Studie

Menschenrechtsbildung für die Polizei

Günter Schicht Impressum

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Januar 2007

ISBN 978-3-937714-34-9 (elektronische Fassung) Studie

Menschenrechtsbildung für die Polizei

Günter Schicht Der Autor

Der Autor

Günter Schicht ist Diplomkriminalist und war bei der Schutz- und tätig. Später bearbeitete er eine Reihe sozialwissenschaftlicher Forschungspro- jekte. Er absolvierte eine Ausbildung in systemischer Therapie und arbeitet gegenwärtig als freier Trainer und Berater mit den Schwerpunkten Psychologie und Organisationsentwicklung.

4 Vorwort

Vorwort

Menschenrechtsbildung beschränkt sich nicht darauf, deren lebensweltliche Regeln von den förmlichen Norm- menschenrechtlich relevantes Wissen zu vermitteln. vorgaben für die Polizeiarbeit erheblich abweichen Sie soll darüber hinaus handlungsleitende Wirkung ent- können. falten. Dies gilt auch für die Menschenrechtsbildung im Bereich der Polizei. Eine besondere Herausforderung Wir sind froh, dass es uns gelungen ist, mit Günter für eine zielgruppengerechte Menschenrechtsbildung Schicht einen Autor zu gewinnen, der die Polizeiarbeit ergibt sich aus der Sachlage, dass die Polizei einer- von innen her kennt und seit vielen Jahren als Anbie- seits für den Schutz der Menschenrechte Verantwor- ter von Fortbildungskursen für die Polizei didaktische tung trägt, andererseits aber in Gefahr geraten kann, Erfahrungen sammeln konnte. Unser herzlicher Dank Menschenrechte konkret zu verletzen. Menschenrechts- gilt allen, die uns mit ihrem Hintergrundwissen und bildung muss auf diese Ambivalenz eingehen. Sie muss durch Materialien bei der Erstellung der Studie unter- gleichzeitig deutlich machen, dass die Polizistinnen und stützt haben. Wir hoffen, dass die Studie sowohl für Polizisten selbst für ihr dienstliches Selbstverständnis die Weiterentwicklung der Menschenrechtsbildung in und ihr alltägliches professionelles Handeln von den An- der Polizei als auch für die sie begleitende politische geboten der Menschenrechtsbildung profitieren können. und wissenschaftliche Diskussion Impulse geben kann.

Menschenrechtliche Bildungsarbeit kann nur erfolg- reich sein, wenn sie in der Lage ist, auf die Realität der polizeilichen Arbeit einzugehen. Dazu zählen die all- Januar 2007 täglichen Schwierigkeiten, mit denen Polizistinnen und Polizisten konfrontiert sind, die Erfahrungen wechsel- Dr. Heiner Bielefeldt, Frauke Seidensticker seitigen Aufeinander-Angewiesenseins und nicht zuletzt Vorstand vielerorts die Existenz einer inoffiziellen Polizeikultur, Deutsches Institut für Menschenrechte

5 6 Inhalt

Inhalt

Einleitung ...... 8 4 Menschenrechtsrelevante Inhalte in der polizeilichen Aus- und Fortbildung ...... 47 1 Die Fundierung der Menschenrechtsbildung 4.1 Menschenrechtsrelevante Inhalte in internationalen Dokumenten und in der polizeilichen Ausbildung ...... 47 Rechtsgrundlagen ...... 11 4.1.1 Rahmenbedingungen, Methodik und 1.1 Das absolute Folterverbot ...... 13 Didaktik ...... 48 1.2 Das Verbot rassistischer Diskriminierung . 17 4.1.2 Rechtsausbildung ...... 50 1.3 Frauenrechte ...... 22 4.1.3 Berufsethik ...... 51 1.4 Kinderrechte ...... 23 4.1.4 Andere Fächer ...... 52 1.5 Internationale Verhaltenskodizes und 4.1.5 Sonderveranstaltungen ...... 54 Grundprinzipien für die Polizeiarbeit . . . . 24 4.1.6 Praktika und Evaluationen ...... 55 4.2 Menschenrechtsrelevante Inhalte 2 Aus- und Fortbildung bei der Polizei in in der polizeilichen Fortbildung ...... 57 Deutschland – Ein Überblick ...... 27 4.2.1 Fortbildungsangebote und Best Practice – Beispiele ...... 57 3 Rahmenbedingungen und Handlungsfelder 4.2.2 Supervision und Leitbildprozesse ...... 59 polizeilicher Arbeit ...... 29 3.1 Zur Prägung von Polizeibildern durch 5 Anregungen und Impulse ...... 61 Erfahrungen und Medien ...... 29 5.1 Reflexion und kritische Auseinander- 3.2 Gründe für die Wahl des Polizeiberufs . . 30 setzung mit der Cop Culture ...... 61 3.3 Die Polizeiuniform ...... 30 5.2 Menschenrechte als Schwerpunktthema 3.4 Von der Ausbildung in die Praxis – in der polizeilichen Fortbildung stärken . 62 Polizeikultur und Cop Culture ...... 31 5.3 Leitbildprozesse als Chance für 3.5 Fehlverhalten und „Fehlerkultur“ ...... 33 Menschenrechtsbildung ...... 66 3.6 Ursachen für Fehlverhalten in 5.4 Rechtsausbildung ...... 66 verschiedenen Dienstzweigen und 5.5 Berufsethik ...... 67 Aufgabenfeldern ...... 35 5.6 Ausblick: Plädoyer für eine unabhängige 3.6.1 Polizeiführung und -verwaltung ...... 35 Kontrollinstanz ...... 67 3.6.2 ...... 36 3.6.3 Besondere Einsatzgruppen und Sonder- Abkürzungsverzeichnis ...... 71 einheiten ...... 38 3.6.4 Kriminalpolizei ...... 39 Literaturverzeichnis ...... 72 3.7 Autorität – Frustration – Aggression . . . 39 3.8 Selbst- und Fremdbilder der Polizei . . . . 41 3.9 Polizeiberichte ...... 42 3.10 Legalitätsprinzip ...... 42 3.11 „Widerstandsbeamte“ ...... 43 3.12 „Paradigmenwechsel“ und neue Leitbilder ...... 45

7 Einleitung

Einleitung

„Die Polizei ist übrigens die größte kommt ihm die Aufgabe zu, Menschenrechte vor Be- 1 einträchtigungen durch Dritte zu schützen (obligation Menschenrechtsorganisation!“ to protect). Darüber hinaus hat der Staat auch Infra- strukturmaßnahmen zu leisten, die es ermöglichen sollen, dass die Menschen von ihren Rechten effektiv „Angesichts der geschilderten und weiterer amnesty Gebrauch machen können (obligation to fulfil). international bekannter Vorwürfe über Polizeiübergriffe sind Die Praxis sieht oft anders aus. Die Polizei ist ein Zweifel berechtigt, ob die deutschen Behörden ihrer Pflicht wesentlicher Bestandteil des staatlichen Gewaltmo- nachkommen, die in internationalen Menschenrechts- nopols. Wem Gewaltbefugnisse übertragen werden, 2 für den ergibt sich gleichzeitig die Gefahr des abkommen verankerten Rechte umfassend zu schützen.“ Missbrauchs dieser Macht. Einerseits ist das polizei- liche Handeln im Alltag überwiegend dadurch gekennzeichnet, dass die Beamtinnen und Beamten Polizistinnen und Polizisten leisten in Deutschland die Menschenrechte in ihrer Arbeit schützen und ach- eine gesellschaftlich notwendige Arbeit in überwiegend ten. Andererseits gibt es immer wieder Belege dafür, hoher Qualität. Sie riskieren dabei für die Allgemeinheit dass einzelne Polizeibeamte und -beamtinnen nicht selten ihre Gesundheit und ihr Leben. Diese Tat- Menschenrechte verletzen. Dies geschieht etwa durch sachen dürfen bei der Beschäftigung mit dem Thema ungerechtfertigte Angriffe auf die körperliche „Polizei und Menschenrechte in Deutschland“ nicht Unversehrtheit oder auf die Freiheit, durch rassis- außer Betracht gelassen werden. Die beiden Eingangs- tisches und diskriminierendes Verhalten. Ein kleiner zitate markieren dabei jenes Spannungsfeld, innerhalb Teil der Menschenrechtsgefährdungen und -ver- dessen sich die Auffassungen zum Thema bewegen. letzungen wird rechtlich geahndet, der größere Teil Zunächst besteht über die grundlegende Ausrichtung bleibt offiziell unbekannt oder ist nicht beweisbar. Ein der Polizei weitestgehend Einigkeit: Als Teil der voll- wichtiges Instrument, um polizeilichem Fehlverhalten ziehenden Gewalt ist sie an Gesetz und Recht gebunden, zu begegnen sowie ihm vorzubeugen, ist die insbesondere an die Grundrechte des Grundgesetzes. Menschenrechtsbildung. Vorbeugende Arbeit ist aber Auch die von Deutschland ratifizierten internationalen auch innerhalb der gesamten Polizeiorganisation zu und europäischen Menschenrechtsverträge sind un- leisten. mittelbar geltendes Recht und binden die Polizei. Mit- hin stehen Achtung, Schutz und Gewährleistung der Bildung ist abstrakt gesehen zunächst das bewusste Menschenrechte im Zentrum polizeilicher Arbeit. Bei Anregen von Lernprozessen. Bei der Menschenrechts- dieser so genannten Pflichtentrias handelt es sich um bildung sollen Lernprozesse angeregt werden, die den die Pflichten des Staates‚ to respect, to protect, to ful- Lernenden dazu befähigen, eigene sowie die Men- fil. Mit der obligation to respect wird festgehalten, schenrechte anderer zu kennen, einzufordern und dass Menschenrechte nach wie vor auch Grenzen mar- darüber hinaus die Menschenrechte als handlungsan- kieren, die der Staat nicht überschreiten darf. Zugleich leitende Werte zu verinnerlichen3.

1 Aus einer Rede des Leiters der Landespolizeischule , Gerhard-H. Müller, (2005). 2 amnesty international (2004), S. 10. 3 In leichter Erweiterung von Lenhart (2004), S. 41. 8 Einleitung

Menschenrechtsbildung zielt also auf Wissensvermitt- Beschreibung ist allgemein gehalten und trifft keine lung sowie auf die Ausprägung von Werten und konkreten Aussagen über Quantität und Qualität der Handlungskompetenzen. Sie besitzt einen Doppelcha- polizeilichen Aus- und Fortbildung zu Menschenrechts- rakter: Sie ist juristische wie auch moralisch-ethische fragen. Es ist fraglich, ob die Realität dem vollständig Bildung. entspricht. Die vorliegende Studie hat das Ziel, das „Wo“ und „Wie“ der Menschenrechtsbildung bei der Es ist sinnvoll, zwischen Menschenrechtsbildung im Polizei zu beschreiben. Sie ist eine Analyse des Ist- engeren und weiteren Sinne zu unterscheiden. Als Zustandes und gibt auf dieser Basis einen Ausblick auf Menschenrechtsbildung im engeren Sinne lassen sich kurz- und mittelfristige Entwicklungsmöglichkeiten. die Maßnahmen ansehen, bei denen die Lehrenden explizit die Menschenrechte als Ganzes oder einzelne Die Studie lässt sich grob in drei Teile gliedern. Im Menschenrechte zum Gegenstand einer Bildungs- Mittelpunkt des ersten Teils (Kapitel 1 bis 3) steht die maßnahme machen. Beispiele sind Bildungsveranstal- Frage, warum Menschenrechtsbildung für die Polizei tungen zur Geschichte der Menschenrechte, zur All- notwendig ist und auf welche Problemfelder sie sich gemeinen Erklärung der Menschenrechte oder zur zu beziehen hat.5 Hierzu wird zunächst die Pflicht, ob Arbeit von Menschenrechtsorganisationen. Men- als Rechtspflicht oder politische Selbstverpflichtung, schenrechtsbildung im weiteren Sinne sind Maß- zur Menschenrechtsbildung für die Polizei aus inter- nahmen, mit denen solche Einstellungen und Hand- nationalen Dokumenten abgeleitet. Im Zentrum dieses lungsmuster beeinflusst werden, die implizit im Teils steht die Frage nach Faktoren innerhalb der Zusammenhang mit menschenrechtskonformem Ver- Polizei und ihrem gesellschaftlichen Umfeld, die men- halten oder mit dem Eintreten für Menschenrechte schenrechtsverletzendes oder -konformes Handeln för- stehen. Als Beispiele hierfür gelten Stressbewälti- dern. In diesem Zusammenhang werden auch wesent- gungstrainings, (interkulturelle) Konflikttrainings oder liche polizeiliche Handlungsfelder betrachtet. Die Lehrveranstaltungen zur Berufsethik. Wird also, wie in Studie zeigt hier exemplarisch, welche Verbindung es dieser Studie, die Menschenrechtsbildung für eine be- zwischen der Polizei in ihrem Alltagshandeln und den stimmte Zielgruppe untersucht, dürfen nicht nur Menschenrechten gibt. Mögliche Hintergründe für Maßnahmen mit dem entsprechenden Etikett bezie- Menschenrechtsverletzungen durch Polizistinnen und hungsweise offensichtlich verknüpften Inhalten Polizisten werden entsprechend des aktuellen For- betrachtet werden, sondern es sind grundsätzlich alle schungsstandes diskutiert. Vorangestellt ist die Er- Bildungsmaßnahmen dahingehend zu untersuchen, läuterung der polizeilichen Aus- und Fortbildungs- welche Auswirkungen sie darauf haben, dass die an- strukturen in Deutschland. Dabei werden insbesondere gehenden Polizistinnen und Polizisten in ihrer Berufs- die in den verschiedenen Bundesländern existenten ausübung die Menschenrechte achten, schützen und differierenden Formen polizeilicher Bildung dargestellt. gewährleisten. Der zweite Teil der Studie (Kapitel 4) beschreibt die Im Siebten Bericht der Bundesregierung über ihre gegenwärtige Praxis der Menschenrechtsbildung bei Menschenrechtspolitik heißt es zur Menschenrechts- der Polizei in Deutschland. Auf der Grundlage der bildung bei der Polizei unter anderem: „Menschen- Lehrpläne gibt dieses Kapitel einen Überblick, in wel- rechtsbildung ist fester Bestandteil sowohl der Lauf- chen Umfang Menschenrechte explizit in der polizei- bahnausbildung für den Polizeivollzugsdienst als auch lichen Aus- und Fortbildung verankert sind. Bei wel- der Fortbildung an den Bildungseinrichtungen und in chen Fächern ist ein Zusammenhang zu polizeilichem den Dienststellen der einzelnen Polizeibehörden von Verhalten gegeben, bei dem es darauf ankommt, Bund und Ländern. … In der polizeilichen Fortbildung Menschenrechte zu schützen, zu achten und zu ge- und in einer Vielzahl von Einzelprojekten wird das währleisten? In welchen besonderen Veranstaltungen Thema Menschenrechte in verschiedenen Lehrgangs- werden Menschenrechtsthemen behandelt? Auf der angeboten und Fortbildungsmodulen aus unterschied- Grundlage von Hintergrundrecherchen wird darüber lichen Blickrichtungen behandelt.“4 Diese positive hinaus beleuchtet, ob und inwieweit Mitarbeiterinnen

4 Auswärtiges Amt (2005), S. 213. 5 An dieser Stelle sei darauf hingewiesen, dass die Studie keine explizite Zusammenstellung einzelner Fälle von Menschen- rechtsverletzungen durch die Polizei enthält. Hierzu sei auf andere Quellen – etwa die Jahresberichte von amnesty interna- tional – verwiesen. 9 Einleitung

und Mitarbeiter an den Lehreinrichtungen Menschen- tere Akteure. Sie fordern dazu auf, sich mit der rechtsaspekte bei den unterschiedlichsten Fächern eigenen Praxis der Menschenrechtsbildung zu befas- und Veranstaltungen integrieren. sen, Gelungenes zu bewahren und zu vertiefen, Defizite zu beheben und notwendige neue Wege zu Vor dem Hintergrund dieser Analyse werden im letz- gehen. In diesem Sinne stellt die Studie einen Bei- ten Teil der Studie (Kapitel 5) Anregungen und trag dazu dar, die Zahl der „Inseln gelingender Men- Impulse für die Menschenrechtsbildung bei der schenrechtsbildung“ zu vergrößern, zwischen den Polizei formuliert. Sie betreffen die polizeiliche Aus- Inseln Verbindungen herzustellen und sie attraktiv und Fortbildung, die Organisation Polizei und wei- zu machen.

10 Die Fundierung der Menschenrechtsbildung in internationalen Dokumenten und Rechtsgrundlagen 1

1 Die Fundierung der Menschenrechtsbildung in internationalen Dokumenten und Rechtsgrundlagen

Aus verschiedenen internationalen Dokumenten Freiheitsrechte. Einige enthalten den Freiheitsbegriff ergibt sich teils als Rechtspflicht, teils als politische direkt – zum Beispiel Religionsfreiheit, Meinungs- Selbstverpflichtung für die Bundesrepublik Deutsch- freiheit, Versammlungsfreiheit, Vereinigungsfreiheit, land und gleichzeitig für alle einzelnen Bundesländer, freie Entfaltung der Persönlichkeit, demokratisches Menschenrechtsbildung bei der Polizei durchzufüh- Wahlrecht, Recht auf ein faires Gerichtsverfahren ren. Wenig verbreitet ist jedoch konkretes Wissen zu oder Schutz vor Folter. Aber auch in den sozialen Fragen wie: Menschenrechten sind Freiheitsansprüche formuliert. In welchen völkerrechtlichen Quellen und anderen So sollen beispielsweise durch das Recht auf eine für Deutschland gültigen internationalen Doku- soziale Mindestsicherung und das Recht auf Ge- menten sind Verpflichtungen zur Menschenrechts- werkschaftsbildung Menschen in der Arbeitswelt vor bildung in der Polizei aufgeführt? zu starken Abhängigkeiten und daraus resultierender Wie ist das Verhältnis des internationalen Men- Unfreiheit geschützt werden. Auch das Recht auf schenrechtsschutzsystems zu den Anforderungen Bildung als soziales Menschenrecht ist gleichzeitig an die Arbeit der Polizei sowie an die Aus- und Freiheitsrecht: Bildung gilt als Voraussetzung, um in Fortbildung der Polizei? der Gesellschaft einen Platz zu finden, mitzuwirken Welchen Themen hat sich diese genau zu widmen? und mitzubestimmen.

Der Herleitung eines menschenrechtsbasierten An- Die Freiheitsrechte gelten, dem Universalismus von satzes für die polizeiliche Aus- und Fortbildung aus Menschenwürde und Menschenrechten folgend, für internationalen Dokumenten vorangestellt ist eine jeden Menschen. Dies ist das Prinzip des Anspruchs kurze allgemeine Einführung in die Menschenrechts- auf Gleichberechtigung. „Alle Menschen sind frei und thematik. Bei den Menschenrechten handelt es sich an Würde und Rechten gleich geboren.“, heißt es im um Rechte, die mit dem Wesensstatus des Menschen, Artikel 1 der Allgemeinen Erklärung der Menschen- mit seinem Menschsein verbunden sind. Zentrale Kate- rechte der Vereinten Nationen von 1948. Der Anspruch gorie ist hier die Menschenwürde, die in jedem Men- auf Gleichberechtigung ist in den Menschenrechten schen gleichermaßen zu respektieren ist. Dies ist als als Diskriminierungsverbot ausformuliert. Die men- ein „universaler“ Geltungsanspruch verstehbar und schenrechtlichen Dokumente zählen hierzu solche grenzt Menschenrechte von anderen Rechtskategorien Merkmale auf, die in Geschichte und Gegenwart offen ab. So beziehen sich die verschiedenen rechtlichen oder versteckt Grundlage von Ungleichbehandlung Spezialnormen auf gesellschaftliche Rollen der Men- waren, wie insbesondere Hautfarbe, Herkunft, schen. Das Mietrecht betrifft Mieter und Vermieter, Geschlecht, soziale Stellung, Religion oder Weltan- das Steuerrecht die Finanzbehörden und die Bürger schauung. In Weiterentwicklung werden zunehmend als Steuerzahler, das Arbeitsrecht Arbeitgeber und auch andere Merkmale wie etwa sexuelle Orientie- Arbeitnehmer. Die Menschenrechte jedoch gelten für rung, Behinderung und Alter genannt, die nicht An- jeden Menschen in gleichem Maße. Dies wird auch als knüpfungspunkt für Ungleichbehandlung sein dürfen. Universalismus der Menschenrechte bezeichnet. Dies ist ein Beispiel dafür, dass Menschenrechte ein Resultat unabgeschlossener gesellschaftlicher Lern- Die Menschenwürde zu respektieren bedeutet, jeden prozesse sind. Menschen als ein Subjekt freier Selbstbestimmung und freier Mitbestimmung zu achten. Die Gesellschaft Den Menschenrechten ist ein Doppelcharakter inhä- und insbesondere der Staat stehen in der Pflicht, dies rent: Sie sind einerseits ethische Überzeugungen und auch rechtlich abzusichern. Alle Menschenrechte sind andererseits durchsetzbares Recht. Für den Einzelnen 11 1 Die Fundierung der Menschenrechtsbildung in internationalen Dokumenten und Rechtsgrundlagen

ist hierfür die wichtigste Ebene die nationalstaatliche. nationale Übereinkommen zur Beseitigung jeder Form In der Verfassung der Bundesrepublik Deutschland, dem von Rassendiskriminierung (Anti-Rassismuskonven- Grundgesetz, heißt es im Artikel 1: „Die Würde des tion) von 1965, das Übereinkommen zur Beseitigung Menschen ist unantastbar.“ Sie wird damit als höchstes jeder Form von Diskriminierung der Frau (Frauen- Rechtsgut anerkannt. Die im Weiteren aufgeführten rechtsabkommen) von 1979, das Übereinkommen Grundrechte – wie das Recht auf Persönlichkeits- gegen Folter und andere grausame, unmenschliche entfaltung, körperliche Integrität, Diskriminierungs- oder erniedrigende Behandlung oder Strafe (UN-Anti- verbot, Religionsfreiheit, Meinungsfreiheit, Kunst- Folter-Konvention) von 1984 und das Übereinkom- freiheit, das Recht der Familie, Versammlungsfreiheit, men über die Rechte des Kindes von 1989. Alle ge- Vereinigungsfreiheit, freie Gewerkschaftsbildung, nannten Übereinkommen und Pakte wurden von freie Berufsausübung, Schutz der eigenen Wohnung, Deutschland ratifiziert und in nationales Recht trans- Eigentumsrechte – sind Menschenrechte6. Gegen ihre formiert. In Ergänzung der Übereinkommen und Pakte Verletzung kann von jedem Menschen im Geltungs- hat die Generalversammlung der Vereinten Nationen bereich des Grundgesetzes der Rechtsweg bis zum teilweise Fakultativprotokolle beschlossen. Für alle Bundesverfassungsgericht beschritten werden. Übereinkommen beziehungsweise Pakte existiert für die Vertragsstaaten eine Berichtspflicht und es beste- Auf der internationalen Ebene existiert eine Vielzahl hen Kontrollinstanzen (Ausschüsse). Die Ausschüsse verschiedener Dokumente zu den Menschenrechten. ziehen zur Prüfung der Staatenberichte auch so Diese haben ein unterschiedliches Maß an Rechtsver- genannte Parallelberichte von Nichtregierungsorgani- bindlichkeit. Teilweise sind sie in innerstaatliches Recht sationen (NGOs) heran. Auf der Basis ihrer Prüfungen transformiertes Völkerrecht, teilweise besitzen sie em- formulieren die Ausschüsse Schlussfolgerungen und pfehlenden Charakter und zum Teil handelt es sich um richten Empfehlungen an die Staaten zur Umsetzung politische Willensbekundungen. Inhaltlich kann bei der Verpflichtungen aus den Abkommen. Bei einigen den im Folgenden aufgeführten Quellen unterschieden Abkommen existieren neben dem Staatenberichtsver- werden zwischen solchen Bestimmungen, die direkte fahren weitere Überwachungsmechanismen, etwa Aufforderungen zur Menschenrechtsbildung bei der Individual- und Staatenbeschwerdeverfahren, Unter- Polizei enthalten, und solchen, deren Inhalt Gegen- suchungsverfahren sowie Besuchsmechanismen. Die stand von Bildung bei der Polizei sein sollte, da ent- Schlussfolgerungen und Empfehlungen der Aus- weder mit dem polizeilichen Handeln ein Risiko für schüsse in all diesen Verfahren sind für die Staaten die jeweiligen Rechte verbunden ist oder aber die nicht rechtsverbindlich. Ein gewisser Grad an Ver- Polizei eine besondere Schutzfunktion zur Gewähr- bindlichkeit ergibt sich jedoch aus der Tatsache, dass leistung der jeweiligen Menschenrechte hat. Deutschland mit dem Beitritt zu den jeweiligen Über- einkommen die Berechtigung der Positionen der Ausschüsse und ihrer Empfehlungen und Beschlüsse Ebene der Vereinten Nationen im Allgemeinen anerkannt hat. In den Ausschüssen wurden zu den Abkommen Allgemeine Empfehlungen Die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte (General Recommendations) beziehungsweise Allge- (AEMR), 1948 von der Generalversammlung der Ver- meine Bemerkungen (General Comments) beschlossen, einten Nationen angenommen, stellt Grundlage und die der Präzisierung und Interpretation der Rege- Ausgangspunkt des modernen Menschenrechts- lungen der Abkommen dienen. schutzes auf globaler Ebene dar. Ausgehend von der AEMR entwickelten die Vereinten Nationen verschie- dene rechtsverbindliche Menschenrechtsübereinkom- Europäische Ebene men, die mit Kontrollmechanismen versehen sind. Auswirkungen auf die polizeiliche Arbeit haben insbe- Der Europarat ist ein Zusammenschluss von derzeit 46 sondere der Internationale Pakt über bürgerliche und europäischen Staaten7. Er wurde gegründet, um „die politische Rechte (Zivilpakt) von 1966, das Inter- Menschenrechte und die parlamentarische Demokratie

6 Einige davon – wie etwa die Vereinigungsfreiheit oder die Versammlungsfreiheit – sind zwar nach dem Grundgesetz den Staatsbürgerinnen und Staatsbürgern vorbehalten, sie werden jedoch in der Europäischen Menschenrechtskonvention, die auch für Deutschland rechtsverbindlich ist, als allgemeine Menschenrechte geschützt. 7 Stand 2006 – dabei reichen die Territorien seiner Mitgliedsstaaten wie zum Beispiel Russland oder die Türkei bis auf den asiatischen Kontinent. 12 Die Fundierung der Menschenrechtsbildung in internationalen Dokumenten und Rechtsgrundlagen 1.1 Das absolute Folterverbot 1

zu schützen und die Rechtsstaatlichkeit sicherzustellen, Platz. Folter ist eine der schlimmsten Verletzungen europaweit Abkommen zur Harmonisierung der sozi- der menschlichen Würde. Das Opfer sieht sich machtlos alen und rechtlichen Praktiken der Mitgliedsstaaten der Willkür durch Personen ausgesetzt, welche direkt zu schließen, das Bewusstsein für die europäische Iden- oder indirekt für einen Staat handeln. Folter ist nach tität zu wecken, die sich auf die gemeinsamen und der UN-Anti-Folter-Konvention definiert als „… jede über die Kulturunterschiede hinausgehenden Werte Handlung, durch die einer Person vorsätzlich große gründet“8. Grundlage des Menschenrechtsschutzes im körperliche oder seelische Schmerzen oder Leiden Rahmen des Europarats ist die Konvention zum zugefügt werden, zum Beispiel um von ihr oder einem Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten Dritten eine Aussage oder ein Geständnis zu erlangen, (Europäische Menschenrechtskonvention – EMRK) von um sie für eine tatsächlich oder mutmaßlich von ihr 1950. Die Konvention nimmt gleich am Beginn der oder einem Dritten begangene Tat zu bestrafen oder Präambel Bezug auf die AEMR. Sie verfügt mit dem um sie oder einen Dritten einzuschüchtern oder zu Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in nötigen, oder aus einem anderen, auf irgendeiner Art Straßburg über einen verbindlichen Kontroll- und Über- von Diskriminierung beruhenden Grund, wenn diese wachungsmechanismus. An diesen kann sich jeder Schmerzen oder Leiden von einem Angehörigen des Mensch wenden, der sich in seinen Menschenrechten öffentlichen Dienstes oder einer anderen in amtlicher durch einen der Vertragsstaaten verletzt sieht und die Eigenschaft handelnden Person, auf deren Veranlassung innerstaatlichen Rechtswege ausgeschöpft hat. Seit oder mit deren ausdrücklichem oder stillschweigendem Aufnahme seiner Tätigkeit hat der Gerichtshof auch Einverständnis verursacht werden.“10 Die Staaten sind eine Reihe von Urteilen gefällt, die Deutschland betref- darüber hinaus zur Verhinderung von Handlungen fen9. Zur Umsetzung der Menschenrechte und zur Kon- verpflichtet, „die eine grausame, unmenschliche oder trolle ihrer Einhaltung auf europäischer Ebene gibt es erniedrigende Behandlung oder Strafe darstellen“11. des Weiteren die Anti-Folter-Konvention mit einem entsprechenden Ausschuss sowie die Europäische Kom- Es liegt im Wesen polizeilicher Tätigkeit begründet, mission gegen Rassismus und Intoleranz (siehe unten). dass Beamtinnen und Beamte in ihrer Arbeit immer wieder in die Nähe der Grenzen des Verbots der Folter Aus der folgenden Zusammenschau der Dokumente sowie der grausamen, unmenschlichen oder erniedri- der europäischen wie auch der UN-Ebene lässt sich genden Behandlung gelangen können. Im Rahmen von ein Anforderungskatalog an die menschenrechtsbezo- Gefahrenabwehr und Straftatenverfolgung gehört es gene polizeiliche Aus- und Fortbildung extrahieren. Er zu ihren Aufgaben, notfalls Personen in ihrer Freiheit umfasst die Themenkreise „Folterverbot“, „Verbot ras- einzuschränken, unter bestimmten Umständen auch sistischer Diskriminierung“, „Frauenrechte“, „Kinder- Gewalt anzuwenden und teilweise unter Zeitdruck rechte“ und „Allgemeine Anforderungen an polizeiliches Informationen zu erlangen. Die konsequente Einhal- Verhalten“. Dabei ist es nicht Anliegen der Studie, hier- tung der Gesetze erweist sich dabei als in konkreten zu eine umfassende Darstellung zu geben. Vielmehr lebenspraktischen Situationen alltäglich neu zu mei- wurden jene Dokumente und Textpassagen ausgewählt, sternde Herausforderung. Umso wichtiger erscheint die sich direkt oder mittelbar auf die Polizei beziehen. es, dass jede Polizistin und jeder Polizist um die völ- kerrechtliche Fundierung und universelle Geltung des Folterverbots weiß. Dazu zählt, dass das Folterverbot als zwingender Grundsatz des Völkerrechts absolut 1.1 Das absolute Folterverbot gilt und notstandsfest ist.

Das absolute Verbot der Folter hat im internationalen Das absolute Folterverbot ist in Artikel 5 der AEMR, System des Menschenrechtsschutzes einen zentralen Artikel 7 des Zivilpakts und Artikel 3 der EMRK nie-

8 Europarat [2006a]. 9 Ein Überblick hierzu findet sich unter Europarat [2006b]. 10 UN, Übereinkommen gegen Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe vom 10.12.1984 (UN-Anti-Folter-Konvention), Art. 1. Die Aufzählung ist exemplarisch und nicht umfassend. Der Artikel 1 endet mit dem Satz: „Der Ausdruck umfasst nicht Schmerzen oder Leiden, die sich lediglich aus gesetzlich zulässigen Sanktionen ergeben, dazu gehören oder damit verbunden sind.“ Verschiedene Erklärungen des Ausschusses gegen Folter (CAT) weisen darauf hin, dass dieser letzte Satz sehr vorsichtig zu interpretieren ist und keiner Aufweichung des Folterverbots Vorschub leisten darf. 11 UN-Anti-Folter-Konvention, Art. 16. 13 Die Fundierung der Menschenrechtsbildung in internationalen Dokumenten und Rechtsgrundlagen 1 1.1 Das absolute Folterverbot

dergelegt. Einige der Allgemeinen Bemerkungen zum dem Bericht wird an dieser Stelle ausführlich zitiert, Zivilpakt stellen inhaltliche Anforderungen für die um den Verantwortlichen in der Polizeiorganisation Aus- und Fortbildung der Polizei dar12. Es wird gefor- und in den polizeilichen Bildungseinrichtungen die dert, die Polizei und andere Kräfte zu Bestimmungen Sichtweise und Position der Bundesregierung vor des Paktes zu schulen: „Die für die Anwendung der Augen zu führen. Gesetze verantwortlichen Personen, … die Bedienste- ten der öffentlichen Gewalt und alle anderen Per- „Die von Bund und Ländern unternommenen An- sonen, welche sich auf irgendeine Weise mit der strengungen zur weiteren Verbesserung der Aus- Bewachung oder Behandlung einer festgenommenen, und Fortbildung zielen vor allem auf eine Stärkung inhaftierten oder gefangen gehaltenen Person befas- der fachlichen, sozialen und persönlichen Kompe- sen, müssen eine angemessene Schulung und Aus- tenz von Beamten und die Förderung ihrer Fähigkeit bildung erhalten.“13 Der entsprechende Ausschuss soll zur Anpassung an neue Entwicklungen und Auf- hierzu informiert werden. gaben ab. Insbesondere den Polizeibeamten des Bundes und der Länder soll als oberstes Ziel ihres Die international zentrale Vereinbarung zum Folter- Einschreitens die gewaltfreie Konfliktlösung ver- verbot ist die UN-Anti-Folter-Konvention. Die beige- mittelt werden. Um diese Zielsetzung mit dem er- tretenen Staaten bekräftigen darin ihre Verpflichtung, forderlichen Nachdruck zu erreichen, werden in das Folterverbot einzuhalten. Zur Umsetzung dieser Aus- und Fortbildung vermehrt spezielle Kommuni- Verpflichtung sind vor allem gesetzliche, aber auch kations- und Verhaltenstrainings zur Vermittlung andere Maßnahmen zu treffen. So muss unter ande- der Lehr- und Lerninhalte angewandt, in denen rem entsprechend Artikel 10 jeder Vertragsstaat dafür Konfliktsituationen sowohl theoretisch besprochen Sorge tragen, „dass die Erteilung von Unterricht und als auch praktisch, z.B. in Form von Rollenspielen, die Aufklärung über das Verbot der Folter als vollgül- trainiert werden. Derartige verhaltensorientierte tiger Bestandteil in die Ausbildung … aufgenommen Trainingsprogramme zur Steigerung der sozialen wird …“. Zu dem in Artikel 10 benannten betroffenen Kompetenz auf den Gebieten der Kommunikation Personenkreis zählen auch Polizeibeamte. Der auf der sowie der Stress- und Konfliktbewältigung werden Grundlage des Übereinkommens gegründete Aus- für alle Laufbahngruppen mit Unterstützung der schuss gegen Folter (CAT) prüft Staatenberichte, psychologischen Dienste in verstärktem Umfang behandelt Staaten- und Individualbeschwerden und durchgeführt. Auch aktuelle Vorfälle werden im führt vertrauliche Untersuchungen in Mitgliedsstaa- Unterricht aufgearbeitet. ten durch. Das 2002 von der Generalversammlung der Vereinten Nationen angenommene Fakultativproto- 23. Als Reaktion auf die unter Ziffer II. noch zu koll verpflichtet die Mitgliedsstaaten, unabhängige behandelnden Vorwürfe der Misshandlung von Aus- nationale Besuchsmechanismen zu schaffen, die in ländern durch Polizeibeamte des Bundes und der Haftanstalten, psychiatrischen Kliniken und an ande- Länder sind auch die Bildungsinhalte zur Bekämp- ren Orten, an denen zwangsweise Menschen festge- fung von Rassismus und Fremdenfeindlichkeit in halten werden, die Einhaltung des Abkommens über- der Aus- und Fortbildung weiter aktualisiert und in- prüfen. Durch einen Kabinettsbeschluss vom 25.4.2006 tensiviert worden. So finden beispielsweise bei der ist der Unterzeichnung dieses Fakultativprotokolls der Grenzpolizei regelmäßig besondere Fortbildungs- Weg geebnet worden, seit September 2006 ist es in maßnahmen zur Steigerung der interkulturellen Deutschland in Kraft. Kompetenz statt. In diesen Veranstaltungen, die teilweise unter Beteiligung privater Menschen- Der an CAT übermittelte letzte Staatenbericht aus rechtsorganisationen durchgeführt werden, wird Deutschland stammt von 2002. Die Punkte 22. und dem Schutz der Menschenwürde und dem Verbot 23. widmen sich der Umsetzung des Artikels 10. Aus jeglicher Folter ein besonders hoher Stellenwert

12 Sie betreffen Erläuterungen zum Folterverbot, wobei insbesondere klargestellt wird, dass sich die Bestimmungen nicht nur auf körperlichen Schmerz, sondern auch auf seelische Leiden beziehen (Allgemeine Bemerkung Nr. 20, insbesondere Ziff. 5, Deutsches Institut für Menschenrechte (2005), S. 84-87) sowie Erläuterungen zur Nichtsuspendierbarkeit des Verbots der Folter oder grausamen Behandlung (Allgemeine Bemerkung Nr. 29, Ziff. 7, ebenda, S. 144). 13 Allgemeine Bemerkung Nr. 20, Ziff. 10, Deutsches Institut für Menschenrechte (2005), S. 86 sowie Allgemeine Bemerkung Nr. 21, Ziff. 7, ebenda, S. 89. 14 Die Fundierung der Menschenrechtsbildung in internationalen Dokumenten und Rechtsgrundlagen 1.1 Das absolute Folterverbot 1

eingeräumt. Darüber hinaus werden Programme für lungen abgegeben. Hier werden einerseits positive interkulturelle Kommunikation sowie spezielle Se- Veränderungen gewürdigt, so unter anderem zum minarreihen zum Thema ‚Polizei und Fremde’ orga- Asylverfahren und dessen Bedingungen am Flug- nisiert, in denen deutschen Polizeibeamten vor hafen Frankfurt/Main sowie zu den Methoden, die allem Verständnis für Wertsysteme und Verhaltens- bei der Abschiebung abgewiesener Asylbewerber auf weisen außereuropäischer Kulturen vermittelt wird. dem Luftweg angewandt werden. Es werden aber Dieses Verständnis gegenüber anderen Kulturen auch Anlässe zur Besorgnis und hieraus abgeleitete wird durch die Einstellung von Ausländern in den konkrete Empfehlungen aufgeführt. Dies betrifft bei- deutschen Polizeidienst zusätzlich gefördert.“14 spielsweise die Dauer der Entscheidungsfindung in Strafverfahren, die wegen Vorwürfen von Misshand- Zu den gegen Deutschland erhobenen Vorwürfen der lung von Personen geführt werden, die sich im Folter und anderer grausamer, unmenschlicher oder Gewahrsam von Strafverfolgungsbehörden befinden, erniedrigender Behandlung oder Strafe, die Polizei- unter anderem in besonders schweren Fällen mit beamte betreffen, wird im Staatenbericht unter II. Todesfolge wie dem des Amir Ageeb. Besorgnis erre- ausgeführt, dass diesen nachzugehen sehr ernst gen auch einige Behauptungen, dass Strafverfol- genommen wird. Dabei werden Vorfälle des Fehl- gungsbehörden gegen Personen, die ihnen Miss- verhaltens von Beamten als „bedauerliche und nicht handlungen vorgeworfen hatten, zur Bestrafung oder zu verallgemeinernde Einzelfälle“ charakterisiert15. Im Abschreckung Strafanzeige erstattet haben sollen; Weiteren werden vor allem Vorwürfe und Vor- sowie „die Tatsache, dass der Vertragsstaat in vielen gehensweisen im Zusammenhang mit der Abschiebe- von dem Übereinkommen erfassten Bereichen keine praxis des Bundesgrenzschutzes (BGS) erörtert. Dabei Zahlen vorlegen oder die ihm vorliegenden nicht wird auch auf den Fall des Sudanesischen Staats- sinnvoll aufbereiten konnte. In dem aktuellen Dialog bürgers Amir Ageeb Bezug genommen16. Er war bei betraf dies etwa Verfahren zur Erzwingung der Straf- seiner Abschiebung im Mai 1999 durch das Handeln verfolgung, behauptete Fälle von auf Absprache von BGS-Beamten zu Tode gekommen. Im Bericht wird beruhenden Misshandlungsvorwürfen, Fälle von auf das anhängige Gerichtsverfahren verwiesen. Dies Gegenbeschuldigungen seitens der Strafverfolgungs- kam erst im Oktober 2004 zum Abschluss. Drei BGS- behörden und Angaben in Bezug auf Täter, Opfer und Beamte wurden wegen vorsätzlicher Körperverletzung die Sachverhaltsmerkmale von Misshandlungs- mit Todesfolge zu Freiheitsstrafen auf Bewährung vorwürfen“19. verurteilt. Als Begründung für sein mildes Urteil führ- te der Richter an, dass die Führungsebene des BGS Dementsprechend empfiehlt der Ausschuss unter ande- durch ihre „Ignoranz und Inkompetenz“ für den Tod des rem „alle geeigneten Maßnahmen zu treffen, um Opfers mitverantwortlich sei und Mängel in der Aus- sicherzustellen, dass gegen ... Strafverfolgungsbehörden bildung sowie „hochtrabende und zum Teil unsinnige gestellte Strafanträge mit der gebotenen Beschleuni- Anweisungen“ die Schuld der Angeklagten mindere17. gung entschieden werden, um derartige Vorwürfe Im Bericht wird weiter ausgeführt, dass die Abschiebe- umgehend zu klären und mögliche Schlussfolgerungen praxis einer „umfassenden und sorgfältigen Überprü- der Straflosigkeit unter anderem in Fällen, in denen fung“ unterzogen sowie eine neue Dienstanweisung Gegenbeschuldigungen erhoben worden sein sollen, zu erlassen wurde18. verhindern“. Ferner lautet eine Empfehlung an Deutsch- land, „seine Strafbestimmungen über Folter und andere Zu diesem Staatenbericht hat der Ausschuss nach grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behand- einer Prüfung 2004 Schlussfolgerungen und Empfeh- lung oder Strafe weitestgehend zusammenzufassen“20.

