1 29 23. Oktober 1962: Fraktionssitzung

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1 29 23. Oktober 1962: Fraktionssitzung SPD – 04. WP Fraktionssitzung: 23. 10. 1962 29 23. Oktober 1962: Fraktionssitzung AdsD, SPD-BT-Fraktion 4. WP, Ord. 13.௔3. 62 – 23.௔10. 62 (alt 1031, neu 6). Überschrift: »SPD-Fraktion im Bundestag. Protokoll der Fraktionssitzung vom Dienstag, den 23. Oktober 1962«. Anwesend: 166 Abgeordnete. Prot.: Eichmann. Zeit: 15.15 – 17.30 Uhr. Fritz Erler eröffnet die Sitzung um 15.15 Uhr und gibt vor Eintritt in die Tagesord- nung bekannt, daß der Tagesordnungspunkt 2, Vorlagen aus den Arbeitskreisen, um einen Antrag betr. Futtergetreidepreis, einen Antrag betr. Entwurf eines Gesetzes für eine einmalige statistische Steuererklärung auf der Grundlage einer Mehrwertsteuer mit Vorumsatzabzug sowie einen Antrag der Arbeitsgruppe Mittelschichten betr. Entwurf eines Gesetzes zur Änderung der Gewerbeordnung erweitert werden soll. Die Fraktion ist damit einverstanden. Sodann entschuldigt er Erich Ollenhauer und Herbert Wehner, die am DGB-Kongreß in Hannover teilnehmen.1 Zu einigen wesentlichen Fragen der politischen Situation nimmt Fritz Erler wie folgt Stellung: Die Entscheidung des amerikanischen Präsidenten für eine Blockade von Waffenliefe- rungen nach Kuba zeige, daß die Weltmacht Amerika eine weitere Ausdehnung der sowjetischen Macht nicht tatenlos hinzunehmen bereit sei.2 Man müsse Verständnis für die Sorgen des amerikanischen Volkes und seines Präsidenten haben, so wie die Ameri- kaner Verständnis für unsere und die Lage Berlins aufbringen. Fritz Erler nannte die Entscheidung vor allem maßvoll, weil sie nicht den Handel, sondern nur Waffenliefe- rungen betreffe.3 Sie [d. h. die USA] werden in Südamerika ihr Ziel nur erreichen, wenn die Vereinigten Staaten dort mit ihrem ganzen Gewicht für den sozialen Fortschritt einträten.4 Fritz Erler wertete es als einen Fortschritt, daß der Bundesaußenminister nach seiner Rückkehr aus Amerika ein abgewogenes Wort zur deutschen Beteiligung am westli- chen Risiko in der Berlinfrage gesagt und gefordert habe, der Westen solle nicht nur reagieren, sondern die Sowjetunion zur Auseinandersetzung mit der westlichen Politik 5 zwingen. 1 Der 6. ordentliche Bundeskongreß des DGB fand vom 22.-27. 10. 1962 in Hannover statt; er stand im Zeichen der Debatte über eine Notstandsgesetzgebung. Siehe DGB-Bundesvorstand (Hrsg.), Proto- koll des 6. Ordentlichen Bundeskongresses des DGB in Hannover, 22.- 27. Oktober 1962, Düssel- dorf o. J., S. 203-256. Vgl. auch SCHNEIDER, Demokratie, S. 95-98, u. a. zur Beurteilung des Kon- gresses durch Ollenhauer. 2 Am 22. 10. abends hatte Präsident Kennedy in einer Fernseh- und Rundfunkrede die Blockade für alle mit offensiven Waffen nach Kuba laufenden Schiffe verkündet. Zum Wortlaut vgl. AdG 1962, S. 10193. Der wesentliche Inhalt dieser Rede war zuvor den Botschaftern der befreundeten Staaten be- kanntgegeben worden. 3 Zu Erlers Haltung vgl. auch SOELL, Erler I, S. 438 f. und 677. 4 Der Rat der Organisation der Amerikanischen Staaten (OAS) billigte am 23. 10. 1962 in Abwesenheit Kubas formell die Haltung der US-Regierung. Vgl. AdG 1962, S. 10195. 5 Bundesaußenminister Gerhard Schröder hatte bei einem Besuch in den USA Gespräche mit Außen- minister Dean Rusk am 14. und 15. 