ALLGÄU ALLGÄU

BAEDEKER WISSEN

BAUERNHÄUSER Einfirst,Hakenschopf&Wiederkehr KNEIPP Natürlichgesund KÄSE EmmentalerundBergkäse KRÄUTER GesundheitundGenuss

REISEKARTE

MIT GROSSER GROSSER MIT

Baedeker Wissen Baedeker Wissen

Baedeker Wissen ... i Heilendes Wasser Der Pfarrer Sebastian Kneipp entdeck- ... erklärt einiges über das Allgäu, u. a. über Ludwig II. und seine te die Heilkraft von Wasser und den Schlösser, über Bauernhäuser, Volksmusik, die Heilkraft der ganzheitlichen Ansatz, der heute so Natur oder über die Kühe und ihre guten Produkte. i aktuell ist wie damals. Egal ob nach Kneipp, F. X. Mayr, Johann Schroth e oder nach ganz persönlichem Rezept, e Ein ewig Rätsel o ein (K)Urlaub im Allgäu tut gut. Ein schlichtes Holzkreuz nahe am Seite 84, 148, 172 Ufer markiert im Starnberger See die Stelle, an der am 13. Juni 1886 o Alpen, Kühe, Milch und Käse das Leben Ludwigs II. zu Ende ging. Das Allgäu ist Bauernland, obwohl der Der rätselhafte Tod des »Kini« ist Teil Anteil der Vieh- und Milchwirtschaft seiner Anziehungskraft. Seite 48 am Bruttoinlandsprodukt nur zwischen 1,5 und 2,5 % ausmacht. r Bauernhäuser – Seite 226, 254 die Gesichter des Allgäus r Die alten Häuser strahlen bis heute p p Der »Schwäbische Escorial« Ruhe und Geborgenheit aus. Ihre Über 50 Jahre wurde an dem Kloster Architektur ist bestimmt durch die Ottobeuren gebaut. Das künstlerische Landschaft und das mehr oder weni- Konzept ist einzigartig und gilt als ger raue Klima. Über Genera­tionen Vollendung der barocken Klosterarchi- hinweg wurden sie den Bedürfnissen tektur in Süddeutschland. Seite 276 entsprechend umgestaltet – ein Stück regionale Kultur. Seite 70 a Ludwigs Traumschloss Ludwig II. ließ wunderschöne Schlösser bauen, die heute zu den größten tVon Alphorn und Scherrzither Attraktionen Bayerns zählen. Mit t Die Allgäuer Musiklandschaft ist a dem »fantastischen« Prachtbau sehr lebendig. Im Alphorn und im Schloss Neuschwanstein huldigte Jodeln zeigen sich Verbin­dungen er einst Wagners Opernwelt und zum alemannischen Nachbarland mittelalter­licher Kultur. Seite 330 Schweiz. Es gibt aber auch Einflüsse s aus Oberbayern, Tirol und . Und egal ob die Musik traditionell oder auf neuen Wegen, gesungen oder instrumental daherkommt, hei- matverbunden ist sie immer. Seite 74 u Heilkraft aus der Natur s u Blumen in der Suppe, Löwenzahn­ Käseland Allgäu sirup auf dem Brot, Wiesenkräuter Das Allgäu ist Käseland, immerhin wird auf dem Teller oder als Wickel oder hier in etwa 90 Sennereien rund 15 % Öle auf dem Körper – im Allgäu wird des deutschen Käses und fast 40 % uraltes Wissen über die Heilkraft von des deutschen Hartkäses her­gestellt. Wildpflanzen gepflegt. Seite 96, 148 Seite 254 ALLGÄU

www.baedeker.com Verlag Karl Baedeker 2 INHALT Top-Reiseziele

Top-Reiseziele

Erlebens- und Sehenswertes gibt es im und ums Allgäu in großer Zahl. Für einen Überblick haben wir ganz Berühmtes und weniger Bekanntes zusammengestellt: Landschaften und Städte, Naturschön- heiten, große Kunstwerke und andere Kulturzeugnisse.

u M M Waldburg Die Truchsessen von Waldburg erbauten ihre Stammburg hier nicht ohne Grund: im buckligen Land der Drumlins mit Blick auf Schweizer und Allgäuer Berge. Seite 352

i M M Weingarten Ein Ausflug ins Oberschwäbische zu einer der prachtvollsten Barockkirch- en Deutschlands. Und das benach- barte lässt man nicht aus. Seite 318

o M M Wolfegg Der kleine barocke Residenzort e M M zwischen Allgäu und Oberschwaben Bayerns Zugang zum »Schwäbischen zieht Kurgäste ebenso an wie Kunst- Meer« und westlicher Vorposten des und Musikfreunde. Seite 238 Allgäus: malerische Insel im Bodensee mit traumhaft schöner Umgebung t Seite 241

r M M Pfänder Vom Bregenz-Lindauer Hausberg genießt man eine umwerfende Aussicht. Eine Tour von bzw. nach Scheidegg gehört zu den Klassikern der Region. Seite 183, 258

t M M Wangen Das Zentrum des württembergischen Allgäus bezaubert mit einer überaus hübschen, lebhaften Altstadt. Obere und Untere laden zu schönen Wanderungen ein. Seite 345 Top-Reiseziele INHALT 3

f : M M Schwarzer Grat In der Adelegg bei Isny, dem nörd- lichsten Nagelfluh-Ausläufer der Allgäuer Alpen, erreicht Württem- berg seinen »Höhepunkt«. Seite 203

g M M Maria Steinbach Der hübsche Illerwinkel südlich von Memmingen wartet mit einer der schönsten Rokokokirchen Bayerisch-Schwabens auf. Das Schwäbische Bauernhausmuseum Illerbeuren ist nur einen Steinwurf weit entfernt. Seite 273

g M M Buxheim Das wunderschöne Chorgestühl der Brüder Zimmermann macht das ehemalige Kartäuserkloster p M M Genhofen zum Pilgerziel für Kunstfreunde. Das unscheinbare Kirchlein in dem Seite 271 kleinen Weiler birgt einige der wertvollsten Kunstschätze ; des Allgäus. Seite 287 a M M Paradies Von der Alpenstraße zwischen Lin- denberg und hat man immer wieder einen herr­lichen Ausblick – dieser Punkt ist der berühmteste. Seite 287 s M M Nagelfluhkette Eine Tour über diesen schönen, ; M M Ottobeuren geologisch eigentümlichen Berg- Im »Schwäbischen Escorial« fand zug gehört zum Schönsten, was die süddeutsche Barockbaukunst das Allgäu zu bieten hat. ihre Vollendung. Seite 274 Seite 197, 291 < M M Kempten d M M Eistobel Eine der ältesten Städte Deutsch- Naturkunde aus erster Hand und lands und die moderne, lebhafte kleine Abenteuer verspricht ein Metropole des Allgäus. Mit ihrer Besuch der wildromantischen Residenz und der Stiftskirche setz- Schlucht südlich von Isny. ten sich die Kemptner Fürstäbte ein Seite 205 prunkvolles Denkmal. Seite 211 4 INHALT Top-Reiseziele

= M M Grünten { Am Eingang zum oberen Illertal ragt der »Wächter des Allgäus« auf. Von allen Seiten führen Wege hinauf, die mit fantas­tischen Aus- blicken belohnt werden. Seite 336

