DISSERTATION

Das Österreichische Fernsehen – demokratiepolitischer Bildungsauftrag oder Quote? Vom Volksbegehren bis zur Gegenwart

Mag. rer. soc. oec, Mag. phil Johannes Naderhirn

Angestrebter akademischer Grad

Doktor der Philosophie (Dr. phil.)

Wien, Dezember 2009 Studienkennzahl lt. Studienblatt A 092 312 Studienrichtung lt. Studienblatt Geschichte Betreuer: Univ.-Prof. DDr. Oliver Rathkolb

Leider lässt sich eine wahrhafte Dankbarkeit mit Worten nicht ausdrücken.

Johann Wolfgang von Goethe (1749–1832), dt. Dichter

Ein Danke im Nachhinein möchte ich meinem Vater sagen, der leider zu früh verstorben ist, um dabei sein zu können. Ich bin sicher, dass er diese Arbeit anderswo anderen vorlesen wird. Er war es, der in mir, seit meiner Kindheit, das Interesse für Geschichte geweckt und oft mit mir über alles – vor allem über Zeitgeschichte – diskutiert hat. Mein Vater hatte ein profundes geschichtliches Wissen, ohne es gelernt oder beruflich genutzt zu haben. Ein Teil meiner Arbeit könnte auch die seine sein.

Meiner Mutter gebührt besonderer Dank, weil sie es war und ist, die mich immer wieder unterstützt hat, weil sie an mich glaubte (…und das war gar nicht immer so leicht). Ihr habe ich viel zu verdanken, immerhin kennt sie mich ja schon beinahe 49 Jahre.

Ein ganz großes Dankeschön gilt meiner Partnerin Beatrice, die ich in fremden Landen kennenlernen durfte, und wir entdeckten dort, dass wir uns sehr nahe sind. Sie hat viel Geduld bewiesen und auch entscheidend dazu beigetragen, dass die vorliegende Dissertation auch „zum Anschauen ist“.

Vielen Dank auch an Dr. Oliver Rathkolb, dessen Wissen und dessen Denken in Zusammenhängen mich sehr faszinieren. Gespräche mit ihm waren und sind sehr anregend, und ich genieße jede Lehrveranstaltung bei ihm.

Dr. Margarethe Grandner (Zweitbegutachterin) lernte ich schon zu Beginn meines Studiums kennen und schätzen. Sie verfügt über fachlich globales Denken und hat mich schon bei meiner Diplomarbeit als Prüferin begleitet. Für die Dissertation gab sie mir einige wichtige Hinweise.

Viele Menschen wissen, dass sie unglücklich sind. Aber noch mehr Menschen wissen nicht, dass sie glücklich sind. Albert Schweitzer

Ich weiß es und bin auch sehr glücklich, so interessante Menschen kennengelernt zu habenInhaltsverzeichnis

Das Österreichische Fernsehen – Demokratiepolitischer Bildungsauftrag oder Quote ? INHALTSVERZICHNIS

INHALTSVERZICHNIS

INHALTSVERZICHNIS...... 4

1. EINLEITUNG ...... 10

2. MEDIEN UND DEMOKRATIE ...... 18

2.1. Der Demokratiebegriff...... 18 2.1.1. Theoretische Grundlagen des Demokratiebegriffes...... 19 2.1.2. Konkordanztheorie...... 21 2.1.3. Die Konkurrenzdemokratie ...... 22 2.1.4. Demokratiediskussion und -zufriedenheit ...... 23

2.2. Begriffsdefinition „Bildung“...... 23

2.3. Demokratiepolitischer Bildungsauftrag und öffentlich-rechtlicher Auftrag ...... 25 2.3.1. Der öffentlich-rechtliche Auftrag...... 27 2.3.2. Der ORF im Spannungsfeld zwischen öffentlich-rechtlichem Auftrag und Quote...... 29 2.3.3. Die Verpflichtungen...... 31 2.3.4. Die Säulen des öffentlich-rechtlichen Fernsehens...... 32 2.3.5. Die Herausforderung für den öffentlich-rechtlichen ORF ...... 35

2.4. Demokratie und Öffentlichkeit ...... 38

2.5. Erzwungene Mediokratie?...... 40

2.6. Demokratie- und Medienbegriff in Österreich ...... 41

2.7. Grundzüge der österreichischen Medienlandschaft...... 42 2.7.1. Regulierung am österreichischen Mediensektor...... 46 2.7.1.1. Basic Facts aus dem österreichischen Medienrecht...... 47 2.7.1.2. Ziele von Regulierung...... 48 2.7.1.3. Regulierungskriterien des Rundfunksektors ...... 51 2.7.2. Politikvermittlung im Fernsehen ...... 52 2.7.2.1. Infotainment und die Bedeutung für das Fernsehen...... 58 2.7.2.2. Macht in der politischen Berichterstattung ...... 63 2.7.2.3. Glaubwürdigkeit in der Informationsvermittlung...... 66 2.7.3. Abgrenzung zum Hörfunk...... 68

2.8. Problematisierung zwischen Demokratie und Medien...... 69

2.9. Partizipationstheorie der Demokratie und Medien...... 70

3. ÜBER DEN JOURNALISMUS...... 72

4 Das Österreichische Fernsehen – Demokratiepolitischer INHALTSVERZICHNIS Bildungsauftrag oder Quote ?

3.1. Korrumpierbarer Journalismus?...... 74

3.2. Chancen für Journalisten...... 75

3.3. Der Vergleich ORF und Printmedien...... 76

3.4. Die Ethik im Journalismus ...... 78 3.4.1. Definition von Ethik...... 80

3.5. Soziale Verantwortung: Der Journalist als Multiplikator und gesellschaftliche Machtinstanz ...... 81

3.6. Die Selbstsicht der Journalisten ...... 83

3.7. Die neuen Herausforderungen für die Journalisten ...... 84

4. DER ORF ALS BILDUNGSSTANDARD...... 88

4.1. Der Kulturbegriff ...... 90 4.1.1. Kultur oder Kommerz? ...... 92

4.2. Das Wissenschaftsbewusstsein des Fernsehens...... 94

4.3. Geschichtsfernsehen ...... 96

5. DIE FUNKTIONEN DES FERNSEHENS...... 100

5.1. Wohin geht das Fernsehen?...... 102

6. DIE QUOTE ...... 103

6.1. Die Quotenmessung...... 103

6.2. Die Bedeutung der Quote...... 103

6.3. Hysterie oder Berechtigung?...... 103

7. DIE GESCHICHTE DES FERNSEHENS ALLGEMEIN...... 103

7.1. Entwicklung des Fernsehens zum Leitmedium ...... 103

7.2. Ein Rückblick aus der Sicht der Zuseher ...... 103

8. DAS ÖSTERREICHISCHE RUNDFUNKVOLKSBEGEHREN ...... 103

8.1. Die Vorgeschichte...... 103

8.2. Die weitere Situation...... 103

8.3. Die Rolle der Medien...... 103

5 Das Österreichische Fernsehen – Demokratiepolitischer Bildungsauftrag oder Quote ? INHALTSVERZICHNIS

8.4. Der Kampf ging weiter ...... 103

8.5. Proteste...... 103

8.6. Rechtliche Grundlagen des Fernsehens...... 103

8.7. Die erste Rundfunkreform...... 103 8.7.1. Die Parteienverhandlungen ...... 103

8.8. Und wieder die Zeitungen...... 103

8.9. Die Umsetzung des Volksbegehrens...... 103 8.9.1. Der Ablauf ...... 103 8.9.2. Die weitere Vorgangsweise ...... 103 8.9.3. Bacher ante portas ...... 103 8.9.4. Das Rundfunkgesetz ...... 103

9. DIE ÄRA BACHER ...... 103

9.1. Das „Bacher-Fernsehen“...... 103

9.2. Bachers Mannschaft ...... 103

9.3. Die Nachrichtenexplosion ...... 103

9.4. Demokratisierung...... 103

9.5. Kronen Zeitung versus Bacher ...... 103

9.6. Die Kommerzialisierung ...... 103

10. DER BILDUNGS- UND GEBÜHRENAUFTRAG ...... 103

10.1. Aufbruch oder Abbruch des Bildungsauftrags? ...... 103

11. DER ORF HEUTE...... 103

11.1. Die grundsätzlichen Regelungen des derzeit gültigen ORF-Gesetzes103

11.2. Die „Interventionitis“ ...... 103

11.3. Das Fernsehen heute in der Analyse...... 103

11.4. Zahlen der Ist-Situation ...... 103

11.5. ORF 1 ist „austauschbar“...... 103

11.6. Schulfernsehen im ORF...... 103

12. BILDUNGS- UND KULTURKOOPERATIONEN DES ORF ...... 103

6 Das Österreichische Fernsehen – Demokratiepolitischer INHALTSVERZICHNIS Bildungsauftrag oder Quote ?

12.1. 3Sat ...... 103

12.2. ARTE ...... 103

12.3. BR-alpha und ALPHA Österreich ...... 103

13. RÜCKBLICK ...... 103

13.1. „Welches Schweinderl möchten’s denn gern?“ ...... 103

13.2. Berichterstattungen...... 103

13.3. Die Abteilung Religion...... 103 13.3.1. Kreuz und Quer – durch Information zur Orientierung ...... 103

13.4. Unterhaltung versus Information ...... 103

13.5. Das „Café Central“ und der „Club 2“ ...... 103

13.6. Schranz und kein Ende ...... 103

13.7. Aktenzeichen XY ... ungelöst ...... 103

13.8. Eigenproduktionen mit Erfolg...... 103

13.9. Aufklärungsarbeit im Sinne der Konsumenten...... 103

13.10. Informationssendungen oder Selbstdarstellung am Beispiel von „Bundesland heute“ ...... 103 13.10.1. „Bundesland Heute"-Marktanteile nach Bundesländern (Jänner bis März 2008)...... 103 13.10.2. „Bundesland heute“ in der Analyse ...... 103

13.11. Boulevardisierung ...... 103

13.12. Die österreichische Antwort auf „Big Brother“...... 103

14. BILDUNGSPROGRAMME IM ÖSTERREICHISCHEN FERNSEHEN ...... 103

14.1. Produktionen auch für den europäischen Kinderbildungskanal „Da Vinci Learning“ ...... 103

14.2. Volksgruppenredaktion...... 103

14.4. „Universum“...... 103

14.5. Die „Zeit im Bild“ ...... 103 14.5.1. „Mini-ZiB“...... 103

15. BEISPIELE VON EIGENPRODUKTIONEN DES ÖSTERREICHISCHEN FERNSEHENS IM BEREICH DER BILDUNG ...... 103

7 Das Österreichische Fernsehen – Demokratiepolitischer Bildungsauftrag oder Quote ? INHALTSVERZICHNIS

15.1. Das Projekt Österreich I und II ...... 103

15.2. Axel Corti und seine Produktionen...... 103

16. INNERE DEMOKRATIE UND FÜHRUNGSSTILE IM ORF...... 103

16.1. Definition von Führungsstilen ...... 103

16.2. Aufgaben einer Führungskraft...... 103

16.3. Eine Zuordnung der Führungsstile für die ORF- Generalintendanten/Generaldirektoren...... 103

16.4. Unternehmensinterne Demokratie...... 103

16.5. Fernsehkonsument – ein mündiger Bürger?...... 103

17. DER LANGE WEG DES ÖSTERREICHISCHEN FERNSEHENS...... 103

17.1. Stellt sich der ORF selbst infrage?...... 103

18. RESÜMEE ...... 103

19. LITERATURVERZEICHNIS...... 103

19.1. Bücher...... 103

19.2. Internet...... 103

19.3. Zeitungen, Zeitschriften und sonstige Publikationen...... 103 19.3.1. Tages- und Wochenzeitungen...... 103 19.3.2. Fachzeitschriften ...... 103

19.4. Interviews...... 103

20. ABBILDUNGSVERZEICHNIS ...... 103

ANHANG ...... 103

ANHANG A...... 103

Anhang A.1. ORF-Gesetz (ORF-G)...... 103 Versorgungsauftrag...... 103

Anhang A.2. Programmrichtlinien (P-RL)...... 103

Anhang A.3. ORF-Redakteurstatut ...... 103

Anhang A.4...... 103

8 Das Österreichische Fernsehen – Demokratiepolitischer INHALTSVERZICHNIS Bildungsauftrag oder Quote ?

Die Mitglieder des Publikumsrats...... 103 ORF-Stiftungsrat: Die 35 Mitglieder...... 103

ANHANG B ...... 103

Sendungsformate und Produktionscharakteristik...... 103 Genresystematik und Produktionscharakteristik der Sendungen von ORF 1 (3.–9. April 2006)...... 103 Eigen- oder Fremdproduktionen (am Ende der Vergleich mit ATV) ...... 103

ANHANG C ...... 103

Kurzbiografien der Interviewpartner, in der Reihenfolge der Interviews (inkl. einer markanten Aussage zum Thema der Arbeit): ...... 103 Pius Strobl ...... 103 Ing. Peter Westenthaler ...... 103 Dr. Helmut Zilk...... 103 Hans Georg Heinke ...... 103 Teddy Podgorski ...... 103 Dr. Peter Dusek ...... 103 Dr. Hugo Portisch...... 103 Gerhard Weis...... 103 Dr. Klaus Unterberger...... 103 Fritz Wendl...... 103 Gerd Bacher...... 103 Dr. Alexander Wrabetz...... 103 Edgar Böhm...... 103

ABSTRACT ...... 103

LEBENSLAUF HANNES NADERHIRN ...... 103

9 Das Österreichische Fernsehen – Demokratiepolitischer Bildungsauftrag oder Quote ? 1. Einleitung

1. Einleitung

Ich hatte einen Traum: Im öffentlich-rechtlichen Fernsehen wurde zweimal die Woche eine Diskussionssendung ausgestrahlt – fast ohne Politiker, fast ohne Proporzüberlegungen. Bunte Menschen – kluge und weniger kluge – leisteten sich mit „open end“ einen offenen Schlagabtausch von Befunden und Analysen, Meinungen und Erwartungen. Ich hatte einen Traum – im öffentlich-rechtlichen Fernsehen setzte sich die Philosophie des Differenz- und Kontrastprogramms durch: Andere mögen Quoten jagen, weil total von der Werbung abhängig. Das Öffentlich-Rechtliche erlaubte sich, mit Berufung auf die Gebühren, ganz einfach nur auf Qualität zu schauen. Ich hatte einen Traum, dass in diesem Land alle, die Serien à la Hollywood oder Mainz sehen wollen, liebend gerne zu den privaten TV-Anbietern wechseln. Im Öffentlich-Rechtlichen liefen breit und tief angelegte Nachrichtensendungen, weitgreifende Kontroversen, Theater und Oper, Qualitätsfilme und eine Unterhaltung, für die sich niemand zu schämen brauchte. 1

Das österreichische Fernsehen steht zeit seines Bestehens mehr oder weniger regelmäßig im Mittelpunkt politischer Auseinandersetzungen. Seine organisatorischen Strukturen wurden im Laufe der Geschichte aufgrund einer eigenen Dynamik mehrmals grundlegend geändert. Vor allem der „misslungene“ Dialog zwischen dem ersten, dritten und fünften Generalintendanten Gerd Bacher und Bundeskanzler prägten ab den 1970er-Jahren diese „Dynamik“, dazu kam eine eigene Auseinandersetzung zwischen Bacher und der Kronen Zeitung, die hier aber nur ein kurzes Randthema sein soll. Sicher ist, dass wohl kaum eine andere Institution einem derart öffentlichen und permanenten Änderungsprozess unterworfen ist. Die Debatten über den ORF generell und das

1 Vgl. Pelinka, Anton, in: Der Auftrag, derFreiRaum, Wien 2006, S 164 f.

10 Das Österreichische Fernsehen – Demokratiepolitischer 1. Einleitung Bildungsauftrag oder Quote ?

Fernsehen speziell waren auch Teil des Parlamentarismus. Dort fanden nicht nur Debatten darüber statt, wie oft der jeweilige Kandidat in einer Sendung zu Gast und wie lange seine Sprechzeit war, sondern auch gesetzliche Diskussionen, wie sich vor allem 1974 zeigte, als eine neue Rundfunkreform beschlossen wurde. Es gab mittlerweile viele Reformen, wobei sich nach Aussagen von interviewten Betroffenen die Qualität des Gesetzes verschlechterte.

Für diese Arbeit standen einerseits die Literatur und andererseits Erkenntnisse, die aus den zahlreichen Interviews gewonnen werden konnten, im Mittelpunkt. Die Arbeit umspannt einen Bogen von der grundsätzlichen Beschäftigung mit dem Journalismus und dessen ethischen Voraussetzungen über die Erörterung des öffentlich-rechtlichen Auftrags, die Frage der Quote bis hin zum demokratiepolitischen Bildungsansatz. Interessant dabei war, dass sich alle, ob in der Literatur, bei Vorträgen oder in Gesprächen, eindeutig zu diesem demokratiepolitischen Auftrag einer öffentlich-rechtlichen Anstalt bekannten. Und hier stellt sich auch die durchaus berechtige Frage, wie sehr die Quote bei allen Überlegungen eine Rolle spielt. Die zu untersuchende These lautet daher, ob der demokratiepolitische Bildungsauftrag zugunsten einer höheren Zuseherzahl geopfert wird, in welcher Form dies passiert, und ob quotenbringende Bildung in Infotainment-Elemente „verpackt“ werden müsse. Außerdem wird die Frage der künftigen Finanzierung des öffentlich-rechtlichen Programms unter Berücksichtigung des im ORF-Gesetz verankerten Programmauftrags aufgeworfen. Hier wurde seitens vieler Interviewpartner die Behauptung aufgestellt, dass der ORF und das Fernsehen als Teil davon in dieser Form in Zukunft nicht mehr zu finanzieren sei. Weiters galt es, zu beweisen, dass vor allem der Kulturbegriff einen großen Anteil an diesem demokratiepolitischen Bildungsauftrag hat.

Der Bildungsauftrag steht immer wieder auf dem Prüfstand, nicht nur, sondern auch wegen der Finanzierung, die eben nur durch das Erreichen einer bestimmten Quote möglich ist. Kann auch Bildungsfernsehen, neben den unangezweifelten Kultursendungen, auf die nötige Zuseherzahl kommen? Oder sind Zukäufe populärer US-Serien wichtiger? Darüber hinaus ist die „werberelevante Zielgruppe“ zu betrachten, das sind die 14–49-jährigen TV-Konsumenten. Immer

11 Das Österreichische Fernsehen – Demokratiepolitischer Bildungsauftrag oder Quote ? 1. Einleitung

wieder wird dagegengehalten, dass die über 49-Jährigen eigentlich die finanzstarke Gruppe wären, diese jedoch ihre ursprünglichen Kaufentscheidungen dahingehend schon getroffen hätten, daher sind sie eher als traditionsbewusst einzustufen – hier schließt sich der Kreis zwischen Erreichung der Quote, Bildungsauftrag und Konsumentenverhalten, denn dadurch wird bei der Programmgestaltung auf zweitere Gruppe weniger Bedacht genommen. Und schließlich wird auch konzediert, dass das „Fernsehen auch bereit sein muss, alte Zöpfe abzuschneiden“.2

Schon 1969 wurde im ORF-Almanach das „ständige Anheben des Bildungsniveaus als Voraussetzung für eine wachsende Volksbildung“ genannt.3 Weiters heißt es, dass neben der primären Aufgabe, Informationen zu vermitteln, bei den Massenmedien Hörfunk und Fernsehen der Bildungsauftrag immer mehr in den Vordergrund tritt.4 Damals wurde Bildungsfernsehen noch als Verpflichtung angesehen, den Fernsehteilnehmern Kurse für die fachliche Weiterbildung, Serien für Berufsausbildung, Sendungen für mögliche Umschulungen zu bieten. Und im Bereich der Kultur standen Sendungen über heimische Literaten bzw. Komponisten im Mittelpunkt. Einzig Sigmund Freud war damals kontroversiell besetzt, daher war der ORF nur Koproduzent der BBC einer Freud- Dokumentation.5 Im Laufe der Zeit wurden neue Formate, wie z. B. „Wissen aktuell“ entwickelt, die auf großes Interesse der Zuschauer stießen. Vergleichbar ist dies in etwa mit dem heutigen „Universum“. Und hier zeigt sich deutlich – die Welt wurde größer, globaler, daher sollte auch die Information Schritt halten, ohne die heimische Situation zu vergessen. Die Geschichtsaufbereitung wurde zwar für einige Jahre zum Top-Thema des Fernsehens – siehe Österreich I und II –, jedoch wurde rasch erkannt, wie sehr interpretativ diese Aufbereitung sein muss, um allen Strömungen einigermaßen Rechnung zu tragen (vgl. Pkt. 16, Seite 239 dieser Arbeit).

In den ersten Kapiteln behandle ich die Grundstrukturen einer demokratiepolitischen Medienpolitik, die die Definition der Begriffe Demokratie,

2 Vgl. Podgorski, Teddy, Interview am 4. 12. 2007 im Café Gutruf 3 Vgl. ORF-Almanach 1969, S 67 4 Vgl. ebd. 5 Vgl. ebd., S 69

12 Das Österreichische Fernsehen – Demokratiepolitischer 1. Einleitung Bildungsauftrag oder Quote ?

Bildung sowie den demokratiepolitischen Bildungsauftrag in Verbindung mit dem öffentlich-rechtlichen Auftrag beinhalten. Bei dieser Arbeit durfte natürlich auch die Beschäftigung mit allgemeinen Fragen des Journalismus nicht fehlen, von der Ethik bis zur manipulativen Wirkung, und ob hier die öffentlich-rechtlichen Anstalten ein gutes Vorbild abzugeben haben. In Kapitel 3 wird der Journalismus generell beleuchtet, werden die neuen Herausforderungen für Journalisten und schließlich drei für den Bildungsauftrag wesentliche Bestandteile – Kultur, Wissenschaft, Geschichtsfernsehen – betrachtet. Im nachfolgenden Kapitel wird auf die Gefahr politisch-manipulierter Einflüsse, die sich im Laufe der ORF- Geschichte ergeben haben, eingegangen. Im fünften Kapitel werden Wirkungsweisen, neue Perspektiven und die Herausforderung durch neue Medien thematisiert, daran anschließend steht die Quote im Mittelpunkt der Überlegungen. Da diese Arbeit nicht nur die Gegenwart und die Aussichten, sondern auch die Geschichte des ORF zum Thema hat, handeln die Kapitel 7–10, ausgehend von der allgemeinen Geschichte des Fernsehens, von den Bemühungen unabhängiger Zeitungen für einen parteiübergreifenden Österreichischen Rundfunk, vom Volksbegehren und der Ära Bacher, die ja das Österreichische Fernsehen in vielschichtiger Weise geprägt hat. Die Kapitel 12–16 stellen den Ansatz einer Programmanalyse dar, immer vor dem Hintergrund meiner Forschungsaufgabe. In den letzten beiden Kapiteln versuche ich, einen durchaus kritisch und persönlich geprägten Blick auf die eigentlichen Aufgaben des ORF zu werfen. Ich habe aber nicht nur das Angebot, sondern auch die verschiedenen Perioden der Generalintendanzen bzw. der jetzigen -direktionen beleuchtet und deren Führungsstile analysiert, denn jeder Verantwortliche brachte seine eigenen Gedanken mit ein und prägte daher den ORF im Speziellen und das Fernsehen im Allgemeinen. Im Anhang findet der Leser dann die Informationen über das ORF- Gesetz, die Programmrichtlinien, das geltende Redakteurstatut, das doch, trotz seiner bürokratischen Umständlichkeit in den Formulierungen einen guten Einblick in die Arbeitsweise von Journalisten im öffentlich-rechtlichen Bereich gibt, über die derzeitige Zusammensetzung (Stand 22. 6. 2009) der Gremien Stiftungs- und Publikumsrat, Untersuchungen über die Häufigkeit und Streuung von Eigen- und Fremdproduktionen sowie kurze Lebensläufe der Interviewpartner. Die immer wieder angespannte finanzielle Situation des ORF spielt natürlich eine Rolle bei

13 Das Österreichische Fernsehen – Demokratiepolitischer Bildungsauftrag oder Quote ? 1. Einleitung

der Programmgestaltung. Schon 1960, knapp vor dem eigentlichen Start, wurde der spätere ORF von der Politik angemahnt, dass dieser „wie eine Unternehmung zu führen sei“.6 Schon 1961 konnte nur mittels eines Notbudgets weitergearbeitet werden.7 Während in der ersten Ära nach dem Volksbegehren das Geld zwar knapp war, durch den Anschein der Internationalisierung jedoch reichlich floss, wurden diese Schwächen jahrelang überdeckt. Im ORF-Almanach 1986/87 wurde schon vermerkt, dass der ORF nicht gewinnorientiert arbeitet, aber doch eine Verpflichtung als Kaufmann im Sinne des Handelsgesetzbuches habe.8 2008 schließlich wurde das finanzielle Dilemma des Österreichischen Rundfunks offensichtlich. Durch die Nicht-Erstattung der allerdings von der Politik auferlegten sozialen Befreiungen von der Gebühr entgehen dem ORF jährlich rund 56 Millionen Euro.9

Das führt zu folgenden weiteren Überlegungen:

Immer wieder hört man aus Stiftungsratskreisen, der ORF solle nicht nur versuchen, das Problem einnahmenseitig zu lösen – etwa durch die von Wrabetz geforderte Rückerstattung der Gebührenbefreiung (was dem ORF 57 Millionen Euro bringen würde), durch eine Ausweitung der Werbezeit oder eine jährliche Gebührenvalorisierung. Als Grundübel sehen Räte, dass „den ORF bisher sein Finanzergebnis gerettet hat, damit er nicht zu rote Zahlen schreibt", weil er „jedes Jahr deutlich mehr ausgibt, als er einnimmt“.10

Auch in der Koalitionsvereinbarung nach den Nationalratswahlen 2008 spielten Überlegungen zum ORF und dessen weiterer Finanzierbarkeit eine Rolle. Man kam im Gegensatz zum Wunsch der ORF-Verantwortlichen aber nicht zum Beschluss einer Rückzahlung der Befreiung, sondern, dass „Maßnahmen gesetzt werden müssen, damit der Öffentlich-Rechtliche zukunftsfit werde. Personal abbauen, sparen, wo es nur geht, so die Prämisse, erst dann könne an einen

6 Vgl. Ergert, Viktor, Die Geschichte des Österreichischen Rundfunks, Bd. II, 1953–1967, S 115 7 Vgl. ebd., S 119 8 Vgl. ORF-Almanach, Wien 1986/87, S 194 9 Vgl. Wallnöfer, Isabella, Dann sind wir bei 100 Millionen, in: Die Presse vom 13. 11. 2008, S 23 10 Vgl. ebd.

14 Das Österreichische Fernsehen – Demokratiepolitischer 1. Einleitung Bildungsauftrag oder Quote ?

Zahlungsausgleich für die Befreiung die Rede sein“.11 Da Dr. Wrabetz über die hohen Werbeeinnahmenverluste „aufgrund der Finanzkrise“ klagt, wird einnahmenseitig keine Konsolidierung stattfinden. Der ORF muss daher – das ist immer wieder das Argument, wenn es um Werbeeinnahmen geht – versuchen, Quote zu machen und möglichst auf Eigenproduktionen verzichten.12 Alles in allem besteht der Anspruch des ORF noch immer darin, die Marktführerschaft zu erhalten, und daran misst sich auch der Ehrgeiz der Verantwortlichen. Diese Marktführerschaft ist nicht nur im ureigenen, sondern auch im nationalen Interesse. Denn der ORF muss seinen Informationsstandard halten und noch ausbauen, gerade hier gingen doch wesentliche Elemente verloren. Durch den öffentlich-rechtlichen Bildungsauftrag sollten der ORF und eben das Fernsehen in der Lage sein, u. a. auch Werkstätte und Transportmittel österreichischer Gegenwartskultur zu sein.

Wie schon erwähnt, habe ich für die Arbeit wesentliche Persönlichkeiten interviewt, wobei ich mich an dieser Stelle auch für die Bereitschaft bei allen Interviewten bedanke. Auf drei ehemalige Generalintendanten habe ich verzichten müssen – Otto Oberhammer, Gerhard Zeiler und Monika Lindner, die nicht erreichbar waren. Die Interviews sind die zeitgeschichtlichen Zeugen der gesamten ORF-Entwicklung, wobei sich bei allen das Bewusstsein der eindeutigen Verpflichtung zum demokratiepolitischen Bildungsauftrag gezeigt hat. Einer der wichtigsten Zeitzeugen und ein ausgezeichneter, auskunftswilliger Gesprächspartner ist leider in der Zwischenzeit verstorben, Dr. Helmut Zilk. Er bleibt mir jedenfalls trotz seiner angegriffenen Gesundheit als dynamischer, am ORF hochinteressierter Interviewpartner in Erinnerung. Natürlich fließt die persönliche Sichtweise eines jeden mit ein, und jeder rückte auch seine eigenen Errungenschaften ins beste Licht. Neben Zilk war mir vor allem Dr. Hugo Portisch bei der Aufarbeitung des ORF-Volksbegehrens sehr hilfreich, während Gerd Bacher wiederum viel über die ersten Schritte und die ständige Programmweiterentwicklung berichten konnte. Teddy Podgorski beeindruckte mit seiner Erzählung über die vielen Programmideen, von der Erstellung bis zur Umsetzung, und verschaffte mir so einen Einblick in die Fernseharbeit. Gerhard

11 Vgl. Wallnöfer, ebd. 12 Vgl. Fidler, Harald, in: Der Standard vom 13. 11. 2008, S 16

15 Das Österreichische Fernsehen – Demokratiepolitischer Bildungsauftrag oder Quote ?

Weis erwies sich als der strategische Denker, der über fundiertes, seriöses Wissen über das Fernsehen und den öffentlich-rechtlichen Auftrag, das er sich in vielen Funktionen erarbeitete, verfügte. Über die Hintergründe, die zu seiner Entmachtung führten, ist er auch heute noch betroffen.

Dr. Klaus Unterberger wiederum stellte die Erfüllung des öffentlich-rechtlichen Bildungsauftrags, dem er ja durch das Public-Value-Kompetenzzentrum, das er leitet, im Sinne einer Evaluierung gerecht zu werden versucht, in den Vordergrund. Eine der Fragen, die ich mir in der Nachbetrachtung der Aussagen gestellt habe, warum der ORF ein solches Zentrum braucht, wenn der jetzige Generaldirektor (Stand 19. März 2009), in einem Mail (siehe Seite 24) meint, dass der ORF keinen expliziten Bildungsauftrag hätte.

Die Interviews mit Hans Georg Heinke, Fritz Wendl, Edgar Böhm und Peter Dusek waren für die Situationsanalyse wichtig, weil hier Stimmungen und interne Verflechtungen zur Sprache kamen. Pius Strobl schließlich zeigte sich sehr kooperativ und bemühte sich auch, geeignetes Material von den richtigen Mitarbeitern zu bekommen. Positiv überrascht war ich, dass sich die Zusammenarbeit und die Information sehr vielfältig und offen gestaltete.

Zuallerletzt verweise ich noch darauf, dass die Quellen sorgsam ausgesucht wurden und sich im Wesentlichen aus Beständen der Universitätsbibliothek Wien sowie der Nationalbibliothek zusammensetzen. Auch diverse Zeitungsarchive wurden hinterfragt, wobei mir hier, und auch bei statistischen Angaben wie Reichweite oder Quote, Internetquellen eine Hilfe waren.

16

Das Österreichische Fernsehen – Demokratiepolitischer Bildungsauftrag oder Quote ? 2. Medien und Demokratie

2. Medien und Demokratie

Moderne Demokratien sind ohne eine funktionierende Medienlandschaft nicht möglich, denn die Medien agieren hier als eine Art Kontrollfaktor und haben die Aufgabe, die Bevölkerung umfassend zu informieren. Gerade die USA und Großbritannien zeigten in den vergangenen Jahren verstärkte Tendenzen zu einer Medienkonzentration auf wenige meinungsbildende Gruppen (als Beispiele sind hier Murdoch mit Fox und all seinen Printmedien anzuführen). Politik- und dabei auch Bildungsvermittlung durch das Fernsehen definiert den normativen Bezugsrahmen von Politikvermittlung in Demokratien. Und Politik soll dabei auch gleichzeitig Bildung ermöglichen, wird aber von den verschiedenen Einflussträgern jeweils für sich interpretiert. Diskutiert werden mediatisierte Politik in drei Dimensionen (Polity, Politics, Policy) und die Rolle der Medien in diesen Dimensionen.13

2.1. Der Demokratiebegriff

Demokratie heißt aus dem Griechischen übersetzt „Volksherrschaft“. Diese entwickelte sich in Europa zuerst in den griechischen Stadtstaaten als direkte oder unmittelbare Demokratie. Sie wurde unter dem Namen „Politie“ von Aristoteles zu den drei grundlegenden Staatsformen gerechnet. Auf Sklaverei aufgebaut kann sie heute nicht mit der modernen Entwicklung der Demokratie verglichen werden.14 Die Frage, die sich in Österreich nach dem Zweiten Weltkrieg stellt, ist nun, ob es nicht doch, vor allem anfangs, „moderne Sklaverei“ war, mit welcher Selbstverständlichkeit der Rundfunk für die Politik vereinnahmt wurde. Interviewfragen mussten von den Politikern genehmigt werden. „Unvorstellbare

13 Vgl. Donsbach, Wolf u. a., Beziehungsspiele – Medien und Politik in der öffentlichen Diskussion, Güterloh 1993, S 11 ff. 14 Vgl. Beierwaltes, Andreas, Demokratie und Medien. Der Begriff der Öffentlichkeit und seine Bedeutung für die Demokratie in Europa, Baden-Baden 1999, S 22

18 Das Österreichische Fernsehen – Demokratiepolitischer 2. Medien und Demokratie Bildungsauftrag oder Quote ?

Zustände“, wie es Hugo Portisch ausdrückte.15 Im modernen Sinn verfügen Demokratien in der Regel über eine entsprechende Kommunikationsinfrastruktur. Medien sollten diese Struktur bieten und sind die Voraussetzung dafür, dass das Volk souverän sein kann. Diese Souveränität wird durch die kommunikative Tätigkeit zwischen den vom Volk gewählten Repräsentanten und dem Volk selbst erhalten.16 Gleichzeitig muss die Unabhängigkeit eines öffentlich-rechtlichen Mediums auch die nötige Bildung gewährleisten, was durch die heutige enorme Machtfülle zweier Medien in Österreich objektiv nicht mehr gegeben ist. Der ORF mit seinen zwei Kanälen und dem dritten Halbkanal TW1 deckt rund die Hälfte der Information ab, und die Kronen Zeitung hat mit knapp drei Millionen Lesern die höchste Auflage (pro Kopf gerechnet gilt dies für die ganz Welt).

2.1.1. Theoretische Grundlagen des Demokratiebegriffes

Einzelne Aussagen bzw. Theorien über „Demokratie“ lassen sich nach unterschiedlichen Kriterien einordnen bzw. voneinander abgrenzen. Demokratie- theorien werden aufgrund expliziter und impliziter Zielvorstellungen unterschieden, die für den Demokratiebegriff bzw. die -theorien definiert werden.17 Es lässt sich eine Differenzierung dahingehend treffen, ob Demokratietheorien den Anspruch erheben, „normativ“ (d. h. mit Ziel- und Wertvorstellungen verbunden) zu sein oder aber „empirisch“, wobei diese beanspruchen, einer vorgegebenen Erfahrung und Realität zu entsprechen.18 Die Einbeziehung der Wert- und Zielfragen einerseits, die Deutung jeder Politik als eines vielschichtig abhängigen, keineswegs autonomen Prozesses andererseits sind charakteristisch für die jüngsten Entwicklungen der Demokratietheorie.19 Im Wesentlichen sind es zwei demokratiepolitische Grundlagen, die in Österreich eine maßgebende Rolle spielen. Zusätzlich bringt Anton Pelinka eine Vielzahl von Komponenten ins Spiel und kommt zur Auffassung, dass es in Österreich Parteien und Verbände sind, die

15 Vgl. Interview mit Dr. Hugo Portisch am 5. 12. 2007 16 Vgl. Beierwaltes, Andreas, 1999, S 13 17 Vgl. Schaller Christian, Demokratietheorie: Klassifikationskriterien und Leitsätze im Überblick, in: Delpos, Manuela, u. a. (Hrsg.), Demokratietheorie und Demokratieverständnis in Österreich, Wien 2001, S 19 18 Vgl. ebd. 19 Vgl. Pelinka, Anton, Dynamische Demokratie, Stuttgart 1974, S 9

19 Das Österreichische Fernsehen – Demokratiepolitischer Bildungsauftrag oder Quote ? 2. Medien und Demokratie

die Demokratie prägen: „(…)Parteien haben sich in den Verfassungsorganen festgesetzt, während Verbände die unmittelbare Besetzung dieser vermeiden.“20 In der Grauzone der Parteien agieren die öffentlich-rechtlichen Institutionen, wie eben auch der ORF. In Österreich wird hauptsächlich in jüngerer Zeit von der Konkordanzdemokratie gesprochen. Politik in den stabilen Demokratien mit segmentierter Gesellschafts- struktur wie Österreich wurde vorerst durch den Begriff Proporzdemokratie beschrieben, der später durch den Begriff Konkordanzdemokratie ersetzt wurde.21 Proporzdemokratie spielt und spielte in Österreich gerade im Zusammenhang mit dem ORF eine beinahe schon übergeordnete Rolle, weil Kritik immer wieder unter diesem Begriff geübt wurde.

Umfassende Untersuchungen in Österreich zeigen auch auf, welche Rolle die einzelnen Theorien in der praktischen Debatte spielen:22 - Pluralistische, repräsentative Demokratietheorien (Positionen von Kelsen, Leibholz und Fraenkel) - „Rechte“ identitäre Demokratietheorien (demokratiepolitische Leitvorstellungen der Rechtspopulisten) - Theorien von Konkordanz- und Proporzdemokratie - Theorien demokratiepolitischer Elitenherrschaft als Konkurrenztheorien von Demokratie (Schumpeter) - Partizipatorische Demokratietheorien (z. B. „linke“ Theorien identitärer Demokratie, siehe Pelinka) - Theorien sozialer Demokratie (in der Sozialdemokratie; Adler, Kreisky, Parteiprogramm 1978)

Im Wesentlichen sollen hier kurz die zwei Theorien beschrieben werden, die in den Kontext dieser Arbeit passen.

20 Vgl. Pelinka, w. o., S 80 21 Vgl. Fink, Mareike, Von der Konkurrenzdemokratie zur Konkordanzdemokratie, S 10, Zitat Gerhard Lembruch 22 Vgl. Schaller, Christian, Demokratietheorien: Klassifikationskriterien, Fragestellung und Leitsätze im Überblick, in: Ogris, Günter u. a., Demokratietheorie und Demokratieverständnis, Wien 1997, S 54

20 Das Österreichische Fernsehen – Demokratiepolitischer 2. Medien und Demokratie Bildungsauftrag oder Quote ?

2.1.2. Konkordanztheorie

Im Unterschied zu politisch-gesellschaftlichen Systemen auf der Basis eines Mehrheitsprinzips orientiert sich die Konkordanzdemokratie bei der Ent- scheidungsfindung an institutionalisierten Kompromiss- und Proporzregelungen. Die Zweite Republik galt bislang im internationalen Vergleich als besondere Form der Proporz- oder Konkordanzdemokratie.23 Eine solche Variante liberaler Sys- teme relativiert die Mehrheitsregel durch Beteiligungsgarantien für (nationale, sprachliche, religiöse, politische) Minderheiten. Der Wettbewerb am politischen Markt und damit der Wahlerfolg werden in ihrer Bedeutung reduziert. Die Konkordanzdemokratie hat jedoch eine Voraussetzung: die Existenz weitgehend autonomer Subsysteme – in den Niederlanden „Säulen“, in Österreich „Lager“ genannt.24 Das politische Österreich war Jahrzehnte hindurch von der politischen Kultur her eine „Konkordanzdemokratie“. Auf der Grundlage der Gegnerschaft der politisch- weltanschaulichen Lager, die aus der Zeit der Bürgerkriege stammen, bestand diese aus dem Netzwerk elitärer Absprachen zwischen katholisch-konservativem und sozialistischem Lager.25 Im Mittelpunkt stand die wechselseitige Garantie auf Machtbeteiligung. Die Beweglichkeit einer Gesellschaft entzog der Konkordanztheorie allmählich die Grundlage. Der Aufstieg der Grünen, der politische Stilwechsel verbunden mit dem Erstarken der FPÖ drücken diesen Wandel aus.26 Die Lager lösten sich auf und eine politische Kultur, die auf deren Existenz aufbaute, konnte nicht mehr länger bestehen. Die Konkordanztheorie wird immer mehr von einer Konkurrenztheorie abgelöst. Außerdem kam es zu einer Redimensionierung des Verbändestaates und damit auch der Sozialpartnerschaft: - Die Bindung an die Verbände geht zurück, wenn auch dieser Trend weniger dramatisch ist als der Rückgang der Parteienbindung (so z. B. analysierte Peter Filzmaier am 4. September 2008 im ORF, dass sich durch das starke Aufkommen

23 Vgl. http://www.demokratiezentrum.org/e4a0fdac12e7ebe3f1d4607cada935c0/de/startseite/wissen/lexik on/konkordanzdemokratie.html, Zugriff am 10. 6. 2009 24 Vgl. ebd. 25 Vgl. Pelinka, Anton/Plasser, Fritz/Meixner, Wolfgang, in: Pelinka, Anton u. a. Die Zukunft der österreichischen Demokratie, Wien 2000, S 443 26 Vgl. ebd.

21 Das Österreichische Fernsehen – Demokratiepolitischer Bildungsauftrag oder Quote ? 2. Medien und Demokratie

von Proteststimmen neue Überschneidungen zwischen sogenannten Protestparteien, die sich ansonsten ideologisch widersprechen, ergeben27). - Die Fähigkeit der Verbände zur Politikgestaltung ist seit den 1980er-Jahren rückläufig28, wie auch die Diskussion um das überkommene Phänomen einer Zwangsmitgliedschaft zeigt Relikte sind in unserem polit-gesellschaftlichen System noch zu erkennen, einigermaßen drastisch bei der Zusammensetzung der verantwortungs- und entscheidungsbefugten Gremien des ORF, der noch immer nach gewissen Parteilichkeiten zusammengesetzt ist.

2.1.3. Die Konkurrenzdemokratie

Konkurrenzdemokratie bezeichnet eine demokratische Regierungsform, in der (gesellschaftliche und) politische Konflikte in erster Linie über einfache politische Mehrheiten und einfache Mehrheitsregeln gelöst werden.29 In der Regel stehen sich in einer Konkurrenzdemokratie zwei große Parteien oder Parteiengruppierungen gegenüber, konkurrieren miteinander (Parteien- wettbewerb) um Wählerstimmen und stehen entweder in Regierungs- verantwortung oder einer oppositionellen Warteposition (z. B. GB, USA). Auf Österreich umgelegt heißt das, dass durch die zunehmende Blockbildung der politischen Gruppierungen Entwicklungen in Richtung einer Konkurrenzdemokratie zu erkennen sind. In Österreich fehlt jedoch die Grundlage für eine wirkliche Konkurrenzdemokratie: die maximale Ablösbarkeit der Regierung durch die Opposition. Auch die umfassende Entstaatlichung in Wirtschaft und Gesellschaft nimmt dem Parteien- und dem Verbändestaat immer mehr die Möglichkeit, politische Loyalität mit einer entsprechenden Förderung zu beantworten.30 Der ORF wird bald auch durch die Realität der politischen Situation eingeholt, indem es nicht mehr gewährleistet ist, dass sich die Organe aus den Reihen der Parteien bzw. parteinaher Organisationen rekrutieren.

27 Vgl. ZiB 2 am 4. 9. 2008 um 22 Uhr, Wolf mit Filzmaier und Sophie Karmasin im Gespräch 28 Vgl. ebd. 29 Vgl. Delpos, Manuela/Haller Manuela, Demokratieverständnis in Österreich, Wien 2001, S 34 30 Vgl. ebd., S 443

22 Das Österreichische Fernsehen – Demokratiepolitischer 2. Medien und Demokratie Bildungsauftrag oder Quote ?

2.1.4. Demokratiediskussion und -zufriedenheit

Aufgrund seiner spezifischen Stellung thematisiert das Österreichische Fernsehen das österreichische Demokratieverständnis kaum, im Gegensatz zu zahlreichen Berichten über Demokratien im Ausland wie beispielsweise in den Sendungen „Weltjournal“ oder „Menschen & Mächte“. Aber auch hier kommt es immer wieder zu Budgetkürzungen31, die die aufklärerische Arbeit zunehmend erschweren. Das mag auch daran liegen, dass die ÖsterreicherInnen grundsätzlich mit der Demokratie in Österreich zufrieden sind.32 Noch im Jahr 2000 gaben 62 % der Befragten an, mit „der Demokratie sehr zufrieden zu sein“, 37 % waren unzufrieden.33 Das Wort „Durchflutung aller Lebensbereiche mit Demokratie“ wurde zuallererst durch Bruno Kreisky geprägt.34 Gerade die Wahlen der vergangenen Jahre, vor allem die Nationalratswahlen 1999 und 2008, haben drastisch gezeigt, wie sehr die zunehmende Demokratieverdrossenheit den Rechtsparteien (in Deutschland der „Linken“ unter Lafontaine und Gysi) zugutekommt. Das öffentlich-rechtliche Fernsehen gerät hier zusehends in ein Dilemma, denn aus demokratiepolitischen Gründen kann dieser Trend nicht verschwiegen werden, jedoch die Auseinandersetzung mit den tatsächlichen Ursachen ist schwierig, da hier die verschiedensten Einflussfaktoren von Regierungsparteien und diversen Institutionen berücksichtigt werden müssen.

2.2. Begriffsdefinition „Bildung“

Der Bildungsbegriff stellt ein Schlagwort unserer heutigen Gesellschaft dar. Bildung scheint in Hinblick auf eine Dialektik ungeeignet zu sein, und seine Unschärfe liegt vor allem in der historischen Bedeutungsvielfalt.35 Schon die althochdeutschen Ausdrücke „bildari“ und „bildunga“ hatten verschiedene Inhalte.36 Während man unter ersterem vornehmlich die

31 Vgl. Hopfmüller, Gisela, Leiter der Abteilung Dokumentation im ORF, Mail vom 3. 9. 2008 an den Verfasser 32 Vgl. Pelinka, Anton, w. o., S 452 33 Vgl. Pelinka, S 453 34 Vgl. Schmid, Gerhard, Gatty Werner u. a. Die Ära Kreisky, Innsbruck 1997, S 14 34 Vgl. Heimann, Paul, in: Plineis, Jürgen-Eckhart, Bildung (Grundlegung und Kritik eines pädagogischen Begriffs), Heidelberg 1971, S 224

23 Das Österreichische Fernsehen – Demokratiepolitischer Bildungsauftrag oder Quote ? 2. Medien und Demokratie

handwerkliche Art des Formens verstand, bedeutete „bildunga“ die innere Form des göttlichen Begriffs.37 Erst im 18. Jahrhundert, am Höhepunkt der neuzeitlichen Aufklärung, wurde „Bildung“ zu einem pädagogischen Begriff.38 In der Aufklärung vertrat man die Auffassung, dass „Bildung durch Belehrung“ vermittelt wird.39 Der Mensch sollte von außen her pädagogisch vervollkommnet werden. Ab diesem Zeitraum unterschied man zwischen Allgemein- und Berufsbildung, wobei die Allgemeinbildung übergeordnet wurde. Humanistische Kreise räumten der allgemeinen Menschbildung Vorrang vor jeglicher Spezialbildung ein. Wenn heute jemand als „gebildet“ bezeichnet wird, fließt von den verschiedenen Ebenen der Begriffsdefinition etwas ein. Bildung bedeutet auch eine geistige Standortbestimmung in der Welt unter Miteinbeziehung der Erfahrungen aus Vergangenheit und Gegenwart. Dem Wesen nach ist Bildung unteilbar, sie soll Fremdbildung durch Selbstbildung ersetzen. Bildung gilt daher heute als „dynamischer, offener Begriff“, und die OECD setzt Bildung mit fünf Begriffen in Beziehung zur Gesellschaft:

- Vermittlung von Kenntnissen und Fähigkeiten (gesellschaftliche Qualifikationen – heute wird vielfach auch von einer speziellen Art der Intelligenz, der emotionalen, gesprochen), - Bildungsinput und Wachstum der Produktion, - Chancengleichheit, - Bereitstellung von Möglichkeiten, individuelle Bedürfnisse zu befriedigen, welche über ökonomische Erfordernisse hinausgehen, - Ausbildung und Lebensqualität.40

Durch Bildung wird der Mensch erst zur Person oder Persönlichkeit, indem er in Auseinandersetzungen mit den (historisch gewachsenen und

36 Vgl. Broschek, Pascal, S 9 37 Vgl. Rupprecht, Horst, Theorie und Praxis der Erwachsenenbildung (Bildungsfernsehen und Weiterbildung), Braunschweig 1977, S 10 38 Vgl. Rupprecht, S 11 39 Vgl. Broschek, S 11 40 Vgl. Nigsch, Otto, Bildung und Bewusstsein, Schriftenreihe der Soziologischen Theorie, Linz 1982, S 120 f.

24 Das Österreichische Fernsehen – Demokratiepolitischer 2. Medien und Demokratie Bildungsauftrag oder Quote ?

veränderlichen) materiellen, geistigen und kulturellen Angeboten seiner Umwelt zu einer bestimmten strukturell-existentiellen Verfassung seines Wertens, Wollens, Wissens und Fühlen gelangt.41

In diesem Zusammenhang gilt es zu erwähnen, dass wir zunehmend als „Leistungsgesellschaft“ und immer weniger als „Bildungsgesellschaft“ funktio- nieren. Das erklärt auch die folgenden Überlegungen, die sich durch diese Arbeit ziehen, denn auch das Fernsehen verspürt einen zunehmenden Leistungsdruck (dies äußert sich im Streben nach der Quote und damit verbunden nach höheren Werbeeinnahmen).

2.3. Demokratiepolitischer Bildungsauftrag und öffentlich- rechtlicher Auftrag

ORF-Generaldirektor Dr. Alexander Wrabetz lässt bei der Frage nach dem demokratiepolitischen Bildungsauftrag mit einer interessanten Aussage aufhorchen:

Es gibt im Gesetz keinen expliziten Bildungsauftrag, wohl aber umfasst der Programmauftrag diverse Aspekte, die ohne Zweifel mit der – insbesondere politischen – Bildung zu tun haben. So z. B. die Verpflichtung, für umfassende Information der Allgemeinheit über alle wichtigen politischen, sozialen, wirtschaftlichen und kulturellen Fragen und für die Förderung des Verständnisses für alle Fragen des demokratischen Zusammenlebens zu sorgen.42

Die explizite Bestätigung der eigentlichen Frage nach dem „Bildungsauftrag“ wurde dabei vom Generaldirektor nicht gegeben, jedoch war der Hinweis auf den Programmauftrag für die weiterführende Arbeit durchaus nützlich. Im Gegensatz

41 Vgl. Hartfiel/Hillmann, Wörterbuch der Soziologie, Stuttgart 1982, S 94 42 Vgl. Wrabetz, Alexander Dr., autorisierte Beantwortung der Interviewfragen per Mail vom 27. 8. 2008 an den Verfasser

25 Das Österreichische Fernsehen – Demokratiepolitischer Bildungsauftrag oder Quote ? 2. Medien und Demokratie

dazu schreibt allerdings Alexandra Pernkopf,43 dass „der ORF einen gesetzlich festgelegten Bildungs- und Kulturauftrag habe, die Frage stellt sich jedoch, ob der öffentliche Rundfunk diesen noch erfüllt oder ob – wie bei anderen Sendern – das simple Geschäft im Vordergrund steht.“44 Der Ansicht Wrabetz’ ist zu widersprechen, denn, wenn es nicht der „Bildungsauftrag“ ist, der den öffentlich- rechtlichen Auftrag prägt, welcher Auftrag hat denn dann als „öffentlich-rechtlich“ zu gelten. Das derzeitige Programm, z. B. auf ORF 1 ist, mit Ausnahme der durchaus im öffentlichen Interesse stehenden Sportsendungen, nicht dazu angetan, von einem öffentlich gerechtfertigten Interesse einer Finanzierung zu sprechen.

Die Aufgabe und Existenzberechtigung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks besteht de jure in der Sicherung der Grundversorgung mit Informationen, deren höchstes Gut eine relative Unabhängigkeit in der Berichterstattung und die Abbildung von Meinungsvielfalt darstellt. Hohe journalistische Standards und eine allgemeine Empfangbarkeit der Programme haben über Jahrzehnte die Medienlandschaft in Österreich – und auch in Deutschland – entscheidend geprägt. Auch der Generaldirektor der BBC, Mark Thomson, hat im Frühsommer 2006 die neue Lage mit dramatischen Worten beschrieben, nicht zuletzt in Bezug auf den öffentlich-rechtlichen Auftrag:

Uns alle erwartet ein Schock. Wir müssten radikal umdenken in allen Fragen, wie Programminhalte konzipiert, in Auftrag gegeben, produziert, verpackt und vertrieben werden. Die zweite digitale Welle werde viel eingreifender sein als die erste und die Fundamente der traditionellen Medien wegschwemmen.45

Für die BBC will er eine Umstrukturierung durchsetzen, die zum Ziel hat, sämtliche Inhalte des Senders auf jeder Plattform passend für die jeweilige

43 Pernkopf ist Medienfachfrau und u. a. Vorstandsmitglied der Fachgruppe Medien des Bundes sozialistischer Akademiker (BSA) 44 Vgl. Pernkopf, Alexandra, in: Der Auftrag, derFreiRaum, Wien 2006, S 33 45 Vgl. Fernseh-Informationen, Unabhängige Korrespondenz für Hörfunk und Fernsehen, Heft 8, 2006, S 14

26 Das Österreichische Fernsehen – Demokratiepolitischer 2. Medien und Demokratie Bildungsauftrag oder Quote ?

Zuschauergruppe zugänglich zu machen, immer verbunden mit einem klaren Bezug auf einen „Public Value“.46 In diesem Zusammenhang sagen fast alle Fachleute eine klare generelle Tendenz zum Bezahlfernsehen voraus, sei es im Abonnement, sei es über den Einzelabruf. Frei empfangbares Fernsehen, so weitere Vorhersagen, werde es auch noch geben, doch in stark verschobenen Proportionen zugunsten der potenziell unendlichen Individualisierung auf der Grundlage der Rechenpakete in Form digitalisierter Datenströme.47 Dies wird natürlich weitgehende Einflüsse auch und gerade auf die öffentlich-rechtlichen Fernseh- und Hörfunkanstalten haben.

2.3.1. Der öffentlich-rechtliche Auftrag

Unter dem Begriff des öffentlich-rechtlichen Auftrags werden Informations- und Bildungsauftrag, staatsbürgerliche Bildung, objektive, vielseitige Berichterstattung und qualitativ hochwertige Unterhaltung zusammengefasst. Öffentlich-rechtlicher Rundfunk hat darüber hinaus eine zentrale demokratiepolitische Funktion, die von privaten Rundfunk- veranstaltern nicht oder nur ungenügend wahrgenommen wird, zu erfüllen. Der öffentlich-rechtliche Rundfunk wird von Gremien kontrolliert, die sich aus VertreterInnen gesellschaftlich relevanter Gruppen zusammensetzen. Er steht somit weder unter staatlicher noch unter privater Kontrolle.48

Die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten sind berechtigt, Rundfunkgebühren einzunehmen. Alle Besitzer von Radio- oder Fernsehgeräten haben diese Rundfunkgebühren zu entrichten (Gebührenbefreiungen werden vom Gesetzgeber nicht ersetzt, sondern sind vielmehr verlorenes Kapital). Im Gegenzug sind die öffentlich-rechtlichen Anstalten durch Rundfunkgesetze dazu verpflichtet, ihren

46 Ebd. 47 Vgl. Kammann, Uwe/Jurkuh, Katrin/Wolf Fritz, Im Spannungsfeld, Zur Qualitätsdiskussion öffentlich-rechtlicher Fernsehprogramme, Berlin 2007, S 21 48 Vgl. http://bibliothek.parlinkom.gv.at/PSI, Zugriff am 20. 7. 2008

27 Das Österreichische Fernsehen – Demokratiepolitischer Bildungsauftrag oder Quote ? 2. Medien und Demokratie

Bildungsauftrag zu erfüllen und ausgewogen alle gesellschaftlich relevanten Gruppen in der Berichterstattung zu berücksichtigen.49

Die Ausgewogenheit in der Berichterstattung soll Meinungsvielfalt, publizistische Vielfalt gewährleisten. Im Bereich des kommerziellen Privatfunks soll durch eine Vielzahl unterschiedlich ausgerichteter Sender ein möglichst breites Meinungsspektrum abgedeckt werden. Das Gebot zur journalistischen Objektivität ist hingegen bei den öffentlich-rechtlichen Anstalten in Gesetzen und Richtlinien festgeschrieben. So sind die Redakteure von öffentlich-rechtlichen Rundfunk- anstalten per Rundfunkgesetz zur Wahrung des Grundsatzes der Objektivität verpflichtet. Das Objektivitätsgebot einzuhalten ist natürlich nicht immer einfach. Schließlich sind auch JournalistInnen Menschen mit eigenen Meinungen.50 Es lässt sich also nicht verhindern, dass subjektive Wertungen in die Berichte einfließen. Ein verantwortungsvoller Umgang mit der Wahrheit ist dennoch der wesentliche Grundsatz, den es in diesem Beruf zu achten gilt.

Der ORF ist dem Unabhängigkeits- und Objektivitätsgebot verpflichtet. Aber auch von seinem Selbstverständnis her hat der ORF sicher eine von den kommerziellen Anbietern differenzierende Herangehensweise an die Vermittlung von Information. Der ORF ist keinerlei spezifischen Interessensgruppen verpflichtet, sondern der Allgemeinheit.51

Und doch melden immer wieder Interessensgruppen ihre Ansprüche an, wie z. B. politische Parteien, die einerseits vom „Rotfunk“ oder andererseits vom „Schwarzfunk“ sprechen.52 Diese neigen dazu, sich und ihre Meldungen „hineinzureklamieren und somit ein gewisses Lobbying innerhalb und außerhalb des öffentlich-rechtlichen Rundfunks zu machen und damit auch die

49 Vgl. http://www.mediamanual.at/mediamanual/leitfaden/radio/rundfunk.php, Zugriff am 31. 8. 2008 50 Vgl. Öffentlich-Rechtlicher Rundfunk in: http://www.soundnezz.de/projects/www/radiobox/journalismus/rundfunk.html, Zugriff am 3. 4. 2009 51 Vgl. Wrabetz, w. o. 52 Vgl. dazu Die Presse vom 21. 8. 2006, S 28: „Rotfunk" statt „Schwarzfunk": „Das Erschütternde am ganzen Geplänkel um Monika Lindner und Alexander Wrabetz ist ja nur der anhaltende Einfluss der Politik auf den ORF. Statt ,Schwarzfunk’ jetzt halt ,Rotfunk’, beides auf Kosten der Gebührenzahler (und der Werbefirmen – ein Skandal). Die Wahl Wrabetz' als Erfolg der Entpolitisierung zu verkaufen ist Rosstäuschung. (Würden sich sonst SPÖ, Grüne – Vorleistung auf Rot-Grün!? – und auch BZÖ und FPÖ so freuen, wenn sie plötzlich nicht mehr Einfluss hätten?).“

28 Das Österreichische Fernsehen – Demokratiepolitischer 2. Medien und Demokratie Bildungsauftrag oder Quote ?

Unabhängigkeit der Redakteure in Frage zu stellen“.53 Es soll hier nicht der Inhalt beurteilt werden, sondern ausschließlich der Versuch, den ORF für bestimmte Interessen zu vereinnahmen (oder gegen bestimmte andere).

2.3.2. Der ORF im Spannungsfeld zwischen öffentlich-rechtlichem Auftrag und Quote

Der ORF, der österreichische Rundfunk, als öffentlich-rechtlicher Radio- und Fernsehsender hat es leicht und schwer zugleich: denn das Junktim Sendung und redaktionelle Berichte gibt es hier – dank entsprechender gesetzlicher Normen – nicht; erstaunlicherweise immer noch zur Enttäuschung von Marketing- Verantwortlichen und PR-Agenturen, die gegenüber ihren Auftraggebern Erfolge nachweisen müssen, und dazu zählen auch redaktionelle Berichte im ORF.54

Betrachtet man das ORF-Angebot generell, so ist für den aufmerksamen Fernsehkonsumenten ohne langwierige Analyse festzustellen, dass das Fernsehen einen Weg in Richtung Orientierungsauftrag eingeschlagen hat.55 Bildungsangebote im klassischen Sinn, wie beispielsweise Sprachkurse, die vor einigen Jahren noch als solche zu identifizieren waren (darauf wird noch näher eingegangen), machten immer mehr einer großen Fülle von Sendereihen Platz, die, wenn überhaupt, eher als Allgemeinbildung zu verstehen sind und sich als

53 Vgl. OTS-Aussendung vom 19. 9. 2007: „Einen weiteren unfassbaren Bruch der Objektivität in den gestrigen Informationssendungen des ORF" kritisiert BZÖ-Generalsekretär Gerald Grosz. „Die Info-Sendungen des öffentlich-rechtlichen ORF verkommen ausschließlich zu Rotfunksendungen, in denen lange und ausführlich jeder noch so sinnlose Beitrag über die mageren Taten und Handlungen der Bundesregierung gesendet wird. Der ORF ist kein Verlautbarungsorgan der Bundesregierung und schon gar nicht irgendeiner Partei verpflichtet. Noch nie war die Benachteiligung der unbequemen Oppositionsparteien so offensichtlich. Genau das, was die eher lahmen Generalsekretariate der Regierungsparteien nicht zusammenbringen, muss der ORF scheinbar in stundenlangen Werbesendungen für die Bruchpiloten der Bundesregierung erledigen", so Grosz. So habe es keinerlei Berichterstattung über die neue Initiative des BZÖ zur Verschärfung der Sexualstrafdelikte in den abendlichen ZIB-Sendungen, aber dafür reihenweise vom ORF selbst eingeholte O-Töne von sozialdemokratischen Regierungsvertretern gegeben. „Der neue Kurs von ORF-Generaldirektor Wrabetz, seine roten ,Spezln’ zu befriedigen, ist mehr als offensichtlich. Nur sollten sich Wrabetz und seine linken Zellen im ORF sich dann lieber als Pressesprecher in der Löwelstraße bewerben, aber niemals mehr als Generaldirektor einer öffentlich-rechtlichen Einrichtung unseres Landes", so Grosz abschließend. 54 Vgl. Internet-Zeitung für Kulturwissenschaften, Nr. 2, November 1997, Zugriff am 2. 7. 2008 55 Vgl. Broschek, Pascal, Der Bildungsauftrag öffentlich-rechtlicher Fernsehanstalten, Wien 1999, S 4

29 Das Österreichische Fernsehen – Demokratiepolitischer Bildungsauftrag oder Quote ? 2. Medien und Demokratie

Ratgeber- oder Service-Sendungen zunehmender Akzeptanz erfreuen. Das österreichische Fernsehen hinkt aber anderen Fernsehanstalten hinterher, denn „help tv“ oder „Willkommen Österreich“ verpacken zwar diese beiden Begriffe, schränken sie jedoch durch die Präsentation bereits ein, denn Lizzy Engstler oder Reinhard Jesionek sind kaum in der Lage, als „Lebensberater“ ernst genommen zu werden. Allerdings richten sich diese, von Gesundheitsspots à la Bankhofer bis hin zur Lebenshilfe, an jedermann. Im Gegensatz zu klassischen Bildungssendungen, die nur bei Minderheiten Aufnahme finden, wird durch diese Sendungen ein Publikum erreicht, das in die Hunderttausende geht. Eine legere Darstellung der inhaltlich weit gefächerten Angebote gibt auch dem weniger gebildeten Zuschauer das Gefühl, etwas „Nützliches“ zu erfahren. Manche allerdings nehmen dies eher als „Verdummung“ wahr. „Das Fernsehen wäre dazu da, den Horizont zu erweitern, derzeit aber wird man von den wirklichen Problemen und Lösungsansätzen abgelenkt“, so der ehemalige Generalintendant Teddy Podgorski.56 Hier hakt auch der mittlerweile pensionierte Archivleiter Peter Dusek ein, der meint, dass, wenn der ORF seinen Bildungsauftrag ernst nähme, keine Quote erzielt werden könne.57 Daher wird ein „Bildung-light-Menü“ serviert, wobei dem Fernsehen zugute gehalten werden muss, dass anspruchsvolle Sendungen wieder mehr aufgewertet werden (mit Ausnahme des teils unmöglichen Sendeplatzes).

Mitarbeiter einer öffentlich-rechtlichen Radio- und Fernsehanstalt bewegen sich – auch oder gerade, wenn es um Wissenschafts- und Bildungsinformation geht – in der Nähe der Quadratur des Kreises. Sie bewegen sich aber vor allem zwischen dem einen Ende von oftmals im Sinne des Absenders vorgefertigten Informationen und dem anderen des im Rundfunkgesetz und dem Informationsstatut des ORF festgeschriebenen Objektivitätsgebotes. Und da gibt es eben den gesetzlich festgeschriebenen Bildungsauftrag. Es bedarf also eines entsprechenden Hintergrundwissens des Journalisten, vereint mit der Fähigkeit, komplexe Materien in seinen Texten „kurz, bündig und dennoch richtig“ mitzuteilen, sowie der handwerklichen Fähigkeit, das alles auch noch möglichst schnell auf Sendung zu bringen.

56 Vgl. Interview mit Teddy Podgorski im Café Gutruf am 4. 12. 2007 57 Vgl. Gespräch mit Dr. Peter Dusek im ORF-Zentrum am 10. 12. 2007

30 Das Österreichische Fernsehen – Demokratiepolitischer 2. Medien und Demokratie Bildungsauftrag oder Quote ?

2.3.3. Die Verpflichtungen

Dass die öffentlich-rechtlichen Programme besonders in gesellschaftsorientierten Bereichen zur Qualität verpflichtet sind, wird implizit und explizit vorausgesetzt. Vor dieser als Selbstverständlichkeit erachteten allgemeinen Aussage werden dann jene Sachverhalte und Entwicklungen kritisiert, welche als Widerspruch zum Programmauftrag und als Verletzung einer generellen Qualitätsverpflichtung gesehen werden.58 Aktuell, im Zeitraum der vergangenen Jahre, gab es dabei einige Fälle, die das Gesamtsystem stark belasteten und dessen spezifische Qualität – besonders unter dem Gütefaktor Glaubwürdigkeit – stark infrage stellten.

Dazu gehören: Schleichwerbung und bezahlte Themenplatzierung und damit verbunden eine Aushöhlung der programmlichen Autonomie und Unabhängigkeit, Verlust an redaktioneller Unabhängigkeit wegen vertraglich fixierter Paktierung mit Personen des Berichtsfeldes (ein drastisches Beispiel war der Exklusivvertrag der ARD mit Jan Ullrich), eine Durchsetzung des Programms mit Sponsoring-Werbung und eine zu große Abhängigkeit von Drittmitteln. Fokussiert auf Fragen der Programmqualität ganzer Bereiche werden eine weitreichende „Einfärbung“ bestimmter Genres und eine Dominanz bestimmter Formate kritisiert, auch eine forcierte Hinwendung zu seichten Formen der Unterhaltung (...) sowie eine weitgehende Boulevardisierung des Vorabends. Ebenso wird als wesentliche Abweichung vom Programmauftrag kritisiert, dass als anspruchsvoll eingestufte Sendungen, beispielsweise längere Dokumentationen, erst am Spätabend und damit unter Ausschluss einer breiteren Öffentlichkeit liefen (wie noch mehrmals erwähnt wird).59

58 Vgl. Kammann, Uwe/Jurkuhn, Katrin/Wolf, Fritz, Im Spannungsfeld – Zur Qualitätsdikussion öffentlich-rechtlicher Fernsehprogramme, Berlin 2007, S 17 59 Vgl. ebd.

31 Das Österreichische Fernsehen – Demokratiepolitischer Bildungsauftrag oder Quote ? 2. Medien und Demokratie

Eine – nicht unwesentliche – Unterscheidung zwischen den privaten und öffentlich-rechtlichen Sendern stellt die Codierung von Sendungen dar. So ordnet beispielsweise der private TV-Sender Pro 7 seine Talkshows grundsätzlich dem Sendeformat „Information“ zu, während ARD und ZDF ihre Talkshows (Christiansen, Menschen bei Maischberger, Beckmann und Johannes B. Kerner) dem Format „Unterhaltung“ zurechnen. Gibt es also schon zwischen den verschiedenen TV-Anstalten Inkonsistenzen bei Formatzuordnungen, so gibt es diese noch intensiver, was den zeitlichen Kontext betrifft. Ein 1985 als Unterhaltung definiertes Sendeformat ist definitorisch kaum mit demselben Sendeformat 2007 zu vergleichen.60

2.3.4. Die Säulen des öffentlich-rechtlichen Fernsehens

Gerd Bacher sieht drei Säulen des öffentlich-rechtlichen Auftrags:61

- die Information mit Sport und Information, Dokumentation und Berichterstattung - die Kultur (darauf wird noch näher in dieser Arbeit eingegangen) und Bildung - die Unterhaltung („Brot-und-[Zirkus]-Spiele: panem et circenses braucht das Volk“, frei nach einem Ausspruch des römischen Dichters Juvenal, Anm. d. Verf.)

Dazu tragen die Öffentlich-Rechtlichen auch ein hohes Maß an Verantwortung und sollten unabhängig agieren können. Der ORF hat sich in den Dienst des mündigen Bürgers kraft seines Auftrages zu stellen.62 Die Prioritäten haben sich dahingehend verschoben, dass die Information immer stärker Unterhaltungselemente beinhalten muss und die Kultur von – auch durch

60 Vgl. Becker, Jörg/Götz Frank (Hrsg.), Der öffentlich-rechtliche Rundfunk zwischen Wettbewerb und Kultur. Gutachten zur Situation und Zukunft der Medien, des Medienrechts und der Medienpolitik in Deutschland und der EU, insbesondere des öffentlich-rechtlichen Rundfunks, Berlin 2007 61 Vgl. Interview mit Gerd Bacher am 24. 7. 2008 in Salzburg

62 Vgl. Schmolke, Michael, Der Generalintendant, Wien 2000, S 60

32 Das Österreichische Fernsehen – Demokratiepolitischer 2. Medien und Demokratie Bildungsauftrag oder Quote ?

Printmedien – „gemachten“ Prominenten lebt. Eine Opernaufführung schien in den vergangen Jahren für ein breites Publikum (Stichwort Quote) nur dann interessant, wenn die Wahlösterreicherin Anna Netrebko auf die Bühne trat. Bei der Neugestaltung der „Zeit im Bild“ wurde mehr Bedacht auf Äußerlichkeiten, z. B. auf die Gestaltung der großen Panoramawand oder der Wetterkarte, genommen, als auf die Inhalte, die auch von der konsumierenden Öffentlichkeit nicht annähernd so beobachtet wurden wie die Aufmachung. Das aber war immer schon der Fall, als z. B. das Kostüm von Ingrid Wendl mehr als die Inflationsrate diskutiert wurde. Das heißt aber, dass sich auch der Schwerpunkt des öffentlich- rechtlichen Angebotes in Richtung Unterhaltung verlagert, wenn auch nicht so direkt und offensichtlich wie bei den Privaten, eher ist ein schleichender Umformungsprozess zu erkennen.

Kultur und Bildung decken innerhalb des gesamten öffentlich- rechtlichen Programmauftrags nur einen Teilbereich ab. Dieser Teilbereich muss mit den Teilbereichen Information und Unterhaltung in einem sinnvollen und wirtschaftlich vertretbaren Verhältnis stehen. Die Definition dieses Verhältnisses ist eine hochpolitische Frage, und sie wird in der letzten Zeit immer häufiger öffentlich diskutiert.63

Das beste Programmangebot hat höchstens nur noch einen musealen Wert, wenn es sein Publikum nicht findet. Wie groß ist aber die Zielgruppe von Kultur und Bildung? Wie lässt sie sich beschreiben? Wie sieht ihr Kulturverständnis und Medienverhalten aus?64 Einen Einblick gibt eine Untersuchung aus Deutschland 2002, die sich auch auf Österreich übertragen lässt. Der Anteil der Erwachsenen, die sich für das Thema „Kunst und Kultur“ interessieren, werden mit 44 Prozent angegeben, darunter sogar 19 Prozent, die sich sehr dafür interessieren.65 Pius Strobl meint dazu, dass

63 Vgl. Eckhardt, Josef, Wie erfüllt der öffentlich-rechtliche Rundfunk seinen Kulturauftrag? Empirische Langzeitbetrachtungen, Arbeitspapiere des Instituts für Rundfunkökonomie, Heft 202, Köln 2005, S 12 64 Vgl. Eckhardt, S 8 65 Vgl. Walter Klingler/Ulrich Neuwöhner, Kultur in Fernsehen und Hörfunk, in: Media Perspektiven7/2003, S. 310, zitiert von Eckhardt, s. o.

33 Das Österreichische Fernsehen – Demokratiepolitischer Bildungsauftrag oder Quote ? 2. Medien und Demokratie

in Österreich wieder ein verstärktes Kulturbewusstsein zu erkennen ist .66 Natürlich ist dies auch auf die zunehmende Popularisierung von „Typen“ wie Anna Netrebko oder Rolando Villazón zurückzuführen, die auch die Quote heben und in den Boulevardspalten von Printmedien vorkommen. Das Kernpublikum des Kulturbetriebes, das als „klassisch kulturorienterter“ Mediennutzertyp bezeichnet wird, hat demnach einen Anteil von 14 Prozent an der erwachsenen Bevölkerung. Dieser Typ, der im Wesentlichen immer noch die Züge des traditionellen Bildungsbürgertums trägt, gilt als die Kernzielgruppe für die Kultur- und Bildungsangebote des öffentlich-rechtlichen Rundfunks.67 Zu den Gelegenheitsnutzern dieses Angebots werden in der Studie drei unterschiedliche Mediennutzertypen zugeordnet: die „neuen Kulturorientierten“, die „Leistungsorientierten“ und die „Aufgeschlossenen“.68 Natürlich ändern sich durch die Generationswechsel diese Feststellungen, jedoch wird auf diese Einteilung noch immer Bezug genommen.

Diese drei Mediennutzertypen machen zusammen ca. 27 Prozent der erwachsenen Bevölkerung aus. Die Addition ergibt also auch hier eine Größe von immerhin 41 Prozent der Bevölkerung, von dem sich etwa ein Drittel sehr eng und zwei Drittel eher locker an das vorhandene mediale Kulturangebot gebunden fühlen.69

Diese Zahlen zeigen zugleich: Die Antwort auf die Frage nach der Größe des Kulturpublikums hängt entscheidend davon ab, was wir unter dem Begriff „Kultur“ und „Bildung“ verstehen. Je nachdem, welchen Anspruch die Kulturangebote stellen, ändern sich die Identität und die Größe des Kulturpublikums. Die Grenzen sind fließend. Durch die rasche Veränderung der Lebensstile in den vergangenen Jahrzehnten haben sich neue und komplexere Mediennutzungsgewohnheiten entwickelt.70

66 Vgl. Interview mit Pius Strobl 67 Vgl. Eckhardt, S 8 68 Vgl. Oehmichen, Ekkehart/Ridder Christa-Maria. Die MedienNutzerTypologie, Schriftenreihe Media Perspektiven, Band 17. Baden-Baden 2003, S 36 f. 69 Vgl. ebd. 70 Vgl. Eckhardt

34 Das Österreichische Fernsehen – Demokratiepolitischer 2. Medien und Demokratie Bildungsauftrag oder Quote ?

Damit der öffentlich-rechtliche Rundfunk seinen Kultur- und Bildungsauftrag auch in der Zukunft überzeugend erfüllen kann, muss er sich deshalb dringend auf die mittlere und jüngere Generation konzentrieren. Das Interessenspotenzial für Kultur und Bildung ist ja auch in diesen Generationen da, wenn es auch in anderen Formen als bei dem traditionellen Kulturpublikum ausgeprägt ist. Hier sind die Überlappungen mit der Säule „Unterhaltung“ fließend. Jedoch sollte keinesfalls das Informationsbedürfnis einer jüngeren Zielgruppe unterschätzt werden, das sich jedoch oftmals abseits der konventionellen Vermittlung bewegt.71

2.3.5. Die Herausforderung für den öffentlich-rechtlichen ORF

Zunehmende private Konkurrenz und sinkende Werbemarktanteile stellen jede öffentlich-rechtliche Rundfunkanstalt vor finanzielle Überlebensfragen. Gerade in diesen Zeiten (2008 und 2009) kommt es, verstärkt durch die internationale Wirtschaftskrise zu einem Einbruch bei den Werbeeinnahmen und zu einer eklatanten Erhöhung des Defizits beim ORF, alleine im ersten Quartal 2009 verzeichnete der ORF Mindereinnahmen von 10 Millionen Euro, das entspricht einem Minus von 18 %.72 Darüber hinaus haben die privaten TV-Stationen das Österreichische Fernsehen bei den Werbeeinnahmen überholt: Von Jänner bis Mai 2009 erzielte der ORF im TV-Bereich rund 111,3 Millionen Euro (2008: 136,4 Millionen Euro), die Privaten erreichten im selben Zeitraum 2009 135,4 Millionen Euro (2008: 124,9 Millionen Euro).73

Dazu kommt – und daher auch die Abkehr der durchwegs kritischen Werbewirtschaft – ein immer wieder in der öffentlichen Kritik beanstandetes Naheverhältnis von Politik und Rundfunk, das die geforderte Unabhängigkeit der Geschäftsführungen, der JournalistInnen und ihrer Programme in Zweifel zieht.74 Gerade die Diskussionen der vergangenen Monate um ein neues ORF-Gesetz verstärkten die Zweifel an der „Selbstreinigungskraft“. Und der ORF steht vor

71 Vgl. ebd. 72 Vgl. Österreich vom 28. 4. 2009, S 5 73 Vgl. Focus Research Werbebilanz 2009 in:http://www.at.focusmr.com/index.php?section_id=2&mode=readnews&news_id=1166, Zugriff am 22. 6. 2009 74 Vgl. http://www.derfreiraum.net/TCgi/TCgi.cgi?target=home&P_Kat=6, Zugriff am 20. 7. 2008

35 Das Österreichische Fernsehen – Demokratiepolitischer Bildungsauftrag oder Quote ? 2. Medien und Demokratie

entscheidenden Weichenstellungen: Kann sich der österreichische öffentlich- rechtliche Rundfunk mit seinem im ORF-Gesetz formulierten Programmauftrag behaupten oder führt eine Annäherung an die Programmangebote der kommerziellen Sender zu einer Verwechselbarkeit, Nivellierung und Ununterscheidbarkeit und damit zu einem gravierenden Substanzverlust des öffentlich-rechtlichen Gehaltes? Kann der ORF die im ORF-Gesetz geforderte Unabhängigkeit gegenüber den Parteien und der jeweiligen Regierung gewährleisten, oder bieten die vorhandenen Strukturen und die politischen Bedingungen die Möglichkeit einer Vereinnahmung des Rundfunks im Sinne einer politisch intentionalen Informationsverwaltung?75 Das sind Überlebensfragen für den ORF, die sich an das ORF-Management, den ORF-Stiftungsrat, an verantwortliche Medienpolitiker und nicht zuletzt an das gebührenzahlende Publikum richten.76 Nur ein transparenter, engagierter und öffentlicher Diskurs kann sicherstellen, dass der öffentlich-rechtliche Auftrag auch in der Praxis sinnvoll umgesetzt wird und nicht nur als Schutzbehauptung gegenüber einer „stillen“ Kommerzialisierung der Programme dient. Der Bildungs- und Kulturauftrag des ORF ist jedoch ebenso wie die geforderte Äquidistanz zu politischen Parteien ein verbindlicher Auftrag gegenüber der Öffentlichkeit und insbesondere den GebührenzahlerInnen.77 Öffentlich-rechtlicher Rundfunk erhebt einen inhaltlichen Anspruch in Qualität und Form seiner Produkte. Diese Produktqualität ist sicherlich eine Bringschuld jedes Medienunternehmens, das sich in diesem Umfeld bewegt (in Österreich ist es eben nur der ORF) und nicht etwa Resultat der Erwartungshaltung der Werbewirtschaft. Die GebührenzahlerInnen dürfen sich ein vom privaten Rundfunkmarkt unterscheidbares Programmangebot erwarten, das nicht nur Quotenvorgaben, sondern die gesellschaftlichen Bedürfnisse der einzelnen Bevölkerungsschichten und -gruppen erfüllt.78 Öffentlich-rechtlicher Rundfunk produziert mit seinen Programmen und Dienstleistungen öffentlichen Wert für die Gesellschaft und unterscheidet sich in seinen Aufgaben grundsätzlich von privaten Rundfunkunternehmen. Es ist daher von Bedeutung, dass die programmproduzierenden Kernbereiche in den Ressorts Information und

75 Vgl. ebd. 76 Vgl. ebd., Zugriff am 20. 7. 2008 77 Vgl. ebd. 78 Vgl. Michael Fleischhacker, Chefredakteur Die Presse, als Moderator bei der Buchpräsentation „Der Auftrag“ am 12. 6. 2006

36 Das Österreichische Fernsehen – Demokratiepolitischer 2. Medien und Demokratie Bildungsauftrag oder Quote ?

Unterhaltung nicht durch Auslagerungen gefährdet werden. In einem Interview mit dem „Focus“ rechnet der deutsche Schauspieler Sascha Hehn („Die Schwarzwaldklinik“) mit dem Prinzip des Gebühren- und öffentlich-rechtlichen Fernsehens ab und stellt damit auch den Qualitätsanspruch infrage, obwohl es sich dabei um eine singuläre Meinungsäußerung handelt:

Die Zuschauer laufen davon. Das hat auch damit zu tun, dass öffentlich-rechtliches Fernsehen in Deutschland 7,3 Milliarden Gebühren einnimmt, aber nur einen Bruchteil für Produktionen ausgibt. In diesem Apparat des „Öffentlich-Rechtlichen“ herrscht ein Beamtenstatus. Hätten die Hummeln unterm Arsch, würden sie sich mehr anstrengen. (…) wir dürfen nicht zu Ja-Sagern werden.79

Auch der Rechnungshofbericht 2008 wird ein Urteil abgeben, das strukturelle Umorientierungen notwendig erscheinen lässt. „Welche Art von ORF – von Größe und Umfang her – will man in Österreich wirklich haben? Stehen die zwei Programme außer Streit? Wie schaut es mit den Spartenkanälen aus? Und vor allem – wie lässt sich alles finanzieren?“, dies diagnostiziert der Stiftungsratschef Klaus Pekarek in Anbetracht der künftigen Diskussionen, die sicherlich auch auf der politischen Ebene zu führen sein werden und auch Auswirkungen auf den öffentlich-rechtlichen Programmauftrag haben.80

Der öffentlich-rechtliche Programmauftrag ist nicht eine vom Gesetzgeber auferlegte Bürde, sondern eine kulturelle und gesellschaftspolitische Herausforderung und die zentrale Zukunftschance für den ORF. Die ständige Bezugnahme auf gesellschaftliche Prozesse, ein lebendiger Diskurs zwischen Programmverantwortlichen, Programmmachern und dem Publikum sind unabdingbare Bestandteile der innovativen Entwicklung für jede öffentlich- rechtliche Anstalt, daher auch für den ORF.81

79 Vgl. Hehn, Sascha, in: Focus, Ausgabe 37, 2008, S 130 80 Vgl. Pekarek, Klaus, in: Die Presse vom 12. 9. 2008, S 35 81 Vgl. Unterberger, Klaus, derFreiRaum (Hrsg.), Der Auftrag, Öffentlich-rechtlicher Rundfunk.Positionen – Perspektiven – Plädoyers, Wien, S 7

37 Das Österreichische Fernsehen – Demokratiepolitischer Bildungsauftrag oder Quote ? 2. Medien und Demokratie

2.4. Demokratie und Öffentlichkeit

Die zentralen Unterschiede zwischen den verschiedenen Ansätzen in den Demokratietheorien bestehen in der jeweiligen Bedeutung der Sphäre „Öffentlichkeit“. Die „Elitentheorie“, die „Pluralismustheorie“ und die „Partizipationstheorie“ definieren Öffentlichkeit unterschiedlich. Ich möchte mich mit letzterer auseinandersetzen, weil sie unserem Demokratiebegriff am nächsten kommt. „Öffentlichkeit im Sinne der Partizipationstheorie zeichnet sich durch die Akzeptanz der Gleichheit der diskutierenden Akteure, die Reziprozität der kommunikativen Beziehungen sowie durch eine Struktur aus, die ausreichende Möglichkeiten zur Teilnahme am Diskurs bietet und nicht bestimmte Meinungen oder gar ganze Themenkomplexe strukturell ausschließt.“82 Öffentlichkeit im demokratischen Verständnis nimmt den Ausdruck des Offen- Seins und der Zugänglichkeit an. Um aber diese Abläufe auch verstehen zu können, bedarf es nicht nur des Interesses, sondern vor allem auch der „politischen“ und sonstigen Bildung, die nur von unabhängigen Medien vermittelt werden kann. Wie oben schon angesprochen, ist die Machtkonzentration der Printmedien und der politischen Kräfte, egal ob Raiffeisen, Styria, früher auch noch SPÖ bzw. ÖGB, nicht auf die Pluralität der Bildung ausgelegt. Die Kronen Zeitung z. B. berichtet mehr über Gerichtsprozesse als über das (welt)politische Geschehen, es sei denn, sie führt die Berichte kampagnenartig aus. Öffentlichkeit im demokratischen Verständnis nimmt den Ausdruck des Offenseins und der Zugänglichkeit, z. B. bei Parlamentssitzungen, an. Aber auch die öffentliche Diskussion – objektiv – über außen- und wirtschaftspoltische Inhalte sollte im Vordergrund eines „demokratiepolitischen Bildungsauftrags“ des ORF stehen, so aber werden diese Programme zwar gesendet, aber oft zu Zeiten, in denen sich nur mehr wenige mit Bildung auseinandersetzen wollen. „Öffentlichkeit wird heute in Demokratien als Selbstverständnis begriffen, sie führt auch zur Problematik der ,Vergesellschaftung des Staates’ und vice versa zur ,Verstaatlichung der Gesellschaft’.“83

82 Vgl. Beierwaltes, Andreas, 1999, S 61 83 Vgl. Schambeck, Herbert, Staat, Öffentlichkeit und öffentliche Meinung, Berlin 1992, S 14 (Anm. d. Verf.: Herbert Schambeck, VP, war jahrelang Bundesratspräsident und sicherlich nicht einer der

38 Das Österreichische Fernsehen – Demokratiepolitischer 2. Medien und Demokratie Bildungsauftrag oder Quote ?

Schon der berühmte, erfolglose und daher nur kurz sein Amt innehabende österreichische Finanzminister Joseph Schumpeter84 (Amtszeit: sieben Monate, von 1919–1920) erkannte, dass „… die demokratiepolitische Methode diejenige Ordnung der Institutionen zur Erreichung politischer Entscheidungen ist, bei welcher einzelne die Entscheidungsbefugnis vermittels eines Konkurrenzkampfes um die Stimmen des Volkes haben“.85 Das Volk kann aber nur dann objektiv entscheiden, wenn es über alle Vorgänge Bescheid weiß, die es interessiert. Niemand kann von einem Mathematiker verlangen, dass er plötzlich ein großer Historiker sein will und wird. Nur hat in einer Demokratie ein beherrschendes Massenmedium sehr wohl die Aufgabe, die Bildung im Sinne dieser Demokratie voranzutreiben. Anthony Downs bringt schon 1968 die Sache auf den Punkt: Ihm war klar, dass die Information des Wählers mittels Kommunikation die einzig mögliche Voraussetzung ist, um eine rationale Entscheidung zugunsten der Regierenden oder Oppositionellen treffen zu können.86 Und Information kann eben nur über ein ausrechendes Bildungsangebot erreicht werden. An erster Stelle unter den Zielen jeder Partei steht der Wahlsieg. Alle von der Partei veröffentlichten Informationen hängen mit diesem Ziel zusammen und sind daher für die politische Entscheidungsfindung relevant (…). Die meisten Äußerungen aller Parteien dienen entweder der Attacke auf ihre Gegner oder der Verteidigung ihrer eigenen Haltung und heben daher

bedeutendsten Verfechter des öffentlichen Diskurses. Gleichzeitig war er Verbindungsmann mit dem Vatikan.) 84 Joseph Alois Schumpeter (* 8. Februar 1883 in Triesch, Mähren; † 8. Januar 1950 in Taconic, Connecticut, USA) war ein österreichischer Ökonom (gilt jedoch nicht als Vertreter der österreichischen Schule) und prägte die Begriffe „schöpferischer Unternehmer" und „schöpferische Zerstörung durch Wettbewerb". In den Studienjahren pflegte er auch Kontakte zur Sozialdemokratischen Arbeiterpartei, wo er u. a. Otto Bauer kennenlernte. Dieser unterstützte 1919 seine Berufung zum Finanzminister. Schumpeter eignete sich auch profunde Kenntnisse der marxistischen Theorie an. Von 1914 bis 1924 arbeitete er im Dienste von Staat und Wirtschaft. Als Finanzminister war er mehr als umstritten, weil man ihm einen Teil der Bankenkrise anlastete. Zwischen 1921 und 1925 war er Präsident der Biedermann-Bank, die er in den Bankrott führte, wobei er selbst sein gesamtes Vermögen verlor und auch später noch zur Schuldentilgung beitragen musste. Dieses Debakel beschädigte allerdings nicht seinen Ruf als Theoretiker. Von 1925–1932 war er Professor für Finanzwissenschaft der Universität Bonn. Danach wirkte er von 1932 bis 1950 an der Harvard University (vgl. dazu Hedtke Ulrich, Joseph Alois Schumpeter, Berlin 2002 und Die Presse vom 8. 2. 2008) 85 Vgl. Schumpeter, Joseph, Kapitalismus, Sozialismus und Demokratie, Bern 1950, S 428 86 Vgl. Downs, Anthony, Ökonomische Theorie der Überzeugung, 1968, S 23

39 Das Österreichische Fernsehen – Demokratiepolitischer Bildungsauftrag oder Quote ? 2. Medien und Demokratie

gerade die Elemente hervor, aus denen sich die Parteiendifferentiale ergeben.87

2.5. Erzwungene Mediokratie?

Auch in Österreich erkannten die Parteien sehr schnell den wachsenden Einfluss der Medien und versuchten diese für sich zu instrumentalisieren. Nicht nur, dass aufgrund des Proporzes die damals Regierenden bis 1967 gleiche Sendezeiten für sich in Anspruch nahmen, auch sonst war das Fernsehen eine politische „Show“. Bildung und Mitbestimmung gab es keine, Pluralismus schon gar nicht. Pluralismusdemokratie steht für Repräsentativverfassung und für die Repräsentation der Wähler durch verantwortliche Repräsentanten.88 Aus organisatorischer Hinsicht entsprachen Rundfunk und Fernsehen weitgehend dem System der Großen Koalition und deren Repräsentanten. Wie schon erwähnt wurden Positionen und Inhalte streng nach Proporz vergeben.89 Hans

87 Vgl. Downs, ebd., S 27 88 Neumann, Franz, Demokratischer und autoritärer Staat, Frankfurt 1986, S 158 89 Vgl. http://www.demokratiezentrum.org/de/startseite/wissen/wissensstationen/proporz.html, Zugriff am 19. 6. 2008 Der Begriff „Proporz" zählt zu den schillerndsten Begriffen in der österreichischen Politik. Im eigentlichen Sinn heißt Proporz die anteilsmäßige Beteiligung sozialer und politischer Gruppierungen (Parteien) an der politischen Willensbildung. Im allgemeinen Sprachgebrauch wird damit zumeist aber die Praxis von Regierungsparteien bezeichnet, entsprechend ihrem jeweiligen politischen Stärkeverhältnis Posten im öffentlichen Dienst und in der verstaatlichten Wirtschaft an ParteigängerInnen zu vergeben. Besonders in der unmittelbaren Nachkriegszeit wurde der Proporz im Rahmen der Großen Koalition zu einem prägenden Element der politischen Kultur. „Nie wieder Bürgerkrieg" war eine Lektion, die ÖVP und SPÖ aus den leidvollen Erfahrungen der Ersten Republik, die im Terror des nationalsozialistischen Regimes endeten, gelernt hatten. Die Lehre aus diesen Erfahrungen von Parteienhader und Klassenkampf führte neben anderen Gründen (Erringung der Souveränität, Wiederaufbau etc.) zu einer engen Zusammenarbeit der beiden großen Parteien. Die gegenseitige Skepsis blieb jedoch bestehen. Die Koalition und mit ihr der Proporz wurden so zu einem Instrument der gegenseitigen Kontrolle. Bis in die 1960er-Jahre war auch die „Lagermentalität" ein wesentliches Element der politischen Kultur des Landes. Sie basierte auf relativ geschlossenen soziokulturellen Milieus, die die beiden weltanschaulichen Lager der Sozialdemokraten und der Christlich-Konservativen, der Vorläuferpartei der ÖVP, herausgebildet hatten. Konkret bedeutete das, dass man ÖVP oder SPÖ nicht nur wählte, sondern auch beim entsprechenden Freizeitclub, Automobilclub etc. Mitglied war. Die ParteigängerInnen wurden von der „Wiege bis zur Bahre" betreut. Das Parteibuch galt nicht nur als Ausdruck der „richtigen" Gesinnung oder Weltanschauung, sondern entschied nicht selten über Lebenschancen wie die Vergabe von Arbeitsplätzen, Wohnungen und Karrieremöglichkeiten. Dementsprechend war die Organisationsdichte der Parteien – besonders auch im europäischen Vergleich – außergewöhnlich hoch. Noch in den 1950er- und 1960er-Jahren war in Österreich jede/r vierte Erwachsene Mitglied einer politischen Partei – mehr Parteibücher im Verhältnis zur Einwohnerzahl gab es in keinem anderen demokratischen System Europas.

40 Das Österreichische Fernsehen – Demokratiepolitischer 2. Medien und Demokratie Bildungsauftrag oder Quote ?

Magenschab sieht in Anbetracht des Proporzrundfunks die Regierungsparteien dem Eindruck erlegen, „…als wäre derjenige, der den ,Rundfunk’ besitzt, aufgrund eines mechanischen Automatismus in der Lage, Sympathien für sich zu mobilisieren.“90

2.6. Demokratie- und Medienbegriff in Österreich

In der wissenschaftlichen Untersuchung „Wer denkt in Österreich was über Demokratie und Medien“91 wurden sechs Demokratietheorien des 20. Jahrhunderts ausgewählt, die mittels sogenannter Leitsätze grundsätzliche Aussagen zur Illustration dieser Thesen treffen. Aufgrund der Ergebnisse entwickelten die Sozialforscher Marcelo Jenny und Günther Ogris einen repräsentativen Fragebogen, nach dem 1.891 ÖsterreicherInnen ab 15 Jahren vom Institut für empirische Sozialforschung befragt wurden. In diesem Zusammenhang möchte ich nur die wesentlichsten Antworten herausstreichen:92 1. Pluralistische, repräsentative Demokratietheorien sehen als ideale Form die „Volksherrschaft“, die streng kontrolliert werden soll. Der politische Wille bildet sich in der Auseinandersetzung organisierter Interessens- vertretungen. Demokratie ist eine Form der Vermittlung pluralistisch organisierter Interessen im modernen Staat. Sie erfordert neben dem Pluralismus von Interessen auch deren Integration 2. Theorien sozialer Demokratie kreisen um Begriffe wie Solidarität, Gerechtigkeit und Wohlfahrt. Erst durch soziale Gleichheit kann politische Freiheit realisiert werden. Soziale Demokratie hat den Sinn, diese als solidarische Vergesellschaftung zu begreifen.

Der Einfluss der Parteien ging dementsprechend weit über den politischen Bereich hinaus. Er führte zu einer Aufteilung des Landes in eine „rote" und eine „schwarze Reichshälfte", verbunden mit gegenseitigen Bereichskontrollen. Das Rundfunkvolksbegehren von 1964, das sich als erstes Volksbegehren in der Geschichte der Republik gegen den Einfluss der Parteien im Rundfunk wendete, konnte dem Proporz erstmals Schranken setzen. Seither ist die Diskussion um „Postenschacher", „Privilegienwirtschaft" und die Forderung nach mehr Sachlichkeit in der Politik nicht verstummt (vgl. dazu http://www.demokratiezentrum.org/de/startseite/wissen/wissensstationen/proporz.html) 90 Vgl. Magenschab, Hans, Demokratie und Rundfunk, Wien, S 134 91 Vg. Healy, Andrew Thomas, Der Österreichische Rundfunk im Spannungsfeld zwischen politischer Intervention und partizipativer Willensbildung, Wien 2003, S 45 92 Vgl. Ogris, Günther/Delpos, Manuela/Haller, Birgit (Hg.): Demokratietheorie und Demokratieverständnis in Österreich, Wien 1999, S 57 ff.

41 Das Österreichische Fernsehen – Demokratiepolitischer Bildungsauftrag oder Quote ? 2. Medien und Demokratie

3. Partizipatorische Demokratietheorien sehen es als Ziel der Volksherrschaft, bestehende Herrschaftsverhältnisse abzubauen. Da Politik weit gefächert wird, bezieht sich auch die angestrebte Demokratisierung auf alle Lebensbereiche. Diese Form scheint notwendig, um die repräsentative Demokratie zu ergänzen, zu erweitern und zu kontrollieren.93

2.7. Grundzüge der österreichischen Medienlandschaft

Die österreichische Medienlandschaft wird, wie in jedem demokratischen Industriestaat, von vielen unterschiedlichen Medien geprägt.94 Die Integration des gesamten politischen Systems in Österreich findet eine Entsprechung in der Konzentration der Massenmedien.95 Das Wesen aller staatlichen öffentlich- rechtlichen Anstalten im Bereich der elektronischen Medien ist ihre unmittelbare oder mittelbare Abhängigkeit von den Entscheidungsträgern des politischen Systems, insbesondere den Parteien.96 Zu den Besonderheiten aller österreichischen Medien zählt jedoch die hohe Pressekonzentration, die starke Abhängigkeit von Parteien und Verbänden, sowie die zunehmende Auslands- abhängigkeit, die sich auch beim Import von Fernsehsendungen manifestiert. Es gibt die verschiedensten Arten von Printmedien, den Rundfunk, das Verlags- und Buchwesen, den Film, das Kino und – nicht zu vergessen – die Audio-, Video- und Tonträgerindustrie.97 Jedoch hat Österreich im Vergleich zu anderen Ländern in Bezug auf seine Medienstruktur zwei Besonderheiten: Erstens verfügt Österreich – wie schon erwähnt – über eine sehr hohe Konzentration am Tageszeitungsmarkt, die Zahl an publizistischen Einheiten ist also relativ gering. Das mag vielleicht vielen nicht bewusst sein, da es in Österreich nicht gerade wenige Printmedien gibt, doch muss man dabei immer die Eigentümerschaft berücksichtigen. So sind zum Beispiel die beiden reich-

93 Vgl. ebd. 94 Vgl. Holoubek, Michael/Traimer, Matthias/Weiner, Michael, Grundzüge des Rechts der Massenmedien, Wien 2000, S 5 95 Vgl. Dusek, Peter/Pelinka, Anton/Weinzierl, Erika, Zeitgeschichte im Aufriss, Wien 1995, S 376 96 Vgl. ebd. 97 Vgl. ebd., S 5 ff.

42 Das Österreichische Fernsehen – Demokratiepolitischer 2. Medien und Demokratie Bildungsauftrag oder Quote ?

weitenstärksten Tageszeitungen, die Neue Kronen Zeitung und der Kurier, über die „Mediaprint AG“ zu 100 % im Eigentum der WAZ-Gruppe (WAZ = Westdeutsche Allgemeine Zeitung). Aus dieser Sichtweise wird die oben genannte hohe Konzentration am Tageszeitungsmarkt deutlich, aber auch die innerösterreichische Konzentration lässt sich sehen: Der Styria-Verlag ist Eigentümer der Kleinen Zeitung, der Presse, des Wirtschaftsblattes und anderer regionaler Medien. Auch die Moser-Holding greift massiv mit Zukäufen in den Markt ein (Trägerorgan ist die Tiroler Tageszeitung, darüber hinaus besteht eine 50%ige Beteiligung an der Oberösterreichischen Rundschau und eine Beteiligung an vielen Bezirksblättern in ganz Österreich). Angesichts dieser Tatsache wird auch sehr deutlich, dass Österreich als Teil des deutschen Sprachraums medienwirtschaftlich nicht mehr ausschließlich von Deutschland dominiert wird. Zweitens hatte der ORF bis 1994 auf dem österreichischen Rundfunkmarkt eine Monopolstellung.98 Trotz des mittlerweile verlorenen Monopols ist der ORF im Rundfunkbereich noch immer unumstrittener Marktführer. Durch die neue Konkurrenz musste er jedoch einen Rückgang der Werbeeinnahmen und einen Anstieg der Kosten, insbesondere bei Lizenzen, in Kauf nehmen.99 Obwohl, wie erwähnt, im Bereich der Tageszeitungen eine große Konzentration besteht, konnten sich Ende der Achtziger- und Anfang der Neunzigerjahre neue Printprodukte am Markt etablieren (zum Beispiel Der Standard, Wirtschaftsblatt). Ebenso wurden neue Wochenmagazine gegründet (zum Beispiel News, Format etc.), welche mittlerweile über eine große Reichweite verfügen.100 Zu erwähnen wäre weiters die hohe Abhängigkeit der österreichischen Printmedien von der staatlichen Presseförderung. Sogar die Kronen Zeitung erhält eine, wenn auch geringere, Presseförderung. Wie schon erwähnt, hat der ORF in Österreich im Allgemeinen noch immer eine Vorrangstellung gegenüber deutschen Privatsendern. Betrachtet man die Situation jedoch nur aus der Sicht der Haushalte, die auch über einen Kabel- bzw. Satellitenanschluss verfügen, sieht die Situation grundlegend anders aus. Denn

98 Vgl. Grisold, Andrea, Regulierungsformen am Mediensektor/Der „Fall“ Österreich, Wien 1996, S 32 99 Vgl. Holaubek, S 7 100 Ebd., S 6

43 Das Österreichische Fernsehen – Demokratiepolitischer Bildungsauftrag oder Quote ? 2. Medien und Demokratie

hier werden die deutschen Programme sichtlich bevorzugt.101 In Österreich empfängt man vor allem Satellitenprogramme aus dem Ausland. Aber auch hierzulande wurden schon mehrere Lizenzen vergeben, wovon derzeit zwei genutzt werden. Natürlich gibt es im Fernsehbereich eine große Zahl von TV- Sendern, die allerdings ausschließlich über Kabel empfangen werden und hier regional beschränkt senden. Bildungsauftrag erfüllen diese Sender keinen. Das müssen sie auch nicht. Das muss aber das österreichische Fernsehen, da dieser Sender der einzige ist, der durch verpflichtende Gebühren finanziert wird. Und gerade an dieser Gebührenfrage erhitzen sich manchmal die Gemüter. RTR (Rundfunk und Telekom Regulierungsbehörde)-Chef, Alfred Grinschgl ist der Ansicht, dass in spätestens zwei Jahren die TV-Haushalte wieder zur Kasse gebeten würden. Er ist auch dafür, eher die Gebühren zu erhöhen, als die Werbezeiten auszudehnen.102 Allerdings kontert der ORF-Kommunikationschef Pius Strobl, dass es „der derzeitigen Geschäftsführung jedenfalls lieber sei, Geld am Werbemarkt zu holen als die Gebühren zu erhöhen“.103 Der RTR- Geschäftsführer meint hingegen, dass der ORF zwei Drittel seines Budgets über Gebühren finanzieren soll und nur ein Drittel aus Werbung.104 Allerdings steigen momentan die Einnahmen aus dem Online-Bereich stark an. Generaldirektor Dr. Alexander Wrabetz weiß, dass eine Gebührenerhöhung derzeit nur schwer durchsetzbar sein wird, da dagegen auch Beschwerden beim Bundes- kommunikationsrat beantragt wurden.105 Natürlich strahlen private Fernseh- stationen mittels Werbefenster immer stärker nach Österreich, manche rechnen mit einem Abfluss von ca. 250 Millionen an Werbegeldern. „90 % der Haushalte können diese Werbefenster bereits empfangen“, so Wrabetz.106 Im neuesten Kommunikationsbericht von RTR wurde die Entwicklung der Werbegelder festgehalten:

2007 wurde durch den wiederholten starken Anstieg des Werbevolumens beim Privat-TV in Österreich die Diskussion über

101 Vgl. Grisold, S 45 102 Vgl. Grinschl, Alfred, in: Die Presse, 10. 7. 2008, S 30 103 Vgl. Interview mit Pius Strobl vom 7. 12. 2007 und Die Presse vom 10. 7. 2008, S 30 104 Vgl. Grinschgl, Die Presse vom 10. 7. 2008, S 30 105 Vgl. Wrabetz, Alexander Dr., Interview in: Die Presse vom 21. 6. 2008, S 37 106 Vgl. ebda.

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die sogenannten „Fensterprogramme“ geführt. Während die Befürworter der Praxis, in deutschen Privat-Fernsehprogrammen über die deutschen Werbeblöcke österreichische Werbesendungen zu legen, betonen, dass dies die einzige Möglichkeit wäre, wirtschaftlich interessantes Privatfernsehen für Österreich zu betreiben, es zudem eine Investition in die Zukunft wäre, weitere Programmfenster schaffen zu können, diese Unternehmen auch hier Steuern zahlen würden, darüber hinaus österreichische Unternehmen beteiligt seien und auch die heimische Werbebranche davon profitiere, bliebe die Kritik von ORF und ATV, österreichische Werbegelder würden in hohem Maße nach Deutschland abfließen und verursachen großen Schaden an den österreichischen Medienunternehmen, ebenfalls manifest. Und auch 2007 konnten die Volumina ausgeweitet werden. Mit EUR 183,4 Mio. haben die Auslandssender um respektable 25,6 % mehr an Werbegeldern lukriert als im Jahr davor. Spitzenreiter ist dabei ProSieben, der mit EUR 40,2 Mio. alleine um 45 % zulegen konnte. Auf dem zweiten und dritten Platz folgen RTL mit EUR 36,7 Mio. und SAT.1 mit EUR 36,4 Mio. Gab es 2006 noch einen leichten Vorsprung zwischen dem einzigen bundesweiten österreichischen Privatsender ATV gegenüber den am intensivsten Werbegelder erwirtschaftenden Auslandssendern, so konnte ATV diesen Vergleich 2007 so klar wie noch nie für sich entscheiden: Gegenüber EUR 47,9 Mio. im Jahr 2006 konnte ATV im Jahr 2007 eine Summe von EUR 50,1 Mio. erreichen und liegt damit deutlich vor ProSieben.107

Die größten Veränderungen im österreichischen Medienmarkt erwartet in Zukunft wohl der Bereich des Fernsehens, dies vor allem durch technische Weiterentwicklungen und Innovationen. 2006 begann so auch im Bereich der terrestrischen Ausstrahlung die Umstellung von analogem auf digitalen

107 Vgl. RTR-Kommunikationsbericht 2007, S 63 f. (bis 31 8. 2008 noch nicht offiziell veröffentlicht)

45 Das Österreichische Fernsehen – Demokratiepolitischer Bildungsauftrag oder Quote ? 2. Medien und Demokratie

Verbreitungsweg, der den Programmanbietern auch neue Vermarktungschancen bieten wird.108 Was schon bei den Werbeausgaben deutlich sichtbar war, ist auch am Sehermarkt unbestreitbar: die Vormachtstellung des ORF und seine große und bedeutende gesellschaftspolitische Rolle, die er dabei spielt. Allerdings war auch 2007 zu sehen, dass der Vorsprung des öffentlich-rechtlichen Fernsehens stetig zurückgeht. Was sich in den Zahlen der Reichweiten genauso ausdrückt, wie in der Tatsache, dass das Publikum durch Programminnovationen der Privatsender längst nicht mehr ausschließlich an den ORF als Meinungsbildungsquelle gebunden ist. Dennoch – der ORF war auch 2007 mit seinen beiden Fernsehprogrammen die bestimmende Kraft im österreichischen Fernsehmarkt. In diesem Zusammenhang erwähnt der ehemalige Generalintendant Gerhard Weis, dass es unter seiner Ägide noch eine Seherreichweite von 48 % gegeben hätte.109 Heute jubeln die Verantwortlichen des österreichischen Fernsehens über Einschaltquoten von knapp 40 %.

