Zielvorgabe DPA bis 2005: Bauern-Demonstration*: Eine Ära deutscher Landwirtschaftspolitik geht zu Ende 10 % Von der Krise zur Agrarwende Der Rinderwahnsinn hat das Kabinett an den Rand einer Regierungskrise gebracht. Mit seiner neuen Frauen-Riege und dem Bekenntnis zur Ökolandwirtschaft will der Kanzler nun wieder das Heft des Handelns an sich reißen. Doch Agrarindustrie und Bauernverbände wehren sich.

er Duft der großen weiten Welt war der Neuen von der alten Haus- es nicht, der Renate Künast bei ih- marke überlagert. Drinnen Raus aus der Nische? Drer ersten Fahrt im Regierungs- schmökte Karl-Heinz Funke Anfang 2000 Dienstwagen in die Nase stieg. Kaum hat- eine letzte brasilianische „Car- Zahl der ökologisch te die künftige Landwirtschaftsministerin denal Mendoza“. bewirtschafteten Betriebe 10 400 sich auf dem Weg zur Ernennung beim Mit dem Amtsantritt der Anteil an allen Bundespräsidenten zurückgelehnt, witterte jungen Ministerin von den Betrieben 2,42 % sie Unrat: Beim Fototermin in einem Kuh- Grünen ging an diesem Tag Anteil an der land- stall war sie in einen Kuhfladen getreten. eine Ära der deutschen Land- wirtschaftlichen Fläche 2,64 % Schöne Scheiße – die grüne Politikerin wirtschaftspolitik zu Ende, die nahm es als Omen. Absichtlich ließ sie sich seit dem Ende der Ade- im Bundespräsidialamt und beim Einzug nauer-Zeit prinzipiell kaum Ökologisch bewirtschaftete Fläche ins Amtsgebäude in der Wilhelmstraße verändert hatte: Die Agrar- in Prozent der landwirtschaftlichen Fläche insgesamt; in Deutschland 2,64 einen Rest an der Schuhsohle kleben: „Ich lobby diktierte die Politik für 2,42 dachte, es wäre nicht schlecht, wenn ich die Bauern. 2,27 2,06 schon mit Stallgeruch in mein neues Amt Nun hat das Ministerium ei- 1,80 komme.“ nen Namen, der hohe Anfor- 1,58 Bei der Übergabe der Geschäfte in Zim- derungen stellt an den Telefo- mer 2.20, an das der Hausmeister bereits nisten an der Pforte: „Ver- das Schild „Bundesministerin Frau Künast“ braucherschutzministerium, geschraubt hatte, wurde der frische Mief guten Tag“, holperte er am vergangenen Freitag. Zwei alt- 1994 1995 1996 1997 1998 1999 2005 * Am vergangenen Freitag in Celle. gediente Abteilungsleiter, die

