ISSN 0259-7446 ös 58,-

Kommunikation in Geschichte und Gegenwart

Themenschwerpunkt: Sozialdemokratie und Medien nach 1945 Vom Staatskanzler zum Medienkanzler und die Medien Hugo Portisch zum Rundfunkvolksbegehren

Jahrgang 14 Medien Journal

Das „Medien Journal" - die „Zeitschrift für Kommunikationskultur" - wird von der ÖGK (Österreichische Gesellschaft für Kommunikationsfragen) herausgegeben und erscheint vierteljährlich. Die Themenpalette der Hefte reicht von aktuellen Fragen der Medien- und Informationsgesellschaft bis hin zu theoretischen Grundlagen der Kommunikationswissenschaft. Das „Medien Journal" wird z.T. auf Basis internatio­ naler und interdisziplinärer Zusammenarbeit vom Vorstand der ÖGK konzipiert und herausgegeben. Die Zusammenstellung des jeweiligen Heftes leitet ein verantwortlicher Redakteur in Kooperation mit dem Chefredakteur (Dr. Thomas Steinmaurer).

Themen 1997-1999 „Systemtheorie der Medien" (1/97), „Medienkonzentration und Medienpolitik" (2/97), „Fortschritte der Medieninhaltsanalyse" (3/97), „Cultural Studies. Forschung & Rezeption" (4/97), „Jobs@Multimedia"(1/98), „Rundfunkliberalisierung in Österreich" (2/98), „Public Relations. Qualifikationen und Kompetenzen" (3/98), „Publikum heute. Perspektiven und Konzepte" (4/98), „Medial Turn. Die Medialisierung der Welt" (1/99) „Medien und Minderheiten" (2/99), „Wissensgesellschaft" (3/99), „Unterhaltung und Populärkultur" (4/99)

Das Medien Journal erscheint viermal jährlich. Einzelheft: öS 85,-/DM 11,80/sfr 11,50 Jahresabonnement: öS 315,-/DM 43,-/sfr 39,50 Abonnement für Studierende: öS 210,-/DM 28,80/sfr 26,50 Auslandsabonnement: öS 410,-/DM 56,-/sfr 51,-

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Druck: Remoprint 1160 Wien, Neulerchenfelderstr. 35 Korrespondenten: Dr. Hans Bohrmann (Dortmund), Univ. Prof. Dr. Hermann Haarmann (Berlin), Prof. PhD. Ed McLuskie (Boise, Idaho), Dr. Robert Knight (London), Univ. Prof. Dr. Arnulf Kutsch (Leipzig), Dr. Edmund Schulz (Leipzig), Prof. emer. Dr. Robert Schwarz (S. Palm Beach, Florida)

Vorstand des AHK: Univ.Doz. Dr. Wolfgang Duchkowitsch (Obmann), Gisi Icha (Obmann-Stv.), Barbara Pilgram (Obmann-Stv.), Mag. Fritz Randl (Geschäftsführer), Claudia Spitznagel (Schriftführerin), Mag. Michaela Lindinger (Schriftführerin-Stv.), Mag. Wolfgang Monschein (Kassier), Mag. Edith Dörfler, Dr. Norbert P. Feldinger, Gerhard Hajicsek, Herbert Hirner, Silvia Nadjivan, Mag. Wolfgang Pensold, Dr. Thomas Steinmaurer. Dr. Herwig Walitsch Redaktion: Vorstand des AHK, redaktionelle Leitung dieses Heftes: Mag. Edith Dörfler, Wolfgang Langer, Silvia Nadjivan, Mag. Wolfgang Pensold Satz: Herbert Hirner Inhalt Erscheinungsweise: Medien & Zeit erscheint vierteljährlich Aufsätze Bezugsbedingungen: Vom Staatskanzler zum Medienkanzler... Einzelheft (exkl. Versand): öS 58.- Drei Dogmen im medienpolitischen Diskurs der Jahresabonnement: Österreich (inkl. Versand): öS 195.-Ausland SPÖ nach 1945 (inkl. Versand auf dem Landweg): öS 270.- Wolfgang Pensold ...... 4 Studentlnnenjahresabonnement: Österreich (inkl. Versand): öS 140.- „Zampano tritt auf" Ausland (inkl. Versand Bruno Kreisky und die Medien: eine Spurensuche auf dem Landweg): öS 220.- Christian Dickinger...... 26 BesteUung an: Medien & Zeit, Zeitzeugenbericht A-1014 Wien, PF 208 oder über den gut sortierten Über das „Rundfunk-Volksbegehren" Buch- und Zeitschriftenhandel Hugo Portisch...... 48 ISSN 0259-7446

Editorial

Sozialdemokratie und Medien, dieses Be­ kratische Medienpolitik zwischen dem „Staats­ griffspaar umschreibt ein - zumindest während kanzler“ und dem „Medienkanz­ der zweiten Republik - nicht ungetrübtes Ver­ ler“ Bruno Kreisky vollzieht. Christian Dickin- hältnis. Die sogenannte „Kampfzeit“, da man ger schließt in seinem Aufsatz nahtlos daran an, gegen politische und auch publizistische Un­ indem er sich auf eine Spurensuche nach dem Ver­ terdrückung ankämpfen hat müssen, ist mit der hältnis Bruno Kreiskys zu den Medien begibt. Ab­ Einsetzung der provisorischen Regierung Ren­ schließend kommt ein überaus berufener Zeitzeuge ner im Frühjahr 1945 endgültig vorüber, die so­ und Mitgestalter dieser bewegten Ära zu Wort: zialdemokratische „Kampfpresse“ obsolet. Es Hugo Portisch, seinerzeit Chefredakteur des Ku­ bedarf einer neuen Orientierung; im traditio­ rier und Mitinitiator des „Rundfunk-Volksbe­ nellerweise staatsnah organisierten Rundfunk gehrens“, erinnert sich an diese Initiative der entsteht ein Breitenmedium, das ebenfalls nach parteiunabhängigen österreichischen Zeitungen, einer gesellschaftspolitischen Verortung ver­ die schließlich das Ende des „-Rund­ langt... funks“ brachte. Mit diesem diffizilen Verhältnis, das die SPÖ zu verschiedenen Medien pflegt, setzt sich die ak­ tuelle Ausgabe von Medien & Zeit auseinander. E d ith D ö r fl er Der Aufsatz „Vom Staatskanzler zum Medien­ W o lfg a n g L a n g e r kanzler“ von Wolfgang Pensold widmet sich S ilvia N adjivan dem Paradigmenwechsel, den die sozialdemo­ W o lfg a n g P en so l d

3 Vom Staatskanzler zum Medienkanzler... Drei Dogmen im medienpolitischen Diskurs der SPÖ nach 1945 W o lfg a n g P enso ld

Konzentration, oder: die Zwänge des Die Wiederkunft österreichischer Medien ist Staates nicht losgelöst von den politischen Aktivitäten zu sehen. An besagtem 23. April 1945 - die Deut­ m Anfang war das Nichts“, schreibt der so­ sche hat noch nicht kapituliert, außer­ Azialistische Journalist Jacques Hannak über halb von Wien wird noch gekämpft - treffen die Geburtsstunde der Zweiten Republik: Vertreter der SPÖ, ÖVP und KPÖ bei Karl Ren­ ner zusammen und einige Tage danach konsti­ Als das Dritte Reich im April 1945 in Rauch und tuiert sich die Provisorische Regierung aus Ver­ Trümmern versank, war der Buchstabe tot, kein Pa­ tretern der drei Parteien unter Renner. Der Staats­ pier, keine Druckerei, kein Hauch von Information, keine akt anläßlich der Bildung dieser Regierung wird Stimme, die sagen hätte können, was uns geschehen von der nach schweren Bombardierungen not­ war und wie es nun werden sollte. Indem und indes es dürftig wieder in Gang gesetzten Wiener Ra­ keine Zeitungen mehr gab, war die menschliche Ge­ diostation - bis vor kurzem „Reichssender Wien“ sellschaft in Atome zerfallen, lösten sich alle Kon­ - übertragen, die ersten musikalischen Klänge, takte, reichten Bindungen und Gemeinschaften kaum die die Menschen im Radio vernehmen können, noch über die Haustüre hinaus. Höhlenmenschen wa­ sind der Ziehrer-Marsch „O du mein Öster­ ren alle wieder geworden, angewiesen auf Gerüchte, reich“3 *. Radio Wien, dessen wiedereingerichte­ Vermutungen, Hoffnungen und Ängste, Phantasie­ ter Radiobeirat mit Vertretern der drei Parteien produkte der Selbstbelügung. In diesen Wochen des beschickt wird, ist wie die Zeitung Neues Öster­ Nichtvorhandenseins der Presse spürte man erst ihre reich de facto der provisorischen Regierung ungeheure soziale Bedeutung und Mission.1 2 Renner unterstellt.4 *

Kriegsende, Zusammenbruch des Hitlerstaates, Von Parteiblättem kann wegen des herrschen­ Stunde Null, wie man künftig sagen wird. Das den Papiermangels noch nicht die Rede sein, so- Land liegt darnieder, es herrscht quälende Un­ daß die Konzentration der politischen Kräfte an­ gewißheit darüber, was nun kommen wird. Die gesichts der Besatzungssituation als Vemunft- wiedererscheinenden Zeitungen - die erste ist gebot auch in medienpolitischer Hinsicht gilt. das sowjetische Besatzerblatt Österreichische Das politische Klima ist nicht unbedingt ein­ Zeitung - finden reißenden Absatz, nicht zuletzt, mütig, doch die akuten sozialen Probleme, die weil es sonst kaum etwas zu kaufen gibt. Als Notwendigkeit eines raschen Wiederaufbaus, erste österreichische Zeitung erscheint am 23. vor allem aber die Bestrebungen nach einer Art April 1945 das Neue Österreich unter Mitarbeit nationaler Opposition gegen die fremden Mi­ von Redakteuren aus den „drei demokratischen litärverwaltungen, die alsbald im Alliierten Rat Parteien“ SPÖ, ÖVP und KPÖ. Zum Chef­ auch in medienpolitischen Belangen die höch­ 4 redakteur wird der aus Moskau zurückge­ ste Behörde im besetzten Österreich repräsen­ kehrte Kommunist Ernst Fischer bestellt, der tieren,3 diktieren zumindest kurzfristig einen Zu­ bereits vor dem Krieg Redakteur der Arbeiter­ sammenhalt über die Lagergrenzen hinweg. Das zeitung gewesen ist; eine Bestellung, die wohl als Demutsgeste vor der sowjetischen Besat­ 3 Hermann Stöger: Schwarze Welle - Roter Schirm. zungsmacht gelesen werden kann. Der Proporz am Beispiel Rundfunk, Wien - Melk 1965, S.13. 1 Der vorliegende Aufsatz entstand im Jahr 1995 im 4 Norbert R Feldinger: Nachkriegsrundfunk in Öster­ Rahmen eines vom Bundesministerium für Wissenschaft, reich, München - London - New York - Paris 1990, S.39. Forschung und Kultur geförderten Forschungsprojekts mit ? Norbert P. Feldinger: Parteien und Parteipresse. Die dem Titel: Neue Forschungen zur politischen Kultur der Tageszeitungen der politischen Parteien in Österreich Zweiten Republik bis 1966 unter besonderer Berücksichti­ nach 1945. Forschungsprojekt unter der Leitung von gung der SPÖ. Michael Schmolke, 1995, S. 37 (diese noch 2 Jacques Hannak: Die Zeitung - Opium oder Heil­ unveröffentlichte Studie wurde mir vom Autor Norbert P. mittel? in: Ders. (Hg.): Bestandaufnahme Österreich Feldinger freundlicherweise zur Verfügung gestellt, wofür 1945-1963, Wien - Hannover - Bern 1963, S. 327. ihm mein besonderer Dank gilt). Neue Österreich versteht sich demgemäß als standen ist. Renner will nicht tak­ „Blatt der demokratischen Einigung“,6 sein Ti­ tieren, er will regieren. Die Folge tel steht für das Programm - soll zumindest dafür davon ist ein zentralistischer Habitus, den sich stehen. Die nationale Identität Österreichs im die Partei gibt, ein Habitus, der sich auch in me­ Gegensatz zum kompromittierten Deutschna­ dienpolitischen Fragen niederschlägt. Basisde­ tionalismus des vierten Lagers forcierend, be­ mokratische Ideen werden diesem Regierungs­ kennen sich alle drei Parteien nach den langen Jah­ zentralismus unsentimental geopfert. Gestützt ren im „Großdeutschen Reich“ zu einem neuen auf die Idee, die relevanten politischen Kräfte in Österreichpatriotismus, hinter dem freilich auch einer starken Regierung zu konzentrieren, ten­ die Mitverantwortung für das Dritte Reich und für diert man dazu, jeglicher Opposition auf politi­ den eben beendeten Krieg verschwindet. scher wie auf publizistischer Ebene ihre Legiti­ mität abzusprechen. Dem neugegründeten Neuen Das Selbstverständnis der SPÖ ist, ähnlich dem Österreich wird insofern die Funktion eines of­ der ÖVP, geprägt von der staatspoliti­ fiziösen Regie­ schen Verantwortung, die ihr als Regie­ rungsorgans8 zu­ rungspartei in Anbetracht der völlig un­ geschrieben. Die Renner will nicht taktieren, gewissen Zukunft des Landes zukommt. Tatsache, daß es er will regieren. Die Folge davon Die Teilhabe der Sozialisten an der Re­ später versucht, ist ein zentralistischer Habitus gierung und damit auch am Staat wird zur Regierung auf aus ideologischer Perspektive jedoch kritische Distanz ambivalent gesehen. Der sozialistische zu gehen, wird Journalist Hermann Mörth wird Jahre später fol­ sein Schicksal - genauer gesagt, jenes seines gende Formulierung für dieses Unbehagen fin­ Chefredakteurs Emst Fischer - besiegeln. den: „Der Staat“, schreibt er, Wie wenig der sozialistische Staatskanzler Ren­ ist ein Herrschaftsinstrument über Menschen, er ist eine ner von einer unabhängigen Publizistik hält, for­ Institution statisch-konservativer Wesensart. Der So­ muliert er schon im Juli 1945 in einem Brief an zialismus hingegen ist eine dynamische Bewegung Fischer: zur Befreiung des Menschen von allen Fesseln - auch den staatlichen. Die Sozialistische Partei muß sich Ich mache Sie nur noch auf einen Umstand auf­ an der Regierung beteiligen, aber sie darf weder zum merksam. Das Berufsliteraten- und Publizistentum Instrument der Regierung werden, noch darf sie sich neigt sehr dazu, zwischen allen Parteien herumzu­ mit der Staatsgewalt identifizieren J schaukeln und in dieser politischen Unbestimmtheit geradezu ein Merkmal geistiger Überlegenheit zu se­ Derartige Fragen stellen sich im Frühjahr 1945 hen. Niemand ist ein ärgerer Verächter des wirt­ allerdings kaum; kaum jemand stellt die Regie­ schaflenden und sich um das allgemeine Wohl küm­ rungsbeteiligung in Frage - aus gutem Gmnd. Im mernden Arbeitsmenschen als diese Klasse. Sie ist kollektiven Parteigedächtnis wirkt, wenn man auch absolut unzuverlässig. Es ist viel klüger, sie so sagen darf, noch das Trauma der verlorenen zu wirklicher Parteiarbeit zu erziehen als zu Ersten Republik nach, die Angst vor dem eige­ hochmütiger Überheblichkeit.9 * 5 nen linken Flügel und dessen bedingungsloser Op­ positionspolitik, die Angst vor der bürgerlichen Unabhängige Medien gelten als verzichtbar. Un­ Reaktion, die abermals gegen die Arbeiterbe­ ter diesen Umständen ist abzusehen, daß das wegung regieren könnte, die Angst vor einem aus der Not der Situation geborene, pluralistische neuerlichen „Bürgerkrieg“ zwischen Arbeitern Zeitungsexperiment des Neuen Österreich als­ und dem Militär. An der Spitze der Zweiten Re­ bald scheitern muß und man sich um eine Rück­ publik steht Karl Renner, der Pragmatiker, der kehr zur parteipolitischen Konfrontation und schon an der Wiege der Ersten Republik ge­ damit zur klassischen Parteipresse bemüht.

6 s. Willi Liwanec: Information. Presse, Rundfunk, 8 s. Liwanec: Infonnation. Presse, Rundfunk, Fernsehen, Wochenschau, Wien 1966, S. 112. Fernsehen, Wochenschau, S. 81. 7 Hermann Mörth: Trennung von Partei- und Staats - 9 Brief Karl Renners an Emst Fischer; zit. n.: Emst f Diktionen; in: Die Zukunft. Sozialistische Zeitschrift für Fischer: Das Ende einer Illusion. Erinnerungen 1945 - Politik, Wirtschaft und Kultur, H. 23, Jg. 1964, S.7. 1955, Wien - München - Zürich 1973, S. 94 f. Am 27. Juni 1945 gründen die drei der Presse in Österreich sehr klare und auch sehr Regierungsparteien SPÖ, ÖVPund autokratische Vorstellungen: KPÖ ein gemeinsames Presse-Komitee, mit dem Ziel, ihre Interessen zu wahren10 und bei den Zeitungen und Zeitschriften, die ohne Rücksicht auf Besatzungsmächten die Wiederzulassung der die Interessen von Volk und Staat von einem verant­ Parteizeitungen zu erwirken. Im August 1945 wortungslosen Herausgeber nur als eine Quelle per­ geben die Besatzer die dazu nötigen Papier­ sönlichen Profits und Gewinnes betrachtet werden, ha­ kontingente im Verhältnis 1:1:1 an SPÖ, ÖVP und ben in der Zweiten österreichischen Republik keinen KPÖ sowie entsprechende Druckereikapazitäten Platz mehr.14 für die Herstellung der Parteizeitungen frei.11 Nun erst, mit dem Wiedererscheinen der soziali­ Jene, die sich auf „Schleichwegen“ Papier besorgen stischen Arbeiter-Zeitung und des Kiemen Volks­ und ohne die Papierverwendungsgenehmigung blattes der ÖVP kommt wieder „Leben in den Druckwerke auf den Markt bringen, werde man Teich“ ,12 so Jacques Hannak über die Wieder­ sich „genau ansehen“, kündigt er an. Strafbar geburt der Parteipresse. Damit nicht genug, bil­ würde sich aber nicht nur machen, wer illegal Pa­ det das proporzmäs- pier zur Verfügung stellt, sondern auch sig mit Oskar Hel­ die Druckereien, die Druckwerke an­ mer (SPÖ), Edmund Man machte sich den fertigen, ohne sich zu vergewissern, ob Weber (ÖVP) und herrschenden Papiermangel dafür die Genehmigung erteilt wurde. Erwin Zucker-Schil­ zunutze, um die Presselandschaft Diese Vorgehensweise erinnert frei­ ling (KPÖ) besetzte zu kontrollieren lich eher an die absolutistischen Prak­ Dreierkomitee in der tiken des Habsburgerstaates, die man Folge selbst einen jahrzehntelang selbst zu spüren be­ Beirat zur Vergabe von Papierverwendungsge­ kommen hat, als an die Befreiung von solchen nehmigungen. In der ersten Sitzung am 14. Sep­ Fesseln, wie man sie immerzu gefordert hat. Die tember 1945 erteilt der Beirat die Genehmigung SPÖ beginnt sich mit den Machtmitteln, die der neben den Parteizeitungen diversen amtlichen Staat bietet, anzufreunden. Worauf man aller­ und Körperschaftsorganen. Ausgeschlossen blei­ dings nach wie vor keinen Einfluß hat, sind die ben unabhängige Zeitungen, die auf privatwirt­ von den Besatzern herausgegebenen Zeitungen, schaftlicher Grundlage stehen. Man macht sich insbesondere die Blätter der westlichen Besatzer, den herrschenden Papiermangel zunutze, um die als Keimzelle des Nachkriegsboulevards be­ die Presselandschaft zu kontrollieren. In der So­ griffen und als solche im Rahmen des Mögli­ zialdemokratie erblickt man die Gelegenheit, chen bekämpft werden.15 die seit über einem halben Jahrhundert erbittert bekämpfte Kommerzpresse endgültig zu unter­ Als wichtigstes Gegenmittel wird die altbewährte drücken. Auf der Grundlage eines Beschlusses, Gesinnungspresse wiederbelebt. Die klassische wonach zur Herstellung von Zeitungen, Zeit­ austromarxistische Volksbildner-Tradition, der schriften, privaten Reklameschriften und An­ sich vor allem die Arbeiter-Zeitung verpflich­ zeigenblättern eine Bewilligung zur Verwen­ tet fühlt, erfährt durch die fatalen Kriegsfolgen 6 dung von Papier durch das Staatsamt des In­ eine gehörige Aufwertung: „Alle geistigen Werte neren nötig sei, wird die Genehmigung, so Un­ und die Schätzung der Bildung selbst“ sieht man terstaatssekretär Oskar Helmer, nur dann erteilt, als „nahezu vernichtet.“ 16 * Die sozialistische „wenn die zur Herausgabe beabsichtigte Druck­ Medienpolitik steht dadurch kurzfristig wieder schrift staatswichtig ist und den Bedürfnissen im Zeichen der Mobilisierung eines geistig ver­ der österreichischen Presse entspricht.“ 13 Hel­ elendeten Massenproletariats. Die Arbeiter-Zei­ mer hat bezüglich der künftigen Entwicklung tung steht gleichsam sinnbildlich für diesen Kurs,

10 s. Sonja Wenger: Der „ Verband Österreichischer 13 Oskar Helmer: Pressefreiheit und Papierverbrauch; Zeitungsherausgeber “ 1945 -1955. Sozialpartner­ in: Neues Österreich, 11. Oktober 1945. schaftliche Medienpolitik am Beginn der Zweiten Republik, Wien 1993, S. 31. 14 ebd. 11 s. Liwanec: Information. Presse, Rundfunk, Liwanec: Infonnation, Presse, Rundfunk, Fernsehen Fernsehen, Wochenschau, S. 53. Wochenschau, S. 118. 12 Hannak: Die Zeitung - Opium oder Heilmittel? a. a. 16 Wolfgang Speiser: Wiener Volksbildung - gestern, O., S. 328. heute, morgen; in: Zukunft, H. 13/14, Jg. 1966, S. 28. den sie schon in ihrer ersten Nummer am 5. Au­ zialisten aus dem Jahr 1934; die gust 1945 unmißverständlich postuliert hat: Option von der Diktatur des Pro­ letariats sei unter den gegebenen Umständen Furchtbar sind die Verwüstungen, die Krieg und Fa­ schismus auf intellektuellem und moralischem Ge­ überholt.19 Klassenkampf tritt hinter Staatsrä­ biet hinterlassen haben. Eine ganze junge Genera­ son zurück. tion ist geistig unterernährt und verkrüppelt heran­ gewachsen. Eine moralische Verlotterung, wie sie ie strikte antikommunistische Haltung der vordem unerhört war, hat breite Volkskreise ohne Un­ DSozialisten bringt am Vorabend des Kal­ terschied der Klasse erfaßt. Eine gewaltige Erzie­ ten Krieges den endgültigen Bmch mit den öster­ hungsarbeit harrt unser.17 reichischen Kommunisten. Von Anfang an als Die Fordemng nach einer gesinnungstreuen Par­ Agenten Stalins mißtrauisch betrachtet, scheidet teipresse klassischen Typs scheint in Anbetracht die KPÖ 1947 aus der Konzentrationsregiemng dessen die einzig richtige zu sein; eine Presse, die aus. Bezeichnend, daß auch Emst Fischer als sich als Trägerin sozialistischer Bildung ver­ Chefredakteur des Neuen Österreich jetzt, da steht und auf möglichst großer Basis wirkt. Die die Zeit der demokratischen Einigung zu Ende demokratisch-sozialistische Gesellschaftsvision, geht, gehen muß. Er klagt öffentlich an: die man zu realisieren bestrebt ist, werde sich, so glaubt man, durch massenmediale Volkserzie­ Jene Parteipolitiker, die meine Abberufung verfügen, hung realisieren lassen. sprechen sehr viel von Meinungsfreiheit, von Demo­ kratie. Es hat sich nun gezeigt, wie wenig ernst es ih­ An der Spitze der Arbeiter-Zeitung steht Oscar nen mit diesen Worten ist, wie sehr sie in ihrem Macht­ Pollak, der das Blatt schon in der Ersten Repu­ bereich die Freiheit der Persönlichkeit mißachten. blik geleitet hat und es seit September 1945 Sie haben die Freiheit durch den,Proporz ‘ verdrängt. abermals als Chefredakteur führt. Pollak will Sie fordern als Mehrheit, daß ihnen die Minderheit ge­ „die gesamte Pressearbeit der Partei unter seiner horche. Aus dem Kostüm der Demokratie schält sich Leitung und auf die Arbeiter-Zeitung konzen­ das autoritäre Gerippe...20 triert sehen“, die „Konzeption des Neuen Öster­ reich als Drei-Parteien-Blatt“ 18 ist ihm ein Dom Opposition scheint wenig erwünscht, schon gar im Auge... nicht in kommunistischem Gewand. Waren die Kommunisten angesichts der sowjetischen Be­ Nach den ersten Nationalrats wählen der Zwei­ satzungsmacht anfangs der Schlüssel zur natio­ ten Republik am 25. November 1945 formiert sich nalen Konzentration, so gelten sie jetzt, unter eine reguläre Konzentrationsregierung aus ÖVP, den Vorzeichen des Kalten Krieges, als deren SPÖ und KPÖ. Der Geist der „demokratischen Schwachstelle, als Gefahr für die intendierte Einigung“ scheint indes verflogen; insbeson­ staatliche Souveränität. Für Jacques Hannak war dere von Seiten der SPÖ wird die KPÖ, der man das Neue Österreich, nachträglich gesehen, „al­ eine sowjetisch orientierte Volksdemokratie in­ les eher als österreichisch zuverlässig“,21 22 nach­ stallieren zu wollen unterstellt, bekämpft. Dahinter dem Kommunisten an verantwortlichen Po­ verbirgt sich der Versuch, einen allfälligen Auf­ sitionen gesessen seien, und für Adolf Schärf stieg einer zweiten Partei im sozialistischen La­ war dessen Nachrichtenwert schlichtweg 7 ger zu unterbinden. Die Einheit der Arbeiterbe­ kommunistisch filtriert“.22 * Fischer verwehrt wegung ist seit Hainfeld die Losung, eine Losung, sich jedoch gegen die erhobenen Vorwürfe: die damals freilich gegen die Regiemng gerichtet war, nun aber in Richtung eigener Regierungs­ Ich habe keineswegs gefordert, daß das ,Neue Öster­ mehrheit zielt. Vor dem Hintergrund dieses be­ reich ‘ in Opposition zu den Regierungsparteien trete. dingungslosen Willens zur Regiemng opfert die Ich habe nur verlangt, daß auch die Gedanken, auch SPÖ klassische ideologische Fordemngen. Der Vizekanzler Adolf Schärf relativiert am Partei­ 19 s. Adolf Schärf: Österreichs Erneuerung 1945-1955, tag des Jahres 1947 das bisher gültige, austro- Wien 1955, S. 180. marxistische Linzer Programm von 1926 sowie 20 Emst Fischer in Neues Österreich vom 6. Dezember die Prinzipienerklärung der Revolutionären So- 1947, zit. n.: Fischer, S. 100. 21 Hannak: Die Zeitung - Opium oder Heilmittel? a. a. O., S. 328. 17 Arbeiter-Zeitung, Nr. 1 vom 5. August 1945, S. 1. 22 Adolf Schärf: Zwischen Demokratie und Volksdemo­ 18 Feldinger: Parteien und Parteipresse, S. 29. kratie, Wien 1950, S. 88. die Argumente der Opposition in die­ Akteure, macht aus dem Brecht "sehen Plenum ser Zeitung zu Worte kommen, daß eine Kanzel für die Regierenden. diese Zeitung - die einzige in Wien - den Leser sach­ lich und objektiv über das Für und Wider in ent­ Wenig erfreut zeigen sich die parteiunabhängi­ scheidenden Fragen informiere, daß sie nicht mit der gen Zeitungen gegenüber solchen Ambitionen der Politik der Regierungsparteien gleichgeschaltet seiP Regierung, über das politische Procedere hin­ aus auch dessen Veröffentlichung - ob durch Mit dem Ausscheiden der Kommunisten aus der den Rundfunk oder die parteinahen Zeitungen - Regierung schrumpft die Konzentrationsregie­ zu kontrollieren. Man verwehrt sich dagegen, rung zur Koalitionsregierung. Das Neue Öster­ aus der politischen Berichterstattung hinausge­ reich reduziert sich, den veränderten Umstän­ drängt zu werden. Auf die Kritik der Zeitungen, den gemäß, zum Koalitionsblatt.23 24 die sich, nicht zu Unrecht, von der Regierung unterdrückt fühlen, reagiert Pittermann mit dem Im Sinne der herrschenden Vorstellung, wonach Grundsatzpostulat eines Primats der Parteien Medien lediglich als Foren der staatspolitischen gegenüber der Presse: Selbstdarstellung dienten, ist auch der Vorschlag des Sekretärs des sozialistischen Parlaments­ Man möge daher auch einmal in den Kreisen der klubs und späteren Parteivorsitzenden Bmno Pit­ Presse zur Kenntnis nehmen, daß die Parteien in ei­ termann zu verstehen, den ohnedies schon re­ ner demokratischen Republik nicht ein vorüberge­ gierungsnah organisierten Rundfunk für eine Art hendes, ein bald abzuschaffendes Übel, sondern die kontrollierter Parlamentsberichterstattung her­ Grundlage des demokratischen Lebens sind!26 27 anzuziehen: „Ich kann mir vorstellen,“ sagt er 1947 im Zuge einer Rede vor dem Nationalrat, Freilich richtet sich die Pressekritik in ihrem Kern weniger gegen die Parteien an sich, als ge­ daß man auch das moderne Mittel des Rundfunks für gen das Urheberrecht auf das politische Proce­ die Gesetzgebung und für das Haus der Gesetzge­ dere, das die Regierungsparteien einfordem; es bung mehr in Anspruch nehmen könnte. Ich kann mir geht um die Monopolisierung der Politik, viel­ ohne weiteres vorstellen, daß man etwa nach einer mehr gegen eine solche, wie sie durch die zu­ interessanten Debatte im Parlament die regelmäßige nehmende Miteinbeziehung abhängiger Medien Radiosendung ,Echo des Tages' dazu benützt, um den in die Regierungsaktivität zweifellos droht. Übe­ Sprechern der politischen Parteien Gelegenheit zu raus illustrativ für solche Ambitionen ist neben geben, dort vor dem Mikrophon den in der Debatte im Pittermanns Plänen auch eine Stellungnahme Haus zum Ausdruck gekommenen Standpunkt des konservativen Bundeskanzlers nochmals in gedrängter, wenn vielleicht auch spitzi­ anläßlich einer Ministerratssitzung im Jänner ger oder satirischer Form darzustellen.25 * 1948:

Dieser Vorschlag steht in bescheidener Anlehnung Ich habe den Bundespressedienst angewiesen, an der an Brecht "sehe Radioutopien, wonach der Propaganda für die Regierungsmaßnahmen aktiv mit­ Rundfunk das Parlamentsplenum für die ge­ zuwirken, ich muß aber bitten, daß die beiden in der 8 samte Bevölkerung sein könne, wohl aber Regierung vertretenen Parteien auf ihre Presse hin­ in stärkerer Anlehnung an jahrhundertealte wirken, daß sie den Anregungen des Bundespresse­ staatliche Verlautbarungstraditionen, wie sie in dienstes auch tatsächlich Folge leisten. Es soll dies kein Österreich existieren. Man begreift den Rundfunk Dirigieren der Presse sein, sondern bloß ein Zutyer- nicht als Forum des politischen Diskurses - etwa fügungstellen des Materials, wobei allerdings dafür durch Live-Übertragungen aus dem Parlament -, Sorge getragen werden müßte, daß dieses Material auch sondern lediglich als Sprachrohr der politischen verwertet wird.21

23 Emst Fischer in Neues Österreich vom 6. Dezember 1947; zit. n.: Fischer, S. 101. 26 Pittermann: Rede im Nationalrat am 11. Dezember 24 s. Liwanec: Information. Presse, Rundfunk, 1947, a. a. O., S. 75. Fernsehen, Wochenschau, S. 81. 27 Leopold Figl: 95. Sitzung des Ministerrates vom 13. 23 : Rede im Nationalrat am Jänner 1948, Beilage A. Bericht des Herrn Bundes­ 11. Dezember 1947: Das Wesen der Parteien; in: Ders.: kanzlers für den Ministerrat vom 13. Jänner 1948 Das Zeitalter der Zusammenarbeit. Reden aus zwei betreffend Bundespressedienst, S. 2 und S. 5; zit. n.: Jahrzehnten, Wien 1966, S. 74. Feldinger: Parteien und Parteipresse, S. 93. Diese Presselenkung gemahnt ebenfalls an kai­ Neuerlich tritt die Arbeiter-Zeitung serliche Zeiten, da die Regierung über eigene für Befreiung ein und gegen Macht­ Regierungsorgane die Öffentlichkeit unterrich­ haber auf. Der einmalige Erfolg, der ihr dadurch tete und die unabhängigen Zeitungen einfach beschieden ist, täuscht aber darüber hinweg, daß umging. Einen solchen Zustand, in dem sich sich die politische Problemlage in einem prin­ eine ohnehin oppositionslose Regierung auch zipiellen Wandlungsprozeß befindet. Erst nach Ende auf eine offiziöse und quasi-monopolisierte Me­ der Besatzungszeit wird dies offenbar werden, dienlandschaft stützen könne, gilt es seitens der wird sich zeigen, daß der klassische Typ Kampf­ parteiunabhängigen Zeitungen natürlich mit al­ blatt ausgedient hat.29 Denn längst geht es den len Mitteln zu verhindern; zum einen, weil ein politisch Verantwortlichen nicht mehr um Klas­ solcher Zustand die österreichische Demokra­ senkampf gegen den Staat als Inbegriff der kon­ tie in ein bedenkliches Licht tauchen würde, und servativen Gesellschaftsordnung, sondern, ganz zum anderen, weil er den Zeitungen jegliche im Gegenteil, darum, die Besatzung zu beenden, Existenzgrundlage nähme. um einen Staat nach eigenen Vorstellungen auf­ zubauen. Klassenkampf ist endgültig passe, nach­ Die intendierte Vereinnahmung der Parteipresse dem man sich seitens der Partei mit dem einsti­ für die Regierungsgeschäfte geht aber ohnehin gen Klassenfeind, der ÖVP, im Zeichen der Zwei­ nicht reibungslos vor sich. Im sozialistischen ten Republik politisch arrangiert hat,30 was Lager zeichnet sich ein folgenschwerer Kon­ schließlich den prinzipientreuen Sozialisten flikt zwischen dem ideologischen Anspruch Pollak selbst in Bedrängnis bringt: früherer Tage, vertreten durch Poliaks Arbeiter-Zeitung, und den neuen Re­ „Es war von An­ gierungszwängen ab, der Jahre später Die intendierte Vereinnahmung fang an Poliaks noch offen zum Ausbruch kommen wird. der Parteipresse fü r die Ehrgeiz,“ schreibt Regierungsgeschäfte geht aber Alois Piperger Oscar Pollak macht indessen aus der ohnehin nicht reibungslos vor sich später über seinen Arbeiter-Zeitung wieder das sozialisti­ Chef, sche Presseorgan, ein kämpferisch auf­ tretendes Blatt, ideologisch profiliert, vor allem nicht nur kühn und unerschrocken gegen die Willkür aber aufbegehrend gegen die Willkür der Be­ der Besatzungsmächte anzukämpfen, sondern gerade satzer, vornehmlich jene sowjetischer Herkunft. in der Zeit der unerläßlichen Zusammenarbeit der Die Unbekannten, die sich diverser Übergriffe auf Sozialistischen Partei mit der konservativen Volks­ die Bevölkerung schuldig machten, brandmar­ partei, die manches Opfer und manchen Verzicht er­ kend, gerät Poliaks Arbeiter-Zeitung zur Zei­ forderte, den guten, alten Kampfgeist wachzuhalten tung, die sich was traut. Abgesehen davon, daß und jetzt erst recht immer und immer wieder die so­ man der verbreiteten antikommunistischen Hal­ zialistischen Grundsätze zu verfechten. Das hat ihn, tung frönt, scheint es, als knüpfte die Arbeiter­ bei all dem großen Vertrauen, das er genoß, fallweise zeitung an ihre Tradition als Kampfblatt an, in Konflikt mit der Parteiführung gebracht.3I 32* wenn sie gegen die übermächtigen (sowjeti­ schen) Besatzer Stellung bezieht und insofern Und letztendlich, muß man hinzufügen, ihn 9 für die junge Republik eintiitt. Insoweit ist ihr die selbst als sozialistischen Redakteurs-Ar­ Zustimmung der sozialistischen Staatspolitiker chetyp zum Stein des Anstoßes gemacht.32 * Denn auch gewiß. Anläßlich ihres 60jährigen Be­ standsjubiläums im Jänner 1949 wird ihr dies 28 Adolf Schärf: Wortführerin der Partei; in: Arbeiter­ vom sozialistischen Parteivorsitzenden und Vi­ zeitung vom 1. Jänner 1949. zekanzler Adolf Schärf feierlich honoriert: 29 s. Peter Pelinka/Manfred Scheuch: 100 Jahre AZ. Die Geschichte der Arbeiter-Zeitung, Wien - Zürich 1989, S. Was sie in ihren Anfängen unter Victor Adler aus­ 148. zeichnete, die Unerschrockenheit im Kampf gegen 30 s. Feldinger: Parteien und Parteipresse, S. 136. behördliche Willkür und Allmacht, das überbietet sie 31 Alois Piperger: Zu meiner Zeit. Ein Leben im Spiegel in der zweiten Republik, unter ungleich schwierige­ unseres Jahrhunderts, Wien - Köln - Graz 1988, S. 326. ren Verhältnissen, in der Bekämpfung der Unfreiheit 32 s. Theodor Venus: „ Wir sind wieder da Eine Doku­ mentation zur sozialistischen Pressepolitik in Österreich und der Knebelung, die uns ein Regime der Vier­ zu Beginn der Zweiten Republik; in: Medien & Zeit mächtebesetzung auferlegt,28 4/1991, S. 17. ein Freiheitskampf gegen ein Re­ keit von systematischer Verstaatlichung und gime wird vollends obsolet als die planmäßigem Ausbau als Grundlage der künf­ Besatzer abziehen, die Partei hingegen Bestand­ tigen demokratisch-sozialistischen Gesellschaft teil des herrschenden Systems bleibt. überzeugt.34 35 Ihm wird die Formel vom „Klas­ senkampf von der Regierungsbank aus“ nach­ Oscar Pollak wird letztlich abgelöst, weil er für gesagt; Sozialismus und Staat scheinen nicht einen klassischen Typ Kampfpresse steht, der mehr unvereinbar, die Verstaatlichung wird als nicht nur in der Leserschaft, sondern auch in effektive Möglichkeit begriffen, die kapitali­ der Parteiführung zusehends weniger Resonanz stisch-bürgerliche Gesellschaft mittelfristig zu findet. Nachdem die Republik wieder souverän überwinden - und zwar auch mit Hilfe von Me­ und die Sozialdemokratie staatstragend verankert dien. Der klassische Erziehungsanspruch der ist, bedarf es eher eines gefügigen Sprachrohrs. SPÖ fügt sich in die zentralistische Disposi­ Die Folge ist eine Umklammerung durch die tion, in die sie sich seit Kriegsende*gesetzt sieht. Partei, an der die sozialistische Presse zuletzt Medienpolitik von oben - von Staats wegen: zu ersticken droht. „Denn Wissen ist Macht“, wie Willi Liwanec sagt:

Der revolutionäre Anspruch der SPÖ verliert Das haben gerade die Sozialdemokraten immer auf sich zusehends. Von der Parole der Enteignung ihr Banner geschrieben. Seine Vermittlung jedoch des Großkapitals bleibt die Formel von der Ver­ ist die vielleicht noch größere Macht. Denn sie kann staatlichung der das Wissen lenken, manipulierend Schlüsselindustrien. Zu den sogenannten Man ist nicht gewillt, Man ist nicht gewillt, die Instrumente Schlüsselindustrien die Medien aus der Hand zu geben der Wissensvermittlung - die Medien zählt man auch Me- bzw. ihnen eine unabhängige - aus der Hand zu geben bzw. ihnen dienunternehmen Entfaltung zu ermöglichen eine unabhängige Entfaltung zuzu­ wie den Österreichi­ gestehen. Die parteieigene Presse, so schen Rundfunk. die Folgerung, sei im Sinne der ei­ Eine Schlüsselrolle kommt dabei dem Soziali­ genen Regierungsaktivitäten zu führen, die un­ sten Karl Waldbrunner zu, der jahrelang in der abhängige zu unterdrücken und die audiovisu­ Sowjetunion gearbeitet, für die Regierung Ren­ ellen Medien wie Rundfunk und Wochenschau, ner als österreichischer Gesandter in Moskau die mehr und mehr in den Vordergrund treten, gewirkt und dort offenbar auch so manche An­ sich aber durch den Widerstand der ÖVP nicht regung hinsichtlich eines staatlichen Medien­ gänzlich unter sozialistische Obhut stellen las­ systems empfangen hat. Wieder im Land, wird sen, sollen organisatorisch zumindest unter Waldbrunner wegen seiner „ausgezeichneten großkoalitionärer Regierungskontrolle stehen. Beziehungen zu sowjetischen Stellen“ eine Be­ 1949 wird die -Wochenschau als Ge­ raterfunktion im zentralen Parteisekretariat der sellschaft mit beschränkter Haftung, die zum SPÖ „in allen Wirtschafts- und Verstaat­ überwiegenden Teil dem Bund gehört, ins Le­ lichungsangelegenheiten“33 übertragen. Ab ben gerufen. Ihre Leitung setzt sich im politischen 10 1949 firmiert Waldbrunner als Bundesmi­ Proporz zusammen, ihr Auftrag liegt in der „po­ nister für Verkehr und Verstaatlichte Be­ sitiven Berichterstattung über Österreich", sie ver­ triebe, ein Ressort, das auch die Rundfunkent­ tritt „staatspolitische Interessen“34 3536 * und wird, wicklung nachhaltig prägt.

Für Waldbrunner repräsentiert Verstaatlichung 34 s. Karl Ausch: Von der Massenarbeitslosigkeit zur nicht bloß eine kurzfristige wirtschaftspoliti­ Vollbeschäftigung; in: Hannak (Hg.): Der Weg ins Heute. sche Maßnahme, die österreichische Wirtschaft Zwanzig Jahre Zweite Republik, Wien 1965, S. 25 ff. durch die Beistellung unterpreisiger Grund­ 35 Liwanec: Information. Presse, Rundfunk, Fernsehen, stoffe wiederaufzurichten, sondern ein ideolo­ Wochenschau, S. 19. gisches Instrument von grundsätzlicher Be­ 36 Gesellschaftsvertrag vom 10. Juni 1949, Protokoll deutung. Waldbrunner ist von der Notwendig- der 1. Aufsichtsratssitzung vom 5. April 1950; zit. n.: Herbert Hayduck: Die Organisationsstruktur der Austria- Wochenschau. Das Weltgeschehen in der Kinowelt; in: Hans Petschar/Georg Schmid: Erinnerung & Vision. Die 33 Sozialistische Korrespondenz vom 9. November Legitimation Österreichs in Bildern. Eine Analyse der 1946, S. 1 f. Austria-Wochenschau 1949-1960, Graz 1990, S. 160. wie es heißt, „primär als politisches Propagan­ Angestrebt wird die 100%ige Durch­ damittel verwendet“.37 dringung; wo dies nicht möglich ist, will man zumindest die 50%ige Durchdringung, d.h. Als Verkehrsminister ist Waldbrunner auch für die Teilung des Einflusses mit der ÖVP;für die dritte den Rundfunk zuständig, als Verstaatlichtenmi- Möglichkeit, daß es einen politiklosen Raum gibt, in nister versucht er jenen im Sinne des sozialisti­ dem weder ÖVP noch SPÖ präsent sind, ist in der schen Verstaatlichungsdogmas zu organisieren. sozialistischen Vorstellungswelt kein Platz.42 Er unterbreitet dem Ministerrat den Plan, eine Österreichische Rundfunkverwaltung (ÖRV) ins Koalition und Gegenöffentlichkeit Leben zu rufen, der seitens der Bundesländer aber seiner zentralistischen Tendenz wegen en­ edingt durch Wahlergebnisse, die keiner ergisch bekämpft wird. Eine derartige Regelung Bder beiden großen Parteien eine Alleinre­ würde dem Verkehrsministerium einen „gera­ gierung ermöglichen, entwickelt sich die Große dezu autoritären Einfluß auf das Rundfunkwe­ Koalition zwischen ÖVP und SPÖ zu einem be­ sen“ einräumen, wird argumentiert.38 1955 legt stimmenden Merkmal der politischen Land­ Waldbrunner einen Gesetzesentwurf vor,39 der als schaft im Nachkriegs-Österreich. Die Motivation Organisationsform des Rundfunks eine mono­ für die Proporzdemokratie, wie das österreichi­ polistische Anstalt öffentlichen Rechts vorsieht. sche Zweiparteiensystem auch genannt wird, ist Allerdings scheint auch die Motivation dafür es, die historische Polarität zwischen den bei­ nicht die gesellschaftliche Öffnung des Medi­ den großen Lagern zu überwinden. Nicht, wie in ums zu sein, denn taktisches Kalkül, mit dem der Ersten Republik, gegeneinander, sondern Ziel, den zentralistischen Charakter zu erhalten. nur miteinander, unter Erhaltung der politischen Das Monopol erteilt eine klare Absage gegenü­ Initiative, könne Fortschritt entstehen, lautet ber diversen Föderalisierungsbestrebungen der auch und vor allem die Maxime der SPÖ. Wo­ (zumeist von ÖVP-Vertretern regierten) Bun­ bei unter Miteinander bis auf weiteres eine pro­ desländer, die als Erbe aus der Besatzungszeit über portionale Besetzung leitender Stellen verstan­ eigene Rundfunkstudios verfügen.40 Daß man den wird. Man will in allen öffentlichen Ein­ den Rundfunk nicht in die Autonomie zu ent­ richtungen, worunter auch Medienuntemehmen lassen gedenkt, zeigt sich auch daran, daß es wie der Österreichische Rundfunk fallen, „ein diesem Entwurf zufolge dem Verkehrsminister der politischen Stärke der Arbeiterbewegung persönlich obüegen soll, die Mitglieder des höch­ entsprechendes Gewicht“43 erlangen, auch wenn sten Organs, der Rundfunkkommission, als de­ man dafür von der parteiunabhängigen Presse ren Vorsitzender er zugleich fungieren will, zu des „persönlichen Machthungers“, der „Partei­ ernennen und auch abzuberufen.41 Der Verstaat- dienerei“, des „Postenhandels“ oder der „Par­ lichtenminister als Schirmherr des Rundfunks! teiprotektion“ geziehen wird.

Von Gottfried Heindl wird der sozialistische Der Proporz prägt - nicht als einmütige ultima Standpunkt Jahre später in den Österreichischen ratio, aber als funktionaler Ausweg aus der po­ Monatsheften folgendermaßen charakterisiert: litischen Pattstellung - bald auch den Medien­ sektor. Das Neue Österreich mutiert nicht 11 Die Rundfunkvorschläge der SPÖ (und nicht nur ihre allzu lang nach Kriegsende zum Blatt einer Rundfunkvorschläge, sondern auch ihre Vorschläge koalitionären Einigung, und auch der Versuch, für die verstaatlichte Industrie, das Budgetrecht usw.) die Parteipresse beider Lager sowie die ins Le­ beruhen auf der These, daß Partei und Staat iden­ ben gerufene Austtia-Wochenschau für den Wie­ tisch sind, und daß die Politik daher das Recht hat, alle deraufbau zu instrumentalisieren, zeugt von die­ Bereiche des öffentlichen Lebens zu durchdringen. sem pragmatischen Kompromiß. Am stärksten, jedenfalls am nachhaltigsten, tritt das koali-

37 Protokoll der 5. Aufsichtsratssitzung vom 10. Juli 1951; zit. n.: Hayduck, a. a. O., S. 160. 38 Die Radio-Woche, H. 24/1952, S. 4. 42 Gottfried Heindl: Rundfunk und Partei; in: Österrei­ chische Monatshefte, September 1964, H. 9, 20. Jg., S. 25. 39 s. Feldinger: Nachkriegsnmdfunk in Österreich, S. 174 f. 43 Rupert Zimmermann, Leiter der Personalabteilung 40 s. Josef Kaut: Der Rundfunk und die Bundesländer; im Bundeskanzleramt, Sektion IV - Verstaatlichte Unter­ in: Zukunft, H. 4, Jg. 1964, S. 14. nehmungen; zit.n.: Totaler Proporz? in: Österreichische 41 s. Feldinger: Nachkriegsrundfunk in Österreich, S. 174. Monatshafte, H. 3, März 1966, 22. Jg., S. 37. tionäre Organisationsprinzip im sozialistisch besetzten Verkehrsministeriums ge­ wechselvollen Werdegang des löst und dem Bundeskanzleramt Julius Raabs Österreichischen Rundfunks zutage. Nachdem man unterstellt.47 Eine endgültige Entscheidung ist regierungsintem zu keinem Konsens hinsicht­ damit aber noch nicht gefallen; ein proporz­ lich der künftigen Rechtsgrundlage des Rundfunks mäßig besetztes Minister-Komitee berät, wie es findet, bleibt er lange Zeit hindurch proviso­ weitergehen soll. 1958 erfolgt als koalitionärer risch unter Öffentlicher Verwaltung ausgespro­ Kompromiß die Gründung einer vordergründig chen staatsnah organisiert, wobei der Proporz privatrechtlichen Rundfunk Ges.m.b.H., über die schon in das Provisorium eindringt, als 1952 Hermann Stöger, seines Zeichens Kurier-Re­ ein zweiter öffentlicher Verwalter bestellt wird;44 dakteur und Mitinitiator des nachmaligen „Rund­ eine Premiere im übrigen, der noch vielfach funk-Volksbegehrens“, resümiert: „Praktisch ist Doppelbesetzungen folgen. also die Republik der Inhaber der Gesellschaft, allerdings als Privatunternehmer4.“48 Günther Auf konservativer Seite sieht man die soziali­ Nenning spricht hinsichtlich dieser Form von stischen Ambitionen mit Sorge, plädiert alsbald Rundfunkorganisation von „Verstaatlichung mit für „Unabhängigkeit“ des Rundfunks und ruft nach privatrechtlichem Feigenblatt“.49 „Entpolitisierung“. Gerhard Freund, der sozia­ listische Femsehdirektor, weist diese Forderung Die Regierung zeigt sich nach wie vor bestrebt, jedoch als fadenscheiniges Argument energisch den Rundfunk zu kontrollieren und seine Ent­ zurück: lassung in echte Unabhängigkeit zu verhindern. Stöger nennt die Rundfunk-Ges.m.b.H. dann Der Rundfunk war seit seiner Geburtsstunde, in wel­ auch ein „Danaergeschenk des Proporzgeistes“.50 cher Form auch immer, eine Domäne der Konserva­ Ein Minister-Komitee, bestehend aus dem Kanz­ tiven, in der der CV die gleiche Rolle spielte wie im ler, dem Vizekanzler, dem Verkehrs- und dem Staatsdienst. Es gab darüber keine Diskussion, es Unterrichtsminister vertritt die Republik in der war wie in allen konservativen Reservaten selbst­ Generalversammlung; Beschlüsse werden ein­ verständlich, daß es sich überall nur um Fachleute han­ stimmig gefaßt: damit, so Stöger, wird „der Pro­ delte. Als späterhin die Arbeiterbewegung in der Lage porz Herr der Generalversammlung“.51 war, Fachleute hervorzubringen (...), entstand das Schlagwort von der Verpolitisierung, vom totalen Den außenstehenden Kritikern wie dem Kurier- Proporz: Wenn daher mit viel Mühe und Ausdauer - Redakteur Stöger stehen intern natürlich vehe­ und natürlich nur immer auf der Basis der jeweili­ mente Verfechter des großkoalitionären Kon- gen Wahlerfolge - Breschen in die konservativen trollsystems gegenüber. Domänen geschlagen wurden, dann war plötzlich die Unabhängigkeit gefährdet, die Demokratie wurde „Der Proporz“, schreibt etwa Ellinor Langer in verletzt und man rief nach Entpolitisierung.45 der Zukunft,

Anders als es die nach außen hin zur Schau ist eine Form der Zweiparteienregierung, die in Öster­ getragene koalitionäre Einigkeit vermuten reich seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges geübt 12 ließe, toben hinter den Kulissen erbitterte wird. Es ist unverständlich, warum es ausgerechnet Machtkämpfe. Es vollzieht sich ein andau­ den im Rundfunk tätigen Angestellten und freien Mit­ erndes „Kopf-an-Kopf-Rennen“ der beiden Ko­ arbeitern verwehrt sein soll, einer der beiden Regie­ alitionspartner um die Vorherrschaft im Rundfunk.46 rungsparteien als Mitglied anzugehören, bezie­ hungsweise, warum man diese Tatsache so übel ver­ Nach den Nationalrats wählen des Jahres 1956, m erkt52 aus der die ÖVP als Gewinnerin hervorgeht, werden die Verstaatlichungsagenden und somit 47 s. Feldinger: Nachkriegsrundfunk in Österreich, S. 171. auch der Rundfunk aus der Zuständigkeit des 48 Stöger: Schwarze Welle - Roter Schirm, S. 33. 49 Günther Nenning: Rundfunk in demokratischer 44 s. Feldinger: Nachkriegsrundfunk in Österreich, S. Selbstverwaltung; in: Zukunft, H. 3, Jg. 1964, S. 15. 166. 30 Stöger; Schwarze Welle - Roter Schirm, S. 32. 43 Gerhard Freund: Schmutz im eigenen Nest; in: 51 Stöger: Schwarze Welle - Roter Schirm, S. 33. Zukunft, H. 3, S. 10, Jg. 1964, S. 13. 32 Ellinor Langer: Der Rundfunk ist schon etwas; in: 46 Stöger: Schwarze Welle - Roter Schirm, S. 9. Zukunft, H. 3, Jg. 1964, S. 16. Und, auf den Punkt gebracht: Diese Aktivitäten der Zeitungs­ leute gelten zwar dem Rundfunk, Der Rundfufik ist ein viel zu bedeutendes Massenbe­ weisen in ihrer Bedeutung aber weit darüber einflussungsmittel, als daß man die politische Zu­ hinaus. Der Protest beinhaltet ein grundsätzli­ gehörigkeit der leitenden Angestellten dem Zufall ches Plädoyer für eine partei- und regierungs­ überlassen dürftet unabhängige Medienlandschaft. Der klassischen Parteipresse als bislang wichtigster Übermittle­ Allerdings geht es den Kritikern nicht bloß um rin des politischen Prozesses gegenüber, eta­ etwaige Parteizugehörigkeit der Mitarbeiter, bliert sich in der unabhängigen Presse ein Kon­ sondern auch darum, zu verhindern, daß der trahent, der für sich im Sinne einer pluralisti­ Rundfunk, dieses „wichtigste aller modernen schen Medienlandschaft ebenfalls demokrati­ Massenbeeinfhissungsmitter, wie es heißt, zur sche Bedeutung reklamiert und die herrschende monopolistischen Propagandamaschinerie der Autokratie und mit ihr bisweilen die beiden Ko­ Regierung würde, einer Regierung, die, insbe­ alitionsparteien selbst scharf kritisiert. Die groß- sondere von sozialistischer Seite, nur wenig In­ koalitionäre Medienpolitik habe, laut direkt Be­ teresse an parlamentarischer Opposition sowie troffenen wie Fritz Molden oder Hans Dichand, der Entfaltung einer freien Medienland­ lange Zeit hin­ schaft gezeigt hat. Es geht ihnen um die durch die Entste­ Rolle der unabhängigen Presse als Ge­ Der Protest beinhaltet ein hung einer freien genpol der Regierung im politischen Pro­ grundsätzliches Plädoyer für Presselandschaft zeß und nicht zuletzt auch um ihr eige­ eine partei- und regierungs­ unterbunden: nes wirtschaftliches Überleben in einer unabhängige Medienlandschaft zusehends in Regierungsabhängigkeit „Es hat sich ge­ geratenden Medienlandschaft. Die Kri­ zeigt,“ so der tiker drängen schließlich auch deshalb nach Re­ Presse-Herausgeber Molden, form, weil sich die Bedingungen am Werbe­ markt durch das expandierende Fernsehen ver­ daß in den vergangenen Jahren die Vertreter der po­ schärfen; eine ihrer Forderungen im „Rundfunk- litischen Parteien immer wieder alles getan haben, um Volksbegehren“ wird die Beschränkung der Fem- die Entwicklung einer freien, nicht parteigebunde­ seh-Werbezeit sein. nen Presse zu hemmen, vor allem dadurch, daß man ihr a priori den guten Glauben ab spricht.*5 Zum Inbegriff der Koalitionsidee geworden, gerät der Österreichische Rundfunk ins Zentrum Und der Chefredakteur der Kronen Zeitung der Kritik. Hugo Portisch, Chefredakteur des Dichand: Kurier, profiliert sich als Galionsfigur: Die schwarz-rote Koalition regierte, manchmal dik­ Drei österreichische Zeitungen - die,Kleine Zeitung', tierte sie auch. Was nicht in ihr Proporzschema paßte, Graz, die , Wochenpresse', Wien und d er,Kurier', wurde abgelehnt. Unabhängige Zeitungen gin­ Wien - haben im Vorjahr (1963; Anm.) eine Unter­ gen ihr absolut gegen den Strich.56 schriftensammlung durchgeführt, bei der jeder Teil­ 13 nehmer seinen vollen Namen und seine Adresse an­ Vorwürfe, die, so subjektiv sie auch sein mö­ geben mußte. Obwohl dies für jene, die sich an der Pro­ gen, an Karl Renners Absage an das Berufs- testaktion beteiligten, starke politische Nachteile mit publizistentum und an seine Forderung nach sich bringen konnte (zumindest hätte jeder einzelne sol­ wirklicher Parteiarbeit erinnern; Vorwürfe, die Jac­ che Nachteile befürchten können), wurden mehr als ques Hannak indirekt noch stützt, wenn er über 370.000 solcher Unterschriften aufgebracht. Der Pro­ die freie Presse, die aus sozialistischer Sicht als test richtete sich gegen eine noch stärkere Verpoliti- unter bürgerlicher Hegemonie stehend begrif­ sierung von Rundfunk und Fernsehen durch die bei­ fen wird, lapidar formuliert: den großen Parteien.5*

33 Fritz Molden: Stellungnahme zur „Selbstkontrolle der Presse“; in: Forum. Österreichische Monatsblätter für 53 ebd. kulturelle Freiheit, H. 13, Januar 1955, S. 12. 34 Hugo Portisch: Das Übel heißt Proporz; in: Zukunft, 36 Hans Dichand: Kronen-Zeitung. Die Geschichte eines H. 4, Jg. 1964, S. 10. Erfolgs, Wien 1977, S. 186. Machen wir uns keine Illusionen: mit ben. Broda richtet 1961 vorsichtig mahnende der Notwendigkeit einer freien Presse Worte an die Koalition und damit auch an die ei­ läuft parallel die Notwendigkeit und gene Parteiführung: Unvermeidlichkeit ihr anhaftender Übel?1

Gegen diese Haltung verwehren sich die Jour­ In einem Land, das seit mehr als 16 Jahren von einer nalisten, die immer vehementer die Beseitigung Koalition von Parteien regiert wird, die 90 Prozent der der unhaltbaren Zustände fordern: Wähler vertreten, ist das parlamentarische Interesse an einem Gesetzentwurf wie dem vorliegenden nicht „Das Verhältnis zwischen der Regiemng und den so groß, wie das in Parlamenten mit einer starken politischen Parteien einerseits und der Presse an­ Opposition selbstverständlich wäre. Pressefreiheit dererseits, zwischen Politikern und Journalisten“, bedeutet immer Freiheit der Kritik. Wer läßt sich aber schreibt der sozialistische Landesrat Josef Kaut, gerne kritisieren, besonders wenn Art und Weise der Kritik selbst genug Anlaß zur Kritik bieten! ist in Österreich nicht ungetrübt. Seit Jahren fordern die Journalisten mit guten Gründen ein neues, modernes Jede Regierungspartei sollte aber doch bedenken, Pressegesetz, das aber von den Politikern auf die. lan­ daß sie nicht immer Regierungspartei bleiben muß. Die gen Bänke des Parlaments geschoben wird. Man hört demokratische Grundeinstellung einer großen politischen von den Zeitungsleu­ Partei mag aber nicht zuletzt daran ge­ ten auch immer wieder messen werden, ob sie es vermeidet, mit Vielmehr fürchtet man, die Klage, daß die In­ zyveierlei Maß zu messen, je nachdem, ob daß sich eine unabhängige formation der Presse ihre führenden Exponenten auf der Re­ Rundfunkgesellschaft zu einem dürftig ist, daß es den gierungsbank oder auf den Bänken der Staat im Staate entwickeln könne Politikern bei uns an parlamentarischen Opposition ihren Platz Infoimationsfreude, an haben.37 383960 61* Offenherzigkeit, an Vertrauen zur Presse fehle. Die Po­ litiker zeigten sich an einer ausreichenden Unter­ Widerstand regt sich auch in den Parteiblättem. richtung der Presse wenig interessiert, sie möchten eher Die Zeiten, da man sich als Verlautbarungsorgane den Journalisten einen Maulkorb umhängen. Viele einer verschlossenen Kabinettspolitik benutzen Politiker huldigten der Ansicht, daß es auch die Le­ hat lassen, gehen zu Ende. Die Presse sei eben ser gar nicht so genau wissen wollen wie die neu­ kein bloßes Instrument der Politiker, eine Kritik, gierigen Journalisten und daß die Leser sich lieber an die angesichts des sich abzeichnenden Nieder­ das alte Sprichwort halten: Was ich nicht weiß, macht gangs der Parteipresse zusehends eindringlicher mich nicht heiß?s erhoben wird. Unter der reduktiven Informations­ politik leiden schließlich gerade die Partei­ Überaus bezeichnend für diese Kontroverse ist zeitungen, da man ihnen den unverzichtbaren der Werdegang des angesprochenen Pressege­ ideologischen Gegner nimmt. Zwei Jahre nach setzes. Der Gesetzesentwurf des sozialistischen Broda kritisiert der stellvertretende Chefredak­ Justizministers Christian Broda zielt darauf teur des sozialistischen Express, Kurt Frischler, ab, die Aufhebung der Zensur, das Recht auf die Starre der Koalition in diesem Sinn: Informationsfreiheit, sowie die öffentliche 14 Achtzehn Jahre Koalition und Proporz haben es mit Aufgabe der Presse in Verfassungsrang zu sich gebracht, daß sich eine ganz neue Form des po­ erheben.59 Die Presse solchermaßen als unab­ litischen Anstandes ‘ herauszubilden begonnen hat, die hängige Institution aufzuwerten widerspricht wie alle Tabus nur mit Aufbietung aller Kräfte über­ aber offenbar der Interessenslage der Regierung wunden werden kann. Die offiziellen Parteizeitungen sosehr, daß sie diesem Vorhaben die politische können das Hindernis des Koalitions-Tabus über­ haupt nicht nehmen. Man mißt dem, was sie zu schrei­ Unterstützung so lange wie möglich vorenthält. ben, dem, was sie zu vertreten, und dem, was sie dar­ Man vermeidet es, den Zeitungen eine gesetzli­ zustellen haben (um so mehr, als aus Tagesgeplän­ che Grundlage für (Regierungs-)Kritik zu ge­ kel sogleich eine Koalitionskrise entstehen könnte) vielzuviel Bedeutung bei und hütet sich daher, hei­ 37 Jacques Hannak: Stellungnahme zur „Selbstkontrolle kelste Themen aufzugreifen.61 * der Presse“; in: Forum, H. 13, Januar 1955, S. 10. 38 Josef Kaut: Politiker und Journalisten; in: Zukunft, 60 Christian Broda: Das Pressegesetz der Zweiten H. 8, Jg. 1965, S. 17. Republik; in: Zukunft, H. 9, Jg. 1961, S. 253. 39 s. Liwanec: Infonnation. Presse, Rundfunk, 61 Kurt Frischler: Massenpresse und Massenbeein­ Fernsehen, Wochenschau, S. 63. flussung; in: Zukunft, H. 23, Jg. 1963, S. 26. Als regierungsverbundene und somit durch die keit verantworten kann, greift man Koalition in gewisser Weise aneinandergeket­ zur Kontrolle.63 Franz Kreuzer, tete Organe verlieren die Parteiblätter beider La­ nach seinem Abgang als Chefredakteur der Ar­ ger an Profil, ihre Bedeutung sinkt mit dem Ver­ beiter-Zeitung von Gerd Bacher zum ORF geholt schwinden politischer Kontroversialität. Mit ih­ und mit der Leitung des Aktuellen Dienstes be­ rer ureigensten Aufgabe aber verlieren sie lang­ traut, wird deswegen noch Ende des Jahres 1967 sam auch ihre Leserschaft, die, des offiziösen resignierend feststellen: „Wir sind Parlaments­ Sprachrohrcharakters überdrüssig, nach attrak­ angestellte ohne Amtskappel.“64 tiveren Alternativen am sogenannten Boulevard zu suchen beginnt. Die Parlamentsberichterstattung ist freilich nur als Symptom für die grundsätzliche Situation iderstand erwächst der Regierung auch des Rundfunks anzusehen. Seitens der Ge­ hinsichtlich der praktizierten Rundfunk­ werkschaft werden angesichts dieser Situation Wpolitik. Für die SPÖ besteht kein Zweifel daran,Stimmen laut, die eine Herauslösung des Rund­ daß Medieninstitutionen wie der Rundfunk mög­ funks aus der unmittelbaren Regierungshoheit for­ lichst regierungsnah einzurichten sind, um kon­ dern. um ihn, seinem öffentlichen Auftrag gemäß, trollierbar zu bleiben.62 Die dahinterstehende als gesellschaftliche Institution zu verankern. Intention ist natürlich nicht, ein Medienimpe­ Der sozialistische ÖGB-Präsident Franz Olah rium mit dem Fluchtpunkt eines Meinungsmo­ schreibt im Jänner 1963: nopols ä la Joseph Goebbels zu errichten, viel­ mehr fürchtet man, daß sich eine unabhängige Wir wollen nicht, daß aus Rundfunk und Fernsehen Rundfunkgesellschaft zu einem Staat im Staate staatliche Lenkungsinstrumente werden. Diese Ein­ entwickeln und sich letztlich gegen die Demo­ richtungen sollen vielmehr die demokratische Mei­ kratie - die freilich mitunter mit sozialistischer nungsbildung nicht durch mangelhafte und einsei­ Regierungsbeteiligung verwechselt zu werden tige Informationen behindern, sondern sie durch um­ scheint - richten könne. Diese Furcht hat am fassende, objektive und nach allen Seiten faire Be­ Rundfunksektor dazu geführt, daß Radio und richterstattung unterstützen.65 Fernsehen eine freie Parlamentsberichterstat­ tung - der wohl wichtigste Schnittpunkt zwi­ Kurz darauf wendet sich die Gewerkschaft Kunst schen politischer und publizistischer Sphäre - und Freie Berufe mit einer scharfen Attacke an versagt geblieben ist. Im Unterschied zum Print­ die Öffentlichkeit, wonach der „Zustand des sektor konnten die Parteien am Rundfunksek­ Österreichischen Rundfunks eine nationale tor ihr Urheberrecht auf den politischen Prozeß Schande“66 sei. Nachdem bislang weder dessen richtiggehend zementieren. Im Zuge einer Prä­ Leitung noch die Bundesregierung in der Lage sidialsitzung des Nationalrates vom 10. April gewesen wären, Abhilfe zu schaffen, kündigt 1953 wurde den Parlamentsklubs das Recht ein­ sie die Einsetzung einer Rundfunkkommission geräumt, zu bestimmen, was der Rundfunk sen­ an, die einen Reformplan ausarbeiten soll. Nur den dürfe. Die Folge davon ist, daß sich die Par­ einige Wochen danach wird sich der Ge­ lamentsberichterstattung auf Belangsendungen werkschaftschef Franz Olah jedoch in treuer nach dem Proporz reduziert. Die Kritik am po­ Parteidisziplin den im Zuge der koalitionären 15 litischen Procedere bleibt den Zeitungen Vor­ Regierungsbildung nach den Nationalrats­ behalten, Radio und Fernsehen stehen unter stän­ wahlen vom Herbst 1962 ausgearbeiteten, seinen diger Kontrolle. Man fürchtet, daß die einge­ Forderungen geradezu entgegenstehenden Ver­ schalteten Mikrofone die Abgeordneten dazu einbarungen beugen.67 verleiten würden, „nur noch zum Fenster hin­ aus zu reden“, daß ein halbleeres Plenum, zei­ tunglesende Mandatare oder die Abwesenheit von Ministern auf der Regierungsbank bei so 63 Hellmut Andics/Viktor Ergert/Robert Kriechbaumer: 50 Jahre Rundfunk in Österreich, Bd. IV, 1967-1974, manchem Fernseher antidemokratische Res­ Salzburg - Wien 1985, S. 65 f. sentiments wecken könnten. Doch, anstatt sich 64 Franz Kreuzer in der Wochenpresse vom 6. so zu verhalten, wie man es vor der Öffentlich- Dezember 1967, S. 19. 63 Franz Olah im Forum H. 10, Jänner 1963, S. 7 f. 66 Stöger: Schwarze Welle - Roter Schirm, S. 104. 62 s. Emst Glaser: Die Krise des Rundfunks; in: Zukunft, H. 2, Jg. 1959, S. 48. 67 s. Stöger: Schwarze Welle - Roter Schirm, S. 105. er Vorsitzende der Journalistengewerk­ ursprünglichen Entwurf in entscheidenden Punkten ab Dschaft, Günther Nenning, führt den Re­ undfthrte dann das Volksbegehren durch.10 formkurs jedoch weiter und weist 1964 einen Weg in die österreichische Rundfunkzukunft Am 5. Oktober 1964 startet das von Vertretern unter „demokratischer Selbstverwaltung“: parteiunabhängiger Zeitungen initiierte Rund­ funk-Volksbegehren, dessen Entwurf für ein Die rein privatrechtliche Organisationsform ist über­ neues Rundfunkgesetz weitaus weniger auf öf­ haupt für den Rundfunk - das wichtigste Massenme­ fentliche Verantwortlichkeit als auf eine Her­ dium, und dies in Monopolstellung - ungeeignet, des­ auslösung des Rundfunks aus der Regierungshoheit gleichen, aus den gleichen Gründen, die nackte Ver­ durch einen mächtigen Generalintendanten ab­ staatlichung, das heißt, die Verwandlung des Rund­ zielt. Das Volksbegehren findet statt unter großem funks in ein Anhängsel des staatlichen Exekutivap­ publizistischem Aufwand seiner Initiatoren, vom parates. (...) Geeignet wäre vielmehr die öffentlich-recht­ Rundfunk selbst per Dienstanweisung totge­ liche Organisationsform - eine gut demokratische, schwiegen.70 71 7273 Überaus ignorant kommentiert auch gut österreichische Form.68 die Arbeiter-Zeitung nachträglich:

Es ist also klar, was dieses Volksbegehren nicht war: Nenning weist dem Rundfunk öffentliche Kul­ Eine politische Manifestation von bestimmendem Ge­ tur- und Informationsaufgaben zu und fordert wicht, die die Parteien im Parlament bindet. Das ist für ihn eine Objektivitäts- und Neutralitätspflicht, weder verfassungsmäßig (...) noch ist das politisch: eine umfassende Versorgungspflicht, sowie die So viel demokratischer Druck, wie hinter diesem Ge­ volle Rundfunkfreiheit, bestehend aus Sende- setzentwurf, steht hinter jedem Anliegen eines größe­ ren Berufsverbandes.12 und Empfangsfreiheit.69 *

Die öffentliche Aufgabenstellung, wie sie Chri­ Es geht um mehr als 800.000 Unterstützungs­ stian Broda für die Presse formuliert hat, rückt unterschriften! damit auch im Rundfunkdiskurs ins Zentrum. Doch die gewerkschaftlichen Vorstöße finden Die SPÖ wird Opfer ihrer Unfähigkeit, mit Op­ nicht das nötige Gehör in der Parteiführung, position umzugehen. In die Defensive geraten, ganz im Gegenteil. Emst Glaser beschreibt rück­ wehrt man erst einmal ab, da man, wie man sagt, blickend dieses Unvermögen der Parteileitung, den sozialistischen Fernsehdirektor Gerhard die mediendemokratischen Impulse aufzunehmen Freund in seiner Position nicht zur Diskussion stel­ und fmchtbar umzusetzen: len will. Stattdessen ringt man um die Erhal­ tung des gesetzlichen Status quo gegen die Im Schoße der Gewerkschaft, der die Angestellten geäußerten Reformwünsche. Der SPÖ-Parla- und die sogenannten freien Mitarbeiter des Rund­ mentssekretär stellt „Fragen an funks angehören, entstand ein Gesetzentwurf, der die die 832.353“: Rundfunkreform zum Inhalt hatte, wobei man bereits überlegte, wie es in einer Resolution des Vor­ Die Forderung der österreichischen Bevölkerung stands der Gewerkschaft Kunst und freie Berufe nach einem besseren Rundfunk ist eine echte und be­ 16 schon im März 1964 hieß, eventuell, hierüber ein rechtigte. Der Gesetzgeber hat daher die Aufgabe, Volksbegehren durchzuführen ‘. Doch auch hier diesem Anliegen nachzukommen und ein gutes Rund­ versagte die Propagandamaschinerie der SPÖ. Ob­ funkgesetz zu schaffen; gerade deshalb könnte es wohl an diesem Entwurf auch sozialistische Ge­ nicht verantwortet werden, den verfassungswidrigen, werkschafter mitarbeiteten, kam es zu keiner positi­ unbrauchbaren Gesetzestext, der dem Volksbegehren ven Koordination zwischen Partei und sozialistischer zugrunde liegt, zu beschließen.12. Gewerkschaftsfraktion, und die Initiative rutschte in einen noch entfernteren Kreis, der jedoch publizi­ stisch durchschlagskräftig zu agieren vermochte, in die sogenannte, Unabhängige Presse \ Diese änderte den 70 Emst Glaser: Am Beispiel des Rundfunks; in: Zukunft, H. 8/9, Jg. 1966, S. 42. 71 s. Viktor Ergert: 50 Jahre Rundfunk in Österreich, Bd. Ill, S. 184. 68 Günther Nenning: Rundfunk in demokratischer Selbstverwaltung; in: Zukunft, H. 3, Jg. 1964, S. 15. 72 Arbeiter-Zeitung vom 14. Dezember 1964. 69 s. Nenning: Rundfunk in demokratischer 73 Heinz Fischer: Fragen an die 832.353; in: Zukunft, Selbstverwaltung, a. a. O., S. 14 f. H. 5, Jg. 1965, S. 22. Günther Nenning gibt „Antworten zugunsten Chefideologe tituliert, läßt dies im von 832.353“: Zuge einer Rede vor dem Natio­ nalrat am 15. Juli 1965, wo im Rahmen einer Die Leichtfertigkeit, mit der Fischer über das Volks­ mehrstündigen Debatte neben den Differenzen begehren sein Urteil spricht, läßt sich nur als Spiegelbild bezüglich der Rundfunkreform auch schon der Leichtfertigkeit verstehen, mit der unsere Partei Brüche in der Koalition selbst zutage treten, sehr sich seit Jahren um ein sozialistisches Konzept für deutlich durchblicken: den Rundfunk herumdrückt. Der Sozialismus ist eine Kulturbewegung. Der Rundfunk ist ein Kulturpro­ Wir wissen ganz genau, daß der damalige Parteiob­ blem: Ihn bloß als tagespolitisches Personalproblem mann der Österreichischen Volkspartei, Bundeskanzler zu behandeln, ist zuwenig.14 Raab, seinerzeit, als das Fernsehen eingerichtet wunde, folgende Einstellung hatte: Der Rundfunk ist da, dar­ Heinz Fischer antwortet Nenning, der sich zum über haben vorwiegend wir die Kontrolle. Das Fern­ „Trojanischen Pferd“ des politischen Gegners sehen sollen die anderen nehmen, das hat ja keine mache, wenn er für die unter konservativer Bedeutung. - Jetzt sagen aber die Kollegen der Volks­ Führung stehenden, unabhängigen Zei­ partei: Es hat sich vieles geändert, das Fernsehen tungen Partei ergreife: hat an Bedeutung Die SPÖ wird Opfer ihrer gewonnen - nicht Die Tatsache, daß es bisher nicht gelungen ist, Unfähigkeit, mit Opposition zuletzt deswegen, Rundfunk und Fernsehen unter konservativer umzugehen ... die ÖVP stellt sich weil ein ausge­ Führung gleichzuschalten, wird im bürgerlichen in weiterer Folge taktisch klug zeichneter Fach­ Lager als großes Handicap auf dem Weg zu hinter das Volksbegehren mann das Fernse­ einem möglichst umfassenden Meinungsmo­ hen auf gebaut hat. nopol (Presse, Rundfunk, Fernsehen) empfunden. (...) Folglich muß der, rote ‘ Femsehdirektor weg, koste es, Hohes Haus! Man sagt, daß sich in der Gewichts­ was es wolle. (...) Gleichzeitig soll an die Spitze von verteilung zwischen Hörfunk und Fernsehen man­ Rundfunk und Fernsehen ein allmächtiger General­ ches geändert hat, darum müßte man das Kontrollsystem intendant gestellt werden, der auf keinen Fall den revidieren. Darüber soll man reden. Ich möchte dar­ Sozialisten nahestehen darf. (...) auf aufmerksam machen, daß im Arbeitsüberein­ Mag sein, daß die Sozialistische Partei einen Fehler kommen, im Kapitel über Rundfunk und Fernsehen, begangen hat, als sie nicht von allem Anfang an genü­ im einzelnen Punkte erwähnt sind, die man überlegen, gend klar und deutlich zu diesem Rundfunk-Voksbe- neuerlich diskutieren und ordnen soll. Solche Lö­ gehren Stellung nahm. Sie würde aber einen noch sungen soll man im Rahmen der Koalition suchen viel größeren Fehler begehen, würde sie sich jetzt (...) dem Druck einer Pressure Group beugen, die mit dem Wir haben im Sonderausschuß für die Behandlung Volksbegehren klar erkennbare politische Ziele ver­ des Rundfunk-Volksbegehrens sehr deutlich gehört, daß folgt - auch wenn es leider Sozialisten gibt, die nicht manche Kollegen der Volkspartei gesagt haben: Ja, merken, daß ihnen dabei die Rolle des Trojanischen so geht 's nicht, wir halten es nicht aus, daß die So­ Pferdes zugedacht ist und die so weit gehen, diese zialisten, daß also Freund diese Kontrolle über das Rolle auch in ,Zukunft '-Artikeln zu vertreten.15 Fernsehen hat. 17 Ich kann dazu nur wiederholend sagen: Verhan­ Damit tritt zutage, daß es im Grunde tatsäch­ deln wir über eine entsprechende Verteilung der ge­ lich nur um die Frage der innerkoalitionären genseitigen Kontrollen,74 7576 Machtverteilung am Mediensektor geht, um den Versuch letztendlich, dem bürgerlichen ein so­ Doch die Würfel sind gefallen, die ÖVP stellt zialistisches Mediensystem gegenüberzustellen. sich in weiterer Folge taktisch klug hinter das Das proporzträchtige Selbstverständnis, das man Volksbegehren und eine innerkoalitionäre Eini­ an den Tag legt, läßt ideologische Kategorien gung kommt nicht mehr zustande. Das vom Par­ hinter sich. Karl Czemetz, obgleich oftmals als teivorsitzenden Bruno Pittermann am Parteitag im Juni 1965 abgegebene, kampfbetonte Ver­ sprechen, die 74 Günther Nenning: Antworten zugunsten 832.353; in: Zukunft, H. 10, Jg. 1965, S. 23. 76 Karl Czemetz; Stenographisches Protokoll, 86. 75 Heinz Fischer: Das Volksbegehren und das Sitzung des Nationalrates der Republik Österreich, Trojanische Pferd; in: Zukunft, H. 10, Jg. 1965, S. 25. X.Gesetzgebungsperiode, Donnerstag, 15. Juli 1965. (...) SPÖ würde es nicht zulassen, daß bar, wenn auch zu spät, nachdem man neben mit den Vorschlägen des Rundfunk­ dem Rundfunk die Wahl und damit auch die Re­ volksbegehrens eine einseitige Envei- gierungsbeteiligung verloren hat. Die SPÖ be­ terung des an sich schon übergroßen Einflusses der zahlt die Zeche für die langjährige koalitionäre ÖVP in der Rundfunkgesellschaft durch ein Hintertürl herbei geführt würde,11 Medienpolitik:

verhallt folgenlos. Ebenso bleiben die Zuge­ „Wer sachlich etwas falsch gemacht hat,“ schreibt ständnisse im Kompromißvorschlag, zu dem Emst Glaser, sich die SPÖ noch durchringt, der die Errich­ tung einer Anstalt öffentlichen Rechts nach den muß deshalb noch nicht das Vertrauen der Wähler Vorschlägen der Gewerkschaft, aber auch das verlieren; er kann diese propagandistisch geschickt Intendanturprinzip, wie es von den Initiatoren über Fehlhaltungen, die er begangen hat, hinweg­ des Volksbegehrens gefordert wird,78 vorsieht, un- täuschen und sie dennoch für sich gewinnen. Das hat gehört. Erst nach 1970, als der SPÖ alleinige uns die ÖVP gezeigt. Wer in der Beeinflussung und Ein­ Regierungsverantwortung zukommt, wird Bruno schätzung der sogenannten öffentlichen Meinung ver­ Kreisky diese Ansätze wieder aufgreifen kön­ sagt, hat vielleicht im Sachlichen alles richtig ge­ nen.79 macht; dies wird ihm jedoch von den Wäh­ lern nicht honoriert. Wenn aber sachliche Aus der National­ „Mündig sind nur informierte Felder Hand in Hand gehen mit Instinkt­ ratswahl vom 6. Staatsbürger. In Österreich losigkeit hinsichtlich der Wirkung des ei­ März 1966 geht die herrscht ein geradezu traditioneller genen Verhaltens auf die Wählerschaft, ÖVP mit absoluter Informationsnotstand “ dann ist ein Debakel unausweichlich. Mehrheit hervor und am 8. Juli 1966 wird Obwohl sich leider auch andere Beispiele mit den Stimmen der ÖVP- und FPÖ-Abge­ finden lassen, kann gerade am Beispiel der Rund­ ordneten das neue Rundfunkgesetz beschlos­ funkpolitik der SPÖ diese Kombination von Un­ sen.80 Mit dem Bruch der Koalition wird auch das zulänglichkeiten demonstriert werden, also die Nicht­ bislang von der Regierung kontrollierte Rund­ bewältigung von sachlichen Problemen und Aufgaben funkrefugium aufgebrochen, wenn auch durch das und die Vernachlässigung von Ansichten und Mei­ nunmehrige Gesetz die Frage nach der öffentli­ nungen in der Öffentlichkeit,82 chen Kontrolle des Rundfunks weitgehend un­ geklärt bleibt. Am 1. Jänner 1967 tritt ein neues Gerd Bacher wird Generalintendant. Bacher, der Rundfunkgesetz in Kraft, beschlossen gegen die Jahre zuvor als Chefredakteur des Bildtelegraf Stimmen der SPÖ-Mandatare, und am 9. März bereits Versuche gravierender politischer Ein­ 1967 wird der Zeitungsjoumalist Gerd Bacher flußnahme seitens der ÖVP83 und danach als durch den ORF-Aufsichtsrat81 in die neu ge­ Chefredakteur des Nachfolgeblattes Express schaffene und überaus machtvoll ausgestattete auch solche durch die SPÖ84 * erfahren mußte, Funktion des Generalintendanten gewählt. beginnt seine Tätigkeit mit einer radikalen De- Mit dem Anbrechen dieser neuen medien­ politisiemng, er lehnt die Weiterarbeit mit den bis­ 18 politischen Ära findet sich der einstmals lang aktiven vier Direktoren - Josef Scheidl und staatsnahe Rundfunk weitgehend autonom Alfons Übelhör von der ÖVP und Gerhard - um nicht zu sagen automatisch - organisiert und Freund und Wilhelm Füchsl von der SPÖ - ka­ die einstmals staatstragende SPÖ auf der Op­ tegorisch ab.85 * „Man kann“, so Bacher, „eine positionsbank wieder. Eine kritische Selbstre­ Reform nicht mit Leuten durchführen, die für flexion aus sozialistischer Sicht folgt unmittel-

81 s. Andics/Ergert/Kriechbaumer: 50 Jahre Rundfunk in Österreich, Bd. IV, Salzburg - Wien 1985, S. 7ff. 77 Bruno Pittermann; zit.n.: Viktor Ergert; 50 Jahre Rundfunk in Österreich, Bd. HI, S. 196 f. 82 Glaser: Am Beispiel des Rundfunks, a. a. 0., S. 40. 78 s. Ergert: 50 Jahre Rundfunk in Österreich, Bd. Ill, S. 83 s. Fritz Molden: Besetzer, Toren, Biedermänner. Ein 209. Berichtaus Österreich 1945-1962, Wien - München - Zürich - New York 1980, S. 260. 79 Rede von Bruno Kreisky am Parteitag der SPÖ, 12. Juni 1970; in: Zukunft, H. 13, Jg. 1970, S. 1. 84 s. Molden: Besetzer, Toren, Biedermänner, S. 322. 80 s. Ergert: 50 Jahre Rundfunk in Österreich, Bd. III, Ss Andics/Ergert/Kriechbaumer: 50 Jahre Rundfunk in S. 216. Österreich, Bd. IV, S. 14. den reformbedürftigen Zustand verantwortlich Kompromiß mit der bürgerlichen sind“;86 eine überaus drastische Absage, nicht Gesellschaftsordnung entpuppt sich so sehr an die beiden Parteien als an ihre Me­ als unumgehbar. Die Folgen sind Entideologi- dienpolitik, an die bisher gepflogene Regie­ sierung und Verbürgerlichung, wie Hermann rungsnähe: Mörth sagt. Die langjährige Koalitionsregie­ rung, aber auch die taktische Absicht der SPÖ, Der demokratische Standard eines Landes hängt vom sich zu einer sozialistischen Volkspartei zu er­ Ausmaß der öffentlichen Kontrolle ab. Öffentliche weitern,88 um über eine demokratische Mehr­ Kontrolle vermögen nur mündige Staatsbürger aus­ heit zur ungeteilten Regierungsverantwortung zuüben. Mündig sind nur informierte Staatsbürger. zu gelangen, führen dazu, daß das ideologische In Österreich herrscht ein geradezu traditioneller In­ Erbe nun offen in Frage gestellt wird: formationsnotstand. Von der informationsfeindlichen Monarchie führte der Weg über das Bürgerkriegs­ „Während solche Fragen früher meist aus dem klima der Ersten Republik in die Diktatur öster­ gegnerischen Lager kamen,“ schreibt Karl Czer- reichischer und importierter Machart. Die darauf­ netz, folgende Koalition tat zwar vieles zum Wöhle des Landes, aber wenig zur Aufklärung seiner Bürger. tauchen sie jetzt doch auch in den eigenen Reihen Sie war wie ein Landesfürst, der selbst am besten auf. Da gibt es Kritiker, die finden, daß Inhalt und weiß, was für die Untertanen gut ist}1 Methoden der Arbeiterbildung, Theorien und Pro­ gramme der Arbeiterbewegung längst von der Wirk­ Konstitution zwischen lichkeit überholt worden sind und eine allgemeine Parteidogmatik und öffentlicher Veränderung dringend erforderlich wäre. So rät man Aufgabe uns, die Eierschalen der utopisch-revolutionären Frühzeit abzustreifen, die überholten sozialistischen iese Niederlage der zentralistischen Me­ Grundsätze abzuwerfen, den sozialistischen Cha­ Ddienpolitik hat sich indessen auch schon rakter unserer Partei aufzuheben. Man empfiehlt uns im Rahmen einer langjährigen Grundsatzdebatte die Entideologisierung, die Beschränkung auf die ta­ am sozialistischen Pressesektor abgezeichnet. gespolitische Realität, die Anpassung an die gegen­ Auch hier hat man manche Signale überhört und wärtige, von uns doch ohnehin schon so stark beein­ falsche Dogmen gepflegt. flußte Gesellschaft. “89

Mit voranschreitendem Wiederaufbau, dem sich Mit der ideologischen Defensive geraten auch die entfaltenden Wirtschaftswunder und zuneh­ klassischen Medienkonzepte ins Hintertreffen. mendem Wohlstand in der österreichischen Be­ Die von den westlichen Besatzern gegründeten völkerung tritt die sozialistische Gesellschafts­ Zeitungen sind als Basis einer unabhängigen vision zusehends in den Hintergrund; auch der Presselandschaft aufgebaut worden, welche sich Erziehungsanspruch büßt im Zeitalter der an­ nun entfaltet und die bislang protektionierte Par­ brechenden Konsumgesellschaft seine Funda­ teipublizistik gehörig unter Druck setzt. Ideo­ mente ein. Das sozialistische Ideal - nach dem logischer Anspruch oder Reichweite, lautet Bruch mit der Linken ohnehin nur noch ein Ru­ die zentrale Frage. Infolgedessen entspinnt 19 diment - gerät unter die Räder der marktwirt­ sich ein Grundsatzdiskurs über die Legiti­ schaftlichen Wirtschaftskraft. Das Parteipro­ mität der Parteipresse. Oscar Pollak beharrt auf gramm der SPÖ aus dem Jahr 1958 bringt eine dem ideologischen Anspruch, obgleich er die definitive Absage an Marx. Wohlstand heißt das Zeichen der neuen Zeit in der fortschreitenden neue Schlagwort, hinter dem sich eine schlei­ Entideologisierung sieht: chende Verwestlichung verbirgt, Modernisie­ rung der Mythos, dessen man sich als Motor des „Aber es wäre ganz falsch, daraus den Schluß zu Wirtschaftswunders bedient. Pragmatismus dik­ ziehen“, schreibt er hinsichtlich der sozialisti­ tiert die Politik auch der SPÖ, der ideologische schen Presse,

86 Gerd Bacher; zit. n.: Andics/Ergert/Kriechbaumer: 50 88 s. Hans Werbik: Den Dingen auf den Grund gehen; Jahre Rundfunk in Österreich, Bd. IV, S. 15. in: Zukunft, H. 23, Jg. 1964, S. 8. 87 Bacher; zit. n.: Andics/Ergert/Kriechbaumer: 50 89 Karl Czemetz: Hundert Jahre Arbeiterbildung; in: Jahre Rundfunk in Österreich, Bd. IV, S. 61 f. Zukunft, H. 23/24, Jg. 1967, S. 3. daß sie etwa selber ihre Politik, ihre so­ Unabhängigkeit so manches Parteiblatt als zialistische Betrachtungsweise als eine Sprachrohr des Volkes zu beerben: bittere Medizin empfinden soll, die man dem Leser womöglich unbemerkt, in kleinen Dosen und sehr Natürlich ist eine solche Publikation nach außen hin verzuckert beibringen müsse. Die sozialistische Presse , unabhängig \ “ schreibt Josef Hindels, „frei von Partei­ soll sich ihrer politischen Funktion nicht schämen sekretariaten und Parteidoktrinen. Diese Freiheit und nicht versuchen, den Sozialismus heimlich zu erinnert - man verzeihe den Vergleich - an die Frei­ vertreten. 90 heit einer Prostituierten, die den Ehefrauen spöttisch zuruft: ,Seht mich an, wie frei, wie unabhängig ich er stete Reichweitenverlust der klassischen auf den Strich gehe. Schämt ihr euch nicht, an einen DParteipresse beginnt jedoch innerhalb der Mann gebunden zu sein ? ‘ Zu den besonderen Merk­ Partei einen Umdenkprozeß hinsichtlich pres­ malen dieser Prostituiertenfreiheit gehört es, daß sepolitischer Konzepte in Gang zu setzen. An­ man nie genau weiß, mit wem sie es eigentlich treibt.92 stelle der im Sterben begriffenen, gesinnungstreuen Parteipresse sollen vordergründig unabhängige Der Boulevard entwickelt sich bei den Vertretern Boulevardblätter den verlorengehenden Einfluß der Partei, die sich der überkommenen Arbei­ zurückgewinnen. Einen Gutteil der Redaktion terbildung verpflichtet fühlen, wie eben Josef des Bildtelegraf beerbend, erfolgt 1958 die Grün­ Hindels, zum zentralen Objekt der Kritik, be­ dung des Express, eines Boulevardblatts, das wirke er doch - ähnlich diversen anderen de­ von Gerd Bacher relativ unabhängig geführt struktiven Vergnügungen - eine dem sozialisti­ wird,90 91 zur Hälfte aber im Besitz der SPÖ ist. schen Erziehungsanspruch gegenläufige Ent­ Die Partei kauft sich am Boulevard ein; man wicklung, nämlich die geistige Verelendung der gibt dem Zeitgeist nach, verfolgt eine Entideo- Leserschaft: logisierung, um wieder an Reichweite zu ge­ winnen. „Aufgabe der sozialistischen Presse ist es,“ for­ dert Hindels streng, 1959 beginnt der Aufstieg der Kronen Zeitung, der nicht getrennt vom Schicksal der parteiei­ diesen geistigen Pauperismus schonungslos zu be­ genen Zeitungen zu sehen ist, ja vielmehr auf kämpfen, und nicht etwa den Versuch zu machen, sich deren Niedergang zurückzuführen ist. Ihr Chef­ den,modernen* Boulevardblättern anzupassen. Das redakteur Hans Dichand zitiert genüßlich einen bedeutet: Die sozialistische Presse muß sauber, an­ der ersten Leserbriefe, der die herrschende Ab­ ständig, grundsatztreu bleiben - auch wenn das von neigung gegenüber der zeitgenössischen Par­ jenen, die nur mehr kommerziell denken können, mit teipresse - wohl auch seine eigene - sehr be­ altmodisch, mit geschäftsuntüchtig verwechselt wird.94 zeichnend illustriert. Poldi W. aus Wien II habe demnach über die wiedererscheinende Kronen Was aber nützt die beste Parteizeitung, wenn sie Zeitung gedichtet: mangels Leserschaft zum bloßen Funktionäreblatt herabsinkt? Diese Frage hängt wie ein Damo­ Wir hoffen, daß sie fortsetzt die Tradition und klesschwert über der Partei. Reichweite bedeu­ 20 nicht schreibt nach der schwarz-roten Koalition! tet schließlich Werbeeinnahmen und damit wirt­ Wir wollen sie streng, gerecht und wahr!90 9192 schaftliche Überlebensfähigkeit; ein Marktge­ setz, das für so manchen klassisch orientierten Gleichgültig, ob wahr oder nur gut erfunden, Theoretiker einen unauflöslichen Widerspruch liegt darin vielleicht doch das sprichwörtliche zum originären sozialistischen Auftrag darstellt. Körnchen Wahrheit. Der Leserschaft Suche nach Die Presse sei - laut Liwanec - dadurch in Ge­ der Wahrheit mag als Absage an die Wahrheit fahr, „weniger Wissens- als Werbeträger“95 zu der Machthabenden gelesen werden. Es entbehrt werden. Durchaus bezeichnend, die Anekdote nicht einer gewissen Ironie, doch die Kronen Zeitung scheint durch ihre deklarierte (Partei-) 93 Josef Hindels: Marx und die Geschäftspresse; in: Zukunft, H. 6/7, Jg. 1961, S. 183. 90 Oscar Pollak: Meinungspresse und Massenpresse; in: 94 Hindels: Marx und die Geschäftspresse, a. a. 0., S. Zukunft, H. 7, Jg. 1957, S. 191. 185. 91 s. Molden: Besetzer, Toren, Biedermänner, S. 270. 93 Liwanec: Information. Presse, Rundfunk, Fernsehen, 92 s. Dichand: Kronen Zeitung, S. 204. Wochenschau, S. 65. um Oscar Poliak, der sich, diesem Zwang der groß. Die dahinter stehende Gei­ Zeit widersetzend, gegen ein in der Arbeiter­ steshaltung kristallisiert sich zeitung abgedrucktes Spirituosen-Inserat in ei­ schließlich im sozialistischen ÖGB-Präsiden- nem redaktionellen Artikel mit der Aufforde­ ten Franz Olah, jenem „Verfechter dieser ent- rung an den Leser wendet, die Werbeeinschaltung ideologisierten Machtpolitik“ 101, wie ihn Hermann gar nicht erst zur Kenntnis zu nehmen.96 97 Noch kurz Mörth bezeichnet. Olah, der 1959 ohne Zu­ vor seiner Ablösung richtet Oscar Pollak einen stimmung der sozialistischen Parteileitung mit eindringlichen Appell an die Parteiführung, for­ Gewerkschaftsgeldem die Kronen Zeitung mit­ dert deren uneingeschränktes Bekenntnis zu ei­ begründet102 und 1960 auch den Express unter seine ner sozialistischen Presse klassischen Typs: Kontrolle bringt,103 scheitert letztlich bei dem Versuch, sich seine eigene Medienhausmacht Uns scheint, daß das Problem der Parteipresse sich zu schaffen. Ein Erfolg am Boulevard bleibt je­ lösen lassen muß, wenn die Partei eine Presse haben doch auch der Partei versagt. Einst relativ un­ will, die die Gesinnung bewahrt. Nur wenn sie das abhängiges Blatt, geht der Express, Fritz Molden nicht will, werden die Apologeten und Agenten der zufolge, an einer zusehends enger werdenden Geschäftspresse recht behalten, die das Ende der Parteibindung zugrunde.104 Massenreichweite Parteileitungen prophezeien. Nur dann werden die und Parteilinie vertragen sich nicht. Und auch die Kommerzjoumalisten, die Makler der Meinung und Versuche seitens der SPÖ, die Kronen Zeitung im die Wechsler des Wortes den Kampf gewinnen. Dann Zuge der Olah-Affäre „auszuräuchem“,105 wie dies wird in Österreich ein weiterer Schritt getan sein zur die AZ zu nennen pflegt, sie mittels Gerichts­ Entchristlichung des katholischen Konservatismus beschluß angesichts der bevorstehenden Wahlen und zur Entseelung des Sozialismus.91 ruhigzustellen, um sie danach in Die machtpolitische Versuchung, den ÖGB-Eigentum Die Presse sei in Gefahr, Pressemarkt auf breiter Basis zu er­ überzuführen, „weniger Wissens- als schließen, ist letzten Endes aber größer bringen keinerlei Werbeträger“ zu werden als die von Pollak verlangte Abstinenz. medienpolitischen Man entscheidet sich seitens der SPÖ Profit. Der to­ für den Boulevard.98 Das Engagement bende Zeitungs­ hat mehrere Gesichter. Der erwähnte Express krieg, in den die Partei nun verstrickt ist, ver­ ist eines davon, ihm folgt unter anderem 1967 die weist eher darauf, daß sie ihr ureigenstes Ter­ Neue Zeitung der SPÖ Wien.99 Man beginnt, rain weit hinter sich gelassen hat. Der Fall Olah dem bürgerlichen Pressesystem ein sozialisti­ ist nur Symptom. sches Gegensystem entgegenzustellen, welches sein Pendant mit den eigenen Waffen bekämpfe. Auch das Flaggschiff der sozialistischen Presse, Am Ende steht eine obskur anmutende Theorie die Arbeiter-Zeitung, bleibt vom einsetzenden der drei Kampfsäulen, wonach die Arbeiter-Zei­ gesellschaftlichen Wandel natürlich nicht ver­ tung die sozialistische Antwort auf die Presse, der schont. Die Hausse, die sie als Kampfblatt ge­ Express auf den Kurier und die Neue Zeitung gen Übergriffe der alliierten Besatzer erfuhr, auf die Kronen Zeitung sei.100 ist mit der Besatzungszeit zu Ende gegan­ 21 gen, ihre sozialistische Mission wird in den Die Jagd nach dem Massenpublikum bringt nicht folgenden Jahren zusehends in Frage gestellt. den erwünschte Erfolg, allerdings die völlige Leserschwund und finanzielle Schwierigkeiten Aufgabe ideologischer Positionen. Aus der For­ verlangen dringend nach Reaktionen, personell derung nach einem sozialistischen Boulevardblatt wie konzeptionell. Pollak tritt als Chefredak­ wird die nach irgendeinem Boulevardblatt. teur ab, die Aura des Kampforgans weicht ei­ Hauptsache, die Reichweite ist entsprechend ner inhaltlichen Auflockerung. Sein Nachfolger

96 s. Pelinka/Scheuch: 100 Jahre AZ, S. 152. 101 Mörth: Trennung von Partei- und Staatsfunktionen, a. a. O., S. 7. 97 Oscar Pollak: Zeitung, Gesinnung und Geschäft; in: Zukunft, H. 8, Jg. 1961, S. 215. 102 s. Pelinka/Scheuch: 100 Jahre AZ, S. 166. 98 s. Venus: „ Wir sind wieder da a. a. O., S. 17. 103 s. Molden: Besetzer, Toren, Biedermänner, S. 322. 99 s. Feldinger: Parteien und Parteipresse, S. 118. 104 ebd., S. 323. 100 Pelinka/Scheuch: 100 Jahre AZ, S. 177. 103 s. Dichand: Kronen-Zeitung, S. 255. ist Franz Kreuzer, aus der Arbei­ Der stete Niedergang der Parteipresse mag zum ter-Zeitung wird die AZ. Paul Blau, einen wohl Ausdruck der Unzufriedenheit der der seinerseits fünf Jahre später Kreuzer ablösen Wähler mit der großen Koalition sein, die seit wird, attestiert seinem Vorgänger, eine Mischformel Kriegsende ununterbrochen regiert, zum ande­ gefunden zu haben, „um einerseits gediegene ren und vor allem aber einer vor sich gehenden Information zu vermitteln und sozialistische Verwestlichung, die am Pressesektor nicht nur Bal­ Standpunkte zu vertreten, andererseits aber doch kenlettern und bildhafte Aufmachung bringt, auch leichtere Kost zu bieten.“106 ein Umstand, sondern auch einen in Österreich bisher unter­ den Friedrich Keller in London recht besorgt repräsentierten Zeitungstyp entstehen läßt; ei­ zur Kenntnis nimmt, so fordert er eindringlich das nen Zeitungstyp, der sich weniger der traditio­ „Aufgeben des grauslichen und unwürdigen nellen politischen Meinungspresse verpflichtet Konkubinats von politischem Zentralorgan und sieht als einer objektiven Berichterstattung. Für Boulevardblättchen“.107 Und Pollak: die Parteiblätter ergibt sich als Schlußfolgerung daraus, die unmittelbare Parteibindung an sich Im ganzen hat die Anpassung ‘ des Inhalts zu einer Sen­ in Frage zu stellen. Als Alternative zur Frage kung des Niveaus geführt. Aus einem Blatt, das ein­ Ideologie oder Boulevard? zeichnet sich eine mal Geschichte gemacht hat, ist ein Blatt geworden, öffentliche Aufgabenstellung im Sinne des das Geschichten vorzieht.108 Broda'schen Pressegesetzes ab, auch wenn der Parteivorstand nach wie vor gegen eine derartige Kreuzer spekuliert aber nicht bloß mit spekta­ Öffnung ankämpft. Der sozialistische Gewerk­ kulären Boulevard-Geschichten, er versucht schafter Günther Nenning, der auch den Rund­ demgegenüber auch, mit der AZ vermehrt einer funk vom Regierungseinfluß zu befreien trach­ öffentlichen Aufgabe gerecht zu werden. In sei­ tet, um ihm eine öffentliche Aufgabe zu geben, nen August-Gesprächen109 mit führenden So­ plädiert für eine solche Lockerung, stelle die zialisten spiegelt sich Leserschaft doch

