Thalia Magazin Zeit  Früh-Schicht mit Kölsch Harald Schmidt und Luk Perceval beim Bier

Läuft und läuft und läuft Der Faust-Marathon Je oller je doller Kobers Käsekeller

Wenn du gehst ZMonika Rath begleitete Sterbendeit Kunst und Kinderkacke Schauspieler und Nachwuchs

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„Mein Jahr Auszeit war die Hölle: 4 Gar nicht schwer fällt dem Ich war halb Rentner, halb Arbeits­ Käse-Versteher loser“, sagt unser Interviewpartner Markus Kober die Antwort auf die Harald Schmidt. Patentrezepte Frage: Kann man zum guten Nutzen der Zeit gibt es Zeit schmecken? wohl nicht. Aber sehr gute Beispiele: 8 I want You Wenn andere Herr Seidel macht ein Käsebrot. Eltern endlich Frau Rath schenkt ihre wenige Zeit für ihre Kinder haben, Freizeit sterbenden Menschen. müssen Schau­ Herr Kober lässt seinen erlesenen spieler arbeiten. Wie geht das? Käsen Zeit, unverwechselbaren 12 Früh-Schicht Charakter zu entwickeln. Manche Harald Schmidt Menschen gehen ins Theater. Ob es traf Luk Perceval im Kölner Brau­ Ihnen gefällt, ob Sie sich aufregen haus Früh: tickt oder es genießen, in jedem Fall die Uhr im Fern­ sehen schneller bereichern Sie sich mit gedanken­ als auf der Bühne?

voller, ästhetisch erfüllter Zeit für 20 Abtreten! Mit sich selbst – eine gewinnbringende Fußballfans und Fußreflex­zonen Investition. Mit einem Abonnement beschäftigt sich reservieren Sie Zeit für sich fest in Monika Rath rein beruflich. Ihre Ihrem Terminkalender. Freizeit schenkt sie Sterbenden.

Wie Sie diese wertvolle Zeit auch 26 Die Zeit ist um einem lieben Menschen schenken Sie hatten mit dem Leben abgeschlos­ können, erfahren Sie auf Seite 42. sen: junge HIV- Infizierte in den Auch Harald Schmidt verbringt 80ern. Sie leben immer noch – offenbar viel Zeit im Theater. Pech gehabt?

Seine detailreiche Kenntnis aktu­ 44 Noch kein Ge­ ellsten Theatergeschehens hat schenk, und die Zeit wird knapp? uns wirklich sehr beeindruckt. Wir hätten da den einen oder ande­ ren Vorschlag. Und ein Geschenk für Sie obendrauf! Thalia Magazin Zeit 

Markus Kober lässt die Zeit schmeckt – je nach Anwendung und Ausgangs­ gionaler Bio-Höfe in Eigenregie am ersten eigenen Zeit für sich arbeiten. Er material – cremig vollmundig, eine Spur quarkig- Marktstand. Schnell war klar, dass das eigene Be­ macht damit alten Käse. säuerlich, kräftig würzig nach Kuhstall oder reich rufsinteresse und auch die Einkommensmöglich­ nach Butter, Blüten und Honig oder nussig mit keiten nicht nur im Handel, sondern in der Verede­ kristalliner Konsistenz. Keine Zeit schmeckt etwas lung von Käse lag. Lager- und Verarbeitungsräume salzig und ist in der Konsistenz gummiartig. mussten her und wurden im tiefsten Schleswig- Holstein, in der ehemaligen Genossenschafts-Meierei Markus Kober lässt die Zeit für sich arbeiten, und Besdorf gefunden – „echt scheiße,

andere: Seine Mitarbeiter heißen meist Penicilli­ wenn man an der letzten Station num linens oder Lactobacterium acidophilus. Sie vom Schulbus wohnt“, beschreibt machen aus Käse-Rohlingen vom Hof Dannwisch Kober die Kehrseite des Land­ 55 oder aus dem oldenburgischen Grummersort Aro­ idylls: der älteste der drei Söhne Cent kostet die bio­ mabomben, deren bloßer Anblick uns das Wasser nimmt den Bus jeden Morgen, um logisch-dynamische im Munde zusammenlaufen lässt, als wir die Alte das Gymnasium in Itzehoe zu be­ Erzeugung eines Die Zeit Meierei kurz vorm Nord-Ostsee-Kanal besuchen. suchen. Damals, als die Meierei Liters Milch; für gekauft wurde, hatten Kobers ihr Bier- und Wasserkisten stapeln sich zwischen alten erstes Kind und null Eigenkapi­ Fundamenten und Resten des riesigen Heizkessels tal; am Ende des Geschäftsjahrs 35 Cent wird dieser der früheren Meierei. Ein Hubwagen ruht sich aus blieb nichts für Investitionen. Liter der Großmolke­ vom Transport von sieben Laiben Beaufort, jeder rei verkauft – ein 44 Kilo schwer. Fahrräder warten auf den nächsten Das Wissen um Hefepilze, Milch­ Minusgeschäft. ist reif Einsatz, die Turnschuhe einer fünfköpfigen Familie säurebakterien, Käsemilben, Rot­ eifern mit jenem Duft um die Wette, der durch die schmiere und Schimmelkulturen Trenntüren zum Geschäftsbereich dringt.Wir be­ erwarb Markus Kober durch Mit­ 3,50 treten das Allerheiligste, den Reifekeller. Comté, arbeit in Käsereien und Höfen, Euro kosten 100g Grummer Berg, Tomme de Savoie, Toggenburger, durch Learning by Doing. Es kam Beaufort den End­ Beaufort, Etivaz, Abondance schieben hier bei gut vor, dass Experimente fehl schlu­ verbraucher, macht 10°C und etwa 95% Luftfeuchte eine ruhige Kugel, gen und eine pfiffige Lageridee bis ein jeder seinen aromatischen Höhepunkt er­ Kobers dem einen oder anderen reicht hat. Markus Kober streift zwei Mal die Woche Tilsiter den Garaus machte. Eine 2,90 Euro pro Liter ver­ die Fleeceweste über und macht es ihnen gemütlich Ausbildung zum Affineur gibt es arbeiteter Milch: mit einer Waschung in Bier oder Balsamico, in Salz­ in Deutschland nicht; wohl eine Zeit ist Geld. lake, vermischt mit dem Abrieb voriger Anwendun­ grundlegende Lehre zur Molkerei­ gen, mit Rotschmier-Bakterien, oder indem er ihnen fachfrau bzw. zum -fachmann. Nicht nur sacht die Käsemilben aus der Rinde bürstet, zu vergleichen mit dem französischen Maître Fro­ jede Sorte mit ihrer eigenen Käsebürste. Und er mager Affineur z.B., der nicht nur um die Herstel­ wendet die Laibe. Wer will schon immer auf der­ lung von Käse, sondern auch um Veredelung, Rei­ selben Seite liegen. feprozesse und die aromafördernde Zuhilfenahme von Calvados, Bier, Senf, Essig etc. weiß. Kober ent­ Der Mensch lebt nicht vom Brot allein – scheidet mit Gespür. Ohne Ausbildung. es muss auch Wurst und Käse sein. Waren Theologie und Sozialpädagogik dann ver­ Vor fünfzehn Jahren war die Zeit reif. Nach dem tane Zeit? Nein: wer Käse affiniert, muss nicht nur Studium von Theologie und Sozialpädagogik und mit Milch klarkommen, sondern auch mit Men­ der Arbeit in einer psychiatrischen Klinik „ging das schen; muss überzeugend über Quader und Ku­ so nicht weiter“. Kober, auf einem Bauernhof auf­ geln da auf der Theke sprechen, um Interesse an ­gewachsen, besann sich seiner Wurzeln. Die Milch­ ihnen zu wecken. Und muss sich zu helfen wissen, wirtschaft kannte er gut – zu gut, um sich mal eben wenn das Interesse des baskenbemützten Studien­ eine Kuhherde zuzulegen und Milch zu produzieren. rats ausufert, samstags auf dem Ökomarkt, wenn Er begann seine zweite Karriere als Angestellter in die Schlange hinter ihm länger wird und die Jung­ der Landwirtschaft; für den Hof beschickte er auch familien ungeduldig. „Es gibt Methoden…“, weiß Wochenmärkte. Später verkaufte er den Käse re­ Markus Kober. ›  Die Zeit ist reif Thalia Magazin Zeit 

› Sein Know-how hat ihn zur gesuchten Käse- Die Zeit brachte Veränderung im Beruf. „Slow Food“ Kapazität werden lassen. Wenn ein Hof die Käse- Deutschland (Käse-Kober ist selbstredend Mit­ Produktion aufnehmen will, wird er befragt: Womit glied der internationalen Organisation, deren An­ soll man die ersten Versuche unternehmen, was tun, liegen handwerklich gepflegte Lebensmittel sind), Regional saisonal scheißegal Die zunächst klar bejahte wenn Blauschimmel unerlaubterweise den Brie schlug beharrlich vor, einen historischen Käse zum Frage nach dem Bio-Siegel auf seinen Käsen beantwortet befällt? Als der Milchhof Grummersort einmal zu­ Leben zu erwecken. Dem „Holsteiner Lederkäse“, Markus Kober heute, in Zeiten industrieller Bioprodukte viel jungen Schnittkäse, aber keine Ahnung von der wie Harzer aus Molke hergestellt wird, war je­ im Supermarkt, kritischer. Fast hat er sich aus dem Bio­ Veredelung hatte, half Kober weiter. Der als „Par­ doch nicht zu helfen. Eher geschmacklos und ziem­ bereich gelöst, obwohl die meisten Käsereien, die ihn be­ mesan des Nordens“ vermarktete, 12 Monate ge­ lich zäh, kam er selbst beim historisch interessierten liefern, biologisch-dynamisch Milch erzeugen. Charakter­ reifte Hartkäse war ein Erfolg, der „Grummer Berg“ Publikum nicht an und lag wie Blei im Kühlwagen. lose Massenware aus keimfrei pasteurisierter Biomilch ist geboren. Hamburger Kochkünstler konsultieren Erfolgreicher war da etwa die Einführung eines ol­ jedenfalls nicht das Ziel Kobers. Die französischen AOC- Käse-Kober für ihre Käsekarte (so das „Artisan“, denburgischen Pecorino, den der konventionell den­ Richtlinien, die ein ganz bestimmtes Ausgangsmaterial das „NIL“ oder das „Landhaus Flottbek“). Und wer kende Käsekunde eher aus Sardinien oder der und eine bestimmte Art der Verarbeitung und Verede­ sich bei „Manufactum“ mit Käse versorgt, sieht Toskana erwartet: Die „Dicke Eiche“ ist keine in lung vorschreiben, sind z.T. viel strenger und garantieren sich ebenfalls dem Sortiment des Besdorfers ge­ der norddeutschen Tiefebene regional beheimatete eher mit Liebe und Sorgfalt produzierte Ware. genüber: Wird in einer Filiale eine Käsetheke ein­ Handwerkstradition, eher schon Globalisierung. Auf gerichtet, berät Kober auch hier. jeden Fall ist sie sorgsam aus Schafs-Rohmilch ge­ käst, blumig-nussig-scharf im Geschmack, hat feine Leberkäse? Salzkristalle im Teig, ein geschmacksintensiver Ver­ Lederkäse! kaufsschlager. Doch auch altbekannte norddeutsche Klassiker wie der nach dem Zweiten Weltkrieg nach Es ist nicht Kobers Käse-Könnerschaft allein, die Schleswig-Holstein eingewanderte Tilsiter, von Con­ ihn so gefragt macht – die Szene ist schlicht klein, naisseurs meist verschmäht, erwachen im Reifekeller Vernetzung lebensnotwendig; ein Beispiel: In der zu unerwarteter, nuancenreicher Lebendigkeit. Alten Meierei gehören einige Lagerräume der Einkaufsgenossenschaft „Lust am Käse eG“; diese Ein weiterer Wendepunkt steht für 2012 an: der bezieht für die dazugehörigen Händler, darunter Marktstand weicht einem Laden in Hamburg-Ot­ Markus Kober, u.a. französischen Comté, „Grummer tensen mit täglichen Öffnungszeiten. „Die Ein- Berg“ aus Grummersort, Etivaz aus der Schweiz. kaufsgewohnheiten haben sich geändert“, begrün­ Grummersort beliefert Käse-Kober mit jungem det der Affineur, „vielen ist es zu stressig, sams­ „Grummer Berg“, bezieht aber auch Comté, da tags bis drei Uhr die Einkäufe zu erledigen; man der Hof einen Marktstand betreibt und ein gewis­ will ausschlafen und in Ruhe frühstücken.“ Die ses Sortiment anbieten will. Markus Kober be­ Marktzeiten zu verlängern war unmöglich; nicht zieht „Grummer Berg“ zum Veredeln, liefert ver­ wegen behördlicher Sturheit, sondern wegen der edelten Käse an seinen eigenen Marktstand, an der Kollegen, deren Zeitempfinden sich offenbar „Manufactum“, an Hamburger Gastronomie und nicht gewandelt hat: Sie möchten, wie schon immer, den Online-Versand „Käsefeinschmecker.de“ – um 14 Uhr ihre Stände abbauen. Während Kobers letzterer wird demnächst dem Koberschen Käse­ neuer Kompagnon das Publikum versorgen wird, imperium einverleibt. Markus wird dieser sich wieder verstärkt Kober kennt sie fast alle beim seiner Hauptleidenschaft widmen: Vornamen: Tobias Schüller vom dem Penicillinum candidum bei Hof Dannwisch, Burchard Bösche der Arbeit helfen, den Rögnitzer von „SlowFood“, Thomas Hoof, Ziegel, den Blauen Künstler, die den „Manufactum“-Gründer und Ziegenknöpfe vom Schaalsee, den künftigen Käserei-Betreiber. Den Dannwischer Aschekäse zur Voll­ englischen Käse-Pionier Ran­ endung zu bringen. Hoffen wir, dolph Hodgson besucht er bald dass es den Kunden nie zu stressig in London, auch um einige der wird, in Ruhe zu genießen. Denn exzellenten Cheddars von West­ Zeit schmeckt man. Sie schmeckt combe, der Moorhaye’s Farm und cremig vollmundig, quarkig-säu­ von Montgomery für den deut­ erlich oder kräftig würzig nach schen Markt zu erstehen. Kuhstall. Andreas Brüggmann Thalia Magazin Zeit 