14 Bundesrepublik Deutschland (2002), S. 14-15. Unklar ist, ob mit der Formulierung „Einstellung von Ausländern in den deutschen Polizeidienst“ tatsächlich Ausländer oder aber Deutsche gemeint sind, die ursprünglich eine andere ethnische Herkunft haben. 15 Ebenda, S. 17. 16 Ebenda, S. 23–24, Nr. 42-45. 17 Siehe www.ngo-online.de (2004) und Steinke (2005). 18 Bundesrepublik Deutschland (2002), S. 23-24, Nr. 44. 19 CAT, Schlussfolgerungen und Empfehlungen des Ausschusses gegen Folter – Deutschland, CAT/C/CR/32/7 vom 18.05.2004, Ziff. 3–5. 20 Ebenda 15 Die Fundierung der Menschenrechtsbildung in internationalen Dokumenten und Rechtsgrundlagen 1 1.1 Das absolute Folterverbot

Auch auf europäischer Ebene wurden die Anstren- auf unabhängige Kontrollgremien bei Einrichtungen gungen intensiviert, das Verbot der Folter durchzuset- des Abschiebegewahrsams an verschiedenen Orten zen. In Ausgestaltung des Artikels 3 der EMRK wurde sowie auf die Bürgerbeauftragte in Mecklenburg- 1987 die Europäische Konvention zur Verhütung von Vorpommern hingewiesen. Darüber hinaus wird auf Folter und unmenschlicher oder erniedrigender die Länderzuständigkeit verwiesen. Nach Auskunft Behandlung oder Strafe (CPT 21) beschlossen, die 1989 der Länder bestünden keine Absichten der Einrichtung auch in Deutschland in Kraft trat. Basierend auf Arti- solcher Stellen. In diesem Zusammenhang wird auf kel 1 wurde ein Ausschuss22 errichtet, der durch Be- bestehende Kontrollinstrumente wie zum Beispiel die suche die Behandlung von Personen prüft, denen die Dienst- und Fachaufsicht der Innen- und Justizminis- Freiheit entzogen ist. Dieser Ausschuss besitzt das terien aufmerksam gemacht29. Zu den Vorwürfen teil- Recht, unter anderem den Gewahrsam beliebiger Poli- weise stattfindender exzessiver Gewalt bei Fest- zeidienststellen in Deutschland zu überprüfen23. nahmen wird keine Stellung genommen. Besuche des Ausschusses in Deutschland fanden 1991, 1996 (verschiedene Einrichtungen), 1998 (Flughafen Das CPT entwickelte verschiedene Standards, die für Frankfurt/Main), 2000 und 2005 (jeweils verschiedene die Polizeiarbeit gelten sollen. Unter anderem werden Einrichtungen) statt.24 Überwiegend attestierte der Anforderungen an die Aus- und Fortbildung des Ge- Ausschuss Deutschland die Einhaltung der menschen- setzesvollzugspersonals beschrieben. Darunter wird rechtlichen Standards in den polizeilichen Einrich- die Polizei ausdrücklich mit erfasst. Ein Schwerpunkt tungen, beanstandete jedoch in verschiedener Form wird auf die Ausbildung kommunikativer Fähigkeiten materielle und rechtliche Umstände. Wiederholt wurde gelegt, die auf der Achtung der Menschenwürde ebenfalls darauf hingewiesen, dass dem Ausschuss basieren: „Der Besitz derartiger Fertigkeiten wird von exzessiver Gewalt bei der Festnahme berichtet einen Polizei- oder Gefängnisbeamten häufig dazu wurde, insbesondere von Schlägen und Tritten, nach- befähigen, eine Situation zu entschärfen, die an- dem die Festgenommenen bereits überwältigt waren derenfalls zur Anwendung von Gewalt führen könnte, und am Boden lagen. Auch ungerechtfertigter und – allgemeiner – zu einer Abnahme der Spannung Schusswaffeneinsatz wurde bemängelt. Weitere Kritik und zur Steigerung der Lebensqualität in Polizei- und betraf das Vorgehen gegen Ausländer im Zusammen- Gefängniseinrichtungen führen. Das CPT ermutigt hang mit der Abschiebepraxis des BGS25. Ausdrücklich nationale Behörden, Menschenrechtskonzepte mög- begrüßte der Ausschuss die Existenz unabhängiger lichst in die praktische Ausbildung über den Umgang Untersuchungsgremien zu Polizeiübergriffen wie zum mit Hochrisikosituationen wie etwa die Festnahme Beispiel die Hamburger Polizeikommission26. Er wollte und Vernehmung von Straftatverdächtigen zu inte- außerdem wissen, ob „die Verantwortlichen in Deutsch- grieren; dies wird sich als wirksamer erweisen als land die Möglichkeit erwägen, bundesweit unabhän- separate Menschenrechtskurse.“30 gige Stellen einzurichten, die damit betraut sind, den Polizeigewahrsam zu besuchen“27. Zu beidem wünschte Weitere Standards betreffen den Polizeigewahrsam. der Ausschuss weitere Informationen28. Um dortigen Misshandlungen vorzubeugen, hält das CPT drei Rechte für besonders wichtig: das Recht von Zu diesem Bericht hat die Bundesregierung Stellung betroffenen Person darauf, dass eine dritte Partei genommen. Neben umfangreichen Auskünften zu ihrer Wahl von der Tatsache ihrer Inhaftierung be- konkreten Vorgängen sowie zu materiellen und recht- nachrichtigt wird (Familienmitglied, Freund, Konsu- lichen Umständen des Polizeigewahrsams wird dort lat), das Recht auf Zugang zu einem Rechtsanwalt

21 Gleichzeitig Abkürzung für den Ausschuss beziehungsweise das Komitee. 22 Zur Zusammensetzung des Ausschusses und weiteren Einzelheiten vgl. www.cpt.coe.int. 23 Artikel 2: „Jede Vertragspartei läßt Besuche nach diesem Übereinkommen an allen ihrer Hoheitsgewalt unterstehenden Orten zu, an denen Personen durch eine öffentliche Behörde die Freiheit entzogen ist.“ Europäische Konvention zur Ver- hütung von Folter und unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Strafe vom 26.11.1987 in der Fassung vom 01.03.2002 (EU-Anti-Folter-Konvention). 24 Der letzte Besuch in Deutschland wurde im Dezember 2005 durchgeführt. Ein Bericht hierzu ist derzeit noch nicht veröffentlicht. 25 Vgl. Europarat (2003), S. 15–16. 26 Auf die Hamburger Polizeikommission wird im Kapitel 3.5 näher eingegangen. 27 Europarat (2003a), S. 18 (Übersetzung durch den Autor) 28 Ebenda, S. 66. 29 Europarat (2003b), S. 11/12. 30 Europarat (2004), S. 80. 16 Die Fundierung der Menschenrechtsbildung in internationalen Dokumenten und Rechtsgrundlagen 1.2 Das Verbot rassistischer Diskriminierung 1

und das Recht auf eine Untersuchung durch einen durch Aus- und Fortbildung und vorbildhaftes Ver- Arzt ihrer Wahl (auch zusätzlich zu einer etwaigen halten eine Kultur zu fördern, in der es als unprofessio- polizeiärztlichen Untersuchung). Auch für die konkrete nell erachtet wird – und als Risiko für die Karriere – Ausgestaltung dieser Rechte beschreibt das CPT Stan- mit Kollegen zu arbeiten und zu verkehren, die zu dards und benennt die Einrichtung einer unabhängigen Misshandlung greifen, und in der es als korrekt und Kommission für die Untersuchung von Beschwerden beruflich lohnend empfunden wird, zu einem Team zu über die Behandlung in Polizeigewahrsam als eine gehören, das sich solcher Handlungen enthält.“32 Zur wichtige Schutzvorkehrung. Vorbeugung der Straflosigkeit werden ein angemesse- ner rechtlicher Rahmen, die schriftliche Registrierung Als Ziel polizeilicher Vernehmungen, die das CPT als jedes Vorwurfs, hierzu erfolgende Beweissicherung eine Aufgabe für Spezialisten sieht, nennt es, „richtige und weitere gründliche, umfassende, prompte und und verlässliche Informationen zu erlangen, um die zügige Untersuchung, die Wahrnahme entsprechender Wahrheit über die zu untersuchenden Angelegen- Verantwortung durch Staatsanwälte und Gerichte heiten herauszufinden, nicht, von jemandem ein sowie Möglichkeiten der öffentlichen Kontrolle gefor- Geständnis zu erhalten, dessen Schuld nach Auf- dert33. fassung der vernehmenden Beamten zu vermuten ist.“ Es wird empfohlen, Richtlinien zur polizeilichen Ver- nehmung zu erlassen, die unter anderem enthalten sollten: „die Mitteilung der Identität der bei der 1.2 Das Verbot rassistischer Vernehmung Anwesenden (Name und/oder Nummer) Diskriminierung an die inhaftierte Person; die zulässige Länge einer Vernehmung; Ruhephasen zwischen den Vernehmun- Weltweit finden sich in Geschichte und Gegenwart gen und Pausen während einer Vernehmung; Orte, an eine Vielzahl von Zeugnissen für die verhängnisvolle denen Vernehmungen stattfinden dürfen; ob die in- Wirkung rassistischer Vorurteile und Stereotypen. haftierte Person verpflichtet werden darf, während Zahllose Menschen erleben es täglich, wegen tat- der Vernehmung zu stehen; die Vernehmung von Per- sächlicher oder vermeintlicher körperlicher, ethni- sonen unter dem Einfluss von Drogen, Alkohol etc. scher oder kultureller Merkmale ausgegrenzt, ernie- Ebenso sollte systematisch eine Niederschrift geführt drigt oder sogar Gewalthandlungen ausgesetzt zu werden über die Zeiten, zu denen Vernehmungen werden. Neben Handeln von privaten Personen gibt es beginnen und enden, über jedes Ersuchen der inhaf- dabei nach wie vor auch rassistisches Denken und tierten Person während einer Vernehmung und über Vorgehen bei Staatsbediensteten. Davon ist die Polizei die Personen, die bei jeder Vernehmung anwesend nicht ausgenommen. Rassistische Stereotype existieren waren.“ Ton- und Videoaufzeichnungen von Verneh- im individuellen Einstellungsgefüge einzelner Polizei- mungen werden ausdrücklich als Vorbeugung gegen beamtinnen und -beamter, aber teilweise auch als Misshandlungen empfohlen.31 Bestandteil informeller Organisationskulturen. Opfer- gruppen verweisen darüber hinaus auf Fälle von ras- Unter der Überschrift „Straflosigkeit bekämpfen“ for- sistischer Organisationspraxis, so zum Beispiel im muliert das CPT am Ende der Standards: „Die Glaub- Zusammenhang mit Verdachtskontrollen. würdigkeit des Verbots von Folter und anderen Miss- handlungsformen leidet mit jedem Fall, in dem Amts- Das Diskriminierungsverbot durchzieht alle Men- personen, die für solche Delikte verantwortlich sind, schenrechtsverträge und -dokumente. Es hat seinen für ihre Handlungen nicht zur Rechenschaft gezogen völkerrechtlichen Ausgangspunkt ebenfalls in der werden. … Allzu oft führt Korpsgeist zur Bereitschaft, Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte (Artikel 2 zusammenzuhalten und sich gegenseitig zu helfen, und 7). Zur näheren Ausgestaltung des Diskriminie- wenn Beschwerden über Misshandlung erhoben wer- rungsverbots wurde 1965 die Anti-Rassismuskonven- den, und sogar rechtswidrige Handlungen von Kollegen tion beschlossen. 1969 wurde sie auch in Deutschland zu verdecken. Erforderlich sind positive Maßnahmen, innerstaatliches Recht. Das Übereinkommen definiert

31 Europarat (2004), S. 6-16. 32 Ebenda, S. 81-87. 33 Ebenda. 17 Die Fundierung der Menschenrechtsbildung in internationalen Dokumenten und Rechtsgrundlagen 1 1.2 Das Verbot rassistischer Diskriminierung

rassistische Diskriminierung als „jede auf der Rasse34, Menschenrechte eines jeden ohne Unterscheidung der Hautfarbe, der Abstammung, dem nationalen aufgrund der Rasse, der Hautfarbe oder der nationa- Ursprung oder dem Volkstum beruhende len oder ethnischen Herkunft wahren und verteidi- Unterscheidung, Ausschließung, Beschränkung oder gen“38. Anschließend wird dazu aufgerufen, die poli- Bevorzugung, die zum Ziel oder zur Folge hat, dass zeiliche Ausbildung zu überprüfen und zu verbessern. dadurch ein gleichberechtigtes Anerkennen, Dabei wird gefordert, den „Verhaltenskodex für Be- Genießen oder Ausüben von Menschenrechten und amte/innen mit Polizeibefugnissen“39 vollumfänglich Grundfreiheiten im politischen, wirtschaftlichen, sozi- umzusetzen. alen, kulturellen oder jedem sonstigen Bereich des öffentlichen Lebens vereitelt oder beeinträchtigt In weiteren Allgemeinen Empfehlungen wird unter wird“35. In den weiteren Artikeln verpflichten sich die anderem auf die geschlechtsbezogenen Dimensionen Staaten, den verschiedenen Formen von rassistischer rassistischer Diskriminierungen aufmerksam gemacht, Diskriminierung entgegenzuwirken. Dabei wird aus- so auch im Zusammenhang mit der Ausnutzung drücklich das Recht auf Sicherheit der Person auch weiblicher Arbeitskräfte und im Kontext von Verge- gegen Gewalttätigkeit und Körperverletzung durch waltigungen40. In einer Allgemeinen Empfehlung, die Staatsbedienstete erwähnt36. In Teil II werden die sich mit der Diskriminierung der Roma beschäftigt, Errichtung eines UN-Fachausschusses gegen rassisti- empfiehlt der Ausschuss den Vertragsstaaten ein gan- sche Diskriminierung (CERD) und die Prinzipien seiner zes Bündel von Maßnahmen, um die Situation der Arbeit geregelt. Auch dieser Ausschuss prüft Roma zu verbessern. Einige der Maßnahmen zielen Individualbeschwerden und Staatenberichte und gibt auf die Verbesserung der Kommunikation zwischen Allgemeine Empfehlungen. Roma und den anderen Teilen der Gesellschaft, so auch mit Behörden wie der Polizei41. Die besondere Bedeutung, die der Antirassismusaus- schuss der Schulung von Polizistinnen und Polizisten 2001 fand im südafrikanischen Durban die Weltkon- beimisst, kommt darin zum Ausdruck, dass diesem ferenz gegen Rassismus, Rassendiskriminierung, Thema eine eigenständige Allgemeine Empfehlung37 Fremdenfeindlichkeit und damit zusammenhängende gewidmet ist. Sie trägt den Titel „Die Ausbildung im Intoleranz statt (im Folgenden zur sprachlichen Ver- Menschenrechtsschutz für Beamte/innen mit Polizei- einfachung mit dem Begriff „rassistische Diskriminie- befugnissen“. Dort wird festgestellt, dass die Gewähr- rung“ zusammengefasst). Das Abschlussdokument leistung des staatlichen Schutzes vor rassistischer dieser Konferenz stellt eine sehr detaillierte Bestands- Diskriminierung „insbesondere im Hinblick auf Fest- aufnahme der Situation zur rassistischen Diskriminie- nahmen und Inhaftierungen, sehr stark von nationa- rung und ihren Hintergründen in allen Teilen der Welt len Beamten/innen mit Polizeibefugnissen“ abhängt dar. Es enthält des Weiteren eine Vielzahl von Em- sowie davon, „ob diese Beamten/innen angemessen pfehlungen und Appellen an die Regierungen, mit über die Verpflichtung informiert sind, die ihre Staa- denen bestehende rassistische Diskriminierungen ten im Rahmen des Übereinkommens eingegangen abgebaut und weiterer rassistischer Diskriminierung sind. Beamte/innen mit Polizeibefugnissen sollten vorgebeugt werden soll. Diese beziehen sich teilweise eine intensive Ausbildung erhalten, um zu gewährlei- auch auf Bildung und polizeiliche Arbeit. Zunächst sten, dass sie bei der Durchführung ihrer Pflichten die werden ganz allgemein unter anderem Bildung und menschliche Würde achten und schützen sowie die Rechtsvorschriften als von ausschlaggebender Bedeu-

34 Die Verwendung des Begriffs „Rasse“ ist dem historischen Kontext der Entstehung des Übereinkommens geschuldet. Richtig muss es stattdessen „rassistische Diskriminierung“ heißen, um auf die Ideologie zu verweisen, die sich dahinter verbirgt. Es existieren keine Menschenrassen, sondern nur eine menschliche Rasse. In ihrem Statement on Race hat die UNESCO bereits 1950 die Staaten aufgefordert, den Rassebegriff nicht mehr zu verwenden, da er keine biologischen Tatsache widerspiegelt, sondern einen sozialen Mythos, der ein enormes Ausmaß an Gewalt verursacht hat und verursacht (siehe UNESCO (1950)). 35 Internationale Übereinkommen zur Beseitigung jeder Form von Rassendiskriminierung (Anti-Rassismuskonvention) vom 21.12.1965, Artikel 1 Abs. 1. 36 Anti-Rassismuskonvention, Artikel 5 c). 37 Nr. XIII vom 21.03.1993, Deutsches Institut für Menschenrechte (2005), S. 370. 38 Ebenda, S. 370, Ziff. 2 und 3. 39 Siehe unten, Kapitel 1.5. 40 Vgl. Allgemeine Empfehlung Nr. XXV, Deutsches Institut für Menschenrechte (2005), S. 391–392. 41 Allgemeine Empfehlung Nr. XXVII, Deutsches Institut für Menschenrechte (2005), S. 396, Ziff. 14. 18 Die Fundierung der Menschenrechtsbildung in internationalen Dokumenten und Rechtsgrundlagen 1.2 Das Verbot rassistischer Diskriminierung 1

tung für die Bekämpfung von rassistischer Diskrimi- menhängender Intoleranz ist, und aktiv alle Bevölke- nierung charakterisiert42. Der Stellenwert der Bildung rungsgruppen, einschließlich Minderheiten, für den insbesondere für die Ausprägung von Einstellungen öffentlichen Dienst zu rekrutieren, auch bei der Polizei und Verhaltensweisen, die der rassistischen Diskrimi- und in anderen Stellen des Strafjustizsystems (bei- nierung entgegenstehen, wird später nochmals unter- spielsweise als Staatsanwälte)“47. Unter der Über- strichen und mit dem Menschenrecht auf Bildung in schrift „Menschenrechtsschulung für Amtsträger und Zusammenhang gebracht43. Den größten Teil des Ab- Fachpersonal“48 finden sich weitere Details der schlussdokuments macht ein Aktionsprogramm aus. Bildung unter anderem für die Polizei. So werden zum Dort werden die Staaten nachdrücklich aufgefordert, Beispiel Schulungen zu den internationalen Doku- „unter anderem durch die Veranstaltung von Fachaus- menten des Menschenrechtsschutzes, zur Einhaltung bildungskursen für Verwaltungsbeamte, Polizisten, Be- der Menschenrechte von Migranten, Flüchtlingen und amte der Einwanderungsbehörden und andere inte- Asylbewerbern, zum Menschenhandel und zum Schutz ressierte Gruppen sicherzustellen, dass Polizei und Ein- der Rechte von Opfern rassistischer Diskriminierung wanderungsbehörden Migranten in einer ihre Würde gefordert. achtenden und sie nicht diskriminierenden Weise im Einklang mit den internationalen Normen behan- Der Antirassismusausschuss begrüßte die Abschluss- deln“44. Punkt III. des Aktionsprogramms widmet sich erklärung der Durban-Konferenz ausdrücklich und vollständig der „Prävention, Bildung und Erziehung legt den Vertragsstaaten nahe, deren wesentliche sowie Schutzmaßnahmen zur Ausrottung von Rassis- Teile und Aktionsprogramme zu berücksichtigen, die mus, Rassendiskriminierung, Fremdenfeindlichkeit und Erklärung zu verbreiten und dem Ausschuss darüber damit zusammenhängender Intoleranz auf einzelstaat- zu berichten49. licher, regionaler und internationaler Ebene“. Hierzu werden inhaltliche Vorgaben gemacht und es wird Eine weitere Allgemeine Empfehlung des Antirassis- beispielsweise empfohlen, dass für derartige Maß- musausschusses von August 2005 beschäftigt sich mit nahmen Behörden Partnerschaften mit nichtstaat- der Vorbeugung von rassistischer Diskriminierung im lichen Organisationen und anderen Teilen der Zivilge- Strafrechtssystem. Dabei werden zunächst Indikato- sellschaft eingehen45. Ein weiterer Abschnitt enthält ren50 beschrieben, mit denen Existenz und Ausmaß von Empfehlungen zu gesetzgeberischen, gerichtlichen, rassistischer Diskriminierung im Strafrechtssystem ge- Regulierungs-, Verwaltungs- und sonstigen Maßnah- messen werden können. Als Indikatoren für rassistische men. In ihm werden die Staaten unter anderem auf- Diskriminierung sollen vor allem folgende Aspekte gefordert, „wirksame Politiken und Programme zu beachtet werden: konzipieren und voll umzusetzen, um durch Rassismus, der überproportionale Anteil Angehöriger diskrim- Rassendiskriminierung, Fremdenfeindlichkeit und damit inierter Gruppen unter den Opfern von Gewalt all- zusammenhängende Intoleranz motiviertes Fehlver- gemein und von Polizeigewalt im Besonderen, halten von Polizisten und anderem Strafverfolgungs- ungenügende oder fehlende Informationen über personal zu verhüten, aufzudecken und sicherzustellen, das Verhalten des Strafverfolgungspersonals ge- dass die Betreffenden dafür zur Rechenschaft gezogen genüber den Angehörigen diskriminierter Gruppen, werden, und die Täter strafrechtlich zu verfolgen“46. die Zuschreibung einer proportional höheren Krimi- Es werden Programme gefordert, mit denen sicherge- nalitätsbelastung bei Angehörigen diskriminierter stellt wird, dass die Polizei nicht aufgrund rassisti- Gruppen im Bereich der Kleinkriminalität, Drogen- scher Kriterien Ermittlungen und Kontrollen vor- kriminalität und Prostitution, die als Ausdruck nimmt. Auch wird nachdrücklich zu Politiken aufge- mangelnder Integration gedeutet wird, fordert, „die eine gut ausgebildete und multikulturelle die ungenügende Repräsentanz Angehöriger diskri- Polizei fördern, die frei von Rassismus, Rassendis- minierter Gruppen bei der Polizei und in den an- kriminierung, Fremdenfeindlichkeit und damit zusam- deren Bereichen der Rechtspflege.

42 Vereinte Nationen (2001), S. 12, Ziff. 80. 43 Ebenda, S. 13, Ziff. 95-97. 44 Abschnitt „Migranten“, ebenda, S. 21, Ziff. 30 e). 45 Ebenda, S. 25, Ziff. 58. 46 Ebenda, S. 26, Ziffg. 71. 47 Ebenda, S. 27, Ziff. 74 a). 48 Ebenda, S. 36-37, Ziff. 133-139. 49 Siehe Allgemeine Empfehlungen XXVIII, Deutsches Institut für Menschenrechte (2005), S. 402, unter 1.I. (f)-(h). 50 CERD (2005), S. 2-3, unter I.1. 19 Die Fundierung der Menschenrechtsbildung in internationalen Dokumenten und Rechtsgrundlagen 1 1.2 Das Verbot rassistischer Diskriminierung

Als Strategien zur Vorbeugung von rassistischer Dis- fahren. Neben anderen ist wiederum die Polizei ange- kriminierung im Strafrechtssystem empfiehlt der Aus- sprochen. Es wird betont, dass auch für Angehörige schuss unter anderem, für die Polizei Bildungspro- diskriminierter Gruppen die Unschuldsvermutung gilt gramme zur Achtung der Menschenrechte, Toleranz und daher jede Form der öffentlichen Beschuldigung und Freundschaft zwischen ethnischen Gruppen vor einem Gerichtsurteil verboten ist (was einschließt, sowie zur Sensibilisierung für interkulturelle Bezie- auch keine diesbezüglichen Vorinformationen an die hungen durchzuführen. Des Weiteren wird empfoh- Massenmedien zu geben)54. len, die Kooperation und den Dialog zwischen der Polizei und Repräsentanten diskriminierter Gruppen Deutschland hat mehrfach vor dem CERD-Ausschuss zu fördern, um Vorurteile zu bekämpfen und Vertrauen Bericht erstattet. Der letzte Bericht stammt aus dem zu schaffen sowie für eine angemessene Repräsen- Jahr 2000. Unter anderem geht es dort unter der tanz der Angehörigen diskriminierter Gruppen bei der Überschrift „Polizeiliche und strafrechtliche Maßnah- Polizei zu sorgen. Als Bestandteil langfristiger Strate- men“ um statistische Angaben zu Strafverfahren. Später gien wird unter anderem angeraten, die Zufriedenheit werden Vorwürfe gegen deutsche Polizeibedienstete innerhalb der Gruppen und Interessenverbände diskri- behandelt55. Zunächst wird allgemein bekräftigt, dass minierter Menschen mit der Polizei und dem Rechts- solchen Vorwürfen konsequent nachgegangen wird. system in Bezug auf Verfolgung rassistischer Über- Dann wird auf ein Forschungsprojekt eingegangen, griffe zu messen. Um bei Vorfällen rassistischer Diskri- das sich mit spezifischen Ursachen und Ausdrucksfor- minierung die Strafverfolgung zu gewährleisten, men von Rassismus und Fremdenfeindlichkeit inner- empfiehlt der Ausschuss unter anderem die Statio- halb der Polizei befasste sollte. Vom Ergebnis wird nierung ausreichender Polizeikräfte in Wohngebieten lediglich die Vielzahl von Initiativen in der Aus- und diskriminierter Gruppen. Opfer rassistischer Übergriffe Fortbildung erwähnt, die Polizeibeamte „besser auf sollen durch die Polizeikräfte in angemessener Weise den Umgang mit Bürgern ausländischer Herkunft und behandelt werden. Die Anzeigen sollen umgehend auf die Bekämpfung fremdenfeindlicher Straftaten“ aufgenommen und die Ermittlungen effektiv und unab- vorbereiten sollen. Weiter heißt es: „Diese Initiativen hängig geführt werden. Die Handlungen sind als ras- erreichen grundsätzlich alle deutschen Polizeibeam- sistisch oder fremdenfeindlich motiviert in den Daten- ten, wobei es aufgrund des föderalistischen Systems systemen zu erfassen. Jede Ablehnung seitens der zu Abweichungen innerhalb der Länder kommen Polizei, einen rassistischen Übergriff zu verfolgen, muss kann.“ In der Ausbildung der Polizei sollen die Be- zu disziplinarischen und/oder strafrechtlichen Sanktio- diensteten in einer „Vielzahl von Lehrinhalten … für nen führen51. Im Zusammenhang mit festgenommenen den Einsatz für die freiheitlich demokratische Grund- Personen oder Personen, gegen die Rechtsverfahren ordnung, die Achtung und Wahrung der Menschen- anhängig sind, empfiehlt der Ausschuss dafür zu sorgen, rechte und den toleranten Umgang mit dem Bürger dass unter anderem ethnische Merkmale nicht zu einem deutscher und nichtdeutscher Herkunft theoretisch höheren Maß an Verdacht führen und der Verhältnis- und praktisch geschult werden. … Die Thematik ‚Poli- mäßigkeitsgrundsatz bei der Gewaltanwendung gegen- zei und Fremde’ ist darüber hinaus grundsätzlich ein über Angehörigen diskriminierter Gruppen eingehalten Leitthema in der Ausbildung. … In der dienstlichen wird52 – in Übereinstimmung mit den „Grundprinzi- Fortbildung wird der Schwerpunkt seit einigen Jahren pien für die Anwendung von Gewalt und den Ge- verstärkt auch auf die Probleme ethnischer Minder- brauch von Schusswaffen durch Beamte mit Polizei- heiten und die Notwendigkeit der Bekämpfung von befugnissen“53. Rassismus und Fremdenfeindlichkeit gelegt.“56 Später heißt es: „Das Verständnis deutscher Polizeibeamter Die Allgemeine Empfehlung beschäftigt sich im Wei- gegenüber anderen – insbesondere außereuropäischen teren mit dem Strafprozess und dem Gerichtsver- – Kulturen wird durch die Einstellung von Ausländern57

51 CERD (2005), S. 4–6. 52 Ebenda, S. 7-8. 53 Siehe unten, Kapitel 1.5. 54 CERD (2005), S. 9. 55 Bundesministerium der Justiz (2000), S. 28–30. 56 Ebenda, S. 29. 57 Unklar bleibt hierbei, ob tatsächlich Ausländer oder – wahrscheinlicher – deutsche Staatsangehörige ausländischer Herkunft gemeint sind. 20 Die Fundierung der Menschenrechtsbildung in internationalen Dokumenten und Rechtsgrundlagen 1.2 Das Verbot rassistischer Diskriminierung 1

in den deutschen Polizeidienst zusätzlich geför- werden. Es sei schwer, mit Beschwerden gegen poli- dert.“58 zeiliche Misshandlungen durchzudringen62. Der Stel- lenwert von Inhalten zur interkulturellen Kompetenz Zu dem Bericht hat der Antirassismusausschuss 2001 in der polizeilichen Aus- und Fortbildung wird positiv Stellung genommen. Zur Polizei heißt es: „Der Aus- gewürdigt, jedoch werden Unterschiede in den schuss ist ferner besorgt wegen wiederholter Berichte Bundesländern festgestellt. Weiter heißt es: „ECRI über rassistische Vorkommnisse in Polizeiwachen und wiederholt die Aufforderung, ein unabhängiges die Misshandlung von Ausländern, einschließlich Gremium zur Untersuchung behaupteter polizeilicher Asylbewerbern, und deutschen Staatsangehörigen Übergriffe zu schaffen.“ ECRI empfiehlt dort auch, die ausländischer Herkunft durch Beamte der Strafverfol- Einführung eines Meldesystems für Polizeikontrollen gungsbehörden. Zwar hat sich die Anzahl dieser Vor- zu erwägen. Weiter wird angeregt, dafür zu sorgen, kommnisse in letzter Zeit verringert, jedoch bittet der dass bei der Polizeiausbildung im gesamten Bundes- Ausschuss den Vertragsstaat eindringlich, die vorhan- gebiet auf interkulturelle Kompetenz Wert gelegt denen Ausbildungsmaßnahmen für diejenigen Be- wird. Besondere Bemühungen sollen der Ausbildung amten zu verstärken, die mit Angelegenheiten befasst der mit der Ausweisung beauftragten Beamten gel- sind, die Ausländer, einschließlich Asylbewerber, und ten. Auch soll sichergestellt werden, dass Angehörige deutsche Staatsangehörige ausländischer Herkunft von Minderheitsgruppen in der Polizei angemessen betreffen.“ Weiterhin erbittet der Ausschuss für den vertreten sind und eventuelle Hindernisse dagegen nächsten Staatenbericht „aktualisierte Angaben zu abgebaut werden63. der Anzahl von Personen ausländischer Herkunft im Polizeidienst“.59 In vielen Ländern Europas (zum Beispiel Niederlande, Belgien, Frankreich und auch bei einigen Länderpoli- Der Europarat richtete 1993 eine Europäische Kom- zeien in Deutschland) wird bei der Menschenrechts- mission gegen Rassismus und Intoleranz (ECRI) ein. bildung auf die so genannte Charta von Rotterdam Deren Arbeit basiert nicht auf einer Konvention. Auf Bezug genommen. Sie ist am 16.10.1997 vom Bürger- der Grundlage von Kontaktbesuchen erstellt die Kom- meister von Rotterdam vorgetragen worden. In ihr mission selbstständig ausführliche Berichte über ein- werden die Prinzipien einer „Polizeiarbeit in der multi- zelne Länder. Sie veröffentlichte 2004 den dritten ethnischen Gesellschaft“ beschrieben. Sie entstand in Bericht über Deutschland. In diesem werden einer- Zusammenarbeit zwischen der Polizei von Rotterdam, seits eine Reihe von Maßnahmen zur Bekämpfung der Stadt und RADAR, einer örtlichen NGO, die sich von Rassismus und Intoleranz positiv gewürdigt, der Antidiskriminierungsarbeit widmet. Im Zentrum andererseits wird der Sorge über nach wie vor vor- der Charta steht eine Sicht auf die Polizei als handene rassistische, ausländerfeindliche und antise- Dienstleisterin für die Bürger, die als „Wächter über mitische Gewalt Ausdruck verliehen. ECRI gibt den Gleichbehandlung, Integration und Zusammenarbeit deutschen Behörden eine Anzahl von Empfehlungen. in einer sich rasch ändernden Gesellschaft“64 zu sehen Einige der Feststellungen und Empfehlungen betref- sei. Innerhalb der Charta werden verschiedene fen auch die Polizei. ECRI sieht unter anderem für die Anforderungen an die Polizeiarbeit formuliert. Einige Polizei einen erhöhten Schulungsbedarf zu den Straf- betreffen direkt den Bereich der Aus- und Fortbil- rechtsbestimmungen, die sich auf rassistisch, antise- dung. So wird unter anderem die Notwendigkeit be- mitisch und fremdenfeindlich motivierte Gewalttaten gründet, Menschen jener Ethnien für die Polizei aus- beziehen60. Weiter wird erwähnt, dass Menschen zubilden, die auch in starkem Maße in der örtlichen dunkler Hautfarbe unverhältnismäßig oft von der Bevölkerung vertreten sind. Polizeibeamte, die einge- Polizei angehalten und kontrolliert werden61. Be- stellt werden, sollten eine „positive Haltung zum kul- hauptete Übergriffe sollen konsequent untersucht turellen Pluralismus“ aufweisen65. Für die Grundaus-

58 Bundesministerium der Justiz (2000), S. 30. 59 CERD (2001), S. 3. 60 Siehe ECRI (2004), S. 10, Nr. 12. 61 ECRI (2004), S. 25, Nr. 69. 62 Ebenda, S. 27, Nr. 80-81. 63 Nr. 83 bis 87., ECRI (2004), S. 28–29. 64 Bürgermeister von Rotterdam (1997), S. 5, Ziff. 1-4. 65 Ebenda, S. 6, Ziff. 2-1 bis 2-6. 21 Die Fundierung der Menschenrechtsbildung in internationalen Dokumenten und Rechtsgrundlagen 1 1.3 Frauenrechte

bildung wird empfohlen, das Erkennen von und die erste Polizeibeamtin in Deutschland und somit in Reaktion auf rassistisch motivierte Taten zu schulen. Europa. Doch waren bis in die 70er Jahre des Auf die Einstellungen der künftigen Beamten sollte im 20. Jahrhunderts hinein Frauen innerhalb der Polizei Sinne der Berufsethik Einfluss genommen werden. Deutschlands nur mit Verwaltungs- und Spezialauf- „Ablehnendem und voreingenommenem Denken“ gaben – im Wesentlichen dienstlich anfallende Tätig- gegenüber einzelnen Ethnien sollte die Ausbildung keiten mit Frauen, Kindern und Jugendlichen – betraut. aktiv vorbeugen. Es wird empfohlen, in die Aus- und Erst in den 1980er und verstärkt in den 1990er Jahren Fortbildung NGOs partnerschaftlich einzubeziehen66. setzte sich die gleichberechtigte Dienstausübung Neben diesen direkten Empfehlungen sollten auch die durch Frauen in allen Dienstbereichen allmählich weiteren Inhalte der Charta von Rotterdam für die durch71. Vor diesem Hintergrund erscheint der Artikel Aus- und Fortbildung genutzt werden. Sie betreffen 2 d) des Frauenrechtsabkommens zunächst von be- die Sensibilität der Polizei für diskriminierende sonderer Bedeutung, demgemäß die Vertragsstaaten Handlungen67, den „Brückenbau zwischen ethnischen sich verpflichten, „Handlungen oder Praktiken zu Minoritäten und der Polizei“68 und ein aktives Vor- unterlassen, welche die Frau diskriminieren, und dafür gehen gegen Stigmatisierung und Stereotypisierung69. zu sorgen, daß alle staatlichen Behörden und öffent- lichen Einrichtungen im Einklang mit dieser Verpflich- tung handeln“. Weiter heißt es im Artikel 5: „Die Vertragsstaaten treffen alle geeigneten Maßnahmen, 1.3 Frauenrechte a) um einen Wandel in den sozialen und kulturellen Verhaltensmustern von Mann und Frau zu bewirken, Während in vielen Ländern der Welt die Gleichbe- um so zur Beseitigung von Vorurteilen sowie von her- rechtigung der Frau bereits rechtlich verankert ist, kömmlichen und allen sonstigen auf der Vorstellung steht eine konsequente und umfassende Umsetzung von der Unterlegenheit oder Überlegenheit des einen in der Praxis einschließlich der faktischen Gleichbe- oder anderen Geschlechts oder der stereotypen handlung überall noch aus. Das gilt trotz aller Rollenverteilung von Mann und Frau beruhenden Fortschritte auch für Deutschland. Das Frauenrechts- Praktiken zu gelangen.“ Artikel 11 wendet sich gegen abkommen wurde 1979 verabschiedet und trat 1985 die Diskriminierung der Frau im Berufsleben. Es wer- für Deutschland in Kraft. Als Diskriminierung von den dort dieselben Arbeitsmöglichkeiten für Frauen Frauen bezeichnet das Übereinkommen „jede mit dem gefordert, die es auch für Männer gibt, einschließlich Geschlecht begründete Unterscheidung, Ausschlie- der Berufswahl-, Aufstiegs- und Bildungsmöglich- ßung oder Beschränkung, die zur Folge oder zum Ziel keiten. hat, daß die auf die Gleichberechtigung von Mann und Frau gegründete Anerkennung, Inanspruchnahme Als die schwersten Diskriminierungen von Frauen und oder Ausübung der Menschenrechte und Grundfrei- Mädchen sind die verschiedenen Formen von Gewalt- heiten durch die Frau – ungeachtet ihres Familien- anwendung anzusehen, die weltweit und tagtäglich stands – im politischen, wirtschaftlichen, sozialen, zu Tod, Gesundheits- und psychischen Schäden führen. kulturellen, staatsbürgerlichen oder jedem sonstigen Das Übereinkommen verlangt aktives staatliches Ein- Bereich beeinträchtigt oder vereitelt wird“70. schreiten gegen jede Form von Gewalt gegen Frauen allgemein72 sowie gegen Frauenhandel und Ausbeutung Bedeutsam für die Polizei ist zunächst, dass das Über- im Bereich der Prostitution im Besonderen73. Auch in einkommen jede Form der Diskriminierung von Frauen dieser Hinsicht ist es für die Arbeit der Polizei bedeut- verbietet. Polizist war bis in die jüngste Vergangen- sam. Die staatliche Verantwortung wurde durch die heit in Deutschland ein klassischer Männerberuf. „Erklärung über die Beseitigung der Gewalt gegen Zwar gab es schon 1903 mit Henriette Arendt die Frauen“ unterstrichen. Hierin werden die Staaten zur