2.7.1. Regulierung am österreichischen Mediensektor

Regulierung ist ein staatlicher Eingriff oder ein Eingriff von bestimmten Interessensgruppen, wie in Österreich z. B. von Parteien oder sozialpartnerschaftlichen Institutionen, in den Mediensektor.110 Ein staatlicher Eingriff – egal welche Theorie man vertritt – bedeutet für ein Unternehmen im Allgemeinen, dass ihm durch die Lenkung des Staates Handlungsmöglichkeiten sowie Handlungsbeschränkungen vorgegeben werden.111 Genauso verhält es sich mit der „indirekten Regulierung“ durch Wirtschaftsunternehmen, die sich durch Werbeeinschaltungen auch eine positive Berichterstattung „erkaufen“ wollen (was aber von den Verantwortlichen sowohl im Print- als auch im elektronischen Bereich heftig bestritten wird, und zwar dahingehend, dass man einem solchen Druck niemals nachgeben würde; nicht bestritten wird jedoch die Tatsache, dass es solche Versuche gebe).

108 Vgl. ebd., S 68 109 Vgl. Interview mit Dr. Gerhard Weis am 14. 2. 2008 in dessen Haus in Wien-Hietzing 110 Vgl. Grisold, S 113 111 Vgl. Grisold, S 82

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Regulierung am Mediensektor sieht eine staatliche Einflussnahme auf diesen Bereich vor. Wie oben ausgeführt ist das Ziel jeder Regulierung, dass sowohl ökonomische als auch politische Gründe Ursache von Regulierung sind. Eine Trennung zwischen den Bereichen Politik und Wirtschaft ist aber insbesondere im Politikbereich schwierig.

2.7.1.1. Basic Facts aus dem österreichischen Medienrecht

Die österreichische Verfassung gewährleistet, wie in allen anderen demokratischen Staaten auch, eine umfassende Medienfreiheit.112 Es gibt jedoch kein einheitliches und eigenständiges Medienrecht, die Verordnungen sind vielmehr über die Verfassung verstreut, denn auch im Mediengesetz werden nur Teilbereiche behandelt.113 Um die wichtigsten Gesetze bezüglich der Medienfreiheit zu nennen:114

- Art 13 StGG (Staatsgrundgesetz): Dieser Artikel spricht jedem das Recht zu, seine Meinung innerhalb der gesetzlichen Schranken frei zu äußern. Außerdem verbietet er eine Vorzensur der Presse, welche auch keinem Konzessions-System unterworfen werden darf. - Beschluss der Provisorischen Nationalversammlung vom 30.10.1918: Dieser Beschluss hält fest, dass die Einstellung von Druckschriften und dass Erlassen von Postverboten untersagt ist, ebenso die Zensur. Die sogenannte „Nachzensur“ hingegen ist in Österreich prinzipiell erlaubt. - Art 10 EMRK (Europäische Menschenrechtskonvention): Dieser Artikel gewährt jedem das Recht auf freie Meinungsäußerung. Hier wird aber auch festgehalten, inwiefern die freie Meinungsäußerung eingeschränkt werden darf.

112 Vgl. Janezic, Natascha/Steuer, Michael/Kommunikation und Medienrecht, Wien 2002, S 5 113 Vgl. Berka, Walter, Das Recht der Massenmedien/Ein Lehr- und Handbuch für Studium und Praxis mit Wiedergabe des Medien- und Rundfunkgesetzes, Wien/Graz u.a. 1989, S 99 114 Vgl. Holoubek, Michael/Traimer, Matthias/Weiner, Michael, Grundzüge des Rechts der Massenmedien, Wien, 2000, S 13 f.

47 Das Österreichische Fernsehen – Demokratiepolitischer Bildungsauftrag oder Quote ? 2. Medien und Demokratie

Jedoch gewähren die Grundrechte der Medien nicht allen Medien gleich viel Freiheit. Die Presse gilt als gesellschaftliche Institution und ist von staatlichen Eingriffen fernzuhalten.115 Im Bereich des Rundfunks ist der Staat jedoch legitimiert, in gewissem Maße zu steuern. Dies wird schon daraus ersichtlich, dass nicht jedermann eine Rundfunkanstalt eröffnen darf, sondern dass es eines gewissen Genehmigungsverfahrens bedarf.116

2.7.1.2. Ziele von Regulierung

Andrea Grisold nennt neun mögliche Ziele von Regulierung für den österreichischen Mediensektor. Sie betont aber, dass diese Auflistung nicht bedeutet, dass alle auch tatsächlich verwirklicht oder angestrebt werden. Folgende Ziele sind möglich:

1) Die Marktzutrittsbeschränkung. Auf Österreich bezogen ist beispielsweise die Bildung eines Monopols für den TV-Sektor gemeint. Problematisch bei diesem Ziel von Regulierung ist, dass z. B. der ORF eine Marktzutrittsbeschränkung willkommen heißt, um höhere Preise zu erzielen.117

2) Verhinderung von Marktmacht. Dieses Ziel ist erstrebenswert, wenn es zu viele Konzentrationen in einem Mediensektor gibt. Es ist sozusagen das Gegenteil des Monopols, ein anderes Extrem also. Eine demokratische Kontrolle des Sektors scheint nicht möglich. Die Aufgabe der Regulierung ist es, dann zu verhindern, dass die Marktmacht einzelner Unternehmen zu groß wird. Besonders im österreichischen Pressesektor kann man von einer „Marktmacht“ Einzelner sprechen, darunter fällt sehr stark der Fernsehbereich.

115 Vgl. ebd., S 15 116 Vgl. Janezic, S 5 117 Vgl. Karmasin, Matthias, Kommunikation und Rechtswissenschaft, Klagenfurt 2002, S 13 ff.

48 Das Österreichische Fernsehen – Demokratiepolitischer 2. Medien und Demokratie Bildungsauftrag oder Quote ?

3) Informationsvielfalt. Ein Einwirken auf die öffentliche Meinung soll ausgeschlossen werden. Eine Regulierung dieser Art kann notwendig werden, wenn der jeweilige Markt die notwendige Informationsvielfalt nicht bieten kann. Hier können unterschiedliche Interessen oder z. B. Konzentrationstendenzen eine Rolle spielen. Eine Schlüsselrolle in dieser Frage spielen jene, die Information auswählen.

4) Kontrolle der Information. Dies ist ein eher problematisches Ziel, da die Informationsauswahl seitens des Staates beispielsweise ein sehr großes Machtelement darstellt. Insbesondere die Massenmedien, und hier vor allem das Fernsehen, stellen eine große Möglichkeit für politische Gruppen dar, um ihre Machtposition weiter zu behalten. Daher wird auch zunehmend ein demokratisches Mitbestimmungsrecht seitens der Bevölkerung gefordert, was hinsichtlich des ORF bereits teilweise im neuen ORF-Gesetz umgesetzt wurde.

5) Effizienz. Dieses Ziel von Regulierung bezieht sich einerseits auf die Gewährleistung längerfristiger Effizienz und andererseits auf unterschiedliche Marktformen. Letztere meint, dass ein Unternehmer, der eine große Macht innehat und/oder einem unvollständigen Wettbewerb gegenübersteht, nicht mehr ein so großes Erfordernis hat, effizient zu produzieren. Besonders der ORF geriet ins Gerede hinsichtlich scheinbarer Ineffizienz und Verschwendung.

6) Schutz und Information der Konsumenten. Hierbei meint man die genaue Information über die unterschiedlichen Inhalte oder aber auch Information über diejenigen Leute, die Information auswählen. Nur so kann gewährleistet werden, dass die Konsumenten sich selbst eine Meinung über eine Information bilden, da sie wissen, wer diese Information aufbereitet hat. Auch Eigentumsverhältnisse spielen hier eine gewichtige Rolle. Kontrollmöglichkeit hinsichtlich Eigentumsverhältnissen bietet die Offenlegungspflicht im Printbereich. Der Einflussbereich im ORF ist durch das Gesetz geregelt.

49 Das Österreichische Fernsehen – Demokratiepolitischer Bildungsauftrag oder Quote ? 2. Medien und Demokratie

7) Versorgungsauftrag. Nur mithilfe dieses Regulierungszieles ist es möglich, dass alle Teile Österreichs mit Sendewellen des Rundfunks „versorgt“ werden. Jedem Staatsbürger stehen die Rundfunkprogramme des ORF zu. Der ORF hat die Pflicht, diesen Versorgungsauftrag zu erfüllen. Privatradiosender wiederum können ihren Sendebereich auf wirtschaftlich-lukrative Ballungsräume limitieren. Sie unterliegen keinem Versorgungsauftrag.

8) Bildungsauftrag. Dieser wird dem ORF mittels des Rundfunkgesetzes auferlegt. „Der Bildungsauftrag definiert staatliche Ziele einer Bildungspolitik, indem Teile des Angebotes von Medienunternehmen durch grundsätzliche Richtlinien vorgegeben werden.“118

Die Crew um den 2006 gewählten Generaldirektor Dr. Alexander Wrabetz hat es sich zum Ziel gesetzt, internationalen Methoden entsprechend, eine eigene Abteilung einzusetzen, die die Umsetzung des „demokratiepolitischen Bildungsauftrags“ kontrolliert. Das „Public-Value-Kompetenzzentrum im ORF“ (darauf wird später noch genauer eingegangen) befindet sich unter der Leitung von Dr. Klaus Unterberger. „Es handelt sich hier um eine Gemeinwohlerfüllung, indem die Erfüllung des demokratischen, sozialen und kulturellen Bedürfnisses der Gesellschaft überprüft werden soll.“119 Seit März 2008 gibt es ein neues System der diesbezüglichen Qualitätssicherung, den „Public-Value-Bericht“. Ein System der Evaluierung wurde entwickelt, denn „eine Quote ist leicht zu hinterfragen, es geht aber auch um die Bewertung des Programmangebotes, daher gibt es den ,public value index’“, so Unterberger.120

9) Kulturelle Identität. Information ist Grundbestandteil einer kulturellen Identität. Oftmals sind Produktionen für kleine kulturelle Gruppen sehr teuer. Aufgabe der Regulierung ist es, Infrastruktur und Subventionen zu gewähren, um die kulturelle Identität zu sichern. Erst durch

118 Vgl. ebd., S 14 ff. 119 Interview mit Dr. Klaus Unterberger am 1. 7. 2008 im ORF-Zentrum 120 Vgl. ebd.

50 Das Österreichische Fernsehen – Demokratiepolitischer 2. Medien und Demokratie Bildungsauftrag oder Quote ?

Kommunizierbarkeit können Phänomene als kulturell betrachtet werden, da ein kollektives Phänomen immer Kommunikation ist und Phänomene erst als kulturell gelten können, wenn sie kollektiv sind.121

2.7.1.3. Regulierungskriterien des Rundfunksektors

Der Österreichische Rundfunk (ORF) ist eine öffentlich-rechtliche Rundfunkanstalt. Er finanziert sich aus Gebühren und Werbeeinnahmen.122 Der ORF hat einen Versorgungsauftrag, den er in allen Teilen Österreichs erfüllen muss. Er ist in staatlicher Verantwortung installiert und nicht gewinnorientiert.123 Besonders seit dem vergangenen Jahr gibt es grundsätzliche Veränderungen im Rundfunkbereich auf Gesetzesbasis. Zahlreiche Novellierungen fanden statt. Unter anderem wurde das Rundfunkgesetz (RFG) vom ORF-Gesetz (ORF-G) abgelöst. Das ORF-Gesetz ist seit 1. 1. 2002 in Kraft. Das Regionalradiogesetz (RRG) wurde im Jahre 2001 vom Privatradiogesetz, das Kabel- und Satellitenrundfunkgesetz wurde vom Privatfernsehgesetz (PrTV-G) am 1. 8. 2001 abgelöst.124 Diese neuen Gesetze regulieren die österreichische Rundfunklandschaft in vielerlei Hinsicht. Problematisch ist, dass diese Gesetze sehr neu sind, und es deshalb schwierig ist, einschlägige Literatur zu finden. Dennoch werden einige Neuerungen in der Folge beschrieben: Das ORF-Gesetz brachte die Änderung der Rechtsform des ORF mit sich. Der ORF ist nunmehr eine Stiftung.125 Er hat einen Versorgungsauftrag126 und einen Digitalisierungsauftrag127. Ferner muss er seine Sendeanlagen anderen Mitbewerbern zur Verfügung stellen128. 129

121 Vgl. Karmasin, S 15 122 Vgl. Grisold, S 205 123 Vgl. §§ 2 u. 3 ORF-G 124 Vgl. ORF-G, PrR-G, PrTV-G 125 Vgl. §1 ORF-G 126 Vgl. §3 ORF-G 127 Vgl. §3 Abs 4 ORF-G 128 Vgl. §7 ORF-G 129 Vgl. BGBl 1984/379 idF BGBl 2001/83

51 Das Österreichische Fernsehen – Demokratiepolitischer Bildungsauftrag oder Quote ? 2. Medien und Demokratie

Das Privatfernsehgesetz (PrTV-G) sieht vor, dass bundesweit, regional und lokal analoges terrestrisches Privatfernsehen zugelassen wird130, und dass bundesweit digitales terrestrisches Fernsehen möglich ist131. Das Kabel- und Satellitenrund- funkgesetz wurde in das neue Privatfernsehgesetz integriert.132

2.7.2. Politikvermittlung im Fernsehen

In unserer hochkomplexen Medienwelt bedarf es einer Professionalisierung der Politikvermittlung. Die moderne Darstellung von Politik bedarf unterschiedlichster Fachleute, dazu zählen auf Seiten der Politik PR-Manager und Medienberater, „Spin-Doktoren“ im Wahlkampf und Meinungsforscher, auf Seiten der Medien speziell für ihr Themengebiet aus- und fortgebildete Politikjournalisten.133 Dass gerade die neuen Medien immer interessanter für die Politikvermittlung werden, hat erst jüngst die Wahlkampagne des neuen US-Präsidenten Barack Obama, der in einem bisher beispiellosen Internet-Auftritt gerade neue Generationen ansprach.134 Auch beim sogenannten Spendensammeln, dem „Fund Raising“, setzte Obama alles auf die Internetkarte. Damit steht er in der Tradition eines Howard Dean, des erfolglosen demokratischen Präsidentschaftskandidaten 2004, der als Erster begann, das neue Medium für seine Zwecke zu nutzen. Leider sind in Österreich weder Parteien noch Medien den neuen Anforderungen gewachsen. Die Zahl der politischen Journalisten im ORF nimmt im Gegensatz zu jener der Kommunikationsmanager für die Politik ab.135 In privaten Fernseh- und Rundfunkstationen ist ohnehin zu wenig Geld vorhanden, und immer öfter dreht der Redakteur seine Berichte selbst. Eine Fülle von Kommunikationsexperten steht einer ständig sich verringernden Zahl von politischen Journalisten

130 Vgl. §2 Abs 1 PrTV-G 131 Vgl. §2 PrTV-G 132 Vgl. BGBl 2001/84 133 Vgl. Filzmaier, Peter, Rahmen und Grundregeln politischer Kommunikation, in: Filzmaier, Peter/Plaikner, Peter/Duffek, Karl, Mediendemokratie Österreich, Wien 2007, S 17 134 Vgl. Klingst, Jürgen, Die richtige Wahl, in: Die Zeit vom 23.10. 2008 135 Vgl. Filzmaier, w. o., S 19

52 Das Österreichische Fernsehen – Demokratiepolitischer 2. Medien und Demokratie Bildungsauftrag oder Quote ?

gegenüber, was sich auch darin bemerkbar macht, dass das Fernsehen zunehmend auf diese externe Hilfe zurückgreift.136 Die Anforderungen des Medienmarktes und die Wünsche der Zuschauer spielen für die Politikvermittlung durch das Fernsehen eine große Rolle. Zu hinterfragen gilt es in diesem Zusammenhang, wer unter „Zuseher“ gemeint ist, denn eine demokratische Mitbestimmung gibt es nicht, nur eine Mitbestimmung durch Gremien, die sich teils selbst legitimiert haben. Oftmals führt dies zu einer angepassten Berichterstattung, die sowohl von Parteien (die nicht in dem gewünschten Ausmaß berücksichtigt werden) als auch von Journalisten der öffentlich-rechtlichen Anstalt kritisiert werden.137 Politikvermittlung darf keine einseitig gerichtete Elite-Bürger-Kommunikation sein. Vielmehr sollte (muss) sie offen sein für die Interessensvermittlung vom Bürger zur politischen Führung.138 Eine vereinfachte Darstellung der politischen Zusammenhänge und die Kürzung der politischen Beiträge auf medienwirksame Ereignisse drängen die Realpolitik in den Hintergrund. Beispiel dafür ist die Berichterstattung über den Lissabon- Vertrag der EU, der als Hintergrundklärung kaum vorkam. Die Nachrichtenauswahl orientiert sich an Personen, die sich besser in Szene setzen können, wovon bis zu seinem Tod vor allem Jörg Haider stark profitierte. Alltägliche Prozesse, die in den Gremien stattfinden, werden dabei in den Hintergrund gedrängt. Neil Postman spricht in diesem Zusammenhang bereits davon, dass Nachrichtensendungen einen Rahmen für Entertainment abgeben und nicht für Bildung, Nachdenken oder Besinnung.139 Alles wird der Show und damit der Quote untergeordnet. Der Aufbau einer Nachrichtensendung ist, laut Postman, vom Aussehen und der Liebenswürdigkeit des Nachrichtensprechers oder der Nachrichtensprecherin abhängig, von einigen kleinen Scherzen und einer aufregenden Anfangs- und Schlussmusik – jedes Thema wird zur Unterhaltung.140 Ein Blick auf die banalen Wettervorhersagen zeigt dies deutlich: Es muss Show

136 So wurden anlässlich der Nationalratswahlen 2008 Gespräche mit Politikexperten, die auch gleich die Analysefunktion übernahmen, im ORF forciert. Dies kann jedoch auch eine zusehends um sich greifende Vorsicht der Journalisten zum pointierten Kommentar sein (Anm. d. Verf.). 137 Vgl. Wolf, Armin, Rede bei der Verleihung des Robert-Hochner-Preises am 17. Mai 2006 138 Vgl. Sarcinelli, Ulrich, Politikvermittlung und Demokratie in der Mediengesellschaft, Wiesbaden 1998, S 15 139 Vgl. Postman, Neil, Wir amüsieren uns zu Tode – Urteilsbildung im Zeitalter der Unterhaltungsidustrie, 17. Aufl., Frankfurt 2006, S 110 140 Vgl. ebd., S 110

53 Das Österreichische Fernsehen – Demokratiepolitischer Bildungsauftrag oder Quote ? 2. Medien und Demokratie

sein – die Wettershow, nicht mehr die Informationsvermittlung steht im Vordergrund. Große Wetterkarten, ein biegsamer Moderator sollen das Wetter heiter erscheinen lassen. Zur Perfektion haben dies die privaten deutschen Fernsehsender gebracht. Wie erwähnt, geschieht dies, um der Quote gerecht zu werden. Auch die Politik wird personalisiert und als Geschäft einzelner Politiker dargestellt. Das Prozesshafte der Politik wird bei der Vermittlung durch das Fernsehen zumeist nicht deutlich. Zusammenhänge werden aufgelöst und durch Einzelbilder ersetzt. Für viele Menschen entsteht ein Bild von Staat und Regierung, das nichts oder nur wenig mit Demokratie zu tun hat. Nachrichten verfügen über einen Aktualitätsbezug, Katastrophen verdrängen aufgrund ihrer Aktualität Neuigkeiten aus der Politik. Die Stellungnahme zu einer Tausende Kilometer entfernten Tsunami-Katastrophe ist wichtiger als die Regierungsarbeit, wobei von den Stellungnahmen wieder einmal herauszuhören sein wird, wie wichtig der Klimaschutz ist, und dass die Abgase vermindert werden müssen – nach Vergessen der Katastrophe hinterfragt das Fernsehen konkrete Maßnahmen nicht mehr. Die Informationssendungen werden zum „Infotainment“141, das Fernsehen zum medialen Erlebnispark. Dem Zuschauer muss eine leicht verständliche Bildergeschichte präsentiert werden, wobei unterschwellig die tiefgründigen Elemente soweit wie möglich mit verkauft werden. Auch die journalistische Arbeit für das Fernsehen produziert letztendlich einen Teil der Unterhaltung.142 Ebenso werden Nachrichten daher durch Quoten-orientierte öffentlich-rechtliche Sender dem Boulevardjournalismus der privaten Sender angepasst. Das Fernsehen – hier in erster Linie der Marktführer ORF – prägt jedoch nicht nur das Bild der Politik, sondern auch die Politik selbst. Selbstdarstellung wird zu einem wichtigen Faktor einer politischen Laufbahn.143 Vor allem das Fernsehen begibt sich hier in ein Dilemma, denn es muss zwischen öffentlichem Interesse und dem Verharren auf den „geübten“ Erfahrungen von Gruppen, Personen und

141 Infotainment ist ein Wortspiel zwischen Information und Unterhaltung – „we create fun and results“; dahinter verbirgt sich die bewusste Verschleierung der Information im Rahmen eines Spielcharakters oder auch, dass Politik in den Medien unterhaltsam präsentiert werden soll, wobei dem Fernsehen aufgrund seiner Bildberichterstattung die Schlüsselrolle zukommt, vgl. www.infotainment.ch, Zugriff am 22. 9. 2008 142 Vgl. Marciniak, S 12 143 Vgl. Healy, Andrew Thomas, Das österreichische Fernsehen im Spannungsfeld zwischen politischer Intervention und Formen partizipativer Willensbildung, Wien 2003, S 33

54 Das Österreichische Fernsehen – Demokratiepolitischer 2. Medien und Demokratie Bildungsauftrag oder Quote ?

Institutionen entscheiden. Es geht dabei nicht immer nur um Politiker, sondern auch um jene Personen, die sich gerne in „Seitenblicke“ sehen, die oftmals gar nicht genug von ihrem kollektiven Darstellungszwang bekommen können. In „Smart Mobs“, einem Buch über „The Next Social Revolution“, bringt einer der Autoren dieses Dilemma auf den Punkt:

Collective action dilemmas are the perpetual balancing of self- interest und public goods. A public good is a resource from which all may benefit, regardless of whether they help create it. Not everybody who watches television sends a check.144

Dieses Dilemma zeigt sich im Wechselspiel zwischen Unterhaltung und Information, dem Infotainment: Information und Unterhaltung, neutraler Beobachtung und Inszenierung, Fakten und Fiktionen, Objektivität und Nicht- Objektivität (als Täuschung oder Falschberichterstattung). Veränderungen können mehrere dieser Dimensionen gleichzeitig betreffen, müssen es aber nicht.145 Mit „Inszenierung“ ist hier gemeint, dass Medien ihre Distanz zu den Objekten der Berichterstattung aufgeben. Journalismus soll, so die verbreitete Erwartung, über jene Ereignisse informieren, die einen hohen Nachrichtenwert besitzen. Dabei soll der Journalismus eine neutrale Beobachterposition einnehmen. Dagegen scheint die Neigung der Medien zu wachsen, sich selbst mit neuen Themen zu versorgen, indem sie die Ereignisse inszenieren, über die sie anschließend berichten können.146 Lange waren im Fernsehen Inszenierungen auf bestimmte Enklaven beschränkt, die vom „eigentlichen Leben“ abgetrennt waren: auf Spiel, Sport und Fiktion. Zu Zeiten des öffentlich-rechtlichen Monopols wurde meist fein säuberlich getrennt: Was sich in der Wirklichkeit zutrug, war der „Ernstfall“, der aus der Distanz beobachtet wurde. Der Nachrichtensprecher, dessen Miene unbewegt bleibt – ganz egal, was er vorzulesen hat –, war der prototypische Vermittler. Dagegen soll

144 Vgl. Rheingold, Howard, Smart Mobs, The Next Social Revolution, USA 2002, S 32 145 Vgl. Neuberger, Christoph, Lösen sich die Grenzen des Journalismus auf? In: www.3sat.de, Zugriff am 3. 6. 2009 146 Vgl. Jonas, Markus/Neuberger, Christoph (1996): Unterhaltung durch Realitätsdarstellungen: „Reality TV“ als neue Programmform, in: Publizistik. 41. Jg., H. 2, S 187–202, auch unter www.3sat.de/ard/pdf/Neuberger.pdf

55 Das Österreichische Fernsehen – Demokratiepolitischer Bildungsauftrag oder Quote ? 2. Medien und Demokratie

das Spiel die Teilnehmer für eine gewisse Zeit vom Realitätsdruck befreien. Wer teilnimmt, unterwirft sich den besonderen Regeln des Spiels. Der Ausgang des Spiels – ob Sieg oder Niederlage – soll eigentlich ohne Konsequenzen für das weitere Leben bleiben.147 „Wünsch Dir was“ im ORF war ein erster Grenzfall zwischen Realität und Fiktion – hier das Familienspiel in Zeiten des In-Frage- Stellens der Wirklichkeit Familie, dort das Spiel mit Siegern und Gewinnern, hier die Risikobereitschaft, da die Realität von Ernstfällen und das gemeinsame Verhalten dazu. Hier gab es also noch eine Kopplung zwischen Information – Fakten – Neutralität einerseits, Unterhaltung – Fiktion – Inszenierung andererseits. Diese mehrdimensionale Kopplung scheint sich aufzulösen: Zunehmend tauchen Formen der Unterhaltung durch Realitätsdarstellungen im Fernsehen auf, die vom Medium inszeniert sind und oft ambivalent bleiben, da sie sowohl authentische als auch fiktionale/spielerische Elemente enthalten.148 Angela Keppler spricht von „performative(m) Realitätsfernsehen“:

Es handelt sich hier um Unterhaltungssendungen, die sich zur Bühne herausgehobener Aktionen machen, mit denen gleichwohl direkt oder konkret in die Alltagswirklichkeit der Menschen eingegriffen wird. Hier wird nicht allein Prestige oder Geld gewonnen (oder eben nicht gewonnen), was reale Lebensänderungen zur Folge haben kann, hier werden soziale Handlungen ausgeführt, die als solche bereits das alltägliche soziale Leben der Akteure verändern.149

Das Fernsehen greift, so die These, zunehmend in den Ablauf realer Ereignisse ein. Sie sollen soweit kalkulierbar werden, dass ihre dramaturgischen Höhepunkte mit den spontanen Gefühlsregungen der Akteure vor laufenden Kameras stattfinden. Dafür rücken Reporter näher an das Geschehen heran. Medien inszenieren dafür auch geeignete Konstellationen im Studio. So werden in

147 Vgl. Huizinga, Johan, Homo ludens. Vom Ursprung der Kultur im Spiel, Hamburg 1987, S 14 f. 148 Vgl. Pietraß, Manuela: Gestaltungsmittel als Interpretationshinweise. Eine rahmenanalytische Betrachtung des Infotainment nach E. Goffman, in: Medien und Kommunikationswissenschaft, 2000, 50. Jg., H. 4, S 499 149 Vgl. Keppler, Angela, Wirklicher als die Wirklichkeit? Das neue Realitätsprinzip der Fernsehunterhaltung, Frankfurt 1998, S 8 f.

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Beziehungsshows wie eben „Wünsch Dir was“ schon Anfang der 1970er-Jahre – hier war der ORF richtungweisend – soziale Situationen adaptiert und medial arrangiert.150 Dies können Feiern (Spiele für Brautpaare), Kontaktsuche (Annoncen für Partnersuchende, Kontakt-Spiele für Singles) oder Konflikte (Arrangements für Zerstrittene) sein. Damit nähern sich Spiele den Bedingungen der „natürlichen“ Realität an. Die Grenze zwischen dem So-tun-als-ob und dem Handeln im Alltag verwischt.151

Warum greifen Medien in die Wirklichkeit ein? Offenbar ist das Authentische besonders unterhaltsam. Aber es ist für den herkömmlichen, nur beobachtenden Journalismus nur schwer zugänglich. Ihm stehen nämlich zwei Hindernisse im Weg: Für Reporter und Kameras sollte die Privat- und Intimsphäre schon aus rechtlichen Gründen weitgehend tabu sein. Erst „Daily Talkshows“, „Doku Soaps“ und „Reality Shows“ gewähren jedoch immer mehr einen Blick durch das Schlüsselloch.152

Außerdem kommen Reporter, immer dann, wenn es aufregend wird, zu spät: Konflikte, Katastrophen, Unfälle und Verbrechen finden meist ohne sie statt, weil sie überraschend passieren und oft nur wenige entscheidende Momente dauern. Fernsehjournalisten trifft die Verspätung besonders hart, weil sie keine Bilder haben. Der Visualisierungszwang hat zur Entstehung des Genres „Doku-Drama“ geführt: Hier wird nachgestellt, was den Kameras in der Wirklichkeit entgangen ist. Ein Beispiel ist das „Doku-Drama“ von RTL über das Geiseldrama von Gladbeck.153 Diese medial inszenierten Pseudo-Ereignisse liefern darüber hinaus Stoff für eine exzessive Begleitberichterstattung.154 In den USA wurden die sogenannten Gerichtsshows („Court-TV“) geboren; anders als bei den in Deutschland inszenierten Richter-Shows werden dort reale Prozesse teils live übertragen.

150 Vgl. Müller, Eggo, Paarungsspiele. Beziehungsshows in der Wirklichkeit des neuen Fernsehens, Berlin 1999, S 107 151 Vgl. www.3sat.de/ard/pdf/Neuberger.pdf, Zugriff am 6. 6. 2008 152 Vgl. ebd. 153 Janneck, Kerstin, Showdown auf der Autobahn, in: TV Today. Nr. 17, 15.–28. 8.1998, S 24–27 154 Vgl. Hohlfeld, Ralf: Distinktionsversuche im Fernsehjournalismus. Das Verschwinden von Journalismus durch Inszenierung, in: Baum, Achim/Schmidt, Siegfried J. (Hg.): Fakten und Fiktionen. Über den Umgang mit Medienwirklichkeiten. Konstanz 2002, S 101–113.

57 Das Österreichische Fernsehen – Demokratiepolitischer Bildungsauftrag oder Quote ? 2. Medien und Demokratie

2.7.2.1. Infotainment und die Bedeutung für das Fernsehen

Infotainment hat seinen Ursprung in den USA, Mitte der Achtzigerjahre versuchten private Fernsehanstalten in Deutschland, sich vom Angebot der öffentlich- rechtlichen Anstalten abzuheben und übernahmen Konzepte aus den USA, die dort hohe Einschaltquoten erzielten.155 Die Einführung des „Frühstücksfernsehens“ zum Beispiel war der Versuch der Produzenten, erstmals Informations- und Unterhaltungselemente zu einer unterhaltenden Informationssendung zu kombinieren. Damit war erstmals die strikte formale und inhaltliche Trennung von Information und Unterhaltung aufgehoben. Die Öffentlich- Rechtlichen hatten dem nur die Kopie entgegenzusetzen. Denn sowohl ARD als auch ZDF (damals schon gemeinsam) führten auch diese Form des Fernsehens ein. In Österreich diskutieren die Fernsehverantwortlichen schon lange darüber, konnten sich aber aufgrund der mangelnden Marktgröße bis dato nicht zu diesem Schritt aufschwingen. Nur Café Puls (Pro7-Österreichfenster und Puls4) gestalteten in und für den österreichischen Fernsehkonsumenten ein TV- Morgenangebot. Das österreichische Fernsehen begnügt sich mit dem „Wetterpanorama“, bloß eine „Zeit im Bild“ am Morgen wurde eingeführt. In diesem Zusammenhang wurde auch der Begriff der „Alltagsrationalität“ geprägt.156 Die Wahrscheinlichkeit, dass eine Information verstanden und für die spätere Urteilsbildung herangezogen wird, hängt eben von den Merkmalen der Botschaft ab. Auffällige, emotionale und lebhafte Informationen werden besser behalten und zur Urteilsbildung herangezogen. Der Unterhaltungschef des Österreichischen Fernsehens, Edgar Böhm, bringt es auf den Punkt:

Die Nachrichtensendungen haben an Ästhetik gewonnen, es hat sich durch die Technik viel verändert, so können jetzt Animationen eingespielt,

155 Vgl. Huh, Michael, Bild-Schlagzeilen, Konstanz 1996, S 35 156 Vgl. Brosius, Bernd, Alltagsrationalität in der Nachrichtenrezeption, Opladen 1995

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Grafiken gesetzt werden, und es gibt eine gute Vermischung zwischen visuellen und akustischen Eindrücken.157

Auf den Bildungsauftrag umgelegt heißt das, dass die Vermittlung von demokratischen Gegebenheiten, von Entscheidungsvorgängen, von Forschung auch von der Einbettung in die Form der Wiedergabe abhängt. Unangenehmes wird auch bei Konsumartikeln oder zum Beispiel Medizinpräparaten in attraktive Verpackungen „gehüllt“, um diese visuell und auch teils auditiv aufzubereiten. Es besteht jedoch die durchaus berechtigte Furcht davor, dass der Anteil an Unterhaltung in einem hohen Ausmaß zunimmt, sodass die Information zu einem wenig beachteten Rest verkümmert. Gerade im Bereich der politischen bzw. der bildungspolitischen Informationsvermittlung stellt sich die Frage, inwieweit es sinnvoll ist, unterhaltende Elemente einzubauen.

Es ist eine offene Frage, ob Unterhaltungselemente im Rahmen der politischen Berichterstattung negative Auswirkungen auf den Informationsgehalt der Sendungen haben, oder ob sie zunehmend zu einem unverzichtbaren Bestandteil auch innerhalb der Darstellung von Politik in den Medien avancieren, um das Interesse der „politikverdrossenen“ Bürgerschaft zu gewinnen.158

In Deutschland hat RTL seit ca. 1995 eine höhere Quote bei den Hauptabendnachrichten als das ZDF, daher versuchen auch die Programmmacher der öffentlich-rechtlichen Anstalten ihre Nachrichten und Magazine unterhaltender zu machen. Auch der ORF ist seit der neuen Führung unter Alexander Wrabetz zusehends dazu bereit, das beweist alleine schon der Schritt, dass die bisher sakrosankte Durchschaltung der „Zeit im Bild“ aufgegeben wurde. Die „ZIB 20“ bringt die Nachrichten kürzer und versucht, unterhaltsam zu sein. Ob dies jedoch genügt, um eine Konkurrenz zu den 20-Uhr-Nachrichten auf ARD, der traditionellen und kaum veränderten „Tagesschau“, zu werden, bleibt

157 Vgl. Interview mit Edgar Böhm am 2. 9. 2008 im ORF-Zentrum 158 Vgl. „Infotainment“ – Zur politischen Berichterstattung zwischen Information und Unterhaltung, in: www.prometheusonline.de/heureka/kommunikationsoekologie/monografien/shicha, Zugriff am 13. 7. 2008

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dem Beobachter überlassen. Und gerade die Tagesschau ist ein Musterbeispiel dafür, dass Nachrichten nicht immer zu einer „Tagesshow“ ausarten müssen, um erfolgreich zu sein. Allgemein ist es jedoch Tatsache, dass der Anteil an Unterhaltungselementen kontinuierlich ansteigt, während die Informationsvermittlung, insbesondere die Hintergrundberichterstattung, ständig abnimmt. Allgemein kann auch für Österreich von einer „Verflachung“ des Inhalts gesprochen werden. Postman führt zum Thema Unterhaltung im Fernsehen aus:

(…) aber mir geht es nicht darum, dass das Fernsehen unterhaltsam ist, sondern darum, dass es die Unterhaltung zum natürlichen Rahmen jeglicher Darstellung von Erfahrung gemacht hat. Unser Fernsehapparat sichert uns die ständige Verbindung zur Welt, er tut dies allerdings mit einem durch nichts erschütterlichen Lächeln auf dem Gesicht. Problematisch ist nicht, dass das Fernsehen uns unterhaltsame Themen präsentiert, problematisch ist, dass es jedes Thema als Unterhaltung präsentiert. Um es anders zu formulieren: Das Entertainment ist die Superideologie des gesamten Fernsehdiskurses.159

Hingegen gibt es auch Stellungnahmen, die sich für unterhaltende Informationsvermittlung aussprechen:

Ein zentrales und legitimes Kriterium bei der Vermittlung politischer Aussagen liegt in der Erzeugung von Aufmerksamkeit, die aufgrund der zunehmenden Informations- und Reizüberflutung durch die ständig anwachsende Zahl von Fernsehkanälen in einer konkurrenzbestimmten Medienlandschaft immer schwerer zu gewinnen ist. Die Komplexität politischer Zusammenhänge wird seit jeher durch spezifische Nachrichtenfaktoren geprägt, die die Auswahl der Themen und ihre Reihenfolge festlegen, um eine Orientierung beim Rezipienten zu ermöglichen. Warum sollten nicht

159 Vgl. Postman, 1988, S 110

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neue Formen und innovative Wege mithilfe von Infotain- mentelementen verwendet werden, sofern dadurch dazu beigetragen wird, das Interesse der Öffentlichkeit für politische Zusammenhänge in der Form zu wecken, die den Sehgewohnheiten der Zuschauer entgegenkommt? Die Form der Darstellung sagt zunächst nichts über die Angemessenheit des Inhalts aus. Verschleierung und Täuschung können nur im Kontext einer inhaltsanalytischen Interpretation von Präsentationsformen und Inhalten eruiert werden. Unspektakulär vorgetragene Wortbeiträge können ebenso manipulieren wie effektvolle Unterhaltungselemente. Es ist jedoch darauf zu achten, dass die Form als motivationaler Verstärker nicht den Inhalt in der Weise bestimmt, dass die Form den Inhalt prägt. Insofern sollten „Infotainmentelemente" als Motivationsfaktor im Rahmen der politischen Berichterstattung nicht von vornherein abqualifiziert werden, sofern eine informative, angemessene und sachliche Berichterstattung dadurch nicht gefährdet wird.160

Hier erscheint vor allem der letzte Satz ein entscheidender zu sein: Bei aller Unterhaltung, die in die Vermittlung von Information einfließt, darf der Blick für das Wesentliche nicht verstellt werden. Die Programmsparte „Infotainment" ist die unterhaltsame Würze und darf auch bei ernsten Themen nicht fehlen, sie wurde hipper und „poppiger“. „Zwar mühten sich die Privaten ihrerseits um Seriosität und setzten im Infowesen und beim Fernsehspiel auf Hintergrund und Klasse, aber der überwältigende Eindruck war: Die Öffentlich-Rechtlichen – auch der ORF – passen sich an. Sie verraten ihren Auftrag, sie senken das Niveau. Dafür werden sie, in Abständen, heftig gerügt.“161

Was wäre geschehen, wenn es die Frequenzfreigabe fürs Privatfernsehen nicht gegeben hätte? Sähen dann die politischen Magazine, die Features, Dokumentationen und Nachrichten immer noch so aus wie in den

160 Vgl. Schicha, Christian, www.prometheusonline.de/heureka/kommunikationsoekologie/monografien/schicha/, Zugriff am 13. 7. 2008 161 Vgl. Sichtermann, Barbara, Quote mit Qualität – oder Tod, in: Die Zeit, Nr.39/2000, S 47

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Siebzigerjahren? Der Zeitgeist hat sich geändert und die Fernsehkonsumenten mit ihm.

Was sich aber während der letzten 20 Jahre gewandelt hat, ist nicht nur die Oberfläche. Es sind der Geist jenseits des Kurzzeitgedächtnisses und die Ästhetik jenseits der Mode. Wir sind in eine Epoche eingetreten, die Sinn und Verstand zunehmend außerhalb der Printmedien und der ihnen zugeordneten abstrakten Räume des Erkenntnisgewinns sucht, eine Epoche des Auges, der visuellen Assoziation und der spielerisch-selbstkritischen Interpretation aller medialen Outputs. Das duale System gehört in diese Epoche hinein, bestimmt sie aber nicht wesentlich. Der Wandel geht tiefer. Wer ihn nicht versteht und nicht willkommen heißt, spricht der neuen Ästhetik die Sinnbezogenheit überhaupt ab und erkennt, wenn er sieht, wie die öffentlich-rechtlichen Anstalten sich optisch aufputzen, geradewegs den Niveauverfall, sprich die Überanpassung an die Privatsender. Aber Achtung: Auch das Triviale, auch Trash und Pop können den Ernst des Lebens spiegeln. Insofern bleibt Fernsehen immer im Geschäft der Sinngebung, der Weltdeutung. Wer das nicht zugeben will, wird dieses Medium nie verstehen. Und auch nicht die Nöte seiner Macher.162

Interessant ist dieser Aspekt auch bei der Betrachtung der vorhin erwähnten drei Säulen, die sich eben immer mehr vermischen und offenbar eine gemeinsame Klammer im oben beschriebenen Sinne erhalten.

„Auch bei der Behandlung des Kulturfernsehens ist die Reaktion der ,spaßigen’ Konkurrenz zu beachten.“163 Dem ORF gehe es nicht darum, beliebige Trends zu setzen, sondern sich der Wirklichkeit mit einem kritischen Geist zu stellen. Kritisch zu sein, heißt in diesem Zusammenhang, zwischen Sinn und Unsinn, Lüge und Wahrheit, wichtig und unwichtig zu unterscheiden. Diesen drei Kriterien sei der

162 Vgl. ebd. 163 Vgl. Weis, Gerhard Dr., in: Broschüre einer ORF-Enquete „Für einen österreichischen Kulturkanal“, Mai 2001, S 19

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Verantwortungsvolle verpflichtet, auch gegenüber der „Spaß-Konkurrenz“.164 Doch die Zeit hat sich sehr schnell verändert und daher auch das Anspruchsniveau, nicht nur der Konsumenten, sondern auch der Programmmacher. Waren es 2001 beinahe noch idealistische Gedanken, die hier eine Rolle spielten, so sind es 2008 wettbewerbstechnische Überlegungen, die im Vordergrund der Programmgestaltung stehen. Denn anders ist es kaum zu erklären, dass auch das Österreichische Fernsehen auf den Zug der „Daily Soaps“ aufspringt, die internationalen Trends von der Gameshow bis hin zu Tanz- und Gesangsbewerben mitmacht. Trends, die vornehmlich von den privaten Anbietern besetzt waren.

2.7.2.2. Macht in der politischen Berichterstattung

Aufgrund der selektiven Auswahl verschiedener politischer Themen durch medienspezifische Verhaltensmuster wird die politische Kommunikation beeinflusst. Diese Meinung wird auch von politischen Akteuren geteilt. In den Salzburger Nachrichten wurden verschiedene Politiker von Gerhard Steininger befragt:165 „Haben die Medien in der Politik Macht?“ Heide Schmidt, damals Nationalrats- abgeordnete des Liberalen Forum etwa sah die größte Gefahr und die Macht der Medien in der Möglichkeit jemanden totzuschweigen. Hans-Peter Martin kritisierte dies auch scharf anlässlich der Nationalratswahl 2006, zu der er mit einer eigenen Liste antrat und sich „nur“ mit einem Vertreter der KPÖ zu nachtschlafender Zeit im Fernsehen „duellieren“ durfte. Martin tat dies auch beim Bericht über die Wahlen am 6. Oktober 2006 via Fernsehen lautstark kund, was ihm nicht unbedingt mehr Einfluss auf die Berichterstattung bringen sollte. meinte auf Steiningers Frage, dass die Macht durch die Möglichkeit zu

164 Vgl. Weis, ebd. 165 Vgl. Healy, S 36

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thematisieren und zu vermitteln entstehe, und dass die beste Politik nichts nütze, wenn keiner etwas davon erfahre.166 Postman bringt noch einen anderen Aspekt ein:

Wir stehen vor der Tatsache, dass das Fernsehen die Bedeutung von „Informiertsein“ verändert, indem es eine neue Spielart von Information hervorbringt, die man richtigerweise als Desinformation bezeichnet.167 Desinformation sei nicht dasselbe wie Falsch- information, sie bedeutet irreführende Information, bruchstückhafte, unangebrachte, irrelevante oder oberflächliche Information –, Infor- mation, die vortäuscht, man wisse etwas, während sie einen in Wahrheit vom Wissen weglockt168.169

Relativ unspektakuläre Ereignisse werden so dramatisch inszeniert, dass die Aufmerksamkeit der „actiongewöhnten“ Zuseher erhalten bleibt. Das Bild verdrängt immer mehr das Wort. Dramatische Visualisierungen lösen das traditionelle Konzept der Informationsvermittlung ab.

(…) die sogenannten „Vermischten Meldungen“, seit jeher der Tummelplatz der Sensationspresse. Blut und Sex, Tragödien und Verbrechen haben schon immer die Verkaufsziffern in die Höhe getrieben,170 und so musste die Diktatur der Einschaltquote derartige Ingredienzien an die vorderste Stelle, an den Beginn der Fernsehnachrichten spülen, die früher ausgeklammert oder auf die hinteren Ränge verwiesen wurden, weil man sich bemühte, nach dem Vorbild der seriösen Tagespresse als respektabel zu erscheinen.

166 Vgl. Hüffel, Clemens, Über die Macht der Medien, in: Busek, Erhard/Hüffel, Clemens (Hrsg.), Wien 1998, S 194 f. 167 Vgl. Postman, S 133 168 Vgl. ebd., S 133 169 Postman nimmt hier Bezug auf die „Sprache der Geheimdienste von CIA und KGB“. 170 Anm. da. Verf.: Auch der ehemalige Herausgeber des Profil, Peter Michael Lingens, erwähnt in einem Gespräch, dass das Magazin Profil bis in die 90er-Jahre immer noch die besten Verkaufsziffern erzielte, wenn Sex oder Crime am Titelblatt war. „Sex sells“, das hat sich auch das Fernsehen zu eigen gemacht.

64 Das Österreichische Fernsehen – Demokratiepolitischer 2. Medien und Demokratie Bildungsauftrag oder Quote ?

(…) Die symbolische Aktion des Fernsehens zum Beispiel auf der Ebene der Nachrichten besteht darin, die Aufmerksamkeit auf Dinge zu lenken, die alle Welt interessieren, die omnibus – für alle – da sind. Omnibusmeldungen dürfen niemand schockieren, bei diesen Meldungen geht’s um nichts, sie spalten nicht, stellen Konsens her, interessieren alle, aber so, dass sie nichts Wichtiges berühren.171

Jedoch – um zum Thema zurückzukommen – wie kann Bildung vermittelt werden, ohne dass die betreffenden Sendungen kontroversiell diskutiert werden? Die Gratwanderung, die die Produzenten durchmachen, ist, dass der nicht-diskutieren- wollende Zuseher wegschaltet und dadurch den Wert der Information gar nicht wahrnimmt. Als positives Beispiel sei hier der Spartensender ARTE hervorgehoben, der sich bewusst von der Sensationsgier abhebt und neben Kultur auch anspruchsvolle Spielfilme sendet. Fernsehnachrichten sind Show, bieten Unterhaltung, aber wenig Information, und der Konsument verliert das Gefühl, was es bedeutet, gut informiert zu sein. So stand nach der jüngsten Fernsehreform des ORF bei den Sehern mehr die Frage der Bildgröße, des Sehwinkels, des Hintergrundes und der Doppelmoderation im Mittelpunkt der Diskussion als die Inhalte. Und eben diese Art der Nachrichtenvermittlung war für Edgar Böhm, dem Unterhaltungschef, ein wichtiger Schritt: „Dadurch werden die Zuseher wieder aufgeweckt.“172 Es gilt der Spruch: Ein Bild sagt mehr als tausend Worte, zwar nicht in der höchsten Ausprägung, aber die Dramaturgie, die Gestik, das Wording beeinflussen das Bild der Realität, das das Publikum erreicht.173 Poppige Bilder, akustische Impulse, animierte Grafiken oder Computeranimationen sind gefragt, um komplexe Inhalte auch emotional zu verankern. Das ist auch bei der Vermittlung von Bildungsinhalten wesentlich. „Viele dieser Animationen haben wir aus den Sportübertragungen übernommen“, so Edgar Böhm174.175 „Die Medien können uns nicht vorschreiben,

171 Vgl. Postman, S 22 172 Vgl. Interview mit Edgar Böhm 173 Vgl. Moser, Christian/Renner, Franz, Mediencoaching in der Ära des Politainments, in: Filzmaier, Peter u. a., Mediendemokratie in Österreich, Wien 2007, S 258 174 Vgl. Interview mit Edgar Böhm 175 Das österreichische Fernsehen war bei Sportübertragungen jahre-, wenn nicht jahrzehntelang führend in Europa, vor allem, was die technischen Möglichkeiten betraf, in den letzten zehn Jahren

65 Das Österreichische Fernsehen – Demokratiepolitischer Bildungsauftrag oder Quote ? 2. Medien und Demokratie

was wir denken sollen, (…) aber worüber wir nachdenken sollen.“176 Bei den Fernsehkonfrontationen anlässlich österreichischer Wahlen analysieren Styling- berater das Outfit der Gesprächspartner. Wenn schon nachher diese Berater eingesetzt werden, so sind es auch diejenigen, die vorher das Bild ihres Klienten zu prägen versuchen. Das ist die Macht des Bildes und somit auch die des Fernsehens.

2.7.2.3. Glaubwürdigkeit in der Informationsvermittlung

Bei einer Untersuchung in 14 europäischen Staaten über die Glaubwürdigkeit von TV-Informationen nahm Österreich mit 75 % einen über dem Durchschnitt von 70 % liegenden Platz ein. 54 % der befragten Österreicher meinten, dass das Fernsehen „meistens die Wahrheit“ berichtet, 21 % antworteten mit „immer“. Die Schweiz errang dabei den ersten Platz mit einer Glaubwürdigkeit von 82 %177 (allerdings ist die Schweiz auch das Land mit den wenigsten Fernsehteilnehmern). Eine weitere Untersuchung, durchgeführt von der Universität Regensburg, ergab eine noch immer größere Glaubwürdigkeit des Fernsehens gegenüber Tageszeitungen (Zeitschriften liegen abgeschlagen noch hinter dem Internet).178 Eine weitere Untersuchung zum Thema Glaubwürdigkeit in Deutschland ergab zwar ein differenzierteres, aber – da in diesem Fall der Schwerpunkt auch auf die regionale Pressebeobachtung gelegt wurde – ein durchaus vergleichbares Bild: Insgesamt wurden rund 1.700 Personen befragt. Die Glaubwürdigkeit des redaktionellen Teils der verschiedenen Mediengattungen wurde durch die Zustimmung zu der Aussage „berichtet wahrheitsgetreu" ermittelt. Da es sich um eine Studie der Regionalpresse handelte, kam als Ergebnis dabei auch heraus, dass die meisten Menschen der Berichterstattung der regionalen Tageszeitungen vertrauen: Fast zwei Drittel aller Zeitungsleser (65 %) – Basis: weitester Nutzerkreis – stimmten der Aussage zu, dass die regionalen Abonnement-

erlangten auch die Volksmusikübertragungen des ORF ähnliches Profil und Stellenwert, Anm. d. Verf. 176 Vgl. McCombs, Maxwell, The Agenda setting Function of Mass Media, in: Moser, w. o., S 262 177 Vgl. UPC European Television Survey 2005, 2. Paneuropäische TV-Untersuchung 178 Vgl. Universität Regensburg, 2005, Institut für Psychologie

66 Das Österreichische Fernsehen – Demokratiepolitischer 2. Medien und Demokratie Bildungsauftrag oder Quote ?

zeitungen wahrheitsgetreu berichten. Eine ähnlich hohe Glaubwürdigkeit wurde lediglich noch dem Fernsehen zugesprochen. Beim Fernsehen waren 56 % der Nutzer der Ansicht, es berichte wahrheitsgetreu.179 Die Tageszeitungen brachten es in dieser Untersuchung lediglich auf knapp 35 %.180 In Österreich selbst haben diesbezügliche Befragungen ein differenzierteres Bild zugunsten des Fernsehens ergeben. Laut dem Politologen Dr. Peter Filzmaier beziehen ca. drei Viertel der ÖsterreicherInnen ihre Informationen über Politik aus dem Fernsehen181, „Zeitungen und Radio folgen trotz der Möglichkeit von Mehrfachnennungen mit deutlichem Abstand und in den letzten Jahrzehnten mit radikal sinkender Tendenz. Rund 50 Prozent halten das Fernsehen, das trotz einer Verschlechterung seit den 1970er-Jahren deutlich vor den Zeitungen (nur knapp 15 Prozent!) rangiert, für besonders glaubwürdig“.182 Filzmaier bezieht diese Daten hauptsächlich auf den Nationalratswahlkampf 2006 („Nach der Wichtigkeit lag das Fernsehen 16 Prozentpunkte vor den Tageszeitungen. 71 Prozent der Wähler bzw. Wahlberechtigten nannten es im Nationalratswahlkampf als wichtige Informationsquelle, während nur 55 Prozent dasselbe von Tageszeitungen behaupteten. Am wichtigsten ist das Fernsehen – mit allerdings nicht extremen Abweichungen – für Wähler der traditionellen Großparteien ÖVP und SPÖ, für Frauen, für ältere Menschen und in ländlichen Gebieten“)183, wobei durchaus konzediert werden muss, dass sich die Situation 2008 aufgrund der massiven Politberichterstattung und Einflussnahme der Kronen Zeitung etwas verändert darstellt. Eben durch diese Kampagnisierung erreichen auch andere Zeitungen erhöhte Aufmerksamkeit, ob allerdings die Glaubwürdigkeit der Zeitungen generell steigt, bleibt derzeit noch unbeantwortet. Denkbar ist, dass durch das extreme Ausscheren einer oder mehrerer Boulevardzeitungen auch die sogenannten Qualitätszeitungen in der Glaubwürdigkeitswahrnehmung einbüßen, wobei hier jedoch sehr stark nach der angesprochenen Zielgruppe zu selektieren ist. Zum Beispiel wird der typische Kronen-Zeitungs-Konsument kaum die Tageszeitungen Presse oder Standard lesen, vice versa gilt dasselbe oder Ähnliches (nur boulevardeske Masochisten greifen zu beiden Vertretern dieses

179 Vgl. GfK-Medienforschung, Nürnberg, in Kooperation mit Contest-Census, Frankfurt 180 Vgl. ebd. 181 Vgl. Filzmaier, Peter, http://science.orf.at/science/filzmaier/146667 182 Ebd. 183 Vgl. Filzmaier, Peter u. a., Mediendemokratie in Österreich, Wien 2007, S 135

67 Das Österreichische Fernsehen – Demokratiepolitischer Bildungsauftrag oder Quote ? 2. Medien und Demokratie

Genres, Anm. d. Verf.). Das Fernsehen setzt dem gegenüber nicht nur auf die Infosendungen, sondern auch auf die verstärkten TV-Konfrontationen, die auch die Privatsender für sich entdeckt haben. Dadurch ergibt sich nach außen hin ein objektiveres Berichterstattungsbild. Filzmaier stellt des Weiteren eine höhere Glaubwürdigkeit des Fernsehens fest:

Das Fernsehen ist subjektiv mindestens doppelt so glaubwürdig wie Zeitungen. Während es kaum geschlechtsspezifische Unterschiede gibt, nimmt – auf die Politikberichterstattung zur Nationalratswahl 2006 bezogen – die Vertrauenswirkung des Fernsehens allerdings mit steigendem Lebensalter ab: so von 38 Prozent als glaubwürdigste Quelle für die unter 30-Jährigen auf 28 Prozent für die über 50-Jährigen. Rund 75 Prozent der Österreicher beziehen ihre politischen Informationen aus dem Fernsehen bzw. bezeichnen das Fernsehen als wichtigste Informationsquelle.184

Und mehr als die Hälfte hält das Fernsehen für glaubwürdig.185

2.7.3. Abgrenzung zum Hörfunk

Der Bildungsauftrag gehört natürlich genauso zum Hörfunk, der bei dieser Arbeit zwar nicht in den Mittelpunkt gerückt wird, jedoch dank des international anerkannten Bildungs- und Informationsprogramms von Ö1 einer Erwähnung wert ist. Hier zeigt sich einerseits die Empfindlichkeit der Politik und andererseits die Bedeutung eines unabhängigen ORF. In den Frühzeiten vegetierten Hörfunk und Fernsehen finanziell und politisch an der Kandare der beiden Großparteien.186 Eines der Beispiele war der „Watschenmann“, ein zur damaligen Zeit einzigartiges Satireprogramm. Dieses wurde vom amerikanischen Sender „Rot-Weiß-Rot“ übernommen, schon nach zwei Jahren im österreichischen Radio von der Politik regelrecht „abgedreht“ und durch den „Beschwerdebriefkasten“ ersetzt.187 Und tatsächlich waren die Briefkästen mit lauter Beschwerden damaliger Politiker über

184 Vgl. ebd., S 136 185 Vgl. ebd., S 137 186 Vgl. Podgorski, Teddy, Die große Illusion, Wien 2005, S 39 187 Vgl. Treiber, Alfred, Ö1 gehört gehört, Wien 200, S 13

68 Das Österreichische Fernsehen – Demokratiepolitischer 2. Medien und Demokratie Bildungsauftrag oder Quote ?

diese despektierliche Sendung prall gefüllt. Nach der ORF-Reform 1967 wurde der „Watschenmann“ unverzüglich wieder ins Programm genommen. Und seither hält sich Ö1 als objektiver Informationssender im Rahmen des Programmauftrags. Ob mit Kulturübertragungen, Dokumentationen über die sogenannte Dritte Welt oder politische Diskussionen – dadurch erreichte Ö1 immerhin eine Tagesreichweite von 8,8 % im Jahr 2006.188 Ist Ö3 eine glänzende Einnahmequelle für den gesamten ORF, ist Ö1 das Aushängeschild, wenn es um demokratiepolitische Bildungssendungen geht. Gerade unter Studenten rangiert dieses Programm in der Beliebtheit ganz vorne. Hier kann, falls man das Marketing entsprechend gestaltet, auch die viel strapazierte werberelevante Zielgruppe der 19–49-Jährigen noch besser erreicht werden.

2.8. Problematisierung zwischen Demokratie und Medien

Die Rolle der Medien in einer Demokratie ist problematisch. Sie sollten – als Kontrollinstanz den Regierenden gegenüber – positiv gesehen werden, weil sie Informationen transparent machen, wobei hier der Wunsch nach objektiver Berichterstattung Ausdruck gefunden hat. Diesbezüglich wurde einigen Medien ein Naheverhältnis (siehe auch die Mehrheitsbeteiligungen) zu den Regierenden nachgesagt, was sich zuletzt am Netzwerk des SP-Parteivorsitzenden Faymann deutlich zeigt. Dieses Naheverhältnis ist jedoch nicht erwünscht, weil die Befragten Bedenken hatten, inwieweit ihnen Objektivität vorenthalten bleibt. Dieses Naheverhältnis drückt sich in der Presseförderung genauso aus wie in der Postenbesetzung durch Parteinahe oder sogar Parteimitglieder, vor allem wurde hier der ORF explizit genannt. Ebenso betrifft das die schon mehrfach zitierte Konzentration, die sich in Österreich durch die Kronen Zeitung, das zu ihr gehörende Gratisblatt Heute und auch durch Rundfunksender (mit geringer Bedeutung) zeigt. Diese Konzentration wurde mit der Demokratie negativ assoziiert. Armin Thurnher schreibt nicht umsonst in jedem seiner Leitartikel als letzten Satz: „Und im Übrigen bin ich der Meinung, dass der Mediamil-Konzern

188 Vgl. Treiber, S 502

69 Das Österreichische Fernsehen – Demokratiepolitischer Bildungsauftrag oder Quote ? 2. Medien und Demokratie

(Zusammenschluss zwischen Kronen Zeitung, Kurier u. a. nach dem Einstieg der Westdeutschen Allgemeinen Zeitung, WAZ) zerschlagen werden muss.“189

Abb. 1: Armin Thurnher, Chefredakteur Falter

Viele meinen, dass vor allem der ORF und die Kronen Zeitung zuviel Macht hätten und selbst Politik machten. Die Frage, die man sich stellen muss, ist, warum dann täglich rund drei Millionen Österreicher zur Kronen Zeitung greifen. Aber auch die Entscheidungsflüsse im ORF sind undurchschaubar. Es wurde zwar ein Publikumsrat installiert, der aber wiederum streng nach parteipolitischen Gesichtspunkten „gewählt“ wurde. Die Mitglieder geben sich als Vertreter von Akademien oder als Kraftfahrer aus – dies ändert nichts an der Tatsache, dass immer eine der Parteien hinter ihnen steht. Der Publikumsrat ist die Nachfolgeorganisation der sogenannten Hörer- und Sehervertretung.

2.9. Partizipationstheorie der Demokratie und Medien

Im Unterschied zu anderen Demokratiebegriffen betrachtet die Partizipationstheorie, die bis auf Jean-Jacques Rousseau und seinen Gesellschaftsvertrag zurückgeht, die Unteilbarkeit der Souveränität als gleichbedeutend mit der Identität der Regierenden und Regierten.190

189 Vgl. Thurnher, Armin in allen Falter-Ausgaben, S 3 Thurnher ist ein großer Kritiker der österreichischen Printmedien-Landschaft, die durch die Kronen Zeitung und die Hochglanzmagazine der News-Gruppe dominiert wird. Seine Leitartikel im Falter beschließt er allwöchentlich, in Anlehnung an Catos Ceterum censeo Carthaginem esse delendam, mit dem Satz: „Im Übrigen bin ich der Meinung, der Mediamil-Komplex muss zerschlagen werden.“ Mediamil ist eine von Thurnher geschaffene Wortkombination aus Mediaprint und den Zeitschriften Format und Profil aus der News-Gruppe. 190 Vgl. Rousseau, Jean-Jacques, Vom Gesellschaftsvertrag oder Grundsätze des Staatsrechts, Stuttgart 2007, S 18

70 Das Österreichische Fernsehen – Demokratiepolitischer 2. Medien und Demokratie Bildungsauftrag oder Quote ?

Wobei Rousseau vorgeworfen wurde, ein Vorreiter des Totalitarismus gewesen zu sein. Man kann auch interpretieren, dass die partizipatorische Demokratietheorie als Demokratie definiert wird, die sich auf alle Lebensbereiche bezieht, und deren Ziel es ist, durch die Volksherrschaft bestehende Herrschaftsverhältnisse abzubauen. Wenn man diesen Demokratiebegriff der heutigen Auffassung von Medien gegenüberstellt, dann ist die Frage, wer wen beeinflusst – die Medien die Demokratie, oder gibt es erst durch die Demokratie die Medien? Zweiterer Ansatz ist sicherlich dann richtig, wenn der Passus „frei“ eingesetzt wird. Denn in einem autoritären Regime gibt es natürlich auch Medien, diese sind jedoch zensiert und für die Regierung unangenehme Berichte werden einfach „ausgeblendet“, wobei heute durch das Aufkommen der globalen Medien sogar solchen Regierungsformen die dauernde Überwachung zunehmend erschwert wird. In Österreich beeinflussen manche Medien, vor allem die Kronen Zeitung und deren Partnerzeitungen, die demokratiepolitische Entwicklung zusehends und nehmen bewusst Einfluss auf politische Entscheidungen, indem Personen gefördert oder abgelehnt werden. Das alles natürlich unter dem Deckmantel, dass nur die Souveränität des Volkes geachtet wird. Der ORF steht dabei in einem Spannungsfeld, denn er darf aufgrund des öffentlich-rechtlichen Auftrags nicht kampagnisieren, ist jedoch der Willkür von Kampagnen sehr wohl ausgeliefert. Hier wird also der Partizipationsbegriff neu geschrieben und von verschiedenen Seiten aus persönlich-machtpolitischen Gründen definiert.

71 Das Österreichische Fernsehen – Demokratiepolitischer Bildungsauftrag oder Quote ? 3. Über den Journalismus

3. Über den Journalismus

Journalismus ist nicht nur Informationsverbreitung. Medien haben in den demokratischen Staaten der Welt eine bedeutende Aufgabe zu erfüllen. Die ungehemmte Informationsleistung ist der Blutkreislauf in den Adern einer demokratischen Verfassung.191 Die Grundfragen dieser Dissertation sind daher: Kommt das öffentlich-rechtliche Fernsehen seinem Bildungsauftrag nach oder geht es nur noch um die Quote? Wie waren die Ziele bei der Entstehung des Volksbegehrens, gab es mehr als die veröffentlichten Protokolle? Wie war die Entwicklung im Laufe der Zeit, eingeteilt in die Perioden der jeweiligen Generalintendanten? Wo steht das Österreichische Fernsehen im Vergleich mit anderen internationalen, gebührenfinanzierten Sendern? In welchen Zeiträumen wurde dem „demokratiepolitischen Bildungsauftrag“ entsprochen? Wandel und Veränderung bestimmen zusehends den beruflichen Alltag von Journalisten. Die Konsequenz in den elektronischen Medien ist, dem Trend der Popularisierung folgend, Unterhaltung und Information nicht als Gegensatz zu sehen.

Genau genommen ist Journalismus an sich ein Verfahren zur Popularisierung von komplexen Inhalten. Er setzt dafür popularisierende Techniken und Mittel ein. Daher ist auch jede analytische Trennung in einen Informations- und einen Unterhaltungsjournalismus wenig sinnvoll, und zwar nicht nur deshalb, weil Unterhaltungsjournalismus zumindest informatorische Spurenelemente braucht, sondern weil sich Information und

191 Vgl. Böhm, Wolfgang, Voraussetzungen journalistischen Handelns in ORF und Printmedien, Wien 1991

72 Das Österreichische Fernsehen – Demokratiepolitischer 3. Über den Journalismus Bildungsauftrag oder Quote ?

Unterhaltung nicht ausschließen: Guter Journalismus ist zugleich informativ und unterhaltsam.192

Dass die allzu populistische Art der journalistischen Herangehensweise nicht, ähnlich der britischen Zeitungsjournaille, ausartet, ist auch Aufgabe eines Korrektivs einer öffentlich-rechtlichen Anstalt. Innerhalb der vergangenen Jahrzehnte hat der Journalismus einen Wandel durchlaufen. Vor allem mit dem Aufkommen der privaten Fernsehanstalten Mitte der 1980er-Jahre hat das deutsche Medienpublikum eine Fülle an Unterhaltungs- programmen erhalten.

„Entpolitisierung“, „Personalisierung“, „Boulevardisierung“, ja sogar „Schreinemakerisierung“193 (analog in Österreich etwa die „Stöckelisierung“ oder die „Verassingerung“) lauten die – meist negativ belasteten – Begriffe, die den heutigen populären Journalismus charakterisieren.194 Diese Tendenz ist auch durch das Aufkommen neuer Formate und Genres zwischen Faktizität und Fiktionalität, die insbesondere die aktuellen Fernsehangebote prägen, zu beobachten. Reality-TV, politische Talk-Shows und Doku-Dramen bieten Information und Unterhaltung zugleich.195

„Journalismus ist (...) nicht mehr über seine Informationsfunktion und über die Erfüllung einer öffentlichen, am Gemeinwohl ausgerichteten Aufgabe definierbar, sondern dient zunehmend der Unterhaltung und befriedigt ökonomische Interessen.“196 Um diese Entwicklung angemessen erfassen zu können, wird der Ruf nach einer veränderten Journalismusforschung laut. Innerhalb der Diskussion in der Deutschen Kommunikationswissenschaft197, haben sich zwei Konzepte

192 Vgl. Haas, Hannes, Kontexte des populären Journalismus. Wandelphänomene und Medienreaktion, in: Medien Journal, 1. 2. 2001, S 45 193 Vgl. Weischenberg 1997, zitiert nach Klaus/Lünenborg 2004 194 vgl. Klaus, Elisabeth/Lünenborg, Margreth, Fakten, die unterhalten, Konstanz 2000, S 36 195 Vgl. Lünenborg, Margreth, Journalismus kulturwissenschaftlich betrachtet, Münster 2002, S 175 f., in: Schlink, Susanne, Journalismus aus Sicht der Cultural Studies und der Systemtheorie, München 2005, S 3 f. 196 Vgl. Scholl, Armin, Journalismus als Gegenstand empirischer Forschung 1997, S 483, in: Schlink, S 5 197 vgl. Klaus/Lünenborg, w. o.

73 Das Österreichische Fernsehen – Demokratiepolitischer Bildungsauftrag oder Quote ? 3. Über den Journalismus

herauskristallisiert: Der Cultural Studies Approach einerseits und die Systemtheorie auf der anderen Seite.198

Getreu dem Motto: „Minimale journalistische Leistungen (führen) zu maximalem ökonomischen Erfolg“199 geht das Medienprogramm weg vom Informations- hin zum marktorientierten und populären Journalismus, denn mit Unterhaltungsangeboten können nicht nur mehr Leser bzw. Zuseher erreicht werden, sondern dessen Produktion ist auch noch günstiger als die von Nachrichtenangeboten. Das führt unter anderem auch dazu, dass die Medien- macher zwischen ihrer journalistischen Verantwortlichkeit, die ihnen gesetzlich durch das Grundgesetz und die Staatsverträge auferlegt ist, einerseits und der Verantwortlichkeit gegenüber Märkten, Verlegern, Teilhabern und Geldgebern andererseits stehen.200 Den Gesetzen der Medienökonomie folgend ist das Erreichen eines großen Publikums überlebenswichtig für Medien. Und das Publikum konsumiert Medien nicht nur aus kognitiven, sondern vielmehr aus affektiven Gründen. Habitualisierung oder Eskapismus sind nur einige der Gründe, warum Rezipienten ein bestimmtes Nutzungsverhalten zeigen. Zur Befriedigung dieser Bedürfnisse eignen sich Unterhaltungsangebote besser als Orientierungs- angebote, die vom Rezipienten größere Aufmerksamkeit fordern.201

3.1. Korrumpierbarer Journalismus?

Die eine These lautet, dass Journalisten nicht mehr als andere Berufsgruppen zur Korruption neigen, die andere, dass Journalisten gerade in heutigen Zeiten, in denen der wirtschaftliche Druck immer größer wird, auch korrumpierbarer sind. Das Problem bei dieser Fragestellung steckt im Detail: Wenn man einen Redakteur zu einem Mittagessen in ein Haubenlokal einlädt – ist das schon eine unzulässige Beeinflussung der Berichterstattung? Wenn der Berichterstatter ein freier (oder, wie es beim ORF geheißen hat, freier-fixer) ist, dann mag diese Frage

198 Vgl. Scholl, Armin/Weissenberg, Siegfried, Journalismus in der Gesellschaft. Forschung, Methodologie und Empirie, Wiesbaden 1998, S 205, in: Schlink, S 8 199 Vgl. Renger, Rudi, Populärer Journalismus. Nachrichten zwischen Fakten und Fiktion, Innsbruck 2000, S. 359 200 Vgl. ebd. 201 Vgl. Lünenborg, 2002, in: Schlink S 12

74 Das Österreichische Fernsehen – Demokratiepolitischer 3. Über den Journalismus Bildungsauftrag oder Quote ?

schon seine Berechtigung haben, vor allem wenn es sich um politische bzw. wirtschaftliche Berichterstattung handelt. Franz M. Bogner stellt in seinem Buch über „Das neue PR-Denken“ fest, dass „Geschenke an Journalisten zu Weihnachten, bei Presseveranstaltungen oder bei engem Kontakt auch beim Geburtstag vom Wert her Bagatellbeträge nicht übersteigen sollen“.202 Kreativität und Einfallsreichtum sind hingegen in höchstem Maße gefragt. Natürlich ist die Großzügigkeit gegenüber Journalisten von Branche zu Branche verschieden. Im Reise- und Motorjournalismus ist es anders als im Wissenschafts- und Bildungs- bereich.203 Denn was hätten die zu verschenken? Ein Seminar auf der Uni? Die Frage stellt sich fürs Fernsehen nicht so direkt, denn die politischen Kommentatoren werden von politische Parteien hofiert oder gehören sogar diesen an bzw. zeigen ihre Sympathie für die eine oder andere Richtung (Beispiele Werner Mück, der eindeutig der ÖVP zuzurechnen war, oder Helmut Oberhauser, dem FP-Nähe nachgesagt wird).204 Alleine, dass ehemalige Kanzler- oder sonstige Ministersekretäre im ORF immer wieder hohe Positionen erlangten (siehe Zeiler, Kalina) beweist, dass auf politischer Ebene sehr manipulativ, wenn auch nicht korrumptiv, gearbeitet wurde. Ob sich jetzt Journalisten/Redakteure durch irgendwelche Offerte und Karrieremöglichkeiten in ihrer Berichterstattung beein- flussen lassen, ist primär eine Charaktersache.205

3.2. Chancen für Journalisten

Journalisten in Wirtschaft und Verwaltung werden zunehmend gesucht. Noch dazu, da die Bezahlung in diesen Bereichen oftmals eine höhere als beim Fernsehen oder in manchen Printmedien ist. Wirtschafts- und Industriebetriebe gestalten zudem die interne Kommunikation professioneller – mittels Werkzeitung, der Entwicklung eines Leitbilds und dessen kommunikativem Transport. Während früher häufig Mitarbeiter des jeweiligen Unternehmens die Öffentlichkeitsarbeit als Nebenaufgabe erledigten, wird heute stärker auf journalistisches Know-how Wert

202 Vgl. Bogner, Franz M., Das neue PR-Denken, Wien 2000, S 159 203 Ebd., S 160 204 Das könnte als Unterstellung des Verfassers ausgelegt werden, konnte jedoch in vielen Zeitungen und Zeitschriften nachgelesen werden, hingegen man Fritz Dittlbacher, trotz seiner eindeutigen SP-Nähe, keine einseitige Berichterstattung nachsagen kann 205 Vgl. Bogner, S 160

75 Das Österreichische Fernsehen – Demokratiepolitischer Bildungsauftrag oder Quote ? 3. Über den Journalismus

gelegt.206 Als (unbestätigte) Zukunftsprognose kann angenommen werden, dass langfristig für zentrale Ressorts wie Politik, Kultur, Wirtschaft und Sport eher mit einem Rückgang an Stellen zu rechnen sei, während die Lokalressorts aufgestockt werden. Beim österreichischen Fernsehen hat sich die Komplettübernahme des Spartensenders TW1 dahingehend ausgewirkt, dass eine unterbeschäftigte Sportredakteursmannschaft (Anm. d. Verf.) eine zusätzliche Aufgabe bekam und dadurch auch sogenannte Randsportarten wieder ins „Bild“ gerückt wurden. Dies vor allem auch aufgrund des Wettbewerbs mit Premiere , das z. B. die Eishockey- und die Basketball-Ligen teils in Live- Übertragungen ausstrahlt. Darüber hinaus hat auch Österreich eine zunehmende Pressekonzentration zu verzeichnen. Nicht nur die bereits erwähnte Kronen Zeitung, sondern auch der Styria-Verlag und seit Neuestem die Tiroler Moser-Gruppe (übernahm die oberösterreichischen Rundschauen und verschiedene Bezirksblätter österreichweit, wobei jetzt auch ein gemeinsames Vorgehen mit Styria – jetzt umbenannt in Styria Media Group – vorgesehen ist) bzw. der News-Verlag mit Format, Profil, News, Woman und andere traten besonders hervor. Und hier beginnt die Jagd nach „guten Storys“, wobei der Wahrheitsgehalt oder die Genauigkeit der Recherche für viele Journalisten zweitrangig ist. Es muss festgestellt werden, dass der ORF hier sicherlich von diesen Fällen (noch) nicht in dem Maße betroffen ist.

3.3. Der Vergleich ORF und Printmedien

Kein Massenmedium hat unser Leben stärker verändert als das Fernsehen. Offenbar ahnten die Väter des Fernsehens in Österreich die anstehende Revolution, denn mit der traditionellen österreichischen Skepsis allem Neuen gegenüber wurde als erste reguläre TV-Sendung am 1. August 1955 eine tiefschürfende Diskussion zum Thema „Ist das Fernsehen eine Gefahr für die Presse" angesetzt. Für den Österreichischen Rundfunk hatte nach dem Zweiten Weltkrieg der Aufbau einer flächendeckenden Rundfunkversorgung Priorität, was

206 Vgl. Kirsch, Katharina, Eine Sozialanalyse der Gegenwart. Der Journalist im aktuellen Kontext, Bamberg 2002, S 14

76 Das Österreichische Fernsehen – Demokratiepolitischer 3. Über den Journalismus Bildungsauftrag oder Quote ?

aufgrund der gebirgigen Topographie des Landes schwierig war. Das Fernsehen musste sich daher gedulden.207 „Österreich hat z. B. zehn Mal so viele Sendestationen wie Irland oder Belgien, weil die Berge zu überwinden sind."208 Und doch hat sich das Fernsehen durchgesetzt, obwohl es auch von damaligen Spitzenpolitikern, wie an anderer Stelle erwähnt, zuvor in Frage gestellt wurde. Es kann angenommen werden, dass die innere Konkurrenz im ORF grundsätzlich stärker ausgeprägt ist als in den Zeitungsredaktionen. Ein kleiner signifikanter Unterschied besteht vor allem darin, dass bei einer Umfrage das Item „Die Konkurrenz zu anderen Redaktionen“ im Print-Bereich höher ist, jedoch „Wie empfinde ich meine(n) KollegInnen in der eigenen Redaktion?“ beim ORF die größte Zustimmung erhielt.209 Und daran hat sich sicherlich bis heute nichts geändert, noch dazu nach der Aufnahme von weiteren 1.300 MitarbeiterInnen unter der Intendanz von Monika Lindner.210 „Wir haben 4.500 Fahrdienstleiter ohne Zug im ORF sitzen.“211 In diesem Zusammenhang mit dem Empfinden der innerredaktionellen Konkurrenz stehen die vorhandenen oder nicht vorhandenen Aufstiegschancen. Obwohl nur marginale Unterschiede zwischen den Institutionsgruppen bestehen, ist auffallend, dass die Zufriedenheit mit den Aufstiegschancen im ORF am geringsten ist. „Aus dem Verhältnis von Erwartungen und Bedingungen sind Annahmen über Potentiale von Arbeitszufriedenheit bzw. Arbeitsunzufriedenheit zu entwickeln.“212 In einem Gespräch mit dem Verfasser äußern sich hingegen einige Mitarbeiter, wie der innenpolitische Redakteur und Kommentator Fritz Dittlbacher, sehr positiv über das Klima.213 Hans Georg Heinke meint, dass „das Arbeitsleid im ORF noch immer mehr Qualität hat, als anderswo die Arbeitsfreude“.214

207 Vgl. Ergert, Viktor, Die Geschichte des Österreichischen Rundfunks, Band II, Wien 1977, S 45 ff. 208 Interview mit Dr. Hugo Portisch am 5. 12. 2007 209 Vgl. Böhm, Wolfgang, Voraussetzungen journalistischen Handelns in ORF und Printmedien, Wien 1991 210 Interview mit Teddy Podgorski im Café Gutruf am 4. 12. 2007 211 derselbe 212 Vgl. Neverla, Irene, Arbeitszufriedenheit von Journalisten, München 1979, S 113 213 Interview mit Fritz Dittlbacher am 28. 6. 2007 214 Interview mit Hans Georg Heinke am 4. 12. 2007 im Café Landtmann

77 Das Österreichische Fernsehen – Demokratiepolitischer Bildungsauftrag oder Quote ? 3. Über den Journalismus

3.4. Die Ethik im Journalismus

Walther von La Roche definiert das journalistische Berufsbild anhand der Tätigkeiten:215

. Recherchieren und Dokumentieren . Formulieren und Redigieren . Präsentieren . Organisieren und Planen Immer mehr freie Journalisten arbeiten, um zu überleben, nicht mehr ausschließlich im klassischen Journalismus, sondern zusätzlich im Bereich der Presse- und Öffentlichkeitsarbeit. Das kann zu Interessenskonflikten führen. Das Netzwerk Recherche und andere Verbände und Gruppen fordern deshalb eine strikte Trennung der Tätigkeiten von Journalismus und Pressearbeit.216 Dem Prinzip Öffentlichkeit und dem Recht auf freien Zugang zur Information entspricht eigentlich, dass alles veröffentlicht wird. Vor allem die englischen Medien, mit Ausnahme der BBC, haben dies vielfach überzogen.217 Aber die Veröffentlichung von „allem“ heißt, dass ernst genommene Freiheit dem Bürger das Recht einräumt, sich grundsätzlich über alles informieren zu können. Notwendig stellt sich damit für die Praxis die Frage, ob der „Wert“ der Pressefreiheit selbst auf Kosten anderer Aspekte, etwa jenem der Staats- sicherheit, gehen dürfe. Vom Standpunkt der Ethik her, gibt es keine Diskussion über die Forderung, dass der Bürger ein Recht auf Information hat.218 Es gibt in mancher Literatur einen Topos, dass jede Gesellschaft die Medien hat, die sie verdient. Das aber ist ungerecht der Gesellschaft gegenüber. Denn welchen Einfluss hat die Gesellschaft wirklich? Hat diese einen Anspruch auf Bildung, Demokratie oder eben Werbung? Und ist es gerechtfertigt, Individuen und Gesellschaft als Träger von Kultur, Bildung und gesellschaftlicher Kommunikation sowie des kommunikativen Niveaus des Prozesses zu definieren?219 Der ORF hatte im Jahr 1974 hinzunehmen, dass der Dualismus zwischen Legislative und

215 Vgl. La Roche, Walther, in: http://www.journalistische-praxis.de/pj 216 Vgl. ebd. 217 Anmerkung des Verfassers 218 Vgl. Schneider, Peter, Pressefreiheit und Staatssicherheit, Mainz 1968, S 76 219 Vgl. Huter, Alois, Ethik der Massenkommunikation, Wien 1980, S 38

78 Das Österreichische Fernsehen – Demokratiepolitischer 3. Über den Journalismus Bildungsauftrag oder Quote ?

Exekutive zur Illusion geworden ist. Und da stellt sich natürlich die Frage, inwieweit das Bildungsprogramm eingeschränkt bzw. einseitig gestaltet wurde. In den ORF-Programmrichtlinien, die auch Bestandteil aller Dienstverträge sind, und auf die sich z. B. auch der Bundeskommissionssenat beruft, steht u. a.:

(…) bei der Programmgestaltung ist in jedem Fall darauf zu achten, dass die Würde des Menschen gewahrt bleibt, die Intimsphäre des Individuums nicht verletzt und die Grundrechte anderer geachtet werden.220

Im Ehrenkodex für publizistische Arbeit des österreichischen Presserates steht zu Beginn:

Journalismus bedingt Freiheit und Verantwortung.221

Dieser Satz mag widersprüchlich wirken, da doch Freiheit oft als Entbindung von Verpflichtungen und von Verantwortung verstanden werden kann. Auch der Begriff des „Laisser-faire“ ist in diesem Zusammenhang zu nennen. Wenn man „Ethik“ schreibt, muss auch Arbeitsethos erwähnt werden, da gerade durch die zunehmende Konkurrenzierung untereinander – auch im journalistischen Bereich – ein machthungriges, auf dem Gewinn „einer guten Story“ basierendes Arbeitsethos beeinflusst wird. Die Redaktion wird als Arena für den Kampf ums Überleben wahrgenommen, Toleranz, Wertschätzung der Vielfalt sowie der Mut, sich mit Institutionen auseinanderzusetzen, würde die Konkurrenzierung mäßigen.222 Das Fernsehen in Österreich hat sich ja durch seinen Programmauftrag und sein Redakteurstatut selbst reglementiert.

220 Vgl. PR-L des ORF-G § 23 Abs. 2 Z 1, Stand 1. 8. 2007 221 Vgl. Österreichischer Presserat: Grundsätze für die publizistische Arbeit. Ehrenkodex der österreichischen Presse, Wien 1999, S 2 222 Vgl. Laszlo, Ervin, Evolutionäres Management, Fulda 1992, S 192

79 Das Österreichische Fernsehen – Demokratiepolitischer Bildungsauftrag oder Quote ? 3. Über den Journalismus

3.4.1. Definition von Ethik

Ethik wird als die philosophische Wissenschaft vom Sittlichen bezeichnet, Gegenstand ihrer Betrachtungen sind die menschlichen Handlungen, die Gesinnung aus der diese hervorgehen und die von ihnen erzeugten Wirkungen, sowie Werte und Normen selbst.223 Und besonders für den öffentlich-rechtlichen Auftrag ist die Ethik der Berichterstattung ein unverzichtbarer Bestandteil journalistischer Arbeit. Oftmals steht die Person des Journalisten im Zentrum der Betrachtung, mitverantwortlich für dessen Handeln ist aber genauso der Programmgestalter, dem dadurch eine verantwortungsvolle Aufgabe zukommt, auch in dem Sinne, dass er seinem Redakteur den Rücken stärken muss. Rein rechtlich bewegt sich der Journalist zwischen der Pressefreiheit auf der einen und dem Persönlichkeitsrecht auf der anderen Seite. Gewisse Rechte müssen ihm dabei eingeräumt werden, zum Beispiel muss er seinen Informanten schützen. Manche bedienen sich, aus wettbewerblichen Gründen durchaus zweifelhafter Recherchemethoden, die jedoch durch ORF-Gesetz per se ausgeschlossen sein sollten. Moralische Ansprüche zu stellen ist im ungeschützten Bereich nicht angebracht, jedoch gerade beim öffentlich-rechtlichen Fernsehen (und auch beim Hörfunk) sollte es keinen Wettbewerbsdruck geben, da diese Institutionen durch den Gesetzgeber freigespielt sein sollten. In der Praxis werden auch die Öffentlich- Rechtlichen an den Einschaltquoten gemessen und lassen sich durch die ungenaue Gesetzesfestlegung und den budgetären Druck in zunehmende Bedrängnis bringen. Jeder Journalist muss sein Produkt zweimal verkaufen – dem Auftraggeber und dem Publikum. Der Journalist beim Österreichischen Fernsehen zum Beispiel sollte von diesem Druck befreit sein. Die Realität sieht anders aus – denn neben dem Publikum und den ORF-Verantwortlichen kommt hier auch noch die Politik dazu, was die Aufgabe zusehends erschwert. Mancher Journalist unterstützt Methoden wie die des sogenannten Scheckbuch- oder Enthüllungsjournalismus. Gerade bei den Nationalratswahlen am 28. September 2008 wurde diese Ethik der Medienschaffenden durch die Boulevardmagazinmacher Hans Dichand und Wolfgang Fellner verletzt und

223 Vgl. Meyers großes Taschenlexikon, Mannheim, Leipzig, Wien 1999

80 Das Österreichische Fernsehen – Demokratiepolitischer 3. Über den Journalismus Bildungsauftrag oder Quote ?

damit auch die Ethik der für die in diesen Medien schreibenden Journalisten auf eine mehr als harte Probe gestellt.

Ein Beispiel: Falls es zu einem Bericht im Sinne des Bildungsauftrags über den Darwinismus kommt, ist der Zuseher auf die Meinung des Berichterstatters angewiesen. Nach ethischer Definition ist es nicht erlaubt, persönliche Meinungen einfließen zu lassen. Hier sollte eben ein klarer Unterschied zwischen Sendern des öffentlich-rechtlichen Programmauftrages bestehen und den Privatsendern, die solchen klaren Beschränkungen nicht unterliegen.224

3.5. Soziale Verantwortung: Der Journalist als Multiplikator und gesellschaftliche Machtinstanz

Der Umgang mit Freiheit ist, wie in allen menschlichen Bereichen, niemals problemlos, gerade nicht im Journalismus, der doch eine hohe Verantwortung trägt, derer sich viele nicht, manche zu sehr (durchaus auch im Sinne der subjektiven und subtilen Beeinflussung) bewusst sind. Armin Thurnher hat im Rahmen der 3. Österreichischen Medientage folgendes Zitat von Kierkegaard gebraucht:

Die Pressefreiheit zu Ende gedacht, ist mit der Menschenwürde unvereinbar.225

Die Überlegung von Thurnher ist, dass das Menschenrecht der Meinungsfreiheit eingeschränkt werden kann. Und zwar dann, wenn laut Österreichischer Verfassung die Gesellschaft den Schutz der Gesundheit und Moral bedroht sieht. Das zielt auf die Verhinderung von Auswüchsen hin. Was aber, wenn der Journalismus als solcher die Meinungsfreiheit bedroht, und er der Auswuchs an sich ist?226 Medienmoral hat, wie jede Moral, mit Tausch zu tun. Korrekt geht es

224 Vgl. die Debatten in den USA über den Creationismus, in Italien oder auch jüngst in der Türkei; in allen diesen Ländern ist ein durchaus subjektiver Journalismus gang und gäbe. In Österreich oder auch bei ARD und ZDF dürfen in keiner Richtung Beeinflussungen getätigt werden. 225 Vgl. Der betrogene Leser. Was haben Ethik und Moral noch mit Journalismus zu tun?, in: Der Standard, 18. 9. 1996 226 Vgl. Tüchler, Gabriele, Qualität und Ethik in der aktuellen Fernsehberichterstattung, Wien 2000, S 81

81 Das Österreichische Fernsehen – Demokratiepolitischer Bildungsauftrag oder Quote ? 3. Über den Journalismus

dabei zu, wenn Gleichwertiges getauscht wird und gewisse Dinge als nicht käuflich ausgeschlossen bleiben.227 Dazu zählen Werte wie Gerechtigkeit oder Menschenrechte. In dem Moment, wo getauscht wird, was nicht zu tauschen ist, wo unverkäufliche Dinge verkauft werden, beginnt die Korruption. Und der Verkauf von Meinungsfreiheit sei ein klassischer Fall von Korruption, meint Thurnher. Auch nach den Richtlinien des ORF darf es niemals zu solch einem Ausverkauf kommen, Beeinflussungsversuche gibt es jedoch immer wieder – auf allen Ebenen. Anfällig auf solche „Kaufangebote“ sind jedoch in erster Linie Printmedien und privatwirtschaftlich organisierte Sender, die nicht auf Gebühren, sondern auf Anzeigen bzw. Spots angewiesen sind. Daher sind die Fesseln der Einhaltung der Meinungsfreiheit und der objektiven Berichterstattung in öffentlich-rechtlichen Bereichen umso enger. Es stellt sich weiters die Frage, inwieweit durch wettbewerbsverändernde Bedingungen im Bereich des Nachrichten- und Dokumentarjournalismus die Befriedigung der Zuschauer und erhoffter Markterfolg neben der Recherche und der Begleitung politischer Entscheidungen wichtiger geworden sind.228 Gerade wenn man von steigender Mediennutzung ausgeht, nunmehr verteilt auf verschiedenste Kanäle und andere technische Möglichkeiten, scheint die Forderung der Wahrnehmung sozialer Verantwortung durch Journalisten (auch Web-Portale werden großteils von Journalisten geschrieben) aktueller denn je. Auf das tatsächliche Verhalten von Journalisten kann durch die Untersuchung von Trends bei der Art der Berichterstattung, der Auswahl der Themen und der Intensität der vorangehenden Recherche geschlossen werden. Gerade bei einem demokratiepolitischen Bildungsauftrag sollte davon ausgegangen werden, dass es hier für die Journalisten zu keinerlei Einflussnahme und Interventionen von außen, durch Parteien oder Interessensverbände, kommt. Manchmal werden auch in der Informationsberichterstattung begierig Gerüchte aufgeschnappt, wird unter die Gürtellinie geschlagen und skrupellos mit unlauteren Methoden gearbeitet.229 Fairerweise muss man dazu anmerken, dass sich die Beschaffung von Informationen durch unlautere Methoden im Gegensatz zu anderen Staaten in

227 Vgl. ebd., S 82 228 Vgl. Gleich, Ulrich/Groebel, Jo, ARD-Forschungsdienst. Journalismusforschung, Selbstverständnis und Arbeitsweisen und Publikumserwartungen, in: Media Perspektiven 4/1993, München, 1993, S 199 229 Stöckel, Wolfgang, Den eigenen Darm spiegeln, Bonn 2002, S 4

82 Das Österreichische Fernsehen – Demokratiepolitischer 3. Über den Journalismus Bildungsauftrag oder Quote ?

Österreich noch nicht durchgesetzt hat (Beispiel Großbritannien). Jedoch schlägt dafür hier zu Buche, dass unter dem Deckmäntelchen der Demokratie und Bildung eine „Interventionitis“ eingesetzt hat, die auch durch die mehrmalige Änderung des Rundfunkgesetzes nicht eingedämmt werden konnte. Echauffierte sich in Zeiten der SPÖ-Alleinregierung die Opposition über den „Rotfunk“, so trat in der VP-FP- Koalition eine Umkehrung der Verhältnisse ein. Die Zahl derjenigen, die in den traditionell beliebten und einseitigen, manchmal idealisierten Beruf des Journalisten hineinzudrängen versucht, steigt von Jahr zu Jahr. Nicht umsonst hat das Fernsehen einen Aufnahmestopp verfügt, auch aufgrund des um ein Drittel gestiegenen Personals. Wobei aber gleichzeitig der Rechnungshofbericht vorschlägt, verstärktes Outsourcing zu betreiben, was den Intentionen einer Beschäftigungspolitik nicht gerade entgegenkommt.

3.6. Die Selbstsicht der Journalisten

Der Journalist selbst sieht, dass in den nächsten Jahren – vor allem im öffentlich- rechtlichen Bereich – Information, Unterhaltung und Orientierungshilfe zu den überwiegenden Aufgaben gehören werden, kaum oder weniger ins Gewicht dagegen würden Bildung, gesellschaftliche Werte, Kritik, Kontrolle, gesellschaftliche Integration und Meinungsbildung fallen.230 Diese deutsche Studie ist sicherlich auch auf die österreichischen Verhältnisse umzulegen, noch dazu, weil hier ein noch stärkerer Druck auf die Informationsredakteure ausgeübt wird. Mitarbeiter des ORF, die aber nicht genannt werden wollen, berichten über die extreme Einflussnahme des damaligen Informationschefs Werner Mück auf die Berichterstattung und die Auswahl der InterviewpartnerInnen. Tatsächlich möchte der Konsument beim Fernsehen „entspannen, abschalten können“, daher bestimmt manchmal die Nachfrage auch das Angebot. Ob aber die 17. Wiederholung einer Folge der Serie „Der Bulle von Tölz“ die richtige Entspannung ist, oder man dann doch lieber auf umfassende andere Programmangebote ausweicht, ist eine interessante Frage, erreicht doch gerade oben erwähnte Serie trotz der zahllosen Wiederholungen immer noch gute

230 Vgl. Weichsenberg, Siegfried/Altmeppen, Klaus-Dieter u. a., Die Zukunft des Journalismus. Opladen 2001, S 154 ff.

83 Das Österreichische Fernsehen – Demokratiepolitischer Bildungsauftrag oder Quote ? 3. Über den Journalismus

Quoten. Im Gegensatz zum Fernsehen liegt der Schwerpunkt für Zeitungsleser hingegen in der Informationsgewinnung.231 Diese Annahme ist jedenfalls in Österreich teilweise infrage zu stellen, denn diverse Boulevardmedien, wie z. B. die Kronen Zeitung, beschränken sich bei der Vermittlung von Informationen mehr auf den Sport. Objektive und umfassende Information ist kaum gegeben. Auch das Fernsehen beweist in jüngster Zeit durch den Ersatz informationsbildender Sendungen durch sogenannte Telenovelas den Versuch, Quote zu erzeugen und eine marktrelevante Zielgruppe zu gewinnen bzw. zu halten. Im Vorabend- programm wurde, nach dem Flop von „Mitten im Achten“, rasch eine Lösung versucht, um das Ende der „Zeit im Bild“-Durchschaltung doch zu rechtfertigen. Gemeinsam mit dem Privatsender SAT1 wurde „Anna und die Liebe“ produziert, außerdem läuft die US-Sitcom „Friends“232, also Trivialberieselung pur. Echte journalistische Herausforderungen schauen anders aus. (Anm. d. Verf.) Krampfhaft versucht hier das öffentlich-rechtliche Österreichische Fernsehen private Fernsehkonzepte aufzunehmen und die journalistische Berichterstattung hintanzuhalten. Ob das auch wirklich dem Bildungsauftrag entspricht, ist zu bezweifeln. Der Selbstsicht der dokumentierenden, berichterstattenden Journalisten entsprechen solche Produkti-onen wohl kaum. Aber auch hier gilt der Druck der Quote, der – so eigenartig dies auch scheinen mag – durch gemeinsames Produzieren und Senden auf zwei unterschiedlich beauftragten Kanälen erfüllt werden soll.

3.7. Die neuen Herausforderungen für die Journalisten

Ein Journalist, der Karriere machen will, sollte entweder gute „Drähte in die Führungsetage“ haben (Anm. d. Verf.) oder er muss sich durch gute Storys einen Namen machen. Ersteres widerspricht sicher dem gesetzlichen Demokratie- auftrag, Zweiteres ist in der letzten Zeit vor allem Christoph Feurstein durch seine einfühlsamen Reportagen und Interviews gelungen, für die er auch mehrfach

231 Vgl. Kirsch, Katharina, Eine Sozialanalyse der Gegenwart – Der Journalist im aktuellen gesellschaftlichen Kontext, Bamberg 2002 232 Vgl. Käfer, Patricia, in: Die Presse, 31. 7. 2008, S 28

84 Das Österreichische Fernsehen – Demokratiepolitischer 3. Über den Journalismus Bildungsauftrag oder Quote ?

ausgezeichnet wurde (Renner-Preis, CNN). Analog zu den internationalen Ehrenkodizes, worauf auch wieder die ORF-Programmrichtlinien verweisen, steht:

(…) Journalismus heißt Verantwortung tragen, und zwar gegenüber der Öffentlichkeit, dem betreffenden Medium und dem eigenen Gewissen. Demnach sind Gewissenhaftigkeit und Korrektheit in Recherche und Bericht oberste Verpflichtung des Journalisten. Dies gilt auch für die Beschaffung von Nachrichten, Bildern und sonstigem Informationsmaterial. (…) Bei Berichten über die Intimsphäre ist das öffentliche Interesse an der Information gegenüber dem Interesse des Einzelnen und seiner Angehörigen an der Wahrung dieser Intimsphäre abzuwägen.233

Natürlich muss auch auf die Veränderung der internationalen Medienlandschaft Bedacht genommen werden, für manche bedeutet „Medienmachen“ bloß einen Geschäftszweig wie jeder andere – ohne Skrupel, so wie Unterwäsche oder Fast Food werden auch Nachrichten „produziert“. Das Ernstnehmen ethischer Kriterien oder das Funktionieren von Selbstkontrolle gibt es dabei nicht. Der österreichischen Medienlandschaft geht es wirtschaftlich schlecht, daher ist auch hier die Gefahr gegeben, dass an die Mitarbeiter appelliert wird, auf Skrupel in eigenem Interesse zu verzichten.234 Journalistische Freiheit, samt der Freiheit zur Anständigkeit, muss man sich ökonomisch leisten können. Gravierende Unterschiede gibt es auch zwischen einem Print- und einem Fernsehjournalisten. Ersterer schreibt seinen Text, um den Rest kümmern sich andere. Der Fernsehjournalist muss wissen und verstehen, was unmittelbar während der Produktion geschieht, um einen guten Filmbeitrag zu gestalten, denn er ist in fast alle Produktionsschritte einbezogen235, vielleicht mit Ausnahme der Wahl der Themen, die ihm oft vorgegeben werden. Das Fernsehen ist jedoch ein weitaus oberflächlicheres Medium als die Zeitung, denn hier fehlt eben der Response-Effekt und auch die Möglichkeit, nochmals

233 Vgl. Parlamentsenquete am 3. 7. 2008 zum Thema über eigenverantwortlichen Journalismus, Erklärung von Fritz Wendl, Vorsitzender des ORF-Redakteursrates 234 Vgl. Fritz Wendl, ebd. 235 Vgl. Marciniak, Carl, Fernsehjournalismus, Augsburg 2007, S 11

85 Das Österreichische Fernsehen – Demokratiepolitischer Bildungsauftrag oder Quote ? 3. Über den Journalismus

etwas nachzulesen. Jedoch durch die Zukunft der interaktiven Medien wird auch hier ein rasches Feedback ermöglicht (teils verbunden mit gebührenpflichtigen Telefonanrufen). Im Fernsehen zählt nur der Augenblick.236 Das kann der verantwortungsvolle Fernsehjournalist nun als Risiko, aber noch mehr als Chance sehen. Gerade bei der Erfüllung des öffentlich-rechtlichen Bildungsauftrags ist die Gefahr, dass ein Beitrag, beispielsweise bei politischen Dokumentationen, oberflächlich gestaltet wird, weil einerseits ein anspruchsvolles Publikum, andererseits ein schnell überfordertes vor dem Fernsehgerät sitzt. Hier kann man zynisch einwenden, dass der ORF anspruchsvolle Sendungen erst zu einer Zeit zeigt, in der wirklich nur noch Menschen zusehen, die unbedingt auf diesen Beitrag gewartet haben, daher interessiert, aber wenige sind – dann wird aber erst recht kein Bildungsauftrag erfüllt. Und auch das Verhalten selbst hat sich geändert, denn das Bild ist extrem prägend (grundsätzlich jedoch ist, wie Marciniak ausführt, die Aufmerksamkeit beim Hörfunk viel konzentrierter237).

236 Vgl. ebd. 237 Vgl. ebd., S 12

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Das Österreichische Fernsehen – Demokratiepolitischer 4. Der ORF als Bildungsauftrag oder Quote ? Bildungsstandard

4. Der ORF als Bildungsstandard

Pius Strobl, Kommunikationschef des ORF, stellt fest: „Grunddefinition des öffentlich-rechtlichen Rundfunks, eben auch des Fernsehens, ist es, den Bildungsstandard zu gewährleisten. Da das Geld kein Mascherl hat, fließt alles in ein Budget, daher die Frage: Ist der ,Musikantenstadl’ eine öffentlich-rechtliche Produktion genauso wie die Burgtheater-Übertragung? Sag ich zu Ersterem „Nein“, zu Zweiterem „Ja“, kommt die Frage, warum drei Millionen Gebühren zahlen müssen, damit sich 30.000 Burgtheater-Fans vor dem Fernsehschirm freuen, umgekehrt befriedige ich aber eine runde Million Zuseher.“238 Edgar Böhm ergänzt, indem er anführt, dass der öffentlich-rechtliche Auftrag genauso auch durch Volksmusiksendungen erfüllt wird, denn Quotenbewusstsein und öffentlich- rechtlicher Bildungsauftrag seien kein Widerspruch.239 Damit hat Strobl in einem Interview, das der Verfasser dieser Arbeit mit ihm für diese Dissertation Ende Oktober geführt hat, den Nagel auf den Kopf getroffen. Denn während die Kastelruther oder die Oberkrainer240 Bestandteile des realen Lebens sind, erscheint es bei einen Auftritt von Gert Voss schwierig, diesen so zu definieren.241 Was aber wollten die Betreiber des ORF-Volksbegehrens 1964? Es waren ja die großen Tageszeitungen, die in einer seltenen Einmütigkeit dieses Volksbegehren, das sich zu einem der effektivsten in der Geschichte Österreichs entwickeln sollte, durchführten. Oberste Prämisse war die Errichtung einer vom Parteieneinfluss unabhängigen TV-Anstalt.242 Das Volksbegehren vor dem Hintergrund der damaligen politischen Verhältnisse zu beleuchten (Österreich war nicht nur politisch mehrheitlich konservativ, sondern vor allem mentalitätsmäßig), ist eine der interessantesten Aufgaben dieser Arbeit. Denn im Rückblick erscheint mir dieses Volksbegehren beinahe als ein Hilfeschrei gegen eine unglaubliche Parteienbevormundung, und zwar nicht eingeteilt in die herkömmliche

238 Vgl. Interview mit Pius Strobl 239 Vgl. Interview mit Edgar Böhm 240 Die Kastelruther Spatzen und die Oberkrainer sind in Österreich und Deutschland sehr prominente Volksmusikgruppen, die in diversen Fernsehsendungen und auch als Alleinunterhalter immer wieder auftreten, Anm. d. Verf. 241 Interview mit Pius Strobl am 27. 10. 2007 im ORF 242 Vgl. Ergert, Viktor, w.o., Band III, S 59

88 4. Der ORF als Das Österreichische Fernsehen – Demokratiepolitischer Bildungsstandard Bildungsauftrag oder Quote ?