Schön, dass ihr da seid! Vor allem, weil bei euch ich hier in Hamburg war, oder ich bin – Zeit sicher ein knappes Gut ist, seit ihr Eltern wenn sie spielen musste – nach Berlin seid... Was hat sich für euch geändert, seitdem gefahren. Das ging bisher ganz gut. Aber ihr Kinder habt? bald stehen wir vor dem gleichen Problem Maja Schöne & Jörg Pohl Alles! und brauchen jemanden, wenn wir zusam­ Maja Schöne Man weiß ja schon, es wird men in Hamburg wohnen werden. Das ist alles anders werden. Wenn man es dann in Kürze geplant. erlebt, haut es einen um...! Oda, du hast drei Kinder, die schon älter sind. Trotzdem hattest du gerade Premiere mit einer Wie hast du dich (und die Kinder) organisiert? Hauptrolle, der Lady Macbeth – Respekt! Oda Thormeyer Ich habe schon alles Maja Schöne Das hat mich auch ganz schön durch. Früher war es meist eine wahn­ geschlaucht. Das war körperlich anstren­ sinnige Improvisation – mal der eine, gend. Ich habe probiert, quasi mit Baby mal der andere Babysitter… Natürlich im Arm. Meine Tochter war elf Wochen hat auch mein Mann oft die Kinder ge­ alt, als ich zum ersten Mal wieder ge­ nommen. Dann hatten wir ganz lange probt habe. Gemacht habe ich es vor ein Au-Pair-Mädchen nach dem nächsten, allem, weil mein Freund mich sehr un­ um jemanden da zu haben, der eine Be­ terstützt hat. Er sagte, das machen wir zugsperson für die Kinder ist.

Sie gehen übermüdet auf die Probe, und sie schlafen während der Vor­ste­ l­ lung auf der Bühne ein: Die Arbeit von Schauspielern ist nicht familien­ freundlich. Mehrere Abende pro Woche stehen sie auf der Bühne oder haben Probe. Arbeit am Wochenende ist völlig normal, Gastspiele sowieso Wie machen Schauspieler das: Familienleben? Jörg Pohl, Maja Schöne Spielzeit und Oda Thormeyer über ihre Doppelrolle als Schauspieler und Eltern schon irgendwie, er kommt mit nach Hat das immer gut geklappt? Gladbeck, wo wir in Koproduktion mit Oda Thormeyer Teilweise katastrophal und der Ruhrtriennale den „Macbeth“ ge­ dann aber auch ganz toll. Eine Frau aus probt haben. Das war großartig! Algerien war jetzt fast fünf Jahre bei uns. Sie hat bei uns gewohnt, gelebt und ihr Und jetzt teilt Ihr euch gerade die Betreuung? Studium gemacht. Das war toll. Eine an­ Maja Schöne Momentan ja. Er ist auch dere hat uns total überrascht: Sie sagte Schauspieler und arbeitet frei, so dass es ganz plötzlich, wie aus dem Nichts, sie hat sich gut abstimmen lässt, wer wann ar­ keinen Bock mehr, packte ihre Sachen, beitet. Während der „Macbeth“-Proben ließ Zeug von uns mitgehen und war weg! hat er sich frei genommen, spielt aber Wir saßen plötzlich ohne Betreuung da. jetzt im November wieder. Spätestens, Katastrophe! Ohne meine Mutter wäre wenn ich dann auch wieder Vorstellungen das alles kaum möglich gewesen, weil so habe und mein Freund nicht da ist, werden Dinge wie Ins-Bett-Bringen eben nur mit wir auch jemanden anderes brauchen. Bezugspersonen funktionieren. Wahrscheinlich wird das erst einmal die Maja Schöne Die Erfahrung habe ich auch Schwester meines Freundes machen, die gemacht. Omas sind unverzichtbar! Wenn auch in Hamburg wohnt. mein Freund mal weg war, zu einem Dreh Jörg Pohl Bei uns ist es anders, weil meine beispielsweise… wenn da nicht die Omas Freundin, bzw. wir in Berlin wohnen. Sie da gewesen wären, die einem schlicht und arbeitet dort, ich hier in Hamburg. Wir einfach mal den Haushalt ein bisschen haben uns abgewechselt. Entweder hat schmeißen, dann wäre es richtig schwie- sie in Berlin auf Josef aufgepasst, wenn rig geworden. › 10 Spielzeit Thalia Magazin Zeit 11

› Wann ist der Abschied von deiner Tochter leichter? Wie ist das mit Rollen lernen? Jörg, du hast Jörg, hast du Situationen erlebt, in der du auf Proben Zur Morgenprobe oder zur Abendvorstellung? ziemlich viel gespielt in letzter Zeit... unkonzentriert warst wegen der „realen Welt“? Alles nur so halb zu Maja Schöne Abends ist es schwieriger. Die „Ins- Jörg Pohl Jetzt sind meine Freundin und mein Jörg Pohl Eigentlich nicht. Ich probiere ja erst seit machen, das hat mich Bett-Geh-Zeit“ ist sehr speziell. Ich habe das Sohn in Hamburg, und ich merke schon, dass es Kurzem mit Baby nebenbei. Klar, wenn Josef nicht wahnsinnig gemacht. Gefühl, dass sie mich dabei besonders braucht. anstrengender ist, mich zu konzentrieren. schläft, steh ich morgens müde auf der Probe. Aber Maja Schöne Morgens, wenn sie ausgeschlafen und gut drauf ist, Maja Schöne Ich bin ziemlich vergesslich geworden das hat auch manchmal andere Gründe … fällt mir die Trennung leichter. in der Schwangerschaft, aber Text lerne ich immer Du musst ganz da sein, noch schnell. Neu ist für mich, dass ich manchmal Hast du deinen Sohn mal mitgenommen auf eine Probe? wo du gerade bist. Erst das Hat sich euer Zeitgefühl eigentlich geändert? das Gefühl habe, alles nur halb zu machen. Das hat Jörg Pohl Zu einer Leseprobe war Josef schon mal eine, danach das andere. Maja Schöne Total! Ich organisiere mir ein bisschen mich in der Probenzeit wahnsinnig gemacht. Nach dabei. Ließ sich nicht vermeiden. Da hat er gepennt. Oda Thormeyer freie Zeit, und nach einer Stunde denke ich: müsste der Vormittagsprobe [11 – 15 Uhr] hat man freie Zeit ich nicht langsam mal zurück sein? Eine Stunde zur Reflexion, zum Nacharbeiten, Lesen, vorberei­ Oda, wie lange hast du nach den Geburten ausgesetzt? ist auch so wahnsinnig lang mit einem Mal… ten. Das fiel alles weg: Ich ging nach Hause, stillen, Oda Thormeyer Bei den ersten beiden insgesamt Oda Thormeyer Zeit ist wertvoller geworden. Wenn abpumpen, mich um meine Tochter kümmern. Ich drei Jahre. Nach der Geburt der Jüngsten habe ich nur zwei Monate pausiert. Da ich die Geld­ verdienerin war, musste ich direkt wieder auf die Bühne: Stillen – auf die Bühne – Stillen – auf die Bühne… Aber das war schon das dritte Kind, da ging das. Aber: Ich war dauermüde. Ich spielte mal in „Emil und die Detektive“. Ich habe mich sehr gefreut: da gibt es eine Szene, wo ich nur auf der Bühne liege. Vor Jahren sollten wir als Tote vorn auf der Bühne sitzen und die Zuschauer angucken. Da bin ich tatsächlich eingeschlafen. Mit den Zu­ schauern vor mir. Während der Vorstellung! Maja Schöne 1 Tochter, 8 Monate. Spielt z.Zt. Lady Macbeth Gab es viele Kolleginnen, die auch Kinder bekamen? Jörg Pohl 1 Sohn, 13 Monate. Oda Thormeyer Nein, ich war eher eine Ausnahme. Spielt z.Zt. in 6 Stücken, u.a. Die männlichen Kollegen hatten alle Kinder. Die den „Raub der Sabinerinnen“ Frauen nicht. Aber da hat sich etwas geändert. Es Oda Thormeyer 3 Kinder, ist kein Karriereknick mehr für Schauspieler. 9, 17 & 18 Jahre. Spielt in 4 Pro­ duktionen, probt „Insektarium“. Ortswechsel gehören in eurer Branche dazu. Wie oft bist du mit Familie umgezogen? Oda Thormeyer Drei Mal. Das letzte Engagement habe ich ihretwegen in die Länge gezogen. Mit drei Kindern, die ihren Freundeskreis haben, ist es schwierig. Da war es für mich in Ordnung, län­ ich jetzt ausgehe, ist das tausend Mal mehr wert kam nicht mehr zum Reflektieren. Auch an Schlaf ger zu bleiben. Obwohl es mich echt gejuckt hat. als früher. So dass ich es richtig genieße! Obwohl: war nicht zu denken. Dann kam ich zur Abendpro­ Mit meinem Mann war ich neulich im Kino. Schon be, und es war so unbefriedigend, dass ich mich nicht Die Familie hatte also Vorrang? bei der Werbung schliefen wir beide ein. Und als vorbereitet hatte. Ich habe langsamer gearbeitet, Oda Thormeyer So kann man das nicht sagen. Es der Film aus war, wachten wir beide auf… das hat mich geärgert. Darauf musste ich mich erst geht immer darum, Kompromisse zu schließen. einstellen, Geduld mit mir zu haben und dass alles in Beides hat seinen Stellenwert. Mal ist das eine Du hast mit drei Kindern ziemlich viel zu organisieren; jetzt langsameren Schritten voran geht. Ich hoffe, das wichtiger, mal das andere. stehen zwei Premieren für dich an. Wie machst du das? wird besser. Von der einen in die andere Welt. Oda Thormeyer Du gewöhnst dich an den Stress­ Wie fanden deine Kinder den Umzug nach Hamburg? pegel. Jetzt habe ich z.B. Samstag Premiere. Sonn­ Oda Thormeyer Man muss echt da sein, wo man ge­ Oda Thormeyer Die eine hat zu mir gesagt: „Diese tag früh kommen zehn Kinder zu uns. Dann gehe rade ist. Erst das eine, danach das andere. Wenn Stadt werde ich total hassen!“ – Und dann, inner­ ich mit denen in das Stück, in dem mein Mann mit­ man das schafft, ist das Theater weg, wenn man die halb kürzester Zeit, sind wir alle total glücklich spielt, um sie ihm zu übergeben, um dann abends Haustür aufsperrt. Dass die Proben in mir weiter gewesen, hier in Hamburg zu sein. im Thalia die Vorstellung zu spielen. Es ist halt so! arbeiten, darauf kann ich mich eh verlassen. DIe Fragen stellten Kathrin Günther & Jochen Strauch. Thalia Magazin Zeit 13