20 der spiegel 3/2001 Titel

der grüne Parteichef Fritz Kuhn. Ver- haarsträubenden Fall bestand für Schrö- gleichsweise bescheiden sprach der Kanz- der und die Koalitionsführung kein Zwei- ler von „Entscheidungen von ungeheurer fel mehr, dass Fischer und Funke das BSE- Tragweite“. Gibt es aus dem Wahnsinn der Problem nicht lösen konnten. Agrarfabriken einen Weg in eine wirklich Der Instinktpolitiker Schröder weiß, grüne Landwirtschaft, zurück zur Scholle? dass die Lage – zumal wenige Wochen vor Es war, wenn es denn wirklich ein poli- den wichtigen Landtagswahlen in Baden- tischer Paradigmenwechsel wird, ein Auf- Württemberg und Rheinland-Pfalz – für bruch im typischen Schröder-Stil: eruptiv, ihn ziemlich ungemütlich ist. Mögen auch über Nacht, aus der Not geboren. Die für die Oppositionsparteien, die Union wie die die BSE-Krise zuständigen Mitglieder sei- Liberalen, vorzugsweise mit sich selbst be- nes Kabinetts, , Gesund- schäftigt sein, die Glaubwürdigkeit und heit, und Karl-Heinz Funke, Landwirt- Verlässlichkeit der Regierungspolitik zer- schaft, hatten sich als Krisenmanager ins fällt vor den Augen der Wähler in bedroh- politische Aus gestümpert. Gezielte War- licher Geschwindigkeit. nungen aus Brüssel vor der BSE-Gefahr Die Deutschen wollen Sicherheit. Aber waren in deren Ministerien wiederholt unter Schröders Ägide geht es in der Poli- missachtet oder verschlampt worden. tik zu wie am Neuen Markt: Übertreibun- Als der SPIEGEL vergangenen Montag gen nach oben und unten wechseln sich ab- über den alarmierenden Report berichtete, rupt ab, ruhige Phasen gibt es kaum noch. den EU-Verbraucherkommissar David Byr- Um wenigstens ein kleines Signal der ne schon am 9. November 2000 an die deut- Kontinuität zu setzen, kündigte der Kanz- sche Gesundheitsministerin übergeben hat- ler – zum Ärger vieler SPD-Spitzenleute – te, war das Schicksal der beiden besiegelt. gleichsam nebenbei die Fortsetzung der Fischer hatte die Herausgabe des Papiers rot-grünen Koalition über 2002 hinaus an. an das Landwirtschaftsministerium ver- Unfreiwillig bestätigte er damit, dass der weigert, weil es angeblich als „vertraulich“ Sieg bei der nächsten Bundestagswahl in gekennzeichnet war. Mit diesem neuen Wahrheit das einzige konkrete Projekt ist, das seine Regierung ernsthaft im Auge hat.

LS-PRESS * Auf der Bioland Ranch Zempow in Brandenburg am Alles andere ist, der großen Worte un- Kanzler Schröder, Ministerin Schmidt 22. November vergangenen Jahres. geachtet, eine Politik der kleinen Wege – Technik des Spontan-Krisenmanagements für ihre telefonische Standleitung zum Bau- ernverband bekannt sind, werden sich an den Zungenbrecher erst gar nicht gewöh- nen müssen: Sie sollen umgehend in den einstweiligen Ruhestand. Auf den Ministe- rialfluren herrscht Furcht. Die alte Ord- nung ist zusammengebrochen. Wieder einmal scheint die rot-grüne Re- gierung einen radikalen politischen Um- bruch vorzunehmen, diesmal im deutschen Ernährungswesen. Das sei ein Aufbruch in eine „neue politische Dimension“, jubelte

Anteil der ökologisch bewirtschafteten Fläche

Durchschnitt EU 1,9 Österreich 10,1 Schweiz 7,3 Finnland 5,9 Dänemark 3,6 Italien 3,2 Deutschland 2,6 Spanien 1,1 Niederlande 0,9 Großbritannien 0,7 Belgien 0,5 Frankreich 0,4 A. SCHOELZEL Quelle: BML Grünen-Politikerin Künast*: „Mit Stallgeruch ins neue Amt“

