1 2 3 Vom Mitarbeiter zum Miteigentümer. 4 Der Burgbacher-Plan von 1969 5 6 Von Günter Buchstab 7 8 Auf der 50-Jahr-Feier der »Arbeitsgemeinschaft zur Förderung der Partner- 9 schaft in der Wirtschaft« Anfang April 2000 stellte Bundeskanzler Schröder 10 – ohne in Einzelheiten zu gehen – Grundzüge eines Konzepts zur Beteiligung 11 der Arbeitnehmer am Kapital und Gewinn ihrer Unternehmen vor.1 Gewerk- 12 schaften und Arbeitgeber sollten bei Tarifverhandlungen ihr besonderes Au- 13 genmerk auf Investiv-Lohnmodelle richten, bei denen Teile von Lohnerhö- 14 hungen nicht in bar ausgezahlt, sondern in Aktien, Investmentfonds, Ge- 15 nußscheinen oder in vergleichbare Unternehmensbeteiligungen investiert 16 werden. Der Ausbau der Vermögensbildung und insbesondere die Gewinnbe- 17 teiligung der Arbeitnehmer böten – so Schröders Einschätzung – gerade jetzt, 18 da die Deutschen die Aktien entdeckt hätten, eine Reihe von Vorteilen: Bei 19 den Beschäftigten steigere die Beteiligung am Unternehmenskapital und -er- 20 folg die Motivation und Verantwortung, was nicht nur die Betriebsergebnisse, 21 sondern auch das Verständnis für betriebswirtschaftliche Zusammenhänge 22 verbessere. Die Beteiligung der Menschen in den Betrieben »am Haben und 23 Sagen« sei eine der Säulen der Sozialen Marktwirtschaft, was gelegentlich ver- 24 gessen werde. Auch könne der Export von Arbeitsplätzen ins Ausland durch 25 bessere Einbindung und Beteiligung der Beschäftigten am eigenen Unterneh- 26 men vermieden und somit Arbeitslosigkeit abgebaut werden. Und nicht zuletzt 27 sei in diesem Zusammenhang auch die Frage einer kapitalgedeckten zusätz- 28 lichen Altersversorgung zu klären, an der künftig kein Weg vorbeigehe. 29 Mit diesen Vorstellungen sah sich Schröder »im Zentrum entschiedener Mo- 30 dernisierungsbestrebungen«. Mehr noch: »Eine Vorreiterrolle in der Beteili- 31 gungswirklichkeit« weist er Sozialdemokraten wie und Philipp 32 Rosenthal zu. Hier aber muss der Historiker Widerspruch anmelden. Bundes- 33 kanzler Schröder verkauft alten Wein in neuen Schläuchen. 34 Richtig ist, dass die IG Bau-Steine-Erden unter ihrem Vorsitzenden Leber 35 Mitte der 60er Jahre neuen tarifpolitischen Ansätzen aufgeschlossen gegen- 36 überstand und dass es ihr 1965 gelang, einen Tarifvertrag über vermögenspo- 37 litische Leistungen abzuschließen.2 Von einer Vorreiterrolle der Sozialdemo- 38 39 40 1 Bulletin der Bundesregierung Nr. 18 vom 1. April 2000. 2 Vgl. Leber-Plan von 1964 und Tarifvertrag in: Materialien zur Vermögensbildung in 41 Arbeitnehmerhand. Thesen, Pläne, Gesetze. 1946-1965, Bonn 1965, S. 132 f., 158 f. 42 270 Günter Buchstab

1 kraten in der Vermögenspolitik kann aber nur bedingt die Rede sein. Die SPD 2 und die Gewerkschaften verhielten sich nämlich vermögenspolitischen For- 3 derungen gegenüber anfangs distanziert bis ablehnend. Sie nahmen dann nur 4 auf, was seit Anfang der 50er Jahre in den Reihen von CDU und CSU diskutiert 5 und in Gang gesetzt worden war. Leber stützte sich auf die vermögenspoliti- 6 schen Pläne, die der Arbeitnehmerflügel der CDA insbesondere seit 1957/58 7 verfolgte, namentlich auf den Gesetzentwurf eines Zweiten Vermögensbil- 8 dungsgesetzes, den Arbeitsminister (CDU) am 7. Dezember 9 1964 in den eingebracht hatte.3 Die Forschung hat deshalb auch 10 die CDU als die Partei der Vermögenspolitik bezeichnet.4 11 In historischer Perspektive kann die Initiative Schröders, der »den Gedanken 12 der Teilhabe und der Beteiligung der Menschen im Mittelpunkt eines umfas- 13 senden, sozialdemokratischen Modernisierungskonzepts« versteht, nur einen 14 geringen Neuigkeitswert beanspruchen. Es gab in den ersten beiden Jahrzehn- 15 ten der Bundesrepublik intensive Diskussionen um die als ungerecht empfun- 16 dene Einkommens- und Vermögensverteilung. Ihren vorläufigen Höhepunkt 17 erreichte diese Debatte in den späten 60er und frühen 70er Jahren. 1970 – 18 genau dreißig Jahre vor Schröders Ankündigung eines »umfassenden, sozial- 19 demokratischen Modernisierungskonzepts« – legte sich die CDU/CSU-Bun- 20 destagsfraktion in einem Gesetzentwurf auf den Investivlohn fest, während 21 die damaligen Regierungsparteien, SPD und FDP, mehrheitlich die über- 22 betriebliche Gewinnbeteiligung der Arbeitnehmer favorisierten. Der Unions- 23 entwurf, der unter dem Namen »Burgbacher-Plan« in die Geschichte ein- 24 gegangen ist, reihte sich in eine kontinuierliche vermögenspolitische Gesetz- 25 gebung ein, die mit Fug und Recht als eine Schöpfung der Union gewürdigt 26 worden ist. Zwar verlor die vermögenspolitische Initiative der Union im Ge- 27 folge der Energie- und Wirtschaftskrise von 1974 und den daraus resultieren- 28 den Sparzwängen an Reiz und Schwung, doch knüpfte sie nach der Regie- 29 rungsübernahme 1982 an ihre früheren Konzepte wieder an. Die Förderung 30 der Vermögensbildung wurde auf den Erwerb von Unternehmensbeteiligun- 31 gen konzentriert. Erfolge, auch bei der Privatisierung, blieben nicht aus. Doch 32 stockten weitere Reformen im Gestrüpp der innerparteilichen Gegensätze, die 33 auch schon in den 50er und 60er Jahren eine zielklare Politik durch den Zwang 34 zum Kompromiss verwässert hatten. Zudem konnte die Schwäche einer Ver- 35 mögenspolitik, die nicht mit der allgemeinen Steuer- und Sozialpolitik sinnvoll 36 abzustimmen war, nicht beseitigt werden. 37 38 39 40 3 Bundestagsdrucksache IV/2814. 4 Vgl. auch zum Folgenden Yorck DIETRICH, Eigentum für jeden. Die vermögenspoliti- 41 schen Initiativen der CDU und die Gesetzgebung 1950–1961 (Forschungen und Quellen zur 42 Zeitgeschichte Bd. 29), Düsseldorf 1996. Der Burgbacher-Plan von 1969 271