66 Bürgermeister von Rotterdam (1997), S. 8, Ziff. 3-6, 3-8 und 3-9. 67 Anzeigenaufnahme, Dokumentation, Informationssammlung, Kooperation – ebenda (1997), S. 9, Ziff. 4. 68 Ebenda, S. 11, Ziff. 5. 69 Zum Beispiel durch differenzierte Statistikanalyse – ebenda, S. 13, Ziff. 6. 70 Übereinkommen zur Beseitigung jeder Form von Diskriminierung der Frau vom 18.12.1979, Artikel 1. 71 Siehe Kloweit-Herrmann (2004), S. 119f. 72 Insbesondere abzuleiten aus dem Frauenrechtsabkommen, Präambel und Artikel 1 und 2 sowie aus der Allgemeinen Empfehlung Nr. 19, Deutsches Institut für Menschenrechte (2005), S. 449-457. 73 Frauenrechtsabkommen, Artikel 6. 22 Die Fundierung der Menschenrechtsbildung in internationalen Dokumenten und Rechtsgrundlagen 1.2 Kinderrechte 1

konsequenten rechtsstaatlichen Ahndung der Gewalt In weiteren Allgemeinen Empfehlungen78 wird noch- gegen Frauen aufgerufen. Weiter werden Bildungs- mals die Gewalt gegen Frauen thematisiert. Die Ver- maßnahmen gefordert, mit denen neben anderen tragsstaaten werden zu aktiven Maßnahmen aufge- Polizeibeamte für die Bedürfnisse von Frauen sensibi- rufen, um der Gewalt gegen Frauen in jeglicher Form lisiert werden74. (einschließlich der sexuellen Belästigung am Arbeits- platz79) vorzubeugen und um sie effektiv zu bekämp- Auch für die Überprüfung der Umsetzung des Über- fen. Einen besonderen Schwerpunkt stellt das Thema einkommens zur Beseitigung jeder Form von Diskrimi- „Häusliche Gewalt“ dar: „Gewalt in der Familie gehört nierung der Frau wurde ein Ausschuss gebildet (UN- zu den versteckten Formen der gegen Frauen ausge- Fachausschuss für die Rechte der Frau – CEDAW). übten Gewalt. Sie kommt in allen Gesellschaften vor.“ Neben der Prüfung von Staatenberichten und der von Zu den Hintergründen heißt es: „Mangelnde wirt- NGOs erstellten Schattenberichte wurde der Aus- schaftliche Unabhängigkeit zwingt viele Frauen dazu, schuss gemäß des Fakultativprotokolls von 1999 er- in gewalttätigen Beziehungen auszuharren. Die mächtigt, Beschwerden von Einzelpersonen oder Vernachlässigung der familiären Verpflichtungen des Gruppen aus den Vertragsstaaten entgegenzunehmen Mannes kann einer Form der Gewalt und Nötigung und zu prüfen, die behaupten, Opfer von Diskriminie- gleichkommen. … Herkömmliche Auffassungen, auf- rung entsprechend des Übereinkommens geworden zu grund derer Frauen als dem Mann unterlegen oder in sein sowie Untersuchungen bei systematischen oder einer stereotypen Rollenaufteilung verhaftet angese- schweren Menschenrechtsverletzungen vorzuneh- hen werden, schreiben weit verbreitete Praktiken fest, men. Die Staatenberichte Deutschlands, die dazuge- die Gewalt oder Nötigung beinhalten, wie zum hörigen Schattenberichte und die Stellungnahmen Beispiel Gewalt oder Missbrauch in der Familie, des Ausschusses enthalten verschiedene Aussagen Zwangsehe, Mitgiftmord, Säureattacken und mit mittelbarem Bezug zur polizeilichen Arbeit insbe- Beschneidungen von Mädchen und Frauen. Derartige sondere im Zusammenhang mit Gewalt, Frauenhandel Vorurteile und Praktiken rechtfertigen möglicher- und Zwangsprostitution, auf die wegen des Umfangs weise die geschlechtsbezogene Gewalt als Form des hier jedoch im Detail nicht eingegangen werden kann. Schutzes und der Behütung der Frau.“80

In der Allgemeinen Empfehlung Nr. 3 werden die Ver- Insgesamt wird neben präventiven Maßnahmen die tragsstaaten eindringlich ersucht, Bildungs- und Öf- Gewährleistung des gesetzlichen Schutzes ange- fentlichkeitsarbeit durchzuführen, um Vorurteile und mahnt und unter anderem gefordert: „Eine auf die Praktiken zu beseitigen, die die soziale Gleichstellung geschlechtsspezifische Problematik ausgerichtete der Frau behindern75. Nach Artikel 4 des Übereinkom- Ausbildung der Justiz-, Vollzugs- und anderen mens sind zeitweilige Sondermaßnahmen möglich, die Beamten ist für eine wirksame Umsetzung des Über- zur faktischen Gleichstellung der Frau in allen Lebens- einkommens von wesentlicher Bedeutung.“81 bereichen beitragen. Dies wird den Vertragsstaaten in zwei weiteren Allgemeinen Empfehlungen76 nahe ge- legt. Benötigt würden effektive Strategien, „um die Unterrepräsentation der Frau zu überwinden und um 1.4 Kinderrechte eine Umverteilung der von Ressourcen und einen Machtausgleich zwischen Mann und Frau zu errei- Kinder als Inhaber von Rechten anzusehen, ist histo- chen“77. Diese Empfehlungen lassen sich auch auf eine risch ein relativ neuer Gedanke. Zwar gab und gibt es gleichberechtigte Repräsentanz von Frauen in der Poli- in allen menschlichen Kulturen Mechanismen, Kinder zei anwenden und haben damit Bedeutung für Maß- als Nachkommen zu schützen und zu erziehen. Sie nahmen der Organisationsentwicklung bei der Polizei. jedoch als Rechtssubjekte zu betrachten, gilt vielfach

74 UN, Erklärung über die Beseitigung der Gewalt gegen Frauen, Resolution 48/104 vom 20.12.1993, Artikel 4 c), d) und i). 75 Siehe Deutsches Institut für Menschenrechte (2005), S. 428. 76 Nr. 5 (1988) und Nr. 25 (2004), ebenda, S. 430 und S. 503-515. 77 Allgemeine Empfehlung Nr. 25, Ziff. 8, ebenda, S. 506. 78 Nr. 12 (1989) und Nr. 19 (1992), ebenda, S. 438 und S. 449-457. 79 Allgemeine Empfehlung Nr. 19, ebenda, S. 452-453, Ziff. 17-18. 80 Ebenda, S. 453 und 451. 81 Allgemeine Empfehlung Nr. 19, Ziff 24 (b), ebenda, S. 454. 23 Die Fundierung der Menschenrechtsbildung in internationalen Dokumenten und Rechtsgrundlagen 1 1.5 Internationale Verhaltenskodices und Grundprinzipien für die Polizeiarbeit

noch als ungewöhnlich. Auch die Beziehung von Zum Übereinkommen wurden verschiedene Allgemeine Polizei und Kindern ist unter diesem Blickwinkel zu Bemerkungen formuliert. In diesen werden die Ver- betrachten. Oft wird vordergründig die Schutzfunktion tragsstaaten unter anderem aufgefordert, die Polizei der Polizei bezogen auf Kinder – und hier vor allem so auszubilden und zu überwachen, dass es nicht zu auf ihre körperliche Integrität – gesehen. Im Rahmen institutioneller Gewalt gegenüber Kindern und Ju- ihrer Aufgabe, die Menschenrechte zu achten und zu gendlichen kommen kann82. Des Weiteren sollen die schützen, ist jedoch von einer komplexeren Verant- Vertragsstaaten unter anderem durch Aus- und wortung der Polizei für die Kinderrechte auszugehen. Fortbildung sicherstellen, dass bei für die Umsetzung Nicht vorrangig der Schutz des Kindes als Opfer, son- verantwortlichen Zielgruppen ein Grundverständnis der dern die umfassende Anerkennung der Kinderrechte Kinderrechte vermittelt wird. Auch hier ist die Polizei sowie deren Schutz sollten Kennzeichen polizeilicher ausdrücklich genannt. „Ziel der Ausbildung ist es, den Arbeit sein. Mitunter wird auch übersehen, dass die Status des Kindes als Inhaber von Menschenrechten Polizei gleichfalls direkt oder mittelbar in Kinderrech- zu verdeutlichen, die Kenntnis und das Verständnis des te eingreift. Beispiele sind die Anhörung von Kindern Übereinkommens zu erhöhen und eine aktive Befol- als Zeugen oder Tatverdächtige bei Strafverfahren oder gung aller seiner Vorschriften zu fördern. Der Ausschuss auch die Durchführung solcher polizeilichen Maß- erwartet, dass das Übereinkommen in der Berufsaus- nahmen wie Durchsuchungen oder Festnahmen im bildung, in Verhaltensregeln und in jeder Art von Lehr- Beisein von Kindern. plänen enthalten ist.“83 Diesen dringlichen Appell for- mulierte der Ausschuss 2003. Auch die deutsche Polizei Das Übereinkommen über die Rechte des Kindes wur- ist gefordert, hierzu konkrete Umsetzungsmaßnahmen de 1989 verabschiedet und ein UN-Fachausschuss für zu ergreifen. Kinderrechte (CRC) eingerichtet. Ihm obliegen die Kontrolle der Umsetzung des Vertrages und die Prü- fung von Staatenberichten. Im Gegensatz zum deut- schen Recht, das den Begriff „Kind“ nur auf Personen bis 1.5 Internationale Verhaltenskodices zum vollendeten 14. Lebensjahr anwendet und danach und Grundprinzipien für die Polizei- von „Jugendlichen“ (vom 14. bis zum 18. Lebensjahr) arbeit und von „Heranwachsenden“ (bis zum 21. Lebensjahr) spricht, bezieht sich das Übereinkommen auf alle Die Polizei muss im Rahmen ihrer Aufgabenerfüllung Menschen, die das 18. Lebensjahr noch nicht vollendet täglich in die Rechte von Menschen beschränkend haben. Im Mittelpunkt des Abkommens stehen das eingreifen. Daraus resultiert ihre besondere Verant- Kindeswohl, aber auch die Respektierung des Kindes- wortung zur Einhaltung der Gesetze und zur verant- willens. Es werden verschiedene Rechte formuliert, wortungsbewussten Rechtsgutabwägung84. Die Verein- zum Beispiel Schutz des Lebens und der Gesundheit, ten Nationen, der Europarat und deren Organe trugen Schutz vor Diskriminierung, Schutz vor Gewalt und dieser besonderen Rolle der Polizei Rechnung, indem Misshandlung, Schutz der Privatsphäre, Recht auf sie wiederholt menschenrechtliche Standards und Bildung, Recht auf freie Meinungsäußerung, Recht auf Anforderungen an die polizeiliche Arbeit formulier- angemessene Lebensbedingungen. Einige Teile des Ab- ten. Hintergrund dafür dürften darüber hinaus jedoch kommens betreffen besondere Gruppen wie Flüchtlings- auch die immer wieder auftretenden Berichte über kinder oder behinderte Kinder. Artikel 37 und 40 be- Menschenrechtsverletzungen durch Polizeiangehörige schäftigten sich mit der Behandlung des Kindes in Straf- sein. recht und Strafverfahren. Bereits zuvor, im Artikel 12 Abs. 2, ist der Anspruch des Kindes auf rechtliches Zwei Dokumente auf der Ebene der Vereinten Gehör verankert. Im Artikel 40 sind dann die Mindest- Nationen formulieren allgemeine Anforderungen an standards formuliert, die im Rahmen von Strafver- polizeiliches Verhalten. Zwar tragen sie nur empfeh- fahren durch die Staaten und damit auch durch die lenden Charakter, jedoch nehmen insbesondere der Polizei einzuhalten sind. Daher sollten gerade die ge- Antirassismusausschuss und CAT immer wieder auf nannten Artikel Gegenstand polizeilicher Aus- und sie Bezug. Zum Ersten handelt es sich hierbei um den Fortbildung sein. Verhaltenskodex für Beamte mit Polizeibefugnis-

82 Allgemeine Bemerkung Nr. 4, Ziff. 23 (a), Deutsches Institut für Menschenrechte (2005), S. 590. 83 Allgemeine Bemerkung Nr. 5, Ziff. 53, ebenda, S. 618. 84 Im Rahmen der Abwägungsfähigkeit. 24 Die Fundierung der Menschenrechtsbildung in internationalen Dokumenten und Rechtsgrundlagen 1.5 Internationale Verhaltenskodices und Grundprinzipien für die Polizeiarbeit 1

sen85, angenommen von der Generalversammlung einschließlich der friedlichen Beilegung von Konflikten, der Vereinten Nationen 1979. Dieser sollte in seiner des Verstehens des Verhaltens einer Menschenmenge Gesamtheit fester Bestandteil der Aus- und Fortbil- und der Methoden der Überzeugungsbildung, der Ver- dung von Polizeibeamtinnen und -beamten sein, da in handlung und Vermittlung, wie auch den technischen ihm die elementaren menschenrechtlichen Anforde- Mitteln, um den Einsatz von Gewalt oder Schusswaffen rungen an die polizeiliche Tätigkeit formuliert sind zu begrenzen.“ In dieser Bestimmung werden also neben und zahlreiche internationale Dokumente auf ihn Be- der Forderung einer dezidierten Menschenrechtsbildung zug nehmen. weitere Inhalte für die polizeiliche Ausbildung vorge- geben.

Die acht Artikel betreffen Am 19. September 2001 verabschiedete das Minister- komitee des Europarates den Europäischen Kodex der die rechtstreue, verantwortungsvolle Pflichter- Polizeiethik (European Code of Police Ethics87). Dieser füllung beim Schutz der Gemeinschaft, Kodex soll Handlungsmaßstäbe der Polizei in Europa die Achtung und den Schutz der Menschen- abbilden, zu deren Vereinheitlichung beitragen und würde und der Menschenrechte aller Personen, die Angleichung der Organisationsformen fördern. Ein die Verhältnismäßigkeit bei der Gewaltanwen- Abschnitt beschäftigt sich mit der Ausbildung von dung, Polizeibediensteten. Hier heißt es, dass die Ausbildung den Schutz vertraulicher Informationen, der Polizei „auf den Grundwerten der Demokratie, auf das Verbot der Folter und grausamer, unmen- Rechtsstaatlichkeit und dem Schutz der Menschen- schlicher oder erniedrigender Behandlung, rechte beruht“. Sie soll „gegenüber der Gesellschaft so die Verantwortung für die Gesundheit von in offen wie möglich“ gestaltet werden. Weiter wird Gewahrsam genommenen Personen, empfohlen: „Praktische Ausbildungsmaßnahmen zum das Verbot der Bestechung und Einsatz von Gewalt und zu den Grenzen, die sich die Einhaltung des Kodexes sowie den Umgang durch die anerkannten Menschenrechtsgrundsätze, mit beobachteten Verletzungen seiner Bestim- insbesondere der Europäischen Menschenrechtskon- mungen. vention und der daraus abgeleiteten Rechtsprechung ergeben, erfolgen in der polizeilichen Ausbildung auf allen Ebenen.“ Schließlich wird gefordert, umfassend Die Grundprinzipien für die Anwendung von Gewalt zu berücksichtigen, „dass eine Auseinandersetzung und den Gebrauch von Schußwaffen durch Beamte mit und Bekämpfung von Rassismus und Fremden- mit Polizeibefugnissen86 enthalten neben einer Reihe feindlichkeit notwendig ist.“88 inhaltlich für die Aus- und Fortbildung relevanter Aussagen den Abschnitt „Qualifikation, Ausbildung Im Rahmen seiner Aktivitäten zur Förderung der und Beratung“. Hier wird gefordert, dass alle Beamten Menschenrechte startete der Europarat 1997 das mit Polizeibefugnissen eine angemessene Aus- und Programm Polizei und Menschenrechte 1997-2000, Fortbildung erhalten. Insbesondere die moralische, um das Bewusstsein für die Menschenrechte in den psychologische und körperliche Befähigung wird für Polizeien der Mitgliedsländer zu stärken. Die Arbeit wichtig erachtet (Ziff. 18). In Ziffer 20. heißt es dann: wurde hauptsächlich durch die „Gemeinsame infor- „Bei der Ausbildung von Beamten mit Polizeibefug- melle Arbeitsgruppe über Polizei und Menschen- nissen widmen der Staat und die Vollstreckungs- rechte“ geleistet, der Polizeiangehörige verschiedener behörden besondere Aufmerksamkeit den Fragen des Mitgliedsländer (so auch aus Deutschland) angehör- Polizeiethos und der Menschenrechte, insbesondere ten. Sie entwickelte als ein wesentliches Ergebnis das im Hinblick auf das Ermittlungsverfahren, den Alter- Manual „Polizeiarbeit in einer demokratischen nativen zum Einsatz von Gewalt oder Schußwaffen, Gesellschaft – Ist ihre Dienststelle ein Verteidiger der

85 UN, Code of Conduct for Law Enforcement Officials, Resolution 34/169 vom 17.12.1979; inoffizielle deutsche Übersetzung zum Beispiel bei amnesty international [2006]. 86 Angenommen vom Achten Kongress der Vereinten Nationen für Verbrechensverhütung und die Behandlung Straffälliger, der vom 27.08. bis zum 07.09.1990 in Havanna, Kuba, stattfand, und von der Generalversammlung durch Resolution 45/120 vom 14.12.1990 gebilligt. 87 Europarat (2001). 88 Ebenda, Abschnitt IV. C, Ziff. 26.-30. 25 Die Fundierung der Menschenrechtsbildung in internationalen Dokumenten und Rechtsgrundlagen 1 1.5 Internationale Verhaltenskodices und Grundprinzipien für die Polizeiarbeit

Menschenrechte?“89. Diese Broschüre wurde auch in die Evaluation der Qualität der Polizeiarbeit, deutschen Polizeidienststellen verbreitet. Ob sie dort Forderung nach unabhängigen Kontrollinstanzen, Gegenstand von Bildungsmaßnahmen war, ist nicht Transparenz der Polizeiarbeit, bekannt. Es ist allerdings zu befürchten, dass dieses Beschwerdemanagement. wertvolle Arbeitsmaterial keine gebührende Beach- tung erfuhr90. Die Broschüre ist als Checkliste aufge- Die bloße Erwähnung all dieser Stichworte wirft natür- baut: In sieben Abschnitten kann die Leserin oder der lich mehr Fragen auf, als dass sie klare Vorstellungen Leser überprüfen, ob ihre/seine Polizeidienststelle mit vermittelt. Eine Auseinandersetzung mit den Vorschlä- ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in Struktur gen aus diesem Papier könnte eine sehr konkrete und und Handeln menschenrechtskonform ist. Es ist hier konstruktive Form von Menschenrechtsbildung sein. nur der Raum für einzelne Beispiele aus dem Leitfaden, wie etwa: In seinem aktuellen Programm Polizei und Menschen- Forderung nach Sensibilisierungsprogrammen für rechte91 hat es sich der Europarat zum Ziel gemacht, Geschlechtergleichheit, gegen Rassismus, dass unter anderem bei der Polizei Curricula eingeführt die Rolle von Frühwarnsystemen für Menschen- werden, in denen die Thematik „Menschenrechte“ rechtsverletzungen einschließlich vertraulicher angemessene Berücksichtigung findet. „Leitgedanke Meldesysteme, ist hierbei, dass der Polizei eine Schlüsselrolle hinsicht- Strategien zur Bekanntmachung von guten Prakti- lich des Schutzes der Menschenrechte zukommt.“92 ken und Initiativen,

89 Europarat (2000). 90 Alle Hintergrundinformationen verwiesen darauf, dass die Broschüre in der Praxis weitgehend unbekannt ist. 91 Siehe Europarat [2006c]. 92 Siegert (2005), S. 2. 26 Aus- und Fortbildung bei der Polizei in Deutschland – Ein Überblick 2

2 Aus- und Fortbildung bei der Polizei in Deutschland – Ein Überblick

Wie sich aus Artikel 30 des Grundgesetzes ergibt, ist die daraus ist, dass es dort keine Ausbildung zum mittleren Polizei in Deutschland Ländersache. Das Grundgesetz Dienst mehr gibt. Wo sie noch benötigt wird, findet sieht als Ausnahmen hiervon lediglich die Bundes- die Ausbildung für den mittleren Dienst bei den Be- grenzschutzbehörden (heute Bundespolizei), die zen- reitschaftspolizeien oder an Landespolizeischulen (LPS) tralen Behörden für die Erfassung polizeilicher Daten statt. In einigen Ländern ist die Ausbildung an den und die Kriminalpolizei vor93. Die zwei letztgenannten Fachhochschulen (FHS) der Polizei zentralisiert. Die Aufgaben obliegen dem Bundeskriminalamt (BKA). Ausbildung zum mittleren Dienst dauert zweieinhalb bis Die Polizeien der Länder gliedern sich in die vier drei Jahre (unter anderem abhängig von den Bildungs- Dienstzweige: Schutzpolizei, Kriminalpolizei, Wasser- voraussetzungen der Auszubildenden). Die Ausbildung schutzpolizei und . Weitere Unter- zum gehobenen Dienst erfolgt über so genannte Auf- gliederungen und Sondereinheiten (zum Beispiel stiegslehrgänge bei bereits zum mittleren Dienst Aus- Mobile Einsatzkommandos – MEK, Spezialeinsatzkom- gebildeten oder durch Direkteinstellung von Bewer- mando – SEK) sind je nach Bundesland vorhanden. berinnen und Bewerbern mit Hochschulreife. Ausbil- Die genauen Aufgaben sind in Landespolizeigesetzen dungsstätten sind die Fachhochschulen für Verwaltung, (Polizeiaufgabengesetzen) und entsprechenden Ver- Fachbereich Polizei, oder in einigen Bundesländern ordnungen geregelt. Nach dem Bund-Länder-„Pro- eigenständige Hochschulen der beziehungsweise für gramm für die innere Sicherheit“ sind die Haupt- Polizei96. Die Ausbildung zum gehobenen Dienst dauert aufgaben der Polizeien einheitlich: Gefahrenabwehr, in der Regel drei Jahre. Die Ausbildung für den höhe- Bekämpfung von Straftaten und Sicherung/Ordnung ren Dienst (so genannte Ratslehrgänge – sie werden des Straßenverkehrs. In den Ländern sind die Polizeien in der Regel mit dem Dienstrang Polizeirat oder Krimi- dem jeweiligen Innenminister beziehungsweise Innen- nalrat abgeschlossen) findet für Deutschland einheit- senator unterstellt. lich an der Polizei-Führungsakademie (PFA) in Münster- Hiltrup statt. Diese Ausbildung dauert zwei Jahre. Der Polizeidienst gliedert sich in Deutschland in den Daneben bildet die PFA in Halbjahreslehrgängen auch mittleren Dienst, dem ca. 47 Prozent der Polizistinnen Führungskräfte aus, die über ein abgeschlossenes, nicht- und Polizisten angehören, den gehobenen Dienst (ca. polizeiliches Hochschulstudium verfügen. Außerdem 51 Prozent) und den höheren Dienst (ca. 1,5 Prozent)94. bietet die PFA Fortbildungsveranstaltungen für Beam- Der Frauenanteil bei der Polizei liegt bundesweit im tinnen und Beamte des höheren Dienstes an und pflegt Durchschnitt bei 12 Prozent. In Führungspositionen sind Auslandsbeziehungen zu zentralen Polizeibildungsein- Frauen nach wie vor deutlich unterrepräsentiert95. In richtungen anderer Länder. Gegenwärtig strukturiert einigen Bundesländern ist die so genannte zweige- sich die PFA zu einer polizeiinternen Hochschule um. teilte Laufbahn eingeführt worden. Die Konsequenz

93 Artikel 73 Ziff. 10 und 87 Abs. 1 Grundgesetz. 94 Zahlen nach Mitteleuropäische Polizeiakademie (2003), S. 26. 95 So beträgt zum Beispiel in Niedersachsen der Frauenanteil im mittleren Dienst 22 Prozent, im gehobenen Dienst jedoch nur 8 Prozent und im höheren Dienst lediglich 5 Prozent – Zahlen nach Kloweit-Herrmann (2004), S. 232. 96 Der Einfachheit halber werden alle Fachhochschulen unabhängig von ihrer exakten Bezeichnung (zum Beispiel Nieder- sächsische Fachhochschule für Verwaltung und Rechtspflege, Fakultät Polizei; Fachhochschule Villingen-Schwenningen – Hochschule für Polizei) im Text mit FHS Bundesland (also FHS Niedersachsen, FHS Baden-Württemberg) bezeichnet. Gleiches gilt für die Landespolizeischulen beziehungsweise anderen Ausbildungseinrichtungen für den mittleren Dienst. Hier lautet die Darstellungsweise LPS Bundesland. 27 2 Aus- und Fortbildung bei der Polizei in Deutschland – Ein Überblick

Die Ausbildung für die Bundespolizei (bis zum 1. Juli 2005: die FHS für die Fortbildung verantwortlich. Die Bil- ) erfolgt an der Bundespolizei- dungspläne werden von den Fortbildungsstätten akademie in Lübeck, in fünf weiteren, über das Bun- überwiegend eigenständig erstellt. Dabei sind Vor- desgebiet verteilten Aus- und Fortbildungszentren gaben umzusetzen, die durch die Dienstaufsicht und sowie für den höheren Dienst an der Fachhochschule durch die Fachabteilungen der Innenministerien fest- des Bundes für öffentliche Verwaltung, Abteilung gelegt werden. Bundespolizei. Diese FHS verfügt auch über einen Fachbereich „Öffentliche Sicherheit“, Abteilung Kri- Insgesamt ist die Bildungslandschaft bei der deutschen minalpolizei im Bundeskriminalamt und bildet spe- Polizei, bedingt durch das föderale System, unüber- ziell für die Verwendung im gehobenen und höheren sichtlich. Forschungen über die Bildung bei der Polizei Kriminaldienst im BKA aus. werden hierdurch erschwert. Auch für die Weiterent- wicklung der Bildungslandschaft wird dies als hinder- Auch die Fortbildung der Polizei ist länderabhängig lich angesehen. Liebl bezeichnet eine Vereinheit- unterschiedlich organisiert. In einigen Ländern gibt es lichung als „größtes Problem“, das es zu lösen gelte eigenständige Bildungsinstitute der Polizei oder es mit dem Ziel, „Struktur und Einheitlichkeit unter den existieren Fortbildungsabteilungen bei der Bereit- vielfältigen Sonderinteressen, Laufbahnunterschieden schaftspolizei; in anderen Ländern sind die LPS und und Schwerpunktsetzungen zu schaffen“97.

97 Liebl (2003), S. 218. 28 Rahmenbedingungen und Handlungsfelder polizeilicher Arbeit 3.1 Zur Prägung von Polizeibildern durch Erfahrungen und Medien 3

3 Rahmenbedingungen und Handlungsfelder polizeilicher Arbeit

Die Studie hat das Ziel, das „Wo“ und „Wie“ der Men- in ähnlichen Rollenspielen. Diese Rollenbilder sind tra- schenrechtsbildung bei der Polizei zu beschreiben. Sie ditionell männlich geprägt. Frauen in der Polizei sind ist eine Analyse des Ist-Zustandes und gibt auf dieser erst zu kurze Zeit alltägliche Realität, als dass kulturell Basis einen Ausblick auf kurz- und mittelfristige Ent- verankerte Muster bereits nachhaltig verändert werden wicklungsmöglichkeiten. Hierfür ist es notwendig, konnten. Das in der frühen Kindheit angelegte „innere mögliche Faktoren innerhalb der Polizei sowie inner- Polizistenbild“ erfährt im Laufe der Persönlichkeits- halb des gesellschaftlichen Umfeldes zu betrachten, entwicklung durch die vielfältigsten Einflüsse weitere die menschenrechtsverletztendes oder -konformes Differenzierungen. Neben der Übernahme der Einstel- Handeln fördern. Diese Betrachtung setzt bei der Aus- lungen von Bezugspersonen und der Schulbildung bildung eines „inneren Polizistenbildes“ in der Kind- spielen für diesen Prozess eigene Erlebnisse eine maß- heit und Jugend an und führt bis zu sehr allgemeinen gebliche Rolle: die Polizei bei der Öffentlichkeitsarbeit Einflussfaktoren wie Arbeitsbelastung und Stress. in Kindergärten und Schulen als „Freund und Helfer“ Einzelne Faktoren können sicher auch für das Handeln wahrzunehmen, einen Polizisten um Hilfe bei der Weg- in jeder anderen Berufsgruppe maßgeblich sein. Sie suche zu bitten, von Polizisten angesprochen und kon- erhalten jedoch in Hinblick auf menschenrechtskon- trolliert zu werden, eine Festnahme zu sehen, nach formes oder -verletzendes Verhalten von Polizistinnen einem Ladendiebstahl selbst abgeführt zu werden, und Polizisten besonderes Gewicht. Wesentliche einen Schlagstockeinsatz am Rande einer Demonstra- Handlungsfelder und Faktoren werden im Folgenden tion zu beobachten. All das sind Erlebnisse, die in der benannt und kurz beschrieben. Schwerpunkte sind Sozialisation der meisten Kinder und Jugendlichen strukturelle Mechanismen, Unterschiede in den ver- zumindest partiell auftauchen und so das Bild von der schiedenen Dienstzweigen, spezielle Gruppen (zum Polizei mitprägen. Empfand das Kind beziehungsweise Beispiel Spezialeinsatzkommando) sowie die ver- die Jugendliche dabei die eigene Behandlung oder die schiedenen „Polizeikulturen“. Behandlung der Betroffenen als ungerecht oder gar in den Grundrechten verletzend, werden spezifische Veränderungen des „inneren Polizistenbildes“ und der Haltung gegenüber der Rolle und Funktion der Polizei 3.1 Zur Prägung von Polizeibildern die Folge sein. Diese Veränderungen können gegebe- durch Erfahrungen und Medien nenfalls in zwei grundlegend verschiedene Richtungen gehen, die sich in ihren extremen Polen folgenderma- Die Antizipation polizeilicher Mentalitäten beginnt ßen charakterisieren lassen: „Gegen so etwas möchte nicht erst mit dem Eintritt in die Polizei. Auf diesen ich angehen“ (um dann bei einer Entscheidung für den Umstand macht Chan aufmerksam98. Bereits im frühen Polizeiberuf zum Beispiel „der bessere Polizist“ werden Kindergartenalter spielt die Figur des „Polizisten“ in zu wollen) oder „Wenn ich diese Macht hätte, könnte Erzählungen und Bildern eine Rolle, agieren Kinder als ich das bei anderen auch machen“ (um dann die Poli- „Räuber und Gendarm“, „Sheriff und Verbrecher“ und zeiuniform als Lizenzgeber für Gewalt anzusehen).

98 Siehe Chan (2003), S. 62–63. Bei dieser Publikation handelt es sich um eine der umfassendsten Studien zur Ausbildung bei der Polizei in Australien. Janet B. L. Chan verfolgte mit sehr überzeugender Methodik (Längsschnittstudie, qualitative Interviews, Feldbeobachtungen) den Weg von Absolventinnen und Absolventen und die Änderung ihrer Einstellungen und Handlungsmuster während und nach der Ausbildung. Eine ähnlich fundierte Untersuchung ist aus Deutschland nicht bekannt. 29 Rahmenbedingungen und Handlungsfelder polizeilicher Arbeit 3 3.2 Gründe für die Wahl des Polizeiberufs / 3.3 Die Polizeiuniform

Einen weiteren, nicht zu unterschätzenden Einfluss auf anwenden dürfen, eine Waffe tragen, schießen dürfen. die individuellen Einstellungen und Vorstellungen zur Daneben ist es nahe liegend, dass eine Reihe unbe- Polizei haben mediale Darstellungen. Es wäre interes- wusster Motive für die Berufswahl ausschlaggebend sant zu untersuchen, inwieweit durch diese menschen- sind. Behr nimmt beispielsweise in seiner qualitativen rechtskonformes oder -einschränkendes Handeln in Untersuchung der Cop Culture auf „Archetypen“102 das „innere Polizistenbild“ integriert wird. Als wie Bezug, indem er den maßgeblichen Einfluss der so ge- normal wird es angesehen, dass Polizisten Handlungen nannten Krieger-Männlichkeit für die Sozialisation der begehen, die nicht mit dem Recht in Übereinstim- „handarbeitenden Polizisten“ (Streifenbeamte, Bereit- mung stehen? Welchen Einfluss auf das reale Polizis- schaftspolizei, Sondereinheiten) nachweist103. Schweer tenbild haben Schimanski und Co.? Trägt das raue, differenziert anders in „Jäger“, „Regulatoren“, „Sammler“ menschenverachtende Handeln amerikanischer Film- und „Krieger“104. Es handelt sich hierbei fast durch- Cops, die dennoch die Helden sind, zur eigenen Bereit- gängig um zugeschriebene männlich konnotierte Mo- schaft bei, Menschenrechte nicht zu achten? Werden dellvorstellungen. Hierbei ist unklar, ob sich die Motive gar schon modellhaft Handlungsmuster angelegt? Wie von Frauen, die in den Polizeiberuf eintreten, davon verändert sich das innere Polizisten- oder Polizistin- unterscheiden. Offen bleibt auch die Frage, inwieweit nenbild durch die zunehmende Präsenz von Polizistin- sich solche Einzelmotive und „Archetypen“ zukünftig nen in Film und Fernsehen? Zur Wirkung von Medien auflösen beziehungsweise als beweglich erweisen. insbesondere auf die individuelle Gewaltbereitschaft existieren widersprüchliche Untersuchungsbefunde. Den genannten Ansätzen ist gemeinsam, dass die Bestimmte Spuren in der Psyche hinterlassen die Film- konkreten Formen des polizeilichen Handelns auf eine und Fernsehbilder jedoch ganz sicher. komplexe Motivstruktur schließen lassen, die über die klar benennbaren Motive weit hinausgeht. Im Um- kehrschluss kann davon ausgegangen werden, dass eben diese diffusen, nicht klar benennbaren Motive 3.2 Gründe für die Wahl des bei der Berufswahl einen maßgeblichen Einfluss aus- Polizeiberufs üben. Früher existierende Vermutungen, der Polizei- beruf sei besonders für die so genannte „autoritäre Bei der Untersuchung der Gründe junger Menschen, Persönlichkeit“105 anziehend, lassen sich durch die sich für den Polizeiberuf zu entscheiden, sind die Be- aktuellen Untersuchungen hingegen nicht belegen. funde relativ einheitlich. Am häufigsten werden hier genannt99: eine sichere Arbeit haben, Arbeit mit Men- Beim Eintritt in die polizeilichen Ausbildungseinrich- schen, Karriere machen können, eine abwechslungs- tungen verfügen die Auszubildenden also bereits über reiche Tätigkeit ausüben. Das sind die offiziell darge- Einstellungen und Handlungsmuster in Bezug auf ihren stellten Motive100. Die meisten Bewerberinnen und künftigen Beruf. Auf diese psychischen Faktoren nimmt Bewerber wissen, dass dies auch die sozial erwünschten die polizeiliche Ausbildung in Form von Organisations- Motive sind. Auslöser für die Berufswahl können zum strukturen und ihren Kulturen sowie durch das Handeln Beispiel eher zufällige Faktoren sein wie die, keine der Lehrkräfte und sonstigen Beschäftigten Einfluss. Alternative zu sehen oder im Bekanntenkreis mit dem Polizeiberuf konfrontiert zu werden. All das ist mit Sicherheit nur ein Teil der Motivation. Diese wird dar- über hinaus von Beweggründen geprägt, die dem 3.3 Die Polizeiuniform Betreffenden zwar bewusst sind, die er aber aus ver- schiedenen Gründen nicht offen nennen möchte. In Im Rahmen der Ausbildung ziehen die Auszubilden- persönlichen Gesprächen sind solche Motive mitunter den erstmalig die Polizeiuniform an – teilweise bereits zu erfahren: Abenteuerlust101, Macht haben, Gewalt am ersten Tag (in der Regel an den Polizeischulen),

99 Siehe zum Beispiel Löbbecke (2004), S. 159. 100 Zu unterscheiden sind, wie Löbbecke zu Recht feststellt, Motive und Auslöser; Löbbecke (2004), S. 153-155. 101 Abenteuerlust fand zum Beispiel auch Schmid in ihrer Untersuchung – vgl. Schmid (1995), S. 88. 102 Gemeint ist die Archetypenlehre nach C. G. Jung: Behr bezieht sich jedoch nicht ausdrücklich auf diese. 103 Siehe Behr (2000), S. 88–90. 104 Siehe Schweer (2004), S.11. 105 Auf Adorno zurückgehend – vgl. Artus (2003): Menschen mit tendenziell undemokratischen Einstellungen, die von Kategorien wie Gehorsam und Macht geprägt sind. 30 Rahmenbedingungen und Handlungsfelder polizeilicher Arbeit 3.4 Von der Ausbildung in die Praxis – Polizeikultur und Cop Culture 3

teilweise erst nach Absolvierung mehrerer Ausbil- sehen: Machtgefühle können zu Machtmissbrauch dungsabschnitte (in der Regel an den Fachhochschu- führen. len). Dem Umstand des Uniformtragens kommt für die Dispositionen zur Einhaltung von Menschenrechten Eine Sonderrolle kommt der Uniformierung und Aus- eine ambivalente Bedeutung zu. Zunächst ist die Uni- rüstung zu, die Sondereinheiten verwenden oder die form Ausdruck der militärischen Tradition der Polizei. bei besonderen Lagen und Einsatzarten verwendet Sie steht für Befehl und Gehorsam, für Funktionalität werden. So haben beispielsweise Schild, Helm und und Kampfbereitschaft, für Erwartungen des Aus- Schutzweste andere Rückwirkungen als die Alltags- strahlens von Autorität, für klare hierarchische Einord- uniform. Es besteht die Gefahr, sich noch elitärer zu nung innerhalb der Dienstränge, für Entindividualisie- fühlen, noch weniger den allgemein gültigen Rechts- rung. Gerade der letzte Aspekt verdient nähere Betrach- und Moralvorstellungen unterworfen zu sein. tung. Das Gefühl, weniger Individuum als vielmehr (austauschbarer) Bestandteil einer Organisation zu sein, Insgesamt lässt sich sagen: Mit der Adaption der zu- mindert die Bereitschaft, für das eigene Handeln Ver- nächst neuartigen komplexen Empfindungen, die sich antwortung zu übernehmen. So gibt es in der Polizei mit dem Tragen der Uniform verbinden, finden Rück- immer wieder Diskussionen über die Einführung von wirkungen in die Psyche des Trägers beziehungsweise Namensschildern. Die überwiegende Ablehnung wird der Trägerin statt. Veränderungen oder Verfestigungen vor allem mit der Sorge begründet, Betroffenen poli- der für die Polizeitätigkeit maßgeblichen Einstellungen zeilichen Handelns werde damit das Ausüben von Rache und Handlungsmuster bei den Auszubildenden sind erleichtert. Für diese Annahme fehlt weitgehend die daher wahrscheinlich. sachliche Grundlage106. Diese Angst kann damit als bewusst oder unbewusst vorgeschobener Grund an- gesehen werden. Zu vermuten ist vielmehr ein Unbe- hagen gegenüber individualisierter Verantwortung. 3.4 Von der Ausbildung in die Praxis – Polizeikultur und Cop Culture Die Uniform ist das Symbol der Zugehörigkeit, sie er- zeugt Zugehörigkeitsgefühle. Sie ist damit wesent- Der Schritt aus der polizeilichen Ausbildungseinrich- licher Bestandteil der Cop Culture107. Ein weiterer As- tung heraus führt Polizeischüler und Studierende in pekt des Uniformtragens ist die Wahrnehmung der die Arme von Praxisbetreuern. Dies geschieht nicht Uniformträger durch Dritte, deren Assoziationen und erst nach Abschluss der Ausbildung, sondern bereits die daraus resultierenden Rückwirkungen auf den während diverser ausbildungsimmanenter Praktika. Uniformträger. Die Sicht auf die Polizei in Deutschland Während den Ausbilderinnen und Ausbildern noch ist überwiegend positiv. Der Uniformträger weiß also, überwiegend ein Gefühl der Verpflichtung gegenüber dass er größtenteils in einem vorteilhaften Licht den Curricula entsprechend der Leitbilder oder Füh- wahrgenommen wird. Dass dies jedoch auch relativiert rungsmaßgaben der Bildungseinrichtungen unterstellt werden muss, wird weiter unten im Zusammenhang werden kann, wird dies bei den Praxisbetreuern ganz mit dem Selbst- und Fremdbild der Polizei erörtert. überwiegend nicht zu finden sein. Chan stellte in ihrer Damit einher geht funktionales Verantwortungsbe- Untersuchung zur australischen Polizei fest, dass die wusstsein, das Gefühl, sich nicht entziehen zu können Praktiker für die schulischen Intentionen nur wenig (was bei mangelnden Erfahrungen auch noch mit Verständnis haben.109 Es gibt keinen Grund für die An- Angst behaftet sein kann) und die Verpflichtung zur nahme, dass dies nicht auch für deutsche Verhältnisse Einhaltung der Gesetze zu haben. Hierin liegt auch eine zutrifft. Ihre Betreuungsphilosophie zielt auf Praxis- wichtige rechtsstaatliche Funktion der Uniform: Ihr tauglichkeit. Da die Praktika Ausbildungsbestandteile Träger ist als Staatsrepräsentant wahrnehmbar und sind, werden diese in Kapitel 4.1.6 ausführlicher erörtert. ansprechbar, aber auch kontrollierbar. Das Bewusstsein, Träger eines öffentlichen Amtes zu sein, wertet das Mit dem Eintauchen in die polizeiliche Praxis setzt Selbstwertgefühl auf, schafft Gefühle von Autorität sich die Adaption der so genannten Cop Culture, deren und Macht108. Doch dieser Effekt ist ambivalent zu erste Ansätze bereits in der Kindheit gelegt werden, in