„Ich vergeude wahnsinnig gern Zeit und mache Pausen. Ich bin aber auch der einzige, der das darf. Ich weiß allerdings auch, dass es eine Pau­ se überhaupt gibt. Die normalen Fernsehleute kennen das Wort gar nicht.“ Harald Schmidt Früh Schicht

Die Zeit ist knapp. Zwei Stunden Zugfahrt hat Luk Perceval, Leitender Regisseur des Thalia Theaters, als willkommene Pause empfunden, obwohl sein Probenplan ihn in Kürze wieder auf den Zug zwingt – zwei einhalb Stunden bleiben Perceval und Harald Schmidt für ein Treffen im Kölner Brauhaus Früh. Dass Schmidt einst auf der Theaterbühne stand, wussten wir. Dass er den Roman gelesen hat, den Perceval ge­ rade inszeniert, dass er über aktuellstes Theatergeschehen bestens informiert ist, dass er aber eigentlich die Ingenieurskunst von Schleusenbauern und den Aspirin- Erfinder noch viel spannender findet – das erklärt die 32 Kölsch auf dem Deckel. Ein Austausch über Zeit in Hochgeschwindigkeit. 14 FrühSchicht Thalia Magazin Zeit 15

Harald Schmidt Eine schöne Form, Zeit zu dass die Lücke, die man nicht hinterlas­ verbringen: im Zug zu fahren! Man sitzt sen hat, geräuschlos geschlossen wurde. da, man liest, geht in den Speisewagen, und man kriegt Entfernungen mit. Hast du das Gefühl, dass dich das Fern­ Luk Perceval Also gewonnene Zeit durch sehen verändert hat? Das Tempo des das Reisen? Fernsehens beschleunigt sich ja ständig. Auf jeden Fall. Ich bin vor Kurzem mit dem Verändert hat es mich nicht, glaube ich. Schiff von Hamburg nach Antwerpen ge­ Aber du hast Recht: Die goldene Zeit­ „Ich habe mir ein langsames fahren, durch die Schelde. 100 km ist die einheit im Fernsehen ist Eins Dreißig. In Schiff gekauft, um mir damit lang, wusste ich gar nicht. einer Minute dreißig musst du zitierfähig Zeit zu erzwingen. Diesen Ich war dort als Kind ständig mit dem sein. Du musst so was sagen wie: „Ich bin Sommer war ich ganze zwei Boot unterwegs. Meine Eltern waren für die Monarchie in Deutschland“, um Tage auf See.“ Luk Perceval Frachtschiffer. Ich hab’s gehasst. Doch in überhaupt stattzufinden. Und was es im den letzten zehn Jahren habe ich es so Fernsehen überhaupt nicht gibt, sind vermisst, dass ich mir ein altes Pausen. Es muss immer etwas passieren. Luk Perceval ist 1957 in Harald Schmidt, geboren Holzschiff gekauft habe. Aus der Ununterbrochen. Ich versuche allerdings Lommel / Belgien geboren. 1957 in Neu-Ulm, absolvierte irrsinnigen Überzeugung, dass immer, theatralisch zu denken. Im Grun­ Er studiert zunächst Schau­ ein Schauspielstudium an man sich damit Zeit erzwingen de mache ich eine 45-minütige Stegreif­ spiel und wird in Antwerpen der Hochschule für Musik kann: es fährt nur sieben Knoten. komödie, die vom Fernsehen aufgezeich­ engagiert. 1984 gründet er und Darstellende Kunst Stutt­ Doch als ich es endlich besaß, net wird. Ich bin untypisch, eine Ausnah­ eine freie Truppe. Mit ihr er­ gart. Nach ersten Theater­ war ich schockiert darüber, dass me im Fernsehen. Ich vergeude wahn­ probt er Theaterformen, engagements begann er es so viele Sorgen machte. Wenn sinnig gerne Zeit und mache Pausen. Ich Ästhetiken und neue Struk­ 1988 seine Karriere als Mo­ ich an Bord bin und mit der Crew bin aber der einzige, der das darf. Ich turen. 1998 wird er Inten­ derator. Zunächst beim losfahre, habe ich nur Stress. weiß allerdings auch, dass es überhaupt dant des Nationaltheaters Sender Freies Berlin, kurz Ich weiß genau, der eine benutzt eine Pause gibt. Die normalen Fernseh­ Antwerpen, das er ästhe­ darauf bei der ARD. 1990 er­ das Klo falsch, der andere dreht leute kennen das Wort Pause gar nicht. tisch erneuert. Ab den 90er hielt er die eigene TV-Show verkehrt am Hebel. Immer geht Jahren inszeniert Perceval „Schmidteinander“, darauf etwas kaputt. Also, die Idee Ich frage mich, warum das so ist. Warum auch an deutschen Bühnen. die „Harald Schmidt Show“ von einem langsamen, schönen bewegt sich im Fernsehen ständig alles? Der Theater- und Opern­ (Sat1) und die Late-Night- Schiff, Spaziergängen am Meer Die Kamera dreht sich ja permanent. Wer regisseur erarbeitet seit Show „Harald Schmidt“ (ARD). und Ankerplätzen in einer ro­ hat denn das Bedürfnis, so schnelle Bilder elf Jahren Filme zu seinen Nach seinem Sat1-Austritt mantischen Bucht: die gilt für zu sehen? Man sagt doch, dass vor allem Inszenierungen und reali­ 2003 unternahm er eine Welt­ die Gäste, aber nicht für mich. alte Menschen überhaupt die Zeit haben, sierte die Dokumentarfilme reise, ein Jahr später ging er Aber du hast ja mal eine rich­ fernzusehen. Und die stehen immer zö­ „Düsseldorf, mon Amour“ wieder auf Sendung. Trotz tige Auszeit genommen –Wie gernd am Ticketschalter der Deutschen und „Die verborgene Stadt“. TV-Karriere spielte Schmidt war denn das? Bahn und verursachen eine Schlange. In seinen Inszenierungen regelmäßig Theater. Für die Das war die Hölle, eine Mischung aus Das Ganze könnte auch noch schneller ex­perimentiert er immer Darstellung des Lucky in Rentnerdasein und arbeitslos. Ich bin drei werden. Was übrigens auch Karrieren be­ wieder mit der Wahrneh­ der Bochumer Inszenierung Luk Perceval Ich spiele Monate gereist, das war toll, war dann fünf trifft. Meine Karriere dauert ja schon 22 mung von Langsamkeit und „Warten auf Godot“ wurde jetzt mal ein bisschen Monate zuhause, und das war fürchterlich. Jahre – das ist schon wie die von Dieter Lautstärke. Seit der Spielzeit er zum „Besten Nachwuchs­ Harald Schmidt. Man steht auf, liest jeden Tag die Zeitung Thomas Heck. Die Normalkarriere heute 2009/ 2010 ist er Leitender schauspieler 2002“ gekürt. Harald Schmidt Mit und es ist noch egaler als es sonst schon dauert sechs Folgen. Wenn jemand nicht Regisseur am Thalia Theater Zuletzt trat er in den Insze­ dieser Körpersprache? Du ist, dass man das tut. Dann geht man ein funktioniert, ist er weg. und war Studiengangsleiter nierungen René Polleschs meinst, immer Lockerheit bisschen in den Park, da sitzen dann Rent­ im Bereich Regie und Schau­ auf. Zurzeit ist er festes En­ vortäuschen? ner und Arbeitslose mit grauen Schuhen Findest du diese Beschleunigung eine spiel an der Akademie für semblemitglied am Schau­ und Bart. Dann geht man mittags nach gute oder schlechte Entwicklung? Darstellende Kunst Baden- spiel und mode­ Hause und trinkt schon mal nen Wein und Ich habe damit kein Problem. Ich wollte Württemberg in Ludwigs­ riert die wieder aufgelegte wenn man müde ist, legt man sich hin. ja in die Branche rein. Ich kann gar nicht burg. Er besitzt ein 17 Me­ „Harald Schmidt Show“ (Sat1). Hat dir die Auszeit irgendwas gebracht? anders. – Aber für Schauspieler ist das ter langes Holzschiff, die An der Ludwigsburger The­ Insofern, als dass ich jetzt sage: Glück ge­ doch auch nicht viel anders, oder? Zwei „Ilonda“; diesen Sommer aterakademie hielt er eine habt, dass ich wieder ins Karussell zurück­ schlechte Produktionen, und schon geht hatte er Zeit für einen Einführung in das „Show- kommen konnte. Das Erschreckendste war, das Gehüstel los? › zweitägigen Törn damit. und Theatergeschäft“. 16 FrühSchicht Thalia Magazin Zeit 17

„S chauspieler kriegt man mit dem Spießer- Komplex­ zum Arbeiten: Geh’ doch zur Post! Wir haben hier ein Anliegen, uns geht es um was! – Was nichts anderes heißt, als nachts um elf mit nacktem Arsch noch mal eine Sperrholzplatte runterzurutschen. Um zu sehen, was es mit dir macht.“ Harald Schmidt

› Luk Perceval Die meisten Schauspieler bis ich 30 war, mit Theater ex­perimen­ Viele Schauspieler sterben beim Gedan­ kriegen gar keinen festen Vertrag! Un­ tieren können. Das geht heute nicht mehr. ken daran, was du in deiner Show machst: 8 ter den Absolventen in Ludwigsburg Improvisieren. Du hast keine Angst? Minuten Schweigen gibt EINEN, der einen Jahresvertrag­ Du hast doch mal etliche Theaterleute Nein, denn mir ist klar, dass es sich um von Peter Kurth hat. Hunderte von Schauspielern ste­ in deine Sendung eingeladen, z.B. Tho­ Kommunikation mit dem Publikum han­ eröffneten Michael hen jedes Jahr auf der Straße. Beim mas Thieme. Waren wahrscheinlich die delt. Nicht um das Vorführen von etwas. Thalheimers Insze­ Vorsprechen ist der Druck riesig, sie wis­ falschen Leute fürs Fernsehen, oder? Und diese irrsinnigen Ängste, die ich von nierung „Liliom“ am sen alle: sofort angenommen oder nie. Harald Schmidt Nee, gar nicht. Denn die Schauspielern kenne, die träumen, dass Thalia Theater. Aber klar hast du Recht. Auch Schau­ kriegen sofort das Publikum auf ihre Seite. sie den Tex­t vergessen? Ein wesentlicher spieler sind von dieser überhöhten Ge­ Meine Zuschauer wissen vielleicht nicht, Teil des Berufs des Schauspielers ist ja 3 schwindigkeit betroffen. Der ehemalige wer Gert Voss ist, aber er sitzt einfach da, der Umgang mit ihrer Angst. Mit der Lacher pro Minute Leiter in Ludwigsburg sagte mal: „Der und nach zwei Minuten hat er das Publi­ Gefahr zu scheitern. sind Schnitt in einer Fleischwolf Fernsehen braucht neues kum im Griff, weil er den Theatermecha­ Ich habe in dem Sinne gar keinen Text. Sitcom. Frischfleisch.“ Er fand, dass wir die Stu­ nismus abruft. Das zeigt auch, dass die Ich reagiere auf das Publikum. Und wenn denten funktionsfähig bügeln sollten. Leute im Studio Qualität spüren, auch ich im Fernsehen scheitern sollte, dann Die sollen witzig sein, tolle Interviews wenn sie die Gäste nicht kennen. trete ich halt hier auf. Im Brauhaus. Es 20 geben, sich in Szene setzen können, wir gibt genügend Dinge, worüber die Leute Minuten musste sollten sie auf den Mediendruck trainie­ Dann hat deine Form von Fernsehen also Witze hören wollen. Jette Steckels ak­ ren. Und ich bin anderer Meinung: Die eine Unmittelbarkeit? Fast wie im Theater? tuelle Inszenierung brauchen Zeit, um zu sich zu finden. Um Ja, ich sehe mich in einer klassischen Was denkst du über Zeit und Theater? des „Don Carlos“ ihre Phantasie und die eigene Persönlich­ rustikalen Volkstheater-Tradition. Ich Die Leute, die im Theater arbeiten, haben gekürzt werden, um keit zu entdecken. Das braucht Jahre. Du könnte die Sendung auch jetzt sofort keine Zeit. Zumindest keine Zeit für das, einen Sendeplatz kannst sie nicht auf einer Schule anneh­ hier im Brauhaus starten. Am Tisch. Weil was man privat nennt. Schauspielerinnen auf zu erhalten. men und gleich für deine Serien im ZDF ich mir die Kundschaft im Sinne des Boule­ z.B., die ein Kind haben, die rennen in die verbraten. In unserer Generation war vard von der Straße hole. Mir geht es um Kita, holen das Kind ab. Dann hat ihnen das anders. Wir konnten in leer stehen­ die Live-Show, die Sendung ist eigentlich der Babysitter abgesagt und sie schieben den Kinos Theater machen. Ich habe, fast nur noch ein Abfallprodukt. es zur Sekretärin rein oder bringen es › 18 FrühSchicht Thalia Magazin Zeitanzeige 19