Diese Widersprüche lassen sich historisch auf zwei Wurzeln zurückführen. 1 Bereits die katholische Soziallehre des 19. Jahrhunderts und die sogenannte 2 bürgerliche Sozialreform hatten großen Wert auf die Eigentumsbildung breiter 3 Bevölkerungsschichten gelegt. Die katholische Soziallehre sah darin den Weg, 4 die sozialen Spannungen und den Gegensatz zwischen Arbeit und Kapital zu 5 überwinden. Die sozialreformerischen Bestrebungen bürgerlicher Herkunft wa- 6 ren weniger zielgerichtet, doch gingen ihre Überlegungen in das Denken der 7 Ordoliberalen ein, die für die Wirtschaftspolitik der 50er Jahre prägend wurden. 8 Innerhalb der CDU waren es vor allem die Sozialausschüsse, die sich seit 9 1945 mit der Forderung nach einem »Miteigentum« profilierten und diese 10 1953 in das Hamburger Wahlprogramm einbringen konnten. Akuter Anlass 11 war, dass die Entwicklung der Vermögenskonzentration nach der Währungs- 12 reform und die Verteilung der Vermögenszuwächse im Wiederaufbau als ein 13 »Skandal« empfunden wurde, »der nach Abhilfe schreit«. Nach der Lösung 14 der dringendsten sozialen Probleme schien die Zeit gekommen, diese unglei- 15 che Verteilung des Vermögens zu korrigieren. 16 Die Vorstellungen der Sozialausschüsse gingen dahin, ohne Eingriffe in die 17 bestehende Vermögens- und Eigentumsstruktur mit Hilfe der Gesetzgebung 18 und der Tarifpolitik die Einkommens- und Vermögensverteilung zu ändern 19 und die Arbeitnehmer am Kapital der Unternehmen zu beteiligen. Die Forde- 20 rungen der Sozialausschüsse nach einem »Miteigentum«, d.h. einer einzelbe- 21 trieblichen Beteiligung der Arbeitnehmer, für die auch ein entsprechender Ge- 22 setzentwurf vorgelegt wurde, trafen allerdings auf den heftigen Widerstand 23 der Mittelständler und des Wirtschaftsflügels der Union sowie der Liberalen, 24 an ihrer Spitze . Die Unternehmervertreter bekämpften die 25 Pläne als dirigistische Eingriffe in die Wirtschafts- und Sozialordnung und 26 befürworteten stattdessen die Förderung freiwilliger Sparneigung und den Ver- 27 zicht auf einen Ausbau der »kollektiven« Vorsorge. Trotz solcher Einwände 28 gab es im Grundsatz durchaus Gemeinsamkeiten zwischen den beiden Lagern. 29 Die gegenseitige Blockade brach auf, als die Wirtschaftsvertreter in der CDU 30 auf ihrem Frankfurter Wirtschaftstag 1957 ein vermögenspolitisches Pro- 31 gramm verabschiedeten, das die Liberalisierung des Kapitalmarkts und die Be- 32 endigung der steuerlichen Diskriminierung der Aktie vorsah. 1958 wandte sich 33 die CDA ihrerseits von der traditionellen Forderung nach »Miteigentum« ab 34 und favorisierte die Konzeption des Investivlohns. 35 Die nun einsetzende Diskussion mündete in der dritten Legislaturperiode un- 36 ter Finanzminister in ein Gesetzgebungsprogramm zur Sparförde- 37 rung, das zum Sparprämiengesetz und zur heute in §19a des Einkommensteu- 38 ergesetzes enthaltenen Regelung zur Begünstigung von Belegschaftsaktien 39 führte. Diese Regelung ging auf die Initiative des Arbeitnehmerflügels der CDU 40 zurück. 1959 kam es zur ersten Ausgabe sogenannter Volksaktien bei der Pri- 41 vatisierung der Preussag und 1961 bei der Privatisierung des Volkswagenwerks. 42 272 Günter Buchstab

1 Ein wichtiger Schritt folgte 1961 mit dem Vermögensbildungsgesetz, wie- 2 derum auf Initiative des Arbeitnehmerflügels der Union. Den Höhepunkt der 3 Gesetzgebung bildete aber das Jahr 1965: Von nun an wurden vermögens- 4 wirksame Leistungen auch dann gefördert, wenn sie in Tarifverträgen verein- 5 bart waren. Den entscheidenden Anteil an dieser vermögenspolitischen Ge- 6 setzgebung hatten die CDU/CSU-Bundestagsfraktion und hier insbesondere 7 die Ausschuss- und Arbeitskreisvorsitzenden. 8 Zu ihnen zählte an vorderster Stelle Fritz Burgbacher, seit 1957 Mitglied 9 des Bundestages.5 Am 1. September 1900 geboren, wäre er jetzt hundert Jahre 10 alt geworden. Er starb am 29. Juli 1978 in Köln. In Nachrufen wurde er »von 11 seinen Idealen und von seinen Taten her« als ein großer Europäer und als be- 12 deutender Energiepolitiker gewürdigt. Burgbacher war von 1929 bis 1970 Di- 13 rektor der RHENAG in Köln und einer der führenden Repräsentanten der En- 14 ergiewirtschaft. Vor allem ist er aber als »Pionier der Eigentumspolitik« und 15 als »Anwalt der sozialen Partnerschaft« in Erinnerung geblieben. Mit seinem 16 Namen verbindet sich der 1969 eingebrachte Vorschlag eines »Beteiligungs- 17 lohns«, der als »Burgbacher-Plan« bekannt geworden ist. 18 Dieser Plan zur Förderung von Eigentumsbildung für alle Arbeitnehmer sah 19 vor, die Unternehmer gesetzlich zu verpflichten, Beiträge zur Vermögensbil- 20 dung in Arbeitnehmerhand zu leisten. Die Arbeitnehmer sollten zum Sparen 21 verpflichtet werden – in der Erkenntnis, dass nicht nur die Verbesserung des 22 Einkommens, sondern die richtige Verwendung des Lohns wesentlich sei. 23 Für die CDU/CSU-Fraktion war Burgbacher, der die Wirtschafts- und So- 24 zialpolitik immer im Zusammenhang einer umfassenden Gesellschaftspolitik 25 begriff und so das Wesen der Sozialen Marktwirtschaft gleichsam in seiner 26 Person verkörperte, eine ungemeine Bereicherung. Bereits 1958 übernahm er 27 als parlamentarischer Neuling in Nachfolge des verstorbenen früheren nord- 28 rhein-westfälischen Ministerpräsidenten , der dem linken Flügel 29 der Union zugerechnet wurde, den Vorsitz der Arbeitsgruppe »Eigentum«, den 30 er bis 1974 innehatte. Anfang der 70er Jahre war er außerdem Vorsitzender 31 der gemeinsamen Kommission »Eigentum/Vermögensbildung« von Fraktion 32 und Bundespartei. Der Unterausschuss »Eigentum«, der sich aus Abgeordne- 33 ten des Wirtschafts- und des Arbeitnehmerflügels zusammensetzte, war zu- 34 gleich Diskussionsforum, Beratungsorgan und Ausgangspunkt vermögenspo- 35 litischer Initiativen und im Kontext der Gesamtfraktion eher dem »linken« 36 Spektrum zuzuordnen. Die Wirksamkeit dieses Gremiums beruhte vor allem 37 auf dem persönlichen Engagement, mit dem viele seiner Mitglieder sich der 38 Vermögenspolitik annahmen. 39 40 41 42 5 Vgl. Günter BUCHSTAB, Fritz Burgbacher. Ein Lebensbild, Sankt Augustin 2000. Der Burgbacher-Plan von 1969 273

Fritz Burgbacher wurde in der Öffentlichkeit mal als »einer der führenden 1 Vertreter des linken Flügels« der Union, mal als »ein Mann der Industrie« 2 bezeichnet. Er selbst pflegte solche Klassifizierungsversuche mit dem Ein- 3 wand abzuwehren, diese Begriffe seien schon deshalb fragwürdig, weil die 4 Zusammensetzung des sogenannten linken und rechten Flügels sich je nach 5 Sachlage völlig ändern könne. In einer Erwiderung auf eine Kritik an seinen 6 gesellschaftspolitischen Zielen, die er im Sommer 1958 unter dem Titel »Bil- 7 dung von Eigentum in Personenhand« formuliert und in den folgenden Mo- 8 naten weiterentwickelt hatte6, äußerte er im Oktober 1959: »Wenn sich die 9 CDU/CSU-Fraktion jetzt in verstärktem Maße der Eigentumsbildung in Per- 10 sonenhand zuwendet, so geschieht das aus der Erkenntnis heraus, dass der rich- 11 tige Zeitpunkt zur Einleitung bzw. Intensivierung dieser Phase gegeben ist. 12 Die CDU/CSU befürwortet aber nicht eine liberalistische, sondern die Soziale 13 Marktwirtschaft. Das bedeutet, dass sie entschlossen ist, mit wirtschafts- und 14 sozialpolitischen Maßnahmen Korrekturen anzubringen, und zwar einmal da, 15 wo der Marktmechanismus gestört ist, und zum anderen dort, wo der Schutz 16 und die Förderung dem wirtschaftlich Schwachen gilt. Nicht an die Umver- 17 teilung legal erworbenen Eigentums ist gedacht, sondern es soll die Möglich- 18 keit geschaffen werden, aufgrund eigener Sparleistungen der Willigen und auf 19 der Basis freier Vertragsabschlüsse zwischen den Sozialpartnern eine breitge- 20 streute Vermögensbildung zu ermöglichen. Wir sind allerdings bereit, eine sol- 21 che Entwicklung durch die Gewährung von Steuervorteilen und Prämien öf- 22 fentlich zu fördern. Nach wie vor sehen wir in der eigenen Sparleistung die 23 grundsätzliche Voraussetzung für jeden Vermögenserwerb.«7 24 In diesen Sätzen ist der Kern jenes Programms enthalten, das bis Mitte der 25 70er Jahre im Rahmen einer breiten Diskussion um die Vermögenspolitik in 26 der Union debattiert wurde. Lange vor der Veröffentlichung des Gutachtens 27 von Wilhelm Krelle, Johann Schunck und Jürgen Siebke 1968 war Burgbacher 28 der Überzeugung, »dass die Vermögensbildung in der Bundesrepublik, und 29 zwar insbesondere die an den Produktionsmitteln, absolut ungerecht ist«. Ende 30 der 60er Jahre fand die Feststellung, 1,7 Prozent der Haushalte verfügten über 31 70 Prozent des »Produktivvermögens«, weite Verbreitung und wurde zum 32 wohl am häufigsten zitierten Argument für eine Vermögenspolitik in der Bun- 33 desrepublik.8 34 Soziale Verantwortung aus christlicher Grundeinstellung wie auch nüchter- 35 ne Kalkulation prägten Burgbachers originellen Beitrag zur vermögenspoliti- 36 37 38 6 Vgl. Rheinischer Merkur vom 12. Juni. 1959. 39 7 Deutsche Zeitung mit Wirtschaftszeitung, Stuttgart/Köln vom 30. Oktober 1959. 40 8 Wilhelm KRELLE/Johann SCHUNK/Jürgen SIEBKE, Überbetriebliche Ertragsbeteiligung der Arbeitnehmer. Mit einer Untersuchung über die Vermögensstruktur der Bundesrepublik 41 Deutschland, Bd. 1 und 2, Tübingen 1968. 42 274 Günter Buchstab

