich aus der Begriff. Trefflicher müsste es vielmehr heißen: Wir ha- Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts in meh- ben es hier mit einer Totalregistrierung von menschli- reren, wenn nicht gar zahlreichen Urteilen. Es fällt auf, chem Kommunikationsverhalten zu tun. – Das ist der dass darauf hinzuweisen Sie tunlichst unterlassen haben. Kern, um den es heute geht. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) (Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] und des Abg. Gert Winkelmeier Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: [fraktionslos]) Das Wort hat jetzt der Kollege Jan Korte von der Fraktion Die Linke. Wir beschließen heute, wie ich finde, viel zu kurz und viel zu fahrlässig mal eben schnell einen Paradigmen- (Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert wechsel. Dieser besteht darin, dass ab 2008 das Tele- Winkelmeier [fraktionslos]) kommunikationsverhalten von 80 Millionen Menschen in der Bundesrepublik auf Vorrat gespeichert wird, und Jan Korte (DIE LINKE): zwar ohne jeden Verdacht und ohne jeden Anlass. Statt Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zu- Datensparsamkeit exorbitante Datensammelwut! erst einmal möchte ich feststellen, dass es grundsätzlich sinnvoll ist, eine Gesamtregelung für alle im Bereich der Die Bundesregierung geht sehr wohl über die EU- Telekommunikation bestehenden Maßnahmen zu schaf- Richtlinie hinaus; das ist hier bereits angesprochen wor- fen; darin sind wir uns, glaube ich, einig. Allerdings den. Denn in der Richtlinie heißt es, die Speicherung wird Sie nicht überraschen, dass wir die gesamte Stoß- diene „zum Zwecke der Ermittlung, Feststellung und richtung für nicht richtig halten. Verfolgung von schweren Straftaten“. (B) (D) (Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert Bei der Bundesregierung soll der Zugriff bei erhebli- Winkelmeier [fraktionslos]) chen Straftaten und bei einer „mittels Telekommunika- tion“ begangenen Straftat geregelt werden. So steht das Ich will das an zwei Punkten verdeutlichen. Der eine dort drin. Das beinhaltet beispielsweise auch eine Belei- Punkt ist der Schutz des Kernbereichs; er ist angespro- digung am Telefon oder das illegale Herunterladen von chen worden. Ich möchte noch einmal für alle deutlich Klingeltönen oder was auch immer. Das ist die Logik da- machen: Das ist der Raum, wo Menschen völlig unge- von. stört und unbeobachtet, zum Beispiel im Schlafzimmer (Dr. Jürgen Gehb [CDU/CSU]: Das ist Ihre oder in intimsten Gesprächen im engen Familienkreis, Logik!) kommunizieren. In dem Gesetzentwurf, der heute vor- liegt, steht zum Schutz dieses Kernbereichs, dass eine Deswegen ist es heute ein ganz trauriger Tag für die De- Überwachungsmaßnahme dann unzulässig ist, wenn mokratie, wenn das hier umgesetzt wird. – ich zitiere – „allein Erkenntnisse aus dem Kernbereich privater Lebensgestaltung erlangt würden“. Das ist das (Beifall bei der LINKEN) entscheidende Problem. Die Telekommunikation bzw. Man muss sich auch darüber im Klaren sein, was das die Kommunikation zwischen Menschen läuft doch für die Menschen praktisch bedeutet. Erstens werden sie nicht nach einer bestimmten Tagesordnung ab, nach dem ihr Kommunikationsverhalten ändern. Sie werden versu- Motto: Von 10.00 bis 10.15 Uhr rede ich über intime An- chen, unauffällig zu kommunizieren, und sich anpassen. gelegenheiten des Kernbereichs und von 10.20 bis Wir als Linke wollen das Gegenteil, dass sie unangepasst 10.30 Uhr über eventuelle terroristische Aktivitäten. So und frei kommunizieren können. funktioniert es nicht. Das ist das Problem an dieser Stelle. (Beifall bei der LINKEN) (Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert Zweitens ist das ein Eingriff in die Pressefreiheit; das Winkelmeier [fraktionslos] – Lachen des Abg. ist hier schon angesprochen worden. Nicht nur wir, son- Dr. Jürgen Gehb [CDU/CSU]) dern sämtliche Journalistenverbände und viele andere sagen, dass dies einer der größten Eingriffe in die Pres- – So funktioniert nun einmal Kommunikation. sefreiheit ist. Der zweite Punkt ist die Vorratsdatenspeicherung, die (Siegfried Kauder [Villingen-Schwenningen] nicht nur uns, die Opposition, sondern auch viele andere [CDU/CSU]: Stimmt doch gar nicht! Sehen Menschen und Organisationen in diesem Land bewegt. Sie einmal in das Gesetz!) 13000 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 124. Sitzung. Berlin, Freitag, den 9. November 2007

Jan Korte (A) Erfahrungen aus Belgien zeigen ganz deutlich, dass nach Zeitung. Ich nehme die Chefredaktion und den Verleger (C) der Einführung der Vorratsdatenspeicherung Kontakte ausdrücklich vor dem Vorwurf in Schutz, sie seien Zünd- zwischen Informanten und Journalisten ein Ende gefun- ler, wenn sie in dieser Woche in dieser Zeitung schrei- den haben. Das ist in Belgien nachweislich der Fall ge- ben: Wir wehren uns gegen die Einschränkungen von wesen. Grundrechten und der Pressefreiheit in der Bundesrepu- blik Deutschland. Im Zusammenhang mit den Datenmengen erinnere ich an die Debatten über die Mautdaten und daran, wel- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, che Begehrlichkeiten dort geweckt wurden. Bei den bei der FDP und der LINKEN) gigantischen Datenmengen, die hier gesammelt werden, Die Zeitungsverleger in Land und Bund sind keine sind der Missbrauch und das Wecken von Begehrlichkei- Zündler. Aber sie sind gegen Ihr Gesetz. ten schon vorprogrammiert. (Abg. Siegfried Kauder [Villingen-Schwen- (Beifall bei der LINKEN) ningen] [CDU/CSU] meldet sich zu einer Zwi- Nun noch ein Wort an die Kolleginnen und Kollegen schenfrage) der SPD: Auf Ihrem Hamburger SPD-Parteitag heißt es in Ihrem Beschluss zur Innenpolitik: „Die SPD ist die Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Partei der Bürgerrechte und der rechtsstaatlichen Terror- Herr Kollege Montag, erlauben Sie eine Zwischen- bekämpfung.“ Wenn dies wirklich ernst gemeint ist, frage? wäre es an der Zeit, eine Kurskorrektur vorzunehmen und der Vorratsdatenspeicherung hier heute nicht zuzu- Jerzy Montag (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): stimmen. Dazu fordern wir Sie auf. Nein, ich möchte keine Zwischenfragen beantworten. (Beifall bei der LINKEN) (Zurufe von der CDU/CSU und der SPD) Die Linke hat in den letzten Monaten die vielfältigen Bei einer Redezeit von fünf Minuten will ich das nicht. Protest- und Widerstandsaktionen in diesem Lande un- terstützt. Wir freuen uns, dass bereits über 7 000 Men- Die Bundesrechtsanwaltskammer gehört nicht zu den schen dieses Landes Vollmachten für eine Verfassungs- Zündlern in diesem Lande, die Bundesärztekammer und beschwerde eingereicht haben. Ich finde, es ist ein gutes der Bundeshebammenverband auch nicht. Ich komme Zeichen für die Demokratie, dass sich die Leute zusam- auf die Hebammen noch zurück. Ich nehme mir hier aus- menschließen und ihre Rechte wahrnehmen. Wir unter- drücklich das Recht heraus, zu sagen: Es steht Ihnen stützen das ganz deutlich. nicht an, die Bürgerinnen und Bürger, die sich Sorgen (B) um ihr Land machen, als „Zündler“ zu beschimpfen. (D) (Beifall bei der LINKEN) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, Ich glaube, dass es heute wirklich Zeit ist – das muss das bei der FDP und der LINKEN) Signal in die Öffentlichkeit sein, auch wenn dieser Ge- setzentwurf heute von Ihnen beschlossen werden sollte – Ich will die Kritik beim Namen nennen. Liebe Kolle- für eine neue, energische und freche Bürgerrechtsbewe- ginnen und Kollegen von der SPD, erinnern Sie sich gung. Dafür gibt es gute relevante Indikatoren. Denn ei- noch an Ihren hochverehrten Kollegen Hermann nen Staat, den Sie in Richtung Überwachung dirigieren Bachmaier? wollen, möchten wir nicht und möchten ganz viele an- (Lachen bei Abgeordneten der CDU/CSU) dere in diesem Lande auch nicht. Das ist ein ernstzunehmender, nachdenklicher Rechtspo- Schönen Dank. litiker, mit dem wir hier viele Jahre gemeinsam gearbei- (Beifall bei der LINKEN) tet haben. Er hat sich die Freiheit genommen, Ihnen zu sagen – das steht in der Süddeutschen Zeitung in dieser Woche –, die Große Koalition wahrt nicht den Berufsge- Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: heimnisschutz in der Bundesrepublik, sondern begeht, Das Wort hat der Kollege Jerzy Montag vom Bündnis wie er schreibt, „Geheimnisverrat per Gesetz“. Das sa- 90/Die Grünen. gen nicht wir Grünen oder irgendwelche Radikalinskis, sondern das sagen die, die Sie als „Zündler“ bezeichnen, Jerzy Montag (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): das ist Ihr ehemaliger Bundestagsabgeordneter Bach- Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Heute ist maier. ein schwarzer Tag für die Bürgerrechte in der Bundesre- publik Deutschland – ein tiefschwarzer Tag! (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der FDP sowie bei Abgeordneten der (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN LINKEN und des Abg. Gert Winkelmeier und bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten [fraktionslos]) der FDP) Hier wurde behauptet, dass diejenigen, die vom Über- Wie schwarz dieser Tag für die Bürgerrechte in Deutsch- wachungsstaat reden, „Zündler“ seien. In Richtung land ist, können Sie dieser deutschen Zeitung entneh- Union sage ich: Ich erinnere Sie an den Verfassungsrich- men: Meine Damen und Herren, hier in meiner Hand se- ter Udo di Fabio. Udo di Fabio ist ein Konservativer. Er hen Sie den Donaukurier aus Bayern, eine konservative hat Ihnen am Dienstag dieser Woche ins Stammbuch ge- Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 124. Sitzung. Berlin, Freitag, den 9. November 2007 13001

Jerzy Montag (A) schrieben – ich zitiere wörtlich –: Die Bürger wollen Jerzy Montag (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): (C) nicht den totalen Überwachungsstaat. – Das sind nicht Ich komme zum Schluss. meine Worte, sondern die Worte eines amtierenden Ver- fassungsrichters in diesem Land. Das Wort vom totalen Ich möchte noch einmal daran erinnern, dass der Ver- Überwachungsstaat ist gegen Sie gerichtet. leger und die Chefredaktion des Donaukuriers geschrie- ben haben: – – (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der FDP und der LINKEN sowie des Abg. Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Gert Winkelmeier [fraktionslos]) Herr Kollege Montag, bitte. Die Bundesjustizministerin hat vor einigen Tagen ein Interview gegeben und sich dabei darüber mokiert, dass Jerzy Montag (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): die Kritiker des heutigen Gesetzentwurfs von wenig Ich komme zum Ende. Sachkunde beleckt seien. Ich muss und will in aller Deutlichkeit sagen, alle Punkte, die von der Bundesjus- Lassen Sie sich keine weiteren Eingriffe in die de- tizministerin in diesem Interview zur Verteidigung die- mokratischen Grundrechte bieten. ses Gesetzes vorgebracht wurden – zum Teil tauchten sie Ich habe Hochachtung vor diesen Journalisten. in ihrer heutigen Rede auf –, sind in der Sache falsch. Ich sage für meine Fraktion, die Grünen: Wir werden (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) all diejenigen unterstützen, die sich gegen dieses Gesetz Sie hat gesagt, der Straftatenkatalog des § 100 a StPO zur Wehr setzen werden. würde von Ihnen entrümpelt. Nein, Sie machen ihn zur (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Hydra: Sie haben einen Kopf abgeschnitten und fünf weitere hinzugefügt. Die Ministerin hat gesagt, nach ih- rem Gesetz könnte man nur noch abhören, wenn eine Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Freiheitsstrafe von ein bis fünf Jahren droht. Falsch, Sie Zu einer Kurzintervention erteile ich das Wort dem schlagen vor, dass man selbst bei Straftatbeständen, bei Kollegen Siegfried Kauder von der CDU/CSU-Fraktion. denen nur eine Geldstrafe inmitten steht, abhören kann. Siegfried Kauder (Villingen-Schwenningen) (CDU/ (Jörg van Essen [FDP]: So ist es!) CSU): Die Bundesjustizministerin hat gesagt, dass Gesprä- Kollege Montag hat versucht, den Eindruck zu erwe- che im Kernbereich nicht abgehört werden dürfen. cken, als würde dieser Gesetzentwurf die Rechte von (B) Falsch, die Praxis des Gesetzes, das Sie vorschlagen, ist Journalisten verschlechtern. (D) anders: Nur dann, wenn die Polizei von vorneherein sagt, allein zum Kernbereich würde gesprochen, darf (Dirk Niebel [FDP]: Das hat er sogar ge- nicht abgehört werden. So etwas ist – das wissen Sie – schafft!) nie möglich. Gespräche zwischen Menschen umfassen Hätte er mir doch nur zugehört! Habe ich nicht aus- immer verschiedenartige Gesprächsinhalte. Das bedeu- drücklich auf § 100 h Abs. 2 der Strafprozessordnung tet, dass Sie mittels dieses Gesetzes immer abhören wol- hingewiesen? Schon nach jetzigem Recht dürfen Ver- len. kehrsdaten zu Ermittlungszwecken abgegriffen werden. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie Nach bisherigem Recht haben Journalisten überhaupt der Abg. Mechthild Dyckmans [FDP]) keinen Schutz. Den haben wir erst durch diesen Gesetz- entwurf in § 160 a der Strafprozessordnung eingefügt. Sie halten das Zweiklassenrecht, das Recht der Be- rufsgeheimnisträger, das wir haben, aufrecht. Durch die (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Ergänzungsanträge dieser Woche haben Sie das noch Wir verbessern den Schutz der Journalisten beim Zu- verschlimmert. fallsfund. (Siegfried Kauder [Villingen-Schwenningen] Das, was Sie heute getan haben, Herr Kollege [CDU/CSU]: Das ist nicht wahr!) Montag, ist nicht das, was ich von Ihnen im Ausschuss Zur Vorratsdatenspeicherung will ich Folgendes sa- gewohnt bin. Das ist keine sachliche Politik, sondern gen: Frau Ministerin, Sie machen mehr, als Sie müssen. blinder Populismus. Schade drum. Sie benutzen diese Datei nicht nur zum Kampf gegen (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) den Terror, sondern auch bei einfachen Straftaten. (Daniela Raab [CDU/CSU]: Zehn Minuten Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: oder fünf Minuten?) Zur Erwiderung, Herr Montag. Das, was Sie machen, ist der erste Schritt. Im zweiten Schritt werden die Daten auch den Geheimdiensten zur Jerzy Montag (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Verfügung gestellt. Herr Präsident! Herr Kollege Kauder, Sie wissen ja – das haben Sie zu Recht erwähnt –, dass ich mich um eine sachliche Diskussion bemühe, Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Kommen Sie bitte zum Schluss. (Dr. Jürgen Gehb [CDU/CSU]: Gelingt nicht!) 13002 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 124. Sitzung. Berlin, Freitag, den 9. November 2007

Jerzy Montag (A) wo sie möglich ist. Deswegen habe ich ganz bewusst in Die heutige Situation von Ärzten, Anwälten, Notaren (C) der heutigen Debatte in weiten Teilen meiner kurzen und Journalisten ist schlechter, als wir sie mit diesem fünfminütigen Rede andere zu Wort kommen lassen, wie Gesetz machen werden. Wir schreiben jetzt Abwägungs- zum Beispiel die Konservativen aus Bayern und den gründe – Dinge, die bisher nicht eingehalten wurden – in konservativen Verfassungsrichter, der vom totalen Über- das Gesetz. wachungsstaat spricht, in den Sie uns mit diesem Gesetz (Jerzy Montag [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- führen. NEN]: Die haben Sie gestrichen!) Hinsichtlich der Journalisten gestehe ich zu – Sie ge- Unser Grundsatz bleibt: Vertrauliche Gespräche dieser ben mir die Gelegenheit, das jetzt zu tun, also mache ich Berufsgeheimnisträger bleiben geschützt und müssen es –: In einigen Einzelheiten birgt der Gesetzentwurf geschützt bleiben. Vorteile. (Jerzy Montag [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- (Zurufe von der CDU/CSU und der SPD: NEN]: § 160 a Abs. 2! Sie haben die Gründe Aha!) gestrichen!) – Wenn man eine rationale Debatte führt, dann finden – Wir haben Riegel vorgeschoben. Wir haben neue Hür- Sie auch das verkehrt. den gesetzt. Ich sage Ihnen: In einigen Kleinigkeiten gibt es in Schwere Straftaten haben wir im Katalog zusammen- diesem Gesetzentwurf natürlich Verbesserungen gegen- gefasst. Das ist nichts Neues. Aber wir haben jetzt hi- über dem Status quo; das ist völlig richtig. neingeschrieben, dass Straftaten mit im Höchstmaß we- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) niger als fünf Jahren herausfallen. Sie können jedenfalls heute nicht mehr mit heimlichen TKÜ-Maßnahmen – Ja, beklatschen Sie sich nur selber. überzogen werden. Das ist ein Fortschritt. Trotzdem bleibt die Kritik richtig, die nicht nur ich, (Jerzy Montag [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- nicht nur die Grünen äußern, sondern im breitesten Um- NEN]: Wo steht das?) fang in der öffentlichen Auseinandersetzung erhoben wird. – Das steht im Gesetz. (Dr. Jürgen Gehb [CDU/CSU]: Weil sie so be- (Lachen des Abg. Jerzy Montag [BÜNDNIS 90/ feuert wird!) DIE GRÜNEN]) Das steht in § 100 a Abs. 4. Gucken Sie doch rein! Der Journalisten- und der Informantenschutz werden (B) (D) durch dieses Gesetz ausgehöhlt. Lieber Kollege Kauder, (Jerzy Montag [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- durch die neuesten Änderungen, die Sie in der letzten NEN]: Das ist ein Witz, den Sie hier verbrei- und dieser Woche nachgeschoben haben, wird der ten!) Schutz noch mehr ausgehöhlt als bisher. Außerdem ist es notwendig, dass es nicht nur abstrakt (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) eine schwere Straftat sein muss, sondern es muss auch im konkreten Einzelfall eine schwere Straftat sein. Auch Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: das ist eine weitere Hürde, die wir jetzt eingebaut haben. Das Wort hat jetzt der Kollege Klaus Uwe Benneter von der SPD-Fraktion. Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Herr Kollege Benneter, erlauben Sie eine Zwischen- (Beifall bei Abgeordneten der SPD) frage des Kollegen Ströbele?

Klaus Uwe Benneter (SPD): Klaus Uwe Benneter (SPD): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Bitte. Kolleginnen und Kollegen! Herr Montag, dies muss kein schwarzer Tag werden, wenn wir halbwegs redlich und Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: seriös bleiben. Bitte, Herr Ströbele. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Hartmut Koschyk [CDU/CSU]: Sehr richtig!) Hans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/DIE Wenn Sie sich hier aber aufführen wie Rumpelstilzchen GRÜNEN): Herr Kollege Benneter, geben Sie mir recht, dass nach (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU so- der Vorschrift, die Sie heute verabschieden wollen, so wie des Abg. Dr. Carl-Christian Dressel schwere Straftaten wie einfacher Diebstahl Anlassstraf- [SPD]) taten sind, um abzuhören, und dass Sie den Straftatenka- und entgegen Ihrer sonstigen Art, bei der Sie auf Argu- talog, den Sie schon vorgefunden haben, um eine ganze mente eingehen, Falschheiten verbreiten, dann wird das Reihe von zusätzlichen Straftaten erweitert haben, so- wirklich ein schwarzer Tag für den Parlamentarismus. dass davon auszugehen sein wird, dass über das Maß dessen hinaus, was in Deutschland in den letzten Jahren (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) abgehört worden ist – Deutschland hat sich bereits als Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 124. Sitzung. Berlin, Freitag, den 9. November 2007 13003

Hans-Christian Ströbele (A) Weltmeister im Abhören erwiesen –, weitere Abhörmaß- – Ohne Anlass wird bei den Telekommunikationsunter- (C) nahmen zu erwarten sind – das heißt, es wird zu einer nehmen gespeichert, und dort bleiben die Daten. Das Steigerung auf mehr als 50 000 solcher Anordnungen im sind alles automatisiert erfasste Daten, und da guckt kei- Jahr kommen –, und dass das genau der falsche Weg ist? ner rein. (Lachen beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Klaus Uwe Benneter (SPD): Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE Das gebe ich nicht zu. GRÜNEN]: Wer es glaubt, wird selig!) (Heiterkeit bei der CDU/CSU und der FDP – Es darf erst zugegriffen werden, wenn ein ganz konkre- Jerzy Montag [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: ter Verdacht auf eine erhebliche Straftat vorliegt. Sonst Das haben wir nicht anders erwartet!) darf darauf nicht zugegriffen werden. Alles andere ist unwahr. Es ist unwahr, wenn Sie hier so tun, als ob wir Wir haben das Gegenteil dessen gemacht und das Ge- alle unter Generalverdacht gestellt würden. genteil dessen ins Gesetz geschrieben. (Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE Was den Schutz der Berufsgeheimnisträger angeht, so GRÜNEN]: Das ist aber so!) haben wir die Maßstäbe für die Abwägung ausdrücklich mit ins Gesetz hineingenommen. Es müssen Straftaten Das ist Quatsch. Dann würde heute auch jeder unter Ge- von erheblicher Bedeutung sein; ansonsten ist kein Straf- neralverdacht stehen, der irgendwo ein Konto hat. Denn verfolgungsinteresse gegeben. All das sind Dinge, die auch darauf darf bei entsprechenden Verdachtsmomen- bisher so nicht im Gesetz standen. Selbst wenn bei Jour- ten zugegriffen werden. Es ist unredlich, hier gegenüber nalisten ein konkreter Verdacht auf Verstrickung besteht, Regelungen, die verfassungsgemäß sind, Besorgnis zu ist es nicht mehr möglich – das haben wir ausdrücklich formulieren. Es wäre verfassungswidrig, dem Strafge- ins Gesetz geschrieben –, Zufallsfunde zu beschlagnah- bot, das der Staat zu verwirklichen hat, nicht nachzu- men und mitzunehmen. Das ist ein ganz wesentlicher kommen und alle Berufsgeheimnisträger in diesen Forschritt gegenüber dem, was wir bisher hatten. Schutz einzubeziehen. Nichts wurde verschlechtert, aber vieles verbessert, insbesondere für die Berufsgeheimnis- (Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE träger. GRÜNEN]: Selbst das stimmt nicht! – Jerzy Montag [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU – Selbst das steht nicht im Gesetz!) Jerzy Montag [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das glauben Sie doch selber nicht, was Sie da Obwohl es in der Praxis bisher üblich war, die Verstri- sagen!) (B) ckung über den sogenannten Geheimnisverratsparagra- (D) fen herzustellen, haben wir jetzt klargestellt, dass, wenn Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: es um Geheimnisverrat geht, es keine solche Verstri- Das Wort hat der Kollege Gert Winkelmeier. ckung für Journalisten gibt. All das sind wesentliche Fortschritte, die es zu berücksichtigen gilt, und deshalb (Hartmut Koschyk [CDU/CSU]: Oh! Jetzt ist es unredlich, hier in dieser Art und Weise Besorgnis kommen die Betroffenen zu Wort!) zu mobilisieren, die hier nicht angebracht ist. Gert Winkelmeier (fraktionslos): (Beifall bei der CDU/CSU) Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Eine wirksame Strafverfolgung – das wird hier im „Wer die Freiheit aufgibt, um Sicherheit zu gewinnen, Hause wohl jeder einräumen – ist nicht nur legitim, son- wird am Ende beides verlieren.“ Das sagte bereits dern eine der wesentlichen Aufgaben, die der Staat leis- Benjamin Franklin, und das hat noch heute Gültigkeit. ten muss. Wir haben ein Interesse an der Ermittlung der Dies sollten wir bedenken, wenn wir heute über den vor- Täter, an der Feststellung ihrer Schuld und auch ihrer liegenden Gesetzentwurf namentlich abstimmen. Verurteilung bzw. am Freispruch bei Unschuldigen. Das In der Bevölkerung und in vielen Berufsverbänden alles ist unter den heutigen Bedingungen nur möglich, mehrt sich der Widerstand gegen die Neuregelung der wenn auch die Kommunikationsmöglichkeiten über- Telekommunikationsüberwachung und gegen die ge- wacht, erhoben und gespeichert werden. Deshalb hat das plante Vorratsdatenspeicherung. Noch sind es keine Bundesverfassungsgericht in einer kürzlich ergangenen Hunderttausende von Menschen, die auf die Straße ge- Entscheidung ausdrücklich hervorgehoben, dass dies hen. Aber die Gegner formieren sich. Mehr als möglich und auch notwendig ist 7 000 Bürgerinnen und Bürger wollen sich an einer (Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE Sammelbeschwerde beim Bundesverfassungsgericht be- GRÜNEN]: Aber nicht für alle Bundesbür- teiligen. Auch ich habe meine Solidarität erklärt und ge- ger!) höre zu den Unterstützern. und dass dies geeignet, erforderlich und angemessen ist, Zum Glück begreifen immer mehr Bürgerinnen und wenn es sich um eine entsprechend schwere Straftat han- Bürger, dass dieses Gesetz jede und jeden unter General- delt. verdacht stellt. Zudem ermöglicht die Vorratsdatenspei- cherung, Bewegungsprofile zu erstellen. Dies wider- (Jerzy Montag [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: spricht nicht nur dem Recht auf informationelle Das machen Sie doch ohne Anlass!) Selbstbestimmung, sondern kann auch zu Veränderungen 13004 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 124. Sitzung. Berlin, Freitag, den 9. November 2007

Gert Winkelmeier (A) im Kommunikationsverhalten der Menschen führen. (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der (C) Hier geht es um sensible Informationen über soziale Be- CDU/CSU) ziehungen im privaten, im geschäftlichen und im indivi- Zur wirksamen Kriminalitätsbekämpfung und zur Auf- duellen Bereich. So könnte man zumindest annehmen, klärung von Straftaten sind Methoden der verdeckten Er- dass derjenige, der mehrmals mit einem Psychologen te- mittlung unerlässlich; das wissen Sie alle, die Sie heute lefoniert, seelische Probleme hat. Das geht den Staat zu diesem Thema gesprochen haben. nichts an. (Beifall der Abg. Daniela Raab [CDU/CSU]) (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) Das gilt insbesondere für die Bekämpfung der organi- Es ist richtig, es darf auf die gewünschten Daten nur sierten Kriminalität weltweit, für die Bekämpfung von mit richterlichem Beschluss zugegriffen werden. Aber so Wirtschaftsstraftaten und für die Bekämpfung von Be- wie sich dieser Staat in den vergangenen Jahren im täubungsmittelstraftaten. All dies sind Delikte schwerer Wahn und auf der Suche nach vermeintlicher Sicherheit Kriminalität, häufig mit erheblichen Verletzungen von verändert hat, so verändert sich nach und nach auch das Opfern und hohem wirtschaftlichen Schaden. Die Vor- Bewusstsein für die Verhältnismäßigkeit. Dass allein die ratsdatenspeicherung dient auch der Abwehr terroristi- Möglichkeit besteht, die Telekommunikationsdaten von scher Angriffe auf die Sicherheit dieses Landes. Darum mehr als 80 Millionen Menschen uneingeschränkt zu geht es und um nichts anderes. speichern, widerspricht unserer Verfassung. Ich prophe- zeie: Dieses Gesetz wird vor dem Bundesverfassungsge- (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der richt keinen Bestand haben. CDU/CSU) Es ist sowieso unverständlich, weshalb sich die Re- Die Menschen in diesem Land haben ein Recht darauf gierung bei einem derart sensiblen Thema nicht etwas – und sie können sich darauf verlassen – dass der Staat mehr Zeit lässt. Zeit hätte sie gehabt. Denn noch ist vor sie wirksam vor diesen Straftätern schützt und diese Er- dem Europäischen Gerichtshof eine Klage Irlands gegen scheinungsformen der Kriminalität wirksam bekämpft. die entsprechende EU-Richtlinie anhängig. Ehe dort Darum geht es und um nichts anderes. nicht entschieden ist, gibt es, was den heute vorliegen- (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der den Gesetzentwurf angeht, sowieso keine Bestands- CDU/CSU) sicherheit. Man hätte sich also mehr Zeit lassen können. Nichts anderes tun wir mit unserer Novelle zum Tele- Dem Justizministerium, nicht aber den Abgeordneten, kommunikationsüberwachungsrecht. Das wissen Sie alle liegt ein Gutachten zu den Erfahrungen der deutschen ganz genau, auch wenn Sie heute in Ihren Barrikadenre- (B) Ermittlungsbehörden mit der Telekommunikationsüber- den, kann man fast sagen, etwas anderes behauptet ha- (D) wachung vor. Ich frage die Bundesregierung: Warum ben. wird dieses Gutachten den Abgeordneten vorenthalten? Es gibt keinen plausiblen Grund, warum wir ohne diese Andererseits bedeutet jede verdeckte Ermittlungs- Sachkenntnis entscheiden sollten. Dieses Gutachten maßnahme in der Regel einen Eingriff in verfassungs- wurde vom Deutschen Bundestag in Auftrag gegeben. rechtlich geschützte Grundrechtspositionen der Bürge- Warum warten wir mit unserer Entscheidung nicht, bis rinnen und Bürger. Wir alle sind uns dessen bewusst. wir es gelesen haben? Betroffen sind in der Regel das Brief-, Post- und Fern- meldegeheimnis, der Schutz der Wohnung und im Er- Die deutsche Fußballnationalmannschaft der Frauen gebnis auch die Pressefreiheit. Deshalb bedarf es der ist Weltmeister geworden, und die Handballnational- Abwägung, bereits im Gesetz: Es ist in jedem Einzelfall mannschaft der Männer ist ebenfalls Weltmeister gewor- streng zu prüfen, ob das Allgemeininteresse an effekti- den; das ist phantastisch. Deutschland ist schon jetzt Da- ver Kriminalitätsbekämpfung oder aber der Grund- tensammelweltmeister. Darauf sollten wir nicht stolz rechtsschutz des Einzelnen überwiegt. Beides sind abso- sein. lut schutzwürdige Rechtsgüter. Deshalb muss jeder Eingriff so schonend wie möglich ausgestaltet sein: So Vielen Dank. viel Eingriff wie nötig, aber so viel Schutz der Freiheits- (Beifall bei der LINKEN) rechte wie möglich. Genau das tun wir mit der vorliegenden Novellierung Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: der Regelungen zur Telefonüberwachung. Wir verschär- Als letzter Redner zu diesem Tagesordnungspunkt hat fen die Eingriffsvoraussetzungen: Es muss im Einzelfall der Kollege Joachim Stünker von der SPD-Fraktion das immer eine schwere Straftat vorliegen. Wir verschärfen Wort. die inhaltlichen Schranken bei der Überwachung, indem wir Verwertungsverbote einführen. Wir erweitern – es ist darauf hingewiesen worden – den Schutz der Berufsge- Joachim Stünker (SPD): heimnisträger. Heute ist vom Marburger Bund der Ein- Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! druck erweckt worden, als könnten zukünftig Patienten- Meine Damen und Herren! Zitate von Bundesverfas- daten auf diesem Wege mitgenommen werden. Da kann sungsrichtern ersetzen nicht die Rechtspolitik. Die ich nur sagen: Das ganze Gesetz muss man lesen. Patien- Rechtspolitik haben wir hier im Deutschen Bundestag zu tendaten dürfen nach § 97 unserer Strafprozessordnung machen. nicht beschlagnahmt werden; sie sind von dem, was wir Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 124. Sitzung. Berlin, Freitag, den 9. November 2007 13005