› mit auf die Probe. Da tut man dann so, War deine Theaterzeit vertane Zeit? Ins Thalia-Abonnement können Sie jederzeit ein­ als ob man Kinder mag. Mir fällt immer Auf keinen Fall. Ich habe immerhin die steigen: Heute, nächste Woche, in zwei Monaten! wieder auf, wie hart im Theater gearbeitet Handynummer von Gert Voss und von Luk Telefon 040.32 81 44 33 Mail [email protected] wird. Manche Abteilungen erzählen sich Perceval, und das hat sich für mich schon zwar die Geschichte „Mann, was haben wir gelohnt. Ich komme mit den Leuten, die wieder gewuppt diese Spielzeit“, und die ich toll finde, in Kontakt. Aber aufgrund Mitarbeiter freuen sich, wenn der Inten­ der Funktion, die ich wirklich habe. Ich dant ihnen auf die Schulter klopft und erinnere mich, dass ich nach einer Show sagt: „Unsere Ilse – seit 20 Jahren kein in die Garderobe kam und es hieß: Die Weihnachten zu Wiener Festwo­ „Die entschei­ Hause gefeiert.“ chen haben an­ denden Sachen Eine merkwür­ gerufen, Büro im Leben pas­ dige Form von Luc Bondy.Und sieren per Zu­ Herabwürdigung ich dachte: hab fall. Man hat durch schein­ ich’s doch ge­ Jeder sich verfahren bare Anerken­ wusst. Er sieht oder sich in der nung.Und die mich in der Kantine noch Schauspieler Sendung und ein Bier geholt. kriegt man mit denkt: Das ist Plötzlich war dem Spießer- Tschechow. Ei­ man verheira­ Komplex zum gentlich. Hof­ tet oder ge­ harten Arbei­ fentlich hab ich Zeit feuert oder ten: „Dann geh’ da Zeit: sechs Intendant.“ doch zur Post. Mach’ doch ’ne Serie. Wir Willst noch wat Wochen Wien. Harald Schmidt haben hier ein Anliegen. Uns geht es um Tschorle, Jung? Und ich Voll­ was.“ Was nichts anderes heißt, als dass spießer ruf di­ du nachts um elf noch mal mit nacktem rekt zurück. „Halloooh, hier Luc Bondy. Arsch die Sperrholzplatte runterrutschst. Ich ääähhh, ich wollte jetzt auch mal so Um zu gucken, was es mit dir macht. eine Talk-Show machen, und da wollte ich Abo fragen, was man da so nehmen kann.“ Luk Perceval Andererseits komme ich ge­ Deswegen ruft er an? Unverschämtheit. rade von einer Probe und wir haben Nein, ich war ja der aufgeregte Kleinbür­ eine halbe Stunde nur gelabert und ger. Ich muss aber auch zugeben: Proben überlegt; das geht beim Film gar nicht. langweilen mich. Das Wiederherstellen von Treibt es dich denn wieder zum Theater? Verabredungen. Ich bin seit zwanzig Jahren Harald Schmidt Nein, ich habe das drei Jahre darauf geeicht, dass ich nach zwei Tagen gemacht, und das war auch super. Aber ich das von vor zwei Tagen langweilig finde. habe gemerkt, dass ich einer Teenie-Illusi­ Ich muss es am Abend machen, sonst in­ on nachgerannt bin. Die sieht so aus, dass teressiert es mich nicht mehr. Kalter Kaf­ ich mich zwischen Gert Voss und Kirsten fee. Empfindest du etwas als vertane Zeit? Dene verbeuge. Ich habe gemerkt, ich kann Eigentlich nicht. Ich finde nur manche das nicht, was Vollzeit-Schauspieler können. Dinge schwierig. In Zwänge zu geraten, Drei KurzAbos als Beispiel: Und bei mir ist Schauspielerei sowieso sinn­ zu einem bestimmten Empfang zu müssen los, weil die Leute immer das mitdenken, beispielsweise. Ich kann so schlecht so­ Einstieg im Januar. Einstieg im Februar. Einstieg im März. was sie von mir aus dem Fernsehen kennen. cialisen. Es gibt Leute, die plaudern, um zu Sie sehen noch 5 Sie sehen noch 4 Sie sehen noch 3 Ich kann mich gar nicht neutralisieren. Nur plaudern und das ist so langweilig für Vorstellungen in Vorstellungen in Vorstellungen in bei Pollesch war das kein Problem, weil da mich. Meine Frau Annette und ich haben Spielzeit 2011/12. Spielzeit 2011/12. Spielzeit 2011/12. keine Figuren auf der Bühne stehen. Aber es eine Verabredung: ich mache ein Zeichen 42,50 –130 Euro 34 –104 Euro 25,50 –78 Euro ist ja ganz klar, dass meine Theaterspielerei mit meinem Hut, damit sie mich rausholt. nur zustande kam, weil ich diesen Bekannt­ Aber… das Zeichen kapiert sie selten. heitsgrad hatte. Sonst hätten mich Bochum Bei den 32 Kölsch halfen Ursula Steinbach, oder Stuttgart niemals engagiert. Andreas Brüggmann und Fabian Hammerl. 20 [email protected] Thalia Magazin Zeit 21

Verschenkte Zeit Sie hat zwei Jobs. Sie hat kein Geld Mit 53 stand Monika Rath vor dem Aus. aber von einem scheint sie zu einhundert für Urlaub. Wenn ihr Auto zur Reparatur muss, putzt Die PR-Agentur, in der sie seit 1987 arbei­ Prozent überzeugt: Lebendig zu sein heißt sie am Feierabend Treppenhäuser. Und ihre Frei- tete, strich Stellen, sie war betroffen. Von Empathie. Und Lebensfreude. Ihren Dienst zeit verbringt sie mit Sterbenden. Ehrenamtlich. der Empfangs- zur Geschäftsführungsse­ vor dem HSV-Stadion tritt Monika Rath Diese Stunden sind für Monika Rath unbezahlbar. kretärin hatte sie sich hochgearbeitet, „im­ mit 61 Jahren an. mer­hin“, meint die 63-jährige Mutter und Reflexzonen, Energiefluss, Bodycheck, Oma von Cayenne (5) und Caprice (4). Zierkürbisse und Herbstgestecke Neustart mit 53 und Hindernissen Monika Raths Alltag gestaltet sich seit­ Monika Rath nimmt die Herausforderung dem vor allem durch eins: Mobilität. Als an. Fast dankend: „Seit ich 15 bin, mache ich Shiatsutherapeutin fährt sie von Patient Sport, ich war schon immer sehr körper­ zu Patient, bei großen Firmen behandelt bewusst. Den Körper, seine Energien und sie Mitarbeiter über längere Zeiträume. Kräfte, das finde ich einfach interessant.“ Neben dem HSV-Einsatz, vier bis fünf Mal Eine Umschulung zur Physiotherapeutin im Monat, hat sie feste Verabredungen Zeit zu wäre ihr Traum gewesen; die ARGE lässt mit den Enkeln und ist zwei bis drei Mal ihn platzen: sie genehmigt die Ausbildung die Woche für ca. drei Stunden im Alber­ nicht. Monika Rath recherchiert weiter, tinen-Haus, einem Zentrum für Geriatrie stößt auf eine Shiatsu-Schule. „Shiatsu und und Gerontologie. Auf ihrem Mitarbeiter­ TCM sind wahnsinnig spannend und viel­ schild steht ihr Amt: Besucherdienst. Die seitig – Traditionelle Chinesische Medizin, zierliche Frau in Jeans und Turnschuhen, nicht die Tschibo-Marke“, lacht sie. Sie mit prall gefülltem Rucksack, die PET- gehen beginnt die vierjährige Ausbildung auf Flasche Orangensaft griffbereit in der Seiten­ eigene Kosten, macht sich selbständig, tasche, fällt auf innerhalb der Einheits­ gründet eine Praxis. Noch in Gartow, aus farben der Krankenschwestern, Pfleger und dem sie 2009 wieder weg zieht. Nach 26 Ärzte. Sie wirkt selbst wie eine Besuche­ Jahren Ehe trennt sie sich von ihrem Mann rin, als sie die Stationen des Stifts zeigt, und verlässt ihn, den Ort, ihre Patienten. durch Krankenhausgänge geht, in dessen polierten Linoleumböden sich dekorative MIt 61 in den Sicherheitsdienst Inseln von Birkenholz, Zierkürbissen und Sie will in Hamburg leben, in der Nähe ih­ Getreidegarben spiegeln: das Erntedank­ rer Kinder. Zu Besuch bei der Tochter blät­ fest wurde gerade im Albertinen-Diakonie­ tert sie in den Stellenanzeigen der Mopo. werk gefeiert. Selbstbewusst und zielstre­ Ihre Augen leuchten. „Das war was. Das big ist ihr Gang. Sie führt zur Kantine. Die wollte ich schon immer machen, die Arbeit Fensterfront erlaubt einen großzügigen im Sicherheitsdienst vor dem HSV-Stadi­ Blick auf die rote Klinker-Wohnanlage des on.“ Fußball interessiert Albertinen-Hauses. Als Frau Rath zu er­ sie, aber vor allem will zählen beginnt, gewinnt der Raum, der für sie mit Menschen zu tun rund 300 Mitarbeiter Platz bietet und auf Als Shiatsu-Therapeutin kennt haben. Gerne auch mit dessen Tischen Miniaturkürbisse und Ge­ Monika Rath die Reflex­zonen Menschen im Ausnahme­ stecke auf herbstlicher Serviette für Atmo­ des Fußes. Der monumentale des zustand. „Jeder hat Ge­ sphäre sorgen, ein Zentrum. Monika Rath. Uwe Seeler hier steht aber eher sichtszüge, die etwas über für ihren zweiten Arbeitsplatz, ihn erzählen, eine Körper­ Kein Geld für Urlaub das Stadion des HSV im Volkspark. ­sprache, die ehrlicher ist Verwundert über das Interesse, das ihr als alles, was er sagen entgegen gebracht wird, erzählt sie be­ könnte. Zuckt im Ge­ scheiden aber stolz ihre Geschichte. Kein sicht ein bestimmter Be­ Ton der Verbitterung, kein Wort von der reich, dann kann ich mir vorstellen, was Ungerechtigkeit des Arbeitsmarkts und sich gerade in dem Menschen abspielt. den Brüchen in ihrem Leben, sondern Ich sehe Dinge vor anderen und bin da immer wieder ein Lachen. Dann schüt­ im Vorteil. Große Kerle schüchtern mich telt sie ihre blonden Haare, spielt mit der gar nicht ein.“ Monika Rath ist bescheiden, Halskette und kommt zu dem Schluss: › 22 Zeit zu gehen Thalia Magazin Zeit 23