1 schen Diskussion dieser Zeit. Perfektionismus lehnte er ab. Er war vielmehr 2 der Auffassung, die bisherigen Ansätze seien vorsichtig weiterzuverfolgen, 3 ohne sich übertriebenen Hoffnungen auf schnelle Erfolge hinzugeben. Sein 4 Ziel war der Aufbau »bescheidener Vermögen«. Neue Wege in der Vermö- 5 gensbildung, etwa den Investivlohn, schloss er dabei nicht aus. Weit über 1961 6 hinaus blieben seine Vorstellungen die einzig konsensfähige Linie in der Ver- 7 mögenspolitik. Die zugrundeliegende Formel war: Die Arbeitnehmer erhalten 8 zu ihrem Barlohn einen Sparlohn, der im Betrieb oder in anderen Unternehmen 9 angelegt wird. 10 Für Burgbacher war es eine falsche Entwicklung, dass zuviel Vermögen in 11 öffentlicher Hand stecke und vom allgemeinem Volkseinkommen zuviel dort- 12 hin abgezogen werde. Demgegenüber setzte er mit seinen Initiativen auf die 13 Stärkung der spar- und vermögenswilligen Einzelnen. Die Stärkung des Staa- 14 tes, die er damit erreichen wollte, würde die Wirtschafts- und Gesellschafts- 15 ordnung der Bundesrepublik, die maßgeblich auf dem Eigentum beruht, gegen 16 sozialistische oder kommunistische Absichten verteidigen helfen. Er berief 17 sich dabei ausdrücklich auf Art. 14 des Grundgesetzes und die Rechtsprechung 18 von Bundesverfassungsgericht und Bundesgerichtshof.9 Vor dem Bund katho- 19 lischer Unternehmer, in dem er eine führende Rolle spielte, warnte er, der We- 20 sten müsse sich rechtzeitig gegen eine sowjetische Wirtschaftsoffensive wapp- 21 nen. Eine Umverteilung legal erworbener Vermögen und die Bildung anony- 22 mer Fonds, wie von SPD und den Gewerkschaften favorisiert, lehnte er aus 23 rechtsstaatlichen Gründen ab, weil damit der Eigentumsbegriff ruiniert würde. 24 Seine vermögenspolitischen Vorstellungen zielten auf eine größere Effek- 25 tivität des gesellschaftspolitischen Programms »Eigentum für alle«, nachdem 26 festgestellt worden war, dass das 312-DM-Gesetz von 1965, zu dessen profi- 27 liertesten Verfechtern er zählte, kaum mehr als 20 Prozent der Arbeitnehmer 28 zu Sparinitiativen ermuntert hatte. Sein Modell baute im wesentlichen auf fol- 29 genden Bedingungen auf: Das Eigentum muss personenbezogen und nach ei- 30 ner Sperrfrist, die mit Prämien honoriert werden sollte, frei verfügbar sein. 31 Alle Erwerbstätigen müssen in eine generelle Regelung einbezogen werden, 32 die in Anteilen am Produktivkapital bestehen soll. 33 Er begründete seine gesellschaftspolitischen Auffassungen, die nicht nur 34 den ethischen Aspekt, sondern auch bildungs- und wirtschaftspolitische, fis- 35 kalische, finanz- und konjunkturpolitische Argumente berücksichtigten, mit 36 den Grundwerten der Demokratie: »Für ein Volk, das sich zur Personenwürde, 37 zur Freiheit im Möglichen und zur Ordnung im notwendigen Umfang bekennt 38 und die demokratische Staatsform als die relativ günstigste für das menschli- 39 che Zusammenleben gewählt hat, ist es auch erforderlich, dass jeder Angehö- 40 41 9 Vgl. dazu Helmut RITTSTIEG, Eigentum als Verfassungsproblem, Darmstadt 1975, ins- 42 bes. S. 291–426. Der Burgbacher-Plan von 1969 275 rige dieses Volkes die Möglichkeit und die Chance hat, Eigentum in seiner 1 Hand zu bilden.« 2 Unter Burgbachers Einfluss entschied sich die CDU 1968 für einen gesetz- 3 lichen Investivlohn (Beteiligungslohn). Im August 1969 legte er dazu ein 4 Schwerpunktprogramm vor (Burgbacher-Plan), das in einen Gesetzentwurf 5 von 1970 einging,10 der die Unternehmer zur Zahlung vermögenswirksamer 6 Leistungen verpflichtete, sofern diese nicht schon vereinbart waren. Die Ar- 7 beitgeber sollten für jeden ihrer Arbeitnehmer monatlich 20 Mark vermögens- 8 wirksam anlegen; Bund und Länder sollten darüber hinaus eine Prämie von 9 monatlich sechs Mark leisten. Für alle Arbeitnehmer, auch für die Beamten, 10 sollten die jährlichen Zuwendungen von insgesamt 312 Mark in Wertpapieren 11 wie Aktien und Investmentzertifikaten angelegt werden. 12 Verglichen mit früheren CDU-Positionen bedeutete die Entscheidung für 13 einen gesetzlichen Investivlohn einen »Linksruck«. Entsprechend waren die 14 Reaktionen: Arbeitgeber und Industrie lehnten den Plan ab. Vom »Zwangs- 15 sparen« war die Rede, ein Wort, das Burgbacher nicht hören wollte. Noch 16 mehr befürchtete man einen schwerwiegenden Eingriff in die Tarifautonomie: 17 Der »Nebenlohn« der Vermögensleistung, der nicht in die Verantwortung der 18 Tarifparteien falle, schränke den tarifvertraglichen Spielraum der Tarifparteien 19 ein. Eine Sparleistung ohne Sparbewusstsein und ohne gewollten Konsumver- 20 zicht sei zudem ordnungspolitisch abzulehnen. Auch kapitalpolitisch wurde 21 der Plan in Frage gestellt, da bei über 21,5 Millionen begünstigter Arbeitneh- 22 mer jährlich rund 7 Milliarden Mark in entsprechenden Werten angelegt wer- 23 den müssten. Die Sorge war, dass eine derartige Nachfrage am Kapitalmarkt 24 zu einer Marktenge führen und so die die Kurse in die Höhe treiben würde, 25 so dass die Anlage in überhöhten Kursen erfolgen müsse. Das aber sei ver- 26 mögenspolitisch unsinnig. Auch würden die anderen Spardisziplinen (Kon- 27 tensparen, Versicherungssparen, Bausparen) diskriminiert. Der Kostenfaktor 28 für die private Wirtschaft und die öffentliche Hand war ein Argument, das 29 nur bedingt ins Feld geführt werden konnte, da auch die von der SPD/FDP- 30 Regierung vorgesehene Ausweitung des tarifvertraglichen Beteiligungsspa- 31 rens von 312 Mark auf 624 Mark Geld kostete.11 Schließlich wurde einge- 32 wandt, auch der selbständige Mittelstand habe Anspruch auf gleiche Leistun- 33 gen, etwa durch Begünstigung des nichtentnommenen Gewinns oder eine Er- 34 höhung des Unternehmenslohns bei der Gewerbesteuer. 35 36 37 38 10 Bundestagsdrucksache VI/616. 39 11 Zweites Gesetz zur Förderung der Vermögensbildung der Arbeitnehmer (2. Vermö- 40 gensbildungsgesetz – 2. VermBG) vom 1. Juli 1965 – BGBl I S. 585. Drittes Gesetz zur För- derung der Vermögensbildung der Arbeitnehmer (Drittes Vermögensbildungsgesetz – 41 3. VermBG) vom 27. Juni 1970 – BGBl I S. 930–935. 42 276 Günter Buchstab