Joachim Stünker (A) hier im Ergebnis verabschieden, überhaupt nicht betrof- Es ist absurd, was hier teilweise erzählt worden ist. Da (C) fen. wird teilweise bewusst Massenhysterie verursacht. Des- halb sage ich deutlich: Zielobjekt aller Maßnahmen sind (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der nur Personen, die irgendwie im Bereich der Begehung CDU/CSU) von Straftaten stehen. In aller Deutlichkeit sage ich Ih- Wir verstärken den Grundrechtschutz durch Verfahrens- nen: Ich stehe mit fester Überzeugung – ich glaube, die- garantien, obwohl uns die Praxis schon sagt: Das wird jenigen, die mich kennen, wissen das – für Rechtsstaat- uns alles viel zu kompliziert. Wir machen durch Verfah- lichkeit. Heute ist in diesem Land ein guter Tag für den rensgarantien massiven Grundrechtschutz. Die An- Rechtsstaat. schlusskontrolle, die wir für eine umfassende, öffentli- Danke schön. che Transparenz der Maßnahme vorsehen, hat hier auch keiner erwähnt: Zukünftig müssen die Länder und der (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Generalbundesanwalt jedes Jahr über Art und Umfang der CDU/CSU) der Maßnahmen, die sie getroffen haben – sowohl bei der Vorratsdatenspeicherung als auch bei der Anordnung Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: von Telekommunikationsüberwachungsmaßnahmen – Ich schließe die Aussprache. berichten. Transparenz ist der wirksamste Schutz vor Missbrauch. Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bun- desregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur Neurege- (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) lung der Telekommunikationsüberwachung und anderer Ich empfehle all denen, die hier so leichtfertig daher- verdeckter Ermittlungsmaßnahmen sowie zur Umset- geredet haben – vor allen Dingen der linken Seite –, sich zung der Richtlinie 2006/24/EG. einmal die Mühe zu machen, den § 97 StPO im gelten- Der Rechtsausschuss empfiehlt unter Buchstabe a seiner den Recht und den § 108 Abs. 3 (neu) zu studieren. Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/6979, den Ge- Dann werden Sie feststellen, dass zukünftig der Berufs- setzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache 16/5846 geheimnisträger, Medienmitarbeiter fast umfassend vor in der Ausschussfassung anzunehmen. Eingriffsmaßnahmen geschützt ist, es sei denn, er verab- redet selber am Telefon schwere Straftaten. Aber ansons- Hierzu liegt ein Änderungsantrag der Fraktion Bünd- ten ist er massiv geschützt. nis 90/Die Grünen vor, über den wir zuerst abstimmen. (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der (Unruhe) (B) CDU/CSU) – Meine Damen und Herren, wir sind noch nicht bei der (D) Deshalb halte ich es für grob fahrlässig, wenn durch Re- namentlichen Abstimmung. Ich kann das Abstimmer- den oder durch Veröffentlichungen in den Medien, vor gebnis nicht feststellen, wenn Sie sich vor dem Platz des allen Dingen in den Printmedien, in den letzten Tagen Präsidenten gruppieren. Nehmen Sie bitte Ihre Plätze und Wochen gezielt der Eindruck erweckt worden ist, als wieder ein. – Wer stimmt für den Änderungsantrag auf würde von heute an das massive Abhören von Telefon- Drucksache 16/7016? gesprächen möglich. In Wahrheit ist bei dem, was wir (Unruhe) heute beschließen wollen, das Gegenteil der Fall. Anscheinend niemand. (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU) (Undine Kurth [Quedlinburg] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Man versteht nichts!) Lassen Sie mich eine letzte Anmerkung machen. Es ist eigentlich müßig, darauf hinzuweisen. Aber nach den Ich wiederhole das Ganze: Es liegt ein Änderungsan- Diskussionen der letzten Wochen und Monate, die ich trag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen vor, über den mitgemacht habe, und der Debatte, die heute geführt wir jetzt zuerst abstimmen. Wer stimmt für den Ände- worden ist, muss ich feststellen: Es ist bedauerlich, dass rungsantrag auf Drucksache 16/7016? – Gegenstimmen? – solche Reden heute gehalten worden sind. Alle diese Enthaltungen? – Der Änderungsantrag ist bei Zustim- Maßnahmen, von denen wir reden, stehen unter dem mung der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen mit den Richtervorbehalt. Bei jeder Maßnahme bedarf es einer Stimmen aller übrigen Fraktionen abgelehnt. richterlichen Entscheidung, zum Beispiel wenn Ver- Ich bitte nun diejenigen, die dem Gesetzentwurf in kehrsdaten an den Staat herausgegeben werden sollen. der Ausschussfassung zustimmen wollen, um ihr Hand- Es bedarf einer richterlichen Entscheidung, wenn ein Te- zeichen. – Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Der Ge- lefongespräch abgehört werden soll. Wir haben einen setzentwurf ist in zweiter Beratung mit den Stimmen der umfassenden Richtervorbehalt. Was ist das letzten Endes Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Opposi- für ein Verständnis von Gewaltenteilung, wenn Sie der tionsfraktionen angenommen. dritten Gewalt nicht zutrauen, diese Gesetze rechtsstaat- lich, im Interesse der Menschen in diesem Land, einzu- Dritte Beratung halten? und Schlussabstimmung. Die Fraktionen der FDP und (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der des Bündnisses 90/Die Grünen haben namentliche Ab- CDU/CSU) stimmung beantragt. Ich bitte die Schriftführerinnen und 13006 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 124. Sitzung. Berlin, Freitag, den 9. November 2007

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms (A) Schriftführer, die vorgesehenen Plätze einzunehmen. – ZP 16 Beratung des Antrags der Abgeordneten Winfried (C) Ich bitte, abzustimmen. Nachtwei, Jürgen Trittin, Silke Stokar von Neuforn, weiterer Abgeordneter und der Fraktion Haben alle Mitglieder ihre Stimmkarte abgegeben? – BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Das ist offenkundig der Fall. Dann schließe ich die Ab- stimmung. Ich bitte, auszuzählen. Ohne Polizei und Justiz keine Sicherheit – Polizei- und Justizaufbau in Afghanistan dras- Ergänzend möchte ich mitteilen, dass zu dieser Ab- tisch beschleunigen stimmung zahlreiche schriftliche Erklärungen gemäß § 31 unserer Geschäftsordnung vorliegen, die wir mit Ih- – Drucksache 16/6931 – rer Erlaubnis zu Protokoll nehmen.1) Überweisungsvorschlag: Auswärtiger Ausschuss (f) Das Ergebnis der namentlichen Abstimmung wird Ih- Innenausschuss (f) nen später bekannt gegeben.2) Rechtsausschuss Verteidigungsausschuss Jetzt kommen wir zur Abstimmung über den Gesetz- Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe entwurf der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen zur Re- Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und form der Telekommunikationsüberwachung. Der Entwicklung Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union Rechtsausschuss empfiehlt unter Buchstabe b seiner Be- Haushaltsausschuss schlussempfehlung auf Drucksache 16/6979, den Ge- Federführung strittig setzentwurf der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 16/3827 abzulehnen. Ich bitte diejenigen, Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Beratung eine halbe Stunde vorgesehen, wobei die Frak- Handzeichen. – Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Der tion der FDP sechs Minuten erhalten soll. Gibt es dage- Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung mit den Stimmen gen Widerspruch? – Das ist nicht der Fall, dann ist das so der Koalitionsfraktionen bei Zustimmung der Fraktion beschlossen. Bündnis 90/Die Grünen und Enthaltung der FDP-Frak- Ich eröffne die Aussprache und erteile als erster Red- tion und der Fraktion Die Linke abgelehnt. Damit ent- nerin der Kollegin Gisela Piltz für die FDP-Fraktion das fällt nach unserer Geschäftsordnung die weitere Bera- Wort. tung. (Beifall bei der FDP) Beschlussempfehlung des Rechtsausschusses zu dem Antrag der Fraktion der FDP mit dem Titel „Reform der Gisela Piltz (FDP): Telefonüberwachung zügig umsetzen“: Der Ausschuss (B) empfiehlt unter Buchstabe c seiner Beschlussempfeh- Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kolle- (D) lung auf Drucksache 16/6979, den Antrag der FDP- gen! Sicherheit braucht funktionierende Sicherheits- Fraktion auf Drucksache 16/1421 abzulehnen. Wer behörden. Gut ausgebildete und mit den notwendigen Mitteln ausgestattete Polizistinnen und Polizisten ge- stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Gegenstim- währleisten die Sicherheit der Menschen im Land. Dies men? – Enthaltungen? – Die Beschlussempfehlung ist gilt nicht nur in Deutschland; dies gilt ebenso und umso mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der Frak- mehr in einem Land wie Afghanistan, das von Bürger- tion Bündnis 90/Die Grünen bei Gegenstimmen der krieg und Krieg gebeutelt und zerstört wurde. Das, was FDP-Fraktion und der Fraktion Die Linke angenommen. Deutschland in Afghanistan leistet, ist deshalb besonders Da das Ergebnis der namentlichen Abstimmung noch wichtig für die Zukunft des Landes, zum einen in prakti- nicht vorliegt, rufe ich nun den Tagesordnungspunkt 37 scher Hinsicht: eine solide Ausbildung der Polizeikräfte. sowie den Zusatzpunkt 16 auf: Es geht aber auch um eine ganz grundsätzliche Aufgabe; denn es geht um die Vermittlung rechtsstaatlicher Struk- 37 Beratung des Antrags der Abgeordneten Birgit turen, die sich ganz besonders in der Polizeiarbeit zeigt. Homburger, Dr. Karl Addicks, Christian Ahrendt, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP (Beifall bei der FDP) Ausbildung der Polizeikräfte in Afghanistan Gerade an der Arbeit der Sicherheitsbehörden zeigt sich, forcieren ob ein Land die Grundsätze der Rechtsstaatlichkeit und die Menschenrechte anerkennt und achtet. – Drucksache 16/3648 – Klar ist: Die Polizisten, die bereits in Afghanistan Überweisungsvorschlag: sind oder dort hingehen werden, brauchen eine bessere Auswärtiger Ausschuss (f) Innenausschuss (f) Ausstattung. Nur so können sie ihre Aufgabe überhaupt Rechtsausschuss erfüllen. Verteidigungsausschuss Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und (Beifall bei der FDP) Entwicklung Notwendig ist zunächst eine Aufstockung der Zahl Haushaltsausschuss der Ausbilder, die vor Ort tätig sind. Wichtig ist ebenso, Federführung strittig dass diese Ausbilder außerhalb von Kabul eingesetzt werden. Denn die afghanischen Dienstposten brauchen 1) Anlagen 4 bis 6 dort auch nach Abschluss der Ausbildung weiterhin Un- 2) Seite 13009 D terstützung bei der Erfüllung ihrer Aufgaben. Hierzu Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 124. Sitzung. Berlin, Freitag, den 9. November 2007 13007

Gisela Piltz (A) kann Deutschland einen erheblichen Beitrag leisten, um dender Stelle ganz konsequent darauf drängen, dass die (C) neuerliche Korruption erst gar nicht aufkommen zu las- Auszahlungen an die Polizistinnen und Polizisten über- sen und zukunftsfähige Strukturen zu verankern und zu prüfbar und in voller Höhe ankommen. stärken. Weiter erwarten wir von der Bundesregierung, dass Bei der Ausbildung der Polizeikräfte in Afghanistan sie sich für ein funktionierendes Justiz- und Vollzugssys- arbeitet Deutschland eng mit den internationalen Auf- tem einsetzt. Nur im Zusammenhang mit einem funktio- baupartnern zusammen, insbesondere mit den Vereinig- nierenden Justizsystem kann die Polizei in einem rechts- ten Staaten, die die Ausbildung des einfachen Dienstes staatlichen Rahmen tätig werden. Schließlich nützt es in der afghanischen Polizei übernommen haben. nichts, wenn die ausgebildete Polizei ihren Job gut Deutschland hingegen ist für die Ausbildung des mittle- macht, dies aber wegen eines mangelhaften Justizsys- ren und gehobenen Dienstes zuständig. Das ist gut und tems keine Konsequenzen hat. Das wäre eher Verdum- richtig; denn die Verzahnung zwischen den Curricula der mung als eine konsequente Aufbauhilfe. Ausbildung für den einfachen Dienst und den mittleren wie auch gehobenen Dienst muss dringend gewährleistet (Beifall bei der FDP) und besser abgestimmt sein. Wir als FDP-Bundestagsfraktion erwarten eine konti- (Beifall bei Abgeordneten der FDP) nuierliche Evaluation des Geleisteten. Die Bundesregie- rung muss daher für überprüfbare und zu überprüfende In der Antwort auf eine Kleine Anfrage meiner Frak- Zwischenziele bei der Polizeiausbildung eintreten, die tion wurde klar, dass ein großes Problem bei der Ausbil- sie auch international vereinbaren muss, vor allem nach- dung das Analphabetentum ist, das in Afghanistan ver- dem der Abschluss des Aufbaus der Polizei auf 2010 breitet ist. Umso wichtiger sind auch hier weitere verschoben wurde. Verbesserungen, da nur so eine Ausbildung richtig funk- tionieren kann. Daher müssen wir Deutschen uns – auch Schließlich ist es aus unserer Sicht auch notwendig, wenn in erster Linie nicht wir dafür zuständig sind – für dass uns regelmäßig Bericht erstattet wird. Die schwie- eine Verbesserung der Ausbildung im einfachen Dienst rige und engagierte Arbeit der deutschen Ausbilder in einsetzen; denn klar ist: Wenn man nicht lesen und Afghanistan muss vom Parlament begleitet werden. schreiben kann, ist eine Ausbildungsvermittlung extrem Dazu bekennen wir uns ausdrücklich. schwierig und dauert viel zu lange. Der Deutsche Bundestag hat großen Respekt vor der Eine gute Ausbildung muss einhergehen mit einer gu- Arbeit unserer Polizistinnen und Polizisten in Afghanis- ten Ausstattung. Die Bedenken der Bundesregierung, zur tan, wo sie sich teilweise unter Einsatz ihres Lebens für Wahrung der eigenen Sicherheitsinteressen an andere Menschenrechte und den Rechtsstaat einsetzen. (B) Länder keine Mittel auszuliefern, die repressiv einge- (D) setzt werden können, in allen Ehren. Aber in diesem Fall Ich denke, es ist selbstverständlich, dass der Bundes- ist gar nicht der Sachverhalt gegeben, dass Waffen an tag das würdigt und, je nachdem, kritisch oder positiv Staaten ausgeliefert werden, die ohne unsere Kontrolle begleitet. damit hantieren können, wodurch gegebenenfalls eine Aus der bisherigen Ausbildung müssen daher aus un- Bedrohung unserer eigener Sicherheitsinteressen zu be- serer Sicht dringend Konsequenzen gezogen werden. fürchten wäre. Um in Afghanistan und damit auch für die Staatenge- Hier liegt der Fall doch völlig anders. Wir haben ein meinschaft erfolgreich tätig sein zu können, muss die eigenes Sicherheitsinteresse an einer funktionierenden Ausbildung der Polizei jetzt – und nicht irgendwann – Polizeiarbeit in Afghanistan. Die Polizei dort befindet dringend verbessert werden. Wer länger wartet, gefähr- sich im Aufbau, an dem Deutschland einen entscheiden- det den Entwicklungsprozess. Das will die FDP verhin- den Anteil hat und vermutlich noch länger haben wird. dern. Die gelieferten Materialien wie Tränengas werden quasi (Beifall bei der FDP – Winfried Nachtwei unter unseren Augen eingesetzt. Wir sprechen dabei üb- [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das wollen rigens nicht von Panzern, sondern von Hilfsmitteln. wir alle verhindern!) Die deutschen Ausbilder schulen die dortigen Polizei- kräfte gerade darin, solche Mittel so einzusetzen, dass Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: rechtstaatliche Grundsätze gewahrt bleiben. Wenn heute diese Mittel nicht anderweitig von den Afghanen selbst Das Wort hat jetzt der Kollege Ralf Göbel von CDU/ angeschafft werden können, besteht die Gefahr, dass sie CSU-Fraktion. erst zu einer Zeit zur Verfügung stehen, in der keine in- ternationale Kontrolle mehr möglich ist, und dann ohne Ralf Göbel (CDU/CSU): unsere Beratung und Kontrolle eingesetzt werden könn- Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der ten. Damit wäre nun wirklich niemandem geholfen. Aufbau einer funktionierenden und rechtsstaatlich agie- (Beifall bei der FDP) renden Polizei in Afghanistan ist eines der wichtigsten Projekte zur Schaffung und Stabilisierung ziviler Struk- Ein weiterer wichtiger Punkt ist, dass die afghani- turen in Afghanistan. Deutschland hat dazu in der Ver- schen Polizeikräfte regelmäßig und in ausreichender gangenheit einen wichtigen Beitrag geleistet und wird Höhe bezahlt werden. Das ist sicherlich die beste Kor- auch in Zukunft eine wichtige Rolle bei der Polizeiaus- ruptionsvorsorge. Deutschland muss daher an entschei- bildung in Afghanistan spielen. 13008 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 124. Sitzung. Berlin, Freitag, den 9. November 2007

Ralf Göbel (A) Der Antrag der FDP-Fraktion kann hierzu heute aller- sich mit Herrn Solana getroffen hat, dieses Petitum vor- (C) dings nicht mehr die Grundlage bieten, und zwar nicht, getragen hat und sich nachhaltig dafür einsetzt. Wir weil die Zielsetzungen, die dort beschrieben sind, falsch brauchen hier aber die Unterstützung aller, damit unsere wären – im Gegenteil, wir sind uns in sehr vielen Berei- Polizeibeamten in Afghanistan ihren Dienst in relativer chen einig –, sondern allein deswegen, weil die Zeit im Sicherheit tun können. Grunde über diesen Antrag hinweggegangen ist und wir eine neue Ausgangslage haben. In diesem Zusammenhang möchte ich mich bei allen Polizeibeamtinnen und -beamten sowie den Soldaten, (Winfried Nachtwei [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- die in Afghanistan ihren Dienst tun, herzlich dafür be- NEN]: Unser Antrag ist sehr aktuell, oder?) danken, dass sie sich dieser Mission stellen. – Das ist wahr, Herr Nachtwei. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- neten der SPD und der FDP) Gleichwohl halten wir es für wichtig, dass im Zusam- menhang mit der Entwicklung in Afghanistan nicht nur Die deutsche Polizeimission hatte die Aufgabe, für das militärische Engagement Deutschlands im Deut- die Ausbildung der afghanischen Polizei zu sorgen. Ins- schen Bundestag debattiert wird. Beim Aufbau der Poli- gesamt waren 183 Polizeibeamte und 151 Kurzzeit- zei in Afghanistan ist Deutschland seit 2002 engagiert. experten in Afghanistan eingesetzt. Bund und Bundes- Wir waren die Leading Nation für diesen Teil der Schaf- länder waren daran beteiligt. Über 19 000 afghanische fung einer staatlichen Ordnung in Afghanistan. Deswe- Polizeibeamte sind seit 2002 ausgebildet worden. Ein gen ist es richtig, dass wir im Deutschen Bundestag auch Großteil von ihnen wurde in den für uns wichtigen The- über diesen Teil unseres Engagements in Afghanistan menbereichen Menschenrechtsschutz, moderne Polizei- diskutieren. technik und Polizeiführung, Kriminaltechnik und Ver- kehrswesen fortgebildet. Zusätzlich – das sage ich mit Die deutsche Mission ist durch eine Entscheidung des einem etwas kritischen Unterton – läuft die Ausbildung Außenministerrats vom 30. Mai dieses Jahres in eine eu- von Personen für den einfachen Dienst in Afghanistan. ropäische Mission überführt worden. Wir halten dies Diese Ausbildung wird von Amerika gesteuert und fi- grundsätzlich für richtig. Europa kann und muss sich ak- nanziert. Wer die Unterschiede zwischen der europäi- tiv und nachhaltig am Aufbau in Afghanistan beteiligen. schen und der amerikanischen Polizeiphilosophie kennt, Ich verhehle allerdings nicht, dass die Überführung in wird sehr schnell zu der Erkenntnis kommen, dass wir die europäische Mission mit Schwierigkeiten verbunden eine internationale Harmonisierung brauchen, damit war und, wie man hört, weiterhin Anlaufschwierigkeiten nicht zwei gegensätzliche Philosophien im gleichen bestehen. Land, in der gleichen Organisation, in der gleichen Poli- zei verfolgt werden. (B) Wir wissen alle, dass die Sicherheitslage in Afghanis- (D) tan alles andere als gut ist. Ich plädiere sehr dafür, dass (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie wir dies auch in öffentlicher Debatte immer wieder dar- bei Abgeordneten der FDP und des BÜND- stellen. Die Bevölkerung muss wissen, wohin wir unsere NISSES 90/DIE GRÜNEN) Soldaten und Polizeibeamten schicken und welchen Ge- fährdungssituationen sie in diesem Land ausgesetzt sind. Wir haben Modelle für Organisations-, Dienst- und Das gehört zu einer transparenten Debatte über dieses Gehaltsstrukturen entwickelt. Diese Modelle wurden Thema unabdingbar dazu. auch in die Tat umgesetzt. Wir haben also Grundstruktu- ren für eine funktionsfähige Polizei geschaffen. Aber wir (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. müssen feststellen, dass dies noch nicht ausreichend ist, Winfried Nachtwei [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- um wirklich stabile Strukturen in Afghanistan herzustel- NEN]) len; Frau Piltz hat das bereits angesprochen. Es ist auch richtig, dass das mit der Polizei korrespondierende Jus- Bei Anschlägen sind deutsche Soldaten und auch tizsystem nicht so funktioniert, wie wir uns das vorstel- Polizeibeamte nicht nur gefährdet worden, sondern es len. Wir sind also noch ein ganzes Stück von dem Ziel sind auch einige ums Leben gekommen. Auch in dieser der Herstellung einer stabilen Ordnung in Afghanistan Woche hatten wir wieder einen Beweis für die Gefähr- entfernt. Aber der Grundansatz, den wir gewählt haben, lichkeit der Situation in Afghanistan. Bei dem schreckli- ist richtig. chen Anschlag am Dienstag sind Parlamentskollegen aus Afghanistan ums Leben gekommen. Dieser Anschlag Wir bilden in Afghanistan diejenigen Frauen und hat im deutschen Verantwortungsbereich stattgefunden. Männer aus, die später in ihrem Land verantwortlich Das macht deutlich, dass wir uns in einem gefährlichen Aufgaben zur Schaffung von Sicherheit und Ordnung Land bewegen. übernehmen sollen. Wir versetzen sie in die Lage, selbst- ständig die Ordnung zu entwickeln, die für ihr eigenes Gerade deshalb tragen wir eine besondere Verantwor- Land die richtige Ordnung ist. Es geht nicht darum, tung und müssen alles dafür tun, dass die Soldaten und Afghanistan etwas überzustülpen. Das Land muss seinen Polizeibeamten den besten Schutz erhalten, der unter eigenen Weg gehen. Wir müssen den Afghanen jedoch diesen Umständen möglich ist. Aus diesem Grund geht so lange helfen, bis sie in der Lage sind, sich selbst zu an den Außenminister meine Bitte, im Rahmen der helfen und ihr Land nach ihren eigenen Vorstellungen neuen Mission auf der europäischen Ebene dafür zu sor- friedlich weiterzuentwickeln. gen, dass die Polizeibeamten der europäischen Mission mit allem ausgestattet werden, was sie zu ihrem Schutz Ich bin zutiefst davon überzeugt, dass nur derjenige, benötigen. Ich weiß, dass Bundesinnenminister Schäuble der seine Ordnung selbst entwickelt hat und in dieser Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 124. Sitzung. Berlin, Freitag, den 9. November 2007 13009

Ralf Göbel (A) Ordnung lebt, bereit ist, diese Ordnung gegen Angriffe gen. Wir alle müssen daran arbeiten, alle Länder in der (C) von innen und außen zu verteidigen. Die Basis einer Europäischen Union, in Deutschland der Bund und die friedlichen Entwicklung sind – das wurde bereits ange- Bundesländer, und zwar nach den Grundsätzen, die wir sprochen; darin sind wir uns alle einig – die Menschen- auch bisher beachtet haben, dass die Polizeibeamten, die rechte, die Gleichheit vor dem Gesetz, der Schutz der dort ihren Dienst verrichten, dies auf freiwilliger Basis Bevölkerung vor Gefahren und die demokratische Ver- tun. Es darf kein Bundesland gezwungen werden, Poli- fasstheit des Staates. Dies tragen wir durch die Polizei- zeibeamte in ein bestimmtes Land zu schicken. Im An- ausbildung nach Afghanistan. So sorgen wir dafür, dass trag der Grünen wird Bayern lobend erwähnt. Dazu will die ausgebildeten Polizeibeamten dies wiederum als ich nur sagen: Das Bundesland Bayern stellt Polizeibe- Multiplikatoren in das gesamte Land tragen. amte auch in größerer Zahl für internationale Missionen. Es sind keine dabei, die nach Afghanistan gehen, aber es Die Ausbildung kann im Grunde nur mit der entspre- sind Polizeibeamte dabei, die in anderen Ländern wich- chenden Ausstattung umgesetzt werden. Wir haben bei tige Dienste tun. den schweren Unruhen in Kabul 2006 gesehen, dass die afghanische Bereitschaftspolizei nicht in der Lage war, (Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- mit verhältnismäßigen Mitteln dagegen vorzugehen. NEN]: Mehr haben wir auch nie behauptet! Frau Piltz hat den allgemeinen Grundsatz angesprochen, Nur, dass Bayern sich weigert, in Afghanistan wonach die Bundesrepublik Deutschland keine Gegen- tätig zu werden, ist ein Skandal!) stände an Staaten liefert, die zur Anwendung unmittelba- ren Zwanges geeignet sind. Dieser Grundsatz wurde für Am Ende will ich sagen: Der Einsatz verlangt En- Afghanistan durch eine Entscheidung des Innen- und des gagement, der Einsatz verlangt Geduld. Wir haben die Außenministers aufgehoben. Wir liefern nun auch Ein- Erfahrung auf dem Balkan gemacht, wie lange es dauert satzmittel nach Afghanistan, die geeignet sind, unmittel- und wie viele kleine Schritte notwendig sind, um einen baren Zwang auszuüben. Wir haben dies übrigens schon Stabilisierungsprozess so zu gestalten, dass am Ende einmal getan. Wir haben bei den damaligen Unruhen auf auch das Ziel, nämlich eine stabile Gesellschaft, erreicht dem Balkan durch eine besondere Entscheidung zugelas- wird. Ich bin davon überzeugt, dass wir in Afghanistan sen, dass Reizgas in schwierigen Situationen eingesetzt noch viele Schritte brauchen werden, um dieses Ziel zu werden kann, obwohl es bei uns in der Bundesrepublik erreichen. Aber ich glaube auch, jeder erreichte Schritt Deutschland nicht eingesetzt werden darf. ist ein großer Fortschritt und bringt uns diesem Ziel nä- her, auch wenn wir sicherlich noch viele Jahre über un- Wir sind aktiv auch beim Aufbau von Polizeistatio- ser Engagement in Afghanistan in diesem Hause werden nen, sozusagen der Infrastruktur der afghanischen Poli- diskutieren müssen. zei. Wir haben an zwölf Standorten Polizeigebäude er- Herzlichen Dank. (B) richtet. Wir helfen zudem beim Aufbau von (D) Drogenbekämpfungseinheiten; das ist ein wichtiger (Beifall bei der CDU/CSU) Punkt. Ich sage offen und klar: Die Entwicklung des Drogenanbaus in Afghanistan bereitet uns Sorge, ge- Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: nauso wie die Tatsache, dass die internationale Gemein- Ich unterbreche die Aussprache und gebe Ihnen das schaft nicht in der Lage ist, dieses Phänomen so einzu- von den Schriftführerinnen und Schriftführern ermittelte dämmen, wie es sein müsste. In Afghanistan müssen Ergebnis der namentlichen Abstimmung über den Ge- vermehrt Anstrengungen zur Bekämpfung des Dro- setzentwurf der Bundesregierung zur Neuregelung der genanbaus, aber auch zur Schaffung alternativer Er- Telekommunikationsüberwachung und anderer verdeck- werbsquellen für diejenigen, die die Drogen anbauen, ter Ermittlungsmaßnahmen sowie zur Umsetzung der unternommen werden. Richtlinie 2006/24/EG bekannt. Abgegebene Stimmen Alles hängt mit allem zusammen. Es bedarf eines ins- 524. Mit Ja haben gestimmt 366, mit Nein haben ge- gesamt kohärenten, großen Ansatzes, um den Friedens- stimmt 156, zwei Enthaltungen. Der Gesetzentwurf ist und Stabilisierungsprozess in Afghanistan voranzubrin- damit angenommen.