›„Ich lebe im Jetzt, ich habe das Beste draus den Rollstuhl zu drehen, um ihrer vermeint­ Kaum waren sie weg, sagte er zu mir: ‚Wenn gemacht, so bin ich eben.“ Das Ehrenamt lichen List genüsslich zuzusehen, hat alle Sie jetzt auch noch den Raum verlassen, im Albertinen-Haus hat in Monika Raths Details einer liebevollen Komödie. Monika kann ich in Ruhe gehen.‘ Menschen wissen, Leben den gleichen Stellenwert wie der Rath erlebt keine Gebrechen, sie erlebt lie­ wann der Zeitpunkt gekommen ist, und sie Hauptberuf, der Sicherheitsdienst und das benswürdige Menschen. Von Zeit zu Zeit können ihn oft nicht annehmen, wenn die Familienleben. Die Enkel sind nicht traurig, lacht sie sich kaputt. Angehörigen dabei sind. Sie haben Angst wenn Frau Rath lieber auf die Station geht davor, ihnen Trauer zu bereiten.“ Monika als mit ihnen auf den Spielplatz: den Som­ „Menschen wissen, wann Rath glaubt an das Leben nach dem Tod. Sie möchten auch mer über haben sie ihre Oma ganz für sich. sie gehen müssen.“ „Es wäre ja schade, wenn die Energien, Ihre Zeit verschenken? Oder beinahe. Dann ist sie – ehrenamt­ Wer Patient in der Palliativeinheit ist, ist die wir Menschen haben, verloren gingen.“ Informationen gibt das lich – Betreuerin bei „Kirche unterwegs“. austherapiert – keine Chance auf Gene­ Ob es noch eine Gel­genheit gibt, die da­ Albertinen-Haus Nach Rantum geht es dann, zum Zelten. sung, „nur“ Symptome und Schmerzen rauf wartet, von Monika Rath beim Schopf Zentrum für Geriatrie werden soweit eingestellt, dass die Schwerst­ gepackt zu werden? Sie überlegt kurz. und Gerontologie Auf die ehrenamtliche Hospizbegleitung kranken nach einer Behandlung wieder Schüttelt dann entschieden den Kopf, „Nein, Sellhopsweg 18–21 ist sie zufällig aufmerksam geworden. Gleich­ nach Hause, in ein Pflegeheim oder ein ich bin so dankbar, dass ich ein so erfülltes 22459 Hamburg zeitig erfüllte sich ein großer Traum. Sie Hospiz entlassen werden können. Theo­ Leben habe“. Sie bricht auf in Richtung Pastorin Claudia Hinck pflegte ihre Mutter, bis sie 1995 starb. Mo­ retisch. Monika Raths Be­ Telefon 040.55 8112 46 nika Rath formuliert es anders, sie beglei­ gegnungen sind zeitlich [email protected] tete sie. Es ist keine Bedrückung zu spüren, begrenzt, sie weiß nicht, wenn sie vom Tod ihrer Mutter spricht. Viel wen sie bei ihrem nächs­ trauriger wird ihr Gesicht, als sie von der ten Besuch auf der Sta­ Freundin erzählt, deren Vater im Sterben tion überhaupt wieder 8% lag und sich das ohnehin problematische sehen wird. „Durch die der Deutschen mit monatli­ Verhältnis der beiden aufgrund des nahen­ zeitliche Beschränkung chem Nettoeinkommen über den Todes noch weiter verschlechterte. sind die Gespräche inten­ 3.500 Euro leisten in ihrer siver. Manche Sterbende Freizeit Nachbarschaftshilfe. „Frau Rath, drehen sie mich mal um. kämpfen regelrecht um Die Lütte raucht doch schon wieder.“ ihr Leben, die meisten Nach zwei gescheiterten Anläufen kann aber wollen die Zeit, die 15% der Deutschen mit weniger sie die halbjährige Ausbildung zur Schwerst­ ihnen bleibt, genießen.“ als 1.000 Euro Nettoeinkom­ kranken- und Hospizbegleiterin beginnen. Sie erzählt gern von ih­ men monatlich tun dies. Seelsorge lernt sie hier nicht; Monika Rath ren Begegnungen, Erfah­ betritt kein Krankenzimmer mit dem Re­ rungen und Freundschaf­ zept, wie in der Trauer zu helfen ist. „Ich ten. Von besagtem Ehe­ 44 hole die Menschen dort ab, wo sie sich be­ paar, das das Hotel an der Menschen arbeiten ehren­ finden. Mit Körper und Seele.“ Behutsam Budapester Straße besaß, amtlich am Thalia Theater. geht sie auf die Sterbenden zu. Und über­ beide Sankt-Pauli-Fans zeugt. Davon, dass das Leben, wie kurz es durch und durch. Von der auch sein wird, schön ist. Dass das Glück alten Dame, die bis zu 32% der Deutschen beschäftigen im Jetzt zu finden ist, nicht in der Vergan­ ihrem Tod auf ihre Perü­ Monika Rath und sich in ihrer Freizeit am genheit und nicht unter anderen, gesün­ cke und lackierte Finger­ die Crew der Liebsten mit Gärtnerei. deren Voraussetzungen. Monika Raths nägel bestand, vom Palliativeinheit des Gesicht hellt auf, wenn sie von Szenen er­ Herrn, der von dem Duft Albertinen-Hauses zählt, die sich auf der Albertinenterrasse ab­ aus der Weihnachtsküche ­spielten. Von einem Ehepaar zum Beispiel, seiner Mutter schwärmte. beide dem Tode nah. Sie, Kettenraucherin Sein Gesichtsausdruck, mit Gehwagen, er im Rollstuhl. Die Anekdo­ als sie ihm ein Paket Anis und Nelken unter Bushaltestelle zu ihrem nächsten Termin. te, wie sich die alte Dame mit der Ausrede, die Nase hielt, geht ihr nicht aus dem Kopf. Dann zögert sie, macht kehrt, betritt das „etwas zu trinken zu holen“ um die Ecke Und von dem Mann, der Frau und Tochter Haus und nickt dem Pförtner wieder lä­ schlich, um heimlich eine schrecklich giftige zum Kiosk schickte, um ihm Schokolade chelnd zu. Sie verschwindet im Fahrstuhl aber unverzichtbare Zigarette zu paffen, zu holen. „Sie wunderten sich nicht, dass des Krankenhauses. Die Palliativeinheit während ihr Mann Frau Rath lächelnd bat, beide gehen sollten. Sie taten es bereitwillig. ist im ersten Stock. Ursula Steinbach 24 [email protected] Thalia Magazin Zeit 25

elektromagnetische Kraft von der elektro­ ebenfalls eine große Menge Informationen, Ihre Treue wird belohnt! schwachen abspaltet. Wir müssten schrei­ genauso wie die großen Fortschritte in Die ben über den Bruch der Symmetrie zwi­ der Evolution des Lebens, nämlich der Unter allen Neu-Abonnenten schen der Materie und Antimaterie, wo­ Weg von den prokaryotischen zu den eu­ bis zum Beginn der Spielzeit Intensität durch das Universum nicht ausschließlich karyotischen Zellen, die Bildung erster Or­ voll von Licht ist, sondern auch ein wenig ganismen in Form von Vielzellern, die 2011.12 hatten wir im letzten aus Materie besteht; über das Zusammen­ Kolonisierung des Festlandes, und der Magazin tolle Gewinne verlost. der Zeit gehen von Quarks jeweils zu zweit oder Ursprung der Intelligenz. Von David Jou dritt, um Protonen, Neutronen und wei­ tere Teilchen zu bilden; über die Fusion von Wenn wir der Zeit nicht eine geisterhafte, Helium aus Wasserstoff in einem extrem mechanische Regelmäßigkeit sowie eine heißen Universium, bevor überhaupt ir­ abstrakte und irreführende Gleichmäßig­ gendein Stern existiert … Kurzgesagt, wir keit, wie es ein Uhrwerk vorgibt, zuschreiben, müssten eine schwindelerregende Fülle sondern wir verstehen, dass die Komple­ von Informationen und ungelösten Fragen xität vielfältig ist und ihr tatsächlicher niederschreiben, bevor wir bei der dritten Inhalt an Neuigkeiten fluktuiert, dann Minute ankommen, wenn die Temperatur dehnt sich die Zeit in erstaunlicher Wei­ und die Dichte der Teilchen niedrig genug se und zieht sich zusammen. Wir kennen werden, um die Bildung von Helium zu dies genau aus unserem eigenen Leben: Manchmal sagen wir uns, in der Geschichte stoppen, und bevor das Universum in sei­ Es gibt sehr kurze Momente von großer des Universums sind wir nichts: Wenn wir nem Zustand der maximalen Einfachheit Intensität, die den Weg unseres Lebens seine Geschichte in vierzehn Bänden mit verbleibt, bestehend aus 75 Prozent ioni­ ausrichten und verändern, und große Stellvertretend für fünf Gewinner wurde jeweils tausend Seiten für je etwa eine siertem Wasserstoff und 25 Prozent ioni­ Zeitabschnitte der Routine, die fast leer ein Apple iPad der Firma Comspot an Milliarde Jahre niederschrieben, würden siertem Helium. Nach der hektischen von Anregungen und Neuigkeiten sind. Dr. Henning Oehr überreicht, und Kirsten wir selbst nur auf der letzten Seite des Phase derartig intensiver Ereignisse, die Pfaue freute sich über ihre neue Bree- letzten Bands erscheinen, als neugebore­ schwer zu beschreiben und sich vorzu­ In der konkreten und realistischen Vision Tasche – aber ihr Votum ist klar: Sie hätte ne, zufällige und zerbrechliche Existenz. stellen sind, geht das Universum in eine der Zeit nimmt das Leben mehr als drei auch ohne Gewinn ein Abo haben wollen. Aber es könnte sein, dass diese Einschät­ Phase der Ruhe über, die in Bezug auf Viertel der hypothetischen vierzehn Bän­ „Ihre Stücke in den letzten Jahren waren zung der Zeit nicht geeignet ist, um die die Zeit mit Ausdrücken großer Einfach­ de der Geschichte des Universums ein. einfach zu gut. Ich will nun alle sehen!“ sich verflüchtigende Realität der Zeit und heit beschrieben werden kann: Ausdeh­ Die Entwicklung der Intelligenz und der die scheinbare Relevanz der Dinge zu be­ nung und Abkühlung. So kommt es, dass Kultur umfasst davon beinahe ein Viertel. Abonnenten gewinnen immer: aufregende, urteilen. Die Zeit ist einfacher zu verstehen, die ersten drei Minuten tausendfach mehr In diesem Sinne eröffnet uns die Relativi­ erfüllte Zeit, einen schönen Abend, ein wil­ wenn wir aktiv werden, einen Kugelschrei­ Informationen als die 370.000 Jahre da­ tät der Informationen über die Zeit, d.h., des Streitgespräch, und das alles in Serie! ber nehmen und beginnen, die Geschichte nach enthalten. Die Zeit des Universums die Messung der Zeit vielmehr nach der des Universums in vierzehntausend Seiten ist also relativ, nicht nur im Sinne der spe­ Intensität der Informationen als nach ihrer niederzuschreiben. Lassen Sie uns sehen. ziellen oder allgemeinen Relativitätsthe­ bloßen Quantität, eine spannende Perspek­ orie von Albert Einstein, sondern auch tive auf die Präsenz der Intelligenz im Uni­ In der Tat nimmt die Beschreibung der aus dem Blickwinkel der Informations­ versum: Sie ist nicht eine vordergründige ersten drei Minuten des Universums mehr fülle. Drei Minuten können mehr Neuig­ Anekdote, sondern von mysteriösem Über­ als einen Band alleine ein, während die keiten hervorbringen als 300.000 Jahre. schwang. Aus dem Katalanischen von folgenden 370.000 Jahre lediglich in einen Anna Fontcuberta i Morral und Dirk Grundler kurzen Absatz einfließen würden. In den Wenn wir versuchen, die Geschichte des ersten drei Minuten müssten wir eine Universums weiter zu schreiben, passiert David Jou (Sitges, 1953), Physiker und Dichter. enorme Menge an Informationen nieder­ etwas ähnliches: die Entstehung der Ga­ Lehrstuhlinhaber für Physik der kondensierten schreiben: über die Elementarteilchen – laxien aus zuvor homogenem Gas spiegelt Materie an der Autonomen Universität von Bar­ die drei Familien von Quarks und Lep­ eine große Menge an Informationen wider. celona. Er ist Autor verschiedener Werke über tonen – , die fundamentalen Kräfte; über Sobald die Galaxien existieren, entwi­ wissenschaftliche Forschung, von Gedichten die Brechung der Symmetrie zwischen ckeln sie sich viel weniger: Die Menge an und Essays. Zu seinen jüngsten Büchern zählen: ihnen, während sich das Universum aus­ Sternen und Planetensystemen ist enorm, El laberint del temps (2006), Deu, cosmos, caos dehnt und abkühlt, – wie sich die starke aber ihre Unterschiedlichkeit ist einge­ (2008), Rescribiendo el Genesis (2008), und Ce­ Wechselwirkung von der elektroschwa­ schränkt. Danach erfordert der Ursprung rebro y universo: dos cosmologías (2011). Dies chen trennt, und wie sich anschließend die des Lebens – der uns noch unbekannt ist – ist ein Originalbeitrag für dieses Heft. 26 [email protected] Thalia Magazin Zeit 27