1 Trotz vielfacher Kritik bemühte sich Burgbacher um breite Zustimmung und 2 propagierte seinen Plan auf Hunderten von Veranstaltungen und in zahllosen 3 Interviews. Dem Vorwurf, die Union wolle damit die SPD links überholen, 4 begegnete er mit dem Argument, die Aussichten, wieder Regierungspartei zu 5 werden, stehe und falle mit dem Gewinn der Arbeitnehmerstimmen. Die CDU/ 6 CSU, so warnte er, müsse sich davor hüten, Gruppendenken über das Gemein- 7 schaftsdenken zu setzen, wie sie auch nicht zur Ausbreitung von Gleichheits- 8 denken und zur Einengung der Freiheitsräume beitragen dürfe. Er verlangte 9 von der Politik, solchen Trends durch Beachtung der Chancengleichheit ent- 10 gegenzusteuern. Die Union solle mit ihren vermögenspolitischen Vorstellun- 11 gen gemäß ihrem Leitbild des christlichen Sittengesetzes in der Mitte stehen. 12 Der oberste Maßstab bildete für ihn die innere wie äußere Freiheit für den 13 einzelnen wie für das gesamte Volk. 14 Gleichwohl traf er innerhalb seiner Partei auf harten Widerstand. Die CDU/ 15 CSU-Mittelstandsvereinigung machte wettbewerbs- und strukturpolitische Be- 16 denken geltend. Das hatte zur Folge, dass seine Bemühungen von Parteiseite 17 nur halbherzig unterstützt wurden, von der Ablehnungsfront der Wirtschaft, 18 den Gewerkschaften und der SPD/FDP-Regierung ganz zu schweigen. So ver- 19 lief Burgbachers – heute wieder aktuelle – Initiative im Sande. Unter den 20 Mehrheitsverhältnissen nach der Bundestagswahl von 1969, die die Union in 21 die Opposition verbannte, war es ohnehin unwahrscheinlich, derart ehrgeizige 22 und weitreichende Reformvorhaben umzusetzen. 23 Burgbacher gab sich hinsichtlich der Durchsetzung seiner Pläne nie einer 24 Illusion hin. Er wusste sehr wohl, wie sich Ziele in einem demokratischen 25 Staat erreichen lassen: »Es genügt nicht, Recht zu haben; man muss die Mehr- 26 heit haben.« Für sein vermögenspolitisches Konzept erreichte er trotz all seiner 27 Bemühungen keine Mehrheit. Die durch die Ölverteuerung hervorgerufene 28 Wirtschaftskrise 1974 bereitete schließlich allen vermögenspolitischen Mo- 29 dellen ein vorläufiges Ende. 30 Im Bemühen um die Eigentumspolitik konnte Burgbacher nichtsdestowe- 31 niger auf große Erfolge zurückblicken: Er wirkte maßgeblich mit am Spar- 32 prämiengesetz von 1959, an den Teilprivatisierungen mit Volksaktien von 33 Preussag (1959), VW (1961) und Veba (1965), sowie an den Vermögensbil- 34 dungsgesetzen von 1961 (erstes 312-DM-Gesetz) und 1965 (zweites 312-DM- 35 Gesetz). Hier hat er seinen Grundsatz »Politik ist der ewige Versuch, Freiheit 36 mit Gerechtigkeit zu verbinden« einbringen können. 37 Doch die politischen Umstände waren seinen eigentumspolitischen Vorstel- 38 lungen nicht günstig. Mitte der 60er Jahre war die Zeit der großen Sozial- 39 reformen mit Leistungsverbesserungen auf allen Gebieten vorbei. Die Sozial- 40 politik konnte nicht mehr aus dem Vollen schöpfen. In der deutschen Ord- 41 nungspolitik hat aber das, was Gerhard Schröder Anfang April 2000 als neue 42 Initiative vortrug, einen historisch besetzten Platz, wie dieser Rückblick auf Der Burgbacher-Plan von 1969 277

Burgbachers Wirken in den 60er und 70er Jahren zeigt. Die Idee, Deutschlands 1 Arbeitnehmer zu größerer Teilhabe an Kapital und Ertrag der Wirtschaft zu 2 verhelfen, zu mehr »Haben und Sagen« in der Gesellschaft, ist also nicht ori- 3 ginell. Ebenso wenig sind es die offenen Fragen, die damit aufgeworfen wer- 4 den. Werden die Gewerkschaften in Richtung Risikoakzeptanz umschwenken? 5 Und werden die Arbeitgeber ihre Ablehnung aufgeben? Skepsis ist angebracht, 6 denn die Mehrheit der Gewerkschaften hat sich stets dagegen gesträubt, neben 7 dem Lohn- und Arbeitsplatzrisiko auch noch ein Kapitalrisiko zu übernehmen. 8 Bereits zu Burgbachers Zeiten wollten sie nur am Gewinn teilhaben, das Risiko 9 hingegen ausschließlich zur Sache des Managements machen. Und die Ar- 10 beitgeber? In einer ersten Reaktion auf den Vorschlag Gerhard Schröders teilte 11 der Präsident des Arbeitgeberverbands Gesamtmetall, Werner Stumpfe, mit, 12 als Gegenstand von Tarifverhandlungen seien diese Vorstellungen nicht ge- 13 eignet.12 14 An der Aufgabe, möglichst rasch viele Menschen am Produktivkapital teil- 15 haben zu lassen, um ein Mindestmaß an Verteilungsgerechtigkeit als Grund- 16 lage einer humanen Gesellschaft zu erhalten, ändert das freilich nichts. Zu hof- 17 fen ist, dass Politiker und Tarifparteien die notwendigen Entscheidungen in 18 der Steuer- und Sozialpolitik treffen und offensiv durchzusetzen. Der Burg- 19 bacher-Plan – neu überdacht – könnte dafür einen Lösungsansatz bieten. 20 21 Eigentumspolitisches Schwerpunktprogramm der CDU/CSU-Bundes- 22 tagsfraktion für die 6. Legislaturperiode 23 24 I. Angestrebte Verbesserung der bisherigen Gesetze zur Förderung der Ver- 25 mögensbildung 26 1. Die bereits seit Jahren geforderte Harmonisierung der Sparförderung. 27 Es geht um die Festlegung eines prämienbegünstigten Höchstbetrages; 28 in dessen Rahmen soll der Sparer frei entscheiden können, ob er die 29 Spargelder nach dem Sparprämien- oder/und Wohnungsbauprämien- 30 gesetz anlegen will. Außerdem soll eine Überprüfung der Prämiensätze 31 erfolgen. 32 2. Im Rahmen des 312-DM-Gesetzes wird erneut die bei der letzten Novelle 33 zurückgestellte Verdoppelung der vermögenswirksamen Leistung für 34 Verheiratete, deren Ehefrauen nicht berufstätig sind, beraten werden. 35 Praktisch bedeutet das die Gleichstellung der häuslichen Arbeit der Ehe- 36 frau und Mutter mit der außerfamiliären Erwerbstätigkeit der Frau. 37 Es soll versucht werden, im Rahmen dieses Gesetzes den Abschluss 38 von Tarifverträgen zu fördern. 39 40 41 12 Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 29. März 2000. 42 278 Günter Buchstab