1966 kurzfristig ein (...) an die Unabhängigkeit einer Zeitung neues journalisti­ Information gilt zunehmend nicht irgendwelche utopisch weitgehende sches Selbstver­ als Recht der Öffentlichkeit, Forderungen. Unabhängigkeit heißt für ständnis, ein Ten­ anstatt wie bisher, sie nicht: herausgegeben und geschrie­ denzwechsel hin zu als Privileg des Informanten ben von Leuten, die keinerlei politische vermehrter inner­ Meinung haben; sie wollen nur (...) eine Zeitung, in der nicht einfach das steht, parteilicher Trans­ was der Parteiapparat für richtig hält. parenz, ein Experiment, das nach der verlore­ Sie wollen eine Zeitung mit eigenem Profü, mit Mei­ nen Wahl zum Eklat führt. Die neue Offenheit fin­ nungen, die einem selbständigen redaktionellen Pro­ det wenig Gegenliebe im Parteivorstand und ist zeß entspringen, und sie wollen vor allem eine Zeitung schließlich der Grund für Kreuzers Ablösung. mit möglichst viel Nachrichten und möglichst wenig Den alteingesessenen Parteigranden zu kritisch, vorgefertigter Meinung.110 muß Kreuzer gehen; er wird, aus dem sel­ Im Gefolge des Einflusses der westlichen Be­ ben Grund, von Gerd Bacher, der mittler­ satzer macht sich auch im Bereich der Partei­ 22 weile als Generalintendant des Österreichi­ presse ein Zeitungsverständnis bemerkbar, das schen Rundfunks den Kampf mit der großen strikt trennt zwischen Bericht und Kommentar, Koalition und gegen deren autokratisches Selbst­ das Information als Wert an sich begreift, im verständnis aufgenommen hat, mit offenen Ar­ Gegensatz zur bislang vorherrschenden ideolo­ men empfangen. gischen Weltinterpretation. Information gilt zu­ nehmend als Recht der Öffentlichkeit, anstatt, wie bisher, als Privileg des Informanten; eine Entwicklung, mit der man in konservativen Krei­ 106 Paul Blau: Schein und Sein der Presse; in: Zukunft, sen der SPÖ Probleme zu haben scheint. Insbe­ H. 23, Jg. 1969, S. 29. sondere vor dem Hintergrund des Oppositions­ 107 Friedrich Keller: Zum Problem der Parteipresse; in: gangs im Jahr 1966, als man mit der Regierungs­ Zukunft, H. 8/9, Jg. 1962, S. 211. beteiligung den Zugriff auf den Rundfunk, ja 108 Oscar Pollak: Die denaturierte Parteipresse; in: Karl Ausch (Hg): Pollak Oscar: Kämpfer für Freiheit und Recht, Wien 1964, S. 251. 110 Günther Nenning: Wahlschatten; in: Zukunft, H. 10, 109 s. Pelinka/Scheuch: 100 Jahre AZ, S. 170 ff. Jg. 1962, S. 272. die medienpolitische Initiative insgesamt, verliert, u Beginn des Jahres 1967 löst zieht sich die Parteileitung hinsichtlich der so­ ZBruno Kreisky den Wahlver­ zialistischen Presse auf eine doktrinäre Position lierer von 1966, Bruno Pittermann, als Partei­ zurück. Der schwelende Konflikt zwischen ihr vorsitzenden ab, womit sich ein Generations­ und ihren Journalisten läßt sich in der Folge we­ wechsel an der Parteispitze vollzieht, der später der lösen noch unterdrücken. Er bricht aus. Her­ auch Auswirkungen auf die sozialistische Me­ mann Czekal, Chefredakteur des sozialistischen dienpolitik haben wird. Vorerst aber bleibt al­ Linzer Tagblatts, formuliert in einem Memo­ les beim alten. Die Arbeiter-Zeitung untersteht randum der Joumalistengewerkschaft völlig un­ auch weiterhin dem Parteivorstand statuarisch als verblümt: sozialistisches Zentralorgan, ihre Reichweiten­ talfahrt hält an. Paul Blau, der Nachfolger Kreu­ Alles in allem bin ich der Meinung, daß wir uns mit zers als Chefredakteur, versucht ebenfalls, die AZ aller Kraft gegen jede weitere Einschränkung der aus der verhängnisvollen Anbindung an die Par­ Meinungsfreiheit wehren müssen, wenn wir nicht end­ teileitung zu lösen: gültig zu Leib-Schreibsklaven der Politiker werden wollen.111 Hohe Funktionäre äußern heute frei ihre persönli­ che Meinung zu einer Reihe von Problemen, die in Im Jänner 1967 kritisiert Günther Nenning den der Partei noch zur Beratung stehen, sowohl in der un­ sogenannten Maulkorb-Paragraphen112 schärf- abhängigen Presse als auch in Rundfunk und Fern­ stens, der, statuarisch im Parteiprogramm verankert, sehen, manchmal sogar gegen die bisherige offizi­ innerparteiliche Opposition verhindern soll. Nen­ elle Linie. Wir begrüßten diese Offenheit, doch die ning stellt das Meinungsdiktat im Forum an den Arbeiter-Zeitung muß aus Gründen der Loyalität Pranger. Mehrere sozialistische Publizisten be­ Schweigen bewahren, solange kein offizieller Be­ ziehen offen Position für eine offene Presse­ schluß vorliegt.114 landschaft. Das permanente Kampfklima zwischen Partei- und freier Presse müsse beendet werden, Und sein Resümee: sozialistische Publizisten auch in unabhängigen Blättern Stellung beziehen dürfen, mithin auch Der Gedanke, daß einer offenen Partei nur eine offene gegen den Willen der Politiker. Eine Liberali­ Zeitung entspricht, die alle ihre Infoimationen jour­ sierungsforderung, die Bruno Kreisky unter­ nalistisch verwertet, die ungehemmt Kritik vom so­ stützt und erweitert, wenn er sogar die eigene zialistischen oder allgemein humanen Gesichtspunkten Presse für fremde Kommentatoren zu öffnen ausübt, hat sich noch nicht durchgesetzt.115 gedenkt: In einem Vertraulichen Reformpapier eines AZ- Unsere Zeitungen sollten regelmäßig auch Autoren Redakteurs aus diesen Tagen heißt es, die AZ offenstehen, die sich nicht zu unserer Partei bekennen. sei eine „in hohem Maße eine außengelenkte Das ist schon vom Standpunkt der Information nütz­ Zeitung“, und zwar nicht wegen der strengen lich und wichtig: Leser der sozialistischen Presse politischen Ausrichtung, „sondern weil sie in sollten wohl den Standpunkt der Partei kennen, aber zunehmendem Maße zum Amtsblatt eines sie sollen sich von diesem Standpunkt aus wirklich Parteiapparates geworden ist,,. Die Partei 23 orientieren können. D as können sie nur, wenn sie fordere „die totale Liebe“, den „totalen Re­ auch benachbarte Standpunkte regelmäßig kennen- spekt für Rathaus, ÖGB und Löwelstraße“.116 lemen. Die Vertrauenswürdigkeit der Parteizeitung wird 1970 übergibt Paul Blau die Chefredaktion an auf diese Weise erhöht. In unserer Zeit gibt es kaum Manfred Scheuch. noch einen Menschen, der politische Meinungen un­ besehen, ohne kritische Würdigung übernimmt.113 Bei den Nationalratswahlen 1970 erringt die SPÖ unter Kreiskys Führung die relative, 1971 die absolute Mehrheit. Es tut sich die Chance auf, verlorenes Terrain auch auf medienpolitischer

111 Hermann Czekal: Memorandum der sozialistischen Fraktion in der Gewerkschaft Kunst und Freie Berufe vom 114 Blau: Schein und Sein der Presse, a. a. O., S. 29. 3. November 1964; in: Forum, H. 157, Januar 1967, S. 64. 115 Blau: Schein und Sein der Presse, a. a. O., S. 30. 112 s. Forum, H. 157, Januar 1967, S. 61 ff. 116 Vertrauliches Reformpapier eines AZ-Redakteurs; zit. 113 Bruno Kreisky; in: AZ vom 17. August 1966. n.: Venus; „Wir sind wiederda“, a. a. O., S. 23. Ebene zurückzugewinnen. Kreisky des öffentlichen Diskurses. Lakonisch kom­ hat den Österreichischen Rund­ mentiert Hermann Czekal den eingetretenen funk im Visier, aber auch die sozialistische Par­ Wandel: „Freilich, die Parteipresse alten Stils teipresse. Er markiert innenpolitisch wie inner­ mit ihren Phrasen und Tabus, ihren ,Hofberich­ parteilich eine Zäsur, was Hermann Czekal eu­ ten4 und Hausmachtrücksichten ist tot!“117 118119120 phorisch kommentiert: Kreisky gibt die klassischen Konzepte der Par­ teipublizistik auf, muß es tun, nachdem sie un­ Auf zu einer modernen sozialdemokratischen Publi­ ter den veränderten gesellschaftlichen Bedin­ zistik! - das sind Forderungen, die bisher nur teil­ gungen nicht mehr zu halten sind. Analog dazu weise und zögernd erfüllt wurden. Bei Kreisky rennt erhält auch der Rundfunk vermehrt öffentliche man damit natürlich offene Türen ein, aber bei vielen Verantwortung zugesprochen. Als Bundeskanzler anderen sozialistisch-republikanischen, Würdenträ­ verkündet Kreisky: gern ‘ gibt es noch Bedenken über Bedenken. Solange man jedoch die Presse als persönliches Sprachrohr be­ Natürlich wird die Bundesregierung die gegenwärtige trachtet und postuliert, Kritik habe, angeblich im In ­ Gesetzeslage streng beachten, sie wird sich aber nicht teresse der Partei, dort aufzuhören, wo der eigene davon abhalten lassen, auch hier eventuelle Reformen Funktionsbereich beginnt, wird es keine sozialisti­ zu prüfen. Da es für alle Einrichtungen des Staates eine sche Presse geben, die ,bei den Lesern ankommt.n' allgemeine und eine öffentliche Kontrolle gibt, glaube ich, daß dies auch fü r den Rundfunk zu gelten hat. Die Erkenntnis kommt spät, vielleicht zu spät Ich bin der Meinung, daß wir nun ernstlich an eine De­ für die AZ, die als Zentralorgan vom Parteivor­ mokratisierung des Rundfunks herangehen sollten, stand - auch von Kreisky117 118 119 selbst - nur zögerlich an eine Demokratisierung, die den Rundfunkteilneh­ aus der Umklammerung entlassen wird. Erst der mern und den im Rundfunk Wirkenden ein echtes Mit­ Reformparteitag von 1976 wird sämtlichen so­ bestimmungsrecht gibt.121 zialistischen Blättern eine weitgehende redak­ tionelle Freiheit einräumen: Unüberhörbar ist die Herausforderung an den eigenmächtigen Rundfunk Gerd Bachers, den Über die Mitglieder der SPÖ hinaus soll diesen Zei­ es wieder unter (sozial)demokratische Kontrolle tungen ein möglichst großer Leserkreis gewonnen zurückzuführen gelte. Die Fordemng nach Staats­ werden. Das bedeutet, daß sozialdemokratische Zei­ nähe, wie man sie lange Zeit erhob, wird von tungen keiner wie immer gearteten Hofberichter­ Kreisky allerdings ad acta gelegt. Das Rund­ stattung zu dienen haben, sondern der geistigen Aus­ funkgesetz von 1974 verankert den Öster­ einandersetzung und der Widerspiegelung der Mei­ reichischen Rundfunk schließlich als öffentlich- nungsvielfalt. Für sozialistische Journalisten ist die rechtliche Anstalt, die Mitbestimmungsmög­ Kommentarfreiheit unter Beachtung der in der SPÖ lichkeiten der Mitarbeiter werden gesetzlich ge­ geltenden Grundsätze selbstverständlich. In die Mei­ regelt, eine Beschwerdeinstanz sowie die Hö­ nungsvielfalt ist in verstärktem Maße auch die Le­ rer- und Sehervertretung eingerichtet, im Ge­ serschaft einzubeziehen. Auch den interessierten Le­ genzug die Stellung des Generalintendanten ge­ sern soll die Möglichkeit gegeben werden, ihren Stand­ schwächt und stattdessen als höchstes Organ ein 24 punkt zu aktuellen Themen in den sozialdemokratischen von verschiedenen gesellschaftlichen Institu­ Zeitungen zu vertreten, auch wenn diese Aussagen tionen, darunter den Parteien, beschicktes Ku­ nicht immer mit der Meinung der Zeitungen über- ratorium eingesetzt. . . 1 IQ einstimmen. Kreisky kann es sich zwar ebensowenig wie Bezeichnend ist die Anerkennung der öffentlichen seine Vorgänger leisten, auf die Möglichkeiten, Aufgabe, auch und gerade am Sektor der Par­ die moderne Massenmedien bieten, zu verzich­ teipresse. Auch die Parteizeitung güt nunmehr we­ ten, doch verzichtet er darauf, unmittelbar über niger als Sprachrohr der Partei, denn als Forum sie verfügen zu wollen. Der Weg vom Staats-

117 Hermann Czekal: Von der Pressemisere zum Pressekonzept; in: Zukunft, H. 8, Jg. 1971, S. 21. 120 Czekal: Von der Pressemisere zum Pressekonzept, a. 118 s. Pelinka/Scheuch; 100 Jahre AZ, S. 186. a. 0., S. 21. 119 Resolution des Parteitages der SPÖ 1976; zit.n.: 121 Rede von Bruno Kreisky am Parteitag der SPÖ, Pelinka/Scheuch; 100 Jahre AZ, S. 188. 12.Juni 1970; in: Zukunft, H. 13, Jg. 1970, S. 1. kanzler Karl Renner, der sein­ er habe Medien­ erzeit dafür plädierte, das Be­ Der Autor politik aus der rufsliteratentum zu wirklicher Perspektive des Staatsmannes Parteiarbeit anstatt zu hoch­ Mag. betrieben, gilt für Bruno mütiger Überheblichkeit zu er­ Kreisky wohl das Gegenteil, Wolfgang Pensold (1967) ziehen, zum Medienkanzler betreibt er doch eher Staats­ Bruno Kreisky, der die sozia­ politik aus der Sicht der Me­ listische Presse auch Autoren Dissertant am Institut für Pu­ dien. öffnen will, die sich nicht zur blizistik- und Kommunikations­ SPÖ bekennen, spiegelt inso­ wissenschaft der Universität fern einen paradigmatischen Wien; Mitarbeiter an verschie­ Wandel wider: während man denen Forschungsprojekten Karl Renner nachsagen kann,

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Also ich muß Dir sagen, Du ahnst nicht, wie solche Interviews zu geben?“3 Bereits zuvor wenig Zeitung ich lese und wie wenig Fernsehen führte der Umstand, daß Kreisky in den Medien ich schaue, aber wie wichtig mir die Medien­ mehr oder weniger deutlich die Ablöse des Par­ frage ist. Kreisky1 teiobmannes Bruno Pittermann (1905-1983) ge­ fordert hatte, „zum de facto Hinauswurf aus der „Kommunikationsprobleme - Parteizentrale in der Löwelstraße“.4 Große Koalition und Alleinregierung Klaus Unter Kreiskys Vorgänger Pittermann, einem hochqualifizierten Parlamentarier und brillan­ ie Niederlage der Sozialisten bei den Natio­ ten Redner, der 1957 dem zum Bundespräsi­ Dnalratswahlen vom 6. März 1966, welche denten gewählten Parteivorsitzenden und Vize­ der ÖVP unter (geb. 1910) mit kanzler Adolf Schärf (1890-1965) nachgefolgt 48,35% der Stimmen eine absolute Mehrheit an war, hatte sich die SPÖ in einem ideologischen Mandaten brachte, führte nach einem längeren Ghetto verloren, was zur Folge hatte, daß seitens innerparteilichen Diskussionsprozeß dazu, daß der Parteispitze die Konsequenzen sozialisti­ Bruno Kreisky am 1. Februar 1967 entgegen scher Politik oft falsch eingeschätzt wurden den Intentionen des Parteiestablishments in ei­ (Habsburg-Krise, Fußach-Affäre, KPÖ-Wahl- ner „verdeckten Kampfabstimmung“ zum SPÖ- empfehlung). Vor allem aber ist an die „Olah- Vorsitzenden gewählt wurde. Der überaus ein­ Krise“ von 1964 zu erinnern.5 Ohne auf die es­ flußreiche Zweite Nationalratspräsident Karl kalierenden Ereignisse dieses Jahres eingehen Waldbrunner (1906-1980), der selbst als Kandidat zu können, verdient es festgehalten zu werden, im Gespräch war, aufgrund seines Gesund­ daß Franz Olah (geb. 1910) offiziell wegen „Mit­ heitszustandes jedoch nicht mehr zur Verfügung arbeit an nicht-sozialistischen Presseerzeugnis­ stand, war damals gegen Kreisky, weil dieser sen ohne Einvernehmen mit dem Parteivorstand“ sich zu sehr „von Stimmungen tragen lassen verwarnt wurde und aufgrund dieses lächerli­ würde“ und sich in einzelnen Fragen „dem Ein­ chen Vorwurfes als Innenminister demissionie­ fluß der Medien allzu stark aussetzen könnte“.2 ren mußte. Sein Sturz hatte u. a. in den inkri- Wesentlich heftiger fiel die Kritik am Kandida­ minierten finanziellen Transaktionen insbeson­ ten Kreisky seitens Anton Benyas (geb. 1912) aus, dere rund um die Gründung der Kronen-Zeitung der sich in starken Worten über die um sich grei­ zwar ihren unmittelbaren Anlaß, die Ursachen sind fende Tendenz erregte, Politik über die Medien freilich woanders zu suchen. Für die Gegner zu machen bzw. interne Auseinandersetzun­ Olahs in der SPÖ waren diese mit Gewerk- gen über unabhängige Zeitungen austragen schaftsgeldem finanzierten Machenschaften, die 26 zu wollen. Auf ein Interview mit einer großen der populäre Politiker ohne Rücksprache mit deutschen Tageszeitung, der FAZ, anspie­ der ÖGB- bzw. Parteiführung auf eigene Faust lend, die Kreisky zu seiner Einschätzung hin­ unternommen hatte, der willkommene Anlaß, sichtlich seiner Kandidatur als SPÖ-Vorsitzen- der befragt hatte, rief der Gewerkschafter Benya den Delegierten des Parteitages zu: „Genossin­ 3 Fischer, S. 40. nen und Genossen? Wo ist die Berechtigung, 4 Oliver Rathkolb: Die Kreisky-Ära 1970-1983, in: Rolf Steininger/Michael Gehler (Hg.): Österreich im 20. Jahrhundert. Vom Zweiten Weltkrieg bis zur Gegenwart, Bd.2, Wien - Köln - Weimar 1997, S. 311. 1 Kreisky zum Journalisten Steinmayr, zit. n.: Uri 3 s. Helmut Konrad/Manfred Lechner: „Millionenver­ Avneri/Manuel Lucbert/Jochen Steinmayr/Kurt Vorhofer: wechslung“. Franz Olah. Die Kronenzeitung, Geheim­ Bruno Kreisky in den in- und ausländischen Medien dienste, Wien - Köln - Weimar 1992, s. a.: Werner (Diskussion), in: Werner Gatty u. a. (Hg.): Die Ära Pleschberger: Die „Olah-Krise“: Politische Probleme der Kreisky. Österreich im Wandel 1970-1983, Innsbruck - Modernisierung des österreichischen Parteiensystems in Wien 1997, S. 139 ff, hier S. 147. den sechziger Jahren, in: Anton Pelinka/Fritz Plasser 2 Heinz Fischer: Die Kreisky-Jahre 1967-1983, Wien (Hg.): Das österreichische Parteiensystem, Wien - Köln - 1993, S. 38. Graz 1988, S. 695 ff. um den gefürchteten Gegner entmachten zu kön­ sition spottete über den Super nen. Olahs mangelnde ideologische Substanz sportier der Nation - einiges an pu­ und sein Populismus waren für seine zahlrei­ blikumswirksamer Ausstrahlung mit, das frei­ chen Feinde eine willkommene Angriffsfläche, lich durch die oberlehrerhaften Gebärden durch­ es dauerte nicht lange und dem mehrfach als kreuzt wurde“6, analysierte der Historiker Emst „faschistoid“ apostrophierten Olah wurde zum Hanisch. Klaus, der „echte Österreicher“, wel­ Vorwurf gemacht, er wolle die SPÖ in eine „Füh­ cher seine Regierungstätigkeit mit einer Messe rerpartei“ transformieren. Wahr ist jedoch auch, im Bundeskanzleramt beginnen ließ, fühlte sich daß sich Olah der Kronen-Zeitung zu bedienen vor den Fernsehkameras gehemmt, ja regelrecht wußte, um zum Beispiel gegen Anton Benya scheu, während Kreisky zur Hochform auflief, Stimmung zu machen. sobald sich ihm ein Kamerateam näherte. Die Alleinregierung Klaus hatte, möchte man eine „Bi­ Hinter den vorgeschobenen Gründen verbargen lanz“7 * ziehen, neben der Tatsache, daß sie einfach sich handfeste ideologische und machtpoliti­ über kein mit der neuen Zeit bzw. deren Her­ sche Interessen, wobei es nicht nur um den Par­ ausforderungen korrespondierendes Konzept teivorsitz, sondern auch um die Positionierung verfügte, u. a. ein exorbitantes Kommunika­ der SPÖ ging. Sollte man auf Personalisierung tionsproblem, sie scheiterte nicht zuletzt an ihrem oder Programmatik setzen? Wie sollte man sich Unvermögen, sich dem Wähler „verkaufen“ zu gegenüber den Massenmedien verhal­ können. Zudem ten, welche Bedeutung hatten sie ...? verkannte der Olah war eine schwer berechenbare, Eine „ Verwissenschaftlichung der ebenso idealisti­ charismatische Führerfigur, ein begab­ Politiku war in der einsetzenden sche wie pedanti­ ter Populist, der früher als alle anderen Ära der Personalisierung sche Christdemo­ die zukünftige Bedeutung der Massen­ ein Auslauftnodell krat die im Fluß medien erkannte. Der ehemalige ÖGB- befindlichen Rah­ Präsident ist als Person gescheitert, seine menbedingungen, Strategien hingegen nicht. Im Gegenteil, es wa­ während er mit seinem Slogan einer „Demo­ ren zumindest in Gmndzügen diese Strategien (so kratisierung der Politik“ warb, übersah er völlig, auch die Annäherung an die FPÖ oder Gespräche daß der von Kreisky erkannte soziale Wandel mit der katholischen Kirche), die sich - freilich längst nach einer „Demokratisierung der Ge­ nunmehr von der strafrechtlichen Dimension sellschaft“ rief. Schon 1954 (!) hatte Kreisky befreit - im späteren Erfolg Kreiskys inkarnier­ vor Diplomaten erklärt, man müsse „die gesamte ten. Pittermann, dem es 1959 gelungen war, die Gesellschaft mit Demokratie durchfluten las­ SPÖ zur stimmenstärksten Partei zu machen, sen“. ein Erfolg, der jedoch aufgrund des damals gel­ tenden Wahlrechts ebenso wie 1953 keine Mehr­ Während Kreisky im Jahre 1966 einen bis dahin heit an Mandaten brachte, war ursprünglich als singulären Schritt setzte, indem er den Spiegel Reformer angetreten, aber er wurde auf eine bei­ zu einer TV-Diskussion herausforderte, nahe tragische Weise von den Entwicklungen konnte das Hamburger Nachrichtenmaga­ überholt. Seine Sache war die geschliffene Rede zin im Jahr darauf über den hölzernen Bun­ 27 im Hohen Haus, er beherrschte jede Finte des deskanzler Klaus schreiben, dieser „raucht beinharten Verhandlet, mit (nicht-parteige- nicht wie Raab, trinkt nicht wie Figl, witzelt bundenen) Medien konnte er freilich nichts an­ fangen, Pittermann pflegte stets Distanz zu Jour­ 6 Emst Hanisch: Josef Klaus, in: Herbert Dachs/Peter nalisten zu halten. Gerlich/Wolfgang C. Müller (Hg.): Die Politiker. Karrieren und Wirken bedeutender Repräsentanten der Zweiten Republik, Wien 1995, S. 302. Altbundeskanzler Doch auch Bundeskanzler Josef Klaus, der ge­ Klaus schrieb bemerkenswert selbstkritische Memoiren, meinsam mit seinem Generalsekretär und spä­ in welchen er auch auf seine mangelnde mediale Wirkung bezug nahm; vgl. Josef Klaus: Macht und Ohnmacht in teren Vizekanzler Hermann Withalm (geb. 1912) Österreich. Konfrontationen und Versuche, Wien 1971. eine neue Politik der Sachlichkeit einleitete, eine Zur ÖVP-Alleinregierung s. a. die einzelnen Beiträge bei „Verwissenschaftlichung der Politik“, war in Robert Kriechbaumer u. a. (Hg.): Die Transformation der österreichischen Gesellschaft und die Alleinregierung von der einsetzenden Ära der Personalisierung ein Aus­ Bundeskanzler Dr Josef Klaus, Salzburg 1995. laufmodell. „Dabei brachte er, der braunge­ 7 Norbert Leser. Bilanz der Ära Klaus 1966-1970, in: brannte Schifahrer und Bergsteiger - die Oppo­ Kriechbaumer, S. 27 ff. nicht wie Gorbach“. Die Sprache D er, rote Kakadu ‘ las jeden Dienstag nach dem Mi­ des Josef Klaus war eine „unhi­ nisterrat das politische Hochamt medial vervielfältigt. storisch-technische“, auf Joumalistenfragen ant­ Während Klaus des morgens in die Berlitz School wortete er direkt und nicht selten unwirsch, eilte, telephonierte Kreisky im Bett. Klaus konnte sich Kreisky hingegen „richtete“ sich die Fragen über etwas empören, Kreisky grantelte und attackierte „her“, wich aus, schweifte ab - und die wohl- sprachlich (...). Begreiflich ist der Ärger Kreiskys im bekannte Einleitung seiner sogenannten „Wort­ letzten Jahr seiner Regierung, als Oppositionschef spenden“, das sonore - „Ich bin der Meinung im Belvedere und in einem City-Palais - hatte für manche Journalisten am Höhe­ quasi-staatliche Erklärungen ab gab. Ein Rivale punkt von Kreiskys Einfluß und Popularität bei­ pfuschte in den Habsburg-Mythos, in die Licht-Me­ nahe den Charakter der Infallibilität. „Er ist hin­ taphysik. “10 getreten vor ein paar Journalisten und hat gere­ det - mit wunderbarer Stimme - Kreisky mit Fi­ Eine der bedeutendsten Reformen der ÖVP-Al­ stelstimme wäre undenkbar gewesen“, meinte leinregierung war die Rundfunkreform von 1967, Kurt Vorhofer von welche erstmals die Voraussetzungen der Kleinen Zeitung für eine unabhängige Berichterstat­ einmal. Vor dem Kreisky war bereit, tung im Fernsehen und im Rundfunk Hintergrund der le­ für Journalisten „ Tag und Nacht schuf. Der ORF galt zuvor „als der gendären Langsam­ telephonisch zur Veifügung Inbegriff und Ausdruck des Proporz­ keit seines Wortflus­ zu stehen systems, wie es sich durch die große ses wurde folgende Koalition zwischen ÖVP und SPÖ Anekdote über eine herausgebildet hatte“11. Für beide Radiosendung geprägt: „Sie hören nun eine An­ Großparteien galt ein Satz des SPÖ-Abgeord- sprache von Bundeskanzler Bruno Kreisky. Zwi­ neten Kratky aus dem Jahre 1963: „Für uns sind schen den einzelnen Worten hören Sie Marsch­ Rundfunk und Fernsehen Machtfragen!“12 musik!“ Kreisky rechtfertigte seine langsame Während nach der Reform der sogenannte Sprechweise folgendermaßen: „News-Wert“ als primäres Selektionskriterium fungierte, wurde zuvor die den Großparteien ge­ Ich habe (...) immer die Ansicht vertreten, daß man sich widmete Sendezeit mit der Stoppuhr gemessen, (...) bewußt sein muß, so zu reden, daß man verstan­ eine regelrechte „Informationsexplosion“ war den wird. Und das ist eine der Ursachen, warum ich die unmittelbare Folge. Nutznießer des Rund­ so langsam rede, weil ich weiß, wie viele Leute auf das funkgesetzes war aber nicht die ÖVP, sondern die Radio angewiesen sind und wie hastig das Wort vorbei­ oppositionelle SPÖ, der es gelang, „besser zu fliegt. Deshalb habe ich den Menschen Zeit lassen artikulieren, mehr News zu setzten, echte poli­ wollen zum Nachdenken. (...) Das gesprochene Wort tische Ereignisse zu präsentieren“13. Durch die ist wie eine Kugel aus dem Lauf - man kann es nicht Domestizierung des Proporzes im Rundfunk, mehr zurückholen.8 der nun relativ unabhängig war, nahm der öf­ fentliche Diskurs eine neue Qualität an. Wenn­ Kreisky war bereit, für Journalisten „Tag gleich zunächst noch verhalten, so entwickelte 28 und Nacht“ telephonisch zur Verfügung zu ste­ sich im ORF doch ein gewisses Maß an antiau­ hen9, sein regelmäßiges „Presse-Foyer“ nach den Sitzungen des Ministerrates wurde zum Ri­ 10 Gerfried Sperl: Die Sprache der Zweiten Republik, tual der Selbstinszenierung. Bald schon nann­ in: Wolfgang Mantl (Hg.): Politik in Österreich. Die ten sie ihn „Sonnenkönig“, später war er nur Zweite Republik: Bestand und Wandel, Wien - Köln - Graz 1992, S. 289. noch „der Alte“. Gerfried Sperl, der Chefre­ 11 Hans Heinz Fabris: Das österreichische Medien­ dakteur des Standard, analysierte die Situation system, in: Heinz Fischer (Hg.): Das politische System jener Jahre wie folgt: Österreichs, Wien 1982, S. 518, s. a. Hermann Stöger: Schwarze Welle - Roter Schirm. Der Proporz am Beispiel 8 Bruno Kreisky: Der Mensch im Mittelpunkt. Der Rundfunk, Wien - Melk 1965. Memoiren dritter Teil, (hrsg. von Oliver Rathkolb, 12 zit. n.: Ludwig Reichhold: Geschichte der ÖVP, Johannes Kunz und Margit Schmidt), Wien 1996, S. 81. Graz - Wien - Köln 1975, S. 391. 9 Ein Auszug aus dem öffentlichen Telephonbuch des 13 Franz Kreuzer, zit. n.: Wolfgang C. Müller: Parteien Jahres 1973 - „Kreisky Bruno, Dr 19 Armbrustergasse 15 zwischen Öffentlichkeitsarbeit und Medienzwängen, in: (371236)“ - wurde abgedruckt in: Stiftung Bruno Kreisky Wolfgang R. Langenbucher (Hg.): Politische Kommuni­ Archiv, Historisches Museum der Stadt Wien (Hg.): kation. Grundlagen. Strukturen. Prozesse, Wien 1986, Bruno Kreisky. Seine Zeit und mehr, Wien 1998, S. 228. S. 108. toritärer Kritikfähigkeit, was naturgemäß vor würde, erreichten „Kreisky und allem der regierenden ÖVP schadete. Schließlich sein Team“ bei den Nationalrats­ ist noch darauf hinzuweisen, daß die SPÖ im wahlen vom 10. Oktober 1971 mit 50,04 % der Bereich der Printmedien gegenüber der ÖVP Stimmen bzw. 93 Mandaten die absolute Mehr­ stets im Nachteil war, da die parteipolitisch nicht heit. Wie dominant Kreisky in den Köpfen der gebundenen Medien eindeutig bürgerlicher Pro­ Menschen bereits damals war, dokumentiert fol­ venienz bzw. Ausrichtung waren.14 Kreisky hatte gende Episode: Karl Blecha, der spätere Zen­ bereits als Oppositionsführer begonnen, ein tralsekretär, ließ nach dieser Wahl eine Umfrage neues Kapitel im Verhältnis seiner Gesinnungs­ durchführen, bei welcher nach dem am besten in gemeinschaft zu den bürgerlichen Medien auf­ Erinnerung gebliebenen Plakat gefragt wurde. Die zuschlagen, indem er dem Prinzip der „Lager-Öf­ Majorität antwortete:„Das mit dem Kreisky!“ Al­ fentlichkeit“, dessen historisches Scheitern leine - die SPÖ hatte 1971 kein einziges Plakat Kreisky stets im Hinterkopf hatte, ein Ende berei­ mit Kreisky affichiert... Bei den Wahlen vom 5. tete und die SPÖ nach allen Seiten hin öffnete. Oktober 1975, welche die SPÖ mit dem Slogan „Kreisky, wer sonst?“ bestritt, konnte der Man­ Exkurs datsstand gehalten werden, am 6. Mai 1979 ge­ lang den Sozialdemokraten, die ihren Wahl­ ei den Nationalratswahlen vom 1. März kampf erneut ganz auf ihren Spitzenkandidaten B1970 konnte die SPÖ mit dem Slogan Kreisky zugeschnitten hatten, sogar der Ausbau „Wählen Sie das moderne Österreich“, hinter ihrer absoluten Mehrheit (51 % bzw. 95 Mandate). welchem sich eine Reihe von Modernisie­ Am Tag nach der Wahl notierte Thomas Chor­ rungsprogrammen verbarg, erstmals in der Ge­ herr in der Presse resigniert: schichte der Zweiten Republik die relative Mehr­ heit an Mandaten gewinnen und somit den An­ Dieser Bruno Kreisky ist schuld am größten Wahl­ spruch auf das Amt des Bundeskanzlers stellen. sieg, den die SPÖ in der Zweiten Republik erringen Nachdem die KoalitionsVerhandlungen mit der konnte. Er kalkulierte Sicherheit und Vaterfigur. Was ÖVP erfolglos abgebrochen werden mußten, heißt Vaterfigur? Er wollte Autorität, ein Kaiser­ entschied sich Kreisky für das Experiment ei­ image. Daß am Vorabend des Wahltages mehrere tau­ ner Minderheitsregierung, die von Bundespräsident send Besucher einer Operettengala in der Wiener am 21. April 1970 angelobt wurde. Stadthalle jubelten, als in einer Kutsche Fred Lie- Das sozialistische Minderheitskabinett wurde wehr in der Maske des alten Kaisers auf die Bühne fuhr, von der FPÖ unterstützt, welche die Duldung paßt haargenau in dieses Bild. Die SPÖ siegte vor des Kabinetts Kreisky I von einer ohnehin längst allem deshalb, weil sie einen Ersatzkaiser präsen­ fälligen Wahlrechtsreform abhängig gemacht tierte: den seit Leopold Figl und po­ hatte.15 Da die Freiheitlichen sich vom neuen, pulärsten Regierungschef - und den seit 1945 inter­ gerechteren Wahlrecht Vorteile erhofften, stimm­ national angesehendsten Politiker.16 ten sie im Juli 1971 mit der SPÖ für Neuwahlen, die für den 10. Oktober 1971 angesetzt wurden. Die oppositionelle ÖVP, die seit 1945 den Entgegen den Erwartungen der ÖVP, deren Funk­ Bundeskanzler gestellt hatte, konnte während tionäre überzeugt waren, daß die Minderheits­ der gesamten Ära Kreisky keinen Parteiob­ 29 regierung und damit die Mehrheit der SPÖ bald mann bzw. Spitzenkandidaten finden, der in „auf dem Misthaufen der Geschichte“ landen die Rolle einer ernsthaften Alternative zu Kreisky einzurücken vermocht hätte. Withalm, der dem überstürzt zurückgetretenen Klaus nachfolgte, 14 vgl. Alexander Vodopivec: Der verspielte verstand sich selbst nur als „Übergangskandi­ Ballhausplatz. Vom schwarzen zum roten Österreich, Wien 1970, S. 216 ff; zur Auffassung der SPÖ vgl. den dat“ und wurde im Juni 1971 von Generalse­ „Problemkatalog“ für das neue Parteiprogramm, in kretär Schleinzer (geb. 1924) abgelöst, der am 19. welchem 1977 von der Notwendigkeit einer „Transforma­ Juli 1975, knapp vor den Nationalrats wählen, tion der bürgerlichen Medienlandschaft in Österreich“ die Rede war (S. 15); vgl. dazu auch Kapitel 3. 1. 4 des bei einem Autounfall ums Leben kam. Zu seinem Parteiprogrammes von 1978. Nachfolger wurde der Banker Josef Taus (geb. 15 Friedhelm Frischenschlager: Die Ära Klaus aus der 1933) gewählt, der nach den Niederlagen von Perspektive der FPÖ, in: Kriechbaumer, S. 211 ff; gegen­ über FPÖ-Chef Friedrich Peter erklärte Kreisky noch in der Wahlnacht, daß er unabhängig von der Entscheidung der FPÖ zu einer Wahlrechtsänderung entschlossen sei. 16 vgl. Die Presse, 7. Mai 1979. 1975 und 1979 Alois Mock (geb. rikanisierung“ ein, welcher das Verhältnis zwi­ 1934) Platz machen mußte, der die schen Politik und Medien auf eine völlig neue ÖVP stärker marktwirtschaftlich positionierte. 1983 Grundlage stellte. Es wurde die Politik in einem trat Kreisky nach dem Verlust der absoluten Prozeß der Ritualisierung, welcher der Kon­ Mehrheit zwar zurück, aber er führte noch die Koa- struktion einer „neuen politischen Wirklichkeit“ litionsverhandlungen mit der FPO, in deren gleichkam, vermehrt auf eine Auseinandersetzung Folge die ÖVP für weitere vier Jahre von der zwischen einzelnen Personen reduziert, sie wurde Regierung fern gehalten wurde.17 aufgrund des Zwangs, immer mehr auch unter­ halten zu müssen, geradezu „entpolitisiert“.21 Zusammen mit Bundespräsident Kirchschläger Parallel dazu nahm die Berichterstattung über (geb. 1915), dem sakralisierten „Staatspredi­ das Privatleben der führenden Politiker zu. Ge­ ger“, und Erzbischof König, dem politischen rade über Kreisky wurde viel „Unpolitisches“ Kardinal von Wien, hypostasierte Kreisky die berichtet. Seine Nadelstreifanzüge, Urlaubsorte „drei K’s“ der 1970er und frühen 1980er Jahre, oder der illustre Freundeskreis des Bundes­ welche sich sommers mit dem „Goleador“ Hans kanzlers aus großbürgerlich-jüdischem Milieu wa­ Krankl und winters mit dem „Schikaiser“ Franz ren für diese Art von Journalismus attraktiv. Be­ Klammer pentagonal verschränkten. Mit ihnen reits 1970 konnten die interessierten Leser in vollzogen die Österreicher jahrelang ihren iden- einer deutschen Illustrierten „Alles über das Pri­ titären Koitus. Und Kreisky war der personal- vatleben von Bmno Kreisky“ nachlesen. U. a. hieß plebiszitär geweihte König, der republikanische es hier neben einem einschlägigen Foto: Kaiser dieses prosperierenden Schrebergartens der Hyperboreer.18 Kreisky vollendete als „Erfinder Österreichs Bundeskanzler (...) ist immer aktiv: An und Erhalter“ eines sozialliberalen Konsenses seinem Schreibtisch am Ballhausplatz und - wie hier die notwendige Transformation der österreichi­ - zu Hause, wo er sich auf einem Heimtrainer fit hält. schen Gesellschaft, wobei er nicht nur einen seit Der zehnjährige Boxer Titus ist daran gewöhnt. Der Mitte der 1960er Jahre zu konstatierenden Ver­ Kanzler hält sich außerdem durch häufiges Tennisspielen änderungsprozeß fortführte, sondern auch neue (...) und durch Schwimmen im eigenen Pool in Form.22 Wege ging. Ein „Wählerbündnis, eine Wähler­ koalition (...) zwischen Sozialdemokraten und fort­ Der Weg zur medialen „Hausmacht“ schrittlichen, liberalen Kräften“19 gewährleiste­ ten die „sozialliberalen Reformen“ der 1970er chon während seiner Tätigkeit als Staatsse­ Jahre. Kreisky erkannte früh die politischen Skretär (1953-1959) und Außenminister (1959- „Marktchancen“ und nutzte sie. Gleichzeitig 1966) pflegte Kreisky vielfältige Kontakte mit wirkte er wie kein anderer „leader“ auf den Journalisten. Der Publizist Emst Trost berich­ Markt und machte dem Bürger Angebote, die tete von einer Reise nach Moskau im Zuge der unmittelbar und unverwechselbar mit seiner Per­ Staatsvertragsverhandlungen, anläßlich derer es son zu tun hatten.20 Kreisky erstmals gelungen sein soll, Journali­ sten emotional an sich zu binden. Anders als an­ Die mittlerweile legendären Schlagworte dere Politiker, die sich Medienvertretern ge­ „Öffnung“ und „Transparenz“ fanden auch genüber oftmals recht überheblich verhielten, 30 im Bereich der Medien ihren Niederschlag. verbrachte Kreisky seine Abende nicht mit sei­ Gleichzeitig setzte jedoch ein Prozeß der „Ame- nen Berufskollegen, sondern mit Journalisten, ein Umstand, der, so Trost, „die Beziehung zwi­ 17 Zu den Ursachen des Verlustes der absoluten schen ihm und den Journalisten natürlich unge­ Mehrheit vgl. Franz Birk/Kurt Traar: Das Ende einer Ära, mein gefördert“ hat.23 * An den Versuchen Olahs, in: ÖJP ’83, München - Wien 1984, S. 45 ff; zu den Koalitionsverhandlungen vgl. Anton Pelinka: Die Kleine Koalition: SPÖ-FPÖ 1983-1986, Wien 1993, S. 30 f. 21 Kurt Luger/Hans Heinz Fabris: Das politische Starsy­ 18 Christian Dickinger: König der Hyperboreer. Über stem Österreichs, in: ÖZP, Heft 4/1981; s. a. Müller: Par­ Bruno Kreisky, der vor 15 Jahren seinen Abschied nahm, teien zwischen Öffentlichkeitsarbeit und Medienzwängen, in: Die Zukunft, Heft 7/8/1998, S. 39 ff. a. a. O. S. 109; s. a. Roger-Gerard Schwartzenberg: Politik als Showgeschäft, Düsseldorf - Wien 1980. 19 So Bruno Kreiskys Definition in einem Interview mit dem ORF vom 8. April 1975. 22 abgedruckt in: Stiftung Bruno Kreisky Archiv, Histo­ risches Museum der Stadt Wien (Hg.), S. 234. 20 Thomas Nowotny: Aber was macht der Dumme schon mit dem Glück? Politische Leadership durch Bruno 23 zit. n.: Elisabeth Horvath: Ära oder Episode. Das Kreisky\ in: ÖZP, Heft 4/1997, S. 393 ff. Phänomen Bruno Kreisky, Wien 1989, S. 20. die Kronen-Zeitung zu instrumentalisieren, be­ lich auch Kriegsberichterstatter in teiligte sich Kreisky ebensowenig wie an den Finnland. Eine Episode, die sich Kontakten, die Justizminister Christian Broda unmittelbar nach seiner Wahl zum Parteivor­ (1916-1987), Kreiskys großer Gegner seit den Ta­ sitzenden abspielte, ist hinsichtlich des Verhält­ gen der Olah-Krise, mit Medienvertretem wie etwa nisses Kreiskys zum geschriebenen Wort be­ Fritz Molden pflegte, der damals Herausgeber der sonders signifikant. Noch am Abend des Par­ Presse war. Der Journalist Viktor Reimann, ei­ teitages fuhr der neue Vorsitzende in das „Vor- ner der Mitbegründer des „Verbandes der Un­ wärts“-Gebäude, durchschritt eilig, nur kurz abhängigen“, erklärte dazu, daß Kreisky zwar grüßend, das Zimmer des AZ-Chefredakteurs Brodas Konzept unterstützt hätte, sich jedoch Franz Kreuzer, der noch an seinem Leitartikel bewußt im Hintergrund gehalten habe.24 Er un­ feilte, um einen kleinen Nebenraum zu betre­ terhielt stattdessen gute persönliche Kontakte ten. In diesem Raum hatte Kreiskys Vorbild Otto zu ausgewählten Journalisten, deren er sich in spä­ Bauer seine großen Kommentare geschrieben, auch teren Jahren geschickt zu bedienen wußte. Be­ ein Bild des wortmächtigen Austromarxisten reits als Staatssekretär führte Kreisky mit aus­ hing an einer Wand. Kreisky verweilte unge­ gewählten Journalisten „Hintergrundgespräche“, fähr fünf Minuten vor diesem Bild - welche er dazu nutzte, seine Position ausführlich zu erläutern und zudem echte „News“ weiter­ er, der immer Chefredakteur der Arbeiter-Zeitung und zugeben, was ihn für seine österreichischen und Parteiführer werden wollte, aber nie daran dachte, internationalen Gesprächspartner besonders in­ Bundeskanzler zu werden, fühlte sich als Weiteiführer teressant machte. Bereits im Jahre 1960 von Bauers Werk wurde der noch nicht einmal ein Jahr und erwies ihm seine als Außenminister amtierende Kreisky ge­ Referenz, Kreisky erkannte früh meinsam mit Richard Nixon, Dag Ham­ die politischen „Marktchancen ‘ marskjöld und seinem Freund Willy erklärte Kreuzer und nutzte sie Brandt vom britischen Observer in die einmal.26 In seiner Kategorie „great men“ gereiht, während Funktion als Bun­ zu diesem Zeitpunkt noch keine einzige deskanzler hatte österreichische Zeitung ein Porträt von ihm ge­ Kreisky oftmals damit kokettiert, daß er am lieb­ bracht hatte. sten Chefredakteur der Arbeiter-Zeitung ge­ worden wäre, und tatsächlich hatte er sich nach Einschlägige Erfahrungen mit dem Journalis­ dem Abgang des legendären Oscar Pollak um mus konnte Kreisky während seiner schwedi­ diese Funktion beworben, doch Schärf hatte sich schen Emigration sammeln.25 Kreiskys spätere für Kreuzer entschieden, den Schwiegersohn Rolle als „Journalistenkanzler“ ist wesentlich des Zentralsekretärs Alois Piperger.27 Ab­ auf seine journalistische Tätigkeit in den Jah­ schließend ist vielleicht noch der Hinweis interes­ ren des Exils zurückzuführen. Obwohl Kreisky sant, daß Gerd Bucerius, der mittlerweile ver­ selbst einmal bemerkte „ich will nicht sagen, storbene Verleger derZrir, den österreichischen daß ich Journalist gewesen bin“, war seine pu­ Altbundeskanzler, welcher zu diesem Zeit­ blizistische Tätigkeit äußerst vielseitig, er ar­ punkt allerdings noch viel zu beschäftigt 31 beitete zwischen 1943 und 1946 als Korre­ war, gerne als Mit-Herausgeber seines spondent für die Tribune, „dem radikalen Par­ Wochenblatts gesehen hätte, erst danach wurde teiorgan der Britischen Labour Party“, für die für diese Funktion der deutsche Altbundeskanzler schwedischen Blätter Friheten und Vz, für die Helmut Schmidt verpflichtet. Im dritten Band Schweizer Zeitschrift Tat und er war schließ­ seiner Erinnerungen schrieb Kreisky:

Ich wollte auch nicht Abgeordneter oder so etwas 24 Viktor Reimann: Bruno Kreisky. Das Porträt eines werden, sondern Journalist. Jeden Tag gedruckt seine Staatsmannes, Wien - München - Zürich 1972, S. 242. 25 Zu Kreiskys Zeit in Schweden vgl. Werner Gatty: Bruno Kreisky im schwedischen Exil, in: Gatty u. a. (Hg.), S. 17 ff; vgl. a. Bruno Kreisky: Zwischen den Zeiten. Erin­ 26 Peter Pelinka/Manfred Scheuch: 100 Jahre AZ. Die nerungen ausfiinf Jahrzehnten. Berlin/Zürich/Wien 1986; Geschichte der Arbeiter-Zeitung, Wien 1989, S. 175. vgl. a. Oliver Rathkolb, Irene Etzersdorfer (Hg.): Der junge Kreisky. Schriften. Reden. Dokumente 1931-1945, 27 Paul Lendvai/Karl Heinz Ritschel: Kreisky. Porträt Wien 1986. ’ eines Staatsmannes, Wien 1972, S. 41. Meinung sagen zu können, das ist ja sehr einem anderen, ließ Zeitwörter aus, assoziierte, faszinierend,28 mäanderte. „Er ist so reich an Worten und Ge­ danken“, notierte Peter Michael Lingens, Dieser Wunsch sollte ihm schließlich in Erfül­ lung gehen. daß er nicht gleich jedem von ihnen seine ganze Auf­ merksamkeit schenken kann. Kreiskys Sätze quellen „(...) ein rund um die Uhr wirkender aus dem Überfluß. Taus oder Mock kratzen zusammen, und allwissender Leitartikler“2829 - was sie haben, und hoffen, daß jem and da ist, der es Einige Bemerkungen zu Kreiskys nimmt.32 Sprache Tatsächlich war es keinem Politiker vor oder urz vor den entscheidenden Nationalratswah­ nach ihm gegeben, aus einem derartig überrei­ Klen des Jahres 1970 erklärte ein ungefähr chen Fundus sprachlicher Möglichkeiten zu 50jähriger sozialistischer Eisenbahner gegen­ schöpfen.33 Walter Jens, ein prominenter deutscher über der SPÖ-Abgeordneten Stella Klein-Löw: Professor für Rhetorik, fahndete einmal mit deut­ scher Gründlichkeit nach den „Fehlem“ in Kreis­ So um 1950 herum kam er (Kreisky, Anm. C. D.) Mo­ kys Sprache, und natürlich wurde er mehr als nat für Monat, manchmal auch öfter zu uns, um zu kas­ fündig. Doch bei aller Kritik mußte Jens schließ­ sieren. Wir waren alle Mitglieder (...). Wir freuten lich eingestehen: „Naja, er wirkt auf Menschen, uns auf seinen Besuch und warteten auf ihn. Kreisky er wirkt eben!“ diskutierte gern mit uns und blieb oft lange. Er er­ zählte von der alten Partei (...). So wie jetzt hat er Kreisky war ein durch und durch dialektischer immer gesprochen. Jeder kann ihn verstehen.30 Mensch, er konnte an einem Tag das Gegenteil dessen sagen, was er noch am Vortag verkün­ Kreisky pflegte seine Reden so abzufassen, daß det hatte. Niemand nahm ihm das übel, das Pu­ „ein Voest-Arbeiter sie versteht, und ein Uni­ blikum war berauscht von Kreiskys Fähigkei­ versitätsprofessor nicht beleidigt ist“, wie er sich ten, sich aus dem scheinbar unentrinnbaren Di­ einmal ausdrückte. Fachjargon liebte Kreisky lemma herauszuwinden, herauszureden. „Selbst nicht. Er selbst bezeichnete sich als „terrible Kreiskys Irrtümer enthielten im allgemeinen simplificateur“, als einen schrecklichen Verein­ mehr Substanz als die Gewißheiten seiner Geg­ fachen „Ja, ich formuliere gern trivial, nicht?“, ner“, ätzte Lingens.34 Günther Nenning, der ehe­ sagte er kokett. malige Präsident der Joumalistengewerkschaft, meinte hierzu einmal: Kreiskys Sprache war im wesentlichen die der De­ mokratie, und die Sprache der Demokratie ist die Der Kreisky hat eine wahre Titanengestalt, jemand, Umgangssprache, die ganz normale Umgangsspra­ der außer daß er Politiker ist, auch - wie soll man che. Ich glaube, er war direkt von Ekel erfüllt, wenn sagen - also, eine Menschlichkeit ausgestrahlt hat, er komplizierte Sprache, also Fachjargon, gehört die aus altösterreichischen Wurzeln kommt - das Jü­ hat. (...) er hat sicher die Stilanweisung von Scho­ dische, das Liberale, also das nicht nur Sozialdemo­ 32 penhauer nicht gebraucht, ich sage es aber trotz­ kratische - und das hat er sich alles geleistet. (...) Die dem, weil sie sehr gut ist: ,Man brauche ge­ Journalisten haben doch immer geglaubt, sie kön­ wöhnliche Worte und sage ungewöhnliche Dinge'.31 nen Kreisky auf die Schliche kommen. Sie haben ge­ sagt - Herr Bundeskanzler, jetzt sagen Sie das, aber Nicht immer hielt sich Kreisky an einen kor­ vorgestern haben Sie das gesagt - die sind gar nicht rekten Satzbau, die Grammatik kümmerte ihn mehr nachgekommen. Das heißt, der hat mit solch kaum, er flog vielmehr von einem Gedanken zu einer schönen Freiheit die Dinge gesagt, die er gerade

28 Kreisky: Der Mensch im Mittelpunkt, S. 60. 32 Peter Michael Lingens: Auf der Suche nach den 29 Andreas Unterberger: Die Mythologisierung der verlorenen Werten in Politik, Kunst, Moral und Gesell­ österreichischen Außenpolitik, in: Europäische schaft. Kommentare zum Zustand Österreichs, Wien 1986, Rundschau, Heft 1/1981. S. 160. 30 Stella Klein-Löw: Bruno Kreisky. Ein Porträt in 33 Unverzichtbar dazu: Bruno Kreisky. Reden (2 Bände, Worten, Wien - München 1983, S. 23. hrsg. von Heinz Fischer), Wien 1981. 31 Vorhofer, Diskussion, a. a. O., S. 152 f 34 Lingens. im Augenblick für richtig gehalten hat. (...) das war wotny, der den Bundeskanzler meine Attraktion ihm gegenüber, das war, würde ich „hundert Stunden“ begleitet hatte, fast sagen, die Liebe.35 1976 fest.

Der Historiker Alfred Ableitinger schrieb von Immer geht es ihm darum, Aufmerksamkeit zu erregen Kreiskys „einzigartigem Talent, seinen immer oder zu erhalten, beginnende Langeweile zu über­ wieder inkonsistenten Kurs via Medien als winden und die Zuhörer für sich einzunehmen oder an­ kohärent und optimal zu verdolmetschen (,Ins­ genehm zu überraschen. Das schafft er nicht nur mit zenierungen4)“.36 Kreisky war Visionär und Prag­ witzigen Vergleichen oder dem bewußt eingesetzten An- matiker in Personalunion. Es hatte stets den An­ und Abschwellen seiner Stimme über ganze Passa­ schein, als ob sich in der Person des Bundes­ gen, sondern auch mit leicht hingeworfenen, meist kanzlers die Gegensätze und Widersprüche kokett untertreibenden Redewendungen, die er gerne mühelos auflösen würden. Für Kreisky scheint auch im persönlichen Gespräch verwendet.39 * ein Satz Eric Hoffers wie maßgeschneidert zu sein: „Wer Menschen führen will, muß ein Praktiker Kreisky erweckte die journalistische Neugierde und ein Realist sein. Aber er muß die Sprache spre­ seines Gesprächspartners, indem er sich anfangs chen des Idealisten und des Sehers.“ demonstrativ zurücknahm, - „ich möchte Sie nicht langweilen44 - „von dieser Sache verstehe Nicht wenige Leitartikler österreichischer Zei­ ich eigentlich gar nichts, aber“ - „es entzieht tungen erinnern sich in ihren Kommentaren seit sich meiner Kenntnis, ob Sie das überhaupt in­ einigen Jahren geradezu mit Wehmut an die teressiert“ etc., - um jedoch unmittelbar darauf wohlbekannte, sonore Einleitung so vieler Omnikompetenz zu suggerieren. Einer der ge­ Kreisky-Sätze, die eine Vision zu vermitteln lungensten rhetorischen „Tricks“ Kreiskys ma­ versuchten, die Vision einer besseren nifestierte sich Zukunft. Wenn der Kanzler die Wen­ darin, daß er mit dung - „Ich bin der Meinung (...)“37 - in den verschwöre­ Kreisky war Visionär die Mikrophone brummte, war es einer­ rischen Worten - und Pragmatiker seits schon nicht mehr der Inhalt dessen, „Ich darf Ihnen in Personalunion was er zu sagen hatte, was zählte, sondern das eigentlich gar vielmehr der Umstand, daß er es war, er, nicht sagen“ - mit „der Alte“, der etwas zu verkünden sich dem einzelnen anschickte, andererseits aber lag die Betonung Journalisten eine Art „Komplizenschaft44 ein­ nicht auf „Ich“, sondern auf „Meinung“, und ging und damit ein besonderes Vertrauensverhältnis Kreisky hatte bei aller Subjektivität tatsächlich respektive den Anschein eines solchen aufzu­ fast immer etwas Interessantes zu sagen, er ver­ bauen vermochte. Zu diesem Behufe bediente sich stand zu überraschen, e r, Jutterte“ die Medien mit Kreisky mit Vorliebe der vielen älteren Journa­ Neuigkeiten. Ein Widerspruch? Und wenn schon! listen noch wohlbekannten Redewendung: „Sie „Bruno Kreisky zu verstehen heißt“, erklärte wissen doch, wie sehr ich Sie schätze.“ Ge­ seine Schwiegertochter einmal, „sich auf das genüber einer größeren Zuhörerschaft wie­ komplexe Ensemble seiner Ambivalenzen ein­ derum verstand Kreisky es meisterhaft, Ge­ 33 zulassen“.38 ... „Die Trickkiste des Redners meinsamkeit zu stiften, Solidarität, indem Kreisky ist reich bestückt“, hielt Georg No- er beispielsweise einräumte:„Mir ist das alles viel zu kompliziert“.

35 zit. n.: Johannes Kunz: Erinnerungen (3. Bd). Seinem Nachfolger , dessen Re­ Johannes Kunz im Gespräch mit Prominenten, Wien 1994, S. 156 f. gierungstätigkeit oftmals auf die Bemerkung 36 Alfred Ableitinger: Die innenpolitische Entwicklung, „alles ist sehr kompliziert“40 * reduziert wird, wur- in: Mantl (Hg.), S. 183. 37 vgl. Johannes Kunz (Hg.): Ich bin der Meinung, Wien - München - Zürich 1974. 39 Georg Nowotny: Hundert Stunden Kreisky. Kritische Analyse eines Regierungsstils, Wien - München - Zürich 38 Eva Kreisky: „Man hält die Demokratie nur am 1976, S. 126. Leben, indem man sie in Bewegung hält“. Bruno Kreisky und die neuen sozialen Bewegungen, in: Stiftung Bruno 40 Fred Sinowatz: Die Regierungserklärung der Kreisky Archiv, Historisches Museum der Stadt Wien Koalitionsregierung Sinowatz-Steger. Vier weitere Jahre (Hg.), S. 15. auf dem österreichischen Weg, Wien o. J., S. 45. den ähnliche Sätze zum Verhäng­ ein, daß er nicht gerne tanze. „Und was machen nis. Sinowatz war der erste öster­ Sie bei Damenwahl“, fragte der Redakteur. Dar­ reichische Bundeskanzler, der von Sekretären auf erwiderte Kreisky belustigt: und Beratern wie Gerhard Zeiler oder Hans Pusch medial professionell in Szene gesetzt Einmal ist mir sowas in einer niederösterreichischen wurde, wenngleich die Persönlichkeit des Bur- Stadt passiert. Als die Damenwahl über eine Stunde genländers ganz einfach nicht mit diesen neuen verlängert wurde, bin ich dann an jenen Ort geflohen, Methoden in Einklang zu bringen war. Unver­ den man hierzulande ,HäuseT nennt (...). Es ist eine gessen bleibt das Bild des Spitzenpolitikers aus Rache der Geschichte, daß die ernst jungen Revolu­ 1975 im olympischen Eiskanal von Innsbruck- tionäre nun auf ihre alten Tage befrackt und mit Or­ Igls. Seitens der Medien wurde sogar das von den behängen auf Bälle gehen müssen, um dort zu Pusch scherzhaft ausgestreute Gerücht geglaubt, repräsentieren.43 daß Sinowatz an ei­ nem ganz bestimm­ Das Wort „Häusel“ intonierte der Bun­ ten Tag über die Der „ Sonnenkönig “ deskanzler jedoch fast vornehm, di­ Berg-Isel-Schanze verkörperte als eine Art stanziert, dem Zuhörer wurden kein­ springen werde: Wahlmonarch die Sehnsucht erlei Konnotationen aufgedrängt. Dutzende von Jour­ nach einem politischen Führer Kreiskys Sprache war an sein be­ nalisten fanden sich wegtes Leben, seine Biographie, die am Stichtag in Inns­ aus der Absorbtion aller Brüche des bruck ein. Als Kreisky zu seinem Unterrichts­ Jahrhunderts schöpfte, gekoppelt und demzu­ minister einmal sagte, „so, jetzt mußt Du ins folge kausal auf jene „altösterreichischen Wur­ Fernsehen gehen“, antwortete ihm Sinowatz: zeln“ zurückzuführen, auf welche im Zitat von „Du schau’ mich amoil an, bin i was fürs Fern­ Nenning hingewiesen wurde, Worte wie „ba­ sehen?“ Kreisky darauf: „Paß auf, Politik is’ ka rock“ oder „Paraplui“ hoben sich von der (po­ Schönheitskonkurrenz!“41 Kreisky war ur­ litischen) Alltagssprache ab und bildeten einen sprünglich der Auffassung gewesen, der promi­ interessanten Kontrast zu jovialen Bemerkun­ nente und erfolgreiche Unterrichtsminister könnte gen wie „(...) die Meir (die israelische Mini­ als volkstümlicher Kanzler ebenso beliebt wer­ sterpräsidentin Golda Meir, Anm. C. D.) hat den wie Leopold Figl oder Julius Raab, doch in mich heruntergeputzt“, - „es wurmt mich“ - „da­ dieser Einschätzung irrte er. Beliebt war und ist herregieren“ -, ,Leute, die sich ein Jaukerl geben“ Sinowatz, der „Hamlet vom Land“ (so profil), vor etc. Wenn Kreisky, um noch ein Beispiel zu ge­ allem bei den Funktionären der SPÖ. Außerhalb ben, in gewohnter Bedächtigkeit die Frage for­ der Partei waren die Urteile von allem Anfang an mulierte - „Ham’s die Sesseln für’n Sadat schon differenzierter, nicht selten auch ungerecht. 1983 bestellt?“44 - hob er sich damit von allen ande­ schrieb Hubertus Czemin in der Wochenpresse'. ren Politikern ab. Manche Wendungen Kreis­ kys erlangten eine derart große Popularität, daß Fredi ratlos, ein Bild, an das sich Politiker, Jour­ sie zum allgemeinen Sprachgut wurden, denn nalisten und Fernsehzuschauer in Sinowatz ersten „in Zeiten wie diesen“ hatte vor ihm niemand ge­ 34 fünf Amtsmonaten gewöhnt haben. Mit Dackelfalten sagt. Später konnte man diese Wendung im Par­ verbreitet das Kanzler ge sicht Untergangsstim­ lament regelmäßig auch aus den Reihen der Op­ mung, daß selbst hangesottene Sozialisten wie Aus- position hören. Andere sogenannte „Wortspen­ tromarxist Josef Hindels Mitleid überkommt.42 den“ sind mittlerweile legendär: „Kärnten ist mir viel zu teuer“ - oder Kreiskys Empfehlung Sinowatz’ Mentor Kreisky hingegen erwies sich am Höhepunkt der Energiekrise, sich zum auf allen kommunikativen Ebenen als Meister der Zwecke der Stromerspamis „halt naß zu rasie­ Vereinnahmung, etwa indem er absichtlich in ren“. Ein knapper Blick auf Kreiskys Sprache wäre den Dialekt eintauchte und anschauliche Bei­ jedoch nicht vollständig, würde nicht festge­ spiele aus dem Alltag brachte. Gegenüber ei­ halten werden, daß bei dieser komplexen Per- 4344 nem ORF-Journalisten beispielsweise gestand Kreisky am 10. Februar 1972 auf dem Opemball 43 Hier zit. n.: Johannes Kunz (Hg.): Am Anfang war die Reblaus. Die Zweite Republik in Andekdoten, Wien o. J., 41 zit. n.: Kreisky: Der Mensch im Mittelpunkt, S. 82. S. 62. 42 vgl. Wochenpresse, Heft 43/1983. 44 Vgl. Zeit-Magazin, Heft 41/1975. sönlichkeit auch verbale Entgleisungen keine Nur einem Kreisky war es gegeben, Seltenheit waren. Am 20. Jänner 1983 zum Bei­ 13 Jahre ununterbrochener Bildschirm­ spiel antwortete Kreisky auf den Vorwurf eines präsenz unabgenützt zu verkraften Nie hat er ÖVP-Abgeordneten, der Bundeskanzler würde den Eindruck eiweckt, gut ankommen zu müssen (...). zur Finanzierung des umstrittenen Konferenz­ Wir standen im Genuß einer Politik mit Unterhal­ zentrums die „Scheichs anpumpen“, die ÖVP- tungscharakter auf hohem Niveau.46 Wirtschaftstreibenden würden ihrerseits die Aus­ länder wegen der Holz- und Fleischpreise unnöti­ Unbestritten war Kreisky ein begnadeter Kom­ ger Weise hofieren und - so Kreisky wörtlich - munikator47, ja „der politische Kommunikator „da gibt es keinen Körperteil, in den sie den seiner Zeit“48. Er war ein großartiger Redner, Herren nicht hineinkriechen wollen“. Zu den beherrschte den „small talk“ ebenso hervorragend heftigen Protesten der ÖVP replizierte er, daß wie das „Geschichtenerzählen“ und verstand es, seine Äußerungen nicht weit von dem entfernt pointiert zu formulieren. Die verstorbene Poli- seien, was zur klassischen Literatur gehöre.45 tikwissenschafterin Charlotte Teuber-Weckers­ Über die Bankdirektoren Taus und Flöttl echauf­ dorf, die viele Jahre in den USA lehrte, erklärte fierte sich Kreisky einmal in folgender Diktion: noch vor einigen Jahren: „Begrüßen können sie mich, nur des können’s, und sonst dürfen’s nix!“ Ich weiß nicht, warum in Österreich immer noch der lächerliche Ronald Reagan als der große Kommuni­ „Das sage ich aber nur Ihnen (...) !“ kator bezeichnet wird. Ich habe sehr selten gehört, - Der „große Kommunikator“ und daß Bruno Kreisky, der wirklich größte Kommuni­ der österreichische Journalismus kator, den Österreich hervorgebracht hat, als solcher bezeichnet wird.49 ei den Nationalrats wählen am 6. Mai 1979 Bhatte die SPÖ mit einem zusätzlichen Stim­ Eine derart ausgeprägte kommunikative Bega­ men- und Mandatszuwachs zum dritten Mal hin­ bung wie Kreisky, dem man „beim Denken tereinander den politischen Olymp der absolu­ zuhören“ konnte, vermochte eine große Zahl in- ten Mehrheit erklommen. Keiner anderen Partei und ausländischer Journalisten zu hypnotisie­ in Europa war dies jemals gelungen. Politik ren, nicht selten auch zu manipulieren: „Hyp­ wurde in diesen Jahren mit der Person Kreis­ nose“, „Narkose“, „Opium“ und „Magie“ waren kys identifiziert, die Österreicher hatten sich in geläufige Zuordnungen von erklärten Gegnern hohem Maße an ihn gewöhnt. Der personalple- wie bekennenden Bewunderern. Reinhard Tra­ biszitär gesalbte „Sonnenkönig“, als welcher er montana schrieb dazu pointiert: auf der von ihm geliebten Bühne der Medien seit Jahren brillierte, verkörperte als eine Art Er hat uns Journalisten fraglos korrumpiert: Er ist mit Wahlmonarch die Sehnsucht nach einem politi­ uns verfahren, wie es ihm gerade beliebte; er hat uns schen Führer, der gleichermaßen gütig und streng jovial aufblicken lassen oder mokant übersehen, er hat zu sein vermochte, der in situationsbedingter uns animiert oder abgefotzt, er war uns gegen­ Dosierung sowohl die Rolle des scheinbar über über Grandseigneur oder Grantscherben - aber den Parteien stehenden Landesvaters, des kann Haßliebe Sünde sein ?50 35 Schiedsrichters, als auch jene des Zuchtmeisters zu besetzen wußte. Der Stimmenmaximierer Kreisky war mit beträchtlicher Sensibilität für das politisch Machbare und Mögliche ausgestattet, 46 zit. n.: Rupert Hartl: Österreich oder der schwierige er war ein Visionär, der für seine Mitstreiter Weg zum Sozialismus, Wien 1986, S. 156. Rahmenbedingungen zu schaffen und Freiräume 47 vgl. Hans Heinz Fabris: Der Politiker als Kommunikator, in: Wolfgang R. Langenbucher (Hg.): Zur zu gewähren verstand. Die Spiegel-Korrespon­ Theorie der politischen Kommunikation, München 1974, dentin Inge Cyrus schrieb nach seiner Demis­ S. 110 ff. sion: 48 Wolfgang C. Müller: Bruno Kreisky, in: Herbert Dachs/Peter Gerlich/Wolfgang C. Müller (Hg.): Die Politiker, S. 357. 49 Charlotte Teuber-Weckersdorf: Politikwissenschaft­ liche Analyse der Kreisky-Jahre, in: Gatty u. a. (Hg.), S. 123. 45 zit. n.: Walter Kleindel: Österreich. Daten zur Ge­ schichte und Kultur, Wien 1995, S. 487. 50 vgl. profil, Heft 32/1990. Kreisky zelebrierte beinahe vom Oft hat die Regierung auf ihn gewartet, und er hat ersten Tag seiner Kanzlerschaft an immer so gesagt: ,Ja, ja, i komm ‘ schon und ist noch Omnipräsenz, er kultivierte seine Allgegenwart. eine halbe Stunde sitzen geblieben, weil ihn das Ge­ Während andere charismatische Politiker sich spräch interessiert hat, durch „Distanz“ zu den Medien interessant zu ma­ chen wußten, man denke nur an Charles de erinnerte sich Kreiskys langjährige Sekretärin Gaulle, erzielte Kreisky denselben Effekt durch Margit Schmidt. Und weiter: „Nähe“.51 Auf Kreiskys Bereitschaft, für Jour­ nalisten - „selbst abenteuerlich kleiner Zeitungen“ Ich glaube, es gab eine Wechselwirkung zwischen (so ein Mitarbeiter Kreiskys) - Tag und Nacht te­ Bruno Kreisky und dem Journalismus, es war eine lephonisch erreichbar zu sein, wurde bereits hin­ Liebe, die erwidert w urdet gewiesen. Er stand freilich auch für telepho­ nisch vorgetragene Anliegen beliebiger Anru­ Zeit nahm sich Kreisky jedoch nicht nur für die fer bereitwillig zur Verfügung, eine Stunde pro Chefredakteure und Herausgeber der großen Tag soll sich Kreisky für diese fernmündlichen Zeitungen, sondern auch für den jungen Re­ Audienzen“ Zeit genommen haben. Auf diese dakteur einer kleinen Provinzzeitung. Kreisky war Weise gelang es ihm geschickt, eine Phantas­ der einzige Politiker, der auch ganz junge Jour­ magoric von Unmittelbarkeit und Vertrautheit nalisten ernst nahm, der zumindest die Illusion zu erzeugen. 1975 schrieb der Playboy über vermittelte, sie ernst zu nehmen. Er nahm sich diese Vorgangsweise Kreiskys: vor allem jener Nachwuchsjoumalisten an, die ihm kritisch gegenüberstanden, diese bat er zu (...) Der rote Habsburger, der dem Volk genau aufs Maid schaut, antwortet stets ohne Groll. Wenn er den Hö­ sich, setzte ihnen mit großer Geduld und viel rer auflegt, hat er meist einen Wähler mehr.52 Charme seine Meinung auseinander und zumeist verließen sie den Bundeskanzler als „begeisterte ur fünf Monate nach Kreiskys Angelobung Kreisky-Propagandisten“. Wenn Kreisky Jour­ Nwurde von Oscar Bronner das kritische nalisten verklausulierte Neuigkeiten zutrug, Vor­ Nachrichtenmagazin profil gegründet, mit dem hofer sprach von „Goldkömem“, der Bundeskanzler eine recht ambivalente Be­ ziehung pflegte.53 Nicht weniger als 30mal wurde hat er (...) einige Tage gewartet, weil er gewußt hat, ihm in den Jahren von 1970 bis 1983 ein Cover das muß ja geschrieben werden, um denen das nicht gewidmet, bis zu seinem Tod sieben Jahre spä­ wegzunehmen. (...) Er hat sich nie etwas vorlegen ter kamen noch weitere sechs dazu. „Was ist so lassen, dafür war auch nicht Zeit. Er hat höchstens ge­ faszinierend an Bruno Kreisky?“54 wurde etwa sagt: ,Die ordinären Sachen streicht's weg ‘.51 1979 gefragt, und zwei Jahre davor war von „Lieber Gott Kreisky“55 die Rede. Bei anderen Kreiskys (nicht nur) auf dem Prinzip Nützlich­ Gelegenheiten waren die Titel freilich weit we­ keit fußendes Verhältnis zu Journalisten sah der niger freundlich. Für den /?ro/z/-Redakteur Tra­ Bundeskanzler selbst äußerst differenziert: montana photographierte Kreisky eines Ta­ ges aus einer Laune heraus auf Mallorca ein Ich habe zu Journalisten ein zwar gutes, aber ein di­ 36 Straßenschild mit der Aufschrift „Calle Tra­ stanziertes Verhältnis, soweit es sich um den Durch­ montana“. Welchem anderen Spitzenpoliti­ schnitts]oumalismus handelt. Zu den Journalisten, ker wäre wohl dieser Einfall gekommen? die kenntnisreich sind, die was verstehen, habe ich ein sehr kameradschaftliches Verhältnis, weil ich sie Für Medienvertreter nahm Kreisky sich immer als in höchstem Maße gleichberechtigte Partner an­ viel Zeit. sehe.5*