Endgültiges Ergebnis Peter Albach Antje Blumenthal Abgegebene Stimmen: 524; Dr. Maria Böhmer Marie-Luise Dött davon Dorothee Bär Maria Eichhorn Thomas Bareiß Wolfgang Börnsen Dr. Stephan Eisel ja: 366 (Bönstrup) (Lübeck) nein: 156 Dr. enthalten: 2 Günter Baumann Klaus Brähmig Ernst-Reinhard Beck Michael Brand Ingrid Fischbach Ja (Reutlingen) Hartwig Fischer (Göttingen) Dr. Dirk Fischer (Hamburg) Dr. Monika Brüning CDU/CSU Axel E. Fischer (Karlsruhe- Land) Ulrich Adam Cajus Caesar Dr. Maria Flachsbarth Klaus-Peter Flosbach 13010 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 124. Sitzung. Berlin, Freitag, den 9. November 2007

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms (A) Paul Lehrieder Michael Stübgen Iris Gleicke (C) Dr. Hans-Peter Friedrich Hans Peter Thul Günter Gloser (Hof) Renate Gradistanac Erich G. Fritz Dr. Michael Luther Dr. Hans-Peter Uhl Angelika Graf (Rosenheim) Hans-Joachim Fuchtel (Altötting) Arnold Vaatz Dieter Grasedieck Dr. Jürgen Gehb Wolfgang Meckelburg Volkmar Uwe Vogel Norbert Geis Dr. Andrea Astrid Voßhoff Gabriele Groneberg Gerhard Wächter Achim Großmann Ralf Göbel (Hamm) Wolfgang Grotthaus Josef Göppel Hans-Joachim Hacker Dr. Wolfgang Götzer Dr. h. c. Ute Granold Philipp Mißfelder Peter Weiß (Emmendingen) Klaus Hagemann Dr. Eva Möllring Gerald Weiß (Groß-Gerau) Alfred Hartenbach Hermann Gröhe Dr. Gerd Müller Nina Hauer Michael Grosse-Brömer Hildegard Müller Karl-Georg Wellmann Markus Grübel Carsten Müller Annette Widmann-Mauz Dr. Reinhold Hemker (Braunschweig) Klaus-Peter Willsch Rolf Hempelmann Monika Grütters Bernward Müller (Gera) Wolfgang Zöller Dr. Barbara Hendricks Dr. Karl-Theodor Freiherr zu Willi Zylajew Guttenberg Dr. Georg Nüßlein Gabriele Hiller-Ohm Franz Obermeier SPD Stephan Hilsberg Holger Haibach (Essen) Niels Annen (Wismar) Ursula Heinen Rita Pawelski Ingrid Arndt-Brauer Frank Hofmann (Volkach) Uda Carmen Freia Heller Ulrich Petzold Klaas Hübner Dr. Ernst Bahr (Neuruppin) Christel Humme Jürgen Herrmann Sibylle Pfeiffer Lothar Ibrügger Ernst Hinsken Dr. Hans-Peter Bartels Josip Juratovic Johannes Kahrs Robert Hochbaum Daniela Raab Sören Bartol Ulrich Kasparick Klaus Hofbauer Sabine Bätzing Dr. h. c. Susanne Kastner Franz-Josef Holzenkamp Hans Raidel Joachim Hörster Dr. Klaus Uwe Benneter Astrid Klug Anette Hübinger Dr. Axel Berg Dr. Bärbel Kofler Hubert Hüppe (Potsdam) (B) (D) Susanne Jaffke Fritz Rudolf Körper Dr. Franz Romer Lothar Binding (Heidelberg) Rolf Kramer Dr. Hans-Heinrich Jordan Johannes Röring Dr. Kurt J. Rossmanith Anette Kramme (Konstanz) Dr. Norbert Röttgen Ernst Kranz Gerd Bollmann Bartholomäus Kalb (Weiden) Nicolette Kressl Dr. Gerhard Botz Hans-Werner Kammer Peter Rzepka Volker Kröning Steffen Kampeter Anita Schäfer (Saalstadt) Klaus Brandner Dr. Hans-Ulrich Krüger Hermann-Josef Scharf Angelika Krüger-Leißner Bernhard Kaster Dr. Wolfgang Schäuble (Hildesheim) Jürgen Kucharczyk Siegfried Kauder (Villingen- Hartmut Schauerte Helga Kühn-Mengel Schwenningen) Dr. Andreas Scheuer Marco Bülow Ute Kumpf Volker Kauder Karl Schiewerling Dr. Uwe Küster Norbert Schindler Dr. Michael Bürsch Christine Lambrecht Jürgen Klimke Georg Schirmbeck Christian Lange (Backnang) Julia Klöckner Andreas Schmidt (Mülheim) Marion Caspers-Merk Waltraud Lehn (Berlin) Dr. Peter Danckert Helga Lopez Kristina Köhler (Wiesbaden) Dr. Gabriele Lösekrug-Möller Manfred Kolbe Dr. Ole Schröder Martin Dörmann Dirk Manzewski Norbert Königshofen Bernhard Schulte-Drüggelte Dr. Carl-Christian Dressel Lothar Mark Hartmut Koschyk Detlef Dzembritzki Thomas Kossendey Wilhelm Josef Sebastian Katja Mast Siegmund Ehrmann Hilde Mattheis Dr. Günter Krings Kurt Segner Markus Meckel Dr. Martina Krogmann Bernd Siebert Petra Ernstberger Petra Merkel (Berlin) Johann-Henrich Annette Faße Ulrike Merten Krummacher Johannes Singhammer Elke Ferner Dr. Matthias Miersch Dr. Hermann Kues Ursula Mogg Dr. Karl A. Lamers Rainer Fornahl Marko Mühlstein (Heidelberg) Christian Freiherr von Stetten Gabriele Frechen Detlef Müller (Chemnitz) Andreas G. Lämmel Gero Storjohann Peter Friedrich Michael Müller (Düsseldorf) Dr. Norbert Lammert Andreas Storm Gesine Multhaupt Dr. Max Lehmer Martin Gerster Dr. Rolf Mützenich Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 124. Sitzung. Berlin, Freitag, den 9. November 2007 13011

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms (A) Andrea Nahles Waltraud Wolff Patrick Meinhardt Dr. (C) (Wolmirstedt) Jan Mücke Holger Ortel Heidi Wright Burkhardt Müller-Sönksen Jörn Wunderlich Heinz Paula Dirk Niebel Sabine Zimmermann Johannes Pflug Manfred Zöllmer Hans-Joachim Otto Christoph Pries Brigitte Zypries (Frankfurt) BÜNDNIS 90/ Dr. Wilhelm Priesmeier Cornelia Pieper DIE GRÜNEN Gisela Piltz Nein Dr. Jörg Rohde (Bremen) Mechthild Rawert CDU/CSU Frank Schäffler Volker Beck (Köln) (Cottbus) Dr. Dr. Hans Georg Faust Gerold Reichenbach Dr. Christel Riemann- Dr. Hermann Otto Solms Dr. Rolf Koschorrek Hanewinckel Dr. Grietje Bettin Dr. Rainer Stinner René Röspel Carl-Ludwig Thiele Hans-Josef Fell SPD Dr. Ernst Dieter Rossmann Katrin Göring-Eckardt Karin Roth (Esslingen) Wolfgang Gunkel Christoph Waitz Michael Roth (Heringen) Petra Heß Dr. Guido Westerwelle Anton Schaaf Eike Hovermann Dr. Claudia Winterstein Britta Haßelmann Axel Schäfer (Bochum) Ulrich Kelber Dr. Bernd Scheelen Sönke Rix Hartfrid Wolff (Rems-Murr) Winfried Hermann Frank Schwabe Peter Hettlich Jörn Thießen Priska Hinz (Herborn) Dr. Frank Schmidt DIE LINKE Ulrike Höfken (Aachen) FDP Dr. Anton Hofreiter Hüseyin-Kenan Aydin Bärbel Höhn Silvia Schmidt (Eisleben) Jens Ackermann Dr. Heinz Schmitt (Landau) Thilo Hoppe Christian Ahrendt Ute Koczy (Erfurt) Dr. Lothar Bisky (Münster) Fritz Kuhn Olaf Scholz Uwe Barth Eva Bulling-Schröter Renate Künast Reinhard Schultz Rainer Brüderle Dr. Markus Kurth (Everswinkel) Roland Claus (B) Undine Kurth (Quedlinburg) (D) (Spandau) Sevim Dağdelen Monika Lazar Ewald Schurer Patrick Döring Dr. Dagmar Enkelmann Anna Lührmann Dr. Angelica Schwall-Düren Mechthild Dyckmans Diana Golze Nicole Maisch Dr. Martin Schwanholz Jörg van Essen Dr. Jerzy Montag Ulrike Flach Heike Hänsel Kerstin Müller (Köln) Wolfgang Spanier Otto Fricke Lutz Heilmann Winfried Nachtwei Dr. Margrit Spielmann Horst Friedrich (Bayreuth) Hans-Kurt Hill Jörg-Otto Spiller Dr. Edmund Peter Geisen Cornelia Hirsch Dr. Ditmar Staffelt Dr. Inge Höger Brigitte Pothmer Dieter Steinecke Hans-Michael Goldmann Dr. Barbara Höll (Augsburg) Andreas Steppuhn Miriam Gruß Rolf Stöckel Joachim Günther (Plauen) Dr. Lukrezia Jochimsen Christine Scheel Christoph Strässer Dr. Christel Happach-Kasan Dr. Hakki Keskin Irmingard Schewe-Gerigk Joachim Stünker Heinz-Peter Haustein Dr. Dr. Rainer Tabillion Jan Korte Rainder Steenblock Jella Teuchner Birgit Homburger Silke Stokar von Neuforn Dr. h. c. Wolfgang Thierse Dr. Ulrich Maurer Hans-Christian Ströbele Rüdiger Veit Dorothée Menzner Dr. Harald Terpe Simone Violka Dr. Heinrich L. Kolb Kornelia Möller Jürgen Trittin Jörg Vogelsänger Hellmut Königshaus Kersten Naumann Wolfgang Wieland Dr. Marlies Volkmer Gudrun Kopp Wolfgang Nešković Josef Philip Winkler Hedi Wegener Jürgen Koppelin Dr. Andreas Weigel Heinz Lanfermann fraktionslos Petra Weis Sibylle Laurischk Elke Reinke Gert Winkelmeier Gunter Weißgerber Harald Leibrecht Paul Schäfer (Köln) Ina Lenke Vol ker Sc hne i de r Enthaltung (Wiesloch) Sabine Leutheusser- (Saarbrücken) Dr. Schnarrenberger Dr. Ilja Seifert SPD Lydia Westrich Michael Link (Heilbronn) Dr. Dr. Markus Löning Frank Spieth Dr. Engelbert Wistuba Horst Meierhofer Dr. 13012 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 124. Sitzung. Berlin, Freitag, den 9. November 2007

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms (A) Ich muss Dem tragen weder die Regierungspolitik noch die EU- (C) POL-Strategie noch die beiden hier vorliegenden An- (Zuruf von der SPD: Beichten! – Heiterkeit) träge Rechnung. Sie noch bitten, über einen Entschließungsantrag der Die US-amerikanische Schnellausbildung für Polizis- FDP abzustimmen, den ich vorhin versehentlich nicht ten durch private Sicherheitsfirmen ist völlig untauglich zur Abstimmung vorgelegt habe. und gefährlich. Doch auch die deutsche Polizeiausbil- (Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- dung erhält durch den Einsatz von Feldjägern und eines NEN]: Wir wollen Ihnen keine Absicht unter- früheren GSG-9-Generals eine paramilitärische Ausrich- stellen! – Heiterkeit) tung. EUPOL ist nach den Angaben des Generalsekreta- riats des EU-Rates eng mit der NATO und den USA ver- Es handelt sich um den Entschließungsantrag der FDP- knüpft. Eine neutrale Polizeiausbildung sieht anders aus. Fraktion auf Drucksache 16/7017. Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? – Gegenstimmen? – Enthaltun- Der Antrag der FDP problematisiert an keiner Stelle gen? – Der Entschließungsantrag ist mit den Stimmen die Instrumentalisierung der Polizei für militärische Auf- der Koalitionsfraktionen und der Fraktion Bündnis 90/ gaben. Die Grünen scheinen das Dilemma immerhin er- Die Grünen bei Zustimmung der FDP und der Fraktion kannt zu haben. Das, was sie daraus folgern, ist jedoch Die Linke abgelehnt. ein abenteuerlicher Vorschlag, nämlich, eine separate Gendarmerietruppe aufzubauen. Zu deren Aufbau soll Wir können dann mit der Aussprache fortfahren. Ich die paramilitärische European Gendarmerie Force heran- gebe das Wort der Kollegin Inge Höger von der Fraktion gezogen werden. Dieser Vorschlag ist aus Sicht der Lin- Die Linke. ken inakzeptabel. (Beifall bei der LINKEN) (Beifall bei der LINKEN) Polizeiausbildung an sich ist kein Heilsweg. Das ist Inge Höger (DIE LINKE): klar, es sei denn, man verschließt die Augen vor der Rea- Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Afghanis- lität. Wer Polizisten in größerem Umfang ausbilden will, tan braucht Frieden, Afghanistan braucht Stabilität, aber muss auch Lösungen für das Problem der Desertion fin- vor allem braucht Afghanistan eine Entwicklungsper- den. Eine beträchtliche Anzahl der ausgebildeten Poli- spektive. zisten verlassen ihre Dienstposten und suchen sich an- (Beifall bei der LINKEN) dere Auftraggeber: private Sicherheitsdienste, Warlords, Drogenmafia oder Talibanverbände. Dies betrifft übri- Eine funktionierende Polizei im Rahmen eines zuverläs- gens nicht nur die schlecht ausgebildeten Hilfspolizisten. (B) sigen Justizsystems könnte dabei eine wichtige Rolle (D) spielen. Tatsache ist jedoch, dass die Polizei zurzeit we- (Ralf Göbel [CDU/CSU]: Das ist doch keine nig Vertrauen in der Bevölkerung genießt. Nach aktuel- Desertion!) len Umfragen wenden sich die Menschen in Afghanistan Es darf nicht sein, dass durch Polizeiausbildung und mehrheitlich an traditionelle Autoritäten, um Dispute zu -ausrüstung das Gewaltpotenzial in Afghanistan noch lösen. Polizeikräfte werden von der Bevölkerung häufig verstärkt wird. Wichtig ist deswegen in erster Linie nicht als Bedrohung erlebt. Dieses Misstrauen gegenüber der die Quantität der Ausbildung, sondern die Qualität des Polizei hat im Wesentlichen zwei Ursachen: Einerseits Gesamtkonzeptes. machen sich Willkür und Korruption auf allen Ebenen des Polizeiapparates breit – auch bei gut ausgebildeten (Beifall bei der LINKEN) Polizistinnen und Polizisten –, andererseits werden Poli- zisten in militärischen Auseinandersetzungen zu Tätern Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: und zu Opfern. Polizisten werden als Kanonenfutter der Das Wort hat der Kollege Wolfgang Gunkel für die NATO verheizt. Gleichzeitig werden sie von Teilen der SPD-Fraktion. Bevölkerung nur als verlängerter Arm der militärischen (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Besatzung gesehen. Um es klar zu sagen: Die Polizei- kräfte in Afghanistan sind momentan in die militärischen Aktivitäten von ISAF und OEF integriert, Wolfgang Gunkel (SPD): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die (Beifall bei der LINKEN) Kolleginnen und Kollegen der FDP-Fraktion und in ziel- und das sowohl auf der Ebene der Ausbildung als auch sicherer Kurzfristigkeit natürlich auch die Kollegen vom bei Einsätzen. Eine solche Vermischung von militäri- Bündnis 90/Die Grünen haben uns jeweils einen Antrag schen und polizeilichen Aufgaben ist nicht akzeptabel. vorgelegt, die sich nach meiner Lesart insbesondere mit fünf Problembereichen rund um den deutschen Beitrag (Beifall bei der LINKEN) zum Wiederaufbau der Polizei in Afghanistan befassen. Wenn die Menschen in Afghanistan eine auch nur an- Darauf möchte ich hier kurz eingehen. Vom Kollegen nähernd vertrauenswürdige Polizei bekommen sollen, Göbel ist die grundsätzliche Auffassung der Bundesre- dann muss Folgendes berücksichtigt werden: Erstens gierung hierzu schon dargestellt worden. Wir müssen Trennung von Militär und zweitens Rechtsstaatlichkeit. dennoch feststellen, dass die fünf umrissenen Problem- bereiche sicherlich diskussionswürdig sind. Die von der (Beifall bei der LINKEN) FDP und von den Grünen formulierten Forderungen sind Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 124. Sitzung. Berlin, Freitag, den 9. November 2007 13013

Wolfgang Gunkel (A) nicht von vornherein abzulehnen; vielmehr beinhalten Dienst eine Pflicht zu konstruieren. Die Freiwilligkeit (C) sie einiges Wahres. war bisher das Entscheidende. Wir haben ja bisher in Deutschland auch keine Bürgerkriegspolizei ausgebildet, Damit nicht der Eindruck entsteht, hier wäre in den sondern eine zivile Polizei ausgebildet, die den hier be- vergangenen Jahren nichts gemacht worden, will ich ein- stehenden Aufgaben gerecht werden kann. mal herausstellen, was aus unserer Sicht im Einzelnen bewegt worden ist. (Beifall bei Abgeordneten der SPD, der FDP und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Die Notwendigkeit des Ob des Polizeiaufbaus wird Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- glücklicherweise von keinem bezweifelt. In beiden An- NEN]: Und das soll auch so bleiben!) trägen wird zu Recht festgestellt, dass wir ohne eine sich selbst tragende, ihrer Aufgabe gerecht werdende, nach Das bedeutet: Wenn eine gesetzliche Regelung beschlos- zivilen und menschenrechtlichen Standards arbeitende sen wird, sollte ebenso ein Parlamentsvorbehalt darin afghanische Polizeistruktur einen der wichtigsten enthalten sein, wie es bei der Entsendung von Bundes- Grundsteine zum Wiederaufbau Afghanistans noch nicht wehrsoldaten der Fall ist. Das muss noch einmal deutlich gelegt haben. Das ist wahrlich richtig. Deswegen will ich gesagt werden. Folgendes anführen: (Beifall bei Abgeordneten der SPD und des Zunächst einmal ist mir aufgefallen, dass es um die fi- BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) nanzielle und personelle Beteiligung Deutschlands an der Polizeiausbildung vor Ort geht. Dazu ist festzustel- Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir müssen uns im len, dass die finanzielle Untersetzung des Polizeiprojekts Klaren darüber sein, was wir den Beamten derzeit zumu- natürlich eine politische Entscheidung ist. Das ist auch ten wollen. Das Bundesinnenministerium hat dazuge- in der vergangenen Woche an höchster Stelle noch ein- lernt, dass die seit 2001 unter alleiniger deutscher Füh- mal deutlich geworden, als sich die Bundeskanzlerin für rung stehende Ausbildung nicht ausgereicht hat, um eine Aufstockung der Mittel für den Polizeiaufbau aus- einen Aufbau in Gänze zu ermöglichen. Deshalb hat gesprochen hat. Das begrüßen wir als SPD-Fraktion aus- man beschlossen, diese zu internationalisieren und die drücklich. EU zur Unterstützung mit heranzuziehen. Die entspre- chenden Bestimmungen hat Herr Göbel zitiert; ich will Hinsichtlich der Erhöhung der Anzahl der Einsatz- sie nicht noch einmal wiederholen. Das bringt aber mit kräfte müssen wir uns immer zweier Tatsachen bewusst sich, dass das deutsche Kontingent von 40 Beamten auf sein: 60 Beamte aufgestockt werden soll. Insgesamt sollen Erstens. Die Polizeibeamtinnen und -beamten werden 195 Polizeibeamte der EU tätig werden. Dieser Aufbau (B) nicht angewiesen, sondern sie melden sich freiwillig für der Kräfte soll bis Mitte 2008 vollzogen sein. Es ist be- (D) derartige Auslandsverwendungen. kannt, dass das zurzeit noch ein bisschen stockt. Das hat verschiedene Ursachen, unter anderem sind sie darin zu (Beifall bei Abgeordneten der SPD) suchen, dass die EU nicht genügend gepanzerte Fahr- Das darf man nicht vergessen. Das unterscheidet sich zeuge zur Verfügung stellt und man sich in keiner Weise deutlich davon, wie die Bundeswehr ihre Einsatzkräfte um eine Klärung der Wohnmöglichkeiten für die Polizei- für Auslandseinsätze erhält. Sobald wir also beschließen, beamten bemüht hat. mehr deutsche Polizisten zu entsenden, müssen wir auch (Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- verstärkt um sie werben. Hierbei sind natürlich der Bun- NEN]: Aber das ist doch ein Skandal, Herr desinnenminister und insbesondere die Länderinnenmi- Kollege!) nister gefordert, Voraussetzungen dafür zu schaffen, dass sich mehr Polizeibeamte freiwillig für einen Auslands- Des Weiteren soll der Mittelansatz für den Polizeiauf- einsatz entscheiden. bau von bisher 12 Millionen Euro auf 20 Millionen Euro im nächsten Jahr erhöht werden. Das sind alles Schritte (Beifall bei Abgeordneten der SPD – in die richtige Richtung. Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Das muss attraktiver werden!) (Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) – Das muss attraktiver werden, sehr richtig, Herr Wieland. – Es kann nicht sein, dass für die Beamtinnen Aber diese sind noch längst nicht ausreichend. Wir hof- und Beamten im Kosovo entschieden bessere Bedingun- fen aber, dass man da noch einmal nachbessern kann. gen – sowohl bezüglich der Unterbringung und anderer (Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Umstände als auch bezüglich der Bezahlung – herr- NEN]: So ist es!) schen, als es für diejenigen in Afghanistan der Fall ist. Ich komme jetzt zu einem Komplex, der in Ihren An- (Beifall des Abg. Detlef Dzembritzki [SPD] trägen immer wieder eine Rolle spielt: die materielle sowie des Abg. Wolfgang Wieland [BÜND- Ausstattung der Polizistinnen und Polizisten. Wir haben NIS 90/DIE GRÜNEN]) ja schon von Herrn Göbel gehört, dass bisher strenge Re- Zweitens müssen wir uns auch noch einmal mit den striktionen bezüglich der Ausfuhr von sogenannten Forderungen der Gewerkschaften auseinandersetzen; Hilfsmitteln zur Ausübung körperlichen Zwangs existie- denn nach Ansicht der Gewerkschaften darf keineswegs ren. Aber für die 500 Einsatzkräfte der Bereitschaftspoli- versucht werden, per Gesetz aus diesem freiwilligen zei in Kabul stehen ab Dezember dieses Jahres Körper- 13014 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 124. Sitzung. Berlin, Freitag, den 9. November 2007

Wolfgang Gunkel (A) schutzausstattung, Schilde, Helme, Schlagstöcke, Leute ausgebildet. Ich glaube, dass dem in der nächsten (C) Handschellen, Handschuhe und Reizstoffsprühgeräte zur Zeit, wenn mehr Ausbilder zur Verfügung stehen, abge- Verfügung. Das ist auch wieder ein Schritt, der zur wei- holfen werden kann. teren Verbesserung der Situation beiträgt. Wir können also feststellen, dass sich durchaus Verbesserungen erge- Ich rede hier keineswegs einem Konzept von parami- ben haben, und ich glaube, dass es auch in der nächsten litärischen Einheiten das Wort. Wer hier Gendarmerie- Zeit noch weitere Verbesserungen geben wird. einheiten aufstellen will, die man nur halbwegs als Gen- darmerie bezeichnen kann, weil sie zugleich militärische Bezüglich der materiellen Dimension des Polizeiauf- Aufträge haben, dem sage ich: Das soll nicht das Ziel baus stellt sich weiterhin die Frage, wie die Besoldung sein. Es soll schon weiter Polizeiarbeit geleistet werden. zu handhaben und die damit einhergehende Korruption zu beherrschen ist. Die Besoldung der Polizeibedienste- (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/ ten in Afghanistan erfolgt ja nicht durch die afghanische DIE GRÜNEN) Regierung, sondern der sogenannte LOTFA, der Law Das muss man dann voneinander trennen und diese Auf- and Order Trust Fund for Afghanistan, organisiert die gaben dem militärischen Einsatz zuschreiben. Dann Bezahlung und führt sie durch. An dem Gesamtbeitrag bleibt man korrekt. Das wollte ich hier unbedingt er- der EU in Höhe von 35 Millionen Euro beteiligt sich die wähnt haben. Bundesrepublik im nächsten Jahr mit 5 Millionen Euro. Diesen maßgeblichen Beitrag wird sie auch in den fol- Zum Schluss will ich in einem letzten Punkt noch die genden Jahren aufrechterhalten. weitere Entwicklung ansprechen: Die EU-Mission hat im Wesentlichen das deutsche Modell übernommen. Es Ein weiterer Punkt: Die Gehälter der Polizisten sind bleibt dabei, dass die Polizei nach europäischen Verhält- im September 2007 von 70 US-Dollar auf 100 US-Dol- nissen ausgebildet werden soll. Zusätzlich führen zehn lar angehoben worden. Damit kommen die Polizisten in deutsche Polizeibeamte in einem Projektteam Trainings- etwa auf den niedrigsten Betrag, den ein Soldat erzielt. maßnahmen für die EUPOL-Afghanistan durch. Es wer- Letztere werden aber nach wie vor im Durchschnitt bes- den also Bau- und Ausstattungsprojekte zusammen ser bezahlt. Auch diese Erhöhung ist noch nicht das durchgeführt. Von daher glaube ich, dass auch in dieser Gelbe vom Ei, aber ein Schritt in die richtige Richtung. Hinsicht Weiteres zu erwarten ist. Hinsichtlich der Korruptionsmaßnahmen fordern Sie Insgesamt komme ich zu dem Ergebnis: Der Antrag von den Grünen in Ihrem Antrag, dass man der afghani- der FDP ist etwas überholt. Der grüne Antrag enthält ei- schen Regierung gegebenenfalls die Gelder sperren soll. niges Richtige, zu dem wir Stellung beziehen müssen. (B) (Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Wir von der Regierungskoalition glauben aber, sie zum (D) NEN]: Da sind wir rigoros!) jetzigen Zeitpunkt ablehnen zu müssen. Die weitere Ent- wicklung wird zeigen, dass es richtig ist, den Aufbau der Ich glaube nicht, dass das der richtige Weg ist. Ich ver- Polizei in Ruhe zu vollziehen, statt, wie im Antrag gefor- mute, dass die Polizisten dann gar nicht mehr bezahlt dert, drastisch zu beschleunigen. Denn auf diese Weise werden würden, weil dann diejenigen, die Sie treffen wird sie ebenso wie das Militär die Aufgaben zur Zufrie- wollen, Gelder aus anderen Kanälen umleiten werden. denheit aller erledigen können. So könnte es dazu kommen, dass die Polizisten leer aus- gehen. Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit. (Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten NEN]: Unsere bezahlen wir dann direkt!) der CDU/CSU) Ich glaube, dass ist eher ein scherzhafter, aber jedenfalls kein überzeugender Beitrag, um die Korruption zu be- Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: kämpfen. Dazu sind andere Dinge erforderlich, aber die Winfried Nachtwei spricht jetzt für Bündnis 90/Die können jetzt in der Kürze der Zeit von mir hier nicht dar- Grünen. gelegt werden. Ich komme noch zu einem weiteren Punkt. Gefordert Winfried Nachtwei (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): wird, dass das bisherige Konzept für den Polizeiwieder- Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! aufbau Afghanistan verändert wird. Dem stimmen wir Im November 2002 hatten wir Gelegenheit, mit einer durchaus zu, aber wir haben uns natürlich schon sehr ge- Delegation des Verteidigungsausschusses das deutsche wundert, dass Sie von der FDP-Fraktion die Qualität der Polizeiprojektbüro in Kabul zu besuchen; wir taten das Ausbildung infrage stellen. Gerade die Qualität der Aus- aus der Erkenntnis heraus, von welch entscheidender bildung war bisher anerkannt. Bisher fehlte es an der Bedeutung der Polizeiaufbau bei einem solchen Stabili- zeitlichen Komponente und der Quantität. sierungsprozess ist. Wir erfuhren damals, wie die Aus- (Gisela Piltz [FDP]: Ich glaube, dass Sie nicht gangsbedingungen waren: 20 Jahre lang keine Polizei- richtig zugehört haben!) ausbildung, eine ganze Generation für die Polizei verloren; dann die kriegerischen Auseinandersetzungen Die Leute für den mittleren und gehobenen Dienst, die mit 600 000 Bewaffneten im Land; die sogenannte Poli- dort ausgebildet worden sind, sind hervorragend ausge- zei in Kabul hatte nichts an technischer Ausstattung, bildet. Nur, wir haben in der Zeit eben nicht genügend kein Funkgerät, nur zehn Pkws, die von irgendwelchen Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 124. Sitzung. Berlin, Freitag, den 9. November 2007 13015

Winfried Nachtwei (A) Privaten zur Verfügung gestellt worden waren. Das wa- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) (C) ren die Ausgangsbedingungen. Inzwischen dringt EUPOL weniger nach außen als vor- Was die zwölf Beamtinnen und Beamten in diesem her das deutsche Polizeiprojekt. Es gibt keine zusätzli- ersten Jahr, mit Unterstützung des Technischen Hilfs- chen Fahrzeuge, der Aufgabenzuschnitt wurde begrenzt. werkes, hinbekommen haben, war bewundernswert. EUPOL hat nichts mit der unmittelbaren Fort- und Aus- bildung zu tun und verfügt über keine Projektgelder, was (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN dort das A und O ist. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD und der Abg. Gisela Piltz [FDP]) Wenn bei der europäischen Polizeimission nicht eine Zu dem Zeitpunkt waren zum Beispiel auf der Polizei- schnelle Wende zum Besseren eintritt, dann ist ein Scheitern dieses für die Stabilisierung Afghanistans akademie schon 1 400 Polizeischüler des mittleren und wichtigen Eckpfeilers programmiert. Eine zweite Folge gehobenen Dienstes. Was da geschafft wurde, war gut. wäre, dass die Amerikaner dann einfach alles überneh- In den Jahren danach habe ich bei mehreren weiteren men, aber im Hinblick auf die Polizei eine Richtung ein- Afghanistan-Besuchen wirklich erfahren, was für einen schlagen werden, mit der wir alle nicht einverstanden guten Dienst diese kleine Gruppe von Polizisten und sein können. Polizistinnen dort geleistet hat. Das Polizeikonzept, bei dem Deutschland die Führungsrolle innehatte, war (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN gründlich durchdacht und rechtsstaatsorientiert. Für sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und diese Arbeit ist den dort eingesetzten Beamtinnen und der FDP) Beamten vom Parlament ausdrücklich zu danken. Deshalb die dringende Aufforderung an die Bundesre- (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS- gierung, endlich mit dem Beschönigen der Situation des SES 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordne- Polizeiaufbaus in Afghanistan in all ihren offiziellen ten der CDU/CSU, der SPD und der FDP) Verlautbarungen aufzuhören. Immer deutlicher wurde dabei auch, welch enorme (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) strategische Bedeutung der Polizeiaufbau und der Jus- tizaufbau haben. Allerdings war das, was dort mit Hilfe Hier ist ein galoppierender Realitätsverlust festzustellen. unserer Polizei beim Polizeiaufbau geschah, praktisch Bitte nehmen Sie zur Kenntnis, was die Beamtinnen und außerhalb jeder politischen und öffentlichen Wahrneh- Beamten vor Ort sagen! mung. Wir sollten zu einer Beschleunigung und Intensivie- (B) (D) Ich muss auch sagen – das gilt auch für mich –, dass rung des gesamten europäischen und deutschen Engage- wir damals die Dimension der Herausforderung bei wei- ments kommen. Hierzu haben wir in unserem Antrag tem unterschätzt haben. Die Kluft zwischen den beste- konkrete Vorschläge gemacht. Einiges davon ist umstrit- henden Herausforderungen und dem, was von internatio- ten, auch bei uns. Aber nehmen wir diesen Streit zum naler und deutscher Seite gemacht wurde, wurde Anfang Anlass, uns endlich ganz anders als in der Vergangenheit 2006 im Rahmen der ISAF-Erweiterung besonders groß, mit dieser Problematik zu beschäftigen. Denn heute be- als die Polizeiversorgung in der Fläche gar nicht mehr schäftigt sich der Deutsche Bundestag zum ersten Mal hinterherkam, die Gewalt zunahm und der Opiumanbau – ich betone: zum ersten Mal; nehmen Sie das bitte zur rasant anstieg. Gerade im Süden war die Polizei überfor- Kenntnis – mit dieser für die Afghanistan-Stabilisierung dert und wurde besonders zur Zielscheibe. Angesichts wichtigen strategischen Frage. der Tatsache, dass afghanische Polizisten 60 bis 70 Dol- lar und Talibansöldner 200 bis 250 Dollar im Monat ver- Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: dienen, ist klar, in welche Richtung viele gingen. Herr Kollege, kommen Sie bitte zum Ende. Wer reagierte auf diese von der Dimension her enorm deutlich werdenden Herausforderungen? Nur die Ameri- Winfried Nachtwei (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): kaner. Sie haben dann ihren Etatansatz von 200 Millio- Ich komme zum Schluss. nen auf 1,6 Milliarden Dollar aufgestockt. Sie haben 600 Berater eingesetzt. Es ist natürlich völlig zu Recht Vor wenigen Tagen hat der Leitende Kriminaldirektor festgestellt worden, dass die Konzeption ihrer Polizei- Jürgen Scholz die Leitung der EUPOL-Mission über- ausbildung fragwürdig war. Trotzdem haben die Ameri- nommen. Wir wünschen ihm gerade in dieser schwieri- kaner als Einzige die Dimension erkannt. gen Situation eine glückliche Hand. Festzustellen ist aber auch: Die in Afghanistan von uns eingesetzten Poli- EUPOL, die europäische Polizeimission, sollte dann zistinnen und Polizisten brauchen endlich auch von uns im Juni dieses Jahres diese Aufgabe übernehmen. politischen Rückenwind. Deutschland allein war damit in der Tat überfordert. Die Mission sollte deshalb auf breitere Schultern verteilt Danke. werden. Diese breiteren Schultern – so muss man inzwi- schen sagen – haben sich bisher nicht herausgebildet. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN EUPOL ist immer noch von enormen bürokratischen sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der Anstrengungen geprägt und damit blockiert. SPD und der FDP) 13016 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 124. Sitzung. Berlin, Freitag, den 9. November 2007