1 II. Die Zusammensetzung des Volksvermögens 2 Man schätzt das gesamte Volksvermögen der Bundesrepublik auf etwa DM 3 2.000 Mrd. Davon fallen auf die einzelnen Sektoren folgende Anteile: 4 5 Landwirtschaft ca. 100 Mrd. DM 6 Industrie ca. 350 Mrd. DM 7 Sonstige Wirtschaft ca. 150 Mrd. DM 8 Wohnungswirtschaft ca. 450 Mrd. DM 9 Hausrat ca. 250 Mrd. DM 10 Verkehr ca. 300 Mrd. DM 11 Energie und Wasserwirtschaft ca. 100 Mrd. DM 12 Öffentliche Verwaltung ca. 300 Mrd. DM 13 ca. 2.000 Mrd. DM 14 15 Von dem gesamten Volksvermögen entfallen auf die Öffentliche Hand 16 etwa DM 700 Mrd. und auf die privaten Haushalte einschließlich dem Wirt- 17 schaftsvermögen, das letztlich auch Privatpersonen gehört, DM 1.300 Mrd. 18 Wenn man diesen Teil des Volksvermögens auf die 20 Mio. Haushalte in 19 der Bundesrepublik aufteilt, würde sich ein rechnerischer Durchschnitt von 20 DM 65.000,-- pro Haushalt ergeben; die Erträge dieses Vermögens – mit 21 4 bis 5 % angesetzt – ergeben aber nur eine jährliche Rendite von DM 22 2.600,-- bis DM 3.300,--. Das würde zwar als zusätzliches Einkommen 23 angenehm empfunden werden, reicht aber keineswegs für die Zukunftssi- 24 cherung aus. 25 Bei der hier durchgeführten Rechnung handelt es sich um eine theoretische 26 Aufteilung des gesamten verfügbaren Volksvermögens. Es ist dabei zu be- 27 rücksichtigen, dass ein Teil der genannten Vermögensarten, wie das Hausrats- 28 vermögen, ein Teil des landwirtschaftlichen Vermögens und auch des Woh- 29 nungsvermögens nicht rentables Wirtschaftsvermögen darstellt, so dass hier 30 keine Rendite zu erwarten ist. 31 32 – Gesetzlicher Beteiligungslohn – 33 34 III. Thesen 35 36 Die CDU hat gegen den Widerstand der anderen Parteien ihre eigentums- 37 politischen Grundsätze und Maßnahmen durchgesetzt. Durch die verschie- 38 denen eigentumspolitischen Maßnahmen – das Wohnungsbauprämienge- 39 setz von 1954, das Sparprämiengesetz von 1959, die Privatisierung von 40 Bundesunternehmen 1959/60/61/65 und die Vermögensbildungsgesetze 41 von 1961 und 1965 – sind breite Schichten an die Vermögensbildung her- 42 angeführt worden. Trotz dieser Erfolge ist die Vermögensstruktur immer Der Burgbacher-Plan von 1969 279 noch unbefriedigend. Die Vermögensbildung der unteren Einkommens- 1 schichten muss deshalb weiter gefördert werden. Insbesondere sind für Ihre 2 Beteiligung am Produktivkapital der Wirtschaft neue Wege zu gehen. 3 Der gesetzliche Beteiligungslohn soll allen unselbständig Beschäftigten – 4 Arbeitern, Angestellten und Beamten – zugute kommen. Dieser Personen- 5 kreis wird im folgenden, der Abgrenzung des 312-DM-Gesetzes entspre- 6 chend, als Arbeitnehmer bezeichnet. 7 Hierzu schlagen wir im einzelnen vor: 8 1. Möglichst schon vom Jahre 1970 ab ist ein gesetzlicher Beteiligungs- 9 lohn einzuführen. Der Beteiligungslohn besteht in einer gesetzlich vor- 10 geschriebenen Zulage außerhalb der Tarif- und Besoldungsordnungen 11 für alle unselbständig Beschäftigten. Er soll im ersten Jahr 0,5 % des 12 jeweiligen Bruttojahresentgelts, im zweiten Jahr 1 % und in den nächs- 13 ten Jahren 1,5 % betragen. Der Beteiligungslohn soll steuerfrei sein 14 und für sieben Jahre festgelegt werden. 15 2. Die Anlage des Beteiligungslohns bleibt grundsätzlich der freien Ent- 16 scheidung des Arbeitnehmers überlassen; die Anlagemöglichkeiten sol- 17 len jedoch auf Formen des Beteiligungssparens, nämlich Aktien, In- 18 vestmentzertifikate, Anteile an Kapitalbeteiligungsgesellschaften und 19 Wandelanleihen beschränkt werden. 20 3. Während der Festlegungsfrist soll der Arbeitnehmer die Möglichkeit 21 haben, von einer Form des Beteiligungssparens in eine andere überzu- 22 wechseln. Eine vorzeitige Freigabe der festgelegten Mittel ist bei Be- 23 rufs- und Erwerbsunfähigkeit, Eintritt ins Rentenalter und Tod möglich. 24 4. Bei Arbeitnehmern, die sich selbständig machen, ist zuzulassen, dass 25 die angesammelten Beträge zum Aufbau des eigenen Unternehmens 26 verwendet werden. 27 5. Tarifvertragliche Regelungen über Beteiligungslohn im Rahmen des 28 312-DM-Gesetzes sind, soweit sie 1,5 % des Bruttojahresentgelts über- 29 steigen, auf den gesetzlichen Beteiligungslohn anrechenbar. 30 6. Um nicht-emissionsfähigen Mittel- und Kleinunternehmen die Aufnah- 31 me von Beteiligungskapital zu erleichtern, ist die Gründung von Ka- 32 pitalbeteiligungsgesellschaften zu fördern. Ihre Tätigkeit ist durch Ge- 33 währung von Bürgschaften und Krediten aus dem ERP-Sondervermö- 34 gen zu unterstützen, soweit sie sich aus Mitteln des Beteiligungslohnes 35 finanzieren. 36 7. Die Doppelbesteuerung aller Beteiligungsformen sollte abgebaut werden. 37 8. Neben der gesetzlichen Regelung über den Beteiligungslohn sollte ge- 38 setzlich sichergestellt werden, dass Angehörigen des selbständigen Mit- 39 telstandes das Sparen im eigenen Betrieb oder der Erwerb von Betei- 40 ligungsanteilen (siehe Ziffer 2) mit gleich hohen Begünstigungen er- 41 möglicht wird wie das Beteiligungssparen der Unselbständigen. 42 280 Günter Buchstab

1 IV. Begründung 2 3 1. Gesellschaftspolitische Aspekte 4 5 Die gegenwärtige Diskussion über die Eigentumspolitik spitzt sich auf 6 die Frage zu: »Wie können die breiten Schichten unseres Volkes einen 7 größeren Anteil am Produktivkapital der Wirtschaft erhalten?« Die bis- 8 herigen Ergebnisse der Eigentumspolitik haben gezeigt, dass die Bürger 9 positiv auf die Initiative des Staates zur Förderung der Eigentumsbil- 10 dung reagieren, dass sich aber ihre Spartätigkeit oft auf ganz bestimmte 11 langlebige Konsumgüter gerichtet hat. Diese Sparprozesse haben sich 12 zwar durchaus positiv ausgewirkt und auch zur Belebung des Kapital- 13 marktes beigetragen; sie haben aber nicht in zureichendem Maße zur 14 Beteiligung der unselbständig Beschäftigten am Produktivkapital der 15 Wirtschaft geführt. 16 Zur Lösung dieses Problems sind zahlreiche Vorschläge und Pläne ent- 17 wickelt worden. Ein großer Teil der Vorschläge sieht eine Beteiligung 18 der Arbeitnehmer am Gewinn oder Ertrag der Unternehmen vor. 19 Eine genaue Analyse dieser Pläne hat jedoch gezeigt, dass die gesetz- 20 liche Gewinnbeteiligung nicht praktikabel ist. An ihrer Stelle wird die 21 unmittelbare Beteiligung der Arbeitnehmer am Produktivkapital der 22 Wirtschaft über den Beteiligungslohn vorgeschlagen. Damit ist insbe- 23 sondere garantiert, dass alle unselbständig Beschäftigten an der Bildung 24 von Produktivkapital teilhaben. 25 Wenn die Vermögensbildung als ein wichtiges gesellschaftspolitisches 26 Ziel akzeptiert wird, dann müssen auch die Mittel dazu so wirksam 27 sein, dass dieses Ziel tatsächlich erreicht wird. Fachleute, die sich mit 28 diesem Problem befasst haben, sind deshalb der Meinung, dass es nicht 29 ohne eine Pflicht zur Eigentumsbildung geht. Der Beteiligungslohn 30 muss also, wenn er wirksam sein soll, durch Gesetz vorgeschrieben 31 werden, das heißt, es muss ein gewisser Zwang ausgeübt werden. 32 Die Bildung von Produktivkapital und die Beteiligung an diesem in brei- 33 ten Schichten des Volkes ist eine schicksalhafte Frage für den Bestand 34 unserer freiheitlichen Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung. Der Schutz 35 des privaten Eigentums wird nur dann auf Dauer zu garantieren sein, 36 wenn alle Bürger eines Volkes die Chance haben, Eigentum zu bilden. 37 So wenig eine Umverteilung legal erworbenen Eigentums mit dem Ei- 38 gentumsbegriff vereinbar ist, so sehr ist jedoch die Zusammenballung 39 des volkswirtschaftlichen Produktivkapitals in Händen weniger eine Ge- 40 fahr für das Eigentum und die gesamte Entwicklung unserer Gesellschaft. 41 42 Der Burgbacher-Plan von 1969 281