106 Wer Rache üben will, findet dazu Wege; Racheakte an Polizisten sind in Deutschland eine absolute Ausnahme. 107 Diese Kategorie wird im nächsten Abschnitt ausführlich diskutiert. 108 Siehe auch Chan (2003), S. 104. 109 Siehe ebenda, S. 147. 31 Rahmenbedingungen und Handlungsfelder polizeilicher Arbeit 3 3.4 Von der Ausbildung in die Praxis – Polizeikultur und Cop Culture

einer neuen Qualität fort. Es ist das Erlebnis der sich alternativen mündliche Verwarnung, Verwarnung mit vertiefenden Zugehörigkeit zu einem neuen gesell- Bußgeld oder Einleitung eines Ordnungsstrafver- schaftlichen Umfeld mit den verschiedensten hieraus fahrens. Da sie bereits wiederholt mit der Gruppe zu erwachsenden Implikationen für die Verstandes- und tun hatten, wissen sie, dass keine der drei Maßnahmen Gefühlswelt der Polizeianfänger und -anfängerinnen. bisher den aus ihrer Sicht wünschenswerten Erfolg In diesem Zusammenhang ist der Begriff der Cop Culture brachte, nicht mehr wegen ruhestörenden Lärms dort- für das Verständnis des polizeilichen Handelns von hin gerufen zu werden. Sie setzen den Anführer der zentraler Bedeutung. Cop Culture kann sehr einfach Gruppe in den Funkwagen, fahren mit ihm einige beschrieben werden als „ein System gemeinsamer Straßen weiter, schüchtern ihn verbal und mit einigen Werte und Auffassungen, die von einer Polizistenge- Ohrfeigen ein und lassen ihn dann gehen. Diese Hand- neration zur nächsten weitergegeben werden“110. lungsweise „klärt“ für sie den Fall – für die nächste Zeit werden sie Ruhe haben. Spätestens mit diesem Cop Culture ist sozialwissenschaftliche (Ober-)Kate- Beispiel wird deutlich: Cop Culture richtet sich danach, gorie auf der einen und gelebte Realität auf der ande- was Polizisten für praktisch wirksam halten und er- ren Seite. Sie bringt Handlungsmuster hervor und fahren. Das kann mit dem Gesetz übereinstimmen – existiert gleichzeitig in ihnen. Wie Polizistinnen und oder nicht. „Noch über dem Recht stehen die Gerech- Polizisten in ihrem Alltag handeln, wird ganz wesentlich tigkeitsvorstellungen der street cops.“113 von ihr bestimmt. Die Handlungsweisen entsprechend der Cop Culture sind primär funktional: Sie sollen ge- Die Cop Culture ist eine klar „männlich“ geprägte Kul- eignet sein, den Polizisten in seinem Selbstverständnis tur. Auf die Hintergründe dafür wurde bereits oben und im Verständnis seiner Kollegen „einen guten Job“ aufmerksam gemacht. Es ist prinzipiell zwar möglich, machen zu lassen. Außerdem sollen sie dem äußeren dass sie sich mit einem veränderten Verständnis von Anschein nach den Forderungen der Polizeikultur ent- Geschlechterrollen, mit dem wachsenden Frauenan- sprechen. Damit ist der Gegenbegriff genannt: „Poli- teil in der Polizei und einem bewussteren Umgang mit zeikultur“ ist die offizielle Behördenkultur, gekenn- der Thematik allmählich verändert in Richtung einer zeichnet in erster Linie durch Rechtsförmigkeit, die Männer- und Frauenkultur beziehungsweise einer Kultur der Führungskräfte, der „kopfarbeitenden Poli- Überwindung gendertypischer Klischees. Doch empi- zisten“; eine bürokratische Kultur voller Regelungen. rische Befunde hierzu sind bislang noch spärlich und Der Hauptwiderspruch liegt darin, dass die Polizei- widersprüchlich. Anscheinend überwiegt momentan kultur Vorgaben für polizeiliches Handeln liefert, die noch die Einordnung der Frauen in die vorgefundenen permanent mit der Komplexität und Widersprüchlich- kulturellen Muster. Frauen passen sich tatsächlich keit der Realität kollidieren, die einfach für den dem an, was sie in der von männlichen Verhaltens- „handarbeitenden“ Polizisten ganz überwiegend nicht weisen durchdrungenen polizeilichen Berufs- und Le- praktisch umsetzbar sind. Würde er sie genau befolgen, benswelt vorfinden. Eigene beziehungsweise andere wäre er nicht handlungsfähig oder ständig in Schwie- Wertvorstellungen werden bisher, wohl auch notge- rigkeiten. „Das Gewaltmonopol … kommt nicht ohne drungen, kaum realisiert. Eine Polizeibeamtin formu- nichtbürokratieförmige Durchsetzungsformen aus.“111 lierte hierzu: „Bei Frauen ist zur Zeit noch typisch, dass Feltes charakterisiert dies als Ambivalenz von Handlungs- sie versuchen sich den Männern anzupassen, indem spielraum und Willkürspielraum112. Der Polizist hat sie versuchen zu zeigen, dass sie besonders stark sind. eigene Handlungsregeln, eben die Cop Culture. Ein Jedenfalls ist das bei vielen so, das multipliziert sich einfaches Beispiel soll das demonstrieren: Eine Streifen- praktisch noch. Also dass sie praktisch jetzt nicht wei- wagenbesatzung wird gerufen wegen ruhestörenden cher werden, sondern sich zumindest noch härter dar- Lärms durch eine Gruppe Jugendlicher. Die rechtliche stellen, um überhaupt bestehen zu können. Also, ich Einordnung als Ordnungswidrigkeit eröffnet den Be- habe das jedenfalls oft erlebt, dass sie sich so präsen- amten einen Ermessensspielraum mit den Handlungs- tieren.“114 Die Gender-Frage wird jedoch innerhalb der

110 Chan (2003), S. 3 (Übersetzung durch den Autor); der Begriff police culture wird wie auch der deutsche Begriff Polizistenkultur weitgehend synonym zu Cop Culture verwendet. Zu vielen weiteren Aspekten der Cop Culture sei auf Behr (2000) verwiesen. 111 Behr (2000), S. 79. 112 Feltes (2000), S. 1. 113 Behr (2000), S. 186; street cops sind die operativ handelnden Polizisten, also zum Beispiel Schutzpolizisten im Streifen- dienst oder Zivilfahnder. 114 Kloweit-Herrmann (2004), S. 53–54. 32 Rahmenbedingungen und Handlungsfelder polizeilicher Arbeit 3.5 Fehlverhalten und „Fehlerkultur“ 3

Polizei immer stärker reflektiert. Beispielsweise die realistisches Ziel kann daher nicht darin bestehen, die Arbeiten von Kloweit-Herrmann (2004) und die ent- Cop Culture abzuschaffen, sondern muss auf die Be- sprechenden praktischen Umsetzungen lassen für die fähigung der Polizeianfänger und -anfängerinnen zur Zukunft hoffen, dass Gender-Fragen etwa in der Aus- kritischen Reflexion gerichtet sein. Denn den Mecha- und Fortbildung thematisiert werden und Gender Main- nismus des Modelllernens zu durchbrechen und statt- streaming in der Polizeiorganisation verankert wird. dessen Versuch-und-Irrtum-Lernen anzuwenden, setzt ein hohes Maß an Reflexionsfähigkeiten und letzt- Cop Culture wird auf verschiedenen Wegen adaptiert. endlich Risikobereitschaft voraus – all das unter den Ein wesentliches Element ist dabei das Lernen am Bedingungen der Aufgeregtheit des Neulings einer- Modell: Das Handeln älterer, erfahrener Kollegen wird seits und dem Druck zur Anpassung andererseits. beobachtet und imitiert. Eine andere wichtige Rolle spielen eher informelle Lernprozesse, wie beispiels- weise die Wirkung von Autoritäten, Erzählungen und Habitusbestandteilen115. Zentral für die Adaption der 3.5 Fehlverhalten und „Fehlerkultur“ Cop Culture ist die Gruppenpsychologie. Eine Gruppe fordert vom einzelnen Mitglied, sich mit den Normen Verschiedene wissenschaftliche Auffassungen wie auseinanderzusetzen und sie im Wesentlichen anzu- auch praktische Erwägungen legen nahe, dass es nehmen. Verweigert das einzelne Gruppenmitglied dies, nicht die eine Cop Culture, sondern verschiedene Cop riskiert es den Verlust der Solidarität der anderen Cultures gibt. Schweer unterscheidet beispielsweise Gruppenmitglieder oder gar den Ausschluss. Dieses vier: die der Einsatztrupps zur Bekämpfung der Risiko ist im Polizeiberuf unter Umständen lebensge- Straßenkriminalität (Jäger), die der Mitarbeitenden fährlich: In einer Gefahrensituation benötigt jede im Wach- und Wechseldienst (Regulatoren), die der Polizistin und jeder Polizist die rückhaltlose Unter- Kriminalisten und Kriminalistinnen (Sammler) und die stützung anderer Polizeiangehöriger. Eine solche Bereit- der Spezialeinsatzkräfte (Krieger)118. Weiterhin lassen schaft bis hin zum Einsatz des eigenen Lebens für die sich Unterschiede in den Polizistenkulturen verschie- Kolleginnen und Kollegen ist konstituierendes Merkmal dener Regionen, in Großstädten, Kleinstädten und der Cop Culture. Praktische Belege hierfür finden sich ländlichen Gebieten finden. Es gibt eine dienststellen- im polizeilichen Dienstalltag immer dann, wenn über geprägte Cop Culture, die ihren Ausdruck zum Funk die Nachricht kommt, dass Polizisten angegriffen Beispiel in dem Ruf einer bestimmten Wache findet. werden. Schnelligkeit und Umfang der Hilfe sind in Allen gemein bleibt der subkulturelle Charakter, das der Regel enorm. Mithin besteht ein großer Druck auf Befolgen eigener, lebenspraktischer Regeln, die im das einzelne Gruppenmitglied, sich in die Gruppe ein- Widerspruch zu Gesetzen und Vorschriften stehen zufügen und deren Normen zu akzeptieren. Es gibt können. Cop Culture kann damit zu gesetzeswidrigem hierfür den lapidaren Ausdruck: „Fit in or fuck off“116. Verhalten führen. Sie ist das wesentlichste Erklä- Zusätzlich zu diesen gut untersuchten Phänomenen sind rungsmodell für das strukturell bedingte Auftreten organisations- und systemimmanente Muster zu ver- solchen Verhaltens. Doch auch der Begriff des muten, die das einzelne Systemmitglied unbewusst „Fehlverhaltens“ bedarf der Erörterung. Fehler gibt es beeinflussen117. stets nur aus der Warte eines Betrachters. „Die Antwort auf die Frage, ob das, was vorliegt, ein Fehler Handlungsmuster von anderen erfahrenen Polizisten zu ist, variiert mit dem Standort des Betrachters und übernehmen ist ein natürlicher und letztendlich alterna- damit oft mit der Zeit.“119 Als Fehlverhalten im hier tivloser Prozess. Er entspricht elementaren lernpsycho- relevanten Sinne sind Verhaltensweisen von Polizistin- logischen Gegebenheiten: Besteht in komplexen Situa- nen und Polizisten, mit denen Menschenrechte gefähr- tionen bei hohem Erfolgsdruck die Möglichkeit zum det oder verletzt werden. Solche Verletzungen können Modelllernen, wird dieses automatisch bevorzugt. Ein gravierend sein, wie zum Beispiel nicht gerechtfertigte

115 Zum Beispiel die Art, aus dem Polizeiauto auszusteigen, sich Handschuhe anzuziehen, auf zu Kontrollierende zuzugehen, die Wortwahl bei der Ansprache etc. 116 „Pass dich an oder verpiss dich.“ 117 Entsprechende Ergebnisse aus der systemisch-psychologischen Organisationsforschung erscheinen auf die Polizei und ins- besondere die Kategorie Cop Culture übertragbar, bedurften aber der weiteren Untersuchung; vgl. zum Beispiel Kastner (1990), S. 110. 118 Siehe Schweer (2004), S.11. 119 Peters (2004), S. 11. 33 Rahmenbedingungen und Handlungsfelder polizeilicher Arbeit 3 3.5 Fehlverhalten und „Fehlerkultur“

Festnahmen oder Schläge. Sie können aber auch relativ minierende Charakter einer Handlung den einzelnen geringfügig ausfallen, wie etwa eine diskriminierende Beamtinnen und Beamten eventuell kaum noch bewusst Äußerung oder ein verächtlicher Gesichtsausdruck. sein, zum Beispiel wenn es entsprechend der jeweiligen Cop Culture schon eine „Routine der Diskriminierung“ Es gibt eine Vielzahl weiterer Termini, die normabwei- in einer bestimmten Dienststelle gibt. Andererseits chendes polizeiliches Verhalten beschreiben: Amtsde- kann eine normale dienstliche Handlung, an der ein likte, Übergriffe, Straftaten und Ordnungswidrigkeiten neutraler Beobachter nichts auszusetzen hätte, von durch Polizisten, unethisches Verhalten und andere Betroffenen wegen ihrer erhöhten Sensibilität, die ihre mehr. Der Gedanke liegt nahe, dass die Übereinstim- Ursachen beispielsweise in traumatischen Erlebnissen mung mit der Polizeikultur und damit mit den gesetz- haben kann, als diskriminierend empfunden werden. lichen und bürokratischen Regelungen Garant für die Für manche Beamten oder Beamtinnen liegt ein erheb- Einhaltung der Menschenrechte sei. Zwei kurze Beispiele liches Präventionspotenzial bereits in der Reflexion des sollen zeigen, dass dies nicht unbedingt der Fall ist: eigenen Verhaltens. Auch die Intervention oder das nachträgliche Feedback von Kollegen und Kolleginnen, Beispiel 1: Ein Streifenbeamter hat einen türkisch- mit der sich die subjektive Wahrnehmung kritisch stämmigen Deutschen zu kontrollieren. Er macht dies hinterfragen lässt, besitzt Präventionspotenzial. Pro- mit verächtlichem Gesichtsausdruck und Tonfall, blematisch sind insbesondere solche Fälle, in denen es ohne dass dieser besonders deutlich wäre. Sein sich um Rechtsverletzungen handelt, die aber nicht Verhalten wirkt auf den Kontrollierten diskriminie- oder nur schwer beweisbar sind. Zudem weist die rend, ist jedoch nach Maßgabe der Vorschriften nicht Hamburger Polizeikommission120 darauf hin, „dass es in objektivierbarer Weise zu beanstanden. auf einer Ebene unterhalb straf- und disziplinarrecht- licher Relevanz und Nachweisbarkeit kritikwürdige Beispiel 2: Ein Beamter soll einen abgelehnten Asyl- rechtsstaatlich bedenkliche Formen polizeilichen Fehl- bewerber festnehmen und zum Flughafen bringen. verhaltens geben könne“121. Aus der Presse weiß er, wie umstritten der Fall aus menschenrechtlicher Perspektive ist. Er führt die An- Für ihr Verhalten sollen Polizistinnen und Polizisten weisung nur scheinbar aus und vermerkt, den Betref- wie alle Menschen Verantwortung übernehmen – ge- fenden nicht angetroffen zu haben. In der Folgezeit gebenenfalls bis hin zu strafrechtlicher Verantwort- ändert sich die Lage, der Betreffende darf bleiben. Das lichkeit. Dies steht nicht im Widerspruch dazu, dass vorschriftswidrige Handeln des Polizeibeamten hat ein allgemeines Ziel eine gute Fehlerkultur bei der letztlich dazu geführt, dass die Rechte des Asylbewer- Polizei sein sollte. Deren Kennzeichen ist eine grund- bers gewahrt werden konnten. legende Akzeptanz dafür, dass es zu Fehlern kommen kann, statt sie als generell vorwerfbaren Makel zu Fehlverhalten von Polizistinnen und Polizisten wird von charakterisieren. Zur Fehlerkultur gehört daher die unterschiedlichen Positionen her, d.h. von der Polizei Bereitschaft zur Einnahme verschiedener Standpunk- und ihren Interessenvertretungen wie den Gewerkschaf- te. Es schließt sich ein Such- und Verhandlungspro- ten auf der einen Seite und den Opfern und deren zess an, der nicht hierarchisch geführt werden sollte Interessenvertretungen wie amnesty international auf und dessen Ergebnis im Allgemeinen nicht eine Bestra- der anderen Seite, oft recht unterschiedlich darge- fung oder anderweitige Herabsetzung sein sollte, son- stellt. Diese Unterschiedlichkeit bezieht sich sowohl dern gemeinsames Lernen und Schlussfolgerungen für auf die Häufigkeit solcher Verhaltensweisen wie auch die Zukunft. „… bei manchen Fehlern wäre es geradezu auf die Darstellung des Interaktionsverlaufes. Für ge- jammerschade, sie nie gemacht zu haben. Sie waren wöhnlich wird für diese Differenz die konträre Interes- sozusagen die für uns richtigen Fehler, durch die wir senlage verantwortlich gemacht: Die Polizei tendiere unvergleichlich wirksamer gelernt haben. Versuchen dazu, Fehlverhalten zu vertuschen, die Betroffenen und wir allzu krampfhaft Fehler zu vermeiden, so hilft uns ihre Interessenvertreter tendierten zum Aufbauschen. selbst der Erfolg dabei oft nicht viel: Wir leben dann Beides mag richtig sein. Hinzu tritt jedoch ein Faktor, mit einer falschen Richtigkeit, die uns übervorsichtig der bisher seltener im Blickfeld war: Die Subjektivität und unkreativ werden lassen kann.“122 der Wahrnehmung. So kann beispielsweise der diskri-

120 Die Hamburger Polizeikommission war ein unabhängiges Gremium, das nach verschiedenen Vorkommnissen in der Hamburger Polizei Vorwürfe von Misshandlungen und anderem Fehlverhalten prüfen sollte. Sie bestand von 1998 bis 2001. 121 Nach Lehne (2004), S. 128. 122 Varga von Kibéd / Sparrer (2000), S. 113–114 (Hervorhebungen im Original). 34 Rahmenbedingungen und Handlungsfelder polizeilicher Arbeit 3.6 Ursachen für Fehlverhalten in verschiedenen Dienstzweigen und Aufgabenfeldern 3

energisches Eingreifen der Polizei zu gewährleisten. 3.6 Ursachen für Fehlverhalten in Das beförderte die Bereitschaft von einigen Einsatzkräf- verschiedenen Dienstzweigen und ten, das Verhältnismäßigkeitsgebot beim Gewaltein- Aufgabenfeldern satz zu missachten oder sogar vereinzelt grundlose Überfälle durchzuführen. Einzelne Polizisten verstanden Bei der Erörterung der verschiedenen Kulturen inner- also diese Führungsvorgaben quasi als Lizenz zur halb der Polizei wurde bereits kurz auf die unterschied- Gewalt123. lichen Dienstzweige beziehungsweise Aufgabenfelder eingegangen. Im Folgenden soll gefragt werden, inwie- Hier wird ein weiterer Aspekt von Polizeikultur offen- fern die einzelnen Dienstzweige und Aufgabenfelder bar: Da sie keine hinreichende praktische Handlungs- durch besondere Strukturen oder Tätigkeitsbereiche anleitung bieten kann, wird sie von den operativen gekennzeichnet sind, die menschenrechtskonformes Kräften entsprechend der Cop Culture interpretiert. oder -verletzendes Verhalten begünstigen können. Anschließendes Führungshandeln bestätigt oder widerlegt die Interpretation. Ein Beispiel für Ersteres ist es, wenn Führungskräfte ohne tatsächliche Sach- 3.6.1 Polizeiführung und -verwaltung kenntnis oder sogar entgegen der Faktenlage das Handeln der Einsatzkräfte rechtfertigen124. In diesem Zunächst ist die Ebene der Polizeiführung und -ver- „Decken durch die Führung“ ist ein hinsichtlich der waltung zu betrachten. Hier werden Entscheidungen Folgen besonders gravierendes Problem zu sehen. zu strategischen Fragen, zu operativen Lagebildern, Fritz Hücker, früherer leitender Kriminaldirektor, drückte zum „Wo“ und „Wie“ konkreter Einsätze, zur Kräfte- das so aus: „Ein besonderes Gefahrenpotential für verteilung etc. getroffen. Diese Entscheidungen beru- Einstellungen und Verhalten kann entstehen, wenn hen vor allem auf Gesetzen, den Vorgaben der Innen- Fehlverhalten nachträglich legitimiert oder nivelliert politik sowie den jeweils vorliegenden Fakten als wird.“ Er beschrieb hierfür zwei Strategien: die Tabui- Basis für die Lageeinschätzungen. Jedoch besitzen die sierung der Veröffentlichung und die Personalisierung Führungs- und Verwaltungskräfte einen nicht uner- („schwarze Schafe“, „rotten apple“). Seine Schlussfol- heblichen Entscheidungsspielraum und damit ent- gerung: „Wenn aber die Übergriffe nicht als objektive sprechende Einflussmöglichkeiten. Auch die Art und Probleme der Organisation Polizei gesehen werden, Weise des Führungsverhaltens beeinflusst die unter- besteht die Gefahr der Verfestigung unethischer stellten Polizeibeamten. Dass dies bis zum konkreten Verhaltensweisen.“125 Beispiele für eine wünschens- Eingreifen in das Handeln der operativen Kräfte rei- werte Strategie der Veröffentlichung und Personali- chen kann, zeigt der so genannte „Fall Daschner“, der sierung sind konkret durchgeführte Untersuchungen in Deutschland zu umfassenden Diskussionen führte. und Konsequenzen. Nach 2002 bekamen beispielsweise Wolfgang Daschner gab als stellvertretender Polizei- die Führungsvorgaben zum 1. Mai in Berlin offenbar präsident die direkte Anweisung zum Androhen der ein anderes Gewicht. Prävention und Deeskalations- Zufügung von Schmerzen gegen einen wegen Kindes- wille spiegelte sich in weit höherem Maße als vorher entführung Beschuldigten. Während es sich hierbei in konkreten dienstlichen Anweisungen, Kräftedislo- um eine direkte Anstiftung zu einer Menschenrechts- kationen etc. wider. Die Zahl der Übergriffsvorwürfe verletzung handelte, sind die Auswirkungen des Füh- ging spürbar zurück. rungs- und Verwaltungshandelns in Form ihrer Dienstanweisungen für die operativen Kräfte als Für die Gefahr von Menschenrechtsverletzungen ist Risiken in der Regel mittelbarer. Zur Illustration dieses allerdings die organisationsinterne Wirkung des Füh- Gedankens bieten sich die seit Jahren problematischen rungs- und Verwaltungshandelns auf die operativ tä- Einsätze am 1. Mai in Berlin an. Mitte bis Ende der tigen Polizisten maßgeblicher als Entscheidungen 1990er Jahre dominierten Lageeinweisungen sowie über Einsätze oder polizeistrategische Fragen. Das Dislokationen und martialische Ausstattungen der organisationsbedingte Frustrationspotenzial bei den Einsatzkräfte mit dem Ziel, ein möglichst frühes und Polizeibeamten wird schon lange als ein wesentlicher

123 Diese Einschätzung ist offiziell nicht belegbar. Polizei- und Innenpolitikinsider bezweifeln sie jedoch nicht. 124 So ergriff die Thüringer Polizeiführung diverse Maßnahmen bis hin zur Behinderung eines Hamburger Gerichts, um Über- griffe durch drei Polizeiangehörige zu decken, was schließlich sogar ein Ermittlungsverfahren gegen einen Polizeidirektor wegen des Verdachts auf Falschaussage vor Gericht und der versuchten Strafvereitelung im Amt zur Folge hatte. Siehe Gössner (2003), S. 7. 125 Hücker (2000), S. 52. 35 Rahmenbedingungen und Handlungsfelder polizeilicher Arbeit 3 3.6 Ursachen für Fehlverhalten in verschiedenen Dienstzweigen und Aufgabenfeldern

Einflussfaktor für Fehlverhalten vermutet. Die Hinter- Als eine weitere Quelle der Frustration lässt sich die gründe sind vielfältig: das Realisieren des niedrigen mangelnde Fehlerkultur in der Polizei ansehen. Kenn- Hierarchiestatus verbunden mit der geringsten Bezah- zeichnend ist überwiegend eine geringe Fehlertoleranz, lung, die bürokratischen, aus ihrer Sicht lebensfremden die zu einer Misstrauens- und Angstkultur führt130. Reaktionen der Vorgesetzten, widersprüchliche Anwei- Nach wie vor überwiegen bürokratische Sanktionen sungen, das Gefühl, in Einsätzen „verheizt“ zu werden, als Reaktionsschema für fehlerhaftes Verhalten. Die „für die da oben den Buckel hinhalten zu müssen“, das Folge: „Alle personalen Sanktionen über psychische und Gefühl, mit der eigenen Meinung und Kompetenz soziale Strafen begründen den Verlust der Selbstachtung ungehört zu bleiben, als willkürlich empfundene, des Betroffenen.“131 Der Verlust der Selbstachtung wird nicht erläuterte Umsetzungen, allgemeines Belastungs- dann kompensiert durch die Missachtung anderer. empfinden und anderes mehr. „Ebenso wie das Dienst- recht begünstigt die streng hierarchische Organisa- Alles in allem lassen sich die eben beschriebenen De- tionsstruktur Verhaltensweisen, die auf formalistische fizite als Mängel in der Organisationskultur verstehen. und routinemäßige Erledigung der Aufgaben ausge- Kooperativer Führungsstil ist oft genug bei der Polizei richtet ist.“126 Mitteilungen über Veränderungen und nur ein Schlagwort. Aus dem gesamten Faktoren- andere wichtige Organisationsentscheidungen erfol- bündel resultiert ein weit verbreitetes Misstrauen der gen von oben herab und erreichen die Mitarbeitenden an der Basis arbeitenden Polizistinnen und Polizisten als Papier. „Dadurch entsteht ein Gefühl der Ohnmacht gegenüber ihrer Führung132, das teilweise auf Gegen- bei den Beamten, was ein Rückzugsverhalten för- seitigkeit beruht. Schweer fand dazu heraus: „Die inne- dert.“127 All die genannten Faktoren können auch als ren Spannungen zwischen Polizei- und Polizistenkul- intensiv erlebte organisationsbezogene Stressquellen tur behindern nicht nur eine effektive und effiziente beschrieben werden128. Hinzu tritt das frustrierende Kriminalitätsbekämpfung, sie führen darüber hinaus Ausmaß an Arbeitsbelastung (Überstunden, Sonder- zu Demotivation und mangelnder Belastbarkeit der schichten, versagte Urlaubswünsche, Vorgangsstapel) Beamten, was ein gereiztes Verhalten und eine rabiate als eine von verschiedenen Konsequenzen des Kosten- Vorgehensweise im beruflichen Alltag begünstigt.“133 und Rationalisierungsdrucks. Ergänzt werden die Auch das Ausmaß an so genannten inneren Kündi- genannten Faktoren durch zwar nicht von der gungen ist bei der Polizei im Durchschnitt höher als in Organisation hervorgerufene, oft aber von ihr auch anderen Berufsgruppen134. nicht aufgefangene Frustrationspotenziale ob einer (vermeintlichen) Sinnlosigkeit der Arbeit, die durch Als weitere Ebenen für die potenzielle Gefahr der eine „zu liberale“ Justiz angeblich entwertet wird. Der Begehung von Menschenrechtsverletzungen werden festgenommene, freigelassene, wieder festgenommene im Folgenden die Anforderungen und Dynamiken in und dann erneut freigelassene Drogendealer ist hierfür speziellen Gruppen innerhalb der Polizei betrachtet. ein Musterbeispiel. Ein verletztes Gerechtigkeitsgefühl und Rachebedürfnisse können die Folge sein. Dies lässt sich berechtigterweise als Defizit im Rechtsstaats- 3.6.2 Schutzpolizei verständnis bei den Polizistinnen und Polizisten und damit als mangelnde Professionalität interpretieren. Der Die Schutzpolizei ist der Dienstzweig, der im höchsten Blick in die Presse, manche Politikeräußerung oder Maße die klassische Polizeiarbeit repräsentiert: die Meinungsumfragen in der Bevölkerung machen aller- Gefahrenabwehr und die Kriminalitätsbekämpfung in dings die Herkunft dieser Einstellungen deutlich. Form der unmittelbaren Verfolgung. Daneben erbringt Schlimmstenfalls münden solche Haltungen in das sie zahlreiche andere Dienstleistungen für die Bevöl- „Dirty-Harry-Problem“: Polizisten üben „Ersatzjustiz an kerung sowie für andere Behörden (Amtshilfe). ihres Erachtens Bestrafung verdienenden Personen“129. Kennzeichnend für ihre Tätigkeit ist der unmittelbare

126 Schmid (1995), S. 84. 127 Ebenda. 128 Siehe auch Manzoni (2003), S. 160. Manzoni fand zwar keinen Zusammenhang zwischen diesen Faktoren und einer vermehrten Gewaltausübung, von allgemein ungünstigen Wirkungen kann jedoch ausgegangen werden. 129 Ebenda, S. 181. 130 Vgl. Mensching (2004). 131 Volkmer (2004), S. 86. 132 Siehe auch Bornewasser (2003), S.140. 133 Schweer (2004), S. 18. 134 Siehe Jiménez / Trummer (2003), S. 428. 36 Rahmenbedingungen und Handlungsfelder polizeilicher Arbeit 3.6 Ursachen für Fehlverhalten in verschiedenen Dienstzweigen und Aufgabenfeldern 3

Kontakt zu den Bürgern und Bürgerinnen. In jeder turieren, um eine angemessene Reaktion zu zeigen. Begegnung liegt sowohl die Chance einer für beide Barthel u.a. drücken dies so aus: „Für polizeiliches Seiten positiv verlaufenden Kommunikation als auch Handeln ist das Entscheiden in komplexen, unbe- das Risiko von Konflikten und deren Eskalation, von stimmten, intransparenten und eigendynamischen wechselseitigen Frustrationen bis hin zu Angriffen auf Situationen signifikant.“136 Zwangsläufig müssen die Beamten und Übergriffen durch die Beamten. Ne- Polizisten dabei auf bekannte Muster zurückgreifen, ben den schon erörterten Ursachen polizeilichen Fehl- die der jeweiligen Situation oft jedoch nicht gerecht verhaltens (Cop Culture, Führungshandeln) sind für werden. So kann es zu Fehlern in der Situationsbe- die Schutzpolizei einige Spezifika zu betrachten. wertung kommen, die sich in unangemessenen Reak- tionen niederschlagen. „Prekär wird es, wenn die Zunächst gilt es, die Vielfältigkeit und teilweise Un- Routine versagt und die routinierte Krisenbewältigung entschiedenheit schutzpolizeilicher Einsatzsituationen selbst in die Krise gerät.“ Dies bedeutet, dass es auch zu beachten. Hieraus resultiert ein teilweise sehr von den Fähigkeiten zur „Dependenz- und Komponen- schmaler Grat zwischen gerechtfertigtem Eingriff und tenanalyse“137 abhängt, wie viele Handlungsalter- Fehlverhalten bis hin zum Übergriff. Zwei Beispiele nativen erkannt werden und ob in der Folge richtig sollen das verdeutlichen. Um mit bestimmten entschieden wird oder ob falsche Entscheidungen Zielgruppen ins Gespräch zu kommen, müssen sich eventuell zu Eskalationen bis hin zu Menschenrechts- Polizisten oft einer den Gruppen angepassten, legeren verletzungen führen. Teilweise steht dies im Zusam- Sprache bedienen, um ernst genommen zu werden. menhang mit dem Aufrechterhalten von Autorität. Von dort bis zu beleidigenden Äußerungen ist es nur Dieser wichtige Teilaspekt wird unten ausführlicher ein kleiner Schritt. Bei einer Festnahme müssen mitun- diskutiert. ter Handfesseln angelegt werden. Ein zu festes Anlegen erfüllt den Tatbestand der Körperverletzung Das folgende Spezifikum hat die Schutzpolizei mit im Amt – hierfür reicht eine minimale Bewegun aus. den nächsten drei zu betrachtenden Gruppen gemein- Richtlinie für menschenrechtskonformes Verhalten ist sam. Dem Umstand, dass Polizisten in (lebens-)gefähr- wiederum auch das individuelle Ethos, das Einfühlungs- liche Situationen kommen (können) und dass ihnen vermögen einschließen muss. Hier erweist es sich als dies auch bewusst ist, kann nicht genug Aufmerk- Problem, dass der Umgangsstil und die Wertmaßstäbe samkeit gezollt werden. Die Cop Culture ist sehr stark an den Normen der eigenen Gruppe der Polizeibeam- unter diesem Fokus zu sehen. Ohne Zweifel hat hier ten – in der Regel uniformierte und weiße deutsche die Verbundenheit der Polizisten untereinander ihre Männer zwischen 20 und 40 Jahren – gemessen wird. kräftigsten Wurzeln. Verstärkend wirkt zudem die Ob es sich um polizeiliche Arbeit mit Kindern und Annahme, von der restlichen Bevölkerung darin weit- Frauen als Opfer oder mit Menschen mit anderen gehend unverstanden zu sein. Dieses Gefahrenbe- Gewohnheiten und Lebensstilen handelt – „je weiter wusstsein kann insbesondere nach Vorkommnissen, entfernt das Gegenüber vom Bild der eigenen Identi- bei denen Polizeibeamte verletzt wurden oder starben, tät und der Versicherung dieser Identität in der Gruppe zur Überbewertung einer Gefahr führen und somit der Kollegen ist, desto problematischer kann sich die wiederum Fehlverhalten begünstigen. Der Grad dieses Kommunikation gestalten, desto größer können die permanenten Misstrauens wird teilweise als Paranoia Ängste in solchen Begegnungen werden.“135 Und desto bezeichnet138. Hinzu kommt bei Einigen Angst auf- größer ist natürlich auch die Gefahr von Missver- grund eigener Opfererfahrungen. Angst kann Hand- ständnissen. lungsunsicherheit erzeugen, aus der heraus zum Beispiel unverhältnismäßige Gewalt angewendet Einsatzsituationen der Schutzpolizei weisen oft ein wird. Manzoni machte einen starken Zusammenhang hohes Maß an Unübersichtlichkeit und Unentschie- zwischen Opfererfahrungen und Gewaltanwendungen denheit auf. Die Polizistin und der Polizist sind gefor- bei Polizisten aus139. dert, in kürzester Zeit komplexe Situationen zu struk-

135 Büttner (2002), S. 11. 136 Barthel u.a. (2003), S. 33. 137 Unter Dependenz- und Komponentenanalyse wird die Fähigkeit verstanden, die Einzelfaktoren einer Situation und ihre wechselseitige Abhängigkeit zu erkennen. Siehe hierzu Barthel u.a. (2003), S. 35. 138 Siehe Chan (2003), S. 252–253. 139 Siehe Manzoni (2003), S. 176. 37 Rahmenbedingungen und Handlungsfelder polizeilicher Arbeit 3 3.6 Ursachen für Fehlverhalten in verschiedenen Dienstzweigen und Aufgabenfeldern

3.6.3 Besondere Einsatzgruppen und Beruf nachhaltig von den ersten Praxiserlebnissen Sondereinheiten geprägt werden, eine Konfrontation mit den Schatten- seiten des Berufs überwiegt, während die Erlebnisse Eine weitere Gruppe stellen Einsatzgruppen zur Be- positiv gefärbter Bürgerkontakte, wie sie die Schutz- kämpfung der Straßenkriminalität dar. Je nach Region polizei eher hat, Ausnahmen sind. Behr macht auf diese und Lage handelt es sich um ständige oder zeitweilig Effekte aufmerksam. Er fand heraus, dass bei einem existierende Organisationseinheiten, die in Zivil Dienst seiner Probanden ausländerfeindliche Einstellungen mit versehen. Schweer weist für diese Gruppe, die er als vielen negativ gefärbten Kontakten aus dessen Zeit Jäger bezeichnet, als besondere Risikofaktoren Ten- bei der Bereitschaftspolizei zusammenhingen145. denzen zur Stereotypisierung, selektiven Wahrnehmung, zu Vorurteilen und einer daraus resultierenden Kontroll- Insgesamt ergibt sich eine besonders große Verant- praxis einschließlich teilweiser Vorverurteilung aus140. wortung für die Führungskräfte. Ob die Risikofaktoren Hinzu kommen höhere Handlungs- und Entscheidungs- beherrscht werden oder negativ zum Tragen kommen, autonomie und geringere formelle und informelle ist nicht zuletzt eine Frage der Organisationskultur. Sozialkontrolle, da sich die Beamten in szeneange- So können in sehr ähnlich strukturierten Einheiten passter Zivilkleidung bewegen. durch das Wirken der Führungskräfte unterschiedliche Atmosphären erzeugt werden146. Die Bereitschaftspolizei und andere geschlossene Ein- satzeinheiten in Formation weisen die Besonderheit Eine gesteigerte Wirkung einiger der beschriebenen auf, dass das Eingebundensein in die Menge, in die Faktoren ist bei den Sondereinheiten (zum Beispiel Mo- „Front“, einerseits zur Entindividualisierung beiträgt bile Einsatzkommandos – MEK, Spezialeinsatzkomman- und somit die Gefahr der Verantwortungsdiffusion do – SEK) zu vermuten. Allerdings liegen für diese wächst. Andererseits kann sich die Nähe zu militäri- Organisationsbereiche die wenigsten sozialwissen- schem Vorgehen dahingehend auswirken, dass solda- schaftlichen Forschungsbefunde vor. Nur schlaglicht- tische oder archaische Verhaltensmuster aktualisiert artig beleuchten Einzelinformationen problematische werden, wie zum Beispiel die Sicht auf das polizeili- Handlungsmuster. Verwiesen sei auf Presseberichte che Gegenüber als „Feind“, der „bekämpft“ werden über unnötig brutales Vorgehen bei Einsätzen von muss141. Begünstigt wird diese Kultur durch die auch Sondereinheiten147. Ein anderes derartiges „Schlag- heute noch teilweise vorzufindende Kasernierung. Im licht“ stellt eine Information aus einem privaten sozial abgeschotteten Raum tragen Männerrituale Sicherheitsunternehmen dar. Dort nahmen Ausbilder und der entsprechende Sprachgebrauch, tradierte für MEK/SEK Schulungen der Mitarbeiter zum Schuss- Mythen über „heiße Einsätze“ und anderes mehr zu waffeneinsatz vor. Im Verlauf des Seminars propagier- einer spezifischen Form von „aggressiver Krieger- ten sie die Auffassung, dass es das Beste sei, einen männlichkeit“142 bei. Bezogen auf die Frauen in der bewaffneten Angreifer möglichst zu erschießen, Bereitschaftspolizei gilt wahrscheinlich143 gerade für damit „es nur einen Zeugen“ gäbe. Erst nach Inter- diesen Bereich, was Kloweit-Herrmann (2004) als vention von Führungskräften des Sicherheitsunter- Anpassung an „von männlichen Verhaltensweisen nehmens äußerten sie derartige menschenverachtende durchdrungene polizeiliche Berufs- und Lebenswelt“ Positionen nicht mehr. Andererseits liegen Erfah- bezeichnete144. Es liegt auf der Hand, dass damit die rungsberichte von ehemaligen Mitgliedern solcher Gefahr systematischen Fehlverhaltens wächst. Oft steht Einheiten vor, die für einen sehr verantwortungsbe- der Dienst in der Bereitschaftspolizei am Anfang der wussten Umgang mit dem Thema Gewaltbegrenzung Berufslaufbahn. Eine Folge davon kann sein, dass gera- und Übergriffe sprechen. de in einer Zeit, in der die Einstellungen zum eigenen

140 Siehe Schweer (2004), S. 11. 141 Siehe Behrendes (2003), S. 163ff. 142 Behr (2000), S. 26–28. 143 Genauere Befunde hierzu sind nicht bekannt. 144 Kloweit-Herrmann (2004), S. 53–54. 145 Siehe Behr (2000), S. 151. 146 Ebenda, S. 181. 147 Eines der letzten spektakulären Beispiele aus Berlin war der SEK-Einsatz gegen einen mutmaßlichen Einbrecher, dem bei der Festnahme in seiner Wohnung von SEK-Beamten 27 Verletzungen beigebracht wurden. Vgl. Diederichs (2005), S. 22. 38 Rahmenbedingungen und Handlungsfelder polizeilicher Arbeit 3.7 Autorität – Frustration – Aggression 3

Ein weiterer kritischer Faktor innerhalb dieser Einhei- und zu sichern. In vielen Verfahren (zum Beispiel oft ten ist der Expertenstatus. Die hohe Spezialisierung bei einfachen Körperverletzungen, Sexualdelikten, und auch die geheimhaltungsbedingte Abschottung aber auch bei einfachen Eigentumsdelikten) mangelt führen zu Sichtweisen wie „Wir sind die Experten; wir es an Sachbeweisen. Die Beschuldigtenvernehmung wissen was richtig ist; der Erfolg wird uns Recht ist dann die einzige Chance, die Tat aufklären zu können. geben“. Die Folgen solcher Ansichten sind: Resistenz Eifer und mangelnde Rechtsgebundenheit können die gegen Kritik, Verniedlichung von Gefahren, extrem Kriminalistin oder den Kriminalisten dazu verführen, selektive Blickwinkel und eine Generalisierung der die Grenzen der erlaubten Vernehmungsmethoden zu eigenen Kompetenzen – Faktoren, die durchweg als überschreiten und Bedrohungen und Gewalt einzu- risikoerhöhend für Fehlverhalten anzusehen sind148. setzen. Daneben gibt es auch hier das „Dirty-Harry- Die extreme Widersprüchlichkeit der Einzelbefunde Problem“: Kriminalisten maßen sich an, dass ein Ver- lässt es notwendig erscheinen, diese Einheiten in nommener es durch sein Verhalten „verdient“ habe, Zukunft genauer zu untersuchen. geschlagen oder beleidigt zu werden. Sie können dar- über hinaus in der Regel davon ausgehen, dass der- artiges Fehlverhalten nicht bewiesen beziehungs- 3.6.4 Kriminalpolizei weise nicht geahndet werden kann.