>

y M M Der »österreichische Teil des All- gäus« mit interessanter Geschichte und Kultur präsentiert sich als Ferien­ziel erster Klasse. Seite 222

z M M Hoher Ifen Landschaftlich wie geologisch ein- zigartig ist das schroffe Kalkmassiv > M M mit dem Gottesackerplateau. Die beeindruckende Bergwelt der Seite 231 Allgäuer Hochalpen und hervor­ ragende Skireviere machen Oberst- Y M M Allgäuer Alpen dorf zum bekanntesten und belieb- Im »Allgäuer Hauptkamm« finden testen Urlaubsort des Allgäus. Kletterer und anspruchsvolle Berg- Seite 294 wanderer ihr immer wieder begeis- terndes Dorado. Seite 301 ? M M Breitachklamm Hundert Meter tief und wenige ) Meter breit ist die berühmteste Schlucht des Allgäus. Besonders auch im Winter ein Erlebnis. Seite 301

{ M M St. Anna in Rohrmoos Nur eine Kapelle aus Holz, aber ein echtes Juwel mit ihrer auch kunst- historisch bedeutenden Ausma- lung. Ein schöner Platz obendrein. Seite 304 Z M M Bad Oberdorf Bei Bad Hindelang, im Ostrachtal, ist einer der größten Kunstschätze des Allgäus zu finden, der Flügel- altar von Jörg Lederer. Auch die Madonna von Hans Holbein d. Ä. ist wunderbar. Seite 164 + ( M M Falkenstein Fast wäre hier ein zweites Neu- + M M Auerberg schwanstein entstanden, auf dem Ein bescheidener Buckel auf der Aussichtsbalkon zwischen dem Grenze zwischen Schwaben und seenreichen Vorland und dem Bayern mit fantastischem Panora- Vilstal. Seite 307 ma. Wallfahrtskirche und Gasthaus fehlen nicht. Seite 262 * - M M Kloster Irsee Für die unabhängige Reichsabtei entstand Anfang des 18. Jh.s eine großartige barocke Anlage. Nicht weniger bekannt ist heute das Klosterbräu. Seite 210

/ M M Altenstadt Der bedeutendste unveränderte romanische Kirchenbau Ober- bayerns mit dem eindrucksvollen »Großen Gott von Altenstadt« Seite 323

) M M Füssen & M M Peißenberg Besonders sehenswert: eine roman- Lohnender Ausflug nach Ober­ tische Altstadt, das mächtige Hohe bayern: Ein fast 200 km umfas­ Schloss und das für die Geschichte sendes Bergpanorama eröffnet des Allgäus bedeutende Kloster die »bayerische Rigi«. Sehens- St. Mang Seite 184 wert ist auch die Gnadenkapelle. Seite 324 * M M Schloss Neuschwanstein } M M Wieskirche Wo das Allgäu auf Oberbayern Wohl die schönste Rokokokirche trifft, entfaltet es – mit den welt- überhaupt, Hauptwerk des genia- berühmten Königsschlössern Neu- len Wessobrunner Baumeisters schwanstein und Hohenschwangau Dominikus Zimmermann und – seine größte Schönheit. seines Bruders Johann Baptist Seite 330 Seite 341 6 INHALT Lust auf ...

Lust auf …

… außergewöhnliche Touren durch das Allgäu, besondere Veran- staltungsorte, wegweisende Architektur, heilende Kräuter oder eine ausgefallene Unterkunft? Dann helfen diese Tipps.

WILDE KRÄUTER • Kräuterküche ▶ Axel Kulmus und andere einfalls­ reiche Köche verwöhnen ihre Gäste mit Kompositionen aus aromati- schen Kräutern. Seite 96 • Käse mit Kräutern Die »Käsküche« in Isny macht be- sonders schmackhaften Bergkräu- ter- und Bockshornklee-Käse und viele andere Sorten. Seite 122 • Heukur in Pfronten In Pfronten setzt man auf die heilenden Kräfte des Heus von den Bergwiesen mit ihren vielen Wildkräutern. Seite 149

AUSGEFALLENE UNTERKUNFT • Auszeit im Kloster Die Franziskaner in Wangen laden zu stillen Tagen in klösterlicher Gemeinschaft ein. Seite 26 ◀◀ Ein Bett im Baum Im Waldseilgarten Höllschlucht kann man auf einem Holzpodest in den Bäumen oder in einem an einem dicken Ast aufgehängten »Schwebebett« nächtigen. Seite 126 • Eine Nacht bei Schmetterlingen Farbenprächtigen Faltern ganz nahe kommt man, wenn man eine Nacht im Schmetterlings­ garten in Pfronten verbringt. Seite 126 Lust auf ... INHALT 7

AUSSERGEWÖHNLICHE TOUREN • Radeln mit Anschub Das Allgäu ist ein herrliches Land für Radler. Mit dem E-Rad lassen sich Steigungen ganz mühelos bewältigen. Seite 139 • Durch die Lüfte ▶ Über Hügel, Seen und Wälder schweben, am Horizont ragen schneebedeckte Alpengipfel aus der Wolkendecke – das Allgäu ist ein Traumrevier für Ballonfahrer. Seite 144 • Auf den Spuren der Frauen Wie lebten Hausfrauen, Mägde oder Beginen in Kempten? Erkun- dung des Alltags früherer Zeiten. Seite 213

BESONDERE VERANSTALTUNGSORTE • Oper auf dem See Die Bregenzer Festspiele locken allein schon wegen der Freilicht- bühne auf dem See vor einer herr­ lichen Bergkulisse. Seite 179 • Klassik in 2000 m Höhe Auch beim Oberstdorfer Musik- sommer spielt die fantastische Alpenszenerie die andere Haupt­ NEUE ARCHITEKTUR rolle. Seite 296 • AlpSeeHaus in Immenstadt • Musik im Märchenschloss Das AlpSeeHaus ist nicht nur Infor- Konzerte im Schloss Neuschwan- mationszentrum und Eingangstor stein sind Ohren- und Augen- zum Naturpark Nagelfluhkette: schmaus zugleich. Seite 327 Der Bau selbst verkörpert schon die Naturparkphilosophie. Seite 191 ◀◀ Kunstmuseum in Ravensburg Das Haus ist in jeder Hinsicht sehenswert. Architekten und Stadtplaner integrieren Neues sensibel in ein historisches Umfeld. Seite 316 88 INHALT Inhaltsverzeichnis

HINTERGRUND ERLEBEN UND

12 Dem Himmel nahe GENIESSEN

14 Fakten 90 Essen und Trinken 15 Natur und Umwelt 91 Für Leib und Seele 26 Willkommen im Alltag 96 Special: 28 Bevölkerung · Wirtschaft Blumen in der Suppe 30 Das Allgäu 98 Special: Rezepte aus der auf einen Blick Allgäuer Küche