Farbenlehre, sondern parteiübergreifend. Erst seit damals lernten die Parteien das Instrument des Volksbegehrens kennen und verwässerten dieses schließlich erfolgreich. Die Frage stellte sich immer schon, denn der ORF hatte schon in den frühen 70er- Jahren „aufregende“ Sendungen wie „Wünsch Dir was“, das immer wieder durch extreme Aktionen auffiel (von der transparenten Bluse243 einer Kandidatin bis zur roten Nelke des Moderators Dietmar Schönherr244), im Programm. Der heutige Unterhaltungschef Böhm meint, dass vor allem diese Sendung im Konnex mit der Aufbruchstimmung Ende der 60er-, Anfang der 70er-Jahre bewusste Tabus gebrochen hat,245 etwas, das man sich heute nur mehr schwer vorstellen kann. So „durfte“ der Künstler Friedensreich Hundertwasser seine begrünten Häuser vorstellen und wurde dafür heftig kritisiert.246 Heute kann man sich diese damalige Innovation kaum mehr aus einer Großstadt wegdenken. Auch wurde damals die interaktive Abstimmung eingeführt, d. h. die Zuschauer konnten den Sieger der Sendung bestimmen, indem sie für die jeweilige Kandidatenfamilie entweder alle Elektrogeräte einschalteten (Lichttest) oder die Toilettenspülung betätigten. In den Wasser- bzw. Elektrizitätswerken der dafür auserkorenen Städte kam es auf dem zentralen Leistungszähler zu einem mehr oder weniger deutlichen Ausschlag, den das Fernsehpublikum per Live-Schaltung verfolgen konnte. Heute wird dies, kostenträchtig, per Telefonabstimmung durchgeführt. An „Wünsch Dir was“ arbeiteten damals besonders kreative Köpfe mit:247 André Heller, Peter Hajek, der Chef des Schweizer Unterhaltungsfernsehens, Guido Baumann, Kuno Knöbl248,

243 Bei der ORF- und ZDF-Eurovisionssendung „Wünsch Dir was" unter der Moderation des schon damals politisch engagierten Schauspielers Dietmar Schönherr wurde eine Kandidatin präsentiert, die sich in einer, damals durchaus gängigen transparenten Bluse zeigte. Es handelte sich um Leonie Stöhr, Jahrgang 1953. Heute ist sie Frauenärztin, damals wurde sie mit ihrem Auftritt zum öffentlichen Skandal: Am 7. November 1970 lernte so ein Millionenpublikum den Busen dieser Frau kennen. Die Zeitungen warnten vor einem „Anschlag gegen den guten Anstand"; katholische Eltern schrieben dem Sender, sie hätten ihren Kindern die Augen zuhalten müssen bei soviel Obszönität, vgl. dazu www.wallstreet-online.com, Zugriff 13. 11. 2008 244 Dietmar Schönherr, trat bei der Sendung, die er mit seiner Frau Vivi Bach moderierte, im Präsidentenwahlkampf, in dem wiedergewählt wurde, mit einer roten Nelke im Fernsehen auf, um seine Sympathie für Jonas zu zeigen. (Anm. d. Verf.) 245 Vgl. Interview mit Edgar Böhm 246 Vgl. Schmied, Wieland, Persönlichkeit, Leben, Werk. Hundertwasser 1928–2000, Köln 2000 247 Vgl. Interview mit Edgar Böhm, w. o. 248 Kuno Knöbl war damals Unterhaltungschef des ORF und erlangte Bekanntheit, als er mit einer Dschunke beweisen wollte, dass bereits die Chinesen bzw. Polynesier bis nach Südamerika segeln konnten, vgl. dazu Folge 1, Wünsch Dir was, 20. Dezember 1969, Sammlung Österreichisches Werbemuseum

89 Das Österreichische Fernsehen – Demokratiepolitischer 4. Der ORF als Bildungsauftrag oder Quote ? Bildungsstandard

Josef Kirschner249 und auch der deutsche Regisseur Michael Pfleghar. Hier wurden vom österreichischen Fernsehens erstmals nicht nur technische Herausforderungen abseits der Skiübertragungen angenommen, sondern vor allem auch inhaltliche, gegen alle Widerstände. Das Medium Fernsehen wurde bunter und in gewissem Maße intelligenter. Bundeskanzler Kreisky wusste als einer der ganz wenigen Politiker zu dieser Zeit, das Medium Fernsehen ideal zu nutzen. Seine Erklärungen nach dem wöchentlichen Ministerrat am Dienstag wurden zum Fixpunkt jeder „Zeit im Bild“. Auch die TV-Diskussionen Kreisky – Taus wurden zur Legende.

4.1. Der Kulturbegriff

Das Wort Kultur, ein wesentlicher Bestandteil des Bildungsauftrags, leitet sich etymologisch vom lateinischen Substantiv „cultura“ ab. Dieses Wort bezeichnet zunächst die landwirtschaftliche Tätigkeit: „Bebauung“, „Bearbeitung“, „Pflege“, aber auch die manuellen Elemente wie „Veredelung“ oder „Ausbildung“.250 Die Frage ist daher, welcher Kulturbegriff für die demokratiepolitische Bildung stehen soll: die „Veredelung“ oder die „Bearbeitung“ (im Sinne der geistigen Bearbei- tung)?251 Für Gerd Bacher ist Kultur eine der drei Säulen des öffentlich-rechtlichen Fernsehens.252 Kultur ist das Gedächtnis moderner sozialer Systeme oder anders gesagt; Kultur stellt die Formationsregeln für soziale Kommunikation auf, eben weil sie das Gedächtnis sozialer Systeme ist. Kultur schließt also die Möglichkeit von Erinnern und Vergessen ein. Sie ist Reflexion der Gegenwart über Vergangenes und

249 Vgl. Kirschner: Er arbeitete im Laufe seines Lebens bereits als Stahlarbeiter, Dolmetscher, Werbetexter, Reporter und Chefredakteur. Als Drehbuchautor von „Wünsch Dir was“ war er von 1969 bis 1972 verantwortlich. Ab 1979 folgte die ORF-Sendung „Tritsch Tratsch“. Er war Lehrbeauftragter an der Wiener Universität (vgl. dazu http://oesterreich.orf.at/burgenland/stories/129245) 250 Vgl. Bavandi, Rahim, Marketingentwicklung im ORF unter besonderer Berücksichtigung des kulturellen Angebots, Wien, 2002, S 7 251 Bavandi, Rahim, Marketingentwicklung im ORF unter besonderer Berücksichtigung des kulturellen Angebots, Wien 2002, S 3 252 Vgl. Bacher, Gerd, Interview am 24. 7. 2008 in seinem Haus, Nonnberggasse 14, Salzburg

90 4. Der ORF als Das Österreichische Fernsehen – Demokratiepolitischer Bildungsstandard Bildungsauftrag oder Quote ?

eventuell Zukünftiges, gemessen an dem, was momentan als „wahr“ erscheint. 253 Man könnte also sagen, dass, wenn man Kulturwissenschaft betreiben will, auch immer die Entstehungsgeschichte von dem, was man da eigentlich tut, einbeziehen muss, weil sonst keine Verständlichkeit erreicht werden kann.254 Bacher meint, dass im Zusammenhang mit dem Kulturbegriff „das öffentlich- rechtliche Fernsehen die Zentralanstalt österreichischer Identität ist“255, sowohl berichtend als auch produzierend, wie er meint. Anlässlich einer Rede am 15. September 1974 beim Internationalen Mediensymposium in Vaduz führte er aus:

Österreich gehört zu jenen wenigen Nationen der Welt, die ihre Identität gegen einen viel größeren gleichsprachigen Nachbarn behaupten, absetzen, entwickeln musste. Das österreichische Selbstverständnis wurde immer wieder durch das Deutsche schlechthin in Frage gestellt. Stellen Sie sich einen Augenblick lang vor, es gebe kein Radio und kein Fernsehen, sondern nur Bücher, Zeitungen und Zeitschriften: Wie würde es um die kulturelle Identität Österreichs in so einem Fall bestellt sein? Würde es ihr ähnlich ergehen wie der österreichischen Literatur, die in Deutschland als integraler Bestandteil der deutschen Literatur angesehen wird?256

Bacher ist stolz darauf, die „österreichische Identität vor allem durch mein Kulturprogramm gefördert zu haben“257, wobei er diese Förderung so interpretiert, als „ich immer wieder österreichischen Kulturtreibenden, egal welchen Couleurs diese angehörten, mit dem Fernsehen ein Forum geboten habe“.258 Österreich ist ja seit jeher sehr mit Kultur verbunden. Oliver Rathkolb schreibt von der „Kulturgroßmacht Österreich“259 und zieht dabei einen Bogen vom Ende der Monarchie über die Nationalsozialisten und deren Vereinnahmung der Kultur, die Einflüsse der sowjetischen Besatzungsmacht und deren KPÖ-Vasallen bis hin zur

253 Vgl. www.politlounge.de/essays/modernerkulturbegriff.pdf, Zugriff am 11. 9. 2008 254 Vgl. Mönkeberg, Sarah, Der moderne Kulturbegriff, in www.politlounge.de, Zugriff am 25. 7. 2008 255 Vgl. Interview mit Gerd Bacher 256 Vgl. Schmolke, Der Generalintendant, S 338 f. 257 Vgl. Interview mit Gerd Bacher 258 Vgl. ebd. 259 Vgl. Rathkolb, Oliver, Die paradoxe Republik, Wien 2005, S 295

91 Das Österreichische Fernsehen – Demokratiepolitischer 4. Der ORF als Bildungsauftrag oder Quote ? Bildungsstandard

„kulturpolitischen Grabesstille der Fünfzigerjahre, die damals hauptsächlich durch das Traditionelle geprägt waren“260, was auch auf die Ideenlosigkeit einer erstarrten Politelite zurückzuführen war. (Anm. d. Verf.) Bacher betrachtete das Fernsehen nach eigenen Angaben eben als Bühne für die Kulturschaffenden Österreichs und „machte auch Kultur durch Literatur- verfilmungen von Joseph Roth über Schnitzler bis hin zu Turrini mit seiner Alpensaga“261.262 Hugo Portisch meinte, dass der ORF kaum einen anderen Gesetzesauftrag gründlicher erfüllt hat als den Kulturauftrag. „Es gibt keinen Sender der Welt, würde ich behaupten, der eine so umfassende, alle Gebiete einschließende Kulturberichterstattung hätte wie der ORF. Und, ich glaube, dass alle Kulturschaffenden, wenn sie halbwegs objektiv sind, dem ORF zugestehen, dass er keine einzige kulturelle Tendenz unbeachtet oder ausgeschlossen hätte.“263 Auch Bacher meint, dass die Kultur der einzige Sektor ist, „wo ich heute noch die Ganslhaut bekomme, denn der ORF hat auf den Plan zu treten, als einer, der es möglich macht, wozu andere rein finanziell nicht mehr in der Lage sind, das ist eben öffentlich-rechtliches Fernsehen in höchster Vollendung.“264

4.1.1. Kultur oder Kommerz?

Viele meinen, dass sich diese beiden Begriffe ausschließen, jedoch kann Kultur ohne die entsprechende Vermarktung kaum oder nur schwer existieren. Auch die Medien haben dies erkannt und vor allem eine öffentlich-rechtliche Fernsehanstalt muss sich darüber im Klaren sein, dass sie Kultur (und auch Bildungs-)auftrag nicht alleine finanzieren kann. Jedoch wurde „Kommerzialisierung“ im ORF allzu häufig mit dem Adaptieren von Fremdproduktionen verwechselt und zu wenig auf

260 Vgl. ebd., S 307 ff. 261 Vgl. Bacher im Interview 262 Die Alpensaga ist ein sechsteiliges Fernseh-Drama von Peter Turrini und Wilhelm Pevny. Sie behandelt die Probleme der Landbevölkerung von 1900 bis 1945 (vgl. http://derstandard.at/fs/3058700/Alpensaga-1-und-2?_lexikaGroup=16, Zugriff am 3. 5. 2009). Peter Turrini, ein unkonventioneller Linker, und Wilhelm Pevny, überzeugter Kommunist, stießen mit ihrer Idee doch, nach vorheriger skeptischer Haltung, auf Akzeptanz innerhalb des ORF. (Aussage Gerd Bacher). 263 Vgl. Schmolke, Michael (Hrsg.), Der Generalintendant, Wien 2000; darin findet sich die Rede von Hugo Portisch anlässlich des Abschieds Bachers 1994. 264 Vgl. Gerd Bacher im Interview

92 4. Der ORF als Das Österreichische Fernsehen – Demokratiepolitischer Bildungsstandard Bildungsauftrag oder Quote ?

die eigentliche Kultur- und Bildungsinformation Wert gelegt. Mancherorts wird behauptet, dass die Frage Kultur und/oder Kommerz erst durch die Kommerzialisierung der Medienlandschaft aufgetaucht ist. Der Kulturwissen- schaftler Alois Huter meint, dass „sich die Massenkultur erst im Fernsehen ihr eigenes Medium – eben das Massenmedium – schuf. Wer Kultur sagt, meint immer nur Elitekultur und Elite und Masse sind ein Gegensatzpaar. Daher ist es umso erstaunlicher, dass diese Elitekultur ausgerechnet vom Massenmedium Fernsehen abhängig ist.“265 Gerd Bacher hat sich in einem Vortrag anlässlich der Mainzer Medientage 1988 mit dieser Frage ebenfalls auseinandergesetzt:

Fernsehen zwischen Kultur und Kommerz. Das kann heißen, dass man zwischen Skylla und Charybdis 266 durchlaviert, das kann den Zwang bedeuten, sich für das eine oder das andere zu entscheiden, und es könnte heißen, dass man mit Kommerz Kultur macht. (…) es beginnt ja schon beim Wort: Kommerz ist negativ besetzt, signalisiert Unterwerfung aller anderen Interessen dem Profit. Jedoch – wenn es weniger Profit gibt, ereignet sich weniger Kultur. Kann man also gutes Fernsehen machen und damit auch Geld verdienen? (…) Ich wünschte mir das private Breakfast-TV oder Channel 4 als den täglichen Beweis von Kommerz als Voraussetzung für Kultur“.267

Kommerzielles Fernsehen muss schnell zu einem Geschäft werden, damit es auch die qualitativen Aufgaben erfüllt. In Österreich funktioniert das alles ein wenig provinzieller, nicht nur wegen der Größe des Landes, sondern auch der Einstellung wegen. Auch Österreich wird wieder den Weg der Internationalisierung

265 Vgl. Huter, Alois, Zur Ausbreitung von Vergnügung und Belehrung. Fernsehen als Kulturwirklichkeit, Zürich 1988, S 112 f. 265 Skylla [griechisch „Hündin“] die, lateinisch Scylla, griechische Mythologie: ein sechsköpfiges Ungeheuer, das – nach der „Odyssee“ – an einer Meerenge gegenüber der Charybdis hauste und die Vorüberfahrenden verschlang. Charybdis [ç-] die, griechische Mythologie: der gefährliche Meeresstrudel gegenüber der Skylla, auch als Meeresungeheuer gedacht (siehe dazu http://lexikon.meyers.de/meyers/Skylla bzw. Charybdis) 265 Vgl. Schmolke, Michael (Hrsg.) u. a., Der Generalintendant – Gerd Bachers Reden aus den Jahren 1967 bis 1994, Wien, Köln 2000, S 285 f.

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gehen müssen, nicht wegen der Fremdproduktionen, die von Australien bis Brasilien, von Kanada bis Südafrika gleich sind, sondern wegen der Ausrichtung und auch wegen einer Rückbesinnung auf Erfolge kommerzieller Sender in Großbritannien oder den USA, die es schaffen, neben Erfolg auch Qualitätsprogramme zu bieten. Das österreichische Fernsehen kann nicht kulturelle Identität importieren. Dazu gibt es aber den eindeutigen öffentlich- rechtlichen Auftrag. Und was für die Kultur gilt, muss auch für die Bildung gelten. Bacher führt dazu bei oben zitiertem Vortrag aus, dass Film und Fernsehen wie kein anderes Kulturphänomen das Bild eines Volkes bestimmen.268 Neben den beiden oben genannten Ländern ist es vor allem auch Frankreich, das dem Fernsehmarkt einen eigenen kulturpolitischen Stempel aufdrückt. Nicht umsonst kommt der Anstoß der Gründung von ARTE aus diesem Land, auch in Hinblick auf eine grenzübergreifende europäische Identität.

4.2. Das Wissenschaftsbewusstsein des Fernsehens

Auf den ersten Blick scheint es relativ einfach zu sein, die Wissenschaftsprogramme des ORF einer Analyse zu unterziehen. Die Schwierigkeiten beginnen aber bereits dort, wo es darum geht festzustellen, was denn Wissenschaft wirklich sei und im Besonderen Wissenschaft im Fernsehen. Und Wissenschaft ist Bildung. Zieht man eines der gebräuchlichen Konversationslexika zu Rat, findet man die Definition „Wissenschaft, lateinisch scientia, griechisch episteme, der Inbegriff dessen, was durch Forschung, Lehre und Literatur überlieferter Bestandteil des Wissens“ ist.269 Was heißt das aber jetzt für den Bildungsauftrag, für den ja die Gebührenzahler Geld entrichten? Wird denen Wissenschaft und Kultur geboten? Und ist das ausreichend? Der Zugang über die gesetzlichen Bestimmungen bringt die Sache weiter: Im Rundfunkgesetz von 1974 liegt die aufgetragene Vermittlung und Förderung von Kunst und Wissenschaft inmitten eines Spannungsfeldes von Information, Bildung und Unterhaltung.270 Wie sieht es aber heute aus? Der ehemalige Generaldirektor

268 Vgl. ebd., S 290 269 Vgl. Brockhaus, Enzyklopädie in 20 Bänden, 17. Band, 1998, S 412 270 Vgl. Almanach des Österreichischen Rundfunks, Wien 1977, S 333 f.

94 4. Der ORF als Das Österreichische Fernsehen – Demokratiepolitischer Bildungsstandard Bildungsauftrag oder Quote ?

Gerhard Weis definiert dies so, dass der ORF zunehmend an Kompetenz im bildungspolitischen Bereich verloren hat, weil einfach der Druck der privaten Sender zu groß war, und diese auch durch die Werbefenster massiv in den Markt drängten.271 In der Süddeutschen Zeitung vom 5. 3. 2008 wird wiederum auch über massive finanzielle Probleme des Sat1/Pro7-Senders berichtet, sodass diese Gleichstellung nicht als Ausrede durchgehen kann. Der ehemalige ORF- Generalintendant Teddy Podgorski meinte, dass „das Fernsehen informieren und bilden muss, nur dann werden die Leute g’scheiter“.272 Die Vermischung von Information und Bildung – die Voraussetzung von Information zur Bildung – gilt sinngemäß natürlich genauso für naturwissen- schaftlich-technische Probleme wie für geisteswissenschaftlich-zeitgeschichtliche. Gerade an letztere traut sich das Fernsehen selten heran, weil auch der berühmte politische Druck da ist. „Die Interventionen waren zu Beginn des Fernsehens ein Wahnsinn, dann gab’s keine mehr, und dann stieg es wieder verstärkt an“, meinte Podgorski ohne Angabe der Zeiten, in denen das stattfand. Fakt ist, dass vor der ersten Rundfunkreform keinem Minister eine Frage gestellt werden durfte, weil er ohnehin nur das sagte, was ihm beliebte. Das waren Zustände wie in Zwangssystemen (Anm. des Verf.), aber diese waren Realität in der damaligen Proporzaufteilung Österreichs.

271 Interview des Verfassers mit Gerhard Weis am 14. 2. 2008 in seinem Haus 272 Interview des Verfassers mit Teddy Podgorski im Cafè Gutruf am 4. 12. 2007 272 Vgl. Fred Thurnheim, Präsident des Österreichischen Journalistenclubs, bei der Preisverleihung: „Andreas Novak beschäftigt sich bereits seit Jahrzehnten mit zeitgeschichtlichenThemen. Am 4. April 2000 hat der ORF sein Fernsehporträt ,Ein ganz normaler Arzt’ gesendet. Dabei ging es um das Leben und erschreckende Wirken des langjährigen psychologischen Gerichtsgutachters und ehemaligen Arztes am Spiegelgrund, Dr. Heinrich Groß. Es ist dies ein weiterer Beitrag einer ganzen Serie zeitgeschichtlicher Dokumentationen, mit denen Andreas Novak wichtige Beiträge zum Gewissen der Nation leistete. Andreas Novak, meine Damen und Herren, ist ein Künstler der filmischen Gestaltung von Dokumentationen, wobei er nicht belehrend wirken will. Sein letztes Meisterwerk lieferte er in einem Porträt über Simon Wiesenthal.“ http://www.oejc.at/oejc/preise/renner/2000_laudatio.htm

95 Das Österreichische Fernsehen – Demokratiepolitischer 4. Der ORF als Bildungsauftrag oder Quote ? Bildungsstandard

4.3. Geschichtsfernsehen

Kaum ein Medium ist geeigneter für die Distribution von Ansichten dessen, „wie sich die Geschichte zugetragen hat“273, welche Vorstellungen von Geschichte sich einprägen, als das Fernsehen. Die Gesetze der televisuellen Umsetzung und der Anspruch, einem möglichst großen Publikum Genüge zu tun, bedingen eine Reduktion der Komplexität der Themen, eine emotional aufgeladene Form der Darstellung und damit den Einsatz filmsprachlicher Elemente, die aber den Inhalt erst erzählbar machen. Im Brennpunkt stehen hierbei aber stets die Intentionen des Medienproduzenten, seine Vorstellung von dem, was die „Geschichte“ ist bzw. welches Geschichtsbild vermittelt werden soll.274 Von „Krieg und Frieden“ bis „Holocaust“, von „Österreich I und II“ (Hugo Portisch und Sepp Riff) bis Guido Knopp – Geschichtsfernsehen, die Auseinandersetzung mit der eigenen Vergangenheit, stellt einen unverzichtbaren Bestandteil der Medienkultur dar. In Österreich hat sich auch noch der Dr.-Karl-Renner- Preisträger 2000, der ORF-Dokumentarfilmer Dr. Andreas Novak, einen Namen gemacht.275 Ein Aufschrei ging durch die deutsche Medienlandschaft, als sich ausgerechnet der Bezahlsender Premiere 2005 entschloss, einen eigenen Kanal namens „Discovery Geschichte“ ins Angebot zu nehmen. Auf diesem, nach amerikanischen und englischen Vorbildern aufgebauten Spartenkanal zeigte Premiere hauptsächlich BBC-Dokumentationen, aber auch, nun verstärkt, Sendungen von „Spiegel-TV“.

Der Sender soll Dokumentationen über historische Ereignisse aus deutscher Perspektive rund um die Uhr bringen, teilte Premiere mit. Das Programm sei speziell auf Deutschland zugeschnitten und umfasse auch Exklusivsendungen der Reihe „Spiegel-TV“. Premiere sieht, laut Senderchef Georg Kofler, bei zeitgeschichtlichen Dokumentationen ein wachsendes Interesse der Zuschauer. Der

273 Vgl. Aurich, Rolf, Wirklichkeit ist überall, in: Wilhalm, Irmgard (Hrsg), Geschichte in Bildern, Pfaffenweiler 1995, S 127 274 Vgl. ebd.

96 4. Der ORF als Das Österreichische Fernsehen – Demokratiepolitischer Bildungsstandard Bildungsauftrag oder Quote ?

Chefredakteur des Spiegel und Geschäftsführer von Spiegel TV, Stefan Aust, wird das wöchentliche Magazin „Zeitreise" moderieren, das wichtige Ereignisse der internationalen und deutschen Geschichte behandeln soll. Ferner verspricht Premiere, Sendungen über verschiedene Kulturen von der Antike bis zur Gegenwart, über Helden und Herrscher und auch über aktuelle Ereignisse zu bringen. Außerdem umfasst das Programm mehrteilige Dokumentationen wie die fünfteilige Serie „Geschichten aus der DDR" und den Fünfteiler „Apokalypse Vietnam“.276

Geschichtsfernsehen ist heute eine massenmediale Form von historischer Bewusstwerdung. Aber ein Geschichtsfilm ist nicht einfach ein Transporteur gesicherter Fakten und zitierbarer Behauptungen. Bei dem Wechsel von der historischen Geschichtsschreibung in das Geschichtsfernsehen ändert sich auch die Natur von Erkenntnissen: Historische Forschung gerät in eine Schleife von Hysterie und Skandal, denn nur so ist heute die Mobilisierung der Aufmerksamkeit möglich, die ein großes Produktionsvolumen rechtfertigt. Und durch die Narration kann sich etwas hinterrücks in sein Gegenteil verkehren, selbst wenn die Fakten stimmen. Das Geschichtsfernsehen erzählt uns weniger über Geschichte als darüber, wie wir heute Geschichte wahrnehmen oder wahrnehmen sollen.277 Im Bewusstsein einiger Produzenten kommt beim Ausdruck „Geschichts- fernsehen“ automatisch der Gedanke „Hitler sells“ hoch, denn die Auseinander- setzung mit den Nationalsozialisten ist ein beliebtes Thema – und auch wichtig, da noch immer über diese Zeit allzu oft im Unterricht und in Familien der Mantel des Schweigens gehüllt wird. Wer also produziert die Geschichtsbilder der Gegenwart? Sind es Historiker, sind es Regisseure oder sind es Redakteure von Dokumentationen? Es sind zurzeit jedenfalls kaum die Historiker – waren sie es eigentlich jemals? Historiker sind im Vorfeld, also in der Aufbereitung der Inhalte, durchaus an der Produktion medialer Bilder beteiligt. Da aber die Zunft der Geisteswissenschaften derzeit wieder in den

276 Vgl. Auszug aus der Pressemitteilung über ddp vom 31. 5. 2005, gefunden in http://www.digitalfernsehen.de/news/news_21851.html, Zugriff am 17. 5. 2008 277 Vgl. Brückner, Jutta/Raden, Viktor, in: Freitag 23 vom 10. 6. 2005, gefunden in: http://www.freitag.de/2005/23/05231201.php, Zugriff am 17. 5. 2008

97 Das Österreichische Fernsehen – Demokratiepolitischer 4. Der ORF als Bildungsauftrag oder Quote ? Bildungsstandard

Hintergrund gedrängt wird, werden es auch die HistorikerInnen. Vielleicht glauben viele (auch in Österreich), dass die Geschichte ohnehin zur Genüge aufgearbeitet wurde und man sich nur noch an die angenehmen Seiten erinnern sollte? Oder es findet die Glorifizierung geschichtlicher Ereignisse statt, die so glorios gar nicht waren. Anzuführen wäre hier die angeblich heldenhafte Verteidigung Wiens vor den Türken oder der „tanzende Wiener Kongress“, eine typische österreichische Verklärung.

(…) Geschichtsbilder sind an der Schnittstelle zwischen Geschichtsindustrie und Geschichtswissenschaft zu finden, als Experten und Berater, die gleichsam in teilnehmender Beobachtung durchaus auch kritische Distanz zum medialen Endprodukt gewinnen. Gerade sie weisen darauf hin, dass erst die genaue Kenntnis des anderen Metiers die Möglichkeit seriöser Kritik an den Fernsehproduktionen schafft. Historiker müssten sehen lernen, sie müssen ihre Dialogfähigkeit im Medienzeitalter unbedingt herstellen, die Medienkompetenz Geschichte erwerben. Ein Beitrag dazu ist das Zusammentreffen von Historikern und den Filmemachern im Fernsehen in dieser Sektion. Die Geschichtswissenschaft im 21. Jahrhundert kommt nicht umhin, sich mit den medial produzierten Geschichtsbildern auseinanderzusetzen.278

278 Vgl. Wirtz, Rainer/Fischer, Thomas., in: Popularisierung der Geschichte im Fernsehen? Folgen für die Geschichtswissenschaft?, Dokumentation für den 46.Deutschen Historikertag, Universität Konstanz, 2006, www.uni-konstanz.de/historikertag/programm.php, Zugriff am 8. 12. 2008

98

Das Österreichische Fernsehen – Demokratiepolitischer 5. Die Funktionen des Bildungsauftrag oder Quote ? Fernsehens

5. Die Funktionen des Fernsehens

Das Medium Fernsehen übernimmt unter anderem gesellschaftlich erwünschte Aufgaben. Neben Information und Bildung ist eine Verbindung von Unterhaltung und Bildung entstanden, wie bei diversen Millionenshows und anderen Ratesendungen erkennbar wird.279 Der wiedererweckte „Club 2“ ist ein typisches Beispiel, dass das Österreichische Fernsehen versucht, auf einer erfolgreichen Welle von damals zu schwimmen. Lorenz Gallmetzer umreißt in einem Gespräch mit der Zeitung Die Presse die Aufgabe des neuen „Club 2“ deutlich: „Wir wollen abseits jeder Quotenüberlegung schwierige Themen aufgreifen. Ich möchte den Club noch kantiger haben, origineller und mehr dissidente Meinungen, aber keine inszenierten Streitgespräche.“280 Gallmetzer fehlen noch die Vertreter der Migranten-Welt und Außenseiter. Derzeit besteht die „Club 2“-Redaktion aus einem Mini-Team, denn „unsere Gäste warten – im Unterschied zu Politikern, die ein starkes Kommunikationsbedürfnis haben – nicht darauf, vom ORF zu einer späten Diskussion eingeladen zu werden“.281 Diese Sendungen leben allerdings nur durch ihre Protagonisten, d. h. von den Teilnehmern und dem Diskussionsleiter. Und auch das ist immer relativ.282 Maggie Entenfellner ist zwar nett (und alleine aufgrund ihres Namens für eine Tiersendung geeignet), aber ob ihre Tiersendung den demokratiepolitischen Bildungsauftrag erfüllt, ist fraglich. Oder geht’s dabei um die tierischen Instinkte der Bevölkerung und die Verquickung mit einer Tageszeitung? Gerade im März 2008 wurde beschlossen, dass die erfolgreichste Informationssendung „Thema“ von seinem attraktiven Sendeplatz durch „Vera exklusiv“ verdrängt wird. Ist es hier nur die Quote, da ja gerade Russwurm auch Mitarbeiterin der Kronen Zeitung ist (bzw. eine Kolumne ihren Namen trägt)? Erwartet sich der ORF dadurch mehr Zuschauer, die das Fernsehen zugunsten der wirklich objektiven Information aufgibt? Sogar die ORF- Mitarbeiter rebellierten dagegen, und das ist ein ungewöhnlicher Vorgang. Helmut Zilk konnte noch mit seinen „Stadtgesprächen“ frei agieren, und es wäre

279 Schon früher gab es in anderen Formen solche Ratesendungen zur Informationsvermittlung, z. B. das „Quiz 21“ von Rudolf Hornegg, wobei die sogenannte 11er-Frage heute noch legendär ist. 280 Vgl. Die Presse vom 25. 10. 2008 281 Vgl. ebd.

100 5. Die Funktionen des Das Österreichische Fernsehen – Demokratiepolitischer Fernsehens Bildungsauftrag oder Quote ?

undenkbar gewesen, diese populäre Diskussionssendung abzusetzen. „Es war die erste freie Diskussion im Fernsehen“, so der ehemalige Programmdirektor Zilk.283 Hugo Portisch ergänzt:

Der Grund für den unerwarteten Erfolg war, dass Zilk mit der Tradition gebrochen hat, streng nach Fernsehprotokoll vorzugehen, also Politikern nur abgesprochene oder abgesegnete Fragen zu stellen. Die Sendung war spontaner, da konnten Amtsträger schon einmal aus der Rolle fallen und statt vorbereiteter Statements unmittelbare, emotionale Antworten geben. Es war auch Zilk, der als Erster vor großem TV-Publikum über die Zeit des National- sozialismus diskutieren ließ. 1964 etwa sorgte eine Sendung für Aufregung, in der über den Anschluss Österreichs ans „Dritte Reich" debattiert wurde.284

Das größte Echo aber fanden die „Stadtgespräche Wien-Prag“ aus dem Jahr 1964: die erste Diskussion zwischen West und Ost, die frei, unzensuriert und live gesendet wurde. Jiri Pelikan, damals Direktor des CSSR-Fernsehens, läutete mit dieser Diskussion eine allmähliche Lockerung der Zensur ein, die auch in Printmedien ihren Niederschlag fand.285 Es war sozusagen die Vorstufe zum Prager Frühling, der durch den Einmarsch der Truppen des Warschauer Paktes 1968 jäh gestoppt wurde. Der ORF öffnete erstmals die Fenster nach Europa. Die Menschen in der Tschechoslowakei verfolgten das Programm des ORF jedenfalls in großer Zahl. In der Chronik „50 Jahre ORF" wird ein nicht näher genannter Techniker zitiert, der durch tschechoslowakische Ortschaften fuhr und bemerkte, dass die meisten TV-Antennen auf den Dächern nach Österreich hin ausgerichtet waren.286 Sogar der Schweizer Weltwoche war dies einen Artikel wert:

Aus internationaler Sicht hat Wiens Fernsehen ein einziges, freilich unbe- schreibbar großes Verdienst. Es erfand die „Stadtgespräche“ zwischen Ost und West. Man stelle sich vor: Da saßen sich zwei streitbare Teams aus

283 Interview mit Helmut Zilk am 28. 11. 2007 284 Interview mit Dr. Hugo Portisch 285 Vgl. http://news.orf.at/070530-12820/?href=http://news.orf.at/070530-12820/12821txt_story.html 286 Vgl. Ergert, Viktor, 50 Jahre ORF, Wien 1977, S 218

101 Das Österreichische Fernsehen – Demokratiepolitischer 5. Die Funktionen des Bildungsauftrag oder Quote ? Fernsehens

Wien und Prag gegenüber. Sie diskutierten, wie es im Westen üblich, im Osten absolut verpönt ist.287

Abb. 2: Helmut Zilk bei den Anfängen der „Stadtgespräche Wien-Prag“

Was aber damals möglich war, beschränkt sich heute auf „Im Zentrum“, einen aufoktroyierten Diskussionsabend am Sonntag, an dem ohnehin immer nur Politiker teilnehmen, die ihre Statements in der „Zeit im Bild“ auch abgeben können. Von einer demokratischen Weiterentwicklung kann keine Rede mehr sein. Und ob „Vera exklusiv“ dem Bildungsauftrag mehr entspricht als „Thema“ ist sehr fraglich. Es gibt aber dazu keine wissenschaftlichen Untersuchungen.

5.1. Wohin geht das Fernsehen?

Das Medium Fernsehen hat sich zusammen mit den Seh- und Hörgewohnheiten der Zuschauer entwickelt und entwickelt sich ständig weiter.288 Vor rund dreißig Jahren hat der Zuseher noch geduldig gewartet, bis „Dalli Dalli“ (mit Hans Rosenthal), „Tritsch Tratsch“ (mit Josef Kirschner), „Am laufenden Band“ (mit Rudi Carrell) oder vor allem zu Beginn der Fernsehära „EWG – Einer wird gewinnen“ (mit Hans-Joachim Kulenkampff) begonnen haben. Heute ist das Zuschauerverhalten ein ganz anderes, der Fernseher läuft oft nebenbei und man konzentriert sich nicht vollständig auf eine Sendung.289 Fernsehen bekommt immer mehr die Bedeutung des Wortes an sich. Fern-Sehen heißt es heute im wahrsten Sinne des Wortes. Man kann überall hinsehen – zu

287 Vgl. Santner, Inge, Fernsehen in Österreich – Roter, schwarzer oder reiner Schirm. In: Die Weltwoche, Nr. 1706 vom 22. Juli 1966, S 37 288 Vgl. Marciniak, S 12 289 Vgl. ebd.

102 5. Die Funktionen des Das Österreichische Fernsehen – Demokratiepolitischer Fernsehens Bildungsauftrag oder Quote ?

CNN, BBC, von den deutschen Privatsendern ganz zu schweigen. Der ORF muss darauf reagieren. Wie aber macht er das? „Beim Privaten steht das Geldverdienen im Mittelpunkt, das ist der einzige Unternehmenszweck“, so Gerhard Weis, der bekanntlich aufgrund einer politisch-eigenartigen Entscheidung abgewählt wurde („Ich wollte nicht der Handlanger von Schüssel sein“, so Weis290). „Früher hat man sich sogar den russischen Sprachkurs im Fernsehen angeschaut, weil’s nichts anderes gab.“291 Also – quo vadis? Es zeigt sich, dass die Kluft zwischen Wissenschaft und Gesellschaft größer wird.292 Daher: Ist der öffentlich-rechtliche Auftrag durch Wissenssendungen zu rechtfertigen oder durch Quote? Laut Pius Strobl ist die „freie Ausübung des Berufsstandes die Prämisse“.293 Der ORF bringt aber kaum Sendungen, außer „Report“ oder „Thema“, die den öffentlichen Auftrag wirklich erfüllen. Wenn heute ein Filmschaffender zum öffentlich-rechtlichen Fernsehen geht und einen z. B. geisteswissenschaftlichen oder zeitgeschichtlichen Beitrag anbietet, reagiert die Küniglberg-Bürokratie so, dass es unmöglich ist, mit selbst produzierten Sendungen durchzukommen. (Anm. d. Verf.)

290 Vgl. ebd.; Anm. d. Verf.: Der CV ist der Cartellverband, der seinen Mitgliedern gegenüber sehr treu und tief in der VP verankert ist. Gerhard Weis hat ausdrücklich betont, dass er sich nicht den Weisungen der damaligen VP-Spitze beugen und einen eigenständigen ORF steuern wollte. 291 Ebd. 292 Geretschläger, Erich, Wissenschaftssendungen im Fernsehen, Wien, S 17 293 Interview Pius Strobl, s. o.

103 Das Österreichische Fernsehen – Demokratiepolitischer Bildungsauftrag oder Quote ? 6. Die Quote

6. Die Quote

Wie wichtig die Quote für das Österreichische Fernsehen ist, beweisen Pressemitteilungen des ORF, die – nach heftiger Kritik, weil die 40-Prozent-Marke unterschritten wurde – veröffentlicht werden:

Der Österreichische Rundfunk (ORF) hat seine zuletzt abfallenden Fernsehquoten beim Kabel- und Satellitenfernsehen nach einem Zwischenhoch stabilisiert. Pro Tag erreichte das ORF-Fernsehen im Oktober durchschnittlich 3,590 Millionen Zuschauer, der Kabel/Satellit-Marktanteil lag bei 36,8 Prozent, teilte der öffentlich- rechtliche Sender am Freitag mit. Nach einem größeren Umbau des Programms hatte der Anteil im Juni zunächst bei nur 36,7 Prozent gelegen, dieser rutschte im Juli auf 36,6 Prozent ab (SAT+KABEL berichtete). Danach lag er im September wieder bei 38,1 Prozent. Ursprünglich war eine Marke von 40 Prozent angepeilt worden, im vergangenen Jahr lag das Niveau bei über 42 Prozent. Senderchef Alexander Wrabetz begründete dies unter anderem mit dem Umstieg von Zuschauern auf das DVB-T-Fernsehen, das nicht in die Quotenmessung einfließt. ORF 1 kam im Oktober auf 2,238 Millionen Zuschauer und 13,5 Prozent KaSat-Marktanteil, ORF 2 auf 2,755 Millionen bzw. 23,4 Prozent Marktanteil.294

Anlässlich der Euro 2008 stieg natürlich die Quote stark an, alleine das Match Österreich gegen Deutschland brachte es auf mehr als 2,200.000 Seher.

Und auch bei Russland gegen Spanien bejubelte sich der ORF durch seinen eigenen Pressedienst:295

294 Vgl. http://satundkabel.magnus.de/medien/artikel/oesterreich-orf-sender-stabilisieren- fernsehquote-bei-kabel-und-satellit.html, Zugriff am 24. 6.2008 295 Vgl. ORF-Newsletter von [email protected] an den Verfasser vom 27. 6. 2008

104 Das Österreichische Fernsehen – Demokratiepolitischer 6. Die Quote Bildungsauftrag oder Quote ?

EURO 08: 1,5 Millionen sahen Spanien – Russland

Höchste Reichweite für ein EURO-Spiel ohne Beteiligung Österreichs: Bis zu 1,475 Millionen Zuschauer sahen am 26. Juni das zweite Halbfinalspiel Spanien gegen Russland im ORF. Im Schnitt waren in der zweiten Halbzeit 1,389 Millionen Fußballfans via ORF 1 dabei, in der ersten Hälfte lag dieser Wert bereits bei 1,183 Millionen. In Hälfte zwei wurden 58 Prozent KaSat- und nationaler Marktanteil erreicht. Im Reichweiten-Ranking ergibt das für Spanien – Russland Platz vier. In der werberelevanten Kernzone 17.00 bis 23.00 Uhr erreichte der ORF gestern, am 26. Juni, mit beiden Programmen 54 Prozent KaSat- und 56 Prozent nationalen Marktanteil. Das größte Interesse am zweiten Halbfinale zeigten die jüngeren Zuseherinnen und Zuseher (12–49 Jahre) mit 63 Prozent KaSat- und 65 Prozent nationalem Marktanteil. Besonders stark vertreten waren diesmal die Männer in dieser Zielgruppe: Hier lag gestern der Marktanteil bei 67 Prozent (KaSat) bzw. 69 Prozent (national).

Das Finalspiel erreichte dann mit rund 2,300.000 Zusehern eine der höchsten je gemessenen Einschaltquoten und das wiederum verhalf dem ORF erstmals nach der neuen Reform wieder zu einem Anstieg auf einen Marktanteil von 42 %.296 Auf immer mehr Quote bringen es auch die Kochsendungen, die seit den Riesenerfolgen von Jamie Oliver geradezu überhandnahmen, nicht nur im gesamten deutschen Sprachraum, sondern auch in Österreich. Allerdings musste das Österreichische Fernsehen gerade aufgrund eines unzulässigen Product Placements Dutzende Rügen der Medienkontrollbehörde hinnehmen. Durch das Internet und das digitale TV ist natürlich ein großer Einbruch beim österreichischen Fernsehen entstanden. Durch das digitale Fernsehen, regionale bzw. neue Sender verliert der ORF natürlich gerade bei der wichtigen Klientel der 16–49-Jährigen an Zugriffen. Warum gerade die 16–49-Jährigen, erklärt Jürgen

296 Vgl. Die Presse u. a. vom 2. 7. 2008

105 Das Österreichische Fernsehen – Demokratiepolitischer Bildungsauftrag oder Quote ? 6. Die Quote

Peindl, stellvertretender Programmchef des Senders Puls 4 im Gespräch so:

Mit über 50 haben sich schon die meisten auf ihre Einkaufsgewohnheiten festgelegt. Sie wissen, wo und für welche Marke sie sich entscheiden, daher ist die obige Zielgruppe so interessant, denn hier fallen noch Entscheidungen, die die Werbewirtschaft interessiert.297

Die Frage bleibt, ob dies auch wirklich stimmt, denn gerade bei den über 50- Jährigen hat auch ein Umdenken eingesetzt, die Informationsvielfalt wird größer und „man will auch jünger wirken“ (Anm. des Verf.). Staatliche Programme haben etwas Bedeutendes an sich, wenn sie sich nicht 100-prozentig dem Quotendenken ausliefern, sondern auch auf Qualität des Programms Wert legen. Trotzdem muss es möglich sein, in einer aufgeklärten Welt Medien ab- und anzudrehen, wann es beliebt. Im Verhältnis zum Standard der BBC war und ist das Österreichische Fernsehen noch immer schwach, vor allem wird gerade jetzt bei den Bildungssendungen Konkurrenz durch die Geschichte- und Discovery-Kanäle gemacht. Es gibt natürliche Quotenbringer, wie eben die Euro 2008 oder auch die vorverlegten Nationalratswahlen 2008, bei denen das Fernsehen eine wichtige Rolle einnahm, wie auch Print-Medien durchaus mit einem Anflug von Wehmut kommentierten.298 Kritiker der Quotenausrichtung meinen, dass es beim Fernsehen so etwas wie ein „Self-Fulfilling-System“ gäbe, d. h. ein stilles Einverständnis, dass man die Seher unterschätzt.299 Das Österreichische Fernsehen zeige Dokumentarfilme wie „Darwins Nightmare“ fast immer nach Mitternacht, im Hauptabendprogramm kommt so etwas nie oder kaum vor. Es besteht für Hans Hurch, dem Leiter der Viennale300, das Gefühl, das Österreichische Fernsehen denke in den Köpfen der anderen, wie sie reagieren

297 Interview mit Jürgen Peindl am 4. 2. 2008 mit dem Verfasser 298 Vgl. Kurier, 11. 7. 2008, S 3 299 Vgl. Hurch, Hans, in: Das Interview, Österreichs erstes Interview-Magazin, hrsg. vom Institut für Journalismus und Medienmanagement der Fachhochschule Wien, S 46 300 Hans Hurch wurde 1997 Leiter der Viennale, des Wiener Filmfestivals. Er kam eigentlich aus der Kritikerszene, ehe er ins Regiefach wechselte. Seit seinem Dienstantritt steigen die Besucherzahlen kontinuierlich an (vgl. dazu auch die Wiener Zeitung, 7. 10. 2006, S 15).

106 Das Österreichische Fernsehen – Demokratiepolitischer 6. Die Quote Bildungsauftrag oder Quote ?

werden. „Das Fernsehen in sich ist jedoch ein kleiner, totalitärer Traum, nämlich der Traum, alle zu erreichen. Das ist aber absurd, man kann nicht alle erreichen, nicht immer alle erreichen. Dazu müsse man etwas riskieren und sagen: OK, es wollen nicht alle Leute ,Dancing Stars’ sehen und deshalb zeige ich auch mal einen Dokumentarfilm. Was daran schlimm ist?“, fragt Hurch und meint: „Vielleicht tun sie sogar noch was Vernünftigeres als fernsehen.“301 Um eine starke Quote mit anspruchsvollen Programmen zu erreichen, ist auch eine geballte Medienberichterstattung nötig, eine Anna Netrebko wird schon im Vorfeld stark hervorgehoben, und wenn sie dann noch schwanger auftritt, befriedigt das Fernsehen auch den Voyeurismus. Oder wenn auf der Seebühne Mörbisch das „Weiße Rössel“ gebracht wird, sorgt schon der Intendant Harald Serafin im Vorfeld für die richtige Premierenstimmung, die die Konsumenten auf die TV-Übertragung einstimmen soll. Und ein Fendrich, ein Eberhartinger oder eine Zabine Kapfinger (Letztere war übrigens Teilnehmerin bei „Dancing Stars“, als Serafin in der Jury saß) sind dann die Quotenbringer.

6.1. Die Quotenmessung

Guter Journalismus ist der Grundpfeiler jeder Demokratie. Seine aufklärende und meinungsbildende Funktion kann er nur erfüllen, wenn die Kommunikation mit dem Seher oder Leser funktioniert. Lange Zeit haben Fernsehjournalisten sich lediglich danach gerichtet, wie sie sich den Seher vorstellen. Während der Proporzzeit in Österreich verschlimmerte sich diese Einstellung. Mit dem Fernsehen und seinem vielfältigen Angebot kamen die Quotenmessung und dadurch auch eine gewisse Problematik für das Österreichische Fernsehen. Jeder einzelne Baustein, ob Berichte, Reportagen, Parlamentsübertragungen oder auch „Wetten, dass...“, jedes Gespräch, jeder Musikauftritt wird auf Quotentauglichkeit überprüft. Das erzeugt natürlich auf alle Beteiligten einen ungeheuren Druck, das Wetterteam im ORF muss sich genauso professionell und quotentauglich präsentieren wie ein Showmaster, sonst fällt die Quote. Der wahrscheinlich professionellste Showmaster des deutschen Fernsehens, Thomas Gottschalk,

301 Vgl. Hurch, in: Das Interview, S 46

107 Das Österreichische Fernsehen – Demokratiepolitischer Bildungsauftrag oder Quote ? 6. Die Quote

drückt das in einem Gespräch mit dem Zeit-Magazin so aus: „Ich habe eine Art innere Umschaltpanik entwickelt. Ich spüre die Fernbedienung der Zuschauer geradezu körperlich, live, während der Sendung.“302 Wenn z. B. „Wetten, dass…“ unter die 10-Millionen-Grenze im Gesamten (Anm. d. Verf.: In Österreich liegt die Sendung derzeit bei knapp 600.000 Sehern – wie bei der Sendung am 14. Juni 2009 – gegenüber 1,2 Millionen vor fünf Jahren) fällt, wird es kritisch für die gesamte Sendung und ebenso für den ORF aufgrund der fallenden Quoten (derzeit ca. 36 % für beide Programme)303. Daher behilft man sich mit zugekauften Serien oder Sendungen wie „Dancing Stars“, während die „Millionenshow“ derzeit schwächelt und auch entweder vor der totalen Umgestaltung steht, oder man den Moderator erneuert (Eberhartinger statt Assinger?).304

Dies ist nicht überall so: In Brasilien etwa werden die Einschaltquoten in Echtzeit gemessen, daher kann es vorkommen, dass bei Live-Sendungen bestimmte Programmteile verlängert oder gekürzt werden, wenn die Quoten gerade besonders steigen oder sinken. Bei der Auswertung der Daten sind die hochgerechneten absoluten Zuschauerzahlen für Sender und Werbetreibende eher zweitrangig. Wie viele zu einer bestimmten Zeit fernsehen, hängt von vielen Faktoren ab: Wetter, Tageszeit, Freizeitaktivitäten etc. Jene aus einem solchen Grunde gerade (Fernseh)abstinenten fallen als potenzielles Publikum für alle Sender gleichermaßen weg. Deren Werbepreise tragen den Schwankungen Rechnung, daher ist ein Werbespot zur Hauptsendezeit um 20:15 Uhr deutlich teurer als einer im Nachtprogramm.305

Der ORF kann die Quotendaten sekundengenau abrufen, d. h. es wird für jede Sekunde des Tages hochgerechnet, welche Zuschauerzahl und welchen Marktanteil eine Sendung hatte. Wichtig ist auch die Aufschlüsselung nach Zielgruppen bzw. Altersgruppen, denn hier fallen dann die Entscheidungen der Werbewirtschaft. In Österreich erfolgt die Ermittlung der Einschaltquoten seit 1991 über den Teletest, den das Marktforschungsinstitut GfK Austria veranstaltet. Seit

302 Ebd., S 19 303 ORF-Statistik vom 28. 2. 2008 304 Diese Diskussionen laufen derzeit, Stand 21. 3. 2008, im ORF, weil Eberhartinger als Moderator der Tanzshow eine gute Performance hat. (Anm. d. Verf.) 305 Vgl. http://www.agf.de/fsforschung/methoden/fernsehpanel/

108 Das Österreichische Fernsehen – Demokratiepolitischer 6. Die Quote Bildungsauftrag oder Quote ?

Anfang 2007 ist der Auftraggeber die Arbeitsgemeinschaft TELETEST (AGTT), deren Gründungsmitglieder ORF/ORF-Enterprise, ATV, IPA plus, SevenOne Media Austria und die österreichische Premiere Fernsehen GmbH sind.306 Im Gegensatz zur GfK in Deutschland stellt die Arbeitsgemeinschaft TELETEST aktuelle Quotenauswertungen auch dem Endverbraucher zur Verfügung. Das Messgerät der Firma Telecontrol steht in 1.500 Testhaushalten und registriert, welcher Kanal derzeit eingeschaltet ist. Über eine spezielle Fernbedienung wird festgehalten, welche Person – auch Gäste werden erfasst – gerade fernsieht.307 Ein Panelhaushalt steht in Österreich für ca. 2.270 TV-Haushalte. Die Messung ist wie in Deutschland sekundengenau und schließt Daten über die Aufzeichnung und Wiedergabe auf dem Videorekorder ein.308

6.2. Die Bedeutung der Quote

„Man kann einen Bildungsauftrag haben und trotzdem Quote machen“, erklärt einer der Stiftungsräte, Peter Westenthaler.309 Das ist natürlich leicht gesagt. Das Österreichische Fernsehen probiert es auch mit seinen derzeit forcierten Opernübertragungen und versucht, mit sogenannten Highlights, z. B. Netrebko oder den Salzburger Festspielen, Quote zu erzielen. Aber ist das auch der Bildungsauftrag? „Früher sah man auch die Russische Stunde (eine Sprachlehrsendung – Anm. der Verf.), weil es nichts anderes gab“, so Dr. Hugo Portisch, einer der Erfinder des Volksbegehrens für ein unabhängiges Fernsehen.310 Heute allerdings versucht das Fernsehen mit zugekauften Sendungen, hauptsächlich aus dem Haus Endemol in Holland311, wie der „Millionenshow“ oder „Dancing Stars“ Zuschauerreichweiten zu erreichen, um dadurch seine Werbekunden zu befriedigen, die zunehmend zu anderen Werbefenstern abwandern. „Taxi Orange“ war eine der letzten Eigenerfindungen

306 http://www.gfk.at/, Zugriff am 17. 3. 2008 307 SWR Strategische Analysen, 2007 308 http://www.quotenmeter.de/, Zugriff am 17. 3. 2008 309 Interview mit Peter Westenthaler am 3. 12. 2007 310 Interview mit Dr. Hugo Portisch am 9. 12. 2007 311 Siehe dazu auf https://www.endemol.de die Aufschlüsselung der Formate

109 Das Österreichische Fernsehen – Demokratiepolitischer Bildungsauftrag oder Quote ? 6. Die Quote

des ORF, und auch das war eine Nachahmung des damaligen Quotenhits „Big Brother“. Damit erreichte man eben die Einschaltziffern, die notwendig waren. Diese sind natürlich für die Werbewirtschaft wesentlich, da jede Agentur ganz genau für ihre Kunden prüft, ob die Werbeschaltung Erfolg haben kann oder nicht. Gerade hier setzt auch die Argumentation der Fernsehverantwortlichen in Österreich zur Rechtfertigung der Werbeeinbrüche an: „Die Erwartungen für Werbeeinnahmen mussten um mehr als 20 % zurückgeschraubt werden.“312 Nur alleine alles mit der Quote (oder wahlweise mit der Finanzkrise) zu erklären, erscheint nicht zweckmäßig. Viel eher müsste die Frage intern gestellt werden, wie das Programm als solches attraktiver werden kann, damit nicht nur Billigserien eingesetzt werden. ORF 2 geht hier vor allem von 22.30–0.00 Uhr einen speziellen Weg mittels Dokumentationen, „Weltjournal“ oder auch „Menschen & Mächte“, während ORF 1 nur am Donnerstag mit den Kabarettprogrammen (wobei diese manchmal durchaus auch dem Bildungsauftrag zuzurechnen sind, Anm. d. Verf.) dagegenhält. Zweifelhaft ist auch, warum beispielsweise der seit Jahrzehnten Zuseher bringende „Tatort“ ausgerechnet vom Parallelprogramm mit ausnahmsweise neueren, hochwertigeren Spielfilmen konkurrenziert wird und dies nicht mehr zeitversetzt erfolgt.

6.3. Hysterie oder Berechtigung?

Gerd Scobel bringt es in seinem Artikel „Fernsehen für Idioten“ in Die Zeit im Juli 2007 pointiert zum Ausdruck, was die eigentliche Problematik der Quote ist:

Sehr schnell rücken die Entscheider in öffentlich-rechtlichen Anstalten von Fernsehprodukten der informativen Art ab, die nicht auf Anhieb die Quotenvorgaben erreichen. Dabei haben die Privaten vorexerziert, wie gerade Kontinuität, also Geduld, Quote schafft. Wer lange genug sendet (und dazu bedarf es des Mutes der Verantwortlichen), wird auch irgendwann wahrgenommen. Eines der

312 Vgl. Pius Strobl, in: Die Presse vom 12. 11. 2008, S 27

110 Das Österreichische Fernsehen – Demokratiepolitischer 6. Die Quote Bildungsauftrag oder Quote ?

schlimmsten Übel sind inzwischen die auch bei den öffentlich- rechtlichen Anstalten in Mode gekommenen „Screenings" durch Testgruppen – eine Art von pseudowissenschaftlichem Dr.-Best- Zahnbürstentest für die Tomaten, die auf Sendung gehen. Faktisch entledigen sich die Entscheider ihrer ureigenen Verantwortung als Manager, indem sie – scheinbar demokratisch und objektiv – den Markt abnicken lassen, statt selber den Mut zu haben, zu einer nach langem Prüfen getroffenen Entscheidung (lange genug) zu stehen. Statt den Bildungsauftrag auch dem Markt gegenüber wahr- zunehmen, also den Markt selbst aktiv zu bilden und umzuformen, laufen die öffentlichen Anstalten den ästhetischen und inhaltlichen Trends häufig hinterher.313

Gerade im Zuge der Diskussionen der vergangenen Jahre über eine Senkung des Wahlalters kam immer wieder heraus, dass man vielen jungen Zukunftswählern gar nicht zutraut, sich eine eigene Meinung zu bilden, und dass es schon in der Schule zu mehr „politischer Bildung und Aufklärung“ kommen muss. Was aber unternimmt das Medium Fernsehen wirklich in dieser Richtung? Hier müssen sich die Verantwortlichen den kritischen Spiegel vors Gesicht halten, besser formuliert: Der Spiegel muss ihnen vorgehalten werden. Denn was vom öffentlich-rechtlichen Fernsehen dafür getan wird, ist zu wenig. Bildung, ganz allgemein, verkommt – auch um der Quotenheischerei willen – zur Show. Der Erfolg „Millionenshow“, der nichts anderes ist als ein unterhaltsam gemachter Multiple-Choice-Test, also ein Bildungstrainer, zeigt dies – aber auch, dass durchaus eine Bildungsnachfrage besteht. Sicherlich wird diese Nachfrage zum Großteil von bereits „vor- und eingebildeten“ Personen konsumiert. „Die breite Quizshow-Nachfrage ist nur die Spitze eines kollektiven Informations- und Bildungsbedürfnisses. Die Zukunft erfordert immer flexiblere Menschen mit vielseitigen Eigenschaften und breiterer Bildung, sosehr man die Auswüchse der Globalisierung auch verurteilen mag. Die Konsequenz daraus wird bislang nicht gezogen, indem ein tägliches Wissenschaftsmagazin, ein umfassendes, tägliches Kultur- und Bildungsmagazin

313 Vgl. Scobel, Gerd, Fernsehen für Idioten, in: Die Zeit, http://www.zeit.de/2001/07/200107_m_kulturfernsehe.xml?page=all, Zugriff am 4. 4. 2009

111 Das Österreichische Fernsehen – Demokratiepolitischer Bildungsauftrag oder Quote ? 6. Die Quote

im öffentlich-rechtlichen Programm installiert wird.“314 Jedoch verkommen Kultur- und Bildungssendungen dahingehend, dass die Rechtfertigung darin besteht, dass jedes Volksmusikprogramm auch schon Kulturprogramm ist. Hier beginnt schon in der Definition von Kultur die Differenzierung in der Einstellung – was für die eine Zielgruppe „Kultur“ oder „Bildung“ ist, ist es für die andere noch lange nicht.

Scobel schreibt, dass die flächige Welt des Fernsehens eine an Komplexität ärmere, reduzierte Version der Wirklichkeit sei. Der Ärger mit Kultur- und Bildungssendungen bestehe darin, dass sie präzise diesen Prozess wieder ins Bewusstsein bringen, selbst wenn sie ihn nicht direkt thematisieren.315 Auch deshalb gilt Kultur im TV als Lust- und Quotenkiller.

314 Vgl. ebd. 315 Vgl. ebd.

112

Das Österreichische Fernsehen – Demokratiepolitischer 7. Die Geschichte des Bildungsauftrag oder Quote ? Fernsehens allgemein

7. Die Geschichte des Fernsehens allgemein

In den Anfängen des Fernsehens war weder von Quote, geschweige denn von Quotenmessung die Rede, zu einfach war die Entwicklung, die vorerst in kleinen, dann jedoch in Riesenschritten vor sich ging. Und schon in den Urzeiten des Fernsehens waren es Publikumsmagneten, die sich, anders als heute, jahrzehntelang im Programm hielten, wie z. B. „Was gibt es Neues“ von Heinz Conrads oder das „Traummännlein“.316 Vielen Zusehern heute, die sich schon früh mit Fernsehen beschäftigt haben, sind solche Sendungen noch immer bestens in Erinnerung.

7.1. Entwicklung des Fernsehens zum Leitmedium

1951 gab es in den USA bereits 10,000.000 Fernsehzuschauer; in Großbritannien verfügten immerhin 600.000 und in Frankreich noch 4.000 Zuschauer über Fernsehempfänger. Das als „Flimmerkasten“ bespöttelte Medium war noch keine Konkurrenz für den Hörfunk, zumal das Programm auf zwei Stunden pro Tag begrenzt war. Die Anzahl der Fernsehteilnehmer nahm in den folgenden Jahren weltweit rapide zu: 1952 gab es in den USA bereits 15 Millionen Teilnehmer, in Großbritannien 1,2 Millionen, in Frankreich knapp 11.000, in der Bundesrepublik Deutschland rund 300. Für diese 300 Teilnehmer wurde das Programm des Deutschen Fernsehens am 25. Dezember 1952 eröffnet. Die DDR begann den regelmäßigen Fernsehbetrieb einige Tage vor der Bundesrepublik Deutschland: am 21. Dezember 1952, dies war der 73. Geburtstag Stalins, empfangsbereit waren etwa 60 Geräte, alle in Berlin.317

316 Vgl. Chronik des ORF, www.mediaresearch.orf.at/chronik.html, Zugriff am 31. 8. 2008 317 Abramson, Albert, The History of Television from 1886 to 1941, übersetzt und hrsg. von Walitsch, Herwig, ergänzt durch „Die Geschichte des Fernsehens von 1941 bis heute“, München 2002, S 29

114 7. Die Geschichte des Das Österreichische Fernsehen – Demokratiepolitischer Fernsehens allgemein Bildungsauftrag oder Quote ?

1955 gab es 100.000, und 1957 war dann die erste Fernsehteilnehmer- Million im Bundesgebiet erreicht; in der Folgezeit entwickelte sich der Fernseher zum Prestigeobjekt. Der Durchbruch zum Massenmedium gelang dem Fernsehen in der Bundesrepublik Deutschland 1959: Täglich wurden 5.000 Geräte verkauft, Ende des Jahres gab es zwei Millionen, 1960 vier Millionen Teilnehmer. 1961 gab es schließlich in 26 Ländern der Welt weit über 100 Millionen Fernsehteilnehmer.318

In Österreich gab es 1961 bereits 250.000 Fernsehgeräte319, vor allem wegen des Gipfeltreffens des amerikanischen Präsidenten John F. Kennedy samt seiner reizenden Frau Jacqueline mit Nikita Chruschtschow in Schönbrunn. Der damalige Geschäftsführer des Österreichischen Fernsehens, Gerhard Freund (der sozialistische Bürgermeister von Baden übrigens) meinte:

Schönbrunn war eines der einmaligen Ereignisse in der Geschichte des österreichischen Fernsehens. Wir hatten herrliche Bilder, Jacqueline Kennedy schäkerte mit Chruschtschow und Nina Chruschtschow plauderte hinter vorgehaltener Hand mit Kennedy. Die Sendung funktionierte – ohne Probe – klaglos.320

7.2. Ein Rückblick aus der Sicht der Zuseher

Heute nehmen wir es als Selbstverständlichkeit hin, mehr als 20 Fernseh- programme rund um die Uhr zur Auswahl zu haben. Noch in den 1980er-Jahren sah das freilich ganz anders aus. In Österreich konnten zumeist nur die beiden Programme des ORF empfangen werden. Vorerst war es nur in Oberösterreich und entlang der Grenze zu Deutschland möglich, auch ARD und ZDF zu sehen. Doch die Empfangsverhältnisse waren örtlich sehr unterschiedlich. An höher gelegenen Orten war der Empfang der deutschen Programme oft mit Zimmerantenne möglich. Andernorts wurde dafür teilweise ein enormer

318 Vgl. www.medieninfo.bayern.de/download.asp?DownloadFileID, Zugriff am 12. 1. 2009 319 Vgl. Ergert, Bd. III, S 119 320 Vgl. Ebd., S 123

115 Das Österreichische Fernsehen – Demokratiepolitischer 7. Die Geschichte des Bildungsauftrag oder Quote ? Fernsehens allgemein

technischer Aufwand getrieben. Viele Leute ließen sich riesige Antennengebilde auf das Dach stellen, die heute umgerechnet mehr als 2.000 Euro kosten würden, nur um fünf statt zwei Fernsehprogramme sehen zu können.321 Entlang der östlichen Staatsgrenzen war zwar ein Empfang von Fernsehprogrammen aus der ehemaligen CSSR und Ungarn möglich, doch nur mit Schwarzweißbild und ohne Ton, denn in Osteuropa verwendete man damals eine Übertragungsnorm, die einen anderen Frequenzabstand zwischen Bild- und Tonsignal hatte, und überdies wurde in der französischen Farbnorm SECAM gesendet, während man in Österreich und Deutschland nach der deutschen PAL- Norm in Farbe sendete. Mehrnormengeräte waren damals technisch nur teuer zu realisieren und daher selten.322 Der Durchbruch des Satellitenfernsehens erfolgte mit dem Programmbetrieb über den ersten ASTRA-Satelliten (1A) am 1. Februar 1989 (Sat1, RTL-Plus, Pro7 und Teleclub ab 8. Dezember 1989). In den folgenden Jahren änderte sich die Fernsehlandschaft radikal, und die öffentlich-rechtlichen Fernsehanbieter mussten sich der privaten Konkurrenz aus dem All anpassen, indem z. B. nun auch ein Programm rund um die Uhr angeboten wurde.323 Vor allem RTL führte den Kampf um Marktanteile mit eigenen (eher schlüpfrigen) Shows im Fernsehen auf einem damals nicht üblichen Niveau. „Wir haben es mit einer völlig anderen Wettbewerbssituation zu tun. Derzeit können die Konsumenten zwischen 70 und 120 Fernsehprogrammen wählen.“324 Das betrifft nicht nur die Programmauswahl, sondern auch die Werbegelder, die mittlerweile bis zu einer Größenordnung von rund 250 Millionen Euro in die Werbefenster der Privaten fließen.325 Das heißt natürlich auch, dass der öffentliche Auftrag mit immer weniger Geldern erfüllt werden muss. Der 2005 zuständige Staatssekretär Franz Morak bezeichnete diese Werbefenster der Privaten als „vehementes ökonomisches Problem, das Auswirkungen auf die

321 members.aon.at/wabweb/frames/tvaf.htm, Zugriff am 20. 5. 2008 322 Vgl. ebd. 323 Vgl. members.aon.at/wabweb/frames/tvaf.htm, Zugriff am 12. 1. 2009 324 Interview mit Dr. Klaus Unterberger, „„Public Value“-Verantwortlicher im ORF- Kompetenzzentrum, am 1. 7. 2008 325 Übereinstimmende Aussagen von Dr. Klaus Unterberger und Prof. Werner Mück im Gespräch mit dem Verfasser

116 7. Die Geschichte des Das Österreichische Fernsehen – Demokratiepolitischer Fernsehens allgemein Bildungsauftrag oder Quote ?

kleinen Märkte hat. So könnten die Einnahmen nicht dem heimischen TV-Markt zukommen, was wiederum die kulturelle Vielfalt bedrohe“.326 Denn zuvor war das Programm zeitlich sehr eingeschränkt. Machen wir einen Blick in die 1970er-Jahre: Das reguläre Programm begann um 18 Uhr. Nur am Mittwoch gab es ab 16 Uhr Kindersendungen.327 Am Wochenende wurde allerdings auch schon früher begonnen, wobei hier oft Sportsendungen am Programmbeginn standen. Während der Woche gab es in Österreich bereits Programm am Vormittag, das allerdings nur aus Schulfernsehsendungen und Wiederholungen vom Vortag (sogenanntes Schichtarbeiterprogramm) bestand. Sendeschluss war oft schon um 23 Uhr, selten nach ein Uhr nachts. Zum Programmende wurde die Bundeshymne zum Bild der wehenden Staatsflagge gespielt.328

Abb. 3: Fernsehprogramm vom 27. November 1972 aus einer Linzer Tageszeitung (Volksblatt)

In den Zeiten ohne reguläres Programm wurde ein Testbild ausgestrahlt, das dazu diente, Fernsehgeräte richtig einstellen zu können. Dies war früher nämlich auch nicht so einfach wie heute. Eine Dachantenne musste sorgfältig auf einen Sender abgestimmt werden, vor allem wenn dieser etwas weiter entfernt lag. Die

326 Vgl. Sulzenbacher, S 101 f. 327 Interview mit Helmut Zilk, dem ehem. Programmdirektor, am 28. 11. 2007 im Ringturm 328 Vgl. www.tvforen.de, Zugriff am 10. 11. 2008

117 Das Österreichische Fernsehen – Demokratiepolitischer 7. Die Geschichte des Bildungsauftrag oder Quote ? Fernsehens allgemein

Fernsehgeräte hatten in den 1970er-Jahren natürlich keinen Sendersuchlauf und auch keine Fernbedienung. Kleine Knöpfe am Gerät mussten mühsam so lange gedreht werden, bis ein Bild zu sehen war. 329

Abb. 4: Die beiden in Österreich üblichen und abwechselnd gezeigten Testbilder: Diese waren international genormt und erlaubten die genaue Überprüfung von Schärfe (linkes Testbild) und Farbwiedergabe (rechtes Testbild).330

Das junge Fernsehen, genauer gesagt das „Öffentliche Fernsehversuchs- programm des Österreichischen Rundfunks“,331 machte in den Jahren 1955/56 seine ersten zaghaften Schritte. Schon begannen die parteipolitischen Grabenkämpfe. Die ÖVP hatte sich im Technikbereich festgesetzt, die SP im Programm.332 Besonders schwer hatte man es mit dem aktuellen Zeitgeschehen, denn das sollte ja doch immer großkoalitionär vergeben sein. Zunächst gab es ein „Bild des Tages“, das aus einem oder wenigen Pressefotos bestand, dazu wurde ein improvisierter Kommentar gesprochen. Bald kam der „Zeitspiegel“ dazu, eine Konkurrenz zur „Wochenschau“ der Kinos. Der Informationsgehalt war auf ein Minimum beschränkt, und die Parteien nutzten das neue Medium als erweitertes Printmedium. (Anm. d. Verf.)

329 Vgl. members.aon.at/wabweb/radio_a/tv.htm, Zugriff am 22. 9. 2008 330 http://images.google.at/imgres?imgurl=http://www.thayer.de/blogger/bilder/testbild-orf- sw.gif&imgrefurl=http://www.thayer.de/blogger/2004_07_01_ttarc.html&h=150&w=200&sz=17&hl= de&start=308&sig2=E5aB7GZtf5ynOYpfSaS4kA&tbnid=B901YerWr4p24M:&tbnh=78&tbnw=104& ei=8CriR6eDGYOG0gTE4ZmxCA&prev=/images%3Fq%3Dorf%2Bgeschichte%26start%3D300%2 6gbv%3D2%26ndsp%3D20%26hl%3Dde%26sa%3DN 331 Vgl. Ergert, Viktor, Die Geschichte des Österreichischen Rundfunks, Bd. III, S 13 332 Vgl. ebd. S 16

118 7. Die Geschichte des Das Österreichische Fernsehen – Demokratiepolitischer Fernsehens allgemein Bildungsauftrag oder Quote ?

1961 begann das Zweite Programm: Anlässlich der Wiener Herbstmesse, zwischen 18.30 und 20 Uhr, wurde ein sogenanntes „Technisches Versuchsprogramm“ gestartet.333 Die „Zeit im Bild“ begann am 1. Jänner 1957 mit einem, aus heutiger Sicht, „schüchternen“ Programm. Immer brav dem Proporz entsprechend, wie Zilk, Portisch und Weis unisono in Interviews sagten.334 Die Sendezeit betrug 30 Minuten. Vorbild waren die BBC-Nachrichten „Nine O’Clock News". Die „Zeit im Bild“ der 1950er- und 1960er-Jahre war eine SprecherInnensendung: Die NachrichtensprecherInnen füllten den Bildschirm völlig oder beinahe völlig aus. Es gab keine Variation in der Bildeinstellung. Diese Anordnung trug dazu bei, sie zu Garanten der Objektivität des Verlesenen zu machen. Auch wenn sie während der Bild- oder Filmeinblendungen verschwanden, blieben sie Angelpunkt der Sendung. SprecherInnen lasen einen vorgefertigten Text ab, d. h. sie liehen dem Text ihre Stimme, stellten ihm aber nicht ihre Persönlichkeit zur Verfügung. Die SprecherInnen verblieben in der Anonymität und waren nicht wirklich verantwortlich zu machen für das Gesagte.335

333 Vgl. ebd. S 124 334 Vgl. die Interviews mit Helmut Zilk, Gerhard Weis und Hugo Portisch, s. o. 335 Vgl. Thomandl, Oliver, Entstehung, Entwicklung und Rolle von Informationssendungen im Österreichischen Rundfunk am Beispiel der „Zeit im Bild" – eine Bilanz, Wien 1996, S 37

119 Das Österreichische Fernsehen – Demokratiepolitischer 8. Das österreichische Bildungsauftrag oder Quote ? Rundfunkvolksbegehren

8. Das österreichische Rundfunkvolksbegehren

8.1. Die Vorgeschichte

„Dös Kastl solln die Roten haben, da schaut eh kana eini“, meinte der seit 1953 amtierende Bundeskanzler Raab (VP) laut Dr. Helmut Zilk („Ich war seit 55 bereits beim Fernsehen dabei“).336 Dieser Ausspruch ist bereits legendär, ebenso wie der Irrtum, der dahinterstand. Und die weiter oben erwähnte Praxis, dass sowieso keine Fragen gestellt werden durften, sondern vorgegeben waren, waren für immer mehr Menschen in Österreich nicht mehr annehmbar. Bereits am 2. September 1962 trat die Gewerkschaft Kunst und freie Berufe, Sektion Journalismus, unter Günther Nenning mit einem Protest an die Öffentlichkeit:

Am 7. September wurde ein über Antrag der Unternehmensleitung durchgeführtes Interview mit Vizekanzler Bruno Pittermann von der Unternehmensleitung, die zuvor den Interviewten in den Studioräumen offiziell begrüßt und verabschiedet hatte, eine halbe Stunde vor der Sendung verboten. Der Presse gegenüber wurde hiebei die unrichtige und den Rundfunkjournalisten diffamierende Erklärung abgegeben, er hätte die Sendung ohne Auftrag durchgeführt. Am gleichen Tag wurde Landwirtschaftsminister Ing. Hartmann aus Anlass der Eröffnung der ersten automatischen Konservenfabrik in Österreich über Auftrag der Unter- nehmensleitung interviewt. Auch dieses Interview wurde verboten, wie vermutet werden kann, zum Ausgleich des Interviews mit Bruno Pittermann.337 Am 10. September wurde die Durchführung eines vom Aktuellen Dienst geplanten Interviews mit Minister Broda aus Anlass der Beendigung der Arbeiten mit dem Thema der Spionagebekämpfung im Rahmen der Strafrechtsreform von der

336 Interview am 28. 11. 2007 im Ringturm 337 Anmerkung dazu: Die Unternehmensleitung des Fernsehens und Rundfunks hatte die Interviews angeordnet und selbst die Ausstrahlung verboten. Man hat sich sozusagen selbst „abgeschafft“.

120 8. Das österreichische Das Österreichische Fernsehen – Demokratiepolitischer Rundfunkvolksbegehren Bildungsauftrag oder Quote ?

Unternehmensleitung verboten. Am 11. September wurde ein gleiches Schicksal einem Interview auf der Wiener Messe betreffend das Thema „Großbritannien zwischen EWG und EFTA“ bereitet. Am 12. September wurde die Durchführung einer Reportage über die Ausmusterung der Reserveoffiziere, in deren Rahmen der (damalige) Verteidigungsminister zu Wort kommen sollte, von der Unternehmensleitung verboten. Am nächsten Tag wurde der Auftrag gegeben, dieses Interview mit dem Thema „Reserveoffiziers- Ausmusterung“ nachzuholen, und zwar im Rahmen eines Berichts über den Ankauf von Haflinger-Pferden auf der Wiener Messe. Dies musste den Betreffenden von Seiten des Ministers dem Vorwurf aussetzen, dass er seiner Berufspflicht auf inkompetente Weise nachgekommen sei.338 Am 16. September wurde ein Interview mit dem Mitglied der Gewerkschaft des öffentlichen Dienstes, Jakes, aus Anlass der niederösterreichischen Personalvertretungswahlen durchgeführt. Dennoch wurde die Sendung verboten, was die Rundfunkjournalisten erneut dem Verdacht der Unfähigkeit aussetzen musste. Da am 18. September im niederösterreichischen Landhaus-Kommentar vom Standpunkt des niederösterreichischen Landeshauptmanns Leopold Figl Stellung genommen worden war, wollte der Aktuelle Dienst den Standpunkt der Gewerkschaft durch ein Interview mit dem Gewerkschaftspräsidenten Franz Olah der Öffentlichkeit bekanntmachen. Auch dies wurde von der Unter- nehmensleitung verboten.339

8.2. Die weitere Situation

Was hier schon 1962 vorexerziert wurde, nahm seinen freien Lauf. Die Finanzlage wurde immer schwieriger, wobei die Wahlen 1962 vor der Tür standen. Der damalige Generaldirektor Scheidl stellte sich auf den Standpunkt, dass die

338 Obwohl dieser Redakteur nur der Weisung seiner Unternehmensleitung nachkam. 339 Vgl. Stöger, Hermann, Schwarze Welle – Roter Schirm, Wien/Melk 1965, S 55 f.

121 Das Österreichische Fernsehen – Demokratiepolitischer 8. Das österreichische Bildungsauftrag oder Quote ? Rundfunkvolksbegehren

wahlwerbenden Parteien (die zwei Großparteien) für ihre Werbezeiten zu zahlen hätten, sodass die ÖVP 100.000 Schilling auf ein Treuhandkonto überwies. Nachdem aber feststand, dass seitens der SPÖ keinesfalls ein Entgelt durchzusetzen war, wurde der ÖVP der hinterlegte Betrag wieder rücküberwiesen.340 Dann protestierte, in diesen Wahlkampfzeiten, Vizekanzler Pittermann, dass ein auf Band aufgezeichnetes Interview abgesetzt wurde; weiters wurde eine geplante Fernsehsendung über die Habsburger zum Zankapfel, der sogar das „Rundfunk-Ministerkomitee“ beschäftigte. Dafür wurde als Ersatz ein „Stan Laurel und Oliver Hardy“-Film angesetzt.341

Bildungsfernsehen als solches gab es außer dem Schulfernsehen damals nicht. Aber immerhin war ein Teil der Bildung dadurch gewidmet, was in der heutigen Situation nicht mehr gesagt werden kann.

Noch weiter zurückblickend bestand das Fernsehen anlässlich der Übertragung der Skiweltmeisterschaft 1958 eine erste Bewährungsprobe.342 „Es war die erste Wintersportübertragung des Österreichischen Fernsehens, an die ganz Europa angeschlossen war“, erinnert sich Teddy Podgorski.343 Besonders die Kulturübertragungen waren für das noch junge Fernsehen neben einer Herausforderung auch eine Lernmethode, um diesen Aufgaben gewachsen zu sein. Beachtenswert ist, bei aller politischen Einflussnahme, dass schon damals das österreichische Kabarett zu ersten Fernsehehren kam. Während heute die Programmmacher auf die „Donnerstag Nacht“ richtig stolz sind, waren es die Urväter des Fernsehens, die den SeherInnen öffentliches Lachen verordneten. 1957 wurde vom Ensemble Louise Martini und Peter Wehle344 die Sendung „Glasl vor'm Aug" im jungen Medium Fernsehen ausgestrahlt. Ab Oktober 1958 spielte das Ensemble seine Programme „Spiegel vor'm G'sicht" ebenfalls im Fernsehen und erreichte damit ungeahnte Erfolge und neue Publikumsschichten. Die erste Folge dieser Fernseh-Kabarett-Reihe, die bis zum Sommer 1959 insgesamt acht

340 Vgl. Ergert, Band III, S 141 341 Vgl. ebd., S 142, Anm. d. Verf.: Dieser Film sorgte sicher für mehr Unterhaltung, ob er aber irgendeinen Bildungsauftrag erfüllte. bleibt dahingestellt 342 Vgl. Ergert, Bd. III, S 84 343 Vgl. Interview Podgorski 344 Louise Martini und Peter Wehle waren österreichische Kleinbühnenkünstler, die ab den 50er- Jahren aus dieser Szene nicht mehr wegzudenken waren.

122 8. Das österreichische Das Österreichische Fernsehen – Demokratiepolitischer Rundfunkvolksbegehren Bildungsauftrag oder Quote ?

Mal ausgestrahlt wurde, enthielt bereits das Bronner-Chanson „Der Papa wird's schon richten", interpretiert von Helmut Qualtinger345.346

Jedoch es war immer wieder die Informationsschiene, die von der überbordenden Parteipolitik kritisch – in jeweils subjektiver Hinsicht – in Augenschein genommen wurde. Fernsehdirektor war damals Gerhard Freund347, der sich immer wieder der Anschuldigung einer angeblich einseitigen TV-Berichterstattung gegenübersah. Freund galt als SP-nahe. Die ÖVP forcierte immer wieder den Slogan „Das rote Fernsehen“, ohne jedoch die tatsächliche Einflussnahme zu berücksichtigen. Gerhard Freund musste sich an vielen Fronten immer wieder rechtfertigen, so auch, als eine Übertragung einer Aufführung der Salzburger Festspiele angesetzt wurde, die vom damaligen Salzburger Landeshauptmann und späteren Bundeskanzler Dr. gefordert und von Herbert von Karajan als „unmöglich“ abgelehnt wurde.348 Die Einmischung der Politik in das Fernsehen war massiv, jede Partei hatte ihre Vertrauensleute und Aufpasser, für die ÖVP sollte Friedrich Hansen-Löwe den Fernsehdirektor Freund Paroli als „Programmleiter“ bieten.349 Der damalige Generaldirektor Dr. Karl Cejka musste schließlich 1960 seinen Hut nehmen und wurde durch den Bundesrat und stellvertretenden Generalsekretär der ÖVP Josef Scheidl ersetzt.350 Dies alles erregte zusehends den Ärger beinahe aller Printmedien und sie begannen – vorerst vorsichtig, danach aggressiv – eine Kampagne zu starten.

345 Gerhard Bronner war ein österreichischer Chansonnier, Kabarettist, Autor, Übersetzer und Komponist; Helmut Qualtinger war ein einzigartiger Universalkünstler, der sich durch Figuren wie Travnicek oder das Wiener Original „Der Herr Karl“ beinahe unsterblich machte, aber auch international bedeutende Erfolge, wie z. B. im Film „Der Name der Rose“ feierte. (Anm. d. Verf.) 346 Vgl. www.kabarettarchiv.at, Zugriff am 23. 6. 2009 347 Gerhard Freund, 1925–1979, war als Fernsehdirektor Vorgänger von Helmut Zilk und dann Direktor der Wiener Stadthalle und bis zu seinem Tod Intendant der Wiener Festwochen; vgl. dazu Ergert, Bd. III, S 98 348 Vgl. Ergert, Bd. III, S 112 349 Vgl. Tozzer, Kurt, Achtung Sendung, S 24 350 Vgl. ebd. S 119

123 Das Österreichische Fernsehen – Demokratiepolitischer 8. Das österreichische Bildungsauftrag oder Quote ? Rundfunkvolksbegehren

8.3. Die Rolle der Medien

Denn langsam hielten die unabhängigen Printmedien, allen voran der Kurier mit Chefredakteur Dr. Hugo Portisch, diese Situation nicht mehr aus. Unisono erklären Zilk und Hans Georg Heinke, dass „Portisch der wichtigste Mann bei der Einleitung des Volksbegehrens war“ (Heinke „Er war und ist mein großes Vorbild“).351 Mit dem absoluten Proporz im ORF durch ein Parteienüber- einkommen wurde immer deutlicher, dass trotz gegenteiliger Ankündigungen eine Reformierung des Rundfunks und somit auch des Fernsehens durch die Großparteien nicht zu erwarten war. Ein erster Anlauf zur Reform kam eben einerseits von Hugo Portisch als Chefredakteur des Kurier und andererseits durch Günther Nenning als Chef der Journalistengewerkschaft. Nenning war es, der schon 1963 ankündigte, dass die Gewerkschaft bereit sei, eine damals noch nicht gekannte Volksabstimmung für ein zweckentsprechendes Rundfunkgesetz in die Wege zu leiten.352

Eine Woche später erklärte auch die Gewerkschaft „Kunst und freie Berufe“ in einer einstimmig gefassten Resolution, sie würde alle Schritte begrüßen, durch die in gemeinsamer Initiative ein Volksbegehren zur Durchsetzung des Rundfunkgesetzes herbeigeführt werden könnte.353 Die SPÖ hingegen wollte diese Resolution nicht voll und ganz unterstützen und das damalige Parteiorgan Arbeiterzeitung wie auch das VP-Organ Volksblatt schossen aus vollen Rohren. Hugo Portisch erinnert sich: „Bedeutend war vor allem, dass uns der Franz Olah unterstützte. Und einer der wichtigsten Kämpfer auf unserer Seite war Günther Nenning. Der nachmalige Justizminister wollte ihn schon damals rausschmeißen, Unterrichtsminister Heinrich Drimmel (VP) hingegen war verbindlicher. Wir wurden aber von den beiden Parteizeitungen regelrecht beflegelt, weil wir uns gegen den Proporz wandten.“354 Hans Magenschab vertrat die Meinung, dass die Aktionen der parteiunabhängigen Presse vornehmlich gegen die brüchig gewordene

351 Vgl. Interview Zilk, s. o., und Heinke am 4.12. 2007 352 Vgl. Ergert, a. a. O., S 147 353 Vgl. Ergert, S 169 354 Interview mit Dr. Hugo Portisch, s. o.

124 8. Das österreichische Das Österreichische Fernsehen – Demokratiepolitischer Rundfunkvolksbegehren Bildungsauftrag oder Quote ?

Koalition gerichtet waren.355 Obwohl die Zeitungen damals öffentlich erklärten, dass „sich unsere Aktion in keiner Weise gegen eine bestimmte Partei oder die Parteien insgesamt und auch nicht gegen die laufenden Verhandlungen zwischen den Regierungsparteien richten, deren Erfolg wir – innerhalb der der Öffentlichkeit verbindlich zugesagten Frist – aufrichtig wünschen.“356 Ein Gewerkschaftsplan für die Zukunft des Rundfunks und Fernsehens lag eben schon Mitte 1963 vor. Wie die Gewerkschaften traten auch die Zeitungen mit ihren Forderungen, die sich deckten, an die Öffentlichkeit. Kurier, Kleine Zeitung und Wochenpresse riefen zu einer Unterschriftenaktion gegen das „Rundfunkdiktat“ auf.357 Nachdem sich eine Einigung der Parteien nicht ankündigte, gründeten die unabhängigen Zeitungen mit anderen Zeitungen ein „Exekutivkomitee“ und kündigten am 6. Juni 1964 die Einleitung eines Volksbegehrens für eine Reform des Rundfunks an. Die Eintragungsfrist für das Volksbegehren währte von 5.–12. Oktober 1964 und wurde von 833.389 Österreichern unterschrieben. Mit einer derart hohen Unterschriftenzahl hatte wohl keiner gerechnet. Das Volksbegehren richtete sich nicht nur gegen die unerträgliche Proporzherrschaft, sondern die beteiligten Zeitungen hatten sozusagen eine „Oppositionsrolle“ übernommen, wie oben schon erwähnt. Sie engagierten sich auch nachhaltig für die Methode der Volks- begehrens allgemein. Es war aber nicht nur ein rein idealistisches Engagement, sondern mit der Beschränkung der Werbezeiten im Fernsehen verfolgten die Zeitungen durchaus auch handfeste Interessen.358 In der Folge erlebte allerdings gerade das Fernsehen einen beachtlichen Werbeaufschwung. Politisch war es fatal: Die SPÖ verhielt sich gegenüber diesem neuen Instrument der Volksmeinung eher ablehnend, während die ÖVP gerade noch rechtzeitig auf den Zug aufsprang, wenn auch widerwillig. Karl Blecha sieht in der damaligen Ablehnung des Volksbegehrens und dem Fehlen eines, auf dem Gewerkschafts- entwurf von 1963 basierenden Reformkonzeptes, einen entscheidenden Fehler und eine vertane Chance.359 Ein Fehler, den Bundeskanzler Kreisky Mitte der

355 Vgl. Magenschab, Hans, Demokratie und Rundfunk, Wien 1973, S 68 356 Kurier-Archiv vom 6. 6. 1964 357 Vgl. Magenschab, Hans, Rundfunk, a. a. O., S 157 358 Vgl. Luif, Paul, Zur wirtschaftlichen Situation von Presse und Rundfunk, in: Publizistik, 21. Jg., Heft 1, 1976, S 48 359 Vgl. Blecha, Karl, Die Rundfunkreform in Österreich, in: Die Zukunft, Heft 15/16, August 1967, S 6

125 Das Österreichische Fernsehen – Demokratiepolitischer 8. Das österreichische Bildungsauftrag oder Quote ? Rundfunkvolksbegehren

70er-Jahre „auszubügeln“ versuchte und durch eine neue Rundfunkreform ersetzen wollte.

8.4. Der Kampf ging weiter

Dr. Hugo Portisch schrieb schon am 22. Juli 1960 im Kurier in einem Leitartikel: „Wieder einmal krachte es zwischen den Parteien, weil sie sich über ihren Einfluss auf Fernsehen und Rundfunk nicht einigen. Die ÖVP behauptet, das Fernsehen sei zu rot, die SPÖ verweist darauf, dass der Rundfunk angeblich zu schwarz sei. ,Nein’, sagt die ÖVP, ,der Rundfunk ist proporzmäßig gegliedert, das Fernsehen aber nicht.’ Was für den Rundfunk recht ist, muss für das Fernsehen billig sein. Man fordert Überwachungsorgane.“360 Später gab es einen „Geheimpakt“ zwischen dem nachfolgenden Bundeskanzler Gorbach (VP) und Vizekanzler Bruno Pittermann (SP), dass alle Positionen proporzmäßig besetzt werden müssen.361 Und 1960 kam es zum Eklat zwischen den Koalitionsparteien, als das Fernsehen zwar die Ehrenbürgerverleihung an Innenminister a. D. Oskar Helmer aufzeichnen wollte, vorher aber dieselbe Verleihung an Bundeskanzler Raab nicht.362 Wie oben erwähnt, war es Dr. Hugo Portisch, der im Kurier, zu dieser Zeit noch dazu auflagenstärkste Zeitung des Landes, gegen die parteipolitische Vereinnahmung weitere Artikel verfasste. Er protestierte jedes Mal gegen den Einfluss der Parteien auf das größte meinungsbildende Medium des Landes, den er als diktatorisch ansah. „Kräftige Worte, aber geschehen wird wieder nichts, irgendwie zeigt das unsere Ohnmacht“363 – dieser Satz vom damaligen Chef vom Dienst, Hermann Stöger, ließ Portisch an die durch die Gewerkschaft bereits mehrfach diskutierte Möglichkeit eines Volksbegehrens denken. Es ging dann Schlag auf Schlag: Der Kurier schrieb einen Eigenbericht unter der Schlagzeile „Anschlag auf Hörer und Seher“: „ÖVP und SPÖ haben in den letzten Tagen einen ungeheuren Anschlag auf die Freiheit des Rundfunks und des Fernsehens

360 Vgl. Kurier vom 22. 7.1960, Seite 2 361 Interview mit Dr. Hugo Portisch 362 Vgl. Ergert, S 109 363 Vgl. Portisch, Hugo, Österreich II, Wien 1996, S 219 f.

126 8. Das österreichische Das Österreichische Fernsehen – Demokratiepolitischer Rundfunkvolksbegehren Bildungsauftrag oder Quote ?

vorbereitet. Wie gestern bekannt wurde, haben die Regierungsparteien vereinbart, an den Schlüsselstellen der Programmleitung und des Nachrichtendienstes politische Kommissare einzusetzen. Diese haben den Auftrag, die Einhaltung des Proporzes im Programm zu überwachen, ihre Parteizentrale bei ,Übergriffen’ des Gegners zu alarmieren und ,Rachesendungen’ gegen die andere Regierungs- partei zu organisieren. Insgesamt sollen fünf solcher Proporzkommissare einge- setzt werden; das Ende der letzten Freiheiten und der schlichen Arbeit im Rundfunk steht unmittelbar bevor.“364

Weiters deckte der Kurier – mit ihm auch andere parteiunabhängige Zeitungen –, dass die ÖVP „ihren“ bisherigen Sportredakteur Ing. Edi Finger als Programmleiter durchsetzen wollte. Der Leiter des Aktuellen Dienstes, Ing. Dörflinger, sollte einen ÖVP-Stellvertreter als Überwachungskommissar erhalten. Das wurde auch der Bevölkerung langsam zu viel, denn sie hatte den Proporz satt, obwohl dieser in abgeschwächter Form in vielen Bereichen, gerade außerhalb des ORF, noch immer gang und gäbe war. Mit einer demokratischen Einstellung hatte dies gar nichts zu tun, daher versuchten die Zeitungen, den ORF eben in diese Richtung lenken.

Abb.5: Der Kurier unter Chefredakteur Portisch und die Kleine Zeitung unter Fritz Csoklich als die Speerspitzen des Volksbegehrens

364 Archiv Kurier, Anschlag auf Hörer und Seher, in: Kurier, 20. 3. 1963, S 1

127 Das Österreichische Fernsehen – Demokratiepolitischer 8. Das österreichische Bildungsauftrag oder Quote ? Rundfunkvolksbegehren

8.5. Proteste

Am 23. März 1963 veröffentlichte der Kurier auf Initiative von Dr. Hugo Portisch einen Unterschriftenaufruf mit der Überschrift „Kurier-Aktion gegen das Rundfunkdiktat“:

Wir, die unterzeichneten Staatsbürger (es handelte sich noch nicht um das eigentliche Volksbegehren, Anm. d. Verf.), die österreichischen Staatsbürger und Wähler, sprechen uns entschieden dagegen aus, dass Rundfunk und Fernsehsender der geplanten parteipolitischen Kontrolle unterworfen wären. Wir stellen an die gewählten Vertreter des Volkes, die politischen Parteien und ihre Funktionäre das Begehren, durch geeignete Maßnahmen für einen Rundfunk- und Fernsehbetrieb zu sorgen, der der österreichischen Bevölkerung mit freier überparteilicher Information sowie guter Unterhaltung dient und seine kulturelle Mission ungehindert von parteipolitischen Zwängen erfüllt.365

Man könnte dies auch als ersten demokratiepolitischen Versuch auffassen, Überparteilichkeit mit Kultur und Unterhaltung zu mischen. Portisch sah in dem Abkommen der Parteien einen direkten Angriff auf die Demokratie und führte aus, dass die Freiheit zur Meinungsvielfalt und Information ohne Überwachung nötig sei. Ohne derartige Freiheit werde es keine Demokratie geben. Und von der Überwachung der Meinung und Information sei der Weg zum Polizeistaat nicht mehr weit. Die Wochenpresse und die Kleine Zeitung unter Dr. Fritz Csoklich schlossen sich der Protestbewegung an, und in kürzester Zeit konnten 372.725 Unterschriften gesammelt werden (es handelte sich noch immer nicht um das eigentliche Volksbegehren). Eine solche massive Kampagne traf die Regierenden ins Mark, war man doch die Gleichschaltung gewohnt. Wie immer kam es zum Parteienstreit, um sich möglichst viel Einfluss zu sichern. Die Initiatoren verfassten

365 Archiv Kurier, 23. 3. 1963, S 1

128 8. Das österreichische Das Österreichische Fernsehen – Demokratiepolitischer Rundfunkvolksbegehren Bildungsauftrag oder Quote ?

daraufhin einen Aufruf, deren Text der Aktion einen durchaus emotionalen Trend gab. Er begann mit der Feststellung „Die Uhr ist abgelaufen“ und schloss mit den Worten: „Demokratie heißt Kraft zur Entscheidung. Wenn die Parteien in der Rundfunkfrage diese Kraft nicht haben, das Volk wird diese Kraft aufbringen.“366 1967, nach Einführung der Reform, wurden fünf sogenannte Virilisten367 aus den Bereichen Kunst, Wissenschaft, Volksbildung, Sport und Religion ernannt. Heute gibt es nur noch die Bereiche Sport, Information und Unterhaltung, die Wissenschaft und die Volksbildung wurden vollends in den Hintergrund gedrängt. Die Frage, ob die Rundfunkreform damals auch den Intentionen des Volksbegehrens entsprach, ist heftig umstritten, auch innerhalb der Parteien, ob allerdings die neue Reform von 1974 bessere Umstände gebracht hat, war Zielpunkt der parlamentarischen Auseinandersetzungen. 1966, bei der Diskussion um ein neues Rundfunkgesetz, meinte die SPÖ nach anfänglicher Ablehnung des Volksbegehrens, dass den Intentionen nicht entsprochen wurde. Das ist auch darauf zurückzuführen, dass die Partei damals schon in der Oppositionsrolle war. Der in Österreich zu der damaligen Zeit bereits unerträgliche Proporz (Zitat Portisch: „Jede Häuslfrau musste ein Parteibuch haben und die nebenan das andere.“)368 führte zu gegenseitigen Schuldzuweisungen der Regierungsparteien. Zudem wollten beide Parteien an den ständig steigenden Werbeeinnahmen und an den diskutierten Rundfunkgebühren mitnaschen. Sie planten eine spezielle, den beiden Parteien nahestehende Rundfunkwerbegesellschaft.369

Am 20. Mai 1964 veröffentlichten der Kurier unter der Federführung von Hugo Portisch sowie die Kleine Zeitung und die Wochenpresse einen „Direkten Appell an das Volk“:

Falls die beiden Regierungsparteien ihr Versprechen, bis längstens 30. Juni dieses Jahres die leidige Rundunkfrage zu lösen, nicht

366 Vgl. Ergert, S 174 367 Als Virilisten (lat. vir = Mann) bezeichnete man im Konstitutionalismus des 19. Jahrhunderts in Deutschland und Österreich jene Personengruppe, die aufgrund ihres Amtes als Bischof, als Richter oder Rektor einer Universität einen Sitz ex-officio in einer legislativen Körperschaft innehatte. Selbst heute noch existiert diese Bezeichnung. So z. B. im Österreich-Konvent des österreichischen Parlaments (vgl. dazu /www.brockhaus.de/wissen/virilisten, Zugriff am 11. 6. 2009) 368 Interview mit Dr. Hugo Portisch 369 Ebd.

129 Das Österreichische Fernsehen – Demokratiepolitischer 8. Das österreichische Bildungsauftrag oder Quote ? Rundfunkvolksbegehren

einhalten, wird das österreichische Volk zum ersten Volksbegehren in der Geschichte unseres Landes aufgerufen werden.370

Die zunehmenden Presseangriffe der bürgerlichen Zeitungen auf das Fernsehen führten dazu, dass die Mitarbeiter sich enger zusammenschlossen. Jedoch war der damalige Rundfunk wenig zahlungsfähig, sodass die Stimmung wieder umschlug. Und die Olympischen Spiele in Innsbruck 1964 waren ein Knackpunkt. „Da wusste man, dass das Fernsehen eine Macht ist.“371 Den Journalisten störte vor allem, dass sich ÖVP und SPÖ in den Führungsetagen nicht einigen konnten. „Damit war keine Entscheidung möglich, das damalige Fernsehen war völlig entscheidungslos“, wie es der damalige Chefredakteur der Kleinen Zeitung, Fritz Csoklich, ausdrückte.372 Es kamen sehr viele Reaktionen in Form von Leserbriefen, vor allem an die führenden Medien, in erster Linie an den Kurier, aber auch an die Presse, die Wochenpresse und die Kleine Zeitung – damit wurde zum Ausdruck gebracht, dass endlich ein erstarrtes System zu Fall gebracht werden sollte.

8.6. Rechtliche Grundlagen des Fernsehens

Medien und vor allem das Fernsehen tragen entscheidend dazu bei, dass politische, kulturelle und gesellschaftliche Auffassungen verbreitet und auch andere Meinungen, sofern diese keinen Gesetzen widersprechen, veröffentlicht werden können. Und gerade der öffentlich-rechtliche Auftrag des ORF sollte darin bestehen, „Aufklärungsarbeit zu betreiben“.373 „Die Kluft zwischen den Armen und Reichen wird immer größer und die Medien gehören einfach den Reichen.“374

In Österreich werden die rechtlichen Grundlagen durch eine eigene Behörde geregelt, die ihrerseits wieder den strengen Richtlinien der EU unterworfen ist.

370 Vgl. Kurier-Archiv vom 20. 5. 1964 in der Zeitschriftensammlung der Österreichischen Nationalbibliothek 371 Interview mit Dr. Helmut Zilk 372 Vgl. Hanreich, Christa, Das Rundfunkvolksbegehren 1964, Wien 2001, S 122 373 Interview mit Teddy Podgorski am 13. 12. 2008 im Café Gutruf 374 Derselbe

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Die Kommunikationsbehörde Austria (KommAustria) ist zuständig für die Rechtsaufsicht über den privaten Rundfunk in Österreich. Als Geschäftsstelle dient ihr die Rundfunk und Telekom Regulierungs-GmbH (RTR-GmbH). Gesetzliche Grundlage für Kabelrundfunk ist das Privatfernsehgesetz (PrTV-G), BGBl. I Nr. 84/2001 in der Fassung BGBl. I Nr. 169/2004.

In diesem Merkblatt informiert die KommAustria über die wesentlichen Regelungen für Kabelrundfunkveranstalter. Zu be- achten ist, dass auch der Kabelhörfunk im Privatfernsehgesetz geregelt ist. Der Begriff „Rundfunk“ umfasst Hörfunk und Fern- sehen.

Zu beachten ist weiters, dass die nachfolgenden Informationen nur Rundfunkveranstalter betreffen, also Personen, die Hörfunk- oder Fernsehprogramme (analog oder digital) schaffen, zusammenstellen und verbreiten (oder durch Dritte vollständig und unverändert verbreiten lassen). Wer Rundfunkprogram- me ausschließlich weiterverbreitet (etwa als Satelliten- oder Kabelnetzbetreiber), ist nicht Rundfunkveranstalter und unterliegt daher nicht den nachfolgend dargestellten Regelungen. Für nähere Informationen für Kabelnetzbetreiber und ihre gesonderte Anzeigepflicht nach § 15 Telekommunikationsgesetz 2003 („Allgemeingenehmigung“) wird auf die Informationen für Netz- betreiber auf der Website der RTR-GmbH verwiesen.

Dieses Merkblatt enthält jedoch keine vollständige Darstellung der Rechtsvorschriften und auch keine rechtlich verbindlichen Anforderungen, die über die allein maßgeblichen geltenden Rechtsvorschriften (insbesondere das Privatfernsehgesetz, das KommAustria-Gesetz und das Allgemeine Verwaltungsver- fahrensgesetz) hinausgehen.

Mit April 2001 wurde durch das KommAustria-Gesetz (KOG), BGBl. I Nr. 32/2001, die Kommunikationsbehörde Austria (KommAustria) zur Verwaltungsführung in Angelegenheiten der

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Rundfunkregulierung eingerichtet, die damit die Privatrund- funkbehörde ablöste. Im Zuge der Errichtung einer neuen Regulierungsbehörde wurde auch eine neue gesetzliche Grundlage für die Veranstaltung von Privatfernsehen geschaffen und das Privatfernsehgesetz (PrTV-G), BGBl. I Nr. 84/2001, verabschiedet, welches am 1. 8. 2001 in Kraft trat. Dieses Gesetz beinhaltet nunmehr Regelungen für alle Verbreitungswege (Kabel, Satellit und terrestrisch, jeweils analog und digital) und löst auch das Kabel- und Satellitenrundfunkgesetz, BGBl. I Nr. 42/1997, ab, welches bis dahin die gesetzliche Grundlage für die Veranstaltung von Kabel- und Satellitenrundfunk bildete. Mit BGBl. I Nr. 169/2004 wurde das PrTV-G zuletzt novelliert. Diese Novelle ist mit 1. 1. 2005 in Kraft getreten.375

8.7. Die erste Rundfunkreform

Mit Inkrafttreten des Rundfunkgesetzes 1966 sollte die Reformierung beginnen. Allerdings war es eine Auseinandersetzung um Personalfragen, in guter alt- politischer Manier. Im ORF geriet vieles in Bewegung, nur auf politischer Ebene setzte ein Feilschen ein, in dessen Mittelpunkt die Person des Generalintendanten stand. Die SPÖ stellte sich schon bald gegen die Person Gerd Bacher. In den 70er-Jahren unter der Regierung Kreisky verschärften sich die Konflikte, obwohl, wie Hugo Portisch meint, sich die beiden durchaus gut verstanden, aber „halt auf einer anderen Ebene. Sie schätzten sich, konnten aber nicht mitsammen“.376

375 Vgl. Merkblatt der Rundfunk- und Telekom-RegulierungsGesmbH. www.rtr.at, Zugriff am 15. 9. 2008 376 Interview mit Dr. Hugo Portisch, s. o.

132 8. Das österreichische Das Österreichische Fernsehen – Demokratiepolitischer Rundfunkvolksbegehren Bildungsauftrag oder Quote ?

8.7.1. Die Parteienverhandlungen

Es setzten hektische Verhandlungen zwischen den Proporzparteien ein. Die SPÖ war sehr sperrig, was wiederum die Gewerkschaft unter Olah veranlasste, eine differenzierte Haltung einzunehmen, obwohl sie vorerst das Volksbegehren nicht unterstützen wollte, jedoch hinter dem Grundgedanken der Rundfunkreform, wie von der Teilgewerkschaft „Kunst und freie Berufe“ formuliert, stand. Günther Nenning war damals Vizevorsitzender der Gewerkschaft und eben, wie oben formuliert, eifriger Befürworter des Volksbegehrens.377 Später wurde er Vorsitzender der Journalistengewerkschaft. Alle Zeitungen, mit Ausnahme der Parteizeitungen, nahmen teil. Mit Rechtsanwälten wurde ein komplettes Rundfunkgesetz ausgearbeitet. Es sollte ein Vorstand gebildet werden, der aus drei Vorständen bestehen sollte, wie die ÖVP vorschlug378 – einem General- intendanten, einem Technischen Direktor und einem Verwaltungsdirektor.379 Außerdem beharrte die ÖVP darauf, dass keiner der bestehenden Vorstände sich um den Posten des künftigen Generalintendanten bewerben dürfe. Die SPÖ lehnte diesen Vorschlag ab, da dies die Eliminierung des SP-Mannes Freund aus dem Fernsehen vorsah. Nun stagnierten die Verhandlungen, zu sehr hatten sich die Parteien ihre Posten aufgeteilt.

377 Dr. Günther Nenning war Nachfolger von Friedrich Torberg als Herausgeber der Zeitschrift Forum, die er dann in Neues Forum umbenannte. Er war bekennender Sozialist, Umweltaktivist und wurde 1985 aus dem ÖGB ausgeschlossen. Er wurde aber 1990 rehabilitiert und 2000 für seine 50-jährige Mitgliedschaft sogar ausgezeichnet. Bundeskanzler Bruno Kreisky nannte ihn aufgrund seines Engagements „mit Hirschgeweih“ bei den Hainburg-Demonstrationen einen „Wurschtel“. Er war Buchautor, Rot-Grün-Hellschwarzer – das war seine Selbstbezeichnung. Dazu war er „überzeugter Feminist“, Schauspieler am Volkstheater, überzeugter Ökologe, Provokateur, Moderator des „Club 2“ und vieler anderer Sendungen in Österreich und Deutschland. Nach seinem Ausschluss, nicht nur aus dem ÖGB, sondern auch aus der SPÖ, trat er den Schweizer Sozialdemokraten bei. Zuletzt, bis zu seinem Tod 1986, war er Kolumnist der Kronen Zeitung, in der er allerdings eine christlich-nationalpopulistische Linie vertrat. Der Verfasser hatte die (wirklich ernst gemeinte) Ehre mit Nenning öfter zusammenzuarbeiten und war auch einer der letzten Interviewer anlässlich einer Arbeit für Zeitgeschichte. Mit Nenning ist sicher ein großer Vertreter der Zweiten Republik verloren gegangen (vgl. dazu http://wien.orf.at/stories/109466/, Zugriff am 11. 6. 2009) 378 Vgl. Ergert, S 173 379 Vgl. ÖVP-Papier vom 18. 6. 1964, zur Verfügung gestellt von Hannes Missethon

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8.8. Und wieder die Zeitungen

Jetzt kamen wieder die Zeitungen ins Spiel, und zwar massiv. Hugo Portisch war der Vorreiter, wie schon oben erwähnt. Er schrieb einen Leitartikel „Zurück zur Demokratie, die Uhr ist abgelaufen: (…) die Demokratie heißt Kraft zur Entscheidung. Wenn die Parteien in der Rundfunkfrage diese Kraft nicht haben – das Volk wird sie haben.“380 Dieser Artikel wurde auch in den anderen „Partnerzeitungen“ veröffentlicht, mit Ausnahme der Parteizeitungen. Es war eine ungeheure Bewegung, die hier in Gang gesetzt wurde und zum ersten Mal nicht mehr von den Parteien zu kontrollieren war. „Ich musste mit meinem damaligen Chef vom Dienst lange reden, denn der meinte: ,Es nutzt nichts’.“381 Vor allem Fritz Csoklich, der mittlerweile legendäre ehemalige Chefredakteur der Kleinen Zeitung, unterstützte ihn sehr. Das Wichtigste zu dieser Zeit war die Entpolitisierung des ORF (was in der Anfangsphase auch gelungen ist, Anm. d. Verf.). Hugo Portisch, zu jener Zeit Chefredakteur des Kurier, der damals größten österreichischen Tageszeitung, also war er es, der beinahe auf eigene Faust eine Unterschriftenaktion startete.