Gedanken an Krankheit und Tod sind den meisten Tom hat genug von den Himbeeren, die zu Hunderten im langsam verwildernden Vor­ von uns unangenehm. Axel Adam arbeitet damit ­garten der halb abgerissenen Gartenlaube in der Herbstsonne leuchten. Jetzt macht er täglich. Und hat im Gegenzug gelernt, unsere Zeit sich über eine der Birnen her, die haufenweise überreif im Gras liegen. Für Birnen und als geschenkte Zeit zu begreifen. Himbeeren hat man in Fischhausen keine Zeit: die erste Ladung Holz ist gekommen und muss eingelagert werden. Tom ist der obstversessene Labrador von Paule und Axel. Lebens Zeit

xel Adam ist 48 Jahre alt. Axel Adam das ist noch übrig geblieben aus der Zeit, ist Arzt. In einem Teil Hamburgs, für als das große Sterben begann. 1982 tauch­ den man wohl einmal den Begriff Brenn­ ten in Deutschland Fälle einer damals als punkt benutzt hätte, in einer kleinen Seuche bezeichneten Krankheitswelle Straße in St. Georg. Für ihn gibt es einen auf, die einige Jahre zuvor bereits in San Unterschied zwischen Arzt und Medizi­ Francisco unter homosexuellen Männern ner. Nämlich im Einsatz von Zeit und von beobachtet wurde, HIV (human immuno­ Empathie – anstelle von wissenschaftlich- deficiency virus) – das menschliche Im­ distanzierter Behandlungsweise. Ihm ist munschwäche-Virus – war in der Welt. die direkte Begleitung des Patienten wich­ Eine Folge ineinander greifender, durch tig, er kann nicht arbeiten ohne Empa­ den Zusammenbruch des Immunsystems thie. Dabei bricht er klassische Regeln, ausgelöster Krankheiten wurden als AIDS denn oft dürfen ihn die Patienten duzen. bekannt, das „erworbene Immunschwäche­ Jederzeit die Distanz einzuhalten, das ist ­syndrom“. Die Krankheit wütete unauf­ für ihn nicht oberste Priorität. „Ich hatte haltsam in den Körpern einer ganzen nie Schwierigkeiten damit, auf anderem Generation. Die Formulierung, die Krank­ Weg Autorität zu sein. Mein Rat, mein heit habe man sich „erworben“, macht Wissen und meine Anweisungen werden bis heute den Unterschied zu anderen angenommen.“ Begleitung ist ein Wort, das tödlichen Krankheiten aus: Krebs ist er an diesem sonnigen Nachmittag im Ok­ Schicksal, AIDS Strafe für Sexualität. Da­ tober auf einem Bauernhof hinter Lüne­ mals war eine Infektion mit dem Virus burg eindringlich wiederholt. „Begleiten“, ein Todesurteil. › 28 Lebenszeit Thalia Magazin Zeit 29

› Axel Adam kam 1985 nach Hamburg. In die innerhalb von 7 bis 12 Jahren zum Voll­ deren Ursprung. Auch davon hat Adam unzählige die Großstadt, raus aus der Enge seines bild HIV führen kann. Die Entwicklung Fälle gesehen. Junge Männer, die sich auf den Tod 364 Dorfes in der Pfalz. Sein Medizinstudium dieser Medikamente veränderte eine Men­ eingestellt hatten, das Testament gemacht, die Le­ Tage im Jahr ist ein führte ihn ans UKE. Während eines Prak­ ge, auch im Leben von Axel Adam. „Auf ein­ bensversicherung verkauft, die Ausbildung abge­ Arzt bei den Vor­ tikums lernte er Lutwin Weitner kennen. mal konnten wir ein bisschen durchatmen.“ brochen… Und dann kamen die Tabletten auf den stellungen im Thalia Der hatte in seiner Praxis in St. Georg be­ Markt. Die Rückkehr aus dem Reich der Toten ge­ Theater anwesend. gonnen, sich mit den ersten Fällen von Don’t dream it, be it lang vielen nicht. Der Schrecken, das Leiden und Für Notfälle auf HIV in Hamburg zu beschäftigen. Der of­ die Schmerzen verhinderten ein Wiederaufnehmen der Bühne und im fen schwul lebende Arzt wird für Adam zum Bei Adam sind aus den schlimmen Jahren, der bisherigen Lebensziele. Einige kamen nie mehr Zuschauerraum. Vorbild, Mentor, später zum Geschäfts­ wie er den Zeitraum zwischen 1992 und in den Tritt. Andere hingegen haben die Chance partner. Axel Adam steigt 1992 in die 1998 nennt, persönliche Erkenntnisse üb­ des Weiterlebens als geschenkte Zeit begriffen. Die Schwerpunktpraxis in der rig geblieben. „Nichts aufschieben“, ist ein Flüchtigkeit von Leben als Motor zu spüren, be­ 12 Doktoren sind Brennerstraße ein. „Was Credo, welches wir beim gemeinsamen deutet: die Zeit, die bleibt, zu nutzen. Wie Adam, in unserem B- dann kam, darauf hatte Grillen inmitten einer riesigen, idyllischen der beruf­ich so nah an den Tod heran muss. Und Premieren-Abo mich das Studium nicht Baustelle vor einem großen Reetdachhaus will. In vielen Situationen, in denen Axel Adam ausfindig zu ma­ vorbereitet.“ Während der mehrfach hören. Um die Ecke ein Apfel­ Menschen in den Tod begleitet hat, erlebte er ihn chen. Da es sich Kampf gegen die Stupi­ baum, am Rand des Grundstücks ein kleiner oftmals als friedvoll. Das Loslassen des Lebens als aber auch um Ju­ dität von Kirche und Fluss, die Neetze. Der Elbe-Seitenkanal erlösenden Moment für den Sterbenden. Für ihn risten, Physiker oder Medien die Homosexu­ direkt ums Eck. Axel Adam ist aufs Land persönlich ist Tod nichts, was er fürchtet. Respekt Germanisten han­ ellenbewegung der späten gezogen. Mit seinem Lebenspartner ist er hat er vor dem Vorgang des Sterbens. „Wenn man deln könnte, sind 1980er und 90er radika­ seit mehr als 10 Jahren verheiratet; die Dinge nicht gelebt hat, stirbt man schwer.“ Auch wir doch froh über lisiert hatte, gab die Aus­ beiden haben sich in Fischhausen einen das hat er gesehen. Aber darüber spricht er ungern. den Theaterarzt… weglosigkeit der Krank­ gemeinsamen Traum erfüllt. Ohne lange zu › heit der Bewegung einen überlegen, haben sie den ehemaligen Land­ brutalen Kick. Einige ent­ gasthof samt dazugehörigem Land gekauft. Der Doktor und sein scheidende Schlachten – Adam ist vehementer Verfechter des „Don’t Traktor. So sieht Work- gegen Kirche und Phar­ dream it, be it“ – zwischen Konzeption, Life-Balance aus. maunternehmen im Be­ Planung und Realisierung von Projekten sonderen, gegen die Dar­ liegen zwar manchmal Jahre – aber er Licht und Schatten stellung von Homosexu­ lebt, was ihn glücklich macht. und ’ne Menge Holz: alität als Krankheit in den Fischhausen. Medien im Allgemeinen Bis zu 500 Patienten mit HIV betreut Axel – wurden gewonnen. Nicht Adam in seinen Sprechstunden. Das be­ jedoch die Schlacht gegen das Virus. „Da­ deutet: Alle drei Monate sehen sich Arzt mals konnten wir nur begleiten, Schmerzen und Patient. Die Zeit ist strikt einzuhalten, lindern – und bis zum Schluss für unsere nur so kann Adam die Blutwerte des Pa­ Patienten da sein.“ Der Kampf gegen AIDS tienten überwachen und die Medikation schweißte die Homosexuellen zur Bewe­ einstellen. Die ist zu festgelegten Zeiten gung zusammen, zur Community, die selbst­ im Tagesverlauf einzunehmen. So kann der bewusst für ihre Rechte eintrat. Damals. Patient, die Patientin, dann „normal“ altern. In den schlimmen Jahren, die Spuren im Im Laufe seines 19 ½ Jahre umfassenden Leben von Axel Adam hinterlassen haben. Berufslebens in der eigenen Praxis hat Axel Adam schätzungsweise einhundert Men­ „Heute gehen wir von 50–70.000 Infizierten schen beim Sterben begleitet. Wir sprechen in Deutschland aus. Von ‚nur noch‘ 3.000 über die Phasen des Sterbens und das soge­ Neuinfektionen im Jahr.“ Das Vollbild AIDS nannte Lazarus-Syndrom. In der normalen kommt nur noch selten zum Ausbruch. Medizin beschreibt dieses Phänomen Nah­ Seit 1998 gibt es Medikamente, die eine toderfahrungen, oftmals mit Wärme und Therapie der Krankheit möglich machen, Licht verbunden und von fast allen Men­ zumindest in Europa und Nordamerika. schen ähnlich beschrieben. Die besondere Keine Heilung. Aber das Verhindern einer Form des Lazarus-Syndroms aber, die Mitte rasanten Vermehrung des Virus’ im Blut, der 90er viele Männer erfasste, hatte an­ Thalia Magazin Zeit 31

› Adam ist ein sanfter, kraft­ Lassen Sie die roten Aufgaben in voller Mann, der mit großer Ru­ Zukunft einfach links liegen. he und Zuneigung in die Welt Achten Sie darauf, Ihren Tag nicht schaut. Und wenn er uns die mehr bis auf die allerletzte Minu­ verschiedenen sonderbaren Ge­ te zu verplanen. Halten Sie sich rätschaften zeigt, mit denen jetzt an die bewährte Fifty-Fifty-Re­ dieser Gasthof umgebaut wird, gel und verplanen Sie niemals so dass ab nächstem Jahr ein mehr als 50% Ihrer Arbeitszeit. Bed-and-Breakfast in Fischhau­ Reservieren Sie den Rest für Un­ sen entstehen kann, dann ver­ erwartetes, Spontaneität, Kreativi­ gisst man, dass Adam bis vor tät oder den Plausch mit Kunden einem halben Jahr noch lei­ und Kollegen. denschaftlicher Städter war. Zeitmanagement – ganz privat Bauer und Arzt 80% der Deutschen fühlen sich ge­ Lassen Sie nicht zu, dass für Ihr „Wie wollen wir leben, wie wol­ hetzt und gestresst. Dabei haben Privatleben nur das bisschen Zeit len wir alt werden? Wer ist unse­ wir alle viel mehr Zeit, als wir denken. bleibt, das der Job übriglässt. Ver­ re Familie?“ – Work-Life-Balance schieben Sie nicht ständig Ihre pri­ kann man bei Adam lernen. Un­ Den Beweis liefern die Statistiken: Ende des 19. Jahr­ ­vaten Aktivitäten, weil wieder mal Überstunden dogmatisch und charmant lebt er hunderts war ein Arbeitstag von 13 oder 14 Stunden und Wochenendarbeit angesagt sind. Wir alle brau­ vor, wie man das Leben anpacken absolut normal. Freie Zeit? Fehlanzeige! Und heute? chen Freiräume zum Durchatmen, Entspannen und muss. Aber dafür braucht man Mit durchschnittlich vier Stunden pro Werktag bleibt Auftanken. Nur wer einen Ausgleich zur täglichen auch seine Selbstdisziplin: „Ich uns mehr Freizeit denn je. Dennoch stehen die mei­ Arbeit schafft, bekommt den Kopf wieder frei. Des­ stehe jeden Morgen um 4.50 Uhr sten von uns ständig unter Zeitdruck und versuchen, halb: Nehmen Sie Ihre privaten Termine genauso auf, die Praxis öffnet um 8.30 Uhr“ in immer kürzerer Zeit immer mehr zu erledigen. ernst wie Ihre beruflichen Verabredungen. Blocken – meist fährt er mit dem Auto bis Doch: Wer rund um die Uhr Sie ausreichend Zeit für Familie, Lüneburg und von dort mit der schuftet, erhöht nicht seine Effi­ Vielleicht haben Sie Lust, öfter mal ins Freunde, Fitness und alle Dinge, Bahn nach Hamburg. Die Fahrt, zienz, sondern sein Burn-out-Risi­ Theater zu gehen? Um der Hektik des die Ihnen sonst noch Spaß ma­ das Pendeln vom neuen Wohnsitz ko. Deshalb geht es beim Zeitma­ Alltags zu entfliehen, ist ein Theater- chen. Also, brechen Sie öfter mal in die Hamburger Innenstadt, das nagement nicht darum, aus einer Abo ideal: Sie können die Termine früh­ aus dem Hamsterrad des Alltags genießt er. „Im Zug kann ich Fach­ Stunde 66 Minuten herauszuholen. zeitig reservieren und sich im Voraus aus und gönnen Sie sich Zeit für literatur lesen. Ich nähere mich Was zählt, ist: Sich auf das We­ auf einen wunderbaren Abend freuen. die schönen Dinge des Lebens! meiner Praxis morgens immer sentliche zu konzentrieren! wieder an. Jetzt habe ich ein noch Prof. Dr. Lothar Leistung und Lebensqualität in Einklang zu brin­ stärkeres Gegengewicht. Ich habe Seiwert: Europas gen! Freiräume für die schönen Dinge des Lebens jetzt zwei Rollen, Bauer und einflussreichster zu gewinnen! Arzt.“ Den Wechsel zwischen den Denker und Redner Immer wieder Aufbruch. Welten zelebriert er fast rituell durch das Durch­ Zeit ist unsere wertvollste Währung zur Zeitautonomie. 10 Jahre lebte Adam mit seinem queren einer gewissen räumlichen und zeitlichen Der Bestsellerautor Mann in einem generationen­ Strecke. „Auf der Rückfahrt am frühen Abend lese – die Grundlage für Erfolg und Lebensqualität. Des­ beherrscht die Kla­ übergreifenden homosex­uellen ich nichts, da lasse ich alles von mir abfallen.“ Ob halb ist es unheimlich wichtig, dass Sie achtsam mit viatur des Selbst- Wohnprojekt mitten in Hamburgs nun Fischhausen, das Leben im Grünen, etwas sei, wo Ihrer Zeit umgehen. Hier können Sie schon mit und Lebensmanage­ Szeneviertel bei der Marktstraße. man alt werden könne, das will Axel nicht beant­ Kleinigkeiten viel bewirken. Erster und wichtigster ments und wurde Die Ölmühle 30 war ein Gemein­ worten. Muss er auch nicht. „Wer weiß, vielleicht Schritt: Rücken Sie Ihrem übervollen Terminkalen­ mit zahlreichen schaftsprojekt. 6 Jahre geplant, wollen wir, wenn das fertig ist, noch mal ganz wo­ der zu Leibe. Trennen Sie sich konsequent von über­ Auszeichnungen 1 Jahr gebaut und dann mit Leben anders hin. Ich kann mir vorstellen, hier alt zu wer­ flüssigen Aufgaben und Aktivitäten. Nehmen Sie Ih­ gewürdigt. Buch­ gefüllt worden. Bis die beiden den, und dann kommt meine Asche hier in den ren Terminplaner zur Hand und gehen Sie die ver­ tipp: Lothar Seiwert, Männer Sehnsucht nach etwas Fluss – oder aber wir machen noch einmal etwas gangenen Tage und Wochen noch einmal durch. Ausgetickt: Lieber Neuem hatten, einer Veränderung, ganz Neues.“ Von der Kraft her wäre es ihm zuzu­ Markieren Sie alle To-Dos, die sich im Nachhinein selbstbestimmt als die noch einmal das gemeinsame trauen. „Unsere Zeit auf der Erde ist geschenkte Zeit“, als unnötig erwiesen haben, mit roter Farbe. Sie fremdgesteuert. Leben komplett umstellte. sagt Axel Adam, „wenn du sie nutzt.“ Jochen Strauch werden sehen, dass hier einiges zusammenkommt. Ariston-Verlag 2011 32 [email protected] Thalia Magazin Zeit 33