51 vgl. dazu Hans Heinz Fabris: Charles de Gaulle und Bruno Kreisky. Zwei „Medien-Stars“ im Vergleich, in: Jahrbuch für Zeitgeschichte 1990/91, Wien 1991, S. 141 ff. 56 Uri Avneri/Manuel Lucbert/Jochen Steinmayr/Kurt 52 zit. n.: Stiftung Bruno Kreisky Archiv, Historisches Vorhofer: Bruno Kreisky in den in- und ausländischen Museum der Stadt Wien (Hg.), S. 235. Medien (Diskussion), a. a. O., S. 161. 33 Herwig Danzinger: Bruno Kreisky und die Zeitschrift 57 Uri Avneri/Manuel Lucbert/Jochen Steinmayr/Kurt „profil“ (Dipl.-Arbeit), Wien 1994. Vorhofer: Bruno Kreisky in den in- und ausländischen Medien (Diskussion), a. a. O., S. 157. 54 vgl. profil, Heft 20/1979. 58 Kreisky in einem Gespräch mit Paul Lendvai (ohne 55 vgl. profil,Heft 7/1977. Datumsangabe), zit. n.: Lendvai: Der „Kreisky-Effekt“ Insbesondere aber das von Kreisky 1972 einge­ mit absoluter Mehrheit (...) k. u. führte Pressefoyer nach dem Ministerrat jeden k.: Konservativ und Kreisky“.63 Dienstag entwickelte sich zum Forum genialer Kreisky vermochte dem Elektorat ein Gefühl Selbstinszenierung. Im „Steinernen Saal“ des von Sicherheit und Stabilität zu geben, er kom­ Bundeskanzleramtes konnten die Repräsentan­ munizierte, daß nur er in der Lage sei, die „In­ ten der Medien den Regierungschef, der stets sel der Seligen“64 vor störenden Einflüssen ab­ genau an der Kante des Teppichs stand, um eine zuschirmen. „Die Gesamtwirkung seiner Reden exakte Postion zur Kamera einzunehmen, zu in öffentlichen Versammlungen wurde aber ge­ aktuellen Themen befragen. Obwohl auch alle an­ krönt durch ein Charisma, dessen Wirkung man deren Mitglieder der Bundesregierung auf erlebt haben muß, um es zu erfassen“, erinnerte Wunsch Kreiskys den Journalistenfragen zur sich der gegenüber Kreisky durchaus kritisch Verfügung standen, konzentrierte sich das In­ eingestellte Rupert Hartl, ein ehemaliger Spit­ teresse beinahe ausschließlich auf den Kanzler. zenfunktionär der oberösterreichischen SPÖ, 1973 schrieb Gerhard Neureiter in den Salz­ um dann fortzufahren: burger Nachrichten: Ich (...) konnte beobachten, mit welcher an Andacht Zampano tritt auf, meinen die Wiener Kollegen, wenn erinnernder Aufmerksamkeit die Menschen aufseine Bundeskanzler Kreisky in der Concordia eine Pres­ Worte lauschten. Selbst auf großen Plätzen wurde es sekonferenz gibt, und tatsächlich ist das ganze ein mäuschenstill, wenn er zu reden begann, und viele Volksfest Jur Journalisten 59 Anhänger und Sympathisanten betrachteten ihn mit ei­ nem geradezu verklärten Blick.65 66 Jahre nach Kreiskys Abgang notierte eine Jour­ nalistin: Der langjährige Chefredakteur der APA, Josef A. Nowak, faßte seine Erinnerungen an den Die Leute waren Kreisky süchtig und bekamen Ent­ „Medienkanzler“ folgendermaßen zusammen: zugserscheinungen, wenn der Kanzler einen Tag lang nicht auf dem Femsehschirm auf­ ,Schauen S ‘, Herr tauchte.60 Redakteur Nowak, Kreisky zelebrierte beinahe in Ihrem Blatt kann vom ersten Tag seiner Am Höhepunkt von Kreiskys Popula­ man ja nur mit Ih­ Kanzlerschaft an Omnipräsenz rität war ein regelrechter „Kreisky-Kult“ nen reden \ hat Alt­ auszumachen, der solche Ausmaße er­ meister Bruno reichte, daß selbst der Bundeskanzler Kreisky - Gott hab ’ während des Nationalratswahlkampfes von 1975, ihn selig - seinerzeit wiederholt dem jungen Wiener Kor­ in welchem die SPÖ voll auf die Person ihres respondenten d e r, Tiroler Tageszeitung ‘ versichert, Spitzenkandidaten setzte, mit Sorge bemerkte: der über dieses doch recht merkwürdige Kompliment „Entsetzlich, wenn einem sogar Männer die keineswegs erzürnt war.<66 Hände küssen (...)“.61 Es ist festzuhalten, daß in diesem Jahr vor allem die Person Kreiskys für den Kreisky verstand es brillant „den Leuten das Wahlsieg verantwortlich war62, „die Österrei­ Gefühl einer persönlichen Beziehung zwi­ 37 cher“, schrieb damals Hermann Polz, „wählten schen dem großen Meister und ihnen selbst“67 zu vermitteln. Mittels direkter Telephonge­ und die internationalen Medien, in: Erich Bielka/Peter spräche, die nicht, wie ansonsten üblich, von ei- Jankowitsch/Hans Thalberg (Hg.): Die Ära Kreisky. Schwerpunkte der österreichischen Außenpolitik, Wien 1983, S. 331; zu Kreiskys Einschätzung seines 63 vgl. Kreiskys Triumph, in: Oberösterreichische Verhältnisses zu Journalisten vgl. weiters Kreisky: Der Nachrichten, 6. Oktober 1975. Mensch im Mittelpunkt, S. 65 f. 64 Papst Paul VI. hatte die Republik 1971 als „Insel der 59 vgl. Salzburger Nachrichten, 13. April 1973. Glücklichen“ (also nicht der „Seligen“) bezeichnet und damit das hyperboreische Image von „Kreisky- 60 Horvath, S. 50. Österreich“ mitgeprägt. 61 vgl. „Kleine Zeitung“, 4. Oktober 1975. 65 Hartl, S. 157. 62 Das Meinungsforschungsinstitut IFES führte am 66 Josef A. Nowak: Quastenträger der Macht? Die Wahltag eine Umfrage unter Wechselwählern durch, die Verhaberung zwischen Politik und Journalisten ist Folge ergab, daß 65 % der zu SPÖ gewanderten Wechselwähler neuer Verunsicherung, in: profil, Heft 28/1997, S. 24. diese Entscheidung aufgrund der Persönlichkeit Kreiskys getroffen hatten; vgl. Kurier, 9. Oktober 1975. 67 Horvath, S. 68. ner Sekretärin vermittelt wurden, Einzelperson, konnte sich ein solcher „Liebes- vermochte er vor allem junge Re­ entzug“, der freilich nur selten über einen längeren dakteure zu beeindrucken, die durch Bemer­ Zeitraum währte, regelrecht geschäftsschädi­ kungen Kreiskys wie - „Sie sind der einzige, gend auswirken. Vielleicht hat auch in diesem Um­ der verstanden hat, was ich meine!“ - sicher stand folgende Feststellung eines ehemaligen nicht in ihrer Kritikfähigkeit gefördert wurden. Kreisky-Sekretärs eine Ursache: „Gegenüber Des morgens pflegte Kreisky im übrigen von Kreisky hatten fast alle Journalisten eine ge­ seinem Bett aus zu telephonieren. Mit Rede­ wisse Beißhemmung“70 wendungen wie „das sage ich aber nur Ihnen“ oder „das ist aber eigentlich vertraulich“ waren die mei­ Beträchtliche öffentliche Aufmerksamkeit riefen sten innenpolitischen Journalisten vertraut. Nach andererseits diverse Konflikte hervor, die Kreisky Lendvai konnte der gelegentliche Zusatz „das mit einzelnen Medienvertretem hatte. Seine ehr­ dürfen Sie aber nicht liche Meinung über die Chefs der Kro- schreiben“ nur von nen-Zeitung, Hans Dichand und Kurt „geübten ,Kreisko­ Falk, vertraute Kreisky jedoch erst Auch mit Gerd Bacher hatte logen“468 dechiffriert seinen Memoiren an, denn selbst der Kreisky zahlreiche werden, womit ge­ „Sonnenkönig“ konnte „gegen die Meinungsverschiedenheiten meint ist, daß diese Katholische Kirche, gegen den Ge­ suggestive Auffor­ werkschaftsbund und gegen die Kro­ derung auch das ge­ nen Zeitung nicht regieren“.71 72 naue Gegenteil bedeuten konnte. Kreisky verstand Die (Dichand und Falk, Anrn. C. D.) habe ich ei­ es, bemerkte sein früherer Pressesekretär Jo­ gentlich immer für die extremsten Feinde der sozial­ hannes Kunz, demokratischen Bewegung gehalten, auch wenn sie hie und da den Anschein erwecken, daß sie es nicht mit einer hingeworfenen Vertraulichkeit den Jour­ wären.12 nalisten Xfür einen Artikel, der ihm gerade politisch gelegen gekommen war, zu belohnen. Ebenso ver­ - Oder: „Zum Glück sind die Leser der,Kronen stand er es aber auch, durch Vorenthalten von Infor­ Zeitung4 nicht ganz im Banne der Dichandschen mationen oder auch durch bloßes Ignorieren den und Staberischen Mentalität (...)“ 73 - Oder: Journalisten Yfür einen kritischen Artikel, den Kreisky; als persönlichen Angriff aufgefaßt haben mag, zu Zilk, Dichand und Bacher, das ist ein Triumvirat, das strafen. War ein Journalist in seiner Gunst, dann kam die Medien beherrscht. Dazu kommen einige sie um­ er mit heißen Stories zu seinem Chefredakteur; war er gebende Krokodilvögel, die Mißbrauch mit den ih­ in Kreiskys Mißgunst, dann mußte er sich vom Chef­ nen anvertrauten Millionen für Öffentlichkeitsarbeit redakteurfragen lassen, wieso das Konkurrenzblatt treiben.14 mit einer Exklusivgeschichte schon wieder publizi­ stisch die Nase vorn hatte.69 Doch auch wenn Kreiskys Verhältnis zur „größ­ ten Tageszeitung der Welt“ nicht unkompliziert War Kreisky verärgert, reagierte er mit „Lie- war, so ist doch bekannt, „daß er immer wieder besentzug“. Es kam vor, daß er vorübergehend den ,Rat4 von Hans Dichand gesucht hat“.75 Der 38 eine sogenannte „Eiszeit“ über einzelne Jour­ „Sonnenkönig“ genoß über einen langen Zeitraum nalisten oder sogar ganze Redaktionen ausrief und das Wohlwollen der Neuen Kronen Zeitung, öffentlich erklärte, mit gewissen ORF-Repor- wohl auch deshalb, weil er keine ernsthaften tem nicht mehr reden zu wollen. Da Kreiskys Schritte in Richtung Dekonzentration der Medien­ in der politischen Landschaft Österreichs sin­ landschaft setzte. Ob die Opposition Dichands guläres Charisma die Entwicklung zu einer (de­ gegen Kreiskys sogenannte „Sparbüchlsteuer“, mokratiepolitisch kritisch zu hinterfragenden) Personalisierung der Politik merklich gefördert 70 Wolfgang Petritsch, zit. n.: Herbert Lackner: Haberer und Totschreiber, in: profil Heft 28/1997, S. 21. hatte, zu einer bisher nicht gekannten Konzen­ 71 Emst Hanisch: Der lange Schatten des Staates. tration der öffentlichen Aufmerksamkeit auf eine Österreichische Gesellschaftsgeschichte im 20. Jahrhundert, Wien 1994, S. 466. 68 Lendvai: Der „Kreisky-Effekt“ und die 72 Kreisky: Der Mensch im Mittelpunkt, S. 63. internationalen Medien, a. a. O., S. 329. 73 Kreisky: Der Mensch im Mittelpunkt, S. 315 f. 69 Johannes Kunz (Hg.): Bruno Kreisky. Ansichten eines Sozialdemokratischen Staatsmannes, Wien 1993, S. 7. 74 Kreisky: Der Mensch im Mittelpunkt, S. 314. also gegen die geplante Zinsertragssteuer, 1983 schneidung von Bachers Macht das Ende dessen Kanzlerschaft (mit)herbeige- bewogen haben soll. Zwischen Ba­ führt hatte, gilt als nicht gesichert, Kreisky war cher und der SPÖ bzw. dem Gewerkschaftsbund jedenfalls dieser Auffassung.76 Sicher hingegen gab es freilich bereits seit 1970 verschiedene ist, daß die einzigartige Erfolgsgeschichte der Differenzen.80 Zentralsekretär Blecha erklärte Neuen Kronen Zeitung nicht unwesentlich zur Ero­ 1978, daß die „Gegenreform“ der SPÖ nicht zu­ sion der erwähnten „Lager-Öffentlichkeit“, auf letzt mit dem Führungsstil Bachers zu tun gehabt die Bruno Kreisky stets hinzuarbeiten wußte, hätte, der, so Blecha, die „größte Medienorgel der beigetragen hatte. Republik“ zu einer „vierten Gewalt“ entwickeln wollte.81 Die endlose Diskussion rund um eine Andere Journalisten ging Kreisky wesentlich Reform des Rundfunks hatte bereits im Okto­ heftiger an, den Ende Juli 1999 verstorbenen ber 1964 einen ersten Höhepunkt erreicht, als Alfons Dalma etwa nannte er einen „Faschi­ das von den unabhängigen Zeitungen initiierte sten“, einen Mitarbeiter des ORF kanzelte er „Rundfunkvolksbegehren“ über 800.000 Stim­ mit der legendären, freilich vor Paternalismus men erhielt.82 Hans Magenschab, der gegen­ triefenden Bemerkung - „Lernen Sie Geschichte, wärtig in der Präsidentschaftskanzlei als Pres­ Herr Reporter!“ - ab und auch mit dem langjähri­ sesprecher tätig ist, führte die Wahlniederlage gen Generalintendanten des ORF, dem rechtsli­ der SPÖ von 1966 u. a. auch auf die Konfrontation beralen Gerd Bacher77, der schon früh mit dem mit den Massenmedien zurück.83 bekannten Epitheton „Tiger“ ausgestattet wurde, hatte Kreisky zahlreiche Meinungsverschie­ it seinem Parteifreund und intellektuellen denheiten auszutragen. Als im Jahre 1972 der MWegbereiter Günther Nenning, dem lang­ bei den XI. Olympischen Spielen im Abfahrts­ jährigen Präsidenten der Journalistengewerk­ lauf favorisierte Schirennfahrer Karl Schranz schaft und FOWM-Herausgeber, geriet Kreisky aufgrund einer umstrittenen Entscheidung des 1968 in einen ernsten Gegensatz, der als Bei­ „Internationalen Olympischen Komitees“ nicht spiel dafür angeführt werden kann, wie unfair antreten durfte und nach Österreich zurückreisen sich der Machtmensch Kreisky, der er natürlich mußte, demonstrierte Bacher, der 1967 Gene­ auch war, gegenüber im Grunde loyalen Gesin­ ralintendant wurde, erstmals die Macht des Fern­ nungsfreunden verhalten konnte.84 Er bezeich- sehens. Am 8. Februar mußte ein merklich in­ nete Nenning zuerst im Fernsehen und später dignierter Kreisky den von einer fanatisierten nochmals am Parteitag - als „Wurstel“85 und dis­ Menschenmenge Richtung Heldenplatz (!) be­ kreditierte ihn in mehreren Aussendungen der gleitenden Schranz im Bundeskanzleramt emp­ Sozialistischen Korrespondenz, u. a. unterstellte fangen und sich mit ihm auf einem Balkon zei­ der Parteivorsitzende, sein Genosse Nenning gen.78 Zu Schranz soll Kreisky gesagt haben: würde von der KPÖ Italiens und der Industriellen- „Es ist gut, daß das nur einem Sportler gilt und nicht einem Politiker.“ Und ein anderes Mal be­ 80 vgl. z. B. Salzburger Nachrichten, 16. Mai 1970. merkte er zur damaligen Situation: „Mir hat die Schranz-Geschichte den kalten Schauer über 81 Kriechbaumer: Innenpolitik, a. a. O., S. 339, Anm. 1. den Rücken gejagt“.79 Zwar ist diese Einschät­ 39 82 Das Endergebnis (832.353 gültige Eintra­ zung nicht wirklich zu verifizieren, aber es wurde gungen) wurde am 29. Oktober 1964 in der Wiener mehrfach festgehalten, daß dieser Vorfall Kreisky Zeitung verlautbart; vgl. dazu und auch zum Text des am zur „Gegenreform“ des ORF bzw. zur Be- 8. Juli 1966 gegen die Stimmen der SPÖ beschlossenen und am 1. Jänner 1967 in Kraft getretenen „Rundfunk­ gesetzes“ Josef Rauchenberger (Hg.): Stichwort Demo­ kratie. 50 Jahre Zeitgeschehen, Wien 1994, S. 837 ff. Der Hans Heinz Fabris: Medienpolitik und mediale ÖVP schien diese Materie so wichtig, daß sie noch vor Hegemonie, in: Stiftung Bruno Kreisky Archiv, Ende der Koalitionsverhandlungen einen Initiativantrag Historisches Museum der Stadt Wien (Hg.), S. 119. einbrachte; vgl. dazu Fischer, S. 17f u. S. 30. 76 Kreisky: Der Mensch im Mittelpunkt, S. 313. 83 Hans Magenschab: Demokratie und Rundßnk. 77 Armin Thumher: Boulevard Abendland, in: profil, Rundfunk und Fernsehen im politischen Prozeß Heft 4/1999. Es handelt sich hierbei um ein Porträt Österreichs, Wien - München 1973, S. 271. Bachers im Rahmen der Serie „Österreicher des 20. 84 vgl. Norbert Leser: Salz der Gesellschaft. Wesen und Jahrhunderts“. Wandel des österreichischen Sozialismus, Wien 1988, 78 Hugo Portisch: Österreich II. Jahre des Außruchs - S. 198 ff. Jahre des Umbruchs (3. Bd.), Wien 1996, S. 351 ft. 83 Protokoll des 19. Parteitages der SPÖ (2. bis 4. 79 zit. n.: Portisch: S. 356. Oktober), Wien 1968, S. 127. Vereinigung finanziert werden. Bei­ Andererseits gibt es eine ganze Reihe von Bei­ nahe wäre es zum Prozeß gekom­ spielen dafür, daß Kreisky, dessen Biographie men, doch auf Vermittlung Benyas versöhnten ein überzeugendes Bild von Mitgefühl als authen­ sich Kreisky und Nenning rasch wieder. tischen Bestandteil seiner Persönlichkeit zeich­ net, gegenüber Medienvertretem große Herz­ Und es war ein gewisser Anton Benya erinnerte lichkeit und Hilfsbereitschaft an den Tag legen sich Nenning, „der eines Tages anrief, sowohl bei konnte. Eines Tages rief er beispielsweise spon­ ihm als auch bei mir, und gesagt hat, ich glaube, nicht tan beim langjährigen /?r<9/z/-Herausgeber Peter viel feiner als ich ‘s jetzt sag, Kommt ‘s her, ihr zwei Michael Lingens an, um diesen zu fragen, ob er Trotteln zu mir, jetzt müßt ihr euch einigen - das scha­ in den Vereinigten Staaten nach einem Spezia­ det doch der Partei' - da war es bereinigt, in 10 Mi­ listen suchen soll, der eine Wirbelsäulenerkran­ nuten mit irgendeiner Erklärung, die dann im Par­ kung seiner Tochter behandelt. Eine andere Epi­ teitagsprotokoll publi­ sode, die zu erwähnen lohnt, liest sich ziert wurde, und von beinahe rührend. Der Karrikaturist da weg, d. h. nein, die Manfred Deix, dessen Cartoons mehr Nicht alle Mitglieder des ganz Zeit haben wir als einmal Kreiskys Unmut erregt hat­ Parteivorstandes und des uns gem ocht}6 ten, trat Mitte der 1980er Jahre an Präsidiums liebten Kreisky Lingens mit einer ungewöhnlichen Unfair und kühl kal­ Bitte heran. Er benötige aufgrund der kulierend verhielt raschen Vermehrung seiner geliebten sich Kreisky schließlich gegenüber Franz Kreu­ Katzen ein neues Wohnhaus, habe jedoch finan­ zer, der im Sommer 1966 durch seine „August- zielle Schwierigkeiten. Lingens, der an die Le­ Gespräche“ in der Arbeiter-Zeitung, deren Pu­ bens-Freundschaft Kreiskys mit Karl Kahane blikation beträchtlichen Mut erforderten, da sie dachte, wandte sich an den Alt-Bundeskanzler, den Interessen der mächtigen Wiener Partei zu­ welcher tatsächlich einen Kontakt zu dem wider Hefen, nicht unwesentlich zur Wahl Kreis­ Milliardär herstellte. Dessen Sekretär entwarf kys am Bundesparteitag des nächsten Jahres bei­ in der Folge ein Finanzierungsmodell, das den getragen hatte.86 87 Nach seiner Wahl zum Partei­ damaligen Möglichkeiten von Deix jedoch nicht vorsitzenden mußte Kreisky, „um das Mißtrauen entsprach. Herbert Lackner schilderte Kreiskys auf der Gegenseite zu bekämpfen“88 89, u. a. Kreu­ Engagement wie folgt: zer „opfern“, um die Wiener Partei und den ÖGB zu befrieden, was mit dem Wechsel zu Paul Blau, Eines späten Vormittags danach (...) läutete (bei der als Mann der Gewerkschaft galt, auch ge­ Deix, Anm. C. D.) das Telefon: Bruno Kreisky aus schah. Diese Entscheidung wurde nicht nur von Mallorca. Er habe gehört, daß das mit dem Kahane Norbert Leser kritisiert, der zwei Jahrzehnte spä­ nicht ganz geklappt hat, aber da er ja jetzt seinen er­ ter erklärte: sten Memoirenband fertig habe und etwas Geld vom Verleger bekomme, könne er Deix ja etwas borgen Es gehört zum Wesen der Macht und der Politik, (...) In tiefer Ergriffenheit lehnte der Künstler ab und Menschen als Mittel zum Zweck zu benützen, nach weiß noch heute:, Diese Stunde war der Beginn einer 40 Bedaifzu heben und fallenzulassen. Kreisky hat unverbrüchlichen Liebe auf Lebenszeiten ‘.90 diese Kunst geradezu virtuos beherrscht und an­ gewendet Nicht alle Mitglieder des Parteivorstandes und des Präsidiums der SPÖ liebten Kreisky. Sie waren mit ihm in einer KoaHtion der Vernunft ver­ bunden, sie waren an ihn gekettet und er an sie. 86 Günther Nenning, in: Johannes Kunz (Hg.): Es ist weithin bekannt, daß die überwältigen­ Erinnerungen. Johannes Kunz im Gespräch mit Prominenten. Band 3, Wien 1994, S. 154 ff, hier S. 157. den Erfolge der sozialistischen Alleinregierung seit etwa der zweiten Hälfte der 1970er Jahre 87 vgl. Horvath, S. 27 ff. Die Autorin schrieb, daß Kreisky anläßlich vieler Gespräche nicht bereit gewesen von einem harten und zudem über weite Strecken sei, über diese personalpolitische Entscheidung verbind­ öffentlich ausgetragenen innerparteilichen Zwist lich Auskunft zu geben. Hinsichtlich der Details vgl. Pelinka/Scheuch: 100 Jahre AZ, S. 170 ff. 88 Bruno Kreisky: Im Strom der Politik. Der Memoiren zweiter Teil, Wien 1988, S. 391. 90 zit. n.: Herbert Lackner: Hiebe und Liebe. Kreisky und profil, in: 25 Jahre „profil„/Die Profil-Story, 89 Leser: Salz der Gesellschaft, S. 199. Sonderheft vom 14. September 1995, S. 28. überlagert waren. Eine enge politische Freund­ Informationen zukommen lassen, schaft mutierte zu inniger Feindschaft. Die Kon­ was Alfred Worm jedoch ausdrück­ trahenten waren Kreisky und , lich verneinte: „Er hat eher angerufen, um sich Bundeskanzler und Vizekanzler, „politischer nach dem Stand der Dinge zu erkundigen als Vater“ und „Ziehsohn“, „Sonnenkönig“ und um Informationen zu geben“.93 Damals wurde lan­ „Kronprinz“. Um beide scharten sich im Laufe ciert, daß eines Nachts der spätere Finanzmini­ des Konfliktes Anhänger und Verteidiger auf al­ ster Ferdinand Lacina, der von 1980 bis 1982 len Ebenen der Partei, und manchmal hatte es den Kabinettschef des Bundeskanzlers war, das Haus­ Anschein, als würde die SPÖ tatsächlich einer Zer­ tor der SPÖ-Parteizentrale in der Löwelstraße reißprobe ausgesetzt sein. Es sollte bis Anfang aufgesperrt hätte, um Chefredakteur Voska zu 1981 dauern, bis ein verbitterter und enttäusch­ einem konspirativen Gespräch zu Kreisky zu ter Kreisky seinen schillernden Finanzminister führen.94 Nach Androsch beruht diese Geschichte endlich „entfernen“ konnte. Neben Broda und Fim- jedoch auf Fakten, und er schilderte sie wie folgt: berg, den Landeshauptmännern Theodor Kery und Leopold Wagner war u. a. auch der mächtige Verbürgt ist auch die Begebenheit, daß ,profil(-Re­ ÖGB-Präsident Benya immer wieder für den dakteur Helmut Voska, ehemals Mitarbeiter des ÖVP- Verbleib Androschs in der Bundesregierung ein­ Pressedienstes und Pressereferent von Finanzmini­ getreten. Diese Solidarität trug maßgeblich dazu ster Prof Dr. Stephan Koren, am 20. August 1980 bei, daß sich Kreisky führenden Mitgliedern des während einer abendlichen Tarock-Partie im Cafe Parteivorstandes immer mehr entfremdete.91 Grünwald mit Hans-Paul Strobl, Erwin Rauscher, Wenn er sich innerparteilich nicht durchzusetzen Helmut Donner und Ernst Wolfram Marboe spät­ vermochte, suchte Kreisky die Allianz mit den abends telefonisch zu einem Gespräch mit dem SPÖ- Medien und damit mit der Öffentlichkeit, was in­ Vorsitzenden in die Löwelstraße gebeten wurde, wo ihm nerhalb der SPÖ nicht selten zu Irritationen von Dkfm. Ferdinand Lacina die Tür geöffnet wurde, führte. Im Zuge seiner Auseinandersetzung mit der ihn auch durch das dunkle, leere Haus in das im Androsch „bediente“ sich Kreisky bevorzugt zweiten Stock gelegene Zimmer des Parteivorsitzen­ und mit großem Geschick bürgerlicher Journa­ den führte. Das Gespräch von Kreisky mit Voska listen. Peter Rabl schrieb kurz nach Kreiskys diente dazu, diesen mit vermeitlichem Material aus­ Tod 1990 im profil: zustatten, das gegen mich Verwendung finden sollte. Nach ungefähr einer Stunde kehrte Voska mehr als ver­ In der Kritik an der privaten Geschäftstüchtigkeit wundert zur Tarock-Runde zurück.95 96 seines Vizekanzlers und Finanzministers trafen sich Unbehagen des Kanzlers und Rechercheergebnisse Einige Bemerkungen zum Medium des Magazins. Helmut Voska - wie Kreisky sehr wohl Fernsehen wußte, kein Parteigänger der SPÖ - wurde zum intimsten journalistischen Gesprächspartner des Kanzlers in n den 1960er Jahren begann das Fernsehen, sich seiner Androsch-Schlacht. Und folgerichtig verpaßte Ials die wichtigste Form audiovisueller Me­ Kreisky seinem verstoßenen Lieblingssohn in einem dienrealität zu positionieren.96 * Zu Beginn Interview mit dem profil-Mann den politischen Fang­ des Jahres 1958, drei Jahre nach dem An­ schuß. Gerade während Androsch damals, im Sommer fang des Versuchsbetriebs des Fernsehens 41 1980, mit Freunden in Alpbach voreilig sein politisches in Österreich, hatte die Post lediglich 26.800 Überleben in der Regierung feierte, brummte Kreisky Bewilligungen ausgegeben. Auch 1965, im letz­ auf Mallorca dessen politisches Todesurteil aufs Ton­ ten Jahr der Großen Koalition, waren erst 27 % band.91 der Haushalte mit TV-Geräten (584.549 Bewil-

Seitens des sogenannten „Androsch-Clans“ 93 zit. n.: Lackner: Hiebe und Liebe, a. a. O., S. 28. wurde wiederholt behauptet, Kreisky habe im 94 vgl. Lackner: Hiebe und Liebe, a. a. O., s. a. Beppo Zusammenhang mit den inkriminierten Finanz­ Mauhart: Anmerkungen, in: Herbert Cordt/Beppo Mauhart (Hg.): Zurück in die Zukunft, Wien 1988, S. 254 f. gebarungen Androschs dem profil einschlägige 95 Hannes Androsch: Konsens und Konflikt als Janus­ kopf (Replik zu meinem Aufsatz ,J)er Konflikt zwischen 91 Christian Dickinger: Der Konflikt zwischen Bundeskanzler Kreisky und Finanzminister Androsch“, a. Bundeskanzler Kreisky und Finanzminister Androsch. Ver­ a. O.), in: SWS-Rundschau, Heft 4/1998, S. 510. such einer Rekonstruktion, in: SWS-Rundschau, Heft 96 s. Siegfried Zielinski: Audiovisionen. Kino und 1/1998, S. 73 ff. Fernsehen als Zwischenspiele in der Geschichte, Reinbek 92 vgl. profil. Heft 32/1990. bei Hamburg 1989. ligungen) ausgestattet, 1969 konnte mehr, so wie früher, der von Egon Friedeil so ge­ die Millionengrenze überschritten nannte , atavistische Kult ‘ des Schauspielers in Blüte werden. Der private Besitz von TV-Geräten stieg steht, so sind es doch immer noch die Schauspieler, wel­ zwischen 1965 und 1970 von 30 % auf 67 % che die Österreicher, speziell die Wiener, im Theater und ermöglichte eine neue „Qualität“ der indi­ und vordem Bildschirm faszinieren. Vom Stück weiß viduellen Meinungsbildung. Das Fernsehen bzw. man oft nicht einmal den Verfasser und von der Ins­ das Fernsehgerät figurierte nicht nur als Symbol zenierung nicht den Regisseur. In der Politik ist es und Leitmotiv des sozialen Aufstiegs, es funk­ nicht viel anders. Kreisky war allerdings fast immer tionierte ebenso als auch Regisseur (...)."

Effekt des Glaubens an ein Ganzes (den österreichi­ Auch wenn speziell während der Reagan-Ad­ schen Staat), das sich als sozialer Sinn des ,Dazu- ministration (1981-1988) Kreisky aufgrund sei­ gehörens‘ vermittelte“.91 ner unkonventionellen Politik immer mehr in den Ruf des, Antiamerikanismus“ geriet, verstand Ebenfalls 1969 wurde im übrigen erstmals eine er sich selbst Sitzung des Parlaments direkt vom ORF über­ tragen. als pro-amerikanischer Politiker - mit kulturellen anglophilen Neigungen -, der vor allem während der In den 1970er Jahren kam hinsichtlich der re­ Kennedy-Administration (1961-1963, Anm. C. D.) levanten Kriterien „Glaubwürdigkeit“ und viel vom politischen Stil der USA der frühen sechzi­ „Reichweite“ unter allen Massenmedien dem ger Jahre rezipierte. Während langer USA-Reisen in Fernsehen unbestritten die mit Abstand größte Be­ den sechziger Jahren studierte er intensiv wesentliche deutung zu. Der Faktoren moderner US-amerikanischer Staatsrechtslehrer politischer Kultur und begann sie auf die und Politikwissen­ Der private Besitz von österreichischen Verhältnisse hin zu ad­ schafter Manfried TV-Geräten ermöglichte aptieren (z. B. im Zusammenhang mit TV- Welan etwa ortete eine neue „ Qualität “ der Konfrontationen ...).99 100 bereits 1976 „mas­ individuellen Meinungsbildung senmediale, insbe­ Während die Femseh-Diskussion zwi­ sondere televisionäre schen Kreisky und Klaus 1970101 so­ Transformationen des Regierungssystems“.98 wie das Streitgespräch zwischen dem Bundes­ Eineinhalb Jahrzehnte später konstatierte eben die­ kanzler und seinem wenig später verunglück­ ser Autor: ten Herausforderer Karl Schleinzer, der selbst einbekannte, „aus einem anderen Holz ge­ Der Erfolg der plebiszitären Kanzlerdemokratie be­ schnitzt“ zu sein als Kreisky, im Vorfeld der ruhte auf seiner (Kreiskys, Anm. C. D.) persönlichen Wahl von 1975 keine wirklichen Höhepunkte Autorität, seiner Regierungstechnik und seinem Re­ aufwies, sollte sich dies in den nächsten Jahren gierungsstil. Typisch dabei war ein durch De­ ändern. Ein Lehrstück für die Prägekraft me­ moskopie und Massenmedien bewirkter Infor­ dialer Dominanz eines Politikers über einen an­ 42 mationskreislauf zwischen Wählerschaft und Re­ deren bot der Wahlkampf 1975 bzw. die vielbe­ gierungschef Kreisky befriedigte mit seinem sehr achtete Femseh-Diskussion zwischen Kreisky persönlichen Regierungsstil das Bedürfnis nach Per- und dem neuen ÖVP-Obmann Josef Taus, der, sonalisierung der Politik. Ihm lag das ,show biz‘ und obzwar ein angesehener Wirtschaftsfachmann der,sound bite \ Durch seine Persönlichkeit und Pu­ und zudem kein schlechter Rhetoriker, an der blicity wurde Politik spannend und unterhaltend. Er Telegenität des Bundeskanzlers scheitern mußte. sprach Theatertraditionen an. Und wenn auch nicht Taus war zu kühl, zu distanziert, um subtile Ge-

99 Manfried Welan: Der Bundespräsident. Kein Kaiser 97 Monika Bemold: Austrovision und Telefamilie. Von in der Republik, Wien - Köln - Graz 1992, S. 20. den Anfängen einer „historischen Sendung in: Reinhard Sieder/Heinz Steinert/Emmerich Tälos (Hg.): Österreich 100 Oliver Rathkolb: „Europa mit der Seele suchen ...“. 1945-1995. Gesellschaft. Politik. Kultur, Wien 1995, Bruno Kreiskys andere Europa-Visionen, in: Stiftung S. 233. Bruno Kreisky Archiv, Historisches Museum der Stadt Wien (Hg.), S. 99. 98 Manfried Welan: Die Kanzlerdemokratie in Österreich, in: u. a. (Hg.): Um Parlament 101 Norbert Hölzl: Propagandaschlachten. Die österrei­ und Partei, Graz 1976, S. 175. chischen Wahlkämpfe 1945 -1971, Wien 1974, S. 156 ff. fühle transportieren zu können, zu wenig routi­ sten eineinhalb Jahre nahm er zu niert, um seine Rolle sicher und glaubhaft zu außenpolitischen Fragen beinahe spielen.102 Kreiskys virtuoses Spiel mit der Brille, nie Stellung, da er sich ganz der Innenpolitik seine Körperhaltung, die Pausen zwischen den und der Konsolidierung seiner Stellung in der demonstrativ Bedeutungsschwere suggerieren­ SPÖ widmete. Das Interesse der Bevölkerung an den Sätzen, all dem hatte Taus, „der bis dahin von außenpolitischen Fragen wurde erstmals von einer Welle der Euphorie getragen worden Kreisky wachgerufen, er war es, der diesen Be­ war“103, nur wenig entgegenzusetzen. Eine Pas­ reich „nachvollziehbar“ machte. Da Kreisky sage der TV-Diskussion blieb besonders nach­ früher als alle anderen den Zusammenhang zwi­ drücklich in Erinnerung: Taus wirft Kreisky die schen Außenpolitik und öffentlicher Meinung zu hohe Staatsverschuldung vor und offeriert zu durchschauen verstand, wobei insbesondere seine „Hilfe“, was Kreisky indigniert zurück­ auch auf seine Demokratisierungsambitionen weist. Er hält fest, daß man sich die Höhe der zu verweisen ist107, legte er während seiner ge­ Staatsschulden durchaus leisten könne und zitiert samten Tätigkeit größten Wert auf gute Kon­ zur Unterstützung dieser Auffassung aus einer Bro­ takte zur internationalen Presse. schüre, welche der ÖVP-Chef selber verfaßt hatte. Unvermittelt erhebt Josef Taus den Zei­ Die Kritik und der Rat der Presse sind unverzicht­ gefinger und fordert: „Genau zitieren, genau zi­ bare Bestandteile des demokratischen Entschei­ tieren!“ Darauf unterbricht Kreisky, lehnt sich dungsprozesses. Am allerwichtigsten fiir die Außen­ zurück und spielt instinktiv seine ganze Über­ politik ist eine im allgemeinen aufgeklärte öffentli­ legenheit aus: „Herr Dr. Taus, keine versteck­ che Meinung - ganz gleichgültig, ob sie pro oder kon­ ten Insinuationen. Wenn ich also zitiere, zitiere tra eingestellt ist, weil nur sie in der Lage ist, komplizierte ich genau. Nicht mich schulmeistern!“ Hugo Zusammenhänge zu begreifen. Portisch ist zuzustimmen, wenn er meint, daß sich die Wählerinnen und Wähler diesen Eklat Und weiter: „länger und besser gemerkt haben als alle Wahl­ parolen“.104 (Kommunikations wissenschaftlich Was immer wir von uns aus tun können, es ist be­ näher untersucht wurde allerdings nur die Fem- grenzt Aber eines liegt auf der Hand, nämlich im Be­ seh-Diskussion zwischen Kreisky und ÖVP- wußtsein der Weltöffentlichkeit immer wieder prä­ Obmann Alois Mock im Jahre 1983.)105 sent zu sein.108