Ein „Gesetzesentwurf der parteiunabhängigen Presse“ wurde noch am 1. Juli 1964 der Öffentlichkeit in einer Pressekonferenz vorgelegt und hatte, in groben Zügen umrissen, folgende Inhalte: „Der Gesetzesentwurf für das Volksbegehren legt in 18 Artikeln Aufgaben und Einrichtungen der Rundfunkgesellschaft fest. An der Rechtsform der Gesellschaft mit beschränkter Haftung wird festgehalten. Der Gesetzesentwurf verlangt die Gestaltung von mindestens drei Programmen des Hörfunks und zwei des Fernsehens, wobei die bundesstaatliche Gliederung durch Mitwirkung aller Studios berücksichtigt werden soll.“382 Darüber hinaus wurde auch gefordert, dass die Werbezeiten einen bestimmten Prozentsatz des Programms nicht überschreiten dürfen, der Generalintendant sich jeglicher politischer Funktion zu entsagen habe. Wichtig im Rahmen dieser Arbeit ist weiters, dass im neu zu installierenden Aufsichtsrat drei Sprecher der Rundfunkteilnehmer aus dem Bereich von Wissenschaft, Kunst und Volksbildung berufen wurden.

380 Kurier-Archiv vom 1. 7. 1964, S. 1 381 Interview mit Dr. Hugo Portisch, w. o. 382 Vgl. Fischer, Dieter, Das Rundfunk-Volksbegehren 1964, Hamburg 2005, S 53

134 8. Das österreichische Das Österreichische Fernsehen – Demokratiepolitischer Rundfunkvolksbegehren Bildungsauftrag oder Quote ?

Den parteiunabhängigen Blättern ging es offensichtlich in erster Linie darum, ein Einleitungsverfahren zustande zu bringen, was angesichts der angespannten politischen und proporzmäßig aufgegliederten Lage durchaus sinnvoll war, dazu brauchte man laut damaligen Gesetzesvorschriften rund 30.000 Unterstützungs- erklärungen (heute sind es nur noch 8.032 Unterstützungs-erklärungen).383 Insgesamt waren es 44 Zeitungen, die hier „verbündet“ waren, und die brauchten 200.000 Unterschriften, damit die Gesetzesvorlage überhaupt dem Parlament übermittelt werden konnte. Das war auch das Ziel – dass es dann ein so großer Erfolg wurde, konnte keiner voraussehen. ÖGB-Präsident Benya sprach von einer „Aktion der Kommerzblätter“.384

8.9. Die Umsetzung des Volksbegehrens

Am 3. Juli 1964 kam es im Fernsehen zu einer Diskussion unter der Leitung von Dr. Helmut Zilk mit Verkehrsminister Probst (SP), Unterrichtsminister Piffl-Percevic (VP), Justizminister Broda, dem damaligen VP-Generalsekretär Withalm und seitens der Presse den Journalistengewerkschaftern Günther Nenning und Eberhard Strohal. Dabei wurden vor allem die sogenannte „Politikerklausel“ sowie jene Bestimmungen angegriffen, die der Gesellschaft das Recht zur „Festsetzung eines angemessenen Entgelts“ einräumten.385 „Es durfte niemals über das Volksbegehren im Fernsehen berichtet werden, es gab sogar den Befehl, wer darüber berichtet, wird sofort gekündigt“, erinnert sich Hugo Portisch.386 Die Berichterstattung in den Zeitungen gab dem Begehren großen Auftrieb, schon am ersten Tag lagen mehr als 10.000 Unterschriften vor. Der Kurier brachte auf Seite eins eine Karte, auf der man unterschreiben konnte.387 Auch die anderen Zeitungen beteiligten sich.

383 Auskunft Bundesministerium für Inneres, Abt. III/6 384 Vgl. Die Presse vom 2. 7. 1964, S 3 385 Vgl. Ergert S 176 386 Interview Portisch 387 Kurier-Archiv

135 Das Österreichische Fernsehen – Demokratiepolitischer 8. Das österreichische Bildungsauftrag oder Quote ? Rundfunkvolksbegehren

Der Unmut über den Proporz, die finanzielle Aushungerung, die Ablehnung des unzulänglichen Programmangebotes und die Mobilmachung der Presse gegen diese unhaltbaren Zustände äußerten sich eben in Form des Volksbegehrens.388 Sowohl Fernsehen als auch Rundfunk machten unter der damaligen Führung mobil gegen diese Initiative. „Max Eisel war der Einzige, der über das Einleitungsverfahren für das Volksbegehren berichtete, und er wurde prompt hinausgeschmissen aus dem ORF und dann beim Kurier angestellt“, erinnert sich Portisch.389

Nur ein Beispiel: Der österreichische Rundfunk ist mit Sorgen belastet. Die Einnahmen hielten nicht Schritt mit den Ausgaben, sodass bereits in den vergangenen Jahren bedeutende Einsparungen vorgenommen werden mussten. Natürlich wirkte sich dies stark auf das Programm aus. Seit Monaten kann dem Hörer nur ein Teil dessen geboten werden, das der Programmdirektion notwendig und wünschenswert erscheint. Trotz einer der breiten Öffentlichkeit durchaus bekannten Situation ist der Österreichische Rundfunk bemüht, der Millionenschar (!) von Hörern und Sehern anlässlich seines vierten Geburtstags ein Festspielprogramm zu bieten. Wir wollen zeigen, dass er der verantwortungsbewusste Hüter aller schöpferischen Kräfte des Landes und der Länder ist. Mosaikartig soll sich die ganze Vielfalt eines Volkes ausbreiten, das wirtschaftlich gesehen keineswegs reich ist, von künstlerischen und geistigen Gesichtspunkten aus jedoch viel zu bieten hat.390

Außerdem wollte man das Einleitungsverfahren unterlaufen, indem man ständig Jubelmeldungen verbreitete: „(…) in diesem Zusammenhang darf festgestellt werden, dass der Österreichische Rundfunk bei fast allen seinen Nachbarn – und nicht nur bei diesen – sich großer Beliebtheit erfreut.“391

388 Vgl. Treiber, Alfred, Ö1 gehört gehört, Wien 2007 389 Interview Portisch 390 Rundfunkrede von Prof. Dr. Alfons Übelhör (sic) am 26. 9. 1964, vgl. dazu Ergert, Bd. III, S 132 391 Vgl. Programmzeitschrift Radio Österreich, 26. 9. 1964, S 2

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Da kann ein Außenstehender nur noch Realitätsverweigerung feststellen, obgleich man konzedieren muss, dass die Zeiten damals andere waren. Die Aktion für ein Volksbegehren strebte trotz aller Widerstände der Politik die notwendigen 200.000 Unterschriften zur Einleitung an. Auch andere Blätter (Kleine Zeitung, Wochenpresse, Salzburger Nachrichten, Die Presse, Zukunft) erklärten sich sofort bereit, die Unterschriftenaktion zu unterstützen. Es wurden 370.000 Unterschriften gesammelt. Von Regierungsseite zeigte man sich grundsätzlich bemüht und entgegenkommend. „Wir machen ein Volksbegehren“, erklärten Fritz Csoklich und Hugo Portisch.392 Die Herausgeber waren über diese Initiative ihrer Redakteure alles andere als glücklich. Wie Portisch seinen Herausgeber Polsterer überreden musste, mussten dasselbe auch die anderen Mitstreiter tun. „Alle mussten ordentliche Aufklärungs- arbeit leisten“, so Dr. Zilk393, „… im Inneren waren alle Parteien dagegen, weil sie um ihren Einfluss gefürchtet haben." 394

8.9.1. Der Ablauf

Der Aufruf begann mit: „Es ist soweit – das Volk entscheidet selbst“.395 Und weiter:

Das Volk entscheidet selbst! Das erste Volksbegehren in der Geschichte der Republik Österreich wird am kommenden Montag, dem 5. Oktober, beginnen. Mit dem Volksbegehren wird der Bundesregierung und dem Nationalrat ein Gesetz für eine Generalreform für Rundfunk und Fernsehen vorgelegt.396

Es setzte ein neuerliches propagandistisches Trommelfeuer der parteiunabhängigen Presse ein – ein damals unvorstellbarer Vorgang, eingeleitet eben durch Portisch.

392 Interview Dr. Hugo Portisch 393 Interview Dr. Helmut Zilk 394 Kurt Tozzer, Interview am 19. 9. 2000/Wien, zit. in: Hanreich 2001:S 63 395 Kurier vom 1. 10. 1964 396 Ebd.

137 Das Österreichische Fernsehen – Demokratiepolitischer 8. Das österreichische Bildungsauftrag oder Quote ? Rundfunkvolksbegehren

Es kommt auf jede Unterschrift an – diese Woche wird zur Feuerprobe unserer Demokratie. Die Parteipolitik hat in einer für den Kulturstaat Österreich entscheidenden Frage versagt – das Volk darf nicht versagen. Unterschreibe. Entscheide!“397 Der Hörfunk hatte bis zu diesem Tag noch keine einzige Meldung über das Volksbegehren gebracht, eine Dienstanweisung an alle zuständigen Abteilungen besagte nämlich: „Das Volksbegehren in Angelegenheiten des Österreichischen Rundfunks ist angelaufen. Hörfunk und Fernsehen haben es bisher vermieden, in Angelegenheiten, die den Hörfunk bzw. das Fernsehen selber betreffen, einzusteigen. Daraus ergibt sich, dass wir nicht in der Lage sind, Pressekonferenzen oder auch Meldungen oder Ähnliches, weder positiv noch negativ, darzustellen.“398

Die politische Lage zum Volksbegehren war damals extrem brisant. Bürgermeister aus den Landgemeinden verboten das Aushängen des Begehrens, in Wien waren nur 23 Stellen geöffnet, aber die Leute standen stundenlang vor den Abstimmungslokalen. Die Bevölkerung wünschte sich einen Rundfunk und ein Fernsehen, die endlich objektiv berichten konnten, weil sie den Proporz einfach satt hatte.399 Es war nicht nur der Kurier alleine, aber einige Mitarbeiter aus der Redaktion wurden aufgrund des Verständnisses von Herausgeber Polsterer freigestellt, z. B. Hermann Stöger und Franz Traintinger, der auch als Organisationsleiter fungierte.400 Das Zentrum des Volksbegehrens war das „Kurier-Eck“, und Portisch war jeden Tag in Verbindung mit mittlerweile 52 Zeitungen, er selbst verteilte Flugblätter an Straßenbahnhaltestellen und anderswo („Ich weiß gar nicht mehr, wo ich überall war“). Die ersten Resultate aus Wien ergaben 240.000 Stimmen, worauf das ÖVP- nahe Volksblatt höhnte: „Wie der Stephansdom zum Schrebergarten“.401 Nun, das Ergebnis konnte sich dann sehen lassen:

397 Vgl. Kurier, 7. 10. 1964, S 1 398 Vgl. Ergert, S 184 399 Interview mit Hans Georg Heinke 400 Interview mit Dr. Hugo Portisch 401 Volksblatt vom 8. 10. 1964, Archiv Nationalbibliothek

138 8. Das österreichische Das Österreichische Fernsehen – Demokratiepolitischer Rundfunkvolksbegehren Bildungsauftrag oder Quote ?

Das Eintragungsverfahren für das erste Volksbegehren der Zweiten Republik wurde auf die Woche vom 5. bis zum 12. Oktober festgelegt. Das Ergebnis war enorm: 832.353 gültige Unterschriften wurden gezählt. Ein unglaublicher Erfolg der Zeitungen, sie hatten sich gegen alle Bestrebungen der Politik durchgesetzt und konnten stolz auf ihren Erfolg sein. Nun galt es, diese Initiative, nicht nur in ihrem Sinne, sondern im Sinne der Bevölkerung, die ja diese politische Verselbstständigung nicht gewohnt war, durchzusetzen. Es war zwar nicht das Ende des Proporzes, aber der Beginn einer neuen Ära des demokratiepolitischen Bewusstseins.

8.9.2. Die weitere Vorgangsweise

SPÖ und ÖVP setzten ein sogenanntes Rundfunkkomitee ein, das binnen eines Jahres – bis zum 30. Juni 1964 – Lösungsvorschläge für eine Rundfunkreform ausarbeiten sollte. Aber das Komitee, das bis Ablauf der Frist tagte, konnte sich nicht einigen. In weiterer Folge wurde das Volksbegehren 1965 an den Nationalratsausschuss verwiesen. Dort wurde es aber nicht abgeschlossen und landete somit in der Schublade, weil im Parlament dieselben Parteien- vertreterInnen saßen, die Rundfunk und Fernsehen verpolitisiert hatten, und die demzufolge an einer Lösung nicht interessiert waren. Die Recherchen ergaben, dass eigentlich vorerst kein Interesse an einem unabhängigen Fernsehen bestand und dann, aufgrund des bisher nicht gekannten öffentlichen Druckes, das Feilschen wiederum begann – um Posten, Parteipolitik etc. Nur da spielten die Medien nicht mehr mit. Es war ja ein unhaltbarer Zustand, keine Fragen stellen zu dürfen, sondern einfach nur aufzunehmen, was der Politiker zu sagen hatte. Noch dazu musste dies auch proporzmäßig abgerechnet werden, nach dem Motto: „Hat der 30 Sekunden, krieg’ ich auch 30.“ Gundomar Eibegger, Informationsverantwortlicher und späterer Intendant des Landesstudios Wien, meinte: „Die Interviews waren genau vorbereitet worden. Man hatte es schriftlich.

139 Das Österreichische Fernsehen – Demokratiepolitischer 8. Das österreichische Bildungsauftrag oder Quote ? Rundfunkvolksbegehren

Die meisten Kollegen haben die Fragen von Zetteln abgelesen – und die Politiker wussten im Vorhinein, was sie sagen würden.“402

„Portisch wagte es, sich gegen den alten Rundfunk zu stellen, das ist ein historischer Verdienst von ihm. Er war auch in weiterer Folge der Frühzeitstar, weil es Bacher verstand, ihn einzubauen.“403 Das war ein Zustand, den wir uns heute in dieser doch einigermaßen aufgeklärten Gesellschaft nicht mehr vorstellen können. „Wir mussten oft Themen vorschlagen. Wenn wir keine hatten, ist die Sendung ausgefallen, wir haben heute eben nichts“, so Dr. Alfred Macher, der für Echo der Zeit tätig war.404 Wenn sich das heute ein Programmintendant erlaubte, hätte er in seiner Funktion keine berufliche Zukunft mehr, da solche Vorfälle heute von den Medien sehr genau beobachtet werden. Eigentlich grauenhafte Zeiten für den freien Journalismus – aber wenn man nichts anderes kennt, dann fällt es nicht so sehr ins Gewicht, deshalb versuchten sowohl ÖVP als auch SPÖ den Status quo zu behalten. Durch die Beharrlichkeit der Zeitungen, namentlich von Portisch und Csoklich (O-Ton Portisch), war dies nicht mehr möglich. Ein neuer Rundfunk, ein neues Fernsehen mussten her. „Als es noch die Proporzregierung gab, erhielt das Fernsehen 50 Schilling an Gebühren der Teilnehmer, der Rundfunk sieben Schilling. Das führte dazu, dass das ,rote’ Fernsehen den ,schwarzen’ Rundfunk unterstützen musste. Die roten Politiker weigerten sich, einer Gebührenerhöhung zuzustimmen, weil sie sich z. B. im Hörfunk schlecht vertreten fühlten. Auf diese Weise vegetierten beide politisch an der Kandare der beiden Großparteien herum.“405 An diesen Sätzen erkennt man schon die Aus- und Einrichtung der damaligen Programme – hier schwarz, da rot. Es war also eine unerträgliche Aufteilung der Parteien, die mit Objektivität nichts zu tun hatte und daher von den parteiunabhängigen Zeitungen scharf angegriffen wurde, die sich damit auch einen Konkurrenten um Werbekunden ins Boot holten. Daher ist der Mut der Herausgeber umso mehr zu bewundern, dass diese dies guthießen im Sinne von mehr Demokratie und Verständnis für die Informationsbedürfnisse des Volkes. Am letzten Tag der Eintragungsfrist, also am 11. Oktober, brachte der Hörfunk

402 Vgl. Treiber, S 12 403 Vgl. Interview mit Dr. Peter Dusek 404 Vgl. Ergert, S 12 405 Vgl. Podgorski, Teddy, Die große Illusion, Wien 2005, S 35

140 8. Das österreichische Das Österreichische Fernsehen – Demokratiepolitischer Rundfunkvolksbegehren Bildungsauftrag oder Quote ?

erstmals in seinen 17-Uhr-Nachrichten eine Meldung über den Verlauf des Volksbegehrens.406 Die ÖVP schaltete schnell. Generalsekretär Dr. Hermann Withalm gab folgende Erklärung ab: „Die österreichische Volkspartei hat das Volksbegehren als eines der Mittel zur Verwirklichung der direkten Demokratie im Grundsatz immer bejaht. Sie stand auch dieser Aktion mit Sympathie gegenüber.“407 Damit war ja schon der Weg vorgezeichnet. Die SPÖ reagierte gespaltener, da natürlich in diesen Zeitraum auch die Affäre um den damaligen Innenminister Olah408 fiel und sich die Partei keine Negativberichterstattung leisten wollte. Der heutige Bundespräsident und damalige SPÖ-Zentralsekretär, Dr. Heinz Fischer, kritisierte in der SP-Zeitschrift Zukunft den Gesetzesentwurf aufgrund des Volksbegehrens schärfstens: „Es kann nicht verantwortet werden, den verfassungswidrigen, unbrauchbaren Gesetzestext, der dem Volksbegehren zugrunde liegt, zu beschließen. Es wird vielmehr kaum etwas anderes übrig bleiben, als einen völlig neuen Entwurf auszuarbeiten.“409 Nun die Auseinandersetzungen wurden heftiger, noch dazu, da Dr. Helmut Zilk als verantwortlicher Leiter eines „Technischen Fernsehversuchsprogramms“ eingesetzt wurde, das zu einem zweiten Fernsehkanal ausgeweitet werden sollte.410 Das wiederum stieß nicht auf die Gegenliebe des damaligen Generaldirektors. „Friedrich Hansen-Löwe war mein Mitstreiter, ein brillanter Mann“, erinnert sich Zilk. „Bundeskanzler Raab holte ihn vor Jahren zum Fernsehen und sagte zu ihm: ,Seien Sie ein Büffel’, worauf Hansen-Löwe erwiderte: ,Ìch bin eine Gazelle’.“411 Erst Mitte 1965, knapp vor den vorgezogenen Nationalratswahlen, entschloss sich die ÖVP nach langem Hickhack (sowohl

406 Recherche mit Dr. Peter Dusek, Leiter des ORF-Archivs, ebendort am 7. 12. 2007 407 Vgl. Ergert, S 184 408 Olah war von 1945 bis 1948 und von 1969 bis 1970 Mitglied des Wiener Gemeinderates und Wiener Landtagsabgeordneter. 1949–1957 war er Vorsitzender der Gewerkschaft der Bau- und Holzarbeiter. In dieser Position war er im Oktober und November 1950 führend an der Auflösung der Oktoberstreiks kommunistischer Arbeiter beteiligt. Unter Mithilfe der CIA behielten die der ÖVP-SPÖ-Regierung gegenüber loyalen Gewerkschafter die Oberhand. Im Jahr 1955 wurde Olah Vizepräsident des Österreichischen Gewerkschaftsbundes, von 1959 bis 1963 war er dessen Präsident. 1964 bekleidete er das Amt des Innenministers für ein Jahr. Die sog. Olah-Affäre war eine Finanzspritze des ÖGB an die FPÖ über eine Million Schilling und angeblich auch eine Finanzierung für die Kronen Zeitung. Olah kandidierte 1996 für die Nationalratswahlen mit seiner Partei „DFP“, errang nur 3 % der Stimmen, ermöglichte dadurch aber der ÖVP die absolute Mehrheit. Franz Olah spielte in vielen Angelegenheiten der Zweiten Republik eine noch nicht aufgeklärte, manchmal dubiose Rolle. (Anm. d. Verf.) 409 Vgl. Die Zukunft vom 14. 3. 1964, S 3 410 Interview Dr. Helmut Zilk 411 Ebd.

141 Das Österreichische Fernsehen – Demokratiepolitischer 8. Das österreichische Bildungsauftrag oder Quote ? Rundfunkvolksbegehren

intern, als auch mit der SPÖ) eine Erklärung herauszugeben, dass sie dem Anliegen des Volksbegehrens in der nächsten Legislaturperiode zustimmen und einen diesbezüglichen Gesetzesentwurf beantragen werde.412 Nach der Wahl, die der ÖVP erstmals die absolute Mehrheit brachte, ging sie daran, ihr Wahlversprechen umzusetzen. Der ÖVP-Entwurf, dem auch die SPÖ letztlich zustimmte, fand aber in den parteiunabhängigen Medien nicht die komplette Zustimmung. Wieder einmal war es der Kurier mit Portisch als Sprachrohr, der meinte: „Die ÖVP will den Rundfunk (und somit auch das Fernsehen) nicht der Bundesregierung, sondern dem Bundeskanzler unterstellen. Weiters will die ÖVP kein kleines Gremium von sechs Personen, sondern eines mit 18, in dem auch die Bundesländer vertreten sind, wobei in den meisten die ÖVP die Mehrheit hat.“413 Und schon wieder wurde der Ruf nach der proporzmäßigen Aufteilung laut. Das konnten sich letztlich die Parteien aufgrund der klaren Position der führenden Medien nicht mehr leisten. Am 1. Jänner 1967 trat schließlich das neue Rundfunkgesetz in Kraft, das im Wesentlichen doch den Intentionen des Volksbegehrens entsprach. Nun galt es, die richtigen Leute für die Positionen zu suchen. Der ehemalige steirische Nationalratsabgeordnete, Bernd Schilcher, attestiert, dass „mit Bacher der ORF objektiv geworden ist“.414 „Gerhard Weis als Informationsredakteur hat auf einmal Fragen gestellt, ohne sich 1.000 Mal entschuldigen zu müssen. Er hat sich zum ersten Mal im österreichischen Fernsehen getraut, einem Politiker unvorbereitet Fragen zu stellen.“415 Die SPÖ reagierte medienbewusster, wobei einerseits Bruno Kreisky, andererseits Karl Blecha verantwortlich war.

8.9.3. Bacher ante portas

Politik und Presse suchten einen Kandidaten für einen zu reformierenden, unabhängigen Rundfunk. Die ÖVP hatte den damals 41-jährigen Geschäftsführer des Pressehauses Gerd Bacher im Visier. Bacher war einer der Begründer des

412 Vgl. Ergert, S 204 413 Vgl. Kurier vom 25. 5. 1966 414 E-Mail von Bernd Schilcher am 15. 4. 2008 415 Vgl. ebd.

142 8. Das österreichische Das Österreichische Fernsehen – Demokratiepolitischer Rundfunkvolksbegehren Bildungsauftrag oder Quote ?

Boulevardjournalismus in Österreich, und das war zu diesen Zeiten ein Dorn im Auge der SPÖ. Bacher war zwar Chefredakteur der SP-nahen Zeitung Express, hatte aber immer wieder Meinungsverschiedenheiten mit dem Eigentümer.416 Insgesamt hatten sich nach der Ausschreibung in der Wiener Zeitung 45 Personen beworben. Der Kurier unter Hugo Portisch hatte sich in einem Leitartikel eindeutig für Gerd Bacher ausgesprochen. „Bacher war und ist konservativ, aber nicht reaktionär.“417 Für Bacher war es die größte Herausforderung seines Lebens, und er war sich bewusst, dass er diese Funktion optimal erfüllen müsse.418 Er kannte die politischen Strukturen nach mehr als 20 Jahren journalistischer Erfahrung zu gut, um sich Illusionen zu machen. Zilk sagt im Nachhinein: „Bacher war der Beste.“419 „Er führte den Provinzfunk zum geachteten Europäischen Rundfunk und revolutionierte das Fernsehen.“ Der damalige Bundeskanzler Klaus war mit Bacher zunächst nicht einverstanden, seine Zustimmung gab er erst, als Bacher den rechts-konservativen Alfons Dalma als Chefredakteur installieren wollte.420 „Gerd Bacher hat sich beim ORF selbst erfunden, er hat alles mit einer Intensität

416 Vgl. Grießer, Johannes, Der österreichische Rundfunk als Thema der parlamentarischen Auseinandersetzung 1970–1983, Wien 1989, S 17 417 Vgl. Interview mit Dr. Helmut Zilk 418 Interview mit Gerd Bacher am 12. 3. 2008 419 Interview mit Dr. Helmut Zilk 420 „Geboren wurde Dalma am 26. Mai 1919 als Stjepan Tomicic in Otoschats im damaligen Jugoslawien. Er interessierte sich schon seit frühester Jugend für Politik. Schon mit 17 Jahren verfasste er seine ersten politischen Analysen. Neben seinem Studium der politischen Wissenschaften an den Universitäten Agram und Paris ist Dalma fixer Mitarbeiter für die katholische Presse in Agram. Mit dem Einmarsch der deutschen Wehrmacht, der Ausrufung des faschistischen „unabhängigen Staates Kroatien" und der Machtübernahme der faschistischen Ustascha-Bewegung kommt es zu einem Wendepunkt in Dalmas Leben. Seine frühe journalistische Karriere für Propagandablätter des faschistischen Ustascha-Regimes (etwa deren Zentralorgan Hrvatski Narod) war immer wieder Gegenstand von Kritik. Einer Familie austro-kroatischer Tradition entstammend kam Alfons Dalma durch Vermittlung des Salzburger Erzbischofs nach 1945 zu den Salzburger Nachrichten. Dort avancierte er bald zum außenpolitischen Ressortleiter und später zum stellvertretenden Chefredakteur. In dieser Zeit legte sich Stjepan Tomicic mit Rücksicht auf die Salzburger Leser sein deutsches Pseudonym zu: Alfons Dalma“ (vgl. http://oe1.orf.at/highlights/21404.html, Zugriff am 11. 6. 2009). Er war ein polarisierender Kommentator mit einer erzkonservativ-klerikofaschistischen Grundeinstellung (Anm. d. Verf.). „Danach wechselte Dalma in die Chefredaktion des Münchner Merkur und wurde später auch Lehrbeauftragter für Politik und Strategie an der Hochschule für politische Wissenschaften in München. Seine außenpolitischen Kenntnisse und seine rege Reisetätigkeit in fast alle europäischen Länder, sowie in die Vereinigten Staaten, die Sowjetunion, Nordafrika und Lateinamerika ließen Dalma zu einem gesuchten Kommentator werden. Der ORF wurde im Jahr 1967 mit der österreichischen Rundfunkreform 1967 weitgehend der Kontrolle der Parteien entzogen. Dalma war Bachers Kollege und Lehrer bei den Salzburger Nachrichten. In dieser Funktion startete Dalma eine Informations-Offensive in Radio und Fernsehen. Unter seiner Leitung wurden die stündlichen Nachrichten, die Journale und die TV-Informations- sendungen eingeführt. Alfons Dalma verstarb am 28. Juli 1999 in Wien“ (vgl. http://oe1.orf.at/highlights/21404.html, Zugriff am 11. 6. 2009).

143 Das Österreichische Fernsehen – Demokratiepolitischer 8. Das österreichische Bildungsauftrag oder Quote ? Rundfunkvolksbegehren

umgesetzt, wie es keiner erwartet hatte.“421 Bacher spielte aber in seiner eigensinnigen Weise eine besondere Rolle: Er holte mit den beiden „Roten“ Helmut Zilk und dem damaligen Chefredakteur der Arbeiterzeitung Franz Kreuzer erstklassige Leute zum neuen ORF. Nachdem 1967 das geschäftliche Verhältnis zwischen Portisch und seinem Herausgeber Polsterer scheiterte, rief Bacher Portisch an und fragte ihn, ob er nicht zum ORF kommen wolle.422 Er sollte Chefkommentator werden! Portisch selbst rief alle ihm bei der Arbeit für das Volksbegehren helfenden Chefredakteure der parteiunabhängigen Zeitungen an und fragte, ob „denn das auch gehe“.423 Alle 52 stimmten zu. Nachdem kein Auslandskorrespondent vorhanden war, wurde er hinausgeschickt.

Bacher selbst jedoch blieb immer im Visier der SPÖ, die noch immer in Opposition zum Rundfunkgesetz stand, wie sich dann später in der Änderung zeigte. Kanzler Klaus hatte noch mehr Bedenken, weil sich der, wie er meinte, „heimatlose Rechte Bacher zwei Linke, nämlich Kreuzer und Zilk geholt hatte“.424 „Der ÖVP-Stratege Karl Pisa wurde Hauptabteilungsleiter und Bacher freute sich, dass er der ÖVP eins ausgewischt habe, weil er ihr den besten Mann ausgespannt hatte, so machte sich Bacher selbst und auch den ORF unabhängig zu dieser Zeit.“425 Der ORF entwickelte sich zur Ideenbörse für die Struktur eines wirklich unabhängigen Fernsehens, mit nächtelangen Besprechungen. Bacher selbst sagte noch einiges vor seiner Bestellung: „Ich weiß nicht, ob jemand so tollkühn ist, sich mich anzutun.“426

Die Ära Bacher muss jedoch auch von mehreren Seiten beleuchtet werden. Waren es zwar einerseits die oben angesprochenen Verdienste rund um den unabhängigen Rundfunk in Österreich, so war es aber auch die ungeheure Kostenentwicklung und Gigantomanie, die sich zum Beispiel bei den neu errichteten Landesstudios zeigte. Und auch das Personal setzte zum „großen Sprung nach vorne“ (Anm. d. Verf.) an.

421 Interview mit Dr. Hugo Portisch 422 Ebd. 423 Ebd. 424 Vgl. Podgorski, Teddy, Die große Illusion, Wien 2005, S 56 425 Vgl. ebd., S 78 426 Vgl. Andics/Ergert/Kriechbaum, 50 Jahre Rundfunk in Österreich

144 8. Das österreichische Das Österreichische Fernsehen – Demokratiepolitischer Rundfunkvolksbegehren Bildungsauftrag oder Quote ?

8.9.4. Das Rundfunkgesetz

Am 8. März 1966 beschloss die ÖVP-Bundesparteileitung, ein Komitee mit der Ausarbeitung eines Initiativantrags zur Rundfunkreform zu beauftragen. Eigentlich war es interessanterweise die ÖVP, von der dies alles ausging. Am 30. März wurde ein Nationalratsausschuss eingesetzt. Die Überraschung war, dass auch die SPÖ (die aber schon in der Minderheit war) einen Initiativantrag einbrachte.427 Der Initiativantrag der ÖVP, der natürlich angenommen wurde, wich in ein paar Punkten vom Volksbegehren ab, z. B. was die Vergrößerung des Aufsichtsrats oder die Aufteilung der Hierarchie betraf. Das Volksbegehren ging damals ja davon aus, dass es eine weitere große Koalition geben werde und verstand sich als Brecheisen gegen den Proporz. Plötzlich hatte man es aber mit einer absoluten VP-Mehrheit zu tun. Einer der Unterscheidungspunkte zwischen ÖVP und SPÖ bestand in der Bestellung des Generalintendanten: Die VP wollte diesen mit einfacher Mehrheit im Aufsichtsrat bestellen, die SP wollte die Einhelligkeit im Kuratorium.428

Die SPÖ wollte auch einen gesetzlichen Anspruch auf die Errichtung von Länderstudios schaffen, konkret ging es dabei um den Ballungsraum Wien, Niederösterreich und Burgenland. Das wurde dann auch in weiterer Folge so realisiert. Am 8. Juli wurde dann das Gesetz mit den Stimmen der ÖVP und der FPÖ beschlossen. Das widersprach dem Willen der Initiatoren, die einen einstimmigen Beschluss wollten.429 Die SPÖ lief Sturm: „Das Gesetz ermögliche nicht, für alle offen zu stehen, sondern einen Regierungsfunk“ (Abg. Broda); „die SPÖ müsse darüber wachen, dass aus der schwarzen Welle nicht ein schwarzer Schirm auch noch kommt“ (Abg. Stroer); es „bleibe das Ziel, das Parteimonopol zu brechen“ (Abg. Czernetz).430 Es lag also am neuen Generalintendanten Gerd Bacher, diese Vorbehalte zu brechen, und das tat er anfangs auch durch eben die Installierung parteilich anders orientierter Personen. Das änderte aber trotzdem nichts an seinem Ruf, ein hoffnungslos konservativer Mensch zu sein. Was aber

427 Vgl. Magenschab, Hans, Demokratie und Rundfunk, Wien 1973, S 272 428 Ebd., S 280 429 Vgl. Ergert, Bd. III 430 Vgl. ebd.

145 Das Österreichische Fernsehen – Demokratiepolitischer Bildungsauftrag oder Quote ?

die meisten unterschätzten war, dass es Bacher wirklich um den ORF und um seine Person ging. Er war und blieb Egomane.

Abb. 6: Gerd Bacher, ehemaliger Generalintendant

Bacher machte aus dem ORF eine europäisch geachtete Rundfunkanstalt. „Viele andere Sender beziehen sich auf den ORF, wie RAI oder TV5, wir sind der meistbesprochene Sender neben der BBC.“431 Wie Kurt Bergmann, der sich dann als Gründer der Initiative „Licht ins Dunkel“ wie auch als Generalsekretär und oftmaliger Wahlkampfleiter der ÖVP einen Namen machte, oder eben Alfons Dalma. Trotz allem versuchte Bacher eine gewisse Ausgewogenheit zu behalten und bezog sich auf die „besten Köpfe“.

„Der ORF hatte eine Sonderstellung in Europa“, meint der Publikumsrat Peter Westenthaler, „er wurde oft kopiert, aber nie erreicht.“432

431 Interview mit Pius Strobl 432 Interview mit Peter Westenthaler am 26. 11. 2007 im Büro in der Dorotheergasse

146

Das Österreichische Fernsehen – Demokratiepolitischer Bildungsauftrag oder Quote ? 9. Die Ära Bacher

9. Die Ära Bacher

Es gibt wohl kaum unterschiedlichere Menschen als Gerd Bacher und André Heller, da beide aus völlig verschiedenen Lagern kommen. Und genau deswegen möchte ich aus der Laudatio zitieren, die der „linke“ Heller dem „konservativen“ Bacher anlässlich seines 80. Geburtstags hielt. „Bacher war ja der Erfinder des Heller“, so Zilk.433

Journalisten sind eine hochinteressante Rasse. Viele von ihnen tun sich – auch oder gerade, wenn sie brillant sind – in ihrer Arbeit schwer zuzugeben, dass sie etwas lieben. Das Negative, das Abkanzeln, das Heruntermachen, das bösartige Bewerten und Verhöhnen gelten – allerspätestens seit dem, wie ich glaube, in seiner Nachwirkung unseligen Karl Kraus – so viel mehr, als die viel dringender benötigte engagierte Ermutigung. Ich finde Kraus auch faszinierend und einzigartig, aber in seinen hochmütigen Hasserektionen, seinem hochproblematischen Frauenbild und seiner Abhängigkeit vom Misslungenen und der Dummheit anderer, um sich daran sprachlich hochranken zu können, stößt er mich zumeist ab.

Die Energie, die man aussendet, erhält man nämlich zurück. Also etwa: nicht gegen Krankheit, sondern für Gesundheit, oder: nicht – und dies kommt aus meinem Mund – gegen die Kloake von FPÖ und BZÖ, sondern für seelische und geistige Hygiene und politische Vernunft; nicht gegen den Musikantenstadl, sondern für Mozart, Strawinsky, Miles Davis, Bob Dylan und Youssoun D'our, nicht gegen menschenverachtenden und menschenverdummenden Journalismus, sondern für Gerd Bacher! Gerd Bacher ist nämlich ein fulminantes Prinzip, das da lautet: „Es interessiert mich nicht im

433 Interview mit Dr. Helmut Zilk

148 Das Österreichische Fernsehen – Demokratiepolitischer 9. Die Ära Bacher Bildungsauftrag oder Quote ?

Geringsten, es sei denn es hat Qualität.“ Seine Zeit war ihm immer zu schade und seine Selbstachtung zu groß, um sich ein Flanieren in den Niederungen der Missgunst, Oberflächlichkeit, Großmanns- sucht oder gar G'schaftelhuberei zuzumuten. (…) Gerd ist ein heimatloser Rechter, ich ein heimatloser Linker. Er war für Wolfgang Schüssel, ich war und bin für . (…) Aber in den wirklich wichtigen Dingen des Lebens, im Beurteilen von Biografien zum Beispiel, der Bewunderung und der Dankbarkeit für Winston Churchill, dem Ekel vor den Nazis und vor jenen, die immer gleich Nazis wittern, wo eigentlich nur Deppen zu sehen sind, der Sehnsucht nach den heilenden Energien des Südens, der Süchtigkeit nach Schönheit und Tiefe in der Natur ebenso wie in den Künsten und der Bewunderung für die kostbaren Frauen unseres Herzens oder der Freude über unsere Kinder, in diesen wichtigsten der wichtigen Themen sind wir uns einig.

Niemand auf Erden beschäftigt der ORF mehr als Gerd Bacher: Mich interessiert das Schicksal des öffentlich-rechtlichen Fernsehens und Rundfunks in unserem Land auch sehr, aber es macht mich nicht schlaflos. (…) Die Arbeiterzeitung titelte am 28. September 1978: „Morgen Wahl des Generalintendanten. Bacher ohne jede Chance." Am darauffolgenden Abend beglückte uns die SPÖ-eigene Kärntner Volkszeitung mit einer der witzigsten Leistungen der österreichischen Schlagzeilenkunst: „Kreisky in Paris, Benya in Sofia, Bacher im ORF". Gerd Bacher ist durchaus gelegentlich von sich selbst beeindruckt, aber warum sollte es ihm mit ihm selbst anders ergehen als uns mit ihm434. 435

Damit ist schon viel über die Ära Bacher gesagt, der demokratiepolitische Bildungsauftrag wird in der Folge noch aufgearbeitet. „Er hat alles mit einer

434 Vgl. Die Presse, 25. 1. 2008 435 Gerd Bacher revanchierte sich im positiven Sinn mit einer Presse-Laudatio auf Heller anlässlich seines 60. Geburtstags. (Anm. d. Verf.)

149 Das Österreichische Fernsehen – Demokratiepolitischer Bildungsauftrag oder Quote ? 9. Die Ära Bacher

Intensität umgesetzt, wie es keiner erwartet hatte.“436 Bacher hatte Leidenschaft für die Qualität437, aber er konnte nicht delegieren und hatte einen Hang zur Autorität.438 Die obige Laudatio von André Heller stellt aber alles in den Schatten, was über Bacher gesagt wurde, der immer „auferstand“.439 „Bacher war der Erfinder des Bildungsprogramms im ORF. Der demokratische Bildungsauftrag wurde unter Gerd Bacher perfekt umgesetzt, es gab eine ungeheure Informationsexplosion. Vorher war es das Ziel der Parteisekretäre, möglichst wenig Informationen zu geben.“440

Das Problematische für Bacher war einerseits sein zwiespältiges Verhältnis zur Kronen Zeitung, die aus vollen Rohren schoss, und andererseits das zu Kanzler Kreisky, der in ihm einen Konkurrenten um öffentliche Anerkennung sah. „Die beiden hatten eigentlich sehr viel gemeinsam, nämlich ein hohes Sendungs- bewusstsein, in allen Deutungen des Wortes, beide waren intellektuell und eloquent, wahrscheinlich waren sie sich deswegen unheimlich, beide waren hart im Geben und im Nehmen“, konzediert Dr. Helmut Zilk.441 Gerd Bacher ließ Helmut Zilk, der ja wesentlich mehr TV-Erfahrung hatte, in der Gestaltung seiner Sendungen freie Hand, und dieser dankte es ihm durch zahlreiche erfolgreiche Produkte. Helmut Zilk hatte mit seiner Diskussionsrunde der Chefredakteure, vor allem mit Pollak, Kreuzer, Molden, Schulmeister und Portisch, schon vor der Reform „Narrenfreiheit“.442 Das gab’s damals in ganz Europa nicht. Das waren Straßenfeger, weil die Leute so viel Freiheit nicht kannten.443 Mit der Reform wurde es noch intensiver. „Bacher war der Beste und Professionellste von allen“, so Portisch, wie auch die anderen Gesprächspartner der damaligen Zeit geradezu in einen Hochgesang auf den ehemaligen Generalintendanten einstimmten. Helmut Zilk: „Was Bacher bewegt hat für das Fernsehen, ist einmalig“444, „Bacher hat so viel erfunden oder erfinden lassen, wie den Heller, Axel Corti, Peter Lodynski, den ,Club 2’, das ,Café Central’ – das war schon eine geniale

436 Interview mit Dr. Hugo Portisch 437 Interview mit Teddy Podgorski 438 Ebd. 439 Interview mit Gerhard Weis 440 Interview mit Dr. Hugo Portisch 441 Interview mit Dr. Helmut Zilk 442 Vgl. Interview mit Dr. Hugo Portisch 443 Ebd. 444 Interview mit Dr. Helmut Zilk

150 Das Österreichische Fernsehen – Demokratiepolitischer 9. Die Ära Bacher Bildungsauftrag oder Quote ?

Aufbruchstimmung.“445 Die „Stadtgespräche“ gab es ja schon, das waren die Produktionen, die den demokratiepolitischen Bildungsauftrag wirklich ausmachten. Ob die unzähligen CSI-Serien oder die in Endlosschleife wiederholte Serie vom „Bullen von Tölz“ heute denselben Auftrag erfüllen, sei dahingestellt. Entsprechen diese dem öffentlich-rechtlichen Auftrag? „Dancing Stars“ bringt zwar Quote, aber außer der Einsicht, dass manche doch nicht so toll tanzen, hat es mit dem Bildungsauftrag, den der ORF erfüllen sollte, nichts zu tun. Damals kam „es zu einer Informationsexplosion und die hat Alfons Dalma erfunden.“446

Gerd Bacher hat den ORF geprägt und sich selbst auch. Er hat das „Neue Fernsehen in Österreich“ erfunden, das bleibt für immer sein Verdienst. Die Presse hat anlässlich der Wahl von Wrabetz oder der Abwahl von Lindner geschrieben: „Wäre Bacher noch jünger, bräuchte man sich keine Sorgen machen. Denn der kann es besser als alle anderen.“447 Allerdings: „Was der Zeitgeist ist, bestimme ich“, so Bacher laut Hans Georg Heinke.448

9.1. Das „Bacher-Fernsehen“

Gerd Bacher war sicherlich die prägendste Person, die das Österreichische Fernsehen jemals hatte. Gerd Bacher, bei allem Für und Wider, hat den ORF in einer einzigartigen Weise „gemacht“ und auch viel für den öffentlich-rechtlichen Auftrag getan, er hat Bildungssendungen eingeführt, die „in Europa eine Sonderstellung“449 hatten. Bacher war „der Erfinder des Heller, das war damals einmalig“450.451 Zilk bekam seine Diskussionsrunden „In eigener Sache“ und „Stadtgespräche“, die es im deutschen Sprachraum in dieser Form noch nicht gab. Ein Schwarzer mit einem Roten, aber ohne Berührungsängste. Zilk durfte auch „Wünsch Dir was“ erfinden, völlig neuartig für damalige Zeiten. Und auch die

445 Interview mit Hans Georg Heinke 446 Interview mit Dr. Hugo Portisch 447 Die Presse vom 17. 7. 2007, S 31 448 Interview mit Hans Georg Heinke 449 Interview mit Peter Westenthaler am 3. 12. 2007 in der Zentrale des BZÖ, Dorotheergasse 450 André Heller, ein österreichischer Universalkünstler, wurde in der ersten Bacher-Ära von diesem zum ORF geholt, allerdings als Radiomoderator. 451 Interview mit Dr. Helmut Zilk

151 Das Österreichische Fernsehen – Demokratiepolitischer Bildungsauftrag oder Quote ? 9. Die Ära Bacher

Medien von 1967 waren auf Bachers Seite, der dann den ORF immerhin mehr als 30 Jahre prägte (auch, wenn er nicht da war). Otto Schulmeister meinte in der Die Presse, dass es nur einen Kandidaten gibt, der eine wirkliche Reform machen könne.452 Hugo Portisch im Kurier sprach das direkt an: „Gerd Bacher muss es machen.“453 1967 war Gerd Bacher 41 und gestaltete als Chefredakteur des Bild- Telegraph das erste parteiunabhängige Medium der Wiener Medienszene. Nachdem das ja damals nicht üblich war, setzte ein Zwiespalt ein, der Bacher zum Molden-Verlag trieb. Dort wurde gerade der Express gegründet. Bacher wurde Chefredakteur und knüpfte dadurch auch Kontakte mit Bruno Kreisky und Christian Broda, die eine neue Öffnung der SPÖ wollten.454 Die österreichische Fernsehgeschichte liest sich mitunter wie eine „Bacher-Story“. Der „harte Manager“, den die Neue Zürcher Zeitung 1967 als knapp vor dem Herzinfarkt stehend sah455, hatte den Ablauf des Volksbegehrens vorerst als Interessierter und Unterzeichner verfolgt, als er jedoch gefragt wurde, Generalintendant zu werden, meinte er: „Spinnt’s ihr denn?“456 Doch er wurde es und genoss es sichtlich, hörbar und sehbar. Er sah sich an „der Orgel Österreichs“.457 Der damalige Oppositionsführer Bruno Kreisky hatte schon seit dieser Zeit ein ambivalentes Verhältnis zu Bacher. Kreisky empfand die Nominierung von Zilk als Provokation, aus welchen Gründen auch immer, die Ablöse der „alten“ Verantwortlichen als „Kriegserklärung“458, und erst die Ernennung des erklärten Franz-Josef-Strauß-Freundes Alfons Dalma.459 Bacher sah sich selbst als „Tiger“, wobei dies vom späteren Erbauer der Landesstudios und Karikaturisten Gustav Peichl (Ironimus) kreiert wurde („Tu den Tiger in den Kasten“).460

452 Presse vom 8. 3. 1967, S 1 453 Kurier am 9. 3. 1967, S 2 454 Vgl. Andics, Hellmut, Die Geschichte des Österreichischen Rundfunks, Band 4, Wien, S 9 455 Neue Zürcher Zeitung vom 19. 4. 1967 456 Vgl. Andics, Hellmut, Die Geschichte des Österreichischen Rundfunks, S 12 457 Dies war seine Eigenaussage, die der Verfasser selbst gelesen hat, wozu er aber keine Quelle fand. 458 Vgl. Andics, Hellmut, Geschichte des österreichischen Rundfunks, Band IV, S 15 459 15 Jahre später zeichnete Bundeskanzler Kreisky Dalma mit einem Verdienstkreuz der Republik aus, für seine besonderen Leistungen in der außenpolitischen Berichterstattung und hielt eine Laudatio auf ihn. 460 Vgl. Karikatur unter http://www.boehlau.at/img/banner/Schmolke3.pdf, Zugriff am 12. 5. 2008

152 Das Österreichische Fernsehen – Demokratiepolitischer 9. Die Ära Bacher Bildungsauftrag oder Quote ?

Abb. 7: Der „Tiger" aus der Sicht von Gustav Peichl alias Ironimus

Und er gab sich auch so: Er legte bereits bei seiner ersten Pressekonferenz sein Konzept vor, das unter anderem die Errichtung von neun Landesstudios vorsah. „Alles, was an Sendungen im Rundfunk nicht leben oder sterben kann, wird unter meinem Regime entweder zum baldigen Tod oder zum heftigen Leben befördert werden.“461 Eine gewisse Großmannssucht ist gerade bei der Errichtung der Landesstudios zu erkennen, die doch einer „Mir san mir“-Mentalität zu aller Ehre gereicht. Denn eigentlich war der österreichische Rundfunk im Orchester der europäischen Anstalten ein banaler Mitspieler und nicht der Dirigent, als der sich eben auch Bacher gerade in der Anfangsphase gerne sah (hier sollen jedoch die Verdienste um die Neuordnung nicht geschmälert werden). Gleich neun neue Studios wurden nach neuesten architektonischen Grundlagen erbaut, die doch nunmehr ziemlich unzeitgemäß wirken, da sie den Bedürfnissen der Infrastruktur kaum nachkommen – Gestalt ging vor Nutzen. Mit dem neuen Rundfunkgesetz wurden die Gebühren erhöht, was einen weitgehenden Neubau des ORF in jeder Hinsicht ermöglichte. Die Fernsehzentrale, die in ihrer eigenartigen Dimensionierung von Roland Rainer geplant wurde, wurde am sogenannten Küniglberg im 13. Wiener Gemeindebezirk errichtet (Rainers Erben haben heute noch ein Mitspracherecht bei der Nutzung bzw. beim Umbau inne, was den Verkauf oder die allfällige Neugestaltung wesentlich erschwert; auch das

461 Auszug aus der Pressekonferenz, gelesen in Die Presse, 15. 3. 1967, S 2

153 Das Österreichische Fernsehen – Demokratiepolitischer Bildungsauftrag oder Quote ? 9. Die Ära Bacher

Bundesdenkmalamt hat hier ein Einspruchsrecht, da es sich nach einer eigenartigen Auslegung um ein „Kunstwerk“ handelt). Die neun Landesstudios wurden von Gustav Peichl geplant und zeichnen sich durch eine eindeutige Wiedererkennbarkeit aus. Die „Corporate Identity“ sollte gewahrt sein (und ist es auch geblieben, Anm.d.Verf.). Sie sind als komplett eingerichtete Studios konzipiert, in denen sowohl Radio- als auch Fernsehsendungen selbstständig produziert werden können.

9.2. Bachers Mannschaft

Neben den inhaltlichen personellen Entscheidungen, wie eben für Helmut Zilk und kurze Zeit später auch für Hugo Portisch, gab es auch Personen, die organisatorisch tätig waren und ab diesem Zeitpunkt das Fernsehen und den ORF prägten. Bacher holte nicht nur Zilk in seine Mannschaft, sondern auch Dr. Georg Skalar als technischen Direktor, Dr. Alfred Hartner (Rundfunk), sowie Helmut Lenhardt als kaufmännischen Direktor. Als Generalsekretär wurde schließlich Heribert Steinbauer engagiert.462 Alfons Dalma wurde schon erwähnt, sein Stellvertreter wurde Alfred Payrleitner. Alfred Kreuzer, der damalige Chefredakteur der Arbeiterzeitung, wurde Leiter des Aktuellen Dienstes und der ÖVP- Pressereferent Karl Pisa Leiter der neuen Hauptabteilung „Politik und Zeitgeschehen“. Bacher handelte völlig eigenständig und fragte auch keine der Parteien. Vor allem Kreuzers Bestellung rief den Missmut der ÖVP hervor, aber – es war zu spät. Bacher hatte seine Krallen gegenüber allen gezeigt. Er beanspruchte die Personalhoheit für sich, er sagte, dass er sich nur die besten Leute holen wolle, „egal, wo diese herkommen“.463 „Bacher war der Beste, er hat aus einem Provinzfunk ein europäisches Fernsehen gemacht“, attestiert ihm

462 Steinbauer kam direkt aus der ÖVP-Zentrale, wohin er auch nach einigen Jahren wieder wechselte. 463 Vgl. Ergert, S 34

154 Das Österreichische Fernsehen – Demokratiepolitischer 9. Die Ära Bacher Bildungsauftrag oder Quote ?

Helmut Zilk.464 Hugo Portisch meint, dass „Bacher den demokratiepolitischen Bildungsauftrag damals perfekt erfüllt hat“.465

9.3. Die Nachrichtenexplosion

Im Fernsehen selbst war die Zeit nach 1967 von einer wahren „Nachrichten- explosion“ geprägt.466 Das Angebot an Information erfuhr, wie auch das allgemeine Programmangebot, eine schnelle und dynamische Expansion, die für damalige europäische Verhältnisse schier unglaublich war (mit Ausnahme der BBC). Der Chefredakteur Alfons Dalma wurde – entgegen den Ausmachungen des Gesetzes – direkt dem Generalintendanten unterstellt, dadurch bekam Bacher einen direkten Einfluss auf die Information.

Jedoch im Sinne des Postulats der Meinungsvielfalt, das das in den Siebzigerjahren festgelegte Gebot der Objektivität ergänzen und ersetzen wird, wäre eine derart zentrale Instanz im Informationsbereich kaum zu vertreten. Durch diese neue Informationspolitik des Fernsehens bekam natürlich auch die FPÖ eine sichtbare Größe, die – ebenso wie die KPÖ – unter dem großkoalitionären Rundfunk gelitten hatte.467 Für die FPÖ von besonderem Vorteil war die offene Berichterstattung aus dem Parlament. Denn diese kam ihr als geübte Oppositionspartei besonders entgegen, hingegen hatte die SPÖ, als größte Opposition in der VP-Alleinregierung, wenig Übung darin und auch keine Routine. Am meisten wurde das Fernsehen in späteren Zeiten jedoch vom Parteiobmann der FPÖ, Jörg Haider, genutzt, der es verstand, dieses Medium für sich in Diskussionen einzusetzen, z. B. durch die sogenannten „Taferln“, mit denen es ihm gelang, den damaligen Bundeskanzler Vranitzky unter Druck zu setzen.468

464 Interview mit Dr. Helmut Zilk 465 Interview mit Dr. Hugo Portisch 466 Andics, Hellmut, 50 Jahre Rundfunk, Wien 1985, S 61 467 Vgl. Kalt, Hans, ORF-Reform und der Kampf gegen die Manipulation, in: Weg und Ziel, Nr. 10, Oktober 1974, S 393–395 468 „Die Taferln“ wiesen auf einen extrem hohen Bezug des Kapfenberger AK-Präsidenten Alois Rechberger hin, Jahre danach probierte es Haider in einer Diskussion mit Schüssel nochmals, wobei ihm ein „Taferl“ umfiel, und er von Schüssel ironisch bloßgestellt wurde. (Anm. d. Verf.)

155 Das Österreichische Fernsehen – Demokratiepolitischer Bildungsauftrag oder Quote ? 9. Die Ära Bacher

Bacher steuert ab 1978, nach seiner Wiederwahl, gegen die verstärkten gesellschaftlichen Pluralisierungs- und Liberalisierungstendenzen, indem er die innere Organisation der Fernsehanstalt mit dem Argument der Sparsamkeit einschränkt. Die von der SPÖ vorangetriebene Demokratisierung wird mithilfe dieser wieder teils zurückgenommen.469 Zahlreiche Turbulenzen prägen bis in die 90er-Jahre auch den ORF. Die Finanzierung eines Journalismus wird notwendig, dessen wirtschaftliche Bedeutung nimmt allerdings ab. Das Aufkommen neuer Formate und Sender, wie CNN, „begreifen“ die Welt als Einheitsformation, aus deren Ecken nach gleichem Schema berichtet werden kann. Der TV-Journalismus muss die nationalen, europäischen und globalen Zusammenhänge erklären. Dadurch wird auch eine neue Art der Berichterstattung geprägt, die in Österreich mit den Namen Hans Benedikt, Horst Friedrich Mayer, Günter Schmid, Franz Kössler, Barbara Coudenhove-Kalergi, Paul Lendvai oder Paul Schulmeister besetzt ist.

9.4. Demokratisierung

Der Begriff „Demokratisierung“ bildet immer noch einen zentralen Punkt der Auseinandersetzungen um den ORF generell und das Fernsehen im Speziellen. Immer wieder wurde und wird von Abgeordneten mancher Parteien, z. B. der FPÖ, von einer „Uniformierung“ und „Gleichschaltung“ gesprochen.470 Otto Scrinzi, damals ebenfalls FPÖ, bezeichnete das Fernsehen als „Trojanisches Pferd“ und fügte kurioserweise noch an, dass „das Fernsehen durch die extreme Demokratisierung den Beginn der Anarchie zur Folge haben wird. Von einer Befragung der Nutzer, die möglichst oft wiederholt werden müsse, solle Gebrauch gemacht werden“.471 Bundeskanzler Bruno Kreisky stellte dann fest, dass „nie ein Zuviel, sondern ein Zuwenig an Demokratisierung die Anarchie herbeiführe.“472

469 Vgl. Thomandl, Oliver, Entstehung, Entwicklung und Rolle von Informationssendungen im Österreichischen Rundfunk am Beispiel der „Zeit im Bild“, Wien 1996, S 50 470 Vgl. Stenografisches Protokoll des Nationalrats, 290, XII, Abg. Melzer, FPÖ, S 347 471 Ebd. S 342 472 Ebd. Kreisky, S 342

156 Das Österreichische Fernsehen – Demokratiepolitischer 9. Die Ära Bacher Bildungsauftrag oder Quote ?

Es zeigt sich also, dass der ORF immer im Blickpunkt des öffentlichen Interesses stand und dadurch auch die inhaltliche Arbeit zu kurz kam, denn bei aller Informationspolitik musste doch immer wieder Rücksicht auf die handelnden Parteien genommen werden. Ob dabei auch die Personalpolitik des ORF frei von parteipolitischen und ideologischen Gesichtspunkten war und ist, bleibt dahingestellt und wurde teils auch schon beschrieben. Im ORF-Almanach des Jahres 1971 heißt es jedenfalls: „(…) ausschlaggebend sind Bildung, berufliche Erfahrung, fachliche Eignung und das Talent. Die natürliche Auslese hat dafür gesorgt, dass in den Redaktionsstäben die großen politisch-ideologischen Lager und Denkschulen Österreichs – sozialistisch, liberal und konservativ – repräsentativ vertreten sind.“473 Diese Tendenzen stimmen im Zeitalter des Infotainment so nicht mehr, denn „telegene“ Politiker werden eher zu Wort kommen als andere, wie die Beispiele Jörg Haider oder Karl-Heinz Grasser zeigen. Franz Kössler prägte für Teile der Berichterstattung die Begriffe „voyeuristisch“, „boulevardesk“ oder „gesellschaftspolitisch dimensioniert“.474 Christoph Feurstein hat mit seiner Reportage- und Interviewform, vor allem im Fall Natascha Kampusch, den Grenzgang zwischen voyeuristischer Information und Befriedigung des Boulevards gewählt (und wurde eben gerade dafür mehrfach ausgezeichnet).

9.5. Kronen Zeitung versus Bacher

Die Kronen Zeitung nahm nun Gerd Bacher ins Visier. Die Herausgeber der Zeitung, Dichand und Falk, waren sich darin einig, dass vor allem durch die Macht des Fernsehens der Einfluss ihrer Zeitung nicht voll zur Geltung kommen konnte. Und die „Krone-Macher“ wollten nicht nur eine Zeitung, sondern – hier vor allem der aus dem Journalismus kommende Dichand – hatten auch im Sinn, „Politik“ zu machen. Am 3. Jänner 1973 titelte die Kronen Zeitung: „Benya: Noch vorm Sommer Beschluss über ORF-Reform“475 und auf Seite zwei drückte sich Peter

473 Vgl. ORF-Almanach, Wien 1971, S 98 474 Vgl. Thomandl, S 148 475 Vgl. Kronen Zeitung vom 3. 1. 1974, S 1

157 Das Österreichische Fernsehen – Demokratiepolitischer Bildungsauftrag oder Quote ? 9. Die Ära Bacher

Gnam so aus: „Seit gestern sieht es ganz so aus, dass die SPÖ in zwei Lager gespalten ist. Während Regierungschef Kreisky wenig Eile zeigte und die Ansicht vertrat, dass die Regierung sich bis zum Herbst mit dem ORF befassen werde, drückte Benya aufs Tempo.“476 Auch „Staberl“ Richard Nimmerrichter und „Adabei“ Michael Jeannée477 beteiligten sich, teils mit deftigen Worten. Mindestens einmal pro Woche „berichtete“ die Kronen Zeitung über die ORF-Reform. Leopold Gratz versicherte gegenüber der Zeitung, dass die SPÖ keineswegs einen ORF wolle, in dem irgendeine politische Kraft Einfluss nehmen könne.478 Dies war natürlich eine gewagte Aussage, die nicht zur „Entpolitisierung“, sondern nur zur „Ent-Bacherisierung“ des ORF diente. Nimmerrichter schreibt am 26. September 1973 unter dem Titel „Explosion in Bachers ORF“: „…das Publikum von Österreich schaut zu, wie Kreisky und Bacher, die beiden Gladiatoren, in den Ring steigen. Denn es sind alle Friedensbemühungen gescheitert. Es sagt also der General Bacher, dass der Bundeskanzler zurück zum Proporzsystem wolle und (…) Psychoterror ausübe.“479 Um dann – typisch „Staberl“ – weiterzuschreiben: „Es weiß zwar keiner genau, was das ist, aber dem General Bacher wird es wohl in seiner Allmacht noch gestattet sein, unsere Sprache durch neue Vokabel zu bereichern.“480 Hier ist schon die Tendenz zu erkennen, dass es den Journalisten der Kronen Zeitung hauptsächlich um die Person Bacher geht. Nimmerrichter führt nämlich weiter aus: „Es sagt der Bundeskanzler Kreisky, dass Bacher aufgrund seiner seelischen Verfassung und aufgrund seines Temperaments nicht geeignet sei, ein so schweres Amt wie das des Generalintendanten auszuüben.“481 Es sei eben das Temperament Bachers, „wie ja auch unsere Leser feststellten, das Temperament und nicht die fachliche Kompetenz“.482 Am 3. Februar kam auch

476 Vgl. Gnam, Peter, Kronen Zeitung vom 3. 1. 1973, S 2 477 Jeannée schreibt heute „Post von Jeannée“, täglich in der Kronen Zeitung. Vorher gab er nicht nur ein Gastspiel bei der Bild-Zeitung, sondern war auch der erste „Adabei“ für die Kronen Zeitung, die diese Gesellschaftsseite einführte. 478 Ungezeichneter Artikel auf Seite 4 vom 29. 1. 1973 479 Vgl. Nimmerrichter, Richard, vg. „Staberl“, Kronen Zeitung vom 26. 9. 1973, S 2 480 Vgl. ebd. 481 Vgl. ebd. 482 Vgl. ebd., Anm. d. Verf.: Daher wurde in der Folge ein farbloser Verwalter, wie der durchaus bemühte Otto Oberhammer, eingesetzt, der von keinem der Interviewpartner erwähnt wurde, weil er keine nennenswerten Handlungen setzte.

158 Das Österreichische Fernsehen – Demokratiepolitischer 9. Die Ära Bacher Bildungsauftrag oder Quote ?

Viktor Reimann483 zu Wort. Unter dem Titel „Mühlstein ORF“ schrieb er: „Kreisky verkündete am Klagenfurter Parteitag sein Programm für ein Zweites Fernsehen, das sogenannte Verlegerfernsehen, um dadurch die Monopolstellung des ORF zu brechen. (…) der ORF streute Gerüchte einer Zusammenlegung von Kurier und Krone aus und stellte sich an die Spitze einer Kampagne, die – nach alter Tradition – von den Chefredakteuren einiger Provinzblätter unterstützt wurde,“484„(…) die Kreuzritter der ORF-Diktatur bestürmten Kreisky, er solle ein Machtwort gegen die Entstehung eines Zeitungsmonopols sprechen, dieselben485, die eine Demokratisierung des ORF verhinderten“. Was würde der verstorbene Autor wohl heute zur Medienmacht der Kronen Zeitung sagen, in deren Redaktionen von Demokratie nicht die Rede ist. Auch erscheint, ohne jetzt zum Analytiker der Zeitung zu werden, die Wahl der Worte interessant, denn vor allem „die Kreuzritter“ tauchten in der jüngsten Vergangenheit in ganz anderem Zusammenhang auf. Reimann spricht weiters davon, dass die „ORF-Partisanen und Bacher-Getreuen, Kreisky und die SPÖ, zu einer umfassenden Reform der Mut verlassen hätte.486 Am 8. Februar 1974 präsentierte der Mediensprecher der SPÖ, Karl Blecha, Vorschläge zu einer ORF-Reform, in denen neuerlich das Verlegerfernsehen eine Rolle spielte.487 Es war ein eigenartiges Schauspiel, als Bundeskanzler Kreisky plötzlich einen Beamten aus dem Justizministerium, Dr. Otto Oberhammer, aus dem Hut zog und ihn als Generalintendanten installierte. Die Kronen Zeitung stieg auf den Zug auf, ging es doch darum, den ungeliebten und eigenständigen Bacher loszuwerden. Gerd Bacher verfügte damals zwar über eine entsprechende Vorbildung als Journalist, 21-jährige „verwandte Berufs- erfahrung“ und „einschlägige ORF-Kenntnisse“.488 Was er nicht hatte, waren Freunde in der Regierungspartei, hier vor allem tummelten sich die Gegner einer

483 Reimann war Gründer des VdU (Verband der Unabhängigen), aus dem später die FPÖ hervorging. Reimann, der eine durch die Nazizeit belastete Vergangenheit hatte, wurde Kolumnist bei der Kronen Zeitung. Vgl. Reimann, Viktor, Kronen Zeitung, 3. 2. 1973, S 2 484 Vgl. ebd. 485 Otto Oberhammer, geb. 1934 in Innsbruck, promovierter Jurist. 1969 wurde er zum Ministerialsekretär ernannt und war von 1969 bis 1972 mit der Sonderaufgabe der Betreuung der Fertigstellung und völligen Einrichtung des neuen Amtsgebäudes des Justizministeriums befasst. 1974 wurde der offiziell Parteilose zum Generalintendanten des ORF gewählt (vgl. http://www.munzinger.de/search/portrait/Otto+Oberhammer/0/14141.html). 486 Vgl. ebd. 487 Vgl. Blecha, Karl, in: Pressedienst der SPÖ und Pressekonferenz vom 8. 2. 1974 488 Vgl. Diemann, Kurt, ORF – Hintergründe und Abgründe, Graz, Wien, 1978, S 61

159 Das Österreichische Fernsehen – Demokratiepolitischer Bildungsauftrag oder Quote ? 9. Die Ära Bacher

Wiederwahl, von Kreisky bis Blecha, in einer Allianz mit Hans Dichand, dem Herausgeber der Kronen Zeitung. Beim Hearing der Kandidaten wurde Oberhammer vom VP-Abgeordneten Busek gefragt, ob er über einschlägige Medienerfahrung verfüge, was dieser verneinte. Oberhammer zog sich dann in seiner Argumentation darauf zurück, dass ein Generalintendant die Erstellung der allgemeinen Programmrichtlinien als Aufgabe hat sowie die Kontrolle der Direktoren und Intendanten.489 Auch verneinte Oberhammer, dass er in der Wirtschaftsführung eines Betriebes Erfahrung gesammelt habe. Nachdem Oberhammer provisorisch gewählt wurde, standen nicht mehr seine Wohnungsprobleme im Mittelpunkt öffentlichen Interesses490, sondern auch die Frage nach neuen Mitarbeitern, Frauen und Männern, die mit höheren Aufgaben betraut wurden und allesamt aus dem SP-Dunstkreis kamen: Josef Broukal, damals SP-Organisationsreferent in Niederösterreich, Ulrich Brunner, Redakteur der Arbeiterzeitung und SP-Mitglied (heute Ex-SP-Wähler, wie er freimütig in einem Presse-Kommentar vom 2. Juli 2008 schrieb, da er sich mit der Haltung und der Situation dieser Partei nicht mehr identifizieren kann491), Barbara Coudenhove-Kalergi, Redakteurin der Arbeiterzeitung – sie wurde zur Chefin des Auslandsdienstes ernannt –, um hier nur einige zu nennen.492 Die Ära Oberhammer fand aber schon nach vier Jahren ein jähes Ende, als sich die entscheidenden Organe des ORF wieder auf Gerd Bacher festlegten, obwohl Karl Blecha noch versuchte, das Steuer für Helmut Zilk herumzureißen, der sich ja der Unterstützung der Kronen Zeitung (Zilk war schon damals Ombudsmann der Kronen Zeitung) gewiss sein durfte. Da hatte diese Zeitung allerdings schon vom „Intendanten“, also damals entweder für FS1 oder FS2, geschrieben.493 Und am 10. August durfte es Georg Nowotny „anders sehen“, so lautete der Titel seiner Kolumne:

489 Vgl. Diemann, S 76 (Auszug aus dem Hearingprotokoll vom 9. 10. 1974) 490 Oberhammer hatte für eine standesgemäße Wohnung einen hohen Kredit aufgenommen, SP- Mediensprecher Blecha meinte daher, es sei sozial angemessen, dass Oberhammer die Chance erhält, diesen von seinem 100.000-Schilling-GI-Gehalt zurückzuzahlen (vgl. Diemann, S 99) 491 Vgl. Brunner, Ulrich, in: Die Presse vom 2. 7. 2008, S 38 492 Vgl. Diemann, S 97–109 493 Vgl. Kronen Zeitung vom 6. 8. 1964, S 38

160 Das Österreichische Fernsehen – Demokratiepolitischer 9. Die Ära Bacher Bildungsauftrag oder Quote ?

Die ÖVP hofft angesichts der Vorarlberger Landtagswahlen auf ein ORF-Spektakel, als ob es nicht um Kessler (den damaligen Landeshauptmann Vorarlbergs) geht, sondern nur um Gerd Bacher. (…) Und Kneippbruder Kreisky? Er hält die tickende Zeitbombe Generalintendanten-Wahl in der Hand und kann sie nicht rasch einem anderen zuwerfen. Wird der ORF, so mag sich der Kanzler fragen, wie schon einmal zum Schicksalsthema der SPÖ, oder kann der große Zauberer, wenn er Dr. Hugo Portisch wie ein Karnickel aus dem Zylinder zaubert, noch einmal alles retten?494

Richard Nimmerrichter nimmt eine Klage Bachers gegen die Kronen Zeitung am 12. August 1974 zum Anlass, um gegen diesen zu polemisieren:

(…) wieder einmal wurde unser verantwortlicher Redakteur freigesprochen und wieder einmal muss Herr Bacher die gesamten Prozesskosten tragen. Aus Hörer- und Sehergebühren, versteht sich doch.495

Solche nicht überprüften Aussagen vertieften die ohnehin große Kluft zwischen den Protagonisten der Kronen Zeitung und Gerd Bacher noch mehr. Bei alldem fällt auf, dass es der Kronen Zeitung nicht um Inhalte ging, sondern um die Person, wie schon oben erwähnt. Bacher kam auch, in bewährter Weise, ins Visier der Leserzuschriften: „(…) welch ein Bumerang, Bacher schwindelt durch Unterschriftenaktion“; „wie lange werden wir uns die Frechheiten Bachers noch gefallen lassen müssen, bloß damit dieser Herr weiterhin auf seiner größten Orgel spielen darf?“; „…er hat schon zu lange georgelt.“496 Es ging also Schlag auf Schlag, am Ende blieb Gerd Bachers Abwahl über, die ihn veranlasste, mit ebenso großem Elan bald wieder zurückzukehren. Vorerst jedoch ging es im Stakkato weiter, denn schon am 14. August legte „Staberl“ weiter nach. Eine verunglückte Dschunkenfahrt des Unterhaltungschefs Kuno Knöbl, der damit beweisen wollte, dass auch schon im Altertum die Möglichkeit bestanden hätte, dass Südamerika von Asien aus bevölkert wurde, nimmt Nimmerrichter mit der

494 Vgl. Nowotny, Georg, in: Kronen Zeitung vom 10. 8. 1974, S 4 495 Vgl. Nimmerrichter, Richard, Kronen Zeitung vom 12. 8. 1974, S 12 496 Vgl. alle Zitate in: Kronen Zeitung, 13. 8. 1974, S 14

161 Das Österreichische Fernsehen – Demokratiepolitischer Bildungsauftrag oder Quote ? 9. Die Ära Bacher

Frage: „Gab es im ORF alte Chinesen?“ zum Anlass, einen zynischen Zweispalter zu schreiben, in dem häufig die Wörter „Bacher-Freund Molden“, „Bacher-Zögling Knöbl“ vorkommen, und er hofft, dass jetzt „endlich bewiesen ist, dass sich kein alter Chinese jemals um den ORF-Posten des Bacher beworben hat“.497 Am 18. August verkündete auch der Fernsehredakteur der Kronen Zeitung auf einer ganzen Seite, „…dass die neuen ORF-Studios fernsehuntauglich sind und der General Bacher den Zentralismus auf Kosten der Länder-TVs einbetonieren ließ“.498

Jedenfalls handelte es sich bei dieser Kampagne um die größte Medienauseinandersetzung nach dem Volksbegehren. Hier eine Zeitung mit ständig wachsender Leserzahl, dort ein Mann, der teils noch seinen Apparat hinter sich hatte. Denn dieser Stil der Herabwürdigung nahm bis zur endgültigen Wahl Otto Oberhammers seinen Fortgang. Vom „Maronibrater Bacher“ war die Rede499, und Nimmerrichter fragte sich in der gleichen Ausgabe, „was, außer bombastischen Reden und monumentalen, gräßlichen und unnützen Studiobauten dieser Mann in den sieben Jahren seit seiner Machtübernahme zuwege gebracht hat …“.500

9.6. Die Kommerzialisierung

Die kurze Ära Oberhammer braucht eigentlich gar nicht erwähnt zu werden, weil es dabei zu keinerlei Innovationen gekommen ist, auch nicht im von Kreisky hineinreklamierten verstärkten Bildungsauftrag, denn der damalige Kanzler meinte, dass die Demokratie aufgrund der Führung durch Bacher zu kurz käme. „Die Entrümpelung, aber auch die totale Kommerzialisierung begann unter Gerhard Zeiler“, so Hugo Portisch, „dadurch ging natürlich ein Teil des Bildungsauftrags verloren.“501 Zeiler war übrigens ehemaliger Sekretär von

497 Vgl. Nimmerrichter, Richard, Kronen Zeitung vom 14. 8. 1974, S 4 498 Vgl. Urbanek, Werner, in: Kronen Zeitung vom 18. 8. 1974 499 Vgl. Kronen Zeitung vom 25. 8. 1974, S 2 500 Vgl. Nimmerrichter am 25. 8. 1974, S 3 501 Interview mit Dr. Hugo Portisch

162 Das Österreichische Fernsehen – Demokratiepolitischer 9. Die Ära Bacher Bildungsauftrag oder Quote ?

Bundeskanzler (1983–1986) und ist heute überaus erfolgreich als Generalmanager der RTL-Group tätig. „Dienstleistung für Österreich ist unser höchster Auftrag.“502 Dieser sollte jeden Tag erfüllt werden. Darauf hätte das Publikum Anspruch. Gerade im Bereich der Information wurden trotzdem ab der Ära Zeiler neue Maßstäbe gesetzt – so wurde das Programm „Bundesland heute“ auch auf Samstag und Sonntag ausgeweitet. Seither werden an jedem Tag regionale Informationen angeboten. Natürlich waren dafür finanzielle Mittel notwendig, die anderweitig erwirtschaftet werden mussten.503 Jedenfalls hat die zunehmende Kommerzialisierung, die auch durch die private Konkurrenz notwendig wurde, zu einer Verwässerung des Programms geführt, da man den Werbekunden immer mehr Quote bieten musste und die Gebührenzahlungen zur Finanzierung nicht ausreichten. Unter Zeiler und seinem Nachfolger, Gerhard Weis, wurde die Information ausgeweitet, z. B. der Ausbau der „ZIB“ um 13 Uhr, zusätzliche Korrespondentenbüros in fünf europäischen Hauptstädten, ein neues Auslands- und Wirtschaftsmagazin und mehr Kultur in der „ZIB1“ (diese allerdings nur kurzfristig). Gerd Bacher hatte damals, 2001, Gerhard Zeiler heftig kritisiert und damit auch seinen Gegenkurs zum Erzrivalen Hans Dichand, Herausgeber der Kronen Zeitung, manifestiert.

Auswüchse wie Werbeunterbrechungen während einer Sendung oder Product Placement in Nachrichtenbeiträgen mussten ausgemerzt werden: „Unsere Empfehlungen können nur als Anregungen dienen, den Keuschheitsgürtel muss sich der ORF selbst umlegen, das war auch unsere Verpflichtung gegenüber der Öffentlichkeit", so der ehemalige Generalintendant.504 Als neue Werberichtlinie wurde beispielsweise vom Weisenrat festgelegt, dass kein Medium, dessen Reichweite bundes- oder landesweit 30 Prozent übersteigt, im ORF Werbung betreiben darf. Das bedeutet, dass künftig die Kronen Zeitung keine Spots mehr schalten durfte, die neue „Mediamil“-Gruppe505 jedoch sehr wohl werben kann, da

502 Vgl. Wolf, Franz Ferdinand, 25 Jahre Rundfunk in Österreich, Salzburg 2001, S 155 503 Ebd. S 156 504 Gespräch mit Gerd Bacher am 20. 8. 2008 505 Mediamil-Komplex in „Österreichische Medienwelt von A – Z“, Wien 2008: Sieben Tageszeitungen haben neuerlich eine Klage gegen die marktbeherrschende Stellung der Mediaprint und von Format/Profil eingebracht. Dies berichtet die Tageszeitung Der Standard. Die Verlagsgruppe News komme bei aktuellen Nachrichtenmagazinen mit Profil, Format und News auf 100 Prozent Marktanteil. Zudem wurde der Kurier mit 30 Prozent am News-Konzern beteiligt, der

163 Das Österreichische Fernsehen – Demokratiepolitischer Bildungsauftrag oder Quote ? 9. Die Ära Bacher

sie knapp unter der 30prozentigen Reichweite liegt. Patronanzsendungen dürfen ebenfalls nur von jenen Medien eingereicht werden, die unter der 30-Prozent- Grenze liegen. Sendungen wie die „Krone-Gala" dürfte es eigentlich nicht mehr geben", so Bacher. Ebenso wurde beschlossen, dass Personen, die regelmäßig in ORF-Sendungen auftreten, keine Werbung machen dürfen, was eine Absage an Vera Russwurm & Co bedeutet hätte. Product Placement ist ebenfalls unzulässig, ausgenommen sind hier Serien, Kino- oder TV-Filme und natürlich Sportsendungen. Bacher: „In den Redaktionen sollten keine bestimmten Mineral- wasserflaschen oder Computermarken erkennbar sein."506 Doch Gerhard Zeiler versuchte mit seiner Neu-Konzeption seine wichtigsten Ziele zu erreichen:

- die Marktführerschaft des ORF abzusichern, - jüngere Zuseher zu gewinnen, ohne ältere zu verlieren, - die ausländischen Mitbewerber im direkten Vergleich zurückzudrängen, - und erstmals in der ORF-Geschichte eine klare Zielvorgabe für Programm- macher zu geben, welches Zuschauerpotenzial mit welcher Sendung zu erreichen ist.507

zur der den Zeitungsmarkt beherrschenden Mediaprint gehört, kritisieren die Zeitungen. Die sieben Blätter Tiroler Tageszeitung, Oberösterreichische Nachrichten, Kleine Zeitung und die ebenfalls zur Styria gehörende Presse, die Vorarlberger Nachrichten und Neue Vorarlberger Tageszeitung sowie die Salzburger Nachrichten wandten sich neuerlich an das Oberlandesgericht Wien als Kartellgericht, obwohl dieses im Januar die Fusion genehmigt hatte. Kurier- und News-Gruppe hätten im Verfahren verschwiegen, dass der deutschen Bertelsmann AG mittelbar 24,9 Prozent an Tele gehören, dem Fernsehmagazin der Bundesländerzeitungen. Bertelsmann ist Mutter der News-Mehrheitseigentümerin Gruner+Jahr. Schärfster Konkurrent von Tele ist aber das Mediaprint-Supplement TV-Woche; dank „Mediamil"-Verbindungen habe Tele nun den Wettbewerber an Bord. 506 Vgl. auch Secklehner, Sonja, Pressetext Austria, 28. 3. 2001, 507 Vgl. TV-Media, März 1996, S 20

164

Das Österreichische Fernsehen – Demokratiepolitischer 10. Der Bildungs- und Bildungsauftrag oder Quote ? Gebührenauftrag

10. Der Bildungs- und Gebührenauftrag

Der Bildungsauftrag ist eine gesetzlich verankerte Pflicht eines staatlichen Rundfunks, es ist der Auftrag zur Bildung der Personen, die die Information des jeweiligen Senders empfangen können. Die Definition Rundfunk hat dabei in den vergangenen Jahren eine erstaunliche Erweiterung erlebt. Der Bildungsauftrag verschiedener – meist staatlicher – Rundfunkanstalten wird mittlerweile mit verschiedensten Medien wahrgenommen. Beispielsweise hat der ORF seine Bildungsverantwortung dem eigenen Hörfunkprogramm Ö1 praktisch völlig übertragen. Diese Sparte verfügt daher über erhebliche technische und redaktionelle Mittel. Das Fernsehen hingegen darbt, was Bildungsvermittlung betrifft, dahin.

Der öffentlich-rechtliche Rundfunk steckt in der Krise. Immer stärker bedrohen Kommerz und Politik die journalistische Unabhängigkeit. Der Bildungsauftrag ist bloß noch lästiges Beiwerk, das Programm wird flott banalisiert So still war es in ihren Anstalten schon lange nicht mehr. Schweigen ist Gold. Es gibt Redakteure, die die strikte Anweisung haben, ihre Zunge zu hüten, sollte ihnen ein unbefugter Journalist über den Weg laufen. Der Intendant ist nervös, die Lage gespannt. Dafür plaudern die Redakteure in den fußballfeldgroßen Kantinen umso lieber. Sie erzählen sich zum Beispiel Geschichten aus besseren Tagen. Anfang der Achtzigerjahre (…).508

Im ORF geht’s ähnlich zu: Aus eigener Erfahrung des Verfassers ist das „Fünf- Sterne-Hotel“ mit Lift wichtiger als die Aufnahme so mancher Bilder.509 Auch gibt es strikte Arbeitszeiten, die sich gerade in der Fernsehbranche als kontraproduktiv erweisen. Gesetzlich geregelte Pausen und „Überstunden-Protokolle“ gehören zum Alltag.510 Geschichten wie diese gibt es viele, nicht nur beim ORF,

508 Vgl. Assauer, Thomas, in: Die Zeit, http://www.zeit.de/2001/0 ... turfernsehe.xml 509 Anm. d. Verf.: Beobachtung bei Aufnahmen von Florenz bis Rom für ein TV-Magazin 510 Die Dokumentarfilmerin Mayer-Hohdahl, u. a. auch Mitarbeiterin des ORF, erzählt in einem Interview mit dem Verfasser über dieses Thema, dass sie von ORF-Teams abgekommen sei und jetzt alles, inkl. Kamera, selber macht, denn da „kann ich auch nach 17 Uhr meine Arbeit machen“, geführt am 4. 11. 2008 in Wien.

166 10. Der Bildungs- und Das Österreichische Fernsehen – Demokratiepolitischer Gebührenauftrag Bildungsauftrag oder Quote ?

wahrscheinlich auch in der ARD oder beim ZDF, aber gerade die jahrzehntelang geübten Auswüchse lassen das Vertrauen in die Sinnhaftigkeit der verpflichtenden Gebühren sinken, parallel steigt der Ärger, vor allem über den ORF, was das den Privaten immer ähnlicher werdende Einheitsprogramm anbelangt. An manchen Abenden unterscheidet sich das Programm des ORF von jenem des Privatfernsehens nur durch das werbefreie Ausstrahlen einer Sendung, denn der kritische Konsument stellt sich die Frage, ob es richtig und nötig ist, wenn der öffentlich-rechtliche Sender zur selben Zeit dieselben Inhalte sendet.

Trotz der Misere seines Unterhaltungsprogramms, einer faden Kopie der privaten Konkurrenz, ist der gebührenrechtliche ORF hierzulande manchmal noch immer angenehmer als das Fernsehprogramm in anderen Ländern, vergleicht man es zum Beispiel mit Frankreich. Gewisse Enthüllungsberichte entsprechen durchaus dem Informationsbedürfnis der zahlenden Zuseher. Doch zu sehen sind solche Sendungen vornehmlich dann, wenn das öffentlich-rechtliche Wellness-TV verplätschert ist und der Musikanten-Treck mit Andi Borg und anderen jodelnd geendet hat. Der Bildungsauftrag kann aber nur erfüllt werden, wenn er sich „rechnet“, wie einige Gesprächspartner, von Unterberger über Wendl bis hin zu Portisch und Bacher, speziell betonen. Denn eigentlich dürfte nur dieser Teil des Programmauftrags auch tatsächlich aus den Gebühren finanziert werden, alle Beiwerke des Fernsehens und des Rundfunks sollten sich selber tragen, d. h. es bedarf einer Quote, um potenzielle Werbepartner anzusprechen. So hält es beispielsweise der Präsident (Stand August 2008) des „Verbandes Österreichischer Zeitungsherausgeber“ und Vorsitzender des Styria-Verlages, Horst Pirker, nicht für angebracht, dass Teile des ORF über die Gebühren finanziert werden. „Mit Ausnahme von Ö1 und mit Abstrichen auch noch ORF 2, FM4 und Ö2, denn auch Letztgenannte hätten einen Markt ohne jede staatliche Intervention, muss sich das Angebot des öffentlich-rechtlichen Rundfunks über den Markt finanzieren“, so Pirker.511 Immer wieder wird dem Österreichischen Fernsehen vorgeworfen, dass insbesondere sein Programm ORF 1 kaum von kommerziellen Anbietern zu unterscheiden sei, daher wurde auch des Öfteren

511 Vgl. Horst Pirker, in: Die Presse vom 24. 7. 2008, S 25

167 Das Österreichische Fernsehen – Demokratiepolitischer 10. Der Bildungs- und Bildungsauftrag oder Quote ? Gebührenauftrag

verlangt, dass einer der beiden Kanäle zu privatisieren sei.512 Der ORF finanziert sich zur Hälfte aus den Gebühren, zur anderen Hälfte aus Werbeeinnahmen, wobei es ein Spezifikum darstellt, dass über die Gebührenstelle GIS gesetzlich viele Befreiungen eingeräumt werden müssen (z. B. ältere Personen und Sozialhilfeempfänger), diese aber dem Unternehmen vom Gesetzgeber nicht refundiert werden, sondern verlorenes Kapital darstellen.513 Laut Pirker dürfe der Staat zwar auch im Bereich der Medien nur dort hoheitlich eingreifen, wo der Markt die Versorgung versagt. „ORF 1, Ö3, ORF On bietet auch der Markt; anders ist es bei einem Bildungssender wie Ö1, hier ist der Eingriff des Staates legitim.“514 Der VÖZ will nun auch bei der EU intervenieren. Diese Stellungnahme ist geprägt davon, dass die Zeitungsherausgeber die natürliche Konkurrenz des ORF am Werbesektor spüren, jedoch lassen diese die eigene, in Anspruch zu nehmende Presseförderung außer Acht.

Die Begehrlichkeit auf Teile des Meinungsmachers ORF ist groß, wie die Ankündigung des Generalanwalts des Raiffeisensektors Dr. Christian Konrad zeigt, der für seinen Konzern gerne das Erste Fernsehprogramm vereinnahmen möchte.515 Der finanzielle Spielraum des ORF wird immer geringer, so wurde am 11. 11. 2008 in einer Pressekonferenz von Generaldirektor Wrabetz mitgeteilt, dass 2008 mehr als 100 Millionen Euro als Abgang zu verzeichnen sind. Schon wird über eine Schlankheitskur für die öffentlich-rechtliche Anstalt nachgedacht, wobei die vielschichtige Linienorganisation vereinheitlicht werden soll. Auch ist in Planung, zum Zeitpunkt der Abgabe dieser Arbeit, dass die Bundesländerstudios wieder an die Länder selbst zurückgegeben werden sollen, die dann aus dem bisher dem ORF zugeteilten Kulturtopf die Kosten zu bestreiten haben. Problematisch ist dies jedoch aus der Betrachtungsweise der Unabhängigkeit des Rundfunks, denn die Landeshoheit über dieses Medium kommt de facto einer Umgestaltung in neun Studios der Landeshauptfrauen/-männer gleich. Natürlich kann für diese offensichtliche Misere nicht ausschließlich die jetzige Führung

512 Vgl. Sulzenbacher, S 102 513 Vgl. Interview mit Fritz Wendl am 21. 7. 2008 514 Vgl. Pirker, in: Die Presse vom 24. 7. 2008 515 Vgl. Fidler, Harald, in: Der Standard vom 7. 11. 2008, S 5; wobei bei der Ausarbeitung dieser Pläne maßgebliche Personen aus dem nahen Umfeld des ORF beteiligt sind, z. B. Rudi Klausnitzer, Ex-Ö3-Chef, Klaus Pekarek, Vorsitzender des ORF-Stiftungsrats, Monika Lindner, ehem. Generaldirektorin des ORF u. a.

168 10. Der Bildungs- und Das Österreichische Fernsehen – Demokratiepolitischer Gebührenauftrag Bildungsauftrag oder Quote ?

verantwortlich gemacht werden, sondern die Wurzeln des Übels liegen in der Vergangenheit, als sich ein arroganter, enorm kostspieliger Machtapparat selbst heranzüchtete.

10.1. Aufbruch oder Abbruch des Bildungsauftrags?

Das Fernsehen hat durch eine Reform seiner Sendungen sicherlich eine Aufwertung in der Information erhalten, z. B. durch den gezielten Einsatz von neuen Moderatoren, wobei hier nicht über deren Qualität spekuliert werden soll. Da jedoch die Kommerzialisierung schnell erfolgt ist, mussten auch Serien, die die angeblich so relevante Zielgruppe zwischen 16 und 49 betreffen, angesprochen werden. „Der ORF war früher der einzige wirkliche Greißler, er wollte alles verkaufen und noch durch Gebühren finanziert werden.“516

Die Information war ausgeprägt, erreichte jedoch nie die Durchschlagsqualität der bereits legendären Tagesschau der ARD. Österreich hat eben wesentlich weniger Einwohner, daher ist das verständlich. Aber von der Quote her kann sich das Fernsehen durchaus messen lassen, wobei das österreichische ORF-Radio international gesehen an der Spitze liegt, dank Ö3 (Ö1 liefert dagegen ein mehrfach ausgezeichnetes Kultur- und Bildungsprogramm). Im Fernsehen kamen in der Ära Zeiler neue Sendungen: „Report“ und „Thema“. Unter Weis wurde das Bildungsangebot noch ausgedehnt. Jedoch ist eines sicher: Das österreichische Fernsehen besitzt schon lange kein Monopol mehr. Im Gegenteil: Durch die Nachbarschaft zu Deutschland hat Österreich einen der kompetitivsten Medien- märkte, die es gibt. Grund dafür ist die außerordentliche Konkurrenzdichte im deutschen Sprachraum. Noch dazu, da die Zahl der Satellitenanschlüsse ständig steigt. Gerhard Weis meint jedoch, dass das Fernsehen nicht wie ein kom- merzieller Sender ausgerichtet ist: „Eigenproduziertes Kinderprogramm, Kultur, aufwendige Sportprogramme sind aus kommerzieller Sicht unwirtschaftlich, für das Fernsehen Teil des Programmauftrags. Würde der ORF diesen nicht erfüllen

516 Interview mit Hans Georg Heinke

169 Das Österreichische Fernsehen – Demokratiepolitischer 10. Der Bildungs- und Bildungsauftrag oder Quote ? Gebührenauftrag

können, käme die Diskussion noch stärker.“517 Für einen durchaus kritischen Beobachter des Fernsehen erhebt sich dabei jedoch die Frage nach der Qualität, die, bis auf manche Sportsendungen, gesunken ist, obwohl sich die Mitarbeiter- zahl, wie oben erwähnt, drastisch erhöht hat. Dadurch sinkt natürlich auch die Wettbewerbsfähigkeit, denn nur durch die Einführung einer „ZIB“-Doppel- moderation kann kaum Boden gewonnen werden, wenn Bild- und Tonqualität schlechter werden. Einzig der Donnerstagabend mit seinem Kabarettprogramm kann die Erwartungen vor allem eines jüngeren Publikums erfüllen. Sogar Peter Westenthaler „findet das sehr gut bis ausgezeichnet, auch wenn auf mich manchmal draufgehaut wird. Aber den Zusehern taugt’s“.518 „Immer dann, wenn wir österreichische Künstler ins Bild rücken, haben wir auch Erfolg. Das Publikum sieht sich eben darin wieder.“519

„Man kann einen Bildungsauftrag haben und trotzdem Quote machen.“520 Im Fernsehen gibt es derzeit, auch international gesehen, viele sogenannte Lernshows, denen es aber an Kreativität mangelt. „Interessant wäre es, den ORF zu klagen, ob der demokratiepolitische Bildungsauftrag erfüllt wird“.521 Die freie Ausübung des Berufsstandes von Journalisten ist oberste Prämisse. Diese sind völlig getrennt von der Vermarktungsfirma ORF-Enterprise.522 Das sollte jedoch eher differenziert betrachtet werden, da die Enterprise sehr wohl teilweise Einfluss auf die Programmgestaltung und deren Inhalte nimmt. (Anm. d. Verf.)

517 Vgl. Wolf, 25 Jahre Rundfunk, S 179 518 Interview mit Ing. Peter Westenthaler 519 Vgl. Interview mit Edgar Böhm 520 Vgl. Interview mit Peter Westenthaler. 521 Ebd. 522 Interview mit Pius Strobl

170

Das Österreichische Fernsehen – Demokratiepolitischer Bildungsauftrag oder Quote ? 11. Der ORF heute

11. Der ORF heute

11.1. Die grundsätzlichen Regelungen des derzeit gültigen ORF- Gesetzes523

Um das Fernsehen auch in den Innenbeziehungen zu verstehen, soll hier auf das Bundesgesetz524 zurückgegriffen werden, in dem auch das ORF-Gesetz verankert ist. Die folgenden Ausführungen betreffen Auszüge aus der aktuellen Fassung:525

§ 1 (1) Mit diesem Bundesgesetz wird eine Stiftung des öffentlichen Rechts unter dem Namen „Österreichischer Rundfunk“ eingerichtet.

(2) Zweck der Stiftung ist die Erfüllung des Versorgungsauftrags, § 3, der Programmauftrag, § 4 und die besonderen Aufträge gemäß § 5.

(3) Der österreichische Rundfunk hat bei der Erfüllung seines Auftrags auf die Grundsätze der österreichischen Verfassungsordnung, insbesondere auf die bundesstaatliche Gliederung nach dem Grundsatz der Gleichbehandlung der Länder sowie auf den Grundsatz der Freiheit der Kunst Bedacht zu nehmen und die Sicherung der Objektivität und Unparteilichkeit, der Berücksichtigung der Meinungsvielfalt und der Ausgewogenheit der Programme sowie der Unabhängigkeit von Personen und Organen des Österreichischen Rundfunks, die mit der Besorgung von Aufgaben des Österreichischen Rundfunks beauftragt sind, gemäß den Bestimmungen dieses Bundesgesetzes zu gewährleisten.

§ 4: (1) Der Österreichische Rundfunk hat durch die Gesamtheit seiner gemäß § 3 verbreiteten Programme zu sorgen für:

1. die umfassende Information der Allgemeinheit über alle wichtigen politischen, sozialen, wirtschaftlichen, kulturellen und sportlichen Fragen,

523 Das gesamte ORF-Gesetz siehe im Anhang 524 BGBl. Nr. 379/381, ORF-Gesetz (ORF-G) 1984 525 BGBl. Nr. 52/2007

172 Das Österreichische Fernsehen – Demokratiepolitischer 11. Der ORF heute Bildungsauftrag oder Quote ?

2. die Förderung des Verständnisses für alle Fragen des demokratischen Zusammenlebens, 3. die Förderung der österreichischen Identität im Blickwinkel der europäischen Geschichte und Integration, 4. die Förderung des Verständnisses für die europäische Integration, 5. die Vermittlung und Förderung von Kunst, Kultur und Wissenschaft, 6. die angemessene Berücksichtigung und Förderung der österreichischen künstlerischen und kreativen Produktion, 7. die Vermittlung des vielfältigen kulturellen Angebots, 8. die Darbietung von Unterhaltung, 9. die angemessene Berücksichtigung aller Altersgruppen, 10. die angemessene Berücksichtigung der Anliegen von behinderten Personen, 11. die angemessene Berücksichtigung der Anliegen der Familien und der Kinder sowie der Gleichberechtigung von Frauen und Männern, 12. die angemessene Berücksichtigung der staatlich anerkannten Kirchen und Religionsgemeinschaften, 13. die Verbreitung und Förderung von Volks- und Jugendbildung unter besonderer Beachtung der Schul- und Erwachsenenbildung, 14. die Information über Themen des Umwelt- und Konsumentenschutzes und der Gesundheit, 15. die Förderung des Interesses der Bevölkerung an aktiver sportlicher Betätigung, 16. die Information über die Bedeutung des Bundesstaates sowie die Förderung der Identitäten der Bundesländer, 17. die Förderung des Verständnisses für wirtschaftliche Zusammenhänge, 18. die Förderung des Verständnisses für Fragen der europäischen Sicherheitspolitik und der umfassenden Landesverteidigung.

(4) Insbesondere Sendungen in den Bereichen Information, Kultur und Wissenschaft haben sich durch hohe Qualität auszuzeichnen. Der Österreichische Rundfunk hat ferner bei der Herstellung und Sendung von Hörfunk- und Fernsehprogrammen auf die kulturelle Eigenart, die Geschichte und die politische

173 Das Österreichische Fernsehen – Demokratiepolitischer Bildungsauftrag oder Quote ? 11. Der ORF heute

und kulturelle Eigenständigkeit Österreichs sowie auf den föderalistischen Aufbau der Republik besonders Bedacht zu nehmen.

(5) Der Österreichische Rundfunk hat bei der Gestaltung seiner Sendungen weiters für

1. eine objektive Auswahl und Vermittlung von Information in Form von Nachrichten und Reportagen einschließlich der Berichterstattung über die Tätigkeit der gesetzgebenden Organe und gegebenenfalls der Übertragung von Verhandlungen,

2. die Wiedergabe und Vermittlung von für die Allgemeinheit wesentlichen Kommentaren, Standpunkten und kritischen Stellungnahmen unter angemessener Berücksichtigung der Vielfalt der im öffentlichen Leben vertretenen Meinungen,

3. eigene Kommentare, Sachanalysen und Moderationen unter Wahrung des Grundsatzes der Objektivität zu sorgen.

(6) Unabhängigkeit ist nicht nur das Recht der journalistischen oder programmgestaltenden Mitarbeiter, sondern auch deren Pflicht. Unabhängigkeit bedeutet Unabhängigkeit von Staats- und Parteieneinfluss, aber auch Unabhängigkeit von anderen Medien, seien es elektronische oder Printmedien, oder seien es politische oder wirtschaftliche Lobbys.

(7) Die Mitarbeiter sind den Zielen des Programmauftrags verpflichtet und haben Einfluss, an dessen Erfüllung aktiv mitzuarbeiten.

Der öffentlich-rechtliche Rundfunk hat durch seine festgelegten gesetzlichen Bestimmungen eine Reihe von Pflichten und Aufgaben, welche im Zuge seiner Programme für eine demokratische und pluralistische Gesellschaft ausgesendet werden müssen.526

526 Vgl. Dänemark, Beatrix, Das Erscheinungsbild der Ausländer im Neuen ORF, Wien 1997, S 109

174 Das Österreichische Fernsehen – Demokratiepolitischer 11. Der ORF heute Bildungsauftrag oder Quote ?

Gemäß § 2 Absatz 1, Z § des Rundfunkgesetzes von 1974 hat der ORF für die Vermittlung von Kultur und Wissenschaft zu sorgen: …mit der Vermittlung und Förderung von Kultur und Wissenschaft ist der ORF betraut.527

Die Frage, die sich stellt, ist, ob das Österreichische Fernsehen in seiner derzeitigen Verfassung dies erfüllt. Den Hörern und Sehern wird eben für den Empfang jener Programme und Inhalte ein Gebührenentgelt abverlangt, womit eigentlich neben Niveau, Aktualität, Objektivität, Seriosität auch ein entsprechendes Maß an attraktiver Aufbereitung erwartet werden darf. Der ORF ist außerdem zu einem hohen Objektivitätsgebot und Meinungspluralismus in allen Programmbereichen verpflichtet.528

11.2. Die „Interventionitis“

Der Versuch der jeweiligen Regierung, über den ORF als entscheidendem Medium Macht zu gewinnen, ist offensichtlich, manchmal zu offensichtlich. Von linientreuen Postenbesetzungen bis zu wirtschaftlichen Bedrohungen von Redakteuren war zum Beispiel in der „Wendezeit“ (VP/FP-Regierung) alles zu finden. Besonders auf den Leiter der Informationsabteilung Werner Mück hatte sich die Opposition in- und außerhalb des ORF eingeschossen.529 Der Obmann der „Grünen“ beispielsweise warf Mück einen unsachgemäßen Umgang mit demokratiepolitischen Einrichtungen vor: Grünen-Chef Alexander Van der Bellen hielt sich lang mit Kritik am Chef der ORF-Information und Chefredakteur Werner Mück zurück, betonte aber im Juni 2005 in einem Interview, „dass aus demokratiepolitischer Sorge die Allmacht Mücks zu beschneiden ist“.530 Armin Wolf, ZIB-Moderator, leitete schließlich mit seiner Rede anlässlich der Verleihung

527 Vgl. Rundfunkgesetz von 1974, § 2, Abs. 1, Z 3 528 Vgl. Interview mit Pius Strobl 529 Werner Mück, geb. 1943, war früher Leiter des Landesstudios Salzburg, ehe er unter der Intendanz Lindners zum obersten Informationschef des Fernsehens wurde. Immer wieder wurde ihm Einflussnahme im Sinne der VP/FP-Regierung nachgesagt. Nun ist er Direktor vom Spartensender TW1/ORF SPORT PLUS 530 Vgl. TV-Media vom 11. 5. 2005

175 Das Österreichische Fernsehen – Demokratiepolitischer Bildungsauftrag oder Quote ? 11. Der ORF heute

des Robert-Hochner-Preises die Abwahl Lindners ein, da diese u. a. an den beiden Redakteuren Werner Mück und Walter Seledec festhielt.531

Wie sehr jedoch politische Interventionen tatsächlich Usus waren, zeigen einige Aussagen maßgeblicher Personen. So meinte der ehemalige Generalintendant Dr. Gerhard Weis in einem Format-Interview:

Es wird schon versucht, die Unabhängigkeit der journalistischen Berichterstattung einzuschränken. Man muss aber auch der Ehre halber sagen: Das hat noch jede Regierung getan, die eine mehr, die andere weniger. Da kommt es immer auf die Chefs an. Aber Freunde im ORF sagen mir, dass sich die Dimensionen geändert haben: Eine solche Brutalität, mit der jetzt vorgegangen wird, hat es zu meiner Zeit nicht gegeben. Überhaupt fällt die Radikalität auf, mit der die Regierung versucht, Schlüsselpositionen in allen Bereichen mit Vertrauensleuten zu besetzen. Als Beobachter staunt man da schon sehr.532

Der Politologe Anton Pelinka formuliert ähnlich:

In den letzten Monaten und Jahren, jedenfalls seit Februar 2000, gibt es Grund zur Sorge um die Ausgewogenheit der ZIB. Nicht dass vorher nicht auch interveniert worden wäre, daher sind die Klagen der SPÖ über die heutige Situation problematisch. Doch die Redakteure, die Gralshüter der Ausgewogenheit, sehen eine

531 Am 17. Mai 2006 erhielt Wolf den Robert-Hochner-Preis für die „Sommergespräche“ 2005. Bei der Preisverleihung in der Wiener Hofburg kritisierte er die ORF-Führung und den politischen Druck der damaligen ÖVP-geführten Regierungskoalition auf den ORF. Während die ÖVP-nahe ORF-Generaldirektorin Monika Lindner die Kritik entschieden zurückwies und Wolf „Selbstinszenierung“ vorwarf, erhielt er von zahlreichen Kollegen und auch außerhalb des ORF breite Unterstützung. Dass Lindner wenige Monate später als ORF-Chefin nicht wiederbestellt wurde, führten etliche Kommentatoren auf eine breite Protestbewegung (u. a. die Internet-Petition SOS-ORF) zurück, die durch Wolfs Rede (mit-)ausgelöst worden war. Entscheidender war jedoch eine neue politische Konstellation im ORF-Stiftungsrat: Kurz vor der anstehenden Nationalratswahl stimmten die BZÖ-nahen Stiftungsräte nicht mit ihrem Regierungspartner ÖVP, sondern in einer „Regenbogen-Koalition" mit SPÖ, Grünen und FPÖ für Lindners Gegenkandidaten Alexander Wrabetz. 532 Vgl. Weber, Andreas, Brutal wie noch nie, in: Format, Nr. 30, S 38 f.

176 Das Österreichische Fernsehen – Demokratiepolitischer 11. Der ORF heute Bildungsauftrag oder Quote ?

Verschlechterung ihrer Arbeitsbedingungen durch zunehmende Intervention.533

Die Redakteure äußerten sich besorgt über die Interventionen, vor allem von Bundeskanzler Schüssel und FP-Klubobmann Peter Westenthaler. Diese Einschüchterungsversuche führten auch zu einer Resolution der ZIB-Redakteurs- versammlung, zuerst in Hinblick auf die ORF-Reform 2004 und dann auch wieder 2006, die schließlich zur Wahl von Alexander Wrabetz führte:534

Die Redakteure der „Zeit im Bild“-Sendungen müssen sich wieder einmal gegen politischen Druck wehren. Mit dem Näherrücken der Beschlussfassung des ORF-Gesetzes haben Zahl und Vehemenz der Interventionen der Regierungsparteien stark zugenommen.

A. FPÖ-Klubobmann und ORF-Kurator Westenthaler

1. Versuchte Einschüchterung und Beeinflussung der Berichterstattung am FPÖ-Konvent.

Der FPÖ-Klubobmann attackierte den ZIB-Redakteur in herabwürdigender Weise in Hörweite anderer Journalisten wegen seines Berichtes in der 13-Uhr-ZIB. Es fielen folgende Ausdrücke: „Weis sagt Ihnen offenbar, was Sie berichten müssen"; „Sie haben die Veranstaltung nicht verstanden"; „Abfangjäger sind kein Thema"; „so kann die ZIB-Geschichte nicht aussehen" etc.

2. Versuch, die Pressekonferenz „Plakataktion Kindergeld" in die ZIB 1 zu bringen.

Nachdem die ZIB-Sendungsverantwortlichen entschieden hatten, dass die Vorstellung dieser Plakataktion nicht relevant für die ZIB 1

533 Vgl. Radatz, Felix, Nachrichten im ORF – objektiv oder zeitgemäß?, in: Format, Nr. 340, S 118 534 Vgl. dazu die Resolution des Redakteursrats vom 4. 3. 2006, zur Verfügung gestellt von Fritz Wendl anlässlich des Interviews w. o.

177 Das Österreichische Fernsehen – Demokratiepolitischer Bildungsauftrag oder Quote ? 11. Der ORF heute

sei (ein Bericht darüber wurde in der 12-Uhr-ZIB gesendet), setzte Westenthaler vom Generalintendanten abwärts eine Woche lang Entscheidungsträger (vergeblich) unter Druck, um einen weiteren Bericht zu erreichen.