2. Sozialpolitische Aspekte 1 2 Personenbezogenes und verfügbares Eigentum am wirtschaftlichen 3 Vermögen liegt heute mehr denn je im persönlichen Interesse der Ar- 4 beitnehmer. Leistungswettbewerb und Strukturwandel stellen zuneh- 5 mend Anforderungen an Arbeiter, Angestellte und Beamte. Das Eigen- 6 tum am wirtschaftlichen Vermögen 7 – verbreitert die Möglichkeiten der persönlichen und verantwortli- 8 chen Lebensgestaltung, 9 – vermindert den wirtschaftlichen Zwang, unter dem vermögenslose 10 Nur-Lohnempfänger stehen, 11 – erleichtert die Anpassungsfähigkeit an wirtschaftliche und gesell- 12 schaftliche Veränderungen, 13 – erlaubt, von den vielfältigen Möglichkeiten der Allgemeinbildung 14 sowie Aus- und Fortbildung bis zur beruflichen Neuorientierung 15 Gebrauch zu machen, 16 – erleichtert eine verantwortliche Planung des beruflichen und wirt- 17 schaftlichen Lebensweges, 18 – ergänzt in einer allumfassenden und dennoch individuellen Form 19 die gesetzlichen Grundsicherungen im Alter, bei Invalidität, bei 20 Krankheit und sonstigen Notfällen. 21 Somit wird die Vermögensbildung der Arbeitnehmer zu einem festen 22 Bestandteil einer mobilen und leistungsbezogenen Lebens- und Berufs- 23 haltung, die vom Arbeitnehmer genauso zu erwarten ist, wie von jedem 24 anderen Staatsbürger. 25 26 3. Wirtschaftspolitische Argumente 27 28 In einem entwickelten Industriestaat ist ein ständiger technischer Fort- 29 schritt notwendig. Er zwingt die Volkswirtschaften zu ständig steigen- 30 den Investitionen. Wenn es nicht zur inflationären Finanzierung dieser 31 Investitionen über die Preise kommen soll, müssen auch die Arbeit- 32 nehmer mehr sparen. Sind sie zu freiwilligem Mehrsparen nicht bereit, 33 so ist ein gewisser Sparzwang auch deswegen gerechtfertigt, weil sonst 34 die inflationäre Finanzierung des Wachstums die Arbeitnehmer eben- 35 falls zum Sparen zwingen würde. Das Ungerechte an dieser Art des 36 Zwangsparens über die Preise aber wäre, dass die auf diese Weise ge- 37 schaffenen Werte nicht denen als Vermögen zufallen, die zum Sparen 38 gezwungen worden sind. Deshalb ist der durch den Beteiligungslohn 39 ausgeübte Zwang zum Sparen gerechter, weil er bei demjenigen, der 40 zum Sparen gezwungen wird, auch zur Vermögensbildung führt. 41 42 282 Günter Buchstab

1 Der Beteiligungslohn soll neben den Vermögen selbst auch die Ver- 2 mögenserträge gleichmäßiger verteilen. Eben deshalb soll der Arbeit- 3 nehmer zur Bereitstellung von Eigenkapital verpflichtet werden. Hier- 4 durch werden die Arbeitnehmer direkt am Wachstum der Wirtschaft 5 beteiligt. Außerdem wird die Eigenkapitalbasis der Wirtschaft verbrei- 6 tert. 7 8 4. Finanzwirtschaftliche Bedeutung 9 10 Die Einführung eines gesetzlichen Beteiligungslohnes für alle Arbeit- 11 nehmer und Beamten würde im ersten Jahr etwa DM 1,2 Mrd., im zwei- 12 ten rund DM 2,4 Mrd. und vom dritten Jahr an über DM 3,6 Mrd. an 13 längerfristigen Ersparnissen erbringen, die vornehmlich für Kapitalerhö- 14 hungen von privaten Unternehmen verwendet werden sollen. Ein solcher 15 Strom an langfristig verfügbaren Mitteln würde zunächst zu einer steti- 16 geren Entwicklung auf den Märkten für Beteiligungskapital beitragen. 17 Der Beteiligungslohn könnte so eine wichtige kapitalmarktpolitische 18 Aufgabe erfüllen und damit auch die Anlage anderer privater Erspar- 19 nisse in Wertpapieren erleichtern. Der Zwang zu einer pfleglichen Be- 20 handlung des Kapitalmarktes dürfte sich im übrigen weiter verstärken, 21 wenn die ersten Sparbeträge aus der gesetzlichen Bindung entlassen 22 werden und die Arbeitnehmer ihre Vermögensanlagen über diesen 23 Zweitpunkt hinaus festhalten sollen. 24 Im übrigen liegt der ausgleichende Einfluss des Beteiligungslohnes für 25 die Unternehmensfinanzierung in der Tatsache, dass sich die Kapital- 26 gesellschaften auf ein relativ stetiges Angebot an Beteiligungskapital 27 einstellen und ihre Emissionstätigkeit längerfristig planen können. 28 Schwankungen in der Bereitschaft der privaten Unternehmen, Eigen- 29 kapital aufzunehmen, müssten durch Privatisierung wirtschaftlichen 30 Besitzes der öffentlichen Hände (Bund, Länder, Gemeinden) – auch 31 auf dem Wege der Kapitalerhöhung – ausgeglichen werden. 32 Die Verbreiterung der Eigenkapitalbasis durch den Beteiligungslohn 33 vermag die Investitionstätigkeit zu stärken und das Bruttosozialprodukt 34 zu steigern. Hierdurch wird das Wirtschaftswachstum verstetigt. Die 35 anfänglich einmalig auftretenden Steuerausfälle werden laufend mehr 36 als ausgeglichen, und so wird der Beteiligungslohn auch fiskalisch ge- 37 rechtfertigt. 38 39 5. Ablehnung der gesetzlichen Gewinnbeteiligungspläne 40 41 Die Einführung einer gesetzlichen Gewinnbeteiligung erscheint uns un- 42 geeignet, weil Der Burgbacher-Plan von 1969 283

– das Aufkommen aus einer gesetzlichen Gewinnbeteiligung zu ge- 1 ring ist, um im von uns gewünschten Maße die gesamtwirtschaft- 2 liche Vermögensverteilung zugunsten der Arbeitnehmer zu beein- 3 flussen, 4 – besonders die expansiven Wirtschaftszweige belastet und damit das 5 Wachstum der Wirtschaft ungünstig beeinflusst werden könnte, 6 – nur einem Teil der Unternehmer eine gesetzliche Gewinnbeteili- 7 gung zuzumuten ist, 8 – die Unternehmensgewinne sehr unterschiedlich sind, 9 – die notwendigen gesetzlichen Bestimmungen über die Feststellung 10 und Aufteilung des Gewinns sehr erhebliche Schwierigkeiten be- 11 reiten, 12 – die – wahrscheinlich unumgängliche – Einschaltung eines zentralen 13 Fonds zu neuen wirtschaftlichen Machtpositionen führen könnte. 14 15 6. Kapitalbeteiligungsgesellschaften 16 17 Zweck der Kapitalbeteiligungsgesellschaften (KBG) soll es sein, einen 18 Teil des von den Arbeitnehmern im Wege des gesetzlichen Investiv- 19 lohnes gesparten Kapitals einer Verwendung zuzuführen, die es den 20 nicht-emissionsfähigen Mittel- und Kleinunternehmen gestattet, ihre 21 Kapitalbedürfnisse zu befriedigen. 22 Als Träger einer Beteiligungsgesellschaft kommen ein oder mehrere Kre- 23 ditinstitute in Betracht, die entsprechende berufliche Erfahrung nachwei- 24 sen. Zum Betrieb einer KBG ist eine Lizenz erforderlich, die der Bun- 25 desschatzminister als Verwalter des ERP-Sondervermögens nach Prüfung 26 der Voraussetzungen erteilt (Vorbild: Small Business Administration). 27 Das ERP-Sondervermögen soll mittels Gewährung von Bürgschaften und 28 Krediten die Tätigkeit der KBG weitgehend unterstützen. Für die Gewäh- 29 rung dieser Hilfen soll der Bundesschatzminister Richtlinien herausge- 30 ben. Die KBG soll in Form einer AG betrieben werden. 31 32 7. Mittelstandspolitische Aspekte des Beteiligungslohnes 33 34 Um die Belange der Mittel- und Kleinunternehmer zu wahren, soll über 35 die Kapitalbeteiligungsgesellschaften hinaus eine Gleichbehandlung 36 mit den Arbeitnehmern in steuerlicher Hinsicht herbeigeführt werden. 37 Analog der Steuerfreiheit des Beteiligungslohnes bei den Unselbstän- 38 digen bleibt bei den Gewinnen der kleinen Selbständigen ein etwa 39 gleich hoher Betrag steuerfrei. Dieser pauschale Freibetrag wird jähr- 40 lich an Hand der durchschnittlichen Jahreslohnsumme des Arbeitneh- 41 mers festgelegt. 42 284 Günter Buchstab