der spiegel 3/2001 21 Titel von der Hand in den Mund. Mit dem Raus- düster ins Leere starrend vor. Er malte Na- wurf der Minister Funke und Fischer sta- men auf Zettel, verband sie mit Pfeilen, bilisiert der Kanzler seine Regierung al- kritzelte unleserliche Wörter an Zeitungs- lenfalls für den Augenblick. Denn hinter ränder und blickte ins Ungefähre. der „Wende“ zur neuen, modernen, ge- Schon auf dem Rückflug von den zu- sunden Landwirtschaft, die Schröder ver- sätzlichen Weihnachtstagen mit dem russi- heißt, steckt nicht mehr als eine eilig er- schen Präsidenten Wladimir Putin in Mos- fundene Parole. kau überlegte Schröder, wie ein neu or- Die dazugehörigen Programmentwürfe ganisiertes Ministerium heißen solle und sind zwischen den Feiertagen hastig erstellt welchen Stellenwert schon im Namen die worden. So könnte sich die forsche Ankün- Landwirtschaft haben sollte. „Es ist nicht digung von Künast, mit 80 Millionen Ver- umsonst die Rede von Verbraucherschutz, brauchern im Rücken die rund 500 000 Lebensmittelsicherheit und Landwirt- deutschen Landwirte zu ökologisch kor- schaft“, versicherte er später. rekten Hirten von glücklichen Kühen um- Am Montag nach der Rückkehr hielt es erziehen zu wollen, schnell als Wunsch- den Kanzler nicht länger in Hannover. Am traum erweisen. Abend gegen 21 Uhr kamen neben Kanz- Es gehört zur Technik des Spontan-Kri- leramtschef Frank-Walter Steinmeier die senmanagers Schröder, dass er seinen Au- Grünen Fritz Kuhn und ins genblickslösungen rückwirkend den An- Berliner Privathaus des Kanzlers in der schein sorgsamer Planung und gründlicher Reflexion zu verleihen versucht. Und so bemühten sich Kanzler-Vertraute vergan- gene Woche aufopfernd, den Eindruck ei- nes schon lange ahnungsvollen und be- Krisenmanager Schröder*: Finaler Eingriff sorgten Verbraucher- und Bauernfreundes Schröder zu erzeugen. rium den populären Potsdamer Ober- Hatte er nicht – „glücklicherweise“, wie bürgermeister Matthias Platzeck auf- es in seiner Umgebung heißt – schon vor bieten. dem ersten deutschen BSE-Fall die Fütte- Beide Seiten verabredeten, dass rung des gefährlichen Tiermehls zu ver- am nächsten Abend im Kanzleramt bieten verlangt? Hatte nicht Kanzler-Gat- über Zuschnitt und Besetzung der tin Doris Schröder-Köpf Ende November in Ämter entschieden werden sollte. „Bild“ gefordert: „Es muss was passieren“? Nach den Klausursitzungen der SPD-

Damals war die sorgenvolle Verbrau- M. URBAN Fraktion in Bonn und der Grünen in cherin aus Hannover, Mutter und Ehefrau Verteidigungsminister Scharping Wörlitz sollte dann der Wechsel zum des bekennenden Currywurst-Essers im Vorwürfe wegen Uran-Munition Wochenende vollzogen werden. Kanzleramt, schon ganz die Stimme ihres Bevor es dazu kam, übernahm in- Herrn. Der wusste: „Da fließt gigantisch des die zornbebende Andrea Fischer viel Geld in die falsche Richtung.“ Und er die Initiative. Sie hatte schon am ermunterte seine Journalisten-Frau, das zu Montag und Dienstagmorgen im Ge- artikulieren. spräch mit ihren Parteifreunden Zu diesem Zeitpunkt glaubte Schröder Joschka Fischer und Kuhn gesagt be- freilich noch, Andrea Fischer, deren fri- kommen, dass sie von den Grünen scher Tatendrang ihm immer gefallen hat- keine weitere Unterstützung kriegen te, und sein alter Kumpel „Kalle“ Funke, würde. Also entschied sie sich für die aus gemeinsamer Regierungszeit in Nie- Flucht nach vorn und teilte dem dersachsen vertraut, würden die Krise Kanzler ihren Rücktritt mit. Coura- schon bewältigen. Doch stattdessen giert begründete sie ihren Entschluss bekämpften die beiden und ihre Häuser am Dienstagabend vor der Presse – einander aggressiv. ein starker Abgang.