3. Bestelltes Interview zum Kindergeld:

Der FPÖ-Klubchef verlangte, am Tag nach der Präsentation der SPÖ-Vorschläge zum Kindergeld, in einem ZIB-1-Interview Stellung nehmen zu dürfen. Als er das nicht erreichte, weil die übliche Form eine Kurzmeldung oder eine Sammelreaktion ist, gab er vor, in einer Pressekonferenz Stellung nehmen zu wollen. Die „Einladung" entpuppte sich als Fax an Generalintendant Weis persönlich, in dem Westenthaler in sein Büro lud. Wie Recherchen ergaben, war kein anderes Medium eingeladen. Der „Einladung" wurde nicht gefolgt.

4. Versuch, den ZIB-2-Chefredakteur Adrowitzer unter Druck zu setzen:

Am Rande der Live-Diskussion über das ORF-Gesetz flüsterte Westenthaler Diskussionsleiter Adrowitzer zu, er besitze dessen Dienstvertrag und werde den später auch noch veröffentlichen.

B. Bundeskanzler Schüssel, ÖVP

Im April und im Mai hat der Bundeskanzler (oder seine Sprecher) ORF-Redakteuren in drei Fällen Manipulation vorgeworfen. Es ging um Beiträge zu den Themen „Schröder-Plan", „Arbeiten bis 65" und „EU-Beistandspflicht". In einem Fall sprach Bundeskanzler Schüssel den Vorwurf der Manipulation am Rande einer öffentlichen Veranstaltung so aus, dass er auch einer qualifizierten Öffentlichkeit (Journalistenkollegen) bekannt wurde. In den übrigen Fällen wurde auf höherer Ebene interveniert.

178 Das Österreichische Fernsehen – Demokratiepolitischer 11. Der ORF heute Bildungsauftrag oder Quote ?

Die ORF-Redakteure beschließen daher folgende Resolution: Eines der Grundprinzipien der verfassungsgesetzlich garantierten Unabhängigkeit der ORF-Berichterstattung ist das Recht, Ereignisse (Veranstaltungen, Pressekonferenzen, Interviews etc.) einzu- schätzen, zu bewerten und Relevantes – vor allem nach Neuigkeitswert – auszuwählen. Jeder Versuch, dieses Recht zu beschneiden, muss und wird auf Widerstand der Redakteure stoßen. Auch deshalb, weil Millionen Seher der ZIB-Sendungen darauf vertrauen dürfen, dass die notwendige Auswahl nicht von jenen getroffen wird, die Objekte der Berichterstattung sind. Umso befremdlicher und beunruhigender erscheint es den Redakteuren, dass gerade in der Zeit der Verhandlungen über ein ORF-Gesetz, das unter dem Motto „Entpolitisierung" verkauft wird, die Begehrlichkeiten aus den Regierungsparteien wieder einmal zugenommen haben und im Ton deutlich schärfer geworden sind. Den ZIB-Redakteuren ist klar, dass sie mit dieser Stellungnahme mitten im Parteienstreit über das ORF-Gesetz landen. Um einem möglichen Kritikpunkt aus FPÖ und ÖVP gleich vorweg zu begegnen: Wir fordern die SPÖ-Führung auf, sich von der Interventionspraxis – speziell des Jahres 1999 – zu distanzieren. Die ZIB-Redakteure sind auch damals an die Öffentlichkeit gegangen (Causa Euroteam535). Für die derzeitige Regierungskoalition kann Fehlverhalten der Vergangenheit kein Entschuldigungsgrund sein, da sie sich bekanntlich das Motto des „Neu Regierens" zu eigen gemacht hat.536

Die Resolution wurde einstimmig von der ZIB-Redakteursversammlung ange- nommen (anwesend waren 45 Redakteure). Die Resolution der ZIB-Redakteure, auch wenn diese schon 2003 erfolgte, ist beinahe ein Hilfeschrei und ein Alarmzeichen für den unabhängigen Journalismus in diesem Land. Die Frage

535 Das Team rund um den damaligen Bundeskanzler Klima verhinderte, dass der Name von Klimas Sohn Jan im Zusammenhang mit dem Euroteam-Skandal (Entwurf und Umsetzung eines Jugendbeschäftigungsprogramms) aufscheint. (Anm. d. Verf.) 536 Vgl. Resolution des Redakteursrats vom 4. 3. 2006

179 Das Österreichische Fernsehen – Demokratiepolitischer Bildungsauftrag oder Quote ? 11. Der ORF heute

bleibt offen, warum solche Resolutionen überhaupt nötig sind, wenn das ORF- Gesetz die Redakteure zur Objektivität verpflichtet und somit auch die leitenden ORF-Mitarbeiter. Bei Betrachtung dessen, was damals passierte, ist auch das kabaretthafte „Moltofon“ Alfred Dorfers in seinem „Donnerstalk“ nicht mehr an den Haaren herbeigezogen.537 Erst jüngst kam es von Seiten des derzeitigen Vizekanzlers Josef Pröll zu einem Protest gegen ein Interview mit ihm für die ZIB 2, er fühle sich „manipulativ gekürzt".538 Solche Interventionen dienen eher der Einschüchterung von Redakteuren, die sich aber in heutigen Zeiten dagegen zur Wehr setzen und bei Interviews den Vergleich auf der ORF-Homepage anbieten.539

Der ORF und somit das Fernsehen ist aber auch zur Ausgewogenheit, Überparteilichkeit sowie zur Abdeckung aller gesellschaftlichen Belange und Forderungen verpflichtet.540 Zu bemerken ist auch die Verpflichtung zur Beachtung der österreichischen Identität und der Europäischen Integration, ein weiterer Kontext in Richtung internationale Berichterstattung fehlt.

Daher wurde auch eine ORF-Charta formuliert:

Der aus dem Rundfunkgesetz resultierende zentrale Unternehmenszweck des ORF ist die Erfüllung des öffentlich-rechtlichen Programmauftrags. Der ORF bekennt sich vorbehaltlos zu dieser zentralen Aufgabe:

1. In Erfüllung der von der Bundesverfassung statuierten öffentlichen Aufgabe ist der ORF den Grundwerten unserer Rechts- und Gesellschaftsordnung verpflichtet. Neben der Wahrung der Grund- und Freiheitsrechte fallen darunter vor allem auch die Achtung des Persönlichkeitsschutzes, die Berücksichtigung der Kirchen und Religionsgemeinschaften und die Gewährleistung des von einem öffentlichen Medium erwarteten Niveaus der Darstellung.

537 Vgl. dazu die Ausgaben „Donnerstalk“ 2005 und 2006 auf ORF 1, von und mit Alfred Dorfer 538 Vgl. Der Standard vom 31. 7. 2009; Vizekanzler Pröll fühlt sich vom ORF zensiert. 539 Vgl. zib.orf.at/zib2/wagner/stories/379078 540 Vgl. Rundfunkgesetz § 2

180 Das Österreichische Fernsehen – Demokratiepolitischer 11. Der ORF heute Bildungsauftrag oder Quote ?

2. Durch seine Informationsleistung nach den Qualitätskriterien der Objektivität, Unparteilichkeit und Meinungsvielfalt leistet der ORF einen konstitutiven Beitrag zur freien gesellschaftlichen Meinungsbildung nach demokratischen Grundsätzen. 3. Durch die Vermittlung kultureller Angebote bietet der ORF einen breiten und kostengünstigen Zugang zu einem vielfältigen, pluralistisch verstandenen Kulturangebot und fördert damit die Integration von Kultur in allen Lebensbereichen und neues kulturelles Schaffen. 4. Durch die Vermittlung vielfältiger Bildungsangebote, von Orientierungshilfen in praktischen Dingen bis hin zur Vermittlung wissenschaftlicher Erkenntnisse, neuer Forschungsergebnisse und neuer Technologien ist der ORF ein für die Allgemeinheit leicht zugänglicher und preiswerter Service-Anbieter. 5. Die Informations-, Kultur-, Bildungs- und Serviceprogramme des ORF sind so aufzubereiten, dass für eine möglichst große Zahl von Zuschauern und Zuhörern Schwellenängste abgebaut und Einsichten vermittelt werden, aus denen persönliche Nutzan- wendungen möglich sind. Ziel der Information ist die Vermittlung von Orientierungshilfen, Sinnstiftung, Beförderung von Problemlösungen – somit Lebenshilfe im umfassenden Sinn. 6. Als pluralistisches Medium ist der ORF der Vielfalt von Interessen von Minderheiten verpflichtet. Das von ihm zu schaffende „Pro- gramm für alle" ist damit auch ein Faktor gesellschaftlicher Integration. 7. Seinen Programmauftrag kann der ORF im Wettbewerb mit kommerziellen Medien nur dann erfüllen, wenn er weiterhin ein Massenpublikum erreicht. Das „Programm für alle" muss daher für alle Österreicher attraktiv sein. Der ORF verzichtet jedoch bewusst auf Programmelemente, in denen Gewalt verherrlicht, Sexualität bloß als spekulatives Zugmittel eingesetzt wird, Menschen in welcher Form auch immer ausgebeutet werden.

181 Das Österreichische Fernsehen – Demokratiepolitischer Bildungsauftrag oder Quote ? 11. Der ORF heute

8. Als föderalistisch organisiertes Medium spiegelt der ORF die historisch gewachsene Vielfalt der Bundesländer und ihre Eigenständigkeit wider. In seinen Programmen betont der ORF kulturelle Eigenart, den eigenen Lebensstil und die politische und kulturelle Eigenständigkeit der Österreicher – der ORF ist damit Träger der nationalen Identität und repräsentiert diese Identität durch Programmexport auch nach außen. 9. Als von seinen Teilnehmern finanziertes Medium bekennt sich der ORF zum Prinzip der Sparsamkeit und der Effizienz in der Leistungserbringung. Der ORF wirtschaftet mit den Teilnehmer- entgelten verantwortungsbewusst und gewissenhaft. 10. Als größtes inländisches Medienunternehmen ermöglicht der ORF kreative Wertschöpfung und sichert Tausende attraktive Arbeits- plätze in einem besonders innovativen Wirtschaftsbereich. 11. Durch den Export von Teilen seiner Programme und die durch die technische Entwicklung geförderte Verbreitung seiner Produkte im Ausland ist der ORF auch Botschafter Österreichs gegenüber seinen Nachbarstaaten und der ganzen Welt. 12. Als eigenständiges österreichisches Rundfunkunternehmen erbringt der ORF eine nationale Dienstleistung, indem er täglich das politische, wirtschaftliche und kulturelle Leben des Landes darstellt, zu seiner Aufarbeitung beiträgt und breite gesellschaftliche Kommunikation ermöglicht.541

11.3. Das Fernsehen heute in der Analyse

Die heutige Führung findet nicht mehr die Zustimmung wie vor einem Jahr. Trotzdem meinen manche, dass die Informations- und daher auch Bildungssendungen „mutiger“ geworden sind. Endlich wieder „Wir sind Kaiser“, ein längerer „Dorfers Donnerstalk“, „Willkommen Österreich“ mit Grissemann und Stermann, dazu auch der „Club 2“ und die nicht mehr durchgeschaltete „ZIB1“ –

541 http://publikumsrat.orf.at/charta.html, Zugriff am 19. 6. 2008

182 Das Österreichische Fernsehen – Demokratiepolitischer 11. Der ORF heute Bildungsauftrag oder Quote ?

das brachte die ORF-Reform mit sich. Vor einem Jahr, am 10. April 2007, hatte Generaldirektor Alexander Wrabetz, neu im Amt, die „größte Programmreform aller Zeiten“ ausgerufen, um die Quoten im Vor- und Hauptabend zu stärken – und damit zu viel versprochen. Kern der Kritik: Die Reform war zu grob, das TV-Publikum mag sein Programm stabil.542 Die Bilanz nach einem Jahr: In Marktanteilen gemessen hat die Reform jedenfalls nicht ihr Ziel erreicht. Dafür waren die Neuerungen auch zum ungünstigsten Zeitpunkt angesetzt – im Sommer sinken die Quoten traditionell, die Fernsehsaison beginnt im Herbst. Gleichzeitig kam die Digitalisierung, die ein größeres TV-Angebot in die Haushalte brachte. Der Marktanteil hinkt nach und liegt derzeit bei nur rund 39 %.543 Auch das Ende der „ZIB1“-Durchschaltung brachte zunächst nicht den gewünschten Erfolg. Programmdirektor Wolfgang Lorenz bereut heute, die in Eigenregie produzierte Serie „Mitten im Achten“ als „Herzstück der Reform“ bezeichnet zu haben544 – im Juni wurde sie wegen Zuschauermangels abgesetzt. Werner Mück, umstrittener TV-Chefredakteur unter Wrabetz' Vorgängerin Monika Lindner, resümiert: Das Ende der „ZIB“-Durchschaltung habe sich nicht bewährt.545

Gerade Ende 2008 eskaliert die Situation und die öffentlichen Berichte darüber verdichten sich. Generaldirektor Wrabetz gibt zu, dass ein Budgetloch von mehr als 100 Millionen Euro zu erwarten ist. „Blut und Tränen“, drohen dem ORF, so Harald Fidler im Standard.546 Die Führungsebene ist infrage gestellt und die Personalkosten sind wieder, siehe oben, ein intensiv diskutiertes Thema.547 Will das öffentlich-rechtliche Fernsehen auch weiterhin seinen Programmauftrag erfüllen, ist sicherlich ein komplettes Umdenken nötig. Auslagerungen, eine schlanke Organisation und auch Grundstücksverwertungen werden in Erwägung gezogen.

Und das, obwohl es scheint, dass sich der ORF von dem Quotentief von 2007 erholt und zuletzt knapp 40 % Marktanteil erreicht hat, wobei dies vor allem ORF 2

542 Vgl. Die Presse, 10. April 2007, S 1 543 Vgl. Teletest vom 2. 4. 2008 544 Vgl. Interview von Wolfgang Lorenz, in: News am 4. 5. 2005 545 Gespräch mit Prof. Werner Mück im Hotel Schönbrunn am 4. 11. 2007 546 Fidler, Harald, in: Der Standard, 17. 11. 2008 547 Vgl. ebd.

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zu verdanken ist.548 Vor allem die „Zeit im Bild“ hat durch den Unfalltod Jörg Haiders höchste Einschaltziffern. Auch der Start der „Starmania“-Staffel ist ein Quotenbringer. Ansonsten jedoch, bei qualitativen Produktionen, soll der Sparstift angesetzt werden, auch die Sportübertragungen, die gewaltig aufs Budget drücken, werden reduziert.549 Die Übertragung der Champions League wird voraussichtlich eingestellt550, auch die „Wochenschau“ muss daran glauben und Dokumentationen werden zusehends budgetär verkleinert und eventuell vermehrt zugekauft.551

Nicht nur die budgetären Probleme sind es, die den ORF beschäftigen, sondern auch die alte, typisch österreichische Mentalität ist es, die die Entwicklung zu einem modernen Medienunternehmen verhindern. In Koalitionsverhandlungen fließt das Medium ein, das durch den öffentlichen, aber wenig rechtlichen, Gebührenzahler finanziert wird. Sogar die deutsche Wochenzeitung Die Zeit hat sich am 7. Februar 2008 mit der Situation des ORF beschäftigt:

So sieht eine erfolgreiche Geschäftsführung aus: Mit Winkelzügen, Antichambrieren und politischer Liebedienerei haben die Granden des ORF ihre Gebührenerhöhung durchgedrückt und sich damit eine breit geführte Debatte eingehandelt, die nun sogar das Fundament ihres Unternehmens infrage stellt. Die EU-Wettbewerbshüter bedrängen die Sendeanstalt, der Ruf nach schon wieder einem neuen ORF-Gesetz wird laut, sogar die Forderung, einen der beiden Fernsehkanäle zumindest teilweise zu privatisieren. Der Allmachtsanspruch des öffentlich-rechtlichen Rundfunks bröckelt langsam ab wie das baufällige Sendezentrum am Stadtrand.

Diese Entwicklung haben sich die Pyrrhussieger vom Küniglberg selbst zuzuschreiben. Weder haben sie es verstanden, die Aufbruchsstimmung der ersten Monate in der Chefetage zu nutzen, noch gelang es ihnen, allgemeine Akzeptanz für ihr Programmangebot zu erzielen, indem sie sich

548 Vgl. Austria Presseagentur vom 2. 11. 1974 549 Vgl. Die Presse vom 14. 11. 2008 550 Laut Wrabetz verursacht diese enorme Lizenzkosten, vgl. dazu: Die Presse vom 12. 11. 2008 551 So z. B. sendet der Spartenkanal TW1 täglich zwar eine Sendung (60 Minuten) unter dem Titel „Unsere Welt“ über die sogenannte Dritte Welt, bekommt diese jedoch aus den reich gefüllten Archiven der UNHDP gratis zur Verfügung gestellt.

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konsequent ihrer Kernkompetenz besonnen hätten. Stattdessen regieren nach wie vor verschworene Seilschaften in dem aufgeblähten Apparat (jetzt eben neue), wirkt vieles lieblos hingeschustert, weil Ränkespiele den größten Teil der Energien binden. Nun sind sämtliche Vorschusslorbeeren im Quotenroulette verspielt worden, und auf Dauer wird auch die parteipolitische Schützenhilfe aus dem Kanzleramt nicht verhindern können, dass diese entzauberten Mediengurus mehr und mehr unter existenziellen Druck geraten. Mag ihr Programm auch nicht ganz so mies sein, wie sein Ruf suggeriert, eines führt es doch deutlich vor Augen: Sie haben keinerlei Vorstellung davon, wie Gebührenfernsehen in einer kompetitiven und modernen Medienlandschaft aussehen könnte.552

Diese Analyse erscheint sehr zutreffend und trotzdem geht die Prognose des Verfassers und anderer dahin, dass sich an den „typisch österreichischen“ Zuständen wenig bis nichts verändern wird, außer vielleicht die handelnden Personen. Wenig hilfreich sind jedoch auch die zweifelhaften Zurufe von anderen Medien oder Institutionen, wie z. B. aus dem Bereich der Kronen Zeitung oder den Medien des Raiffeisen-dominierten Sektors, die eben nichts anders wollen, als ihren eigenen Einflussanspruch sichern.

11.4. Zahlen der Ist-Situation

Die jüngste TV-Analyse der RTR (Rundfunk und Telekom Regulierungs Ges.m.b.H) zeigt auf, dass das Österreichische Fernsehen im Vergleich zu ARD und ZDF mit 15 % der täglichen Sendezeit den höchsten Wert an Programmüberbrückungen und Programmverbindungen (Promotion und Trailer) hat.553 Vor allem ORF 2 ist davon betroffen. Dies liegt daran, dass die Sendung „Wetterpanorama“ übernommen wird. Die Unterschiede in der Gestaltung eines Sendetages von ORF 2 und ATV, als zweitem Vollprogramm, wirken sich 2007

552 Vgl. Die Zeit, Nr.07 vom 7. 2. 2008, S 12 553 Vgl. Woelke, Jens, TV-Programmanalyse, Fernsehvollprogramme in Österreich, Jahresbericht 2007, S 41

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stark auf die Zeitanteile für redaktionelle Sendungen aus. Während ORF 1 mit 93 % der täglichen Sendezeit ähnlich viel redaktionelles Programm sendet wie die öffentlich-rechtlichen Programme in Deutschland (und wie 2006), finden sich auf ORF 2 mit 81 % redaktionelle Sendungen in einem geringen, eher für den deutschen Privatfernsehbereich typischen Zeitumfang wieder. (ATV hat den geringsten Anteil an redaktionellen Sendungen.554) Die im ORF-Gesetz vorgeschriebene Anforderung, dass der ORF in seinen Fernsehprogrammen unter anderem für „die Förderung der österreichischen Identität im Blickwinkel der europäischen Geschichte und Integration“ und „die angemessene Berück- sichtigung und Förderung der österreichischen künstlerischen und kreativen Produktionen“555 zu sorgen hat, „öffnet den Blickwinkel auf die Frage nach dem Verhältnis von Eigen- und Fremdproduktionen zu Kaufproduktionen. Dies ergänzt um den Anteil europäischer Werke ist zudem evident aufgrund der detaillierten Vorgabe, dass der Hauptanteil der Sendezeit der ORF-Fernsehprogramme, die nicht Nachrichten, Sportberichte, Spieleshows oder Werbe- und Teletextleistungen sind, der Verbreitung von europäischen Werke vorbehalten bleiben sollte“.556 Die Programme von ORF 1 und ORF 2 unterscheiden sich in ihrem Anteil an Eigen-, Auftrags- und Koproduktionen erheblich.557 ORF 1 weist mit 27 % Eigen-, Auftrags- und Koproduktionen eine ebenso geringe Quote auf wie ATV (26 %).558 Ähnlich geringe Zahlen haben in Deutschland nur noch Kabel 1, VOX und RTL2. Das Gleiche gilt für Produktionen aus Österreich, denn hier weist ORF 1 einen Anteil von 19 % (wie ATV559) auf, ORF 2 liegt mit 35 % österreichischer Produktionen deutlich voran. Wie gering der Anteil an Eigen-, Auftrags- und Koproduktionen ist, wird umso deutlicher, als sowohl ATV als auch die privaten, deutschen Sender drei- bis viermal mehr Werbung bzw. zusätzlich noch Teleshopping im Programm haben. ORF 2 hat hier einen Anteil von 61 %, dadurch, unter Berücksichtigung der Programmüberbrückungen, ist ORF 2 mit ARD und ZDF zu vergleichen. Darüber hinaus stellt RTR fest, dass der größte

554 Vgl. ebd., S 35 555 Vgl. ORF Gesetz, § 4 556 Vgl. Woelke, S 37 557 Vgl. Gespräch mit Dr. Klaus Unterberger, Leiter des „Public–Value-Kompetenzzentrums“ im ORF, am 1. 7. 2008, 6. Stock, Zi. 630, ORF-Zentrum 558 Vgl. Woelke, S 42 559 Anm. d. Verf.: ATV ist kein öffentlich-rechtlicher, mit Gebührenzahlungen teilfinanzierter Sender

186 Das Österreichische Fernsehen – Demokratiepolitischer 11. Der ORF heute Bildungsauftrag oder Quote ?

Anteil in ORF 1 aus dem nicht-europäischen Ausland stammt (ORF 1:140,2 %, ORF 2: 6%).560 Weiters weist ORF 1 mit knapp 6 % an fernsehpublizistischen Sendungen561 den geringsten Wert aller zwölf von RTR analysierten Programme auf. ORF 2 hingegen ist mit 41 % mit anderen Sendern durchaus vergleichbar (ATV strahlt 2007 mit 13 % doppelt so viele fernsehpublizistische Sendungen aus).

11.5. ORF 1 ist „austauschbar“

Nach RTR hat die ORF-2-Primetime den höchsten Anteil an Information aller deutschsprachigen Sender. Insgesamt aber dürfte die gesellschaftliche Bedeutung von ORF 2 nicht mehr so hoch sein, offenbar, weil der Sender vor allem vom älteren Publikum gesehen wird. Das jüngere bleibt bei ORF 1 oder den Privaten. Problem dabei: ORF 1 gilt als „austauschbarer“, die junge Zielgruppe ist flexibel, nicht besonders sendertreu und lädt TV-Inhalte auch aus dem Internet herunter.562

Vom Gesamtlayout ähnelt ORF 1 eher einigen privaten Programmen, auch wenn (…) ein Plus bei fernsehpublizistischen Sendungen erkennbar ist, (…) so bietet ORF 1 nach wie vor nur sehr wenig Informationssendungen. Wenn man den Informationsanteil im Sinne eines Programmprofils ermittelt (in die inhaltliche Analyse werden auch Sport- und Kindersendungen mit einbezogen), wird zudem deutlich: Ein Großteil – fast die Hälfte – der als Information ausgewiesenen Sendungszeit bei ORF 1 betrifft nicht den Kernbereich gesellschaftlich relevanter Information, sondern widmet sich Personality, Sex, Crime, Prominenten und Sport. Von der Sendezeit eines 24-Stunden-Sendetages bleiben 7 % (101 Minuten) übrig für Informationen über kontroverse Themen aus Politik, Wirtschaft und Gesellschaft, für nicht-

560 Vgl. Woelke, S 103, Tab. A 10.1 und A 10.2 561 Unter Fernsehpublizistik versteht man Nachrichten, Reportagen, Dokumentationen, Magazinsendungen, Interview- und Talkformate, Sondersendungen, Schulfernsehen. 562 Vgl. Woelke, Jörg u. a., TV-Programmanalyse – Fernsehvollprogramme in Österreich 2007

187 Das Österreichische Fernsehen – Demokratiepolitischer Bildungsauftrag oder Quote ? 11. Der ORF heute

politische Sachthemen, für Lebensweltthemen sowie für Information und Infotainment im Kinderprogramm.563

Das Fernsehen ist sicherlich nicht so schlecht, wie es in der Öffentlichkeit dargestellt wird, hat daher ein Imageproblem. Westenthaler z. B. meint, dass ein Programm „privatisiert werden soll“.564 Die Rahmenbedingungen am Mediensektor sind im Wandel – durch das Internet, durch Gratiszeitungen. Und es gibt einen gesellschaftlichen Wandel: Nicht nur den ORF verlassen die jungen Zuseher. Im Internet gibt es das Gratisangebot und eine Individualisierung der Mediennutzung ohne vorgegebene Nutzungszeit. Auch die technischen Veränderungen wie die Digitalisierung sollte man mit ins Kalkül ziehen. Früher hat man in der Stadt Autos gesehen, auf denen die Leute das ORF-Logo, das sie aus irgendeiner Publikation herausgeschnitten hatten, hinter die Windschutzscheibe klebten, weil sie dachten, auf diese Weise kein Strafmandat zu erhalten. Das sieht man nirgends mehr – was wohl auch mit einem Reputationsverlust zu tun hat. Der öffentlich-rechtliche Auftrag ist zwar definiert, aber nicht ordentlich kommuniziert. Niemand kann damit etwas anfangen. Der ORF muss es schaffen, in einer Reihe mit der Oper, den Theatern, den Universitäten als Institution anerkannt zu werden, für die es sich lohnt, einen Beitrag zu leisten. Trotz alledem hat der ORF immer noch einen gewissen Namen und für ihn tätig sein zu können (zu dürfen), bedeutet Ansehen, obwohl dieses zusehends abnimmt, denn die Arroganz mancher ORF-Mitarbeiter ist schon groß, auch steht das Aufgebot der ORF-Teams in keinem Verhältnis zu kleinen Produktionsfirmen, so gesehen bei einer Pressekonferenz am 9. 4. 2008, bei der das ORF-Team gleich sechs Leute umfasste und das für nur 25 Minuten Sendezeit.565 Andere kommen entweder alleine oder zu zweit.

Worin also der viel beschworene Bildungsauftrag besteht, bleibt dahingestellt, denn in der Sendung „Report“ oder dem mittlerweile verschobenen „Thema“ kann er sich nicht erschöpfen. „Im Zentrum“ ist eine Profilierungsveranstaltung für Politiker (Anm. d. Verf.), die „Pressestunde“ als „Bildungsveranstaltung“ zu sehen wäre vermessen und für wirklich an Demokratie und Bildung Interessierte

563 Vgl. ebd., S 79 f. 564 Interview mit Peter Westenthaler 565 Pressekonferenz Intersport Eybl in Wien am 9. 4. 2008

188 Das Österreichische Fernsehen – Demokratiepolitischer 11. Der ORF heute Bildungsauftrag oder Quote ?

wahrscheinlich eine Zumutung. Was also bleibt? Die „Millionenshow“? Diese bietet wöchentlich rund 790.000 Sehern566 – früher waren es bis zu 1,200.000567 – „Bildung“. Und das mit Armin Assinger, einem ehemaligen Abfahrtsläufer. „Universum“ ist wahrscheinlich die einzige wirklich erfolgreiche, selbst produzierte Bildungssendung.568 Gerhard Weis sagt richtig, dass der bildungspolitische Auftrag durch den Wettbewerb zurückgegangen ist.569 Der Sprachunterricht von früher, z. B. in Französisch oder Russisch, wurde vollständig abgesetzt, „das sollte wieder ins Programm genommen werden“.570 Unter anderem hat auch Josef Cap gemeint, dass durch die sensationellen Quoten von „Dancing Stars“ der „Bildungs- und Kulturauftrag voll erfüllt wird“.571 Die Frage ist die Definition des Bildungsauftrags. Medien räumen sich heute durchweg selbst ihre Rolle als Repräsentanten der Öffentlichkeit ein, indem sie behaupten, die sogenannte öffentliche Meinung zu prägen, vor allem aber diese widerzuspiegeln.572 Es gibt aber keine „öffentliche Meinung“ mehr in der Gesellschaft, da diese vielschichtiger geworden ist. Diese ist modern, nur hat das Fernsehen sehr wohl noch den öffentlichen Auftrag, die Bevölkerung zu informieren und auch in demokratischer Weise zu „bilden“. Dafür zahlen die Seher. Für die Wirksamkeit der Massenkommunikation muss die Garantie eines Freiraums als Voraussetzung angesehen werden. Alleine die Berichterstattung über Parlamentssitzungen oder die Sendung „Hohes Haus“ (schon der Titel ist verblüffend für den „kleinen“ Bürger) sind noch lange kein Bildungsprogramm. Der Lindner-ORF war eine Katastrophe.573 Es gibt Licht und Schatten, meint Peter Westenthaler.574 Es gibt auch einen spürbaren Reformeifer, der den derzeitigen Direktoren angerechnet wird, wobei es immer auch zu medialen Widersprüchen kommt, vor allem von

566 Vgl. Der Standard, 2. 5. 2009 567 Vgl. News 18. 9. 2002 568 Wäre in einer Dissertation Zynismus erlaubt, könnte man sagen, dass demnächst Hermann Maier eine Wissensshow bekommt oder Assinger durch den EAV-Sänger Klaus Eberhartinger ersetzt wird. 569 Interview mit Gerhard Weis 570 Vgl. Pink, Oliver, in: Die Presse, 10. 4. 2008, S 2 571 Vgl. Cap, Josef, Presseaussendung der SPÖ vom 9. 4. 2008 572 Vgl. Magenschab, Hans, S 27 573 Vgl. Pink, Oliver, in: Die Presse am 10. 4. 2008, S 2 574 Interview mit Peter Westenthaler

189 Das Österreichische Fernsehen – Demokratiepolitischer Bildungsauftrag oder Quote ? 11. Der ORF heute

Michael Jeannée in der Kronen Zeitung, der massiv gegen Wolfgang Lorenz, den Programmdirektor, auftritt.575

11.6. Schulfernsehen im ORF

Zu Beginn des Schuljahres 1959/60 wurde die erste Schulfernsehsendung mit dem Titel „Rund ums Weinviertel“ ausgestrahlt.576 Die Intention damals war es, dass man über den Weg des Schulfernsehens Bildungsgüter allen Bundesländern zugänglich machte. Für den ehemaligen Generalintendanten Gerhard Weis war es ein erster Schritt zu einem Bildungsprogramm.577 Das Jahr 1962 gilt für den ORF als das offizielle Datum der Einführung des Schulfernsehens. Analog zum Schulfunk wurde erstmals im September 1962 auch das Schulfernsehen eingeführt.578 Gekoppelt wurde diese umfassende Bildungsreihe auch mit der Zeitschrift Telespiegel, die den Lehrern die Vorausplanung und eine methodisch- didaktische Vorbereitung des Einsatzes einer Schulfernsehsendung ermöglichen sollte.579 Mit der Koordination wurde der „Pädagogiklehrer und Volksbildner“ Helmut Zilk betraut, der auch gleichzeitig das „Seminar für Fernsehpädagogik“ leitete.580

Vor allem zu Beginn des Fernsehzeitalters bis Mitte und Ende der 70er-Jahre war „Schulfernsehen“ das Bildungsangebot des Fernsehens, nicht nur in Österreich. Zu Beginn des Schulfernsehens (für Deutschland wurde es ca. 1964 entwickelt, Österreich folgte naturgemäß etwas später) glichen die Sendungen sehr stark abgefilmtem Unterricht, gleichsam unter dem Motto: „Ich bin euer Lehrer im Fernsehen“.581 Ab 1973 schränkte der ORF kontinuierlich seine Produktions- tätigkeit ein, wobei damals Schulfernsehen in die Abteilung „Wissenschaft und

575 Vgl. „Post von Jeannée“, Kronen Zeitung vom 5. 12. 2007, S 9 576 Vgl. Kölli, Gert, Das Unterrichtsmedium „Österreichisches Schulfernsehen“, Klagenfurt 1988, S 10 577 Vgl. Interview mit Gerhard Weis 578 Vgl. ORF-Almanach 1980, S 450 579 Vgl. Kölli, S 13, 580 Vgl. Hauk, Herbert, Die Entwicklung des Schulfernsehens in Österreich, in: Telespiegel, 1. Jg., Heft 1, 1962, S 23 581 Vgl. Hendriks, Birger, Schulfunk und Schulfernsehen im Wandel der Medienstruktur, in: Recht der Jugend und des Bildungswesens, Nr. 35, 1987, S 158 f.

190 Das Österreichische Fernsehen – Demokratiepolitischer 11. Der ORF heute Bildungsauftrag oder Quote ?

Bildung“ unter der Leitung von Alfred Payrleitner eingegliedert war.582 1987 wurde anhand eines Infratests festgestellt, dass die Sendezeiten anderweitig besser genutzt werden könnten, denn die Reichweite von Schulfernsehsendungen sei gleich Null.583 Seit den 1980er-Jahren wird dieses Modell der Wissensvermittlung im Fernsehen nicht mehr eingesetzt. Schulfernsehen versteht sich als Partner und nicht als Ersatz für den Lehrer. Das Gesicht der Schulfernsehsendungen hat sich daher auch von moderierten Studiosendungen hin zu Features und Dokumentationen gewandelt.

Das Interessante an diesen Wissens- und Lernprogrammen waren nicht nur die Inhalte, sondern auch der Programmplatz, der maßgebend für die Bedeutung, die Sendungen beigemessen wird, ist. Natürlich kann man jetzt die vergangenen Inhalte nicht für die heutige Zeit übernehmen, aber in den frühen Fernsehjahren war es durchaus en vogue, dass sowohl Kinder, Jugendliche als auch Erwachsene die Möglichkeit hatten, sich mittels dieses Mediums weiterzubilden. Nur wenige Programmauszüge zeigen dies:584

- „The American University today” - „Meeresbiologie“ (verschiedene Folgen) - „Der Opernführer“ mit Marcel Prawy - „Paradies der Tiere“ mit Otto König - „Präkolumbianische Kunst“ in mehreren Folgen - „Italia ciao“ (um 18 Uhr) - „Erweckung eines Dichters“ - Porträt von Peter Handke - „The Bellcrest Story – English for Business” (19 Uhr) - „Lerntechniken für Erwachsene“ (19.15 Uhr) - „Walter und Conny“ (18 Uhr, Englisch mit Dr. Walter Fangl) - „Materie im Raum“ - „Adalbert Stifter“

582 Vgl. Kölli, S 30 583 ORF-Almanach 1986/87, S 345 584 Vgl. eine stichprobenartige Zusammenstellung und Sichtung der Programme des Österreichischen Fernsehens 1974–1978, vgl. dazu Kölli, Gert, Das Unterrichtsmedium „Österreichisches Schulfernsehen“, Klagenfurt 1988, S 46 f.

191 Das Österreichische Fernsehen – Demokratiepolitischer Bildungsauftrag oder Quote ? 11. Der ORF heute

- „Gotik in Österreich“

Diese Art von Schulfernsehen gab es sowohl auf FS1 als auch auf FS2 (wie die Programme früher hießen). Anfang der 70er-Jahre begann mit der Hauptabteilung „Wissenschaft und Bildung“ die Planung und Verbreitung von Studienpro- grammen. „Nach dem Vorbild vieler anderer Stationen wird der ORF gemäß den österreichischen Bedingungen und Bedürfnissen ein umfassendes Studien- programm ausstrahlen und an den einschlägigen Aktionen, die zur Zeit in der Bundesrepublik und der Schweiz durchgeführt werden, teilnehmen.“585 In FS1 wurde das „Schulfernsehen“ jeden Mittwoch von 10–11 Uhr, Donnerstag von 10–12.30 Uhr (jeweils getrennt in Erstsendungen und Wiederholungen) eingeführt, parallel dazu der „Bildungsblock“ in FS2, Montag bis Freitag von 18.30–19 Uhr, dazu von 19–19.30 Uhr alternierend:586

- „Die Welt von morgen“ - „Mosaik des Fortschritts“ - „Internationale Fernsehuniversität“ - „Gesundheitsmagazin“

Im Mai und Juni 1975 wurden schließlich repräsentativ für ganz Österreich Schüler und Lehrer an Hauptschulen und Allgemeinbildenden Höheren Schulen über die Nutzung von Schulfunk- und Schulfernsehsendungen im Unterricht 1974/75 befragt:

- 26 % der befragten Lehrer haben zumindest einmal eine Schulfernseh- sendung benutzt. - Das heißt umgekehrt, dass 74 % der Befragten überhaupt keine Schulfern- sehsendung benutzt hatten.587 - Da Lehrer oftmals mehr Klassen zu betreuen hatten, ist der Prozentsatz der Schüler als Nutzer noch geringer gewesen: nur bis zu 14 %.588

585 Vgl. ORF-Almanach 1971, S 40 586 Vgl. ebd., S 41 587 Vgl. ORF-Almanach 1977, S 266 588 Vgl. ebd.. S 267

192 Das Österreichische Fernsehen – Demokratiepolitischer 11. Der ORF heute Bildungsauftrag oder Quote ?

Die Frage ist nicht, ob es diese Art des Fernsehens noch gibt, sondern welche anderen Sendungen nunmehr auf diesen Sendeplätzen zu finden sind. Ein Auszug:

- „Tabaluga“ - „Die Biene Maja“ - „Zack und Cody“ - „Confetti Zirkus“ - „Gilmore Girls” - „Frisch gekocht mit Andi und Alex“ - „Wetterpanorama“, 6 bis 9 Uhr früh - „Konkret: Das Servicemagazin“ (18.30 Uhr) - „Disneys Lilo & Stitch“ - „Die Simpsons“

Sicherlich kann beim Schulfernsehen, umgelegt auf die damalige Zeit, von einem „Bildungs-" oder besser noch von einem „Fortbildungsprogramm“ geschrieben werden, das nun durch Trivialsendungen ersetzt wurde. Einzig Informations- sendungen wie „Thema“ oder „Hohes Haus“ werden als Ersatz angeboten. Auf TW1 werden hingegen seit 2007 neue Formate ausgestrahlt, die teils aber aus dem ORF-Archiv kommen:589

- „Wunder der Welt“ am Vormittag - „Kunst & Kultur“ - „Unsere Welt“ - „Rot-Weiß-Rot“ - „Schule des Malens“ - „Rund um die Welt“ - „Forschen und Entdecken“

589 Im Folgenden sind einige Auszüge aus TW1/ORF SPORT PLUS zu lesen, die auch unter www.tw1.at nachzulesen sind, Zugriff am 1. 7. 2008

193 Das Österreichische Fernsehen – Demokratiepolitischer Bildungsauftrag oder Quote ? 11. Der ORF heute

Es gibt eine verstärkte Umwandlung des Bildungsfernsehens, von der Schule zu Dokumentationen, die natürlich auch zum Teil zugekauft werden (hauptsächlich von der BBC, wenig von deutschen Sendern).

11.7. Die Auszeichnungen für Wissenschaft und Bildung

Einen sicherlich interessanter Bereich für Bildungssendungen stellt die kurioserweise nur „Religionsredaktion“ genannte Abteilung Religion dar, deren Sendungen auch schon mehrfach ausgezeichnet wurden. So erhielt sie den Fernsehpreis der österreichischen Volksbildung in der Sparte „Sendereihe“. 1996 war der Sendung „Orientierung" der „Dr. Karl Renner-Publizistikpreis" verliehen worden. Wilhelm Filla vom Verband Österreichischer Volkshochschulen begründete den Jury-Entscheid „mit dem weiten Horizont der Sendereihe, die durch ihre breite Themenwahl auch über das Christentum hinaus zum ,Abbau von Vorurteilen über Religionen’ beitrage.“ Die immer wieder aufge-griffenen gesellschaftspolitischen Themen würden überdies ,solidaritätsstiftend’ wirken. Und dieses Konzept sei auch erfolgreich, verwies Filla auf die „beein-druckenden Zuseherzahlen" der jeweils am Sonntag um 12.30 Uhr ausgestrahlten und am Montag um 13.55 Uhr wiederholten Sendung. Der ebenfalls von der österreichischen Volksbildung verliehene „Axel-Corti-Preis" ging an den Leiter der ORF-Redaktion Radio Österreich International und Osteuropa-Experten Paul Lendvai. Ausgezeichnet wurden auch die TV-Journalisten Elisabeth Scharang, Walter Köhler und Werner Fitzthum.590 Gerade Paul Lendvai war einer der Vorreiter der Ostberichterstattung und hat hier sicherlich viel Vorarbeit für ein besseres Verständnis für Osteuropa geleistet.

590 Vgl. www. religion.orf.at/tv/news2/ne90618.htm, Zugriff am 4. 5. 2008

194

Das Österreichische Fernsehen – Demokratiepolitischer 12. Bildungs- und Bildungsauftrag oder Quote ? Kulturkooperationen des ORF

12. Bildungs- und Kulturkooperationen des ORF

12.1. 3Sat

Es gibt mehrere Kooperationen des ORF mit Bildungs- und Kultursendern. Mit 3Sat bietet das Österreichische Fernsehen, gemeinsam mit dem Zweiten Deutschen Fernsehen (ZDF) und der Schweizerischen Rundfunkanstalt (SF) ein internationales Satelliten-Fernsehprogramm an. Ende 1993 kam auch noch die ARD (Erstes Deutsches Fernsehen) dazu, sodass alle vier öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten an 3sat beteiligt sind. Hier werden z. B. mit „Wissen aktuell“ oder Thementagen wie „Schwerpunkt Afrika“, „Unser Planet Erde“ Bildungs- programme angeboten.591 Das Schwergewicht liegt eindeutig auf Information, Dokumentation und Kultur. Und auch Magazine und Dokumentationen aus Österreich werden einem internationalen Publikum gezeigt.

12.2. ARTE

Seit Anfang 1998 besteht zwischen dem ORF und ARTE eine Kooperation.592 ARTE arbeitet mit einigen europäischen Partnern zusammen, die sich im Rahmen von Assoziierungsverträgen dazu verpflichtet haben, eine bestimmte Anzahl von Koproduktionen umzusetzen und gegenseitig Programme auszutauschen. Zu den assoziierten Sendern, die mit beratender Stimme in den Gremien von ARTE vertreten sind, gehören: RTBF (Belgien), TVP (Polen), ORF (Österreich), SRG (Schweiz), TVE (Spanien), YLE (Finnland), BBC (Großbritannien) und SVT (Schweden). Als assoziiertes Mitglied ist der ORF auch mit beratender Stimme in der ARTE-Mitgliederversammlung, dem Programmbeirat und in der Programm- konferenz vertreten. Es kommt zu einem Programmaustausch, wobei der ORF

591 www.3sat.de, Zugriff am 5. 5. 2008 592 Bavandi, Rahim, S 85

196 12. Bildungs- und Das Österreichische Fernsehen – Demokratiepolitischer Kulturkooperationen des Bildungsauftrag oder Quote ? ORF

60 Programmstunden zur Verfügung gestellt bekommt, im Gegenzug stellt der ORF 36 Stunden zur Verfügung.593

12.3. BR-alpha und ALPHA Österreich

BR-alpha ist ein deutscher Fernseh-Bildungskanal, der vom Bayerischen Rundfunk seit dem 7. Januar 1998 betrieben wird. Das 24-Stunden-Programm von BR-alpha besteht aus Eigenproduktionen sowie Sendungen anderer ARD- Anstalten und des ORF.

Zahlreiche Wissens-, Bildungs- und Sprachsendungen werden angeboten:

Alpha Centauri – eine Astronomiesendung Alpha-Forum – Gesprächsreihe mit Persönlichkeiten aus Politik und Wirtschaft, Wissenschaft und Gesellschaft, Religion und Kultur Geist und Gehirn Planet Wissen – in Kooperation mit WDR und SWR594

An Eigenproduktionen steuert der ORF z. B. bei: Quantenauge Klimawandel Dokumentation über Papua-Neuguinea Dokumentation über die Roma in Österreich und Ungarn Stellung der Frau in Indien595

Anzumerken ist noch, dass auch die Teletextseiten von ALPHA Österreich ein umfassendes Bildungs- und Informationsprogramm bieten.596

593 Interview mit Dr. Klaus Unterberger, ORF-Marketing, vom 2. 5. 2008 594 Dies ergab eine mehrwöchige Programmanalyse des Verfassers (Zeitraum vom 3. 2. bis 24. 4. 2008 in der Programmzeitschrift Tele) 595 Die drei letzten Sendungen wurden auch in „Orientierung“ gebracht, allerdings in kürzerer Fassung als bei ALPHA Österreich. 596 http://science.orf.at/, Zugriff am 5. 5. 2008

197 Das Österreichische Fernsehen – Demokratiepolitischer Bildungsauftrag oder Quote ? 13. Rückblick

13. Rückblick

13.1. „Welches Schweinderl möchten’s denn gern?“

Das war die legendäre Frage, die Robert Lembke allen Teilnehmern seiner „Heiteren Berufsrateshow“ „Was bin ich“ stellte, in der es um das Erraten ausgefallener Berufe ging, und die damit auch zu mehr Popularität gelangen sollte. Diese Sendung wurde vom Österreichischen Fernsehen von der ARD 597 übernommen, nachdem Lembke die Rechte von BBC gekauft hatte. Schon damals war ein gegenseitiger Programmaustausch üblich, wie er auch heute über eine neue Zentrale in Paris verläuft.598 Insgesamt wurden 337 Folgen dieser Sendung ausgestrahlt.599

Sicherlich eine der beliebtesten Sendungen der frühen Zeit des Fernsehens war wohl die grandiose Doppelconférence zwischen Ernst Waldbrunn und Karl Farkas, die mit ihrer satirischen „Bilanz des Monats“ die Österreicher humorvoll faszinierten. Lachen war vorprogrammiert.600 So war anfangs das Bildungs- programm kombiniert mit der „seichten“ Unterhaltung, die unter anderem auch von Heinz Conrads („Guten Abend die Madln, Servas die Buam“) geprägt wurde. Auch die „Familie Leitner“, zu der Otto Schenk das Drehbuch schrieb, wurde zu einem Dauerbrenner.

13.2. Berichterstattungen

Bacher beließ das meiste, stellte jedoch vor allem die Information, wie oben erwähnt, zunehmend in den Mittelpunkt. Hier ist vor allem der langjährige oberste „Hochrechner“ der Nation, Gerhart Bruckmann, zu nennen, der die Wahl- berichterstattung revolutionierte, ehe er in den 80er-Jahren für die ÖVP in den

597 Vgl. http://www.fernsehlexikon.de/242/was-bin-ich, Zugriff am 12. 6. 2009 598 Interview mit Peter Dusek 599 Durch eine – manchmal skurrile – Handbewegung wurde der Beruf angezeigt. 600 Karl Farkas floh 1938 über Paris nach New York, sein damaliger langjähriger Kabarettpartner Fritz Grünbaum starb im KZ. Farkas war Leiter des bekannten „Simpl“.

198 Das Österreichische Fernsehen – Demokratiepolitischer 13. Rückblick Bildungsauftrag oder Quote ?

Nationalrat wechselte. Eines der ersten fernseh-informationspolitischen Highlights war die Berichterstattung über den Prager Frühling. In Wien wurde ein Hilferuf eines Brünner TV-Sprechers aufgezeichnet und in alle Welt ausgestrahlt. Es war auch das Ende der Reform in der damaligen Tschechoslowakei.601Auch die legendäre Wahlnacht am 4. November 1968 wurde vom Fernsehen rund 17 Stunden lang übertragen602, ein Jahr später folgte die erste Landung auf dem Mond. Die Kommentatoren damals waren Hugo Portisch, Othmar Urban und Peter Nidetzky, es war eine 28-Stunden-Sendung.603 Beliebte Sendungen waren auch die Vorwahldiskussionen (Klaus versus Kreisky) und – wie erwähnt – die beiden Kultstatus erlangenden Diskussionen Kreisky gegen Taus. Auch heute ist das noch so, wie die verschiedenen Diskussionsrunden anlässlich der National- ratswahl 2008 zeigen: Da erreichen die Zweier-Diskussionen bereits annähernd die Millionengrenze, weil eben auch hier Unterhaltung erwartet wird, vor allem Jörg Haider war ein Publikumsmagnet und nun erweist sich Heinz-Christian Strache als „Hit“ bei den Sehern. Aber auch die „Zeit im Bild“ unterzog sich ständigen Veränderungen. War es am Anfang Peter Fichna, der das Geschehen prägte, so folgten dann Horst Friedrich Mayer oder Ursula Stenzel604, auch der ehemalige Präsentator Josef Broukal machte politische Karriere.605 An weiteren Informationssendungen wurden vorerst die „Zeit im Bild 2“ eingeführt, die von Namen wie Gerd Prechtl606, Günter Ziesel und vor allem durch Robert Hochner und Ingrid Thurnher geprägt wurde. Schließlich kam die „Zeit im Bild 3“ hinzu und auch Magazine wie „Horizonte“ (Anfang der 70er-Jahre), „Thema“ und „Report“. „Horizonte“ erhielt sogar den Volksbildungspreis und deren Gestalter die „Goldene Kamera“ von der Programmzeitschrift Hör Zu.607 1979 wurde diese Sendung eingestellt, weil sie nicht mehr die politische Akzeptanz fand.608

601 Vgl. Tozzer, Kurt, S 58 602 Siehe ORF-Archiv vom 4./5. 11. 1968: In dieser Wahl gewann Richard Nixon gegen Hubert Humphrey. 603 Interview mit Peter Dusek, Leiter des ORF-Archivs 604 Ursula Stenzel wurde dann Fraktionsleiterin der VP-Abordnung im Europäischen Parlament und ist heute Bezirksvorsteherin des ersten Wiener Bezirks. (Anm. d. Verf.) 605 Broukal war bis 2008 Nationalratsabgeordneter der SPÖ und deren Wissenschaftssprecher, vgl. www.parlament.gv.at/WW/DE/PAD_14837 606 Wurde nach seinem Ausscheiden erfolgreicher Kommunikationstrainer (Anm. d. Verf.) 607 Vgl. Majnaric, Martin, Informationsexplosion, Wien 2004, S 64 608 Vgl. Profil, 12. 8. 1979, Nr. 35, S 12

199 Das Österreichische Fernsehen – Demokratiepolitischer Bildungsauftrag oder Quote ? 13. Rückblick

13.3. Die Abteilung Religion

Eine der – auch international – am meisten beachteten Redaktionen ist die ORF- Abteilung Religion, die sich immer wieder um Dokumentationen aus aller Welt bemüht. Mathilde Schwabeneder, die frühere Mitarbeiterin der Abteilung und jetzige Korrespondentin in Rom, bestätigt die Objektivität auch dadurch, dass eines „meiner Highlights ein Gespräch mit dem Dalai Lama und Richard Gere war“.609 Seit 1969 gibt es die Sendung „Orientierung“, die bisher mehr als 1.300 Mal ausgestrahlt wurde. Bemerkenswert ist auch die Spätabendsendung „Kreuz und Quer“, die viel Information bietet. Aber auch andere Dokumentationen werden übernommen – wie oben erwähnt gab es eine über Papua-Neuguinea, die von BR-alpha in Auftrag gegeben und von der Religionsredaktion gekürzt übernommen wurde. Diese Redaktion erfüllt den Bildungsauftrag, auch – bei großzügiger Auslegung – in demokratiepolitischer Ausrichtung, weil sie sich nicht auf eine Einheit bezieht, nämlich das katholische Christentum. Ob das nun Aufrufe sind wie „Hilfsorganisationen bitten um Spenden für Burma“610 oder eben Sendungen wie „Orientierung“ – die Themen sind vielfältig:

 „Gewalt in der Familie – aufdecken, verhindern, vorbeugen“  „Bestsellerautor Archer präsentiert Judas-Roman“  „Christlich-muslimisches Treffen im Erzbischöflichen Palais“

Das ist nur ein Auszug aus den vielen Sendungen der letzten beiden Jahre und zeigt auf, wie vielfältig und auch durchaus völkerverbindend diese Redaktion arbeitet.

13.3.1. Kreuz und Quer – durch Information zur Orientierung

Beide Sendungen der Abteilung Religion, „Orientierung“ und „Kreuz und Quer“, bieten, obwohl sie ein geringe Quote im Vergleich zu Serien und auch einen nicht

609 Vgl. Porträt des Verfassers über Mathilde Schwabeneder in der OÖ Rundschau vom 29. 8. 2007 610 Sendung vom 12. 5. 2008

200 Das Österreichische Fernsehen – Demokratiepolitischer 13. Rückblick Bildungsauftrag oder Quote ?

besonders attraktiven Sendeplatz haben, eine Vielfalt an Informationen. In beiden Sendungen ist oftmals das Thema Entwicklungspolitik ein wichtiger Schwerpunkt.611 Einige ausgewählte Beispiele zeigen dies:612

Dreikönigsaktion: Die „Slum-Maler“ von Nairobi

Kenia war eines der Schwerpunktländer der diesjährigen Sternsingeraktion der Katholischen Jungschar. Das Rekordergebnis des vergangenen Jahres – 12,8 Millionen Euro – könnte heuer noch übertroffen werden, so hofft man bei der Dreikönigsaktion (DKA). Noch mehr Unterstützung könnte dann auch nach Kenia fließen, wo mithilfe von Spenden aus Österreich schon seit vielen Jahren Wertvolles geleistet wird: für 60.000 Kinder etwa, die – ohne elterlichen Schutz, ohne regelmäßige Verpflegung, ohne medizinische Betreuung – auf der Straße leben. Aus dem Slum der Hauptstadt Nairobi, dem größten Slum Afrikas, kommen auch zwei junge Männer, die ein „Orientierung“-Team kürzlich besucht hat: Kaafiri Kariuki und James Kahiga. Beide haben eine „Straßenkinderkarriere“ hinter sich – haben Hunger, Armut, Ausbeutung und Drogensucht am eigenen Leib kennengelernt – und sind heute, nicht zuletzt durch die Hilfe einer irischen Ordensfrau, erfolgreich als Künstler tätig.613

Jamaika: Für die Freiheit geboren – die Ahnen der „Maroons“

Es war der 17. Februar 1808, als das letzte britische Sklavenschiff vor Jamaika landete. Und so erinnert – 200 Jahre danach – das Jahr 2008 als Gedenkjahr an den Widerstand gegen die Sklaverei auf der Karibikinsel. Eine Vorreiterrolle spielten dabei die sogenannten „Maroons“. Das Wort „Maroon“ kommt aus dem Spanischen (Cimarron) und steht für „wild, frei, ungezähmt“. Vor allem sie waren es – geflohene schwarzafrikanische Sklaven – die jahrzehntelang gegen die britische Herrschaft aufbegehrten und schließlich einen Friedensvertrag erzwangen. An diesen Vertrag, der den „Maroons“ quasi Autonomie einräumte, wird auf Jamaika – Jahr für Jahr am 6. Jänner – in der größten „Maroon“-Siedlung

611 Interview mit Marcus Marschalek, Religionsredaktion ORF am 19. 5. 2008 612 Vgl. dazu Auszüge aus dem Archiv-ORF, Redaktion „Kreuz & Quer“ 613 Vgl. „Orientierung“ am Sonntag, 18. 3. 2007, 12.30 Uhr, gesehen im ORF-Archiv am 22. 5. 2008, außerdem vgl. Archiv Orientierung unter religion.orf.at

201 Das Österreichische Fernsehen – Demokratiepolitischer Bildungsauftrag oder Quote ? 13. Rückblick

der Insel erinnert. Dabei werden auch alte spirituelle Riten wieder lebendig, die von Generation zu Generation weitergegeben worden sind.614

Franz Werfel – Die 40 Tage des Musa Dagh

Vor achtzig Jahren starben beim türkischen Massaker an den Armeniern 1,5 Millionen Menschen. Das Schicksal des armenischen Volkes beschäftigte den österreichischen Schriftsteller Franz Werfel sehr. Die Idee zu „Die vierzig Tage des Musa Dagh" entstand 1929 während einer Reise Werfels nach Damaskus, wo der Schriftsteller mit dem Elend armenischer Flüchtlinge konfrontiert wurde. Schon 1933 erschien der Roman in Wien, knapp zwei Monate später wurde er bereits von den Nazis in Deutschland verboten.615 Atrem Ohandjanian beleuchtet in seiner Spiel-Dokumentation nicht nur die historischen Wurzeln, sondern auch das weltpolitische Umfeld dieses ersten Völkermordes in unserem Jahrhundert. Unübersehbar wird die tragische Analogie zu dem später von den Nationalsozialisten angerichteten Genozid am jüdischen Volk.616

Flüchtlinge

Auch im zwanzigsten Jahrhundert ist die „Völkerwanderung" nicht zur Ruhe gekommen. Trotz internationaler Bemühungen, wie der Genfer Flüchtlings- konvention der UNO, sind heute mehr Menschen denn je auf der Flucht. Weltweit gibt es derzeit mehr als 50 Millionen Flüchtlinge und Vertriebene. 1951 war es noch eine Million. Sind diese 50 Millionen eine anonyme Masse oder einzelne Individuen, die alle ein Recht auf ein eigenes Zuhause haben?617 Hat die internationale Staatengemeinschaft eine moralische Verantwortung für diese rapid wachsende Zahl von Flüchtlingen? Diese Koproduktion des ORF mit der BBC ist keine gewöhnliche Dokumentation, sondern versucht, mit filmischen Kurzbeiträgen

614 „Orientierung“ vom 28. 2. 2008, vgl auch religion.orf.at 615 Der ORF übernimmt gerade in diesen Bereichen Produktionen der BBC, laut Gespräch mit Marcus Marschalek, ORF-Abteilung Religion. 616 Vgl. http://religion.orf.at/projekt02/tvradio/kreuz/kqarchiv.htm 617 Vgl. religion.orf.at/projekt02/tvradio/.../kqarchiv.htm

202 Das Österreichische Fernsehen – Demokratiepolitischer 13. Rückblick Bildungsauftrag oder Quote ?

und Diskussionen das Flüchtlingsproblem – ausgehend von der Tragödie am Balkan – anzusprechen.618

Die Republik der Straßenkinder

Der italienische Missionar Bruno Sechi kämpft seit mehr als 30 Jahren in Belem/Brasilien für die Straßenkinder. Für ihn bedeutet Mission stets, in einem Land, in dem laut Statistiken 32 Millionen Arme registriert sind, auf drängende Probleme konkrete Antworten zu geben. Und um die „meninos da rua", diese immer offene Wunde in der Realität der brasilianischen Städte, hat Pater Bruno sich von Anfang an mit einer Reihe von Initiativen gekümmert.619

Aber auch um die Geschichtsaufklärung bemüht sich diese Redaktion, wie eine Langzeitdokumentation von Herbert Link (sie wurde 1979–2001 ausgestrahlt) zeigt, bei der es um die Aufarbeitung von Geschichte während einer Exkursion einer Schulklasse nach Mauthausen ging. „Damals wie heute“ nannte sich diese Reihe. Auch bei „Kreuz und Quer“ ist der entwicklungspolitische Ansatz und der Wille zur Berichterstattung zu verfolgen. Ein kurzer Auszug aus den vergangenen Jahren zeigt dies deutlich auf:620

Juli 2008: Eine Serie über die Inquisitionen der Katholischen Kirche621 22. 7. 2008: „Buddhismus und die Erde als Scheibe“ 18. 3. 2008: „Kampf um Tibet" 4. 3. 2008: „Schande“/„Buddhas kämpferische Nonne" 12. 2. 2008: „Zerstörte Seelen? – Trauma sexueller Missbrauch" 20. 11. 2007: „Hinter dem Meer – Rückkehr zu den Mangyan"/„Aus dem Leben eines Landpfarrers" 13. 11. 2007: „Zeit zu gehen"/„Sterben und Leben nach Buddha" 6. 11. 2007: „Gefillte Fisch und Baba Ganusch – eine jüdische Kochshow"/„Das wirst Du nie verstehen" 9. 10. 2007: Themenabend über Religion und Totalitarismus

618 Vgl. ebd. 619 Vgl. www.misereor.de/projekte/, Zugriff am 23. 6. 2008 620 Vgl. http://religion.orf.at/projekt03/archiv/archiv.htm, Zugriff am 11. 6. 2009 621 Vgl. religion.orf.at, Zugriff am 23. 6. 2008

203 Das Österreichische Fernsehen – Demokratiepolitischer Bildungsauftrag oder Quote ? 13. Rückblick

11. 9. 2007: „Nicht ohne mein Kopftuch! – Der Streit um ein Stück Stoff/ „Rumi – Poesie des Islam“ 24. 7. 2007: „Hexen – Magie, Mythen und Wahrheit“ 22. 5. 2007: Themenabend Aids 27. 2. 2007: „Lechts und Rinks – Sind die politischen Ideologien am Ende?“ 13. 2. 2007: „Jenseits des Himalaya“ 6. 2. 2007: „Badal“ 30. 1. 2007: „Gewalt und Religion. Wie gefährlich ist der Eingottglaube?“ 23. 1. 2007: „Mutter Ganges darf nicht sterben.“ 16. 1. 2007: „Todesstrafe – Rückfall in die Barbarei?“ 14. 11. 2006: „Cat Stevens alias Yusuf Islam“ 6. 12. 2005: „Harlem in Wien – Wie leben Afrikaner in Österreich wirklich?“ 25. 11. 2003 „Kaschmir – Zwischen den Göttern“ 11. 2. 2003 „Krieg – darf die Politik alles?“ 4. 2. 2003: „Mit Feuereifer“ 8. 10. 2000: „Menschenhandel im Sudan“

13.4. Unterhaltung versus Information

Manche Sendungen wurden zunehmend beliebter, z. B. „Hallo – Hotel Sacher... Portier“ mit Fritz Eckhardt. Das waren nicht alles Eigenproduktionen des Fernsehens, im Gegensatz zu den Gemeinschaftsproduktionen wie „Der Alte“ mit Erik Ode. Auch der „Tatort“ wurde anno dazumal vom ORF gemacht, z. B. mit Paul Hörbiger. Der Burgschauspieler Karl Merkatz ging in seiner Rolle „Ein echter Wiener geht nicht unter“ regelrecht auf und wurde sehr populär. Diese Serie war jahrelang von großem Erfolg geprägt. Es war die intensivste Studie des Wiener Arbeitermilieus, auch wenn das viele nicht wahrhaben wollten.622 Was heute amerikanische Serien sind, waren in den Anfängen eigenproduzierte, ob der „Seniorenclub“ oder „Rendezvous mit Tier und Mensch“. Die Information beschränkte sich zu dieser Zeit ganz auf die „Zeit im Bild“-Sendungen und einige Kurzberichte, allerdings muss hier erwähnt werden, dass dem Bildungsauftrag

622 Die Volksstimme vom 13. 3. 1973, S 12

204 Das Österreichische Fernsehen – Demokratiepolitischer 13. Rückblick Bildungsauftrag oder Quote ?

z. B. durch das Schulfernsehen Rechnungen getragen wurde. Nur die Frage, ob bei der heutigen Informationsüberflutung und durch die „Weiterbildung“ mittels Internet diese noch nötig sind, bleibt dahingestellt.

13.5. Das „Café Central“ 623 und der „Club 2“

Sowohl „Café Central“ als auch „Club 2“ wurden zum Kult und wegweisend für andere Fernsehanstalten. Erfinder des „Café Central“ war Ernst-Wolfram Marboe.

Abb. 8: Ernst Wolfram Marboe, Informationsintendant

Sogar Friedrich Torberg, der 2008 seinen 100. Geburtstag gefeiert hätte, trat im ersten „Café Central“ noch auf.624 „Café Central“ wurde zu einer Paradesendung der Hochkultur, in der Diskussion und Unterhaltung gemixt mit Kabarett im Vordergrund standen, und die derzeit mit nichts zu vergleichen ist.. Mehr als 1.200 Prominente versammelten sich im Laufe der Jahre im Café Central, und dieses wanderte auch samt Dekoration bis nach China, um das Kulturleben anderswo zu

623 Das Café Central war Anfang des 20. Jahrhunderts ein Treffpunkt zahlreicher Literaten und Intellektueller, wie Egon Erwin Kisch (Der rasende Reporter), Karl Kraus, Franz Werfel, Robert Musil oder Albert Paris-Gütersloh. 624 Dieser große Österreicher verstarb leider einen Monat später. (Anm. des Verf.)

205 Das Österreichische Fernsehen – Demokratiepolitischer Bildungsauftrag oder Quote ? 13. Rückblick

dokumentieren.625 Der „Club 2“ wurde ebenfalls ein Vorbild für andere.626 In gemütlicher Wohnzimmeratmosphäre saßen Moderatoren wie Günther Nenning, der auch von Bacher geholt wurde, Dieter Seefranz oder Freda Meissner-Blau und diskutierten mit hochkarätigen Gästen. Erst neulich hat das Fernsehen diese Sendung wiederbelebt, nachdem das Format „Extrazimmer“ gescheitert war.627 Legendär bleib der Auftritt Nina Hagens im „Club 2“, die heute gern gesehener Gast bei diversen Wiener Veranstaltungen ist.628

Dazu gesellten sich Sendungen wie „Land der Berge“, wobei auch Filme über Johann Wolfgang von Goethe und seine Reise zum Montblanc, ein Durchstieg durch die Eiger-Nordwand, erstmals mit einer Kamera dokumentiert, und auch ein Bericht über die Treffen Heinrich Harrers mit dem Dalai Lama auf dem Programm standen. Diese Sendungen waren nicht nur mit der derzeitigen „Universum“- Sendung zu vergleichen, sondern auch mit den Geschichtsprogrammen von Premiere, mit ZDF-Dokumentationen oder anderen.

13.6. Schranz und kein Ende

Kaum eine Inszenierung des österreichischen Fernsehens ist mit den Namen Bruno Kreisky und Gerd Bacher so verwoben wie der „Fall Schranz“. Hier der Kanzler, der das Licht der Öffentlichkeit suchte und auch das Fernsehen zu benutzen wusste, da der „Spieler auf der größten Medienorgel des Landes“, Gerd Bacher, der ebenfalls das Besondere suchte. An diesem Beispiel ist zu erkennen, dass es die Aufmachung und weniger der Inhalt ist, der schon zu dieser Zeit das TV-Geschehen bestimmte. Zur eigentlichen Geschichte: Nachdem der Skisportler Karl Schranz Anfang 1972 von der Teilnahme an den Olympischen Spielen in Sapporo ausgeschlossen worden war, ereignete sich in Österreich Denkwürdiges. Die Vorgeschichte: Avery Brundage, Präsident des Internationalen Olympischen

625 Vgl. Tozzer, Kurt, S 129 626 Vgl. die Sendung „After Dark“ auf BBC und Channel4 (vgl. dazu Jeremy Isaacs, Storm Over 4, Weidenfeld & Nicholson, UK 1989) 627 Aufgrund des dilettantischen Konzepts musste es scheitern. (Anm. d. Verf.) 628 Nina Hagen ist beinah schon Stammgast am Wiener Life-Ball oder auch z. B. am traditionellen Kaffeesiederball.

206 Das Österreichische Fernsehen – Demokratiepolitischer 13. Rückblick Bildungsauftrag oder Quote ?

Komitees, sah im Verhalten des Skiläufers die Amateurbestimmungen verletzt. Zwar verstießen viele SportlerInnen dagegen, doch der erfolgreiche Schranz konnte als Symbol für die Verflechtung von Sport und Skiindustrie angesehen werden. Außerdem hatte er sich durch undiplomatisches Auftreten in Interviews exponiert.629

Jedenfalls kündigten Österreichs Skifunktionäre offiziell an, wegen Schranz’ Ausschluss das Skiteam zurückzuziehen, ließen aber durchblicken, dass sie sich durch eine Aufforderung von Schranz, doch in Sapporo zu bleiben, „überreden“ lassen würden. Bei einer Pressekonferenz Anfang Februar verkündete ÖSV- Präsident Klee die Rückfahrentscheidung, Schranz ersuchte – vielleicht etwas halbherzig – davon Abstand zu nehmen, und Klee konnte erleichtert feststellen: „We are going to race!“630 92 % der ÖsterreicherInnen betrachteten den Aus- schluss als ungerecht – Karl Schranz war in dieser Zeit der am meisten bewunderte Mann Österreichs: Mit 13 % rangierte er weit vor UNO-General- sekretär Waldheim (9 %), Richard Nixon (5 %), Kreisky, J. F. Kennedy und Peter Alexander (je 4 %).631 Der Fall Schranz wurde in ganz Österreich und sogar im Nationalrat diskutiert, es wurden Leserbriefe geschrieben, es kamen vier Schallplatten mit Protestliedern heraus. Der damalige Unterrichtsminister Fred Sinowatz, der auch für den Sport verantwortlich war, wollte einen Empfang der Massen für den verhinderten Olympiateilnehmer und gefeierten „Niemals Olympiasieger“ Schranz. Groß angekündigt von den Medien, vor allem vom ORF, wurde die Rückkehr von Schranz nach Österreich zu einem Großereignis. Vor seiner Ankunft wurden in Form von Sondermeldungen Nachrichten über seine jeweilige geografische Position gegeben. Bachers Erinnerungen daran sind, dass es Kreisky war, der Bacher anrief und ihn mit den Worten „So, Herr Skigeneral, was mach’ ma jetzt mit dem Schranz, treffen wir uns mit dem Sinowatz.“632 Wer dann nicht dabei gewesen sei, war, laut Bacher, der Kanzler selbst. „Kreisky ist alles recht, was wir machen“, so der für den Sport zuständige Minister

629 Vgl. Schuster, Werner, JÖ, Texte von …, in: member.chello.at/werner-schuster, Zugriff am 2. 12. 2008 630 Vgl. ebd. 631 Vgl. www.demokratiezentrum.org/media/pdf/schranz.pdf 632 Vgl. Erinnerungen von Bacher im Interview mit dem Verfasser

207 Das Österreichische Fernsehen – Demokratiepolitischer Bildungsauftrag oder Quote ? 13. Rückblick

Sinowatz.633 Der ORF sollte das machen und Bacher erinnert sich stolz: „8/10 war es mein Werk.“ Bacher weiter: „Podgorski wollte Schranz mit Hubschraubern am Heldenplatz landen lassen. Ich sagte ihm, dass ich das mit dem Heldenplatz nicht mach’. Daher kam es zum Autokorso zum Ballhausplatz. Nur – mit diesen Massen hatten wir nie gerechnet. Es war eine Dreierinszenierung, die von zwei, Sinowatz und mir, durchgeführt wurde. Kreisky bedankte sich ausdrücklich bei mir in seinem Büro. Keiner sagte zu mir, dass es fürchterlich war.“634 Die andere – dann offizielle und im Kreisky’schen Sinne interpretierte – Version unterscheidet sich in Nuancen:

Ca. 15.000 Menschen empfingen Schranz, als er dann am 8. Februar mittags in Schwechat landete. Im Dienstwagen von Unterrichtsminister Fred Sinowatz fuhr Schranz nun in einem „Triumphzug“ in Richtung Innenstadt, Hunderte AutofahrerInnen schlossen sich dem Konvoi an, der manchmal mehrere Kilometer lang gewesen sein soll. Karl Schranz stand aufrecht im Wagen (mit Schiebedach), sodass er die Hände seiner Fans schütteln konnte. Insgesamt waren es 120.000, die trotz des schlechten Wetters – es hatte zwei Grad und es nieselte – die Straßen von Schwechat bis Wien säumten. Gegen 14 Uhr erreichte die Wagenkolonne den Ballhausplatz. Im Bundeskanzleramt wurde Karl Schranz von Bruno Kreisky erwartet. Der Regierungschef forderte ihn auf, sich am Balkon der jubelnden Menge zu zeigen, lehnte aber anfangs ab, ihn dabei zu begleiten. Erst als Schranz zum dritten Mal auf den Balkon ging, gelang es ihm, Kreisky zu überreden, gemeinsam die Ovationen mit „Karli“- und dann auch „Kreisky“-Rufen entgegenzunehmen. Nicht nur Kreisky dürfte es „kalt über den Rücken gelaufen“ sein, wie er später dem ORF-GI Gerd Bacher verriet, welchem dazu einfiel: „Der ORF hatte mehr Wiener auf die Beine gebracht als je seit dem Einzug Hitlers in Wien.“635 Und der medienbewusste Kanzler sah auch die Analogie zur Nacht vom 12. auf den 13. März 1938, als die nationalsozialistische Kurzzeit-Regierung Seyss-Inquart sich den johlenden AnhängerInnen gezeigt hatte.636 Kreisky erkannte, welche Mobilisierungskraft der ORF hatte und entwickelte sofort eine

633 Vgl. ebd. 634 Vgl. ebd. 635 Gespräch mit Gerd Bacher am 10. 8. 2008 636 Vgl. Rathkolb, Oliver, Die paradoxe Republik, Wien 2005, S 256

208 Das Österreichische Fernsehen – Demokratiepolitischer 13. Rückblick Bildungsauftrag oder Quote ?

starke, emotionale Abneigung dagegen, die durch die politischen Kontroversen mit Gerd Bacher nur noch verstärkt wurden.637

Zur Causa Schranz sei noch kurz angeführt, dass der Volkszorn in den darauffolgenden Tagen verebbte. Und als am 15. Februar das Olympiateam (mit zwei Bronze-, zwei Silber- und einer Goldmedaille) in Schwechat landete, hatte sich die Aufregung schon so weit gelegt, dass ein riesiges Polizeiaufgebot etwa 300 pfeifende ZuschauerInnen überwachte, die gegen die Olympia-Teilnahme protestierten. Bacher wollte damit auch seine Allmacht zeigen, trug aber dadurch zu seiner zwei Jahre später erfolgenden Abwahl bei. Kreisky erkannte, wie sehr das Fernsehen die öffentliche Meinung beeinflussen konnte und instrumen- talisierte diese geradewegs, sozusagen im Duett, nur mit unterschiedlichen Interessenslagen.

13.7. Aktenzeichen XY ... ungelöst

Die Sendung „Aktenzeichen XY ... ungelöst“ startete am 20. Oktober 1967. Urheber des Formats und erster Moderator war Eduard Zimmermann. Mit „Aktenzeichen XY … ungelöst“ schuf Eduard Zimmermann in Zusammenarbeit mit dem ZDF 1967 eine Weltneuheit.638 Zwar war schon vorher in Nachrichten- sendungen mit Fotos und Phantombildern nach Tätern gefahndet worden, doch als eigenständiges Sendeformat war die Fernsehfahndung vor diesem Zeitpunkt noch unbekannt. Und ab März 1968 beteiligte sich das Österreichische Fernsehen. Teddy Podgorski moderierte anfangs das Wiener Studio und ab 1971 Peter Nidetzky.639 2002 stieg das Österreichische Fernsehen aus der Serie aus (1997 hatte Eduard Zimmermann altersbedingt das Handtuch geworfen). Immerhin konnten aber 1.100 Fälle aufgeklärt werden.640

637 Vgl. ebd., S 257 638 Vgl. Ummenhofer, Stefan/Thaidigsmann, Michael: Aktenzeichen XY … ungelöst – Kriminalität, Kontroverse, Villingen-Schwenningen 2004, S 17 639 Vgl. Interview mit Teddy Podgorski 640 ORF Statistik von 2004, nachzulesen im ORF-Archiv

209 Das Österreichische Fernsehen – Demokratiepolitischer Bildungsauftrag oder Quote ? 13. Rückblick

Diese Sendereihe war ein Zwitter zwischen Information und Unterhaltung.641 Jedoch war sie freitagabends auch ein Straßenfeger, und so manches Delikt konnte aufgeklärt werden.

13.8. Eigenproduktionen mit Erfolg

Eine der erfolgreichsten Serien, wenn auch nicht bildungspolitisch orientiert, war sicher „Kottan ermittelt“, wobei sowohl „Ein echter Wiener geht nicht unter“ als auch „Kottan“ international nicht verkäuflich waren, weil beide zu österreich- spezifisch sind. Damals agierte man aber noch mit einem Drittel der heutigen Mannschaft, was der Rechnungshofbericht in seinem Rohbericht 2008 zu Recht kritisiert.642 Drehbuchautor Helmut Zenker, Regisseur Peter Patzak und Lukas Resetarits als Kottan ergänzten einander hervorragend. Natürlich will ich hier nicht vom Bildungsauftrag reden, sondern von Unterhaltung. Diese Produktionen wären heute – um es nochmals zu erwähnen – mit einem runden Drittel mehr Angestellten nicht mehr möglich. Liegt es an der Globalisierung, dass viele Produktionen in Dutzenden Ländern nach demselben Schema ablaufen?

13.9. Aufklärungsarbeit im Sinne der Konsumenten

Walter Schiejok kann man sicherlich als „Urgestein“ der Konsumenteninformation des ORF bezeichnen. Er moderierte zuerst zahlreiche Sendungen, begann dann als Redakteur bei „Horizonte“ und griff ab 1977 in „Argumente“ brennende heimische Probleme auf643, so wie es auch schon Helmut Zilk getan hatte. „Argumente“ wurde nachmittags gesendet, dann von der Sendung „Konflikte“, auch unter Schiejoks Leitung, abgelöst. Beide Sendungen waren sicherlich die Vorläufer der Volksanwaltsendungen, die von Peter Resetarits geleitet werden.644

641 Vgl. Tozzer, Kurt, S 69 642 Vg. Die Presse vom 11. 6. 2008, S 29 643 Tozzer, Kurt, S 111 644 Vgl. ebd.

210 Das Österreichische Fernsehen – Demokratiepolitischer 13. Rückblick Bildungsauftrag oder Quote ?

Zusehends wurde auf diese Sendungen aber immer weniger Wert gelegt und die Unterhaltung griff immer mehr um sich, ob es sich jetzt um Sepp Forchers „Klingendes Österreich“ oder den quotenmäßig sehr erfolgreichen „Musikanten- stadl“ von Karl Moik, der dann (nicht ganz friktionsfrei) von Andy Borg ersetzt wurde, handelte. Noch immer hohe Quoten bringen die „Seitenblicke“ (450.000– 750.000 täglich)645, in denen sich Prominente oder jene, die es zu sein meinen, vor die Kamera drängen, um sich mit nicht immer geistreichen Aussagen zu produzieren.646

13.10. Informationssendungen oder Selbstdarstellung am Beispiel von „Bundesland heute“

Gemeinsam sind sie stärker als die „ZIB“: Gut eine Million sieht die neun Ausgaben von „Bundesland heute“ pro Tag. Freitag ist das ORF-Länderfernsehen 20 Jahre on air. Der Landeschef von Niederösterreich füllt ganze Sendungen. Kein Landeshauptmann ist so oft und so lang in „Bundesland heute" zu sehen wie der omnipräsente Erwin Pröll. Die Auswertung von Mediawatch für den Standard647 bestätigt die gängige Meinung eindrucksvoll. Die Landtagswahl im März verzerrt das Bild ein wenig, je nach Perspektive, zugunsten oder zuungunsten des St. Pöltener Landeschefs.

Erwin Pröll kam in „Niederösterreich heute" seit Jahresbeginn 2.151 Sekunden zu Wort. Das sind fast 36 Minuten. Bei im Schnitt 17 Minuten pro „Bundesland heute" redete Pröll also mehr als zwei komplette Sendungen durch. Bürgermeister Michael Häupl war im Jänner höchst präsent in „Wien heute". Seine neun Minuten Interview in der Sendung „Zum Jahreswechsel“, in der auch alle Parteichefs zu Wort kommen, bringt ihm Rang zwei in der Mediawatch-Wertung seit Jahresbeginn.648

645 Vgl. ORF, Quotenmessung, veröffentlicht in Standard und Kronen Zeitung im Jahr 2008 646 Die „Seitenblicke“ erreichen noch immer rund 500.000 Seher, manchmal auch mehr, wie die Programmauswertungen zeigen. 647 Vgl. Fidler, Harald, in: Der Standard vom 29. 4. 2008 648 Vgl.ebd.

211 Das Österreichische Fernsehen – Demokratiepolitischer Bildungsauftrag oder Quote ? 13. Rückblick

Abb.9: Mediawatch-Grafik: Wie lange Landeschefs reden 649

Unter den neun „Bundesland heute"-Sendungen ist Wien zugleich Nummer eins und Schlusslicht: Erstmals seit dem Start dieses Formats hat „Wien heute“ 2007 mit 180.000 Zuschauern absolut gesehen die meisten unter den neun Regionalsendungen. Sein Marktanteil im Bundesland ist mit (für eine Großstadt immer noch respektablen) 48 Prozent der niedrigste unter den neun – übrigens gleich hinter Niederösterreich mit 49 Prozent in seinem Bundesland. Die höchsten Marktanteile schaffen Kärnten und Salzburg (je 67 %), Vorarlberg (66 %), Burgenland und Tirol (je 63 %). Die Steiermark kommt auf 57 Prozent Marktanteil, Oberösterreich auf 59 Prozent. Gemeinsam lassen die neun Regionalsendungen sogar die „ZIB" knapp hinter sich: 1,043 Millionen verfolgten „Bundesland heute“ im Schnitt seit 28. April 2007. Die „ZIB“ kam in diesem Zeitraum auf eine Million Zuschauer. Sie hat in allen gängigen Altersgruppen geringere Marktanteile als heute. Bei Zuschauern ab 50 Jahren erreicht das Regionalformat gewaltige 70 Prozent, die „ZIB“ 60 Prozent Marktanteil. Die TV-Reform im April 2007

649 Mediawatch-Grafik, in: Der Standard vom 29. 4. 2008

212 Das Österreichische Fernsehen – Demokratiepolitischer 13. Rückblick Bildungsauftrag oder Quote ?

hinterließ auch bei „Bundesland heute“ Spuren: 1,04 Millionen Zuschauer hatte die Sendung im Schnitt zwischen 10. April 2007 und 9. April 2008. Im Jahr davor waren es noch 1,18 Millionen. Der Marktanteil der Sendung sank in diesem Zeitraum von 62 auf 58 Prozent. Schon 2005/2006 war er leicht zurückgegangen, über die Jahre davor blieb er mit 64 bis 65 Prozent relativ stabil.650

13.10.1. „Bundesland Heute"-Marktanteile nach Bundesländern (Jänner bis März 2008)651

Burgenland: 63 Prozent Marktanteil

Kärnten: 67 Prozent Marktanteil, 65 Prozent KaSat-Marktanteil (Anm. d. Verf.: Kärnten ist das am wenigsten mit Kabel versorgte Bundesland)

Niederösterreich: 49 Prozent Marktanteil, 48 Prozent KaSat-Marktanteil

Oberösterreich: 59 Prozent Marktanteil, 59 Prozent KaSat-Marktanteil

Salzburg: 67 Prozent Marktanteil, 65 Prozent KaSat-Marktanteil

Steiermark: 57 Prozent Marktanteil, 58 Prozent KaSat-Marktanteil

Tirol: 63 Prozent Marktanteil, 63 Prozent KaSat-Marktanteil

Vorarlberg: 66 Prozent Marktanteil, 66 Prozent KaSat-Marktanteil

Wien: 48 Prozent Marktanteil, 48 Prozent KaSat-Marktanteil

13.10.2. „Bundesland heute“ in der Analyse

Eine Studie der Rundfunk und Telekom Regulierungs Ges.m.b.H. kommt zu dem Schluss, dass Unterschiede zwischen den einzelnen Regionalnachrichten- ausgaben von „Bundesland heute“ in der Themenstruktur in der Gesamt-

650 Vgl. Harald Fidler, Der Standard, S 16, 29. 4. 2008 651 Vgl. Der Standard, w.o.

213 Das Österreichische Fernsehen – Demokratiepolitischer Bildungsauftrag oder Quote ? 13. Rückblick

betrachtung des 24-Stunden-Tages von ORF 2 nicht besonders deutlich ins Gewicht fallen. Mögliches Optimierungspotenzial ortet die Analyse bei der Aufbereitung von regionalen Berichten insofern, als sie von Menschen in der Region leicht wahrgenommen (Beachtung regionaler Dialekte), verstanden (Beachtung regionaler Begriffe) und eingeordnet (Rückbezug auf regionale Agenden) werden können.652

- Drei Viertel der Sendezeit entfallen auf Berichte aus einem Bundesland

ORF 2 verfolgt bei „Bundesland heute“ ein Regionalberichterstattungskonzept, das auf kulturelle und räumliche Nähe abstellt:

Berichte über das eigene Bundesland machen zwischen 57 und knapp 87 Prozent (im Mittel: 3/4) der täglichen Sendezeit von „Bundesland heute“ aus, zwischen 0 und 13 Prozent (im Mittel 7 Prozent) der Sendezeit entfallen auf Berichte über andere Bundesländer. Berichte betreffend den Bund haben zeitliche Anteile von 2 bis 10 Prozent (im Mittel 5,5 Prozent), Berichte betreffend Bund und Länder haben gemeinsame Anteile zwischen 3,7 und 16 Prozent (im Mittel 8 Prozent) der täglichen Sendezeit von „Bundesland heute“.653

- Regionale Berichterstattung weniger kontrovers

Im Vergleich zu den überregionalen Nachrichten von ORF 2 (und ATV) berichtet „Bundesland heute“ über weniger kontroverse Themen. Weiters ist der Anteil an nicht-politischen Sachthemen aus der Gesellschaft höher und der Umfang bei „Human-Touch“654-Berichten größer.655

652 Präsentation der Studie am 4. 6. 2008 in der RTR-GmbH, „TV-Programmanalyse – Fernsehvollprogramme 2007“. Die von der RTR-GmbH in Auftrag gegebene Studie wurde von den Experten der Universität Salzburg, Dr. Jens Woelke, Univ.-Prof. Dr. Christian Steininger und Mag. Andrea Dürager verfasst. 653 Vgl. Woelke, Jens, TV-Programmanalyse von Fernsehvollprogrammen in Österreich, S 114 654 „Human-Touch“ bedeutet die Gratwanderung zwischen objektiven Nachrichten und Reportagen, die den Voyeurismus der Zuschauer befriedigt und ihre Emotionen wecken soll. Korrekt übersetzt in den Fachjargon heißt dies, den Berichten eine „menschliche Note geben“. Es ist ein beliebtes Mittel bei Nachrichtensendungen der privaten Fernsehanstalten, die diese „Human Touch“- Meldungen bereits in den Headlines haben (im Gegensatz zu „Zeit im Bild“ oder vor allem der „Tagesschau“ der ARD) 655 Vgl. www.rtr.at/de/komp/NewsletterTK052008/RF05-2008.pdf

214 Das Österreichische Fernsehen – Demokratiepolitischer 13. Rückblick Bildungsauftrag oder Quote ?

Die Schwerpunkte bei Berichten über das eigene Bundesland: Schwerpunkte liegen bei nicht-politischen Sachthemen, beispielsweise über die Arbeitswelt und das Wirtschaftsleben oder über Wissenschaft und Technologie sowie bei Human- Touch-Themen wie lokale Prominenz oder Lifestyle.

13.11. Boulevardisierung

In den vergangenen Jahren wurde immer offensichtlicher, vor allem auch im Bereich der Informationsvermittlung, dass Beiträge nicht nur rational verstanden werden, sondern auch Stimmung erzeugen müssen. Besonders die Hervorhebung menschlicher Aspekte erregt die Aufmerksamkeit. Die Zuseher wollen an den Schicksalen der Betroffenen Anteil nehmen.656 Das ist auch eine Möglichkeit des Human Touch. Beiträge werden dann so gemacht, dass die Rezipienten eine gefühlsmäßige Nähe zum Betroffenen aufbauen können. Die Beitragsgestalter müssen somit emotionale Betroffenheit erzeugen.657

(…)Aktuelle Berichterstattung zeichnet sich durch ihre ausgeprägte Möglichkeit zur emotionalen Anteilnahme aus. Ihre Relevanz gewinnen sie durch den Beispielcharakter der Ereignisse in Bezug auf den Gesamtzusammenhang (…).658

Nachrichten und Informationsvermittlung mussten sich daher in den vergangenen Jahren stetig verändern und sich internationalen Vorbildern anpassen. Dadurch trat natürlich der Inhalt einen (oder mehrere?) Schritte zurück, während die Gefühlsvermittlung in den Vordergrund gestellt wurde. Spektakuläre Bilder waren immer mehr gefragt. Wollte man anfangs mit der Kamera „dabei sein“, so hat sich dieses Ziel gewandelt: „Mitten drinnen zu sein“, heißt die Devise.659 CNN hat dies durch die Berichterstattung aus dem ersten Irak-Krieg erstmals vorexerziert. Die

656 Vgl. Tüchler, Gabriele, Qualität und Ethik in der aktuellen Fernsehberichterstattung, Wien 2000, S 53 657 Vgl. ebd. 658 Vgl. Huh, Michael, Bild-Schlagzeilen, Wie das Fernsehen Bilder erfolgreich vermarktet, Konstanz 1996, S 171, in: Tüchler, Gabriele, w. o. 659 Vgl. Tüchler, Gabriele, S 54

215 Das Österreichische Fernsehen – Demokratiepolitischer Bildungsauftrag oder Quote ? 13. Rückblick

Bilder vom Hoteldach gingen um alle Welt und machten diesen reinen Nachrichtensender bestens bekannt. Aber auch die Landung in Somalia wurde für die Nachrichten so gefilmt, dass der Zuseher das Gefühl hatte, selbst dabei zu sein. Bei der Entführung des Kreuzfahrtschiffes „Achille Lauro“ setzte CNN erstmals Hubschrauber ein. Zu den „journalistischen Highlights“ zählte auch die Live-Berichterstattung von der Explosion der Weltraumfähre „Challenger“ und dem Massaker auf dem „Platz des himmlischen Friedens“ in Peking. Die Realität wurde als Drama präsentiert, der Zuschauer sollte sich nicht mehr als Außenstehender, sondern sich im entscheidenden, spektakulärsten Moment des Ereignisses als Mitbeteiligter empfinden, der das Unfassbare unmittelbar miterlebte und mitfühlte.660 Als Folge entstanden neue Formate, unter anderem sogenannte Reality-Shows. Diese Formate bilden reale Sachverhalte und verpacken diese in unterhaltsame Sendungen. Dramatische Rettungseinsätze, gefährliche Unfälle und Polizeieinsätze können erlebt und sozusagen „begriffen“ werden. „Wir sind unserem Publikum und unserem Programmauftrag verpflichtet“, meint Dr. Klaus Unterberger, „wissen aber, dass unsere Kunden genauso an Unterhaltung interessiert sind, ja, wir haben geradewegs die Verpflichtung, zu unterhalten.“661 Es ist letztendlich die „Diktatur der Einschaltquoten“, dass solche, früher nur in der Sensationspresse zu findende Teile auch vor die Kamera gebracht werden. Das Österreichische Fernsehen ist auf diesem Sektor genauso entwickelt, wie andere Sender. Nur kommt hier eben der öffentlich-rechtliche Auftrag dazu oder, je nach Interpretation, in die Quere. Und auch wenn seitens der Public-Value- Kompetenzabteilung konstatiert wird, dass „es unsere Aufgabe ist, die Einhaltung des demokratiepolitischen Bildungsauftrages zu überprüfen“, ist es trotz allem eine Frage der Definition, die eben noch gesucht wird.662

660 Vgl. Huh, Michael, S 156, in: Tüchler, Gabriele 661 Vgl. Interview mit Dr. Klaus Unterberger 662 Vgl. Dr. Klaus Unterberger, Interview am 1. 7. 2008

216 Das Österreichische Fernsehen – Demokratiepolitischer 13. Rückblick Bildungsauftrag oder Quote ?

13.12. Die österreichische Antwort auf „Big Brother“

Nachdem die Reality Show „Big Brother“ auf RTL sehr gut gelaufen war, startete das Österreichische Fernsehen mit „Taxi Orange“ ein eigenes Format. Sogar der Nationalrat wurde damit befasst. Der VP-Abgeordnete Franz Kampichler, der bis dahin eigentlich noch niemandem aufgefallen war, steuerte folgenden Beitrag bei:

Beim Fernsehen fehlt uns leider ein ähnliches Qualitätsangebot. Unsere beiden Fernsehkanäle lizitieren sich permanent nach unten, und der traurige Tiefpunkt ist die derzeit laufende und vermutlich heute endlich zu Ende gehende Sendung „Taxi Orange". (Beifall bei Abgeordneten der ÖVP – Abg. Öllinger, Die Grünen: „Was haben Sie für ein Problem?“) Diese Sendung, die junge Menschen als Zielgruppe sieht, blockiert derzeit die besten Sendeplätze. Qualitätssendungen werden durch diese Sendung derzeit in die Nacht verdrängt. (Neuerlicher Beifall bei Abgeordneten der ÖVP.)

Sehr viele Mitbürger, meine sehr geehrten Damen und Herren, beschweren sich bitter darüber, dass dieses schwache und niveaulose Programm zu den Hauptsendezeiten gesendet wird. Ernst Wolfram Marboe, ein anerkannter Fachmann im Bereich der Medien, nennt diese Sendung eine totale Manipulation. Werner Schneyder sagt in einer Anmerkung zu dieser Sendung, es sei „Müll und Tratsch". Meine sehr geehrten Damen und Herren! Selbstverständlich haben unsere Bürger die Möglichkeit, das Fernsehgerät abzuschalten, aber das ist auch schon die einzige Möglichkeit, gegen die Programmgewaltigen im ORF zu protestieren. Fachleute sehen mit großer Sorge, dass Hinauswurf und Ausgrenzung beziehungsweise oberflächliche Beliebtheitsbeurteilung Hauptthemen dieser Sendung sind. Aber eine Demokratie lebt von Toleranz, und deshalb sollten eigentlich

217 Das Österreichische Fernsehen – Demokratiepolitischer Bildungsauftrag oder Quote ? 13. Rückblick

alle verantwortungsbewussten Bereiche solche Werte sehr hochhalten. Der ORF macht momentan das Gegenteil: Der ORF setzt auf Banalität, auf Voyeurismus, auf Ausgrenzung, nur um ein junges Publikum als Seher zu gewinnen.

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Besonders besorgniserregend ist für mich, dass für das Betrailern dieser Sendung gewaltige Geldmittel ausgegeben wurden. Man hat sehr viel investiert, um auf dieses schwache Programm hinzuweisen und um da endlich an Einschaltziffern im Ausmaß jener der Privatsender heranzukommen. Zu allem Überfluss gibt es noch eine zweite ähnliche Sendung am Abend, nämlich die „Expedition Robinson". Vielen Konsumenten hängen diese Sendungen wirklich zum Hals hinaus. Ich bin sehr froh darüber, dass nicht nur ich allein das so sehe.

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Junge Menschen würden dringend Lebensmodelle brauchen, junge Menschen sind auf der Suche nach Lösungen und sind deshalb anfällig für solche Sendungen, aber mit diesem medialen Müll bringen wir junge Menschen nicht zu den gewünschten Ergebnissen.

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Zusätzlich gibt es bei dieser Sendung – aber auch bei anderen Sendungen – Unterbrecherwerbung, das heißt eine Art von Werbung, die an sich in Österreich verboten ist. Ich weiß nicht, wie diese Vorgangsweise mit den eingehobenen ORF-Gebühren zu rechtfertigen ist. Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wenn schon dieser Unsinn gesendet werden muss, dann sollte zumindest im gleichen Ausmaß auch wertvolles Sendegut gebracht werden, das den Menschen wirklich etwas bringt. Meine einzige Hoffnung ist das neue ORF-Gesetz, das den öffentlich-rechtlichen Auftrag künftig stärker und klarer definieren wird, und das in Zukunft auch dafür sorgen wird, dass der ORF

218 Das Österreichische Fernsehen – Demokratiepolitischer 13. Rückblick Bildungsauftrag oder Quote ?

seinen Gesetzesauftrag auch in entsprechendem Ausmaß erfüllt. Ich bedanke mich.663

Viele Teilnehmer erhofften sich durch die Teilnahme an dieser Sendung einen Karrieresprung, der keinem gelang. Interessanterweise wurde diese Sendung von Dodo Roscic geleitet, die dann auch noch die Leitung der Sendung „Extrazimmer“ erhielt. Interessant ist es deshalb, da sie die Schwester des ehemaligen Leiters von Ö3, Bogdan Roscic, ist, wobei sich hier manchmal eine Auffälligkeit von verwandtschaftlichen Beziehungen ergibt (die Schwestern Stöckl, Russwurm und Hofbauer als Ehepaar, Barbara Karlich in der eigenen Produktionsfirma, Sendeaufnahmen in den Marx-Studios von Karin Resetarits, die auch noch als EU-Abgeordnete als Spezialistin für diese Berichtererstattung herangezogen wird, der ehemalige Leiter der Kinder-, Jugend und Familienredaktion Andreas Vana und Gattin Edith Rolles664).

663 Stenografisches Protokoll, 49. Sitzung des Nationalrates der Republik Österreich XXI. Gesetzgebungsperiode, Donnerstag, 30. 11. 2000 664 Edith Rolles war Moderatorin des Kinderfernsehens und hat sich vor allem durch „Am Dam Des“ einen Namen gemacht, außerdem noch durch ihre Spieleecken, präsentiert im ORF- Kinderfernsehen.

219 Das Österreichische Fernsehen – Demokratiepolitischer 14. Bildungsprogramme im Bildungsauftrag oder Quote ? Österreichischen Fernsehen

14. Bildungsprogramme im Österreichischen Fernsehen

Der ORF versucht jetzt manchmal dort anzusetzen, wo er Anfang der 70er-Jahre schon war. Richtete er sich damals mit in Europa zu diesem Zeitpunkt einmaligen Sprachlernkursen hauptsächlich an Erwachsene, so werden jetzt die Kinder immer mehr betreut.

14.1. Produktionen auch für den europäischen Kinderbildungskanal „Da Vinci Learning“

Entdecken, erleben, erforschen und experimentieren – das können künftig auch die jungen Zuseherinnen und Zuseher von Da Vinci Learning. Der europäische Bildungskanal Da Vinci Learning hat mehrere Staffeln der beliebten ORF-Kinderreihe „Forscherexpress" von Thomas Brezina gekauft. Unter dem Motto „Entdecken, erleben, erforschen, selber machen" ist der „Forscherexpress", Thomas Brezinas TV-Wissenschaftssendung für Kinder, seit Jänner 2004 auf ORF 1 unterwegs. Gelenkt wird der ungewöhnliche Zug, der durch Zeit, Raum, Luft und Wasser fährt, von Thomas Brezina und Kati Bellowitsch. Jede Fahrt ist eine spannende Reise, auf der die beiden viel Wissenswertes über Natur, Tiere, Technik, Physik, Chemie und Geschichte präsentieren. Thomas und Kati zeigen im „Forscherexpress" auch selbst Versuche, die die Zuseherinnen und Zuseher zu Hause leicht nachmachen können.665

2004 wurde Thomas Brezina für „Forscherexpress" mit dem TV-Publikumspreis Romy (Spezialpreis der Jury) geehrt. 2005 wurde Brezinas TV-Wissensformat beim „WorldFest" in Houston/Texas mit dem Platin-Award, dem Hauptpreis in der Kategorie „TV-Special Family/Children", ausgezeichnet. Das „WorldFest“ ist ein Festival für unabhängige Filmemacher und hat sich zum Ziel gesetzt,

665 Vgl. http://kundendienst.orf.at/programm/fernsehen/orf1/forscher_aktuell.html

220 14. Bildungsprogramme im Das Österreichische Fernsehen – Demokratiepolitischer Österreichischen Fernsehen Bildungsauftrag oder Quote ?

herausragende, kreative Leistungen in den Bereichen Film und Video zu prämieren.666

Da-Vinci-Learning-Geschäftsführer Ferdinand Habsburg: „Wir sind sehr erfreut, ein neues hochwertiges Bildungsprogramm vom ORF in unserem Programm zu haben. Wir sind davon überzeugt, dass der ,Forscherexpress' ein ideales Unter- haltungsprogramm für die ganze Familie ist, wo man anhand faszinierender Experimente noch mehr über Naturwissenschaften lernen kann."667

Darüber hinaus hat Da Vinci Learning auch zahlreiche Wissenschafts- dokumentationen vom ORF gekauft, darunter „Das Gedächtnis des Wassers", „Brain Drain – Der Norden lockt die klugen Köpfe" sowie „Universum: Das Genie der Natur" und mehrere Beiträge aus dem ORF-Wissenschaftsmagazin „Newton“.668

14.2. Volksgruppenredaktion

Auch die Volksgruppenredaktion als solche gibt es nicht, man unterscheidet die Landesstudios in Kärnten und im Burgenland, die den Programmauftrag des ORF erfüllen, der besagt, dass für die autochthonen Minderheiten Sendungen angeboten werden müssen, während bundesweit die Redaktion „Heimat, Fremde Heimat“ existiert, die sich auch um die sogenannten neuen Minderheiten kümmert. Diese Redaktion wird ab 2009 eingestellt und durch eine weitere Volksgruppenredaktion des Landesstudios Wien ergänzt, das dann Sendungen für in Wien beheimatete Tschechen und Slowaken anbieten wird.669

Bisher bemühten sich die Kärntner und burgenländischen Studios darum, durch Aufklärungsarbeit die Integrationsproblematik zu überwinden, sie werden aber bei diesem Vorhaben durch Politik und eher kleinformatige Medien konterkariert.

666 Vgl. ebd. 667 Vgl. Presseaussendung ORF, in: http://kundendienst.orf.at/programm/fernsehen/orf1/forscher_aktuell.html, Zugriff am 10. 8. 2008 668 Vgl. ebd. 669 Interview mit dem Leiter der Burgenlandredaktion, Fred Hergovich, am 18. 11. 2008

221 Das Österreichische Fernsehen – Demokratiepolitischer 14. Bildungsprogramme im Bildungsauftrag oder Quote ? Österreichischen Fernsehen

(Anm. d. Verf.) Indessen erfreuen sich zum Beispiel die Kroatischsendungen des ORF einer wesentlich höheren Hörerquote, als Kroaten statistisch vorhanden sind. Die Organisation ist vielschichtig:

- das Landesstudio Burgenland sendet auf Kroatisch, Ungarisch und Deutsch - das Landesstudio Kärnten sendet auf Slowenisch und Deutsch

Vorreiter war das Landesstudio Burgenland, das 1979 mit Hörfunksendungen auf Kroatisch einmal pro Woche begann, seit 1989 auch auf Ungarisch. Parallel dazu wurde seit April 1989 das Fernsehprogramm in beiden Landesstudios bestritten, das aber eben nur in diesen Bundesländern zu sehen ist.670 In dieser Zeit steht in den restlichen sieben Bundesländern „Heimat, Fremde Heimat“ auf dem Programm. Eine halbe Stunde pro Woche werden die Sendungen auf Kroatisch bzw. Slowenisch ausgestrahlt, sechsmal im Jahr auf Ungarisch. „In anderen Staaten werden Programme für Minderheiten bundesweit ausgestrahlt, leider in Österreich nicht“, bedauert Hergovich.671 Seit 2003 sendet übrigens das Studio Burgenland in vier Sprachen – Kroatisch, Ungarisch, Deutsch und Romanes. Und ab 1. Jänner 2009 wird es im Landesstudio Wien Sendungen in Tschechisch und Slowakisch geben. Für die neuen Minderheiten kann der ORF eigene Sendungen anbieten, muss es aber nicht, für die Erfüllung des demokratiepolitischen Bildungsauftrags erscheint dies jedenfalls zielführend. Ein kurzer Sidestep zum Rundfunk bringt auch zutage, dass der ORF das Mittelwellenprogramm „Radio 1476“ aufrechterhält, das jedoch laut einem Erkenntnis des Bundes- kommissionssenats vom Juli 2008 ausschließlich auf Kurzwelle auszustrahlen ist, wobei sich dadurch die grenzübergreifende Funktion verringert.672

Vor allem die Roma waren ein Anliegen der Berichterstattung dieser Redaktionen, in erster Linie im Burgenland. Ein kleiner Auszug, gefunden im ORF-Archiv, belegt dies:673

670 Vgl. ebd. 671 Vgl. ebd. 672 Vgl. ebd. 673 Vgl. ORF-Archiv, vgarchiv.orf.at/austria/, Zugriff am 12. 2. 2009

222 14. Bildungsprogramme im Das Österreichische Fernsehen – Demokratiepolitischer Österreichischen Fernsehen Bildungsauftrag oder Quote ?

„Gedenken ist wichtig – auch heute"

Bericht über das KZ „Nebenlager“, Loibl-Nord

„Kärnten ist nicht Euro-reif"

Mit einer besonderen Aktion wollte der slowenische Studentenverband/Koroška Dijaška zveza (KDZ) dem Aufruf der Politiker und Medien zum Mitwirken an der Euro 2008 Folge leisten. Dabei sollte die einseitige Darstellung Kärntens bei der Fußball-EM „richtiggestellt“ werden.

Abb. 10: Zweisprachigkeit wird „verschwiegen".

Slowenische Jugendliche demonstrierten in den Fanzonen gegen die Art, wie sich Kärnten der internationalen Öffentlichkeit präsentiert: Die Zweisprachigkeit werde verschwiegen, das Slowenische komme in der Präsentation des Landes zur Euro

2008 einfach nicht vor.

Zveza Bank ging in Slowenien online Die Kärntner Zveza Bank, die Zentralbank der Kärntner Slowenen, hat in Slowenien die erste Online-Bank („Diba") gestartet. Sie bietet für Einlagen zwischen 1.000 und 100.000 Euro 3,8 Prozent Zinsen an.674

„Einseitige Präsentation Kärntens" Der Rat der Kärntner Slowenen „Narodni svet koroških Slovencev“ (NSKS) kritisiert die einseitige Präsentation Kärntens im Zuge der Fußball-EM. In einer

674 Vgl. volksgruppen.orf.at/slowenen/aktuell/stories/85631, Zugriff am 20. 11. 2008

223 Das Österreichische Fernsehen – Demokratiepolitischer 14. Bildungsprogramme im Bildungsauftrag oder Quote ? Österreichischen Fernsehen

Presseaussendung weist der Rat darauf hin, dass auch die slowenische Minderheit ein Teil Kärntens ist.675

Volle Unterstützung für Bürgerinitiativen Volle Unterstützung sagt EL-Landesvorsitzender Vladimir Smrtnik allen Bürgerinitiativen zu, die sich „gegen politische Willkür und gegen Macht- missbrauch durch die Mächtigen im Lande sowie für Lebensinteressen der Bürger einsetzen“.676

14.3. Themenschwerpunkte

Interessant sind im Sinne von Bildung sicherlich auch die sogenannten Themenschwerpunkte, die der ORF 2006 eingeführt hat und deren Häufigkeit immer mehr zurückgeht. Außerdem stellt sich bei all den Themen und Sendungen die Frage des Zeitpunkts der Ausstrahlung, und diese erfolgt oftmals zu sehr publikumsschwachen Terminen. Ein Beispiel:

Klimawandel

Mit einem bildgewaltigen Finale furioso endete der große „ORF-Themen- schwerpunkt: Klimawandel" am Samstag, dem 27. Jänner 2007. Der ORF begab sich auf die Spur eines Phänomens und dessen Folgen für Österreich – mit zahlreichen Filmen, Dokumentationen und Diskussionsrunden ganz im Zeichen des Klimawandels und seinen möglichen Auswirkungen.677

Themenschwerpunkte 2008678

Ausgabe 1-2 |ET: 06.02.08 Energie – Klimaschutz im Haushalt

Ausgabe 3 | ET: 05.03.08 Hinaus in die Natur – unser Körper erwacht, Kampf der Frühjahrsmüdigkeit

675 Vgl. volksgruppen.orf.at/slowenen/aktuell/stories/85604, Zugriff am 11. 6. 2009 676 Vgl. www.elnet.at/news/details/smrtnik_el_volle_unterstuetzung_fuer_buergerinitiativen, Zugriff am 11. 6. 2009 677 Vgl. themenschwerpunkt.orf.at, Zugriff am 27. 7. 2009 678 http://themenschwerpunkt.orf.at/?story=5

224 14. Bildungsprogramme im Das Österreichische Fernsehen – Demokratiepolitischer Österreichischen Fernsehen Bildungsauftrag oder Quote ?