(A) Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Christine Lambrecht (C) Ich schließe die Aussprache. Joachim Stünker Sabine Leutheusser-Schnarrenberger Die Fraktionen haben verabredet, die Vorlagen auf Jörn Wunderlich den Drucksachen 16/3648 und 16/6931 an die in der Ta- Irmingard Schewe-Gerigk gesordnung aufgeführten Ausschüsse zu überweisen. Al- lerdings ist die Federführung strittig. Die Fraktionen der ZP 18 Zweite und dritte Beratung des von der Bundesre- CDU/CSU und der SPD wünschen jeweils Federführung gierung eingebrachten Entwurfs eines Ersten beim Innenausschuss, die Fraktionen der FDP und des Gesetzes zur Änderung des Unterhaltsvor- Bündnisses 90/Die Grünen hingegen beim Auswärtigen schussgesetzes Ausschuss. – Drucksache 16/1829 – Ich lasse zunächst über den Überweisungsvorschlag der Fraktionen der FDP und des Bündnisses 90/Die Grü- – Beschlussempfehlung und Bericht des Aus- nen – Federführung beim Auswärtigen Ausschuss – ab- schusses für Familie, Senioren, Frauen und stimmen. Wer stimmt für diesen Überweisungsvor- Jugend (13. Ausschuss) schlag? – Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Damit ist – Drucksache 16/5444 – der Überweisungsvorschlag bei Zustimmung von FDP und Bündnis 90/Die Grünen und Gegenstimmen von der Berichterstattung: Linken, der SPD und der CDU/CSU abgelehnt. Abgeordnete Dr. Eva Möllring Helga Lopez Ich lasse jetzt über den Überweisungsvorschlag der Sibylle Laurischk Fraktionen der CDU/CSU und der SPD abstimmen, näm- Jörn Wunderlich lich die Federführung dem Innenausschuss zu übertragen. Ekin Deligöz Wer stimmt für diesen Überweisungsvorschlag? – Gegen- stimmen? – Enthaltungen? – Dieser Überweisungsvor- – Bericht des Haushaltsausschusses (8. Aus- schlag ist mit den Stimmen der Koalition und den Linken schuss) gemäß § 96 der Geschäftsordnung gegen die Stimmen von Bündnis 90/Die Grünen und FDP – Drucksache 16/5446 – angenommen. Berichterstattung: Ich rufe jetzt die Zusatzpunkte 17 a und b sowie 18 Abgeordnete Dr. Frank Schmidt auf: Dr. Ole Schröder ZP 17 a) Zweite und dritte Beratung des von der Bun- Otto Fricke (B) desregierung eingebrachten Entwurfs eines Roland Claus (D) Gesetzes zur Änderung des Unterhalts- Anna Lührmann rechts Zu dem von der Bundesregierung eingebrachten Ge- – Drucksache 16/1830 – setzentwurf zur Änderung des Unterhaltsvorschussgeset- zes liegen ein Änderungsantrag der Fraktion der CDU/ Beschlussempfehlung und Bericht des CSU und der Fraktion der SPD sowie je ein Entschlie- Rechtsausschusses (6. Ausschuss) ßungsantrag der Fraktionen von FDP und Die Linke vor. – Drucksache 16/6980 – Nach einer interfraktionellen Verabredung ist vorge- Berichterstattung: sehen, eine Dreiviertelstunde hierüber zu debattieren. – Abgeordnete Ute Granold Dazu höre ich keinen Widerspruch. Dann ist das so be- Christine Lambrecht schlossen. Joachim Stünker Ich eröffne die Aussprache und gebe der Kollegin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger Bundesministerin Brigitte Zypries das Wort. Jörn Wunderlich Irmingard Schewe-Gerigk Brigitte Zypries, Bundesministerin der Justiz: b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Sehr geehrte Frau Kollegin Präsidentin! Liebe Kolle- Berichts des Rechtsausschusses (6. Aus- ginnen! Liebe Kollegen! Die Reform des Unterhalts- schuss) zu dem Antrag der Abgeordneten rechts, die wir heute hier nach langen Diskussionen be- Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, Sibylle schließen werden, hat vor allen Dingen einen großen Laurischk, Jens Ackermann, weiterer Abge- Gewinner: Das sind die Kinder. ordneter und der Fraktion der FDP (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und der Unterhaltsrecht ohne weiteres Zögern so- FDP) zial und verantwortungsbewusst den ge- sellschaftlichen Rahmenbedingungen an- Wir gehen mit dieser Unterhaltsrechtsreform auf die passen sich verändernden Lebenswirklichkeiten ein. Selbst wenn in diesen Tagen über die Ticker lief, dass die Zahl – Drucksachen 16/891, 16/6980 – der Ehescheidungen im letzten Jahr zurückgegangen ist, Berichterstattung: müssen wir doch konstatieren, dass nach wie vor mehr Abgeordnete Ute Granold als jede dritte Ehe geschieden wird. Wir müssen konsta- Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 124. Sitzung. Berlin, Freitag, den 9. November 2007 13017

Bundesministerin Brigitte Zypries (A) tieren, dass bei der Hälfte dieser Scheidungen minder- (Dr. Jürgen Gehb [CDU/CSU]: In die Katego- (C) jährige Kinder betroffen sind. Weiterhin müssen wir rie falle ich langsam auch schon!) konstatieren, dass Kinder immer häufiger außerhalb ei- ner Ehe geboren werden. Im letzten Jahr waren es mehr – Du würdest erstens in die Kategorie „Altehe“ und als 200 000. zweitens in die Kategorie „kein Mangelfall“ fallen. Die Lebensentwürfe und die Familienmodelle werden (Heiterkeit) vielfältiger. Eine Patchworkfamilie ist heute geradezu Im dritten Rang kommen dann alle anderen. normal; niemand stört sich mehr daran. Nun gibt es in der Diskussion häufiger den Einwand, Das Recht darf sich von diesen Realitäten nicht ab- dass wir die Ehen schlechter behandeln und damit zu ei- koppeln. ner Nivellierung zwischen nichtehelichen Lebensge- (Beifall der Abg. Iris Gleicke [SPD]) meinschaften und Ehen beitragen würden. Ich möchte diesem Vorwurf gerne entgegentreten und weise darauf Deshalb haben wir gesagt: Wir regeln das Unterhalts- hin, dass wir hier und heute nur über den Betreuungsun- recht neu und schützen diejenigen, die sich am wenigs- terhalt verhandeln und nicht über die anderen Verpflich- ten selber schützen können – ich habe es eben schon ge- tungen reden, die sich aus einer Ehe ergeben, die aber sagt –: die Kinder. nichts mit dem Betreuungsunterhalt zu tun haben: Der (Beifall bei der SPD) Unterhaltsanspruch bleibt weiterhin bestehen, wenn der geschiedene Ehepartner keine angemessene Arbeit fin- Die Kinder stehen künftig im ersten Rang. Sie haben den sollte; auch im Falle von Krankheit oder in anderen, Vorrang vor allen anderen. vom Gesetz ausdrücklich geregelten Fällen bleibt der Sie stehen im ersten Rang unabhängig davon, aus Unterhaltsanspruch bestehen. Neben dem Betreuungsun- welcher Beziehung sie kommen, unabhängig davon, ob terhalt gibt es also noch andere Unterhaltsformen. sie aus einer ehemaligen oder jetzigen Beziehung kom- Ferner haben wir eine Sondernorm aufgenommen men, ob sie nichtehelich sind oder in einer anderen Be- – auch das liegt heute zur Abstimmung vor –, nach der ziehung außerhalb des Familienverbundes leben. aus Billigkeitsgründen dem Ehepartner dann weiterhin (Heiterkeit der Abg. Iris Gleicke [SPD] – Zu- Unterhalt zugebilligt wird, wenn die Eheleute sich ent- ruf von der FDP: Jetzt wird es kompliziert!) sprechend verständigt haben. Wenn eine vertragliche oder quasivertragliche Verabredung über die Organisa- Das alles ist völlig egal: Derjenige, der unterhaltsver- tion des Familienlebens getroffen wurde, dann kann pflichtet ist, zahlt für alle Kinder gleichmäßig. nicht einer der Partner später sagen, dass die Vereinba- (B) (D) (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten rungen nicht mehr gelten. Nein, so wird das nicht sein. der CDU/CSU) Es gibt einen nachwirkenden Vertrauensschutz und einen Anspruch auf Geld. Wenn dann noch Geld da ist – wir reden jetzt nur von den Mangelfällen; wir reden über Verteilungsmodi, (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der wenn das Geld nicht reicht –, stehen im zweiten Rang CDU/CSU) diejenigen Elternteile, die Kinder erziehen, und zwar Wir werden insofern eine Umstellung vornehmen, als nur, soweit sie Kinder erziehen. Dies ist eine neue Rege- wir die Unterhaltszahlung künftig an das steuerliche lung, die Ihnen heute vorgelegt wird. Wir reagieren Existenzminimum koppeln. Damit tragen wir wesentlich damit auf eine Entscheidung des Bundesverfassungsge- zur Verwaltungsvereinfachung bei. In der Übergangszeit richts, in der es gesagt hat: Soweit es um die Kinderer- wird das Probleme bereiten, weil das steuerliche Exis- ziehung geht, muss es eine absolute Gleichbehandlung tenzminimum im Moment unter dem Betrag liegt, der in zwischen nichtehelichen und ehelichen Kindern geben. der Tabelle, nach der der Unterhalt festgelegt wird, vor- Die Differenz, die wir im gegenwärtigen Recht zwar gesehen ist. Deshalb schlagen wir eine Übergangsrege- schon verringert hatten, muss beseitigt werden. Es muss lung vor. Damit können wir garantieren, dass das Niveau eine absolute Gleichbehandlung bei Kindern geben. der Unterhaltszahlungen in der Übergangszeit, also bis Wir sehen jetzt also vor, dass im zweiten Rang alle zur Anpassung des steuerlichen Existenzminimums im Elternteile stehen, die Kinder bis zum vollendeten drit- nächsten Jahr, gleich bleibt und dass niemand weniger ten Lebensjahr erziehen. Diese Zeit kann verlängert wer- bekommt. Ich glaube, das ist eine gute Nachricht. den, wenn es der Billigkeit entspricht – da geben wir Ebenso ist es eine gute Nachricht, dass wir den Unter- Richterinnen und Richtern einen größeren Entschei- schied zwischen Ost- und Westdeutschland aufheben dungsspielraum –, beispielsweise, wenn das Kind beson- und künftig in ganz Deutschland dieselben Verpflichtun- derer Zuwendung bedarf oder wenn die Kinder aufgrund gen zur Unterhaltszahlung gelten. der Betreuungssituation nirgendwo anders hingehen können. In solchen Fällen kann der betreuende Elternteil (Klaus Uwe Benneter [SPD]: Und das am Ein- noch länger Unterhalt bekommen. heitstag!) Mit im zweiten Rang stehen die sogenannten Ehepart- Diese Rechtsänderung ist – das habe ich eingangs ner aus alten Ehen. Zu länger andauernden Ehen sagt schon gesagt – vor allem eine gute Nachricht für die man ja oft „Altehe“. Auch diese werden besonders be- Kinder. Sie ist aber auch ein Zeichen dafür, dass die Ko- rücksichtigt. alition in der Lage ist, angemessen auf sich verändernde 13018 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 124. Sitzung. Berlin, Freitag, den 9. November 2007

Bundesministerin Brigitte Zypries (A) Familienstrukturen zu reagieren. In diesem Sinne Deshalb ist für unsere Zustimmung entscheidend, (C) möchte ich mich herzlich bei allen, die daran mitgewirkt dass das Kindeswohl jetzt bei dieser Reform des Unter- haben, bedanken. haltsrechtes prägend ist. Das ist, Frau Ministerin, eine grundlegende Reform. Sie geht weit. Sie soll über die (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie nächsten Jahre Bestand haben. Ich glaube, wir wollen der Abg. Irmingard Schewe-Gerigk [BÜND- uns nicht alle paar Jahre wieder mit diesen wichtigen NIS 90/DIE GRÜNEN]) Fragen beschäftigen. Kinder und gerade auch Elternteile, die Kinder betreuen, Alleinerziehende, brauchen eine Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: gewisse Rechtssicherheit; die muss man ihnen geben. Jetzt hat das Wort Sabine Leutheusser-Schnarrenberger Im Moment – das ist in dieser Reform angelegt, aber für die FDP-Fraktion. auch nicht vermeidbar – wird es natürlich Unsicherhei- ten geben, weil Ehen unter anderen Voraussetzungen ge- Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP): schlossen worden sind; Unterhaltsansprüche werden Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kol- künftig anders ausgestaltet sein. Da sind Übergangsrege- legen! Diese Reform des Unterhaltsrechts berührt, inte- lungen schwierig. Deshalb ist der Gedanke einer Stich- ressiert und betrifft sehr viele Bürgerinnen und Bürger. tagsregelung noch einmal aufgekommen, der, denke ich, Von daher hat dieses Reformvorhaben einen anderen zu Recht verworfen wurde, damit keine neuen verfas- Stellenwert als manch anderes Gesetz, über das wir hier sungsrechtlichen Probleme entstehen. sehr intensiv beraten. Diese Reform wird nämlich auf Ich denke, es gibt intensiven Beratungsbedarf für El- fast alle Lebenskonstellationen einwirken. ternteile, die sich jetzt nach Verabschiedung und Inkraft- treten des Gesetzes überlegen, ob sie ein Recht auf Än- Die FDP-Bundestagsfraktion hat sich von Anfang an dafür eingesetzt – unsere Große Anfrage liegt jetzt drei- derung haben oder nicht. Es gibt auch intensiven Beratungsbedarf für diejenigen, die eine Ehe eingehen. einhalb Jahre zurück –, dass das Unterhaltsrecht an die Sie sollten es sich im Vorfeld sehr gut überlegen, auch geänderten Lebensbedingungen sowie die geänderten Vorstellungen vom Zusammenleben und die unter- und gerade wenn sie den Ehebund für immer schließen und irrlichternde Vorschläge über befristete Eheschlie- schiedlichen Formen des Zusammenlebens angepasst ßungen nicht mehr zur aktuellen Debatte gehören. wird. (Heiterkeit und Beifall bei Abgeordneten der (Beifall bei der FDP) FDP und der SPD) Als Oppositionsfraktion stimmen wir dem jetzt vor- (B) Denn es weiß niemand, was im Laufe eines längeren Le- (D) liegenden Kompromissvorschlag der Koalitionsfraktio- bens geschehen wird. Deshalb wäre es bestimmt richtig, nen zu, weil wir der Auffassung sind, dass das, was jetzt, schon bei Eheschließung, zu Beginn einer Ehe, durch nach schwierigen Gesprächen, auch innerhalb der Koali- vertragliche Vereinbarungen Vorsorge zu treffen und tionsfraktionen, vorgelegt worden ist, klar in die richtige sich darauf zu verständigen, was möglicherweise – zu Richtung geht. Das Urteil des Bundesverfassungsge- diesem Zeitpunkt wünscht man es sich natürlich nicht – richts hat neue Schwierigkeiten für die Beratungen mit auf Elternteile zukommen kann. sich gebracht. Dadurch, dass die Ausgangsregelung für die Bemessung des Betreuungsunterhalts für nichtver- (Beifall bei Abgeordneten der FDP) heiratete und betreuende Mütter angeglichen wurde, ist Ich denke, es ist richtig, dass der Aspekt der Eigen- der Vorgabe des Bundesverfassungsgerichts entsprochen verantwortung nach Ehescheidung jetzt in der Unter- worden. haltsrechtsreform als eine Obliegenheit – nicht mit me- (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten chanischen Regelungen – stärker verankert wird. Ich der SPD) glaube, wir alle wissen: Es gibt zu unterschiedliche Ge- staltungen, nicht nur bezüglich der Dauer der Ehe, son- Wir sind der Auffassung, dass gerade die Veränderun- dern auch bezüglich der Zuteilung der Aufgaben in die- gen beim Zusammenleben berücksichtigt werden müs- ser Ehe. Es obliegt den Elternteilen, sich zu überlegen, sen. Frau Ministerin, Sie haben auf die Scheidungsrate wie die Betreuungssituation später sein kann, wie die Er- hingewiesen. Es gibt aber auch Zweitfamilien, ein Zu- werbsmöglichkeiten während der Ehe und nach der Ehe sammenleben ohne Trauschein, Patchworkfamilien mit sind. Hier muss man letztendlich immer den Einzelfall vier Kindern aus unterschiedlichen Beziehungen. berücksichtigen. Diese Obliegenheit der Eigenverant- wortung der Elternteile und damit eben nicht das Recht, (Zuruf von der SPD) eine Versorgung für immer, unbefristet auch nach Ehe- – Die vier Kinder habe ich erwähnt, weil das ein Beispiel scheidung, in Anspruch nehmen zu können, ist eine rich- in einer Informationsbroschüre des Justizministeriums tige Weichenstellung. Das muss erklärt werden; darüber ist. – Diese Entwicklung hat zu schwierigen und kompli- muss man aufgeklärt werden. Wir halten es letztendlich zierten Regelungen geführt, die bisher eines nicht zum für richtig. Ziel hatten, nämlich den Unterhalt der Kinder zu sichern. (Beifall bei der FDP) Hierbei darf es eben keine Unterschiede, abhängig von der rechtlichen Konstellation des Zusammenlebens der Dass der Unterhaltsvorschuss heute sozusagen nur als Eltern, geben. kleiner Punkt auf der Tagesordnung steht und verab- Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 124. Sitzung. Berlin, Freitag, den 9. November 2007 13019

Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (A) schiedet wird, ist bestimmt der Komplexität der gesam- Schauen wir uns einmal die Genese des Gesetzes an: (C) ten Materie geschuldet. Wir als FDP-Fraktion haben ei- Im Sommer 2006 wurde es eingebracht. Wir haben es in nen Antrag vorgelegt. Wir halten es für wichtig, dass erster Lesung hier im Hause beraten und haben dann man sich diesem Thema sehr wohl gesondert widmet, eine umfassende Sachverständigenanhörung durchge- und haben Vorschläge dazu auf den Tisch gelegt. führt. Ich gebe zu, weil es sicherlich gleich angespro- chen wird: Es gab danach im Frühjahr 2007 etwas Wir als FDP-Fraktion werden dem Gesetzentwurf der Sturm; den Sturm gab es vornehmlich in der Union. Koalitionsfraktionen zum Unterhaltsrecht in der vorlie- Denn es ging darum, in einer großen Volkspartei einen genden Fassung zustimmen. Konsens, eine tragfähige Regelung zu finden, die allen Vielen Dank. Interessen gerecht wird. Wir haben auf der einen Seite die Stärkung des Kindeswohls bzw. als Priorität die Kin- (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der, die das schwächste Glied in unserer Gesellschaft der CDU/CSU und der SPD) sind. Auf der anderen Seite haben wir den Schutz der Ehe und somit Art. 6 in seiner ganzen Reichweite zu be- Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: achten. Jetzt hat die Kollegin Ute Granold das Wort für die CDU/CSU-Fraktion. Wir haben vor der legendären Entscheidung des Bun- desverfassungsgerichts vom Februar, die uns in der (Beifall bei der CDU/CSU) Rechtsausschusssitzung im Mai getroffen hat, und auch danach um eine gute Lösung gerungen. Wir haben An- Ute Granold (CDU/CSU): fang dieser Woche einen Kompromiss gefunden, der Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! heute zur Beschlussfassung ansteht. Wir haben in den letzten 14 oder 15 Monaten bereits mehrfach über das Unterhaltsrecht debattiert. Heute Die Ministerin hat ausgeführt, dass wir hohe Schei- möchte ich mich auf das beschränken, was sich in den dungsraten haben. In den letzten zehn Jahren hatten wir letzten Wochen und Monaten bei den Beratungen in die- eine Steigerung um 40 Prozent. In mehr als 50 Prozent sem Haus getan hat. der Fälle sind minderjährige Kinder betroffen. Wir ha- ben viele Alleinerziehende. In den neuen Bundesländern Wir haben als Grundlage für die Große Koalition eine werden über 60 Prozent der Kinder nichtehelich gebo- Vereinbarung im Koalitionsvertrag. Wir haben festgehal- ren, und wir haben Patchworkfamilien, also viele neue ten, dass die Situation von Familien und Kindern zu ver- Formen des Zusammenlebens. Dieser Realität müssen bessern ist, dass deshalb das Unterhaltsrecht jetzt zu re- wir uns stellen, und ich denke, dass wir uns ihr gut ge- (B) formieren ist, dass die Kinder an erster Stelle im Rang stellt haben. (D) stehen und auch dass die Eigenverantwortlichkeit nach der Ehe gestärkt werden soll. Darüber hinaus – da haben Vor dem Hintergrund, dass das Kindeswohl für uns wir noch einiges zu tun – ist das Unterhaltsrecht zu har- absolute Priorität genießt, war es für uns keine Frage monisieren, das heißt, an das Steuer- und Sozialrecht an- – ich denke, darüber herrscht in diesem Hause Einver- zupassen. nehmen –, dass die Kinder in einem Mangelfall – das heißt, der Schuldner hat nicht ausreichend Geld zur Ver- Wir Rechtspolitiker in der Großen Koalition haben fe- fügung, um alle Unterhaltsansprüche zu befriedigen – al- derführend im Rechtsausschuss beraten und, wie ich lein im Rang eins stehen. denke, unsere Hausaufgaben gemacht. Das Gesetz, das heute zur zweiten und dritten Lesung ansteht, ist ein gu- Wir haben von Anfang an klargestellt, dass auch den tes Gesetz. Es ist ein tragfähiger Kompromiss. Das Vo- Langzeitehepartnern der zweite Rang zusteht. tum im Rechtsausschuss hat uns gezeigt, dass wir auf dem richtigen Weg sind, und – Frau Ministerin, ich kann (Daniela Raab [CDU/CSU]: Sehr richtig!) Ihnen zustimmen – die Große Koalition ist sehr gut in Wir haben im Rahmen der Beratungen lediglich die Mo- der Lage, wirksame und tragfähige Gesetze zu machen. difikation vorgenommen, dass nicht nur die Dauer der Deshalb richte ich an dieser Stelle einen Dank an alle, Ehe für die Frage, ob der zweite Rang von Bedeutung die an diesem Gesetz mitgewirkt haben. ist, sondern auch weitere Punkte wie Rollenverteilung in (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) der Ehe sowie Pflege und Erziehung gemeinsamer Kin- der maßgeblich sein sollen. Das Unterhaltsrecht ist nicht nur ein Zweig im Fa- milienrecht, sondern hat auch eine große gesellschafts- Wir haben nach mehreren Anläufen letztendlich auch politische Bedeutung. Dem wollen wir Rechnung tragen. festgelegt, dass im zweiten Rang alle betreuenden El- Wir wollen das Kindeswohl fördern – ich habe es ge- ternteile sind, und zwar unabhängig davon, ob es sich sagt –, die Eigenverantwortlichkeit stärken sowie das um nichteheliche Mütter oder geschiedene Elternteile Unterhaltsrecht vereinfachen. Kaum einer weiß viel- handelt, weil alle Kinder – so sagt es auch Art. 6 Abs. 5 leicht, dass das Unterhaltsrecht in Deutschland das kom- des Grundgesetzes – vom Gesetzgeber gleich zu behan- plexeste und schwierigste Unterhaltsrecht weltweit ist. deln sind und da der Betreuungsunterhalt ausschließlich Nirgendwo ist es so schwierig wie in Deutschland, und an das Kind anknüpft. Folglich sind alle Elternteile, die das gehört vereinfacht, damit die Menschen für den Fall Kinder betreuen, gesetzlich gleichzusetzen. Das hat sich der Fälle wissen, was für sie zutrifft. Insofern ist eine dann relativ schnell geklärt, sodass wir eine Einigkeit in Neuregelung erforderlich. Bezug auf den zweiten Rang herbeigeführt haben. 13020 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 124. Sitzung. Berlin, Freitag, den 9. November 2007

Ute Granold (A) Wir haben auch § 1615 l BGB – das ist der Unter- Wenn dieses Gesetz in Kraft tritt, müssen wir dafür (C) haltsanspruch der nichtehelichen Mutter – lange disku- sorgen, dass es nicht zu einer Benachteiligung der Be- tiert. Der Ursprungsentwurf sah weiterhin eine Un- darfsgemeinschaft von Kind und betreuendem Elternteil gleichbehandlung vor. Wir wollten die Schere zwischen kommt, dass also für die Betroffenen nicht unter dem dem Betreuungsunterhaltsanspruch des geschiedenen El- Strich weniger herauskommt als heute. Hier muss über ternteils und dem der nichtehelichen Mutter schließen. das Sozialrecht und das Steuerrecht nachjustiert werden; Wir haben dann vor der Entscheidung des Bundesverfas- das hatte ich eingangs schon angesprochen. sungsgerichts – das hat die Union mit in die Beratung eingebracht – den Unterhaltsanspruch der nichtehelichen Lassen Sie mich ferner darauf hinweisen, dass uns das Mutter verlängert und damit im Wesentlichen das vor- Bundesverfassungsgericht ganz klar mitgeteilt hat, ob weggenommen, was das Bundesverfassungsgericht dann bzw. wie im Hinblick auf den Betreuungsunterhalt diffe- von uns gefordert hat. renziert werden darf. Daher haben wir in § 1570 Abs. 2 BGB geregelt, dass Ehepartner für die Dauer der Unter- Wir haben in den Beratungen immer Art. 6 als Maß- haltspflicht von drei Jahren und aus Billigkeitsgründen stab genommen. Insofern müssen wir sehen, dass wir auch für längere Zeit einen Unterhaltsanspruch haben nicht nur den geschiedenen Elternteil – in der Regel ist können. Das war der Union sehr wichtig. Auch diese Re- es die Mutter – nicht schlechter stellen, sondern auch gelung ist im vorliegenden Gesetzentwurf enthalten. den Schutz der Ehe weiterhin aufrechterhalten. Frau Ministerin, ich bin Ihnen sehr dankbar, dass Sie Bei dieser Entwicklung sollte man bedenken: Das Fa- auf Folgendes hingewiesen haben – auch ich hatte mir milienrecht ist im BGB aus dem Jahre 1896 verankert, das notiert –: Wir dürfen in dieser Diskussion nicht ver- und mit dem Nichtehelichengesetz aus dem Jahre 1969 gessen, dass Ehepartner weitere Unterhaltsansprüche ha- hat man sich der Gleichstellung angenähert. Das ist also ben, die zum Beispiel nichteheliche Mütter nicht haben. nichts Neues, sondern schon relativ alt. Im Jahre 1976 Dabei geht es um den Unterhalt wegen Erwerbslosigkeit wurde eine Eherechtsreform durchgeführt. In deren Rah- oder wegen Krankheit, um den Aufstockungsunterhalt, men sind wir vom Verschuldensprinzip zum Zerrüt- um den Unterhalt aus Billigkeitsgründen, um den Unter- tungsprinzip übergegangen und haben die Regelungen halt wegen Ausbildung etc. All das war und bleibt im zum Unterhalt neu geregelt. Gesetz enthalten. Damals ging der Gesetzgeber davon aus, dass der Genau das Gleiche gilt im Hinblick auf die Höhe des Schwächere – das war immer die Frau – zu schützen ist. Unterhalts und die zeitliche Befristung. All das ist Be- Es hat sich aber relativ schnell herausgestellt, dass auch standteil der geltenden Rechtslage. Auch der Grundsatz viele Frauen aus der Ehe ausgebrochen sind – schon da- der Eigenverantwortung ist jetzt schon im Gesetz enthal- (B) (D) mals waren es ungefähr 50 Prozent –, sodass 1986 ein ten. Diesen Grundsatz wollen wir nun aber noch eindeu- Unterhaltsänderungsgesetz verabschiedet wurde. Die tiger regeln, weil im Rahmen der Rechtsprechung in der Möglichkeit der Begrenzung der Höhe nach und die zeit- Vergangenheit nicht sehr viel Gebrauch von diesen Mög- liche Beschränkung wurden in das Gesetz aufgenom- lichkeiten gemacht wurde. Wir möchten, dass auch im men. Darüber hinaus wurde im Jahre 1998 eine Kind- Falle einer zweiten Ehe oder einer weiteren Familie die schaftsrechtsreform durchgeführt, in deren Folge die Möglichkeit besteht, den Kindern aus der zweiten Ehe Unterhaltsansprüche der Kinder konkretisiert wurden. und ihren Müttern mit finanziellen Mitteln eine Chance Im Zuge der Veränderungen des Rechts und der ge- zum Neuanfang zu geben. sellschaftlichen Realität im Laufe der vielen Jahre, die Noch einige Sätze zur angesprochenen Übergangsre- ich gerade aufgelistet habe, war es, wie auch die Praxis gelung. Im Rechtsausschuss legten die Grünen einen gezeigt hat, erforderlich, das Recht an die veränderte ge- Antrag vor, der dann zurückgezogen wurde, weil sein In- sellschaftliche Situation anzupassen. Wir erinnern uns: halt verfassungswidrig war. Bereits im Jahre 2000 wurde gefordert, das Unterhalts- recht zu reformieren. Es hat sieben Jahre gedauert. Letzt- (Irmingard Schewe-Gerigk [BÜNDNIS 90/DIE endlich können wir aber sagen, dass wir das Unterhalts- GRÜNEN]: Na ja! Das war kompliziert!) recht nun auf einen guten Weg gebracht haben. Wir haben immer geprüft: Ist es verfassungswidrig oder Die Ministerin hat ausgeführt, dass das Existenzmini- verfassungsgemäß? Wir sind der Meinung, die Über- mum festgeschrieben und mit Blick auf die Praxis we- gangsregelung ist maßvoll. Der Änderungsumfang be- sentlich vereinfacht wurde, Stichwort: Unterhaltsbeziffe- trägt ungefähr 10 Prozent. Wenn diese Änderungen zu- rung. Darüber hinaus kann die Regelbetragsverordnung, mutbar sind – das hat mit der Billigkeitsregelung und die wir kurzfristig anpassen mussten, weil wir nicht so mit der Einzelfallgerechtigkeit zu tun –, dann soll eine ganz die Kurve gekriegt haben, jetzt außer Kraft gesetzt Änderung möglich sein. Wir wollen nicht zwei parallele werden. Auch das Unterhaltsvorschussgesetz wird der Gesetze, sondern Rechtsklarheit. neuen Rechtslage angepasst. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- Wir sind uns in diesem Hause einig, dass wir eine neten der SPD und der Abg. Sabine weitergehende Reform des Unterhaltsvorschussgesetzes Leutheusser-Schnarrenberger [FDP]) isoliert beraten sollten. Hier ist noch das eine oder an- dere zu regeln. Unser Vorhaben wäre überfrachtet, wenn Das ist uns wichtig. Daher sollte diese Regelung wie ge- wir es jetzt mit auf den Weg bringen wollten. plant getroffen werden. Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 124. Sitzung. Berlin, Freitag, den 9. November 2007 13021