„(...) im Bewußtsein der Diese Feststellungen exemplifizieren nicht nur, Weltöffentlichkeit immer wieder daß Kreisky unabhängig von der Person des ein­ präsent zu sein“ - Kreisky und die zelnen Journalisten die Funktion der Medien in internationalen Medien der Demokratie ernst nahm, sie machen auch einmal mehr deutlich, wie sehr der 1911 gebo­ ach der Wahlniederlage der SPÖ im Jahre rene von einer „historischen Dimension“ ge­ N1966 verließ Kreisky am 21. April „schwe­ prägt war, wie unauslöschlich sich die be­ ren Herzens“106 das Gebäude des Außenmini­ kannten Ereignisse der 1930er Jahre in Kreis­ steriums am Ballhausplatz, von wo aus er 13 kys Denken eingebrannt hatten. Jahre die österreichische Außenpolitik zuerst mitgeprägt und später bestimmt hatte. Die näch- Kurt Vorhofer, von dem die geläufigen Zu­ schreibungen „Joumalistenkanzler“ und „Opium 102 vgl. die interessante Analyse von Fritz Plasser: Josef Kreisky“ stammen, schrieb einmal, daß es Aus- Taus, in: Herbert Dachs, u.a. (Hg.): Die Politiker. S. 566f, landsjoumalisten oft schwer hatten, „von Kreisky sowie allgemein Alexander Vodopivec: Taus & Busek. Persönlichkeit, Konzept und Stil des neuen Führungs­ nicht gefesselt zu werden“.109 In dieser wechsel- teams der ÖVP, Wien 1975. 103 Müller: Bruno Kreisky, a. a. O., S. 357. 107 vgl. dazu den Aufsatz von Helmut Kramer: Zur Rolle 104 Portisch, S. 407. der öffentlichen Meinung in der Außenpolitik, in: ÖZP 13/1984, S. 156 ff. 1(b Roland Burkart: Politikerdiskussion im Fernsehen. Eine Rezeptionsanalyse der TV-Diskussion zwischen 108 Bruno Kreisky: Die Zeit, in der wir leben (hrsg. von Bruno Kreisky und Alois Mock aus Anlaß der National­ Manuel Lucbert), Wien 1978, S. 76. ratswahlen 1983, Wien 1983. 109 Kurt Vorhofer: Die Problematik eines Journalisten­ 106 Bruno Kreisky: Im Strom der Politik, Berlin 1988, kanzlers - Opium Kreisky, in: Kleine Zeitung, 15. Oktober S. 384. 1971. seitigen Faszination lag ohne Zwei­ praktizierte eine - bereits von Waldheim vorbe­ fel einer der Knackpunkte des reitete - globale Außen- und Neutralitätspoli­ außenpolitischen Erfolges des ehemaligen Bun­ tik114, deren Entfaltung vor dem Hintergrund ei­ deskanzlers. Der Publizist Paul Lendvai, selbst ner tendenziellen Entspannung des Ost-West- Co-Autor eines frühen Buches über Kreisky110 *, Konfliktes seit Ende der 1960er Jahre und den stellte dazu fest: damit verbundenen (Vermittlungs-)Spielraum für neutrale (Klein)Staaten zu sehen ist. Be­ Auch abgebrühte Kommentatoren der großen inter­ trächtliche Verdienste kamen Österreich bei­ nationalen Fernsehgesellschaften und Zeitungen kön­ spielsweise bei der Verabschiedung der KSZE- nen sich nur selten der Wirkung dieses facettenrei­ Schlußakte im Sommer 1975 (Helsinki Konfe­ chen, ft'eilich auch wandelbaren Staatsmannes ent­ renz) sowie bei den Folgekonferenzen zu.115 Ne­ ziehen.m ben der Neutralitätspolitik, deren Forcierung Hand in Hand mit einer nicht unbeträchtlichen n dieser Stelle ist noch einmal auf das Jahr Relativierung der militärischen Landesverteidi­ A1966 zurückzukommen. Kreiskys Nach­ gung ging, war die Nachbarschaftspolitik eine folger im Außenamt, Lujo Toncic-Sorinj, war zweite Grundsäule der Kreiskyschen Außenpo­ ein gebildeter, integrer Politiker, der anläßlich ei­ litik, die für alle Gesprächspartner den un­ ner Regierungsumbildung im Jänner 1968 von schätzbaren Vorteil hatte, berechenbar zu sein. Das abgelöst wurde. Von Medien­ außenpolitische Engagement der SPÖ-Allein­ arbeit verstand Toncic allerdings nichts, gleich regierung konzentrierte sich in den ersten Jahren zu Anfang seiner Amtszeit beging er eine gra­ noch vor allem auf Europa. So wurde ein Frei­ vierende Fehlleistung, die „verheerende Fol­ handelsabkommen mit der EG abgeschlossen,116 gen“ (Fendvai) nach sich zog. Toncic selbst be­ eine Einigung mit Italien in der Südtirolfrage117 richtete in seinen Erinnerungen davon.112 Die in erzielt und ein tragfähiges Gesprächsklima zu Österreich akkreditierten Auslandsjoumalisten den kommunistischen Nachbarstaaten aufge- hatten ihm zu Ehren einen großen Empfang im baut.118 Im Rahmen der Vereinten Nationen be­ Wiener Hotel, Jmperial“ gegeben, doch der neue währte sich Österreich, das 1973/74 Mitglied Außenminister ließ die verärgerte Presse stun­ des Sicherheitsrates war, in weltpolitischen Kri­ denlang warten, weil er einer Sitzung des Na­ sensituationen und konnte sich auf diese Weise tionalrates beiwohnte. Eine derartige politische große internationale Reputation erarbeiten.119 Ungeschicklichkeit, angesichts derer weniger der Respekt vor dem Hohen Haus, als vielmehr eine grobe Fehleinschätzung der Bedeutung der porary Austrian Studies 2), New Brunswick 1994, S. 32 ff; Helmut Kramer: Aspekte der österreichischen Medien zum Tragen gekommen sein dürfte, wäre Außenpolitik (1970-1985), in: Erich Fröschl/Helge Zoitl Kreisky, dessen Verhältnis zum Parlament im (Hg.): Der österreichische Weg 1970 bis 1985, Wien übrigen nie ganz ungetrübt war, einmal ge­ 1986, S. 187 ff. Einen guten Überblick bietet ebenfalls Kramer: Strukturentwicklung der Außenpolitik (1945- brauchte er sogar das Wort „Zeitvemichtungs- 1996), in: Herbert Dachs u. a. (Hg.): Handbuch des maschine“, niemals unterlaufen. politischen Systems Österreichs. Die Zweite Republik, Wien 1997, S. 723 ff. Natürlich ist es im Rahmen dieses Beitra­ 114 Kurt Waldheim: Der österreichische Weg. Aus der 44 Isolation zur Neutralität, Wien - München - Zürich 1971. ges nicht möglich, die Außenpolitik Kreiskys auch nur in groben Zügen zu charakterisieren, ei­ 115 vgl. z. B. Laxenburg Papers Nr. O: CSCE: N + N Perspektives. The Process of the Conference on Security nige grundsätzliche Anmerkungen müssen des­ an Cooperation in Europe from the Viewpoint of the halb ausreichen.113 Die Alleinregierung Kreisky Neutral and Non-Aligned States, Wien 1987. 116 Rolf Steininger/Michael Gehler (Hg.): Österreich und die Europäische Integration 1945-1993. Aspekte 110 Lendvai/Ritschel: Kreisky. Porträt eines einer wechselvollen Entwicklung, Wien - Köln - Weimar Staatsmannes. 1993. 111 Lendvai: Der „Kreisky-Effekt“ und die 117 Rolf Steininger: Südtirol 1918-1999, Innsbruck - internationalen Medien, a. a. O., S. 345. Wien 1999. 112 Lujo Toncic-Sorinj: Erfüllte Träume, Wien/München 118 Erich Bielka: Österreich und seine volksdemokrati­ 1982, S. 322 f. schen Nachbarn, in: Bielka. u. a. (Hg.), S. 195 ff. 113 Zur Außenpolitik der Ära Kreisky vgl. die Beiträge in 119 Peter Jankowitsch: Österreich im Sicherheitsrat, in: Bielka u. a. (Hg.): Ära Kreisky; Otmar Höll: The Foreign ÖZA 15/1975, S. 67 ff und ders.: Die Neutralitätspolitik Policy of the Kreiskyj Era, in: Günter Bischof/ Anton Österreichs und die Vereinten Nationen, in: ÖZP 1979, S. Pelinka (Hg.): The Kreisky Era in Austria (= Contem- 327 ff. 1971 wurde Waldheim zum UN-Generalsekretär Es ist sicher, daß der neue Kanzler, gewählt, fünf Jahre später wurde der ehemalige wer auch immer es sein mag, ein ,net- Außenminister in dieser Funktion bestätigt. In die­ ter Provinzieller‘ (...) sein wird, ohne internationale sen Bereichen gab es einen weitreichenden Kon­ Erfahrungen wie des, Kaisers ‘ Erfahrungen, von de­ sens mit der ÖVP. Als nächste Grundsäule von nen die Österreicher weiter profitieren werden und Kreiskys Außenpolitik, die von den Christde­ all diejenigen, die in Bruno Kreisky nicht den anti­ mokraten heftig beanstandet wurde, fungierte zionistischen Juden sehen, sondern den aufgeklärten die Nahost-Politik, welche Kreisky in der so­ Politiker, der oft zu sagen wagte, was sich andere, genannten „Dritten Welt“ großes Ansehen, in auf wichtigeren Sesseln, nicht getrauten. Israel und den USA jedoch viel Kritik einbrachte. Im November 1974 erklärte Kreisky vor der Und US-Präsident George Bush erklärte nach UN-Generalversammlung, daß eine Friedens­ seinem Tod: „Kreisky war ein wahrer Staats­ lösung nur dann möglich sei, wenn „die legiti­ mann, dessen Dynamik und Einfluß weit über men Ansprüche des palästinensischen Volkes“ zu­ Österreich und Europa hinauswirkten.“ Natürlich frieden gestellt und die PLO bzw. Arafat als Ge­ machte Kreisky auch eine Reihe von Fehlem, sprächspartner anerkannt werden würden. doch eines seiner Die weltweit kritisierte Umarmung zwi­ unbestreitbaren schen Kreisky und Yassir Arafat im Jahre Die Alleinregierung Verdienste war es, 1979 kommentierte Kreisky wie folgt: Kreisky praktizierte eine durch seine Über­ globale Außen- und zeugungskraft im Ich pflege normalerweise Mätmer nicht zu um­ Neutralitätspolitik Dialog die öster­ armen, habe aber Arafats Umarmung als reichische Öffent­ Akt der in diesen Ländern üblichen Höf­ lichkeit für Fragen lichkeit betrachtet.120 der Außenpolitik interessiert und sensibilisiert zu haben. Die Anerkennung der PLO im März 1981 sowie die Einladung des libyschen Staatschefs Ghad- Daß Kreiskys außenpolitische Erfolge auch auf dafi, der in Wien ungeniert gegen die Verei­ seinen virtuosen Umgang mit in- und ausländi­ nigten Staaten polemisierte, führten neben einigen schen Journalisten zurückzuführen sind, kann anderen Aspekten zu einer Verschlechterung nicht ernsthaft bestritten werden. Manche Kri­ der Beziehungen Österreichs zu den USA.121 tiker wie Andreas Unterberger schießen jedoch Kreiskys Verdienst war es, auf die globale Re­ weit über das Ziel hinaus, wenn sie den „Kreisky- levanz der Nord-Süd-Problematik aufmerksam Effekt“ a priori auf die (damalige?) Unzuläng­ gemacht zu haben, wenngleich seine Vision, lichkeit des österreichischen Journalismus einen Marshall-Plan für die „Dritte Welt“ auf zurückführen: die Beine zu stellen, erfolglos blieb.122 * Als Kreisky 1983 als Bundeskanzler zurücktrat, Das Weltgeschehen findet in Österreich, wo es einen schied ein weltweit anerkannter Staatsmann aus kritischen außenpolitischen Journalismus nicht, dem Amt, ein Vordenker der internationalen sondern bloß einen in weltpolitischen Dingen Politik, ein hochangesehener Gesprächspartner sehr halb gebildeten innenpolitischen Journalis­ 45 führender Spitzenpolitiker aus aller Welt. Die fran­ mus gibt, überwiegend nur mittelbar in Form von zösische Zeitung Liberation schrieb nach seiner Kreisky-Kommentaren und - Erklärungen statt}23 Demission: Doch ungeachtet seines Vorwurfs hinsichtlich der „internationalen Profilierungssucht des Re­ 120 vgl. Der Spiegel, 16. Juli 1979. gierungschefs“ konnte der gegenwärtige Che­ 121 s. John Bunzl: Israel und Palästinenser. Die fredakteur der Presse folgende Tatsache nicht Entwicklung eines Gegensatzes, Wien 1983; s.a. Bunzl.: Zur Nahostpolitik der Sozialistischen Internationale und verdrängen: Österreichs unter Bruno Kreisky, in: ÖJIP 1988, Wien - Köln 1988, S. 25 ff; s.a. Bunzl: Between and Jerusalem, Frankfurt am Main u. a. 1997; Hans Thalberg: Die Nahostpolitik, in: Bielka u. a. (Hg.), S. 293 ff. 122 Helmut Omauer: Ein Marshall-Plan für die Dritte 123 Unterberger: Die Mythologisierung der Welt?, in: ÖJP ‘82, Wien - München 1983, S. 207 ff; vgl. österreichischen Außenpolitik, a. a. O.; vgl. dazu auch dazu auch die frühe Publikation von Bruno Kreisky: Die Unterberger: Die außenpolitische Entwicklung, in: Mantl Herausforderung, Düsseldorf - Wien 1963, S. 66 ff. (Hg.), S. 204 ff. Für die internationalen Medien haben wurde auch keine seiner Aktivitäten derart zweifellos die Intelligenz, Brillanz und mißverstanden.126 Obwohl aus heutiger Sicht Härte, mit der Kreisky zu - einigen - internationalen nicht mehr angezweifelt werden kann, daß Kreis­ Fragen immer wieder Stellung nimmt, seine zeitliche kys Annäherung an das Nahostproblem völlig Investition, die er seit Jahrzehnten für die Kontakte mit richtig und er darin seiner Zeit um zwei Jahr­ Auslandsjoumalisten übrig hat, seine Erfahrung und zehnte voraus war, ließ er es speziell in diesem auch die Zeitdauer seiner Amtsausübung ihre Be­ sensiblen Bereich zuweilen an Vernunft, Au­ deutung. 124 genmaß und Besonnenheit fehlen. Auch die Per­ zeption der internationalen Medien schätzte reisky, dem der Kontakt mit der ein­ Kreisky in diesem Zusammenhang oft falsch Kflußreichen Auslandspresse noch wichti­ ein. Einmal abgesehen von der höchst umstrit­ ger war als jener mit innenpolitischen Journali­ tenen Reaktion der Bundesregierung auf die sten, fand während seiner Tätigkeit als Außen­ Geiselnahme zweier arabischer Terroristen in minister in den großen ausländischen Zeitun­ Marchegg vom 28729. September 1973, die - gen zunächst auch ein größeres Maß an Zu­ schließlich mit Erfolg - die Schließung des Tran­ stimmung als in der österreichischen Presse­ sitlagers Schönau, das jüdische Emigranten aus landschaft. Er suchte den Kontakt zu den Spit­ der UdSSR beherbergte, gefordert hatten, und zenjournalisten, Chefredakteuren und Heraus­ Kreiskys als „zu nachgiebig“ verurteilter Haltung gebern ganz bewußt, um seine Politik, um die infolge des blutigen Überfalls eines Terror­ österreichische Politik, plausibel und nachvoll­ kommandos auf den Sitz der OPEC in Wien ziehbar zu machen, was angesichts massiver vom 21. Dezember 1975, waren es in erster Li­ Kritik, die an der angeblichen „Ostanfälligkeit“ nie seine Kommentare zur israelischen Politik, oder an der angeblich „unmoralischen“ Neutra­ die dem Juden Kreisky verübelt wurden. Seine litätspolitik geübt wurde, tatsächlich geboten Wortgefechte mit Ministerpräsidentin Golda schien. Hintergrundgespräche mit der Frank­ Meir, die 1973 nach einem Wien-Besuch - kon­ furter Allgemeinen Zeitung, der Süddeutschen trafaktisch - klagte, man habe ihr „nicht einmal Zeitung, der Zeit, mit Le Monde, der New York ein Glas Wasser“127 angeboten, und deren Nach­ Times, der Washington Post u. a. m. trugen we­ folger Menachem Begin, den Kreisky als „klei­ sentlich zur Klarstellung der österreichischen nen politischen Krämer“ und „kleinen polni­ Position bei. Eine wichtige Rolle nahmen die schen Advokaten“128 apostrophierte, machten Medien in Kreiskys Ostpolitik ein. Im Oktober häufig Schlagzeilen. Die amerikanische „Jewish 1967 erklärte er in einer Rede zum Thema Defense League“ erklärte, daß Kreisky nach „Österreich und seine Außenpolitik“: Schönau von vielen Juden als „beschnittener Nazi betrachtet“ wird129, und die „Maariv“ be- Wir sind also jedesmal versucht, mit Hilfe der Presse zeichnete den österreichischen Regierungschef zu zeigen, daß, wenn wir schon nach Warschau und als „ehrlosen Hofjuden“.130 Eine publizistische nach Sofia und nach Bukarest gehen, daß wir das als Bombe zündete Mitte November 1975 der Spie­ Exponenten eines durch und durch demokrati­ gel mit der Artikelüberschrift „Kreisky: ,Die Ju­ schen Staates tun, der keinen Zweifel über seine den - ein mieses Volk“4.131 Das Hamburger Nach­ 46 Neutralität und über die Grundlinien seiner Po­ richtenmagazin bezog sich auf eine nicht zur litik zuläßt.125 Veröffentlichung bestimmte Bemerkung Kreis­ kys, welche dieser in einem Gespräch mit dem Der oben erwähnte Vorwurf der „Profilierungs­ sucht“ Kreiskys tauchte zumeist im Kontext mit 126 Zusätzlich zur oben angeführten Literatur vgl. hier der Nahostpolitik des ehemaligen Bundeskanz­ vor allem Bruno Kreisky: Das Nahostproblem. Reden. lers auf, weshalb zum Abschluß noch auf dieses Kommentare. Interviews, Wien 1985. Thema bezug zu nehmen geboten scheint. In 127 Golda Meir, Mein Leben, o. 0. 1975, S. 437 ff. Zur wohl keinem anderen Bereich der Außenpoli­ Widerlegung vgl. Margit Schmidt, in: Gatty u. a. (Hg.), S. 142 f. tik zeigte Kreisky in einem vergleichbaren Aus­ maß Engagement und Emotion, gleichzeitig 128 vgl. Die Furche, 15. September 1978. Ursprünglich machte Kreisky diese Aussagen gegenüber James Dorsey von der holländischen Zeitung Trouw. 129 vgl. Westdeutsche Zeitung, 15. November 1975. 124 Unterberger: Die Mythologisierung der österreichischen Außenpolitik, a. a. O. 130 vgl. Maariv, 14. November 1975. 125 Kreisky: Reden, Band 1, S. 740. 131 vgl. Der Spiegel, 17. November 1975. israelischen Journalisten Zeev Barth, in dessen Intellektuellen und Medienmitar- Verlauf Kreisky die Nerven durchgegangen wa­ beitem eine Art „massenkulturelle ren, gemacht hatte. Nachdem er Barth mit der laut­ Hegemonie“ erringen, welche die Umsetzung stark vorgebrachten Begründung, er wolle sich der Kreiskyschen Reformpolitik vorantrieb und nicht verhören lassen, beinahe rausgeworfen das Kunststück dreier absoluter Mehrheiten bei hätte, wollte er einen „versöhnlichen Spaß“ ma­ Parlamentswahlen hintereinander erleichterte.133 chen, indem er erklärte: „Wenn die Juden ein Dieser „stillen Koalition“ sind wichtige Verän­ Volk sind, so ist es ein mieses Volk“. Dieser Satz derungen im Verhältnis von Politik und Öffent­ wurde vom Spiegel völlig aus dem Kontext ge­ lichkeit, im Selbstverständnis der Journalisten und rissen, weshalb sich Herausgeber Rudolf Aug­ in weiten Bereichen des österreichischen Kul­ stein etwas später brieflich entschuldigte. Kreisky turschaffens zu verdanken. Mit der Kanzler­ empörte sich allerdings in einem Leserbrief über schaft Kreiskys ging eine Entwicklung einher, die „unkorrekten Journalismus“. sicher auch ohne ihn eingesetzt hätte, wenn­ gleich nicht in einer vergleichbaren Geschwin­ Trotz dem einen oder anderen Eklat, der einen digkeit und wohl auch nicht oder anderen Fehleinschätzung, ist festzuhal­ ten, daß sich Kreiskys Außenpolitik langfristig von jener grundsätzlich optimistisch-positiven Ein­ als visionär und durchaus erfolgreich heraus­ stellung zu den neuen Auf gaben der Medien (beglei­ stellte. Er war einer der wenigen Staatsmänner, tet), die zumindest als Zielsetzung und Ideal auch un­ dem auch in Zeiten des „Kalten Krieges“, in po­ ter den minderwertigen Medien Österreichs fort­ litischen Konstellationen einer scheinbar un­ wirkt. 134 versöhnlichen Gegnerschaft zweier oder mehrerer Parteien, das Prinzip „Versöhnung“, welches er Politik wurde von Kreisky als öffentlicher, zudem im Bereich der Innenpolitik (Katholi­ demokratischer Dialog verstanden, in wel­ sche Kirche, Habsburger, „Drittes Lager“) zur Gel­ chem er Journalisten - zumeist - als respek­ tung gebracht hatte, die Richtschnur seines Den­ tierte Partner betrachtete. Wie kein anderer kens und Handelns war. Das letzte Wort soll die österreichischer Politiker vor oder nach ihm Zürcher Weltwoche haben, welche indizierte, verstand Kreisky es aber auch meisterhaft, daß schon Journalisten in seinen Bann zu ziehen und zu manipulieren. Der „Medienkanzler“ Bruno etliche seiner (Kreiskys, Anm. C. D.) staatsmänni- Kreisky symbolisierte und kommunizierte schen Extravaganzen im Rückblick an Logik gewon­ den „sozialliberalen Konsens“ der 1970er und nen haben. Als Außenminister war Kreisky der erste, frühen 1980er Jahre derart glaubhaft, daß der ungeniert ins kommunistische Lager reiste. Heute Peter Michael Lingens, einer der bedeutend­ gehören die West/Ost-Kontakte zum täglichen Brot sten Journalisten des Landes, dessen eigene sämtlicher europäischer Regierungen. Als Bundes­ Karriere durch grobe „Kommunikations­ kanzler war er der erste, der Sadat fehler“ einen tiefen Einbruch international aufwertete. Heute ist Der Autor erlitt, die „Ära Kreisky“ der Ägypter die größte Friedens­ als das „beste Österreich, hoffnung der westlichen Welt.132 das es jemals gegeben Mag. 47 hat“ bezeichnen konnte.135 Schlußwort Christian Dickinger (1970)