Ausgabe 4 | ET: 02.04.08 Vom langen Leben – gesunde Ernährung

Ausgabe 5 | ET: 07.05.08 10 Jahre Universum-Magazin

Ausgabe 6 | ET: 04.06.08 Wasserreiches Österreich – Wasser für Geist, Körper und Seele

Ausgabe 7-8 | ET: 02.07.08 Nationalparks in Österreich

Ausgabe 9 | ET: 03.09.08 Herbst vital: Schnupfen, Husten Heiserkeit – keine Chance den Viren, Gesundheitsvorsorge

Ausgabe 10 | ET: 01.10.08 Erntedank – ein kulturhistorischer Streifzug

Ausgabe 11 | ET: 05.11.08 Winterlandschaften in Österreich

Ausgabe 12 | ET: 03.12.08 Die wärmsten Orte Österreichs

14.4. „Universum“

Einzig Universum erreicht immer wieder ansehnliche Quoten zwischen 500.000 und 750.000 Zusehern.679 Diese Sendung kann als wirkliches Bildungsprogramm gesehen werden. Universum ist mit seinen großen, vielfach preisgekrönten Dokumentationsfilmen und -serien seit mehr als 20 Jahren ein Fixstern am Österreichischen Fernsehhimmel. Und das noch dazu zu einer Zeit (20.15 Uhr), in der auch Quote garantiert ist. „Universum“ ist eine Sendung, die den Bildungsauftrag perfekt erfüllt und auch von äußeren Zwängen frei ist.680 Heute ist „Universum“ zu einem integralen Bestandteil des Programms des österreichischen Fernsehens geworden und auch einer seiner wichtigsten Markennamen. Die Mehrheit der Österreicher nennt auf die Frage, was sie mit dem Begriff „Universum“ anfangen soll, nicht Kosmos oder Weltall, sondern schlicht eine Bildungssendung des ORF. Quoten zwischen 500.000 und 750.000 Zusehern geben den Sendemachern recht. Ist „Universum“ jetzt deswegen so bekannt, weil es an einem guten Sendeplatz gebracht wird, oder weil einfach die Neugier und die Wissensbildung antreibt. Laut Umfrage benötigen 83 % der österreichischen

679 Interview mit Pius Strobl 680 Vgl. Köhler, Walter, Jubiläumsband „15 Jahre Universum“, Hrsg. ORF, S 2, 1997

225 Das Österreichische Fernsehen – Demokratiepolitischer 14. Bildungsprogramme im Bildungsauftrag oder Quote ? Österreichischen Fernsehen

Zuseher nicht mehr an Bildungsprogramm.681 Sie rangiert damit knapp unter allen ORF-Fernsehprogrammen auf Platz 2, gerade einen Punkt hinter den Flaggschiffen der „Zeit im Bild“ (Untersuchungen vor der Wrabetz-Reform).

Abb. 11: Logo von „Universum“

„Universum“ wird parallel zu den Sendungen auch als Printmagazin herausgegeben. Laut Eigendefinition ist es das schönste Magazin Österreichs. UNIVERSUM ist Wissen – Wissen ist UNIVERSUM. UNIVERSUM ist Information und optischer Genuss, Lesen und Sehen. UNIVERSUM ist das Wissensmagazin, das monatlich Hintergründe und Zusammenhänge zu großen Themen liefert: Mensch – Natur – Tier – Geschichte – Wissenschaft – Abenteuer. UNIVERSUM- Leser sind Meinungsbildner und Entscheidungsträger und nehmen sich zur entspannten Lektüre viel Zeit.682

Heute ist „Universum“ nicht nur in Österreich ein Begriff, sondern auch längst zu einer Internationalen Qualitätsmarke geworden. Ein Viertel der „Universum“- Produktionen auf den attraktiven wöchentlichen Sendeplätzen im Österreichischen Fernsehen wird heute mit internationalen Partnern wie dem BBC Discovery Channel und National Geographic in den USA, Canal+ in Frankreich, ZDF, ARD, BR und WDR in Deutschland oder auch mit dem japanischen NHK

681 Vgl. ebd. 682 Köhler, Walter, Universum – Faszination Mensch und Natur, Wien 2007, Residenz-Verlag

226 14. Bildungsprogramme im Das Österreichische Fernsehen – Demokratiepolitischer Österreichischen Fernsehen Bildungsauftrag oder Quote ?

koproduziert.683 Man kann durchaus feststellen, dass diese Sendung ihren Bildungsauftrag erfüllt.

14.5. Die „Zeit im Bild“

„Zeit im Bild“ (ZIB) ist der Name für die Nachrichtensendungen des ORF. Die erste „Zeit im Bild“ wurde im Herbst 1955 ausgestrahlt. Erstmals gab es auch kurze Filmberichte.684 Die „Zeit im Bild“ war nach dem Vorbild der BBC von Beginn an als Sendung konzipiert, bei der ein Nachrichtensprecher vor der Kamera die Meldungen verliest. Der Name „Zeit im Bild“ stammt von dem Fernsehjournalisten und späteren ORF-Generalintendanten Thaddäus Podgorski.685

Die ZIB wurde zu einem Fixpunkt in der politischen und auch der internationalen Berichterstattung und ist nach wie vor die meistgesehene tägliche Informations- sendung im ORF (zusammen mit den anderen ZIBs um 20 Uhr auf ORF 1, der „ZIB 2“ und der „ZIB 24“). Die Durchschaltung der „Zeit im Bild“ auf beiden ORF- Kanälen war bis zur Ära Wrabetz unantastbar, und erst seit der neuen Programm- reform 2007 hat sich das geändert. Die „Zeit im Bild“ wurde auch optisch verändert und sollte eher dem großen Vorbild BBC entsprechen. Was den Informationsgehalt betrifft, so ist ein deutliches „Nachhinken“ in der außen- politischen Berichterstattung erkennbar (wie in anderen Informationsbeiträgen, mit Ausnahme jenen in „Weltjournal“ und „Orientierung“). Informationssendungen im Fernsehen werden immer wieder kritisch beäugt, denn die Entwicklung geht sehr rasch vor sich. Im Gegensatz zu früher geht es heute um die dramaturgische Anordnung der Information und um die Einbettung in den stets wiedererkennbaren Rahmen der Sendung.686 Entscheidend tragen der Präsentator, das Studio-Design sowie der in der Regel computeranimierte Anfang und Schluss bei.687 Und gerade diese Veränderungen erzeugen in der österreichischen Seherschaft immer wieder

683 Vgl. Ebd. 684 Vgl. Tozzer, Kurt, Achtung Sendung, S 14 685 Vgl. Interview mit Teddy Podgorski 686 Vgl. Nellessen, Bernhard, Nachrichtensendungen, in: Schult, Gerhard/Buchholz, Axel, Fernsehjournalismus, Berlin 2006, S 197 687 Vgl. ebd.

227 Das Österreichische Fernsehen – Demokratiepolitischer 14. Bildungsprogramme im Bildungsauftrag oder Quote ? Österreichischen Fernsehen

Diskussionen, die sich nach Gewöhnung daran wieder beruhigen. Es gilt aber auch, die Nachrichtenkriterien zu erfüllen – neben „neu“ vor allem „relevant“ und „interessant“. Daher hat man sich eben beim Österreichischen Fernsehen entschlossen, eine neue Nachrichtensendung, die „ZIB 20“, für eine jüngere Zielgruppe zu gestalten. Im Gegensatz zu den Privatsendern hat beim öffentlich- rechtlichen Sender noch immer „das Politische“ den größten Anteil, während bei den Privaten die sogenannten „Human Touch“-Themen im Vordergrund stehen.688 Im ORF herrscht die Doppelmoderation vor, im Gegensatz dazu hält die ARD- Tagesschau am reinen Sprecherprinzip fest, das ZDF lässt die Nachrichten- sendungen von Redakteuren präsentieren, die den größten Teil ihrer Meldungen selbst schreiben, die Privaten forcieren das „Anchor“-Prinzip.689 Jedenfalls ist die klassische „Zeit im Bild“ um 19.30 Uhr in ORF 2 noch immer das Herzstück der zentralen Information des ORF, wobei rein von der Zitierhäufigkeit in folgenden Meldungen, auch in Printmedien, die „Zeit im Bild“ um 22.00 Uhr mit Armin Wolf durchaus mithalten kann, da diese das Interviewprinzip zu aktuellen Themen verfolgt.

Dazu sind noch „Der runde Tisch“, jetzt „Im Zentrum“, und die sonntägliche „Pressestunde“, abwechselnd mit dem „Europastudio“ von Paul Lendvai mit Hintergrundberichterstattung über Ost- und Südosteuropa maßgebend. Leider zeichnet sich gerade „Im Zentrum“ durch oftmaliges Durcheinanderreden aus, das die Zuseher oftmals abhält, sich eine solche Sendung anzusehen. (Anm. d. Verf.)

14.5.1. „Mini-ZiB“

Ein in Europa zu dieser Zeit einmaliges Projekt war die „Mini-ZiB“, die täglich um 17 Uhr (von 1985–1997) gesendet wurde und die Kinder und Jugendliche mit dem Weltgeschehen in deren Sprache konfrontieren wollte.690 Die „Mini-ZiB“ war nicht nur bei Kindern beliebt, auch Erwachsene, die z. B. aufgrund ihrer

688 Vgl. Maier, Michaela/Ruhmann, Georg (Hrsg.), Der Wert von Nachrichten im öfffentlich- rechtlichen Fernsehen 1992–2004, Hannover 2006, S 39 689 Vgl. Nellessen, S 200 690 Vgl. Interview mit Gert Baldauf, Mitbegründer der „Mini-ZiB“

228 14. Bildungsprogramme im Das Österreichische Fernsehen – Demokratiepolitischer Österreichischen Fernsehen Bildungsauftrag oder Quote ?

Deutschkenntnisse den regulären Nachrichten kaum folgen konnten, sahen diese Sendung gerne. Der Star der „Mini-ZiB“ war zweifellos Quaxi. Doch wie ging es hinter den Kulissen zu? Moderatoren, Mitarbeiter... wie sah ein Tag mit der „Mini- ZiB“ aus?

Verfasst von den damaligen Mitarbeitern und angereichert durch die Kapitel Zeitgeschehen, Kulturen und Umwelt entstand ein lesenswertes Buch – nicht nur für Kinder.691

Abb. 12: Die „Mini-ZiB“ – soll jetzt in einem Kleid wieder erwachsen werden.

691 Umschlagtext im Mini-ZiB-Buch, hrsg. vom ORF

229 Das Österreichische Fernsehen – Demokratiepolitischer 15. Beispiele von Bildungsauftrag oder Quote ? Eigenproduktionen des Österreichischen Fernsehens im Bereich der Bildung

15. Beispiele von Eigenproduktionen des Österreichischen Fernsehens im Bereich der Bildung

15.1. Das Projekt Österreich I und II

„Das Projekt Österreich I und II war der Höhepunkt der Bildungsanstrengungen des Österreichischen Fernsehens“, konstatiert Peter Dusek über die Portisch-TV- Reihe zur Geschichte der Ersten und Zweiten Republik.692 Gerd Bacher spricht vom „ehrgeizigsten bildungspolitischen Projekt, das es im Fernsehen jemals in Österreich gegeben hat“.693 Hugo Portisch knüpfte mit diesem Projekt an Sendungen der BBC an, die sich schon des Längeren mit umfassenden historischen TV-Produktionen befasst. Gerade aber in Österreich war (und ist es teils immer noch) problematisch, die eigene Geschichte aufzuarbeiten. Wie immer ging es Portisch und seinem kongenialen Partner Sepp Riff nicht um hohe Politik, sondern um das vielfältige dramatische Geschehen, durch das das Leben jedes Bürgers in den Jahren ab 1945 zutiefst berührt, erschüttert und verändert wurde. „Sich der Geschichte stellen“, so lautete auch die Überschrift des Vorwortes von Gerd Bacher zum Buchband anlässlich dieser Serie.694 „Portisch gelang, wovon spezialisierte Fachhistoriker später profitierten: Portisch schärfte für Hunderttausende das Bewusstsein zur jüngeren Vergangenheit Österreichs. Seine Fernseh- und Buchserie ,Österreich II’ und danach ,Österreich I’ über Österreichs Nachkriegs- und Zwischenkriegszeit war so etwas wie historische Volks- aufklärung.“695 Beide Dokumentationen orientieren sich natürlich auch am Ziel, ein möglichst verbindliches Geschichtsbild Österreichs zu entwerfen, ein Bild, welches das Publikum nicht enttäuschen oder gar irritieren soll.696 Es musste daher weitgehend auf das seit Generationen tradierte Selbstverständnis Rücksicht nehmen. Und dieses Selbstverständnis kann in etwa so zusammengefasst

692 Vgl. Interview mit Peter Dusek, w. o. (Anm. d. Verf.: Peter Dusek sagt von sich selbst, dass er eine Portisch-Erfindung sei.) 693 Vgl. Interview mit Gerd Bacher, w. o. 694 Vgl. Portisch, Hugo, Österreich II – Der lange Weg zur Freiheit, Wien 1986, S 7 695 Vgl. http://www.orf.at/070215-9273/?href=http%3A%2F%2Fwww.orf.at%2F070215- 9273%2F9274txt_story.html, Zugriff am 27. 7 . 2008 696 Vgl. Prinz, S 152

230 15. Beispiele von Das Österreichische Fernsehen – Demokratiepolitischer Eigenproduktionen des Bildungsauftrag oder Quote ? Österreichischen Fernsehens im Bereich der Bildung werden: Österreich wurde 1938 gewaltsam besetzt und im April/Mai 1945 vom österreichischen Widerstand und den Alliierten (in dieser Reihefolge) befreit. Dass für einige wenige damit erst die Besatzung begonnen hat, soll hier vernachlässigt werden. Die Kluft zwischen offizieller Darstellung und subjektiver Geschichts- erfahrung vieler Österreicher als Kriegsteilnehmer mündete in ein „double speak“ österreichischen Geschichtsverständnisses.697 Mit diesem Stimmungsbild entstand auch Portisch’ Dokumentation. Auf Kontroversielles wurde weitgehend verzichtet. Portisch verlässt nie die bereits ausgetretenen Pfade, sondern wandelt auf ihnen mit untrüglichem Gespür und faszinierender Meisterschaft in der fernsehgerechten Umsetzung zu Höhepunkten dokumentarischen Schaffens698, wobei ihm der Applaus aller Seiten sicher war. Portisch schuf szenisch einen Opfermythos, Gefallene hier und dort, egal auf welcher Seite, alle „mussten kämpfen, um ihre Pflicht zu tun“.699 Österreich als eine weitere Darstellung der „Insel der Seligen“:

(…) das finde ich von einem Land schon unglaublich: alles kaputt, nichts zu essen, Staatsoper kaputt, Musikverein kaputt, Stephansdom kaputt, aber am 1. Mai ist der Figaro, (…) das empfinde ich als Kraft, als seelische Kraft, als bedeutende Kraft dieses Landes.700

Österreich wurde so gesehen, wie es sich selbst gerne sieht. Eine Mitver- antwortung am Zweiten Weltkrieg und am Holocaust wird nur am Rande angedeutet und durch relativierende Kommentare wieder zurechtgerückt. Zeitzeugen kommen zu Wort, die von „ehrlichen Nazis“ sprechen701, ohne dass derartige Aussagen richtig eingeordnet werden. Zu einer Bewusstseinsbildung einer jungen Generation, die eine wirkliche politische Aufklärung dringend bräuchte, trägt diese Sendereihe wenig bei.

697 Vgl. Uhl, Heidemarie, Das erste Opfer. Der österreichische Opfermythos und seine Transformation in der Zweiten Republik, in: Österreichische Zeitschrift für Politikwissenschaft 1/2001, S 25 698 Vgl. Prinz, S 155 699 Vgl. ebd., S 156 700 Vgl. Staatsopernsängerin Irmgard Seefried in „Österreich II“/7, in: Prinz, S 86 701 Vgl. Österreich II/6, 57’

231 Das Österreichische Fernsehen – Demokratiepolitischer 15. Beispiele von Bildungsauftrag oder Quote ? Eigenproduktionen des Österreichischen Fernsehens im Bereich der Bildung

Abb. 13: Hugo Portisch, wie man ihn kennt702

Portisch wusste genau, wie schwer es ist, sich der Geschichte zu stellen, sowohl für Einzelmenschen als auch für Völker. Das Fernsehen stellte sich nach dem Volksbegehren sicherlich mancher Herausforderung bei der Aufklärung, vor allem wenn es um andere Länder ging, aber im Aufarbeiten der eigenen Geschichte wurde – bei allen positiven Seiten – dem Volk nach dem „Maul geredet“. Man wollte allen ein bisschen gefallen, vor allem auch dem größten österreichischen Printmedium, der Kronen Zeitung. Dem Team Portisch und Riff gelang es sicherlich, ein Millionenpublikum zu erreichen, wobei auch Portisch erkannte, dass es manche Kritik an dieser undifferenzierten Wiedergabe der Geschichte gab. Portisch meinte dazu immer wieder: „Ich bin Journalist und kein Historiker.“703 Bacher und Dusek bestätigen, unabhängig voneinander, dass es vor allem der hohen Professionalität des Teams Portisch-Riff samt seiner Mitarbeiter zu danken ist, dass dieses bildungspolitische Werk zustande kam. Bacher geht in seinem Vorwort weiter und schreibt: „Dem gesamten Team ist es gelungen, den massivsten Beitrag zum Thema Vergangenheitsaufarbeitung zu liefern. Mir ist kein anderes Land mit einer vergleichbaren Fernsehserie und den darauf folgenden Büchern bekannt.“704 Hier tritt ebenso dieser typisch österreichische Rechtfertigungsmechanismus zutage, dass man sich schmückt, indem Überhöhungen verwendet und Kritikpunkte vermieden werden. Beide Serien, die insgesamt aus 36 Folgen bestanden, erreichten teilweise mehr als eine Million Zuseher, für eine historische Fernsehdiskussion sicherlich ein ganz

702 ORF-Kundendienst 703 Vgl. http://www.orf.at/070215-9273/?href=http%3A%2F%2Fwww.orf.at%2F070215- 9273%2F9274txt_story.html, Zugriff am 27. 7. 2008 704 Vgl. Bacher, Gerd, in: Österreich II, hrsg. von Hugo Portisch, Wien 1986, S 8

232 15. Beispiele von Das Österreichische Fernsehen – Demokratiepolitischer Eigenproduktionen des Bildungsauftrag oder Quote ? Österreichischen Fernsehens im Bereich der Bildung besonderer und beachtungswürdiger Wert. Der kritische Beobachter muss sich daher die Frage stellen, ob bei aller Vergangenheitsaufarbeitung auch die Vergangenheitsbewältigung zu ihrem Recht kam. Denn auch in anderen Zusammenhängen ist das Bild, das Portisch jeweils zeichnet, durchaus umstritten. Er geht davon aus, dass z. B. Zeitzeugenaussagen eher geglaubt werden als abstrakte Interpretationen von Historikern.705 Die Äußerung des Zeitzeugen über den „ehrlichen Nazi“, oder jene des ehemaligen Polizisten, der von „Anordnungen der Alliierten, die sinnlos waren und die ich daher auch nicht befolgte“ sprach, werden als historisch relevante Meinungen dargestellt, eben, weil sie für den Zuseher nicht hinterfragt bzw. keine anderen Positionen zur Diskussion gestellt werden.

Abb. 14: Österreich II – das Buch zur Dokumentationsreihe

Hugo Portisch schreibt in seinem Vorwort zu Österreich I:

Bleibt mir noch zu sagen, dass (…) auch Österreich I kein historisches Werk ist, sondern es ist journalistisch betrachtete Geschichte. (…) Ich habe mich bemüht, bei der Rekonstruktion der Ereignisse und der Beurteilung der handelnden Personen so genau und so objektiv wie möglich zu sein. Aber ich bin bei der Aufarbeitung der Materie journalistisch vorgegangen. Wenn man

705 Vgl. Wiesmayr, Michaela, Zwischen den Zeilen, Diplomarbeit der Universität Salzburg, 2003, S 104

233 Das Österreichische Fernsehen – Demokratiepolitischer 15. Beispiele von Bildungsauftrag oder Quote ? Eigenproduktionen des Österreichischen Fernsehens im Bereich der Bildung

sich auf eine so große, so aufregende Entdeckungsreise begibt, dann will man sie auch mit der ganzen eigenen Aufregung schildern, will seine Zuschauer auf diesen Weg mitnehmen, sie teilhaben lassen am eigenen Erleben.706

Hugo Portisch, der nie Angestellter des ORF war („Er wollte immer seine Freiheit behalten“707), aber von diesem sehr vielseitig eingesetzt wurde, z. B. als Chefreporter mit sehr „ausladenden Kommentaren“ aus dem In- und Ausland, drehte mit Sepp Riff auch Dokumentationen fürs Fernsehen wie „Friede durch Angst“, „USA – eine Weltmacht auf dem Prüfstand“, „China I“ und „China II“ und „Kuba – rote Insel im Sturm“. Beide wurden zu den erfolgreichsten Vertretern von eigenproduzierten Bildungssendungen, die allerdings auch die nötige Quote erhielten. Dies wurde auch durch die Unterstützung der Printmedien ermöglicht. Jedoch, bei allen Differenzierungen und Vorbehalten, zeigt sich hier, dass sehr wohl eine Verbindung von Angebot und Nachfrage geschaffen werden kann. Portisch lobt in diesem Zusammenhang auch die Kooperation mit dem damaligen Generalintendanten Gerd Bacher, denn, „er war es, der verlangte, dass der ORF objektiv und schonungslos berichtet. Ich hatte die Ehre, diese Anliegen umzusetzen, in den Dokumentation ,Österreich I’ und ,Österreich II’, in insgesamt 36 Folgen und im Schnitt mit 1,5 bis 2 Millionen Zusehern“.708

15.2. Axel Corti und seine Produktionen

Eine der herausragendsten Persönlichkeiten, die sich um das Bildungsfernsehen (mit der Sendung „Schalldämpfer“ war er auch im Hörfunk vertreten) verdient machten, war sicherlich der vielfach ausgezeichnete Regisseur Axel Corti.709

706 Vgl. Portisch, Hugo, Österreich I, Die unterschätzte Republik, Wien 1989, S 7 707 Vgl. Gerd Bacher im Interview 708 Vgl. Portisch, Hugo, Rede beim Abschiedsfest für Gerd Bacher am 27. September 1994 im ORF-Zentrum Wien, zitiert in „Der Generalintendant“, Schmolke, Michael (Hrsg.), Wien 2000, S 26 709 Axel Corti wurde am 7. Mai 1933 als Sohn eines Kaufmanns österreichisch-italienischer Abstammung in Paris geboren. In den frühen Fünfzigerjahren trat er erstmals als Moderator, Interviewer und Schauspieler vors Mikrofon. Im Jahr 1956 übernahm er mit 23 Jahren die Leitung der Literatur- und Hörspielabteilung im Landesstudio Tirol (vgl. dazu

234 15. Beispiele von Das Österreichische Fernsehen – Demokratiepolitischer Eigenproduktionen des Bildungsauftrag oder Quote ? Österreichischen Fernsehens im Bereich der Bildung

Corti sollte mit seinem wöchentlichen „Schalldämpfer" im Programm Ö1 Radiogeschichte schreiben. Er selbst definierte die Sendereihe als eine Art Klassiker, den er unter die Leute mischen wollte. Sein Anspruch war es, solche Geschichten zu erzählen, die ihn berührten und an die er glauben konnte. Kompromisslos zu sein machte ihn unbestechlich, aber auch einsam. Gegen Ausflüchte gefeit zu sein machte ihn penetrant, aber souverän. Der „Schalldämpfer" ging zum ersten Mal am 4. Mai 1969 auf Sendung. Gerd Bacher hatte dem jungen und vielseitig talentierten Mitarbeiter des Landesstudios Tirol angeboten, eine Glosse nach seinem Gutdünken zu produzieren, um „Qualität meuchlings über den Sender zu bringen“. Corti schlug laut Bacher alle formalen Register seines Radiokönnens aus, um sich voll und ganz auf die Form des von ihm selbst gesprochenen Feuilletons zu konzentrieren. Auch als Filmregisseur betätigte sich Corti, der auch hier versuchte kompromisslos zu bleiben. Seinen ersten Film „Kaiser Joseph und die Bahnwärterstochter" drehte er 1963 mit dem legendären Hans Moser. Acht Jahre später kam der später preisgekrönte Film „Der Fall Jägerstätter" heraus. „Corti geht es immer ums Werk, um das Endprodukt, daran arbeitet er mit Verbissenheit“, sagte Georg Stefan Troller, nach dessen Emigrantenschicksal der größte Erfolg Cortis entstand: die „Wohin- und zurück“-Fernsehtrilogie. Deren dritter Teil „Welcome in “ brachte dem Regisseur auch den internationalen Durchbruch im Kino.710

1993, im Alter von nur 60 Jahren, verstarb dieser visionäre Fernseh- und Hörfunkmann. Zweimal erhielt Corti auch die „Goldene Kamera“. Viele noch immer im Bewusstsein befindliche Fernsehfilme stammen aus seinem Schaffen, die

www.mediathek.at/akustischegalerien/ausstellungen/80_Jahre_Radio_1/80_Jahre...Aufklaerer.../ Axel_Corti_1.htm, Zugriff am 11. 6. 2009 710 Vgl. http://oe1.orf.at/highlights/18466.html, Zugriff am 27. 7. 2008

235 Das Österreichische Fernsehen – Demokratiepolitischer 15. Beispiele von Bildungsauftrag oder Quote ? Eigenproduktionen des Österreichischen Fernsehens im Bereich der Bildung meisten davon für den ORF. Besonders herauszuheben ist die vielbeachtete Beschäftigung mit Franz Jägerstätter.711

Abb. 15: Axel Corti, der auch teilweise den „Club 2“ leitete

Ein Auszug aus seinen ORF-Produktionen712 (teils in Kooperation mit anderen Sendern) zeigt die Vielfalt und unterstreicht auch Gerd Bachers Behauptung, „dass das Fernsehen früher mehr als drei bis vier Mal so viel eigenproduziert hat als jetzt“:713 Der Bauer und der Millionär, R, 1977 (ORF/WDR) Die beiden Freundinnen, R, 1978 (ZDF) Ein Dorf ohne Männer, R, 1963 (ZDF) Ein junger Mann aus dem Innviertel, R, 1973 (ZDF/ORF)714 Eine blassblaue Frauenschrift, R, 1984 (2 Teile, ORF/RAI) Das eine Glück und das andere, R, 1980 (BR) Der Fall Jägerstätter, R, 1971 (ORF/ZDF) Herrenjahre, R, 1984 (ZDF, ORF), Adolf-Grimme-Preis 1985 In den Regen, R, 1971 (ORF) Der junge Freud, R, 1976 (ORF/ZDF)715

711 1943 wird der oberösterreichische Bauer Franz Jägerstätter vom Reichskriegsgericht zum Tode verurteilt. Er hatte den Wehrdienst mit der Begründung verweigert, dass er als Christ einem ungerechten Regime nicht dienen und an einem verbrecherischen Krieg nicht teilnehmen dürfe. Er war der Ansicht, dass ihm kein Mensch, kein Führer und kein Bischof die Verantwortung für sein Tun abnehmen könne (vgl. http://www.daskino.at/film_19626_Der_Fall_Jaegerstaetter, Zugriff am 11. 6. 2009) 712 Vgl http://www.filmarchiv.at/show_content2.php?s2id=1 und auch http://www.deutsches- filmhaus.de/filme_gesamt/c_gesamt/corti_axel.htm 713 Vgl. Gerd Bacher im Interview 714 Corti faszinierte „der Schoß, aus dem dies kroch.“ Der Film verfolgt den konfusen Werdegang des jungen Hitler und macht auch noch Zeitzeugen aus der Linzer Gegend ausfindig. 715 In diesem Film geht es um die Jugend des Vaters der Psychoanlayse, Sigmund Freud – von der Kindheit Freuds, über das Studium, die Reise zum Pariser Neurologen Charcot, die Eheschließung

236 15. Beispiele von Das Österreichische Fernsehen – Demokratiepolitischer Eigenproduktionen des Bildungsauftrag oder Quote ? Österreichischen Fernsehens im Bereich der Bildung

Die Katze auf dem Gleis, R, 1970 (ORF), 95 Min. Der Lebemann, R, 1979 (ORF/WDR) Miriam, R, 1968 (ORF) Radetzkymarsch, R, 1994 (ORF, zwei Teile) Der Rowdy auf der Treppe, R, 1970 (ORF) Der Sohn eines Landarbeiters wird Bauarbeiter und baut sich ein Haus, R, 1975 (ORF/WDR)716

Axel Corti war sicherlich ein besonderer Vertreter dessen, dass man gute Aufklärungsarbeit auch mit einer guten Quote im Sinne des öffentlich-rechtlichen Auftrags erfüllen kann.

und das erste Buch des jungen Psychiaters bis zu dem Punkt, wo Freud zu ahnen beginnt, dass er über seine eigenen Neurosen hinwegkommen muss, um weiter vorstoßen zu können, vgl. dazu www.daskino.at und andere. 716 Axel Cortis akribischer, aber auch sehr unversöhnlicher Film, basierend auf Buch und Drehbuch von Michael Scharang, schildert die Geschichte eines jungen Burgenländers namens Franz, der in einer expandierenden Baufirma arbeitet. Der Chef braucht dringend Arbeitskräfte und versucht Franz an seine Firma zu binden, indem er ihm eine Beförderung zum Polier in Aussicht stellt. Franz ist unschlüssig. Nach einigem Zögern nimmt er jedoch das Angebot eines großen Baukonzerns an. Franz will mit seiner schwangeren Freundin Erna eine Familie gründen und ein Haus bauen. Bei einem Unfall wird sie ohnmächtig und Franz sucht nach dem Arzt. Dieser hält sich gerade beim Baumeister auf, der sich dem verzweifelten jungen Mann in den Weg stellt. Franz stößt den Baumeister zur Seite und verletzt ihn dabei am Arm. Franz wird daraufhin angezeigt und kommt vor Gericht. Er gerät immer mehr in die Mühlen der Justiz und landet schließlich im Gefängnis. Dort bleibt ihm nur mehr das Stumm-Werden. (Quelle: filmarchiv.at/shop/produkt_show.php?s_prod_id=253&language=de&s_meta_id=0 -)

237 Das Österreichische Fernsehen – Demokratiepolitischer 16. Innere Demokratie und Bildungsauftrag oder Quote ? Führungsstile im ORF

16. Innere Demokratie und Führungsstile im ORF

Um auch über die innere Demokratie im Österreichischen Fernsehen und die vielen Einflusssphären bzw. Einflüsterer schreiben zu können, bedarf es vorweg einer Analyse der Führungsstile, vor allem des auf fünf Jahre bestellten Generalintendanten, denn dieser hat nicht nur das Unternehmen nach außen zu vertreten, sondern darüber hinaus auch eine wesentliche Verantwortung für die MitarbeiterInnen. Dabei sollte auch die Frage gestellt werden, wie mit Kritik im ORF umgegangen wird. Kritik kann beispielsweise verschwiegen werden, wobei hier vor allem die kleine österreichische Medienlandschaft eine qualitative Medienberichterstattung als solche nicht gerade begünstigt.717 Hier kommt den Generaldirektoren und deren Führungsverhalten eine wesentliche Rolle zu. Dieses hat auch zur Bildung der Fokus-Gruppe „SOS ORF“ beigetragen, die wesentlichen Einfluss auf die Abwahl von Monika Lindner als Generaldirektorin nahm.

Der Generaldirektor im ORF-Gesetz (siehe auch Anhang A) § 22. (…)(3) Der Generaldirektor hat das Unternehmen unter eigener Verantwortung so zu leiten, wie es das Wohl des Unternehmens unter Berücksichtigung des öffentlichen Interesses und der Interessen der Arbeitnehmer erfordert. Der Generaldirektor ist außer an die sich aus den Gesetzen oder aus den Beschlüssen des Stiftungsrates ergebenden Pflichten an keinerlei Weisungen und Aufträge gebunden. (4) Der Generaldirektor hat dieselbe Sorgfaltspflicht und Verantwortlichkeit wie der Vorstand einer Aktiengesellschaft. Über Ansprüche gegen den Generaldirektor entscheiden die ordentlichen Gerichte nach den Bestimmungen der Zivilprozessordnung.718 § 23. (1) Der Generaldirektor besorgt die Führung der Geschäfte des Österreichischen Rundfunks und vertritt ihn gerichtlich und außergerichtlich.

717 Vgl. Enzi, Verena, Medienjournalismus: Beitrag zur Qualitätssicherung, Salzburg 2007, S 65 718 Fassung BGBl. I Nr. 83/2001 ab 2002 bzw. Abs. 1 erster Satz und Abs. 2 ab 1. 8. 2001

238 16. Innere Demokratie und Das Österreichische Fernsehen – Demokratiepolitischer Führungsstile im ORF Bildungsauftrag oder Quote ?

(2) Dem Generaldirektor obliegt insbesondere: 1. die Festlegung allgemeiner Richtlinien für die Programmgestaltung, Programmerstellung und Programmkoordinierung im Hörfunk und Fernsehen sowie die Erstellung der Jahressendeschemen jeweils mit Zustimmung des Stiftungsrates, 2. die Ausschreibung der Posten von Direktoren und Landesdirektoren, 3. die Erstattung von Vorschlägen für die Bestellung und Abberufung von Direktoren und Landesdirektoren, bei Letzteren nach Einholung einer Stellungnahme des betreffenden Landes, 4. die Erteilung von Prokura und Handlungsvollmacht an Direktoren und leitende Angestellte, 5. die Kontrolle der Tätigkeit der Direktoren und Landesdirektoren sowie die Koordinierung ihrer Tätigkeit, vor allem auch hinsichtlich der Programmpläne für Hörfunk und Fernsehen unter Berücksichtigung der bundesstaatlichen Gliederung durch die Mitwirkung aller Studios, 6. die Ausarbeitung von Vorschlägen an den Stiftungsrat für langfristige Pläne für Programm, Technik, Finanzen und für Stellenpläne im Zusammenwirken mit den Direktoren und Landesdirektoren, 7. die Verteilung von Geschäften gemäß Abs. 3, 8. die Erstattung von Vorschlägen über die Festsetzung des Programmentgelts und des Tarifwerkes des Werbefunks an den Stiftungsrat, 9. die Vollziehung der Beschlüsse des Stiftungsrates, 10. die Erstattung von Vorschlägen zur Geschäftsverteilung gemäß § 24 Abs. 2. (3) Der Generaldirektor hat jene Geschäfte, die weder dem Stiftungsrat noch dem Publikumsrat noch ihm selbst vorbehalten sind, unter Wahrung des § 24 so zu verteilen, dass eine initiative Führung der wesentlichen Sach- und Gebietsbereiche ermöglicht wird.719

Der Generalintendant/Generaldirektor verfügt also über eine sehr umfassende Stellung, die auch die Haltung gegenüber seinen Mitarbeitern bestimmen soll.

719 Vgl. Fassung BGBl. I Nr. 83/2001 ab 2002 bzw. Abs. 1 erster Satz und Abs. 2 ab 1. 8. 2001

239 Das Österreichische Fernsehen – Demokratiepolitischer 16. Innere Demokratie und Bildungsauftrag oder Quote ? Führungsstile im ORF

Grundsätzlich kann er autonom handeln und ist erst dem Stiftungsrat bzw. dem Publikumsrat gegenüber verantwortlich. Die demokratiepolitische Herausforderung besteht also nicht nur im Rahmen des dem Programm innewohnenden Bildungsauftrages, sondern auch hinsichtlich der Mitarbeiter des Fernsehens und des Hörfunks gleichermaßen. Unterschiedliche Persönlichkeiten an der Spitze des ORF prägten auch unterschiedliche Führungsstile.

16.1. Definition von Führungsstilen

In der betrieblichen Führungspraxis gibt es eine Vielzahl von Definitionen des Begriffs Führungsstil. Die Definitionen haben als gemeinsames Kriterium die Art und Ausübung zum Inhalt. Die Art der gewählten Führungsmittel ist im Wesentlichen kennzeichnend für den angewandten Führungsstil, der auch als Verhaltensweise der Führungskräfte eines Unternehmens beschrieben werden kann.720 Um die wirtschaftlichen Ziele zu erreichen, bedarf es einer zentralen Instanz, die das Zusammenwirken menschlicher und sachlicher Produktivkräfte plant, organisiert und kontrolliert. Diese zentrale Instanz ist im Fall des österreichischen Fernsehens der Generalintendant, jetzt Generaldirektor, dem auch die Aufgabe der Motivation der Mitarbeiter zufällt. Die Führungsposition kann nun einerseits als Institution einer einzigen Person verstanden werden oder kann auch ein Kollegialorgan sein, das einen Prozess auslöst, der für das Fällen von Entscheidungen relevant ist.721 In der Folge sollen die verschiedenen Arten von Führungsstilen hinsichtlich ihrer Anwendung auf die Leitung des Österreichischen öffentlich-rechtlichen Rundfunks untersucht werden. Grundsätzlich ist zu bemerken, dass in Reflexion auf die Bacher-Führung versucht wurde, neue Gremien zu schaffen, die einen Einfluss auf die Geschäftsleitung ausüben sollten. Leider wurde dieser Einfluss jedoch hauptsächlich für parteipolitische Interventionen benutzt. Diese Organe sind namentlich der Stiftungs- und der Publikumsrat. Ein wesentlicher Bestandteil des Managements ist die Mitarbeiterführung.

720 Vgl. Pausenberger, Ehrenfried, in: Timmermann, Manfred, Personalführung, Stuttgart, Berlin, 1977 721 Vgl. Timmermann, S 20

240 16. Innere Demokratie und Das Österreichische Fernsehen – Demokratiepolitischer Führungsstile im ORF Bildungsauftrag oder Quote ?

Allerdings ist dies nur eine von vielen Aufgaben im Rahmen der Leitung einer Organisation.722 Mitarbeiterführung ist eine Managementaufgabe, die nicht nur wahrzunehmen ist, um die Organisationsziele zu erreichen, sondern mit der auch eine soziale Verantwortung für die Mitarbeiter verbunden ist. Und genau dieser soziale Aspekt wird oft vernachlässigt.723 Beim öffentlich-rechtlichen Rundfunk braucht ein zur Wahl stehender Kandidat unter anderem auch die Stimmen der Betriebsräte, die sich dadurch mächtig fühlen und auch hofiert werden wollen.724 Immer mehr Verantwortungsträger wollen daher im ORF die „Macht der Betriebsräte“ beschneiden. Die Sozial- und Wirtschaftswissenschaft unterscheidet zwischen folgenden Führungsstilen, anhand dieser dann die Generalintendanten/Generaldirektoren zugeordnet werden können:

- Der charismatische Führungsstil

Der charismatische Führungsstil beruht auf dem Glauben an einen Führer oder dessen Gottesgnadentum.725 Fand man diesen Stil im Altertum bei Alexander dem Großen und in der vorkapitalistischen Zeit bei Napoleon, so galt er im 20. Jahrhundert als „Pioniergeist“. Der charismatische Führer ist auf die Einmaligkeit und die Strahlungskraft seiner Persönlichkeit angewiesen (er kennt allerdings keine Fürsorgepflichten).726

- Der patriarchalische Führungsstil

Für den Patriarchen ist das Leitbild die Ausübung von Herrschaft. Er kennt nur Untergebene und keine Mitarbeiter. Mitspracherechte verkommen zu leeren Worthülsen. Eigenes Denken, eigenständiges Urteil, die Eigenart im Handeln ist entweder nicht erwünscht oder wird nur auf der Leitlinie der Ansichten des

722 Vgl. Witt, Jürgen, Die erfolgreiche Führungskraft, Bielefeld 1998, S 9 723 Vgl. ebd. 724 Diese Taktik ging bei Monika Lindner nicht auf, die meinte, indem sie auf die Wünsche oder Forderungen des Betriebsrates eingeht, diesen auf ihre Seite zu ziehen; jedoch wählten die Betriebsratsvertreter Dr. Alexander Wrabetz zum Generaldirektor.(Anm. d. Verf.) 725 Vgl. Timmermann, S 23 726 Ebd., S 23

241 Das Österreichische Fernsehen – Demokratiepolitischer 16. Innere Demokratie und Bildungsauftrag oder Quote ? Führungsstile im ORF

Patriarchen akzeptiert.727

- Der autokratische Führungsstil

Nicht die Person, sondern die Institution steht im Mittelpunkt. Bei der autokratischen Führung liegen alle Entscheidungskompetenzen noch in einer Hand, der Autokrat führt jedoch nicht unmittelbar, sondern bedient sich seines Führungsapparates.728

- Der bürokratische Führungsstil

Verwalten geht vor Gestalten, die Instanzen haben dem Gesetz oder der Satzung zu gehorchen, es gibt kaum Spontanentscheidungen, da die Führungsgremien alles einer Prüfung unterziehen müssen. Man könnte mit Witt auch schreiben: „Reagieren geht vor Agieren“.729

Bei neueren Führungsstilen wird, im Gegensatz zu den oben beschriebenen traditionellen Führungsstilen, das „Wie“ des Führungsvollzugs in den Vordergrund gestellt. Die Literatur kennt, laut Engelmann, den autoritären, kooperativen, partizipativen, Laisser-faire, demokratischen, liberalen sowie den direktiven und nicht-direktiven Führungsstil. Die ersten drei sind ebenso synonym zu sehen, wie die anderen Dreiergruppen, wobei aber der liberale - oder Laisser-faire-Führungsstil noch die Zusatzkompo- nente aufweisen, dass jeder Mitarbeiter ein Höchstmaß an Freiheit hat, daher ist er kaum anwendbar. Beim autoritären Führungsstil entscheidet eine Person, nämlich die höchste der Instanz, wobei das autoritär geführte Unternehmen mit dieser Person steht und fällt. „Alles über meinen Schreibtisch“ lautet die Devise der autoritären Führungskraft. Der kooperative Führungsstil hingegen zeigt sich in der Teilnahme der Mitarbeiter

727 Vgl. Affemann, Rudolf, Sind Sie ein guter Hausvater?, in: Timmermann, S 24 728 Vgl. Engel, Peter u.a., Motivation und Führung, Bd. II, München 1971, S 89 729 Vgl. Witt, S 10

242 16. Innere Demokratie und Das Österreichische Fernsehen – Demokratiepolitischer Führungsstile im ORF Bildungsauftrag oder Quote ?

an den für sie wichtigen Entscheidungen. Nun kann man die verstärkte Mitwirkung beispielsweise eines Betriebsrats einem kooperativen Führungsstil unterordnen, jedoch sobald diese Mitsprache zum Selbstzweck der Erhöhung der eigenen Kompetenzen und Macht führt, ist sie einem Unternehmen eher abträglich. Grundsätzlich kann auch noch festgestellt werden, dass die Information eines der wichtigsten Führungsmittel ist. Durch sie wächst das Interesse und die Mitarbeit. Informationen dienen der Entscheidungsbildung und der Durchsetzung getroffener Entscheidungen. Jedoch ist diese Informationsweitergabe vom jeweiligen Führungsstil abhängig.

16.2. Aufgaben einer Führungskraft

Der Führung stellen sich folgende Aufgaben: - Orientierung - Strukturierung - Aktivierung - Integration - Service - Weiterentwicklung730

Der Generalintendant/Generaldirektor hat es jedoch auch mit äußeren Einflüssen zu tun, die von der Politik ausgehen, um ihre Interessen durchzusetzen. Dabei geraten gerade Weiterentwicklungen in den Hintergrund. Die Einflussnahme der eigentlich wirklich Betroffenen, nämlich der gebührenzahlenden BürgerInnen Österreichs, ist verschwindend, auch wenn man sich noch so oft das demokratische Deckmäntelchen umhängen will, z. B. durch die Schaffung des Publikumsrats, der jedoch in seiner Zusammensetzung parteipolitisch durchsetzt ist. Somit schuf man ein Gremium, um es gleich wieder selbst zu besetzen, denn welcher Bürger dieses Landes hat die nötigen Werbemittel, um sich einem flächendeckenden „Publikumsratswahlkampf“ stellen zu können. Unweigerlich sind hier die Parteien und Institutionen, wie Gewerkschaft, Wirtschaftskammer oder

730 Vgl. Witt, S 11

243 Das Österreichische Fernsehen – Demokratiepolitischer 16. Innere Demokratie und Bildungsauftrag oder Quote ? Führungsstile im ORF

Industriellenvereinigung, im nicht aufholbaren Vorteil. Eine wirklich erfolgreiche Führungskraft hat ein „Chancen-Management“ zu betreiben, wobei die Kernaufgabe darin besteht, Marktchancen und Leistungspotenziale bestmöglich zu nutzen. Dazu sind folgende Schritte nötig:

- Chancen erkennen - Chancen objektiv bewerten - Chancen systematisch nutzen - Chancen beeinflussen - Kompetenz verwerten731

Um Chancen aufzuspüren, sind die aktuellen Trends kontinuierlich zu verfolgen und auszuwerten. Gerade im Bereich der Medienlandschaft ist eine stete, rasche Weiterentwicklung zu beobachten, die mit dem IPTV-Angebot und den kleinen Lokalsendern noch lange nicht zu Ende sein wird. Der Generaldirektor einer öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalt hat für diese Trends der Märkte einen Sensor zu entwickeln oder sich die kompetenten Mitarbeiter mit diesem Sensorium zu suchen. Neben dem Generaldirektor sind es jedoch die ihn zu Wählenden, nämlich die Mitglieder des Stiftungsrates, die sich mit den Trends der Zukunft beschäftigen sollen, um die richtige Person für diese Funktion zu bestimmen. Leider spielen in diesem Zusammenhang noch immer kräftiges Lobbying und die Hoffnung auf mehr Vorteile (teils persönliche, teils für die zu vertretende Gruppe, wie z. B. beim Betriebsrat stark erkennbar) eine Rolle. Organisationen, die auf anspruchsvollen und wettbewerbsintensiven Märkten operieren, müssen mit einer großen Professionalität geführt werden. Und diese Professionalität sollte allen auf dieser Ebene agierenden (oder reagierenden) Personen eine Selbstverständlichkeit sein. Denn erst dann kann die Führungspersönlichkeit sich wirklich entfalten, auch wenn diese(r) die nötige Unterstützung findet.

731 Vgl. Bundesministerium für Wirtschaft und Arbeit, Wissensbilanz A2006, Wien 2006

244 16. Innere Demokratie und Das Österreichische Fernsehen – Demokratiepolitischer Führungsstile im ORF Bildungsauftrag oder Quote ?

16.3. Eine Zuordnung der Führungsstile für die ORF-Generalintendanten/Generaldirektoren

Gerd Bacher war zweifellos der Visionär des ORF732, ihn als Führungskraft im Sinne eines der oben definierten Stile einzuordnen, fällt freilich schwer. Mögen manche meinen, dass er sich durch einen autoritären Stil auszeichnete, so meinen andere, dass er spontan von einer Idee – egal woher diese kam – begeistert sein konnte. Auch Charisma durch seinen Intellekt ist ihm nicht abzusprechen, im Gegenteil. „Bacher war der Beste. Keinem gelang der Spagat beispielsweise zwischen Kultur und Quote so gut wie ihm“, erklärt Dr. Helmut Zilk733, der davon überzeugt ist, dass Bacher aus einem Provinzfunk eine europäische Mediengröße gemacht habe. Allerdings meint beispielsweise Fritz Dittlbacher, dass „man nie wusste, was einem blühte, wenn man in den 6. Stock gerufen wurde. Da lagen oftmals schon Stunden vorher die Nerven blank“.734 Er agierte oft „lautstark“, berichtet Dr. Helmut Zilk. „Alles ging vor allem am Anfang chaotisch zu, so z. B. war der Küniglberg zwar immer für den ORF gewidmet, doch die Planung umfasste zwar Parkplätze, aber kein Haus, Bacher brachte hier Ordnung rein.“735 Hans Georg Heinke erinnert sich an eine Aussage Bachers, die bezeichnend für diesen und seine Auffassung von Führung ist: „Was der Zeitgeist ist, bestimme ich.“736 Podgorski konzediert ihm, dass er viel zustandegebracht hat, jedoch einen Hang zum Autoritären hatte.737 Weiters meint er: „Ein aufgeblähtes zentralistisches System wie der ORF fördert die Autorität. Bacher habe Leidenschaften zur Qualität entwickelt, konnte aber nicht delegieren“, so Podgorski.738 Gerhard Weis sagt, dass Bacher aus dem ORF einen Großstaat inmitten eines Kleinstaates gemacht habe, vor allem in seiner ersten Amtsperiode.739 Dies entbehrte jedoch nicht der Pikanterie, dass auch die Kosten exorbitant in die Höhe schnellten:

732 Vgl. Interview mit Dr. Hugo Portisch 733 Vgl. Interview mit Dr. Helmut Zilk 734 Vgl. Interview mit Fritz Dittlbacher 735 Vgl. Interview mit Dr. Helmut Zilk 736 Vgl. Interview mit Hans Georg Heinke 737 Vgl. Interview mit Teddy Podgorski 738 Vgl. Interview mit Teddy Podgorski 739 Vgl. Interview mit Gerhard Weis

245 Das Österreichische Fernsehen – Demokratiepolitischer 16. Innere Demokratie und Bildungsauftrag oder Quote ? Führungsstile im ORF

- 1967 umfasste der Stellenplan 2.547 Dienstposten - 1968 2.899 Dienstposten - 1969 2.982 Dienstposten, das waren 117 Prozent bezogen auf 1966.740 Alleine im Informationsbereich stieg die Anzahl der Journalisten von 55 im April 1967 auf 109 im Jänner 1969, das ist eine Steigerung von knapp 50 %, parallel dazu wurde auch die Mitarbeiterzahl des Redakteurspersonals von 44 auf 71, also um knapp 39 %, erhöht.741 Es war aber nicht nur die quantitative Erhöhung des Personalstandes in der ersten Bacher-Ära, sondern auch der Gesamtaufwand, der zu Buche schlug: - von 1967 bis 1968 gab es eine Erhöhung um 24 % auf 567,4 Millionen Schilling, - von 1968 auf 1969 nochmals um 16 % auf 657,2 Millionen.742 Diese Erhöhung der Personallasten war teilweise durch Erhöhung des effektiven Personalstandes, teilweise durch Gehaltserhöhungen und höhere Honorarsätze bedingt. Dazu stiegen auch die Kosten für die Personalrückstellungen von 59,6 Millionen im Jahr 1967 auf 101,5 Millionen 1969.743 Wenn schon ein Rückblick gezogen wird, dann kann es auch einer auf die zweite Bacher-Ära sein, denn hier stiegen die Außenkosten des Fernsehbudgets 1978/79 um 22,4 % und 1979/80 um 30,2 %.744 Zum Vergleich: Ende 2008 betrug der Personalstand des ORF 3.431 Angestellte, woraus sich ein Personalaufwand von 406,4 Millionen Euro ergibt.745 Die Durchsetzung der Sonntagswerbung zur Steigerung der Einnahmen war eine vorerst einsame, also durchaus autoritäre Entscheidung, die von den Printmedien heftig kritisiert wurde (an allererster Stelle natürlich von der Kronen Zeitung). Der Vorsitzende des Redakteursrates im ORF, Fritz Wendl, attestiert Gerd Bacher, dass er „die Aufgabe des Bildungsfernsehens sehr ernst nahm und im prinzipiellen Herangehen so stark wie keiner agierte“.746 Der öffentlich-rechtliche Rundfunk

740 Vgl. ORF Almanach 1969, S 208 741 Vgl. ORF-Almanach 1969, S 208 742 Vgl. ORF-Almanach 1971, S 178 743 Vgl. ebd., S 178 744 Vgl. ORF-Almanach 1986/87, S 264 f. 745 Vgl. Die Presse vom 21. 6. 2008, S 22 746 Vgl. Interview mit Fritz Wendl, 20. 7. 2008 im Rundfunkhaus, Argentinierstraße

246 16. Innere Demokratie und Das Österreichische Fernsehen – Demokratiepolitischer Führungsstile im ORF Bildungsauftrag oder Quote ?

könne nicht nur „fad sein“, dieser Prämisse huldigte neben Bacher auch Gerhard Zeiler, so Wendl. Der Kurzzeitnachfolger, Dr. Otto Oberhammer, hatte wenig Sachkompetenz, war jedoch ein Vertrauter des mächtigen Justizministers, Christian Broda (Podgorski schreibt in seiner „Großen Illusion“, dass Oberhammer Broda durch die perfekte Leitung der Übersiedlung des Ministerium beeindruckt habe747). Oberhammer wählte ein durchaus kluges Team (Gerhard Weis und Franz Kreuzer) aus und überließ diesen viel Kompetenz in der Programmgestaltung.748 Oberhammer war mehr Verwalter als Gestalter, sodass der Begriff des „bürokratischen Stils“ angebracht ist. Sicher ist, dass er ein hervorragender Organisator war. In diese Periode fielen auch eine Reihe von Sendungsentscheidungen. Oberhammer hatte allerdings ein schlechtes ORF-Gesetz – manche sprechen vom „schlechtesten aller Zeiten“, wie z. B. Portisch749 – zu exekutieren. Ein Gespräch zwischen Podgorski und Oberhammer sagt alles über diesen bürokratischen Stil aus: „Herr Dr. Oberhammer, es ist so gut wie unmöglich für zwei konkurrierende Programmintendanten zu produzieren.“ Darauf Oberhammer: „Gesetz ist Gesetz.“750 Bacher war nach seiner Abwahl 1974 zuerst beim Kurier, bei dem er gegen den Bundeskanzler so manchen höhnischen Kommentar schrieb, und war dann Wahlhelfer Helmut Kohls751, der die Wahl jedoch verlor.

Als Bacher Mitte der 70er-Jahre sein Büro im ORF räumen musste, bot ihm wenig später ein deutscher Freund bereitwillig Asyl an: Helmut Kohl. Zum Dank betätigte sich Bacher im Wahlkampf 1976 als Medienberater des Pfälzers. Am Ende lächelte der mit neuer

747 Vgl. Podgorski, Teddy, Die große Illusion, Wien 2005, S 159 748 Allen voran die beiden Intendanten, Gerhard Weis und Franz Kreuzer (Anm. d. Verf.) 749 Im Gegensatz dazu bezeichnet Fritz Wendl das jetzige ORF-Gesetz als das schlechteste. 750 Vgl. Podgorski im Interview und w. o., S 163 751 Gerd Bacher in einem Interview mit dem Spiegel am 1. 3. 1976, Nr. 10, S 24 über diese Tätigkeit: „Mein Annäherungspunkt an diese ungewöhnliche Tätigkeit sind meine 30 Jahre Berufserfahrung. Ich habe in diesen 30 Jahren fast alles gemacht, was man massenmedial machen kann: Ich habe Tages- und Wochenzeitungen gemacht, einen Buchverlag mitgegründet und aufgebaut, eine Großdruckerei geleitet und eine große Radio- und Fernsehstation geführt. Unter dem Gesichtspunkt dieser Erfahrungen denke ich über das nach, was der Kanzlerkandidat in dieser Wahlkampagne tun und lassen könnte.“ Spiegel: „Hat der Produktmanager Bacher auch dafür gesorgt, dass Kohl eine neue Brille trägt, die Haare anders frisiert, sich flotter kleidet?“ Bacher: „Ich bin weder als Chefkosmetiker noch als Leibfigaro des Helmut Kohl unterwegs, wiewohl das auch nicht unwichtig ist.“

247 Das Österreichische Fernsehen – Demokratiepolitischer 16. Innere Demokratie und Bildungsauftrag oder Quote ? Führungsstile im ORF

Frisur und neuer Brille dynamisch vom Plakat und sah aus wie (…) in der Fehlbesetzung als spätjugendlicher Liebhaber. Bacher wurde wieder Generalintendant, wurde 1986 noch einmal abgelöst, worauf er wieder nach Deutschland kam und als Medienberater bei Kohl wirkte, um danach triumphal zum dritten Mal in die Chefetage des ORF einzuziehen. Da war Kohl schon lange im Amt, und zwar immer wieder und immer wieder.752

Bacher schwärmte nach seiner Rückkehr in den ORF: „Ich war an den Schalthebeln einer Weltmacht.“753 Intendanten wurden Teddy Podgorski, Wolf In der Maur und Ernst-Wolfram Marboe. Ein Höhepunkt der medialen Berichterstattung zum Thema Wiederwahl Bachers war die Headline der Kärntner Tageszeitung: „Kreisky in Paris, Benya in Sofia, Bacher im ORF“754. Vor der Wahl war alles auf Helmut Zilk hinausgelaufen, nur die mächtigen Betriebsräte vereitelten dies. Bacher zelebrierte von nun an seinen Führungsstil. 1986 wurde Bacher nicht verlängert und Podgorski Generalintendant. Er pflegte einen jovialen Führungsstil, kollegial, partnerschaftlich. Podgorski akzentuierte seine Programmphilosophie, indem er meinte, dass Popularität Qualität nicht ausschließt: „Ich finde, dass Qualität durchaus populär sein kann.“755 Jedoch hatte Podgorski durchaus Erfolge vorzuweisen, so führte er das Bundesländerfernsehen ein, die Doppelmoderation in der „Zeit im Bild“, die „Seitenblicke“, engagierte Gerhard Zeiler als Generalsekretär und wurde dennoch 1990 nicht mehr wiedergewählt. „In der gesamten Geschichte des Österreichischen Fernsehens gab es keinen mit so einem untrüglichen Gespür fürs Programm wie Podgorski“, so Wendl.756 Er prägte einen Fernsehjournalismus, der manchen völlig neu war. Er unterschied nicht zwischen Unterhaltung oder Information: „Unterhaltung ist der Schlüssel zu allem, heißt nicht nur Lachen oder Lächerliches zu produzieren, sondern heißt, Menschen zu fesseln und zu interessieren.“757 Ihn könnte man auch als den ersten „Infotainer des ORF“ bezeichnen. Eine etwas zu lose Zunge

752 Vgl. Rust, Holger, Manager-Magazin 10/1999, 1. 10. 1999, S 318 753 Vgl. Podgorski, Teddy, Die große Illusion, Wien 2005, S 147 754 Vgl. Kärntner Tageszeitung, 29. 9. 1978, S 1 755 Vgl. Batic, Natascha, Vom freien Mitarbeiter zum Generalintendanten, Wien 1993, S 65 756 Vgl. Interview mit Fritz Wendl, w. o. 757 Vgl. Batic, S 66

248 16. Innere Demokratie und Das Österreichische Fernsehen – Demokratiepolitischer Führungsstile im ORF Bildungsauftrag oder Quote ?

und das wiederholte Intrigenspiel der Betriebsräte ließen ihn scheitern, und wieder kam Gerd Bacher von 1990 bis 1994 zum Zug. 1994 wurde Gerhard Zeiler von eben diesem Betriebsrat aufs Schild gehoben. Dass diese Machtfülle des Betriebsrates manchen sauer aufstieß, ist hinlänglich bekannt. Die Ära Zeiler brachte dem ORF „kommerzielles Denken“.758 Er strukturierte z. B. Ö3 um und machte es zur einzigen wirklichen Cashcow des Unternehmens. „Ohne Ö3 wäre der ORF längst pleite und könnte auch den Bildungsauftrag nicht erfüllen.“759 Weiters wird ausgeführt, dass ohne die Quote von Ö3 keine Lebensfähigkeit gegeben wäre. Fritz Wendl nennt hier vor allem die Information, die durch Ö3 mittels aus dem Fernsehen bekannten Identifikations- personen durchgeführt wird. Zeilers Führungsstil war weder autoritär noch allzu demokratisch, er war sehr unternehmensbezogen und fühlte sich im zunehmenden Wettbewerb mit anderen Sendern, denn schließlich hatte Zeiler ja bereits bei deutschen Privatsendern Erfahrung sammeln können. Zeiler wehrte sich gegen die Allmacht der Betriebsräte, indem er deren Kandidaten, Amon und Doucha, für keinen verantwortungsvollen Job vorschlug und Katrin Zechner sowie Karl Matouschka installierte. Erst ohne den mächtigen Betriebsrat, der die innere Demokratie mit Füßen trat, war es möglich, im ORF Reformen durchzuführen. Die Wertschätzung für die Arbeit Zeilers zeigt auch ein Artikel im Focus 1994:

„General Gnadenlos“, „Schlächter heiliger Kühe“, „Wasserstoffbombe“ – Medien-Etiketten für einen Mann, der nach Jahren in Deutschland in seine Heimat Österreich zurückgekehrt ist, um mit eisernem Besen den verkrusteten Österreichischen Rundfunk (ORF) auszufegen: Gerhard Zeiler, 39. Die Rosskur hat der ORF bitter nötig. Die Österreicher laufen in hellen Scharen zu den deutschen Satellitensendern über. In Haushalten, die einen Kabelanschluss oder eine Satellitenschüssel auf dem Dach haben (rund 60 Prozent760), ist der Marktanteil der beiden ORF-Fernsehprogramme auf 44,5 Prozent geschrumpft. Die deutschen Sender schaffen zusammen fast genauso viel. Harte

758 Vgl. Hans Georg Heinke im Interview 759 Vgl. Fritz Wendl, w. o. 760 Zur Beachtung: Dabei handelt es sich jeweils um den Stand bei Erscheinen des Artikels 1994.

249 Das Österreichische Fernsehen – Demokratiepolitischer 16. Innere Demokratie und Bildungsauftrag oder Quote ? Führungsstile im ORF

Schnitte sind unvermeidlich, soll der ORF nicht in ein Finanzdebakel schlittern. Als erste Amtshandlung hat Zeiler abstruse Privilegien für leitende Bedienstete abgeschafft, denen der ORF zum Beispiel 80 Prozent der privaten Telefonrechnung bezahlte. Dann verschaffte er sich mit dem Rausschmiss des Technik-Chefs und mächtigen Zentralbetriebsrats Heinz Doucha Respekt. Mit Doucha in der ORF- Zentrale („Intrigantenstadl am Küniglberg“) hätte Zeiler seine radikalen Pläne kaum verwirklichen können. Verlorene Marktanteile will der neue Generalintendant mit einer Programmoffensive zurückgewinnen. Einer der beiden ORF-Kanäle soll künftig rund um die Uhr senden. Neue Formate werden das angestaubte ORF- Programm aufpeppen. Dabei bedient sich Zeiler, bisher RTL 2-Chef, hemmungslos deutscher Vorbilder: Er will österreichische Talk- Show-Kopien „etwa im Stil von ,Hans Meiser´“ oder von Schreinemakers auf die Bildschirme bringen. Ein Blick auf die Struktur des ORF zeigt die Notwendigkeit neuer Maßnahmen: Personalbestand: 3.200 Mitarbeiter. Bis zum Jahr 2000 sollen es 800 weniger sein.761 Reformkonzept: Mit einer radikalen Ent- schlackungskur sollen Kosten (680 Mio. Euro) drastisch reduziert werden. Der Kunde wird König: Ein publikumsnäheres Programm soll sowohl Zuschauer als auch Werbekunden zurückgewinnen. Diversifizierung: Mit der Vermarktung von ORF-Programmen auf Video und Merchandising will Zeiler neue Geldquellen erschließen.762

Gute politische Kontakte, die für die Wahl zum ORF-Generalintendanten unerlässlich sind, hat der Sozialdemokrat Zeiler in den Achtzigerjahren geknüpft. Als Pressesprecher diente er den Bundeskanzlern Fred Sinowatz und Franz Vranitzky 1983 bis 1986. Dann wurde Zeiler unter Podgorski ORF-General- sekretär. Seine Wanderjahre im deutschen Privat-TV ab 1991 (Tele 5, RTL2) haben dem Wiener wichtiges Rüstzeug für die radikale ORF-Reform eingebracht.

761 Anm. d. Verf.Die Zahlen wurden nie erreicht, im Gegenteil, wie oben gezeigt, stieg die Mitarbeiterzahl 2005/06 auf rund 4.200 an. 762 Vgl. Halpert, Marta, Focus Nr. 45, unter dem Titel: „Angst im Intrigantenstadl“, http://www.focus.de/kultur/medien/orf-angst-im-intrigantenstadl_aid_148963.html

250 16. Innere Demokratie und Das Österreichische Fernsehen – Demokratiepolitischer Führungsstile im ORF Bildungsauftrag oder Quote ?

In einem weiteren Artikel – der Zeiler-Ära gewidmet – heißt es:

Der neue Intendant Gerhard Zeiler modelt den ORF zum Kommerzprogramm um – mit Erfolg

„Eine Prise RTL, dazu eine Messerspitze SAT.1, ein paar Tropfen Pro Sieben – alles leicht aufgeköchelt.“ So beschreibt der Zuschauer Friedrich Schweiger in einem Leserbrief an die Salzburger Nachrichten das neue Programm des Österreichischen Rundfunks (ORF) und ärgert sich: Das „ORF-Fertiggericht ist nur nachgekocht“. Der Koch heißt Gerhard Zeiler, ist seit Mitte Oktober ´94 – als Nachfolger des legendären Gerd Bacher – neuer Intendant des ORF und hat den öffentlich-rechtlichen TV-Monopolisten in Windeseile zum halben Privatsender umgemodelt. Seit einem Monat gilt ein neues Programmschema. Zeiler, ehemals Geschäftsführer der deutschen Privatsender Tele 5 (inzwischen eingestellt) und RTL2 (auf Erfolgskurs), kupfert dabei ungeniert deutsche Erfolgssendungen ab, dazu deren Sendezeiten und auch gleich das Studio-Interieur. Es treten auf im neu gestylten ORF-Programm: Vera Russwurm (sendet gegen Margarethe Schreinemakers), Walter Schiejok (sendet gegen Hans Meiser) und Peter Rabl (sendet gegen Erich Böhme). Hintergrund der Frühjahrsoffensive: Seit Jahren nagen die nach Österreich einstrahlenden Programme aus Deutschland an den Marktanteilen des ORF (Stand 1994). Diesen Trend konnte die Programmreform nun offenbar wenden. Vorletzte Woche präsentierte Zeiler dem ORF-Kuratorium eine erste Erfolgsbilanz: Der ORF hat neue Zuschauer gewonnen. Der Marktanteil ist von 63 Prozent auf 65 Prozent gestiegen. In den Kabel- und Satelliten-Haushalten stieg er von 43 Prozent (1994) auf 48 Prozent im März 1995. Die neue Nachmittagsleiste mit „Schiejok täglich“ und „Willkommen Österreich“ (die einzige neue Idee einer TV-Jause im Illustriertenstil)

251 Das Österreichische Fernsehen – Demokratiepolitischer 16. Innere Demokratie und Bildungsauftrag oder Quote ? Führungsstile im ORF

hat den Marktanteil von 18 Prozent (1994) auf 30 Prozent (März 1995) gesteigert. Auch Kinder sehen wieder häufiger das gewaltfreie Jugendprogramm. Zeiler sieht sein Quotenmanagement als präventive Maßnahme, um die Attraktivität des ORF für die österreichische Werbewirtschaft zu stärken: Das Werbemonopol fällt 1996, wenn RTL, SAT.1 und Pro Sieben eigene Werbefenster für Österreich einführen. Intern bemängeln ORF-Mitarbeiter die schleichende Selbstkommerzialisierung: „Die Worte Qualität und Inhalt habe ich seit Wochen nicht mehr gehört. Nur Quoten und wieder Quoten“, klagt ein Abteilungsleiter, der sicherheitshalber anonym bleiben will.763

Noch kaum wurde einem Generalintendanten des ORF, mit Ausnahme Bachers, soviel Aufmerksamkeit in Deutschland geschenkt, und diese beiden Artikel treffen den berühmten Nagel besser auf den Kopf als so mancher heimische Kommentar. Auch Bacher wollte Zeiler anfangs nach seiner wiederholten Wiederwahl 1990 (Zeiler war damals noch Generalsekretär) halten und bot ihm den Landesintendantenposten des Burgenlandes an, was Zeiler mit einem „Ich such aber keinen Teilzeitjob“ quittierte und ging, um vier Jahre später als Generalintendant wiederzukommen. Gerhard Weis, Nachfolger Zeilers, war ein kommunikativer Mann, dessen Führungsstil auch als demokratisch bezeichnet werden kann. Er führte den Zeiler- Kurs weiter, allerdings „ohne die Dynamik und jugendliche Frische eines Zeiler“.764 Weis war ein, wie eigentlich alle Gesprächspartner meinen, Konsensmensch. Er war ein verdienter, langjähriger ORF-Mitarbeiter, der von Bacher als „Öffentlichkeitsarbeiter“ geholt wurde, sich als Koproduzent von „Wünsch Dir was“ einen Namen machte, 1974 Intendant für FS1 wurde, Produktionen wie die „Alpensaga“ oder „Das Dorf an der Grenze“ ermöglichte und rund 30 Literaturverfilmungen pro Jahr machte. „Diese allerdings mit einem Low Budget“, so Weis.765 Er „erfand“ auch „Taxi Orange“. Er meint heute noch, dass durch seine

763 Vgl. Focus 1995, Nr. 16, http://www.focus.de/kultur/medien/fernsehen-kupfern-fuer-die- quoten_aid_151564.html 764 Vgl. Fritz Wendl, w. o. 765 Vgl. Gerhard Weis

252 16. Innere Demokratie und Das Österreichische Fernsehen – Demokratiepolitischer Führungsstile im ORF Bildungsauftrag oder Quote ?

Abwahl „meine eigene Persönlichkeit gestärkt wurde“.766 Dr. Hugo Portisch ist der Meinung, dass diese Abwahl ein Anschlag auf die Unabhängigkeit des ORF war.767 „Ich wollte kein Vasall von Schüssel und schwarz-blau sein“, so Weis, der auch 2006 noch von einem „Regierungseinfluss auf allen Ebenen“ sprach.768 Weis wurde schließlich durch Monika Lindner769 ersetzt, deren Stil intern sehr umstritten war, so hielt sie zum Beispiel trotz heftiger Anfeindungen an Informationschef Werner Mück oder auch an Walter Seledec, dem eine Nähe zu rechtsradikalen Kreisen nachgesagt wird770, fest. Auch dass sie eine Durchschaltung einer Rede vom damaligen Bundeskanzler Schüssel auf beiden Kanäle anordnete, wurde ihr angekreidet.771 Die Presse konstatierte:

Das Programmschema stammt noch aus der Ära Gerhard Zeiler – Lindner hat wenig angerührt. Damit konnte der anhaltende Verfall der Marktanteile nicht aufgehalten werden: Von 47,7 % (2002) auf 43,2 % (2006). Die Werbetarife sanken mit. (…) einige neue Formate (aus fremden Werk- stätten) werden überdauern: „Millionenshow", „Starmania", „Dancing Stars". Andere haben Quote und Prestige gebracht: z. B. Hugo Portisch mit „Die Zweite Republik". „Newsflash" ist ein gelungenes Experiment. Programmflops gab's – allen voran „Deal or no Deal", „Bachelor", „Dismissed" oder die verunglückte „Expedition Österreich". Die Kreativen vermissten unter Lindner die Chance, Neues zu probieren. Tenor: „Man kann ein Medienunternehmen nicht wie eine Kaserne führen."

766 Vgl. ebd. 767 Vgl. Interview mit Dr. Hugo Portisch 768 Vgl. APA-Bericht vom 6. 7. 2007, Kennziffer 0189 769 Lindner absolvierte ihr Studium in Wien, Dr. phil. (Theaterwissenschaft, Kunstgeschichte und Philosophie). Ab 1974 arbeitete Lindner als Freie Mitarbeiterin beim ORF in Wien in der Abteilung Politik und Zeitgeschehen. Sie wurde 1979 zur Leiterin der Pressestelle des ORF bestellt. 1991 übernahm Monika Lindner die Leitung der Vorabendserie „Wir“. 1995 entwarf sie das Konzept der Vorabendserie „Willkommen Österreich“ und wurde mit der Leitung der Sendung betraut. Für diese Sendung wurde sie 1995 auch mit der Goldenen Romy für die beste Programmidee geehrt. Ab Oktober 1998 nahm sie die Stellung der Landesintendantin des ORF-Landesstudios Niederösterreich ein. Ab 1. Januar 2002 war Monika Lindner Generaldirektorin des Österreichischen Rundfunks (vgl. www.orf.at/stories, Zugriff am 11. 6. 2009) 770 Seledec nahm u. a. immer wieder an den Gedenkfeiern anlässlich des Todestages des Nazi- Fliegers Walter Nowotny teil (vgl. Profil, Ausgabe 32, 2006) 771 Vgl. Die Presse vom 29. 12. 2006

253 Das Österreichische Fernsehen – Demokratiepolitischer 16. Innere Demokratie und Bildungsauftrag oder Quote ? Führungsstile im ORF

Im Informationsbereich gilt nach wie vor der Sonntagabend-Polittalk als Baustelle. Die Opposition kritisierte die „Vermolterung". Die „ZIB" büßte ihre Vormachtstellung als Muss ein. Manch kritische Dokumentationen – etwa über die „Kronen Zeitung" oder den Kärntner Ortstafelstreit – fanden gar nicht erst Einlass ins Programm. Mit dem 2003 abgeschlossenen Kollektivvertrag und der Anstellung der fixen freien Mitarbeiter wurde ein Problem des ORF beseitigt.772 Die ORF-Technik-Tochter ORS verkaufte der ORF zu 40 % an den Raiffeisen-Konzern von Lindner-Förderer Christian Konrad.773

„Ich habe noch nie eine solche Erleichterung im ORF erlebt, vor allem bei den Fernsehredakteuren, wie zu dem Zeitpunkt, als bekannt wurde, dass Lindner abgewählt sei“, so Fritz Wendl, der es als Redakteursratsvorsitzender wissen muss774 (und er war nicht allein mit dieser Ansicht wie aus ORF-internen Gesprächen herauszuhören ist, Anm. d. Verf.). Vor der Wahl der ehemaligen Landesintendanten Niederösterreichs wurde noch das ORF-Gesetz geändert, sodass ein Weisungsrecht des Generaldirektors entstand. Für den Verfassungsrechtler, Univ.-Prof. Dr. Heinz Mayer ist dieses

(…) Weisungsrecht in allen Fragen mit der Unabhängigkeit, die in anderen Punkten verankert ist, unvereinbar. Der Journalist darf nicht gezwungen werden, das steht ausdrücklich im Gesetz. Er darf keinen Beitrag verfassen, den er nicht selbst verantworten kann, der seinem Gewissen widerspricht. Wenn ein Journalist etwas für berichtenswert erachtet, dann hat er das Recht, darüber zu berichten, alles andere ist ein Eingriff in die Unabhängigkeit.775

772 Es wurde nur das rechtliche Problem beseitigt, jedoch dem Unternehmen ORF eine ungeheure finanzielle Bürde angetan, denn es handelte sich doch um ca. 1.300 Mitarbeiter, die auf einmal von Freien zu Fixangestellten wurden. (Anm. d. Verf.) 773 Vgl. Wallnöfer, Isabella, in: Die Presse vom 29. 12. 2006, S 27 774 Vgl. Interview mit Fritz Wendl, w. o. 775 Vgl. Univ.-Prof. Dr. Heinz Mayer, Impulsreferat Workshop GESPU (=Gesellschaft für Publizistik und Medienforschung am 19. 3. 2002 im Presseclub Concordia)

254 16. Innere Demokratie und Das Österreichische Fernsehen – Demokratiepolitischer Führungsstile im ORF Bildungsauftrag oder Quote ?

Unter der Generaldirektorin Monika Lindner stieg der Personalstand von 2.483 im Jahr 2003 auf 3.431 2006.776 Der Grund dafür war, dass die gesamten sogenannten freien Arbeitsverträge aufgrund einer EU-Vorgabe in Fixanstellungen umgewandelt werden mussten. Diese exorbitante Erhöhung schlug sich natürlich auch buchmäßig nieder, was sicherlich zu den heutigen finanziellen Kalamitäten beitrug. Am 17. August 2006 verlor sie die Generaldirektorenwahl gegen den bisherigen Kaufmännischen Direktor des ORF, Alexander Wrabetz. Der Wahl war eine monatelange öffentliche Diskussion über die Zukunft des ORF und die ORF- Führung vorausgegangen. Bis kurz vor der Wahl hatte Monika Lindner als Favorit für die nächste Amtsperiode gegolten. Aufgrund seines früheren Engagements für die Sozialdemokratie galt Wrabetz als „roter“ Kandidat.

Zu Lindner fällt Wendl das wenig schmeichelhafte Bonmot ein, dass „sie aus Karrieregründen einen Jagdschein machte, um dem Landesjägermeister von Niederösterreich777 zu gefallen und das ist für den Generaldirektorsposten alleine zu wenig“.778 Lindner stolperte einerseits über ihr starres Festhalten an ihrem äußerst umstrittenen Informationsdirektor Werner Mück und andererseits über die schon oben erwähnte Kritik Armin Wolfs bei der „Hochner-Preisverleihung“. Manche sprechen von einem Führungsstil, der kaum zu definieren und einzuordnen sei und als „regierungshörig“ bezeichnet werden kann. Gerd Bacher meinte dazu: „Das ganze Haus war gegen sie, Lindner hatte so wenig wie noch niemand vor ihr hinter sich.“779 Das sei einfach einige Kragenweiten zu groß für sie gewesen, so Bacher, der auch mahnend anführt, dass Lindner aus dem Landesstudio Niederösterreich das Landeshauptmannstudio gemacht habe.

Wie erwähnt wurde der bis zu diesem Zeitpunkt als Kaufmännischer Direktor agierende Alexander Wrabetz zum Generaldirektor gewählt. Er baute eine große Erwartungshaltung auf, der er „bisher leider nicht gerecht wurde“.780 Er übernahm das Unternehmen in der schlimmsten ökonomische Situation der Geschichte und bekannte sich selbst zu einem partnerschaftlichen Stil, derzeit wird aber intern

776 http://www.statistik.at/web_de/static/personal_beschaeftigte_des_orf 777 Gemeint ist Dr. Christian Konrad, Generalanwalt der Raiffeisenzentralbank 778 Vgl. Gespräch mit Fritz Wendl 779 Vgl. Gerd Bacher im Interview am 24. 7. 2008 780 Vgl. Interview mit Fritz Wendl, w. o.

255 Das Österreichische Fernsehen – Demokratiepolitischer 16. Innere Demokratie und Bildungsauftrag oder Quote ? Führungsstile im ORF

beklagt, dass es, trotz der Versprechungen, schwierig sei, an ihn heranzukommen. Zu diesem „Abkapseln“ trugen sicherlich unglückliche Programmentscheidungen ebenso bei, wie die vollmundige Ankündigung der „größten Programmreform aller Zeiten“. Einer seiner Vorgänger, Teddy Podgorski, wirft dem derzeitigen Programm vor, dass „viele Leichen aus dem Keller geholt und neu geschminkt werden“.781

Wrabetz selbst sieht seine Aufgabe als Generaldirektor

(...) primär in der Verantwortung für die Einhaltung der gesetzlichen Vorschriften, vor allem des ORF-Gesetzes. In der täglichen Arbeit sehe ich mich dafür verantwortlich, die Voraussetzungen für die Rahmenbedingungen für die MitarbeiterInnen zu schaffen und ihnen den „Rücken frei zu halten“, sollten Unabhängigkeit und Objektivität von außen unter Druck kommen. (...) außerdem Sorge zu tragen, dass im Rahmen des angebotenen Gesamtprogramms bildungs- bzw. demokratiepolitische Elemente ihren Platz haben und zwar in der für die jeweiligen Zielgruppen adäquaten Form (Anm. d. Verf.: Gemeint ist hier, wie er an anderer Stelle ausführt, z. B. die Anpassung von Informationssendungen an jüngere Zielgruppen).782

Das Hauptproblem von Wrabetz sind derzeit die Finanzen, denn der ORF muss überall den Sparstift ansetzen, will er nicht zu einem endgültigen Sanierungsfall werden. Alleine der Personalstand betrug Ende 2008 3.431 Angestellte, woraus sich ein Personalaufwand von 406,4 Millionen Euro ergibt.783 Für 2009 sind Einsparungen von insgesamt mehr als 50 Millionen Euro geplant, der Personalstand selbst erreichte 2008 3.413 Angestellte auf Vollzeitbasis. Ein radikaler Umbau ist geplant: Der Mitarbeiterstand soll bis spätestens 2012 auf weniger als 2.500 gekürzt werden, weitere 300 sollen wiederum auf „freie Dienstverträge umgerüstet“ werden.784 Dazu soll die Online-Redaktion aufgelöst werden und zahlreiche personelle Umbesetzungen werden vorgenommen.

781 Vgl. Interview mit Teddy Podgorski 782 Vgl. Interview mit Dr. Wrabetz am 27. 8. 2008 783 Vgl. Die Presse vom 21. 6. 2008, S 22 784 Vgl. die Rede von Generaldirektor Dr. Alexander Wrabetz vor allen Mitarbeitern am 27. November 2008, 13–13.45 Uhr im ORF-Zentrum, übertragen per Intranet im gesamten ORF

256 16. Innere Demokratie und Das Österreichische Fernsehen – Demokratiepolitischer Führungsstile im ORF Bildungsauftrag oder Quote ?

Faktum ist weiters, dass die ORF-Gehälter ein Vielfaches der normalen Bezüge in diesem Bereich ausmachen, so gibt der ORF pro Vollzeitkraft im Jahr 118.450 Euro aus785, der Standort am Küniglberg soll verkauft und ein anderer aufgebaut werden. Auch über eine Privatisierung von Teilbereichen wird nachgedacht, immer wieder werden dabei Ö1 und Ö3 als potenzielle Kandidaten genannt.786 Aus dem Spartenkanal TW1, der noch vor einiger Zeit als Sportkanal etabliert wurde, soll nun ein Informations- und Kulturkanal werden, der unter die Leitung des als Online-Direktor abgelösten Thomas Prantner gestellt werden soll, der wiederum Werner Mück dort ablöst.787 Interessant dazu ist auch die Stellungnahme der Aktion SOS-ORF, einer Gruppe von derzeitigen oder ehemaligen ORF-Journalisten, die es sich unter der Generaldirektorin Lindner zum Ziel gesetzt hatten, die öffentlich-rechtliche Anstalt neu zu gestalten, welche jedoch nun in einer noch prekäreren Lage ist:

Ganz ohne Zweifel: Die gesamte Fernsehinformation hat sich verändert und das ist bis heute so geblieben – auch wenn man die ZIB-Streifen im Hintergrund misslungen finden mag und den neuen Wetterbericht, der jetzt so wissenschaftlich tut, ebenso. Kleinigkeiten zu verbessern wird es immer geben. (…) Dann kam die „größte Programmreform aller Zeiten“ – angekündigt wie keine zuvor. Wer den ORF liebt, musste besorgt sein. Und jetzt haben wir ein Problem: ein enttäuschtes Publikum, nachdem die Erwartung in solche Höhen gepuscht worden war und viele den radikalen Bruch mit dem Geist des Lindner-TV erwartet hatten. Aber dann kam: „Mitten im 8en“. Alles wäre nicht einmal halb so schlimm ohne diese Spottgeburt, die noch dazu floppt. Bei solchen Formaten ist aber der Erfolg tatsächlich an der Quote ablesbar. Und nur dort. Der ORF will dafür ein halbes Jahr Zeit. Ob er die hat? Allerdings ist der Quoteneinbruch im ersten Monat nach der Reform vermutlich nicht das Schlimmste. Ärger ist, dass es dem ORF nicht gelungen ist, das Meinungsklima umzudrehen. Das Lindner-TV hielt halbwegs seine Quoten, hatte

785 Vgl. Wallnöfer, Isabella, in: Die Presse vom 28. 11. 2008, S 1 786 Vgl. Die Presse vom 28. 11. 2008, S 2 787 Vgl. Priesching Doris, in: Der Standard vom 28.11. 2008, S 2

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aber kein Ansehen und entsprach nicht dem öffentlich-rechtlichen Auftrag. Daher wurde es zu Recht abgewählt. Das Wrabetz-TV hat aber zur Zeit auch kein Ansehen – man muss es so deutlich sagen.788

Wenn man bedenkt, wie hoch die Erwartungen waren, die vor allem nach der mutigen Rede von Armin Wolf bestanden, dann ist hier doch eine enorme Ernüchterung zu bemerken.

Anmerkung des Verfassers: Die gesamten Probleme des ORF, der sich zu einem ganz besonderen Fall eines Unternehmens, das am Rand der Insolvenz wandelt, entwickelt hat, sind durch die Politik und die zahlreichen Klüngeleien rund um diese Institution hausgemacht. Die ehemals großen Parteien sahen den ORF seit jeher als Spielball an, durch den Informationen und Botschaften in jeweils ihrem Sinne transportiert werden können. Ob dabei Qualität verloren geht oder ob es um einen demokratiepolitischen Bildungsauftrag geht, ist immer nebensächlich gewesen. Hauptsache, die Interessen von Institutionen und Parteien wurden befriedigt. Und auch die Mitarbeiter wurden in einem Ausmaß glorifiziert, das seinesgleichen sucht. Taucht, gnädigerweise, bei einer Veranstaltung das österreichische Fernsehen auf, werden die Redakteure und Kameraleute hofiert und kulinarisch verwöhnt. Dass der ORF noch immer mit einer veralteten Technik arbeitet, dadurch aber den Markt bestimmt (so sind auch private Produktionsunternehmen, die am Rockzipfel des ORF hängen, technisch veraltet und international nicht leistungsfähig), fällt ja keinem Bürger wirklich auf. Mit dem reduzierten Personal kann sicherlich mindestens die gleiche Qualität des Programms gehalten werden, so tief scheint dies schon gesunken. Eigenproduktionen werden weniger und auch die Kritikfähigkeit wird nicht zunehmen, wenn Jobangst herrscht. Darüber hinaus wird der ORF von Cliquenwirtschaft bestimmt, in die einzudringen, auch bei besserer inhaltlicher und technischer Qualität, kaum möglich ist. Der ORF ist ein abgehobenes Proporzunternehmen durch und durch, alleine die Zusammensetzung eines

788 Vgl. Huemer, Peter, Kommentar zu SOS-ORF, http://www.sos-rf.at/show_content2.php?s2id=12, Zugriff am 10. 12. 2008

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sogenannten Publikumsrats ist schon, wohl ein Unikum weltweit, parteipolitisch vollzogen, ein „Normalbürger“ hat hier keinerlei Chance auf Mitsprache. Dies mag manchen als positiv erscheinen, denn die Gefahr, dass dann die gemachte öffentliche, provinziell-kleinbürgerliche Meinung vorherrscht, ist gegeben, jedoch als Korrektiv ist es wenigstens einen Versuch wert. Leider kann in diesem Land in öffentlichen Organisationen nur Einfluss genommen werden, wenn man ohnehin schon durch die Institutionen geprägt ist und deren Karrierestufen durchlaufen hat. Vor allem ehemalige führende oder quasi führende ORF-Mitarbeiter „zeichnen“ allerlei Einladungslisten aus, um scheinbar ihren Status wahren zu können, einen Status jedoch, dessen Wert keiner wirklich hinterfragt hat. Dazu kommt auch die Abhängigkeit des ORF selbst von der veröffentlichten Meinung, denn was würde, theoretisch passieren, wenn das Fernsehen auf die Dienste einer Maggie Entenfellner789 oder Vera Russwurm790 verzichtete, auch Barbara Stöckl scheint unverzichtbar – sie ist zugleich auch Kolumnistin der Tageszeitung Österreich.791 Der Aufschrei des Boulevards wäre dem ORF sicher und der Generaldirektor, wer immer dies auch ist, hätte einen äußerst schweren Stand. So hat sich eben der ORF der Seitenblicke-Gesellschaft einerseits und damit auch den Anforderungen des kleinbürgerlichen Boulevards und andererseits der Parteipolitik ausgeliefert. Der ORF in seiner Gesamtheit scheitert einerseits an den Begehrlichkeiten der Parteipolitik und andererseits an den inneren Strukturen, denen eben von der Politik viele Gestaltungsmöglichkeiten genommen wurden, da eine Neugestaltung ohne die Rücksprache mit Parteisekretariaten oder anderen Sekretären, die den Wünschen ihrer Vorgesetzten Genüge tun müssen, gar nicht erwünscht ist.

789 Maggie Entenfellner präsentiert die Sendung „Tierzuliebe“ und ist zugleich Tierkolumnistin der Kronen Zeitung 790 Russwurm ist Präsentatorin und gleichzeitig Kolumnistin der Kronen Zeitung. 791 Barbara Stöckl präsentiert die Sendung „help tv“, ihre Schwester Claudia frühstückt jeden Sonntag mit Prominenten auf Ö3.

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16.4. Unternehmensinterne Demokratie

Ein großer Streitpunkt war immer wieder der Einfluss des Zentralbetriebsrats, vor allem der Technik. Heinz Fiedler792 alterierte sich als Macher, sein Stellvertreter war Roland Schmidl793, der gleichzeitig in der Informationsredaktion von Werner Mück beschäftigt war. „Nach der schwarz-blauen ORF-Reform kamen vielfach Leute zum Zug, die kaum ein Rückgrat hatten.“794 Fiedler reklamierte einen Passus ins Gesetz, dass der Kollektivvertragspartner der Zentralbetriebsrat ist, wobei es dort eben einen Überhang der Techniker gegenüber den Redakteuren gab. Redakteursresolutionen zu diesem Thema und der allzu starke Einfluss des Betriebsrats zeigen dies, z. B.

(…) Karrieresprünge nach ORF-Wahlen, Betriebsratsschulungen in Tennis-Camps, ausgedehnte Dienstreisen rund um den Globus. (…) die Belegschaftsvertreter haben die Entwicklung des öffentlich- rechtlichen Senders über Jahrzehnte gehemmt und ORF-Wahlen für persönliche Karrieren und Privilegien genutzt. Gerd Bacher erklärte, dass Betriebsräte nicht ihre Vorgesetzten wählen sollten und dass ihr Wahlrecht im Fall des Generaldirektors und der Direktoren abgeschafft gehört. Diese befänden sich dann in Geiselhaft. Gerhard Weis setzt nach: (…) nach geschlagenen Wahlen haben Betriebsräte Karriere gemacht, Dienstautos bekommen, Familienangehörige wurden angestellt, um die Bringschuld abzubauen. Sogar geschiedene Ehefrauen seien im ORF untergekommen, damit sich die Betriebsräte die Alimente ersparen,

792 Heinz Fiedler ist seit 1964 beim ORF, vorerst als Oberbuchhalter und Leiter der Arbeitsgruppe Arbeitsplatzbewertung, Leiter Betriebliches Vorschlagswesen, Organisator und Revisor, seit 1985 Leiter des ORF-Sicherheitswesens einschl. Arbeitnehmerschutz und Betriebsärztlicher Dienst , ab 1966 Betriebsrat beim ORF, 1975 Betriebsratsvorsitzender – Generalintendanz, seit 1996 Vorsitzender des ORF-Zentralbetriebsrates, seit 12. 4. 2007 Geschäftsführender Vorsitzender der Kulturgewerkschaft Kunst, Medien, Sport, freie Berufe (KMSfB) als Mitglied der Fraktion Christlicher Gewerkschafter (VP-nahe), seit 1976 Mitglied des ORF-Kuratoriums, seit 2002 ORF-Stiftungsrat. 793 Roland Schmidl ist Historiker und seit 1971 beim Österreichischen Fernsehen, bis 2006 war er in der innenpolitischen Redaktion in vielen, auch Korrespondentenfunktionen, tätig. Er war bürgerliches Mitglied des Zentralbetriebsrats bis 2007 und ist derzeit (Ende 2008) Stellvertreter bei TW1 von Werner Mück. (Anm. d. Verf.) 794 Vgl. Fritz Wendl

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so Weis, der auf den früheren roten Zentralbetriebsratskaiser Heinz Doucha795 anspielt, der es mit einem mehr oder weniger subtilen System von Geben und Nehmen zum Technischen Direktor des ORF brachte. Aber auch Heinz Fiedler, ÖVP-Mitglied, hätte Lebensgefährtin und Sohn im ORF untergebracht. Fiedler selbst hatte damals schon alles – Dienstwagen und eine 18-er Anstellung (höchste Verwendungs- und Gehaltsgruppe im ORF, Anm. d. Verf.). Podgorski geht einen Schritt weiter und spricht von einer langen Tradition von Korruption und Bestechlichkeit.796

Die Durchführung demokratischer Entscheidungen zum Wohl des Unternehmens und somit auch zum Wohl der zum Gebührenzahlen verpflichteten BürgerInnen werden durch solche Maßnahmen ad absurdum geführt. Dezidiert fordern alle ehemaligen ORF-Generäle, dass die Betriebsräte bei der Wahl nicht mehr mitentscheiden dürfen. Der Redakteursrat fordert daher eine einer Aktiengesellschaft angepasste Regelung. Immerhin stellen die Betriebsräte ein Siebentel der Abstimmungsberechtigten im Stiftungsrat. Eine Aussage von Gerd Bacher im Zusammenhang mit Personalentscheidungen zu seiner Zeit ist ein interessantes „Demokratiedokument“: „Interventionen, wer was werden sollte, waren mir total egal. Anfangs wollten die Landeshauptleute die jeweiligen Landesintendanten bestimmen. Ich sagte ihnen, dass ich die Intendanten einstelle, die ich will, ich stelle diese bestenfalls den Landeshauptleuten vor.“797 Die innerorganisatorische Demokratie ist auf den Stiftungsrat und den eher machtlosen Publikumsrat beschränkt (Zusammensetzungen siehe im Anhang). Mit Ausnahme der letzten Wahl des Generaldirektors kam es immer wieder zu parteipolitischen Blockbildungen, die sich von Regierung zu Regierung veränderten. Erst die Wahl von Wrabetz führte zu einem Aufweichen der Strukturen dahingehend, dass es zu ungewöhnlichen Konstellationen kam (ÖVP gegen eine sogenannte Regenbogenkoalition, zusammengesetzt aus SP-, BZÖ-, FP- und Grün-Vertretern). Bezeichnend auch

795 Heinz Doucha, geb. 1942, war Zentralbetriebsratsobmann und Technikchef im ORF (von 1975–1994), galt als SP-nahe, ehe ihm eine Nähe zu Jörg Haider attestiert wurde. (Anm. d. Verf.) 796 Vgl. APA-Meldung, Nr. 0221 vom 2. 8. 2007 797 Vgl. Interview mit Gerd Bacher

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die Aussage der dem VP-Lager zuzurechnenden Betriebsratsvertreter, Fiedler und Schmidl, die sich plötzlich im Lager der Lindner-Gegner wiederfanden: „Wir wählen den, der gewinnt.“

16.5. Fernsehkonsument – ein mündiger Bürger?

Das Österreichische Fernsehen hat sich also kraft seines Auftrags in den Dienst der mündigen Bürger zu stellen. Will die durch Gebühren finanzierte Anstalt jedoch diese mündigen Bürger überhaupt? Betrachtet man das derzeitige Fernsehprogramm, so ist keinerlei Anspruch an diesen gestellt. Oder sind vielleicht zugekaufte Serien vom Förderband ein Bildungsauftrag, zu dem sich der ORF verpflichtet hat? Hollywood-Filme wie „JFK“ können sicher nicht als Teil eines Bildungsauftrags durchgehen, von diesem kann auch nicht gesprochen werden, wenn – ein Jahr nach dem Kinostart und nach einem Jahr in den privaten Videotheken – auch im ORF der „Baader-Meinhof-Komplex“ gezeigt wird. Aber die begleitende zeithistorische Aufklärung würde einem ernst genommenen Bildungsauftrag entsprechen. Genügt es, wenn unterbeschäftigte „Zeitgeschichte- redakteure“ sich im Fernsehen über ihre Sicht der Ersten Republik auslassen oder wenn, unkommentiert, die Monsterserien und von der Boulevard-Presse bejubelten Österreich I und II die Programme durchlaufen, bloß weil sie von verdienten Journalisten produziert wurden? Es sollte implizit im Bildungsauftrag auch die Erziehung zum mündigen, nämlich zum demokratiemündigen Bürger verankert sein. Das bloße Auswechseln von Personen nützt noch nichts, ändern muss sich die Einstellung und die Herangehensweise. Hans Rauscher stellte im Standard die Frage nach einer guten Erklärung für den „mündigen Bürger“:

Was ist ein „mündiger Bürger"? Jemand, der kritischen Anteil am öffentlichen Leben nimmt, sich informiert, nicht nach einer eisernen Parteipräferenz, sondern überlegt seine Stimme abgibt? Der sich vielleicht irgendwo engagiert, sei es in einer Bürgerinitiative, einer NGO, im humanitären Bereich? Der wachsam ist gegenüber allen Versuchen, die

262 16. Innere Demokratie und Das Österreichische Fernsehen – Demokratiepolitischer Führungsstile im ORF Bildungsauftrag oder Quote ?

Bürgerrechte einzuschränken und einen (politischen) Überwachungsstaat aufzubauen (jeder Polizist kann per Kaszettel eine Handy-Überwachung beantragen)?798

Fördert der ORF nach dieser Definition die Entwicklung zum mündigen Bürger? Der ORF sucht vielmehr den Schein des mündigen Bürgers, wenn es um die zahlreichen Spendenaktionen geht, die jedes Jahr – angeblich – neue Rekorde aufstellen und deren tatsächliche Kosten noch immer nicht überprüft wurden. Durch das Fernsehprogramm alleine (und schon gar nicht durch Ö3) wird kein Bürger mündig. Sogar das Kulturprogramm wirkt vorselektiert und dem boulevardesken Zeitgeist entsprechend. Wo die Netrebko, da die Kameras, küsst Villazón seine (oder irgendeine) Frau, surrt die Kamera. Wenn Elisabeth Gürtler kameragerecht die Lippizaner streichelt, steht der ORF parat – wo aber sind die Krisenherde dieser Welt, ja, die Krisenherde des Landes? Ein „Thema“ und ein „Report“ alleine reichen nicht, um der gewaltigen Gebührenfinanzierung gerecht zu werden. Und doch haben die zahlenden Bürger auch ein Recht, als mündig anerkannt oder dazu gemacht zu werden.

798 Vgl. Rauscher, Hans, Mündige Bürger, in: Der Standard vom 16. 11. 2008, S 27

263 Das Österreichische Fernsehen – Demokratiepolitischer 17. Der lange Weg des Bildungsauftrag oder Quote ? österreichischen Fernsehens

17. Der lange Weg des österreichischen Fernsehens

Quotenberechnungen sind noch immer ein Bestandteil der österreichischen Medienkultur, um natürlich auch die eigenen Verkaufs- und Auflagenzahlen zu rechtfertigen. Qualitätsmonitoring ist weniger gefragt, als Quotenhype. Der neueste Schrei bei der Berechnung von Mediadaten ist die Messzahl „gedruckte Auflage“ (von „Österreich“ erfunden, um die Gratisverteilung zu rechtfertigen). Würde man den ORF danach bemessen, wäre er unumstößlicher Anteilsführer und Beherrscher des Werbemarkts, denn alleine durch die Reichweite von beinahe 100 % deckt man die Gesamtheit der Bevölkerung ab. Die Abwanderung zu anderen Sendern ist jedoch hoch, so z. B. lagen die Seherzahlen im Beobachtungszeitraum 5.–12. September 2008 beim Spitzenreiter „TV-Diskussion Van der Bellen vs. Haider“ anlässlich der Nationalratswahl 2008 bei 883.000, „Liebesg’schichten und Heiratssachen“ bei 830.000, als beste sogenannte Spielfilmsendung erreichte „Der Bibelcode“ gerade 676.000, Hansi Hinterseer beglückte 629.000 Fans, während z. B. der „Polizeiruf 110: Taximord“ auf ARD 254.000, die Ewigserie „Der Alte“ auf ZDF noch 225.000, „Navy CIS“ auf SAT.1 220.000 österreichische Seher erreichte. ATV schaffte nur mit „Die Lugners“ einen Spitzenplatz von 157.000.799 Ein langer Weg aus der Wüste zu den Oasen steht bevor, diesen will man nun durch neue Formate schaffen, und diese sprechen nicht unbedingt für eine Ausdehnung des Bildungsangebotes: - Schwerpunkt Kochen (angeblich mit „weniger Schmäh und neuen Rezepten“800) - Comeback von „Desperate Housewives“ - „Schnell ermittelt“ – der neue Krimispaß auf ORF801 - „Starmania“ - „Fluch der Karibik, Teil 2“ - „Der Teufel trägt Prada“ - „Dancing Stars“ - „Das Rennen“ mit Armin Assinger

799 Vgl. TV-Media, Nr. 38, 2008 800 Wojta, Andreas, Fernsehkoch, in: TV-Media, Ausgabe 38, S 7 801 Vgl. http://news.orf.at, Zugriff am 15. 9. 2008

264 17. Der lange Weg des Das Österreichische Fernsehen – Demokratiepolitischer österreichischen Fernsehens Bildungsauftrag oder Quote ?

- Falco-Hype mit Folgen - „Der Besuch der alten Dame“ (immerhin Dürrenmatt) - „Da Vinci Code“ und „Borat“ - „Dirty Sexy Money“ - „Oben ohne“ und „Doctor’s Diary“ („Darauf darf sich Österreich freuen.“802) - Traurig aber wahr: „Steidls Best“ mit Dorian Steidl wurde aufgrund von Sendeplatz- und Geldproblemen abgesagt.

Grundsätzlich gibt es im Fernsehen drei verschiedenen Ebenen, die es zu betrachten gilt: zunächst die Ebene des dualen Rundfunksystems mit seinem öffentlich-rechtlichen und privaten Fernsehen, weiters die Ebene eines Senders und letztlich die Ebene einer einzelnen Sendung.803 Die Versuche, das zweite und dritte Kriterium zu erfüllen, wurden oben kurz angerissen und als unzureichend erachtet. Auf der Ebene der Sendung ist für die Qualitätsbeurteilung das Genre ausschlaggebend. An eine Informationssendung werden eben andere Ansprüche gestellt als an eine Kinder- oder eine Non-fiction-Sendung.804 Außerdem gelten für die Beurteilung durch einen Wissenschaftler andere Aspekte als durch ein Kontrollgremium oder durch das ganz große Gremium, die Vielzahl der Konsumenten. Ein Wissenschaftler sieht den Inhalt eines Produkts und die Richtigkeit, während ein Kontrollgremium die Objektivität des Berichts und teils auch die Wirtschaftlichkeit zu betrachten hat. Dabei wird manchmal das Bedürfnis des Konsumenten, noch dazu des zahlenden Konsumenten, im öffentlich- rechtlichen Fernsehen außer Acht gelassen. Möchte er sich informieren oder sich einfach nur entspannen oder gar ablenken? Manchmal bemüht sich der ORF auch in seiner Außeninformation gar nicht mehr, den Qualitätsanspruch herauszustellen, sondern argumentiert, wie oben, mit der Quote. Die Professionalität eines Programms bezieht sich sowohl auf die gestalterische als auch auf die inhaltliche Dimension.805 Der Einkauf von Programmen kann auch professionell abgewickelt werden, der „Fast-ausschließlich-Bezug“ ist bedenklich und wenig qualitätsfördernd.

802 Vgl. TV-Media, Ausgabe 38 803 Vgl. Derdak, Dieter, Qualitätsmonitoring im öffentlich-rechtlichen Rundfunk, Wien 2004, S 44 804 Vgl. ebd., S 44 805 Vgl. Derdak, S 47

265 Das Österreichische Fernsehen – Demokratiepolitischer 17. Der lange Weg des Bildungsauftrag oder Quote ? österreichischen Fernsehens

Christian Clerici, ehemaliger ORF-Präsentator806 – jedoch etwas unangepasst –, reagiert darauf mit den Worten: „Dem ORF fehlt manchmal der Mut, neue Dinge zu probieren.“807 Bei der Betrachtung der geballten Neuerungen, die ohnehin knapp vor dem Jahreswechsel kommen, fehlen Bildungsformate bzw. neue Informationssendungen. So bleibt dies dem Spartenkanal TW1 überlassen, mit dem „Haus Europa“ oder „Bei Barazon“ eine Lücke zu schließen. Jedoch wurde TW1 eigentlich als Sportkanal eingekauft und nicht als Informationsschiene. Jedenfalls präsentiert sich das Kinderprogramm neu, indem es Thomas Brezina überlassen wurde, neue Sendungen zu entwickeln und dadurch den etwas ergrauten „Confetti“ samt seiner Ratte abzulösen. Die Mini-ZiB entsteht in einer anderen Richtung, um den jüngsten Zusehern die Möglichkeit zu geben, sich auf die Welt vorzubereiten. Im Zeitalter der Wahlberechtigung ab 16 Jahren fehlen jedoch in diesem sensiblen Bereich entsprechende politische Aufklärungsideen, die durchaus einem „demokratiepolitischen Bildungsauftrag“ entsprächen. Auffallend bei den sogenannten Neuerungen sind die ständig gleichbleibenden ModeratorInnen, wie z. B. Arabella Kiesbauer, Alfons Haider, Mirjam Weichsel- braun, die zu regelrechten Stilikonen aufgebaut wurden. Lizzy Engstler und Barbara Stöckl oder Barbara Karlich wurden schon erwähnt, Reinhard Jesionek wurde wieder reanimiert. Ohne Ingrid Thurnher gäbe es wohl keine wirklich vergleichbare Talkerin. Grundsätzlich werden derzeit, anno 2009, neue Projekte schon wieder infrage gestellt, weil die Sparmaßnahmen die Verantwortlichen dazu zwingen. Daher wird man sich wiederum auf den Einkauf von Billigserien beschränken, die aber, wie erwähnt, mit einem Bildungsauftrag und somit dem öffentlich-rechtlichen Auftrag nichts zu tun haben.

806 Clerici begann 1989 beim ORF und präsentierte 1990–1995 das Magazin „X-Large”, dann wechselte er nach Deutschland, war aber auch auf österreichischen TV-Schirmen durch „Herzblatt“ präsent. Einige Quizsendungen wurden von ihm moderiert. Clerici beherrscht neben seinen Fähigkeiten vor der Kamera auch das Handwerk hinter bzw. mit der Kamera. Als Regisseur und Gestalter hat er für verschiedene Sender TV-Features realisiert, derzeit ist er bei einigen Privatsendern in Deutschland unter Vertrag.(vgl. http://kundendienst.orf.at/orfstars/clerici.html, Zugriff am 30. 11. 2008) 807 Vgl. Clerici, Christian, in: TV-Media, Ausgabe 38, S 28

266 17. Der lange Weg des Das Österreichische Fernsehen – Demokratiepolitischer österreichischen Fernsehens Bildungsauftrag oder Quote ?