36 Geschichte 100 Feiertage ∙ Feste ∙ 37 Von den Anfängen Events bis heute 101 Lebendige Kultur 48 Special: Ein ewig Rätsel 108 Mit Kindern 54 Kunst und Kultur unterwegs 55 Kunstgeschichte 109 Viel Spaß im 67 Traditionen Abenteuerland 70 Infografik: Allgäuer Bauernhäuser 116 Shopping 74 Special: Von Alphorn 117 Allgäu zum Mitnehmen und Scherrzither 118 Special: Dirndl, Janker & Co 78 Berühmte Persönlichkeiten 124 Übernachten 125 Ein Bett für jeden Geschmack Preiskategorien 126 Special: Ganz besondere Restaurants (Hauptgericht) Schlafplätze A A A A über 30 € A A A bis 30 € 130 Urlaub aktiv A A bis 20 € 131 Bewegung ist (fast) alles A bis 15 € 132 Special: Über Berg und Tal Hotels (DZ mit Bad & Frühstück) 144 Special: A A A A über 150 € Dem Himmelso nah A A A bis 150 € 148 Special: A A bis 125 € Das tut richtig gut: Will- A bis 80 € kommen im (K)urlaub

Telefonnummern Gebührenpflichtige Service­ nummern sind mit einem Stern gekennzeichnet: *0180 ... Inhaltsverzeichnis INHALT 9

Aus dem Allgäu-Bilderbuch: Blick vom Westallgäu zum Säntis

TOUREN 281 Mindelheim 286 Oberstaufen 153 Im Allgäu unterwegs 292  Infografik: Kräuter 154 Deutsche Alpenstraße 294 Oberstdorf 156 Oberschwäbische 305 Pfronten · Nesselwang Barockstraße 311 Ravensburg · Weingarten 159 Im Unter- und Ostallgäu 322 Schongau 325 Schwangau 330 3 D: REISEZIELE Schloss Neuschwanstein VON A BIS Z 333 Sonthofen 339 Steingaden · Wieskirche 164 Bad Hindelang 345 Wangen 168 Bad Wörishofen 172  Infografik: Heilendes Wasser PRAKTISCHE 174 Bad Wurzach INFORMATIONEN 178 Bregenz 184 Füssen 356 Anreise · Reiseplanung 191 Immenstadt 357 Auskunft 197 Isny 359 Literaturempfehlungen 205 Kaufbeuren 361 Medien 211 Kempten 362 Museen 222 Kleinwalsertal 362 Notrufe 226 Special: Alpen, Kühe, 363 Preise · Vergünstigungen Milch und Käse 363 Reisezeit 232 Leutkirch · Kißlegg · Wolfegg 364 Verkehr 241 Lindau 252 Lindenberg 366 Register 254  Infografik: 373 atmosfair Käseland Allgäu 374 Kartenverzeichnis 258 Marktoberdorf 375 Bildnachweis 263 Memmingen · Ottobeuren 376 Impressum 276 3 D: Kloster Ottobeuren 379 Kurioses Allgäu

HINTERGRUND

Prächtige Szenerien – hier Füssen mit Kloster und Hohem Schloss vor den Tannheimer Bergen –, eine interessante Geschichte, große Kunst und lebendige Traditionen: ein kleines Porträt des Allgäus 12 PORTRÄT Dem Himmel nahe

Dem Himmel nahe

Eine ungeahnte Karriere hat das Allgäu genommen: von ei- nem rauen Bergland, das seine Bewohner mehr schlecht als recht ernährte und das man möglichst mied, zu einem der be- liebtesten und meistbesuchten Ferienziele Deutschlands.

»Ein rauch, wintrigs Land« – als Sebastian Münster im 16. Jh. in sei- ner Cosmographia das Allgäu so beschrieb, übernahm er Charakteri- sierungen, die seit Jahrhunderten gang und gäbe waren. Die Grenzen, die er zog, waren dabei recht ungefähr: vom »Schnee­gebirg« im Süden bis zur Donau, vom Bodensee bis an den Lech. Der »gemein man«, schrieb er, esse »gar rauch und schwartz gersten- oder haberbrot«. Es gebe »allda vil Vich, Küw und Roß, vil Tannwäld, Vögel und Fisch«; immerhin galten ihm die Männer und Frauen dieses Landstrichs als stark und schön, und alle könnten »trefflich spinnen«.

LAND DER WEIDEN

Es dauerte viele Jahrhunderte, bis das Land vor und in den Bergen urbar gemacht und besiedelt war. Als wohl im 8. Jahrhundert der Name entstand – aus »Alpe« und »Geäu« zusammengesetzt, was etwa »Land der wasserreichen Weiden« bedeutet –, war das Gebiet zwi- schen Scheidegg, Niedersonthofen und Oberstdorf gemeint. Bis weit ins 19. Jh. blieb das Allgäu, mit wenigen Ausnahmen, ein Land der Bauern. Seit römischer Zeit war es ein Durchgangsland zwischen Bayern, Schwaben, der Schweiz und Österreich. Eine politische Ein- heit wurde es nie (noch heute gilt als hervorstechendste Eigenart des Allgäuers die Dickschädeligkeit). Die Lage »dazwischen« sorgte aber auch für einen bescheidenen Wohlstand; die Salz- und Handelsstra- ßen brachten Arbeit für Fuhrknechte, Wirte und Schmiede. Hinzu kamen die Pferde- und Viehzucht, die Leinenherstellung (ein wichti- ges zweites Standbein für die Bauern) und eine kleine Eisenindustrie am Grünten und im Hintersteiner Tal. Erst der Bau der Eisenbahn – die Strecke zwischen Augsburg und Kaufbeuren war 1847 fertig, bis Lindau schon 1853 – und der Ausbau der Viehwirtschaft mit neuen Produkten und Absatzmärkten brachten neue Verdienstmöglichkei- ten und eine Öffnung nach außen. Wenig später wurde dann das so wichtige Kapital des Allgäus entdeckt: seine wunderbare, abwechs- lungsreiche Landschaft, die es zu einem der beliebtesten deutschen Urlaubsziele macht. Was allerdings seinen Tribut fordert: Fremden- verkehrsorte sind in die Umgebung ­gewuchert, die Täler auf weite Strecken zersiedelt, der alpine Einheits-Baustil beherrscht das Bild. Ob vom Nebelhorn oder wie hier vom bescheideneren Falkenstein bei Pfronten: Atemberaubende Aussichten sind garantiert.

ALLGÄUER VIELFALT

»Wenn es auf der Welt ein Fleckchen Erde gibt, das als Abglanz des Paradieses gelten könnte, dann müsste auch immer Bayern genannt werden«, meinte der ehemalige bayerische Ministerpräsident Ed- mund Stoiber. In dieser Hinsicht darf sich das Allgäu als Teil Bayerns fühlen, auch wenn es zum schwäbisch-alemannischen Kulturkreis gehört. Kühn aufragendes, zerklüftetes Gebirge im Oberallgäu kon­ tras­tiert mit sanften, von Wald und kleinen Seen durchsetzten Wie- sen, die das Westallgäu zum Bodensee und nach Oberschwaben hin prägen; noch weiter ist der Horizont im flacheren Ost- und Unterall- gäu. Die Möglichkeiten, einen gleichzeitig geruhsamen und aktiven Urlaub zu verbringen, sind ohne Zahl: vor herrlichem Bergpanorama über bucklige Weiden und durch melancholische Moore wandern, an großen und kleinen Seen relaxen, staunen über die verschwende­ ri­sche Pracht barocker Residenzen und Kirchen, in gemütlichen Gasthöfen eine bodenständige Küche genießen, nach allen Regeln der Kunst kuren (Kneipp und Schroth waren hier zu Hause und ha- ben ihre Spuren hinterlassen) und – wer’s kann oder lernen will – Berg- und Klettertouren unternehmen. Entspannung und Freude bieten vielerlei kulturelle Veranstaltungen in wunderschöner Umge- bung, seien es Serenaden in 2000 m Höhe beim Oberst­dorfer Musik- sommer, klassische Konzerte in der Basilika Ottobeuren oder Groo- vendes beim Kemptener Jazzfrühling. Und nicht zuletzt: Für Familien wird hervorragend gesorgt, von den Ferienwohnungen auf dem Bauernhof (mit entsprechendem »Abenteuerspielplatz« im Stall) bis zum vielfältigen Angebot an Aktivitäten für Kinder. Fakten Natur und Umwelt HINTERGRUND 15

Natur und Umwelt

Wie entstanden die Berge und ihr seenreiches Vorland? Wel- che Geschichte nahm das Allgäu zwischen Bayern und Schwa- ben, wie steht es mit dem Milchvieh und seinen Produkten? Wissenswertes über Land und Leute, Natur und Kultur.