Ute Granold (A) Es gäbe noch viel zu sagen; aber ich möchte meine Mechthild Rawert [SPD]: Die Frauen wollen (C) Redezeit nicht zulasten der Redezeit des Kollegen arbeiten!) Singhammer, der noch für die CSU sprechen wird, ver- Gut ist im Vergleich zum ersten Entwurf die Über- längern. Zum Schluss möchte ich sagen: Vielen Dank für gangsregelung für den Mindestunterhalt, die gewährleis- die langen und guten Beratungen, die teilweise auch tet, dass zumindest gegenwärtig nicht weniger gezahlt stürmisch waren. Ich denke, das Ergebnis zählt. Das Er- wird als vorher. Schlecht ist, dass es grundsätzlich zu gebnis, das wir erzielt haben, ist sehr gut. Damit können wenig ist. fast alle in diesem Haus gut leben. Wir müssen die FGG- Reform auf den Weg bringen, und wir haben beim eheli- (Daniela Raab [CDU/CSU]: Das ist bei Ihnen chen Güterrecht und beim Versorgungsausgleich noch immer so: Es ist Ihnen immer zu wenig, es viel zu tun. Aber auch das werden wir schaffen. reicht nie!) Herzlichen Dank. Es ist doch nicht einzusehen, dass der Mindestunterhalt für ein Kind bis zur Einschulung 87 Prozent des Exis- (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie tenzminimums betragen soll. Ist ein Kind, bis es einge- bei Abgeordneten der FDP) schult wird, nur 87 Prozent Mensch? Überhaupt kann sich der Unterhalt nach meiner Auffassung und nach der Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Auffassung meiner Fraktion doch nicht am Existenz- Für die Linke hat der Kollege Jörn Wunderlich das minimum orientieren! Er muss sich am menschenwürdi- Wort. gen Leben orientieren. Und wir reden hier vom Unter- halt für die eigenen Kinder! (Beifall bei der LINKEN) (Beifall bei der LINKEN) Jörn Wunderlich (DIE LINKE): Mit was für einer Sichtweise, unter was für einer Prä- Verehrte Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kolle- misse wird denn hier herangegangen? gen! Wir begrüßen das neue Unterhaltsrecht, jedenfalls vom Ansatz her. Kritisch sehen meine Fraktion und ich auch die steu- erlichen Auswirkungen auf die geänderte Rangfolge; (Fritz Rudolf Körper [SPD]: Wenigstens das!) auch das ist schon angesprochen worden, und Herr Gehb Dieser Gesetzentwurf ist vor der Sommerpause zurück- hat es im Ausschuss ja bestätigt. Denn infolge des ver- gepfiffen worden. Nachdem aber das Bundesverfas- minderten Realsplittings haben die Unterhaltsverpflich- sungsgericht seine Entscheidung getroffen hat, sind ei- teten möglicherweise weniger netto – und damit weniger Geld zu verteilen. Es nützt nichts, wenn das Kind den (B) nige der Forderungen, welche in unseren Anträgen (D) schon immer enthalten waren, in diesen Gesetzentwurf vollen Unterhalt bekommt, aber für die Mutter nichts eingeflossen. mehr übrig bleibt. (Beifall bei der LINKEN) (Zuruf von der LINKEN: Genau!) Wir – das muss man an dieser Stelle betonen – waren da- Denn auch Ihnen müsste klar sein, dass Kind und Mutter bzw. Kind und Vater eine gemeinsame Haushaltskasse mals die Einzigen, die verfassungskonforme Anträge eingebracht hatten. haben. Das Brot wird für beide gekauft, es wird nicht aus dem einen Portemonnaie Brot fürs Kind und aus dem an- Gut am neuen Unterhaltsrecht ist, dass der Betreu- deren Portemonnaie Brot für die Mutter gekauft. ungsunterhalt für Kinder unabhängig davon, ob sie in (Beifall bei der LINKEN – Zuruf von der ehelichen oder nichtehelichen Haushalten leben, gleich SPD: Und wer bezahlt das jetzt?) lange gezahlt werden soll. Schlecht ist, dass der Betreu- ungsunterhalt – Betreuungsunterhalt! – geschiedenen Beim Unterhaltsvorschuss fordern wir, dass das Be- Ehefrauen ohne Wenn und Aber drei Jahre gezahlt wird, zugsalter heraufgesetzt und die Bezugsdauer verlängert bei nichtverheirateten Frauen jedoch zu prüfen ist, ob sie wird. Meine Kollegen Familienrichter und Familienan- bedürftig sind und ob ihnen Erwerbstätigkeit zugemutet wälte kritisieren diese Grenze zu Recht seit langem. werden kann. So steht das im Gesetzestext. Was bedeutet Dass das Kindergeld voll auf den Unterhaltsvorschuss das? Die ledige Mutter eines Kindes von zwei Jahren angerechnet wird, ist schon skandalös. Aber dass die muss halbtags arbeiten gehen, da es ihr, sofern ein Kin- Summe nach dem Willen der Koalition jetzt auch noch derbetreuungsplatz vorhanden ist, zugemutet werden reduziert werden soll, ist schlechterdings unglaublich. kann. Die geschiedene Nachbarin, deren Kind auch zwei Jahre alt ist, muss hingegen nicht arbeiten gehen, be- In diesem Zusammenhang ist schade – auch das ist kommt den vollen Unterhalt und bekäme vom Staat, schon angesprochen worden –, dass man über die Vo- wenn es nach der CSU ginge, auch noch Betreuungs- raussetzungen für den Bezug von Unterhaltsvorschuss geld. Da kann ich nur sagen: Grüß Gott nach Bayern, nicht nachgedacht hat. Bislang bekommt ein Kind nur Herr Singhammer! Ob das dem lieben Gott gefällt, be- dann Unterhaltsvorschuss, wenn es bei einem Elternteil zweifle ich. lebt. Da tun sich große Löcher auf. Aktueller Fall aus Thüringen: die Eltern geschieden, das Kind, neun Jahre (Beifall bei der LINKEN – Johannes alt, lebt bei der Mutter. Der Vater zahlt keinen Unterhalt, Singhammer [CDU/CSU]: Das gefällt ihm, da weil er nicht kann oder will. Das Jugendamt geht in Vor- bin ich mir sicher! – Gegenruf der Abg. leistung. Die Mutter stirbt. Die Großmutter, die ALG II 13022 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 124. Sitzung. Berlin, Freitag, den 9. November 2007

Jörn Wunderlich (A) bekommt, nimmt das Kind bei sich auf. Was macht das Deshalb kann es nicht weiterhin so sein, dass im Falle (C) Jugendamt? Es stellt die Zahlungen ein, weil das Kind einer Trennung Höhe und Dauer des Unterhalts für Mut- nicht bei einem Elternteil lebt. Ich denke, man muss an ter und Kind davon abhängig sind, ob die Eltern die den Voraussetzungen arbeiten, damit den betroffenen Ringe getauscht haben. Es geht hier doch einzig und al- Kindern zu ihrem Recht verholfen wird. lein darum, die Nachteile für diejenigen auszugleichen, die von einer Trennung besonders betroffen sind, und (Beifall bei der LINKEN) das sind zuallererst die Kinder. Darum gehören sie beim Sehr geehrte Damen und Herren von der Koalition, zu Unterhalt auch in den ersten Rang. geringer Mindestunterhalt für Kinder, Ungleichbehand- (Abg. Dr. Jürgen Gehb [CDU/CSU] meldet lung von ledigen und geschiedenen Müttern – eben sich zu einer Zwischenfrage) nicht, wie es das Bundesverfassungsgericht fordert –, wahrscheinliche Unterhaltseinbußen bei den Familien – – Nein, keine Zwischenfragen. mit ruhigem Gewissen können meine Fraktion und ich diesem Gesetz nicht zustimmen. Es hieß doch, das Ge- Wir Grünen haben ein Familienbild, bei dem das setz sollte dem Kindeswohl dienen, Frau Ministerin. So Wohl der Kinder und nicht die Lebensform der Eltern im wie ich das sehe, wird dieses Ziel mit dem vorliegenden Mittelpunkt steht. Dieses Bild wird sich mit der heutigen Gesetzentwurf verfehlt. Wenn dies so Gesetz wird, be- Reform, die unter Rot-Grün ja bereits Konsens war, end- deutet das: Mit an Sicherheit grenzender Wahrschein- lich durchsetzen. lichkeit verringert sich das Familieneinkommen der be- Herr Geis, wie ich der Presse entnahm, haben Sie ge- troffenen Familien. Wird kein Unterhalt gezahlt, wird sagt, dass wir mit dieser Reform die Ehe in die Ecke beim Unterhaltsvorschuss das Kindergeld voll angerech- drängen. Ich muss Ihnen sagen: Die Ehe hat sich selbst net. Für den schlimmen Fall, dass der betreuende Eltern- in die Ecke gestellt: 200 000 Scheidungen bei 380 000 Ehe- teil stirbt, stellt das Jugendamt auch noch die Vorschuss- schließungen im Jahre 2005 sprechen eine eigene Spra- zahlungen ein. Und die ledigen Mütter sind schlechter che. gestellt. Das alles soll zum Wohl der Kinder sein? Das, Frau Ministerin Zypries, müssen Sie den betroffenen (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Kindern und Eltern hierzulande erklären. Wir jedenfalls sowie bei Abgeordneten der LINKEN) werden uns an diesen Ungerechtigkeiten nicht beteili- gen. Herr Geis, Sie stehen mit dieser Position aber nicht al- leine. Wäre es nach dem Willen vieler in Ihrer Partei ge- Danke für Ihre Aufmerksamkeit. gangen, hätte es weiterhin zwei Klassen von Müttern (B) (Beifall bei der LINKEN – Widerspruch bei gegeben, nämlich die verheirateten und die unverheirate- (D) der SPD) ten. Weil Sie die Institution Ehe schützen wollten, glaub- ten Sie, unverheiratete Mütter diskriminieren zu können. Erst das Bundesverfassungsgericht brachte Sie hier zur Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Räson. Jetzt hat Irmingard Schewe-Gerigk für Bündnis 90/ Die Grünen das Wort. (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Stimmt doch nicht!) Irmingard Schewe-Gerigk (BÜNDNIS 90/DIE Um Ihre Niederlage beim Unterhaltsrecht zu kompen- GRÜNEN): sieren, haben Sie jetzt den Druck beim Betreuungsgeld Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! erhöht. Ich stelle mir die Frage: Hat es da vielleicht ei- Hartnäckigkeit und Geduld sind als Eigenschaften, die nen Deal – antiquiertes Betreuungsgeld gegen modernes Politiker und Politikerinnen unbedingt mitbringen soll- Unterhaltsrecht – gegeben? ten, völlig unterschätzt. Diese Hartnäckigkeit haben Sie, Frau Ministerin, bewiesen. Ohne Sie wäre die Reform (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) des Unterhaltsrechts so nicht zustande gekommen. Dafür Sie schaffen damit doch eine schizophrene Situation: Sie danke ich Ihnen; wollen eine Prämie für das Zuhausebleiben schaffen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Kinder sollen den Bildungseinrichtungen und Mütter und bei der SPD) sollen dem Arbeitsmarkt fernbleiben. Nach der Tren- nung sollen die Mütter aber ganz schnell wieder nach- denn das, was Ihnen Ihr Koalitionspartner im Mai abver- eheliche Eigenverantwortung an den Tag legen, damit langen wollte, war schon eine Zumutung. der ehemalige Gatte eine Zweitfamilie gründen kann. Ich bin erleichtert, dass wir heute letztendlich doch ei- Wie stellen Sie sich das eigentlich vor? Die Mütter nen Gesetzentwurf beschließen können, mit dem wir uns haben die Verbindung zum Arbeitsmarkt dann doch den gesellschaftlichen Realitäten stellen. Es wurde ge- längst verloren. Die Leidtragenden dieses Deals werden sagt: Jede dritte Ehe wird heute geschieden. Die Ehe ist die Frauen sein. Unser Staat ist leider nach wie vor da- längst nicht mehr die stabile Basis für die Gründung ei- rauf aufgebaut, dass die Ehefrau im besten Fall als Zu- ner Familie. Andere Formen des Zusammenlebens sind verdienerin fungiert. Mit der heutigen Reform muss es neben sie getreten. Jedes dritte Kind wird heute nicht- heißen – das sage ich jetzt zur CSU –: Bye, bye, Allein- ehelich geboren. verdienerehe. Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 124. Sitzung. Berlin, Freitag, den 9. November 2007 13023

Irmingard Schewe-Gerigk (A) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN wird es bei einer Scheidung künftig unangenehme Über- (C) sowie bei Abgeordneten der SPD) raschungen geben. Denn nur mit einer individuellen, partnerunabhängigen Meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Existenzsicherung können Ehefrauen in Zukunft der Kollegen, wir werden diesem Gesetz zustimmen. Es ist – jetzt zitiere ich die Präsidentin des Deutschen Juristin- wegweisend, auch wenn wir das eine oder andere anders nenbundes – seriellen Monogamie ihres Ehemannes ru- gemacht hätten, wie es hier vorhin schon angesprochen higen Blutes ins Gesicht sehen. worden ist. Wir wollten eine Stichtagsregelung, um für die Altehen mehr Gerechtigkeit zu schaffen. Dies hat (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) sich als sehr schwierig erwiesen, weil es so viele unter- „Serielle Monogamie“ – das hört sich doch wirklich gut schiedliche Fallkonstellationen gibt, dass man nicht al- an. len Rechnung tragen kann. Darum haben wir diesen An- trag heute nicht mehr zur Abstimmung gestellt. (Dr. Jürgen Gehb [CDU/CSU]: Monogame Monotonie? Das ist ein Schüttelreim!) (Johannes Singhammer [CDU/CSU]: Das ist auch gut so!) Wir sollten diese Reform daher als Chance anerken- Ich halte diese Reform für eine gute. Ich freue mich nen, endlich gleichberechtigte Verhältnisse in unserem auf sie und unterstütze sie. Land herzustellen. Dafür muss natürlich auch das Ehe- gattensplitting abgeschafft werden. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD) (Beifall der Abg. Katja Kipping [DIE LINKE]) Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Wir brauchen eine flächendeckende Kinderbetreuung Jetzt hat der Kollege Johannes Singhammer das und die Förderung der Frauen in der Wirtschaft. Das Wort. – Nein, Entschuldigung, Christine Lambrecht geht auch Sie an, sehr geehrte Bundesregierung. Der spricht jetzt für die SPD-Fraktion. Herr Staatssekretär aus dem Familienministerium sitzt hier ja. Christine Lambrecht (SPD): (Johannes Singhammer [CDU/CSU]: Guter Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich lege Mann!) großen Wert darauf, jetzt sprechen zu dürfen; denn ich habe lange darauf warten müssen, dass es zur zweiten Den Männern rufe ich zu: Sie haben zwar lange Zeit und dritten Lesung dieser Reform kommt. Deswegen (B) über die hohen Unterhaltsverpflichtungen gejammert, freut es mich ganz besonders, dass ich jetzt dazu spre- (D) sich aber doch die Frau zu Hause gewünscht, die Ihnen chen kann. den Rücken stärkt, Wir hatten im Sommer eine etwas unüberschaubare (Joachim Stünker [SPD]: Was?) Situation, weil der ursprünglich vereinbarte Regierungs- entwurf aufgrund eines vorliegenden Bundesverfas- den Haushalt schmeißt und die Kinder versorgt. Damit sungsgerichtsurteils überarbeitet werden musste, aber ist jetzt Schluss. auch – das muss man durchaus zugeben – wegen teil- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN weise unterschiedlicher Auffassungen zwischen den sowie bei Abgeordneten der SPD und der LIN- CDU- und CSU-Familienpolitikern und dem Rest der KEN – Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Koalition. Sie haben ein sehr altmodisches Frauenbild! (Beifall bei der SPD – Abg. Dr. Jürgen Gehb Das gibt es überhaupt nicht!) [CDU/CSU] meldet sich zu einer Zwischen- Sie können nicht beides haben. Die finanzielle Freiheit frage) nach einer Ehe erhalten Sie für den Preis von mehr Ver- – Herr Gehb, lassen Sie mich bitte im Zusammenhang antwortung in der Ehe, nämlich für Haushalt und für vortragen. Wir haben uns im Rechtsausschuss und bei Kindererziehung. verschiedenen anderen Gelegenheiten schon ausge- (Beifall der Abg. Katja Kipping [DIE tauscht. Das möchte ich jetzt ungern wiederholen. LINKE]) (Zurufe von der CDU/CSU) Sie können in den Chefetagen ja schon einmal Platz Auch wenn es momentan nicht ganz so aussieht, ha- schaffen, und bereiten Sie sich auf die Abende vor, an ben wir es geschafft, zu einem Konsens zu finden, der denen Sie Ihre gestresste Frau zu Hause erwarten und die nicht nur in der Koalition, sondern auch darüber hinaus Kinder ins Bett bringen. auf Zustimmung stößt. Es freut mich, dass die FDP und die Grünen mit im Boot sind. Frau Leutheusser- Die Frauen sind besonders gefragt. Gerade einmal Schnarrenberger, ich erinnere mich noch daran, dass wir 44 Prozent der Frauen mit Kindern unter fünf Jahren einmal eine Geschäftsordnungsdebatte darüber geführt sind heute in Deutschland erwerbstätig. Das heißt, mehr haben, dass es ein bisschen länger gedauert hat. als jede Zweite ist nicht erwerbstätig. Von jetzt an muss die Rollenverteilung in der Partnerschaft neu verhandelt (Sabine Leutheusser-Schnarrenberger [FDP]: werden. Nehmen Sie sich das zu Herzen! Andernfalls So ist es!) 13024 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 124. Sitzung. Berlin, Freitag, den 9. November 2007

Christine Lambrecht (A) Damals habe ich gesagt: So etwas braucht Zeit, und das aber die Mutter bekomme dann dafür weniger. Ich muss (C) muss man ausdiskutieren; aber ich bin optimistisch, dass sie als Gemeinschaft sehen; nur so funktioniert das wir eine Lösung finden, die auch dem gerecht wird, was Ganze. Deswegen ist es auch richtig, dass alle im zwei- der Lebensrealität entspricht. Ich freue mich, dass dies ten Rang gelandet sind. gelungen ist; anderenfalls würden Sie ja heute hier nicht zustimmen. Zusätzlich sind im zweiten Rang Frauen in einer Ehe von langer Dauer. Ich halte es für völlig in Ordnung; Zum Thema Lebensrealität nur ein ganz kurzer Ein- denn hier ist ein Vertrauensschutz entsprechend zu be- wurf, ohne oberlehrerhaft wirken zu wollen: Wir reden rücksichtigen. hier nicht über ein Gesetz, das Mütter in den zweiten Rang versetzt, egal, ob sie verheiratet sind oder nicht, Deswegen finde ich es gut, dass dieser Teil berück- sondern über eines, das alle erziehenden Elternteile in sichtigt wurde. Das Gericht wird dann im Einzelfall ent- den zweiten Rang versetzt. Dazu können tatsächlich scheiden, was als Ehe von langer Dauer gilt. Das mag im auch Väter zählen. Einzelfall sehr unterschiedlich gehandhabt werden. (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Von daher glaube ich nicht, dass mit dem Gesetzent- Dr. Jürgen Gehb [CDU/CSU]) wurf in irgendeiner Weise eine Ideologie übergestülpt wird oder dass wir als Staat in die Lebensbedingungen Das entspricht auch tatsächlich der Lebensrealität. Ich der Familien eingreifen. Der Gesetzentwurf trägt kenne viele Väter, die darauf auch bestehen. Deswegen schlicht und ergreifend dem Rechnung, was jetzt schon sollten wir nicht immer nur davon reden, dass die Mütter Realität ist, statt einem veralteten Familienbild, das es im zweiten Rang sind. Vielleicht nehmen auch Sie es – manche mögen das bedauern – schon lange nicht mehr wahr, Herr Wunderlich, dass wir nicht nur die Mütter be- gibt. Insofern geht es nicht um Ideologie, sondern um die lasten; es können durchaus auch Väter sein. Ich wünsche Anpassung der Gesetzeslage an die Lebensrealität. mir, dass noch viel mehr Väter – vielleicht nicht gerade in einer Trennungsphase, aber insgesamt – Erziehungs- Ich will einen weiteren Punkt ansprechen. Denn ich verantwortung übernehmen. finde es nicht fair, Herr Wunderlich, wie Sie den Fall ei- ner Großmutter dargestellt haben, die ein Kind erzieht (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ und der das Jugendamt den Unterhalt sperrt. Das finde DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der ich nicht in Ordnung, weil dadurch Emotionen und LINKEN) Ängste geschürt werden. Wenn das Jugendamt die Un- terhaltsleistungen nach dem Unterhaltsvorschussgesetz Inhaltlich ist schon viel gesagt worden. Kinder sind einstellt, dann gibt es in diesem Fall noch einen anderen (B) zu Recht im ersten Rang, weil sie keinerlei Einfluss da- Topf, aus dem Leistungen gewährt werden. Denn wenn (D) rauf haben, wie ihre Eltern leben. Keine Mutter fragt ihr die betroffene Frau ALG II bezieht, wie Sie angegeben Kind, ob sie dessen Vater heiraten soll oder sich von ihm haben, dann kann sie als Teil einer Bedarfsgemeinschaft trennen soll. In der Regel treffen diese Entscheidungen eine andere finanzielle Zuwendung – meines Wissens die Erwachsenen, was auch richtig ist, weil Kinder selten nach dem SGB II – erhalten. in der Lage sind, das ganze Geschehen entsprechend ein- zuschätzen. Aus diesem Grund sollen die Kinder nicht Dass Sie den Fall so darstellen, als würde die Groß- die Leidenden sein, sondern, egal, in welcher Lebens- mutter, die das Kind erziehen muss, kein Geld mehr be- situation sich ihre Eltern befinden, einen gleichen An- kommen, weil das Jugendamt den Unterhalt sperrt, finde spruch haben, und deswegen ist es auch gut, dass sie ich unfair. Das ist nicht richtig, und es soll deshalb nicht jetzt allein im ersten Rang sind und sich nicht wie bisher unwidersprochen stehen bleiben. das, was im Mangelfall zu verteilen ist, mit einer Ehe- frau oder gegebenenfalls auch zwei oder drei Ehefrauen (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) teilen müssen. Das Unterhaltsvorschussgesetz und die steuerlichen (Daniela Raab [CDU/CSU]: Oder Ehemän- Auswirkungen sind bereits als Themen genannt worden, nern!) denen wir uns noch widmen müssen. Dem sollten wir uns auch nicht verschließen, weil es wichtige Themen – Ja, oder Ehemännern, okay. Aber bei den Zweit- und sind. Drittmännern sind die Frauen vielleicht doch noch nicht so weit. Da kenne ich noch nicht so viele; aber gut, das Ich bin aber froh, dass sich die Stichtagsregelung alles mag irgendwann kommen. Es muss ja auch nicht nicht durchgesetzt hat. Dann hätte es keine Transparenz sein, es ist ja vielleicht auch gar nicht wünschenswert, gegeben. Es hätte zwei Gesetze nebeneinander gegeben, für so viele sorgen zu müssen. was zu einer großen Verunsicherung geführt hätte. Kinder sind im ersten Rang und dann im zweiten Es wurde das Anliegen geäußert, die Ehe von langer Rang, wie angesprochen, die erziehenden Elternteile, Dauer besonders zu privilegieren. Das alles geht nur zu- weil eben ein Kind nicht von dem Elternteil losgelöst ge- lasten der Kinder. Sie kann dann nur im ersten Rang be- sehen werden kann, mit dem es zusammenlebt. Man rücksichtigt werden, und die Kinder müssen sich das, kann nicht sagen, ein Kind, das in einer ehelichen Bezie- was an Unterhalt zur Verfügung steht, teilen. Ein solches hung aufgewachsen ist, bekomme zwar das Gleiche wie Vorgehen nach dem Motto „Wasch mich, aber mach das in einer nichtehelichen Beziehung aufgewachsene, mich nicht nass“ funktioniert aber nicht. Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 124. Sitzung. Berlin, Freitag, den 9. November 2007 13025

Christine Lambrecht (A) (Irmingard Schewe-Gerigk [BÜNDNIS 90/ mit Fragen dieses Gesetzentwurfs auseinandergesetzt (C) DIE GRÜNEN]: Aber Sie haben doch auch hat. Der Kernsatz in dieser Entscheidung lautete: probiert, das zu regeln, Frau Kollegin!) Die unterschiedliche Regelung der Unterhaltsan- – Ich habe das noch nie angedacht. Ich habe nur auf ver- sprüche wegen der Pflege oder Erziehung von Kin- schiedene Anstöße von außen reagiert und nachgerech- dern in § 1570 des Bürgerlichen Gesetzbuches net. Es wäre immer wieder zulasten der Kinder gegan- einerseits und § 1615 l Abs. 2 Satz 3 des Bürgerli- gen. chen Gesetzbuches andererseits ist mit dem Art. 6 Abs. 5 des Grundgesetzes unvereinbar. Die Botschaft muss lauten: Die Kinder sind die Ge- winner der Reform. Da gibt es kein Wenn und Aber und Wir haben daraufhin geprüft, welche Wirkungen die- auch keine Ausnahme. ses Urteil hat, und sind zu dem Ergebnis gekommen, die ursprüngliche Formulierung in einigen Bereichen zu än- Vielen Dank. dern. Unsere Ziele bei der Neuformulierung waren: ers- (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie tens das Kindeswohl, zweitens der Schutz der Ehe, ins- bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE besondere der Ehe von langer Dauer, und drittens die GRÜNEN) Verfassungsfestigkeit des Gesetzes. Das Kindeswohl steht an erster Stelle; das war immer Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: unser Wunsch und unser Wille. Jedes Kind ist uns gleich Jetzt haben wir eine Kurzintervention des Kollegen viel wert. Deshalb war es wichtig, den Unterhaltsansprü- Gehb. chen der Kinder unabhängig von der Frage des Status der Eltern Priorität einzuräumen. Dr. Jürgen Gehb (CDU/CSU): (Beifall der Abg. Mechthild Rawert [SPD]) Vielen Dank. – Ich habe mich nur deshalb gemeldet, Der zweite beim Kindeswohl zu berücksichtigende weil mir durch zweimalige Ablehnung einer Zwischen- Punkt ist, dass Kinder bei einer Trennung der Eltern be- frage nicht die Gelegenheit gegeben worden ist, in die- sonders schutzwürdig sind. Wir haben sichergestellt, sem Hause dem Eindruck entgegenzuwirken, dass dass Mütter und Väter, die ihre Kinder auch nach der ausschließlich die Familienpolitiker der CDU/CSU- Scheidung selbst betreuen wollen, dies weiterhin tun Fraktion Ewiggestrige seien, die die Verfassung nicht können. kennen würden. Besonders wichtig war uns auch, dass die Institution (Klaus Uwe Benneter [SPD]: Vorgestrige!) Ehe nicht ausgehöhlt wird. Deshalb sind wir erstens ein- (B) (D) verstanden mit der Formulierung, die jetzt gefunden In dem Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht worden ist: Wenn ein geschiedener Ehepartner in der – es wird andauernd herangezogen, um uns zu beleh- Ehe auf berufliches Fortkommen verzichtet hat, um ge- ren – hat das Bundesjustizministerium selbst bei der meinsame Kinder zu erziehen, kann dieser nach der Frage, ob die Regelung über die Ehedauer verfassungs- Scheidung durch eine individuell maßgeschneiderte Lö- widrig ist, in seiner Stellungnahme ausgeführt, dass es in sung des Gerichts für längere Zeit Unterhalt beziehen. diesem Verfahren auf nacheheliche Solidarität ankommt. (Daniela Raab [CDU/CSU]: Genau!) Dass man nach einer Entscheidung des Bundesverfas- sungsgerichts klüger werden kann, weiß jeder von uns. Das ist richtig und gerecht und wird durch die Neufor- Aber man sollte nicht so tun, als hätten die einen von mulierung des Gesetzes ermöglicht. Anfang an die Weisheit mit Löffeln gefressen, während Zweitens kann die Leistung der Kindererziehung zu die anderen die Ewiggestrigen und Dummen sind. Das einer unterschiedlichen Bewertung in der Praxis führen. bitte ich, hinzunehmen. Das lasse ich nicht als Stigma Das ist richtig. auf meinen Kolleginnen und Kollegen der CDU/CSU- Fraktion sitzen. Drittens ist es recht und billig und uns wichtig, dass Frauen mit langjähriger Ehe, die keine Kinder mehr er- (Beifall bei der CDU/CSU) ziehen, beispielsweise weil diese schon aus dem Haus sind, an die zweite Stelle aufrücken können. Das ist Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: keine Abwertung, sondern eine Aufwertung der Ehe. Offensichtlich möchte niemand antworten. Deswegen Denn eines ist für uns nach wie vor klar: Die Ehe ist erteile ich jetzt das Wort dem Kollegen Johannes keine Lebensform unter vielen; sie ist nach wie vor die Singhammer für die CDU/CSU-Fraktion. Lebensform, für die sich Männer und Frauen am häu- figsten entscheiden. Das wird auch in Zukunft so sein. Johannes Singhammer (CDU/CSU): (Beifall bei der CDU/CSU) Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Männer und Frauen entscheiden sich bewusst für die Herren! Im Mai dieses Jahres standen wir bereits kurz Erziehung der gemeinsamen Kinder und wollen die Ehe vor der abschließenden Beratung eines gemeinsamen als dauerhaften personalen Bund auch in der Zukunft. Gesetzentwurfs der Großen Koalition. 48 Stunden vor der Verabschiedung ist eine Entscheidung des Bundes- Art. 6 Abs. 1 unseres Grundgesetzes verbürgt diesen verfassungsgerichts ergangen, die sich im Kernbereich besonderen Schutz von Ehe und Familie. Für die, die 13026 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 124. Sitzung. Berlin, Freitag, den 9. November 2007

Johannes Singhammer (A) diesen Artikel nicht mehr ganz im Gedächtnis haben, und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem (C) darf ich zitieren: Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Damit ist der Gesetz- Ehe und Familie stehen unter dem besonderen entwurf mit dem gleichen Stimmenverhältnis wie zuvor Schutze der staatlichen Ordnung. angenommen. Wer etwas anderes will, muss das Grundgesetz ändern. Wir kommen zur Abstimmung über die Beschluss- Meine sehr verehrten Damen und Herren, trotz hoher empfehlung des Rechtsausschusses zu dem Antrag der Scheidungszahlen, auf die zu Recht hingewiesen worden Fraktion der FDP mit dem Titel „Unterhaltsrecht ohne ist, haben viele junge Menschen nach wie vor den weiteres Zögern sozial und verantwortungsbewusst den Wunsch, eine Ehe einzugehen und eine Familie zu grün- gesellschaftlichen Rahmenbedingungen anpassen“. Der den. Die Ehe wird auch in Zukunft kein Relikt aus ver- Ausschuss empfiehlt unter Buchstabe b seiner Be- gangenen Zeiten sein, sondern die meistgewünschte Le- schlussempfehlung auf Drucksache 16/6980, den Antrag bensform. Deshalb lautet, vor allem angesichts so hoher der Fraktion der FDP auf Drucksache 16/891 abzuleh- Scheidungszahlen, der Auftrag an die Familienpolitik, nen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Ge- gute Rahmenbedingungen für die Ehe zu schaffen. genstimmen? – Enthaltungen? – Damit ist die Beschluss- empfehlung bei Zustimmung der Fraktionen Die Linke, Die Institution Ehe hat Zukunft. An die Adresse der SPD, Bündnis 90/Die Grünen und von großen Teilen der Grünen sage ich: In einem bin ich mir ganz sicher, Herr CDU/CSU-Fraktion sowie bei Gegenstimmen der FDP Montag, und einigen Enthaltungen innerhalb der CDU/CSU- (Jerzy Montag [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Fraktion angenommen. NEN]: Ich kenne die Ehe!) Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bun- nämlich dass die Institution Ehe länger existieren wird desregierung eingebrachten Entwurf eines Ersten Geset- als mancher Kreisverband der Grünen. zes zur Änderung des Unterhaltsvorschussgesetzes. Der Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (Beifall bei der CDU/CSU – Heiterkeit – Jerzy empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksa- Montag [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das che 16/5444, den Gesetzentwurf der Bundesregierung war das Schlusswort der Woche! – Josef Philip auf Drucksache 16/1829 in der Ausschussfassung anzu- Winkler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ist nehmen. Hierzu liegt ein Änderungsantrag der Fraktio- schon Karneval, oder was?) nen der CDU/CSU und der SPD vor, über den wir zuerst abstimmen werden. Wer stimmt für den Änderungsan- (B) Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: trag auf Drucksache 16/7037? – Wer stimmt dagegen? – (D) Ich schließe die Aussprache. Enthaltungen? – Damit ist der Änderungsantrag bei Zu- stimmung von Koalition und FDP, Gegenstimmen von Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bun- der Linken und Enthaltung von Bündnis 90/Die Grünen desregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur Ände- angenommen. rung des Unterhaltsrechts. Erklärungen zur Abstimmung nach § 31 unserer Geschäftsordnung liegen von den Kol- Ich bitte nun diejenigen, die dem Gesetzentwurf in leginnen und Kollegen Thomas Bareiß, Antje der Ausschussfassung mit der eben beschlossenen Ände- Blumenthal, Maria Eichhorn, Manfred Kolbe, Dr. Eva rung zustimmen wollen, um das Handzeichen. – Gegen- Möllring, Annette Widmann-Mauz und Dr. Maria stimmen? – Enthaltungen? – Damit ist der Gesetzent- Flachsbarth vor.1) wurf bei Zustimmung durch Koalition und FDP, Gegenstimmen von der Linken und Enthaltung von (Klaus Uwe Benneter [SPD]: Das sind ja alles Bündnis 90/Die Grünen angenommen. die Familienpolitiker der CDU/CSU!) Der Rechtsausschuss empfiehlt unter Buchstabe a Interfraktionell ist vereinbart, unmittelbar in die dritte seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/6980, Beratung einzutreten. Sind Sie damit einverstanden? – den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache Das ist der Fall. 16/1830 in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte Dritte Beratung jetzt diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wol- len, um ihr Handzeichen. – Gegenstimmen? – Enthaltun- und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem gen? – Damit ist der Gesetzentwurf bei Zustimmung der Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – SPD-Fraktion, der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, der Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Damit ist der FDP-Fraktion und eines Großteils der CDU/CSU-Frak- Gesetzentwurf in dritter Beratung mit dem gleichen tion, Gegenstimmen von der Fraktion Die Linke und ei- Stimmenverhältnis wie zuvor angenommen. nigen Enthaltungen in der CDU/CSU-Fraktion ange- nommen. Wir kommen jetzt zur Abstimmung über die Ent- schließungsanträge. Wer stimmt für den Entschließungs- Wir kommen zur antrag der Fraktion der FDP auf Drucksache 16/5482? – Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Damit ist der Ent- dritten Beratung schließungsantrag bei Zustimmung durch die einbrin- gende Fraktion und Gegenstimmen im übrigen Haus ab- 1) Anlagen 7 bis 11 gelehnt. Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 124. Sitzung. Berlin, Freitag, den 9. November 2007 13027

Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt (A) Wer stimmt für den Entschließungsantrag der Frak- Überweisungsvorschlag: (C) tion Die Linke auf Drucksache 16/5483? – Gegenstim- Ausschuss für Arbeit und Soziales (f) men? – Enthaltungen? – Dieser Entschließungsantrag ist Ausschuss für Kultur und Medien bei Zustimmung der Fraktion Die Linke, Ablehnung von Hier wäre eine halbe Stunde Debatte vorgesehen. Der Koalition und FDP sowie bei Enthaltung von Bünd- Kollege Gerald Weiß, die Kollegin Angelika Krüger- nis 90/Die Grünen abgelehnt. Leißner, die Kollegen Heinz-Peter Haustein und Profes- Ich rufe die Tagesordnungspunkte 41 a und 41 b auf: sor Dr. Lothar Bisky sowie die Kollegin Brigitte Pothmer haben ihre Reden zu Protokoll gegeben.1) a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Lothar Bisky, Dr. Lukrezia Jochimsen, Dr. Diether Dehm, Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE den Drucksachen 16/6080 und 16/6436 an die in der Ta- LINKE gesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? – Das ist der Fall. Dann Anpassung der Sozialgesetzgebung für Kul- sind die Überweisungen so beschlossen. tur-, Medien- und Filmschaffende – Drucksache 16/6080 – Wir sind damit am Schluss der heutigen Tagesord- nung. Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Arbeit und Soziales (f) Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bun- Rechtsausschuss Ausschuss für Kultur und Medien destages auf Mittwoch, den 14. November 2007, 13 Uhr, Haushaltsausschuss ein. b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Brigitte Genießen Sie die gewonnenen Einsichten und das Pothmer, Katrin Göring-Eckardt, Kerstin Andreae, Wochenende. weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN Die Sitzung ist geschlossen. Neue Sicherheit für flexible Arbeitsverhält- (Schluss: 15.44 Uhr) nisse – Drucksache 16/6436 – 1) Anlage 12

(B) (D)

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 124. Sitzung. Berlin, Freitag, den 9. November 2007 13029

(A) Anlagen zum Stenografischen Bericht (C)

Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten

entschuldigt bis entschuldigt bis Abgeordnete(r) einschließlich Abgeordnete(r) einschließlich

Dr. Akgün, Lale SPD 09.11.2007 Scharfenberg, Elisabeth BÜNDNIS 90/ 09.11.2007 DIE GRÜNEN Amann, Gregor SPD 09.11.2007 Dr. Schavan, Annette CDU/CSU 09.11.2007 Andres, Gerd SPD 09.11.2007 Schily, Otto SPD 09.11.2007 Bismarck, Carl-Eduard CDU/CSU 09.11.2007 von Schmidbauer, Bernd CDU/CSU 09.11.2007

Connemann, Gitta CDU/CSU 09.11.2007 Strothmann, Lena CDU/CSU 09.11.2007

Dr. Däubler-Gmelin, SPD 09.11.2007 Thönnes, Franz SPD 09.11.2007 Herta Wicklein, Andrea SPD 09.11.2007 Dörflinger, Thomas CDU/CSU 09.11.2007 Wieczorek-Zeul, SPD 09.11.2007 Dreibus, Werner DIE LINKE 09.11.2007 Heidemarie

Drobinski-Weiß, Elvira SPD 09.11.2007 Dr. Wiefelspütz, Dieter SPD 09.11.2007

Dr. Eid, Uschi BÜNDNIS 90/ 09.11.2007 Winkelmeier-Becker, CDU/CSU 09.11.2007 (B) DIE GRÜNEN Elisabeth (D) Ernst, Klaus DIE LINKE 09.11.2007 Wolf (Frankfurt), BÜNDNIS 90/ 09.11.2007 Margareta DIE GRÜNEN Freitag, Dagmar SPD 09.11.2007

Gehrcke, Wolfgang DIE LINKE 09.11.2007 Anlage 2 Irber, Brunhilde SPD 09.11.2007 Erklärung

Knoche, Monika DIE LINKE 09.11.2007 des Abgeordneten Volker Schneider (Saarbrü- cken) (DIE LINKE) zur Abstimmung über den Kotting-Uhl, Sylvia BÜNDNIS 90/ 09.11.2007 Entwurf eines Gesetzes zur Reform der Tele- DIE GRÜNEN kommunikationsüberwachung (… Gesetz zur Änderung der Strafprozessordnung) (Zusatz- Kretschmer, Michael CDU/CSU 09.11.2007 tagesordnungspunkt 15 a) Kunert, Katrin DIE LINKE 09.11.2007 Ich erkläre, dass die Fraktion Die Linke den Gesetz- entwurf ablehnt. Lafontaine, Oskar DIE LINKE 09.11.2007

Dr. Lauterbach, Karl SPD 09.11.2007 Anlage 3 Dr. Lippold, Klaus W. CDU/CSU 09.11.2007 Erklärung nach § 31 GO Lötzer, Ulla DIE LINKE 09.11.2007 der Abgeordneten Gunter Weißgerber und Rainer Fornahl (beide SPD) zur Abstimmung Müntefering, Franz SPD 09.11.2007 über die Beschlussempfehlung zu den Anträ- gen: Nitzsche, Henry fraktionslos 09.11.2007 – Errichtung eines Freiheits- und Einheits- Runde, Ortwin SPD 09.11.2007 Denkmals 13030 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 124. Sitzung. Berlin, Freitag, den 9. November 2007

(A) – Errichtung eines Denkzeichens mit Doku- demonstrationen wurden von der Opposition mutig auf (C) mentationszentrum zur Erinnerung an die ihre Weise in Anspruch genommen. Beispielhaft sei hier friedliche Revolution 1989 die Kundgebung vom Januar 1989 genannt – wenn auch den Demonstranten damals nicht bekannt war, dass sie – Diskussionsprozess über ein Freiheits- und mit Luxemburg ausgerechnet eine Gegnerin von freien Einheitsdenkmal unter breit angelegter Wahlen auf ihr Schild hoben. In Berlin wurde die Grenze Beteiligung der Öffentlichkeit initiieren zuerst löchrig, in Berlin beschloss die freie Volkskam- (Tagesordnungspunkt 33 c) mer gemäß dem Willen der meisten Deutschen in Ost und West den Beitritt zur Bundesrepublik Deutschland, Wir haben in der Diskussion für ein gemeinsames und in dieser Stadt wurde dieser Beitritt der endlich Denkmal in Berlin und Leipzig geworben. Wir haben da- freien und tatsächlich demokratischen DDR nach Art. 23 mit gebeten, für ein Denkmal zu stimmen, welches in GG der Bundesrepublik Deutschland im Einvernehmen beiden Städten den langen Weg von deutscher Teilung mit den Siegermächten und unseren Nachbarn vollzo- im besonderen Abbild der Teilung Berlins über die ost- gen. Mit dem weltweit spektakulären Fall der Mauer deutsche Freiheit infolge der friedlichen Revolution kam bildhaft das Ende des Kalten Krieges, kam die 1989/90 mit ihrem gewaltigem Anteil der Leipziger Chance auf die europäische Einigung auf friedlichem Montagsdemonstrationen und letztlich die Vereinigung Wege. Für die Welt steht das vereinigte Berlin, die verei- beider deutscher Staaten am 3. Oktober 1990 abbildet. nigte deutsche Hauptstadt als Symbol für die Überwin- Seit Jahren wird die Idee eines nationalen Freiheits- dung der Blockkonfrontation, für das Gelingen freiheitli- und Einheitsdenkmals diskutiert. Ein erster parlamenta- cher und demokratischer Volksbewegungen in Mittel- rischer Vorstoß scheiterte 2001 im Deutschen Bundes- und Osteuropa. Deshalb muss Berlin ein Standort des tag. Die Zeit schien damals einer Mehrheit noch nicht Nationalen Freiheits- und Einheitsdenkmales werden. reif für solch ein Projekt. Jetzt schreiben wir 2007, und In Leipzig muss jedoch das Pendant zum Berliner es gilt einen Stimmungswandel zu konstatieren. Nicht Denkmal stehen. Die Leipziger Nikolaikirche mit ihren nur, dass inzwischen eine befürwortende Mehrheit für Friedensgebeten seit 1982 war der „Zünder der friedli- das Denkmal als sicher angenommen werden kann, es chen Revolution 1989/90“, der Leipziger Augustusplatz mehren sich sogar die Vorschläge für dessen örtlichen war mit seinen machtvollen Massendemonstrationen bis Sitz. Zu Berlin sind zwei Vorschläge hinzugekommen: zu den Volkskammerwahlen 1990 der wichtigste Garant ein alternativer für Leipzig allein und ein kommunizie- für den Bestand des am 9. Oktober Erreichten und der render für Berlin und Leipzig. Sämtliche Ideen haben unablässig drehende „Motor der Deutschen Einheit“. großes Gewicht, auf eine Lösung sollten wir uns unauf- Bereits im September 1989 schwollen die Leipziger De- geregt einigen. Als Leipziger Bundestagsabgeordnete monstrationen unter dem selbstbewussten Ruf „Wir sind (B) nehmen wir uns das Recht der Einmischung in die Dis- das Volk“ zu zehntausenden Teilnehmern an. Ein An- (D) kussion und plädieren für die deutsche Hauptstadt und schwellen, welches in Verbindung mit der Begeisterung für Leipzig als übergreifende Orte des Nationalen Ein- über die Massenausreisen aus Ungarn und der Wut über heits- und Freiheitsdenkmales. Berlin und Leipzig kön- die Ignoranz der DDR-Staatsführung, die Botschaftsaus- nen beide nicht allein für diese Idee stehen. reisenden mit Zügen quer durch den Süden der DDR zu Sinnbild der 40-jährigen deutschen Teilung war die transportieren, zu bürgerkriegsähnlichen Zusammenstö- blutige Grenze inmitten Deutschlands, inmitten Berlins. ßen am Dresdner Hauptbahnhof und zu weiteren bedroh- In besonders brutalem Maße zerschnitt hier die Grenze lichen Situationen an der gesamten Bahnstrecke bis die deutsche Hauptstadt, stand die Einmauerung des frei- Plauen führten. heitlichen West-Teiles von Berlin für das deutsche Nach- kriegstrauma. An der Blockade Westberlins, am Mauer- Nach der am 5. Oktober 1989 in der Leipziger Volks- bau 1961 nahmen die gesamte deutsche und die zeitung veröffentlichten Drohung des Kampfgruppen- Weltöffentlichkeit großen Anteil. Der Volksaufstand von einsatzes gegen die Bevölkerung wurde es am 7. Okto- 1953, der unsere 89er politischen Forderungen vorweg- ber in Leipzig, Plauen, auch in Berlin besonders brisant. nahm und in Ostberlin begann, sowie das geteilte Berlin In diesen drei Städten waren ob bzw. wegen dieser Dro- wurden weltweit zum Synonym für die deutsche Tei- hung Tausende auf den Beinen und hielten der SED und lung, für die Ost-West-Blockkonfrontation. Hier be- dem MfS mutig die Stirn entgegen. Die in diesem Zu- kannte Kennedy, dass er ein Berliner sei, und Reagan sammenhang gestreute „chinesische Lösung“ des Mas- forderte den Fall der Mauer. Willy Brandt war der legen- sakers vom „Platz des Himmlischen Friedens“ in Peking däre regierende „Frontstadt“bürgermeister, der für die als einer realen Möglichkeit für die SED-Führung im meisten Ostdeutschen bis 1989 die verkörperte Hoff- Umgang mit den Demonstranten war eine Drohung und nung auf Freiheit und Demokratie blieb. Westberlin war durchaus sehr ernst gemeint. Selbst Internierungslager für die SED der Stachel im Fleisch des kommunistischen zur Konzentration von Sozialismusfeinden an ausge- Systems, für viele Menschen in der DDR war es das suchten Orten waren konzipiert. In dieser spannungs- Schaufenster in den freien Westen, die freie Informa- geladenen Stimmung, die an einen positiven und un- tionsquelle und die ständige Nahrung für die Hoffnung blutigen Ausgang der für den 9. Oktober erwarteten auf demokratische Entwicklungen. Demonstration in Leipzig nicht denken ließ, kamen den- noch an diesem Montag 70 000 Menschen aus Leipzig In Ostberlin etablierte sich frühzeitig eine rege Unter- und der DDR zwischen Nikolaikirchhof und Augustus- grundszene samt einer reichen Samisdatliteratur. Die platz zusammen. Eine Menschenmenge, die auf SED Umweltbibliothek wurde 1987 von der gestürmt und MfS so abschreckend wirkte, dass sie aus einer all- und die staatlich zelebrierten Luxemburg/Liebknecht- gemeinen Lähmung heraus den Dingen hilflos ihren Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 124. Sitzung. Berlin, Freitag, den 9. November 2007 13031

(A) Lauf lassen musste. Zwar begann die Partei- und Staats- chen Revolution am 9. Oktober 1989 in Leipzig bis zum (C) führung dann schnell über den beginnenden Dialogpro- der 4. November 1989 Ostberlin. Einmal steht der zess und mittels personeller Änderungen in der Führungs- 4. November 1989 für den Beginn der SED-„Reformer“- spitze zu versuchen, das Heft des Handelns wieder in die Oper „Für unser Land“ und meinte den Erhalt der DDR, Hände zu bekommen, doch gelangen diese Strategien ge- und zum anderen fehlt komplett das Wissen um die genüber der wachen Bevölkerung glücklicherweise nicht. friedliche Revolution in der DDR. Bleiben wir bei einem Denkmal in Berlin, so wird zukünftig nur noch des Mau- Die Menschen in Leipzig, Plauen, Dresden, überall in erfalls und der Deutsche Einheit gedacht werden. Dieser der DDR wussten, dass die Demonstrationen in großem Geschichtsverlust ist nicht hinzunehmen! Die friedliche Stile weitergehen mussten. Die Ergebnisse des 9. Okto- Revolution brachte in Ostdeutschland die Freiheit und ber von Leipzig bedurften der Sicherung, sollte dieser den Mauerfall, danach erging der Auftrag der Bevölke- 9. Oktober 1989 nicht wie der 17. Juni 1953 später als rung an die Politik, die Einheit zügig zu gestalten. konterrevolutionärer Umsturzversuch der Vergessenheit anheimfallen. Im Windschatten der Leipziger Massende- Dies sind unsere Gedanken zum Thema. Achten wir monstrationen 1989/90 wuchsen die DDR-weiten Kund- im Diskussionsprozess um die Gestaltung des zweiteili- gebungen und Demonstrationen zu Ereignissen heran, gen Denkmales auf die Berücksichtigung des histori- die dann auch ganz schnell aus dem emanzipatorischen schen Kontextes: Ohne die inner- und außerkirchliche Ruf „Wir sind das Volk“ die politische Forderung „Wir Opposition in der DDR, ohne die immerwährenden sind ein Volk“ werden ließen. Wohl wissend, dass nur die Fluchtbewegungen in den Westen, ohne die Massen- Einheit in Freiheit ein größtes Maß an Sicherheit vor der fluchten von 1989, ohne die Montagsgebete und die Restitution der alten Machtverhältnisse in der DDR bot. friedliche Revolution und ohne die Weiterführung dieser Revolution bis zu den Wahlen im März 1990 und in An- Der Mauerfall am 9. November 1989 war dann die lo- betracht der Möglichkeit eines geglückten Moskauer gische Folge. Wir haben neben der meist in diesem Zu- Putsches, beispielsweise der vom August 1991, würden sammenhang aufkommenden Erklärung der Überforde- wir heute nicht einmal des 9. Oktober in Freiheit geden- rung der SED-Führung eine eher politische Erklärung ken, geschweige denn uns der Deutschen Einheit des anzubieten. Die DDR-Führung suchte nach Druckentlas- Jahres 1990 erfreuen können. Seien wir stolz auf die tung, geöffnete Grenzen schienen ein passables Mittel in „Neue Ostpolitik“ der Regierung Brandt/Scheel, auf das diesem Sinne zu sein. Die Rechnung war einfach und KSZE-Engagement der Regierung Schmidt/Genscher, dennoch eine der üblichen Fehleinschätzungen der SED. und seien wir dankbar, dass die Regierung Kohl/ Die mit der DDR restlos Unzufriedenen sollten gehen, Genscher Helmut Schmidts Anstrengungen für den damit den Massendemonstrationen die Kraft nehmend. Nato-Doppelbeschluss weiterführte und damit dem INF- Die im „Lande“ Verbleibenden sollten die DDR tapezie- Vertrag von 1987 – Vernichtung sämtlicher atomarer (B) ren helfen. Den weitergehenden Montagsdemonstratio- Mittelstreckensysteme in Europa – zwischen den USA (D) nen sei Dank, diese Rechnung der SED ging nicht auf. und der Sowjetunion den Boden bereitete. Beide Politik- Es gelang, die Menschen weiterhin für die Demonstra- ansätze, die Entspannungs- als auch die Gleichgewichts- tionen bis zu den ersten freien Volkskammerwahlen am politik, haben beträchtlichen Anteil an der Implosion der 18. März 1990 zu interessieren und so das Errungene des Sowjetunion und des Ostblocks. Herbstes 1989 zu sichern. Vergessen wir bei allem Stolz auf eigene Leistungen Demgegenüber war Ostberlin, und das soll keine Ge- nicht die Freiheitsbewegungen in unseren östlichen Nach- genrede, wohl aber eine Klarstellung sein, im Herbst barstaaten. Ohne die Polen mit ihrer Solidarnosc, ohne die 1989 die Arena der Befürworter einer weiteren Zwei- Tschechen mit ihrer Charta 77 und ohne den Mut der „lus- staatlichkeit Deutschlands. In Berlin fand am 4. Novem- tigsten Baracke im Ostblock“, den Ungarn, würden noch ber 1989 die größte DDR-Tapezierungsgroßdemonstra- heute Menschen ohne Hoffnung auf Freiheit und Demo- tion statt, der im Nachgang der DDR-Erhaltungsaufruf kratie in der Leipziger Nikolaikirche und überall in der von Christa Wolf „Für unser Land“ folgte. Dagegen er- DDR beten und sich vor der außer- und innerhalb der Kir- ging aus Leipzig der „Leipziger Aufruf“ von Johannes che beobachtenden Staatsmacht fürchten müssen. Wenzel für den Aufbau von konföderativen Strukturen zwischen beiden deutschen Staaten mit dem Ziel der Einheit als schnelle Antwort auf den Ostberliner Aufruf. Anlage 4 Leipzig und die gesamte ostdeutsche Provinz standen 1989/90 für die Einheit, (Ost-)Berlin für einen nebulösen Erklärung nach § 31 GO „Dritten Weg“. der Abgeordneten Christoph Strässer, Niels Nachhaltig unterstrichen wird die Notwendigkeit ei- Annen, Dr. Axel Berg, Lothar Binding (Heidel- nes korrespondierenden Denkmals Berlin/Leipzig am berg), Marco Bülow, Siegmund Ehrmann, Beispiel des Siegers im jüngsten Wettbewerb der „Stif- Gabriele Frechen, Martin Gerster, Renate tung für Aufarbeitung“. Der Siegervorschlag sieht 13 In- Gradistanac, Angelika Graf (Rosenheim), schriften mit historischen Daten vor. Beginnend mit dem Gabriele Groneberg, Gabriele Hiller-Ohm, Mai 1949 – der Gründung der Bundesrepublik Deutsch- Christel Humme, Josip Juratovic, Anette land – und endend mit der staatlichen Einheit am 3. Ok- Kramme, Ernst Kranz, Jürgen Kucharczyk, tober 1990. Die Kette der Geschichtsdaten zwischen die- Katja Mast, Dr. Matthias Miersch, Dr. Rolf sen beiden Punkten ist diskutabel. Nicht diskutabel ist Mützenich, Andrea Nahles, Dr. Ernst Dieter die Abfolge zwischen der ungarischen Grenzöffnung am Rossmann, Bernd Scheelen, Ewald Schurer, 2. Mai 1989 unter Auslassung des Beginns der friedli- Wolfgang Spanier und Dr. Ditmar Staffelt (alle 13032 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 124. Sitzung. Berlin, Freitag, den 9. November 2007

(A) SPD) zur Abstimmung über den Entwurfs eines zum Beispiel nicht ersichtlich, warum Abgeordnete des (C) Gesetzes zur Neuregelung der Telekommunika- Deutschen Bundestages einen höheren Schutz genießen tionsüberwachung und anderer verdeckter sollen als Rechtsanwälte, Ärzte und insbesondere unter Ermittlungsmaßnahmen sowie zur Umsetzung der Geltung des Art. 5 GG auch Journalisten. der Richtlinie 2006/24/EG (Zusatztagesord- nungspunkt 15 a) Fünftens. Wir werden diesem Gesetzentwurf trotz dieser Bedenken zustimmen, weil es den Rechtspoliti- Trotz schwerwiegender politischer und verfassungs- kern unserer Fraktion gelungen ist, hohe Hürden für die rechtlicher Bedenken werden wir im Ergebnis dem Ge- Umsetzung dieser problematischen Restriktionen einzu- setzentwurf aus folgenden Erwägungen zustimmen. ziehen. Ein generell geltender Richtervorbehalt zum Beispiel für den Zugriff auf bei den Telekommunika- Erstens. Grundsätzlich stimmen wir mit dem Ansatz tionsunternehmen anlasslos gespeicherte Verbindungs- der Bundesregierung und der Mehrheit unserer Fraktion daten, das ausdrückliche Verbot des Rückgriffs auf dahingehend überein, dass die insbesondere durch den Informationen, die zum Kernbereich der privaten Le- internationalen Terrorismus und dessen Folgeerschei- bensgestaltung gehören, die Beschränkung des Zugriffs nungen entstandene labile Sicherheitslage auch in und der Verwertung auf „Straftaten von erheblicher Be- Deutschland neue Antworten benötigt. Dabei sind wir deutung“ machen den dargestellten Paradigmenwechsel uns auch bewusst, dass insbesondere durch die rasante weniger unerträglich. Auch die erfolgreichen Bemühun- Entwicklung der Telekommunikation auch in diesem gen der Bundesregierung, Veränderungen bei der EU- Bereich Maßnahmen zur Verhinderung schwerster Straf- Richtlinie 2006/24/EG herbeizuführen – so war dort für taten notwendig sind. die Vorratsdatenspeicherung ein Zeitraum von 36 Mona- Zweitens. Auf der anderen Seite ist jedoch zu beach- ten vorgesehen –, werden ausdrücklich gewürdigt. Der ten, dass – nicht zuletzt befördert durch die ständige Gesetzentwurf trägt deshalb nach unserer Auffassung Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts – Frei- nicht den Makel der offensichtlichen Verfassungswidrig- heitsrechte wie das Recht auf informationelle Selbstbe- keit auf der Stirn wie beispielsweise die Vorschläge aus stimmung konstitutiven Charakter für die Existenz unse- dem Innen- bzw. Verteidigungsministerium zur Online- res Gemeinwesens haben und die Beachtung dieser Durchsuchung, zum Einsatz der Bundeswehr im Inneren Rechte immer wieder angemahnt wurde. Wir erinnern an über die Vorschriften des Art. 35 Abs. 2, 3 GG hinaus die Entscheidungen zur Volkszählung, zur „akustischen oder gar zur Neuauflage eines Luftsicherheitsgesetzes. Wohnraumüberwachung“, zum Luftsicherheitsgesetz Eine Zustimmung ist auch deshalb vertretbar, weil davon oder zum niedersächsischen Polizeigesetz. auszugehen ist, dass in absehbarer Zeit eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts möglicherweise verfas- Drittens. In diesem Abwägungsprozess gilt für uns, sungswidrige Bestandteile für unwirksam erklären wird. (B) dass Sicherheit keinen Vorrang vor Freiheit genießen (D) darf, will man beides gewährleisten. Weder gibt unsere Verfassung ein Grundrecht auf Sicherheit her, noch ist Anlage 5 vorstellbar, dass es ohne Abschaffung der Freiheit eine absolute Sicherheit gegen jedwede Gefährdung durch Erklärung nach § 31 GO kriminelles Handeln geben kann. der Abgeordneten Dr. Rolf Koschorrek und Viertens. In den letzten Jahren hat es eine zuneh- Dr. Hans Georg Faust (beide CDU/CSU) zur mende Tendenz gegeben, ohne die Effektivität bestehen- Abstimmung über den Entwurf eines Gesetzes der Gesetze zu überprüfen, mit neuen Gesetzen ver- zur Neuregelung der Telekommunikations- meintlich Sicherheit zu erhöhen und Freiheitsrechte überwachung und anderer verdeckter Ermitt- einzuschränken. Der vorliegende Gesetzentwurf beför- lungsmaßnahmen sowie zur Umsetzung der dert diesen Paradigmenwechsel und ist deshalb bedenk- Richtlinie 2006/24/EG (Zusatztagesordnungs- lich. Am Beispiel der sogenannten Vorratsdatenspeiche- punkt 15 a) rung sei dies verdeutlicht: Mit dem Gesetz werden die Dem Gesetzentwurf zur Neuregelung der Telekom- Telekommunikationsunternehmen zum ersten Mal ver- munikationsüberwachung und anderer verdeckter Er- pflichtet, die im Gesetz aufgeführten Daten zum Zwecke mittlungsmaßnahmen sowie zur Umsetzung der Richt- unter anderem der Strafverfolgung über einen Zeitraum linie 2006/24/EG werde ich nicht zustimmen. von sechs Monaten zu speichern. Das ist natürlich ein gravierender Unterschied zur bisherigen Rechtslage, wo- Ich stimme diesem Gesetzentwurf nicht zu, weil die nach den Unternehmen gestattet war, zu Abrechnungs- vorgesehene Differenzierung zwischen einerseits Seel- zwecken die entsprechenden Daten bis zu sechs Monate sorgern, Strafverteidigern und Abgeordneten sowie an- zu speichern. Aus dem Recht der Unternehmen wird dererseits weiteren Berufsgeheimnisträgern, zu denen eine Verpflichtung, auch zu anderen Zwecken. Damit ist auch Ärzte gehören, meiner Auffassung nach nicht der die Einschätzung nicht von der Hand zu weisen, dass Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zu ent- hier ein Generalverdacht gegen alle Bürger entsteht, die nehmen ist. Ich bin zudem der Auffassung, dass das Ver- solche Kommunikationsmittel benutzen, ohne dass für trauensverhältnis zwischen Patient und Arzt besonders die Speicherung als solche ein konkretes Verdachtsmo- schützenswert und damit dem zu Abgeordneten, Seelsor- ment bestehen muss. Ähnliche Bedenken gelten auch gern und Strafverteidigern gleichzustellen ist. Jeder Pa- hinsichtlich der Regeln im Bereich der Telekommunika- tient muss ohne Vorbehalt darauf vertrauen können, dass tionsüberwachung hinsichtlich der unterschiedlichen Be- das, was er seinem Arzt mitteilt, geheim bleibt. Durch handlung sogenannter Berufsgeheimnisträger. So ist uns das Gesetz wird nach meiner Überzeugung der überwie- Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 124. Sitzung. Berlin, Freitag, den 9. November 2007 13033