Da begann Familienvater Schröder in / MODUS JARDAI Schröder war die Handlungs- der Vorweihnachtszeit und zwischen den Arbeitsminister Riester führung entglitten. Gerade noch eine Jahren im heimischen Hannover zu be- Immer neue Änderungen Stunde Stillschweigen vermochte er greifen, dass BSE den Leuten massiv auf Andrea Fischer abzuhandeln, damit den Magen schlägt: Niemand setzte sich in Pücklerstraße. Schröder ließ keinen Zweifel er seinem überraschten Parteifreund „Kal- dieser Schlemmerzeit ohne Arg zum Fest- daran, dass er einen Personenwechsel in le“ Funke telefonisch sein Ausscheiden essen an die Tafel. Überall kreiste die Dis- den beiden Ministerien für nötig hielt. Auf mitteilen konnte. kussion um das mögliche Gift im Braten Widerspruch stieß er nicht. Er bot den Grü- Am Ende konnte der Kanzler zwar be- und in der Wurst. nen das zum Verbraucherschutzministeri- haupten, letztlich sei alles in seinem Sinn Bei einem Adventsessen beim Chinesen um aufgestockte Landwirtschaftsressort an. geregelt. Aber seine Rolle als großer Kri- in Hannover erlebte der Kanzler, wie die Die NRW-Umweltministerin Bärbel sen-Zampano hatte ihm die ausscheidende anwesenden Mütter die Rinderspeisen so- Höhn erschien offenbar allen Beteiligten Ministerin verdorben. fort aussortierten und auch nur zögernd als die nächstliegende Besetzung. Aber be- Er stand nicht mehr als strahlender Er- für ihre Kinder auf Hühnergerichte um- geistert war darüber keiner. Schröder droh- neuerer da, sondern als der Chef eines schwenkten: „Werden diese Viecher nicht te, so wird bei den Grünen kolportiert, auch mit dem Dreckszeug gefüttert?“ wenn sie an Höhn festhielten, würde er ih- * Mit Bundespräsident Johannes Rau, Ex-Gesundheits- ministerin Andrea Fischer, Nachfolgerin , Ex- Immer häufiger fand die Schröder-Fa- nen weiter das Gesundheitsministerium Landwirtschaftsminister Karl-Heinz Funke, Nachfolgerin milie fortan ihr regierendes Oberhaupt lassen und für das Landwirtschaftsministe- Renate Künast am vergangenen Freitag in Berlin.