Wie viele Landschaften hat das Allgäu keine klaren Grenzen. Seit der Das Allgäu alemannischen Besiedlung hat sich der Begriff »Allgäu« immer wie- – was gehört der geändert, sodass J. v. Stichaner 1815 schreiben konnte: »Nicht dazu? leicht sind in und über einen District so mancherley Begriffe im Um- lauf, als man über das Allgäu selbst unter seinen Bewohnern findet.« Dies gilt heute genauso; so sind sich etwa die Memminger im Land- kreis Unterallgäu un­einig, ob sie sich zu den Allgäuern oder den Schwaben rechnen sollen. Andererseits sehen sich die Lindauer als (bayerische) Schwaben, während man im 18 km entfernten Scheidegg eindeutig im Allgäu ist. In dem Gebiet, das heute als Allgäu gilt, füh- len sich die »Oberländer« als die richtigen Allgäuer, die auf die im »Unterland« ein wenig herabschauen – auch im wörtlichen Sinn. Beim »Allgäuer Tor«, bekannt durch die Raststätte an der A 7, hat man von Memmingen kommend zum ersten Mal das Panorama der Allgäuer Alpen vor sich. Davor hat die Autobahn eine Endmoräne erklommen, nur etwa 50 m hoch, aber hoch genug, dass sie eine Art Wetterscheide bildet: im Winter die Grenze zwischen dem Nebel im Unterland und Sonnenschein im Oberland. Auf jeden Fall ist das All- gäu seit je ein land­schaft­liches Gebilde, das sich weder nach politi- schen noch nach wirtschaftlichen oder auch sprachlichen Grenzen richtet(e). Im engsten Sinn kann als »Allgäu« das Gebiet innerhalb folgender Grenzen gelten: im Westen vom Ostrand des Bodensees (Pfänder) nördlich über Wolfegg, dann der Bahnlinie Memmingen – Mindelheim – Buchloe folgend östlich bis zum Lech, diesen auf- wärts nach Schwangau bzw. zum Säuling, nun westlich in etwa ent- lang dem Kamm der Allgäuer Alpen wieder zum Pfänder. Groß ist das Allgäu nicht, vom nördlichen bis zum südlichen Rand erstreckt es sich etwa über 80 Kilometer, etwa genauso groß ist die Ausdehnung in ost-westlicher Richtung. Da am Rand dieses Gebiets einige hervor- ragende Attraktionen liegen, umfasst dieser Reiseführer auch Lindau, Bregenz, Ravensburg und Bad Wurzach,­ Memmingen mit dem - winkel und Ottobeuren, Mindelheim, Bad Wörishofen, Steingaden mit der Wieskirche sowie das Kleinwalsertal, das zum österreichi- schen Vorarlberg gehört und nur von Oberstdorf her zugänglich ist.

Einödsbach, die südlichste Siedlung Deutschlands, mit Trettachspitze, Mädelegabel und Hochfrottspitze (von links) 16 HINTERGRUND Natur und Umwelt

EIN AUSFLUG IN DIE ERDGESCHICHTE

Entstehung Wo heute die Alpen liegen, breitete sich in grauer Vorzeit ein Arm

der Alpen des Tethysmeers aus, in dem sich vor 250 – 50 Mio. Jahren – im We- sentlichen während der Perioden Trias, Jura und Kreide – eine große Zahl unterschiedlichster Gesteine ablagerten. Als sich gegen Ende der Kreidezeit und zu Beginn des Alttertiärs, vor ca. 100 bis 40 Mio. Jahren, die Afrikanische bzw. Adriatische Platte nordwärts gegen die Europäische Platte bewegte, wurden diese Gesteinsschichten in viel- fältigster Form zusammengeschoben, angehoben, gefaltet, zerbro- chen und z. T. über mehrere hundert Kilometer übereinandergescho- ben. Man schätzt, dass das Gesteinsmaterial der 150 km breiten Alpen einst ca. 600 km Breite ein- Allgäu in Bewegung nahm. Gleichzeitig sorgten Verwit- terung und Erosion für den Abbau Der Umbau der Erdoberfläche des entstehenden Gebirges, das heu- geht in »geologischen Zeiträu- te sonst wohl an die 14 km hoch

WISSEN men« vor sich, die man eher in wäre. Das abgetragene Material la- Jahrmillionen als Jahrtausenden gerte sich nördlich der Alpen ab und misst. Dennoch sind Veränderun- formte dort als schmalen Streifen die gen fast noch innerhalb eines Flyschzone­ und das große Molas- Menschenlebens feststellbar. sebecken (vom latei­ni­schen Wort So soll man Ende des 19. Jh.s »molere«, »mahlen«), das etwa bis vom Blasenberg aus, dem Aus- zur Donau reicht. Der Flysch und sichtspunkt in Scheid­egg, nur der südlichste Bereich der Molasse Turm und Dach der Kirche von wurden später selbst noch von der Oberreute gesehen haben, heute Faltung erfasst und bilden die All- ist sie fast ganz zu sehen. gäuer Vorberge.

Die Eiszeiten Außer der »alpidischen Gebirgsbildung« ist ein weiterer Faktor für das Allgäuer Landschaftsbild verantwortlich: die Eiszeiten. Im Quar- tär – vor ca. 1 Mio. bis 10 000 Jahren – gab es mehrere Kalt- bzw. Eiszeiten, während derer die Alpen bis auf die höchsten Gipfel unter einem Eispanzer lagen und sich große Eisströme aus den Tälern weit in die Ebenen vorschoben. Im Bereich von Oberschwaben und All- gäu waren dies (von Westen) der Rhein-Bodensee-, der Iller- und der Wertach-Lech-Gletscher, die in fünf Perioden – Donau-, Günz-, Mindel-, Riß- und Würm-Eiszeit – das Vorland bedeckten. Welche Geländeformen auf sie zurückgehen, ist auf S. 20 f. erläutert. Auch die Alpen selbst wurden in den Eiszeiten teilweise überformt. Gipfel, die aus den Eismassen herausragten, blieben als schroffe Pyramiden (z. B. Säuling, Widderstein) und Kämme (Allgäuer Hauptkamm mit Mädelegabelgruppe) erhalten. Auch im Vorland wurden höhere Ber- ge vom Eis umflossen, wie der Pfänder, der Grünten und die Adelegg­ . Gletscher hobelten Kare in die Bergflanken, die heute zum Teil herr- liche Seen enthalten (z. B. Rappensee, Seealpsee, Geisalpseen). Ehe- Natur und Umwelt HINTERGRUND 17

mals V-förmige Flusstäler wie das obere Illertal wurden zu Trog­ tälern mit U-förmigem Querschnitt geweitet, seitlich einmündende Täler wurden dadurch zu »Hängetälern«, die erst hoch über dem Grund des Haupttals ansetzen: So liegt der Boden des Dietersbach- tals bei Gerstruben gut 200 m über dem Trettachtal. Oft haben dort die Bäche enge Tobel in den Steilabsatz gesägt oder bilden hohe Was- serfälle (z. B. Traufbach- und Hölltobel, Stuibenfall, alle bei Oberst- dorf). Trogtäler können großartige Schlüsse in Form eines weiten, steilwandigen Kessels aufweisen, etwa das Trauf­b achtal oder das Os­ trach­tal. Heute besitzen die Allgäuer Alpen nur mehr einen kleinen Gletscher, den Schwarzmilzferner südlich des Mädelegabel-Gipfels.