1 Auf diese Weise kann ein »Sparen im Betrieb« ermöglicht werden, das 2 die Kapitalbildung erleichtert. Auf Festlegungsfristen kann man dabei 3 verzichten, weil die Gelder dieses Personenkreises ohnehin meist län- 4 ger im Betrieb bleiben als die der Arbeitnehmer. Eine ähnliche Lösung 5 wie für die Betriebsinhaber ist für die mithelfenden Familienangehö- 6 rigen zu erwägen, deren fiktives Arbeitnehmerentgelt ebenfalls steuer- 7 mindernd in Ansatz zu bringen wäre. 8 9 8. Die Grenzen des Beteiligungslohnes 10 11 Die Belastbarkeit der Wirtschaft ist begrenzt. Wenn auch die zumutbare 12 Belastung nicht in einer absoluten Größe angegeben werden kann, so 13 kann der Lohnanteil auch für diesen Zweck nur bis zu einer gewissen 14 Höhe angehoben werden. 15 Die jetzt vorgeschlagenen Prozentsätze sollten zunächst auch deshalb 16 nicht höher liegen, weil das Wertpapierangebot begrenzt ist. Nach Aus- 17 kunft namhafter Sachkenner des Kapitalmarktes sind die obengenann- 18 ten zusätzlich bereitstehenden Kapitalmarktmittel ohne Schwierigkei- 19 ten unterzubringen; eine bedeutende Erhöhung der Beträge könnte zu 20 einer Beunruhigung des Kapitalmarktes und sachlich nicht gerechtfer- 21 tigten Kurssteigerungen führen. 22 23 V. Anhang 24 25 Auswirkungen des »Beteiligungslohnes« 26 a) für den einzelnen 27 bei DM 150,-- (etwa 1,5 % des durchschnittlichen Jahreseinkommens), die 28 jährlich um 5 % steigen (Einkommensentwicklung) und mit 5 % verzinst 29 werden: 30 nach 10 Jahren 2.445,-- DM 31 nach 20 Jahren 7.950,-- DM 32 nach 30 Jahren 19.440,-- DM 33 nach 40 Jahren 42.240,-- DM 34 b) für die Volkswirtschaft 35 bei zur Zeit DM 240 Mrd. Lohn- und Gehaltssumme jährlich: 36 bei 0,5 %: 1,2 Mrd. DM 37 bei 1,0 %: 2,4 Mrd. DM 38 bei 1,5 %: 3,6 Mrd. DM 39 40 41 42 Der Burgbacher-Plan von 1969 285

VI. Eigentumsbildung im System der Sozialen Marktwirtschaft 1 2 In zahlreichen Diskussionen und Veröffentlichungen der letzten Zeit wird 3 auf die derzeitige Vermögensverteilung hingewiesen. Das kapitalistische 4 System habe dazu geführt, dass sich der größte Teil des Vermögens in den 5 Händen weniger Personen befinde. Das ist richtig; daraus jedoch den 6 Schluss zu ziehen, das derzeitige Wirtschaftssystem zu ändern, wäre falsch. 7 Unsere Wettbewerbswirtschaft, die die persönliche Initiative anspricht, hat 8 eine Produktionskraft, die wesentlich höher als jedes andere gelenkte Sys- 9 tem ist. Jeder einzelne Bürger ist ein Motor in diesem System. Diese Mil- 10 lionen Motoren sind für die Steigerung des Lebensstandards und das so- 11 ziale Standing der Bevölkerung mehr wert als eine gelenkte Wirtschaft, in 12 der die Eigentumsunterschiede beseitigt wären, aber das gesamte Brutto- 13 sozialprodukt sehr viel niedriger wäre. 14 Unsere Eigentumspolitik soll dazu beitragen, dass ohne Beeinträchtigung un- 15 seres Wirtschaftssystems die künftigen Vermögenszuwächse stärker den bis- 16 her vermögenslosen oder vermögensarmen Bevölkerungsschichten zukom- 17 men; das sind vorwiegend die unselbständig Tätigen unserer Volkswirtschaft. 18 19 20 21 22 23 Anlage 24 25 I. Die Reihen- und Rangfolge unserer Politik 26 27 Die CDU/CSU, die während der vergangenen 20 Jahre maßgeblich die 28 Politik in der Bundesrepublik bestimmt hat, hat bewusst die Rangfolge 29 der Bedürfnisbefriedigung den Notwendigkeiten und Wünschen der Bür- 30 ger angepasst. Zunächst galt es, für alle eine ausreichende und zunehmend 31 qualitativ bessere Nahrungsversorgung zu gewährleisten, gleichzeitig fol- 32 gend die Kleidungssorgen zu beheben und die Wohnungsprobleme zu 33 meistern. Nach diesen lebenswichtigen Bedürfnissen galt es, Reserven 34 für die Not- und Wechselfälle des Lebens anzulegen, und zwar in Form 35 von Bargeld und Versicherungen aller Art. Nachdem die meisten Bürger 36 auf diese Weise ihre Hauptrisiken abgedeckt haben, werden sie zusätzli- 37 che Sicherungen durch den Erwerb von Wertpapieren vornehmen, ent- 38 sprechend den individuellen Möglichkeiten und Vorstellungen. Wir ste- 39 hen gesellschaftspolitisch heute vor der Tatsache, dass die individuelle 40 freiwillige Vermögensbildung bisher nicht dazu geführt hat, allen in der 41 Volkswirtschaft Beschäftigten zumindest einen nennenswerten Anteil am 42 286 Günter Buchstab