Take your Teatime!

im samova Teespeicher

eulich war wieder so ein Tag. Ein Samstag, ein schöner Tag, weil frei. Zeit um Ngemütlich zu frühstücken, mit den Kindern zu plau­ dern, einen Stadtbummel einzuschieben und am Abend entspannt ins Theater zu gehen. Dachte ich. Es fing schon beim Frühstück an. „Wir haben keine Brötchen und keine Milch mehr. Kannst du mal eben zum Supermarkt?“ Einmal dort, erledigte ich gleich noch andere notwendige Einkäufe. Das Früh­ stück fiel dann etwas kürzer aus: Unser Jüngster hat­ te vergessen uns mitzuteilen, dass ihn jemand zum 1 Tennis nach Lüneburg fahren müsse und zwar am besten sofort. Gut. Lüneburg also statt Stadtbummel. samova Teeglas Kaum war ich wieder zuhause, fiel meinem Mann die Unordnung im Garten auf. „Der Rasen müsste gratis bei Einkauf mit dieser Anzeige auch dringend gemäht werden. Hilfst du mir?“ – Die Journalistin „Mama, gibt’s heute eigentlich nichts zu essen?“ Unser Ältester hatte bemerkt, dass Frauke Haritz es mittlerweile schon drei Uhr war, sein empfindlicher Magen protestierte. Nach dem kriegt seit Essen – Ruhe. Tatsächlich. Ungefähr eine halbe Stunde. 25 Jahren drei „Sag mal, wo sind eigentlich die Fahrtkosten deiner letzten Dienstreise abgelegt? Die Kinder, Rasen­ Steuererklärung muss bis morgen fertig sein…“ Und am Abend warteten vier Stunden pflege, ihren „Don Carlos“ auf mich! Samstags-Abo... Wie sollte ich das überstehen? Gedankenfrei­ Mann Joachim, heit hin oder her – ich wollte am Abend frei haben, Zeit für mich und meine Couch. www.samova.net zwei Hunde Sicher, wir hatten uns bewusst für ein Abonnement entschieden. Ein fester Termin und ihr Thalia­ alle sechs Wochen, keine Ausreden, weit im Voraus planbar – ideales Zeitmanagement Abonnement eben. Aber ausgerechnet heute? Samstags-Krimi wäre mir eindeutig lieber gewesen. unter einen Hut. Wir sind dann natürlich ins Theater gefahren. Schon im Auto entspannte ich mich. Im Foyer der vertraute, gedämpfte Geräuschpegel, leises Klingen der Gläser, gespannte Erleben Sie unsere †Academy »Studieren« Sie die moderne Erwartung. Dann Dunkel, Stille – und ich war hellwach. Meine ganze Aufmerksam­ Teekultur von samova direkt bei uns in der Hamburger keit galt dem spanischen Hof, den Intrigen, dem großartigen Marquis Posa. Er redete moderne Teekultur HafenCity! Ganz ohne Numerus clausus ... nicht von Tennis, Steuern und Rasenmähen – er öffnete eine andere Welt. Eine Welt, Im †Teespeicher können Sie unseren Tee Unser Seminar-Programm die über meine hinauswies und doch wieder mitten in sie hinein. Welchen Zwängen probieren, an Cocktail-Workshops teilnehmen – Die samova Story, samova Tea-Tasting, Führung unterliegen wir? Wann fügen wir uns, wann wehren wir uns? Welche Ideale leiten oder ganz in Ruhe zeitgemäße und köstliche Tee- durchs Unternehmen, Mini-Praktikum »Teedose selber uns? Zwei Stunden vergingen im Flug; die Pause füllten angeregte Gespräche, und Produkte einkaufen. Unsere Tea-Jays beraten Sie bauen«, Cocktail-Workshop, Beratung vom Master Tea- nach einem starken Espresso folgte ich konzentriert dem Rest der Vorstellung. gerne ausführlich. Jay, Einkaufsmöglichkeit vor Ort Meine Couch musste an diesem Abend ohne mich auskommen, aber meine Zeit wurde um vier ausgefüllte Stunden bereichert. Den Krimi hätte ich schnell vergessen, der ( ) Dauer: 2 bis 3 Stunden Theaterabend ist mir im Gedächtnis geblieben. Ich weiß: Ein Theater-Abonnement †Teespeicher in der HafenCity ( ) Studiengebühr: 15 € pro Person Hongkongstraße 1, 3. Etage, 20457 Hamburg gilt als spießig, als Statussymbol für Bildungsbürger, wie das ZEIT-Abo und die Brock­ Öffnungszeiten: Montag – Freitag 9 – 18 Uhr Anmeldung oder Geschenkgutscheine haus-Bücherwand. In diesem Fall bin ich ein Spießer. Manchmal brauche ich Hilfe, und Samstag – Sonntag 12 – 18 Uhr Telefon 040 85 40 36 40, [email protected] um Zeit sinnvoll verbringen zu können. Das Abo hilft. Wann ist wieder Samstag? Thalia Magazin Zeit 35

Jeder für sich und alle für einen: Im achtstündi­ „Die Themen, die Goethe im ‚Faust‘ verhandelt, sind zeitlos. Das große Ganze ist gen „Faust-Marathon“ von Nicolas Stemann spielen zeitlos“, sagt Patrycia Ziolkowska in dem Moment, als der Kellner die Teekanne auf Patrycia Ziolkowska, Sebastian Rudolph und den Tisch stellt und ihr Kollege Philipp Hochmair fragt: „Wie lange muss der Tee Philipp Hochmair Gretchen, Faust und Mephisto. noch ziehen?“ – „Drei Minuten!“ lautet die Antwort. Drei Minuten können eine Ewigkeit bedeuten oder nur ein flüchtiger Moment sein. Drei Minuten können, an­ gelehnt an ein berühmtes Zitat von Virginia Woolf, „auf dem Zeitmesser des Geistes akkurat durch eine einzige Sekunde wiedergegeben werden. Es herrscht offenkundig eine außergewöhnliche Diskrepanz zwischen der Zeit auf der Uhr und der Zeit im Geist.“ Hier im „Café Condi“ im Hotel „Vier Jahreszeiten“ wird die Zeit gemessen, nach der Dauer, die der Tee zum Ziehen braucht.

Dagegen steht die Zeit auf der Bühne, die Zeit im Leben, die ihre ganz eigene und eigenwillige Taktung hat: Patrycia Ziolkowska, Sebastian Rudolph und Philipp Hochmair spielen in dem achtstün­ Welt digen „Faust“-Marathon von Nicolas Stemann: Gretchen, Faust und Mephisto. Jeder für sich und alle für einen. Für Faust und für Gret­ chen können drei Minuten gemeinsam erlebter Zeit eine ganz un­ terschiedliche Bedeutung haben. „Vielleicht relativieren diese drei Minuten Gretchens gesamtes Leben vor der Begegnung mit Faust und krempeln ihr Leben um“, sagt Ziolkowska. „Aber Faust kann das ja ganz anders erleben – kurz und flüchtig.“ Denn Faust will nicht zeit verweilen. Er durcheilt die kleine, schließlich die große Welt und wird zum Prototypen des modernen, flexiblen und sich selbstverwirklichenden Patrycia Ziolkowska Menschen, der dabei ist, sich selbst zu überholen. Sebastian Rudolph spielt diesen verweilte im Vier Jahres­ Faust, diesen zukunfts- und fortschrittbeseelten Menschen, der am liebsten dort ist, zeiten bei einem Darjeeling wo er noch nicht ist. Diesen Heinrich Faust, der die Ewigkeit gegen die irdische Un­ Phuguri FTGFOP, der endlichkeit, gegen eine unendliche Erwartung eintauscht. „Goethe hat dem Ganzen ge­ sein graziles Aroma in genüber durchaus eine kritische Haltung. Faust beschleunigt immer mehr, irgendwann 2½ Minuten entfaltet. ist er schneller als seine eigenen Schritte, bis er eben sein Grab schaufelt und stirbt“, Philipp Hochmair sagt Sebastian Rudolph, der in einer Sushi-Bar in der Wandelhalle des Hamburger bevorzugt zu Scones Hauptbahnhofs sitzt. und Clotted Cream einen Assam. Unmittelbar vor dem Gespräch hat er seinen Sohn in den Zug gesetzt, gleich muss er auf die Bühne und am nächsten Morgen in aller Frühe ins Flugzeug steigen, um für eine kurze Weile in den Urlaub zu fahren. Drei Minuten Verspätung hießen hier ein leeres Gleis, eine verlassene Landebahn, eine verlorengegangene Auszeit.

Für seinen „Faust“ hat sich Johann Wolfgang von Goethe viel Zeit gelassen: Am ersten Teil schrieb er fast zehn, am zweiten dreißig Jahre. Er arbeitete daran mal schnell, dann wieder langsam, mal impulsiv, mal systematisch. Und am Ende reichte die Zeit doch nicht und er schrieb gegen sie an. Denn als er sein Werk endlich be­ endete, war er bereits über achtzig Jahre alt. Ihm lief die Zeit davon. Zeit gelassen haben sich auch – relativ gesehen und zwar in Bezug auf die allgemeinen Produkti­ onsverhältnisse am Theater – die Schauspieler und der Regisseur des „Faust I + II“ am Thalia Theater. Über ein Jahr ihres Lebens haben sie sich intensiv mit Goethes „Faust“ beschäftigt. Die Proben splitteten sich in vier Phasen. Sie begannen im Som­ mer 2010, die Premiere war 2011 bei den Salzburger Festspielen.