DIE ALLGÄUER ALPEN

Die bayerischen Alpen stellen innerhalb der Nördlichen Kalkalpen einen ca. 260 km langen und 10 – 30 km breiten Streifen dar, beste- hend aus den Allgäuer Alpen zwischen Bo­den­see und Lech – die sich über ca. 75 km erstrecken –, den Oberbayerischen Alpen östlich des Lechs und den Berchtesgadener Alpen. Nicht zufällig gehören die Allgäuer Berge zu den beliebtesten Tourengebieten der Alpen: Die außergewöhnliche geologische Vielfalt hat ein sehr abwechslungsrei- ches Landschaftsbild zur Folge und darüber hinaus eine prachtvolle, 18 HINTERGRUND Natur und Umwelt

vielfältige Flora. Einzigartig im Alpenraum sind die Grasberge, auch Steilgrasberge oder Grasschrofen genannt, deren Flanken bis zu 70° geneigt und sehr schwierig zu begehen sind. Sie bestehen aus sog. Fleckenmergeln und Aptychenkalken aus dem Jura, berühmte Ver- treter sind der bizarr geformte Schneck (2268 m) und die Zacken der Höfats (2258 m, “ rechts) südöstlich von Oberstdorf. Als schönstes Molasse-Gebirge der Alpen zwischen Genf und Wien gilt die Nagel- fluhkette im westlichen Oberallgäu mit Hochgrat und Stuiben (seit 2008 grenzübergreifender Naturpark mit ca. 400 km² Fläche). Als (die) »Nagelfluh« bezeichnet man ein fast betonhartes Konglomerat aus Flusskieseln, die mit Kalk und Sand verkittet wurden. Aus Mo- lasse-Gestein bestehen z. B. auch der Pfänder am Ostufer des Boden- sees, die Adelegg bei Isny und der Auerberg nahe Marktoberdorf. Die südlich an die Nagelfluhkette anschließende Gruppe der Hörner (Riedberger Horn, 1787 m) mit ihren sanft-runden Formen besteht aus leicht verwitterndem Flysch, der aus schieferigen Schichten aus Mergeln, Ton und Sandstein gebildet wird. Der Ostschweizer Begriff »Flysch« (gesprochen »fliesch«) bedeutet so viel wie »fließend«. Ein ganz anderes Bild bieten hingegen die scharfkantig-zerklüfteten Schrattenkalke der Kreidezeit (Helvetikum): etwa der Grünten bei Sonthofen, der Besler und vor allem der Hohe Ifen mit dem Gottes- ackerplateau westlich von Oberstdorf. Diese Karststöcke enthalten auch Höhlen, darunter die einzige Schauhöhle des Allgäus (Stur­ mannshöhle bei Obermaiselstein). Ein hochalpines Felsgebirge schließlich ist der aus hartem Haupt­dolomit be­stehende Allgäuer Hauptkamm in seinem östlich-südöst­lichen Teil, zwischen dem Schrofenpass im Süden und Oberjoch im Norden. Hier ragen die majestätischen höchsten Gipfel des Allgäus auf: Großer Krotten- kopf (2657 m), Hohes Licht (2651 m), Hochfrottspitze (2648 m), Mädelegabel (2645 m), Biberkopf (2599 m), Trettachspitze (2595 m) und Hochvogel (2593 m). Der andere Hauptfelsbildner der bayeri- schen Alpen, der wider­stands­fähige Wettersteinkalk aus der Mitt- leren Trias – der seinen Namen vom Wettersteinmassiv mit der Zug- spitze hat –, ist im Allgäu nur im Osten anzutreffen, wo er steile Gipfel mit glatten Felswänden bildet: Säuling, Gimpel, Hoher Strauß- berg, Hochplatte; auch ein Teil des Falkensteins gehört dazu.

Höhenstufen Flora und Fauna der Alpen, ihr Vorkommen und ihre Verbreitung, sind abhängig von den Vegetationszonen. Auf der Alpennordseite unterscheidet man fünf Höhenstufen, deren Grenzen allerdings je nach den kleinklimatischen Verhältnissen variieren: – die Hügelstufe (bis 600 m ü. d. M.) mit Acker- und Obstanbau – die Bergstufe bis zur Laubwaldgrenze (1200 m) mit Laubmisch- wald (Buche, Eiche, Ahorn) und Weidewirtschaft – die Untere Alpenstufe bis zur Baumgrenze (1800 m), gekenn- zeichnet durch Nadelwald (Fichten, Weißtannen, Föhren) Natur und Umwelt HINTERGRUND 19

Die »Königin der Allgäuer Blumenberge«: die Höfats (rechts die Große Höfats)

– die Obere Alpenstufe bis zur Schneegrenze (bis 2300 m) mit Sommerweiden, Einzelbäumen (Lärchen, Arven), Legföhren (Lat- schen) und einer besonders reichhaltigen, prächtigen Blumenflora – die Schneestufe (über 2300 m) mit Schutt- und Geröllhalden, Schneefeldern und Gletschern.

Besonders artenreich ist die Flora der Alpenstufe, die z. T. unter Flora und schwierigsten Verhältnissen gedeiht. In der kurzen Vegetationszeit Fauna kann intensive Sonne über 40 °C erwärmen, nachts kann auch im Sommer Frost auftreten; das Biotop kann wüstenartig oder auch sumpfig-nass sein. Zu den typischen Arten – die meisten stehen un- ter Naturschutz – zählen v. a. die Alpenrose, die ganze Buschflächen bilden kann, Enziane, Alpenveilchen, Primeln, Türkenbund, Troll­ blumen, Alpenmohn, Silberdistel und Eisenhut. In der Schneestufe leben hauptsächlich Moose, Flechten und Algen; zu den wenigen Blütenpflanzen dort gehört das seltene Edelweiß. Einige Vertreter der Tierwelt: In den höheren Bergregionen sind putzige Murmeltiere zu sehen, die bei Gefahr mit gellendem Pfiff in ihrem Bau verschwin- den. Als gewandte, kühne Flieger zeigen sich die kleinen schwarzen Alpendohlen. Ab und zu sind Steinadler zu entdecken. Meist nur mit dem Fernglas kann man Rotwild sowie Gemsen und Steinböcke be- obachten, die leichtfüßig an den Felswänden herumkraxeln. Selten geworden sind Schneehase, Schnee-, Birk- und Auerhuhn sowie der 20 HINTERGRUND Natur und Umwelt

schwarze Alpensalamander. Wer genauer wissen will, was ihm am Wegesrand alles begegnet, findet im Buchhandel eine Reihe geeigne- ter Bestimmungsführer (“ S. 360).