(A) genden Zahl der Patienten der Eindruck vermittelt, dass Erstens. Ich begrüße, dass minderjährige Kinder im (C) dem Arzt anvertraute Geheimnisse – anders als bisher – Unterhaltsrecht vorab zu berücksichtigen sind. nicht mehr umfassend geschützt sind. Zweitens. Durch die Beratungen über die Unterhalts- Das Bundesverfassungsgericht hat diesbezüglich zu- rechtsnovelle in dieser Wahlperiode wurde erreicht, dass dem immer wieder betont, dass der Schutz des Patienten die Ansprüche von unverheirateten Müttern verbessert höchste Priorität besitzen soll. Wer sich in ärztliche Be- wurden, sodass die Anspruchsgrundlage des § 1615 handlung begibt, muss und darf erwarten, dass alles, was BGB jetzt dem verfassungsrechtlichen Gebot der der Arzt im Rahmen seiner Berufsausübung über seine Gleichheit entspricht. Gesundheit erfährt, geheim bleibt und nicht zur Kenntnis Drittens. Es wird begrüßt, dass die Belange der Kin- Unberufener gelangt. Nur so kann, auch nach Auffas- der im Rahmen der Verpflichtung zur Betreuung gemäß sung des Bundesverfassungsgerichts, zwischen Patient § 1570 BGB ab dem 3. Lebensjahr zu berücksichtigen sind. und Arzt jenes Vertrauen entstehen, das zu den Grundvo- raussetzungen ärztlichen Wirkens zählt. Viertens. Bedenklich ist allerdings die Regelung der Rangfolge bei einer konkurrierenden zweiten (und wei- teren) Familiengründung. Anlage 6 Der geschiedene kinderbetreuende Elternteil – meis- Erklärung nach § 31 GO tens die Ehefrau – verliert im Ergebnis durch die Kon- kurrenz im zweiten Rang einen beträchtlichen Teil der der Abgeordneten Helga Kühn-Mengel, Unterhaltsansprüche. Damit verschlechtert sich auch die Dr. Reinhold Hemker, Hilde Mattheis, finanzielle Versorgung der gemeinsamen Kinder erheb- Mechthild Rawert, René Röspel und Jella lich. Die ehelichen Kinder sollten aber gemäß Art. 6 Teuchner (alle SPD) zur Abstimmung über den Abs. 5 GG mit nichtehelichen Kindern gleichgestellt Entwurf eines Gesetzes zur Neuregelung der Te- sein. Diese Balance wird bislang weitgehend hergestellt, lekommunikationsüberwachung und anderer weil der Unterhaltsverpflichtete neben seinem Anteil am verdeckter Ermittlungsmaßnahmen sowie zur Einkommen seinen hohen Selbstbehalt in die neue Fami- Umsetzung der Richtlinie 2006/24/EG (Zusatz- lie einbringt. Bei einem Gleichrang der erziehenden El- tagesordnungspunkt 15 a) ternteile werden jedoch die nachfolgenden unehelichen Erstens. Der Entwurf eines Gesetzes zur Neuregelung Kinder in der neuen Familie regelmäßig finanziell deut- der Telekommunikationsüberwachung und anderer ver- lich besser versorgt sein als diejenigen, die auf den Un- deckter Ermittlungsmaßnahmen sowie zur Umsetzung terhalt und die Erwerbstätigkeit ihrer Mutter angewiesen der Richtlinie 2006/24/EG schafft die notwendige sind. Es stellt sich deshalb die Frage, ob und wie die (B) Rechtssicherheit und Rechtsklarheit für verdeckte straf- Gleichstellung der Kinder verwirklicht werden soll, (D) prozessuale Ermittlungsmaßnahmen. wenn Art. 6 Abs. 5 GG sich auch auf die elterliche Fi- nanzlage bezieht. Darüber hinaus stellt sich die Frage, Zweitens. Patientinnen und Patienten haben ein Recht inwieweit das Einkommen der Eltern in die Berechnung darauf, dass ihre Gespräche mit ihrem Arzt oder ihrer des „mittelbaren Kindesunterhalts“ einzubeziehen ist. Ärztin vertraulich bleiben. § 160 a des Gesetzentwurfes Schließlich ist unter der Prämisse der Geltung des Art. 6 räumt bei der Entscheidung über Ermittlungsmaßnah- Abs. 5 GG für den Betreuungsunterhalt als „mittelbaren men bei Ärzten, Zahnärzten und Psychotherapeuten ei- Kindesunterhalt“ nicht verständlich, warum die geschie- nen Abwägungsspielraum ein, der dieses Recht unserer dene Ehefrau der Härteklausel des § 1579 BGB unter- Meinung nach nicht ausreichend schützt. worfen wird, die unverheiratete Mutter dagegen nicht. Drittens. Ärzte, Zahnärzte und Psychotherapeuten Die Teilung des 2. Ranges durch kindererziehende El- müssen Geistlichen, Strafverteidigern und Abgeordneten ternteile ist also nicht geeignet, die gleiche finanzielle in diesem Zusammenhang gleichgestellt werden. Nur so Lage der Kinder herzustellen. Gleichzeitig werden maß- kann der Schutz des im Arztgespräch regelmäßig betrof- gebliche Verfassungs- und Rechtsgrundsätze wie der fenen Kernbereichs privater Lebensführung wirksam si- Schutz der Ehe durch Art. 6 Abs. 1 GG, der Vertrauens- chergestellt worden. schutz finanziell schwächerer Eheleute und der Wert von Kindererziehung und Hausarbeit außer Kraft gesetzt. Trotz dieser Gesichtspunkte halten wir eine Zustim- mung zur Neuregelung der Telekommunikationsüberwa- Wegen dieser offenen Zweifelsfragen werde ich mich chung und anderer verdeckter Ermittlungsmaßnahmen in der Abstimmung über das Gesetz enthalten. sowie zur Umsetzung der Richtlinie 2006/24/EG für richtig. Anlage 8 Erklärung nach § 31 GO Anlage 7 der Abgeordneten Maria Eichhorn und Thomas Erklärung nach § 31 GO Bareiß (beide CDU/CSU) zur Abstimmung über den Entwurf eines Gesetzes zur Änderung der Abgeordneten Dr. Eva Möllring, Antje des Unterhaltsrechts (Zusatztagesordnungs- Blumenthal und Manfred Kolbe (alle CDU/ punkt 17 a) CSU) zur Abstimmung über den Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Unterhaltsrechts Erstens. Ich begrüße, dass minderjährige Kinder im (Zusatztagesordnungspunkt 17 a) Unterhaltsrecht vorab zu berücksichtigen sind. 13034 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 124. Sitzung. Berlin, Freitag, den 9. November 2007

(A) Zweitens. Durch die Beratungen über die Unterhalts- Dem Gesetzentwurf stimme ich zu und gebe folgende (C) rechtsnovelle in dieser Wahlperiode wurde erreicht, dass Erläuterungen zu Protokoll: der Betreuungsanspruch von unverheirateten Müttern oder Vätern verbessert wird. Das bringt mehr Gerechtig- Ich begrüße ausdrücklich, dass der Kindesunterhalt in keit für jene Kinder, deren Eltern getrennt leben. Zukunft immer Vorrang vor allen anderen Unterhaltsan- sprüchen haben wird und dass Eltern, die ihre Kinder be- Drittens. Bedenklich ist allerdings die Regelung der treuen, Vorrang im Unterhalt vor Ex-Ehepartnern haben, Rangfolge bei einer konkurrierenden zweiten bzw. wei- die keine Kinder betreuen. teren Familiengründung. Es ist zudem ein großer Erfolg der CDU/CSU-Frak- Der geschiedene kinderbetreuende Elternteil – meis- tion, dass bei der Dauer des Unterhaltsanspruchs tens die Ehefrau – verliert im Ergebnis durch die Kon- geschiedener und nicht verheirateter Elternteile das kurrenz im zweiten Rang einen beträchtlichen Teil der Kindswohl sowie die eheliche Gestaltung von Kinderbe- Unterhaltsansprüche. Damit verschlechtert sich auch die treuung und Erwerbstätigkeit besonders berücksichtigt finanzielle Versorgung der gemeinsamen Kinder erheb- werden. lich. Die ehelichen Kinder sollten aber gemäß Art. 6 Abs. 5 GG mit nichtehelichen Kindern gleichgestellt Doch halte ich es für bedenklich, dass kinderbetreu- sein. Diese Balance wird bislang weitgehend hergestellt, ende Mütter und Väter im Rang des Betreuungsunter- weil der Unterhaltsverpflichtete neben seinem Anteil am halts gleichbehandelt werden, unabhängig davon, ob sie Einkommen seinen hohen Selbstbehalt in die neue Fami- verheiratet waren oder nicht. Diese Regelung trägt dem lie einbringt. besonderen Schutz von Ehe und Familie, so wie es das Bei einem Gleichrang der erziehenden Elternteile Grundgesetz in Art. 6 Abs. 1 Grundgesetz gebietet, nicht werden jedoch die nachfolgenden unehelichen Kinder in ausreichend Rechnung – war aber nach der Entschei- der neuen Familie regelmäßig finanziell deutlich besser dung des Bundesverfassungsgerichts vom 28. Februar versorgt sein als diejenigen, die auf den Unterhalt und 2007 (Az. 1 BvL 9/04; u. a. FamRZ 2007, 965 = NJW die Erwerbstätigkeit ihrer Mutter angewiesen sind. Es 2007, 1735) nicht anders möglich. stellt sich deshalb die Frage, ob und wie die Gleichstel- lung der Kinder verwirklicht werden soll, wenn Art. 6 Ich befürchte, die hier vorgesehene Regelung trägt Abs. 5 GG sich auch auf die elterliche Finanzlage be- dazu bei, dass der Stellenwert von Ehe und Familie in zieht. Darüber hinaus stellt sich die Frage, inwieweit das Staat und Gesellschaft zusehends zugunsten anderer For- Einkommen der Eltern in die Berechnung des „mittelba- men von Lebensgemeinschaften aufgeweicht wird. ren Kindesunterhalts“ einzubeziehen ist. Schließlich ist (B) unter der Prämisse der Geltung des Art. 6 Abs. 5 GG für (D) den Betreuungsunterhalt als „mittelbaren Kindesunter- Anlage 10 halt“ nicht verständlich, warum die geschiedene Ehefrau der Härteklausel des § 1579 BGB unterworfen wird, die Erklärung nach § 31 GO unverheiratete Mutter dagegen nicht. Die Teilung des 2. Ranges durch kindererziehende Elternteile ist also des Abgeordneten Norbert Geis (CDU/CSU) nicht geeignet, die gleiche finanzielle Lage der Kinder zur Abstimmung über den Entwurf eines Geset- herzustellen. zes zur Änderung des Unterhaltsrechts (Zusatz- tagesordnungspunkt 17 a) Viertens. Durch die Gleichstellung aller Betreuungs- ansprüche wird die traditionelle Familie, für welche die Erstens. Ich begrüße, dass minderjährige Kinder im Ehe das Fundament ist, weiter geschwächt. Zwar ist auf Unterhaltsrecht vorab zu berücksichtigen sind. Drängen der Union der Entwurf dahin geändert worden, dass die Gerichte die Dauer der Unterhaltspflichten bei Zweitens. Durch die Beratungen über die Unterhalts- einer gescheiterten Ehe verlängern können. Auch wer- rechtsnovelle in dieser Wahlperiode wurde erreicht, dass den langjährige Ehepartner ebenfalls in den Rang 2 auf- der Betreuungsanspruch von unverheirateten Müttern genommen. Dies ändert jedoch nichts daran, dass die oder Vätern verbessert wird. Alle betreuenden Mütter Ehe immer mehr ihre verfassungsgemäße Vorrangstel- oder Väter, egal ob in oder außerhalb der Ehe, werden lung nach Art. 6 GG verliert und mit anderen Lebensfor- im Interesse des Wohles des Kindes gleichgestellt. Das men gleichgestellt wird. bringt mehr Gerechtigkeit für jene Kinder, die nicht das Wegen der angesprochenen Probleme werde ich mich Glück haben, dass ihre Eltern zusammenleben. bei der Abstimmung enthalten. Drittens. Bedenklich ist allerdings die Regelung der Rangfolge bei einer konkurrierenden zweiten (und wei- teren) Familiengründung. Der geschiedene kinderbetreu- Anlage 9 ende Elternteil – meistens die Ehefrau – verliert im Er- gebnis durch die Konkurrenz im zweiten Rang einen Erklärung nach § 31 GO beträchtlichen Teil der Unterhaltsansprüche. Damit ver- der Abgeordneten Dr. Maria Flachsbarth schlechtert sich auch die finanzielle Versorgung der ge- (CDU/CSU) zur Abstimmung über den Entwurf meinsamen Kinder erheblich. Die ehelichen Kinder soll- eines Gesetzes zur Änderung des Unterhalts- ten aber gemäß Art. 6 Abs. 5 GG mit nichtehelichen rechts (Zusatztagesordnungspunkt 17 a) Kindern gleichgestellt sein. Diese Balance wird bislang Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 124. Sitzung. Berlin, Freitag, den 9. November 2007 13035

(A) weitgehend hergestellt, weil der Unterhaltsverpflichtete Teil der Unterhaltsansprüche verlieren. Damit wird sich (C) neben seinem Anteil am Einkommen seinen hohen auch die finanzielle Versorgung der gemeinsamen Kin- Selbstbehalt in die neue Familie einbringt. Bei einem der unter Umständen erheblich verschlechtern. Die ehe- Gleichrang der erziehenden Elternteile werden jedoch lichen Kinder sollten aber gemäß Art. 6 Abs. 5 GG mit die nachfolgenden unehelichen Kinder in der neuen Fa- nichtehelichen Kindern gleich gestellt sein. Diese Ba- milie regelmäßig finanziell deutlich besser versorgt sein lance wird bislang weitgehend hergestellt, weil der Un- als diejenigen, die auf den Unterhalt und die Erwerbstä- terhaltsverpflichtete neben seinem Anteil am Einkom- tigkeit ihrer Mutter angewiesen sind. Es stellt sich des- men seinen hohen Selbstbehalt in die neue Familie halb die Frage, ob und wie die Gleichstellung der Kinder einbringt. verwirklicht werden soll, wenn Art. 6 Abs. 5 GG sich Bei einem Gleichrang der erziehenden Elternteile auch auf die elterliche Finanzlage bezieht. Darüber hi- werden jedoch die nachfolgenden unehelichen Kinder in naus stellt sich die Frage, inwieweit das Einkommen der der neuen Familie regelmäßig finanziell deutlich besser Eltern in die Berechnung des „mittelbaren Kindesunter- versorgt sein als diejenigen, die auf den Unterhalt und halts“ einzubeziehen ist. Schließlich ist unter der Prä- die Erwerbstätigkeit ihrer Mutter angewiesen sind. misse der Geltung des Art. 6 Abs. 5 GG für den Betreu- ungsunterhalt als „mittelbaren Kindesunterhalt“ nicht Ich werde dem Gesetzentwurf trotz dieser Bedenken verständlich, warum die geschiedene Ehefrau der Härte- zustimmen, weil das Bundesverfassungsgericht in sei- klausel des §1579 BGB unterworfen wird, die unverhei- nem jüngsten Urteil fordert, die Gleichstellung der Kin- ratete Mutter dagegen nicht. der auch im Betreuungsunterhaltsanspruch der Eltern zu gewährleisten. Ob die nun getroffene Regelung der Tei- Viertens. Es ist nicht zu übersehen, dass durch die lung des zweiten Ranges durch kindererziehende Eltern- Gleichstellung aller Betreuungsansprüche die traditio- teile geeignet ist, die gleiche finanzielle Lage der Kinder nelle Familie, für welche die Ehe das Fundament ist, gemäß dem Gleichstellungsgebot von Kindern gemäß weiter geschwächt wird. Zwar ist auf Drängen der Union Art. 6 Abs. 5 GG herzustellen und dem Schutz der Ehe der Entwurf dahin geändert worden, dass die Gerichte gemäß Art. 6 Abs. 1 GG sowie dem Vertrauensschutz die Dauer der Unterhaltspflichten bei einer gescheiterten finanziell schwächerer Eheleute entspricht, kann ich aus Ehe verlängern können. Auch werden langjährige Ehe- heutiger Sicht nicht abschließend beurteilen. partner ebenfalls in den Rang 2 aufgenommen. Dies än- dert jedoch nichts daran, dass die Ehe mehr und mehr ihre verfassungsgemäße Vorrangstellung verliert und mit Anlage 12 anderen Lebensformen gleichgestellt wird. Dennoch: In diesem Gesetz geht es in erster Linie um das Wohl des Zu Protokoll gegebene Reden (B) Kindes. Durch die Vorgabe des Verfassungsgerichtes (D) zur Beratung der Anträge: war eine bessere Regelung nicht möglich. Deshalb stimme ich diesem Gesetz zu. – Anpassung der Sozialgesetzgebung für Kul- tur-, Medien- und Filmschaffende – Neue Sicherheit für flexible Arbeitsverhält- Anlage 11 nisse Erklärung nach § 31 GO (Tagesordnungspunkt 41 a und b) der Abgeordneten Annette Widmann-Mauz (CDU/CSU) zur Abstimmung über den Entwurf Gerald Weiß (Groß-Gerau) (CDU/CSU): Wir bera- eines Gesetzes zur Änderung des Unterhalts- ten heute zwei Anträge. Es handelt sich um den Antrag rechts (Tagesordnungspunkt 17 a) der Grünen mit dem Titel „Neue Sicherheit für flexible Arbeitsverhältnisse“ und um den Antrag „Anpassung der Sozialgesetzgebung für Kultur-, Medien- und Filmschaf- Ich begrüße, dass minderjährige Kinder im Unter- fende“. haltsrecht vorab zu berücksichtigen sind. Durch die Be- ratungen über die Unterhaltsrechtsnovelle in dieser Um es direkt am Anfang festzustellen: Wir lehnen die Wahlperiode wurde erreicht, dass die Ansprüche von un- Anträge der Opposition ab. verheirateten Müttern verbessert wurden, sodass die An- spruchsgrundlage des § 1615 BGB jetzt dem verfas- Bevor ich im Einzelnen auf die Anträge eingehe, sungsrechtlichen Gebot der Gleichheit entspricht. Es möchte ich die Prioritätensetzung der Union herausstel- wird begrüßt, dass die Belange der Kinder im Rahmen len. Wir möchten zuvörderst neue Arbeitsplätze schaf- der Verpflichtung zur Betreuung gemäß § 1570 BGB ab fen. Wie unsere Kanzlerin jüngst gesagt hat, müssen wir dem dritten Lebensjahr zu berücksichtigen sind. im Interesse der Gerechtigkeit die Situation auf dem Ar- beitsmarkt weiter verbessern. Wir sind da schon auf ei- Bedenken habe ich allerdings bezüglich der Folgen, nem sehr guten Weg. Wir haben erstmals wieder unter die durch die Regelung der Rangfolge bei einer konkur- 3,5 Millionen Arbeitslose. Die Zahl sozialversicherungs- rierenden zweiten – und weiteren – Familiengründung pflichtig Beschäftigter ist stark angewachsen. Das ist entstehen können. Der geschiedene kinderbetreuende El- maßgeblich auf die starke Konjunktur zurückzuführen. ternteil – meistens die Ehefrau – wird im Ergebnis durch Aber wir müssen da weitermachen und dürfen nicht lo- die Konkurrenz im zweiten Rang einen beträchtlichen cker lassen. Das ist die Hauptpriorität der Union. Außer- 13036 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 124. Sitzung. Berlin, Freitag, den 9. November 2007

(A) dem sind wir erfolgreich dabei, unseren Staatshaushalt geringer Beitragszahlung, besonders günstige Leistungs- (C) zu sanieren. Von jedem Euro, den der Staat heute ein- ansprüche erhalten würden. Der Lebensunterhalt von nimmt, muss er 20 Cent für Zinsen der Schulden zurück- Künstlern beispielsweise, die keine Ansprüche auf die legen. Die Große Koalition hat sich vorgenommen, im Versicherungsleistung Arbeitslosengeld erwerben könn- Jahre 2011 einen ausgeglichenen Haushalt vorzulegen. ten, und deren Zugang zu Maßnahmen der beruflichen Das sind wir den kommenden Generationen schuldig, Wiedereingliederung ist durch die Möglichkeit des Be- und das entspricht auch dem gesunden Menschenver- zuges von Leistungen der Grundsicherung für Arbeit- stand – auch der Privatmann kann nicht auf Pump leben. suchende gewährleistet. Zudem wird kein Künstler Ein Staat mit einer Schuldenquote von rund 70 Prozent durch die Regelungen des Zweiten und Dritten Sozialge- des Bruttoinlandsproduktes ist nicht zukunftsweisend setzbuches daran gehindert, seiner präferierten berufli- und nicht gerecht. Die Beiträge zur Sozialversicherung chen Tätigkeit nachzugeben. Auch im Bereich der sind über die Jahrzehnte von ehemals 26,5 Prozent im Grundsicherung für Arbeitsuchende kann keine Bevor- Jahre 1970 bis auf über 40 Prozent gestiegen. Die Große zugung von Künstlern gegenüber anderen Berufsgrup- Koalition hat sich vorgenommen, an dieser für Wachs- pen erfolgen. Insbesondere eine Daueralimentierung von tum und Arbeitsplätze so wichtigen Stellschraube zu arbeitslosen Künstlern könnte aus Steuermitteln erfol- drehen und wieder unter die Marke von 40 Prozent zu gen, was hier im Bundestag wohl auch niemand möchte. kommen. Da sind wir auch auf einem guten Weg, und darauf werde ich noch später näher eingehen. Die Große Koalition ist sich dabei bewusst, dass die Reformen am Arbeitsmarkt für viele Arbeitnehmer mit Vor diesem Hintergrund kommen wir zu den gestell- Einschränkungen verbunden waren. Dabei wurde auch ten Anträgen. Im Kern geht es darum, da kommen beide berücksichtigt, dass die Beiträge zur Arbeitslosenversi- Anträge auf den gleichen Nenner, die Arbeitslosenversi- cherung nicht von der gesamten Gesellschaft, sondern cherung zu flexibilisieren. Geringere Einzahlungszeiten von den Arbeitgebern und Arbeitnehmern erwirtschaftet sollen einen Anspruch auf Auszahlung der Versiche- wurden. Was die Arbeitsmarktreformen in Gänze be- rungsleistungen nach sich ziehen. Diese hätten dann trifft, so zeigen die seit 2006 zu verzeichnenden steigen- nicht nur Anspruch auf Zahlungen aus der Arbeitslosen- den Zahlen von sozialversicherungspflichtig Beschäftig- versicherung, sondern auch Anspruch auf Leistungen ten sowie der Rückgang der Arbeitslosigkeit und die zur Wiedereingliederung in den Arbeitsmarkt – also bei- Senkung der Beiträge zur Bundesagentur für Arbeit die spielsweise Fortbildungsprogramme der Bundesagentur Notwendigkeit, aber auch die Wirksamkeit der Refor- für Arbeit. Die Problematik betrifft unter anderem Mit- men. Wir sind im Sinne eines „lernenden Systems“ seit- bürger, die in künstlerischen Berufen arbeiten. Ich dem darum bemüht, die Reformen den aktuellen Ar- möchte hierbei anmerken, dass das Thema Künstlerso- beitsmarktbedingungen anzupassen. Es hat dazu in den (B) zialversicherung dieses Haus auch in diesem Jahr bereits vergangenen Jahren seitens der Koalitionsfraktionen und (D) beschäftigt hat. Ich habe durchaus Verständnis für die der Bundesregierung umfangreiche Änderungsmaßnah- Mitbürger, die aufgrund zunehmend flexibler Arbeits- men gegeben. Das System wird auch in Zukunft ständi- verhältnisse Sorgen vor der beruflichen Zukunft haben. ger Evaluation unterworfen werden. Zu den genannten Soweit die Zuständigkeiten des Bundes für Belange von Anpassungen kann man auch die aktuelle Diskussion in- Kunst und Kultur oder anderer flexibler Arbeitsformen nerhalb der Koalition zählen, bei der Auszahlung des betroffen sind, setzt sich die Große Koalition vor allem Arbeitslosengeldes I gewisse Änderungen vorzunehmen. dafür ein, die Erwerbs- und Beschäftigungschancen der Im Sinne der Generationengerechtigkeit, die ich schon Betroffenen zu verbessern. Ziel der Großen Koalition eingangs erwähnt habe, sollten diese Maßnahmen nach war und ist es, finanzielle Mittel in erster Linie zur För- Meinung der Union kostenneutral ausgestaltet werden. derung von Beschäftigung zu nutzen. Deswegen unter- Die Union legt den Schwerpunkt auf die Schaffung von stützt die Große Koalition auch Bestrebungen, Beschäf- Arbeitsplätzen. Zu diesem Zweck fordern wir auch eine tigungsverhältnisse zu verstetigen und damit Zeiten der weitere Senkung der Lohnnebenkosten in Form der Ar- Arbeitslosigkeit zu verringern. Konkret wurde von der beitslosenversicherungsbeiträge. Ausgehend von zuletzt Bundesregierung darauf hingewiesen, dass beispiels- 6,5 Prozent wollen wir bei den Beiträgen auf 3,5 Prozent weise die Tatsache, dass Schauspieler in geringerem herunterkommen. Wissenschaftliche Forschungen zei- Maße Ansprüche auf Arbeitslosengeld erwerben als frü- gen, dass wir dadurch Wachstum generieren, was sich her, auch besondere Gründe hat. Die Ursachen sind, un- wiederum in neuen Arbeitsplätzen auszahlt. Somit abhängig von den Arbeitsmarktreformen, auch auf einer schließt sich argumentativ wieder ein Kreis, und wir bewusst beschäftigungsbeschränkenden Kostenstrategie kommen wieder zur ersten Priorität der Union: Sich der Produktionsbedingungen, beispielsweise in der nicht zufrieden geben mit den aktuellen guten Zahlen, Filmwirtschaft, zurückzuführen. Erwerbsformen, bei de- sondern alles zur Schaffung von neuen sozialversiche- nen kurzfristige Beschäftigungen mit überwiegenden rungspflichtigen Arbeitsplätzen unternehmen. Die Poli- Zeiten der Arbeitslosigkeit wechseln, sind nach Ansicht tik kann zwar immer nur die arbeits- und wirtschaftspoli- der Regierung gegen das Risiko der Arbeitslosigkeit tischen Rahmenbedingungen setzen, aber sie kann dies grundsätzlich nicht versicherbar. Zur Funktionsfähigkeit durchaus erfolgreich gestalten. Der jetzige Aufschwung eines Systems der Arbeitslosenversicherung bedarf es bestätigt dies. Direkt bezogen auf die Anträge wird der gewisser Risikobegrenzungen. Sonderregelungen zu- anhaltende Wirtschaftsaufschwung die Arbeitskräf- gunsten der Betroffenen solcher Erwerbsformen führen tenachfrage im künstlerischen Bereich oder im Bereich zudem zu Verwerfungen innerhalb der Gruppe der bei- der Zeitarbeit bzw. anderen „flexibilisierten“ Arbeitsver- tragspflichtigen Arbeitnehmer, weil Personen mit extrem hältnissen beleben, was die Beschäftigungschancen der Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 124. Sitzung. Berlin, Freitag, den 9. November 2007 13037

(A) Betroffenen erhöhen wird. Um es bildlich auszudrücken: nate sozialversicherungspflichtige Beschäftigung müs- (C) Wir können den Kuchen nicht weiter verteilen, wir müs- sen nicht mehr im Verlauf von drei Jahren, sondern in sen dafür sorgen, dass der Kuchen größer wird, damit zwei Jahren nachgewiesen werden. Für diese Regelung alle ein Stück abhaben können. gab es und gibt es immer noch gute Gründe. Und diese Regelung hat sich bewährt – mit einer Ausnahme: Die Zurück zu den Begründungen für die bestehenden Teilgruppe der unständig Beschäftigten hat damit ein Modalitäten bei der Arbeitslosenversicherung, welche Problem, und zwar vor allem die Beschäftigten im Kul- die Antragssteller gerne verändern wollen: Im Rahmen tur- und Medienbereich. der Reformen wurde unter anderem auch die sogenannte Rahmenfrist, innerhalb derer zwölf Monate Anwart- Das wissen wir nicht erst seit den Anträgen von Lin- schaftszeit als Voraussetzung für einen Anspruch auf die ken und Grünen, die heute auf dem Tisch liegen. Seit Versicherungsleistung Arbeitslosengeld vorliegen müs- dem 1. Februar 2006 gilt die verkürzte Rahmenfrist. Und sen, von bisher drei Jahren auf einheitlich zwei Jahre zu- nicht erst seit diesem Datum bin ich in engem Kontakt rückgeführt, was den in den Anträgen formulierten For- mit den Betroffenen und den Verbänden, um mich über derungen entgegensteht. Dazu möchte ich nochmals kurz die Auswirkungen zu informieren. Auch die Enquete- skizzieren, wieso diese Rechtsänderungen durchgeführt Kommission „Kultur in Deutschland“ hat sich frühzeitig wurden: Risikoversicherungen erbringen Leistungen mit diesem Problem befasst. Die wirtschaftliche und so- grundsätzlich nur an Personen, die der Versichertenge- ziale Lage der Künstlerinnen und Künstler war eines ih- meinschaft unmittelbar vor Eintritt des Versicherungsfal- rer Schwerpunktthemen. In Anhörungen und Experten- les angehört und auch dementsprechend Beiträge gezahlt gesprächen wurden auch die Auswirkungen der Hartz- haben. Deshalb hat auch in der Arbeitslosenversicherung Gesetzgebung auf den Kulturbetrieb beleuchtet. Mitte nur derjenige Anspruch auf Arbeitslosengeld, der zuletzt Dezember werden wir an dieser Stelle die Ergebnisse im vor Eintritt der Arbeitslosigkeit mindestens zwölf Mo- Einzelnen beraten. Zur Rahmenfrist sagt die Enquete nate Mitglied der Versicherungsgemeinschaft gewesen ganz klar: Hier brauchen wir eine Sonderregelung für ist. Dabei gibt es Härtefallregelungen, damit beispiels- Versicherte mit wechselnden und kurz befristeten An- weise Krankheit, vorübergehende Erwerbsunfähigkeit, stellungen. Mutterschaft und Kindererziehung sowie die Pflege von Angehörigen nicht zulasten des Beitragszahlers gehen. Die SPD-Fraktion begrüßt diese Handlungsempfeh- Daher kann die 12-Monatsfrist in den genannten Fällen lung ausdrücklich, und wir machen sie zur Grundlage unterbrochen werden. Mit den Reformen am Arbeits- unserer weiteren Bemühungen. Und genauso deutlich markt sind diese Risikozeiten jedoch schrittweise als sagen wir: Einen Schnellschuss, wie er jetzt von der Lin- Versicherungszeiten in der Arbeitslosenversicherung ken und von den Grünen kommt, lehnen wir ab. Ange- (B) ausgestaltet worden, für die der Bund oder der zustän- sichts der ungeklärten Datenlage ist es völlig unseriös, (D) dige Leistungsträger Beiträge an die Bundesagentur für irgendwelche Scheinlösungen aus dem Hut zu zaubern. Arbeit abführt. Deshalb existieren in der Regel keine Lü- Ich bin sehr verärgert darüber. Denn ganz offensichtlich cken mehr in den Versicherungsverhältnissen. Die Rah- geht es den beiden Fraktionen gar nicht um die Lösung menfristregelung konnte deshalb von drei auf zwei Jahre des Problems. Es geht um parteitaktisches Kalkül auf zurückgeführt werden. Danach sind nunmehr auch sol- Kosten der Betroffenen. Die warten dringend auf eine che Personen in den Schutz der Arbeitslosenversiche- Lösung – die mit den vorliegenden Anträgen nur schwie- rung einbezogen, die nur die Hälfte eines Kalenderjahres riger wird. versicherungspflichtig beschäftigt sind. So erwerben sie innerhalb von zwei Jahren einen Anspruch auf Arbeits- Lassen Sie mich das begründen: Eine Sonderregelung losengeld von sechs Monaten. bei der Rahmenfrist für die unständig Beschäftigten stößt auf ein zentrales Problem: die schwierige Daten- Die Zeit reicht leider nicht, um das Thema in voller lage – und zwar gleich in mehrfacher Hinsicht. Das fängt Breite und in allen Facetten darzustellen. All diese Pro- schon damit an: Die Auswirkungen der verkürzten Rah- bleme wurden aber auch schon von einer Enquete-Kom- menfrist zeigen sich nicht mit dem Stichtag 1. Februar mission aufgegriffen und ausführlich diskutiert. Es 2006. Denn die meisten betroffenen Beschäftigten hatten dürfte jedoch klar geworden sein, dass wir andere Priori- noch Ansprüche gesammelt, die erst im Verlauf des Jah- täten setzen. res aufgezehrt wurden. Erst gegen Ende 2006/Anfang Ich bleibe deshalb dabei: Wir müssen unsere Kräfte 2007 war damit zu rechnen, dass sich das Problem auch bündeln, um sozialversicherungspflichtige Beschäfti- statistisch fassen ließ. Aber selbst mit den aktuelleren gung zu schaffen und um den Staatshaushalt zu sanieren. Zahlen lassen sich keine klaren Effekte nachweisen. Ein Für dieses Ziel müssen wir weiterhin arbeiten und klare eigens erstelltes Gutachten des Instituts für Arbeitsmarkt- Prioritäten setzen. Die Große Koalition ist da auf einem und Berufsforschung (IAB) kann keine signifikanten Un- sehr guten Weg. terschiede feststellen zwischen den Beschäftigten insge- samt und den im Kulturbereich Beschäftigten.