22 der spiegel 3/2001 son zentriert. So fällt in guten Zeiten aller auswuchs, ist mit der jüngsten Kabinetts- Glanz auf ihn persönlich und sichert ihm rochade keineswegs beigelegt. Selbst Sympathiewerte, die um 20 Prozent über Schwergewichte im Kabinett stehen derzeit denen seiner Partei liegen. Dringt ein poli- im Feuer: tisches Problem in die Schlagzeilen und da- • Außenminister Joschka Fischer droht von mit ins Bewusstsein der Allgemeinheit, seiner Vergangenheit als Straßenkämp- steigt es flugs zur „Chefsache“ auf. Dann fer eingeholt zu werden. Am Dienstag tritt der Kanzler in Aktion, um die Sache dieser Woche muss er als Zeuge im Pro- persönlich zu regeln. Schröder, der Macher zess gegen den Terroristen Hans-Joachim Klein aussagen. Das kann er so lan- ge gut verkraften, wie nicht der Be- weis erbracht wird, dass er in Frank- furt in den siebziger Jahren bei den wilden Demonstrationen selbst zum Werfen von Molotow-Cocktails auf- gerufen hat. Andernfalls könnte sei- ne politische Karriere schnell zu Ende sein. • Finanzminister muss am Mittwoch, kaum aus Asien zurückgekehrt, dem Haushalts- ausschuss des Bundestags seine Flugreisen mit Bundeswehrma- M. KAPPELER / DDP M. KAPPELER F. OSSENBRINK F. schinen erklären. des Kanzlers Finanzminister Eichel: Vor den Ausschuss zitiert • Verteidigungsminister wird vorgeworfen, Sol- Schwund-Kabinetts, dem sieben Mitglie- – dieses Image bedeutet ihm mehr als man- daten im Kosovo fahrlässig der Gefahr der in zwei Jahren abhanden gekommen cher Name in seinem Kabinett. uranhaltiger Munition ausgesetzt zu ha- waren. „Wenn es hier so weitergeht“, frot- Nicht dass der Kanzler die Kabinetts- ben. Scharpings Krisenmanagement ist zelte ihn einer aus der alten Hannover- mitglieder daran hinderte, durch gute Ar- ärmlich. Truppe aus, „sind wir von der Nieder- beit zu glänzen. Er lässt jeden machen, • Innenminister hat sich im sächsischen Staatskanzlei bald unter uns.“ ohne für die Alltagssorgen in den Ressorts Streit um die Weitergabe von Stasi-Un- Nicht wie eine Regierungsmannschaft, viel Interesse zu entwickeln. Seine Minis- terlagen Prominenter öffentlich in hand- sondern wie eine Ansammlung zufällig ne- ter, pflegt der Kanzler zu sagen, sollen feste Querelen mit SPD-Fraktionschef beneinander agierender, zum Teil auch noch „ihre Arbeit tun“ – worunter er vor allem Peter Struck verbissen, die bis zum Som- blessierter Einzelspieler wirkt derzeit das versteht, die jeweilige Fachpolitik geräusch- mer schwelen könnten. Die Fraktion rot-grüne Kabinett. „Es gibt in dieser Re- los und ohne negative Schlagzeilen zu exe- steht hinter ihrem Chef. Schröder neigt gierung keinen Zusammenhalt und schon kutieren. Schilys juristischer Auffassung zu und gar keine Solidarität“, schimpfte ein Insider Längere und intensivere politische Ge- fordert ein Moratorium bis zur Gerichts- aus dem Regierungsstab vergangene Wo- spräche führt Schröder nur mit ausgesuch- entscheidung. che: „Alle machen die Schotten dicht und ten Mitstreitern im Kabinett – Innenminis- • Arbeits- und Sozialminister Walter Ries- schmoren nur noch im eigenen Saft.“ ter Otto Schily, Außenminister Joschka Fi- ter bestätigt mit immer neuen Ände- Ganz bewusst hat Kanzler Schröder die scher und, gelegentlich, Wirtschaftsminister rungen am Entwurf zur Rentenreform Ministerinnen und Minister auf seine Per- Werner Müller oder Justizministerin Herta den Ruf der Regierung, ihrer Arbeit man- Däubler-Gmelin. Auch in der gele es an Gründlichkeit und Konsistenz. Das Superministerium ersten Januarwoche telefonierte „Die Chance, endlich eine grundlegen- der Kanzler zwar mit Schily, de und in sich schlüssige Kabinettsreform Ministerin für Verbraucherschutz, nicht aber mit seinen angeschla- durchzuführen, hat Schröder gründlich Ernährung und Landwirtschaft genen Ministern Andrea Fischer vertan“, frohlockt CDU-Chefin Angela Renate Künast und Funke. Merkel. Dabei weiß auch die Christdemo- Parlamentarische Staatssekretäre beamtete Staatssekretäre Dabei hätte es nahe gelegen, kratin, dass Schröder gar keine Möglichkeit beide an einen Tisch zu zwingen hätte, die „big shots“ des Kabinetts auszu- Gerald ? Martin ? und auf eine gemeinsame Stra- tauschen. Schon Mitte der ersten Legisla- Thalheim B90/Grüne Wille SPD tegie zu verpflichten. Doch mit turperiode ist die Personalreserve der rot- Krisen – Reinhard Klimmt hat grünen Koalition nahezu vollständig er- I II es erlebt – muss bei Schröder schöpft. Zentralabteilung Allgemeine Agrarpolitik jeder allein zurechtkommen. Bereitwillig nahm der Schröder-Stab im Erst wenn alle Selbstrettungs- Kanzleramt die Idee von Fraktionschef kräfte versagen, greift der Kanz- Struck auf, Ulla Schmidt zur Gesundheits- Abteilung Verbraucherschutz, bisher im ler ein – final. „Er steckt viel ministerin zu nominieren – so kann we- Gesundheitsministerium; etwa 50 Beamte III Kritik deswegen weg, aber am nigstens des Kanzlers geheimer Jungstar Agrarische Referat Verbraucherpolitik, bisher im Ende fährt er wie ein kalter Blitz Hans Martin Bury noch eine Weile auf der Erzeugung, dazwischen“, berichtet ein Ver- Auswechselbank geschont werden. Wirtschaftsministerium; zuständig für Veterinärwesen Verbraucherverbände, Stiftung Warentest. trauter. Schröder macht intern kein Hehl aus sei- Wenige Beamte. An potenziellen weiteren nem Ärger, dass der desolate Zustand des Opfern ist kein Mangel. Denn Kabinetts die positiven Wirtschaftsdaten V die Regierungskrise, zu der sich von der politischen Agenda verdrängt: IV Ländlicher Raum, VI der Rinderwahn dank des „Die Wirtschaft brummt, die Arbeitslosig- Marktpolitik Forstpolitik, Jagd Allg. EU-Agrarpolitik schlechten Krisenmanagements keit sinkt.“ Doch das Land, so Schröder,