Die Kriminalpolizei nimmt in gewisser Weise eine In Zeugenvernehmungen besteht darüber hinaus die Sonderstellung ein. Kriminalistinnen und Kriminalisten Gefahr des unsensiblen Umgangs mit Opfern und gelten einerseits wegen ihres überwiegend hohen Zeugen. Kriminalistinnen und Kriminalisten können Bildungsstandes (gehobener Dienst) und andererseits dazu tendieren, Zeugen als „Informationsquellen“ zu aufgrund der Tatsache, dass ihre Arbeit in hohem Maße instrumentalisieren. Die ungenügende Berücksichti- „Schreibtischarbeit“ ist, als „kopfarbeitende“ Polizisten. gung zum Beispiel von Gewalterfahrungen bei Frauen Sie werden von den Angehörigen der zuvor beschrie- und Kindern kann dann bei den Betroffenen unter benen Gruppen überwiegend als zum bürokratischen Umständen zu erneuten psychischen Verletzungen Überbau zählend gesehen. Verantwortlich für diese (sekundäre Viktimisierung) führen. Sicht ist auch der Umstand, dass uniformierte Polizis- ten oft Zuarbeiten für die Kriminalpolizei leisten müs- Ein weiteres Risiko, Menschenrechte zu verletzen, be- sen (Sicherungen, Festnahmen) und Kriminalisten sich steht im unverhältnismäßigen Einsatz von Ermittlungs- mitunter überheblich gegenüber ihren uniformierten und Überwachungsmethoden. Stichworte hierzu sind Kolleginnen und Kollegen verhalten. Andererseits hat beispielsweise „großer Lauschangriff“ oder der Einsatz die kriminalistische Arbeit „Handarbeits-Anteile“ wie verdeckter Ermittler bis in die Intimsphäre hinein149. etwa die Tatortarbeit oder die Durchsuchung. Ange- Die Tatsache, dass auch auf diesem Gebiet die Grenze hörige der Kriminalpolizei haben gleichfalls viel direk- zwischen gerechtfertigtem und rechtsverletzendem ten Kontakt zu Bürgern und Bürgerinnen, wie etwa Handeln fließend ist, unterstreicht die Notwendigkeit bei der Vernehmung von Zeugen und Beschuldigten. einer aufgabenbezogenen Menschenrechtsbildung. Diese Kontaktaufnahme erfolgt meistens aber unter entspannteren Umständen als beim Einsatz auf der Straße. 3.7 Autorität – Frustration – Aggression Die Vernehmungssituation stellt wiederum innerhalb der kriminalistischen Arbeit ein besonderes Risiko für Alle operativ handelnden Polizistinnen und Polizisten Fehlverhalten dar. Oft sind Vernehmerin oder Vernehmer wollen ihre Autorität aufrechterhalten. Dies haben mit den zu vernehmenden Personen allein in einem Alpert und Dunham nachgewiesen150 und dafür den Raum. Angehörige der Kriminalpolizei unterliegen dem Begriff authority maintenance geprägt. Angriffe auf ihre Aufklärungsdruck. Ihre Aufgabe ist es, bei Straftaten Autorität können Polizistinnen und Polizisten schwer zu ermitteln und Beweise für eine Täterschaft zu finden aushalten, da sie ihnen aus dem traditionellen poli-

148 Siehe auch Ahlf (1997), S. 67-68; er zitiert Illich mit der Aussage, dass sich Experten „ethisch nur sehr schwer disziplinie- ren lassen“. 149 Hierzu schildert Kauß einen gerichtlich festgestellten eklatanten Rechtsbruch durch ein LKA. Vgl. Kauß (2005). 150 Vgl. Alpert / Dunham (2004). 39 Rahmenbedingungen und Handlungsfelder polizeilicher Arbeit 3 3.7 Autorität – Frustration – Aggression

zeilichen Rollenverständnis heraus als unhinterfrag- beamten“153 dürften diese Mechanismen in einigen bar erscheint. Des Weiteren verlangt der dienstliche Fällen schon habitualisiert eine Rolle spielen. Auftrag in vielen Situationen von ihnen, sich durch- zusetzen. Im Vergleich zur Autorität, die sie anderen Auch auf einen weiteren psychologischen Mechanis- (zum Beispiel als Älterem, als Frau, aufgrund des sozi- mus sei in diesem Zusammenhang hingewiesen. Nach alen Status) zugestehen, erleben Polizisten die eigene Dollard führt Frustration zu Aggressionsbereitschaft154. Autorität als höherwertig. Sie empfinden eine nahezu In den vorangegangenen Kapiteln wurde auf ver- uneingeschränkte Notwendigkeit, diese Autorität schiedene Frustrationsquellen aufmerksam gemacht. bestätigen zu müssen. Dies kollidiert unter Umstän- Daneben beinhaltet der Dienstalltag weiteres Frustra- den mit der Haltung der Bürger und Bürgerinnen, die tionspotenzial, zum Beispiel in Form von konflikthaften ihre Autorität ebenfalls wahren möchten. „Der Anspruch Kontakten mit Bürgern und Bürgerinnen. Je nach indi- eines Beteiligten, dass seine angenommene Autorität vidueller Disposition wächst die Gefahr, die Beherr- geachtet wird, ist ein kritischer Faktor, der den Aus- schung zu verlieren und die Aggression droht sich zu gang der Begegnung bestimmt (zum Beispiel die entladen. Dabei trifft es nicht immer den Verursacher Nutzung von Gewalt oder Widerstand).“151 der Frustration, sondern nicht selten unbeteiligte Dritte. Es kommt zu einer so genannten Aggressionsver- In der Interaktion zwischen Bürgern bzw. Bürgerinnen schiebung. Personen mit einer „geringen Beschwerde- und Polizisten bzw. Polizistinnen gibt es oftmals keine macht“155 sind dafür besonders prädestiniert. Dabei echte Gegenseitigkeit im Anerkennen von Autorität. kann es auch dazu kommen, dass der aggressiv han- Tatsächliche oder vermeintliche Angriffe auf die delnde Beamte Spaß an seiner Handlung hat. Die Autorität treffen auf eine Disposition zum Gegen- Möglichkeit, beim Ausüben von Aggression und angriff. Das mündet immer wieder in Konflikte, in machtbasierter Gewalt Spaß oder Lust zu empfinden, deren Rahmen die Berechtigung der Forderung, die besitzt potenziell jeder Mensch. Hier können nun ver- Kompetenz der Beamtin oder des Beamten oder auch hängnisvolle Kreisläufe in Gang gesetzt werden: Ein Einzelheiten der Vorgehensweise infrage gestellt Polizeibeamter hat unrechtmäßig aggressiv gegen werden (können). Es liegt nahe, die authority mainte- einen Bürger gehandelt. Einerseits empfand er in der nance-Theorie mit der psychologischen Gesetzmäßig- Situation Befriedigung über sein Handeln, anderer- keit von der „sich selbst erfüllenden Prophezeiung“ zu seits erfolgt durch andere oder durch ihn selbst eine verknüpfen152. Die Beamtin oder der Beamte befürch- nachträgliche Bewertung dieses Handelns als unan- tet einen Angriff auf ihre/seine Autorität und ist gemessen. Dieses Eingeständnis eines Fehlers wiede- latent zum Gegenangriff bereit. Der Bürger empfindet rum wird als Beeinträchtigung des Selbstwertgefühls überwiegend unbewusst über die Körpersprache das erlebt, das den Wunsch nach Kompensation weckt. polizeiliche Verhalten entweder als Unsicherheit oder Ein Kompensationsversuch kann letztlich zu einem als Angriffsbereitschaft. Das wiederum sieht er als neuerlichen Übergriff führen. Daher müssen Polizis- Chance an, die eigenen Interessen aggressiv durchzu- tinnen und Polizisten mehr als der Durchschnitts- setzen oder aber sich (angreifend) zu verteidigen. bürger lernen, derartige Antriebe zu beherrschen. Hieraus ergibt sich ein hohes Potenzial für tatsächlich oder vermeintlich provoziertes polizeiliches Fehlver- Es kann nicht davon ausgegangen werden, dass Poli- halten. Außerdem setzt in solchen Situationen oft zistinnen im Vergleich zu ihren männlichen Kollegen eine Dynamik ein, die als „Eskalationstreppe bezeichnet ein geringeres Aggressivitätspotenzial aufweisen. wird: Über die Stufen „Emotionalisierung“, „Personali- Neuere Forschungen belegen, dass Frauen wie sierung“ und „Radikalisierung“ kommt es zum Gewalt- Männer innerhalb eines Kulturkreises in etwa glei- ausbruch. Insbesondere bei so genannten „Widerstands- chem Maße aggressiv sind. Im Allgemeinen zeigt sich

151 Alpert / Dunham (2004), S. 179 (Übersetzung durch den Autor). 152 Alpert und Dunham machen das, ohne es direkt zu benennen, ebenfalls, indem sie darauf hinweisen, dass Polizistinnen und Polizisten abhängig von der Einsatzart bereits einen höheren Widerstand erwarten. Siehe Alpert / Dunham (2004), S. 72-74 und S. 184. 153 Polizeibeamte, die häufiger als andere Bürger wegen Widerstand anzeigen. Der Begriff wird unter 3.11 näher erklärt. 154 Dollard hier zitiert nach Yates (1993), S. 642–643. 155 Das bedeutet: Der Polizeibeamte hält die Wahrscheinlichkeit, dass sich diese Person über einen Übergriff beschwert, für gering – zum Beispiel bei Obdachlosen, Unterschichtangehörigen, manchen Jugendlichen. 40 Rahmenbedingungen und Handlungsfelder polizeilicher Arbeit 3.8 Selbst- und Fremdbilder der Polizei 3

diese Aggressivität jedoch unterschiedlich: „Der den meisten Bundesländern gibt es mittlerweile Be- instrumentelle Einsatz von Aggression ist für die amte, die sich mit Kinderpornografie im Internet weibliche Rolle nicht vorgesehen.“156 Dies kann zu beschäftigen. Diese Polizistinnen und Polizisten müssen autoaggressivem statt fremdaggressiven Verhalten sich einen erheblichen Teil ihrer Dienstzeit Bilder der führen. Ob diese Unterschiede durch das Ausfüllen widerwärtigsten Art ansehen. Was passiert mit ihren der Polizeirolle wieder nivelliert werden, ist unklar. Gefühlen, all dem Ekel, der Abwehr, dem Hass auf die Künftige Untersuchungen zur Polizeigewalt sollten Täter? Was geschieht, wenn sie entdecken müssen, dieser Frage nachgehen. dass einzelne Darstellungen sie auch erregen? Wie verändert sich ihr Menschenbild? Vereinzelt wird diese Problematik dadurch aufgefangen, dass die Beamten Umgang mit Gewalterfahrungen und traumati- und Beamtinnen, die solche Tätigkeiten ausüben, sierenden Erlebnissen psychologisch begleitet werden (zum Beispiel durch Supervision). Mit diesem Beispiel soll verdeutlicht wer- Polizisten und Polizistinnen aller Dienstzweige sind in den, dass Polizistinnen und Polizisten mit den ex- der Verarbeitung einschneidender Erlebnisse häufig auf tremsten Seiten unserer Gesellschaft hautnah konfron- sich gestellt. Für die wesentlichsten Traumata (wie tiert sind, mit Realitäten, über die der Durchschnitts- etwa nach einem Todesschuss oder dem Tod von bürger allenfalls durch Presseberichte vage Kenntnis Kolleg/innen) gibt es zwar in der Regel psychologische hat. Den Bürgern und Bürgerinnen ist es allerdings im Unterstützung durch die Organisation. Die jedoch Gegensatz zu Polizeibediensteten erlaubt, wegzusehen, ebenfalls Spuren hinterlassende alltägliche Konfron- sich damit im Detail nicht zu befassen. Der Verweis, tation mit den Schattenseiten der Gesellschaft gerade der Polizist habe sich seinen Beruf selbst ausgesucht, in den Problemvierteln der Großstädte bleibt zumeist ändert nichts daran, dass solche Umstände Spuren in unbearbeitet. „Man kann im Verhaltenstraining den dessen Persönlichkeit hinterlassen. Nicht immer verfü- Umgang mit randständigen Personen thematisieren, gen Polizistinnen und Polizisten über die nötigen per- aber nicht den Ekel simulieren, den ein im U-Bahn- sönlichen Kompetenzen, um mit solchen Erlebnissen schacht liegender, nach Urin, Kot und Erbrochenem fertig werden zu können, oder über hinreichende pro- stinkender alkoholkranker Mensch hervorruft.“157 Als fessionelle Begleitung. Meistens sind sie in der Bewäl- Folge patriarchalischer Muster dominiert oft noch der tigungsarbeit sich selbst überlassen. Das kann wiederum Spruch: „Ein Mann steckt das weg.“ Untersuchun- Fehlverhalten begünstigen, zum Beispiel bei der Fest- gen158 zeigen hingegen, dass belastende Ereignisse in nahme eines Kindesmissbrauchstäters. der Tendenz zu Unsicherheit in der Berufsausübung führen. Letzteres stellt, wie vorher ausgeführt, einen Risikofaktor für Fehlverhalten dar. Polizisten sprechen meistens nicht miteinander über Themen wie Stress- 3.8 Selbst- und Fremdbilder der Polizei bewältigung oder den Umgang mit belastenden Situ- ationen159. Zu der Frage, ob Polizistinnen hierzu grund- Die Übereinstimmung von Selbstbild und Fremdbild sätzlich andere Strategien haben, liegen keine hinrei- ist ein wesentlicher Faktor für ein stabiles Selbstwert- chend gesicherten Erkenntnisse vor. Die Folgen von gefühl160. Die Faktoren, die auf die Selbstbilder der unprofessioneller Verarbeitung sind häufig Tendenzen Polizistinnen und Polizisten wirken, wurden bereits zum Zynismus, zur Depression sowie zum Alkohol- beschrieben – vom inneren Polizistenbild aus der missbrauch. Dies wirkt sich wiederum auf das eigene Kindheit bis zu den Verinnerlichungen der Cop Handeln aus. Gefährliche Abwärtsspiralen bis hin zum Culture. Das Fremdbild der Polizei ist hauptsächlich Verschwimmen der Grenzen zwischen Legalität und von zwei Faktoren geprägt: von den Erlebnissen, die Unrecht, zwischen Polizei und Kriminellen können das Menschen mit der Polizei haben, und von Medien- Resultat sein. darstellungen. Dabei ist das mediale Bild von der Polizeiarbeit wenig von der polizeilichen Realität Die Problematik hat eine weitere Facette, die an beeinflusst. „Unklar ist für viele, was ‚Polizisten’ wirk- einem gravierenden Beispiel illustriert werden soll. In lich tun, wenn sie ihre tägliche Arbeit verrichten.“,

156 Schmerl zitiert bei Etzold (2001). 157 Behrendes (2003), S. 163. 158 Vgl. zum Beispiel Krampl (2003), S. 441. 159 Siehe hierzu Steinbauer u.a. (2002), S. 166. 160 Siehe Birkenbihl (1994), S. 36–38. 41 Rahmenbedingungen und Handlungsfelder polizeilicher Arbeit 3 3.9 Polizeiberichte / 3.10 Legalitätsprinzip

stellte Schmid im Jahre 1995 fest161. In den letzten Jahren wird die Polizeiarbeit im Fernsehen zunehmend 3.9 Polizeiberichte in so genannten Doku-Soaps dargestellt162. Diese Sendungen haben nicht zum Ziel, einen realistischen Eine Sonderrolle bei der Betrachtung der polizeilichen Einblick in die alltägliche Polizeiarbeit zu geben, son- Handlungsfelder spielt der polizeiliche Bericht. Poli- dern werden in erster Linie von Inhalten, die die Ein- zistinnen und Polizisten lernen sehr früh, wie Berichte schaltquoten erhöhen, bestimmt. Dennoch besitzt die zu verfassen sind, damit kein Ärger entsteht. Hierfür Polizei innerhalb der Bevölkerung überwiegend ein stehen Begriffe wie „hermetisches Vertexten“165 oder gutes Image, wie Umfragen immer wieder belegen. „intelligentes Kaschieren“166. Die wesentliche Strate- Dies wird von Polizisten und Polizistinnen allerdings oft gie laute: möglichst vage formulieren, am besten anders gesehen. Sie fühlen sich zu großen Teilen unver- unter Verwendung allgemeiner juristischer Termini, standen und vermuten ein eher schlechtes Image163. und Einzelheiten, die verfänglich sein könnten, weg- Als Hintergründe werden einerseits hauptsächlich die lassen. Polizeibeamte müssen über die meisten ihrer Vielzahl problembehafteter Kontakte zu Bürgern und dienstlichen Handlungen Berichte verfassen. Daraus Bürgerinnen im Rahmen der Polizeiarbeit vermutet. resultiert der Zwang zur Ökonomie: Zu viele Details zu Andererseits sind hier auch polizeiimmanente Ab- schreiben würde zu viel Zeit kosten, was zulasten der grenzungstendenzen relevant. operativen Polizeiarbeit ginge. Berichte schreiben zu müssen, wird außerdem von Vielen als lästige Pflicht Kritik durch die Medien wird von Polizeibeamten als angesehen. Die Gefahr ist darin zu sehen, dass unter ein wesentlicher Belastungsfaktor erlebt164. Sie ten- Umständen wesentliche Details weggelassen oder be- dieren dazu, diese als generellen Angriff auf ihren wusst falsche, in der Regel verharmlosende Eindrücke Berufsstand zu erleben. Verantwortlich hierfür dürften erzeugt werden. Behr liefert hierfür eindrucksvolle zum einen die mangelhafte Fehlerkultur, zum anderen und durchaus auch differenzierte Beispiele167. Für die eventuell noch vorhandene Reste von obrigkeitsstaat- Bewertung polizeilichen Handelns nach menschen- lichem Denken sein, das jedes In-Frage-Stellen der rechtlichen Standards sind die entsprechenden Be- Autorität nicht akzeptieren kann. Andererseits be- richte in aller Regel daher wenig geeignet. Besonders kommen Polizeibeamte, die mit Journalistinnen oder hoch ist dabei die Gefahr, dass Verletzungen des Journalisten sprechen, immer wieder Schwierigkeiten Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit168 bei Festnah- mit Vorgesetzten, die einen offenen Umgang mit den men und anderen Gewaltsituationen durch entspre- Medien scheuen. Beide Aspekte verdienen insbeson- chende Berichtabfassung überdeckt werden. dere im Zusammenhang mit Übergriffen gegenüber Journalisten Aufmerksamkeit.

In Zusammenschau der letzten Absätze lässt sich 3.10 Legalitätsprinzip feststellen, dass die geschilderten Beeinträchtigungen des Selbstwertgefühls bei einem Teil der Beamten zu Eine wichtige Rahmenbedingung polizeilichen Han- einer solch starken Verunsicherung führen können, delns ist das Legalitätsprinzip. § 163 StPO verpflichtet dass hierdurch die Gefahr für Fehlverhalten deutlich jeden Polizeibeamten und jede Polizeibeamtin, Straf- gesteigert wird. taten, die ihm beziehungsweise ihr zur Kenntnis gelan- gen, zur Anzeige zu bringen. Wird diesem Gebot nicht gefolgt, kann strafrechtliche Verantwortlichkeit wegen Strafvereitelung im Amt (§ 258a StGB) die Folge sein. Dieser Strafverfolgungszwang, wie er auch genannt

161 Schmid (1995), S. 51. 162 Wie zum Beispiel „Toto & Harry“ des Privatfernsehsenders Sat.1. 163 Siehe Löbbecke (2004), S. 35. 164 Siehe Manzoni (2003), S. 175. 165 Behr (2000), S.199. 166 Haselow / Schümchen (2004), S. 290. 167 Siehe Behr (2000), S. 199–202. 168 Nur soviel Gewalt anwenden, wie unbedingt nötig und der Sache angemessen ist. 42 Rahmenbedingungen und Handlungsfelder polizeilicher Arbeit 3.11 „Widerstandsbeamte“ 3

wird, ist Ausdruck des staatlichen Willkürverbots und jungen Kollegen und droht dem Vorgesetzten mit einer sorgt für Rechtssicherheit: Es bleibt nicht dem Belieben Gegenanzeige wegen Strafvereitelung im Amt. In der des einzelnen Beamten oder der einzelnen Beamtin Konsequenz kann das Legalitätsprinzip also differen- überlassen, ob Personen wegen strafbarer Handlungen zierte Auseinandersetzungen mit Fehlverhalten unter zur Verantwortung gezogen werden. Andererseits ver- Polizistinnen und Polizisten erschweren. Hierauf wurde pflichtet er Polizeiangehörige, die Kenntnis von straf- schon von verschiedener Seite aufmerksam gemacht171. barem Fehlverhalten ihrer Kollegen oder Kollegin haben, Lösungsansätze zu diesem Dilemma sind jedoch rar. Es diese immer anzuzeigen. Das erschwert andere, mög- geht darum, den Rahmen des Legalitätsprinzips nicht licherweise wirkungsvollere Formen der Auseinander- zu verlassen. Die Herausforderung ist jedoch, dennoch setzung mit eher geringfügigem Fehlverhalten. Um Reflexionsprozesse über Fehlverhalten im polizei- dies zu verdeutlichen, sei Behrendes mit einem über- lichen Alltag anzuregen und legal zu ermöglichen, um zeugenden Beispiel zitiert: „Fällt der Polizeibeamte kritische Situationen innerhalb des Kollegenkreises seinem Kollegen beim ersten Versuch, einen Festge- kommunizierbar zu machen und um gemeinsam an nommenen zu schlagen, erfolgreich in den Arm, hat er Lösungen zu arbeiten. ihn gleichwohl anschließend anzuzeigen, denn auch die versuchte Körperverletzung im Amte ist strafbar. – Die für sich genommen rechtlich und ethisch gerecht- fertigten Anforderungen an einen Polizeibeamten 3.11 „Widerstandsbeamte“ stellen in der Lebenswirklichkeit psychosoziale Über- forderungen dar.“169 Der Begriff des „Widerstandsbeamten“ ist den meisten Polizistinnen und Polizisten vertraut. Viele kennen Vielfältige sozialwissenschaftliche Befunde verweisen Kollegen, die sie unter diese Kategorie subsumieren darauf, dass sich Einstellungen nur in einem längeren würden. Außerhalb der Polizei ist der Begriff erklä- Bewusstseinsprozess verändern. Für diesen Prozess rungsbedürftig. In vielen polizeilichen Einheiten gibt wirkt sich die Angst vor den strafrechtlichen und es einzelne Beamte, die häufiger als ihre Kolleginnen dienstrechtlichen Konsequenzen in der Regel kontra- und Kollegen Anzeigen gegen Bürger wegen Wider- produktiv aus: Sie erzeugt Vermeidungsverhalten und stands gegen Vollstreckungsbeamte (§ 113 StGB) er- Verdrängung, Wegsehen und Vertuschen. Hinzu tritt, statten. Diesen Anzeigen gingen häufig Anzeigen oder dass im Falle der Prüfung strafrechtlicher Konsequen- Beschwerden der betroffenen Bürger voraus: Sie fühlten zen am Ende ganz überwiegend die Einstellung des sich als Opfer von Diskriminierungen oder Übergriffen. Verfahrens aus Mangel an Beweisen oder wegen Ge- Was wie ein absurdes juristisches Spiel anmutet, hat ringfügigkeit steht. Oft liegt dabei der Verdacht einer wiederum das Legalitätsprinzip als Hintergrund. Poli- offenkundigen Billigung des Vertuschens durch die zisten sind mit Einschränkungen nur gerechtfertigt, Staatsanwaltschaft nahe, wie Singelnstein heraus- Gewalt anzuwenden, wenn ihren Maßnahmen Wider- fand170. Die Einstellung des Verfahrens ist die offizielle stand entgegengesetzt wird oder wenn sie oder andere Bestätigung der Nichtschuld. „Alles in Ordnung“, lautet angegriffen werden. Diese Taten haben sie nach dem damit die Botschaft. Eine echte Auseinandersetzung Legalitätsprinzip anzuzeigen. Damit wird der Recht- unterbleibt oder steht unter dem Risiko späterer fertigungsgrund aktenkundig. strafrechtlicher Verantwortlichkeit. Hinzu tritt prinzi- pielle Erpressbarkeit. Auch dazu ein Beispiel: Ein Dienst- Nicht immer sehen Polizeibeamtinnen und Polizeibe- gruppenleiter beobachtet, wie ein ihm unterstellter amte für dieses bürokratische Prozedere eine Not- junger Polizist die Handfessel bei einem Festge- wendigkeit – zu belanglos erschienen ihnen die Hand- nommenen zu fest anlegt. Er wertet dies mit dem lungen beider Seiten. Sie bevorzugen die „informelle Kollegen aus, da er als Grund für das Verhalten man- Erledigung“ und fertigen höchstens einen Vermerk an. gelnde Erfahrung sieht. Als er einem erfahrenen Kolle- Erst wenn sie mit Anzeigen oder Beschwerden der gen wegen des gleichen Handelns, jedoch aus eindeu- Bürger konfrontiert sind, reagieren sie ihrerseits mit tiger Diskriminierungsabsicht, mit strafrechtlichen Anzeigen wegen Widerstands, um einen Rechtsferti- Konsequenzen droht, verweist dieser auf den Fall des gungsgrund aktenkundig werden zu lassen. Die

169 Behrendes (2003), S. 172-173. 170 Vgl. Singelnstein (2003). 171 Sehr pointiert zum Beispiel durch Behrendes (2003), S. 172–174. 43 Rahmenbedingungen und Handlungsfelder polizeilicher Arbeit 3 3.11 „Widerstandsbeamte“

„Widerstandsbeamten“ nutzen nun diesen Mechanis- sofort Anzeige erstattet, ‚muss’ weiter schweigen, um mus häufiger als andere. Es handelt sich um Beamte nicht selbst zum Täter der mit höherer Strafe bedrohten mit überproportional häufiger Opfererfahrung und Strafvereitelung im Amte zu werden.“176 Von dieser Gewalterfahrung, wie Manzoni herausfand172. Sie „Mauer des Schweigens“ gibt es erfreulicherweise mehr provozieren Widerstand oder behaupten diesen gar und mehr Ausnahmen. Immer öfter gehen couragierte nur, nachdem sie zuvor den betroffenen Bürger ange- (vor allem junge) Polizistinnen und Polizisten aktiv griffen haben. Es sind jedoch keine weiteren systema- gegen Fehlverhalten ihrer Kolleginnen und Kollegen vor. tischen Untersuchungen zu „Widerstandsbeamten“ Näher wird darauf im nächsten Absatz eingegangen. bekannt173. Fest steht: „Widerstandsbeamte“ sind als Es gibt sogar einzelne Belege, dass sich hier Wandlun- „Hochrisikogruppe“ für Menschenrechtsverletzungen gen in der Cop Culture vollziehen. Von einer Hamburger anzusehen. Wache wurde beispielsweise berichtet, dass die Poli- zistinnen und Polizisten einer Dienstschicht regelmäßig Mit dem Dilemma „ausbleibende Auseinandersetzung nach Dienstende zusammensitzen und den Dienstver- wegen drohender Strafanzeige“ ebenfalls eng ver- lauf reflektieren. knüpft ist die so genannte „Mauer des Schweigens“. Nach wie vor tendieren Polizeibeamte dazu, Fehlver- Was passiert mit den Beamtinnen und Beamten, die halten von Kollegen zu decken. Bei entsprechenden sich mit der negativen Seite der Cop Culture, mit den Untersuchungen wird regelmäßig behauptet, nichts verschiedenen Formen von polizeilichem Fehlverhalten gesehen oder gehört zu haben, oder es werden sogar nicht abfinden wollen? Hierzu gibt es eine Reihe von entlastende Falschaussagen gemacht. Dieses wech- Betroffenenberichten und Fallbeschreibungen, die selseitige Decken betrifft auch im Amt begangene zeigen, dass Gefühle der Isolation, des Geschnitten- Straftaten. Menschenrechtsverletzungen treten hier vor werdens bis hin zum massiven Mobbing sowie Suizid- allem in Form von Körperverletzungen im Amt und gedanken und -versuche auftraten177. Steht diesen diskriminierenden Beleidigungen auf. Einer der Hinter- Fällen lediglich die berüchtigte „Mauer des Schwei- gründe für die „Mauer des Schweigens“ ist im Folgen- gens“ seitens der Beamtenmehrheit gegenüber? Obwohl den zu sehen: Der Kollege oder die Kollegin sollen wenig erforscht, gibt es Anzeichen für differenziertere wegen (aus eigener Sicht) Lappalien ebenso wenig der Haltungen. So etwa bei denjenigen Polizistinnen und Strafverfolgung ausgesetzt werden, wie die eigene Polizisten, die sich zwar mit dem Schritt „offizielle Person. Hinzu treten die Wirkungen der Cop Culture: Meldung“ schwer tun, die jedoch mit Kolleginnen und Polizeibeamte, die Kollegen belasten, verletzen den Kollegen, die Fehlverhalten zeigten, die individuelle Kodex uneingeschränkter wechselseitiger Solidarität. Auseinandersetzung suchen oder ihnen einfach nur ihr Schließlich spielt auch die oben erwähnte mangelnde Missfallen signalisieren178. Eine zahlenmäßig kleinere Fehlerkultur eine Rolle. Nicht selten erhalten Polizis- Gruppe stellen Polizeibeamte und –beamtinnen dar, die tinnen oder Polizisten sogar von Vorgesetzten den sich in Nichtregierungsorganisationen wie amnesty indirekten Hinweis, doch besser den Mund zu halten international oder in lokalen Initiativen zum Beispiel oder Sachverhalte anders darzustellen174. Dass dies gegen Fremdenfeindlichkeit oder für Jugendsozialar- selbst höchste Führungsebenen betreffen kann, wurde beit engagieren. Eine dritte Gruppe versucht praktische bereits mit dem Verweis auf das Beispiel Thüringen175 Schlussfolgerungen zu ziehen und Verbesserungsvor- belegt. Die „Mauer des Schweigens“ reproduziert sich, schläge für den Dienst zu unterbreiten, die Fehlver- ähnlich der Korruption, selbst: Einmal begonnen, kann halten entgegenwirken179. Eine vierte Kategorie von nur schwer aufgehört werden. „Und wer einmal Beamten wird aktiv in den Bemühungen für menschen- geschwiegen hat, wer nicht bei einem Fehlverhalten rechtsbasiertes Verhalten, versucht dabei aber mit

172 Siehe Manzoni (2003), S. 182. 173 Psychologisch lässt sich neben den Wirkungen der Cop Culture Ich-Schwäche als Persönlichkeitsmerkmale vermuten. Die zum „Widerstand“ führenden Interaktionen können dann als eine Art „konditionierte Kompensation“ aufgefasst werden. 174 Behr schildert dazu das eindrucksvolle Beispiel einer Polizistin, die in ihrem Bericht ein eigenes Fehlverhalten klar benannte. Die Folge waren Belehrungen des Vorgesetzten und der Kollegen, wie Derartiges zu verschleiern sei. Siehe Behr (2000), S. 201–202. 175 Vgl. Kapitel 3.6.1. 176 Behrendes (2003), S. 175. 177 Vgl. Herrnkind (2004). 178 Oft in einer für die Cop Culture typischen lapidaren Form. Beer schildert ein Beispiel, bei dem ein Polizist zu einem Kollegen, der einen Ausländer diskriminierte, sagt: „Gell Klaus, in meinem Beisein nicht mehr.“ Behr (2000), S. 192. 179 Vgl. Kapitel 4.2.1, Beispiel Seminar zum „Lagebedingten Erstickungstod“. 44 Rahmenbedingungen und Handlungsfelder polizeilicher Arbeit 3.12 „Paradigmenwechsel“ und neue Leitbilder 3

den Kolleginnen und Kollegen im Kontakt zu bleiben. und das Berufsverständnis von der Pflichterfüllung bis Eine solche Initiative stellt zum Beispiel das „Bonner in die 80er Jahre des 20. Jahrhunderts. Erst die tieferen Forum BürgerInnen und Polizei e.V.“ dar, ein Dialog- Auswirkungen der gesellschaftlichen Umbrüche und kreis zwischen Polizei, Bürger- und Menschenrechts- der allgemeine gesellschaftliche Wertewandel erzeug- gruppen180. All diese Ansätze gilt es zu stützen, genau ten jene gesellschaftliche Atmosphäre, die ein Fest- hierauf hat Menschenrechtsbildung in der Polizei auch halten am Polizeibeamten, der nur seine Pflicht tut, hinzuwirken. immer problematischer erscheinen ließen. Notwendig wurde für die Polizei ein Wertewandel, der von der blinden Pflichterfüllung für den Dienstherren zur be- wussten Verantwortungsübernahme für die Gesell- 3.12 „Paradigmenwechsel“ und neue schaft und damit verbundener Selbstentfaltung führt. Leitbilder Schiewek listet einen ganzen Katalog von Eigen- schaften auf, welche die Mitglieder der Organisation Bei der Polizei in Deutschland vollzieht sich gegen- nach dem neuen Paradigma aufweisen sollten: Eigen- wärtig ein Paradigmenwechsel181. Dieser wiederum initiative, Identifikation mit dem Beruf, Loyalität mit ist eingebettet in die gesellschaftlichen Wandlungen, den Organisationszielen, die auch kritisch sein darf, die mit den 60er- und 70er Jahren des 20. Jahrhun- soziale Kompetenz, lebenslange Lernbereitschaft, Risiko- derts eingeleitet wurden182. Das alte Paradigma für bereitschaft, Improvisationstalent, Innovationsbereit- die Polizei hat ausgedient, es entspricht nicht mehr schaft185. Auch die Organisation als Ganzes verändert den heutigen gesellschaftlichen Verhältnissen und sich. „Die Neuausrichtung heißt: Polizei als lernende Notwendigkeiten. Unter diesem Paradigma wurde die Organisation, die sich in einem kontinuierlichen Ver- Polizei in überwiegend militärischer Tradition mit den änderungsprozess befindet. … Die Bürger und Bürger- Zielen der Sicherung staatlicher Machtverhältnisse innen sind für die einschreitenden Beamten auch und gesellschaftlicher Privilegien gesehen183, denen ‚Kunden’. Kunden im Sinne von Leistungsempfängern, die gleichfalls vorhandenen Ziele, den Bürgern und die das polizeiliche Einschreiten bewerten …“186. Bürgerinnen „Berater, Helfer und Retter“ zu sein184, untergeordnet waren. Der Polizist war streng eingeord- Als vielleicht deutlichstes äußeres Anzeichen für die- net in die Hierarchie, folgte gehorsam den Weisungen sen Paradigmenwechsel können die Leitbildprozesse und erfüllte treu seine Pflicht. Diese Pflichterfüllung der Polizeien verschiedener Bundesländer betrachtet führte ihn in der Diktatur des Nationalsozialismus werden. Als Beispiel sei aus einem Leitbild der Polizei und in der autoritären Gesellschaftsordnung der DDR in Niedersachsen zitiert187: „Wir gehen auf die Men- an den Rand von systematischen und schweren Men- schen zu, um ihnen zu helfen und Gesprächsbereit- schenrechtsverletzungen und teilweise darüber hinaus. schaft zu signalisieren; oberstes Gebot unseres Han- delns ist die Achtung der Menschenwürde und die Obgleich mit dem Grundgesetz der Bundesrepublik Wahrung der Grundrechte; wir arbeiten in einer welt- Deutschland ein grundsätzlich anderes, demokrati- offenen und kulturell vielfältigen Region. Deshalb ist sches Wertgefüge die Grundlage polizeilichen Han- Toleranz für uns selbstverständlich; Zuverlässigkeit delns wurde, dominierten die autoritären Prägungen und Einfühlungsvermögen sind Grundlagen unserer

180 Siehe Behrendes (2003), S. 157. 181 Angelehnt an den Paradigmabegriff von Thomas S. Kuhn, der diesen allerdings nur auf Naturwissenschaften angewendet sehen wollte: ein vorherrschendes Denkmuster in einer bestimmten Zeit, das wechselt, wenn vermehrt Phänomene auftreten, die mit der bis dahin gültigen Lehrmeinung nicht mehr vereinbar sind; vgl. Kuhn (1978).. 182 Schiewek beobachtet einen gesamtgesellschaftlichen Paradigmenwechsel von der Fremd- zur Selbststeuerung. Siehe Schiewek (2004), S. 10. Noch weitergehend lässt sich dieser Paradigmenwechsel in Verbindung bringen mit dem Trend der Ablösung des mechanistischen Weltverständnisses durch eine interdependente und systemische Weltsicht. 183 Siehe Löbbecke (2004), S. 22–24. 184 Wilhelm II., zitiert bei Löbbecke (2004), S. 24. 185 Siehe Schiewek (2004), S. 10. Diese Forderungen spiegeln sich in ähnlicher Weise auch im bereits erwähnten Europäischen Kodex der Polizeiethik wider, wo es unter Punkt 23 heißt: „Polizeibedienstete müssen ein fundiertes Urteilsvermögen, eine offene Haltung, Reife, Fairness, Kommunikationsfertigkeiten und gegebenenfalls Leitungs- und Managementfertigkeiten nachweisen können. Darüber hinaus müssen sie über ein gutes Verständnis von sozialen, kulturellen und kommunalen Themen verfügen.“; Europarat (2001). 186 Goritzka (2002), S. 52. 187 Alle Leitbilder der Polizei über www.polizei.de. 45 Rahmenbedingungen und Handlungsfelder polizeilicher Arbeit 3 3.12 „Paradigmenwechsel“ und neue Leitbilder

Dienstleistung; in Fragen der Sicherheit sind wir ver- in der Polizei vereinten Generationen und deren fa- lässlicher Partner; Prävention ist uns wichtig. Wir cettenreiche Sozialisation persistieren die alten para- entwickeln langfristige Konzepte und anlassbezogene digmatischen Muster: „Die Dominanz der letztlich Programme zur Kriminalitäts- und Verkehrsunfallvor- traditionellen Merkmale des Berufsbildes erklärt all beugung; Konsequenz prägt unsere Strafverfolgung die Schwierigkeiten, die Polizeibeamte damit haben, und Verhältnismäßigkeit den Einsatz unserer Mittel“. als Freund und Helfer, als Dienstleister, als Verhand- Da die Erarbeitung und insbesondere die Implemen- lungspartner oder gar als präventiver Problemlöser tierung von Leitbildprozessen als Elemente der Men- ihre Arbeit zu verrichten.“190 Hinzu kommt, dass gerade schenrechtsbildung verstanden werden können, werden gegenwärtig die tatsächlichen und befürchteten Be- sie in Kapitel 5.3 näher besprochen. drohungen durch den internationalen Terrorismus zu Forderungen führen, die die Staatsschutzfunktion der Der Paradigmenwechsel ist auch ein Wandel vom Polizei, verbunden mit der Einschränkung der Frei- „Handwerk“ zur „Kunst“, wie es Chan nennt188. Hatte heitsrechte, wieder stärker betonen191. Es stellt sich Polizeiarbeit nach dem alten Paradigma eher Züge als eine Herausforderung für die polizeiliche, politische, eines Handwerks, geprägt vom Einhalten vorgegebener letztlich gesamtgesellschaftliche Kultur dar, einerseits Regeln, mechanischen Abläufen, Betonung der Körper- den realen terroristischen Bedrohungen angemessen kraft (und anderes mehr), so muss der Polizist der neuen zu begegnen, andererseits aber die Errungenschaften Ära eher ein „Künstler“ sein: Ein Künstler im Umgang einer solchen Gesellschaft nicht aufzugeben, in der mit Menschen. Die Kunst ist gekennzeichnet durch sich die Polizei im Interesse der Mehrheit der Bürgerinnen immer weiter verfeinernde Fähigkeiten zur differen- und Bürger als Schützerin der Grund- und damit Men- zierenden Situationsanalyse auf der Basis von inter- schenrechte wirkt. disziplinärem Wissen. Es bedarf der Fähigkeit des Sich-Einfühlens in andere Menschen und des Erspü- Idealerweise betrifft Menschenrechtsbildung alle dar- rens ihrer Befindlichkeiten, gleich, ob sie ihm ähnlich gestellten polizeilichen Handlungsfelder und nimmt oder fremd sind. Eine solche Kunst beinhaltet ein rei- Bezug auf die genannten Faktoren, die menschenrechts- ches kommunikatives Instrumentarium für Konflikt- verletzendes oder -konformes Verhalten begünstigen. handhabung, Verhandlungsstrategien, Einflussnahme, In der Realität müssen Prioritäten gesetzt werden, um um Forderungen durchzusetzen und vieles mehr. „Die den konkreten materiellen und sonstigen organisa- modernen Leitbilder eines professionellen Beamten … tionsspezifischen Bedingungen gerecht zu werden. Im machen ihn verstärkt zu einer Person, die zum Bei- dritten Teil der Studie (Kapitel 5) werden unter dieser spiel zum aktiven Problemlöser, zum Manager von Prämisse zu den hier diskutierten Handlungsfeldern kriminalpräventiven Konzepten oder gar zum Ursachen- und Faktoren Anregungen und Impulse gegeben, um dem forscher in Sachen Kriminalität wird.“189. eingangs zitierten Ideal „Polizei als die größte Men- schenrechtsorganisation“ näher zu kommen. Zunächst Die Veränderungen innerhalb der Polizei verlaufen folgt jedoch die Darstellung des Ist-Standes der Men- weder konstant noch linear. Durch die verschiedenen schenrechtsbildung bei der Polizei in Deutschland.