DAS VORLAND

Moränen­ Mit dem vielfachen Wechsel von buckligen Wiesen, Wald, Mooren landschaften und Seen, die nach Norden in die Ebene auslaufen, gehört dieser Teil des Allgäus zu den schönsten Landschaften Deutschlands. Die wun- derbare Szenerie des Alpenvorlands ist ein Produkt der eiszeitlichen Gletscher. Das vom Eis transportierte Gesteinsmaterial aus den Al- pen lagerte sich an den Rändern der Gletscher als Seiten- und End- moränen ab; heute grasen auf dem wellig-hügeligen Grünland die Milchkühe. Aus Molassemergeln und Moränenschutt bestehen die eigentümlichen Drumlins, kleine längliche Hügel, deren Form noch die Fließrichtung des Eises erkennen lässt. Sie treten in großen Fel- dern auf und erzeugen besonders reizvolle Landschaften: im Hinter- land von Lindau etwa bis Ravensburg und Wangen, links und rechts der Iller um Kempten, nördlich der Linie Nesselwang – Füssen bis auf die Höhe des Auerbergs. Am Ende der Eiszeit blieben Gletscherseen zurück, deren Reste als Alpsee, Niedersonthofener See u. a. erhalten blieben; viele wurden bald von den Schmelzwasserflüssen mit Schot-

Ein Einödhof bei Immenstadt, an den Hang eines Drumlins gebaut, unter weiß-blauem Himmel: Voralpenland aus dem Bilderbuch Natur und Umwelt HINTERGRUND 21

ter und Ton aufgefüllt und bilden heute z. T. moorige Ebenen. Der künstlich gestaute Forggensee liegt im Bereich des einstigen Füssener Sees, der durch einen Moränenwall (Illasberg) im Norden abge- schlossen und durch die Illasschlucht bei Roßhaupten entwässert wurde. Eine Reihe von kleinen Seen und Weihern, wie Hopfensee, Weißensee, die Weiher bei Seeg und der Öschlesee bei Durach, sind Toteisseen: Sie gehen auf Eisblöcke zurück, die am Ende der Eiszeit zurückblieben und nur langsam abschmolzen. Besonders bekannt ist das Allgäu für seine riesigen Felsblöcke, sog. Findlinge, die von den Gletschern an ihren heutigen Platz verfrachtet wurden. Beeindru- ckende Exemplare finden sich im Kempter Wald (Dengelstein, Bal- tenstein), südlich von Sulzberg, bei Weiler, im Ellhofer Moos und bei Bodelsberg.

DIE FLÜSSE

Der Lech, der nördlich von Schongau heute noch recht deutlich die Lech Grenze zwischen dem Schwäbischen und dem Baierischen markiert, entspringt in der Nähe von Lech am Arlberg und tritt bei Füssen in deutsches Gebiet. Sein Name rührt vom latei­ni­schen »licus« bzw. keltischen »Lik« (»der Reißende«), das glasartig-smaragdgrüne Aus- sehen seines Wassers von der niedrigen Temperatur und dem hohen Kalkgehalt. Ist der Fluss in Österreich ein ungezähmtes Wildwasser, so wird er in Deutschland bis zur Grenze des Möglichen zur Ener- giegewinnung genützt; allein auf den 100 km zwischen Füssen und Landsberg liegen 15 Kraftwerke. Den Auftakt bildet derForggensee , Bayerns fünft­größter See; der Stausee fasst 150 Mio. m³ und wurde 1954 in Betrieb genommen, wobei der Weiler Forggen unterging. Der Lech-Höhenweg ( “ S. 131) folgt dem win­dungsreichen Lauf des Flusses und erschließt eine eindrucksvolle Landschaft. Die Litzauer Schleife bei Burggen, der letzte unverbaute Abschnitt des Lechs, steht unter Naturschutz.

Im Gebiet von Hindelang, zwischen Ober- und Unterjoch, fließen in Wertach 1078 m Höhe zwei Bäche zur Wertach zusammen, die 151 km später in Augsburg in den Lech mündet. Ihr Name stammt aus keltischer Zeit und bedeutet so viel wie »die kräftig sich vorwärts Bewegende«. Nahe Oy- ist sie zum Grüntensee aufgestaut, einem ­beliebten Freizeitgewässer. Dann windet sie sich naturbelassen durch eine romantische Landschaft mit einigen Höhepunkten: zwischen Maria Rain und Görisried, bei Kaltenbrunn sowie zwischen Göris- ried und Leuterschach ( “Nesselwang, S. 309; Marktoberdorf, S. 258). Ab Marktoberdorf ist es mit der Romantik weitgehend vorbei: Ende des 19. Jh.s wurde die Wertach begradigt, einige Staustufen dienen der Energiegewinnung. 22 HINTERGRUND Natur und Umwelt

Iller Nördlich von Oberstdorf vereinen sich (s. u.), und zur Iller, die bei Immenstadt aus den Allgäuer Alpen ins ter- tiäre Hügel- bzw. Schotterland tritt und nach 147 km bei Ulm in die Donau mündet. Ihr Name ist im 8. Jh. lateinisch als »Hilaria« doku- mentiert; er soll auf ein keltisches Wort für »eilig« zurückgehen. Trotz einiger Kraftwerke zeigt der Fluss mit seinem Kiesbett bis zur Mündung einen »alpinen« Charakter. Die interessantesten Teile des Mittellaufs sind der Durchbruch bei Altusried ( “ Kempten, S. 220) und der folgende malerische Illerwinkel ( “ Memmingen, S. 273). Radwanderer können dem 145 km langen Iller-Radweg von Ulm bis nach Oberstdorf folgen. Die Breitach, die bei Baad im Kleinwalsertal aus drei Bächen entsteht, ist für ihre spektakuläre Klamm berühmt.

Argen Für Wanderer und Naturfreunde besonders interessant ist das Sys- tem der Argen im Westallgäu, mit Oberer und Unterer Argen. An- ders als die anderen Allgäuer Flüsse fließt sie westlich in den Boden- see und ist damit ein Nebenfluss des Rheins. Ihre Quellgebiete liegen nahe beieinander: Die Obere Argen entspringt bei Oberstaufen, die Untere Argen bei Missen-Wilhams; beide machen einen mehr oder weniger weiten Bogen in nordwestlicher Richtung und vereinen sich unterhalb von Wangen, bei Neuravensburg, zur Argen; bei Kress- bronn mündet sie in den Bodensee. Die natürlichen oder naturnahen Flussläufe – die Verbauungen am Unterlauf werden allmählich rück- gängig gemacht – bieten überaus abwechslungsreiche Szenerien, dazu Lebensraum für seltene oder gefährdete Pflanzen und Tiere. Im Eis­tobel bei Grünenbach bildet die Obere Argen eine der großen Naturschönheiten des Allgäus. Auch die vielen Brücken sind interes- sant, von der 56 m hohen Argentobel-(Eistobel-)brücke über die ge- deckten Holzbrücken bei Hiltensweiler und Neuravensburg – beide 1790 durch das Kloster St. Gallen erstellt – bis zu den Hängebrücken bzw. -stegen über den Unterlauf, die den Wanderern und Radlern zur Verfügung stehen.