17.1. Stellt sich der ORF selbst infrage?

„Unser Gott, die Quote“ – so betitelt sich ein umfassender Artikel in der Zeit vom 18. Februar 2009 im Zeitungsbuch Dossier.808 Es geht zwar nicht um das österreichische Fernsehen, sondern um die öffentlich-rechtlichen TV- und Radioanstalten in Deutschland, also ARD und ZDF, dieser Artikel hätte jedoch mit eben denselben Worten über Österreich geschrieben werden können. Denn ebenso, wie es die Autoren für ARD und ZDF feststellen, ist auch der ORF auf dem besten Weg, sich selbst abzuschaffen. Die öffentlich-rechtlichen Anstalten haben in ihren Angeboten der Bildung, Information, Beratung und Unterhaltung zu dienen. Sie haben Beiträge – insbesondere zur Kultur – anzubieten.809 Was die Autoren Deutschland zuschreiben, gilt haarscharf auch für Österreich. Kaum noch jemand, der an Bildung denkt, würde in diesem Zusammenhang an das Österreichische Fernsehen denken. Auf die Frage, wie lange es den ORF noch geben wird, strahlt der ehemalige Informationsintendant von RTL, Hans Mahr, Skepsis aus: „Ich hoffe, noch lange, aber es gibt keine Garantie dafür. (…) der ORF hat Satellit und Internet verschlafen.“810 Eine Ausnahme im Gesamtangebot des ORF ist ausschließlich der Radiosender Ö1. Noch vor rund zwei Jahrzehnten sprach keiner über die Quote, mit dem Aufkommen der Privatsender änderte sich das drastisch. Und auch der ORF sucht sich kaum Nischen, sondern will die Privaten in ihrem Kompetenzbereich der leichten Unterhaltung konkurrenzieren. Die Sparpläne, die vorgelegt wurden, geben auch schon deutlich die Richtung vor: Gespart wird bei Kultur und Dokumentationen, die ohnehin nur noch, wenn überhaupt, zu nachtschlafender Zeit gesendet werden. Wie bereits mehrfach erwähnt, sollten das Fernsehen und die ORF-Verantwortlichen nicht darangehen, Inhalte infrage zu stellen und dadurch ihrem Bildungsauftrag nicht mehr nachzukommen, sondern man sollte die Struktur des Entstehens von Produktionen anzweifeln, denn noch immer gilt, dass jede ORF-eigene Produktion wesentlich teurer ist als Fremdproduktionen (so z. B.

808 Vgl. Lebert, Stephan/Willeke, Stefan, Unser Gott, die Quote, in: Die Zeit, Nr. 9/2009, 19. 2. 2009, S 13 ff. 809 Vgl. ebd. 810 Mahr, Hans, in: News, Interview mit Tatjana Dufek, Nr. 24/2009, S 33

267 Das Österreichische Fernsehen – Demokratiepolitischer 17. Der lange Weg des Bildungsauftrag oder Quote ? österreichischen Fernsehens

braucht der ORF alleine zu einem – eher mäßigen811 – Doppelinterview mit dem Wiener Bürgermeister Häupl und dem niederösterreichischen Landeshauptmann Erwin Pröll am 13. Jänner 2009 gleich vier Teams mit mehr als 30 Personen812), was auch an den starren Arbeitszeiten und der Vielzahl von Mitarbeitern, die angeblich benötigt werden, liegt. Der ORF ist eines der bestzahlenden Unternehmen mit durchschnittlichen Personalkosten von 93.764 Euro pro Jahr, im Vergleich zahlt das ZDF 88.055 Euro, die Telekom-Austria 58.241 Euro.813 Dazu kommt noch das veränderte Konsumentenverhalten, dem die öffentlich- rechtliche Fernsehanstalt mit den alten Rezepten begegnen will.

Das Fernsehen und seine Inhalte werden immer konservativer. Der Raum für kreative Experimente und Innovationen wird aufgrund des durch den Digitalisierungsprozess stärker werdenden Konkurrenzdrucks zunehmend enger.814

Und Kreativität in der Programmgestaltung wird notwendig sein, denn die Fernsehverantwortlichen haben es mit einer völlig geänderten Denkstruktur der Konsumenten zu tun. Nicht nur das Abwandern ins Internetangebot macht ein verstärktes Engagement in diesem Bereichen nötig, sondern auch die Tatsache, dass die riesige Auswahl an vielen zur Verfügung stehenden Programmen viele TV-Konsumenten ziellos hin- und herwandern lässt. Wie Lebert und Willeke in der „Zeit“ feststellen, ist die einzige ARD-eigene Produktion, die vorbildlich läuft, der „Tatort“, der auch zunehmend für politische Aufgeschlossenheit und Minderheiten- verständnis eingesetzt wird.815 Der „Tatort“ schafft es auch, Jung und Alt gleichermaßen zu binden und ein Wegschalten zu verhindern. Interessant auch das Stimmungsbild, das anhand der Aussage eines WDR-Redakteurs gezeichnet wird:

811 Vgl. ORF-Stiftungsrätin Monika Langthaler im Trend 3/2009, S 29 812 Vgl. Ecker, Bernhard, Lampl, Andreas, ORF – TV brutal, in: Trend 3/2009, S 29 ff. 813 Vgl. Geschäftsberichte 2007, in: Trend 3/2009, S 30 814 Vgl. von Senden, Caroline, Leiterin der Redaktion Fernsehfilm I beim ZDF, 30. Jänner, im Rahmen einer Podiumsdiskussion auf dem „TV-Motion“-Symposium in Wien 815 Vgl. Lebert, Willeke, S 17

268 17. Der lange Weg des Das Österreichische Fernsehen – Demokratiepolitischer österreichischen Fernsehens Bildungsauftrag oder Quote ?

Wenn ich Bildungsauftrag sage, dann fragt mich jeder: Wo kommen Sie denn her? (…)Bildungsauftrag war das Wort der Leute, die heute in Rente sind. 816

Beim ORF ist ein kräftiger Kahlschlag geplant, weil sich die Quoten und die Werbeeinnahmen im Sinkflug befinden.817 Sport, Kultur, Dokumentationen und auch politische Sendungen werden gekürzt und eine Übersiedlung in einen modernen Neubau ist geplant. Nur der Skisport wird weiterhin seinen Platz – in diesem Riesenausmaß einzigartig in der Welt – finden. Sogar „Bundesland heute“ steht zur Disposition, wobei sich hier bereits eine Tür für Konflikte mit den Landeshauptleuten öffnet. Dass das Programm sich auch in umstrittenen Zeiten wie diesen nicht verbessert, zeigt ein Blick auf Programmänderungen im März 2009: Der Donnerstagabend eröffnet auf ORF 1 in Zukunft wieder einmal eine neue Dimension der Erneuerung, denn die US-Serien „Dr. House“ und „CSI“ werden am Donnerstag um 20.15 Uhr zur besten Sendezeit gebracht. Und der Montag wird dann mit „Desperate Housewives“ und den anderen „CSI“-Staffeln bestückt, während die US-Serie „Criminal Intent“ auf Mittwoch, ebenfalls 20.15 Uhr, verlegt wurde. Somit kann sich bei genauer Betrachtung schon verwirklichen, was diskutiert wird, nämlich die Beschränkung des ORF auf einen Programmkanal. Dieser muss aber dann wirklich mit den Gebühren finanziert werden und daher eindeutig dem öffentlich-rechtlichen Standard entsprechen. Was aber sagt die wieder stark mitbestimmende Politik dazu? Zu den Inhalten hört man relativ wenig, auf die Form und die Personen kommt es an, denn Politiker sind noch immer stark damit beschäftigt, abzuzählen, ob bei Talkshows oder Nachrichtenmeldungen die eine oder andere Partei vielleicht kurz einmal stärker vertreten war. Der öffentlich-rechtliche Rundfunk kommt auch europaweit zunehmend unter Druck.818 Für das Institut für „Journalismus und Medienmanagement“ ist für die Zukunft des öffentlich-rechtlichen Auftrags die Präzisierung und regelmäßige

816 Vgl. ebd., S 15 817 Vgl. Wurnitsch, Martin, ORF in der Krise, in: TV-Media, Nr. 50, 6.–12. 12. 2009 818 Vgl. Mehr Qualität und Unabhängigkeit für den ORF, Was Österreich von BBC & Co lernen kann, in: Forschungsprojekt Public Value, Institut für Journalismus und Medienmanagement der FH Wien, Projektleitung Reinhard Christl, Wien 2009

269 Das Österreichische Fernsehen – Demokratiepolitischer 17. Der lange Weg des Bildungsauftrag oder Quote ? österreichischen Fernsehens

Aktualisierung desselben notwendig.819 Die BBC beispielsweise – für den ORF werden derartige Kriterien nicht in Erwägung gezogen – muss als öffentliche Institution auf „Freedom of Information Act“ einen Großteil der internen Dokumente und Berichte für alle zugänglich machen.820 Hier wird auch besonders das Publikum in die Entscheidungsprozesse einbezogen, in Österreich eher die Politik. Weiters heißt es in dieser öffentlich kaum diskutierten Studie:

Auch die besten und ausgeklügeltsten Verfahren zur Qualitätssicherung helfen wenig, wenn die Vorgaben nicht messbar bzw. überprüfbar sind. In Deutschland verpflichtet sich beispielsweise das ZDF in seinen Programmleitlinien, die alle zwei Jahre aktualisiert und veröffentlicht werden müssen, die Hauptsendezeit zwischen 19 und 23 Uhr zu 40 Prozent mit Informationssendungen zu gestalten. In den Informationssendungen „heute“ und „heute-journal“ muss darüber hinaus zu 38 bis 44 Prozent der Sendezeit über Politik berichtet werden. Im United Kingdom geben Ofcom und Trust der BBC unter anderem Quoten für die Zusammensetzung des Personals vor. So sollen bis Jahresende 12,5 Prozent der Beschäftigten einer ethnischen Minderheit angehören und der Anteil von Mitarbeitern mit Behinderungen auf 5,5 Prozent erhöht werden. Letztes Jahr wurden diese Ziele nicht erreicht, weshalb die zuständigen Bereichsleiter einen Teil ihrer Bonuszahlungen nicht erhalten haben. Konkrete Vorgaben für die Umsetzung schaffen Klarheit darüber, wie der öffentlich-rechtliche Auftrag zu interpretieren ist. Verbindliche Kriterien zur Ausgestaltung des öffentlich- rechtlichen Auftrags wären auch in Österreich notwendig.821

Nachdem jetzt aber schon hinreichend über „Bildungsauftrag“ und „Programmauftrag“ geschrieben wurde, sollte auch einmal ein Blick ins zum Zeitpunkt der Erstellung dieser Arbeit aktuelle ORF-Programm geworfen werden. ORF 1 bringt an einem Tag 30 Serien, wovon zwei von ORF-Teams produziert wurden822, weitere zwei wurde in einer Koproduktion gemacht, es gab die Sendung „Dancing Stars“, deren Format ebenfalls zugekauft ist und die auch in

819 Vgl. ebd., S 1 820 Vgl. ebd., S 3 821 Vgl. ebd., S 2 f. 822 Programm vom 31. 3. 2009

270 17. Der lange Weg des Das Österreichische Fernsehen – Demokratiepolitischer österreichischen Fernsehens Bildungsauftrag oder Quote ?

anderen internationalen Programmen ähnlich gestaltet wird (ob mit mehr oder weniger Qualität der heimischen Moderatoren soll nicht zur Diskussion stehen), rund 50 Minuten „Zeit im Bild“ in den verschiedenen Varianten und die „Seitenblicke“.823 In ORF 2 ist am Morgen das „Wetterpanorama“ zu sehen, das wohl kaum dem Programmauftrag entspricht, dazu 26 eigen- oder von örtlich benachbarten Unternehmen produzierten Formate, die bis zwei Uhr früh wiederholt werden. Eine „Universum“-Sendung von der BBC, ein Spielfilm, sechs zugekaufte Serien sowie zehn Minuten Werbung für die „Dancing Stars“ auf ORF 1. Der ORF ist ja kraft eines Beschlusses des Nationalrats vom 1. April 2001 (!) verpflichtet, in einem „Public-Value-Bericht“ die Erfüllung des Programmauftrags nachzuweisen und zu begründen. Ein Höhepunkt des Berichts ist traditionell der Nachweis, dass der ORF Paragraf 4, Absatz 3 des nach ihm benannten Gesetzes, also des ORF-Gesetzes, erfüllt. Darin heißt es:

Die Jahres- und Monatsschemata des Fernsehens sind so zu erstellen, dass jedenfalls in den Hauptabendprogrammen (20 bis 22 Uhr) in der Regel anspruchsvolle Sendungen zur Wahl stehen. Im Wettbewerb mit den kommerziellen Sendern ist in Inhalt und Auftritt auf die Unverwechselbarkeit des öffentlich-rechtlichen Österreichischen Rundfunks zu achten. Die Qualitätskriterien sind laufend zu prüfen.824

Harald Fidler schreibt im „Standard“ vom 1. April – durchaus nicht scherzhaft –, wie sich der ORF für Teile seines Programms heuer rechtfertigte und dabei kommen wahre Stilblüten zustande („Bei uns in der Redaktion werden solche durchaus lustigen Traditionen nicht gepflegt“, so Fidler am 17. Juli 2009 in einer Mail an den Verfasser).

Der ORF wählte als Beispiele dafür je eine Woche im März und eine im Oktober, hier ein Auszug:

823 Vgl. ebd. 824 Vgl. Bundesgesetz über den Österreichischen Rundfunk (ORF-Gesetz, ORF-G) BGBl. I Nr. 83/2001

271 Das Österreichische Fernsehen – Demokratiepolitischer 17. Der lange Weg des Bildungsauftrag oder Quote ? österreichischen Fernsehens

 Champions League: ORF-Begründung: „Sportberichterstattung auf hohem Niveau, fördert das Interesse des Publikums an sportlicher Betätigung." Die Champions League läuft in anderen Ländern ähnlich qualitätsvoll in Privatsendern.  Fußball-WM-Qualifikationsspiel: Österreich – Serbien, siehe Champions League  „Dr. House“: „In der Fachwelt anerkannte, mehrfach ausgezeichnete Ärzteserie.“ Läuft etwa auch gebührenfrei in RTL.  „Troja“: „Mehrfach für den Oscar nominierter Unterhaltungsfilm; mehrere Filmpreise"  „Millionenshow", Sportler-Ausgabe: „Spezialausgabe des in der Fachwelt anerkannten Unterhaltungsformats mit starkem Österreichbezug, das zur Förderung der Volks- und Jugendbildung beiträgt." Selbiges Format läuft etwa in RTL.825

Damit zeigt sich auch, wie verkrampft bemüht der ORF ist, auch nur halbwegs die Erfüllung seines Programmauftrags zu begründen. Aber die Pflicht und das Interesse der per Gesetz zwangsverpflichteten Gebührenzahler ist es, dass sie das für ihr Geld bekommen, was ihnen zugesagt wurde. Und ob der ORF den Programmauftrag, den er sich selbst auferlegt, erfüllt, ist alleine durch obige Begründungen mehr als zweifelhaft und zumindest für beide Fernsehprogramme nicht erfüllt. Ein Rechtsstreit mit dem ORF hieße auch, einen Rechtsstreit mit der Politik zu beginnen. Jedoch, wenn jemand dieses Risiko eingeht (und die finanziellen Ressourcen dazu hat), hätte dies nicht absehbare Folgen. Das Österreichische Fernsehen kann sich jedoch nicht so einfach aus der Verantwortung stehlen, da helfen auch „Public-Value-Kompetenzzentren“ und endlose Rechtfertigungsschleifen nichts. Durch eine kreative, andere Art der Abrechnung muss es möglich sein, dass das öffentlich-rechtliche Fernsehen wieder zu seinen Grundaufgaben zurückkehrt. Auch der Generaldirektor kann sich mit seiner lapidaren Aussage, dass „kein Bildungsauftrag per se“ (siehe oben) besteht, nicht dem Vorwurf entziehen, genauso wie die ewigen Hüter des öffentlich-rechtlichen ORF-Schatzes, dass an den Bedürfnissen der Konsumenten

825 Vgl.Fidler, Harald, Wie der ORF seinen Programmauftrag erfüllt, in: Der Standard, 1. 4. 2009, S 22

272 17. Der lange Weg des Das Österreichische Fernsehen – Demokratiepolitischer österreichischen Fernsehens Bildungsauftrag oder Quote ?

vorbei produziert wird. Und zwar an den Bedürfnissen, für die der Gesetzgeber diese zur Zahlung verpflichtet. Für das Abspielen endloser Wiederholungen oder für im Sendungssupermarkt zugekaufte Serien muss keine Gebühr von allen bezahlt werden, noch dazu, wenn man diese Serien gratis auch in anderen Sendern konsumieren kann. Jedenfalls wird man sich dieses System überlegen müssen, wenn man nicht Gefahr laufen will, einmal eine Feststellungsklage zu riskieren. Das Szenario, das sich hier aufbauen kann, ist, dass Gebührenzahler nicht nur der Gebühren wegen eine Feststellung wollen, sondern auch wegen der Erfüllung des Programmauftrags; dies führt dann zu Rückschlüssen auf die Praxis der Zahlungsverpflichtung. Der Medienexperte und Rechtsanwalt Dr. Thomas Höhne von der Kanzlei Höhne, In-der-Maur & Partner stellt aufgrund einer Anfrage des Verfassers fest, dass der ORF

keinen Bildungsauftrag(?) habe, weil die Überschrift des § 4 ORF-G in der Tat „Programmauftrag“ lautet. Den insgesamt 18 Ziffern des § 1 ist allerdings durchaus zu entnehmen, dass so etwas wie ein „Bildungsauftrag“ natürlich vom Gesetzgeber beabsichtigt ist. (…) gemäß § 36 Abs.1 Z 1 Lit b entscheidet der BKS (= Bundeskommissionssenat zur Wahrung des Rundfunkgesetzes, Anm. d. Verf.) über die Verletzung von Bestimmungen dieses Bundesgesetzes eines die Rundfunkgebühr entrichtenden (oder von diesen befreiten) Rundfunkteilnehmers, sofern die Beschwerde von mindestens 120 solchen Personen unterstützt wird.826

Wenn sich also 120 Personen in Österreich zusammenfinden, könnte hier die Gebührenzahlung rechtlich hinterfragt werden.

826 Auszug aus dem Brief von Dr. Thomas Höhne an den Verfasser, datiert mit 14. 7. 2009, Zeichen 1/09/sa/1547

273 Das Österreichische Fernsehen – Demokratiepolitischer Bildungsauftrag oder Quote ? 18. Resümee

18. Resümee

Das Fernsehen des öffentlich-rechtlichen Auftrags ist in dieser Form unzeitgemäß und nicht mehr finanzierbar – dies geht eigentlich aus allen Stellungnahmen der Interviewten hervor. Und doch wird die Bedeutung des Programmauftrags im öffentlich-rechtlichen Sinne und die Verpflichtung zum Bildungsauftrag allerorten bekräftigt. Wie soll diesem aber nachgekommen werden, wenn die Cashcow des gesamten Unternehmens das Hörfunkprogramm von Ö3 ist?827 Und das ist von der Erfüllung des Bildungsauftrags meilenweit entfernt, auch deshalb, weil seine Aufgabe anders definiert wurde. Oder die aufgeblähte Wetterredaktion: Allein 34 Mitarbeiter arbeiten in dieser Redaktion, die Wetterinformanten der Hohen Warte nicht mitgerechnet.828 „Quo vadis“ heißt in diesem Zusammenhang nicht nur wohin, sondern auch „wie“ und „wer“. Denn eines scheint evident – dass es im ORF allgemein und beim Fernsehen im Speziellen an den Menschen fehlt, die die nötigen Visionen haben, Vorstellungen für die Zukunft entwickeln und ein Rüstzeug an Kreativität aufweisen. Die Verantwortlichen haben aufgrund des herrschenden politischen Allgemeingutes in Zeiträumen von Regierungsbildungen zu denken und dabei die großen Zusammenhänge zu vernachlässigen. Wie prekär die Situation ist, zeigen die Stellungnahmen für die notwendige Budgetkonsolidierung 2009, wie schon in der Einleitung erwähnt. Zu den 2008 erwarteten 100 Millionen Euro kommen laut Dr. Wrabetz 2009 noch 29 Millionen Euro dazu829, wobei Experten diese Zahl stark anzweifeln und sie nur zu halten sein wird, wenn die Werbung nicht weiter einbricht.830 Und auch die angepeilte Nulllohnrunde wird vom Zentralbetriebsrat infrage gestellt: „Für jeden Sparplan des ORF von ‚Wochenschau’ über Oper im Hauptabend bis Nulllohnrunde findet

827 Vgl.: Ö3 erwirtschaftet laut Ertragsrechnung des ORF 2007 insgesamt 69,2 Millionen Euro an Werbeerlösen bei Gesamtkosten von 14,9 Millionen Euro (Auskunft Alexander Horacek, Medienkommunikation ORF per Mail vom 18. 12. 2008). Dies ergibt natürlich einen enormen Überschuss, alleine wenn man die jetzt eingeforderten Gebührenbefreiungskosten von 56 Mill. Euro gegenüberstellt. Hier ist also Ö3 bei Weitem der größte Erlösbringer des ORF. Ö3 erfüllt auch keinen Bildungsauftrag, mit Ausnahme der stündlichen Nachrichten, muss sich also per definitionem selbst finanzieren 828 Vgl. Die Presse vom 23. 11. 2008, S 6 829 Vgl. Bericht über eine Pressekonferenz von Dr. Wrabetz, in: Die Presse vom 18. 11. 2008, S 33 830 Vgl. Wallnöfer, Isabella, ORF: Auch 2009 Millionenverluste, in: Die Presse vom 18. 11. 2008, S 33

274 Das Österreichische Fernsehen – Demokratiepolitischer 18. Resümee Bildungsauftrag oder Quote ?

sich ein Rat, der dagegen protestiert. Stiftungsräte wählen die ORF-Chefs.“831 Dazu sollen Einsparungen von 84 Millionen Euro bei Sport- und Auftragsproduktionen, beim Sachaufwand in der Direktion, in Betrieb und Verwaltung kommen. Das heißt auch, dass in Zukunft weniger Programm produziert und man sich weiterhin auf dem Anbietermarkt zu geringen Einkaufs- kosten bedienen wird. Dass natürlich gerade hier Dokumentationen und Wissens- und Bildungssendungen massiv betroffen sein werden, ist nicht nur eine der Schlussfolgerungen des Verfassers. Dass durch diese Neuorientierungen gerade das Personal betroffen sein wird, liegt beim Gehaltsschema auf der Hand, obwohl daran kaum zu rütteln ist, da es sich um fixe Verträge handelt:

2007 errechnete der ORF selbst 93.764 Euro Personalaufwand pro Kopf. Wesentlich günstiger kommen den Konzern die Tochterfirmen: 28.900 Euro kostete ein Mitarbeiter der Gebührenservices GIS, 42.300 Euro bei der Werbetochter Enterprise, 43.900 Euro bei der Onlinetochter. Dazu darf man aber noch Zulagen addieren, zumindest für die länger Dienenden. Auch da will Wrabetz sparen, und hier beweist die Anstalt Erfindungsgeist: Der ORF legt etwa für Wohnung 99 Euro, für Kinder bis 18 Jahre 112 Euro, für Reinigungskosten der Kleidung monatlich 43 Euro dazu. Darüber hinaus kennen die Verträge Zulagen für Nacht- und Wochenenddienst, Fahrzeitvergütungen, Dienst-, Schutz- und Gesellschaftskleidung, Höhen- zulage, Wegegeld, Schmutzzulage. Und die Direktoren? 348.500 Euro verdient ORF-Generaldirektor Wrabetz, Direktoren kassieren 250.000 Euro, Landesdirektoren kommen auf bis zu 190.000 Euro.832

Hier soll nicht dem österreichischen Neidkomplex das Wort geschrieben werden, sondern es gilt, dass, wenn mit öffentlichen Geldern agiert wird, ein Programmauftrag zu erfüllen ist und dieser auch umgesetzt werden muss, ohne finanzielle oder berufliche Privilegien für die Führungskräfte.

831 Vgl. Fidler, Harald, ORF drohen Blut und Tränen, in: Der Standard vom 17. 11. 2008, S 17 832 Vgl. Fidler, Harald, Österreichs Medienwelt von A bis Z, Wien 2008, S 57

275 Das Österreichische Fernsehen – Demokratiepolitischer Bildungsauftrag oder Quote ? 18. Resümee

Als vor eineinhalb Jahrzehnten die Kommerzkanäle ihre Frequenzen zugeteilt bekamen, konnten sie unbelastet von Bildungsaufträgen mit Gameshows und Softpornos loslegen, sie hatten die Freiheit, „den Zuschauer zu entdecken"833 und dessen Lust am Trivialen zu bedienen.834 Sie waren aber auch dazu genötigt, denn die Werbewirtschaft kaufte teure Spotminuten nur, wenn das Umfeld stimmte. Dem öffentlich-rechtlichen Sender wurden immer andere Maßstäbe auferlegt, er war nie so frei wie die Privaten. Der Programmauftrag verpflichtete den ORF, das Volk aufzuklären, und zwar mit Qualität. Dafür bekamen sie Gebühren. So war das Gelände vermessen, und die Medienpolitiker und die Fernsehkritiker freuten sich auf den Wettlauf von Geschäft und Anspruch.835 Die Gebührenstruktur ist eine sehr diffizile, da, wie oben erwähnt, der ORF zwar Gebührenbefreiungen laut Gesetz einräumen muss, diese aber vom Gesetzgeber, dem Staat, nicht refundiert erhält. Außerdem wurden infrastrukturelle Maßnahmen, somit auch Einsparungspotenziale, zu wenig realisiert. Die Produktionskosten erscheinen auch dem Rechnungshof als zu hoch, obwohl keine nennenswerten Eigenproduktionen getätigt wurden. Man könnte auch resümieren, dass in guten Zeiten Geld für Prestigeprojekte ausgegeben wurde, ohne dass auf mögliche Miseren und schlechte Zeiten Rücksicht genommen wurde. Hunderte Mitarbeiter wurden in den vergangenen Jahren neu angestellt, der Personalstand stieg von 2.483 im Jahr 2003 auf 3.431 2006.836

Schon gleich nach dem Amtsantritt Bachers wurden auch neue Funkhäuser geplant und mit hohem technischen Aufwand ausgestattet. In jedem der Landesstudios wurde eine Gesamtanlage mit allen für einen vielseitigen Betrieb notwendigen Anlagen und Einrichtungen errichtet.837 Nunmehr sollen die Landesstudios wieder ausgegliedert und an die Länder zurückgegeben werden, die diese Kulturabgabe selbst zu finanzieren haben, anstatt sie an den ORF zu entrichten.838 Die Landesstudios werden dann in der jetzt bestehenden Funktion der „Landeshauptmannstudios“ einzementiert. Der Landeshauptmann/die

833 Vgl. Thoma, Helmut, ehemaliger Chef von RTL, in: Die Zeit, Nr. 39/2000 834 Vgl. Sichtermann, Barbara, in: Die Zeit, Nr. 39/2009 835 Vgl. www.zeit.de/2000/39/200039_m_sichtermann.xml, Zugriff am 28. 6. 2009 836 Vgl. Fidler, S 69 837 Vgl. ORF-Almanach 1971, S 149 838 Vgl. Fidler, Harald, Standard vom 12. 11. 2008, S 14

276 Das Österreichische Fernsehen – Demokratiepolitischer 18. Resümee Bildungsauftrag oder Quote ?

Landeshauptfrau im eigenen Studio (statt wie bisher im ORF-Studio) in immer wechselnden Farben und Licht, damit mehrere Tage über das neue oder alte Outfit Diskussionsstoff gegeben ist. Sicherlich war es eine der Intentionen zu Beginn des ORF, sich die Gunst der mächtigen Landesväter zu sichern. Diese zur Schau gestellte Großmannssucht in einem neun Mini-Länder umfassenden Fernsehstaat fällt heute auf die triste Gesamtsituation zurück. Und vor allem wird dadurch der Reprovinzialisierung Vorschub geleistet – von der Inter- nationalisierung unter Kreisky zur Redimensionierung auf das Niveau von Volksmusik samt Landeshauptmannkommentar. Dies erscheint dem Verfasser ein weiter Weg zurück zu den Ursprüngen der Politisierung des Fernsehens. Diese Neustrukturierungen dürfen nicht nur im Lichte der Kosten, sondern zuerst im Lichte der Erfüllung des Programmauftrags gesehen werden. Auch der unter Bacher errichtete ORF-Zentralkomplex am Küniglberg mit seinen 70.000 m² soll verkauft und die Zentrale an anderer Stelle errichtet werden. Wie die Programmkämpfe letztlich ausgingen, ist bekannt und wurde schon ausführlich erörtert. Die RTL- und die ProSieben-Gruppe mit ihren zahlreichen Sendern strahlten auch in unser Land verstärkt herein und wurden zusehends mit eigenen Werbefenstern präsent. Das Knabbern an den Einnahmen wurde spürbar, Untersuchungen zeigen, dass ca. 400 Millionen Euro durch diese Werbefenster an die Privaten verloren gehen. Fernsehen war (und ist noch immer) ein Medium, das weltweit kommuniziert; vor allem durch neue Techniken gelingt es, Sender aus aller Welt zu empfangen, sodass durchaus die in Österreich lebenden Minderheiten Programme aus ihrer Heimat sehen können. Es ist das Fenster zur Welt, zunehmend abgelöst durch das Internet und dessen Social Communitys. Die Quoten der ersten Mondlandung waren maßgebend, aber auch einige Jahre später das Elvis-Konzert in Hawaii oder – in Österreich besonders beliebt – pompöse Begräbnisinszenierungen839; sie zeigten, dass schon in frühen Zeiten das Fernsehen ein unabdingbarer Bestandteil unserer Gesellschaft war. Das österreichische Fernsehen ist, wie andere vergleichbare auch, einem Vollprogramm verpflichtet und legt Kriterien an, wie sie für Minderheiten- programme gelten. Manche verwickeln sich in einen typischen Widerspruch, wenn

839 So wurden am 7. Juli 2009 in einer mehrstündigen Sondersendung auch die Trauerfeier- lichkeiten rund um den Tod Michael Jacksons live übertragen und es wurde eine Art Jahresrekordmarke erzielt.

277 Das Österreichische Fernsehen – Demokratiepolitischer Bildungsauftrag oder Quote ? 18. Resümee

einerseits der Mut zum völligen Verzicht auf Quotenrücksicht eingefordert, andererseits einem Sender ohne Zuschauer das Aus prophezeit wird. Der Zielkonflikt bleibt: Man will gutes Programm anbieten, aber auch das große Publikum binden. „Vollprogramm" heißt nun, dass vor allem im öffentlich- rechtlichen Sender eine Art „Heimatgefühl“ vermittelt wird, denn sicherlich gibt es immer wieder unterschiedliche Interessenslagen, jeder will sich im Programm erkennen. Dass aber derzeit die werberelevante Zielgruppe verloren geht, hat einerseits mit der wenigen Spannung, die der ORF erzeugt, zu tun und andererseits mit dem verstärkten Wettbewerb auf dem Kommunikationssektor. Der ORF kann nicht nur auf Qualität im Sinne eines Minderheitenprogramms setzen, er muss sein Programm auch breit und populär halten; und wer genau hinschaut, weiß, dass Bildung und Meinungsbildung im öffentlich-rechtlichen Fernsehen immer noch vorkommen, und zwar differenzierter als zu Zeiten des reinen Monopols; und dass solche Angebote hier weitaus dichter gesät sind, als bei der privaten Konkurrenz. Die Wahrheit ist, dass der Gebührensender sich genauso am Markt behaupten muss wie die Kommerzsender, und dass er deshalb gar nicht darum herumkommt, auf die Quote zu achten.840 Die Frage ist nicht nur, ob das Fernsehniveau den Gebühreneinzug rechtfertigt, sondern der Mix eines solchen überhaupt noch für Geld gekauft werden will. Ein Vollprogramm kann durch seine Differenzierung in der Programmgestaltung gerade für „Bildung durch Fernsehen“ Vorteile bieten. Eine andere Aufteilung, wie sie auch in den USA üblich ist, bedeutet für den deutschen Sprachraum, dass z. B. qualitative Dokumentar- und Spielfilme bei ARTE, Sportsendungen in eigenen Kanälen, die Nachrichten und Infos bei N24 oder n-tv konsumiert werden, was Bildungsunterschiede eher prägen wird. Das Publikum liebt jedenfalls vieles: Trash, Quizshows, (mittlerweile boomartig) Kochsendungen, aber auch das Besondere. Der oder die Seher wollen sich auch mit dem Ernst des Lebens befassen, der durch Kabaretts, durch Satire und durch das Triviale ebenfalls vermittelt werden kann. ORF-Produktionen bestätigen, dass der österreichische Humor beispielsweise ausgeprägter und subtiler sein kann, als der deutsche. „Wir sind Kaiser“ und „Willkommen Österreich“ im Rahmen der „Donnerstag Nacht“ gibt es erst seit knapp drei Jahren; alle diese Sendungen wurden ein vollkommener

840 Vgl. Sichtermann, w. o.

278 Das Österreichische Fernsehen – Demokratiepolitischer 18. Resümee Bildungsauftrag oder Quote ?

Publikumserfolg und brachten auch ein kritisches, jüngeres Publikum dem ORF wieder näher. Nur bis es soweit war, dass „man es auch zeigen durfte“ verging eine zu lange Zeit, zu sehr wog die Angst der Verantwortlichen davor, doch jemanden zu brüskieren.

Jeder der bisher amtierenden Generalintendanten, oder heute Generaldirektoren, zeichnete sich durch seine Eigenheiten und programmtechnischen Vorlieben aus. Der kulturverliebte Bacher, der kommerzielle Zeiler, der zynische Programm- denker Podgorski, der brave Arbeiter Weis – jeder setzte dieser öffentlich- rechtlichen Anstalt seine Akzente auf, sogar die treu-bürgerliche Monika Lindner. Nur Alexander Wrabetz darf noch beweisen, ob er den Programmauftrag, wie er derzeit besteht, weiterhin erfüllen will, oder diesen zu ändern versucht. Sicher wird die jetzige Führung mehr an der Quote gemessen (die wöchentlichen Veröffentlichungen derselbigen in den Tageszeitungen zeigen dies) als an der hochwertigen Bildungserfüllung. Kurz vor Fertigstellung dieser Arbeit erschütterte die neue Quotenanalyse den ORF: ORF 1 und ORF 2 hatten zusammen nur noch knapp 34 %, vor allem ORF 1 verliert immer mehr an Boden.841 Die Ausreden dafür werden auch immer überraschender: „Die Quote wird am Nachmittag entschieden, (…) in mediterranen Ländern steigt zur Siesta die TV-Nutzung und auch die Österreicher suchen hier bei der Hitze die leichte Kost, wie z. B. Gerichtsshows“, erläutert Kommunikationssprecher Pius Strobl die Zahlen.842 Der ORF überlegt nun, jeden Tag zu einem Thementag zu machen.

Podgorski hat es indes früher schon auf den Punkt gebracht: „Wir müssen informieren, damit die Leut’ mitreden können.“ Ob dies auch von den politischen Entscheidungsträgern so gesehen wird? Oder soll sich der ORF zur „Über- Krone“843 entwickeln, die Inhalte und Meinungen gestalten will, um dasselbe jedoch ihren Mitbewerbern abzusprechen? Der ORF wird in dieser jetzigen Form nicht überleben. In Österreich ist das Heraufdämmern einer Privatisierungs-

841 Vgl. Die Presse vom 4. 8. 2009, S 24 842 Vgl. ebd. 843 Gemeint ist damit die Kronen Zeitung, die in der Relation zur Bevölkerungsanzahl größte Tageszeitung der Welt, die auf vielfältige Art Meinung und damit auch Politik in ihrem Sinne bzw. im Sinne des Herausgebers macht. Die Kronen Zeitung ist zu 50 % im Besitz der Familie Dichand und zu 50 % der WAZ (=Westdeutsche Allgemeine Zeitung), wobei die Familie Dichand die redaktionelle Leitung bildet.

279 Das Österreichische Fernsehen – Demokratiepolitischer Bildungsauftrag oder Quote ? 18. Resümee

tendenz schon in Ansätzen spürbar. Faktum ist, dass der Bildungsauftrag ausschließlich auf ORF 2 wahrgenommen wird, wenn man die Übertragung von Ski- und Formel-1-Rennen nicht als solchen ansieht; wozu also leistet sich der gebührenfinanzierte ORF noch andere Programme im Fernsehen? TW1 ist ein im öffentlich-rechtlichen Sinne nicht haltbarer Spartenkanal, wenn er nicht umgestellt wird (was aber aufgrund der vermuteten Vertragslage mit dem ÖSV-Präsidenten und Eigentümer der Wetterkameras, Peter Schröcksnadel, der Fall sein wird844), ORF 1 muss im Zusammenhang mit dem Programmauftrag und somit dem demokratiepolitischen Bildungsauftrag infrage gestellt werden, teilweise ebenso die Landesstudios. Im Falle von Verkäufen, oder – im gut österreichischen Sinne – von Zugeständnissen und Kompromissen, ist es das Ende des ORF im Sinne eines ganzheitlichen öffentlich-rechtlichen Auftrags und der demokratiepolitischen Bildung. Was gehört und gesehen wird oder werden soll, wird von anderen bestimmt, die mehr am eigenen Machtausbau (sprich Verlegerfernsehen) oder am wirtschaftlichen Profit interessiert sind. Nicht der ORF bekam durch das damalige Volksbegehren eine Chance, sondern das Land sollte durch einen objektiven ORF eine Chance bekommen. Und eine Chance liegt auch in einem qualitäts- orientierten Programm, denn nur das kann die Alternative zur Banalisierung des Fernsehens sein. Das Österreichische Fernsehen sollte sich weniger an RTL und RTL2, an Pro7 oder Kabel Eins orientieren, sondern sich an die BBC oder n-TV halten, umgelegt auf die Größenordnung des Landes und seiner Bevölkerungs- anzahl. Die Ethik im Journalismus ist den Printmedien abhanden gekommen, nur im Zusammenhang mit den strengen Auflagen des öffentlichen Programmauftrags und einem entsprechenden Redakteurstatut kann man einem hohen journalistischen Anspruch gerecht werden. Darin liegt unter anderem auch die Chance für die Redakteure im ORF, sofern sie bereit sind, sich diesem Anspruch auch wirklich zu stellen, und sie frei von Zwängen arbeiten können. Sicher ist, dass immer wieder versucht wurde, Einfluss auf den ORF zu nehmen, von welcher politischen oder institutionalisierten Ebene auch immer, denn immerhin erreicht man dadurch rund 40 % der ÖsterreicherInnen, so viel wie die größte

844 Schröcksnadel war mit seiner Firma Feratel 50-%-Eigentümer von TW1 und trat diese an den ORF gegen noch immer nicht offengelegte Bedingungen ab; es war sogar im Zuge dieser Arbeit nicht möglich, genaue Bedingungen des Vertrags zu erfahren. Sicher ist, dass TW1 eine Plattform für die Wetterkameras bietet und der ORF nach wie vor als einer der ganz wenigen Sender dieser Welt dem Skiweltcup mit umfassenden Übertragungen den Vorzug gibt. (Anm. d. Verf.)

280 Das Österreichische Fernsehen – Demokratiepolitischer 18. Resümee Bildungsauftrag oder Quote ?

Tageszeitung der Welt, umgerechnet auf die Bevölkerung, aber glaubwürdiger als diese und alle anderen Printmedien. Diesen Versuchungen zu entsagen wird kaum gelingen, diesen Versuchungen jedoch zu widerstehen, ist die Aufgabe der Gesamtheit der ORF-Mitarbeiter. Eine bessere Ausbildung von Journalisten wird von vielen Stellen nachdrücklich gefordert, denn eine Freiheit der Medien verlangt auch eine gründliche Ausbildung der Journalisten. Umso begrüßenswerter ist die Gründung einer Fachhochschule für den Journalismus in Wien. Das Fernsehen und seine Redakteure müssen sich der neuen Anforderungen bewusst werden; nicht nur technische Anforderungen sind gefragt, sondern auch ein Denken und Gestalten in Gesamtzusammenhängen wird die Qualität eines Programms ausmachen.

Ich hatte einen Traum, (…) doch als ich aufwachte, war ich wieder in der Realität angelangt, der ORF brachte streckenweise Belang- sendungen der Landeshauptleute von Kärnten und Niederösterreich, die ,Zeit im Bild’ wurde immer kürzer, die PolitikerInnen verweigerten vor der Kamera klare Antworten auf klare Fragen (…und keiner fragte mehr in der Klarheit nach, Anm. d. Verf.). Patriotismus wurde großgeschrieben, nationaler Schulterschluss wurde nur aus der Perspektive Leopold Figls, Bruno Kreiskys oder Alois Mocks gesehen, (…) eingekaufte Sendungen liefen im Hauptabend- programm – parallel zu deren Ausstrahlung in den privaten Konkurrenzkanälen. Kritische Dokumentationen gab es, wenn überhaupt, nur rund um Mitternacht, Motor- und Skisport wurden bejubelt.845

Manchmal ist es furchtbar, aufzuwachen!846

„Ma muaß net hinschaun, oba ma kann.“847

845 Vgl. Pelinka, Anton, in: Der Auftrag, S 166 846 Hier soll der Bogen zum Beginn der Arbeit geschlossen werden. (Anm. d. Verf.) 847 Der Herr Karl über das Fernsehen, frei nach Qualtinger 1961

281 Das Österreichische Fernsehen – Demokratiepolitischer Bildungsauftrag oder Quote ? 18. Resümee

Ein Spruch von Albert Einstein ist auf die Zukunft des österreichischen Fernsehens ideal anwendbar:848

„Phantasie ist wichtiger als Wissen, denn Wissen ist begrenzt.“

848 Vgl. dazu http://www.blueprints.de/zitate/kreativitaet/einstein-ueber-phantasie-und-wissen.html

282

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295 Das Österreichische Fernsehen – Demokratiepolitischer Bildungsauftrag oder Quote ? 19. Literaturverzeichnis

http://publikumsrat.orf.at/charta.html http://www.religion.orf.at/tv/news2/ne90618.htm http://satundkabel.magnus.de/medien/artikel/oesterreich-orf-sender-stabilisieren- fernsehquote-bei-kabel-und-satellit.html http://service.orf.at/unternehmen/menschen/gremien/stiftung1.html http://www.soundnezz.de/projects/www/radiobox/journalismus/rundfunk.html http://science.orf.at http://themenschwerpunkt.orf.at/?story=5 http://www.tw1.at http://www.vienna-economic-forum.com/114.html http://www.wallstreet-online.com http://wien.orf.at/stories/46308/, wikipedia.org/wiki/Teddy_Podgorski http://www.wirtschaftsblatt.at/home/international/osteuropa/330538/index.do http://www.zeitgeschichte2001.at/download/paneleinreichung-103.pdf

19.3. Zeitungen, Zeitschriften und sonstige Publikationen

Almanach des Österreichischen Rundfunks, Wien 1977

BGBl 1984/379 idF BGBl 2001/83, Wien

BGBl 2001/84, Wien

296 Das Österreichische Fernsehen – Demokratiepolitischer 19. Literaturverzeichnis Bildungsauftrag oder Quote ?

19.3.1. Tages- und Wochenzeitungen

Der Standard, 1996, 2001, 2008, 2009

Der Spiegel, 1976

Die Presse, 1998, 2008, 2009

Die Zeit, 2000, 2001

Die Zukunft, 1973

Focus, 1994

Falter – Ausgaben 2001–2008

Kleine Zeitung, 1964

Kronen Zeitung – Archiv Hauptbibliothek, 1973/74

Kurier, 1963–1966, 2006

Linzer Volksblatt – Archiv Nationalbibliothek, 1956–1970

Manager Magazin, 1999

Österreich, 25. 4. 2009

TV Media, Ausgabe 38, 2008

TV Today. Nr. 17, 15. 8.–28. 8. 1998

297 Das Österreichische Fernsehen – Demokratiepolitischer Bildungsauftrag oder Quote ? 19. Literaturverzeichnis

Volksstimme, 1973

Weg und Ziel Nr. 10,1974

Weltwoche, Archiv, 1966

Wochenpresse, 1963/64

Zeit-Magazin, 2005

19.3.2. Fachzeitschriften

Dokumentation des 46. Deutschen Historikertages, Konstanz 2006 ddpa-Pressemitteilungen

GfK-Medienforschung, Nürnberg

Journalismus & Medienmanagement, FH Wien

Medien Journal, Wien 1. 2. 2001

Medien und Kommunikationswissenschaft, Hamburg 2000, 50. Jg.

Media-Perspektiven, Fachzeitschrift für Lage und Entwicklung von Massenmedien in Deutschland, Frankfurt

„nature“ – Wissenschaftsjournal, Wien 2006

Österreichische Zeitschrift für Politikwissenschaften, Wien 4/1991 und 1/1989

ORF-Newsletter, Wien, persönliches Abo

298 Das Österreichische Fernsehen – Demokratiepolitischer 19. Literaturverzeichnis Bildungsauftrag oder Quote ?

Parlamentsenquete, Protokoll vom 3. 7. 2008

Politische Bildung, Wien 1/1989

Pressetext Deutschland vom 12. 2. 2008

Privat-TV-Gesetz

Radio Österreich – Programmzeitschrift, Wien 1964

SWR – Strategische Analyse 2007

Telespiegel, Wien 1. Jg., 1962, Heft 1–3, 2. Jg., 1963, Heft 4

Universität Regensburg, Institut für Psychologie, 2004

UPC European Television Survey 2005

ZDF – Medienforschung, Mainz, Ausgabe 2007

19.4. Interviews

Bacher, Gerd am 10. August 2008 in seinem Haus in Salzburg

Böhm, Edgar am 2. September 2008 in Wien/ORF-Zentrum

Dusek, Peter am 10. Dezember 2008 im ORF-Archiv

Heinke, Hans Georg am 4. Dezember 2007 im Café Landtmann

Podgorski, Teddy am 4. Dezember im Café Gutruf

299 Das Österreichische Fernsehen – Demokratiepolitischer Bildungsauftrag oder Quote ? 19. Literaturverzeichnis

Portisch, Hugo am 3. Dezember 2008 in seinem Büro, Wien

Strobl, Pius am 7. Dezember 2007 im ORF-Zentrum

Unterberger, Klaus am 1. Juli 2008 im ORF-Zentrum

Weis, Gerhard am 14. Februar 2008 im seinem Haus im 13. Bezirk, Wien

Wendl, Fritz am 21. Juli 2008 im Radiokulturhaus, Argentinierstraße, Wien

Westenthaler, Peter am 3. Dezember 2007 im BZÖ-Büro, Wien

Wrabetz, Alexander am 27. August 2008 per E-Mail (nach einem persönlichen Gespräch am 7. Mai 2008)

Zilk, Helmut am 27. November 2007 im Ringturm in Wien

300

Das Österreichische Fernsehen – Demokratiepolitischer Bildungsauftrag oder Quote ?

20. Abbildungsverzeichnis

ABB. 1: ARMIN THURNHER, CHEFREDAKTEUR FALTER ...... 70 ABB. 2: HELMUT ZILK BEI DEN ANFÄNGEN DER „STADTGESPRÄCHE WIEN- PRAG“...... 102 ABB. 3: FERNSEHPROGRAMM VOM 27. NOVEMBER 1972 AUS EINER LINZER TAGESZEITUNG (VOLKSBLATT) ...... 103 ABB.5: DER KURIER UNTER CHEFREDAKTEUR PORTISCH UND DIE KLEINE ZEITUNG UNTER FRITZ CSOKLICH ALS DIE SPEERSPITZEN DES VOLKSBEGEHRENS...... 103 ABB. 6: GERD BACHER, EHEMALIGER GENERALINTENDANT...... 103 ABB. 7: DER „TIGER" AUS DER SICHT VON GUSTAV PEICHL ALIAS IRONIMUS ...... 103 ABB. 8: ERNST WOLFRAM MARBOE, INFORMATIONSINTENDANT ...... 103 ABB. 10: ZWEISPRACHIGKEIT WIRD „VERSCHWIEGEN"...... 103 ABB. 11: LOGO VON „UNIVERSUM“ ...... 103 ABB. 12: DIE „MINI-ZIB“ – SOLL JETZT IN EINEM KLEID WIEDER ERWACHSEN WERDEN...... 103 ABB. 13: HUGO PORTISCH, WIE MAN IHN KENNT ...... 103 ABB. 14: ÖSTERREICH II – DAS BUCH ZUR DOKUMENTATIONSREIHE ...... 103 ABB. 15: AXEL CORTI, DER AUCH TEILWEISE DEN „CLUB 2“ LEITETE...... 103

302

Das Österreichische Fernsehen – Demokratiepolitischer Bildungsauftrag oder Quote ?

ANHANG

ANHANG ...... 103

ANHANG A...... 103

Anhang A.1. ORF-Gesetz (ORF-G)...... 103 Versorgungsauftrag...... 103

Anhang A.2. Programmrichtlinien (P-RL)...... 103

Anhang A.3. ORF-Redakteurstatut ...... 103

Anhang A.4...... 103 Die Mitglieder des Publikumsrats ...... 103 ORF-Stiftungsrat: Die 35 Mitglieder ...... 103

ANHANG B...... 103

Sendungsformate und Produktionscharakteristik ...... 103 Genresystematik und Produktionscharakteristik der Sendungen von ORF 1 (3.–9. April 2006) ...... 103 Eigen- oder Fremdproduktionen (am Ende der Vergleich mit ATV)...... 103

ANHANG C...... 103

Kurzbiografien der Interviewpartner, in der Reihenfolge der Interviews (inkl. einer markanten Aussage zum Thema der Arbeit):...... 103 Pius Strobl...... 103 Ing. Peter Westenthaler...... 103 Dr. Helmut Zilk ...... 103 Hans Georg Heinke ...... 103 Teddy Podgorski ...... 103 Dr. Peter Dusek...... 103 Dr. Hugo Portisch ...... 103 Gerhard Weis ...... 103 Dr. Klaus Unterberger ...... 103 Fritz Wendl ...... 103 Gerd Bacher ...... 103 Dr. Alexander Wrabetz ...... 103 Edgar Böhm ...... 103

304

Das Österreichische Fernsehen – Demokratiepolitischer Bildungsauftrag oder Quote ? ANHANG A

ANHANG A

Anhang A.1. ORF-Gesetz (ORF-G)849

Nichtamtliche konsolidierte Fassung (Stand: 1. August 2007)

Bundesgesetz über den Österreichischen Rundfunk (ORF-Gesetz, ORF-G) BGBl. Nr. 379/1984 (WV, „Rundfunkgesetz“), mehrfach geändert, idF BGBl. I Nr. 83/2001 (NR: GP XXI RV 634 AB 719 S. 75. BR: 6395 AB 6420 S. 679.), BGBl. I Nr. 100/2002 (NR: GP XXI RV 1131 AB 1176 S. 106. BR: 6665 AB 6678 S. 689.), BGBl. I Nr. 97/2004 (NR: GP XXII IA 430/A S. 73. BR: 7084 AB 7086 S. 712.), BGBl. I Nr. 159/2005 (NR: GP XXII IA 723/A AB 1249 S. 129. BR: AB 7451 S. 729.), BGBl. I Nr. 52/2007 (NR: GP XXIII RV 139 AB 194 S. 27. BR: AB 7731 S. 747.)

Inhaltsverzeichnis 1. Abschnitt Einrichtung und Aufgaben des Österreichischen Rundfunks § 1. Stiftung „Österreichischer Rundfunk“ § 2. Unternehmensgegenstand und Finanzierung der Tätigkeiten § 3. Versorgungsauftrag § 4. Programmauftrag § 5. Besondere Aufträge § 6. Aufrufe § 7. Sendeanlagen für andere Rundfunkveranstalter § 8. Jahresbericht § 9. Spartenprogramme und Umfang sonstiger Aktivitäten § 9a. Sport-Spartenprogramm § 9b. Mobiles terrestrisches Fernsehen

849 Vgl. auch http://www.austria.gv.at/DocView.axd?CobId=24298, Zugriff am 10. 11. 2008 sowie http://www.bka.gv.at/DocView.axd?CobId=24298

306 Das Österreichische Fernsehen – Demokratiepolitischer ANHANG A Bildungsauftrag oder Quote ?

2. Abschnitt Programmgrundsätze § 10. Allgemeine Grundsätze und Jugendschutz § 11. Sendung europäischer Werke § 12. Ereignisse von erheblicher gesellschaftlicher Bedeutung

3. Abschnitt Werbung und Patronanzsendungen § 13. Definition der Werbung und Werbezeiten § 14. Werbegrundsätze, Product Placement, Unterbrecherwerbung § 15. Unterbrecherwerbung für Spartenprogramme und mobiles terrestrisches Fernsehen § 16. Werbung für Arzneimittel und alkoholische Getränke, Schutz von Minderjährigen § 17. Patronanzsendungen (Sponsoring)

4. Abschnitt § 18. Inhaltliche Anforderungen an Teletext und Online-Dienste

5. Abschnitt Organisation § 19. Organe des Österreichischen Rundfunks § 20. Stiftungsrat § 21. Aufgaben des Stiftungsrates § 22. Generaldirektor § 23. Aufgaben des Generaldirektors § 24. Direktoren und Landesdirektoren § 25. Aufgaben der Direktoren und Landesdirektoren § 26. Qualifikation § 27. Stellenausschreibung § 28. Publikumsrat § 29. Funktionsdauer, Vorsitz und Beschlussfassung § 30. Aufgaben des Publikumsrats

307 Das Österreichische Fernsehen – Demokratiepolitischer Bildungsauftrag oder Quote ? ANHANG A

6. Abschnitt § 31. Programmentgelt § 31a.

7. Abschnitt Stellung der programmgestaltenden Mitarbeiter § 32. Unabhängigkeit § 33. Redakteurstatut § 34. Schiedsgericht

8. Abschnitt Rechtliche Kontrolle § 35. Rechtsaufsicht § 36. Beschwerden und Anträge § 37. Entscheidung § 38. Verwaltungsstrafen

9. Abschnitt Finanzielle Kontrolle § 39. Rechnungslegung § 40. Prüfungskommission § 41. Sonderprüfung

10. Abschnitt Zuständigkeit der Gerichte § 42. Verfahren § 43. Strafbestimmungen

11. Abschnitt Übergangs- und Schlussbestimmungen § 44. Umwandlung und bestehende Verträge § 45. Funktionsperiode der Organe § 46. Vollziehung

308 Das Österreichische Fernsehen – Demokratiepolitischer ANHANG A Bildungsauftrag oder Quote ?

§ 47. Umsetzungshinweis § 48. Anwendung anderer Bundesgesetze § 49. In-Kraft-Treten

Auszüge aus dem ORF-Gesetz850

1. Abschnitt Einrichtung und Aufgaben des Österreichischen Rundfunks Stiftung „Österreichischer Rundfunk“

§ 1. (1) Mit diesem Bundesgesetz wird eine Stiftung des öffentlichen Rechts mit der Bezeichnung „Österreichischer Rundfunk'' eingerichtet. Die Stiftung hat ihren Sitz in Wien und besitzt Rechtspersönlichkeit. (2) Zweck der Stiftung ist die Erfüllung des öffentlich-rechtlichen Auftrages des Österreichischen Rundfunks im Rahmen des Unternehmensgegenstandes (§ 2). Der öffentlich-rechtliche Auftrag umfasst den Versorgungsauftrag gemäß § 3, den Programmauftrag gemäß § 4 und die besonderen Aufträge gemäߧ 5. (3) Der Österreichische Rundfunk hat bei Erfüllung seines Auftrages auf die Grundsätze der österreichischen Verfassungsordnung, insbesondere auf die bundesstaatliche Gliederung nach dem Grundsatz der Gleichbehandlung der Länder sowie auf den Grundsatz der Freiheit der Kunst, Bedacht zunehmen und die Sicherung der Objektivität und Unparteilichkeit der Berichterstattung, die Berücksichtigung der Meinungsvielfalt und der Ausgewogenheit der Programme sowie die Unabhängigkeit von Personen und Organen des Österreichischen Rundfunks, die mit der Besorgung der Aufgaben des Österreichischen Rundfunks beauftragt sind, gemäß den Bestimmungen dieses Bundesgesetzes zu gewährleisten. (4) Der Österreichische Rundfunk ist, soweit seine Tätigkeit im Rahmen des öffentlich-rechtlichen Auftrags erfolgt, nicht auf Gewinn gerichtet; er ist im Firmenbuch beim Handelsgericht Wien zu protokollieren und gilt als Unternehmer im Sinne des Unternehmensgesetzbuches

850 Vgl. Vgl. auch http://www.austria.gv.at/DocView.axd?CobId=24298, Zugriff am 10. 11. 2008 sowie http://www.bka.gv.at/DocView.axd?CobId=24298

309 Das Österreichische Fernsehen – Demokratiepolitischer Bildungsauftrag oder Quote ? ANHANG A

Versorgungsauftrag § 3. (1) Der Österreichische Rundfunk hat unter Mitwirkung aller Studios 1. für drei österreichweit und neun bundeslandweit empfangbare Programme des Hörfunks und 2. für zwei österreichweit empfangbare Programme des Fernsehens zu sorgen. Der Österreichische Rundfunk hat nach Maßgabe der technischen Entwicklung und der wirtschaftlichen Tragbarkeit dafür zu sorgen, dass in Bezug auf Programm- und Empfangsqualität alle zum Betrieb eines Rundfunkempfangs- gerätes (Hörfunk und Fernsehen) berechtigten Bewohner des Bundesgebietes gleichmäßig und ständig mit jeweils einem bundeslandweit und zwei österreichweit empfangbaren Programmen des Hörfunks und zwei österreichweit empfangbaren Programmen des Fernsehens versorgt werden. (2) Die neun bundeslandweit empfangbaren Programme des Hörfunks werden von den Landesstudios gestaltet. Einzelne von den Landesstudios gestaltete Hörfunksendungen, an denen ein besonderes öffentliches Informationsinteresse besteht, können auch bundesländerübergreifend ausgestrahlt werden (Ring- sendungen). In den Programmen des Fernsehens sind durch regelmäßige regionale Sendungen sowie durch angemessene Anteile an den österreichweiten Programmen die Interessen der Länder zu berücksichtigen. Die Beiträge werden von den Landesdirektoren festgelegt. (3) Die Programme nach Abs. 1 Z 1 und 2 sind jedenfalls terrestrisch zu verbreiten. Für das dritte österreichweit empfangbare in seinem Wortanteil überwiegend fremdsprachige Hörfunkprogramm gilt abweichend von Abs. 1 zweiter Satz jener Versorgungsgrad, wie er am 1. Mai 1997 für dieses Programm bestanden hat. (4) Nach Maßgabe der technischen Entwicklung und Verfügbarkeit von Übertragungskapazitäten, der wirtschaftlichen Tragbarkeit sowie nach Maßgabe des gemäß § 21 des Privatfernsehgesetzes, BGBl. I Nr. 84/2001, erstellten Digitalisierungskonzeptes hat der Österreichische Rundfunk dafür zu sorgen, dass die Programme gemäß Abs. 1 unter Nutzung digitaler Technologie terrestrisch (unter Nutzung des Übertragungsstandards DVB-T im Hinblick auf die Programme gemäß Abs. 1 Z 2) verbreitet werden. Die Ausstrahlung von Programmen über

310 Das Österreichische Fernsehen – Demokratiepolitischer ANHANG A Bildungsauftrag oder Quote ?

Satellit hat nach Maßgabe der technischen Entwicklung und der wirtschaftlichen Tragbarkeit unter Nutzung digitaler Technologien zu erfolgen. (5) Zum Versorgungsauftrag gehört auch die Veranstaltung von mit Rundfunk- programmen nach Abs. 1 in Zusammenhang stehenden Online-Diensten und Teletext, die der Erfüllung des Programmauftrags (§ 4) dienen. Die weiteren Anforderungen an derartige Online-Dienste und Teletext bestimmen sich nach § 18. (6) Der Österreichische Rundfunk kann zudem nach Maßgabe der technischen Entwicklung und der wirtschaftlichen Tragbarkeit sowie nach Maßgabe außerhalb des UKW-Bereichs zur Verfügung stehender Übertragungskapazitäten ein Hörfunkprogramm und einen ausreichenden Online-Dienst (§ 2 Abs. 1 Z 2) für Österreicher im Ausland und zur Darstellung Österreichs in der Welt gestalten (Auslandsdienst) und verbreiten. (7) Der Österreichische Rundfunk kann nach Maßgabe fernmelderechtlicher Bewilligungen unter Nutzung von im Mittelwellen-Bereich zur Verfügung stehen- den Übertragungskapazitäten ein Hörfunkprogramm gestalten und verbreiten. (8) Zum Versorgungsauftrag zählt auch die Veranstaltung eines Spartenprogramms gemäß § 9a. (Fassung BGBl. I Nr. 83/2001 ab 2002; Abs. 8 angefügt mit BGBl. I Nr. 159/2005 ab 2006; Abs. 4 in der Fassung BGBl. I Nr. 52/2007 ab 1.8.2007)

Programmauftrag § 4. (1) Der Österreichische Rundfunk hat durch die Gesamtheit seiner gemäß § 3 verbreiteten Programme zu sorgen für: 1. die umfassende Information der Allgemeinheit über alle wichtigen politischen, sozialen, wirtschaftlichen, kulturellen und sportlichen Fragen, 2. die Förderung des Verständnisses für alle Fragen des demokratischen Zusammenlebens, 3. die Förderung der österreichischen Identität im Blickwinkel der europäischen Geschichte und Integration, 4. die Förderung des Verständnisses für die europäische Integration, 5. die Vermittlung und Förderung von Kunst, Kultur und Wissenschaft,

311 Das Österreichische Fernsehen – Demokratiepolitischer Bildungsauftrag oder Quote ? ANHANG A

6. die angemessene Berücksichtigung und Förderung der österreichischen künstlerischen und kreativen Produktion, 7. die Vermittlung eines vielfältigen kulturellen Angebots, 8. die Darbietung von Unterhaltung, 9. die angemessene Berücksichtigung aller Altersgruppen, 10. die angemessene Berücksichtigung der Anliegen behinderter Menschen, 11. die angemessene Berücksichtigung der Anliegen der Familien und der Kinder sowie der Gleichberechtigung von Frauen und Männern, 12. die angemessene Berücksichtigung der Bedeutung der gesetzlich anerkannten Kirchen und Religionsgesellschaften, 13. die Verbreitung und Förderung von Volks- und Jugendbildung unter besonderer Beachtung der Schul- und Erwachsenenbildung, 14. die Information über Themen des Umwelt- und Konsumentenschutzes und der Gesundheit, 15. die Förderung des Interesses der Bevölkerung an aktiver sportlicher Betätigung, 16. die Information über die Bedeutung, Funktion und Aufgaben des Bundesstaates sowie die Förderung der regionalen Identitäten der Bundesländer, 17. die Förderung des Verständnisses für wirtschaftliche Zusammenhänge, 18. die Förderung des Verständnisses für Fragen der europäischen Sicherheitspolitik und der umfassenden Landesverteidigung. (2) In Erfüllung seines Auftrages hat der Österreichische Rundfunk ein differenziertes Gesamtprogramm von Information, Kultur, Unterhaltung und Sport für alle anzubieten. Das Angebot hat sich an der Vielfalt der Interessen aller Hörer und Seher zu orientieren und sie ausgewogen zu berücksichtigen. (3) Das ausgewogene Gesamtprogramm muss anspruchsvolle Inhalte gleichwertig enthalten. Die Jahres- und Monatsschemata des Fernsehens sind so zu erstellen, dass jedenfalls in den Hauptabendprogrammen (20 bis 22 Uhr) in der Regel anspruchsvolle Sendungen zur Wahl stehen. Im Wettbewerb mit den kommerziellen Sendern ist in Inhalt und Auftritt auf die Unverwechselbarkeit des öffentlich-rechtlichen Österreichischen Rundfunks zu achten. Die Qualitätskriterien sind laufend zu prüfen.

312 Das Österreichische Fernsehen – Demokratiepolitischer ANHANG A Bildungsauftrag oder Quote ?

(4) Insbesondere Sendungen in den Bereichen Information, Kultur und Wissenschaft haben sich durch hohe Qualität auszuzeichnen. Der Österreichische Rundfunk hat ferner bei der Herstellung und Sendung von Hörfunk- und Fernsehprogrammen auf die kulturelle Eigenart, die Geschichte und die politische und kulturelle Eigenständigkeit Österreichs sowie auf den föderalistischen Aufbau der Republik besonders Bedacht zu nehmen. (5) Der Österreichische Rundfunk hat bei Gestaltung seiner Sendungen weiters für 1. eine objektive Auswahl und Vermittlung von Informationen in Form von Nachrichten und Reportagen einschließlich der Berichterstattung über die Tätigkeit der gesetzgebenden Organe und gegebenenfalls der Übertragung ihrer Verhandlungen, 2. die Wiedergabe und Vermittlung von für die Allgemeinheit wesentlichen Kommentaren, Standpunkten und kritischen Stellungnahmen unter angemessener Berücksichtigung der Vielfalt der im öffentlichen Leben vertretenen Meinungen, 3. eigene Kommentare, Sachanalysen und Moderationen unter Wahrung des Grundsatzes der Objektivität zu sorgen. (6) Unabhängigkeit ist nicht nur Recht der journalistischen oder programm- gestaltenden Mitarbeiter, sondern auch deren Pflicht. Unabhängigkeit bedeutet Unabhängigkeit von Staats- und Parteieinfluss, aber auch Unabhängigkeit von anderen Medien, seien es elektronische oder Printmedien, oder seien es politische oder wirtschaftliche Lobbys. (7) Die Mitarbeiter des Österreichischen Rundfunks sind den Zielen des Programmauftrags verpflichtet und haben an dessen Erfüllung aktiv mitzuwirken. (Fassung BGBl. I Nr. 83/2001 ab 2002)

Unabhängigkeit

§ 32. (1) Der Österreichische Rundfunk und seine Tochtergesellschaften haben die Unabhängigkeit und Eigenverantwortlichkeit aller programmgestaltenden Mitarbeiter sowie die Freiheit der journalistischen Berufsausübung aller journalistischen Mitarbeiter bei Besorgung aller ihnen übertragenen Aufgaben im Rahmen dieses Bundesgesetzes zu beachten. Die journalistischen Mitarbeiter dürfen in Ausübung ihrer Tätigkeit insbesondere nicht verhalten werden, etwas

313 Das Österreichische Fernsehen – Demokratiepolitischer Bildungsauftrag oder Quote ? ANHANG A

abzufassen oder zu verantworten, was der Freiheit der journalistischen Berufsausübung widerspricht. Aus einer gerechtfertigten Weigerung darf ihnen kein Nachteil erwachsen. (2) Programmgestaltende Mitarbeiter im Sinne dieses Bundesgesetzes sind alle Personen, die an der inhaltlichen Gestaltung von Hörfunk- und Fernsehsendungen mitwirken. (3) Journalistische Mitarbeiter im Sinne dieses Bundesgesetzes sind alle Personen, die an der journalistischen Gestaltung von Programmen im Hörfunk und Fernsehen mitwirken, insbesondere Redakteure, Reporter, Korrespondenten und Gestalter. (4) Programmgestaltende und journalistische Mitarbeiter im Sinne dieses Bundesgesetzes sind entweder Arbeitnehmer oder freie Mitarbeiter des Österreichischen Rundfunks oder seiner Tochtergesellschaften. (5) Für journalistische und programmgestaltende Mitarbeiter des Österreichischen Rundfunks gelten auch dann, wenn sie in einem Arbeitsverhältnis zum Österreichischen Rundfunk stehen, sofern die vereinbarte oder tatsächlich geleistete Arbeitszeit während eines Zeitraumes von sechs Monaten im Monatsdurchschnitt nicht mehr als vier Fünftel des 4,3fachen der durch Gesetz oder Kollektivvertrag vorgesehenen wöchentlichen Normalarbeitszeit beträgt, folgende Bestimmungen: 1. Befristete Arbeitsverhältnisse können ohne zahlenmäßige Begrenzung und auch unmittelbar hintereinander abgeschlossen werden, ohne dass hierdurch ein Arbeitsverhältnis auf unbestimmte Zeit entsteht. 2. Beabsichtigt das Unternehmen, ein weiteres befristetes Arbeitsverhältnis nicht mehr abzuschließen, so ist der Arbeitnehmer von dieser Absicht schriftlich zu verständigen. Die Verständigung hat, wenn ab Beginn des ersten Arbeitsverhältnisses mit oder ohne Unterbrechungen ein Zeitraum von nicht mehr als drei Jahren verstrichen ist, vier Wochen vor Ende des laufenden Arbeitsverhältnisses zu erfolgen. Beträgt dieser Zeitraum ab Beginn des ersten Arbeitsverhältnisses mehr als drei Jahre, so hat die Verständigung acht Wochen, und wenn der Zeitraum mehr als fünf Jahre beträgt, hat die Verständigung zwölf Wochen vor Ablauf des bestehenden Arbeitsverhältnisses zu erfolgen. Erfolgt die Verständigung nicht oder nicht rechtzeitig, so gebührt ein

314 Das Österreichische Fernsehen – Demokratiepolitischer ANHANG A Bildungsauftrag oder Quote ?

Entschädigungsanspruch. Dieser beträgt bei einer Verständigungsfrist von vier Wochen 8,33 vH, bei einer Verständigungsfrist von acht Wochen 16,66 vH und bei einer Verständigungsfrist von zwölf Wochen 24,99 vH des vom Österreichischen Rundfunk im letzten Jahr bezogenen Entgelts. (6) Erstrecken sich befristete Arbeitsverhältnisse im Sinne des Abs. 5 ab Beginn des ersten Arbeitsverhältnisses mit oder ohne Unterbrechungen über einen Zeitraum von fünf Jahren, so gebührt bei einer gemäß Abs. 7 Z 2 vorgenommenen Beendigung des Arbeitsverhältnisses eine Abfertigung. Diese gebührt auch dann, wenn das Unternehmen die Verständigung unterlässt, jedoch kein weiteres befristetes Arbeitsverhältnis abschließt, oder das Arbeitsverhältnis durch berechtigten vorzeitigen Austritt oder unverschuldete Entlassung des Arbeit- nehmers endet. Die Abfertigung beträgt bei einer Dauer von mehr als fünf Jahren ab Beginn des ersten Arbeitsverhältnisses ein Zwölftel, bei einer Dauer von mehr als zehn Jahren ein Neuntel, bei mehr als fünfzehn Jahren ein Sechstel, bei mehr als zwanzig Jahren zwei Neuntel und bei mehr als fünfundzwanzig Jahren ein Drittel jenes Entgelts, das der Arbeitnehmer in den letzten drei Jahren vor Beendigung des Arbeitsverhältnisses erhalten hat. Auf diese Abfertigung ist eine nach anderen Bestimmungen allenfalls gebührende Abfertigung anzurechnen. (7) Die Bestimmungen des Abs. 6 sind auf befristete Arbeitsverhältnisse gemäß Abs. 5 nicht anzuwenden, wenn zwischen dem journalistischen oder programm- gestaltenden Arbeitnehmer im Sinne des Abs. 4 und dem Österreichischen Rundfunk erstmals ein befristetes Arbeitsverhältnis nach dem 31. Dezember 2002 begonnen hat, soweit nicht durch Verordnung gemäß § 46 Abs. 1 letzter Satz des Betrieblichen Mitarbeitervorsorgegesetzes (BMVG), BGBl. I Nr. 100/2002, etwas anderes angeordnet wird. (8) Für Arbeitnehmer gemäß Abs. 5 ist der Beitrag gemäß § 6 BMVG unabhängig von der Dauer und zeitlichen Lagerung des Arbeitsverhältnisses zu leisten. (Fassung BGBl. I Nr. 83/2001 ab 2002; Abs. 6 in der Fassung und Abs. 7 und 8 angefügt mit BGBl. I Nr. 100/2002 ab 2003)

315 Das Österreichische Fernsehen – Demokratiepolitischer Bildungsauftrag oder Quote ? ANHANG A

Redakteurstatut

§ 33. (1) Zur Sicherstellung der im § 32 Abs. 1 für die journalistischen Mitarbeiter niedergelegten Grundsätze ist zwischen dem Österreichischen Rundfunk (einer Tochtergesellschaft) einerseits und einer nach den Grundsätzen des gleichen, unmittelbaren und geheimen Verhältniswahlrechtes gewählten Vertretung der journalistischen Mitarbeiter andererseits ein Redakteurstatut abzuschließen. An den Verhandlungen über den Abschluss eines Redakteurstatuts sind auch zwei Vertreter der für die journalistischen Mitarbeiter zuständigen Gewerkschaft sowie zwei Vertreter des Zentralbetriebsrates, im Falle einer Tochtergesellschaft zwei Vertreter des Betriebsrates dieser Gesellschaft zu beteiligen. (2) Ein Redakteurstatut kommt nicht zustande, wenn die journalistischen Mitarbeiter in einer, innerhalb von drei Wochen nach Abschluss der Verhandlungen durchzuführenden Abstimmung dem Verhandlungsergebnis, das unmittelbar nach Abschluss der Verhandlungen zu veröffentlichen ist, mehrheitlich die Zustimmung verweigern. Zwischen dem Abschluss der Verhandlungen und dem Wirksamwerden des Redakteurstatuts muss ein Zeitraum von mindestens drei Wochen liegen. Hinsichtlich des Stimmrechtes bei einer Abstimmung über das Verhandlungsergebnis gilt Abs. 6. (3) Das Redakteurstatut hat insbesondere nähere Bestimmungen zu enthalten über 1. die Sicherstellung der Eigenverantwortlichkeit und der Freiheit der journalistischen Berufsausübung aller journalistischen Mitarbeiter bei der Besorgung der ihnen übertragenen Aufgaben, 2. den Schutz der journalistischen Mitarbeiter gegen jede Verletzung ihrer Rechte, 3. die Mitwirkung an personellen und sachlichen Entscheidungen, welche die journalistischen Mitarbeiter betreffen, 4. die Schaffung einer Schiedsinstanz zur Entscheidung von Streitigkeiten aus dem Redakteurstatut. (4) Durch das Redakteurstatut dürfen die Rechte der Betriebsräte, überdies durch die Schaffung der vorstehend erwähnten Schiedsinstanz eine gesetzlich vorgesehene Anrufung von Gerichten oder Verwaltungsbehörden nicht berührt werden.

316 Das Österreichische Fernsehen – Demokratiepolitischer ANHANG A Bildungsauftrag oder Quote ?

(5) Die Wahrnehmung der sich aus dem Redakteurstatut ergebenden Rechte der journalistischen Mitarbeiter obliegt den Redakteurssprechern, dem Redakteursausschuss bzw. dem Redakteursrat, die nach Maßgabe der nachfolgenden Bestimmungen für eine Funktionsperiode von zwei Jahren gewählt werden. In jedem Betriebsbereich des Österreichischen Rundfunks (Landes- studios, Hauptabteilungen) und einer Tochtergesellschaft wählt eine Versammlung aller journalistischen Mitarbeiter aus ihrer Mitte nach den Grundsätzen des Verhältniswahlrechtes in geheimer Wahl einen Redakteurssprecher. Umfasst der betreffende Betriebsbereich mehr als zehn journalistische Mitarbeiter, so ist für je angefangene weitere zehn journalistische Mitarbeiter ein weiterer Redakteurs- sprecher zu wählen. (6) Spätestens sechs Wochen vor der Wahl ist vom Generaldirektor, im Falle von Tochtergesellschaften vom Vorstand oder der Geschäftsführung, eine Liste der wahlberechtigten journalistischen Mitarbeiter jedes Betriebsbereiches zu erstellen und zu veröffentlichen. Gegen diese Liste kann binnen zwei Wochen Einspruch erhoben werden von Personen, die behaupten, zu Unrecht in die Liste nicht aufgenommen worden zu sein, sowie von Wahlberechtigten, die behaupten, andere Personen wurden zu Unrecht in die Liste aufgenommen. Über Einsprüche entscheidet binnen weiterer zwei Wochen der Bundeskommunikationssenat. (7) Die gewählten Redakteurssprecher bilden gemeinsam den Redakteursausschuss, der die im Redakteurstatut vorgesehenen Aufgaben zu erfüllen hat. Der Redakteursausschuss gibt sich seine Geschäftsordnung selbst. (8) Der Redakteursausschuss kann aus seiner Mitte nach den Grundsätzen der Verhältniswahl einen Redakteursrat wählen und diesem bestimmte einmalige oder wiederkehrende Aufgaben übertragen; der Redakteursrat ist dem Redakteurs- ausschuss verantwortlich. (9) An den Sitzungen des Redakteursausschusses bzw. des Redakteursrates können Sachverständige und Auskunftspersonen bzw. Vertreter der zuständigen Gewerkschaft und des Zentralbetriebsrates, im Falle von Tochtergesellschaften Vertreter ihres Betriebsrates mit beratender Stimme teilnehmen, wenn dies der Redakteursausschuss bzw. der Redakteursrat für einzelne Sitzungen oder bis auf Widerruf mit Mehrheit beschließt.

317 Das Österreichische Fernsehen – Demokratiepolitischer Bildungsauftrag oder Quote ? ANHANG A

(10) Die Wahl der Redakteurssprecher ist erstmals von der gewählten Vertretung der journalistischen Mitarbeiter (Abs. 1), in weiterer Folge vom jeweils zuletzt gewählten Redakteursausschuss auszuschreiben. Zwischen der Wahlaus- schreibung und dem Wahltag müssen mindestens zehn Wochen liegen. Der Tag der Wahlausschreibung ist zugleich der Stichtag für die Wahlberechtigung. (11) Die Kündigung eines journalistischen Mitarbeiters kann vom Betriebsrat beim zur Entscheidung in Arbeits- und Sozialrechtssachen zuständigen Gericht angefochten werden, wenn sie wegen seiner Tätigkeit als Mitglied des Redakteursausschusses bzw. des Redakteursrates oder wegen seiner Bewerbung um eine solche Funktion bzw. seiner früheren Tätigkeit in einer solchen Funktion erfolgte. Im Übrigen gilt § 105 des Arbeitsverfassungsgesetzes sinngemäß. (12) Beschlüsse des Redakteursausschusses bzw. des Redakteursrates sind dem Generaldirektor und dem Zentralbetriebsrat, im Falle von Tochtergesellschaften dem Vorstand oder der Geschäftsführung sowie dem Betriebsrat bekannt zu geben. (13) Den erforderlichen Sachaufwand, der dem Redakteursausschuss bzw. dem Redakteursrat zur Erfüllung seiner durch Gesetz bzw. durch das Redakteurstatut übertragenen Aufgaben entsteht, trägt der Österreichische Rundfunk bzw. die Tochtergesellschaft. (14) Bei allen Wahlen und Abstimmungen, an denen sämtliche journalistische Mitarbeiter teilnehmen, ist die Briefwahl zulässig. (Fassung BGBl. I Nr. 83/2001 ab 2002)

Anhang A.2. Programmrichtlinien (P-RL)

Allgemeine Richtlinien des Österreichischen Rundfunks (ORF) für Programmgestaltung, Programmerstellung und Programmkoordinierung in Hörfunk, Fernsehen, Onlinediensten und Teletext

Einleitung

Gemäß § 23 Abs. 2 Z 1 ORF-G obliegt dem/der Generaldirektor/in die Festlegung allgemeiner Richtlinien für die Programmgestaltung, Programmerstellung und

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Programmkoordinierung in Hörfunk und Fernsehen (Programmrichtlinien, P-RL) mit Zustimmung des Stiftungsrats. Die derzeit geltenden Programmrichtlinien wurden per 1. 7. 1976 in Kraft gesetzt. Sie sind für die Direktoren/Direktorinnen, Landesdirektoren/Landesdirektorinnen und alle programmgestaltenden Mitarbeiter/innen des ORF verbindlich. Im Zuge der Umgestaltung der Rechtsgrundlagen des ORF im Jahr 2001 wurde auch der gesetzliche Programmauftrag wesentlich detaillierter gefasst. Da die Programmrichtlinien die einzelnen Gesetzesaufträge näher ausgestalten sollen, waren sie anzupassen. Die aktuelle Rechtslage hat ebenso Eingang in die vorliegenden Programmrichtlinien gefunden wie die nach der Novellierung im ORF erarbeiteten „Leitlinien für die Programmarbeit im ORF“. Dem waren „Grundsätze des ORF betreffend seine Haltung zu Gewalt und Obszönität in Radio und Fernsehen“ (1993), eine Position des Unternehmens zum öffentlichen Auftrag (1997), Vorschläge der früheren Hörer- und Sehervertretung für die Darstellung von Gewalt und des höchstpersönlichen Lebensbereichs (2001) und eine Zusammenfassung aller ORF-Richtlinien und Regulative zu „Gewalt im TV“ (2002) vorangegangen. Schließlich wurde Judikatur der Höchstgerichte und der Rechts- aufsichtsbehörden (Kommission zur Wahrung des Rundfunkgesetzes, RFK, und in der Folge Bundeskommunikationssenat, BKS) berücksichtigt sowie in Bereichen, in denen keine Gesetzesmaterialien oder Entscheidungen zur Verfügung stehen, adäquate Erwägungen zu in der Praxis auftretenden Fragen angestellt. Trotz ihrer rechtlichen Qualifikation als (dienstrechtliche) Weisung wurden die Programm- richtlinien von der RFK als Maßstab für die Beurteilung der Einhaltung des gesetzlichen Programmauftrags herangezogen. Ihre Verletzung stellt nach deren Spruchpraxis noch keine Gesetzesverletzung dar, wohl aber ein Indiz dafür. Mit den Programmrichtlinien beschreibt der ORF, wie er die Grundsätze und Aufträge des öffentlich-rechtlichen Rundfunks in Österreich umsetzen will: mit einem qualitätsvollen und vielfältigen Programm für alle.

Präambel

Der öffentlich-rechtliche ORF will mit der Summe seiner Angebote und Dienstleistungen einen unverzichtbaren Beitrag zur Förderung der österreichi-

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schen Identität im Blickwinkel der europäischen Geschichte und Integration leisten. Er hat den Auftrag, durch sein vielseitiges und breit gefächertes „Programm für alle“ zur freien individuellen und öffentlichen Meinungsbildung nach demokratischen Grundsätzen anzuregen sowie sich um Qualität, Innovation, Integration, Gleichberechtigung und Verständigung zu bemühen. Der ORF hat dazu ein Gesamtangebot in Hörfunk, Fernsehen, Online und Teletext zu erstellen. 1. Das frühere Rundfunkgesetz (RFG), wieder verlautbart in BGBl. Nr. 379/1984, führt seit der Novelle BGBl. I Nr. 83/2001 den Titel „Bundesgesetz über den Österreichischen Rundfunk (ORF-Gesetz, ORF-G)“. Soweit nicht anders angegeben, beziehen sich alle Gesetzeszitate auf das ORF-G. 2. Der öffentlich-rechtliche Auftrag umfasst gemäß § 1 Abs. 2 den technischen Versorgungsauftrag, den Programmauftrag und – im Rundfunkbereich – besondere Aufträge. Ebenfalls Bestandteil des öffentlichen Auftrags (nämlich des Versorgungsauftrags) ist die Veranstaltung der mit den Rundfunkprogrammen in Zusammenhang stehenden Online- und Teletextdienste, die zur Erfüllung des inhaltlichen Auftrags nach § 4 dienen (§ 3 Abs. 5). Dadurch kommt zum Ausdruck, dass der gemeinwohlverpflichtete ORF seine Inhalte auch in neuen Kommunikationsplattformen wie z. B. Online anzubieten hat und dadurch einerseits veränderten medialen Nutzungsmöglichkeiten seines Publikums Rechnung tragen, andererseits an den Möglichkeiten solcher neuen Dienste teilhaben soll. Obwohl sich die gesetzliche Verpflichtung zur Festlegung allgemeiner Richtlinien gemäß § 23 Abs. 2 Z 1 lediglich auf Hörfunk und Fernsehen bezieht, sind die hier festgelegten Standards (sinngemäß) auch bei der Gestaltung der Onlinedienste und Teletextangebote des ORF zu beachten. Besonders in den Bereichen Information, Kultur und Wissenschaft haben sich die Programme des ORF durch hohe Qualität auszuzeichnen. Es ist Ziel des ORF, das relevante regionale, nationale, europäische und internationale Geschehen im Sinne größtmöglicher Meinungsvielfalt abzubilden und zu reflektieren. Die Angebote und Dienstleistungen des ORF richten sich an die Vielfalt der Interessen des gesamten Publikums. Er trägt dadurch zum Zusammenhalt des Gemeinwesens bei. Mit dem Bundesverfassungsgesetz vom 10. Juli 1974 über die Sicherung der Unabhängigkeit des Rundfunks, BGBl. Nr. 396/1974, und dem ORF-G ist Unabhängigkeit garantiert und sind Freiräume abgesteckt, die für die

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Erfüllung des öffentlichen Auftrags in einer freien, demokratischen und pluralistischen Gesellschaft unerlässlich sind. Das Publikum rechnet damit, dass der ORF die garantierten Freiheiten zur Bewältigung seiner Aufgaben nutzt. Das Publikum erwartet aber auch, dass seinen im Programmauftrag und in den besonderen Aufträgen genannten Bedürfnissen entsprochen wird und seine Wünsche berücksichtigt werden. So hat sich der ORF um Programmangebote zu bemühen, die ausgewogen sind, das heißt, anspruchsvolle und massenattraktive Sendungen zu enthalten haben, und somit die Interessenvielfalt des gesamten Publikums abdecken.

Begriffsbestimmungen

Die Begriffe „Programmgestaltung“, „Programmerstellung“ und „Programmkoor- dinierung“ (§§ 21 Abs. 2 Z 1 und 23 Abs. 2 Z 1) beziehen sich nach diesen Programmrichtlinien auf die Gesetzesaufträge nach den §§ 4 bis 6 und 10 (Programmauftrag, besondere Aufträge, Aufrufe, Allgemeine Grundsätze und Jugendschutz) und haben folgende Bedeutung: Programmgestaltung: Erarbeitung von Inhalt und Form der Programmelemente (Sendungen) bzw. Inhalt der Online- und Teletextangebote. Setzt sich eine Sendung aus mehreren Beiträgen zusammen, so wird die Gestaltung der Einzelbeiträge als Einzelgestaltung, die Gestaltung der Sendung als Gesamtgestaltung bezeichnet. Im Internet werden Einzelbeiträge als Storys bezeichnet Programmerstellung: Zusammenstellung von Programmelementen zu Hörfunk- und Fernsehprogrammen, Zusammenstellung redaktioneller Inhalte zu mit den Rundfunkprogrammen des ORF in Zusammenhang stehenden Onlinediensten und Teletextangeboten. Programmkoordinierung: Abstimmung aller Programme und Dienste aufgrund des ORF-G, der Jahressendeschemen, der langfristigen Programmpläne sowie der Empfehlungen von Publikums- und Stiftungsrat zu einem medialen Gesamt- angebot des ORF. 3. Hinsichtlich der Bestimmungen des 3. Abschnitts des ORF-G (§§ 13-17, Werbung und Patronanzsendungen) bestehen gesonderte Regulative.

321 Das Österreichische Fernsehen – Demokratiepolitischer Bildungsauftrag oder Quote ? ANHANG A

1. PROGRAMMGESTALTUNG

Gesetzlicher Programmauftrag

1.1 Der gesetzliche Programmauftrag (§ 4) richtet sich an alle Medien des ORF insgesamt, strebt ein differenziertes Gesamtangebot von Information, Kultur, Unterhaltung und Sport für alle an, das sich an der Vielfalt der Interessen aller Hörer/innen und Seher/innen zu orientieren und diese ausgewogen zu berücksichtigen hat. Das Gesetz detailliert den Programmauftrag hinsichtlich einzelner Programmkategorien, stellt dabei Ziele auf und enthält Qualitätsanforderungen. Besondere Aufträge (§ 5) und Programmgrundsätze (§ 10) sind für das Verständnis des gesetzlichen Programmauftrags ebenso mit zu berücksichtigen wie die Unabhängigkeit der journalistischen Mitarbeiter/innen und Organe des ORF. Alle diese Bestimmungen sind als programmatische Leitlinien zu verstehen, bei deren Umsetzung in den einzelnen Sendungen erheblicher Gestaltungsspielraum besteht. Die einzelnen Aufträge können in der Programmwirklichkeit nicht immer scharf voneinander abgegrenzt werden. So vermitteln z. B. auch Kultur- und Unterhaltungs- angebote Information; anderseits können auch Informations- und Bildungs- sendungen unterhaltend sein. Die Umsetzung des gesetzlichen Programmauftrags erfordert eine wertende Gesamtschau aller Einzelaufträge auf der Grundlage der Zielbestimmung des § 1 Abs. 34.

Qualitätsauftrag

1.2 Das mediale Gesamtangebot des ORF hat sich um Qualität zu bemühen, wobei insbesondere die Sendungen in den Bereichen Information, Kultur und Wissenschaft vom Gesetzgeber hervorgehoben wurden (Verpflichtung zu „hoher Qualität“). Die Kriterien für die Beurteilung der Qualität ergeben sich aus dem gesetzlichen Programmauftrag und dem allgemeinen Begriffsverständnis. Der allgemeine Qualitätsauftrag ist nach seinem Zweck auszulegen: die

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Unverwechselbarkeit des ORF in Inhalt und Auftritt im Wettbewerb mit den kommerziellen Veranstaltern.

1.2.1 Die ORF-Angebote haben auf verbindlichen programmlichen Grund- standards wie Objektivität, Respektierung der Meinungsvielfalt und der Beachtung elementarer Werte (Achtung der Menschenwürde, der Persönlichkeitsrechte sowie der Privatsphäre) zu beruhen und sich um Integration, Gleichberechtigung und Verständigung zu bemühen. Durch den Eigenanspruch des ORF auf flächendeckende handwerkliche und inhaltliche Qualität kann ein unverwechsel- bares, sinn- und identitätsstiftendes Angebot gewährleistet werden, das ihn von kommerziellen Mitbewerbern abheben soll. „Der Österreichische Rundfunk hat bei Erfüllung seines Auftrags auf die Grundsätze der österreichischen Verfassungsordnung, insbesondere auf die bundesstaatliche Gliederung nach dem Grundsatz der Gleichbehandlung der Länder, sowie auf den Grundsatz der Freiheit der Kunst Bedacht zu nehmen und die Sicherung der Objektivität und Unparteilichkeit der Berichterstattung, der Berücksichtigung der Meinungsvielfalt und der Ausgewogenheit der Programme sowie die Unabhängigkeit von Personen und Organen des Österreichischen Rundfunks, die mit der Besorgung der Aufgaben des Österreichischen Rundfunks beauftragt sind, gemäß den Bestimmungen dieses Bundesgesetzes zu gewährleisten.“

1.2.2 Eine spezifische Ausprägung des Qualitätsauftrags ist die Verpflichtung, in den Hauptabendprogrammen des Fernsehens (20.00 bis 22.00 Uhr) in der Regel anspruchsvolle Sendungen zur Wahl zu stellen.

1.2.3 Grundsätzlich ist kein Programmgenre davon ausgenommen, anspruchsvolle Inhalte anzubieten. Anspruch leitet sich nicht nur von der Auswahl der Themen und Stoffe, über die berichtet wird, ab, sondern auch von der Art und Weise, in der diese programmlich umgesetzt werden. Diesem Kriterium kann etwa durch besondere gestalterische, journalistische oder künstlerische Qualität, die zur kritischen Auseinandersetzung anregt, entsprochen werden.

323 Das Österreichische Fernsehen – Demokratiepolitischer Bildungsauftrag oder Quote ? ANHANG A

1.2.4 Der Auftrag zu anspruchsvollen Inhalten (§ 4 Abs. 3) schränkt den Spielraum hinsichtlich der Themenauswahl von Sendungen und deren Gestaltung nicht ein.

1.2.5 Anspruchsvoll berichtet jedenfalls, wer sich mit Themen der Kunst, Kultur und Wissenschaft in einer Weise auseinandersetzt, die den unterschiedlichen Erwartungen und Bedürfnissen gerecht wird. Als Kriterium für anspruchsvolle Sendungen werden seitens des ORF auch externe Auszeichnungen und Preise sowie Bewertungen durch Expertenkommissionen anerkannt. Darüber hinaus kann auf Maßstäbe zurückgegriffen werden, die in langjähriger Kooperation mit anderen öffentlich-rechtlichen Sendeanstalten erarbeitet und weiterentwickelt wurden.

1.2.6 Eine massenattraktive Sendung kann dann anspruchsvoll im Sinne des ORF-G sein, wenn z. B. Bildung, soziale Kompetenz und kontroverse Themen auch auf unterhaltende Art und Weise vermittelt werden. Solche Sendungen können nicht nur die Erwartung des Publikums, unterhalten zu werden, erfüllen, sondern bieten zudem einen Mehrwert, der das Publikum anregt und auffordert, sich mit den angesprochenen Themen auseinanderzusetzen.

1.2.7 Als anspruchsvoll gelten jedenfalls Produktionen, die in Zusammenarbeit mit der öffentlichen Filmförderung realisiert wurden.

1.2.8 Anspruch liegt nach dem Verständnis des ORF in Filmen und Serien, die über Handlung, Figurenzeichnung, Grundperspektive und Dialoge die Zuseher/innen einerseits unterhalten, andererseits Impulse liefern, über Schemata des menschlichen Zusammenseins, über kulturelle Gegebenheiten, über Vergangenheit und Gegenwart nachzudenken. Qualität und Anspruch können in Filmen und Serien verwirklicht sein, die ethische, gesellschaftliche und soziale Werte ebenso thematisieren wie zwischenmenschliche, kulturelle oder geschichtliche Ereignisse und somit anregen, sich damit auseinanderzusetzen, auch wenn es über den Subtext passiert. Diese Kriterien können in einer Komödie ebenso erfüllt werden wie auch in einem ernsten Drama. Erfährt der/die Zuseher/in etwas über sich und seine/ihre Mitmenschen, erhält er/sie

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Denkanstöße oder Lösungsansätze, wird man Filmen und Serien Anspruch nicht absprechen können, auch wenn sie auf den ersten Blick unterhaltend wirken.

1.2.9 Anspruch bei Kommentierung und Übertragung von Sportveranstaltungen erfordert, über die in Bild und Ton hochwertige Wiedergabe hinaus, reichhaltige und sorgfältig recherchierte Hintergrundinformationen zum Sportereignis, zu den Teilnehmern/Teilnehmerinnen und den jeweiligen Sportarten zu vermitteln. Anspruch liegt jedenfalls dann vor, wenn die Berichterstattung z. B. die gesellschaftliche Relevanz des sportlichen Ereignisses vermittelt, ein tieferes Verständnis der Aktivitäten ermöglicht und das Interesse des Publikums an aktiver sportlicher Betätigung fördert. Anspruch kann auch dann vorliegen, wenn durch Berichterstattung und Analyse sportlicher Ereignisse und Themen gesellschaft- liches Diskurspotenzial geschaffen wird.

1.2.10 Das Gesamtprogrammangebot des ORF hat sowohl für die Pflege tradierter Qualität als auch für darauf aufbauende und diese weiterentwickelnde Formen und Inhalte zu stehen. Der Qualitätsbegriff umfasst mehrere Dimensionen, die in der Programmarbeit des ORF nach Möglichkeit zu berücksichtigen sind: Kompositorische Dimension: Gesellschaftspolitisch relevante Themen sind in einer möglichst großen Breite und Vielfalt (Medienmix) so anzubieten, dass diese von einem möglichst zahlreichen Publikum, jedenfalls aber von der jeweiligen Zielgruppe angenommen werden. Formal handwerkliche Dimension: Bei der Umsetzung in der Programmarbeit ist ein handwerklich hohes Niveau im Hinblick auf Text, Ton, Kameraführung, Regie, Schnitt, darstellerische Leistung etc. anzustreben. Inhaltliche Dimension: Bei Prüfung und Auswahl zu behandelnder Themen und der Art ihrer Kommunikation ist auf Relevanz, umfassende Behandlung und Verständlichkeit zu achten. Emanzipatorische Dimension: Relevante Themen und Inhalte sind nicht nur zu kommunizieren, sondern im Sinne der Anregung eines öffentlichen Diskurses sowie persönlicher Reflexionen des Publikums auch kritisch zu würdigen.

325 Das Österreichische Fernsehen – Demokratiepolitischer Bildungsauftrag oder Quote ? ANHANG A

Grundwerte, Gewaltdarstellung und Jugendschutz

1.3 Bei der Programmgestaltung ist in jedem Fall darauf zu achten, dass die Würde des Menschen gewahrt bleibt, die Privatsphäre des Individuums nicht verletzt und die Grundrechte anderer geachtet werden. Sendungsinhalte, die Persönlichkeitsrechte oder den höchstpersönlichen Lebensbereich berühren, sind in Abwägung dieser besonders geschützten Rechtspositionen mit dem Informationsauftrag und dem Grundsatz der Freiheit der Kunst bzw. der freien Meinungsäußerung zu gestalten. In allen Darbietungen ist auf die religiösen Gefühle Rücksicht zu nehmen.

1.3.1 Die Sendungen dürfen nicht zu Hass aufgrund von Rasse, Geschlecht, Alter, Behinderung, Religion und Nationalität aufreizen (§ 10 Abs. 2). Das gilt auch für kulturelle und soziale Zugehörigkeit, Krankheit und dergleichen.

1.3.2 Die Programme des ORF dürfen keine Sendungen enthalten, die die körperliche, geistige oder sittliche Entwicklung von Minderjährigen ernsthaft beeinträchtigen können (Verbot von „schweren Beeinträchtigungen“, § 10 Abs. 11). Der ORF hat sich dabei unter anderem an den Empfehlungen einschlägiger in- und ausländischer Institutionen zu orientieren. Im Licht seiner Verantwortung für Kinder und Jugendliche und um den spezifischen Bedürfnissen und Interessen dieser Zielgruppe gerecht zu werden, hat der ORF gewaltfreie Kinder- und Jugendformate, die in altersgerechter und unterhaltsamer Weise Werte und Wissen vermitteln, anzubieten. Mit fiktionalen Fernsehprogrammen für diese junge Zielgruppe soll die Fantasie der Kinder und Jugendlichen angeregt werden. Zusätzlich zu externen Orientierungsvorgaben sind die nachstehenden Kriterien für die Darstellung von Gewalt zielgruppenspezifisch zu beachten.

1.3.3 Auf Programmelemente, in denen Gewalt verherrlicht wird, sowie auf den Einsatz gewaltsamer oder Angst erregender Sendungsinhalte als spekulatives Mittel zum Zweck von Reichweitenmaximierung ist zu verzichten. Programmgestaltende Mitarbeiter/innen haben für Verständnis, Erkenntnis und

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Empathie zu sorgen, dabei aber jede voyeuristische oder zynische Ausdrucksweise bzw. die Ästhetisierung von Gewalt zu vermeiden.

1.3.4 Für den Umgang mit körperlicher und psychischer Gewalt, Ehrverletzungen, Intimsphäre, Krankheit, Tod und jeder Art schwerer persönlicher Betroffenheit gilt, dass werbende Effekte oder Ästhetisierung in Bezug auf die Verletzung von Persönlichkeitsrechten oder Missachtung des höchstpersönlichen Lebensbereichs zu unterlassen sind. Das erfordert insbesondere auch, Darstellungen zu vermeiden, die zur Befriedigung von Neigungen dienen können, die außerhalb des gesellschaftlichen Wertekonsenses liegen. Wo solche Effekte von realem Geschehen ausgehen können, ist in geeigneter Weise auf die Verletzung von Rechtspositionen hinzuweisen. Auf die Lebenswelt und besondere Sensibilität von Kindern und Minderjährigen ist durch die Wahl der Sendezeit zu achten. Kindersendungen haben die erziehungspsychologischen Standards zu beachten. Es sind alle Inhalte zu vermeiden, die Ängste erzeugen sowie zu seelischen und körperlichen Schäden bei Kindern und Minderjährigen beitragen können. Im Fernsehen muss das Angebot bis 20.15 Uhr für die gesamte Familie geeignet sein. Ab 20.15 Uhr muss die Verantwortung auch bei Eltern und Erziehungsberechtigten liegen, wobei eine Abstufung zwischen Haupt- und Spätabend (ab etwa 22.00 Uhr) vorgenommen wird. Filme mit Altersfreigabe ab 16 dürfen erst ab etwa 22.00 Uhr angeboten werden und sind den gesetzlichen Vorschriften entsprechend zu kennzeichnen. Wenn eine Ausnahme von dieser Zeitregel gemacht werden soll, dann muss zuvor eine entsprechende Bearbeitung (Schnitt) erfolgen.

1.3.5 Das Gebot zur Achtung des Lebens schließt auch den Umgang mit Selbstmord ein. Werbende Effekte für den Suizid oder die Selbstbeschädigung bzw. Selbstgefährdung sind zu unterlassen.

1.3.6 Bei der Ankündigung (Betrailerung) von Sendungen dürfen sensible Darstellungen nicht übermäßig, reißerisch oder in einer für die angekündigte Sendung untypischen Weise herausgestellt werden. Programmankündigungen sollen auf den Gesamtcharakter des Programms Bezug nehmen. Isolierte, aus

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dem Sinnzusammenhang gelöste Gewalt- und Schreckenssequenzen sind nicht als Mittel der Programmwerbung einzusetzen.

1.3.7 Die Vermittlung besonders schockierender, aber gerechtfertigter Darstellungen soll nach Möglichkeit dem Publikum in geeigneter Form angekündigt werden. Extensive Darstellungen, die ohne Beeinträchtigung des Handlungsverlaufs und des künstlerischen Anspruchs unterbleiben können, sind zu schneiden. Intensität der Darstellung, geringe Bedeutung im dramaturgischen Zusammenhang und geringer künstlerischer Anspruch sind dabei die für einen Schnitt sprechenden Kriterien. An Darstellungen mit Realitätsnähe ist ein strengerer Maßstab anzulegen als an solche mit historischen oder utopischen Sujets.

1.3.8 Die vorstehenden Grundsätze gelten sinngemäß auch für die Darstellung von Gewalt gegenüber Tieren und Sachgütern.

1.3.9 Die Notwendigkeit, Gewalt im weiteren Sinn als Element realen Geschehens und kulturellen Schaffens darzustellen, soll im Gesamtprogramm im Sinne eines Beitrags zur Aggressionsminderung in geeigneter Weise durch Sensibilisierung gegenüber dem Gewaltphänomen, Entwicklung von Selbstwert- und Gemeinschaftsgefühl, Vermittlung gesellschaftlich anerkannter Werte, Erklärung von Ursachen der Gewalt sowie Vermittlung von Problemlösungen zur Gewaltvermeidung ausbalanciert werden. Das erfordert insbesondere auch, Wiederholungen von Gewaltdarstellungen im weiteren Sinn – also auch von Unfällen – nach den oben genannten Zielen verantwortungsvoll zu prüfen.

1.3.10 Pornografische Sendungen sind nicht zulässig. Als pornografisch ist eine Darstellung anzusehen, wenn sie unter Ausklammerung aller sonstigen mensch- lichen Bezüge sexuelle Vorgänge in grob aufdringlicher, reißerischer Weise in den Vordergrund rückt und ihre Gesamttendenz ausschließlich oder überwiegend auf das lüsterne Interesse der betrachtenden Personen an sexuellen Dingen abzielt.

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1.3.11 Zur Sicherstellung der Einhaltung der Gesetzesaufträge (§ 10 Abs. 11 bis 14) sowie der Programmrichtlinien auf dem Gebiet des Jugendschutzes, insbesondere hinsichtlich der Darstellung von Gewalt und der Geschlechtssphäre, ist ein/e Jugendschutzbeauftragte/r zu bestellen, der/die deren Einhaltung zu beobachten und gegebenenfalls den Programmverantwortlichen entsprechende Hinweise zu geben hat.

1.3.12 Die heimliche Bildaufnahme von Personen darf nur in besonderen, durch den Zweck der Aufnahme gerechtfertigten Situationen und nach vorheriger Genehmigung seitens des/der zuständigen Direktors/Direktorin oder Landes- direktors/Landesdirektorin bei der Gestaltung von Programmelementen Verwen- dung finden. Soweit bei diesen Aufnahmen der Verdacht besteht, dass eine Veröffentlichung gegen die berechtigten Interessen des/der Abgebildeten verstoßen könnte, darf eine Veröffentlichung (Sendung) nur dann stattfinden, wenn die abgebildeten Personen ihr schriftliches Einverständnis zur Veröffent- lichung erteilt haben.

1.3.13 Jeder Person, die um Abgabe einer Erklärung oder eines Interviews gebeten wird, ist die Programmkategorie (Information, Unterhaltung etc.) mitzuteilen, in der die Sendung vorgesehen ist. Im Allgemeinen ist die Kenntnis vorauszusetzen, dass bei derartigen Aufnahmen Schnitte und andere Ände- rungen, insbesondere Kürzungen, im Interesse der Sendung vorgenommen werden können, und dass keinesfalls eine Garantie für die Sendung der Aufnahme gegeben werden kann; diesbezügliche Informationen sind daher nur gegenüber Personen erforderlich, die im Umgang mit Medien gänzlich unerfahren sind.

Gestaltungsgrundsätze für alle Programmkategorien

1.4 Alle Programme und Programmelemente sind im Sinn der Verfassung und im Einklang mit der österreichischen Rechtsordnung zu gestalten. Die Ausübung des Rechts auf freie Meinungsäußerung ist nur insoweit beschränkt, als dies das ORF-G oder andere gesetzliche Bestimmungen vorsehen.

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1.4.1 Die Gestaltung von Programmelementen hat im Rahmen des gesetzlichen Programmauftrags, der besonderen Aufträge und der Programmgrundsätze zu erfolgen (siehe im Einzelnen §§ 4, 5, 10 und 18). Zusätzlich sind vor allem die Persönlichkeitsrechte zu beachten, deren Schutz zivilrechtlich im ABGB, im Medien- und Urheberrechtsgesetz und strafrechtlich vor allem im Strafgesetzbuch verankert ist.

1.4.2 Der Programmauftrag ist nur innerhalb der Gesetze zu befolgen. Das bedeutet, die Erfüllung des Programmauftrags berechtigt nicht, in geschützte Rechtssphären Dritter (Eigentumsrecht, Hausrecht etc.) einzugreifen.

1.4.3 Aufgrund der verfassungsgesetzlich garantierten Unabhängigkeit des ORF ist die Programmgestaltung und dabei insbesondere die Auswahl und Gewichtung der Berichterstattung und die Auswahl von Programmelementen allein Sache des ORF.

1.4.4 Bei der Programmgestaltung sind alle wichtigen gesellschaftlichen, politischen, sozialen, wirtschaftlichen, kulturellen, sportlichen, wissenschaftlichen, geistigen, religiösen und künstlerischen Entwicklungen zu berücksichtigen. Die für das Werden und Wechseln von Anschauungen und Richtungen bestimmenden Umstände sind deutlich zu machen. Allerdings reicht es nicht aus, jeweils etablierte Anschauungen und Richtungen wiederzugeben, auch abweichende oder erst aufkommende Entwicklungen sind zu beachten. Bloß originelle Problematik kann aber nicht als Rechtfertigung einseitiger Darstellung dienen.