188 Chan (2003), S. 313 – sie verweist auch darauf, dass sich diese Prozesse mehr oder minder deutlich in allen westlichen Demokratien vollziehen. 189 Bornewasser (2002), S.18. 190 Ebenda. 191 Diskutiert zum Beispiel bei Bielefeldt (2004), insbesondere S. 13-15, der unter anderem kritisch anmerkt: „Die Freiheits- rechte geraten in dieser Perspektive letztlich zu einem Luxusgut für ruhige Zeiten.“ (S. 15). 46 Menschenrechtsrelevante Inhalte in der polizeilichen Aus- und Fortbildung 4.1 Menschenrechtsrelevante Inhalte in der polizeilichen Ausbildung 4

4 Menschenrechtsrelevante Inhalte in der polizeilichen Aus- und Fortbildung

Diese Studie basiert im Wesentlichen auf der Analyse in über 10-jähriger Tätigkeit im Rahmen der polizei- von insgesamt 41 Lehrplänen, Seminarübersichten und lichen Aus- und Fortbildung sammelte. Insgesamt han- anderen curriculaähnlichen Unterlagen (im Weiteren: delt es sich damit bei den Befunden um Wissen von Unterlagen) aus dem Bereich der polizeilichen Aus- unterschiedlichem Härtegrad, das nahezu zwangsläufig und Fortbildung aller Bundesländer, der Polizei-Füh- bewusst oder unbewusst Bestandteil jeder wissenschaft- rungsakademie, des Bundesgrenzschutzes und der FHS lichen Arbeit wird195. des Bundes für öffentliche Verwaltung, Fachbereich öffentliche Sicherheit. Diese Unterlagen wurden dem Mit der Studie wird ein Überblick über das Thema Internet entnommen, von den Bildungseinrichtungen gegeben. Zu den verschiedenen Details sind vertiefende oder den Innenbehörden zur Verfügung gestellt192 oder Arbeiten je nach Relevanz mehr oder minder angezeigt. vor Ort eingesehen. Sie stammen überwiegend aus den Die Grundaussagen, zu denen die Studie gelangt, letzten drei Jahren. Seitdem können vereinzelt Struktur- werden als hinreichend angesehen, um fundierte veränderungen erfolgt sein.193 Verweise auf die Unter- Anregungen und Impulse zur Verbesserung der lagen erfolgen in der Studie aus Gründen der Übersicht- Menschenrechtsbildung bei der Polizei zu geben. lichkeit ohne Quellenangabe. Sämtliche Unterlagen liegen beim Deutschen Institut für Menschenrechte vor. Daneben wurde die aktuelle Literatur mit Bezügen zum Thema gesichtet. 4.1 Menschenrechtsrelevante Inhalte in der polizeilichen Ausbildung Die Studie enthält somit keinen empirischen Teil in einem engen methodologischen Verständnis. Sie ist Das Durchschnittsalter beim Eintritt in polizeiliche dennoch mehr als eine reine Literaturarbeit. In die Ausbildungseinrichtungen beträgt in Deutschland 18 Darstellung der Ergebnisse, deren Synthese und in die bis 20 Jahre196. Die Auszubildenden müssen an Werbe- abgeleiteten Empfehlungen fließen Erkenntnisse ein, und Auswahlverfahren teilnehmen, bevor sie aufge- die in insgesamt ca. 50 Stunden Hintergrundgesprächen nommen werden. Diese Verfahren, die von Einrich- mit etwa 30 Gesprächspartnerinnen und Gesprächs- tung zu Einrichtung anders ausgestaltet sind, können partnern gewonnen wurden. Diese Gespräche fanden hier nicht näher betrachtet werden197. Es ist aller- statt im Rahmen von Expertentreffen sowie bei Besuchen dings bekannt, dass die meisten Auswahlverfahren an der FHS für die Polizei in Villingen-Schwenningen, einen oder mehrere psychologische Tests enthalten. der LPS Hamburg und an der FHS Brandenburg194. Mit diesen sollen unter anderem jene Einstellungen Darüber hinaus fließen Erfahrungen ein, die der Autor überprüft werden, die für ein professionelles und da-

192 Einige der Unterlagen stammen aus einer Sammlung der Sektionskoordinationsgruppe „Menschenrechtsbildung“ bei amnesty international. Der Autor bedankt sich herzlich für die Möglichkeit zur Nutzung der in ehrenamtlicher Arbeit zusammengetragenen Materialien. 193 Bei einigen Ausbildungseinrichtungen war der Internetpräsenz zu entnehmen, dass gegenwärtig Curricula überarbeitet werden und noch nicht zur Verfügung stehen. 194 Herzlichen Dank an alle Gesprächspartner/innen für die bereitwillige und offene Mitwirkung. 195 Es als legitim zu erachten, auch solches Wissen zu nutzen, steht im Gegensatz zu einem Wissenschaftsverständnis, das Devereux als „pathologischen Objektivismus“ bezeichnet; vgl. Devereux (1998). 196 Siehe Mussel / Frintrup (2003), S. 466. 197 Was jedoch durchaus ein lohnenswertes Unterfangen wäre! 47 Menschenrechtsrelevante Inhalte in der polizeilichen Aus- und Fortbildung 4 4.1 Menschenrechtsrelevante Inhalte in der polizeilichen Ausbildung

mit auch menschenrechtskonformes polizeiliches lige Ohnmachtserleben wird einerseits abgewehrt und Handeln maßgeblich sind. Über die Güte und Aus- andererseits verklärt, was zu den Projektionen führen sagekraft psychologischer Testverfahren wird viel kann, dass die heutige Lehre zu „weich“ und praxis- gestritten. Die Durchführung von Tests erscheint fern sei. allerdings bei aller Kritik an deren Aussagekraft alter- nativlos, wenn wenigstens der Versuch unternommen Prinzipiell jedoch haben sich die polizeilichen Aus- werden soll zu verhindern, dass Menschen mit un- bildungsstätten grundlegend verändert. Sowohl an demokratischen, rechtsstaatswidrigen Ansichten in die den FHS als auch den LPS finden sich vielfältige Polizei eintreten. Zur allgemeinen prognostischen Bemühungen, einen Geist der freien Lehre, der be- Validität eignungsdiagnostischer Instrumente liegen dürfnisgerechten Ausbildung und Kundenorientierung diverse Studien vor. Für die Auswahl zum Polizeidienst mit Bezug sowohl auf die Auszubildenden wie auch haben sich vor allem Motivationstests, Integritäts- auf deren künftige Arbeitgeber zu kultivieren. Das tests und das so genannte Multimodale Interview als kommt in zahlreichen Grundsatzdokumenten der wirksam erwiesen198. Ausbildungseinrichtungen zum Ausdruck. Beispielhaft sei hier aus den „Leitgedanken und Schlüsselqualifi- kationen für das Studium“ der FHS Saarland zitiert, 4.1.1 Rahmenbedingungen, Methodik und die ein Ort sein will, „der es ermöglicht, die Vielfalt Didaktik widerstreitender Meinungen zu erleben“, und den Studierenden ein „Wertebewusstsein als Schlüssel- Für den Bildungserfolg und die Ausprägung oder Ver- qualifikation“ vermitteln will: „Achtung, Mitmensch- änderung dem Beruf angemessener Einstellungen und lichkeit als das Vermögen, unabhängig von eigenen Handlungsmuster sind die Rahmenbedingungen von Werten und Maßstäben anderen Personen Respekt besonderer Bedeutung. Darauf wurde bereits im ersten und Achtung entgegenzubringen und Einfühlsamkeit Abschnitt hingewiesen. Bis in die Mitte der 1980er als die Fähigkeit, sich in eine Person, auch aktiv, hin- Jahre hinein war die Polizeiausbildung in Deutschland einzuversetzen, charakterisieren das menschliche dem alten Polizeiparadigma entsprechend überwiegend Miteinander in einem sozialen Rechtsstaat“. An ande- militärisch geprägt. Die Erziehung zur Kritiklosigkeit rer Stelle wird die Zivilcourage hervorgehoben und war ein durchgängiges Merkmal199. Ein Proband einer betont: „Folgsamkeit darf nicht über allem stehen“. Untersuchung, der seine polizeiliche Ausbildung Anfang der 1960er Jahre erhalten hatte, charakteri- Es ist an den polizeilichen Ausbildungseinrichtungen sierte die damals herrschenden Verhältnisse als „abso- der Gegenwart eine deutliche Tendenz auszumachen, lut diktatorischen Stil, der noch von Kriegszeiten her solche Rahmenbedingungen zu schaffen, die in Über- herrschte. Eine eigene Meinung war also zu diesem einstimmung mit den Anforderungen des neuen Poli- Zeitpunkt überhaupt nicht erwünscht. Was die Ausbil- zeiparadigmas stehen. Dem stehen wiederum äußere der sagten, war absolutes Gesetz. Man hat nicht dar- Faktoren entgegen, die derartige Veränderungspro- über nachgedacht, man durfte das auch kaum.“200 Mit zesse behindern. Liebl kritisiert hier vor allem den der Schilderung solcher Verhältnisse wird die Zähigkeit Kostendruck, der zu einem ständigen „schneller und mancher Veränderungsprozesse an polizeilichen Bil- billiger“ führe, eine teilweise mangelnde Qualifikation dungseinrichtungen verständlicher. Viele der Ausbil- der Dozenten, zu wenig extern ausgebildete Kräfte, denden von heute sind noch durch diesen Stil geprägt Tendenzen, Wissenschaftlichkeit gering zu schätzen, worden. Sicher kann davon ausgegangen werden, das Fehlen zentraler Inhalte, das Vorherrschen von dass ein Großteil diese Umstände reflektiert hat und Frontalunterricht, zu hohen Druck auf die Studierenden sich moderner Didaktik und Methodik bedient. Reste beziehungsweise Auszubildenden und die mangelnde der entsprechenden Mentalität finden sich allerdings Auseinandersetzung mit dem vorgeblichen Wider- auch 2005 noch an polizeilichen Lehrstätten. In diesem spruch zwischen Ausbildung und Praxis201. Diese Ein- Zusammenhang ist auch die Wirksamkeit tiefenpsy- schätzungen wurden teilweise in den Hintergrund- chologischer Mechanismen zu betrachten: Das dama- gesprächen bestätigt. Besonders der Druck, in die zur

198 Vgl. Mussel / Frintrup (2003), S. 477–478. 199 Siehe Schmid (1995), S. 93. 200 Interview „Werner“, ebenda, S. 138. 201 Liebl (2003), S. 210–212. 48 Menschenrechtsrelevante Inhalte in der polizeilichen Aus- und Fortbildung 4.1 Menschenrechtsrelevante Inhalte in der polizeilichen Ausbildung 4

Verfügung stehenden Unterrichtszeiten immer mehr thodischen und didaktischen Kenntnisse der Dozenten Stoff hineinzupressen, wird als mit modernen Ausbil- durch interne und externe Fortbildung ständig aktuali- dungsformen nicht vereinbar betrachtet. siert werden“205. Dies gibt jedoch keine Auskunft über die reale Transformation in den Unterrichts- bezie- Die pädagogische Psychologie und die moderne Päda- hungsweise Studienalltag. Insgesamt muss vermutet gogik haben sich umfassend mit wirkungsvoller Un- werden, dass direkt oder versteckt existente hierarchie- terrichtsmethodik und Didaktik auseinandergesetzt. immanente Gehorsamsforderungen und der dominie- Diese Wissenschaften bieten Lehrenden eine breite rende Frontalunterricht ungünstig für die Ausprägung Palette bewährter und hinsichtlich ihrer Wirksamkeit menschenrechtskonformer Einstellungen und Hand- gut evaluierter, kreativer Unterrichtsmethoden an. lungsmuster wirken. In vielen Ausbildungseinrichtun- Hiervon ist an polizeilichen Ausbildungseinrichtungen gen sind aber Reformbestrebungen zu verzeichnen, vergleichsweise wenig zu spüren, obwohl in Leitbil- um die Auszubildenden ganzheitlich zu erreichen und dern, Rahmenplänen und ähnlichen Dokumenten auch ihren individuellen Bedürfnissen gerecht zu werden. auf eine Methodenvielfalt orientiert wird. Den Hinter- Auf einige interessante Methodikbeispiele wird im grundgesprächen und einzelnen Literaturbefunden Rahmen der Darstellung zu den verschiedenen Ausbil- zufolge überwiegt das so genannte „dozentenzen- dungsinhalten aufmerksam gemacht. trierte Lehrgespräch“ oder einfacher ausgedrückt: der Frontalunterricht202. Beispiele hiervon abweichender Ein positives Beispiel fachübergreifender Ausbildung mit Unterrichtsmethodik waren eher selten zu finden. methodischer Vielfalt ist das so genannte Integrierte Auch in einer von der FHS Sachsen vorliegenden Eva- Einsatztraining. Informationen hierüber sind aus ver- luation werden Methodik und Didaktik durch die Stu- schiedenen Bundesländern bekannt, so unter anderem dierenden eher ungünstig beurteilt203. Aber dies ist aus Baden-Württemberg und Hamburg. Hierbei werden ein Einzelbefund. Über das tatsächliche Ausmaß me- in komplexen Rollenspielen polizeiliche Einsatzsitua- thodischer Vielfalt in der polizeilichen Ausbildung tionen wie beispielsweise Festnahmen, Durchsuchun- kann nur spekuliert werden: Dass sich in den Unter- gen oder Verkehrskontrollen trainiert. Solche Unter- lagen selten explizit etwas dazu findet, gibt keine richtsformen sind in der Polizeiausbildung schon lange Auskunft darüber, inwieweit Lehrende sich in eigener üblich. Das Besondere an der Methode „Integriertes Verantwortung um eine ziel- und lernerorientierte Einsatztraining“ besteht darin, dass es nicht nur von Didaktik und methodische Vielfalt bemühen204. den Einsatztrainern, sondern von weiteren Lehrkräften unter den verschiedensten fachlichen Gesichtspunk- Qualität in Methodik und Didaktik ist auch ein Füh- ten begleitet und ausgewertet wird. So betrachtet ein rungsproblem. Welche Bemühungen unternehmen die Rechtskundelehrer sehr genau juristische Aspekte des Führungskräfte polizeilicher Aus- und Fortbildungs- Handelns und ein Kommunikationstrainer wertet die einrichtungen, ihre Lehrenden zur Reflexion des Lehr- psychologischen und ethischen Dimensionen aus. Alles geschehens zu bewegen? Wie werden sie motiviert, ist darauf angelegt, verhaltenswirksame Handlungs- ihre Arbeitsweise, der Idee der „lernenden Organisa- muster mit hohem professionellem Standard bei den tion“ folgend, permanent zu reflektieren? Wie wird Auszubildenden zu verfestigen. Teilweise gehen die das Interesse daran geweckt, neue Methoden auszu- Lehrkräfte dabei auch auf die Frage ein, ob das Ver- probieren? An systematischen Erhebungen hierzu halten der Trainingsteilnehmenden menschenrechts- mangelt es. Mitunter gibt es Absichtserklärungen in konform war. Aus der LPS Schleswig-Holstein wurde Grundsatzdokumenten: „Die Gestaltung der Lehrver- ein Ansatz bekannt, Berufsethik, Verhaltenstraining und anstaltungen, Studienpläne und Fortbildungsseminare Einsatztraining miteinander zu verzahnen. Die Einhal- erfolgt nach aktuellen lernpsychologischen und päda- tung der Menschenrechte ziehe sich dabei als „roter gogischen Erkenntnissen der Erwachsenenbildung. Faden“ durch alle drei Unterrichtsfelder. Es liegt nahe, Diese Ziele erreichen wir, indem Dozenten und Mitar- in solchen Unterrichtsformen eine Chance zur Syste- beitende der Verwaltung regelmäßig fachliche Fort- matisierung dezidierter Menschenrechtsbildung zu bildungsveranstaltungen besuchen können, die me- sehen.

202 Siehe Liebl (2003), S. 214. 203 Siehe Burgheim u.a. (2002), S. 26–27. 204 Die Hintergrundgespräche ließen den Schluss zu, dass Derartiges zwar Ausnahmecharakter trägt, es für die Notwendigkeit sowie den Nutzen jedoch ein gewisses Bewusstsein gibt. 205 Aus dem „Leitbild für die Bayerische Beamtenfachhochschule“. 49 Menschenrechtsrelevante Inhalte in der polizeilichen Aus- und Fortbildung 4 4.1 Menschenrechtsrelevante Inhalte in der polizeilichen Ausbildung

Um den Wert moderner Methodik schätzen zu lernen, recht, Öffentliches Dienstrecht/Beamtenrecht, Zivil- ist die eigene Erfahrung der beste Weg. Hierfür eignen recht und Verkehrsrecht. Mitunter finden sich etwas sich besonders Train-the-trainer-Seminare, unabhän- andere Aufteilungen und Begriffe, aber im Wesent- gig davon, ob ihr Gegenstand ein Fachthema oder lichen besteht zwischen den Ausbildungsstätten dies- dezidiert Methodik ist. bezüglich Übereinstimmung.

Ein besonders überzeugendes Konzept hierzu liegt aus An den FHS werden in der Tendenz mehr Rechtsfächer Hessen vor. Das Programm „Demokratische Vielfalt in vermittelt. Das Thema Menschenrechte ist in der Aus- der polizeilichen Arbeit“, herausgegeben 2001, richte- bildung zum Staats- und Verfassungsrecht fest veran- te sich an die Fachlehrer der Hessischen Polizeischule. kert. Diese Aussage lässt sich anhand aller Unterla- Es war in Kooperation zwischen Ministerien206, der gen, die zur Verfügung standen, klar treffen. Weniger Polizeischule und der Hessischen Stiftung Friedens- deutlich ist es, mit welcher Tiefe das Thema vermittelt und Konfliktforschung entwickelt worden207. Das wird. Durchgängig ist der Bezug zu den im Grund- Konzept betont auf der Methodikebene die Themen- gesetz verankerten Grundrechten erkennbar. Doch nur zentrierte Interaktion als „professionelles Handwerks- in wenigen der zur Verfügung stehenden Unterlagen zeug“, prozess- und teilnehmerorientiertes Arbeiten, wurden die Vereinten Nationen, der Europarat, der Selbsterfahrungsanteile, das Erreichen einer persön- internationale Menschenrechtsschutz oder die Ge- lichen Ebene. „Bei interkulturellen Trainings ist Beleh- schichte der Menschenrechte thematisiert. Ein Bei- rung absolut dysfunktional.“ Die Lehrenden müssen spiel dafür ist die FHS Schleswig-Holstein, wo die sich selbst als ebenfalls Lernende präsentieren, damit Entwicklung und der Stellenwert der Menschenrechte kein „Konditionierungswiderstand“ entsteht208. Indem eigenständig behandelt werden. An der FHS Hamburg in Train-the-trainer-Seminaren Lehrende die positiven werden dem Thema „Menschenrechte und Verfas- Wirkungen einer solchen Methodik sowie ihre Effek- sungsentwicklung in Deutschland“ sechs Stunden tivität und Praktikabilität im Hinblick auf die Bildungs- gewidmet. So klare Einordnungen des Stellenwertes ziele erleben, steigt die Wahrscheinlichkeit, dass sie der Menschenrechte, wie sie in der Formulierung sie auch selbst anwenden. „Menschenrechte als Staatszweck“ (LPS Berlin) zum Ausdruck kommt, tragen Ausnahmecharakter. Aus- sagen aus den Hintergrundgesprächen verweisen dar- 4.1.2 Rechtsausbildung auf, dass diese Bezüge in den Lehrveranstaltungen teilweise am Rande hergestellt werden, teilweise Menschenrechtsbildung bei der Polizei wird von vie- hierfür aber auch keine Notwendigkeit gesehen wird: len vordergründig als Thema der Rechtsausbildung Der Zeitdruck verlange es, sich auf die praxisrelevan- verstanden. Rechtsfächer haben den größten Anteil ten Themen zu konzentrieren. an der polizeilichen Ausbildung sowohl an den Fach- hochschulen als auch an den Ausbildungseinrichtungen Die Unterlagen zur Ausbildung in allen anderen für den mittleren Dienst. So fallen beispielsweise an Rechtsgebieten lassen nur noch vereinzelt einen di- der FHS Niedersachsen auf insgesamt 2200 Ausbil- rekten Menschenrechtsbezug erkennen. Allerdings dungsstunden 612 Stunden auf Rechtsfächer. Im werden für das Strafrecht (zum Beispiel Rechtsgüter- Vergleich dazu kommen Psychologie, Pädagogik, Sozio- lehre), das Strafverfahrensrecht und das Eingriffsrecht logie, Politikwissenschaft und Kommunikationstrai- immer wieder Verbindungen zum Grundgesetz herge- ning zusammen auf lediglich 340 Stunden. Ähnliche stellt, zum Beispiel in Formulierungen wie „Die Studie- Proportionen finden sich auch bei allen anderen Aus- renden bewerten die Zwangsanwendung im Sinne der bildungseinrichtungen, von denen Stundenaufteilungen Wertentscheidung der Grundrechte als ‚ultima ratio’ vorlagen. Folgende Rechtsfächer werden überwiegend des polizeilichen Handelns“. Auf internationale Men- gelehrt: Staats- und Verfassungsrecht, Strafrecht/Straf- schenrechtsdokumente wird hingegen nicht rekurriert. nebenrecht, Strafverfahrensrecht, Polizeirecht/Eingriffs- Als Mangel erscheint es, dass nach den Unterlagen

206 Beteiligt waren das Hessische Ministerium für Inneres und für Sport sowie das Hessische Sozialministerium. 207 Leider wurde die Umsetzung dieses Programms 2002 nach dreimaliger Durchführung abgebrochen, nachdem durch die Politik andere Schwerpunkte gesetzt wurden. 208 Hessisches Sozialministerium u.a. (2001), S. 29–33. 50 Menschenrechtsrelevante Inhalte in der polizeilichen Aus- und Fortbildung 4.1 Menschenrechtsrelevante Inhalte in der polizeilichen Ausbildung 4

die Verbindung zum konkreten polizeilichen Handeln methodisch-didaktische Ansätze. Dieser positiven nur selten erkennbar ist. Stattdessen dominieren eher Einschätzung stehen jedoch ein sehr geringes Stun- theorielastige rechtswissenschaftliche Systematiken. denvolumen209 und die teilweise mangelnde Wert- Aus den Hintergrundgesprächen ist zwar bekannt, schätzung seitens der Ausbildungseinrichtungen und dass die Lehrenden sehr wohl mit Praxisbeispielen anderer Lehrender gegenüber. Erfahrene Ethikdozen- arbeiten. In welchem Umfang dies geschieht, wie ten kommen daher zu teilweise sehr pessimistischen dicht diese Beispiele an der wirklichen Praxis sind und Einschätzungen: Die Berufsethik stehe in der Gefahr, ob der Praxisbezug von den Auszubildenden verinner- diejenige Rolle in der Hochschule zu übernehmen, die licht wird, bleibt dabei aber unbekannt. Dennoch: Die Kunst oder Musik in der normalen Schule haben – Befähigung zum rechtssystematischen Denken ist für eine echte Klein- oder Nebenrolle. Es entsteht dabei künftiges menschenrechtskonformes Verhalten nicht der Eindruck, dass zwar von den Führungskräften in zu unterschätzen. Ein Beispiel stellt die Prüfung eines den Bildungseinrichtungen und Innenministerien gern Sachverhalts im Hinblick auf Tatbestandsmäßigkeit, auf die Berufsethik verwiesen wird, wenn es nützlich Rechtswidrigkeit und Schuld im Strafrecht dar. Die erscheint, um zum Beispiel ein entsprechendes Auszubildenden lernen so, systematisch die Rechts- Engagement zu belegen. Allein aber schon die geringe verhältnisse zu erkennen, die in Situationen des rea- Stundenzahl lässt eher eine Alibifunktion vermuten. len Lebens enthalten sind. Damit verbunden ist die „Offiziell wird die Berufsethik als wichtig deklariert, Prüfung resultierender Verhaltensvarianten. Oft geht inoffiziell und verdeckt werden demjenigen, der so damit eine Rechtsgüterabwägung einher, wie etwa etwas macht, Schwierigkeiten bereitet.“210 bei Entscheidungen über die Verhältnismäßigkeit bei der Zwangsanwendung. Die Verinnerlichung und Unter den Studierenden beziehungsweise Polizei- Habitualisierung solcher Prüffähigkeiten kann einen schüler/innen besteht wenig Interesse an ethischen wichtigen Beitrag dazu leisten, dass sich Polizistinnen Theorien. Diese Erfahrung wird beispielsweise auch und Polizisten in problematischen Situationen ent- von Alberts bestätigt211. Vielfach gab und gibt es des- sprechend der Menschenrechte verhalten. wegen Bestrebungen, in der Berufsethik Methoden einzusetzen, die auf Akzeptanz der Teilnehmenden Abschließend bleibt festzustellen: Die Wissensvermitt- stoßen und Interesse an den Themen wecken. Die lung über die Grundrechte im Rahmen der Rechtsaus- Palette reicht von Veränderungen der örtlichen bildung hat einen angemessenen Umfang. Als Lücke Rahmenbedingungen (zum Beispiel Auslagerung der erweist es sich, dass nur selten der Bezug zur völker- Seminare in attraktive Außenobjekte), Arbeit mit rechtlichen Dimension, zum internationalen Menschen- Filmen und anderen Medien, Selbsterfahrungsanteile, rechtsschutzsystem hergestellt wird. Eine systematische Einbeziehung externer Partner (zum Beispiel Men- Verankerung dieses Themas fehlt in den meisten schen mit Migrationshintergrund, Schwule und Curricula. Damit ist von erheblichen Wissensdefiziten Lesben, Mitarbeitende von Menschenrechtsorganisa- zu den Menschenrechtsschutzmechanismen im glo- tionen und anderen NGOs) und Projektarbeit bis zum balen und im europäischen Maßstab auszugehen. Die Einsatz von Rollenspielen und anderen bewährten Menschenrechtsdimension wird nahezu ausschließlich Formen psychologischer Gruppenarbeit. Einen guten auf die Grundrechte reduziert. Dadurch vergeben die und anregenden Überblick hierzu bietet das Buch Lehrenden eine Chance, die Universalität der Men- „Methoden polizeilicher Berufsethik“ von Alberts und schenrechte, d.h. ihre Geltung in jeder beliebigen anderen (2003). Situation, an jedem beliebigen Ort und für ausnahms- los jeden Menschen, erlebbar zu machen. Aus den Unterlagen und aus der Literatur wurde ersichtlich, dass Themen, die auf den Schutz und die Achtung der Menschenrechte zielen, in der Berufs- 4.1.3 Berufsethik ethikausbildung neben anderen Themen einen festen Platz haben. Hier findet Menschenrechtsbildung im An allen polizeilichen Ausbildungsstätten gibt es Be- engeren und weiteren Sinne statt. Im engeren Sinne rufsethikseminare. Hier finden sich vielfach innovative wird beispielsweise der Begriff „Menschenwürde“

209 An der PFA nimmt der Ethikunterricht zum Beispiel lediglich 3,2 Prozent des gesamten Unterrichtsvolumens ein. Siehe Huppert (2004), S. 7f.; 98 von 2474 Stunden an der FHS Schleswig-Holstein; 46 Stunden an der Hessischen Polizeischule – dort stehen dem beispielsweise 60 Stunden Betriebswirtschaftslehre gegenüber. 210 Alberts (2004), S. 34 und S. 36. 211 Siehe Alberts u.a. (2003), S. 3. 51 Menschenrechtsrelevante Inhalte in der polizeilichen Aus- und Fortbildung 4 4.1 Menschenrechtsrelevante Inhalte in der polizeilichen Ausbildung

thematisiert, wird die Verankerung der Menschen- Gründe infrage: die Wirkung der beschriebenen Ab- rechte in den internationalen Dokumenten bespro- wehrmechanismen, aber selbstverständlich auch chen oder es wird die Arbeit von NGOs vorgestellt und schlechte Seminargestaltung. diskutiert. Lehrende auf dem Feld der Berufsethik sind überwie- Bedeutsamer für die Handlungsmuster der Auszu- gend Menschen mit konfessionellem Hintergrund bildenden sind Themen, die der Menschenrechtsbildung (Polizeiseelsorger) oder mit sozialwissenschaftlicher im weiteren Sinne zuzurechnen sind. Den Vorrang Ausbildung. Aus diesem Umstand folgt einerseits, dieser Ebene begründet Alberts so: „Kein Beamter dass sie in der Regel über wichtige, dem Thema ange- handelt rechtmäßig und moralisch korrekt allein des- messene inhaltliche und methodische Kompetenzen wegen, weil er darin einmal beschult worden ist.“212 verfügen. Andererseits ergeben sich hieraus teilweise Relevanter für die Handlungsebene sind beispielsweise Akzeptanzprobleme. Das betrifft teilweise die neuen Themen wie Vorurteile, Diskriminierung, Umgang mit Bundesländer mit ihrem hohen Anteil an areligiösen Minderheiten, Gewaltausübung und Verhältnismäßig- Auszubildenden, die Seelsorgern nicht selten mit Vor- keit oder Umgang mit Fehlverhalten – dem eigenen urteilen begegnen. Noch stärker aber resultieren die oder dem bei Kollegen beobachteten – einschließlich Akzeptanzprobleme aus dem „mangelnden Stallge- des „Mauer des Schweigens“-Problems213. ruch“. In den Augen der Auszubildenden betätigen sich manche der Ethiklehrerkräfte als Polizeikritiker, Problematisch bei solchen Themen ist die Kollision ohne selbst über nennenswerte polizeiliche Praxis zu des inneren, meist positiv besetzten Polizistenbildes mit verfügen. Leider werden diese herabsetzenden Ten- den Schattenseiten der Cop Culture. Hierzu zeigen die denzen mitunter durch andere Lehrende in Form von Auszubildenden bereits sehr früh vielfach Abwehr- Nebenbemerkungen oder Aussagen „hinter vorgehal- reflexe. Sie wollen die Schattenseiten nicht wahrhaben, tener Hand“ befördert. relativieren entsprechende Berichte oder ziehen die Quellen sogar grundsätzlich in Zweifel. Diese Hal- Oft wird im Rahmen des Berufsethikunterrichts die tungen gilt es als Folge einer erlebten Infragestellung Vereidigung der künftigen Beamten vorbereitet. Die des Selbstkonzeptes zu verstehen: Die Auszubilden- Rolle des Beamteneides für die Gegenwart ist ein den haben ihre Berufswahl oft sehr tief in ihr Selbst- wenig erörtertes Thema. Für die meisten Polizistinnen konzept integriert, sie sind sozusagen im Geiste schon und Polizisten dürfte er nur eine formale und juristische „die Guten“. Zweifel hieran, „Flecken auf der Weste“ Bedeutung haben. Lediglich der Tatsache, mit der müssen dann wie Angriffe wirken. Dieser Mechanis- Vereidigung in den recht sicheren Status des Beamten mus drängt Ethiklehrkräfte oft in die Defensive, was zu gelangen, verdankt er einige emotionale Wirkung. zur Vermeidung von Themen oder zur „missionieren- den Verteidigung“ führen kann. Die Lösung liegt in einem offensiven und vor allem offenen Umgang mit 4.1.4 Andere Fächer der Problematik, zum Beispiel durch Einführen der Metaebene in Form gemeinsamer Reflexion des An den meisten polizeilichen Ausbildungseinrichtun- Seminarprozesses. gen wird das Fach Politologie gelehrt (manchmal auch unter den Bezeichnungen Politikwissenschaft Vor dem Hintergrund des „Angriffsdilemmas“ sind auch oder Politische Bildung sowie mitunter im Verbund Evaluationsergebnisse zu sehen, denen gemäß Poli- mit Soziologie). Hier fanden sich in den Unterlagen zeischülerinnen und -schüler den Ethikunterricht oft mehrere Beispiele für die Thematisierung von Men- als verzichtbaren Ausbildungsbestandteil charakteri- schenrechten. Teilweise war erkennbar, dass das Thema sieren. Es kommen hierfür also mindestens zwei detailreich sowie mit historischen und internationa-

212 Alberts (2004), S. 34. 213 Wie das letztgenannte Thema methodisch angegangen werden kann, zeigt ein Beispiel aus Hamburg, bei dem ein Film zum Einsatz kommt. Ein junger Polizist beobachtet eine Rechtsverletzung durch einen Kollegen. Er ist im inneren Konflikt: Soll er das Verhalten decken oder melden? Der Film endet damit, wie er vor der Tür des Dienststellenleiters auf und ab geht. Nun sollen sich die Auszubildenden positionieren. 52 DMenschenrechtsrelevante Inhalte in der polizeilichen Aus- und Fortbildung 4.1 Menschenrechtsrelevante Inhalte in der polizeilichen Ausbildung 4

len Bezügen vermittelt wurde214. Mitunter gibt es teaching mit einsatzerfahrenen Polizeiausbildern ver- Überschneidungen zu den Themen in der Psychologie mittelt. und in der Berufethik. Im Bereich Führungslehre finden sich vereinzelt Ver- Psychologie und Kommunikationstrainings lassen sich bindungen zu menschenrechtlichen Themen – insbe- als Menschenrechtsbildung im weiteren Sinne be- sondere, wenn es um Führungsprobleme geht. Ein trachten. Die angehenden Polizistinnen und Polizisten Beispiel dazu fand sich in einem Curriculum der LPS bekommen hier Inhalte vermittelt, die sie in die Lage Hessen. Hier wurden der Bezug zum Menschenbild des versetzen sollen, die Vielfalt der menschlichen Psyche Grundgesetzes hergestellt, auf das Leitbild der bei sich selbst und bei anderen zu erkennen und zu verwiesen und schließlich mit Korps- respektieren. Im Kommunikationstraining sollen sie geist, Kumpanei und „gruppendynamischen Prozessen ihr Instrumentarium und Sensorium für Ansprache, in der polizeilichen Organisationseinheit“ jene Risiko- Wahrnehmung anderer Menschen und vor allem für faktoren thematisiert, die zu Menschenrechtsgefähr- Konfliktlösungen erweitern. Thematische Stichworte dungen oder -verletzungen führen können. In der Kri- aus den Unterlagen hierzu lauten: eigene Verhaltens- minalistik werden Menschenrechtsfragen insbeson- stereotype und Reaktionsschemata erkennen, andere dere im Zusammenhang mit verbotenen Verneh- Meinungen tolerieren und akzeptieren, Einstellungen mungsmethoden diskutiert. Ein interessantes Beispiel und Vorurteile, Autorität und Gehorsam. All das kann schilderten die Gesprächspartner von der FHS Baden- menschenrechtskonformes Verhalten fördern. Entschei- Württemberg: den Auszubildenden wurden Bilder meh- dend ist es, ob nachhaltige Wirkungen erzielt wurden. rer angeblich Verdächtiger gezeigt – sie sollten sich Das wiederum hängt von der Professionalität der für jemanden als Täter entscheiden. Über die Hälfte Stoffvermittlung sowie von den gewählten Methoden sähe sich hierzu ohne jedes Faktenwissen in der Lage. ab. Hierzu lassen sich anhand der Unterlagen kaum Dies sei für den Lehrenden eine gute Möglichkeit, die Aussagen treffen. Vereinzelt wurde deutlich, dass in Existenz von Vorurteilen und Stereotypen aufzuzeigen. Kommunikationsseminaren Rollenspiele genutzt wer- den. Aus den Hintergrundgesprächen ergab sich ein Eine positive Annahme könnte lauten, dass die Leh- zwiespältiges Bild: Einerseits gab es Hinweise auf eine renden in der polizeilichen Ausbildung fächerunab- hohe Akzeptanz, andererseits aber auch Zweifel und hängig für das Thema Menschenrechte sensibilisiert die Wahrnehmung von Abwehr und Geringschätzung sind und von sich aus, ohne curriculare Verpflichtung, bei den Teilnehmenden. Die zur Verfügung stehenden in ihrem Unterricht immer wieder Bezüge dazu her- Evaluationen waren nicht detailliert genug, die stellen. Diese Vermutung wurde durch eine Reihe von Befunde in die eine oder andere Richtung zu stützen. Hintergrundgesprächen gestützt. Fraglich ist aller- dings, inwieweit dieses Engagement, subjektiv durch- Je ferner die Stoffe vom Recht und den Sozialwissen- aus ehrlich, nur behauptet wird oder ob es sich auch im schaften liegen, umso geringer ist die Wahrscheinlich- realen Handeln niederschlägt. Hierzu liegt eine Unter- keit eines Menschenrechtsbezugs. In den technischen suchung aus der PFA vor. Huppert (2004) kam auf- Fächern wie Kriminaltechnik, der Sprachausbildung grund der Auswertung der Lehrpläne und von Interviews oder in den Wirtschaftswissenschaften waren solche zu dem Schluss, dass die Dozenten die Menschenrech- Bezüge überhaupt nicht erkennbar. Im Fach Einsatz- te für ein wichtiges Thema halten und mehrfach der lehre wird ausweislich der Unterlagen gelegentlich auf Meinung waren, Menschenrechte müssten interdiszi- die Menschenrechte in Form der Grundrechte rekurriert. plinär vermittelt werden216. Jedoch konnte nur eine Exemplarisch sind Themen wie „Ethische Aspekte des Minderheit konkrete Angaben machen, wie sie das Polizeieinsatzes bei gewalttätigen Aktionen“215. Ein Thema Menschenrechte in den Unterricht einfließen Beispiel für innovative Menschenrechtsbildung in die- lassen, so dass Huppert resümierte, „dass die Men- sem Bereich wurde aus der PFA berichtet. Dort werden schenrechte im Grunde doch nur eine ‚Nebensache’ sind im Kontext der Einsatzlehre ethische Themen im Team- und andere Fachinhalte intensiver vermittelt werden“217.