10. und Präsident Kennedy am 17. 10. 1962 geführt. Erler bezieht sich auf Erklärungen von Schröder in einem Interview mit dem Norddeutschen Rundfunk und im Deutschen Fernsehen über seine USA-Reise. Vgl. AdG 1962, S. 10186. Bulletin Nr. 196 vom 20. 12. 1962, S. 1653 f. Copyright © 2017 KGParl Berlin 1 SPD – 04. WP Fraktionssitzung: 23. 10. 1962 Ebenso begrüßte er die Erklärung des Außenministers für eine internationale Zugangs- behörde im Sinne der Besserung und Sicherung der Zugangswege nach Berlin. Fritz Erler erinnerte daran, daß Erklärungen gleichen Inhalts von den Sprechern der SPD- Bundestagsfraktion in der außenpolitischen Debatte der vorvorigen Woche abgegeben wurden.6 Zu den Meldungen der letzten Tage über eine Notstandsgesetzgebung erklärte Fritz Erler, daß der Beschluß vom Verfassungsgesetzgeber, d. h. vom Parlament einschl. der Sozialdemokratie gefaßt werden müsse.7 Die von den Alliierten für die Aufhebung ihrer der Sicherheit ihrer Truppen dienenden Vorbehalte für notwendig gehaltenen Regelungen deutschen Rechts sollten von ihnen allen für die Verfassungsgesetzgebung verantwortlichen Kräften direkt übermittelt werden, um bei der Weitergabe eine Vermengung mit innenpolitischen Sonderwün- schen der Bundesregierung zu vermeiden.8 In einem kurzen Rückblick auf das Berlin-Treffen der vergangenen Woche bedauerte es Fritz Erler, daß der Kongreß »Deutsche Gemeinschaftsaufgaben« durch die Fülle ande- rer Veranstaltungen der SPD nicht so stark in das Bewußtsein der Öffentlichkeit ge- kommen sei, wie er es angesichts seines hohen Niveaus verdient hätte. Die Bundestags- fraktion habe die Aufgabe, die Ergebnisse dieses Kongresses in ihrer praktischen Arbeit auszuwerten.9 Abschließend gab Fritz Erler seiner Freude Ausdruck, daß der Gewerkschaftskongreß in Hannover sich auch mit den Gemeinschaftsaufgaben befasse, deren Lösung die SPD gerade in Berlin so stark herausgestellt hatte.10 Mit Beifall wurde die Mitteilung aufge- nommen, daß die SPD bei diesem wichtigen Kongreß durch den Parteivorsitzenden Erich Ollenhauer und seinen Stellvertreter Herbert Wehner vertreten sei. Zu Punkt 1 der Tagesordnung: Vorbereitung der Plenarsitzungen vom 24., 25. und 26. Oktober 1962. 6 Vgl. Nr. 27. Ollenhauer hatte am 11. 10. 1962 in seiner Rede zur Regierungserklärung die »Siche- rung« der Lebensnotwendigkeiten Berlins, insbesondere »die Sicherung der Zufahrtswege« und die »Frage einer sogenannten internationalen Zufahrtsbehörde« angesprochen. Er hatte angeregt, diese Probleme in einem »kleinen Arbeitsausschuß« aus Vertretern der Bundesregierung, des Berliner Se- nats und der Bundestagsfraktionen zu erörtern. BT Sten. Ber. 51, S. 1787. Wehner und Erler griffen diesen Vorschlag in ihren Plenarreden vom 12. 10. (S. 1756 und 1777 f.) wieder auf. 7 Erler bezog sich auf eine »Erklärung der Regierungssprecher über die Notstandsgesetzgebung«. In »Die SPD-Fraktion teilt mit« Nr. 275/62 vom 22. 10. 