1.4.5 Die Angebote des ORF sollen zur freien individuellen und öffentlichen Meinungsbildung im Dienste des mündigen Publikums und damit zum demokratischen Diskurs der Allgemeinheit beitragen.

1.4.6 Für Österreich ist die Einbettung in Europa, das Verhältnis zu seinen Nachbarn und seine Verbundenheit mit diesem Kulturraum wesentlicher Bestand- teil seiner Identität. Ein Europa ohne Grenzen, in dem die Gemeinsamkeit im Vordergrund steht, stellt keinen Widerspruch zu einem Europa der Regionen dar.

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Daher muss das Gesamtangebot des ORF im Sinne der Verpflichtung zur Förderung der österreichischen Identität und des Verständnisses für die europäische Integration (§ 4 Abs. 1 Z 3 und 4) sowohl die kulturellen Gemeinsamkeiten in Europa stärken als auch einen Beitrag zum besseren Verständnis der Regionen Europas leisten. Der ORF muss seinem Publikum sowohl das Fremde als auch das Eigene näher bringen. Er hat dazu anzuregen, einerseits das Vertraute zu schätzen und andererseits Interesse für das Neue, noch Unbekannte zu wecken.

1.4.7 Die Angebote des ORF haben zum Abbau von Vorurteilen, insbesondere aufgrund von Herkunft, Geschlecht, Alter, Behinderung, Religion, Nationalität, politischer Gesinnung, Homosexualität, ethnischer, kultureller und sozialer Zugehörigkeit, beizutragen.

1.4.8 Das Programmangebot hat anspruchsvolle Inhalte gleichwertig zu enthalten und sich zugleich an den Interessen des Publikums zu orientieren. Diese beiden Ziele bedeuten keinen Gegensatz, vielmehr die Anregung an die Gestalter/innen, anspruchsvolle Inhalte auch massenattraktiv zu machen und publikumswirksame Angebote mit Anspruch zu versehen.

1.4.9 Das Gebot der Ausgewogenheit gilt nicht nur für Informationssendungen, sondern für das gesamte Programmangebot, wobei besonders Bedacht darauf zu nehmen ist, dass Informationen und Wertvorstellungen außer in den deklarierten Informationssendungen auch in anderen Sendungen und Angeboten vermittelt werden.

1.4.10 Die Einflussnahme Außenstehender auf Inhalt und Form von Programm- elementen ist unzulässig. Dazu zählen nicht nur Interventionen und Pressionen, sondern auch Geschenke sowie die Zuwendung persönlicher Vorteile, die über den Bereich der unmittelbaren beruflichen Tätigkeit hinausgehen. Ebenso dürfen persönliche Interessen die Gestaltung von Programmelementen nicht beein- flussen.

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1.4.11 Die Sprache hat auf akustische Verständlichkeit, grammatische und phonetische Richtigkeit und die allgemein anerkannten österreichischen Sprach- gewohnheiten zu achten. Fremdsprachige Ausdrücke, die nicht in die deutsche Sprache übernommen wurden, sind nach den Regeln der jeweiligen Sprache zu verwenden.

1.4.12 Die Gleichstellung von Frauen und Männern verpflichtet zu einer geschlechtergerechten Sprache.

1.4.13 Es ist untersagt, zu Aufnahmezwecken Situationen herbeizuführen, die geeignet sind, bei Dritten den Eindruck einer strafbaren Handlung hervorzurufen, oder durch die ein Eingreifen der Sicherheitsbehörden oder sonstiger Institutionen, wie Rettung, Feuerwehr und ähnliche Dienste, provoziert werden könnte. Sollte sich in Einzelfällen die Notwendigkeit ergeben, in Erfüllung der dem ORF gestellten Informationsaufgabe doch derartige Situationen herbeizuführen, so bedarf es der vorherigen Zustimmung des/der zuständigen Direktors/Direktorin oder Landesdirektors/Landesdirektorin sowie allenfalls der vorherigen Kontaktnahme mit den zuständigen Behörden.

1.4.14 Die Erarbeitung von Programmelementen ist Aufgabe der programm- gestaltenden Mitarbeiter/innen des ORF. An der Erfüllung dieser Aufgabe nehmen federführend, aber gegebenenfalls auch unmittelbar, die Programm- und Landesdirektoren bzw. -direktorinnen teil. Die programmgestaltenden Mitarbei- ter/innen, die die Produktion von Programmelementen für Informationssendungen laut den Punkten 1.5 ff besorgen, sind die journalistischen Mitarbeiter/innen.

1.4.15 Sämtlichen programmgestaltenden Mitarbeitern/Mitarbeiterinnen wird bei Besorgung aller ihnen übertragenen Aufgaben Unabhängigkeit und Eigenverant- wortlichkeit garantiert, wobei die journalistischen Mitarbeiter/innen den besonde- ren Schutz des Redakteurstatuts genießen.

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Gestaltungsgrundsätze für die Information

1.5 Die besonderen Bestimmungen für die Information (§ 4 Abs. 1 Z 1, Abs. 2, 4 und 5, § 10 Abs. 4 bis 7) gelten für die Sendungen der aktuellen Berichterstattung und für die Sendungen, die der Erörterung oder der Vertiefung von Berichterstattungsinhalten dienen. Die in den folgenden Punkten für die Gestal- tung solcher Sendungen getroffenen besonderen Anordnungen richten sich insbesondere an die journalistischen Mitarbeiter/innen des ORF.

1.5.1 Jedes Programmelement in Nachrichtensendungen, Journalen und anderen Sendungen, die unmittelbar der aktuellen Berichterstattung dienen, muss den Erfordernissen der Objektivität entsprechen. Zu den Programmelementen, die unter Wahrung des Grundsatzes der Objektivität zu gestalten sind, gehören auch Sachanalysen und Moderationen, nicht jedoch Meinungskommentare.

1.5.2 Objektivität bedeutet Sachlichkeit unter Vermeidung von Einseitigkeit, Parteinahme und Verzerrung der Dimensionen. Wesentlich für jede objektive Darstellung ist die klare Trennung zwischen Tatsachenangaben und Meinungen. Tatsachen sind Ereignisse oder Eigenschaften mit einem greifbaren, für das Publikum erkennbaren, von ihm anhand bestimmter oder zu ermittelnder Umstände überprüfbaren Inhalt. Meinung ist ein Behauptungszusammenhang, der keinem strengen Überprüfbarkeitspostulat unterliegt bzw. von dem gesagt werden kann, dass er zwar plausibel, aber nicht vollständig begründbar ist.

1.5.3 Das Gebot der Objektivität bei der Gestaltung von Programmelementen bedeutet den Auftrag zu unablässiger Bemühung, die günstigere Behandlung eines Standpunktes oder die Bevorzugung einer Version von Ereignissen im Bereich kontroverser Themen zu vermeiden. Programmelemente, die zu kritischem Denken und zur freien Urteilsbildung anregen, sind für Informationssendungen geradezu notwendig. Dem steht das Objektivitätsgebot nicht entgegen.

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1.5.4 Objektivität erfordert die Berücksichtigung aller erreichbaren zuverlässigen Informationsquellen, wahrheitsgemäße Quellenangabe und Beurteilung jeder Information nach Richtigkeit und Nachrichtenwert unter Bedachtnahme auf die relevanten gesellschaftlichen, politischen, geistigen und künstlerischen Strömungen. Angesichts der spezifischen Wirkungen elektronischer Medien gehört es zum Streben nach Objektivität, die Verallgemeinerung des Besonderen zu vermeiden.

1.5.5 Objektiv berichtet jedenfalls, wer ein zutreffendes Bild der Wirklichkeit zeichnet. Dazu sind alle Elemente der Berichterstattung nach ihrer Richtigkeit und Wesentlichkeit – im Sinne der Vollständigkeit der Darstellung – zu erkennen und sachlich darzulegen. Unobjektiv und daher zu vermeiden sind daher: tatsachen- widrige, tendenziöse und polemische Feststellungen und die unkritische Wieder- gabe einseitiger Behauptungen, wodurch der Eindruck der Identifikation entsteht.

1.5.6 Bei der Prüfung der Objektivität ist von Durchschnittskonsumen- ten/Durchschnittskonsumentinnen der Sendungen auszugehen, wobei weder Kritiklosigkeit noch überdurchschnittlich engherzige Einstellungen der Maßstab sind.

1.5.7 Programmelemente von Informationssendungen einschließlich der Moderation müssen sachlich fundierte und konkrete Angaben enthalten; Gerüchte und eigene Spekulationen sind ausgeschlossen. Nur erfahrungsgemäß zuverlässige Agenturen sind ohne ausdrückliche Zitierung als Hauptinformations- quellen zulässig. Auch diese Quellen sind – wie alle anderen Informationsquellen – bei geringstem Zweifel ausdrücklich anzugeben. In allen Berichterstattungsfällen über Konfliktsituationen und Streitfragen im In- und Ausland sind die Quellen und die Angaben der beteiligten Seiten klar voneinander getrennt anzuführen.

1.5.8 Berichterstattung und Sachanalyse müssen das Ergebnis einer gründlichen Recherche sein. Behauptungen über Personen, Organisationen oder Institutionen dürfen ohne vorhergehende Rückfrage bei den Betroffenen und ohne Einladung zur Stellungnahme nicht gesendet werden. Die Ergänzung des Objektivitäts- durch

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das Pluralitätsgebot soll verhindern, dass Analysen isoliert für sich bleiben und sich nicht mit anderen maßgeblichen Meinungen auseinandersetzen. Aus dem Blickpunkt des Persönlichkeitsschutzes ist jedenfalls die Meinung des/der Betroffenen als relevant anzusehen, insbesondere wenn es um seine/ihre Ehre und seinen/ihren guten Ruf geht. Auf diese Überprüfung kann in der tagesaktuellen Berichterstattung nur verzichtet werden, wenn eine Äußerung nicht über Veranlassung des ORF abgegeben wird, die Betroffenen nicht erreichbar sind oder ihre Erreichbarkeit außerhalb des zumutbaren Bereichs liegt und kein strafbares Verhalten des/der Kritisierten behauptet wird. Die Stellungnahme der Betroffenen bzw. der Grund für das Fehlen ihrer Stellungnahme sind in der Sendung zum Ausdruck zu bringen.

1.5.9 Sorgfältige Recherchen, Überprüfungen und Rückfragen (Checking) machen meist nachträgliche Berichtigungen überflüssig. Im Übrigen sind die Redaktionen zu den aufgrund des Sachverhalts nötigen angemessenen und wirksamen Richtigstellungen schon aufgrund der journalistischen Ethik verpflichtet. Weiters ist auf das Gegendarstellungsrecht bzw. das Recht auf nachträgliche Mitteilung über den Ausgang eines Strafverfahrens zu verweisen (siehe §§ 9 bis 20 Mediengesetz). In jedem derartigen Fall muss der/die zuständige Direktor/ Direktorin oder Landesdirektor/Landesdirektorin befasst werden.

1.5.10 Es ist untersagt, ohne Begründung im Nachrichtenwert einen Ausgleich bzw. einseitigen Vorteil in der Berichterstattung über Parteien und Gruppen herbeizuführen. Es ist nicht Aufgabe des ORF, von sich aus einen Informations- proporz herzustellen; die gesellschaftlichen Kräfte sind in den Informations- sendungen des ORF in dem Maße zu berücksichtigen, in dem sie berichtenswerte Aktivitäten entwickeln, Ereignishaftes bewirken und relevante Informationen liefern.

1.5.11 Bei der Gestaltung von Informationssendungen ist dafür zu sorgen, dass Verzerrungen der Wirklichkeit, wie sie durch die Eigenwirkung der Berichterstattung zu entstehen drohen, vermieden werden. Es liegt in der Natur der aktuellen Berichterstattung, dass sie das Außergewöhnliche wahrnimmt; die

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Bevorzugung des Außergewöhnlichen kann aber das objektive Bild, zu dem auch das Allgemeine oder das Typische gehören, verzerren. Durch den angemessenen Hinweis auf die Außergewöhnlichkeit werden die objektiven Dimensionen des Ereignisses wieder hergestellt. Besonders im Fernsehen kann die Suggestivkraft der bildlichen Aufnahme des Außergewöhnlichen so stark sein, dass die allgemeine Dimension des Ereignisses für den/die Seher/in weitgehend verloren geht. Diesem Verzerrungseffekt ist, soweit er nicht überhaupt ausgeschaltet werden kann, durch Präsentation und Textierung entgegenzuwirken.

1.5.12 Darstellungen von Gewalt in Informationssendungen haben sich auf jenes Maß zu beschränken, das zur umfassenden Information über die Tragweite und die Zusammenhänge von Ereignissen erforderlich ist. Je höher der Nachrichtenwert, desto detaillierter kann die Darstellung sein. Darstellungen, die per se keinen Nachrichtenwert haben und nur der Befriedigung von Neugierde, Sensationslust oder sozial schädlichen Neigungen dienen oder Wiederholungseffekte auslösen können, haben zu unterbleiben. Das gilt besonders für Opfer von Unterdrückung, Gewalt, Unfällen etc., bei denen auf den Schutz des höchstpersönlichen Lebensbereichs zu achten ist. Unmittelbar folgende Wiederholungen sensibler Darstellungen sind nur bei hohem Nachrichtenwert zulässig. Ein solcher liegt bei Sportunfällen im Allgemeinen nicht vor.

1.5.13 Die Berichterstattung über gerichtliche Strafverfahren ist vor allem an das Gebot der Achtung der Menschenwürde aller Verfahrensbeteiligten gebunden. Der/die Beschuldigte oder Angeklagte ist bis zur rechtskräftigen Verurteilung als bloß tatverdächtig zu behandeln. Die Berichterstattung hat objektiv ohne die geringste eigene Meinung oder Kommentierung zu erfolgen und ausschließlich in einer getreuen Wiedergabe der Vorgänge im Verfahren zu bestehen. Die Berichterstattung aus dem Gerichtssaal ist nur in Form von Wortberichten zulässig, die im Fernsehen allenfalls durch Fotos ergänzt werden können. Der Einsatz audiovisueller Aufnahmegeräte, Fernseh- und Hörfunkaufnahmen und -übertragungen von öffentlichen Verhandlungen der Straf- und Zivilgerichte sind ausgeschlossen (§ 22 Mediengesetz). Die Einflussnahme auf ein Strafverfahren

336 Das Österreichische Fernsehen – Demokratiepolitischer ANHANG A Bildungsauftrag oder Quote ?

durch Erörterung des vermutlichen Ausgangs des Verfahrens oder des Werts eines Beweismittels ist in bestimmten Verfahrensabschnitten gerichtlich strafbar. Es ist unzulässig, durch die Gestaltung des Beitrags – etwa durch das Festhalten von Gefühlsregungen durch Nahaufnahmen mittels Teleobjektiv – in die Intimsphäre der Verfahrensbeteiligten einzugreifen.

1.5.14 Für Sachanalysen unter Wahrung des Grundsatzes der Objektivität gilt: Die Funktion der Sachanalyse im Unterschied zu jener der Nachricht besteht nicht in der bloßen Mitteilung eines Sachverhalts, sondern in dessen interpretativer Beurteilung. Die Sachanalyse spiegelt daher immer auch die persönliche Beurteilung des/der Analysierenden wider, der/die seine/ihre Beurteilung allerdings auf nachvollziehbaren Tatsachen aufbauend dem Gebot der Sachlichkeit entsprechend darzulegen hat. Polemische, tendenziöse oder unangemessene Formulierungen sind mit dem Erfordernis einer sachlichen Darstellung unvereinbar. Im Übrigen bemisst sich die Sachlichkeit einer Sachanalyse nach dem vorgegebenen Thema und der Nachvollziehbarkeit der vom/von der Analysierenden aus seinem/ihrem Blickwinkel gebotenen Beurteilung.

1.5.15 Bei der Wiedergabe und Vermittlung von für die Allgemeinheit wesentlichen Kommentaren, Standpunkten und kritischen Stellungnahmen ist die Vielfalt der im öffentlichen Leben vertretenen Meinungen in ihrer Gesamtheit angemessen zu berücksichtigen. Objektivität ist hierbei dadurch zu gewährleisten, dass für die Ausgewogenheit in der Auswahl zu sorgen ist. Solche Programmelemente – Meinungskommentare – enthalten Äußerungen mit subjektiver und wertender Beurteilung. Dennoch muss vom/von der Kommentator/Kommentatorin erwartet werden, dass er/sie sich seine/ihre Meinung auf Grund zuverlässiger Quellen und Informationen bildet, sie mit möglichst stichhältigen Argumenten begründet und in fachlich qualifizierter Weise darlegt.

1.5.16 Die Wiedergabe und Vermittlung von Meinungskommentaren kann sowohl in deklarierten Kommentarsendungen als auch im Rahmen von Diskussionsrunden und Publikumsdiskussionen erfolgen. Es ist auch zulässig,

337 Das Österreichische Fernsehen – Demokratiepolitischer Bildungsauftrag oder Quote ? ANHANG A

Meinungskommentare oder ihrer Aussage nach als Meinungskommentar zu beurteilende Programmelemente in andere Sendungen als besonders gekennzeichnete Beiträge aufzunehmen. Jedenfalls sind Meinungskommentare von der Berichterstattung streng zu trennen.

1.5.17 Meinungskommentare von Personen, die Programmelemente gestalten, die den Erfordernissen der Objektivität entsprechen müssen, dürfen nur bei erheblichem Nachrichtenwert und unter ausdrücklicher Kennzeichnung als Meinungskommentar berücksichtigt werden.

1.5.18 Die Ausgewogenheit der Programminhalte kann bei Informations- sendungen unter anderem in der Weise erzielt werden, dass in einer einzigen Sendung in verschiedenen Programmelementen zu einem Thema verschiedene relevante Meinungen zu Wort kommen, sodass letztlich im Rahmen der Sendung selbst eine umfassende Information erfolgt und somit Ausgewogenheit hergestellt wird. Ausgewogenheit der Programminhalte kann auch im Wege der Programm- erstellung im Verlauf eines angemessenen Zeitraums hergestellt werden (siehe unten Punkte 2.3 ff).

1.5.19 Integrierender Bestandteil dieser Richtlinien sind Standards journalistischer Berufsethik, die in diversen internationalen Presse-Ehrenkodizes festgehalten sind. Dazu gehört die Wahrung des Berufsgeheimnisses, das Gebrauchmachen vom Zeugnisverweigerungsrecht, keine Preisgabe von Informanten ohne deren ausdrückliche Zustimmung und das Einhalten vereinbarter Vertraulichkeit. ORF- Journalisten und -Programmverantwortliche haben zusätzlich auch alles zu unterlassen, das geeignet sein könnte, Zweifel an der Unabhängigkeit des ORF aufkommen zu lassen.

Gestaltungsgrundsätze für einzelne Programmkategorien

1.6 Der Programmauftrag zu Kunst, Kultur und Wissenschaft geht über die Erfüllung des Informationsauftrags hinaus. Durch Berücksichtigung und Förderung der heimischen künstlerischen und kreativen Produktion ist ein Beitrag zum

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Kulturgeschehen zu leisten. Im Bereich der Filmkunst, der bildenden Kunst, der Literatur und der Musik ist besonders dem gegenwärtigen österreichischen Schaffen Raum zu geben. Als Auftraggeber und häufig Erstveröffentlicher künstlerischer Werke und wissenschaftlicher Erkenntnisse soll der ORF einen Beitrag zum Kulturgeschehen leisten.

1.6.1 Die Vermittlung von Kunst, Kultur und Wissenschaft ist eine Aufgabe, die der ORF gegenüber dem Publikum wahrzunehmen hat; die Erfüllung dieser Aufgabe hat im Gesamtprogramm zu erfolgen und ist nicht an bestimmte Sendungs- und Gestaltungsformen gebunden. Die Förderung von Kunst, Kultur und Wissenschaft dagegen stellt sich als eine Aufgabe gegenüber der Kunst, der Kultur und der Wissenschaft dar. Mit der Förderung von Kunst, Kultur und Wissenschaft ist der ORF jedoch nur insoweit betraut, als sie der Erfüllung des Programmauftrags dient. Der ORF fördert also Kunst, Kultur und Wissenschaft durch seine diesen Bereichen gewidmeten Sendungen.

1.6.2 Die Vermittlung von Kunst, Kultur und Wissenschaft bezieht sich sowohl auf tradierte Kunstformen und gesicherte wissenschaftliche Erkenntnisse als auch auf aktuelle künstlerische Ausformungen und neue wissenschaftliche Thesen. Darüber hinaus soll das Angebot des ORF bei der Vermittlung aktueller künstlerischer Inhalte eine Verständnishilfe für das Publikum bieten und zur Nutzung von Angeboten Kulturschaffender und kultureller Institutionen ermuntern. Erkenntnisse und Entwicklungen in wissenschaftlichen Disziplinen soll der ORF möglichst in einer breit gestreuten Palette von Sendungen und Angeboten dem Publikum näher bringen. Ziel ist es, über Themen der Wissenschaft nicht nur zu informieren, sondern dadurch auch zu besserem Verständnis aktueller Probleme und deren Zusammenhänge beizutragen und damit unter anderem Lebenshilfe zu bieten.

1.6.3 Bei der Darbietung von Unterhaltung sind nicht nur die unterschiedlichen Ansprüche des Publikums und dessen Wünsche nach Entspannung und Anregung zu berücksichtigen. Die Programmgestalter/innen haben auch auf den Umstand Bedacht zu nehmen, dass die Unterhaltung wie kaum ein anderer

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Bereich Verhaltensweisen, Selbstverständnis und Identität prägt. Daher sind die Menschenwürde, Persönlichkeitsrechte und die Privatsphäre des Individuums auch im Bereich der Unterhaltung besonders zu achten. Vor allem für die programmgestaltenden Mitarbeiter/innen von Unterhaltungssendungen gilt es, immer wieder neue, dem Lebens- und Zeitgefühl des Publikums entsprechende, attraktive Sendungen zu entwickeln. Unterhaltungssendungen sollen nicht zur Verfestigung von Vorurteilen, zur Verflachung des Geschmacks und zur Verrohung oder Brutalisierung des Publikums führen. Insbesondere Talk-Shows in Radio und Fernsehen haben von einer Sendungsphilosophie auszugehen, die der Wahrung der persönlichen Würde der Gäste, dem Nutzen für das Publikum und einer demokratischen Diskussionskultur verpflichtet ist. Unterhaltungssendungen sollen nicht den kommerziellen Interessen der Unterhaltungsindustrie ungebühr- lich Vorschub leisten.

1.6.4 Bei der Erfüllung der Verpflichtung zur angemessenen Berücksichtigung der Bedeutung der gesetzlich anerkannten Kirchen und Religionsgemeinschaften sind nicht nur die durch diese Institutionen gesetzten Ereignisse in ihrer gesellschaftlichen Relevanz, sondern auch die Glaubensinhalte dieser Kirchen und Religionsgemeinschaften zu berücksichtigen und zu vermitteln.

1.6.5 Bei der Erfüllung des Auftrags zur Verbreitung und Förderung von Volks- und Jugendbildung sollen die Angebote des ORF einerseits Prozesse des Lernens im einfachen Wortsinn von begreifen, verstehen und behalten für die Aus- und Fortbildung anregen; sie sollen andererseits – umfassender – anstreben, dass für die Bewältigung des Lebens Hilfe geboten wird, dass soziales und politisches Lernen gefördert werden, dass schließlich die Bildung des Bewusstseins und die Formung der Persönlichkeit unterstützt werden. Die Bildungsprogramme haben also nicht nur unter dem Gesichtspunkt der Lerneffektivität und des Einprägewerts die Aufgabe, Wissen zu vermitteln; sie sollen auch selbstständiges Erkennen, eigenes kritisches Denken und verantwortungsbewusstes Handeln fördern. Besonderes Anliegen bei der Gestaltung von Programmelementen der Bildung muss es sein, das Publikum zu eigenen Aktivitäten für die persönliche Weiterbildung anzuregen. Hierbei sollen auch Hilfestellungen für die

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Wahrnehmung der Erziehungsverantwortung, insbesondere der Familie, geboten werden. In erhöhtem Maße gilt dies für die Gestaltung von Kinder-, Jugend- und Familienprogrammen. Dem gesetzlichen Programmauftrag zur Verbreitung von Volks- und Jugendbildung soll nicht nur in den deklarierten Bildungssendungen entsprochen werden. In jenen Bereichen der Bildung, der Erziehung und des Wissens, in denen es grundsätzlich unterschiedliche Ansatzpunkte, Lehrmethoden und differierende Erkenntnisse bzw. Forschungsergebnisse gibt, genügt es nicht, Denkvorstellungen, Modelle oder Ziele einer Richtung darzustellen; es müssen vielmehr alle relevanten Auffassungen berücksichtigt werden. Politische Bildung im weitesten Sinn soll sowohl das Verständnis für alle Fragen des demokratischen Zusammenlebens fördern als auch zu eigenem politischen Handeln und selbstständiger Entscheidung befähigen.

1.6.6 Bei der Thematisierung von aktuellen Denkansätzen, Modellen und Szenarien des Umwelt- und Konsumentenschutzes und der Gesundheit sollen gemäß dem Prinzip der Nachhaltigkeit dauerhaft verträgliche, nicht nur den momentanen Bedürfnissen der Gesellschaft verpflichtete, sondern auch die Interessen künftiger Generationen berücksichtigende Lebens- und Verhaltensweisen als Leitmotiv für die Suche nach Lösungsansätzen besondere Berücksichtigung finden.

1.6.7 Die Sportberichterstattung soll durch Übertragung von Veranstaltungen und Präsentation von Akteuren/Akteurinnen aus dem Bereich verschiedener Sportdisziplinen auch zur Förderung des Interesses der Bevölkerung an aktiver sportlicher Betätigung beitragen, sie ist dafür aber nicht ausreichend. Die Aufforderung zur aktiven sportlichen Betätigung muss in ergänzenden Programmelementen vermittelt werden. In Sportsendungen soll immer wieder die wichtige Rolle des Breitensports im Dienst der Volksgesundheit betont und die Beziehung zwischen Breiten- und Spitzensport und deren gesellschaftliche Bedeutung erklärt werden. Chauvinistischen Tendenzen im Sport ist entgegen- zuwirken. Auswüchse extremer Sportausübung oder kommerzieller Sportinter- essen sind als solche aufzuzeigen.

341 Das Österreichische Fernsehen – Demokratiepolitischer Bildungsauftrag oder Quote ? ANHANG A

Besondere Aufträge

1.7 Der Auftrag zur Aufbereitung der Informationssendungen des Fernsehens für Gehörlose und Gehörbehinderte nach Maßgabe technischer Entwicklung und wirtschaftlicher Tragbarkeit gilt vorrangig für Nachrichtensendungen. Die Aufbereitung weiterer Sendungen ist nach Maßgabe der zur Verfügung stehenden Mittel anzustreben; das diesbezügliche Angebot hat sich an der Vielfalt der Interessen aller gehörlosen und gehörbehinderten Seher/innen zu orientieren und diese ausgewogen zu berücksichtigen.

1.7.1 Der Auftrag zur angemessenen Berücksichtigung der Anliegen behinderter Menschen bedeutet, dass der ORF über Punkt 1.7 hinaus auch in seinem Gesamtprogramm auf die Interessen dieser Bevölkerungsgruppe Bedacht zu nehmen hat, wobei die Bemühung um Integration und Gleichberechtigung besondere Bedeutung hat.

1.7.2 Der ORF hat angemessene Anteile in den Volksgruppensprachen jener Volksgruppen, für die ein Volksgruppenbeirat besteht, zu gestalten und zu verbreiten. Dabei ist auf die allgemeinen Ziele der Volksgruppenförderung Bedacht zu nehmen. Die Programmangebote für Volksgruppen sind in einem eigenen Jahressendeschema auszuweisen.

Gestaltungsgrundsätze für Onlinedienste und Teletext

1.8 Die Onlinedienste des ORF haben den für Hörfunk und Fernsehen festgelegten Standards zu entsprechen und erfordern eine eigenständige journalistische und gestalterische Leistung unter Berücksichtigung der Eigen- gesetzlichkeiten des Mediums.

1.8.1 Dazu zählt die übersichtliche Gliederung von Texten, die zunächst das Aktuelle, Wesentliche und Wissenswerte zusammenfassen und in weiterer Folge zu Detail und Hintergrund führen. Texte aus der Hörfunk- und Fernsehbericht- erstattung müssen mediengerecht bearbeitet werden.

342 Das Österreichische Fernsehen – Demokratiepolitischer ANHANG A Bildungsauftrag oder Quote ?

1.8.2 Über das aktuelle Geschehen im In- und Ausland ist ein rascher, jederzeit verfügbarer Überblick zu erstellen.

1.8.3 Die Berichte sind laufend zu aktualisieren und um Hintergrundinformation und Dokumentationen zu wichtigen Ereignissen zu ergänzen, damit sich der/die Benützer/in sowohl rasch einen Überblick über das laufende Geschehen verschaffen als auch in ein Thema vertiefen kann. Die inhaltliche Richtigkeit ist durch regelmäßige Überprüfung und Aktualisierung zu gewährleisten.

1.8.4 Die Angebote sollen sowohl eine breite Öffentlichkeit als auch spezifische Zielgruppen ansprechen. Die offene Medienstruktur soll auch eine Artikulations- basis für Minderheiten bieten.

1.8.5 Neben der primären Arbeit am Text selbst ist die Verlinkung zu anderen verwandten Inhalten, zu eigenen Archivbeiträgen, zu zitierten Quellen und anderen relevanten Webseiten im Sinne der Meinungsvielfalt wichtig. Inhaltsbezogene Links sollen der Ergänzung, Vertiefung oder Erläuterung eines Eigeninhalts dienen. Das Setzen solcher Links, mit denen auf Angebote Dritter verwiesen wird, bedarf besonderer redaktioneller Sorgfalt. Inhaltsbezogene Links sollen möglichst auf anerkannte Drittangebote bzw. verlässliche Informations- quellen verweisen. Bei der Anbringung von Links ist stets deutlich zu machen (z. B. durch einen Vermerk beim Link oder ein eigenes Browserfenster), dass der/die Nutzer/in das ORF-Angebot verlässt. Es dürfen keine Links gesetzt werden, die unmittelbar zu Inhalten führen, die gesetzwidrig sind oder den allgemeinen Programmgrundsätzen bzw. den Anforderungen des Jugendschutzes (§ 10) nicht entsprechen.

1.8.6 Die Benützer/innen sollen über Diskussionsplattformen und Reaktionsforen in den redaktionellen Prozess eingebunden werden. Diese interaktiven Bereiche sind regelmäßig darauf zu überprüfen, dass keine Verbreitung unzulässiger Inhalte (siehe Punkt 1.8.5) erfolgt. Bei Kenntnis eines Beitrags mit derartigen Inhalten ist dieser unverzüglich zu löschen. Es sind Registrierungsbedingungen zu

343 Das Österreichische Fernsehen – Demokratiepolitischer Bildungsauftrag oder Quote ? ANHANG A

erstellen, die die Benützer/innen vor der Teilnahme an den interaktiven Bereichen anerkennen müssen.

1.8.7 Die Online-Berichterstattung soll dem an Information und Wissen interessierten Publikum auch die Möglichkeit bieten, die vom ORF aufbereiteten redaktionellen Inhalte über das Internet wahrzunehmen. Die Aufbereitung der Information im Sinn einer internetgerechten Berichterstattung erfolgt nicht im Sinne einer Konkurrenzierung, sondern als dezidierte Erweiterung zu den anderen Medien des ORF. Die Online-Berichterstattung soll auf Radio und Fernsehen verweisen, ebenso wie Radio und Fernsehen auf die Onlineangebote und -dienste des ORF verweisen sollen.

1.9 Für Teletext gelten die Punkte 1.8 bis 1.8.7 sinngemäß.

2. PROGRAMMERSTELLUNG

2.1 Die Erstellung der Hörfunk- und Fernsehprogramme hat im Rahmen der vom Stiftungsrat genehmigten langfristigen Programmpläne zu erfolgen. Dabei sind insbesondere die gemäß § 21 Abs. 2 Z 2 zustimmungspflichtigen und dem Stiftungsrat jeweils bis 15. November für das folgende Kalenderjahr vorzulegen- den Jahressendeschemen zu beachten. Jahressendeschemen sind die Festschreibung von Programmkategorien, Programmproportionen und Zeiteckwer- ten. Die Programmabläufe (Sendepläne) für die einzelnen Programme zeigen – in Umsetzung des Jahressendeschemas –, in welchem Verhältnis die Programm- kategorien in den einzelnen Zeitzonen angeboten werden. Aus aktuellem Anlass und an Feiertagen kann aber auch eine besondere, vom Jahressendeschema abweichende Programmierung erfolgen.

2.2 Durch die Programmerstellung ist für differenzierte und ausgewogene Programminhalte zu sorgen.

2.3 Bei der Programmerstellung ist nicht nur auf Ausgewogenheit im Bereich der Informationssendungen im Sinne von Punkt 1.5.14 zu achten, das Gebot der

344 Das Österreichische Fernsehen – Demokratiepolitischer ANHANG A Bildungsauftrag oder Quote ?

Ausgewogenheit gilt vielmehr für das gesamte Programm, wobei besonders Bedacht darauf zu nehmen ist, dass Informationen und Wertvorstellungen außer in den deklarierten Informationssendungen auch in anderen Sendungen vermittelt werden.

2.4 Die Ausgewogenheit kann auch in der Weise erzielt werden, dass nicht im Rahmen einer einzigen Sendung (Story), sondern in einer Sendereihe (in einem Bündel mehrerer Storys) im Verlauf eines angemessenen Zeitraums alle relevanten Meinungen berücksichtigt werden.

2.5 Dem Gebot der umfassenden Information der Allgemeinheit kann schließlich dadurch Rechnung getragen werden, dass eine Sendereihe bzw. ein Bündel von Storys der Behandlung bestimmter Themen und Problemstellungen (z. B. der kritischen Behandlung gesellschaftlicher Zusammenhänge oder der kritischen Überprüfung der Institutionen aus individuellem Blickwinkel) gewidmet ist, während andere relevante Themen und Problemstellungen in anderen Sendereihen bzw. Bündeln von Storys behandelt werden. Insgesamt muss aber auch in diesen Fällen die Ausgewogenheit der Inhalte gewährleistet werden.

2.6 Bei der Programmerstellung ist im Allgemeinen darauf zu achten, dass ein möglichst großes Publikum angesprochen wird. Es sind jedoch auch Programmelemente und Angebote erforderlich, die nur für bestimmte Teile des Publikums gedacht sind. Die Notwendigkeit von Sendungen und Angeboten für bestimmte Publikumsteile bzw. für Minderheiten kann sich dann ergeben, wenn die Wünsche und Bedürfnisse des Publikums in gewissen Belangen besonders unterschiedlich sind. Durch solche Interessenunterschiede, die sich etwa aus persönlichen, gesellschaftlichen oder regionalen Momenten ergeben können, entstehen keine starren Publikumsgruppen, vielmehr kommt es zwischen diesen Interessen je nach Programmangebot zu starken Überschneidungen. Soweit das Gesetz es nicht ausdrücklich festlegt – so etwa für Volksgruppen (§ 5 Abs. 1) –, hat keine Gruppe Anspruch auf eigens für sie bestimmte Programmangebote.

345 Das Österreichische Fernsehen – Demokratiepolitischer Bildungsauftrag oder Quote ? ANHANG A

2.7 Bei der Erstellung der Hörfunk- und Fernsehprogramme ist davon auszugehen, dass zu bestimmten Tageszeiten jeweils nur bestimmte Teile des Publikums erreichbar sind. In jedem Fall ist auf die Hör- und Sehmöglichkeit der verschiedenen Publikumsgruppen aufgrund ihres Arbeits- und Lebensrhythmus Bedacht zu nehmen. Demnach sollen Programmelemente, mit denen die Allgemeinheit angesprochen werden soll, womöglich zu jenen Tageszeiten gesendet werden, zu denen ein möglichst breites Publikum erreichbar ist. Programmelemente, die von vornherein für bestimmte Teile des Publikums bzw. für Minderheiten gedacht sind, sind möglichst zu Tageszeiten zu senden, zu denen die Adressaten/Adressatinnen auch erreichbar sind.

2.8 Das ausgewogene Gesamtprogramm muss anspruchsvolle Inhalte gleich- wertig enthalten. Dabei ist eine Durchschnittsbetrachtung über einen längeren Zeitraum anzustellen. Der Begriff „gleichwertig“ ist nicht als „gleichzeitig“ oder „gleichviel“ zu verstehen, sondern soll die Ausgewogenheit der Programme betonen: Die Gesamtheit der Programme des ORF muss über einen längeren Zeitraum gesehen erkennen lassen, dass die Zielsetzungen des § 4 bei der Programmgestaltung maßgeblich waren. Nicht aber müssen bestimmte Sendungen oder Sendungsinhalte überhaupt oder in einem bestimmten Ausmaß angeboten werden.

2.9 Bei der Programmierung der Hauptabendprogramme (20.00 bis 22.00 Uhr) im Fernsehen ist auf der Grundlage des Jahressendeschemas darauf zu achten, dass in der Regel anspruchsvolle Sendungen (siehe Punkte 1.2.2 ff.) zur Wahl stehen. Durch die Wendung „in der Regel“ kommt zum Ausdruck, dass hierbei von einer Durchschnittsbetrachtung auszugehen ist, die es mit sich bringt, dass auch Abweichungen zulässig sind.

2.10 Die Zuständigkeit für die Erstellung der Fernseh- und Hörfunkprogramme, der Onlinedienste sowie von Teletext richtet sich nach den auf Vorschlag des/der Generaldirektors/Generaldirektorin vom Stiftungsrat festgelegten Geschäftsbe- reichen der Direktoren/Direktorinnen und Landesdirektoren/Landes-direktorinnen und der auf dieser Grundlage getroffenen Geschäftsverteilung durch den/die

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Generaldirektor/in. Die Direktoren/Direktorinnen und Landesdirektoren/ Landesdi- rektorinnen sind außer an die Weisungen des/der Generaldirektors/ General- direktorin an keine Weisungen und Aufträge gebunden.

2.11 In den Programmen des Fernsehens sind durch regelmäßige regionale Sendungen sowie durch angemessene Anteile an den österreichweiten Pro- grammen die Interessen der Länder zu berücksichtigen. Die Beiträge werden von den Landesdirektoren/Landesdirektorinnen festgelegt. Die Letztverantwortung des/der Generaldirektors/Generaldirektorin wird hierdurch nicht aufgehoben. Der/die Landesdirektor/in tritt zur Wahrung des Festlegungsrechts aufgrund eines eigenen Angebots bzw. einer Einladung des/der Generaldirektors/ General- direktorin in dessen/deren Verantwortung ein.

2.12 Für die Erstellung der Hörfunk-Regionalprogramme und aller in ihrem Studiobereich zu gestaltenden Fernsehsendungen sind die Landesdirektoren/ Landesdirektorinnen verantwortlich. Im Hörfunkbereich außerhalb des Regional- programms und hinsichtlich der Fernsehprogramme, soweit es nicht um die Berücksichtigung der Länderinteressen geht, wirken die Landesdirektoren/ Landesdirektorinnen aufgrund eigener Angebote oder auf Einladung der Programmdirektoren/Programmdirektorinnen mit.

2.13 Bei der Beschaffung der Programmelemente und bei der Programmerstellung werden der/die Generaldirektor/in, die für Programminhalte und Angebote zuständigen Direktoren/Direktorinnen und die Landesdirektoren/Landesdirek- torinnen von den laut Organisationsstruktur des ORF hiefür jeweils zuständigen Mitarbeitern/Mitarbeiterinnen unterstützt. Diesen wird dabei ein Teil der Erstellungsverantwortung übertragen. An der Erfüllung dieser Aufgabe nehmen federführend, aber gegebenenfalls auch unmittelbar der/die Generaldirektor/in, die Direktoren/Direktorinnen und die Landesdirektoren/Landesdirektorinnen teil. Die Entscheidung über die Verbreitung eines Beitrags, einer Sendung oder einer Story liegt bei den Redaktionsleitern/Redaktionsleiterinnen (Sendungsverantwortlichen), in weiterer Folge bei deren vorgesetzten Dienststellenleitern/ Dienststellen- leiterinnen und Direktoren/Direktorinnen bzw. Landesdirektoren/ Landesdirekto-

347 Das Österreichische Fernsehen – Demokratiepolitischer Bildungsauftrag oder Quote ? ANHANG A

rinnen und in letzter Instanz beim/bei der Generaldirektor/in; diese können ihre Verantwortung delegieren, soweit dies für einen kontinuierlichen, aktuellen Programmbetrieb erforderlich ist.

2.14 Es gehört zu den Dienstpflichten des/der Generaldirektors/Generaldirektorin, der Direktoren/Direktorinnen und der Landesdirektoren/Landesdirektorinnen sowie der von ihnen mit der Programmerstellung betrauten Mitarbeiter/innen, die Unabhängigkeit und Eigenverantwortlichkeit aller programmgestaltenden Mitarbeiter/innen sowie die Freiheit der journalistischen Berufsausübung aller journalistischen Mitarbeiter/innen gemäß Gesetz (7. Abschnitt, Stellung der programmgestaltenden Mitarbeiter, §§ 32-34) und Redakteurstatut zu beachten.

2.15 Über die Durchführung von Bild- und Tonaufnahmen, die von Dienststellen der Programmdirektionen in einem Bundesland vorgenommen werden, ist der/die Landesdirektor/in im Voraus zu informieren. Diese Information kann unterbleiben, wenn die Bild- bzw. Tonaufnahmen keine Belange des betreffenden Bundeslandes zum Gegenstand haben. Die nähere Ausgestaltung dieser Informationspflicht im Interesse der Produktionsökonomie erfolgt durch Dienstanweisung des/der Generaldirektors/Generaldirektorin.

2.16 Für die Programmerstellung insgesamt stehen insbesondere Programmele- mente (Erstausstrahlung und Wiederholungen) aus folgenden Produktionsarten zur Verfügung: Eigenproduktionen (Hausproduktionen, Auftragsproduktionen) Koproduktionen (aktive und passive Koproduktionen) Fremdproduktionen (Kaufprogramme und Programmaustausch) Der Leistungsplan schlüsselt auf Basis der Jahressendeschemen die den Programmdienststellen zugeteilten Programmzeiten nach den angeführten Produktionsarten auf. Der Leistungsplan als Grundlage des jährlichen Budgets wird von den Direktoren/Direktorinnen und von den Landesdirektoren/ Landes- direktorinnen nach Maßgabe ihrer Geschäftsbereiche erstellt und vom/von der Generaldirektor/in genehmigt.

348 Das Österreichische Fernsehen – Demokratiepolitischer ANHANG A Bildungsauftrag oder Quote ?

3. PROGRAMMKOORDINIERUNG

3.1 Neben der Kontrolle der Tätigkeit der Direktoren/Direktorinnen und Landesdirektoren/Landesdirektorinnen obliegt dem/der Generaldirektor/in die Koordinierung ihrer Tätigkeit. Die Koordinierung erstreckt sich vor allem auf die langfristigen Programmpläne und Jahressendeschemen für Hörfunk und Fernsehen. Sie umfasst aber auch Onlinedienste und Teletext. Die Direkto- ren/Direktorinnen und die Landesdirektoren/Landesdirektorinnen haben für die Abstimmung ihrer jeweiligen Programmpläne und der Programminhalte zu sorgen und dabei Überschneidungen und Doppelgleisigkeiten zu vermeiden.

3.2 Über Programmelemente, die auf die Unternehmenspolitik des ORF Bezug nehmen, sind der/die zuständige Direktor/in oder Landesdirektor/in und der/die Generaldirektor/in unverzüglich zu informieren. Mitteilungen und Stellungnahmen des ORF werden den Direktoren/Direktorinnen, den Landesdirektoren/ Landesdirektorinnen und den für die aktuelle Berichterstattung zuständigen Redaktionen des ORF zur Verfügung gestellt. Die Verwendung dieser Mitteilungen und Stellungnahmen zur Gestaltung von Programmelementen im Rahmen der aktuellen Berichterstattung bestimmt der/die Generaldirektor/in.

3.3 Ansuchen um Verbreitung behördlicher Aufrufe in Krisen- und Katastrophenfällen und anderer wichtiger Meldungen an die Allgemeinheit sowie Ansuchen von Privaten in begründeten und dringenden Notfällen für Aufrufe zur Vermeidung von Gefahren für Gesundheit und Leben von Menschen (§ 6) sind – bei welcher Dienststelle des ORF sie auch einlangen – unverzüglich dem/der Generaldirektor/in zur Kenntnis zu bringen. Die zu treffenden Sofortmaßnahmen und die hiefür zuständigen Personen werden durch Dienstanweisung des/der Generaldirektors/Generaldirektorin festgelegt.

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Anhang A.3. ORF-Redakteurstatut vom 29. 6.1976 in der Fassung des Schiedsspruchs vom 30. 6. 1989 und der vom Redakteursausschuss und der Generaldirektorin einvernehmlich vorgenommenen Wiederverlautbarung vom 10. 10. 2002

Präambel

Ziel dieses Statuts ist es, auf der Basis des Bundesverfassungsgesetz über die Sicherung der Unabhängigkeit des Rundfunks vom 10. Juni 1974, BGBl. Nr. 396 (BGV-Rundfunk), und im Rahmen der Bestimmungen des ORF- Gesetzes in der Fassung BGBI. I Nr. 83/2001( ORF-G), die Unabhängigkeit, Eigenverantwort- lichkeit und Freiheit der journalistischen Berufsausübung aller journalistischen Mitarbeiter bei der Besorgung der ihnen übertragenen Aufgaben sicherzustellen, den Schutz der journalistischen Mitarbeiter gegen jede Verletzung ihrer Rechte zu gewährleisten und die Mitwirkung an personellen und sachlichen Entscheidungen, welche die journalistischen Mitarbeiter betreffen, zu regeln. Die Freiheit der journalistischen Berufsausübung besteht darin, ausschließlich aufgrund der nach bestem Wissen und Gewissen erhobenen Tatsachenlage zu handeln; diese Freiheit ist vor rechtswidrigen Eingriffen von innen und von außen, insbesondere des Staates, parteipolitischer, wirtschaftlicher sowie gesellschaft- licher Interessensgruppen zu schützen. Die besondere Verantwortung und die besonderen Pflichten, die den Redakteuren des Österreichischen Rundfunks (in der Folge ORF genannt) durch das ORF-G übertragen werden, rechtfertigen die Sicherung der Freiheit der journalistischen Berufsausübung und die Verankerung der Eigenverantwortlichkeit der Redakteure durch dieses Statut. Sämtliche in diesem Statut verwendeten personenbezogenen Bezeichnungen sind geschlechtsneutral zu verstehen.

Geltungsbereich

§ 1. Dieses Redakteurstatut gilt nach Maßgabe der folgenden Bestimmungen für alle journalistischen Mitarbeiter des ORF (§ 32 Abs. 3 ORF-G). Es sind dies alle

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Personen die ständig, unabhängig und eigenverantwortlich in Erfüllung des Programmauftrags des § 4 Abs. I und 5 ORF-G tätig sind, also zu sorgen haben für die umfassende und auf das aktuelle Tagesgeschehen bezughabende Information der Allgemeinheit über alle wichtigen politischen, sozialen, wirtschaftlichen, kulturellen (Bildung, Kunst, Wissenschaft und Unterhaltung) und sportlichen Fragen durch a) objektive Auswahl und Vermittlung von Informationen in Form von Nachrichten und Reportagen einschließlich der Berichterstattung über die Tätigkeit der gesetzgebenden Organe und gegebenenfalls der Übertragung ihrer Verhandlungen, b) Wiedergabe und Vermittlung von für die Allgemeinheit wesentlichen Kommentaren, Standpunkten und kritischen Stellungnahmen unter angemessener Berücksichtigung der Vielfalt der im öffentlichen Leben vertretenen Meinungen, c) eigene Kommentare, Sachanalysen und Moderationen unter Wahrung des Grundsatzes der Objektivität, sofern ihre Tätigkeit mindestens je ein Merkmal jeder der im Folgenden unter A) und B) aufgezählten Merkmalgruppen aufzu- weisen hat. A) Inhaltliche Produktion 1. Verfassung oder Gestaltung von Programmelementen, 2. direkte, akustische oder optische Darbietung von Programmelementen so weit diese das Ergebnis eigener oder gemeinsam mit anderen journalistischen Mit- arbeitern zustande gekommener recherchierender oder redaktioneller Tätigkeit ist, 3. redaktionelle Zusammenstellung einzelner Programmelemente zu Gesamtsen- dungen, 4. Ermittlung, Sammlung und Sichtung von Informationen, die als Vormaterial zur Verwendung bei der inhaltlichen Produktion bestimmt sind, 5. koordinierende und leitende Tätigkeit in den vorerwähnten Tätigkeitsbereichen (z .B. Chefredakteur, dessen Stellvertreter, leitender Redakteur, Ressortleiter). B) Berufsmäßige Wirkung Als ständig in Erfüllung des Programmauftrags gemäß § 4 Abs. I und 5 ORF-G tätig gelten Angestellte und freie Mitarbeiter (§ 32 Abs. 4 ORF-G), wenn ihre journalistische Tätigkeit im ORF zumindest im Durchschnitt a) der letzten drei Kalendermonate die Hälfte oder

351 Das Österreichische Fernsehen – Demokratiepolitischer Bildungsauftrag oder Quote ? ANHANG A

b) von sechs Kalendermonaten des letzten Jahres zwei Fünftel des 3-fachen der durch Gesetz im Kollektivvertrag vorgesehenen wöchentlichen Normalarbeitszeit erreicht und 2. sie in keinem sonstigen Beschäftigungsverhältnis stehen, das das Ausmaß einer wirtschaftlich unbedeutenden Nebentätigkeit übersteigt.

Unabhängigkeit

§ 2. Jeder Redakteur des ORF ist im Rahmen der Bestimmungen des ORF-G in Ausübung seiner journalistischen Tätigkeit unabhängig. Er hat seine Funktion im Sinne des § 4 Abs. I und 5 ORF-G auszuüben. Die Inhalte der allgemeinen Programmrichtlinien vom 1. 7. 1976 gelten als Bestandteil dieses Redakteurstatuts.

Eigenverantwortlichkeit und Freiheit der journalistischen Berufsausübung

§ 3. (1) Kein Redakteur darf verhalten werden, in Ausübung seiner journalistischen Tätigkeit etwas abzufassen oder zu verantworten, was der Freiheit der journalistischen Berufausübung widerspricht. Aus einer gerechtfertigten Weigerung darf ihm kein Nachteil erwachsen (§ 32 Abs. I ORF-G). (2) Die vom Rundfunk geforderte Erfüllung des Programmauftrags nach § 4 Abs. I und 5 ORF-G verpflichtet die Redakteure bei der selbständigen Gestaltung von Sendungen auch solche Beiträge aufzunehmen, die ihrer persönlichen Meinung widersprechen. (3) Die Eigenverantwortlichkeit des Redakteurs bezieht sich auf die selbstständige Gestaltung von Sendungen, Beiträgen und besonderen Nachrichtensendungen im Rahmen der Bestimmungen des ORF-G und der Programmrichtlinien. (4) Bei eigenen Sendungen und eigenen Beiträgen wird der Name des Verfassers genannt. Bei den besonderen Nachrichtensendungen wird der Name des verantwortlichen Redakteurs genannt. (5) Redakteure, zu deren Aufgabe es gehört, Sendungen zusammenzustellen, und die deshalb das Recht haben, Beiträge abzulehnen oder zu verändern, müssen versuchen, über wesentliche inhaltliche Eingriffe Einvernehmen mit dem

352 Das Österreichische Fernsehen – Demokratiepolitischer ANHANG A Bildungsauftrag oder Quote ?

betroffenen Redakteur herbeizuführen. Kein wesentlicher inhaltlicher Eingriff liegt vor, wenn es sich um die technisch-redaktionelle Bearbeitung von Beiträgen handelt. Wird keine Einigung erzielt, soll der Beitrag nach Möglichkeit zurückgestellt werden. Ist dies unmöglich, hat der betroffene Redakteur das Recht, seinen Namen schriftlich zurückzuziehen und zu begründen, warum er für den Beitrag die Verantwortung verweigert. Diese Äußerung muss vom Vorgesetzten entgegengenommen werden. (6) Die Weigerung des Redakteurs, in Ausübung seiner journalistischen Tätigkeit etwas abzufassen oder zu verantworten, muss auf Wunsch des Vorgesetzten schriftlich formuliert und begründet werden. In diesem Fall hat auch der Vorgesetzte seine Entscheidung (seinen Auftrag) schriftlich zu formulieren und zu begründen. (7) Sowohl der Redakteur als auch der Vorgesetzte können binnen einer Woche nach Bekanntgabe der strittigen Entscheidung (Erteilung des strittigen Auftrags) und der Zustellung der Weigerung die Redakteursversammlung mit dem Fall befassen. (8) Wird eine gütliche Einigung binnen drei Wochen ab Befassung der Redakteursversammlung nicht erzielt, so können sowohl die vom Streitfall betroffenen Redakteure über den Redakteursrat als auch ein legitimierter Unternehmensvertreter das Schiedsgericht anrufen. Das Schiedsgericht hat auszusprechen, ob die Weigerung, etwas abzufassen oder zu verantworten, im Rahmen des Redakteurstatuts gerechtfertigt war. Die Entscheidung ist zu begründen. Der Redakteursrat sowie die Geschäftsführung sind berechtigt, die Entscheidung des Schiedsgerichts öffentlich mitzuteilen.

Einflussnahme von außen

§ 4. (1) Die Geschäftsführung des ORF hat gemäß den Bestimmungen des BVG- Rundfunk und des ORF-G die Unabhängigkeit des ORF und insbesondere die seiner Redakteure gegen Einflussnahme von außen zu verteidigen und den Redakteuren Schutz zu gewähren.

353 Das Österreichische Fernsehen – Demokratiepolitischer Bildungsauftrag oder Quote ? ANHANG A

(2) Bei ungerechtfertigten, schwerwiegenden Angriffen, die öffentlich gegen Redaktionen oder gegen einzelne Redakteure gerichtet werden, hat der Redakteursrat eine Stellungnahme zu veröffentlichen.

Mitwirkung an personellen und sachlichen Entscheidungen

§ 5. (1) Die im ORF-G (§ 33 Abs.3 Z.3) festgelegte Mitwirkung an personellen und sachlichen Entscheidungen obliegt den Gremien der Redakteure gemäß den Bestimmungen dieses Statuts. (2) Die gesetzlichen Rechte der Betriebsräte werden durch diese Mitwirkung nicht berührt. (3) Vor Entscheidungen über die Bestellung von Chefredakteuren sowie Dienststellenleitern (Hauptabteilungsleitern) im Bereich des Programmauftrags nach § 4 Abs. I und 5 ORF-G ist die betroffene Redakteursversammlung zu informieren und anzuhören. Dem betroffenen Gremium sind die Ausschreibung und das Ausschreibungsergebnis rechtzeitig bekannt zu geben. Das betroffene Gremium hat das Recht, für solche Entscheidungen auch aus eigenem Vorschläge zu erstatten. Die Direktoren oder Landesdirektoren (§ 25 ORF-G) haben zu solchen Vorschlägen Stellung zu nehmen. Wird den Vorschlägen nicht Rechnung getragen, so können sich der Redakteursausschuss durch den Redakteursrat bzw. die betroffene Redakteursversammlung durch den Redakteurssprecher und den Redakteursrat an den Generaldirektor wenden. Der Generaldirektor wird in solchen Fällen die Entscheidung über den Antrag des Direktors oder Landesdirektors erst nach Anhören des Redakteursrats treffen. (4) Der einzelne Redakteur, der zuständige Redakteurssprecher bzw. der Redakteursausschuss haben das Recht, Vorschläge über Inhalt, Schema, Struktur (Umfang) von Informationsprogrammen hinsichtlich ihres Bereichs zu erstatten. Diese Vorschläge sind sorgfaltig darzustellen und zu begründen. Die Programmverantwortlichen haben zu solchen Anregungen Stellung zu nehmen und bei Ablehnung ihre Stellungnahme sorgfaltig zu begründen. (5) Vor grundsätzlichen Entscheidungen über Inhalt, Schema und Struktur (Umfang) von Informationsprogrammen ist die betroffene Redakteursversammlung bzw. der Redakteursausschuss zu informieren und anzuhören. Dem betroffenen

354 Das Österreichische Fernsehen – Demokratiepolitischer ANHANG A Bildungsauftrag oder Quote ?

Gremium sind die entsprechenden Unterlagen (Entwürfe) rechtzeitig bekannt zu geben. Das betroffene Gremium hat das Recht, für solche Entscheidungen auch aus eigenem Vorschläge zu erstatten. Die Direktoren oder Landesdirektoren haben zu solchen Vorschlägen vor ihrer Entscheidung Stellung zu nehmen. Wird den Vorschlägen nicht Rechnung getragen, so können sich die betroffene Redakteursversammlung durch den Redakteurssprecher und den Redakteursrat bzw. der Redakteursausschuss durch den Redakteursrat an den Generaldirektor wenden. Der Generaldirektor wird in solchen Fällen seine allfällige Entscheidung( § 25 Abs. 1 ORF-G) über das Projekt (Antrag)des Direktors oder Landesdirektors erst nach Anhören des Redakteursrats treffen.

Redakteursversammlungen § 6. (1) Die Versammlungen aller Redakteure (§ 1 dieses Statuts) eines Betriebs- bereiches (Landesstudio, Hauptabteilung) des ORF bilden eine Redakteurs- versammlung (§ 33 Abs.5 ORF-G). (2) Die Redakteursversammlung fasst ihre Beschlüsse betreffend Angelegen- heiten des § 33 Abs. 3 Z. 3 ORF-G mit einfacher Mehrheit der abgegebenen Stimmen.

Redakteurssprecher § 7. (1) Die Redakteursversammlung wählt zur Wahrnehmung der sich aus dem Redakteurstatut ergebenden Rechte der journalistischen Mitarbeiter aus ihrer Mitte einen Redakteurssprecher. Umfasst eine Redakteursversammlung mehr als zehn Redakteure, so ist für je angefangene weitere zehn Redakteure ein weiterer Sprecher zu wählen. (2) Die Wahlberechtigung der Redakteure ist nach den im § 33 Abs. 6 ORF-G aufgestellten Regeln festzustellen. Die Wahl erfolgt nach den im § 33 Abs. 5 ORF-G genannten Grundsätzen. (3) Zum Redakteurssprecher kann nur ein Redakteur gewählt werden, der mindestens seit drei Jahren im ORF im Sinne der Bestimmungen des § 1 dieses Statuts journalistisch tätig ist. Die Redakteurssprecher werden für eine Funktionsperiode von zwei Jahren gewählt.

355 Das Österreichische Fernsehen – Demokratiepolitischer Bildungsauftrag oder Quote ? ANHANG A

Redakteursausschuss § 8. (1) Die gewählten Redakteurssprecher bilden gemeinsam den Redakteursausschuss, der die im Redakteurstatut vorgesehenen Aufgaben erfüllt. (2) Der Redakteursausschuss wird vom Redakteursrat vom dienstältesten Sprecher mindestens zweimal jährlich einberufen und geleitet. (3) Der Redakteursausschuss hat die sich aus dem Redakteurstatut ergebenden Rechte der journalistischen Mitarbeiter wahrzunehmen. Er ist berechtigt, seine Beschlüsse zu veröffentlichen. Sie sind jedenfalls dem Generaldirektor, den zuständigen Direktoren oder Landesdirektoren und dem Zentralbetriebsrat bekannt zu geben. (4) In dringlichen und schwerwiegenden Angelegenheiten kann der Redakteurs- ausschuss zur Wahrung der Interessen der Redakteure eine schriftliche Urabstimmung beschließen. Das Unternehmen verpflichtet sich, hierbei die notwendige organisatorische Unterstützung zu leisten. (5) Der Redakteursausschuss gibt sich eine Geschäftsordnung, die analog für die Redakteursversammlungen und den Redakteursrat gilt und auch Bestimmungen über die Durchführung der schriftlichen Urabstimmung zu enthalten hat.

Redakteursrat § 9. (1) Der Redakteursausschuss wählt aus seiner Mitte einen Redakteursrat. Dieser besteht aus drei Mitgliedern und aus drei Ersatzmitgliedern. Je ein Mitglied und ein Ersatzmann müssen je einem der Bereiche Hörfunk, Fernsehen und Landesredaktionen angehören. (2) Der Redakteursausschuss bestellt eines der drei Mitglieder des Redakteursrats zum Vorsitzenden und die beiden weiteren Mitglieder zu stellvertretenden Vorsitzenden. (3) Der Redakteursrat besorgt jene Angelegenheiten, die ihm durch dieses Statut oder durch den Redakteursausschuss gemäß § 33 Abs. 8 ORF-G übertragen werden. In dringenden Fällen kann er gegen nachträgliche Genehmigung durch den Redakteursausschuss in Wahrung der Interessen der Redakteure tätig werden. Der Redakteursrat ist dem Redakteursausschuss verantwortlich. (4) Beschlüsse des Redakteursrats sind dem Generaldirektor und dem Zentralbetriebsrat bekannt zu geben.

356 Das Österreichische Fernsehen – Demokratiepolitischer ANHANG A Bildungsauftrag oder Quote ?

Schiedsgericht § 10. (1) Zur Entscheidung von Streitigkeiten aus dem Redakteurstatut (§ 33 Abs. 3 Z. 4 ORF-G) ist ein Schiedsgericht (§§ 577 ff ZPO) zuständig. Die gesetzlich vorgesehene Anrufung von Gerichten oder Verwaltungsbehörden wird hierdurch nicht berührt (§ 33 Abs. 4 ORF-G). (2) Das Schiedsgericht setzt sich aus drei Mitgliedern zusammen: Von Seiten des Redakteursausschusses und des Unternehmens wird jeweils ein Schiedsrichter bestellt, der dritte Schiedsrichter, ein außerhalb des Unternehmens stehender Rechtskundiger, ist von den beiden anderen Mitgliedern des Schiedsgerichts binnen einer Woche zu bestellen. Er bekleidet im Schiedsgericht die Funktion des Obmanns. (3) Für das Schiedsgericht und sein Verfahren gelten die Bestimmungen der §§ 577 bis 599 ZPO. Gelangen die Schiedsrichter nicht einstimmig zu einer Verfahrensregelung, so haben sie die Vorschriften der Zivilprozessordnung über das Verfahren vor den Gerichtshöfen erster Instanz (§§ 226 ff ZPO) anzuwenden.

DienstfreisteIlung und Sachaufwand § 11. (1) Die Konferenzen der Redakteursversammlungen und des Redakteursausschusses sowie die Tätigkeit des Redakteursrats sind tunlichst ohne Störung des Betriebs durchzuführen. Die Mitglieder dieser Organe haben ihre Tätigkeit – soweit sich aus den folgenden Bestimmungen nichts anderes ergibt – grundsätzlich außerhalb der Arbeitszeit zu verrichten. (2) Versammlungsort der Konferenzen des Redakteursausschusses ist Wien. (3) Den Redakteurssprechern ist die Teilnahme an den jährlich zweimal stattfin- denden Sitzungen des Redakteursausschusses (§ 8 Abs. 2 dieses Statuts) durch die erforderliche Dienstfreistellung zu ermöglichen. (4) Den Mitgliedern des Redakteursrats ist zur Besorgung der ihnen übertragenen Angelegenheiten (§ 9 Abs. 3 dieses Statuts), sofern dies nicht außerhalb der Arbeitszeit möglich ist, die erforderliche DienstfreisteIlung zu gewähren. (5) Den erforderlichen Sachaufwand, der dem Redakteursausschuss bzw. dem Redakteursrat zur Erfüllung seiner durch Gesetz bzw. durch das Redakteurstatut übertragenen Aufgaben entsteht, trägt der ORF.

357 Das Österreichische Fernsehen – Demokratiepolitischer Bildungsauftrag oder Quote ? ANHANG A

Im Sinne des § 33 Abs. 13 ORF-G trägt der ORF in den Fällen der DienstfreisteIlung auch die auflaufenden, unbedingt erforderlichen Reisekosten (Reisekostenvergütung, Tag- und Nachtgeld). Dies gilt auch für den Fall, dass zwischen dem Unternehmen und dem Redakteursrat Einvernehmen über die Abhaltung außerordentlicher Konferenzen oder Sitzungen erzielt wird.

Anhang A.4.

Die Mitglieder des Publikumsrats851

Vorsitzender: Hon.-Prof. Dr. Georg Weißmann (Kammern der freien Berufe)

Vorsitzender-Stellvertreter: Dr. Arnold Mettnitzer (Behinderte Menschen) Willi Benesch (Behinderte Menschen) Barbara Blaha (Jugend) Magª. Eva Blimlinger (Grüne Bildungswerkstatt) Dr. Ilse Brandner-Radinger (Dr.-Karl-Renner-Institut) Univ.-Prof. Dr. Ernst Bruckmüller (Akademie der Wissenschaften) Istvan Deli (Schüler) Ökonomierätin Aloisia Fischer (Eltern Familien) Stephanie Graf-Zitny (Sport) Dr. Karl Guschlbauer (Landwirtschaftskammern) Mag. Rupert Haberson (Wirtschaftskammer Österreich) Ing. Karl Hanzl (Volksgruppen) Magª. Anja Hasenlechner (Kunst) Univ.-Prof. Dr. Markus Hengstschläger (Bildung) Mag. Andreas Kratschmar (Politische Akademie ÖVP) Präsident Dr. Franz Küberl (Römisch-katholische Kirche) Univ.-Prof. Dipl.-Ing. Dr. Leopold März (Hochschulen) Beppo Mauhart (Ältere Menschen)

851 http://publikumsrat.orf.at/mitglieder.html, Zugriff am 22. 6. 2009

358 Das Österreichische Fernsehen – Demokratiepolitischer ANHANG A Bildungsauftrag oder Quote ?

Präsident Fredy Mayer (Konsumenten) Dr. Franz Medwenitsch (Kunst) Willi Mernyi (Österreichischer Gewerkschaftsbund) Univ.-Prof. Dr. Siegfried Meryn (Eltern/Familien) Magª. Ulrike Nittmann (Freiheitliche Akademie) Dir. Kurt Noé-Nordberg (Kraftfahrer) Dipl.-Ing. Gerald Plattner (Umweltschutz) Mag. Hans Preinfalk (Bundesarbeitskammer) Barbara Sallinger (Touristik) Präsident Dr. Roland Siegrist (Evangelische Kirche) Erwin Steinhauer (Bildung) Franz Stocher (Sport) Dr. Petra Stolba (Umweltschutz) Hans Paul Strobl (Ältere Menschen) Kathrin Zettel (Jugend) Magª. Daniela Zimmer (Konsumenten)

ORF-Stiftungsrat: Die 35 Mitglieder852

Gerhard Berti, Zentralbetriebsrat Barbara Blaha, Publikumsrat/Direktwahl Dr. Andreas Braun, Tirol Mag. Christian Domany, Bundesregierung Mag. Thomas Drozda, Bundesregierung Dr. Rudolf Ertl, Bundesregierung Prof. Heinz Fiedler, Zentralbetriebsrat Dr. Sieglinde Gahleitner, Bundesregierung Magª. Huberta Gheneff-Fürst, Bundesregierung über Vorschlag des BZÖ Dr. Harald Glatz, Bundesregierung Ing. Michael Götzhaber, Zentralbetriebsrat Stephanie Graf-Zitny, Publikumsrat/Direktwahl

852 Vgl. http://service.orf.at/unternehmen/menschen/gremien/stiftung1.html, Zugriff am 22. 6. 2009

359 Das Österreichische Fernsehen – Demokratiepolitischer Bildungsauftrag oder Quote ? ANHANG A

Mag. Dipl.-Ing. Dr. Alexander Hartig, Bundesregierung Präsidentin Margit Hauft, Oberösterreich Christiana Jankovics, Zentralbetriebsrat Prof. Mag. Alberich Klinger, Niederösterreich Ing. Mag. Peter Koren, Bundesregierung über Vorschlag der ÖVP Dr. Franz Krainer, Bundesregierung Mag. Karl Krammer, Bundesregierung über Vorschlag der SPÖ Präsident Dr. Franz Küberl, Publikumsrat/Kirchen u. Religionsgesellschaften Brigitte Kulovits-Rupp, Burgenland Monika Langthaler-Rosenberg, Bundesregierung über Vorschlag der Grünen Univ.-Prof. Dipl.-Ing. Dr. Leopold März, Publikumsrat/Hochschulen Dr. Franz Medwenitsch, Publikumsrat/Kunst Univ.-Prof. Dr. Siegfried Meryn, Publikumsrat/Direktwahl Dr. Edelbert Meusburger, Vorarlberg Dr. Gerhard Moser, Zentralbetriebsrat Mag. Werner Muhm, Bundesregierung über Vorschlag der SPÖ Generaldirektor Dr. Klaus Pekarek, Kärnten Präsidentin Dr. Helga Rabl-Stadler, Bundesregierung Dr. Peter Radel, Bundesregierung KR Dkfm. Klaus Stadler, Wien Dr. , Bundesregierung über Vorschlag der FPÖ Generaldirektor Alois Sundl, Steiermark Mag. Wolfgang Wörter, Salzburg

360

Das Österreichische Fernsehen – Demokratiepolitischer Bildungsauftrag oder Quote ? Anhang B

Anhang B

Sendungsformate und Produktionscharakteristik853

Genresystematik und Produktionscharakteristik der Sendungen von ORF 1 (3.–9. April 2006)

853 Vgl. TV-Programmanalyse, Schriftenreihe der Rundfunk und Telekom Regulierungs-GmbH, Wien 2007

362 Das Österreichische Fernsehen – Demokratiepolitischer Anhang B Bildungsauftrag oder Quote ?

363 Das Österreichische Fernsehen – Demokratiepolitischer Bildungsauftrag oder Quote ? Anhang B

364 Das Österreichische Fernsehen – Demokratiepolitischer Anhang B Bildungsauftrag oder Quote ?

Eigen- oder Fremdproduktionen (am Ende der Vergleich mit ATV)

365 Das Österreichische Fernsehen – Demokratiepolitischer Bildungsauftrag oder Quote ? Anhang B

366 Das Österreichische Fernsehen – Demokratiepolitischer Anhang B Bildungsauftrag oder Quote ?

367 Das Österreichische Fernsehen – Demokratiepolitischer Bildungsauftrag oder Quote ? Anhang B

368 Das Österreichische Fernsehen – Demokratiepolitischer Anhang B Bildungsauftrag oder Quote ?

369 Das Österreichische Fernsehen – Demokratiepolitischer Bildungsauftrag oder Quote ? Anhang B

370 Das Österreichische Fernsehen – Demokratiepolitischer Anhang B Bildungsauftrag oder Quote ?

371 Das Österreichische Fernsehen – Demokratiepolitischer Bildungsauftrag oder Quote ? Anhang B

372

Das Österreichische Fernsehen – Demokratiepolitischer Bildungsauftrag oder Quote ? ANHANG C

ANHANG C

Kurzbiografien der Interviewpartner, in der Reihenfolge der Interviews (inkl. einer markanten Aussage zum Thema der Arbeit):

Die Auswahl der Gesprächspartner erfolgte nach inhaltlichen und fachlichen Kriterien und erhebt keinen Anspruch auf wissenschaftliche Selektion. Es ging darum, ein möglichst breites Spektrum für eine „lebendige“ Arbeit zu finden. Mit drei ehemaligen Generalintendanten war es mir nicht möglich zu reden oder zu kommunizieren: Gerhard Zeiler, der niemals auf meine Mails antwortete, Otto Oberhammer, weil er nicht erreichbar war, und Monika Lindner, weil die Wunden der Abwahl zu frisch erschienen, dadurch eine Abrechnung mit der aktuellen Situation vermieden werden sollte und dies auch der Intention dieser Arbeit nicht entspräche. Besonders gerne erinnere ich mich an das menschliche und äußerst wertvolle Interview mit dem dann verstorbenen Dr. Helmut Zilk, der sich trotz schon schwerer Krankheit die Gelegenheit nicht nehmen ließ, über eines seiner Lebenswerke sehr lebhaft zu reden.

Pius Strobl

„Marketing- und Kommunikationschef des ORF, 52 Jahre, wechselte nahtlos vom Aufsichtsgremium, dem Stiftungsrat, in die Chefetage, umtriebiger Geschäfts- mann neben seiner politischen und quasi-politischen Tätigkeit (u. a. Partei- gründer, Wahlkampfleiter und Bundesgeschäftsführer der Grünen, Immobilien- Manager, Lokal- und Event-Betreiber – mit einem Partner betrieb er das Kultur- café im Radiogebäude in der Argentinierstraße). Seine Firma PS Consulting Communications, Agentur für Öffentlichkeitsarbeit und PR, hat er mittlerweile geschlossen. Die 10-%-Beteiligung an der Lobbyingfirma Trimedia verkaufte er an seinen Mitgesellschafter Christof Zernatto. Die bereits stillgelegte Event- Agentur Start Produktion Ges.m.b.H. hat er zwischenzeitlich liquidiert. Seine Beteiligung an der Gastronomie-Gesellschaft Fünferbräu hat er verkauft.

374 Das Österreichische Fernsehen – Demokratiepolitischer ANHANG C Bildungsauftrag oder Quote ?

Die Geschäftsführung der Valcom GesmbH (Telefondienste) hat er zurückgelegt, als er Stiftungsrat wurde. Das Recht auf Fußball-Übertragungen im öffentlichen Raum hat Strobl 1998 vom ORF erkauft, als er grüner ORF-Kurator war. Seine Bestellung stieß auf heftige Kritik, vor allem der ÖVP und der FPÖ854.

Die Grunddefinition des öffentlich-rechtlichen Fernsehens ist es, den entspre- chenden Bildungsstandard zu gewährleisten. (Pius Strobl)

Ing. Peter Westenthaler

Wurde aufgrund seiner häufigen Kritik am ORF und seiner Rolle bei der Abwahl Lindners vom Verfasser interviewt, parteipolitische Erörterungen waren nicht Thema des Gesprächs. Geboren am 6. 11. 1967 in Wien, derzeit Abg. zum Nationalrat und Klubobmann (Stand 29. 7. 2008), Neulandschule 1979–1983, Höhere technische Lehranstalt, Abteilung EDV und Betriebliche Organisation 1983–1988, Studium der Publizistik und Politikwissenschaft 1988–1990. Verschiedene Tätigkeiten im EDV-Bereich, freier Mitarbeiter im FPÖ-Parlamentsklub 1988/89, hauptamtlicher Pressereferent im FPÖ-Parlamentsklub unter Klubobmann Dr. Norbert Gugerbauer 1989–1991, persönlicher Sekretär von Bundesparteiobmann Dr. Jörg Haider 1991–1993, Leiter des neu installierten Kommunikationsbüros 1996, Generalsekretär der FPÖ 1996– 2000, Vorstand der Österreichischen Fußballbundesliga 2002–2004, Manager der Magna International 2004–2006. Mitglied des Wiener Gemeinderates und Abgeordneter zum Wiener Landtag 1991–2000, Bundesparteiobfrau-Stellvertreter der FPÖ 2000–2002, Obmann des Klubs der FPÖ 2000–2002, Bundespartei- obmann des BZÖ 2006–2008, Mediensprecher, Mitglied des ORF-Kuratoriums 1999.855

Man kann einen Bildungsauftrag haben und doch Quote machen, derzeit gibt’s zwar einige Lernshows, aber die Kreativität in der Programmgestaltung fehlt. (Peter Westenthaler)

854 Quellen: oesterreich.orf.at/burgenland/stories/164309/ und diepresse.com/home/kultur/medien/95746/index.do, Zugriffe am 29. 7. 2008 855 Quelle: http://www.parlament.gv.at/WW/DE/PAD_02723/pad_02723.shtml

375 Das Österreichische Fernsehen – Demokratiepolitischer Bildungsauftrag oder Quote ? ANHANG C

Dr. Helmut Zilk856

Geboren 1927, Promotion 1951, 1945/46 Schulhelfer (Einsatz als Lehrer noch vor Abschluss der Ausbildung), 1947–1951 Volks- und Hauptschullehrer, 1956–1966 Professor für Pädagogik an der Lehrerbildungsanstalt in Wien. Helmut Zilk war bereits ab 1955 als freier Mitarbeiter des ORF mit Erziehungsfragen befasst, zeichnete für verschiedene aktuelle Sendungen verantwortlich, u. a. Jugend- sendungen, und baute ab 1959 das Schulfernsehprogramm auf. Bekannt wurde Zilk als Ombudsmann. Nach dem Volksbegehren wurde Helmut Zilk unter dem damaligen Generalintendanten Gerd Bacher ORF-Programmdirektor. Er moderierte unter anderem die von ihm ins Leben gerufene TV-Serie „In eigener Sache" (1972–1979), großer Beliebtheit erfreuten sich auch die „Stadtgespräche“, hier vor allem in den 60er-Jahren die Doppelschaltung Wien–Prag. Für sein „Auslandsecho" erhielt er 1966 als erster Österreicher die „Goldene Kamera". Als Gerd Bacher im Zuge der von der SPÖ initiierten zweiten österreichischen Rundfunkreform 1974 sein Amt aufgeben musste, trat auch Helmut Zilk als Angestellter aus dem ORF aus, betätigte sich bis 1979 als Ombudsmann der 857 Kronen Zeitung und wechselte schließlich als Quereinsteiger in die Politik. Von 1979 bis 1983 war Helmut Zilk unter Bürgermeister Leopold Gratz Stadtrat für Kultur und Bürgerdienst, 1983/84 Bundesminister für Unterricht und Kunst im Kabinett Sinowatz I, und, nachdem Leopold Gratz das Amt des Außenministers übernommen hatte, von 1984 bis 1994 Bürgermeister und Landeshauptmann von Wien.858 Am 5. Dezember 1993 nach einem Briefbombenattentat schwer an der Hand verletzt, übergab Zilk das Bürgermeisteramt im Jahr darauf an Michael Häupl.859 Zilk ist in dritter Ehe mit Dagmar Koller verheiratet.860 Helmut Zilk verstarb am 24. Oktober 2008. Zilks Credo: Er sei überzeugt, dass jeder Mensch seinen eigenen Weg gehen müsse. Was aber jeder tun könne: „Man muss lernen. Man muss bereit sein, mit

856 Vgl. http://www.dasrotewien.at/online/page.php?P=11112, Zugriff am 21. 12. 2008 857 Vgl. ebd. 858 Vgl. ebd. 859 Quellen: http://www.vienna-economic-forum.com/114.html, http://www.dasrotewien.at/online/page.php?P=11112 , Zugriffe am 14. 5. 2008 und 29. 7. 2008 860 http://orf.at

376 Das Österreichische Fernsehen – Demokratiepolitischer ANHANG C Bildungsauftrag oder Quote ?

der Zeit zu gehen. Ich kenne so viele 30-Jährige, so viele 40-Jährige, die stehen- geblieben sind."861

Der Spagat zwischen Kultur und Quote gelang nur dem Bacher. (Helmut Zilk)

Hans Georg Heinke

Geboren am 4. Jänner 1945 in Wiener Neustadt, Matura 1963, Milizoffiziers- ausbildung in Kanada und den USA. 1965–1970 Jus-Studium an der Universität Salzburg, Promotion 1970. Während des Studiums arbeitete Hans Georg Heinke unter anderem als Freier Mitarbeiter bei den Salzburger Nachrichten (u. a. Kinokritik), am Studententheater (Schauspiel und Regie) und für Kurzfilme. Seit 1969 ist er beim ORF. Zunächst, bis 1970, als freier Mitarbeiter beim Landesstudio Salzburg in verschiedenen Tätigkeiten (Tagessprecher, Gestalter von Kulturbeiträgen, Mitarbeiter bei den Salzburger Festspielen 1970 etc.). Am 1. Oktober 1970 wurde Dr. Heinke beim ORF in Wien angestellt. Bis Ende 1974 war er in der Öffentlichkeitsarbeit unter Kurt Bergmann und Gerhard Weis tätig und arbeitete an der Hauszeitung „ORF intern“ mit. Ab 1971 war er am Bildschirm präsent: Zunächst im „Postfach 7000", der damaligen Kundendienst-Sendung, als Nachfolger von Eva-Maria Klinger. Für diese Sendung gestaltete Dr. Heinke zahlreiche Beiträge (u. a. über die damals im Bau befindlichen „Peichl-Torten" – die neuen Landesstudios –, die großen Senderbauten und über den Küniglberg). Er moderierte außerdem eine tägliche Programmvorschau-Sendung, die Sendung „Lumieres Kinder" über Amateurfilme und, als Vorgänger von Frank Hoffmann, den „Trailer". 1975 kam Hans Georg Heinke zum Aktuellen Dienst Fernsehen, zunächst in die Auslandsredaktion in der Chefredaktion von Hans Benedict – ZIB 1. Diese Tätigkeit brachte zahlreiche Auslandsreisen mit sich, u. a. 1980 in den Irak (Krieg Iran – Irak), nach Zypern, Saudi-Arabien, Indien und in die damaligen Ostblock-Länder. Ab 1980 war Heinke „Leitender Redakteur", „Chef vom Dienst" und Moderator der ZIB 1. Seit 1995 ist er Hauptmoderator der „ZIB"- Kurzausgaben. Damit ist er mittlerweile der längstdienende Moderator von ZIB- Sendungen im ORF. Seit März 2004 präsentiert Hans Georg Heinke auch das

861 Zilk anl. der Feier seines 80. Geburtstages in einem ORF-Interview, http://oesterreich.orf.at/wien/stories/198072/, Zugriff am 29. 7. 2008

377 Das Österreichische Fernsehen – Demokratiepolitischer Bildungsauftrag oder Quote ? ANHANG C

TW1-Magazin „Einsatz", das sich mit der Thematik der Landesverteidigung, des Katastrophenschutzes und der Sicherheit in Europa befasst. Hans Georg Heinke ist verheiratet und hat eine Tochter und einen Sohn.862 Während des Schreibens dieser Arbeit verabschiedete sich Heinke in die Pension.

Fernsehen muss spannend sein und seine Identität bewahren, dann wird es weiter bestehen. (Hans Georg Heinke)

Teddy Podgorski

Eigentlich heißt er Thaddäus Podgorski (*19. Juli 1935 in Wien) ist ein österreichischer Schauspieler, Radio- und Fernsehjournalist, jeder aber kennt ihn unter „Teddy“. Seine Laufbahn begann er am Theater, wechselte aber bald zum Rundfunk (Sender Rot-Weiß-Rot). Am 1. Juli 1955 kam Podgorski zum Fernsehen. Der Erfinder des Titels „Zeit im Bild“ war bis 1963 leitender Redakteur des Aktuellen Dienstes und wurde dann von Gerd Bacher zum Chefreporter ernannt. Von 1968 bis 1971 leitete er das Wiener Aufnahmestudio des ORF für die Sendung „Aktenzeichen XY … ungelöst“ des Zweiten Deutschen Fernsehens. Von 1972 bis 1986 kreierte er die Sendungen „Sportpanorama“, „Panorama“, „Seinerzeit", „Jolly Joker“ und „Seitenblicke", war Sportchef und dazwischen kurz Intendant von FS1 bzw. Informationsintendant. In der Zeit von 1986–1990 war er ORF-Generalintendant und folgte Gerd Bacher, von dem er auch wieder abgelöst wurde. Was für viele in Österreich eine Überraschung war, nämlich gegen Bacher die Wahl zu gewinnen, noch dazu mit Zwei-Drittel-Mehrheit, war für die Süddeutsche Zeitung damals klar: In Wahrheit beschränkte sich die Überraschung darauf, wie rasch und reibungslos Podgorski schon im ersten Wahlgang den Sprung in die Chefetage schaffte. Denn dass er Bacher ablösen würde, stand schon in maßgeblichen Kreisen der SPÖ fest. Der SPÖ-nahe Podgorski war der Wunschkandidat des SP-Kanzlers Sinowatz.863

Als Generalintendant thematisierte er jedoch das Mitspracherecht der Kuratoren und Parteien und meinte, dass manche ein Mitspracherecht bei Dingen hätten,

862 http://derneue.orf.at/orfstars/heinke.html (Kurzfassung), Zugriff am 31. 7. 2008 863 Vgl. Batic, S 78

378 Das Österreichische Fernsehen – Demokratiepolitischer ANHANG C Bildungsauftrag oder Quote ?

von denen sie keine Ahnung haben.864 Diese und andere Äußerungen führten dazu, dass er abgewählt und durch Gerd Bacher ersetzt wurde.

Nachher spielte er immer wieder sowohl in Fernsehfilmen als auch am Theater. Noch heute spielt er im Theater in der Josefstadt.865 Er bekam mehrere Auszeichnungen, u. a. Goldene Kamera, Bambi, Sport-Oscar, Großer Filmpreis von Oberhausen, Goldener Ring von Lausanne, ist Buchautor („Seinerzeit“, „Muskeln auf Papier. Sport und Literatur“, „Cassius Clay – Reportage einer Karriere“, „Olympische Winterspiele 1976“ u. a.). Er war oder ist Schauspieler, Amateurboxer, Rennfahrer, Regisseur, Autor und ihn einzuordnen ist mitunter gar nicht so einfach, so viele Facetten hat seine Karriere. Bacher bezeichnet ihn im Interview mit dem Verfasser als „grenzenlosen und guten Zyniker“.866

Wenn der Zuseher aufgeklärt wird, wird er auch gebildet und gerade die Information muss aufklärend wirken. (Teddy Podgorski)

Dr. Peter Dusek

Geboren am 20. 5. 1945 in Waidhofen an der Thaya, Studium an der Alma Mater Rudolfina: Deutsch, Geschichte, Philosophie (Lehramt), Doktorat am Institut für österreichische Geschichtsforschung, wissenschaftliche Hilfskraft am Historischen Institut der Universität Wien 1967/68, journalistische Ausbildung bei der Zeitung Die Presse 1970–1972. Seit Februar 1972 Redakteur beim ORF, seit 1974 regelmäßige Mitarbeit bei Bildungssendungen des ORF („Magazin der Wissenschaft“, „Rampenlicht“, Schulfunk, Schulfernsehen, „Opernwerkstatt“). Kurator des Dokumentations- archivs des Österreichischen Widerstands. Ab 1979 Lektor für Mediendidaktik an den Universitäten Klagenfurt (Institut für Geschichte), Salzburg (Institut für Geschichte und Publizistik) und Wien; zuletzt Lehraufträge am Institut für Theaterwissenschaft sowie am Institut für Geschichtsforschung (audiovisuelle Quellenkunde).

864 Vgl. Batic S 84 865 Quellen: wien.orf.at/stories/46308/, wikipedia.org/wiki/Teddy_Podgorski, Zugriffe jeweils am 29. 7.2008 866 Vgl. Interview mit Gerd Bacher, w. o.

379 Das Österreichische Fernsehen – Demokratiepolitischer Bildungsauftrag oder Quote ? ANHANG C

1980: Start des Medienkoffer-Programms des Unterrichtsministeriums. 1982: Parallel zu „Österreich II" Aufbau des Historischen Archivs des ORF, redaktionelle Mitarbeit an Serien wie „Zeitzeugen" u. a., ab 1. Juli 1988 Hauptabteilungsleiter Fernseharchiv des ORF. Pensionierung Mai 2008 Auszeichnungen: Adolf-Schärf-Preis, Staatspreis für Wissenschaftspublizistik, Förderungspreis der Stadt Wien, Silbernes Ehrenzeichen der Stadt Wien Publikationen:„Zeitgeschichte im Aufriss“, „Alltagsfaschismus in Österreich“, „Medienkoffer zur österreichischen Zeitgeschichte“ I–III, „Elektra – Rache ohne Erlösung“, „40 Jahre Operngeschichte/Leonie Rysanek-Porträt“, „Kulissen- gespräche“ I + II, „100 Weltstars erzählen Anekdoten“867 Wie schon oben erkennbar, ist Peter Dusek ein begeisterter Opernfan. Dusek ist auch verantwortlich für die Anfänge der Digitalisierung (vor allem auch für die Erneuerung des Archivs nach neuesten technischen Gesichtspunkten).

Wenn der ORF den Bildungsauftrag ernst nehmen würde, käme keine Quote zustande. (Peter Dusek)

Dr. Hugo Portisch

Er ist der Vater des neuen ORF, wie alle Gesprächspartner anerkennend feststellten. Und tatsächlich ist er eine der herausragendsten journalistischen Erscheinungen, die dieses Land jemals hervorgebracht hat. Er versteht es, komplizierte politische und historische Zusammenhänge auch dem Laien zu vermitteln.

In Pressburg (Bratislava) verbrachte er seine Schulzeit als Sohn österreichischer Eltern. Sein Vater Emil (1887–1985) war bereits journalistisch tätig: Er war Chefredakteur des Pressburger Tagblatts, einer liberalen Zeitung, die 1939 aus politischen Gründen eingestellt wurde. Während des Krieges war der Vater ein paar Jahre in der slowakischen Nachrichtenagentur tätig, verließ aber bald mit der Mutter von Hugo Portisch Bratislava und kehrte nach St. Pölten zurück, während der Sohn in Pressburg weiterhin das deutsche Gymnasium besuchte. Nach der Matura 1945 verließ auch Hugo Portisch rechtzeitig vor dem Einmarsch der Roten

867 Quellen: http://www.zeitgeschichte2001.at/download/paneleinreichung-103.pdf, Zugriff 31. 8. 2008

380 Das Österreichische Fernsehen – Demokratiepolitischer ANHANG C Bildungsauftrag oder Quote ?

Armee die Stadt und kehrte gegen Kriegsende nach Sankt Pölten zurück, wo seine Familie bei seinen Großeltern, die dort eine Autowerkstätte betrieben, bereits wohnte. Portisch studierte in Wien Geschichte, Germanistik, Anglistik und Publizistik.868 1948 bei der Wiener Tageszeitung, 1950 Studium in den USA, wo er auch beim österreichischen Informationsdienst in New York arbeitete. 1954 kam er unter Hans Dichand zum Kurier und war sein Nachfolger als Chefredakteur. Nach dem Rundfunkvolksbegehren, das er beim Kurier selbst mit anderen Zeitungsherausgebern initiierte und viele gleichgesinnte Mitstreiter fand, kam er unter Fernsehdirektor Gerhard Freund in der Zeit von 1958 bis 1967 zum ORF und wurde anschließend Chefkommentator. Neben diesen Tätigkeiten verfasste er auch Bücher, wie die Reihe „So sah ich …“ (z. B. Sibirien oder China), „Das Kap der letzten Hoffnung“, die teilweise Bestseller wurden. Lange Jahre war er Auslandskorrespondent des ORF in London. TV-„Seller“ waren sicherlich Österreich I und II, gemeinsam mit Sepp Riff, und die Bücher, die sich daraus entwickelten. 1991 hätte er als gemeinsamer Bundespräsidentenkandidat aufgestellt werden können, lehnte jedoch ab. Wie überhaupt wollte er sich nie in „Abhängigkeiten begeben, daher war er auch nie Angestellter des ORF“, wie Gerd Bacher erläutert.

Nach der Reform gelang eine ungeheure Informationsexplosion, für die neben Bacher vor allem auch Alfons Dalma verantwortlich war. (Hugo Portisch)

Gerhard Weis

Geboren am 1. 10. 1938 in Wien, Journalist und Rundfunkmanager. Nach Tätigkeit bei Printmedien 1967 Eintritt in den ORF, ab 1973 Leiter der Hauptabteilung „Öffentlichkeit" und 1974–78 Intendant des 1. Fernsehprogramms. 1992–94 Intendant des Landesstudios Wien, 1994–98 Hörfunkintendant und 1998–2001 Generalintendant des ORF.869 Weis war und ist ein Konsensmensch und einer der profundesten Kenner der Fernsehmaterie (O-Ton Bacher). „Seine Abwahl 2001 war ein Anschlag auf die Unabhängigkeit des ORF“, so Hugo Portisch im Interview mit dem Verfasser. Weis wurde 2001 mit den Stimmen von

868 Quellen: http://de.wikipedia.org/wiki/Hugo_Portisch, Zugriff am 15. 5. 2008, 869 Quellen: http://aeiou.iicm.tugraz.at/aeiou.encyclop.w/w332848.htm

381 Das Österreichische Fernsehen – Demokratiepolitischer Bildungsauftrag oder Quote ? ANHANG C

ÖVP und FPÖ durch Monika Lindner ersetzt, erfreut sich seither der Pension und hält diverse Vorträge über Medienpolitik und -forschung.

Im Gegensatz zu anderen Sendern hat der ORF immer ein klares Ja zum demokratiepolitischen Bildungsauftrag gesagt. (Gerhard Weis)

Dr. Klaus Unterberger

Leiter des „Public-Value-Kompetenzzentrums“ im ORF seit 2007; zehn Jahre lang hat der ORF-Redakteur in den Bürgerrechtssendungen „Argumente“ und „Konflikte“ Auseinandersetzungen, Streitfälle und Gerichtsverfahren behandelt, in denen Menschen um ihr Recht kämpften. Er ist gestaltender Mitarbeiter in „derFreiRaum", ein „Forum für alle, denen die Zukunft des öffentlich-rechtlichen Rundfunks in Österreich und Europa ein Anliegen ist. Die parteiunabhängige Plattform wurde von ORF-MitarbeiterInnen und MedienexpertInnen gegründet, um das öffentliche Bewusstsein für die Bedeutung der Radio-, Fernseh- und Internetprogramme des ORF als unabhängige, gesellschaftlich relevante Dienstleistung zu stärken. Denn zumindest eine der Kernaufgaben des öffentlich- rechtlichen Rundfunks, unabhängige und objektive Information zu bieten, ist wohl unverzichtbar für eine Demokratie“.870 Unterberger begann als Redakteur von „Ohne Maulkorb“ und ist auch einer der Mitbegründer der Aktion „SOS-ORF“.

Wir haben eine Gemeinwohlerfüllung und dabei die demokratischen, sozialen und kulturellen Bedürfnisse der Gesellschaft zu beachten. (Klaus Unterberger)

Fritz Wendl

Geboren 1947, studierte er an der Wiener Filmhochschule, arbeitete schon während des Studiums journalistisch und war auch zu dieser Zeit erstmals für den ORF tätig. Danach arbeitete er vor allem als Zeitungsredakteur (u. a. als Chefredakteur der Ende der 70er-Jahre größten österreichischen Kulturzeitschrift „kulturkontakte“), machte 1976 das Programmbuch zur Festwochen-Arena- Uraufführung der „Proletenpassion" (Text: Heinz R. Unger, Musik: Schmetterlinge, Inszenierung: Dieter Haspel) und begann 1978 auf Einladung des damaligen

870 Vgl. Selbstdefinition in www.derfreiraum.net , Zugriff am 20.7. 2008

382 Das Österreichische Fernsehen – Demokratiepolitischer ANHANG C Bildungsauftrag oder Quote ?

Hörfunkintendanten Wolf In der Maur regelmäßig Radioserien zu produzieren (u. a. Länderporträts, über UNO-Entwicklungshilfe-Projekte, die Sozialpartner- schaft, Hanns Eisler und sowohl eine sozial- und wirtschaftsgeschichtliche als auch eine kulturgeschichtliche Reihe). 1982 holte ihn der damalige Radio-Chefredakteur Rudolf Nagiller als Moderator der Journale in den ORF. Er wurde 1997 Leiter der Radio-Konsumentenredaktion, ist seither für „Help“, die Konsumenten-Berichterstattung in den Nachrichten und Journalen, help.ORF.at usw. zuständig. Seit 1990 ist er Vorsitzender des ORF- Redakteursrats, seit Jahren Stellvertretender Vorsitzender der Journa- listengewerkschaft; er wurde 2004 in die Presseförderungskommission berufen,hielt „Qualitätsjournalismus-Charta"-Lehrveranstaltungen an der Kremser Donauuniversität ab und gibt regelmäßig Auskunft zur inneren Medienfreiheit (Redaktionsstatuten) am Publizistikinstitut der Universität Wien und in der Wiener Fachhochschule.871

Man braucht keine öffentlich-rechtliche Anstalt, wenn es keinen demokratiepolitischen Bildungsauftrag gibt. (Fritz Wendl)

Gerd Bacher

Bacher, Gerd (Gerhardt), *18. 11. 1925 Salzburg, Journalist (Salzburger Volkszeitung, Salzburger Nachrichten, Bild-Telegraf, Express), Verlagsleiter (F. Molden, Wien; R. Kiesel, Salzburg), 1974–78 Medienberater des deutschen Bundeskanzlers Helmut Kohl, Generalintendant des ORF 1967–74, 1978–86 und 1990–94. Bacher trug wesentlich zur Reform und Modernisierung des Österrei- chischen Rundfunks auf der Basis des Rundfunkgesetzes von 1966 sowie im Rahmen der Rundfunkgesetze von 1974 bei. Er machte den ORF zu einer international angesehenen Rundfunk- und Fernsehanstalt.872

Die Auseinandersetzungen mit Bruno Kreisky zeigten sich an einem bezeichnenden Dialog im Jahr 1970: Kreisky bedankte sich bei Bacher für „die faire Berichterstattung“ und meinte: „Sie haben dadurch auch zu meinem

871 Vgl. Treiber, Alfred, w. o. S 203 872 Vgl. http://aeiou.iicm.tugraz.at/aeiou.encyclop.b/b011652.htm

383 Das Österreichische Fernsehen – Demokratiepolitischer Bildungsauftrag oder Quote ? ANHANG C

Wahlsieg beigetragen“, Bacher daraufhin: „Ich weiß das, es ist auch sehr ungern geschehen“.873

In der ersten Funktionsperiode setzte Bacher folgende Schwerpunkte:

- Leistung und Leistungsbewertung - Völlige Neuorientierung der Programme für Hörfunk und Fernsehen - Errichtung einer modernen Großinformation und Konzentration der Informationsleistung des Hauses unter einer gemeinsamen Chefredaktion (Alfons Dalma) - Planung, Entwurf (Architekt Gustav Peichl) und Baubeginn vier neuer Landesstudios („ORF-Föderalismus“) und des ORF-Zentrums am Küniglberg874

Die Diktatur der Quote ist der größte Feind des öffentlich-rechtlichen Fernsehens, denn das können die Privaten besser. Der ORF muss wieder das Prestige von früher bekommen, sonst hat er keine öffentlich-rechtliche Berechtigung. (Gerd Bacher)

Dr. Alexander Wrabetz

Wrabetz besuchte von 1970–1978 das 2. Bundesgymnasium, Wien XIX. Er wuchs in Wien-Döbling, im sogenannten Helmut-Qualtinger-Hof, in einem politisch der FPÖ nahestehenden Elternhaus auf, sein Vater war in den 1970er-Jahren Anwalt der Partei. Aber bereits während seiner Studienzeit an der Universität Wien von 1978 bis 1983 engagierte sich Wrabetz im Umfeld der SPÖ. Für die Nationalratswahl im Jahr 1983 organisierte er den erfolgreichen Vorzugsstimmen- Wahlkampf von Josef Cap, dem heutigen Mediensprecher und Klubobmann der sozialdemokratischen Nationalratsfraktion. 1983/84 war er Bundesvorsitzender des Verbandes Sozialistischer StudentInnen Österreichs.

Promotion zum Doktor der Rechtswissenschaften im Jahr 1983, von 1984 bis 1987 Girozentrale und Bank der Österreichischen Sparkassen AG, 1987 Assistent

873 Vgl. Schmolke, Der Generalintendant, „Biografisches“, S 22 874 Vgl. Schmolke, Der Generalintendant, S 16

384 Das Österreichische Fernsehen – Demokratiepolitischer ANHANG C Bildungsauftrag oder Quote ?

des Vorstandes in die Österreichische Industrieverwaltungs-AG (ÖIAG), ab 1992 Geschäftsführer der Voest Alpine Intertrading GmbH in Linz und von 1995 bis 1998 Vorstandsmitglied der ebenfalls zur ÖIAG gehörenden VAMED AG in Wien.

Unter Weis Kaufmännischer Direktor des ORF, von Lindner darin bestätigt. Als Kandidat für die Wahl zum Generaldirektor wurde Wrabetz von den ORF- Stiftungsräten Huberta Gheneff-Fürst, Peter Fichtenbauer (beide der FPÖ nahestehend), Karl Krammer (der SPÖ nahestehend) und Pius Strobl (den Grünen nahestehend) nominiert. Am 17. August 2006 wurde Wrabetz im ersten Wahlgang gewählt. Mit Start am 10. April 2007 verspricht er die „größte Programmreform in der Geschichte des ORF". Der Wahl waren monatelange öffentliche Diskussionen um die Qualität und Programmgestaltung des ORF vorausgegangen, wobei insbesondere Monika Lindner und Werner Mück (Chefredakteur der Fernsehinformation) vorgeworfen wurde, ihre Nähe zur ÖVP zu sehr in ihre Arbeit einfließen zu lassen. Wrabetz’ Wahl durch den großteils politisch besetzten Stiftungsrat wurde als Niederlage des sogenannten „Freundeskreises“ der ÖVP und des Bundeskanzlers Wolfgang Schüssel gewertet, die Lindner favorisiert hatten. Für Wrabetz stimmten neben SPÖ, Grüne, FPÖ auch vier von fünf BZÖ-Stiftungsräten sowie zwei der ÖVP zugerechnete Mitglieder des Stiftungsrates.875

Bildungsauftrag und Quote sind kein Widerspruch, sondern bedingen einander. (Alexander Wrabetz)

Edgar Böhm

Studierte Theaterwissenschaft, begann seine Diplomarbeit über die österreichischen Kabarettisten nach 1945, wurde aber von der Aufbruchstimmung im damaligen ORF „angesteckt“ (Eigendefinition). Von 1991–1997 Leiter von Ö3, ehe er zum Unterhaltungschef des Österreichischen Fernsehens avancierte. Böhm ist für den Bereich „Unterhaltung und Familie“ zuständig. Sein Verantwortungsbereich deckt von den Kindersendungen über „Starmania“ bis hin

875 Vgl. http://de.wikipedia.org/wiki/Alexander_Wrabetz, Zugriff am 31. 8. 2008

385 Das Österreichische Fernsehen – Demokratiepolitischer Bildungsauftrag oder Quote ? ANHANG C

zu „Song Contest“ und „Musikantenstadl“ eine große Bandbreite ab. Er ist direkt dem Programmintendanten Wolfgang Lorenz unterstellt.

Öffentlich-rechtlicher Auftrag ist keinesfalls quotenfeindlich, es muss eben für den Zuseher erkennbare Relevanz haben, wenn Gebühren eingehoben werden. (Edgar Böhm)

386

Das Österreichische Fernsehen – Demokratiepolitischer Bildungsauftrag oder Quote ? ABSTRACT

ABSTRACT

„Das Österreichische Fernsehen – demokratiepolitischer Bildungsauftrag oder Quote? Vom Volksbegehren bis zur Gegenwart“

Das Österreichische Fernsehen hat so wie der gesamte ORF aufgrund seiner Finanzierung aus Zwangsgebühren einen öffentlich-rechtlichen Auftrag zu erfüllen. Der ORF ist dabei, sich selbst aufgrund dieser Konstellation infrage zu stellen, denn immer mehr spielt die Quote bei der Programmgestaltung die Hauptrolle und der Anspruch, Kultur und Bildung in hohem Maß anzubieten, tritt in den Hintergrund. Daher stellt sich auch die Frage der Daseinsberechtigung dieser öffentlich-rechtlichen Institution. Die Geschichte des Fernsehens in Österreich ist eine wechselhafte, wurde diese doch geprägt durch zahllose, parteipolitische Einflussnahmen, die noch längst nicht ausgestanden sind. In den Sechzigerjahren waren es vor allem die parteiunabhängigen Printmedien, die sich massiv gegen die weitere Vereinnahmung des Rundfunks und des aufkommenden Fernsehens durch die beiden damaligen Großparteien zur Wehr setzten und ein für jene Zeiten einzigartiges Volksbegehren ins Leben riefen. Mehr als 800.000 Österreicher forderten darin einen unabhängigen Rundfunk. Gerd Bacher übernahm als Generalintendant die Leitung und prägte von da an jahrelang den ORF. Investitionen wurden getätigt, die noch heute den ORF nachhaltig beeinflussen, es folgten der Aufbau der Landesstudios und die Erweiterung des Programms durch Bildungs- und Kulturprogramme. Im Zuge der Jahre wurde der parteipolitische Druck wieder größer, aber auch die Finanzsituation verschlechterte sich zusehends, sodass die Programmgestaltung stark unter den Druck der Werbebranche geriet, die auch vom öffentlich-rechtlichen Fernsehen hohe Seherzahlen erwartete. Vor allem seit Beginn des Privatfernsehens wurde die „Quote“ zum Maßstab erfolgreicher Rundfunkmanager. Darunter litt jedoch das Programm des ORF, das eben, aufgrund der Gebührenfinanzierung, einen

388 Das Österreichische Fernsehen – Demokratiepolitischer ABSTRACT Bildungsauftrag oder Quote ?

anderen Auftrag zu erfüllen hätte als private Fernsehanstalten, bei denen es zur Trivialisierung (ver-)kam. Eigenproduktionen im Informationsbereich sowie Kultur- und Bildungsfernsehen wurden zunehmend in den Hintergrund gedrängt. Die vorliegende Arbeit soll eben die Frage beantworten, inwieweit die Qualität unter der Quotenfrage leidet, wie sehr der demokratiepolitische Bildungsauftrag heute noch erfüllt wird und auch, welchen Stellenwert dieser noch hat. Im Kernbereich der Arbeit stehen die Interviews mit den zahlreichen Zeitzeugen sowie die Aufarbeitung der Geschichte des Fernsehens im Allgemeinen und der ORF-Geschichte im Besonderen. Auch werden Vergleiche mit früheren Angeboten gezogen, um eine Qualitätsänderung beobachten zu können. Schließlich wird versucht, einen Resümee und einen Ausblick zu geben, der zum Zeitpunkt der Erstellung dieser Arbeit natürlich nur eine Momentaufnahme sein kann, denn gerade von den leitenden Personen im ORF wird derzeit eine völlige Neuorientierung verlangt.

April 2009

389 Das Österreichische Fernsehen – Demokratiepolitischer LEBENSLAUF HANNES Bildungsauftrag oder Quote ? NADERHIRN

LEBENSLAUF HANNES NADERHIRN

Geboren am 2. Februar 1960 als Sohn von Margarete und Johann Naderhirn in Wels

1966–1978 Pflichtschulen (VS, AHS)

Matura 1978

1978–1984 Studium der Betriebswirtschaftslehre in Linz, Sponsion Februar 1985

Diplomarbeitsthema: „Die soziale Situation ausländischer Arbeitnehmer in Österreich“

1986–1990 Direktmarketingspezialist der Fa. Connex Werbung & Marketing

1990–1995 selbstständiger Managementtrainer

1996–1999 Geschäftsführer der Millstätter See Tourismus Ges.m.b.H.

2000–2003 Mitarbeit im elterlichen Juweliergeschäft

2005 Gründung und Beschäftigung bei der future production&promotion Beatrice Hirnschrodt KG (Film- und Fernsehproduktionen)

2004–2007 Diplomstudium der Geschichte

Diplomarbeitsthema: „Revolutionäre Visionen Ibero-Amerikas von Simon Bolívar bis Hugo Chavez“

Seit 2005 Studium der Internationalen Entwicklung (Diplomarbeit demnächst) und seit 2007 Doktoratsstudium der Politikwissenschaften

2007–2009 Doktoratsstudium der Geschichte

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