214 Zum Beispiel in einem Curriculum aus Berlin „Die internationale Anerkennung der Menschenrechte in Deklarationen, Konventionen und Verträgen in Theorie und Praxis“. 215 PFA. 216 Siehe Huppert (2004), S. 10. 217 Ebenda, S. 13. 53 Menschenrechtsrelevante Inhalte in der polizeilichen Aus- und Fortbildung 4 4.1 Menschenrechtsrelevante Inhalte in der polizeilichen Ausbildung

4.1.5 Sonderveranstaltungen In Brandenburg gelang es, im Rahmen des NAPAP-Projektes220 Seminare für interkultu- An den meisten polizeilichen Ausbildungseinrichtun- relle Kompetenz im Lehrplan der FHS fest zu gen finden eine Reihe von Sonderveranstaltungen integrieren. Auch nach Auslaufen des EU-Pro- statt, die sich als Menschenrechtsbildung ansehen jektes verankerte die FHS Brandenburg diese lassen. Mitunter haben sie einen ganz ausdrücklichen Seminare im Curriculum221. Menschenrechtsbezug. So führte die FHS Rheinland- Pfalz schon mehrfach einen „Tag der Menschenrechte“ durch, an dem die verschiedensten Veranstaltungen Über die Wirksamkeit und Nachhaltigkeit solcher Ver- unter Beteiligung externer Partner (zum Beispiel von anstaltungen finden sich nur wenig Aussagen. Eine NGOs, Migrantinnen und Migranten) diesem Thema Evaluation der genannten Seminare in Brandenburg gewidmet sind. stammt von Norman Weiß, einem Mitarbeiter des Menschenrechtszentrums . Er kommt auf der Viele Sonderveranstaltungen im Rahmen der polizei- einen Seite zu einer überwiegend positiven Ein- lichen Ausbildung beschäftigen sich mit anderen schätzung, was die Qualität und Wirksamkeit der ein- Kulturen. Dabei werden zum Beispiel Kontakte zu den zelnen Veranstaltungen anbetrifft, kritisiert jedoch, dass muslimischen Gemeinden vor Ort für Moscheebesuche der punktuelle Einsatz nicht dem Prozesscharakter und andere Begegnungen genutzt. Doch auch außer- interkulturellen Lernens gerecht wird. Des Weiteren halb dieses religiösen Kontextes sucht die Polizei Kon- warnt er vor der Vernachlässigung qualitativer takte gerade zur größten „fremden Kultur“ in unserer Standards für solche Seminare222. Gesellschaft, der türkischen.

Ebenfalls in Brandenburg wurde jahrelang im Aus Hessen ist zum Beispiel ein Projekt „Junge Rahmen des Berufsethikunterrichtes ein thema- Türken, junge Polizisten – wir lernen uns ken- tischer Tag zum Thema Homosexualität durch- nen“ bekannt. In den Räumen der FHS fand ein geführt. Die Gestaltung übernahm ein Arzt aus gemeinsamer Deutsch- und Türkischkurs statt Berlin, der, selbst schwul, über jahrelange Er- mit ständigem Rollenwechsel zwischen Sprach- fahrungen in der AIDS-Prävention an Schulen schüler und Tutor. Zusätzlich gab es Themen- verfügte. Mitunter wurde er von einem Berliner abende, zum Beispiel zur türkischen Küche, zu Polizeikommissar aus dem sozialen Dienst unter- Selbstbild und Fremdbild und zu kulturellen stützt, der selbst offen schwul lebt und somit Bräuchen. Am Ende stand eine gemeinsame den Polizeischülerinnen und -schülern authen- Reise in die Türkei218. tisch schildern konnte, welche Erfahrungen er mit Aus Hamburg ist ein eindrucksvolles Beispiel seiner Homosexualität bei der Polizei gesammelt für eine gelungene Verknüpfung interkultureller hatte. Arbeit mit der Aufarbeitung der NS-Vergangen- Ein weiteres interessantes Beispiel stellt das heit (einschließlich der polizeilichen Beteili- Sozialpraktikum dar, welches Auszubildende der gung) bekannt. Im Rahmen dieses zweiwöchigen Hamburger Polizeischule zu absolvieren haben. Projektes wurden in Polen sowohl KZ-Gedenk- Zwei Wochen hospitieren sie (für diese Zeit von stätten besucht wie auch das verbrecherische den Beamtenpflichten, also auch dem Legali- Wirken des Hamburger Reserve-Polizeibataillons tätsprinzip, suspendiert) in sozialen Einrich- 101 erforscht. In Veröffentlichungen hierzu ist tungen, zum Beispiel in Justizvollzugsanstalten, die Wirksamkeit der Veranstaltungen belegt219. bei der Jugendhilfe oder bei Sozialdiensten. Die

218 Siehe Schneider (2002), S. 19. 219 Vgl. Kopitzsch (2001); Henningsen (2001). 220 NGO’s and the Police Against Prejudice, Projekt der Europäischen Union. 221 Siehe Lüpke / Kruse (2004), S. 39. 222 Siehe Weiß (2004), S. 50–51. 54 Menschenrechtsrelevante Inhalte in der polizeilichen Aus- und Fortbildung 4.1 Menschenrechtsrelevante Inhalte in der polizeilichen Ausbildung 4

Auszubildenden erleben diese Zeit überwiegend kenntnis über neue Methoden und Herangehensweisen als bereichernd und kompetenzerweiternd. an den Ausbildungseinrichtungen, das Misstrauen der Neuland wurde in Hamburg auch mit Seminaren „handarbeitenden“ Polizisten gegenüber der Vorge- betreten, in denen psychisch kranke und behin- setzten- und Bürokratenebene und anderes mehr. In derte Menschen den Auszubildenden von ihrem welchem Umfang und wie stark die Abwertung wirk- Krankheits- beziehungsweise Behinderungs- lich geschieht, darüber gibt es keine repräsentativen erleben erzählen. Besonders erhellend sei dabei, Angaben. Dass diese Tendenzen jedoch mehr oder wie Begegnungen mit der Polizei enpfungen weniger stark ausgeprägt sind, davon ist auszugehen. würden. Die Polizeischülerinnen und -schüler Einzelbelege224 sprechen dafür und es ist keine fun- erhielten Anregungen für einen angemessenen, dierte gegenteilige Aussage bekannt. gelassenen Umgang mit psychisch Kranken und Behinderten. Die Seminare fanden in Zusammen- Zweitens nehmen die Ausgebildeten eigenständig die arbeit mit „irre menschlich e.V.“, einem Verein Differenzen von Theorie und Praxis wahr, den auf sie für Öffentlichkeitsarbeit zum Thema psychische einstürmenden polizeilichen Alltag, das „wahre Leben“, Erkrankungen, statt. das sich in seinen mannigfaltigen Differenzierungen und Widersprüchlichkeiten nicht nach den Vorschriften, Rollenspielen und Einsatzregeln richtet, die ihnen aus der Ausbildung bekannt sind. Sie erleben, dass beispiels- 4.1.6 Praktika und Evaluationen weise oft eine eindeutige rechtliche Bewertung, für die Rechtstheoretiker wie auch Richter Wochen bis Mo- Fester Bestandteil der polizeilichen Ausbildung sind nate Zeit haben, auf die Schnelle schwer fällt. Rasch verschiedene Praktika in Polizeidienststellen. Die zeit- gewinnen sie aufgrund dieser praktischen Erfahrungen liche Verteilung und auch die Dienststellenauswahl die Einsicht, dass mit Regelungen in rechtlichen Grau- variieren von Bundesland zu Bundesland. Fast immer zonen im Polizeialltag oft mehr gewonnen ist als mit gibt es Praktikumsanteile auf Polizeirevieren bezie- formaler Korrektheit – und zwar für alle Seiten. Mit hungsweise Wachen und bei der Bereitschaftspolizei. Blick auf die Vielfalt der alltäglichen Einsatzsituationen Diese erste Konfrontation mit der polizeilichen Praxis eines Streifenbeamten225 ist das gut nachvollziehbar. Die löst bei den meisten Auszubildenden den so genann- Aussage eines Praktikanten in Australien entspricht si- ten Praxisschock aus. Dieser Praxisschock basiert auf cher auch dem Erfahrungshorizont vieler hiesiger Prakti- zwei Komponenten. Zum ersten resultiert er aus akti- kantinnen und Praktikanten: „Als ich die Akademie … ven Einflüssen der Praxisbetreuer und der anderen verließ, dachte ich, dass ich genug weiß, denn ich hatte Polizistinnen und Polizisten. Sie werten gegenüber wirklich gute Noten erhalten. … Es war ungefähr der Praktikanten die Ausbildungseinrichtung sowie einen zweite Tag, als ich begriff, dass ich einen Scheiß wusste Teil der Ausbildungsinhalte als für die Praxis irrele- und es war Zeit anzufangen, alles neu zu lernen.“226 vant ab. Sicher geht das nicht immer so weit, wie es mit dem Spruch nahe gelegt wird: „Vergiss mal alles, Wahrscheinlich ist es dennoch nicht gerechtfertigt, was du auf der Schule gelernt hast, wir zeigen dir hier, generell von einem Praxisschock zu sprechen. Ledig- was wirklich Polizist-Sein bedeutet“. Als Erklärung für lich ein Teil der Praktikantinnen und Praktikanten227 dieses Verhalten kommen mehrere Motive und Einstel- macht Erfahrungen im Praktikum, bei denen die lungen in Betracht: die generelle Skepsis der „Praktiker“ Divergenz zwischen Theorie und Praxis als tatsächlich gegenüber den „Theoretikern“, die Nachwirkungen schockierend erlebt wird. Dies wird insbesondere der des eigenen Erlebens einer Theorie-Praxis-Divergenz, Fall sein, wenn sie polizeiliche Übergriffe, durch Poli- ambivalente Erinnerungen und Projektionen im Zu- zisten begangene Straftaten oder andere Formen von sammenhang mit der eigenen Ausbildung223, Un- Fehlverhalten beobachten. Bei allen anderen sind Be-

223 Vgl. hierzu Kapitel 1.1. 224 Siehe zum Beispiel Liebl (2003), S. 216. 225 Sehr eindrucksvoll und überzeugend hierzu Behrendes (2003), S. 162. 226 Nach Chan (2003), S. 153 (Übersetzung durch den Autor). 227 Nach Angaben aus den Hintergrundgesprächen in Hamburg zum Beispiel fünf Prozent. 55 Menschenrechtsrelevante Inhalte in der polizeilichen Aus- und Fortbildung 4 4.2 Menschenrechtsrelevante Inhalte in der polizeilichen Fortbildung

griffe wie „Desillusionierung“ oder „Entidealisierung“ Drittel) hält den Polizeiberuf eher für einen Praxisberuf durch die Praxis wohl zutreffender, jedoch ist der als für einen Studienberuf. Als möglicher Hintergrund Begriff Praxisschock etabliert und wird deswegen hier für diese negative Bewertung wird die Erstverwendung auch verwendet. Unabhängig von der Bezeichnung des der Absolventen bei der Bereitschaftspolizei diskutiert, Phänomens, gilt es darauf zu reagieren. Das haben die die in besonderem Maße ein Praxisschock sein könn- Ausbildungseinrichtungen zumindest teilweise erkannt. te229. Eine Herausforderung für künftige Evaluationen Sie bieten vielfach gesonderte Praktikumsauswertun- wird es sein, sich in stärkerem Maße als bisher auch gen an. Diese finden beispielsweise an bis zu zwei den Ausbildungsinhalten zu widmen. Tagen in einem geschützten Rahmen statt, oft geleitet durch Psychologinnen beziehungsweise Psychologen oder Berufsethiklehrkräfte, einschließlich der Möglich- keit für Einzelgespräche wie beispielsweise an der LPS 4.2 Menschenrechtsrelevante Inhalte Hamburg. Daneben werden selbstverständlich in den in der polizeilichen Fortbildung einzelnen Unterrichtsfächern Praktikumserfahrungen aufbereitet. Manche Ausbildungseinrichtungen nehmen Fortbildungsangebote für Polizistinnen und Polizisten auch durch die Auswahl der Praktikumsdienststellen, existieren an den Fachhochschulen, den Polizeischu- die Einweisung der Betreuer und eine intensive Zusam- len oder an eigenständigen Fortbildungsinstituten. Die menarbeit mit diesen während des Praktikums Einfluss. Nutzenden entscheiden sich überwiegend eigenstän- dig für bestimmte Angebote. Sie benötigen jedoch für Verstärkt bemühen sich die polizeilichen Ausbildungs- ihre Laufbahn den Nachweis belegter Fortbildungen. einrichtungen um eine Evaluation der Lehre. Vorreiter Zu einigen Fortbildungen (zum Beispiel zu neuer Tech- für diese Prozesse sind die FHS. Dabei gibt es Bemü- nik oder Software) werden sie von den Vorgesetzten hungen um die Einhaltung sozialwissenschaftlicher verpflichtet, die auch auf die inhaltliche Ausrichtung Standards sowie um eine vorurteilsfreie, offene Dar- und thematische Schwerpunktsetzung der Angebote stellung und Bewertung der Ergebnisse. In der Regel insgesamt Einfluss nehmen. Die Fortbildungslandschaft erfolgen die Evaluationen anhand von Fragebogen- ist heterogen, sowohl mit Blick auf die Anbieter (und interviews. Sie werden meistens von Lehrenden im ihre externen Kooperationspartner) als auch hinsicht- Auftrag der Leitung der Bildungseinrichtung durchge- lich der thematischen Angebote, weshalb sich das führt – oft unter maßgeblicher Mitarbeit von Lernen- Kapitel im Folgenden vor allem auf die Darstellung den. Üblicherweise werden Lernende, Lehrende und von Best Practice-Beispielen konzentriert. Absolventen befragt. Die FHS Baden-Württemberg ging noch weiter: Die Evaluation wurde durch eine Im zweiten Teil bezieht sich das Kapitel auch auf externe Unternehmensberatung erstellt und bezog Supervision und Leitbildprozesse. Hierbei handelt es auch die „Abnehmer“ ein, d.h. die Dienststellen, in sich nicht um Fortbildung im eigentlichen Sinn. Je- denen die Absolventen zum Einsatz kamen. Die Er- doch können diese Maßnahmen de facto auch Effekte gebnisse dieser Evaluation sind differenziert, über- im Sinne von Fortbildung entfalten beziehungsweise wiegend aber positiv. Eine weitere Evaluation stammt dafür genutzt werden. von der FHS Sachsen. Hier zeichnen die Studierenden und die Absolventen ein eher kritisches Bild. Die Kritik betraf beispielsweise mangelnde Praxisrelevanz, 4.2.1 Fortbildungsangebote und Best Practice- Probleme in der Abstimmung zwischen den Fächern Beispiele und Mängel in der Zielsetzung für das Praktikum. Positiv wurde unter anderem das Arbeitsklima an der Die Anbieter von Fortbildung für die Polizei sehen sich FHS erwähnt228. Bei einer Evaluation in Hessen ergab selbst überwiegend als Dienstleistende. Das ist ein sich eine mittlere Zufriedenheit mit dem Studium. klarer Trend, der in den entsprechenden Programmen Immerhin 44,5 Prozent meinen, es sei überflüssig in oft auch so benannt wird. Die Anbieter verbinden Bezug auf den Berufsalltag. Eine Mehrheit (zirka zwei damit Ansprüche wie Aktualität, hohes wissenschaft-

228 Siehe Burgheim u.a. (2002), S. 14–16. 229 Vgl. Groß / Schmidt (2004). 56 Menschenrechtsrelevante Inhalte in der polizeilichen Aus- und Fortbildung 4.2 Menschenrechtsrelevante Inhalte in der polizeilichen Fortbildung 4

liches Niveau, angemessene Methodik und vor allem Seminar zum „Lagebedingten Erstickungstod“ die strikte Ausrichtung an den Bedürfnissen der Praxis. Teilweise werden diese durch Umfragen in der Ziel- Das erste Beispiel kann als Reaktion auf Vorfälle und gruppe, also unter früheren und potenziellen Teilneh- Vorgehensweisen im Zusammenhang mit der Ab- menden, erforscht. schiebepraxis des Bundesgrenzschutzes gewertet wer- den, die 1999 zum Tod des sudanesischen Staatsbür- Auf die Gestaltung der Fortbildungspläne nehmen außer gers Amir Ageeb geführt hatten (siehe Kapitel 1.1). Es den Nutzern die Führungskräfte der Polizeidienststel- zeigt, wie Menschenrechtsdenken beziehungsweise len und der Innenministerien Einfluss. Die polizeiliche die Analyse schwerer Menschenrechtsverletzungen Fortbildung wird von Lehrenden aus den Ausbildungs- letztlich zu praxisorientierten Fortbildungsangeboten einrichtungen, erfahrenen Praktikern und Praktikerinnen führen kann. Das Seminar zum „Lagebedingten Er- und externen Personen aus der Richterschaft, der Wis- stickungstod“ wurde von Baden-Württemberg und senschaft oder freiberuflichen Trainern beziehungs- Bayern erstmalig in Deutschland angeboten. Der Ini- weise Trainierinnen durchgeführt. Aus den vorliegenden tiator Wolfgang Mallach (FHS Baden-Württemberg) Fortbildungsplänen lassen sich folgende Schwerpunkte hatte Todesfälle und Vorfälle von schweren Gesund- ermitteln: Polizeiliche Einzel- und Spezialthemen (zum heitsschäden bei polizeilichen Festnahmen im In- und Beispiel Verkehrsunfallaufnahme, Drogenerkennung Ausland analysiert, gerichtsmedizinische Befunde im Straßenverkehr, Maßnahmen bei Gefahrgutunfällen, gesichtet und internationale Schlussfolgerungen aus- Vernehmung, Organisierte Kriminalität, Häusliche Ge- gewertet. Dabei zeigte sich, dass eine Form des walt, Umgang mit gefährlichen Hunden), technische Fixierens von sich wehrenden Festgenommen in einer Themen (zum Beispiel Geschwindigkeitsüberwachung bestimmten Lage (Bauchlage und zusätzliches Knien im Straßenverkehr, Computer und Internet als Tatmittel, auf dem Körper) ein besonders hohes Risiko birgt, dass Einführungen zu neuen Computerprogrammen), recht- der Festgenommene an Atemnot stirbt oder schwer liche Themen (zum Beispiel Ausländerrecht, Gefahr- geschädigt wird. Dem Zwang ausübenden Beamten gutrecht, Waffenrecht, Eingriffsrecht), Veranstaltungen wird dies jedoch unter Umständen nicht bewusst. Er zur Erhöhung der sozialen und interkulturellen Kom- hält den Todeskampf für sich verstärkende Gegen- petenz, Fremdsprachenunterricht, Fahrausbildung und wehr. Daraus wurde die Notwendigkeit abgeleitet, Sonderthemen wie Organisationsentwicklung, Erste möglichst alle operativ tätigen Polizeibeamten über Hilfe, Sportangebote. diese Risiken zu informieren und in praktischen Trai- ningseinheiten Festnahmeformen zu üben, bei denen Die Gewichtung der Themen und die Anzahl der An- solche Schädigungen vermieden werden. gebote sind sehr unterschiedlich. Fortbildungen zur Erhöhung der sozialen Kompetenz insbesondere für „PAKET“ die Zielgruppe Führungskräfte nehmen jedoch in allen gesichteten Programmen proportional einen größeren Ein aus Sicht der Menschenrechtsbildung im weiteren Raum ein als in den Ausbildungsprogrammen. In kei- Sinne sehr interessantes Fortbildungsangebot ist aus nem der vorliegenden Programme wurde ein Thema Bayern unter dem Titel PAKET-Seminar bekannt. gefunden, das der Menschenrechtsbildung im engeren PAKET steht dabei für Polizeilehre, Antistress-, Kom- Sinne zuzurechnen wäre, mit Ausnahme der Fortbil- munikations- und Einsatzbewältigungs-Training. Es dungsangebote der PFA – siehe unten. Lediglich in zeigt, dass in einem gut angelegten Training zu diesen den Beschreibungen der Angebote zu Rechtsthemen Schwerpunkten Fehlverhalten klar vorgebeugt wird. taucht der Bezug zu den Grundrechten auf. Der So ist für dieses Seminar auch als Ziel formuliert, dem Menschenrechtsbildung im weiteren Sinne können einzelnen Beamten zu helfen, seine polizeiliche Arbeit hingegen bei entsprechenden Rahmenbedingungen, professioneller zu gestalten, damit seine berufliche angemessener Didaktik und Methodik sowie adäquaten Zufriedenheit zu erhöhen und das Verhältnis Bürger – Inhalten viele Veranstaltungen zur Erhöhung der sozi- Polizei zu verbessern. alen Kompetenz sowie einige rechtliche Themen, zum Beispiel Veranstaltungen zum Ausländerrecht, zuge- Methodisch knüpft es an der Erfahrungswelt der Trai- rechnet werden. ningsteilnehmenden an, nutzt den wissenschaftlichen Erkenntnisstand der Verhaltenslehre, insbesondere Die folgenden Beispiele sind exemplarischer Natur. der Psychologie und will, zum Beispiel über Rollen- Sie werden herausgehoben, weil hier der Bezug zu spiele, Lernprozesse in Gang setzen. Ähnlich angelegte den Menschenrechten sehr deutlich wurde oder das Seminare gibt es unter anderem Titel auch in den Fort- methodische Vorgehen gute Erfolge versprach. bildungsangeboten anderer Bundesländer. 57 Menschenrechtsrelevante Inhalte in der polizeilichen Aus- und Fortbildung 4 4.2 Menschenrechtsrelevante Inhalte in der polizeilichen Fortbildung

Interkulturelle Bildung in Hamburg 2001 eingestellt worden. Hierzu sei noch einmal auf die möglichen Auswirkungen des Führungs- In den meisten Bundesländern gibt es Fortbildungs- handelns auf die unterstellten Polizistinnen und Poli- angebote, die auf eine Erhöhung der interkulturellen zisten verwiesen232. Der Stellenwert derartiger Ange- Kompetenz zielen. In Berlin wurden solche Veranstal- bote wird damit schnell klar. tungen zum Beispiel in Kooperation mit verschiedenen Migrantenvereinen unter dem Motto „Polizei und Zu- Es ist ein Verdienst der PFA und dort wiederum eini- wanderer – Herausforderungen und Perspektiven“ ger engagierter Lehrender, das Thema „Menschen- angeboten. An diesen Seminaren nahmen bisher über rechte und Polizei“ bereits mehrfach zum Gegenstand 4000 Mitarbeitende teil230. In Hessen gab es in Ko- von Fortbildungen gemacht zu haben. Solche Veran- operation mit Migrantenorganisationen Seminare staltungen beschäftigen sich mit Fragen wie: „Wie zum Thema „Polizei und Migrantinnen und Migranten schützt die Polizei die Menschenrechte? Wie riskiert im Dialog“, in deren Rahmen insbesondere die Sicht die Polizei die Menschenrechte? Wer schützt die der Migrantinnen und Migranten auf das polizeiliche Menschenrechte der Polizistinnen und Polizisten?“ In Handeln thematisiert wurde. Unter der gleichen Über- Vorträgen und Workshops erschlossen sich die Teil- schrift fanden auch mehrere Stammtische statt231. nehmenden diese verschiedenen thematischen Zu- Aus Hamburg wurde ein Beispiel berichtet, bei dem gänge. Zum Erfolg solcher Veranstaltungen trug bei, zehn Polizeibeamte mit zehn Personen muslimischen dass im Zusammenwirken von polizeilichen Füh- Glaubens gemeinsam ein Wochenendseminar absol- rungskräften aus dem gesamten Bundesgebiet und vierten, das dem gegenseitigen Verständnis sowie der internationalen Gästen sehr unterschiedliche Erfah- Arbeit an Einstellungen und Vorurteilen diente. Das rungen und Sichtweisen eingebracht wurden. Dabei extern moderierte Seminar, bei dem unterschiedliche gelang es den Organisatorinnen und Organisatoren, Methoden genutzt wurden, war unter Mithilfe einer eine Arbeitsatmosphäre zu erzeugen, die von Acht- Islamwissenschaftlerin organisiert worden, die mit einer samkeit und Konstruktivität geprägt war. Ein Ziel sol- polizeilichen Fachdienststelle zusammenarbeitet. cher Veranstaltungen ist es, das Verständnis dafür auszubilden beziehungsweise zu vertiefen, dass die Fortbildung von Führungskräften Achtung, der Schutz und die Gewährleistung der Menschenrechte Hauptaufgaben der Polizei sind. Ein interessanter neuer Ansatz in der Fortbildung von Damit sollen Denkmuster überwunden werden, wel- Führungskräften wurde in Hamburg praktiziert. Hier che die Gefahrenabwehr und die Straftatenverfolgung war eine externe Unternehmensberatung mit der als alleinige Aufgaben der Polizei sehen oder diese gar Fortbildung von Führungskräften beauftragt worden. in einen Widerspruch zu den Menschenrechten stel- Sie charakterisierte gutes Management unter ande- len. Dabei lässt sich begründen, warum die Polizei rem folgendermaßen: „Die Würde des Menschen wird eine Menschenrechtsorganisation sein kann und gewahrt, wo er nicht als Mittel zum Zweck betrachtet unter welchen Bedingungen sie dies tatsächlich und behandelt wird.“ Weitere Prämissen waren, von wird233. Diese Gedanken waren für die Veranstaltun- einer angstfreien Reflexion des Dienstalltages auszu- gen prägend: In nahezu allen Beiträgen der anwesen- gehen, in der Beschwerdekultur einen Erfolgsfaktor zu den Polizeibeamten kam zum Ausdruck, dass sie ähn- sehen sowie die Korrelation der Zufriedenheit von liche Sichtweisen haben. Derartige Signale aus der Mitarbeitenden und Bürger/innen zu erkennen und in polizeilichen Praxis können nicht hoch genug den Mittelpunkt des Führungshandelns zu stellen. Ins- geschätzt werden, sie haben Modellcharakter. Hieran gesamt zielt dieses Programm darauf ab, psychologi- ist anzuknüpfen, wie im abschließenden Empfehlungs- sches Wissen für Führungskräfte handlungswirksam teil der Studie dargestellt werden wird. zu machen. Aus Hintergrundgesprächen ist bekannt, dass dieses Führungskräftetraining auf eine hohe Akzep- Die PFA ist auch das Referenzinstitut der Europäischen tanz stieß. Es ist im Zuge politischer Veränderungen Polizeiakademie (CEPOL). Ziel dieser Einrichtung ist

230 Siehe Selowski (2004), S. 34-35. 231 Vgl. Kebaili (2004), S. 27–32. 232 Vgl. Kapitel 3.6.1. 233 Aus dem Eröffnungsreferat 2005 – Meier (2005), S. 10 und S. 14. 58 Menschenrechtsrelevante Inhalte in der polizeilichen Aus- und Fortbildung 4.2 Menschenrechtsrelevante Inhalte in der polizeilichen Fortbildung 4

es, die Zusammenarbeit der nationalen Polizeischulen bereichernd es schließlich die Teilnehmenden erleb- zu fördern, den Austausch zu organisieren und Fort- ten, sich offen über Probleme und Gefühle auszutau- bildungsveranstaltungen anzubieten, an denen Füh- schen. In Hamburg wurde Ende der 1990er Jahre ver- rungskräfte der Polizeien verschiedener europäischer stärkt von Psychologinnen und Psychologen durchge- Länder gemeinsam teilnehmen. Eines der Angebote führte Teamsupervision angeboten und genutzt. Das trägt den Titel „Menschenrechte, polizeiliche Ethik und führte dazu, dass einzelne Dienstschichten, die das Vorbeugung von Korruption“. 2004 fand dieses dreitä- Vorteilhafte dieser Methode erlebt hatten, es sich auch gige Seminar bereits in Schweden und Estland statt, nach dem Auslaufen dieser Angebote zur Gewohnheit 2005 ist die Slowakei Austragungsland. Schwerpunkte machten, regelmäßig nach dem Dienst unter Nutzung dieses Seminars sind die Implementierung von Men- von supervisorischen Techniken das Tagesgeschehen schenrechtsthemen in die Curricula von polizeilichen auszuwerten. Sie waren von der Supervision „ange- Aus- und Fortbildungseinrichtungen in Europa, der steckt“236. Stellenwert polizeilicher Ethik sowie die Zusammen- hänge von Menschenrechten und alltäglicher Polizei- Die Prozesse zur Ausarbeitung und Einführung von arbeit. Leitbildern bei der Polizei in verschiedenen Bundes- ländern sind keine ausdrücklich so bezeichneten For- men der Fortbildung. In diesen Prozessen wurden 4.2.2 Supervision und Leitbildprozesse jedoch teilweise Bildungsmethoden eingesetzt. Das macht sie im praktischen Sinne zum Bestandteil von Supervisionsprozesse234 gehören nicht zur Fortbildung im Fortbildung – jedenfalls dort, wo Beamtinnen und Be- klassischen Sinne. Gelingende Supervision führt jedoch amte jenseits der Führungs- und Verwaltungsebene zu Konsequenzen bei den Einstellungen und Hand- einbezogen waren. Auf polizeiliche Leitbilder wurde lungsmustern, die den Effekten guter Fortbildungs- bereits im Kapitel 3.12 kurz eingegangen237. Leitbilder maßnahmen ähnlich sind oder diese noch übertreffen. können als ethische Selbstverpflichtung der Orga- Anders ausgedrückt: Gute Fortbildungskonzepte stel- nisation Polizei verstanden werden. Der direkte Bezug len immer wieder heraus, wie wichtig es sei, die Teil- zu den Menschenrechten wird exemplarisch anhand des nehmenden „dort abzuholen, wo sie gerade sind“, an Leitbildes der Polizei in Baden-Württemberg deutlich, ihre Lebenswirklichkeit anzuknüpfen und Selbsterfah- das mit menschenrechtsbasierten Aussagen eingeleitet rungsprozesse anzuregen. Supervision hat sehr ähnliche wird: „Wir achten die Würde jedes Menschen“, „Das Ausgangspunkte. Bei der Polizei besitzt Supervision Menschenbild des Grundgesetzes ist für uns verbind- bis heute Seltenheitswert. Im Rahmen der Recherche lich“ und „Menschlichkeit und Gerechtigkeit sind unser sind lediglich zwei Beispiele bekannt geworden. Behr Ziel“. Auch alle weiteren Aussagen entsprechen dem berichtete von seinen Supervisionserfahrungen mit modernen Verständnis des neuen Polizeiparadigmas. Polizeibeamten in Frankfurt/Main. Einerseits disku- Am Ende heißt es: „Diese Leitbilder sind das Ergebnis tiert er die Schwierigkeiten, die es vor allem in der intensiver Diskussionen über unsere Werthaltung und Anfangsphase zu überwinden galt. Unter anderem unser Selbstverständnis. Ihre Wirkung können sie nur macht er auf das Problem aufmerksam, dass insbe- entfalten, wenn wir sie gemeinsam leben.“ sondere auf der Vorgesetztenebene die Meinung vor- herrschte, Supervision sei etwas für bestimmte Mit- Es steht hierzu in deutlichem Widerspruch, dass in arbeitende, aber nicht für die eigene Person „Die einigen Bundesländern beziehungsweise Regionen die Anderen sind die Bedürftigen, man selbst darf nicht als Implementierung des Leitbildes auf dem Verordnungs- schwach, als unterstützungsbedürftig oder als abwei- wege erfolgte. Dass sich hier positive Wirkungen von chend gelten.“235 Andererseits schildert er, als wie allein einstellen, darf bezweifelt werden. Damit kommt

234 Für Supervision existiert keine auch nur näherungsweise einheitliche Definition. Im hiesigen Kontext sind damit Kommu- nikationsprozesse in Form einer methodengeleiteten Reflexion des beruflichen Handelns und des mit diesem verbundenen Erlebens gemeint. Sie finden in der Regel unter Beteiligung einer externen Supervisorin oder eines Supervisors innerhalb eines Arbeitsteams oder mit einzelnen Mitarbeitenden statt. Ziele der Supervision sind zumeist die Verbesserung der Arbeitsergebnisse und des Wohlbefindens der Mitarbeiter/innen. 235 Behr (2004), S. 157. 236 Mitteilung aus den Hintergrundgesprächen in Hamburg. 237 Zu den Leitbildern werden teilweise sehr kontroverse Diskussionen geführt – vgl. zum Beispiel Behr (2000), S. 229–233, der lakonisch bemerkt: „Es ist nicht sehr nahe liegend, dass street cops auf diese Leitbilder wirklich gewartet haben, und dass sie die nun angebotenen als die handlungsanleitenden Bedingungen ihrer Arbeit annehmen.“ (S. 233). 59 Menschenrechtsrelevante Inhalte in der polizeilichen Aus- und Fortbildung 4 4.2 Menschenrechtsrelevante Inhalte in der polizeilichen Fortbildung

der Verdacht auf, dass Leitbilder teilweise lediglich wurden diese Prozesse evaluiert. Positiv ist zunächst „kosmetischen Zwecken“ dienen. In Implementations- festzustellen, dass eine Akzeptanz des Leitbildes prozess offenbart sich erneut die Diskrepanz zwischen überwiegt. Doch immerhin 35 Prozent der einbezoge- ethischem Inhalt und den Rahmenbedingungen der nen Beamtinnen und Beamten lehnen das Leitbild ab. Vermittlung als regelrechtes Paradox: Gutsein auf dem 30 Prozent warfen die kostenlos verteilte Broschüre Befehlswege. Dies entspricht ursprünglichen Bildungs- weg. Die Leitbildzirkel stießen sogar größtenteils auf erfahrungen der Beamten und Beamtinnen238 und dürfte Ablehnung. Neben der Kritik, die Veranstaltungen damit oft Trotz- und Verweigerungsreaktionen und damit seien prinzipiell ungeeignet, wurden folgende Haupt- das Gegenteil der beabsichtigten Wirkungen erzielen. probleme genannt: mangelndes Feedback auf Vorschlä- ge, erzwungene Teilnahme, Zweifel an der Praxisrelevanz, Teilweise wurden die Leitbilder jedoch im Rahmen so auf der Dienststelle wenig geachtete Moderatoren239. genannter Leitbildzirkel erarbeitet und implementiert, Es erscheint sehr sinnvoll, sich für das Gelingen von in die eine Vielzahl von Beamtinnen und Beamten Menschenrechtsbildung diese Probleme genauer unterschiedlicher Hierarchiestufen und Dienstzweige anzusehen, um ihnen in anderen Maßnahmen vorzu- einbezogen wurden. Hier besteht die Chance tatsäch- beugen. Insgesamt können Leitbildprozesse jedoch bei licher Lernprozesse mit direkter Rückwirkung in die sachgerechter Durchführung als geeignete Möglich- persönlichen Wertvorstellungen. In Rheinland-Pfalz keit für Menschenrechtsbildung angesehen werden.

238 Die Inhalte zählen nicht wirklich, sondern der Gehorsam. 239 Vgl. Dillenberger u.a. (2000). 60 Anregungen und Impulse 5.1 Reflexion und kritische Auseinandersetzung mit der Cop Culture 5

5 Anregungen und Impulse

Menschenrechtsbildung für die Polizei ist völkerrecht- instanz für die Polizei, da dies über die Bildung hinaus lich gefordert und aus der polizeilichen Praxis heraus für einen menschenrechtsbasierten Ansatz der gesam- notwendig. Die Studie zeigt, welche Verpflichtungen ten Polizeiarbeit geboten ist. Dies lässt sich nicht sich aus den internationalen Verträgen – etwa aus der zuletzt am Beispiel Österreichs belegen (siehe unten). UN-Anti-Folter-Konvention oder aus der Anti-Rassis- muskonvention – für die Polizei ergeben, aktiv für den Schutz der Menschenrechte einzutreten, sie in ihrer Arbeit jederzeit zu achten und für jeden Menschen zu 5.1 Reflexion und kritische Auseinander- gewährleisten, der sich in Deutschland aufhält bezie- setzung mit der Cop Culture hungsweise mit dem deutsche Polizistinnen und Poli- zisten zu tun haben. Die Studie beschreibt, welche Verschiedene wissenschaftliche Studien belegen die Formen von Menschenrechtsbildung derzeit existieren. Existenz der (inoffiziellen) Cop Culture240 in Abgren- Dabei gibt es neben guten Beispielen auch Defizite. zung zur (offiziellen) Polizeikultur. Sie ist eine Realität Daher sollen im Folgenden Anregungen und Impulse polizeilicher Arbeit, weist positiv wirkende und pro- für Veränderungen gegeben werden. Sie richten sich an blematische Elemente auf und stellt gleichzeitig eine Politiker und Politikerinnen, Polizeiführungskräfte, an Chance dar: Durch bewusste Auseinandersetzung der die Aus- und Fortbildungsstätten sowie zivilgesell- Polizistinnen und Polizisten mit der Cop Culture könnten schaftliche Akteure und nicht zuletzt an die operativ Achtung, Schutz und Gewährleistung der Menschen- tätigen Polizistinnen und Polizisten selbst. rechte als feste Bestandteile in diese Kultur integriert werden. Voraussetzung dafür ist, dass seitens der Innen- Cop Culture ist notwendige polizeiliche Realität politik und der Polizeiführung solche Diskussionspro- einerseits und eine strukturelle Bedingung für die zesse initiiert und unterstützt werden. Die Polizei ist Möglichkeit von Menschenrechtsgefährdungen und nicht so, wie manche Führungskräfte oder Interessen- -verletzungen durch Polizistinnen und Polizisten an- vertretungen sie sehen wollen; sie ist auch nicht so, dererseits. Dies seitens der Politik und der Polizeiorga- wie es Gesetze, Vorschriften, Berichte oder Statistiken nisation zur Kenntnis zu nehmen und sich damit suggerieren. Sie ist als Organisation Bestandteil einer umfassend zu beschäftigen, ist die wichtigste Anre- vielschichtigen und widersprüchlichen gesellschaft- gung der Studie. Hiermit im Zusammenhang stehen lichen Realität. Durch die Mitarbeitenden dieser weiterhin Anregungen, verstärkt in die polizeiliche Organisation wird ganz überwiegend gute Arbeit ge- Fortbildung zu investieren und solche Veränderungen leistet. Doch gilt es auch die Probleme und Schatten- zu initiieren, die ein höheres Maß an Schutz und Ach- seiten offen zur Kenntnis zu nehmen, um sich mit ihnen tung der Menschenrechte durch die Beamtinnen und auseinandersetzen zu können und in der Öffentlich- Beamten nachhaltig fördern können. Bei der Aus- keit den Eindruck des Vertuschenwollens zu vermeiden. bildung erscheint es vor allem wichtig, Bestehendes zu Das Polizeibild der politisch Verantwortlichen sollte bewahren und begonnene Veränderungsprozesse kon- daher nicht nur auf den Zahlen und Berichten aus der tinuierlich fortzusetzen. Der Empfehlungsteil schließt Behördenhierarchie basieren, denn auch diese sind mit einem Plädoyer für eine unabhängige Kontroll- interessengeleitete Konstrukte.