der spiegel 3/2001 23 Titel rede über BSE und eine angebliche Krise gangenen Woche vorlegten, fügten sich die schutz läuft“, sagt der ebenfalls ausgeschie- der Regierung. Grünen-Abgeordneten ins scheinbar Un- dene grüne Staatssekretär im Gesund- Die unsichere Stimmung fraß sich ver- abänderliche. „Ist doch alles prima“, freute heitsministerium, Erwin Jordan, „will nie- gangene Woche auch in die Koalitionsfrak- sich Jürgen Trittin, als als mand wissen, was in der Wurst ist. Ist aber tionen bei ihren Klausurtagungen. Beim Nachfolgerin für Renate Künast an der Par- irgendetwas Unerlaubtes drin, wird die Mi- dazugehörigen geselligen Abend prostete teispitze akzeptiert war. Alles in allem sei es nisterin dafür verantwortlich gemacht.“ der SPD-Abgeordnete Reinhold Robbe „auch für die Linken“ vorteilhaft gelaufen. Gleich in der ersten Amtswoche könnte Wirtschaftsminister Müller ostfriesisch-herb Aus der SPD-Spitze war jedoch zu es ruppig werden für Shootingstar Künast: mit dem Rat zu: „Im Amt bleiben.“ Dabei hören, was die Realos in Wahrheit dachten: am Donnerstag die BSE-Debatte im Bun- fühlt Müller sich derzeit wahrlich weder Kuhn, der Joschka-Fischer-Freund, werde destag, am Freitag ihr Besuch auf der „Grü- bedroht noch in Versuchung auszusteigen. künftig unumschränkter Parteichef sein. nen Woche“, der jährlichen Fress-Show in Zu später Stunde stieß auch Scharping Einen gleichwertigen Ersatz für Künast hät- den Berliner Messehallen. Dazwischen muss zur Feier: „Ich war zufällig in der Nähe ten die Linken nicht anzubieten. die Ministerin, der jegliche Verwaltungser- und dachte, wenn ich schon hier bin, Dennoch wird das Leben für Kuhn nicht fahrung fehlt, Personalentscheidungen am schaue ich mal vorbei.“ Als ihm die Partei- leichter. Roths außenpolitische Vorstellun- Fließband fällen, um den misstrauischen Be- freunde, die er an jedem Tisch einzeln be- gen, die sie künftig auch als Grünen-Che- amtenapparat in eine schlagkräftige Behör- grüßte, angrinsten, ahnte er nicht, dass die fin vertritt, stehen den realpolitischen de zu verwandeln. Genossen den Fernsehauftritt mit seiner Liebsten bei „Boulevard Bio“ den ganzen Tag über durch den Kakao gezogen hatten. Genüsslich hatten die Sozis die Bekenntnisse des Verteidigungs- ministers zur Romantik parodiert und dabei die Augen verdreht: „Wenn Sie am Strand sitzen, die Sonne geht unter, auf dem Tisch stehen Kerzen, und Sie trinken gemeinsam Sekt – das ist schön.“ Nicht so lustig fanden die SPD-Abgeordneten dagegen die Nacht-und-Nebel-Aktion im Kanzleramt. Gewiss, Schröder habe vor der Presse wieder eine ordentliche Figur gemacht. Aber musste er den Verbraucherschutz den Grünen überlassen? Das hät- te nie passieren dürfen, kritisier- te der stellvertretende Fraktions- chef Michael Müller.