Angelika Krüger-Leißner (SPD): Die Verkürzung Solche Befunde stehen in krassem Widerspruch zu der sogenannten Rahmenfrist, innerhalb der ein An- dem, was die Betroffenen und was die Verbände mir spruch auf Arbeitslosengeld erworben werden muss, war berichten. Ganz offensichtlich sind die Grundlagen der in der vergangenen Legislaturperiode Bestandteil unse- offiziellen Statistiken von Arbeitsverwaltung und rer umfassenden Reformen am Arbeitsmarkt. Zwölf Mo- Rentenversicherung nicht so angelegt, dass damit die 13038 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 124. Sitzung. Berlin, Freitag, den 9. November 2007

(A) Lebenswirklichkeit von einzelnen Teilgruppen abgebil- Ich hoffe, Grüne und Linke finden zurück auf den (C) det werden. Weg der Vernunft und beteiligen sich an einer soliden Lösung. Zwei Ansätze sind also zu verfolgen: Zum einen muss die offizielle Statistik ihre Instrumentarien weiterentwi- ckeln – hier bin ich in Gesprächen mit dem IAB und der Heinz-Peter Haustein (FDP): James Bond hat die Bundesagentur. Zum anderen müssen wir Erkenntnisse Lizenz zum Töten, Matula löst alle Fälle alleine, und Su- berücksichtigen und auswerten, die die betroffenen Ver- perman ist unsterblich. Wir alle kennen die Helden der bände selber aufbereitet haben. So gibt es ganz aktuell Leinwand zu Genüge. Ganz so einfach ist es wie so oft eine Umfrage von Verdi unter Filmschaffenden, die im Leben für diejenigen, die hinter der Kamera arbeiten Ende November öffentlich vorgestellt wird. Auch hier und zur Produktion von Kino- und Fernsehfilmen beitra- bin ich im Gespräch. Ähnliche Bemühungen hat der gen, und auch für die, die hinter der Theaterbühne arbei- Bundesverband der Film- und Fernsehschauspieler ten, leider nicht. (BFFS) unternommen. Auch diese Ergebnisse müssen wir einbeziehen. Die Betroffenen erhalten aufgrund der besonderen Bedingungen der Branche, zum Beispiel aufgrund des In der Schweiz gilt seit einigen Jahren eine Sonder- großen Kostendrucks, oft nur zeitlich befristete Arbeits- regelung für den Versicherungsanspruch von Kultur- verträge. Zum Teil gelten die Beschäftigungsverhält- schaffenden. Diese Erfahrungen müssen wir nutzen. Ich nisse nur wenige Tage, sodass auch nur für kurze Zeit- habe beim zuständigen Schweizer Staatssekretariat für räume Beiträge zur Arbeitslosenversicherung gezahlt Wirtschaft einen Erfahrungsbericht angefordert. werden. Dadurch erreichen die Beschäftigten nicht im- mer die Mindestanwartschaftszeit, die notwendig wäre, Vor kurzem haben wir hier gemeinsam einen Antrag um einen Anspruch auf Zahlung von ALG I zu erwer- zur Kultur- und Kreativwirtschaft beschlossen. Darin ist ben. Nach der geltenden Rechtslage liegt die Mindestan- auch die Rede von den großen Chancen dieses Sektors wartschaftszeit bei zwölf Monaten innerhalb der Rah- für den Arbeitsmarkt. Und es wird betont, dass die Be- menfrist von zwei Jahren. dingungen der hier entstehenden Beschäftigung beson- ders problematisch sind. In diesem Zusammenhang wird Grüne und Linke sehen hier eine Gerechtigkeitslücke. auf die mangelhafte Datengrundlage hingewiesen und Die Betroffenen, so wird argumentiert, seien Beitrags- Abhilfe gefordert. Allein dieser Hinweis unterstreicht zahler wie andere auch, hätten jedoch kaum Chancen, ei- doch, wie schwierig das Feld ist, das wir hier beackern. nen Anspruch auf ALG-I-Zahlung zu erwerben. Darum Und da stellen sich Linke und Grüne hin und machen fordert Die Linke, die Anwartschaftszeit von zwölf auf fünf Monate herabzusetzen. Der Vorschlag der Grünen (B) sich auf eine billige Tour Liebkind bei den Kulturschaf- (D) fenden. Die Linke übernimmt sogar eins zu eins einen sieht eine Staffelung der Mindestanwartschaftszeit vor, Vorschlag von Verdi. Fragen Sie doch mal bei den Ge- die kürzere Bezugszeiten nach sich ziehen soll. Im Ex- werkschaftern nach, ob die wirklich glücklich sind da- trem soll nach einer viermonatigen Mindestanwart- mit! Bei Verdi weiß man sehr gut, dass ein solcher parla- schaftszeit ein Anspruch auf ALG-I-Zahlung für zwei mentarischer Antrag derzeit der Sache eher schadet. Monate bestehen. Wenn der Grünen-Vorschlag auch als der moderatere angesehen werden kann, so muss doch Die Oppositionsanträge wollen zudem ein Problem klargestellt werden, dass es sich hier in beiden Fällen um lösen, indem sie es aus dem Zusammenhang reißen. Das Anträge handelt, die eine Aufweichung der bestehenden Problem mit der Rahmenfrist lässt sich nachhaltig nur Regelungen bedeuten. lösen, wenn wir es im Zusammenhang mit den konkre- ten Arbeitsbedingungen betrachten. So wird bei den auf Die FDP sieht die Gerechtigkeitslücke nicht in der be- Produktionsdauer beschäftigten Filmschaffenden zu- stehenden Rechtslage, sondern in der hier beantragten. nehmend der Tarifvertrag mit Pauschalverträgen unter- Denn folgte man jetzt den Anträgen zugunsten der Film- laufen. Und diese Pauschalverträge verlangen den schaffenden, so müsste man erklären, warum man nicht Filmschaffenden einen teilweise zerstörerischen Arbeits- auch weiteren Branchen günstigere Regelungen zuzuge- einsatz ab. Mit den Pauschalverträgen werden auch ver- stehen bereit ist. Das wäre der Dammbruch; denn nie- einbarte Zeitkonten außer Kraft gesetzt, und für geleis- mand kann dann noch eine Grenze ziehen zu Branchen, tete Mehrarbeit zahlen die Produktionsfirmen keine denen man den erleichterten Bezug nicht zugestehen Sozialabgaben. Aus meinen Gesprächen mit Filmschaf- will. Das Gaststättengewerbe beispielsweise sieht sich fenden weiß ich, dass das Problem der Pauschalverträge bei den saisonalen Beschäftigungsverhältnissen mit ähn- inzwischen weit drängender ist als die verkürzte Rah- lichen Problemen konfrontiert. menfrist. Eine Sonderregelung bei der Rahmenfrist kann also nur funktionieren, wenn wir auch hier Abhilfe Wir sehen durchaus die Härten und Schwierigkeiten, schaffen. die manche Branche hat. Ich halte jedoch die mit dem dritten Gesetz für moderne Dienstleistungen am Arbeits- Vor der Weihnachtpause wird der Schlussbericht der markt geschaffenen Sondertatbestände für richtig. Sie Enquete-Kommission vorgestellt. Mitte Januar beginnen dienen der Rechtsvereinfachung und Transparenz. Das die Beratungen in den Ausschüssen. Das ist das Zeit- haben wir bei der von Herrn Beck wieder in Gang ge- fenster, in dem wir die notwendigen Grundlagen für eine setzten Diskussion um längere Bezugszeiten für ältere begründete Sonderregelung erarbeiten werden. Halbe Arbeitnehmer abgelehnt, und das lehnen wir auch hier Sachen machen wir nicht. ab. Die Arbeitslosenversicherung ist eine Risikoversi- Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 124. Sitzung. Berlin, Freitag, den 9. November 2007 13039

(A) cherung. Eine Abweichung von diesem Prinzip ist Kreativen künftig nicht mehr zwölf Monate sozialversi- (C) falsch. cherungspflichtiger Beschäftigung innerhalb der Rah- menfrist von zwei Jahren nachweisen müssen, sondern Ich verweise aber an dieser Stelle ausdrücklich auf nur noch fünf Monate. Diese Verkürzung der „Anwart- unseren Antrag zur Neustrukturierung der Bundesagen- schaftszeit“ von zwölf auf fünf Monate wäre eine Lö- tur für Arbeit. Wir haben in unserem Konzept zur Neu- sung im Interesse der Beschäftigten. organisation der Arbeitslosenvermittlung und Arbeitslo- senversicherung auch Wahltarife vorgesehen, mit denen Das Problem ist nicht neu. Bereits in der den individuellen Bedürfnissen der Betroffenen Rech- 15. Legislaturperiode wurde es grundsätzlich und partei- nung getragen werden kann. Ein Bezug nach kürzeren übergreifend erkannt. Das wurde in der Anhörung „Aus- Anwartschaftszeiten ist damit möglich. wirkungen der Hartzgesetzgebung auf den Kulturbe- reich“ – im Rahmen der Enquete-Kommission „Kultur Für die schwierige Situation der Betroffenen ist, wie in Deutschland“ – ja deutlich. Unter den Kulturpolitike- ich eingangs erwähnte, vor allem die Branche mit ihren rinnen und Kulturpolitikern aller Fraktionen besteht Spezifika verantwortlich. Insofern sind hier zuallererst weitgehend Einigkeit darüber, dass hier ein dringender die Tarifparteien der Filmbranche gefragt. Handlungsbedarf besteht.

Dr. Lothar Bisky (DIE LINKE): In der deutschen Erst vor zwei Wochen hat der Kollege Ehrmann von Kulturwirtschaft gibt es im Vergleich zu anderen Bran- der SPD hier in der Debatte zur Kulturwirtschaft auf die chen nur wenige Festangestellte, die unbefristet, sozial- sehr problematische wirtschaftliche Situation insbeson- versicherungspflichtig und vollzeitbeschäftigt sind. Sie dere der Künstlerinnen und Künstler hingewiesen. Auch sind eher die Ausnahme. In der Regel arbeiten die Kul- die Enquete-Kommission „Kultur“ fordert, die wirt- tur-, Medien- und Filmschaffenden in kurzzeitigen Be- schaftliche und soziale Lage der Kulturschaffenden zu schäftigungsverhältnissen. verbessern. Sie empfiehlt einstimmig das Schweizer Modell. Danach werden die ersten 30 Tage einer Be- Die wirtschaftliche und soziale Lage von Schauspie- schäftigung für die Anrechnung von Arbeitslosengeld lern, Regisseurinnen und Regisseuren, Malern, Musike- doppelt gezählt. Auch diesem Vorschlag würden wir uns rinnen und Musiker, Dramaturgen, Mediengestalterinnen nicht verschließen. Damit Sie mich nicht falsch verste- und Mediengestalter usw. war – von wenigen Ausnah- hen: Unser Ansatz ist der konsequentere, da er auf den men abgesehen – auch in der Vergangenheit nie beson- Erfahrungen der organisierten Kreativschaffenden in ders rosig: Arbeit und Arbeitslosigkeit wechselten sich diesem Lande basiert. Aber wir versperren uns keines- regelmäßig ab. Dies haben die Betroffenen in Kauf ge- nommen, weil sie in den Phasen ohne Engagement zu- wegs anderen Lösungen. Alle Vorschläge, die Sie ma- (B) mindest Arbeitslosengeld erhielten. chen, um die soziale Lage der Kreativschaffenden zu (D) verbessern, werden wir nach Kräften unterstützen. Durch die Hartz-Gesetze wurde ihre Situation unzu- mutbar verschärft und für manch einen Existenz bedro- Die Verkürzung der Anwartschaftszeit auf fünf Mo- hend verschlechtert. Dies darf nicht so bleiben. Früher nate ist meines Erachtens die beste Lösung für die Be- genügten 360 Tage sozialversicherungspflichtiger Be- troffenen. Darum werbe ich hier für unseren Antrag und schäftigung innerhalb der vergangenen drei Jahre, um bitte Sie um Ihre Zustimmung, damit auch Sie künftig Arbeitslosengeld I zu erhalten. Seit dem 1. Februar 2006 guten Gewissens ins Theater, Konzert oder ins Kino ge- wurde diese sogenannte Rahmenfrist auf zwei Jahre ver- hen können. Ich wünsche Ihnen nun einen schönen Fei- kürzt. Für die meisten Kreativen mit wechselnden oder erabend und ein kulturvolles Wochenende. befristeten Anstellungen ist das in der Realität nicht zu schaffen. Die Folge: Statt Arbeitslosengeld I erhalten sie Brigitte Pothmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): bestenfalls Arbeitslosengeld II, also Hartz IV, und selbst Zurzeit wird sehr viel über den verlängerten Bezug von um diese 347 Euro und die Wohnkosten zu erhalten, Arbeitslosengeld I für Ältere gestritten. Unsere Meinung müssen sie vorher fast ihr gesamtes eigenes Vermögen dazu ist bekannt. Wir fürchten nicht nur, dass dadurch aufzehren. alte Frühverrentungsstrategien wieder fröhlichen Ur- Wie Sie wissen, lehnen wir Linken diese Regelung stand feiern, sondern auch, dass die Umsetzung zulasten grundsätzlich ab, aber für die Kreativen ist sie eine ganz jüngerer Menschen erfolgt. Der nordrhein-westfälische besondere Härte. Sie sind hoch motiviert und arbeiten CDU-Arbeitsminister hat eine Finanzierung zulasten oft bis zum Umfallen für die jeweilige Produktion oder Jüngerer heute noch mal ausdrücklich gefordert, wie das jeweilige Projekt. Aber sie haben gar keine Chance, dem Handelsblatt zu entnehmen ist. Unsere ablehnende die Bedingungen zu erfüllen; das darf nicht so bleiben. Haltung bedeutet aber nicht, dass wir keinen Handlungs- Darum wundert es mich auch nicht, dass bis zu 80 Pro- bedarf bei der Arbeitslosenversicherung sehen. zent der Betroffenen mit der ihnen gewährten sozialen Absicherung unzufrieden sind. Das kann ich gut verste- Wer es nicht schafft, innerhalb von zwei Jahren min- hen. destens zwölf Monate in die Arbeitslosenversicherung einzuzahlen, hat keinerlei Anspruch auf Arbeitslosen- Lassen Sie uns gemeinsam die Sorgen der Betroffe- geld. Auch nicht, wenn sie oder er elf Monate eingezahlt nen ernst nehmen. Dazu müssen wir die besonderen Ar- hat. Zunehmend mehr Menschen sind von dieser Unge- beitsbedingungen in der Kultur-, Medien- und Filmbran- rechtigkeit betroffen. Für sie müssen wir mehr Siche- che berücksichtigen und das Sozialgesetzbuch III rung schaffen. Denn obwohl die Betroffenen relativ entsprechend ändern. Die Linke schlägt vor, dass die lange und auch immer wieder in die Arbeitslosenversi- 13040 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 124. Sitzung. Berlin, Freitag, den 9. November 2007

(A) cherung einzahlen, werden sie sofort ins Arbeitslosen- – zu dem Antrag: Verpackungsverordnung (C) geld II abgedrängt, mit all den damit verbundenen Kon- sachgerecht novellieren – Weichen stellen sequenzen. Und weil die Anzahl der atypischen für eine moderne Abfall- und Verpackungs- Beschäftigungsverhältnisse und der befristeten Arbeits- wirtschaft in Deutschland verhältnisse steigt, nimmt das Problem zu. – zu dem Antrag: Weg vom Öl im Kunststoff- Nach einer neuen Studie des Wirtschafts- und Sozial- bereich – Chance der Novelle der Verpa- wissenschaftlichen Instituts, WSI, ist mittlerweile gut ckungsverordnung nutzen und mit Bio- ein Drittel aller Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in kunststoffen echte Kreisläufe schließen Deutschland atypisch beschäftigt. Sie haben oft weniger Lohn und schlechtere Perspektiven als Beschäftigte mit (123. Sitzung, Tagesordnungspunkt 26) klassischer fester Vollzeitstelle. Befristet Beschäftigte und Leiharbeitnehmer tragen ein vier Mal so hohes Michael Brand (CDU/CSU): Sehr geehrte Frau Prä- Risiko, arbeitslos zu werden. Dabei handelt es sich aber sidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zunächst keineswegs ausschließlich um Kultur-, Medien- und einmal möchte ich feststellen: Dass wir zu so später Filmschaffende. Auch in den klassischen Industriezwei- Stunde über ein Thema sprechen, das Millionen von Fa- gen, wie Automobil- und Maschinenbau, gibt es zuneh- milien in privaten Haushalten und Hunderttausende von mend befristete Arbeitsverhältnisse. Wir müssen das Betrieben und alle Kommunen in Deutschland betrifft, Problem deswegen auch grundsätzlich angehen. Davon das zeigt zum einen, dass der Deutsche Bundestag ein profitieren dann natürlich auch diejenigen, die im Be- wirkliches Arbeitsparlament ist. Zum anderen zeigt es reich Kultur und Medien schon seit längerem mit flexi- die weitreichenden Folgen einer Verordnung, die immer blen Beschäftigungsverhältnissen konfrontiert sind. wieder die Gemüter erregt und zu Diskussionen führt. Wir schlagen Ihnen ein gestaffeltes Modell vor. Wer Ich will jetzt nicht nur auf die lustige Art und Weise vier Monate innerhalb von 24 Monaten in die Arbeitslo- auf die erwähnten Plastikenten abstellen; denn dies ist senversicherung einzahlt, erhält zwei Monate Arbeitslo- ein ernstes Thema, weil es einen Teil unseres täglichen sengeld. Die Anspruchsdauer steigt dann in Stufen bis zu Lebens betrifft. der heute gültigen Regelung: zwölf Monate Beitragszah- (Peter Bleser [CDU/CSU]: Sehr richtig!) lung innerhalb von zwei Jahren ergibt sechs Monate An- spruch. So erhalten diejenigen, die auf befristeten Ar- Die Verpackungsverordnung ist deshalb von so weit- beitsverhältnissen beschäftigt und stärker von reichender Bedeutung, weil jedes Kind von Schokolade Arbeitslosigkeit betroffen sind, sowohl eher einen An- bis Spielzeug zunächst die Verpackung sieht und weil spruch auf Arbeitslosengeld und damit ein höheres Ein- jede Familie und jeder Single beim täglichen Einkauf (B) kommen als auch eine vernünftige Weiterversicherung mit Verpackungen zu tun hat, die später einer ordentli- (D) bei der Rente. Das schafft mehr Sicherheit. chen Verwertung zugeführt werden sollen und müssen. Es geht uns mit unserem Antrag aber nicht nur um Wir als CDU/CSU stehen zu der haushaltsnahen den Anspruch auf Arbeitslosengeld bei kürzeren Bei- Sammlung. Das tun wir aus guten Gründen. Erstens. Das tragszahlungszeiten. Wir fordern darüber hinaus Ände- System ist ökologisch, weil es Ressourcen schont. Zwei- rungen im Sozialgesetzbuch, die es Arbeitslosen zukünf- tens. Es ist ökonomisch, vor allem dann, wenn Wettbe- tig ermöglichen, eine befristete Vermittlungspause zu werb seine faire Chance hat. Drittens. Das System ist vereinbaren. Viele Arbeitsbereiche, insbesondere auch bürgerfreundlich, wenn es in enger Abstimmung mit den im Kultur- und Medienbereich, erfordern heute eine Pro- Kommunen den Bedürfnissen der Verbraucherinnen und jektorientierung und damit ein anderes Herangehen an Verbraucher gerecht wird. einen möglichen neuen Arbeitsplatz, als dies unter dem Die CDU/CSU hatte bereits im Dezember 2005 da- „Korsett“ der üblichen Vermittlungsaktivitäten möglich rauf gedrängt, die Stabilisierung der haushaltsnahen ist. Sammlung anzugehen. Nachdem Kollege Müller für die Bundesregierung dies im Ausschuss sehr befürwortet Wenn zunehmend Flexibilität gefordert wird, dann hatte, gab es von seinem Kollegen Staatssekretär muss den Arbeitsuchenden auch Freiraum für eigene Machnig zunächst widersprechende Verlautbarungen. Aktivitäten ermöglicht werden, und es muss eine neue Wir in der Union waren jedenfalls überrascht und er- Absicherung auch bei kurzen Beschäftigungszeiten ge- freut, dass der Novellierungsprozess schlussendlich be- schaffen werden. Das leistet unser Konzept. gonnen wurde. Wir wissen auch um den Anteil der Um- weltministerkonferenz und der Länder, die hier wertvolle Hinweise gegeben haben. Anlage 13 Etwas bedauerlich hat sich die praktische Umsetzung Neuabdruck eines Redebeitrags des Novellierungsverfahrens in puncto Offenheit und Transparenz dargestellt. Sofern wir uns noch einmal mit zur Beratung der Beschlussempfehlung und des dieser oder einer nächsten Novelle befassen sollten, Berichts: wäre eine bessere Information des Parlaments sicher an- gemessen. Auch das muss in dieser Beratung angespro- – zu der Verordnung der Bundesregierung: chen werden. Fünfte Verordnung zur Änderung der Ver- packungsverordnung (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 124. Sitzung. Berlin, Freitag, den 9. November 2007 13041

(A) Liebe Kolleginnen und Kollegen, nachdem Entsor- ob die optimistische Annahme aus dem Hause Gabriel (C) gung und Verwertung von Verpackungen heute sowohl zutreffen wird, dass es keine nennenswerten Änderungs- im privaten Bereich der Haushalte als auch im gewerbli- anträge zu diesem Entwurf geben werde. Ich will dazu- chen Bereich, zum Beispiel in Gaststätten, Krankenhäu- sagen, dass wir diesbezüglich ganz unterschiedliche sern und Kasernen, auf dem sehr grundlegenden Prinzip Signale hören. der individuellen Produktverantwortung – Herr Staats- sekretär Müller, Sie haben es angesprochen – beruhen, Vor dem Hintergrund der sicherlich fortlaufenden hat dieser Entwurf dieses Prinzip im Bereich der Verpa- Diskussionen in den Ländern will ich für die CDU/CSU- ckungsentsorgung gestrichen und an seine Stelle eine Fraktion gerne nochmals festhalten: Wir alle hier wollen Pflicht zur Beteiligung an dualen Systemen gesetzt. unseriöse Verrechnungen und den Missbrauch der dua- len Systeme beenden. Auch das ist unter anderem ein Neben dieser faktischen Zwangsmitgliedschaft in ei- Grund für diese Novelle: Wir alle hier wollen, dass für nem der dualen Systeme hat der Entwurf eine weitere Leistungen gezahlt wird. Deshalb sind wir für die wei- Zwangsmitgliedschaft eingeführt, nämlich an der Stelle, testmögliche Eindämmung von Trittbrettfahrern. an der nun alle dualen Systeme gemeinsam die Aus- schreibungen koordinieren sollen. Dass uns als Union Das BMU hat dazu den Weg eines völligen System- das Streichen der Produktverantwortung durch den Um- wechsels gewählt, und das ist als federführendes Ressort weltminister umweltpolitisch schwerfällt, nachdem die sein gutes Recht. Bei einem solch einschneidenden Sys- Vorgänger gerade dieses Prinzip hochgehalten haben, ist temwechsel mit einer Marktauswirkung von Hunderten sicher auch für den Koalitionspartner nachvollziehbar. von Millionen Euro muss allerdings sehr sorgfältig da- Die Auffassung, dass Zwangsmitgliedschaften nicht den rauf geachtet werden, dass die daraus zwangsläufig ent- allerbesten Lösungsansatz darstellen, teilen wir sicher stehende faktische Beendigung der bisher erstrangig mit der SPD und den anderen Fraktionen des Hohen vorgesehenen Selbstentsorgung rechtliche Probleme auf- Hauses. werfen kann, die nicht wir hier im Parlament entschei- den werden: Dies werden im Streitfalle die Gerichte zu Dennoch, liebe Kolleginnen und Kollegen, gilt: entscheiden haben, und deshalb legen wir als CDU/CSU Nachdem Bundesminister Gabriel nur in einem solchen Systemwechsel die Stabilisierung der haushaltsnahen Wert auf die Feststellung, dass Bundesminister Gabriel Sammlung umsetzen will, folgen die Koalitionsfraktio- auch in diesem Punkt so klar für diese Novelle einsteht nen dem verantwortlichen Minister. Alle in dieser Koali- und die Verantwortung dafür übernimmt, dass die haus- tion und viele darüber hinaus teilen den Grundsatz, dass haltsnahe Sammlung nicht zusammenbricht, weil die wir eine ökologisch verantwortungsvolle und ökono- rechtlichen Risiken kontrollierbar seien. (B) misch vernünftige Verpackungsentsorgung dauerhaft ga- Wenn nun auch weitere Themen wie der Einbruch der (D) rantieren wollen. Mehrwegquote, die umstrittene Praxis der Handelslizen- (Beifall des Abg. Marco Bülow [SPD]) zierung, die umstrittene Verrechnung von Pfandmengen, die Umdeklarierung von Transportverpackungen, die Nachdem zur Anhörung des Bundestages am 10. Ok- Missbräuche bei diätetischen Getränken außen vor ge- tober schriftlich und mündlich ernsthafte Bedenken am blieben sind, so ist der Ansatz der Sicherung der haus- Entwurf geäußert wurden, haben wir uns in der CDU/ haltsnahen Sammlung bei allen strittigen Details im An- CSU zunächst noch einmal zu einer Absetzung der No- satz sehr zu begrüßen. velle von der Tagesordnung durchgerungen; Herr Kollege Meierhofer hat das eben in seinem Beitrag ange- Allen Beteiligten war klar, dass mit dieser Novelle die sprochen. Es ging uns in den Gesprächen mit dem Koali- Reparatur der aufgerissenen Löcher auf dem ökologi- tionspartner darum, sicherzustellen, die Novelle so schen Weg der haushaltsnahen Sammlung nicht vollstän- rechtssicher zu halten, dass uns – und mehr noch den dig erledigt werden konnte; so sollen bestehende Löcher Bürgerinnen und Bürgern – nicht aufgrund rechtlicher auf diesem Entsorgungsweg repariert werden. Sofern wir Risiken die haushaltsnahe Sammlung sozusagen um die keine weiteren Schlaglöcher aufgerissen haben, wird Ohren fliegt. diese Novelle einen großen Teil ihrer Ziele erreichen. Nachdem uns die SPD gemeinsam mit den Beamten Weil wir als Union die Erfinder der haushaltsnahen von Minister Gabriel nochmals deutlich gemacht hat, Sammlung sind und mit dem damaligen Umweltminister dass sie auch in Kenntnis der geäußerten Bedenken Töpfer und seiner Nachfolgerin, der heutigen Bundes- keine Veranlassung für eine Änderung der Novelle sieht, kanzlerin Angela Merkel, diesen erfolgreichen Weg ein- stimmen wir als CDU/CSU dieser Novelle heute zu. geschlagen haben, wollen wir den Weg der getrennten Sammlung an den Haushalten weiter gehen. Wir werden Nun wird diese Novelle in den kommenden Wochen auch weiterhin alle nötigen Schritte, die zur Sicherung nochmals auf Herz und Nieren geprüft werden, wenn die dieses guten Weges notwendig sind, unterstützen. ebenfalls mit großem Sachverstand ausgestatteten Län- der mit dem Entwurf befasst sein werden. Vom Ergebnis Ich danke Ihnen sehr herzlich für die Aufmerksam- dieser Beratungen wird auch abhängen, ob diese Novelle keit. das Schicksal der Vorgänger erleben wird, nämlich an- ders aus dem Bundesrat herauszukommen, als sie hi- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- neingegangen waren. Insofern bleibt auch abzuwarten, neten der SPD) 13042 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 124. Sitzung. Berlin, Freitag, den 9. November 2007

(A) Anlage 14 Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung (C)

Amtliche Mitteilungen – Unterrichtung durch die Bundesregierung Die Vorsitzenden der folgenden Ausschüsse haben Bericht der Bundesregierung über die Anwendung der mitgeteilt, dass der Ausschuss gemäß § 80 Abs. 3 Satz 2 Richtlinie 95/50/EG des Rates über einheitliche Verfah- ren für die Kontrolle von Gefahrguttransporten auf der der Geschäftsordnung von einer Berichterstattung zu den Straße nachstehenden Vorlagen absieht: – Drucksachen 16/6130, 16/6369 Nr. 1.10 –

Innenausschuss Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen – Unterrichtung durch die Bundesregierung Union Migrationsbericht 2005 – Unterrichtung durch die Bundesregierung – Drucksache 16/2000 – Bericht gemäß Nummer VI der Vereinbarung zwischen – Unterrichtung durch die Bundesregierung der Bundesregierung und dem Deutschen Bundestag über die Zusammenarbeit in Angelegenheiten der Eu- Bericht der Bundesregierung gemäß § 5 Abs. 3 des Bun- ropäischen Union desstatistikgesetzes für die Jahre 2005 und 2006 – Drucksachen 16/5875, 16/6008 Nr. 3 – – Drucksachen 16/5300, 16/5682 Nr. 2 –

– Unterrichtung durch die Bundesregierung Die Vorsitzenden der folgenden Ausschüsse haben Bericht der Bundesregierung über den Stand der Ab- mitgeteilt, dass der Ausschuss die nachstehenden EU- wicklung des Fonds für Wiedergutmachungsleistungen an jüdische Verfolgte Vorlagen bzw. Unterrichtungen durch das Europäische – Stand 30. Juni 2007 – Parlament zur Kenntnis genommen oder von einer Bera- – Drucksachen 16/6274, 16/6369 Nr. 1.11 – tung abgesehen hat.

Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Auswärtiger Ausschuss Drucksache 16/6389 Nr. 2.108 – Unterrichtung durch die Bundesregierung Sechzehntes Hauptgutachten der Monopolkommission 2004/2005 Haushaltsausschuss – Drucksache 16/2460 – Drucksache 16/6389 Nr. 2.2 (B) Drucksache 16/6389 Nr. 2.37 (D) – Unterrichtung durch die Bundesregierung Drucksache 16/6389 Nr. 2.44 Anlagenband Drucksache 16/6389 Nr. 2.50 zum Sechzehnten Hauptgutachten der Monopolkom- Drucksache 16/6389 Nr. 2.98 mission 2004/2005 Drucksache 16/6389 Nr. 2.132 – Drucksache 16/2461 –

– Unterrichtung durch die Bundesregierung Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Sechzehntes Hauptgutachten der Monopolkommission Drucksache 16/5199 Nr. 2.16 2004/2005 Drucksache 16/6389 Nr. 2.22 – Drucksachen 16/2460 und 16/2461 – Drucksache 16/6389 Nr. 2.24 Drucksache 16/6389 Nr. 2.91 Stellungnahme der Bundesregierung – Drucksachen 16/5881, 16/6369 Nr. 1.7 – Ausschuss für Arbeit und Soziales – Unterrichtung durch die Bundesregierung Drucksache 16/6389 Nr. 1.45 Nationales Reformprogramm Deutschland 2005 bis Drucksache 16/6389 Nr. 1.83 2008 Umsetzungs- und Fortschrittsbericht 2007 – Drucksache 16/4560 – Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung

– Unterrichtung durch die Bundesregierung Drucksache 16/5806 Nr. 1.1 Drucksache 16/5806 Nr. 1.13 Bericht der Deutschen Energie-Agentur GmbH (dena) Drucksache 16/5806 Nr. 1.14 über die Exportinitiative Erneuerbare Energien für das Drucksache 16/6041 Nr. 1.8 Jahr 2005 – Drucksachen 16/5016, 16/5327 Nr. 2 – Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und – Unterrichtung durch die Bundesregierung Reaktorsicherheit Bericht der Bundesregierung zum Stand der Doha- Drucksache 16/5681 Nr. 1.9 Runde der Welthandelsorganisation und das Treffen Drucksache 16/5681 Nr. 1.12 der EU-Handelsminister am 22. Juli 2007 in Brüssel Drucksache 16/5681 Nr. 1.40 – Drucksachen 16/6287, 16/6487 Nr. 1.3 – Drucksache 16/6041 Nr. 2.20

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