Während Kreiskys Zeit als politischer Schriftsteller, di­ 133 Christian Dickinger: Bundeskanzler konnte die SPÖ verse Veröffentlichungen, dar­ Intellektuelle und Sozialdemokratie, in: Die Zukunft, Heft 4/1998, S. 16 mit Hilfe einer „stillen Koali­ unter: Der Bundespräsident im ff. tion“ von sympathisierenden politischen System Österreichs, 134 Nowotny: Was bleibt von der Innsbruck - Wien 1999. Ära Kreisky, S. 46. 132 vgl. Weltwoche, 11. Juli 1979. 135 zit. n.: Hanisch, S. 470. ZEITZEUGENBERICHT Als wir diese Zeit rekonstruiert haben für un­ sere Fernsehsendung „Österreich II“ sind wir draufgekommen, daß die Parteien auch noch H ugo Po rtisc h vereinbart haben, daß möglichst gar nichts ge­ sendet wird, was nicht parteioffiziell zur Sen­ über das „Rundfunk- dung freigegeben wird. Das war eine zusätzliche Volksbegehren“1 Vereinbarung. Dadurch haben wir bei „Öster­ (protokolliert von Sylvia Patzer) reich II“ keine Materialien auffinden können. Wir haben gesagt: „In der Innenpolitik muß doch ... 1963 waren die beiden Koalitionsparteien irgend etwas los gewesen sein. In der Wirt­ schon fast im 20. Jahr ihrer Regentschaft und schaftspolitik muß was los gewesen sein.“ Aber haben ein neues Koalitionsabkommen ge­ es gab keine Materialien. Der ORF besaß keine, schlossen. Bei diesem Koalitionsabkommen ha­ weil auch keine gesendet worden sind. Als wir ben sie auch einen Geheimpakt vereinbart. In geschaut haben, was überhaupt gebracht wor­ diesem Geheimpakt stand: „Und jetzt hören wir den ist, zum Beispiel in der Austria Wochen­ auf zu streiten um Rundfunk und um Fernse­ schau, da waren boxkämpfende Känguruhs in hen“, - denn 1963 war das Fernsehen natürlich Australien, die sowjetische Fischereiflotte vor schon ein erkanntes meinungsbildendes Me­ Kamtschatka, die dänische Prinzessin auf Staats­ dium - „Wir werden uns einfach die Kontrollen besuch in Argentinien, dressierte Affen in Saint über diesen Rundfunk teilen“. Denn damals war Louis und dann war die Eröffnung des Auto­ es so: Der Hörfunk war schwarz, das Fernse­ bahnstücks irgendwo bei Amstetten. Also we­ hen war rot. Das Fernsehen bekam mit der Zeit nigstens ein Stück Amstetten. Der Herr Mini­ Übergewicht und die beiden Parteien haben sich ster hat gesprochen, ungefähr eine Minute. Sein da gegenseitig blockiert. Die haben das Geld Stellvertreter, also sein Aufpasser, hat gespro­ nicht hergegeben, weder für das eine noch für das chen, auch eine Minute. Dann war 30 Sekun­ andere Instrument. Jetzt wollten sie das also be­ den ein Zusammenschnitt von 15 Bildern oder reinigen: „Wir machen ein Kontrollabkommen mehr von der Autobahn; nichts zum Verwen­ über den Rundfunk und zwar als Sideletter so­ den. Also das war’s, was man durchgelassen hat zusagen zu dem Koalitionspakt und das wird in der Zensur. nicht veröffentlicht“. Also ein geheimes Ab­ kommen, das besagte, alle Positionen im Hörfunk Kurz, das war also die Vereinbarung. Und ich und im Fernsehen werden in jeder Abteilung war zu der Zeit Chefredakteur des Kurier, damals parteipolitisch besetzt, das heißt, wenn ,rot ‘der die größte Zeitung Österreichs, auch wahr­ Chef ist, dann is t,schwarz ‘der Stellvertreter, scheinlich die politisch einflußreichste und es wo ,schwarz ‘der Chef ist, ist ,rot ‘der Stellver­ kam mein Innenpolitiker zu mir und sagte: „Ich treter und so können wir uns gegenseitig kon­ habe das aufgetrieben, da ist das Geheimab­ trollieren. kommen in Kopie.“ Man hat es ihm ,gesteckt’. Wir haben gefragt: „Ist das echt?“ Haben sofort Abgesehen davon, daß man schon damals herumtelefoniert und festgestellt: „Ja, das ist die Praxis hatte, im Hörfunk, wie im Fernsehen echt, das haben die wirklich abgeschlossen, das 48 Parteipolitisches nur dann zuzulassen, wenn gibt’s doch nicht!“ Große, große Erzürnung. es die Parteisekretariate genehmigten und daß man Und ich habe gesagt:„Da schimpfen wir über den dann praktisch in Minuten abgemessen hat, wie­ Ostblock, über Zensur in den Diktaturen und da viele werden gesendet für die eine Partei, diese machen die hier solches! Das geht nicht, das ist Minutenanzahl muß auch die andere bekom­ demokratiegefährdend, echt demokratiegefähr­ men. Entweder in der gleichen Sendung oder dend und infolgedessen werden wir etwas da­ gleich danach. Also es war ein totales Proporz­ gegen tun.“ abkommen, meiner Ansicht nach eine Knebe­ lung der Meinungsfreiheit im Hörfunk und im Ich habe einen Leitartikel geschrieben, einen Fernsehen, also totale Kontrolle. ungeheuer aufgebrachten und habe sozusagen gewütet in diesem Leitartikel: „Das geht nicht, 1 Dieser Vortrag wurde von Hugo Portisch anläßlich das ist nicht zulässig, sie ruinieren die Demo­ der Jahrestagung der Österreichsektion des deutschen kratie, etc. etc.“. Und laß das wie immer - alle Ar­ Studienkreises für Rundfunk und Geschichte am 14. tikel, die bei uns geschrieben worden sind, hat November 1998 im ORF-Zentrum Wien gehalten. ein anderer gegengelesen - vom Chef vom allem auch der Chefredakteur der Dienst, dem Hermann Stöger gegenlesen und Wochenpresse, die damals ein sehr der kommt herein und sagt: „Ja, ja, das ist unsere gewichtiges Organ war, auch ein politisch ge­ Stimmung, das ist so, aber geschehen wird wichtiges, der Bruno Flajnik. Und die beiden nichts!“ Sage ich:, JSTa ja, was sollen wir denn sonst haben gesagt: „Wir machen sofort mit“, und ha­ machen?“ Darauf Stöger: „Wir müßten etwas ben den selben Kupon mit großen Aufmachem: machen. Die Leute müßte man aufrufen oder „Protest, Protest!44 dann einen Tag später auch in so.“ Darauf sage ich: „Ja, das wollen wir eh ihren Zeitungen abgedruckt, und innerhalb von schon seit langem.“ Schon als sie den „Wat­ ,ich glaube fünf Tagen4 waren hunderttausende schenmann“ eingestellt haben - der wurde auch Stimmen da. Und das war deshalb so erstaunlich, abgewürgt vom Proporz, also der Regierungs­ weil fast jeder in diesem Land koalitionsabhän­ koalition. Der „Watschenmann“ war eine satirische gig war. 60% der Wirtschaft waren mehr oder we­ Sendung im Rot-Weiß-Rot, damals ein ameri­ niger verstaatlicht, jedenfalls unter der Ein­ kanischer Besatzungssender. Die alten Kaba­ flußsphäre der Parteien. Selbst die Privatwirt­ rettisten mit dem Helmut Qualtinger an der schaft war von der Koalition in einem großen Spitze, Gerhard Bronner, Kreisler, Wehle und Maße abhängig, man konnte ja fast keine Posi­ Mauthe, allesamt ganz große Leute, die haben die­ tion in dem Land bekommen, ohne nicht bei ei­ sen „Watschenmann“ gemacht. Kaum waren die ner Partei zu sein oder die Protektion einer der Amerikaner weg, wurde der Sender Rot-Weiß-Rot großen Parteien zu genießen. Und daß hier die sofort von der RAVAG vereinnahmt und die hat Leute mit Namen und Adresse aufstehen, ganz den „Watschenmann“ abgedreht. Damals woll­ gewiß 90% von denen waren von Parteien ab­ ten wir schon ein Volksbegehren durchsetzen, hängig, da war auch den Parteiführungen in dem daß der „Watschenmann“ bleibt und sind drauf­ Moment klar: „Hier geht etwas vor.44 Ich will gekommen: „Ja, in der Verfassung sind Volks­ das jetzt nicht vergleichen mit der DDR: „Wir sind begehren und Volksabstimmung vorge­ das Volk“, aber sehen, aber kein österreichisches Parla­ ein Miniaturauf­ ment hatte bis dahin die Durchführungs­ stand dieser Art Das war die Geburtsstunde bestimmungen verabschiedet. Infolge­ war es. Es war für aller Volksbegehren, dessen, wo keine Durchführungsbestim­ die Politiker je­ die nachher gekommen sind mungen sind, kann das auch nicht statt­ denfalls ein Auf­ finden.“ Also, haben wir gesagt: „Das stand, groß ge­ kennen wir schon vom „Watschenmann“, nug, um sich wir können kein Volksbegehren starten, weil es dann zu melden. Mich hat angerufen der Bun­ keine Durchführungsbestimmungen gibt.“ Ich deskanzler Gorbach und zehn Minuten später habe nachgedacht und gemeint: „Wenn wir den der Vizekanzler Pittermann (Gorbach: ÖVP, Druck von der Öffentlichkeit her, von der öf­ Pittermann: SPÖ): „Kommen Sie bitte ins Par­ fentlichen Meinung her auf die Koalitionsparteien lament, ich möchte mit Ihnen sprechen.44 Ich erhöhen, vielleicht kriegen wir das durch, daß sie rufe daraufhin Csoklich und Flajnik an und endlich die Durchführungsbestimmungen ma­ sage: „Die wollen sprechen und sicher über chen“. Und habe dann gemeint: „Wie erhöht unsere Aktion. Seid Ihr einverstanden, wenn 49 man Druck? Schalten wir morgen einen Kupon ich das mache?“ „Ja, ja, voll, tu nur!“ Und ein, auf der ersten Seite, wo wir sagen: ,„Leser natürlich hätte ich gerne gewollt, daß die auch mit­ unterschreibe diesen Kupon4. ,Ich heiße so und gehen, aber das war so schnell nicht organisier­ so, wohne dort und bin geboren dann und dann, bar. Im Parlament haben sie mich einzeln also ganz identifizierbar, protestiere und wünsche empfangen, nicht gemeinsam, zuerst der Bundes­ und fordere4...“ Und haben einen solchen Protest­ kanzler Gorbach, aber beide haben die selbe kupon in die Zeitung eingeschaltet. Das Echo Frage gestellt: „Was müssen wir tun, damit Ihr war ungeheuer. Am ersten Tag sind bereits Ex­ aufhört mit der Kampagne?44 Das war die Geburts­ pressbriefe und Postkarten gekommen. Von über­ stunde aller Volksbegehren, die nachher ge­ all wurden wir angerufen und das war nicht nur kommen sind. ein großes Echo unter der Leserschaft und unter den Menschen, sondern es haben mich auch Die Antwort hatten wir vorher koordiniert, Csok­ Kollegen angerufen. Der Chefredakteur der Klei­ lich, Flajnik und ich. Wenn die fragen, dann stel­ nen Zeitung in Graz, Fritz Csoklich, und vor len wir folgende Bedingungen: Erstens, dieses Geheimabkommen muß sofort an­ und dann nichts machen, sondern das muß in­ nulliert werden, das darf nicht in nerhalb der Jahresfrist geschehen. Innerhalb ei­ Kraft treten, das ist das Um und Auf. Das zweite nes Jahres muß diese Reform über die Bühne ist, der Rundfunk muß entparteipolitisiert wer­ gehen.“ Darauf haben die Politiker gleich ge­ den, nicht entpolitisiert, aber entparteipolitisiert. sagt: „Ja, so haben wir es uns eh gedacht, ein Auch jetzt schön war dcf Hörfunk und das Fern­ Ministefköfflitee wird eingesetzt, unter der sehen natürlich völlig unter Parteikontrolle. Es Führung des Justizministers Broda und des Un­ hätte dieses Abkommens gar nicht bedurft, sie terrichtsministers Drimmel und zwei andere wollten nur diesen Istzustand fixieren mit diesem kommen noch dazu und die sollen diese Rund­ Abkommen. Und drittens, da muß eine Reform funkreform innerhalb eines Jahres machen.“ rein, die auch das freie Wort gewährleistet. Das War schon verdächtig: vier Minister: zwei rot, zwei gibt es nicht, daß Nachrichtensendungen tagelang schwarz, was werden sie also groß reformieren? ohne ein Wort über Aber damit haben wir ja gerechnet, die Innenpolitik ver­ daß sie unter Umständen nichts machen laufen. Man stelle Die wichtigsten Organe werden und in der Zwischenzeit, in sich das vor: Tage­ in den Bundesländern und dieser Jahresfrist, muß das Parlament lang Meldungen, al­ in Wien sind hinter dem die Durchführungsbestimmungen für les übers Ausland, Volksbegehren gestanden Volksbegehren und Volksabstimmung nichts über Öster­ beschließen, damit wir, wenn sie diese reich. Also das geht Reform innerhalb eines Jahres nicht ma­ nicht, das sind ganze große, meinungsbildende chen, damit wir das Instrument haben, sie zu Instrumente und da muß einfach Demokratie zwingen zu der Reform. Das war natürlich un­ rein und das können sich die Parteien nicht un­ sere schärfste Waffe, die Durchführungsbe­ ter den Nagel reißen. Sie können vor allem nicht stimmungen für Volksbegehren und Volksab­ die Berichterstattung verhindern. stimmung. Das haben sie also zugesagt. Wir ha­ ben das groß gewürdigt, die Kleine Zeitung, die Ich darf daran erinnern, daß zum damaligen Zeit­ Wochenpresse und der Kurier haben gesagt: punkt die Beamten Auskunftsverbot gehabt ha­ „Gut, die haben reagiert auf Volkes Wille.“ Das ben. Also, wenn sie einen Beamten einmal an­ war 1963, gleich zu Beginn der Regierung Gor- gerufen haben, egal wo, dann hat er gesagt: Ich bach, Pittermann und im Jahr 64 lief diese Frist darf nichts sagen. In allen Ministerien. Die Po­ ab. litiker hingegen waren entweder nicht erreichbar, oder sie haben gesagt: „Da sagen wir nichts!“ Also Wie gesagt, nachdem die Sache schon ganz reif das ist heute alles undenkbar, aber so war es. war, mußten wir ein Ventil öffnen. Diese große Wir mußten warten, vier oder sechs Wochen auf Koalition war ja total verkrustet, fast schon 20 irgend eine kleine Pressekonferenz. Wenn der Jahre am Ruder, alles unterdrückt und unter­ Bundeskanzler interviewt worden ist, sind vor­ stellt, die späteren Prozesse haben das ja erwie­ her die Fragen und die Antworten ausgear­ sen, die großen Skandale, die da während der beitet worden. Dann hat das Sekretariat im Koalition stattgefunden haben. Man hatte schon Rundfunk und im Fernsehen angerufen und den Eindruck, daß da ungeheuer viel zugedeckt 50 hat gesagt: „Schickt einen her, der soll das fra­ worden ist. gen.“ Und dann ist der gekommen, hat das vor­ her studiert und vor der Kamera haben sie die Zet­ Sie haben jedenfalls diese Durchführungsbe­ teln gehalten. stimmungen für Volksbegehren und Volksbe­ fragung gemacht und wir hatten das Instrument. Ja, der Reporter hat gefragt, der Bundeskanzler Der Aufruf zur Reform des Rundfunks war da­ oder irgendein Minister hat daraufhin das an­ mit auch die Geburtsstunde aller nachfolgen­ dere Papierl genommen und hat geantwortet. den Volksbegehren und Volksbefragungen bis Ein vorbereitetes Spiel. Und das bitte fast 20 zum heutigen Tag. Jahre nach dem Krieg, 20 Jahre nach der NS- Diktatur. Das war unfaßbar! Also daher: Ent- Dann war es so weit. Diese Frist war abgelaufen, parteipolitisierung des Hörfunks und des Fern­ sie hatten nichts getan und da haben wir noch ei­ sehens. , Aber natürlich, wir brauchen Zeiträume. nen letzten Versuch gemacht. Es galt natürlich das Die können uns das nicht nur so versprechen erste Volksbegehren der Republik durchzuführen, ohne Geld dafür zu haben und ohne die gering­ geschlossen. Wofür wir wahnsin­ ste Unterstützung von Seiten des Staates. So nig dankbar waren, war die Presse. dachten wir, es wäre ganz gut, wenn der Kelch Wofür wir auch sehr dankbar waren, war die an uns vorüberginge, denn wir waren unerfahren Kronen Zeitung und dann natürlich die Salz­ auf dem Gebiet. „Wenn sie uns jetzt in die Hand burger Nachrichten, die Oberösterreichischen hinein versprechen, morgen machen sie die Sit­ Nachrichten, beide Tiroler Zeitungen. Also alles, zung und morgen geht es, dann schauen wir was nicht parteipolitisch war, hat mitgezogen. Die noch zu.“ Eine Wochenfrist hatten sie noch, oder Parteizeitungen durch die Bank nicht. Ebenso 14 Tage. Ich ging also zu den Ministern. Der der Express nicht, der war zu stark sozialdemo­ Drimmel hat uns gnädig empfangen, der Broda kratisch. Express war eine gemeinsame Gründung hat uns fast hinausgeschmissen. Das muß ich Molden, Bacher, nur hatten sie das Geld dazu leider sagen, obwohl ich ihn sehr geschätzt habe nicht und haben am Anfang 50 % der Anteile und möchte gleich hinzu sagen, er war ein groß­ an die SPÖ verkauft plus 1 % Option. Die SPÖ artiger Justizminister der ganz große Reformen hat von dieser Option dann später Gebrauch ge­ gemacht hat, wie die Familienreform, etc. Ich macht, ich glaube irgendwann im Jahr 1962/63. will da objektiv bleiben, aber in dieser Sache hat er kein Einsehen gekannt. In dem Moment, wo es heikel geworden ist, ha­ ben sie das eine Prozent beansprucht. Damit war In dem Moment, wo die Frist abgelaufen war die Unabhängigkeit verloren. Obwohl der Ex­ und die haben nichts gemacht, haben wir ge­ press auch davor schon zu 50 % im Besitz der SPÖ sagt, „Wir erfüllen das, was wir unserer Leser­ war, hatten Molden und Bacher sich lediglich schaft versprochen haben. Wir machen jetzt das verpflichtet, generelle Prinzipien einzuhalten, Volksbegehren.“ Da gingen unendlich viele an mit denen man durchaus einverstanden sein Bord. Also einer, dem ich das ganz hoch an­ konnte. Sie sind dann ausgestiegen und danach rechne bis zum heutigen Tag, war der Günther waren durchwegs von der SPÖ bestellte Chef­ Nenning, der damals Präsident der Joumalisten- redakteure dort und es war eine die SPÖ ziem­ gewerkschaft war, ein Sozialdemokrat, damals lich offen unterstützende Boulevardzeitung. Gut hießen sie noch Sozialisten, ein Mann des ÖGB, gemacht, am Anfang, dann immer schlechter. der sofort gegen diesen Stachel gelockt hat. Aber so war es halt. Überall, wo die Parteien reingegangen sind, haben sie eigentlich die Die SPÖ und die ÖVP haben geschäumt, daß Zeitungen ruiniert. Selbst die Besatzungsmächte wir das machen wollen. Wir haben schreckli­ haben ihre Zeitungen übergeben. Mit Ausnahme che feindselige Angriffe bekommen, in der Ar­ des Kurier wurden alle parteimäßig übergeben, beiter Zeitung (SPÖ), im Kleinen Volksblatt so z.B. Weltpresse und Welt am Abend an die (ÖVP), alles nachzulesen. Es war unglaublich, Sozialdemokraten, aber wo immer sie rein sind, wie sie uns angegriffen haben: wir sind eine haben sie es ruiniert. Kommerzpartei, wir sind die Faschisten, wir wollen den Staat, ... und so weiter, also alles Zurück zum Volksbegehren: Wir hatten zum mögliche wurden wir da genannt. Der Günther Schluß 52 Verbündete, wobei wahrschein­ Nenning hat gesagt: „Nein, das ist richtig! Als Prä­ lich ein Dutzend Tageszeitungen waren, der 51 sident der Joumalistengewerkschaft bin ich ab­ Rest waren Wochen- und Monatszeitschrif­ solut dafür.“ Er ist dann auch innerhalb der Ge­ ten, jedenfalls war es eine geballte Ladung. Die werkschaft von Pontius zu Pilatus gelaufen, um wichtigsten Organe in den Bundesländern und die dort Support zu mobilisieren. Hat dort und da wichtigsten Organe in Wien sind da hinter dem ein bißchen was gekriegt, auch von anderen Ge­ Volksbegehren gestanden. Wir haben ein Völks- werkschaften, aber da die SPÖ eine viel strengere begehrenskomitee gegründet. Wir haben dort Parteidisziplin hatte damals, hat sich dort fast eine große Resolution gefaßt, wo wir genau ge­ niemand rausgetraut. Bei der ÖVP ja auch fast sagt haben, was wir wollen, genau unsere de­ niemand, nur war es halt so, daß bei den Zei­ mokratische Zielsetzung niedergelegt haben. tungen mehr Bürgerliche darunter waren. Die Beim Volksbegehren war es notwendig, ich weiß AZ hat natürlich nicht mitgemacht, das Volks­ nicht wieviel hunderttausend Stimmen damals, blatt auch nicht. Aber nach und nach haben fast es war jedenfalls sehr hoch - 100.000 Stimmen alle Parteiunabhängigen mitgemacht: 52 Zei­ einzuholen, damit es überhaupt durchgeführt tungen und Zeitschriften haben sich der Sache an­ werden kann. Auch heute müssen sie Stimmen einholen, damit es durchgeführt gehren einen genauen Gesetzestext haben, also werden kann, aber bedeutend we­ ein total ausgearbeitetes Gesetz. Dieser voll­ niger. Damals war die Latte ganz hoch gelegt, aber ständige Text lag dann zur Unterschrift vor, mit es war für so viele Zeitungen natürlich auch dem Zusatz: „Ich begehre, daß der Nationalrat keine Affäre. Wir hatten die Unterschriften im Nu im Parlament dieses Gesetz berät und ich be­ beisammen gehabt. gehre, daß der Nationalrat dieses Gesetz auch zum Gesetz erhebt.“ Darunter die Unterschrift. Eine weitere Schwierigkeit war natürlich, daß Das war natürlich sehr kompliziert, das Gesetz. die Herausgeber - wir waren ja die Chefredak­ Wir haben einige der besten Anwälte dieses Lan­ teure, die Eigentümer der Zeitungen waren die des herangezogen. Wir haben ausländische Ex­ Herausgeber - und die Eigentümer jetzt erkannt pertisen herangezogen, insbesondere von der haben: „Was wollen die Chefredakteure? Die BBC in London und haben, wie ich glaube, ein wollen uns da eine Mordskonkurrenz anzüch­ ganz sauberes Gesetz gemacht, weil es sich auch ten, einen guten Rundfunk, einen guten Hör­ an die BBC-Linie gehalten hat. Das haben wir funk, ein gutes Fernsehen. Das wird für die Zei­ eingebracht und jetzt war die Frage: „Wer wird tungen schlecht ausgehen. Jetzt ist der Rund­ sich trauen, da wirklich hinzugehen und zu un­ funk so fad, man muß Zeitung lesen, weil man terschreiben?“ kommt mit Hörfunk und Fernsehen nachrich­ tenmäßig überhaupt nicht durch und natürlich Da hatten wir jetzt eine ganze Reihe von Schwie­ haben wir dadurch auch die Werbung.“ Die rigkeiten. In vielen Bürgermeisterämtern in den Herausgeber haben Bedenken bekommen. Aber Ländern draußen haben es die Bürgermeister es war zu spät. Wir, die Chefredakteure, hatten einfach in den Papierkorb geworfen, was sie an eine solche Dampfwalze in Gang gesetzt. Über­ Unterlagen vom Innenministerium bekommen ha­ all waren die Chefredakteure Widerstands­ ben. „Da soll man was aushängen und da soll kämpfer in ihren eigenen Häusern. Es war nun noch was unterschrieben werden, und ein Ab­ Widerstand gegen die eigenen Herausgeber, die stimmungslokal - das ist ja keine Wahl!“ Also in man erst alle überzeugen mußte. Wenn es gut vielen, vielen Ortschaften wurde das Volksbe­ gegangen ist, konnte man sie überzeugen, wenn gehren einfach nicht zur Kenntnis genommen. In es schlecht gegangen ist, mußte man fast gegen Wien war es besonders arg für uns, weil die ha­ ihren Willen die Dinge durchsetzen, wobei wir ben gesagt: „Ja, das müssen wir ja wohl, weil notfalls sogar an Streiks gedacht haben, um das Gesetz ist Gesetz, aber unterschrieben kann nur durchzusetzen. Wir waren besessen von der Idee: auf den Magistratischen Bezirksämtern wer­ „Wir müssen dieses Land demokratisieren und den.“ Das heißt, wir hatten in ganz Wien 23 Lo­ dazu braucht es diese Instrumente Hörfunk und kale zum Unterschreiben und nicht eines mehr. Fernsehen, es braucht eine freie Meinungsbil­ Das muß man sich nur vorstellen. Wir dachten: dung.“ Ja, da muß ich sagen, da haben wir un­ „Gesetzt den Fall, es gehen 20.000 zum Unter­ seren Herausgebern wirklich die Daumen­ schreiben in Wien, stehen sie zwei Stunden schrauben angesetzt. Der Herausgeber des Schlange bei 23 Lokalen. Das wird nicht gut Kurier, der Dr. Ludwig Polsterer, der das gehen.“ Aber wir konnten nichts mehr machen. 52 Ganze auch nicht so jubelnd gesehen hat, Eintragungsfrist eine Woche, 23 Lokale, noch der es auch mit größter Skepsis betrachtet dazu nur in der Arbeitszeit geöffnet - denn die hat, der öfters gesagt hat: „Also das möchte ich Leute wollten ja gehen, wenn sie nicht arbeite­ mir jetzt anschauen, das wird sicher kein Er­ ten. Also es war fast nicht zu erwarten, daß wir folg.“ Hat sich aber dann doch - breitschlagen da durchkommen werden. möchte ich nicht sagen - bereit erklärt, uns alles zur Verfügung zu stellen, was wir gebraucht ha­ Darüber hinaus kam der nächste Schlag. Hör­ ben. Und das haben wir. Der Kurier hatte da­ funk und Fernsehen bekamen von ihren Direk­ mals das beste PR-Lokal in der Stadt, das sog. Ku­ toren den strikten Auftrag: „Volksbegehren wird rier-Eck:, Ecke Kämtnerstraße beim Hotel Sa­ nicht erwähnt!“ Das erste Volksbegehren die­ cher, dort, wo jetzt das Reisebüro Intropa drinnen ser Republik wurde im Hörfunk und im Fernsehen ist, das war das sog. Kurier-Eck als Zentrale. mit keinem einzigen Wort erwähnt. Das muß man sich auch vorstellen. Heute muß das regie­ Noch eine Erschwernis war - das muß man heute rungsfeindlichste Volksbegehren natürlich nach auch nicht mehr - man mußte für das Völksbe- allen Regeln der Kunst von Hörfunk und vom Fernsehen behandelt werden, aber es ist schon der Kurier da die Führung über­ eine Folge dessen, was damals geschehen ist. nimmt. Es waren ja alles gleich­ Also es wurde nicht erwähnt. berechtigte Zeitungen, logischerweise, die auch alle gleich viel zu sagen hatten bei der Geschichte Wir hatten in dieser Zeit auch eine Diskussions­ und mitzubestimmen hatten. Wir wollten nicht runde laufen, beim Hörfunk, noch nicht beim und sollten nicht mehr federführend sein. In dem Fernsehen, aber beim Hörfunk: Chefredakteure Moment, wo es 52 waren und in dem Moment, diskutieren. Ich weiß nicht, welchen Titel diese in dem die Joumalistengewerkschaft dabei war, Sendung hatte damals, aber es war eine Dis­ mußten alle völlig gleichberechtigt im Konsens kussionsrunde von Chefredakteuren. Und da und kollegial sein. Die einzigen, die die materiellen war auch der Herr Molden, damals noch Chef­ Möglichkeiten hatten, war der Kurier, weil die redakteur der Presse, der Oscar Pollak von der anderen hatten nichts dazuzugeben, oder we­ Arbeiterzeitung, der Grössl vom Volksblatt, ich nig. Und daher haben wir dann gesagt, ,3itte, wer vom Kurier - ich glaube, wir waren nur zu viert. in der ganzen Kwner-Mannschaft verdient das Ver­ Und der Herr Polly hat das geleitet. Er war einer trauen aller 52 und wird nicht im Sinne des Ku­ meiner Lehrer, ich habe beim Polly begonnen rier handeln?“ EU-Präsidentschaft sozusagen. in der Außenpolitik. Also ich hatte großen Respekt Es war also auch so eine Konstruktion. Und da für ihn und wir kommen dort hin und er sagt: haben sich alle an Hermann Stöger erinnert, der „Also, was ist das Thema dieser Woche?“ Und ein ungeheuer integrierender Mann war und an wir sagen: „An und für sich müßte das Thema das den Franz Traintinger, der wußte wie man alles Volksbegehren sein.“ „Aber bitteschön, das und jedes organisiert, er war der erfahrene Or­ kommt ja nicht in Frage.“ Da haben wir gesagt: ganisationsleiter des Kurier. „Das haben wir uns eh so vorgestellt.“ „Und ich bitte die Herren, wenn nur einer das Thema Dann sind wir draufgekommen, also die Bür­ Volksbegehren4 sagt, dann breche ich germeister funk­ die Sendung ab.44 Also das ist so weit ge­ tionieren nicht in Die Herausgeber haben Bedenken gangen, so war es halt. den Ländern bekommen. Aber es war zu spät. draußen, oder Wir, die Chefredakteure, hatten Da muß ich leider sagen: Erstens ein­ großteils nicht, mal, ich möchte die journalistische und eine solche Dampfwalze und manche ge­ professionelle Qualität dieser Leute im in Gang gesetzt hen sogar als Rundfunk nicht bezweifeln. Obwohl sie Bürgermeister und parteipolitisch abhängig waren und parteipolitisch als Beamte gegen das Volksbegehren vor. Die eingesetzt waren, waren sie als Journalisten her­ Koalition, beide Großparteien, haben das wirk­ vorragende Leute, das möchte ich gleich dazu­ lich als einen tödlichen Angriff gegen sich auf­ sagen. Auch der Femsehdirektor, der Freund, gefaßt. Daraufhin haben wir große Werbefeldzüge war ein ungeheuer begabter Mann und die bei­ gemacht, mit unseren Privatautos sind wir raus­ den Chefredakteure im Fernsehen und im Hör­ gefahren, durch Niederösterreich, durch die funk waren auch sehr begabte und gute Leute. Sie Steiermark. Ich glaube, sämtliche Chefre­ waren aber natürlich parteiabhängig. Sie waren dakteure haben über Lautsprecher auf den 53 von den Parteien eingesetzt mit parteilichen Auf­ Dorfplätzen gesprochen, der Schulmeister, der trägen und sie haben diese Aufträge durchge­ Flajnik und der Csoklich, der Nenning und ich. führt. Also wer halt gerade Zeit gehabt hat, ist raus­ gefahren und wir haben die Gemeindeämter Einer hat’s gewagt: Max Eisler, der war Repor­ kontrolliert und haben Dutzende Anzeigen erstattet. ter im Hörfunk, ist am nächsten Tag auf der Wo die das in den Papierkorb geschmissen ha­ Straße gelegen, kaltblütig geschmissen. Eine ben, die waren schon angezeigt. Wir haben einst­ Stunde später war er Angestellter des Kurier, weilige Verfügungen durchgesetzt, daß es halb­ kann ich gleich dazusagen. In der Sendung „Re­ wegs noch geht und dann haben wir uns gesagt: porter unterwegs44 hat er gesagt: „Es findet ein „Jetzt können wir nur mehr Daumen halten.“ Volksbegehren statt“- und schon war er draußen. Haben jeden Tag getrommelt in den Zeitungen. Die Herausgeber sind schon Kopf gestanden, in Und nun gab es noch einmal eine Hürde zu neh­ der Zeitung steht schon nichts mehr anderes. men. Es durfte ja nicht so ausschauen, als ob Dann haben wir natürlich versucht, Prominenz herbeizuziehen, um uns zu unter­ zipiell dafür ausgesprochen, hatte aber nur 4 stützen. Ein paar haben uns unter­ Abgeordnete oder 6, weil die natürlich alles, stützt, ich glaube der Antel und ein paar andere, was gegen die Koalition war, unterstützten. Aber aber nicht allzu viele haben wir bekommen. Und ihre Unterstützung haben wir nicht gebraucht. Aber das war ja auch noch eine furchtbare Periode, die SPÖ war ganz strikt dagegen, und nachdem weil das Volksbegehren war zwar abgeschlossen ja noch die große Koalition bestanden hat, ging mit dem letzten Sonntag aber danach war die es nicht durch, weil auch die Völkspartei konnte Zählung ganz, ganz langsam und am Dienstag hat­ innerhalb der Koalition natürlich nichts machen, ten wir erst 159.000 Unterschriften. Ich glaube, sie war an den Koalitionspakt gebunden. Also das 250.000 hätten wir gebraucht, das war auch viel Volksbegehren wurde abschlägig behandelt, wie mehr als heute. Und kaum waren die ersten Zäh­ so manche Volksbegehren seither auch. Und da­ lungen herinnen und sie waren weit unter dem mit war es in der Schublade und aus. Und dann Ziel, da hätten sie die Leitartikel lesen sollen. kam das Jahr 1966. Also das Volksbegehren ha­ Das Kleine Volksblatt hat geschrieben: „Also ben wir 64 durchgeführt, ja 2 Jahre zuvor, es zwischen dem, was die da bei dem Volksbe­ wurde dann 65 behandelt und in die Schublade gehren zusammengebracht haben und den Stim­ gelegt, also negativ. Daß die Zeitungen sich dar­ men, die wir für unsere Partei kriegen, da ist der über sehr empört haben, können Sie sich vor­ Unterschied so groß, wie zwischen dem Step­ stellen, daß wir da sehr getrommelt haben. Und hansdom und einer Schrebergartenhütten.“ Wört­ dann kam der Wahlkampf 1966 und da haben lich im Volksblatt zu lesen! Die AZ hat über­ alle Zeitungen wiederum die Sache aufgegriffen haupt nur „Riesige Blamage, usw.“ geschrie­ und haben gesagt: „Wir werden für jene Partei ben. Aber nach und nach kamen alle Zahlen her­ sein, die sich voll hinter dieses Volksbegehren stellt. ein und zum Schluß hatten wir 832.000 Stim­ Und da war die ÖVP unter dem neuen Gene­ men und das war für lange, lange Jahre das höch­ ralsekretär Withalm und unter ihrem neuen Par­ ste Ergebnis, das ein Volksbegehren überhaupt teiobmann Klaus klug genug, was uns nicht so gehabt hatte. Man muß sich vorstellen, unter angenehm war, denn vorher waren sie die ganze welchen Umständen: Hörfunk und Fernsehen Zeit gegen uns, und dann haben sie sich sozusagen hatten nicht berichtet, beide Großparteien waren auf unsere Linie gesetzt. Wir haben uns partei­ energisch dagegen, haben gedroht, haben ihren politisch zwar distanziert von denen, aber Tatsache Anhängern gedroht. Jeder, der dort hingegan­ war, daß sie dann ganz voll hineingegangen sind: gen ist, mußte mit einem Ausweis hingehen und „Wenn wir die Mehrheit kriegen, setzen wir das mußte sagen,„Ich bin der und der, ich wohne dort Volksbegehren um.“ Sie haben dann die absolute und dort, und ich unterschreibe hier etwas, wo­ Mehrheit bekommen 1966, aus mehreren Grün­ mit die beiden Regierungsparteien nicht ein­ den. Faktor Nummer eins war die Olah-Krise, wo verstanden sind.“ Das war auch ein großer Akt die SPÖ also innerparteilich ganz zerstritten war. der Zivilcourage für sehr, sehr viele Leute. Also unter solchen Umständen, in einer solchen At­ Eine andere Krise löste Fussach aus, wo die So­ mosphäre ein solches Resultat zustande zu brin­ zialisten ein Schiff auf den Namen Karl Renner gen, war kolossal. Und es war die gemein­ taufen wollten, aber die Bevölkerung von Vor­ schaftliche Anstrengung von 52 Zeitungen und arlberg ist aufgestanden und hat den Verkehrs­ 54 Zeitschriften und der Joumalistengewerk- minister veijagt. Also da gab es eine Krise nach schaft. der anderen. Die SPÖ war total von Krisen ge­ schüttelt. Aber das Volksbegehren war ganz si­ Das weitere Schicksal des Volksbegehrens war cherlich auch ein Faktor. Wie groß der war, ist kein so gutes, wie man meinen mag. Also das nicht bestimmbar. Dann kam die Volkspartei Volksbegehren wurde eingebracht im Parlament also mit einer Mehrheit, hat die erste monoko- und wurde auch behandelt im Parlament und lore Regierung überhaupt in der Zweiten Repu­ wurde natürlich abschlägig behandelt. Die Volks­ blik 1966 gebildet - denn bis dahin gab es ja nur partei hatte zwar eingeschwenkt mittlerweile. die große Koalition - hat allein regiert, als Also die hat erkannt, da ist was los. Da dürfen wir schwarze Regierung und mußte jetzt also auch, uns nicht auf die Dauer dagegen stellen, hat sich und wurde von den Zeitungen ungeheuerlich hinübergehantelt auf eine unterstützende Linie. gepreßt, das Volksbegehren durchzuführen. Die Freiheitliche Partei, damals unter Peter glaube ich - war es schon Peter? - hat sich prin­ Und das hat Kreisky nachher mit einigem Recht Menschen ausschalten wird und immer wieder halt vorgebracht, und hat das der Bacher kam herein, hat am glei­ benützt, um seine Antirundfunkreform dann chen Tag, 24 Stunden nachdem er gewählt war, durchzusetzen, möchte ich gleich sagen, im Jahr als Generalintendant alle Direktoren im Hör­ 74: Die ÖVP hatte unseren Text geändert. Sie funk und im Rundfunk entlassen. Die waren haben zwar weitgehend unseren Volksbegeh­ über Nacht auf der Straße. Das war der Fern­ renstext genommen, haben aber doch das Ku­ sehdirektor, das war der Hörfunkdirektor, das ratorium und die zuständigen Gremien verän­ war der Technische Direktor, es war der Kauf­ dert. Wir hatten die Gremien so besetzt in unserem männische Direktor, es waren die Chefredak­ Gesetz, daß keine der Parteien den Rundfunk teure, die waren weg. Und da habe ich, glaube nachher hätte beherrschen können. Es wäre wahr­ ich, sogar einen Leitartikel geschrieben: „Also, scheinlich auf österreichische Art und Weise hallo, hallo, so arg haben wir es nicht gedacht.“ durch Osmose doch wieder so geworden. Aber Und wirklich, es war eine Verstimmung da, auch im Prinzip haben wir versucht, eine Barriere unter den Leuten, die das Volksbegehren mach­ aufzubauen. ten. Und nachher haben wir Abbitte geleistet, aber ehrlich, weil Bacher hat dann doch bewie­ Es war dann so, daß eine schwarze Mehrheit für sen, daß er nur durch diese Maßnahme die tau­ die Bestellung der Rundfunkorgane zuständig send Loyalitäten in den Häusern Hörfunk und wurde: eine monokolore Regierung, die eine Fernsehen, die gegenüber den Parteisekretaria­ schwarze Mehrheit auch in den Bestellungsor­ ten da waren, abbauen konnte. Bacher hat gesagt: ganen hat. Das hat uns natürlich sehr betrübt „Wenn ich das nicht gemacht hätte, wenn ich und dagegen haben wir dann nur ein Mittel ge­ nicht die Köpfe weggeschnitten hätte, wenn ich sehen. Nämlich ihnen einen Generalintendan­ die gelassen hätte, alles wäre geblieben innerhalb ten aufzuzwingen geradezu, von dem wir wuß­ des Hauses, das ganze Netz wäre verfestigt ge­ ten, der wird sich nicht drum scheren. blieben. Ich wäre Und wenn es uns gelingt, den durchzu­ Der Bacher hat ja dann als da oben im luft­ setzen, dann wird er auch den ganzen allererstes die gesamte leeren Raum ge­ Rundfunk aus diesem parteipolitischen Rundfunkleitung vor die Tür standen.“ Und ich Mief herausnehmen und da gab’s von gesetzt, was ein Schock war glaube, er hat allen, die wir weit und breit gesehen ha­ für viele recht. Es war so. ben, nur den Gerd Bacher, der energisch Aber dadurch, genug war, der auch viel Zivilcourage daß er über Nacht gezeigt hat, der auch aufgestanden ist gegen die die Köpfe abgeschnitten hat, hat das eine unge­ politischen Granden. Aber es war auch sehr heure Wirkung gehabt. Es haben sich 90% der schwer, ihn durchzusetzen, sehr schwer. Der Belegschaft zum Generalintendanten bekannt Bundeskanzler Klaus hat uns einzeln vergattern und sind auf seine Linie gegangen. Bacher sagte: wollen, hat uns zu sich gebeten: „Trinken wir „Kinder, ihr müßt begreifen, jetzt seid ihr alle frei. einen schwarzen Kaffee, muß es der Bacher Ich habe euch befreit, sozusagen, von allen sein?“ Und wir haben immer gesagt: „Das muß Bindungen.“ Und es hat dann geklappt, ob­ er sein.“ Obwohl auch viele dagegen waren. Un­ wohl ich lange gebraucht habe, das einzu­ 55 ter den Journalisten hatte Bacher natürlich auch sehen. Es war aber doch so. eine Menge Feinde gehabt, wie jeder von uns, und trotzdem haben wir gesagt: „Kinder, da müssen Die Chefredakteure, die das Volksbegehren unter­ wir uns einig bleiben, weil sonst geht’s nicht.“ stützten, hatten alle eine Resolution unter­ Erneut eine Solidarisierung der Printmedien in schrieben, daß sie keinerlei Führungspositionen einer Weise, wie wir es kaum für möglich gehalten im ORF annehmen würden und das ist bitte von hätten vorher, und vielleicht auch nachher. Aber allen Chefredakteuren gehalten worden. Es hat der Bacher ist durchgesetzt worden und der Ba­ nie jemand eine angenommen. Der Bacher war cher hat ja dann als allererstes die gesamte Rund­ nicht Mitglied des Volksbegehrenskomitees, das funkleitung vor die Tür gesetzt, was ein Schock waren nur die Chefredakteure, und soweit ich war für viele, ehrlich gesagt auch für mich, denn mich erinnern kann, ist dann keiner hereinge­ ich habe gesagt: „Na schön gut, schauen wir holt worden. Die Leute die hereingeholt wur­ dazu, daß wir die Partei Sekretariate ausschal­ den, waren Gegner des Volksbegehrens. Franz ten.“ Aber ich habe nicht gedacht, daß man die Kreuzer war Chefredakteur der Arbeiter Zei- tung und hat Leitartikel gegen das mache?“ Da haben sie gesagt: „Na selbstver­ Volksbegehren geschrieben gehabt. ständlich“, es waren alle dafür. Muß schon sagen, Dalma war Chefredakteur beim Münchner Mer­ alle haben sich sehr kollegial verhalten und es hat kur, wurde also aus München hereingeholt. Die niemand einen Bruch unseres Abkommens darin anderen waren Rundfunkleute. Der Dr. Bock gesehen. war einer, der dann Chefredakteur im Hörfunk wurde, war schon im Hörfunk. Vor allem aber Hel­ Und ich glaube auch sonst haben alle, das ist mut Zilk, er kam aus dem Rundfunk und er schon wahr, letztlich das ganze Land, das ge­ wurde der erste (und einzige) Femsehdirektor. Ei­ samte Printmedium davon profitiert. Das war nen großen Teil der dann erfolgten Reformen eine falsche Annahme der Herausgeber, daß der hat er durchgezogen. neue Hörfunk und das Fernsehen, daß sie Geg­ ner oder wirkliche Konkurrenten der Zeitungen Ich habe dann den Kurier 1967 verlassen, aber sein werden. Das waren sie vom ersten Moment nicht in der Absicht zum Rundfunk zu gehen. bis heute nicht. Im Gegenteil, das Inseratenauf- Ich hatte mich nicht gerade bei meinem Her­ kommen für alle Printmedien ist gestiegen. Das ausgeber sehr beliebt gemacht durch diese Dinge Interesse der Menschen an Nachrichten, an In­ und es war dieses Verhältnis zwischen dem Her­ formation ist gestiegen. Wir können uns dann ausgeber des Kurier und mir auch noch durch ganz ein andermal darüber unterhalten in welcher andere Dinge belastet. Ich bin also weg. Die Form und wofür, was da wirklich gestiegen ist Süddeutsche Zeitung hatte mir ein Angebot ge­ und nicht gestiegen ist, aber im Prinzip gibt es stellt und im bayrischen Fernsehen war ich be­ heute, glaube ich, doppelt, wenn nicht dreimal reits 8 Jahre Kommentator. Ich habe also dort so viele Leser in diesem Land als damals, und die weltpolitische Samstagkommentare, abwech­ Zeitungen haben mindestens doppelt soviel, selnd mit den Chefredakteuren von der Süd­ wenn nicht dreimal soviel Werbeaufkommen deutschen und vom Merkur gemacht und da als damals. Also das alles hat zu einer gewalti­ kam eben der Gerd Bacher und hat gesagt: „Das gen Belebung der ganzen Informationsgesell­ ist unsinnig, du machst dort Kommentare, mach schaft geführt. Der Bacher hat das eine „Infor­ sie für uns!“ Und da habe ich mationsexplosion“ genannt aber alle Chefredakteure ange­ und das war‘s auch. rufen: „Ich gehe dort in keine Der Autor Position,“ - ich war nie beim Außerdem, glaube ich, daß Rundfunk angestellt, nicht eine Dr infolge des Rundfunk-Volks­ Stunde seither, nicht bis zum Hugo Portisch (1927) begehrens die innere Bewe­ heutigen Tag, war immer freier gungsfreiheit der Chefredak­ Mitarbeiter, von damals bis heute teure und damit der Redak­ - „aber immerhin wollen sie Journalist, Sachbuchautor, tionen größer geworden ist mich haben als Chefkommen­ Radio- und Fernsehkommen­ und sie damit ihr Selbstbe­ tator und seht Ihr das als ei­ tator. wußtsein auch sehr gestärkt nen Bruch an, wenn ich das haben. 56

NEUERSCHEINUNG

Thomas Steinmaurer Tele-Visionen Zur Theorie und Geschichte des Fernsehempfangs

Tele-Visionen stehen sowohl am Anfang als auch am Ende der Femsehgeschichte. Sie beginnen mit den ersten Vorahnungen und Spekulationen zu einem neuen Medium und enden mit jenen Visionen, die das Ende des klassischen Massenmediums Fern­ sehen Voraussagen. Dazwischen liegen über 100 Jahre Femseh­ geschichte, die in dieser Publikation unter dem Aspekt des Emp­ fangs, also der Situatiuon des Zuschauens, betrachtet wird. In Anlehnung an die Arbeiten Siegfried Zielinskis („Audio- visionen“) wird die Geschichte des Zuschauens als Entwicklung des Fernsehens unter den Einflußgrößen von gesellschaftlichen Aspekten (Ökonomie, Kultur, Politik) rekonstruiert.

Aus dem Inhalt: - Zur Theorie des Fernsehempfangs - Entstehungsbedingungen des Fernsehens im Geflecht der Nachbarmedien - Von den Visionen zu den ersten technischen Artefakten und Modellen des Fernsehens - Neubeginn und Kontinuität. Der unaufhaltsame Aufstieg der Television Vom Massenmedium Fernsehen zu seiner Integration ins digitale Netz. Das Ende eines Massenmediums?

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