1 produktiven Volksvermögen zu geben. Daher besteht als zentrale Auf- 2 gabe für unsere Eigentumspolitik in den kommenden Jahren die gesetz- 3 liche Beteiligung aller unselbständig Tätigen am Produktivkapital der 4 Wirtschaft. 5 6 II. Bisherige Maßnahmen zugunsten der Vermögensbildung 7 8 1. Steuerpolitische Maßnahmen 9 10 Im Bereich der Steuerpolitik haben sich die durchgeführten Maßnahmen 11 zur Förderung der privaten Vermögensbildung vornehmlich in folgenden 12 Gesetzen niedergeschlagen: Einkommensteuerreform von 1958, Steuerän- 13 derungsgesetze 1961, 1964 und 1968. 14 a) Einkommensteuer 15 Senkung des Einkommensteuertarifs 16 Erhöhte Sonderausgabenpauschale 17 Versicherungsprämien als Sonderausgaben 18 Auswirkungen: 19 Die verschiedenen einkommensteuerlichen Entlastungen haben das 20 verfügbare Einkommen vergrößert und somit insbesondere die Sparfä- 21 higkeit der kleineren Einkommensbezieher gestärkt. Diese Tatsache be- 22 weist eindrucksvoll folgendes Beispiel: 23 Ein verheirateter Arbeitnehmer mit zwei Kindern und einem Monats- 24 gehalt von DM 1.000,– hatte 1949 DM 252,50 an Lohnsteuer zu zahlen. 25 Heute, im Jahre 1969, sind es noch ganze DM 63,–, also genau ein 26 Viertel des damaligen Betrages. Parallel dazu ist auch die Kirchensteuer 27 von DM 25,25 auf DM 6,30 gesunken. 28 b) Vermögenssteuer 29 Bei der Vermögenssteuer wurden die Freibeträge für den Steuerpflich- 30 tigen und seinen Ehegatten von je DM 10.000,– auf DM 20.000,– ver- 31 doppelt und für jedes Kind unter 18 Jahren sogar vervierfacht, d.h. von 32 DM 5.000,– auf DM 20.000,– angehoben. 33 34 2. Verabschiedete Gesetze zur Vermögensbildung 35 36 a) 1950: Wohnungsbauprämiengesetz: 37 25–35 % Prämie (höchstens DM 400,–/Jahr) 38 1969: Zusatzprämie für kleinere Einkommensempfänger 30 %; 39 dieses Gesetz war ein großer Erfolg und hat wesentlich zur regen Bau- 40 tätigkeit während der letzten beiden Jahrzehnte, insbesondere zum Bau 41 oder Erwerb eines Eigenheimes, beigetragen 42 Der Burgbacher-Plan von 1969 287 b) 1959: Sparprämiengesetz 1 1962: Novelle mit familienfreundlicher Staffelung der Prämiensätze 2 (20–30 %) 3 1969: Zusatzprämie für kleinere Einkommensempfänger 40 % 4 c) Privatisierung industriellen Bundesvermögens 5 1958: Preussag 6 1960: Volkswagenwerk 7 1965: Veba 8 9 3. Das 312-DM-Gesetz 10 11 Das Vermögensbildungsgesetz, auch 312-DM-Gesetz genannt, das am 12 5. Mai 1965 vom Deutschen Bundestag beschlossen wurde, enthält gegen- 13 über dem I. Vermögensbildungsgesetz vom 12. Juli 1961 folgende Ver- 14 besserung: 15 Jeder Arbeitnehmer ist berechtigt, durch einseitige schriftliche Erklärung 16 gegenüber dem Arbeitgeber Teile seines Arbeitslohnes bis zu DM 312,– 17 im Jahr vermögenswirksam anzulegen. Für diese Lohnteile sind keine 18 Lohnsteuer und keine Sozialversicherungsbeiträge zu entrichten. Selbst- 19 verständlich sind auch Betriebsvereinbarungen möglich. 20 Vermögenswirksame Leistungen können auch in Tarifverträgen vereinbart 21 werden. Die Tariffähigkeit des 312-DM-Gesetzes hat in der öffentlichen 22 Diskussion vor der Verabschiedung des Gesetzes eine große Rolle gespielt. 23 Die Gegner dieser Regelung haben vor keiner noch so unsinnigen Argu- 24 mentation zurückgeschreckt; doch ist es der Mehrheit der Bundestagsab- 25 geordneten gelungen, dieses Gesetz, das sicherlich von säkularer Bedeu- 26 tung ist, zu verabschieden. Bedeutende politische Entscheidungen haben 27 immer lebhaften Widerspruch ausgelöst. Wer die Sozialgeschichte kennt, 28 wird lebhaft an die Ausführungen erinnert, die im alten Reichstag Ende 29 vorigen Jahrhunderts bei der Einführung der Sozialversicherungsgesetze 30 und Anfang dieses Jahrhunderts bei der Einführung des Rechtes der Ta- 31 rifparteien gemacht wurden. Nachträglich darf wohl ohne Pathos festge- 32 stellt werden, dass die Einführung der Sozialversicherungspflicht und des 33 Tarifrechtes der Sozialpartner alles andere als unglücklich gewesen ist. Es 34 lässt sich die moderne Wirtschaft ohne diese wichtigen Einrichtungen gar 35 nicht vorstellen. Ich bin überzeugt, dass die Zulassung von tarifvertragli- 36 chen Vereinbarungen zugunsten der Vermögensbildung der Arbeitnehmer 37 in späteren Jahrzehnten als selbstverständlich angesehen wird und die heu- 38 tige gesetzliche Regelung ein wichtiger Grundstein für die Beseitigung der 39 Vermögenslosigkeit oder Eigentumsarmut der Arbeitnehmerschaft sein 40 wird. 41 42 288 Günter Buchstab

1 Mit der Novelle zum 312-DM-Gesetz, die der Bundestag kurz vor der Som- 2 merpause verabschiedete, wurden einige Verbesserungen erzielt: 3 a) Die vermögenswirksamen Leistungen nach dem 312-DM-Gesetz wer- 4 den künftig nicht mehr auf die übrigen Sparleistungen nach den Prä- 5 miengesetzen, die ein Arbeitnehmer vorweg schon selbst erbracht hat, 6 angerechnet. 7 b) Die sozialversicherungsrechtlichen Härten, die sich bei einmaliger 8 Festlegung des Gesamtbetrages von DM 312,– und anschließender Ar- 9 beitsunfähigkeit bzw. Arbeitslosigkeit durch Minderung des Kranken- 10 geld- bzw. Arbeitslosengeldanspruches ergeben konnten, wurden be- 11 seitigt. 12 c) Der Mittelstandsanreiz für Arbeitgeber mit bis zu 50 Beschäftigten wur- 13 de von DM 800,– auf DM 3.000,– abzugsfähigen Betrag von der Ein- 14 kommensteuerschuld jährlich erhöht. 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31 32 33 34 35 36 37 38 39 40 41 42 1 2 3 Neue Literatur zur sowjetischen Deutschland-Politik 4 während des Kalten Krieges 5 6 Gelesen und besprochen von Gerhard Wettig 7 8 Heike AMOS, Die Westpolitik der SED 1948/49–1961. »Arbeit nach Westdeutschland« 9 durch die Nationale Front, das Ministerium für Auswärtige Angelegenheiten und 10 das Ministerium für Staatssicherheit, Berlin: Akademie Verlag 1999, 400 S., 11 78,– DM. 12 Hubertus KNABE, Die unterwanderte Republik. Stasi im Westen, Berlin: Propyläen Ver- lag 1999, 590 S., 49,90 DM. 13 Hubertus KNABE (unter Mitarbeit von Bernd EISENFELD, Jochen HECHT, Hanna LAB- 14 RENZ-WEISS, Andreas SCHMIDT, Birgit SÜNDRAM, Monika TANTZSCHER, Tobias 15 WUNSCHIK und Herbert ZIEHM), West-Arbeit des MfS. Das Zusammenspiel von 16 »Aufklärung« und »Abwehr«, Berlin: Ch. Links Verlag 1999, 598 S., 58,– DM. 17 Thomas AUERBACH, Einsatzkommandos an der unsichtbaren Front. Terror- und Sa- 18 botagevorbereitungen des MfS gegen die Bundesrepublik Deutschland, Berlin: Ch. 19 Links Verlag 1999, 188 S., 20,– DM. 20 Michael PLOETZ, Wie die Sowjetunion den Kalten Krieg verlor. Von der Nachrüstung 21 zum Mauerfall, Berlin: Propyläen Verlag 2000, 465 S., 48,– DM. 22 Christopher ANDREW/Vasili MITROKHIN, The Mitrokhin Archive. The KGB in Europe and the West, London: Penguin Press 1999, 996 S.; deutsch: Das Schwarzbuch des 23 KGB. Moskaus Kampf gegen den Westen, Berlin: Propyläen Verlag 1999, 848 S., 24 58,– DM. 25 26 Mit der Gründung von Bundesrepublik und DDR im Herbst 1949 war das sowje- 27 tische Bemühen um einen gesamtdeutschen Staat gescheitert, dessen einheits- 28 stiftendes Zentrum die kommunistische Partei sein sollte. In Stalins Sicht han- 29 delte es sich nur um einen zeitweiligen Rückschlag: Die »demokratische und 30 friedliebende« DDR war für ihn der Grundstein eines künftigen »demokrati- 31 schen und friedliebenden« Gesamtdeutschlands, das der »friedliebenden« 32 UdSSR zur Seite trete und einen »Wendepunkt in der Geschichte Europas« 33 herbeiführe.1 Das war eine Erwartung, die noch durch die Wirklichkeit bestä- 34 tigt werden musste. Nach amtlicher Lehre waren »gesetzmäßig« vorgezeich- 35 nete Entwicklungen durch intensive Anstrengungen zu unterstützen. Demge- 36 mäß hatte die Besatzungszentrale in Ost-Berlin zusammen mit dem Parteiap- 37 parat der SED schon im ersten Halbjahr 1949 organisatorische Voraus- 38 39 40 1 Grußtelegramm Stalins anlässlich der Konstituierung der DDR, wiedergegeben in: Do- 41 kumente zur Deutschlandpolitik der Sowjetunion, Bd. 1, [Ost-]Berlin 1957, S. 238 f. 42