Auch der Tausch zu Gunsten PRESS ACTION des Gesundheitsministeriums Biolandwirt (in Wulksfelde bei Hamburg): BSE ist den Leuten auf den Magen geschlagen stieß nicht auf einhellige Begeis- terung. Führende Sozialdemokraten muss- Zwängen von Außenminister Fischer oft Flotte Sprüche allein („Als Sozialarbei- ten viele ihrer Genossen erst daran erin- diametral entgegen. Der Oberrealo be- terin im Knast von Tegel habe ich mir so- nern, dass die Gesundheitspolitik eine ur- kommt nun wieder eine Parteivorsitzende, gar den Respekt der Knackis und Schließer sozialdemokratische Domäne sei. der er in herzlicher Abneigung verbunden erworben“) werden ihr nicht helfen, die Eine kommunikative Sozialdemokratin ist. Kuhn muss seine künftige Amtskollegin, Agrarlobby zu bezwingen. Das Risiko eines wie Ulla Schmidt, bläute Struck seiner stärker als die pragmatische Linke Künast, Fehlstarts ist hoch. Truppe ein, könne bei den Gewerkschaften von den professionellen Zwängen des Ge- Die Prognosen über die Aussichten der für mehr Akzeptanz sorgen, wenn es um werbes überzeugen. Politik aus dem Bauch, neuen Landwirtschaftspolitik könnten un- die Reformen im Gesundheitswesen geht. für die Claudia Roth steht, ist im neuen terschiedlicher kaum sein. Der Grünen- In dieser Legislaturperiode, so Struck, Amt nur sehr beschränkt gefragt. Europa-Abgeordnete und Öko-Landwirt werde freilich Grundlegendes auf diesem Trotzdem – die Grünen beginnen das Friedrich-Wilhelm Graefe zu Baringdorf Gebiet nicht mehr angefasst. Und so sah dritte Regierungsjahr in der Koalition deut- freut sich, Schröder habe vergangene Wo- Robbe, der Sprecher des fraktionsrechten lich wohlgemuter als die Sozialdemokraten. che in der Landwirtschaftspolitik „grün „Seeheimer Kreises“, die wichtigste Auf- Dazu hat Schröder mit der Zuweisung des pur“ gesprochen, „besser geht es kaum“. gabe der neuen Ministerin in der „Kli- Verbraucher-Feldes an die Grünen mehr Als Vorsitzender der grünennahen „Ar- mapflege“. „Die Ulla muss jetzt erst mal beigetragen als mit seiner unverhofften Ko- beitsgemeinschaft bäuerliche Landwirt- alle die beruhigen, die Andrea Fischer ge- alitionsaussage. Die hat sich für die meisten schaft“ schlage er vor: „Wir sollten Schrö- gen sich aufgebracht hat.“ Grünen von selbst verstanden – bei eigenen der den Ehrenvorsitz anbieten.“ Umgekehrt hagelte es Proteste in der Wahlerfolgen. Die Landtagswahlen im März Derweil knurrte der zurückgetretene Mi- Grünen-Fraktion, weil die Zuständigkeit für in Rheinland-Pfalz und in Baden-Württem- nister Funke bei seiner letzten Dienstfahrt die Biotechnologie im Gesundheitsministe- berg werden der erste Test, ob die Rechnung auf dem Rücksitz: „Das läuft sowieso alles rium bleibt. Niemals hätten „die Grünen der Grünen mit der Agrarwende aufgeht. wie nach Paragraf 1 der mecklenburgischen das Thema Gentechnik den Sozen überlas- Die Risiken allerdings, die die kleine Par- Landordnung: Es bleibt alles so, wie es ist.“ sen“ dürfen, schimpfte Andrea Fischer bei tei auf die abschüssige Bahn bringen könn- Petra Bornhöft, Ulrich Deupmann, Susanne der Klausurtagung in Wörlitz frustriert. Er- ten, sind sogar nach Bekunden der Grünen Fischer, Jürgen Hogrefe, Jürgen Leinemann, Gerd Rosenkranz, Rüdiger Scheidges mattet vom Tempo, das sie selbst in den ver- selbst gewachsen: „Wenn der Verbraucher-

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