240 Vgl. Kapitel 3.4. 61 Anregungen und Impulse 5 5.2 Menschenrechte als Schwerpunktthema in der polizeilichen Fortbildung stärken

In parlamentarischen Ausschüssen ist es zur Gewohn- zivilgesellschaftliche Kräfte einbezogen werden sollten, heit geworden, Informationen von verschiedenen ge- um diesem unbefriedigenden Zustand Abhilfe zu ver- sellschaftlichen Gruppen, insbesondere von der schaffen. Wissenschaft, einzuholen. Diese Vorgehensweise sei noch stärker als bisher auch den Innenministerien In der Ausbildung sind die Existenz der Cop Culture und der Polizeiführung empfohlen. Mit der prinzipiel- sowie die verschiedenen Bedingungen und Auswir- len Akzeptanz von Cop Culture innerhalb der Polizei- kungen offen und in verschiedenen Fächern zu the- organisation ist vor allem die Empfehlung einer ver- matisieren. Neben Berufsethik, Psychologie und besserten Fehlerkultur verbunden. Idealerweise sollte Politologie erscheint es gerade in Fächern wie Ein- es regelmäßige Auswertungsprozesse des Dienstalltags satzlehre und Recht wichtig, auf die Unterschiede von geben, bei denen offen alle wesentlichen Gescheh- Theorie und Praxis hinzuweisen und den Auszubil- nisse miteinander besprochen und bewertet werden. denden Wege aufzuzeigen, sich die Cop Culture aktiv Dabei sollte es selbstverständlich sein, dass die und kritisch anzueignen und dabei mit den Inten- Mitarbeitenden auch das Handeln der Vorgesetzten tionen der Gesetze und Vorschriften in Übereinstim- kritisieren241. Für solche Auswertungsprozesse lassen mung zu bleiben. Damit würde auch dem so genannten sich auch Supervisionstechniken anwenden242. Damit Praxisschock aktiv vorgebeugt werden. Der Absicht, diese gelingen, bedarf es allerdings fundierter Kennt- den Auszubildenden die polizeiliche Realität näher zu nisse in den entsprechenden Techniken und Methoden bringen, würde auch ein verstärktes interdisziplinäres sowie der Überzeugung, dass sie auch sinnvoll sind. Herangehen dienen, wie es ja teilweise schon im Die Teilnehmenden müssen, wie es oben heißt, von Integrierten Einsatztraining praktiziert wird. Andere Supervision „angesteckt“ sein. Chancen dazu liegen im Teamteaching. Das gemein- same, sich wechselseitig respektierende Auftreten des Offene Dienstauswertungsprozesse als Auseinander- beispielsweise polizeierfahrenen Einsatztrainers mit setzung mit der Cop Culture können nur erfolgreich der Psychologin zum Erfolg beitragen. Für die sein, wenn sich Politik und Polizei mit dem Problem Menschenrechtsbildung erscheint es also wichtig, die befassen, dass Polizistinnen und Polizisten strafbares Teilung zwischen „weichen“ und „harten“ Fächer zu Fehlverhalten anzeigen müssen. „Das strafrechtliche überwinden. (§§ 258a, 340 StGB) und strafprozessrechtliche (§ 163 StPO) Zwangskorsett ist zu eng, um Freiräume für einen konstruktiven Umgang mit polizeilichem Fehl- verhalten zu schaffen.“243 Die derzeitigen Alternativen 5.2 Menschenrechte als Schwerpunkt- sind zum einen die Verdrängung, das Nicht-wahrha- thema in der polizeilichen Fortbildung ben-Wollen, dass es vielfach polizeiliches Fehlverhal- stärken ten einschließlich Menschenrechtsverletzungen gibt. Zum anderen existiert ein quasigesetzwidriger Zustand: Während menschenrechtliche Themen in der polizei- Die Polizistinnen und Polizisten tauschen sich offen lichen Ausbildung in gewissem Umfang verankert über den Dienstalltag einschließlich mehr oder minder sind, gibt es im Bereich der Fortbildung fast überall schwerer Formen von Fehlverhalten aus, üben kon- Defizite. Aus den internationalen Menschenrechtsab- struktive Kritik untereinander, bemühen sich dadurch, kommen und -dokumenten ergibt sich die Verpflichtung solchem Verhalten in der Zukunft vorzubeugen, bege- für eine verbindliche Fortbildung aller Polizistinnen hen damit aber gegebenenfalls Straftaten gemäß und Polizisten zu menschenrechtlichen Themen. Von § 258a StGB (Strafvereitelung im Amt). Es bedarf eines daher sind Menschenrechte als Fortbildungsschwer- offenen Diskussionsprozesses, in den Wissenschaft und punkt für die verschiedenen Zielgruppen innerhalb

241 Vereinzelt lässt sich solche Fehlerkultur bereits in der Polizei vorfinden. Der Autor hat ein solches Vorgehen beispielsweise bei der Kriminalistisch-kriminologischen Forschungsgruppe des BKA Anfang der 1990er Jahre kennen gelernt. 242 Für die Polizei ein flächendeckendes Supervisionsangebot zu fordern hieße, die ökonomischen Realitäten zu ignorieren – auch wenn dies wegen der beruflichen Belastungen im Vollzugsdienst ohne Zweifel sinnvoll wäre. Externe Supervision soll- te insbesondere dort zur Anwendung kommen, wo Beamtinnen und Beamte in ihrem Dienst besonders starken Belastungen unterworfen sind (zum Beispiel in Spezialeinheiten, in Problemgebieten, bei besonderen Einsatzlagen) oder wo sie als Element von Organisationsentwicklung dringend benötigt wird. 243 Behrendes (2003), S. 176. 62 Anregungen und Impulse 5.2 Menschenrechte als Schwerpunktthema in der polizeilichen Fortbildung stärken 5

der Polizei fest zu etablieren. Die Teilnahme sollte – ins- Spezielle Verantwortung: Ihre spezifische Ver- besondere im Zusammenhang mit dem Laufbahnauf- antwortung als Angehörige der ersten Vorge- stieg – obligatorisch sein. Für nachhaltige Wirkungen setztenebene soll den Teilnehmenden bewusst erscheint es wichtig, als Zielgruppen sowohl Führungs- werden. Daraus können weitere Motive für das kräfte als auch die operativ tätige Basis anzusehen. Anliegen des Programms erwachsen (zum Bei- spiel Verantwortung für die Mitarbeitenden zu übernehmen, pädagogische Motive). Dienstschicht- und Dienstgruppenleiter sowie Ressourcenorientierung: Die Teilnehmenden Trupp- und Einsatzgruppenführer verständigen sich über die Ressourcen, über die Polizistinnen und Polizisten für ein menschen- Die erste Hierarchieebene ist dabei die wichtigste rechtskonformes Verhalten verfügen und die zu Zielgruppe. Es sind die Dienstschicht- oder Dienst- stärken Bestandteil ihrer Führungsarbeit ist gruppenleiter, die Trupp- oder Einsatzgruppenführer, (Wissen über Menschenrechte, Empathie, Kom- die einerseits über so viel Nähe zur Praxis verfügen, munikationsfähigkeit, interkulturelle Kompetenz, dass sie von ihren Unterstellten als kompetent ange- Toleranz etc.). sehen werden, und die andererseits eine Führungsver- Problembewusstsein: Mit den Teilnehmenden antwortung besitzen. Auch der Menschenrechtsbeirat werden Beispiele für Menschenrechtsverlet- in Österreich (siehe unten) empfiehlt, die Gruppe der zungen und andere Formen von Fehlverhalten dienstführenden Beamten als spezielle Zielgruppe von durch die Polizei sowie deren Ursachen und Menschenrechtsbildung anzusehen. Sie sind diejeni- Hintergründe diskutiert. Hierbei spielen The- gen, die den maßgeblichsten Einfluss auf die „Praxis men wie Cop Culture, „Mauer des Schweigens“, auf der Straße“ haben244. Korpsgeist, „Widerstandsbeamte“ etc. eine be- sondere Rolle. Dabei geht es nicht darum, die Es erscheint daher sinnvoll, ein spezifisches Programm245 Cop Culture zu beseitigen – was ohnehin nicht für diese erste Hierarchieebene zu entwickeln. Im möglich wäre – sondern sie zu reflektieren, um Folgenden werden mögliche Grundelemente skizziert, notwendige Veränderungsprozesse zu initiieren. ohne damit bereits ein komplettes Konzept vorlegen Interventionsstrategien: Die Teilnehmenden zu wollen: erarbeiten sich methodisches Rüstzeug für eine menschenrechtskonforme Dienstausübung. Dabei geht es um ein psychologisch fundiertes Motivation: Damit die Beamten und Beamtin- Vorgehen im Sinne einer guten Dienststellen- nen für die Fortbildung motiviert sind, sollte an kultur und eines partnerschaftlichen Umgangs. ihren Interessen angeknüpft werden. Dafür Zielzustände können mit Hilfe der Europarats- eignen sich Motive wie ganz allgemein „einen broschüre „Polizeiarbeit in einer demokratischen guten Job“ zu machen, dafür zu sorgen, dass die Gesellschaft – Ist ihre Dienststelle ein Vertei- Bürger/innen zufrieden sind, dass unter den Kol- diger der Menschenrechte?“ antizipiert werden. leginnen und Kollegen ein gutes Klima herrscht, Am Ende könnte die Formulierung von Um- niemand Probleme bekommt und auch die Vor- setzungsplänen einschließlich kurz- und mit- gesetztenebene zufrieden ist. telfristiger Teilziele stehen, deren Realisierung Sensibilisierung: Für die Teilnehmenden soll der in Folgeveranstaltungen besprochen wird. besondere Stellenwert der Menschenrechte, die für sie oftmals nur ein Schlagwort sind, deut- lich gemacht werden. Hierfür eignen sich Semi- nare und Methoden, die speziell für die Ziel- Führungskräfte gruppe Polizei entwickelt wurden. Zu bevorzugen sind Übungen, die die Erfahrungswelt der Eine weitere zentrale Zielgruppe der Fortbildung sind Teilnehmenden aufgreifen. Führungskräfte. Hier besteht Bedarf nach Menschen-

244 Siehe Menschenrechtsbeirat Österreich (2005), S. 32–33. 245 Die Betonung bei diesem Vorhaben liegt auf dem Wort „Programm“. Singuläre Schulungsmaßnahmen dürften den beab- sichtigten Zweck kaum erfüllen. Über mehrere Veranstaltungen hinweg gleicht dieses Programm eher einer Prozessbeglei- tung als einem klassischen Seminar. Die Durchführenden dieses Programms sollten daher auch über beraterische Kompe- tenzen verfügen. 63 Anregungen und Impulse 5 5.2 Menschenrechte als Schwerpunktthema in der polizeilichen Fortbildung stärken

rechtsbildung im engeren Sinne, da die Ausbildung in Orientierung der Polizei an ihrer Rolle als Dienst- diesem Bereich Lücken aufweist. Dabei geht es für die leister, als Bürgerpolizei mit der klaren Ausrichtung Führungskräfte nicht nur um das eigene Menschen- an den Menschenrechten an erster Stelle. Damit die rechtsverständnis, sondern auch um die Perspektive, Polizistinnen und Polizisten hierzu befähigt werden, ist für die Vermittlung menschenrechtlicher Standards in ein adäquates Führungshandeln notwendig. Ein wesent- ihren Dienststellen und für die Sicherung der Men- liches Problem stellt dabei die Diskrepanz zwischen schenrechtskonformität des Handelns der ihnen un- Theorie und Praxis dar. Kooperativer Führungsstil muss terstellten Mitarbeitenden mitverantwortlich zu sein. mehr als ein Schlagwort sein. Respekt und Anerken- In einzelnen Bildungsmaßnahmen sollten sie insbe- nung, eine offene, kritische und partnerschaftliche sondere mit dem Menschenrechtsschutzsystem ver- Auseinandersetzung über die Arbeit, freie Informations- traut gemacht werden. Das soll sie befähigen, den flüsse, Verantwortung und Vertrauen, Gespräche mit ihnen unterstellten Mitarbeitenden den Stellenwert Mitarbeitenden und Zielvorgaben, eine gute Fehler- der Menschenrechte immer wieder ins Bewusstsein kultur – mit diesen Stichworten lässt sich die adä- zu rufen und ihnen bei der Umsetzung Rückhalt zu quate Führungskultur skizzieren. Modernes Manage- geben. Schutz und Verteidigung der Menschenrechte ment ist somit nahezu der Gegensatz zu den klassi- sind als Ziele des polizeilichen Handelns klar und auf schen hierarchischen Vorstellungen, die auf Befehl die Alltagspraxis zugeschnitten zu formulieren. und Gehorsam basieren und von denen die Polizei bis Letztlich ist jede Führungsmaßnahme, von der Kräfte- vor etwa 15 Jahren nahezu vollständig dominiert einteilung über die Einsatzausrüstung, von der Einwei- wurde. Menschenrechtsbildung im weiteren Sinne für sung der Beamten bis zur Auswertung – um nur einige Führungskräfte ist also modernes Managementtrai- Beispiele zu nennen –, auf Berührungspunkte zu den ning – nicht zuletzt, weil damit das organisationsbe- Menschenrechten hin zu überprüfen. Die Führungs- dingte Frustrationspotenzial reduziert wird, das in kräfte sollten sensibilisiert werden, damit sie bei den Kapitel 3 als Risikofaktor für Menschenrechtsverletzun- Dienstauswertungen in der Lage sind, Fehlverhalten gen dargestellt wurde. zu erkennen und angemessen zu reagieren. Mitarbei- tende müssen ihre Führungskräfte dabei kongruent, Die Inhalte wie auch die Methodik und Didaktik der das heißt ohne jede Doppelmoral erleben. Jede Hal- Fortbildungen sollten darauf abzielen, dass die tung, die beispielsweise Fehlverhalten offiziell miss- Führungsebene dichter an die reale Praxis herange- billigt, inoffiziell aber Verständnis und die Bereit- führt wird, um die Diskrepanzen zwischen Polizei- schaft zum Vertuschen signalisiert, hat für die Orien- kultur und Cop Culture abzubauen. Nur wenn die tierung der Mitarbeitenden verheerende Auswirkungen. Führungskräfte die Realität in ihrem ganzen Umfang zur Kenntnis nehmen, können sie sich wirkungsvoll Die Menschenrechtsbildung im weiteren Sinne lässt damit auseinandersetzen. In Fortbildungen sollten sie sich für diese Zielgruppe auch mit den Fortbildungs- hierfür Wissenschaftsergebnisse rezipieren und sich inhalten für modernes Management verknüpfen. Es den Schilderungen aus der Realität öffnen. Eine andere geht dabei um Formen der Organisationsentwicklung, Möglichkeit, dieses Ziel zu erreichen, sind hierar- der Personalentwicklung und der Personalführung mit chieübergreifende Bildungsangebote, bei denen die dem Ziel, die Systemeigenschaften einer Organisation Methodik klar auf die Überwindung dienstrangbe- (Dienststelle) zu verbessern, um sie nachhaltig zu an- dingter Schranken zielt. Allerdings wäre es verfehlt, gemessenen Auseinandersetzungen mit der Umwelt ausschließlich auf solche Angebote zu setzen, da für zu befähigen246. Dies schließt ein Managementver- bestimmte Problemlagen der interne Austausch Erfolg ständnis ein, dass sich von mechanistischen Input- versprechender ist. Output-Regulierungsvorstellungen verabschiedet hat und anerkennt, das nur die Selbstregulierung ihrer Schließlich sollte die Fortbildung von Führungskräften Mitglieder247 eine angemessene Funktion der Organi- deren Verantwortung für die externe Kommunikation sation gewährleistet. Im Vordergrund steht die thematisieren. Mit Bezug auf die Menschenrechte

246 Siehe Steinmann / Schreyöff (2000), S. 128–131. 247 Praktisch bedeutet das, dass die jeweilige Dienstelle nicht nur in der Lage ist, jederzeit die an sie gestellten Aufgaben zu erfüllen, sondern dass künftige mögliche Entwicklungen antizipiert werden und die Mitarbeitenden fachlich und persönlich darauf eingestellt sind, damit sie auch ohne ausdrückliche Weisungen im Sinne der Organisationsziele angemessen agieren können. 64 Anregungen und Impulse 5.2 Menschenrechte als Schwerpunktthema in der polizeilichen Fortbildung stärken 5

geht es dabei um eine selbstbewusste und damit auch Zwang, das Eingreifen in die Rechte eines anderen selbstkritische Außendarstellung der Dienststelle und Menschen geübt. Auch hier ist wieder ein instrumen- des Handelns ihrer Mitarbeitenden. Zur externen talistischer Zugang denkbar oder ein Unterricht, der Kommunikation zählt aber auch, gegenüber der über- die ethischen und rechtlichen Dimensionen mitberück- geordneten Behörde die Menschenrechtskonformität sichtigt. erhaltener Weisungen einzufordern. Bestehen bei- spielsweise Zweifel, ob ein angewiesener Einsatz wie In Österreich ist soeben ein „Handbuch für Menschen- etwa die Sicherung einer Abschiebung oder die Auf- rechte und Polizei – Handbuch für TrainerInnen“ lösung einer Demonstration mit den Menschenrechten erschienen. Dieses Werk ist derzeitig einzigartig im in Übereinstimmung zu bringen ist, sollten sie darüber deutschsprachigen Raum. Es zeichnet sich zum einen mit den übergeordneten Stellen die Auseinanderset- durch eine gute theoretische Fundierung, zum anderen zung suchen und bei erheblichen und begründeten durch eine hohe Praxisnähe aus. Seine Ziele sind, „das Zweifeln die Umsetzung verweigern. Letztlich befin- Thema ‚Menschenrechte und Polizei’ im Training in den sie sich damit in Übereinstimmung mit der zen- praxisnaher Form zu behandeln, Menschenrechte als tralen polizeilichen Dienstvorschrift, der PDV 100. Zielvorgaben und umfassende handlungsleitende Prin- zipien polizeilicher Arbeit bewusst zu machen, und Menschenrechte in ihrer praktischen Bedeutung für Train-the-Trainer-Seminare die Arbeit der Polizei begreifbar und bewältigbar zu machen“248. Einige Stichworte aus dem Inhaltsverzeich- Einen weiteren Schwerpunkt stellen Train-the-trainer- nis sollen den breiten Ansatz des Buches verdeut- Seminare für die Lehrkräfte der polizeilichen Aus- und lichen: Grundlegendes zu Menschenrechten und zur Fortbildung dar. Die Rolle der Lehrenden in Bildungs- Menschenrechtsbildung in der Polizei, geschichtliche prozessen kann gar nicht hoch genug eingeschätzt Entwicklung, internationaler Menschenrechtsschutz, werden: neben der Verantwortung für fachliche praktische Anwendung der Menschenrechte. Besonders Richtigkeit und eine adäquate Didaktik und Methodik praktikabel und modernem Rezeptionsverhalten ange- ist es vor allem die Persönlichkeitswirkung, die Über- messen erscheint der Abschnitt „Häufig gestellte Fragen einstimmung von Anspruch und Haltung, die für das und vorgebrachte Argumente“. Hier geht es um Aus- Gelingen der Bildungsprozesse maßgeblich ist. Um zu sagen wie zum Beispiel „Die Menschenrechte machen erreichen, dass menschenrechtliche Problemstellungen es uns unmöglich, überhaupt noch einzuschreiten!“, in allen Fächern in jeweils angemessener Weise be- „Amnesty international vergleicht Österreich mit rücksichtigt werden, sollten die Lehrkräfte für Fragen Nigeria“ oder „Ist es nicht richtig, Folter wenigstens sensibilisiert werden wie: Wo ist das Thema Men- zum Schutz von Menschenleben einzusetzen?“. Solche schenrechte bereits enthalten? Sind die inhaltliche Fragen beziehungsweise Aussagen bewegen deutsche Ausrichtung und der Umfang optimal? Wie lässt sich Polizist/innen natürlich ebenso wie ihre österreichi- eine fundierte Menschenrechtsbildung sinnvoll in die schen Kolleg/innen. Die Argumente sind jeweils einfach, Fächer integrieren? Als Beispiele sollen kurz zwei Fächer knapp und überzeugend formuliert. Umfangreiche betrachtet werden, bei denen das Thema Menschen- Anhänge wie Folienvorlagen, Konzepte von Seminar- rechte besonders fern zu liegen scheint. Bestandteil modulen, Fallstudien, Grundlagentexte und anderes der Ausbildung in Kriminaltechnik ist beispielsweise mehr machen das Buch zu einem hervorragenden das Abnehmen von Fingerabdrücken für Spurenver- Instrument für jede Trainerin und jeden Trainer. gleiche. Dies kann nun so erfolgen, dass der betroffene Mensch das Gefühl hat, lediglich Instrument polizei- Auch Fortbildungen in Methodik und Didaktik können licher Arbeit zu sein. Oder es erfolgt mit Erklärungen, als Menschenrechtsbildung im weiteren Sinne gese- mit der Beschränkung auf die unumgänglichen Ein- hen werden. Kennzeichnende Begriffe sind: die griffe, mit der Respektierung der Empfindungen des Lernenden respektieren, auf Mündigkeit zielen, moti- Betroffenen etc. Als anderes Beispiel sei die Sportaus- vierend, erfahrungsorientiert, am aktuellen Erkennt- bildung erwähnt. Im Zweikampf wird der unmittelbare nisstand der Psychologie ausgerichtet und praxis-

248 Suntinger (2005), S. 11. 65 Anregungen und Impulse 5 5.3 Leitbildprozesse als Chance für Menschenrechtsbildung / 5.4 Rechtsausbildung

orientiert. Ein weiteres didaktisches Prinzip der eng damit verknüpft. Sie verpflichten die Angehörigen Menschenrechtsbildung sollte darin bestehen, an den der verschiedenen Polizeien zu menschenrechtskon- Interessen und Bedürfnissen der Teilnehmenden an- formem Handeln. Den Bundesländern, in denen die zusetzen. Die Lehrenden sollten Interesse und Ak- Polizei noch nicht über Leitbilder verfügt, wird emp- zeptanz für den Erfahrungshorizont der Lernenden fohlen, solche Prozesse zu initiieren. Zwar ist mit der haben, dies zeigen und in ihrer Unterrichtsgestaltung Existenz von Leitbildern nicht automatisch ein adä- immer wieder daran anknüpfen – ein Prinzip, das von quates Handeln zu erwarten, jedoch stellen sowohl die vielen Menschenrechtstrainerinnen und -trainern be- Ausarbeitung als auch die Implementierung und aktive tont wird249. Appelle an die Einsicht („Missionieren“) Nutzung der Leitbilder als Handlungsmaßstäbe eine sind kontraproduktiv. Vielfach werden realitätsnahe Chance dar, Diskussionen über ethische Fragen in der Rollenspiele als Mittel der Wahl gesehen250. „Grund- Polizei anzuregen. Da alle Polizistinnen und Polizisten sätzlich muss der Trainer davon ausgehen, dass er im Geltungsbereich des Leitbildes sich damit identifi- nicht die Möglichkeit hat, seinen Seminarteilnehmern zieren sollen, ist eine Einbeziehung möglichst vieler neue Verhaltensweisen ‚beizubringen’ oder zu ‚ver- Beamter und Beamtinnen in die Prozesse der Erar- mitteln’, sondern seine Aufgabe besteht darin, Be- beitung, Implementierung und Umsetzung notwendig. dingungen zu schaffen, unter denen bei den Seminar- In Ansätzen gelang dies in den Leitbildzirkeln in teilnehmern Lernprozesse, die zu Verhaltensänderungen Rheinland-Pfalz. Die Evaluation der dortigen Prozesse führen, angeregt werden.“251 verweist gleichzeitig auf eine Reihe von Problemen253. Die Erarbeitung, Implementierung und Umsetzung Thema entsprechender Train-the-trainer-Seminare polizeilicher Leitbilder krankte bisher überwiegend an sollte auch sein, dass Lehrende im Bereich der Men- einer ungenügenden Einbeziehung derjenigen, die die schenrechtsbildung mit Widerständen der Teilneh- enthaltenen Ziele und Ideale verwirklichen sollen: die menden rechnen müssen. Diese befürchten nicht selten, operativ tätigen Polizistinnen und Polizisten. Die kom- einem Generalverdacht ausgesetzt oder „indoktri- munikativen Chancen, die solche Leitbilder bieten, niert“ zu werden und ähnliches mehr. Die Lehrenden sind damit zu wenig genutzt worden. sollten mit solchen Haltungen rechnen und sie, wenn sie darauf stoßen, offen ansprechen. Hier sind die In den Bundesländern, in denen die Polizei bereits über Prinzipien der Themenzentrierten Interaktion (TZI) Leitbilder verfügt, sollte der erreichte Status quo nicht nach Ruth Cohn252 hilfreich. Die Haltungen der Teil- zur Untätigkeit verführen. Leitbilder können nur durch nehmenden sind nicht „falsch“, sondern sie sind ein- Bewusstseinsprozesse und niemals durch Verordnung fach vorhanden und es liegt in der Verantwortung des handlungswirksam werden. Die teilweise Änderung Lehrenden, sich mit ihnen auseinanderzusetzen. Bei innerer Einstellungen, die bei den Polizistinnen und sich zuspitzenden Konflikten ist Metakommunikation Polizisten für ein Handeln gemäß den Leitbildern hilfreich: Die konflikthafte Lernsituation wird zum notwendig ist, vollzieht sich nur allmählich und als Thema gemacht. Ergebnis fortwährender Kommunikation. Unterbleibt diese, verkommen die Leitbilder zu Phrasen mit Fei- genblattfunktion. 5.3 Leitbildprozesse als Chance für Menschenrechtsbildung 5.4 Rechtsausbildung Leitbildprozesse lassen sich in den Paradigmenwechsel bei der Polizei einordnen und sind gleichzeitig sein Aus- Der Grundrechtsbezug ist in der Rechtsausbildung druck. Auch wenn der Begriff der Menschenrechte nicht ausreichend verankert. Der Bezug auf die Menschen- immer auftaucht, sind doch Inhalte der Leitbilder meist rechte und das Menschenrechtsschutzsystem fehlt

249 Siehe z.B. Hessisches Sozialministerium u.a. (2001), S. 30; Fathi (2004), S. 45. 250 Siehe Mussik (2003), S. 503–504. 251 Ebenda, S. 505. 252 Siehe zum Beispiel die zusammengefasste und praxisorientierte Darstellung bei Gudjons (1994), S. 187-190. Dieses Kon- zept sieht Lehrende und Lernende als Partner in einem Gruppenprozess, an dessen Anfang stets eine Einigung auf das Thema und die Umgangsregeln steht. Die Lehrenden strukturieren den Prozess und geben den Lernenden Sicherheit, auch wenn Konflikte auftreten. Der Einzelne entscheidet autonom über seine Beteiligung, benennt Störungen, trägt mit den anderen und den Lehrenden gemeinsam Verantwortung für das Gelingen und erlebt so den Unterricht als Kongruenz emo- tionaler und kognitiver Prozesse. 253 Vgl. Kapitel 4.2.2 66 Anregungen und Impulse 5.5 Berufsethik / 5.6 Ausblick: Plädoyer für eine unabhängige Kontrollinstanz 5

allerdings häufig bzw. wird nur als Idee gestreift. genommene Differenz von Ausbildung und Praxis ver- Damit die Menschenrechte aber nicht ein beliebiges tiefen. Eine Verknüpfung mit den Leitbildprozessen Etikett sind, mit dem polizeiliches Handeln versehen bietet sich an. „Es ist daher notwendig, aus der Praxis wird, bedarf es eines grundlegenden Verständnisses des heraus ein Bedürfnis zu entwickeln, berufsethische nationalen, regionalen und internationalen Men- Antworten als Qualitätsmerkmal anzusehen. Wenn schenrechtsschutzsystems. Die Anerkennung „der ange- sich ein solches Verständnis von Professionalität poli- borenen Würde und der gleichen und unveräußerlichen zeilicher Arbeit entwickelt, macht die Arbeit eines Rechte aller Mitglieder der Gemeinschaft der Men- Berufsethikers einen Sinn.“255 Um einer derartig kom- schen …“, wie es in der Präambel der Allgemeinen plexen Funktion gerecht werden zu können, sollte Erklärung der Menschenrechte heißt, muss den ange- auch der Stellenwert der Berufsethik im Organisa- henden Polizistinnen und Polizisten handlungswirksam tionsgefüge der Bildungseinrichtungen verändert vermittelt werden. Beim konflikthaften Einsatz im werden. Die beschriebenen Aufgaben lassen sich Problembezirk einer Großstadt lange nach Abschluss nicht von einem Polizeiseelsorger in Nebentätigkeit der Ausbildung erweist es sich, ob der Unterricht zur umsetzen – so engagiert dieser auch sein mag. Menschenwürde im Staats- und Verfassungsrecht sinnvoll und wirkungsvoll war. Das Ziel ist also eine „reflektierte Anwendung des abstrakten Bekenntnisses zu rechtsstaatlichen und menschenrechtlichen Grund- 5.6 Ausblick: Plädoyer für eine unab- sätzen auf konkrete, ambivalente und praxisrelevante hängige Kontrollinstanz Situationen, in denen kurzfristig beziehungsweise ad hoc verschiedene, einander z.T. widersprechende Eines der gegenwärtig zwischen Politik, Wissenschaft, (Problem-)Wahrnehmungen, rechtliche und ethische Polizei und NGOs kontrovers diskutierten Themen ist Grundsätze sowie Vorschriften abzuwägen und in die Forderung nach einer unabhängigen Kontrollins- Verhalten umzusetzen sind“254. tanz für polizeiliche Übergriffe. Die Menschenrechts- bildung ist mit diesem Thema verknüpft. Wenn es keine offene und kritische Auseinandersetzung mit Men- schenrechtsgefährdungen und -verletzungen durch 5.5 Berufsethik die Polizei gibt, werden entsprechende Bildungsbe- mühungen konterkariert. Die verdeckte Botschaft lautet: Über die Ausgestaltung der Berufsethikseminare wird So lange keine Probleme zu sehen sind, gibt es keine. weiter nachzudenken sein. Im dritten Kapitel wurde Also kommt es weniger auf korrektes Verhalten als auf ihre widersprüchliche Rolle aufmerksam gemacht. vielmehr auf gutes Verdecken an. Einerseits wäre es nun ein verkehrtes Zeichen, wegen insgesamt mangelnder Wirksamkeit diese Seminare In verschiedenen Veranstaltungen steht das Thema wegzulassen. Andererseits erlauben die sonstigen „Unabhängige Kontrolle“ regelmäßig auf der Tages- Ausbildungsinhalte kaum eine wesentliche quantita- ordnung, in der Regel mit Polizeikritikern und -kriti- tive Ausweitung. Denkbar und wünschenswert wäre kerinnen als fordernder und Vertretern und Vertre- es, der Berufsethik innerhalb der Polizeiausbildung terinnen aus Politik und der Polizei als ablehnender eine Art „Klammerfunktion“ zuzuweisen: Durch die Partei. Hiervon gibt es Ausnahmen: So spricht sich mit Ausbildungseinrichtungen, durch alle Lehrenden und Behrendes beispielsweise ein erfahrener Polizeiführer ausweislich der existierenden Gesetze und Weisungen für externe Kontrollinstanzen aus256. Es gibt verschie- wird deutlich gemacht, dass die Ethik jene Dimension dene Belege dafür, dass sich die Polizei und ihre ist, die in allen anderen Fächern mitbedacht sein will Kritiker mittlerweile aufeinander zubewegen. Solche als Ausgangspunkt bei allen Betrachtungen und Filter Annäherungen finden oftmals im Rahmen lokaler für jedes Handeln. Diese Klammerfunktion muss Initiativen und Veranstaltungen statt. Die Politik sollte selbstverständlich über die Ausbildungseinrichtungen dies aufgreifen und unterstützen. Amnesty international hinaus in der Organisation Polizei insgesamt aner- und andere Menschenrechtsgruppen und -initiativen kannt sein, anderenfalls würde sich erneut die wahr- sollten nicht als Gegner, sondern als kritische Partner für

254 Chung / Lohrenscheit (2005), S. 6. 255 Alberts (2004), S. 41. 256 Siehe Behrendes (2003), S. 189–191. 67 5 Anregungen und Impulse

notwendige Verbesserungsprozesse bei der deutschen ist die Verknüpfung von Besuchs-, Beobachtungs- Polizei gesehen werden. und Beschwerdegremium. Damit wäre einem Neben- einander verschiedener Institutionen und der damit Eine unabhängige Kontrollinstanz lässt sich als eine verbundenen Aufsplitterung von Kräften vorgebeugt. Form gelebter demokratischer Gewaltenteilung be- trachten: als Kontrolle der Exekutive durch das Volk. Unabhängige Kontrollgremien wirken in verschiedenen Internationale Beispiele wie das des Menschenrechts- westeuropäischen Ländern bereits erfolgreich, wie zum beirats in Österreich (siehe unten) können zeigen, Beispiel die Independent Police Complaints Commis- dass die Tätigkeit einer unabhängigen Kontrollinstanz sion in Großbritannien257, die Inspecção-Geral da für die Polizei in mehrfacher Hinsicht eine entlasten- Administração Interna in Portugal258 oder die Com- de Wirkung hat: Es fällt ihr leichter, ungerechtfertig- mission nationale de déontologie de la sécurité in te Vorwürfe abzuwehren. Polizeiliches Handeln wird Frankreich259. All diesen Kommissionen ist gemeinsam, durch die kritische Öffentlichkeit differenzierter und dass sie zwar unabhängig sind, sich in ihrer Arbeit verständnisvoller beurteilt, und die Beamtinnen und aber auf gesetzliche Regelungen stützen können, die Beamten haben die Möglichkeit, ihr Handeln zu reflek- ihnen ihre Kontrollbefugnisse sichern. Die von einer tieren, ohne automatisch Strafverfolgung befürchten Kontrollkommission erworbenen Kompetenzen können zu müssen. Der partnerschaftliche Umgang mit dem schließlich wieder, wie ebenfalls vom Menschenrechts- gemeinsamen Ziel menschenrechtskonformer und effek- beirat in Österreich praktiziert, für Empfehlungen zur tiver Polizeiarbeit eint dabei den Beirat und die Polizei. Aus- und Fortbildung sowie zu deren praktischer Ein weiterer, auf Deutschland gut übertragbarer Aspekt Unterstützung genutzt werden.

257 Vgl. Independent Police Complaints Commission [2006]. 258 Vgl. Inspecção-Geral da Administração Interna [2006]. 269 Vgl. Commission nationale de déontologie de la sécurité [2006]. 68 Anregungen und Impulse 5

Das Beispiel Österreich

Der Menschenrechtsbeirat in Österreich ist 1999 Polizisten, durch geduldige Aufklärungsarbeit als Besuchsgremium gegründet worden. Mehr- über Aufgaben und Ziele des Menschenrechts- fach seit 1990 hatte das Europäische Komitee zur beirates sowie durch die ausgewogene, sachliche Verhütung von Folter und unmenschlicher oder Form der Berichterstattung. erniedrigender Behandlung oder Strafe des Euro- parates (CPT) nach Besuchen den österreichischen Ein Aufgabenschwerpunkt des Menschenrechts- Behörden empfohlen, ein unabhängiges Organ mit beirates ist die Bildungsarbeit. Hierfür existiert der regelmäßigen Inspektion der Haftbedingungen eine Arbeitsgruppe, die 2005 den Bericht bei der Polizei zu beauftragen. Doch erst neun „Menschenrechte in der Aus- und Fortbildung der Jahre später, im Zusammenhang mit dem Tod eines Sicherheitsexekutive“ vorlegte. Menschenrechte Nigerianers bei einer Abschiebung im Flugzeug, zählen auch zu den Fortbildungsschwerpunkten fanden diese Initiativen eine konkrete praktische 2005, die von der Sicherheitsakademie zentral Umsetzung. Diese erfolgte dann konsequent und vorgegeben werden261. Im Strukturkonzept der mit Gesetzeskraft. Die elf Mitglieder des Menschen- Sicherheitsakademie werden Aufgaben und Ziele rechtsbeirates kommen aus dem österreichischen der Menschenrechtsbildung wie folgt definiert: Bundeskanzleramt, dem Justizministerium, dem „Als Ziel des Konzeptes wird die Umsetzung der Innenministerium sowie von Nichtregierungsor- Menschenrechte als organisationsimmanentes ganisationen und aus der Wissenschaft. Die Un- Anliegen genannt, kommt doch der Exekutive abhängigkeit ist gesetzlich garantiert. Die Aufgaben eine wesentliche Rolle in diesem Zusammenhang gehen über die eines reinen Besuchsgremiums zu. Es wird betont, dass nur ein positiver Zugang zu hinaus: Der Menschenrechtsbeirat beobachtet alle den Menschenrechten im Sinne eines Verständ- Aspekte der Menschenrechte im Kontext der ge- nisses der Exekutive, die dem Schutz der Menschen- samten Tätigkeit der österreichischen Sicherheits- rechte verpflichtet ist, tatsächlich tragfähig sein exekutive und leistet inhaltlich-konzeptionelle kann.“ Zentral sei die Beeinflussung der Organisa- Arbeit in Form von Vorschlägen für Politik und tionskultur insgesamt mit dem Ziel, ein Verständnis Behörden zur Integration menschenrechtlicher Be- der Sicherheitsexekutive als Menschenrechts- lange in das gesamte Arbeitsspektrum. Der Beirat schutzorganisation zu etablieren. Die Umsetzung verfügt landesweit über sechs Kommissionen mit des Konzeptes zielt auf die drei Bereiche Wissen je sechs Mitgliedern, die in überwiegendem Maße (über die Menschenrechte), Fähigkeiten (zum Bei- die Basisarbeit in Form von Besuchen und Beob- spiel Anwendung des Wissens bei der Prüfung der achtungen leisten. Die sehr detaillierten Berichte260 Verhältnismäßigkeit) und Haltung (zum Beispiel zeichnen sich durch Ausgewogenheit und Sach- Stärkung der Kritikfähigkeit, Integration menschen- lichkeit aus. rechtlicher Werte). Vom Menschenrechtsbeirat werden diese Bestrebungen unterstützt. Sie werden Dem österreichischen Menschenrechtsbeirat ist als notwendig erachtet, weil „das Thema Men- es im Laufe seiner Tätigkeit gelungen, innerhalb schenrechte bei der Exekutive zum Großteil der , der Bundespolizei und der negativ besetzt ist und als Einschränkung ihrer Stadtpolizei ein hohes Maß an Akzeptanz bei den Handlungsbefugnis wahrgenommen wird“262. Polizeiangehörigen zu erreichen. Dies gelang vor Deshalb wird die Notwendigkeit des Einflusses allem durch Offenheit, Verständnis für die Ar- auf die Organisationskultur unterstrichen. beitsbelange und Probleme der Polizistinnen und

260 Siehe zum Beispiel Jahresbericht 2004, Menschenrechtsbeirat Österreich (2004). 261 Die Sicherheitsakademie ist die zentrale Bildungseinrichtung der österreichischen Polizei. Für 2006/2007 ist als einer der Schwerpunkte „Menschenrechte und Berufsethik als Bestandteil polizeilichen Handelns“ geplant. Ein interessantes Angebot ist die Fortbildung zum „Interkulturlotsen“. Die so ausgebildeten Beamten und Beamtinnen sollen als „Ansprechpersonen für ausländische BürgerInnen agieren und gezielt bei Einsätzen herangezogen werden, bei denen es auf den Umgang mit AusländerInnen ankommt“. Ebenda, S. 35. 262 Ebenda, S. 25. 69 70 Abkürzungsverzeichnis

Abkürzungsverzeichnis

AEMR Allgemeine Erklärung der Menschenrechte ECRI Europäische Kommission gegen Rassismus und Intoleranz – European Commission BGS Bundesgrenzschutz (heute: Bundespolizei) against Racism and Intolerance

BKA Bundeskriminalamt EMRK Europäische Menschenrechtskonvention

CAT Ausschuss gegen Folter – FHS Fachhochschule Committee against Torture LPS Landespolizeischule CERD UN-Fachausschuss gegen rassistische Diskriminierung – Committee on the LKA Elimination of Racial Discrimination MEK Mobile Einsatzkommandos CEDAW UN-Fachausschuss für die Rechte der Frau – Committee on the Elimination of NGO Nichtregierungsorganisation – Discrimination against Women non-governmental organisation

CPT Europäische Konvention (bzw. Europäisches PFA Polizei-Führungsakademie Komitee) zur Verhütung von Folter und SEK Spezialeinsatzkommando unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Strafe – European StGB Strafgesetzbuch Convention (Committee) for the Prevention of Torture and Inhuman and Degrading StPO Strafprozessordnung Treatment or Punishment UN Vereinte Nationen – United Nations CRC UN-Fachausschuss für Kinderrechte – Committee on the Rights of the Child

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Phone: (+49) (0)30 – 259 359 0 Fax: (+49) (0)30 – 259 359 59 [email protected]

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