1962 ließ die Fraktion erklären, sie habe in der 3. WP »stets ihre Bereitschaft« zu interfraktionellen Gesprächen über die Notstandsverfassung be- kundet. Statt solche Beratungen zu fördern, habe die BReg damals einen nicht verfassungskonformen Gesetzentwurf vorgelegt und diesen erst nach der Wahl 1961 »vom Tisch gewischt« und einen »Weg beschritten, der allen die Schaffung einer Notstandsgesetzgebung ermöglicht. Die Sprecher der Bun- desregierung sollten sich selbst überlegen, ob es der Sache der Notstandsgesetzgebung dient, wenn sie versuchen, in der Öffentlichkeit Legendenbildung herbeizuführen«. Seit dem 28. 3. 1962 hätten keine Gespräche der drei SPD-Unterhändler – vgl. Nr. 17, Anm. 3 – mehr mit dem BMI stattgefun- den. Am 31. 10. 1962 wurde der sog. Höcherl-Entwurf der Notstandsgesetze vorgelegt; er umfaßte den verfassungsändernden Notstandsgesetzentwurf – das Gesetz zur Änderung des Grundgesetzes – und eine Reihe sog. einfacher Notstandsgesetze; zum Inhalt vgl. SCHNEIDER, Demokratie, S. 99-102. 8 Zur Haltung der SPD zu Versuchen der Bundesregierung, sich auf vorgebliche Forderungen der drei Alliierten zu berufen, vgl. SOELL, Erler II, S. 804 f. 9 Vgl. Nr. 28; zum Kongreß »Deutsche Gemeinschaftsaufgaben« ferner JAHRBUCH SPD 1962/63, S. 319 f. 10 Zum Bundeskongreß des DGB vgl. Anm. 1. Copyright © 2017 KGParl Berlin 2 SPD – 04. WP Fraktionssitzung: 23. 10. 1962 Siehe Bemerkungen in der in der Anlage beigefügten Tagesordnung.11 Zu Punkt 2 der Tagesordnung: Vorlagen aus den Arbeitskreisen. a) Flüchtlingsgesetz. Lisa Korspeter erläutert den Inhalt des Entwurfs eines Gesetzes über die Rechte der Flüchtlinge aus der SBZ und aus dem sowjetisch besetzten Sektor von Berlin. Der Ent- wurf basiert auf zwei Hauptprinzipien: Gleichstellung der Flüchtlinge untereinander und Gleichstellung der Flüchtlinge mit den Vertriebenen.12 Der Entwurf habe alle davon berührten Arbeitskreise und Parteiinstitutionen passiert. Es sei lediglich im Ar- beitskreis V – Finanzwirtschaft – mit Walter Seuffert eine ernsthafte Differenz entstan- den. Seuffert habe darauf hingewiesen, daß die Regelung des § 12 a13 des Gesetzent- wurfs bezüglich der Kriegsschäden, die in der Zone entstanden seien, eine Diskriminie- rung der seit jeher in der Bundesrepublik Ansässigen sowie der Vertriebenen mit sich bringe. Diese erhalten nämlich bisher keine Entschädigung für Kriegssachschäden in der Zone. Lisa Korspeter plädiert dafür, daß man diese Unebenheit im Gesetz zugun- sten des sehr viel wesentlicheren Gesichtspunktes vernachlässige, daß die Zonenflücht- linge auch bezüglich der Kriegssachschäden mit den seit jeher in der Bundesrepublik Ansässigen sowie den Vertriebenen gleichgestellt werden. Was die Finanzierung der Leistungen des Gesetzes14 angehe, so solle sie zu 80% vom Bund und zu 20% von den Ländern, ähnlich wie bei den Kriegsfolgengesetzen, vorgenommen werden. Schätzun- gen hätten ergeben, daß das Gesetz insgesamt Mittel in der Höhe von 9 Mrd. DM er- fordert, davon 5 Mrd. für die Hauptentschädigung. Die neu aufzubringende Summe vermindere sich um die bisher bereits im Haushalt vorhandenen Fonds zur Unterstüt- zung der Zonenflüchtlinge. In der Diskussion stellt Walter Seuffert zunächst fest, daß er das Gesetz rückhaltlos bejahe. Er halte es aber für nicht gerechtfertigt, daß durch die Bestimmung des § 12 a bezüglich der Kriegssachschäden in der Zone Vertriebene und stets in der Bundesrepu- 11 Die gedruckte vorläufige TO vom 23. 10. 62, unterz. C. »Schmid«, für die 42., 43.
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