NATURSCHUTZGEBIETE

Von den 2017 km², die in Bayern als Naturschutzgebiete ausgewiesen sind, liegen ca. 355 km² in den vier Allgäuer Landkreisen. Dazu kom- men im württembergischen Allgäu ca. 35 km². Das bedeutendste und größte sind die Allgäuer Hochalpen mit 207 km², der Hohe Ifen (24 km²) und der Westteil des Ammergebirges bei Schwangau. Der nächstwichtige Typ sind die Moore, die sich im bayerischen Teil auf ca. 8,3 km² Gesamtfläche summieren; hier sind v. a. die Hoch- moore im Kempter Wald (3 km²), das Breitenmoos im Oberallgäu, das Schornmoos im Ostallgäu und das Degermoos im Lindauer Hin- terland zu nennen. Im württembergischen Allgäu stellen Moore den Natur und Umwelt HINTERGRUND 23

Herrliche Natur: Am Hegratsrieder See nördlich von Schwangau

Hauptteil der Naturschutzgebiete (ca. 31 km²), allen voran das Wurz- acher Moos mit 18 km²; nennenswert sind auch das Bodenmöser, das Gründlenried und das Taufach-Fetzach-Moos. Hervorragende Bio­ tope bieten die eindrucksvollen Tobel des Vorlands: Eistobel (s. o.), Rohrachschlucht bei Scheidegg, der Hölzlers-Tobel, der Rohrbach­ tobel bei Buchenberg. Desgleichen stehen einige Seen unter Natur- schutz: Bannwaldsee, Attlesee, Stockenweiler Weiher, Widdumer Weiher, Bichlweiher, Rohrsee bei Bad Wurzach; dazu Uferpartien am Bodensee. An der Argen (s. o.) sind etwa 16 km² als Landschafts- schutzgebiet ausgewiesen, davon knapp 3 km² als Naturschutzgebiet. Dazu kommen eindrucksvolle Einzelobjekte wie die uralten Eiben bei Balderschwang und auf der Oberen Lauchalpe bei Steibis. Zum Verhalten in Naturschutzgebieten “ S. 137.

KLIMA

Das atlantisch geprägte Klima des Allgäus unterliegt mehreren un- terschiedlichen Faktoren: der West-Ost-Lage, der Höhe über dem Meer, der Nähe der Alpen oder größerer Seen. Generell gilt: Je näher man den Bergen kommt, desto größer werden die jährlichen Nieder- schläge und die Temperaturunterschiede zwischen Sommer und Winter sowie zwischen Tag und Nacht. 24 HINTERGRUND Natur und Umwelt

Sonnenschein Die höheren, meist nebelfreien Lagen des Allgäus erfreuen sich be- sonders im Winter oft strahlender Sonne: Wenn im Januar am Bo- densee die Sonne an 40 – 45 Stunden scheint, sind es in Scheidegg 75 und in Hindelang 85 Stunden. Im Sommer ist das Bild etwas anders: In Lindau zählt man Juni – August zwischen 220 und 250 Sonnenstunden/Monat, in Lindenberg/Scheidegg 220, in Hinde- lang 155 – 185.

Nieder- Die von Nordwesten kommenden atlantischen Luftmassen steigen schläge am Alpenwall an und geben dort ihre Feuchtigkeit ab. Von Lindau nehmen die Niederschläge in nordöstlicher Richtung rasch zu (Lindau, 400 m ü. d. M.: 1420 mm/Jahr; Lindenberg, 760 m ü. d. M.: 1848 mm/Jahr) und die Durch- Über den Wolken schnittstemperaturen ab. Dasselbe Bild ergibt der Vergleich von Mem- Wenn in Herbst und Winter über mingen mit Kempten und Oberst- TIPP den Tälern eine zähe Nebel­decke dorf (1017/1237/1831 mm). Die nie- liegt, gibt’s nur eines: hinauf auf derschlagreichsten Monate sind den Berg! Die »Inversion« sorgt da- überall Juni, Juli und August – Re- für, dass über dem Kältesee die genkleidung und -schirm gehören Sonne scheint; auf dem Nebelhorn also immer ins Gepäck. Je näher (!) ist es dann oft wärmer als im man an den Bergen dran ist, desto Vorland. Wer zweifelt, informiert geringer werden jedoch die jahres- sich auf www.allgaeu-cam.de. zeitlichen Unterschiede.

Schnee Seit Ende der 1980er-Jahre macht sich die Klimaerwärmung bemerk- bar, die milde, schneearme Winter verursacht. Beschneiungsanlagen werden weiterhin installiert, das Skigebiet Oberstdorf-Kleinwalsertal wird schon zu 70 % künstlich beschneit. Wenn allerdings, wie in den letzten Wintern, Temperaturen von deutlich unter 0 °C ausbleiben, nützen auch die Schneekanonen nichts. Einigermaßen schneesicher sind inzwischen erst Regionen in über 1600 m Höhe.

Heilklima Die teils starken Temperaturschwankungen wirken als Reizklima, in höheren Lagen kommen die intensive Sonneneinstrahlung und die saubere Luft hinzu. Höhen von über 1500 m sind eine Zuflucht für Pollengeplagte und andere Allergiker; in dieser Hinsicht hat Bad Hindelang einen besonders guten Ruf. In den Tälern und am Alpen- rand gibt es fast keinen Ort, der sich nicht mit dem Etikett »Luftkur- ort« schmückt. Strenger Überwachung durch den Deutschen Wetter- dienst unterliegt hingegen das Prädikat »Heilklimatischer Kurort«, das Bad Hindelang, Fis­ chen, Isny, Oberstaufen, Oberstdorf, Scheidegg und Schwangau tragen.

Berg- und Kennzeichnend für das Bergklima ist an schönen Tagen der regel­ Talwind mäßige Wechsel von Berg- und Talwind. Tagsüber wirken die er- Natur und Umwelt HINTERGRUND 25

wärmten Berghänge wie ein Schornstein: Die Luft strömt an ihnen talaufwärts und löst die Wolken auf; nachts strömt die kalte Luft ins Tal und weit ins Vorland hinaus – ein willkommener Effekt in som- merlichen Schönwetterperioden.

Den einen bringt er Kopfschmerzen, die andern macht er »high«: Föhn der Föhn, der mit bis zu 100 km/h heftig durchs Land fegt. Groß- räumige Luftdruck­unterschiede lassen feuchtwarme Luft an der Alpensüdseite aufsteigen, wobei sie sich abkühlt; die Feuchtigkeit ­kondensiert und regnet ab. Aufgrund der freiwerdenden Konden- sationswärme kühlt sich die Luft beim Aufsteigen weniger ab, als sie sich jenseits des Alpenkamms wieder erwärmt – mit dem Ergeb- nis, dass sie bei uns warm und trocken ankommt. Zu den ein- drucksvollen sich­tbaren Effekten des Föhns gehören die »Föhn- mauer« (eine Wolkenbank über dem Alpenkamm), linsenförmige Wolken (»Föhn­fische«) über dem Vorland, die Aufheiterung und die gute Fernsicht. 26 HINTERGRUND Alltagsbegegnungen

Willkommen im Alltag!

Im Allgäu ist die Welt noch in Ordnung, behaupten viele, und aus touristischer Perspektive ist dem eigentlich nichts zu ent- gegnen. Aber wie lebt es sich dort, wo man selbst gern Urlaub macht? Wer mehr über den Alltag und die Menschen erfahren will: Hier ein paar Tipps.

AUF DEM BAUERNHOF IM KLOSTER – AUF ZEIT MITHELFEN Wer einmal Abstand vom Alltag Urlaub auf dem Bauernhof ist nicht braucht und zu sich selber kommen nur für Eltern mit kleinen Kindern will, wer die franziskanische Lebens- eine feine Sache. Kirschen pflücken, weise kennenlernen oder seinen Glau- Marmelade kochen, Beete gießen, ben vertiefen möchte, ist den Franzis- Unkraut jäten oder Hühner füttern kaner-Mönchen als Mitbewohner auf – das kann auch für erwachsene Zeit willkommen. Die Brüder nehmen Stadtmenschen eine willkommene bis zu drei Gäste – Männer und Frau- Abwechslung sein. Auf einigen All- en, jeder Konfession – in ihre Gemein- gäuer Ferienbauernhöfen ist Mit­ schaft auf. Auch persönliche­ Gesprä- arbeit in Haus und Garten ausdrück- che mit den Klosterbrüdern sind lich erwünscht. Auf den Webporta- möglich. Eine Woche sollte man sich len, auf denen Ferienbauernhöfe ver- auf jeden Fall Zeit nehmen. Interes­ zeichnet sind ( “ S. 110), klickt man senten melden sich mindestens vier Stichwörter wie »Mithilfe« o. ä. an – Wochen im Voraus an. und die Such­maschine gibt die ge- Franziskanerkloster, Am Klösterle 1 wünschten Adressen aus. 88239 Wangen im Allgäu www.landsichten.de, hier weiter auf Tel. 07522 9 13 60-0 »Hoftypen« – »Mitmachhof« www.franziskaner-wangen.de Alltagsbegegnungen HINTERGRUND 27

SCHÜRZEN NÄHEN Ein schmückendes Dirndl ist der Stolz so mancher Allgäuerin – auch wenn man das Kleid heute nur noch zu be- sonderen Festen ausführt. Etwas ganz Besonderes, aber nicht gerade billig ist ein individuell gefertigtes Stück. Schön, wenn man sich zumin- dest die Schürze selber nähen kann. Trachtenschneiderinnen geben Crash- kurse, an denen auch UrlauberInnen teilnehmen können. Aber das ist längst noch nicht alles, was man bei den Trachtenprofis lernt; wer weiß, vielleicht finden Sie ja auch Gefallen am Besticken von Hosenträgern. MIT DEM SENN FRÜH AUF Andrea Geiger bei Alpen Style in Pfronten Die Arbeit der Alpsennen beginnt “ Baedeker Wissen S. 119 in aller Herrgottsfrühe. Sie melken die Kühe, rühren und filtern die Milch, die zu Käse werden soll, pflegen die WORKSHOP BEI DEN Laibe, bis sie die richtige Reife haben. »KRÄUTERHEXEN« Wer den Sennen bei der Arbeit zu- Um Kräuter und alles, was man da- schauen will, sollte ebenfalls ganz mit machen kann, dreht sich der All- früh auf der Alpe sein. Am leichtesten tag der Allgäuer Kräuterspezialisten. zu schaffen ist das, wenn man dort In den Kräuterdörfern ( “ Baedeker oben auch schon die Nacht verbracht Wissen S. 96) werden nicht nur Wan- hat – einige Alpen bieten Übernach- derungen mit kräuterkundigen tungsmöglichkeiten an. Männdern und Frauen angeboten. www.sennalpen.de Der Kräutergarten Artemisia veran- staltet Workshops, in denen man viel über Wirkung und Anwendung der Pflanzen lernt. Unter den Teilneh- mern finden sich längst nicht mehr nur Touristen. Das Potenzial der na- türlichen Apotheke wiederzuentde- cken, das ist auch für Einheimische ein spannendes Thema. Und beim Wissens- und Erfahrungsaustausch lernt man nicht nur Gleich­gesinnte, sondern oft auch nette Einheimische kennen … www.artemisia.de 28 HINTERGRUND Bevölkerung · Wirtschaft

Bevölkerung · Wirtschaft

Das Gebiet dieses Reiseführers gehört zum größten Teil zum bay­eri­schen Regierungsbezirk Schwaben. Ein schmaler Strei- fen im Osten, bis zur jahrhundertealten Grenzlinie des Lechs, steht unter der Obhut des Regierungsbezirks Oberbayern, und im württembergischen Landkreis Ravensburg geht das Allgäu in Oberschwaben über.

Das Allgäu Zum Allgäu zählt man häufig auch die österreichischen Exklaven zwischen Kleinwalsertal und Jungholz, die mit Vorarlberg bzw. Tirol keine Schwaben Straßenverbindung besitzen. Im 6. – 8. Jh. n. Chr. wurde dieses Ge- und Bayern biet von Nordwesten her alemannisch besiedelt (mit Ausnahme des Kleinwalsertals, in dem sich erst im 13. Jh. Alemannen aus dem Wal- lis niederließen), und so ist die Identität des Allgäus immer noch alemannisch geprägt – nicht schwäbisch (im engeren Sinn) und nicht bayerisch. Denn erst seit rund 200 Jahren, seitdem Napoleon Euro- pas politische Landkarte neu gestaltete und die bay­eri­schen Kurfürs- ten und württembergischen Herzöge zu Königen machte, gehört das Allgäu zu Bayern bzw. zu Württemberg, und man legt heute noch Wert auf die eigene Art und Kultur. Die ist jedoch Gefahren aus­ gesetzt. Neben dem Traditionsverlust wird – nicht erst in unseren Zeiten grenzenloser Mobilität und Kommunikation – oft die zuneh- mende »Bajuwarisierung« beklagt. Wer sich wundert, dass bei einem »Heimatabend« ein bayerischer Schuhplattler vorgeführt wird, sei daran erinnert, dass dieser Tanz schon vor über hundert Jahren im- portiert wurde, auch die Knödel sind auf Allgäuer Speisekarten längst genauso heimisch wie die schwäbischen Spätzle. Weitere Bei- spiele gibt es zuhauf, von den Verkleinerungsformen »-erl«, wo es »-le« heißen müsste (Stüberl/Stüble), bis zur »Alp«, die durch die baierische »Alm« verdrängt wird. Allerdings wäre es falsch, daraus eine Glaubensfrage zu machen, wie etwa der Streit um die Allgäuer Tracht in den 1960er-Jahren zeigte ( “ S. 68).

Allgäuer Bei aller Vorsicht gegenüber solchen Zuschreibungen: Einige Attri- »National- bute werden immer wieder (noch) genannt, wenn es um die Feststel- charakter« lung der »Allgäuer Art« geht. F. J. Bronner schrieb 1910 in seinem Bericht über »Bayerisch’ Land und Volk«: Die Allgäuer »sind staader [stiller] als die Burschen im Altbayerischen mit ihrer sakrischen Schneid. Ihr Wesen ist mehr behaglich […], ähnlich dem Charakter der Landschaft, die mit Ausnahme der Bergmasse auch mehr an­ mutig als großartig ist.« Das weist auf eine gewisse Zurückhaltung, die auch als Eigenbrötelei und (wie man dort sagt) Maulfaulheit be- zeichnet werden kann. Nun, nicht jeder trägt das Herz auf der Zunge,