„Die erste Probenphase, in der man ohne Zeitdruck sich etwas erarbeiten kann und dann nicht auf den Punkt nach acht Wochen, nämlich am Tag der Premiere, etwas erschaffen muss, habe ich als befreiend empfunden“, sagt Patrycia Ziolkowska. „Man hatte Zeit abzutauchen, konnte Irrwege gehen und eine andere Anarchie zulassen.“ › 36 [email protected] Thalia Magazin Zeit 37

› Auch für Philipp Hochmair und sich oft wie Styropor an, wo man viel geschafft Sebastian Rudolph scheint dies und erledigt, aber letztlich nichts erlebt hat.“ 33% eine ideale Art zu arbeiten. „Mei­ Der Soziologe Norbert Elias sagt, unser Begriff der Tage im Jahr nem Schneckentempo, was die von Zeit ließe es erscheinen, als ob Menschen sind die Kellers in Aufnahme von Fremdtexten oder vielleicht die ganze Welt in einem Fluss einem Hamburger und Literatur betrifft, kommt von Zeit schwämmen. Mal schneller, mal lang­sa­ Theater anzutreffen das entgegen“, sagt Hochmair. mer. „Ich habe Ebbe- und Flutbewegungen. In – Jeden dritten Tag. „Sich für einen Zeitraum ganz den schnellen Phasen fühle ich mich wie der intensiv mit einer Sache zu be­ Außenminister, alles erledigt sich im Flug“, schäftigen und sie dann als beschreibt Hochmair sein Zeitgefühl. „Und Mittelpunkt des Lebens zu seh­ dann gibt es Phasen, da ziehe ich den Stecker en, obwohl natürlich alles an­ raus, und alles wird schwer und zähflüssig.“ dere rundherum noch passiert und man es gegen den Alltag Doch woran erinnert man sich, wenn alles an verteidigen muss, habe ich aus­ einem vorbei rast? Es waren nur ein paar Mi­ schließlich als positiv erlebt“, nuten, die Philipp Hochmair mit dem Fahrrad sagt Sebastian Rudolph. „Und durch Planten un Blomen gefahren ist, in denen ich glaube auch, für die Zu­ sich der Herbstgeruch in der Nase festgesetzt schauer ist das spürbar, und sie hat. „Daran werde ich mich lange erinnern, weil merken, dass wir eine ganz an­ es intensive Minuten waren.“ Zeit müsse man dere Höhe zum Text haben, als sich nehmen, denn davon gibt es nie genug, nicht man das normalerweise erwer­ im Leben und nicht in der Kunst. „Es gibt ver­ 127,6 ben kann.“ Auch der Zuschauer schiedene Zeiten für unterschiedliche Aspekte Minuten dauern muss sich Zeit nehmen, um auf im Leben“, fügt Patrycia Ziolkowska hinzu. die Stücke am Thalia einen beinahe neun Stunden „Ich beschäftige mich eigentlich ständig mit im Schnitt. Macht: dauernden „Faust“-Trip zu ge­ Zeit und mit der Überforderung, die auch da­ hen. Als eine große gemeinsame durch entsteht, dass mein Leben nicht ganz rein­ Reise erlebt Patrycia Ziolkows­ passt in diesen Ablauf“, sagt Rudolph. Als er 255 ka den Marathon: „Große Emo­ einmal zu einer Nachschulung musste, weil Stunden Theater pro tionen werden verhandelt, Wel­ sich zu viele Punkte auf seinem Bußgeldkonto Jahr. Würde man das ten aufgemacht und es ist ja im in Flensburg angesammelt hatten, saß der Fahr­ umrechnen als Arbeits- Leben auch nicht anders, da lehrer eine Stunde ruhig neben ihm und versi­ zeit, wären Kellers ca. dauern die Dinge ihre Zeit, es cherte anschließend, dass er sicher und gut Auto gibt Langeweile und Momente fahre. Aber eines wollte er von seinem Fahr­ 1,5 voller Leucht- und Strahlkraft.“ schüler doch noch wissen: „Wohin möchtest du Monate von morgens Sie spielt das Gretchen, aber eigentlich? Was musst du unbedingt errei­ bis abends damit übernimmt auch immer wieder chen?“ Spontan konnte Rudolph diese Fragen beschäftigt, ins die Stimme des Faust oder Me­ nicht beantworten, obwohl es ein wichtiger As­ Zeit im Leben, Zeit auf Theater zu gehen. phisto, ebenso wie ihre beiden pekt in seinem Leben ist: „Wohin muss ich ei­ der Bühne: Achteinhalb Kollegen die Rolle wechseln, so gentlich so schnell? Wo will ich da eigentlich an­ Stunden Faust-Marathon dass alle drei Figuren zu einer kommen?“ Da sei scheinbar immer irgend­ Impressum heißt im goetheschen Stimme werden. Hier bemäch­ was, was ihn irgendwohin treibe. „Und dann Herausgeber Thalia Theater Sinne entschleunigen. tigt sich das Individuum seiner sind natürlich diese acht Stunden ‚Faust‘ die Intendant Joachim Lux Sebastian Rudolph bei selbst und der Welt. Es hetzt tollste Entschleunigung, die man haben kann. Redaktion Andreas Brüggmann, der Entschleunigung mit von Ort zu Ort, von der großen Da drin können wir uns mal ausmähren. Da Fabian Hammerl, Beate Heine, Gurkensandwich in der zur kleinen Welt, hat aber keine kann man mal loslassen.“– „Das empfinde ich Ursula Steinbach, Jochen Strauch Herren-Garderobe des Erinnerung daran. gar nicht so“, meint Philipp Hochmair nach die­ Fotos Fabian Hammerl Thalia Theaters ser Dimension von Zeitempfinden befragt. Gestaltung Andreas Brüggmann „Ich frage mich manchmal, wann Druck Team Langebartels und wie sich Zeit reich und le­ Der Kellner kommt an den Tisch. „Mein Herr, Druck und Medien GmbH bendig anfühlt“, sagt Philipp die drei Minuten sind um. Sie können den Tee­ Kontakt [email protected] Hochmair. „Meine Zeit fühlt beutel herausnehmen.“ Beate Heine [email protected] 38 [email protected] Thalia Magazin Zeit 39

4:40 Stunden in einem Foto, aufgenommen von Fabian Hammerl aus dem Bühnenturm: Der ganze Faust II 40 [email protected] Thalia Magazin Zeit 41

Das politischste politische Theater ist das, welches Zeiträuber sich quer legt zur Zeit und ein eigenes Maß von Joachim Lux­ fordert – sei es durch Tempo, durch Langsam­ keit oder durch Dauer. Eine Zeitlang war es Mode auf dem Theater, jeden Klassiker auf fernsehüblich-knackig-abschnurrende neunzig Minuten zuzurichten. Das schien für alle besser: Für die Theatertechnik, die Probenzeit, für das Publikum. In Wahrheit aber ist das für alle schlechter: Denn das Theater schmiegt sich der Zeitökonomie des Alltags an, wird Teil des Lebensbetriebs und opportunistisch. Der Umgang mit Zeit birgt Sprengstoff. Es soll schon Ehescheidungen gegeben haben, weil der eine Teil schnell, der andere langsam ist. Auch in der Literatur gibt es Figur und Gegenfigur: auf der einen Seite der beinahe sprichwörtliche Oblomow, der sich der Schnelligkeit im Zeichen der Antimoderne verweigert, auf der anderen die Futuristen des frühen 20. Jahrhunderts – verliebt und berauscht vom damals neuen Tempo der Rennautos und Kanonen… Diese Frontlinien setzen sich ungebremst fort: Vor kaum zwanzig Jahren hat ein französischer Philosoph seinen Ruhm mit der Lehre von der Dromologie begründet. Fasziniert von den neuen Möglichkeiten, hat er kybernetische Prozesse, Tempo und Geschwindigkeit analysiert,– zu einer Zeit, als sich in den Technologien des militä­ rischen Komplexes bereits neue Formen der Beschleunigung abbildeten. Heute haben zivile Beschleuniger wie Twitter, Facebook, Smartphone unser Leben in Besitz ge­ nommen. Reaktionszeiten von mehr als wenigen Stunden gelten als Affront. Die Attribute der Freiheit, das Paradies der grenzenlosen Kommunikation ist zur elektronischen Fußfessel geworden. Und plötzlich grassieren als letzter Schrei „Entschleunigungsphilosophien“… Nach einer Phase des „Praktisch-Preiswert-Gut-Theaters“ kommt der ästhetische Widerstand gegen die normierte und ökononomisierte Zeit ins Theater zurück. Das gab es auch früher schon, bei Peter Stein oder Christoph Marthaler. Aber jetzt ist es wieder da – erstaunlicherweise mit Erfolg: Luk Percevals „Macbeth“ ist beinahe eine Meditation über das Stück – kein übermäßig langer Abend, aber einer, der sein eigenes Zeitmaß einfordert. Antu Nunez braucht dreieinhalb Stunden, um seine Geschichte von „Merlin“ zu erzählen. Dimiter Gotscheff verführt den Zuschauer sogar vier Stunden, in denen es unaufhörlich farbig schneit, um mit Peter Handke eine Geschichte von Heimatverlust und Vertreibung zu erzählen. Und den Vogel schießt natürlich Nicolas Stemann mit seinem „Faust I und Faust II-Marathon“ ab, der über acht (!) Stunden dauert. Jeder, dem man davon erzählt, ist naturgemäß entsetzt. Die Sensation aber ist: Die Zuschauer wollen das und kaufen Karten, ja besonders begehrt sind gar die „Faust“- Marathons. Wie ist das zu erklären? Man sehnt sich offenbar nach dem vom Theater organisierten Haarriß, nach dem Unterschied zwischen Fastfood und einem aus­ gedehnten Mahl. Das eine fügt sich in den ökonomisierten Alltag ein, das andere widersetzt sich ihm, ermöglicht das Eintauchen in eine andere Zeit. Wir schenken Ihnen – falls wir einigermaßen gut sind – Zeit, indem wir sie Ihnen rauben. So ver­ Was essen, wenn man wenig Zeit hat? Die 5-Minuten-Terrine? Was versteht der Wirt des Thalia Theater­ führen wir Sie hoffentlich in eine andere Welt, in eine Parallelwelt zur eigenen. Das Mahlrestaurants, Tim Seidel, unter Fast Food? „Es ist ein Irrglauben,zeit zu denken, dass ein Wirt immer Austern Leben auf der Bühne hat sein eigenes Maß. Blackberry, U-Bahnpläne oder Baby­ und Kaviar (Nachtclub) oder Schnitzel und Tafelspitz (Kaffeehaus) essen mag. Auf die Frage, was der sitterzeiten sind für einen Augenblick vergessen. Und das Theater wird zu einer Insel Wirt der ‚Weltbühne‘ sich am liebsten zu essen macht, wenn er ein wenig Muße hat, konnte es nur eine des anderen. Eines anderen Umgangs mit der Zeit. Sie ist das einzige, was wir haben. Antwort geben: Ein Käsebrot! Mit einer guten Butter, intensivem Käse. Ohne Salatblatt oder Remou­ Oft genug wird sie sinnlos vergeudet, paradoxerweise gerade dann, wenn sie zweck­ lade (eine Verschandelung, die es in letzter Zeit zu oft erfahren hat). Ein Käsebrot also, wie es meine haft genutzt wird – ein Rätsel der Empfindung. Die Kunst, sie sinnhaft zu verschwen­ Großmutter mir schon immer gemacht hat, als ich in den Sommerferien auf ihrem Hof zu Gast war.“ den, ist schwer. Musik oder Theater können gelegentlich dabei helfen. Theaterrestaurant „Weltbühne“ Gerhart-Hauptmann-Platz 70 Montag bis Sonntag 9 – 23.30 Uhr Telefon 040.30 39 32 50 Foto Thomas Schweigert

42 [email protected] Thalia Magazin Zeit 43

Prügeln die sich? Ach was, die haben einen gela­ Kaoma Lambada Tina Charles I love to love den, die gehen ein bisschen komisch. Aus dem Al­ Nachdem wir und vor allem „Katastrophen-Andrea“ Biggys Schicht ist zu Ende, Zeit, die Seiten zu wech­ baner-Etablissement, war mal ein Restaurant, nu­ mit grundsoliden Beschimpfungen begrüßt wur­ seln, ein Bierchen zu nehmen, sich auf der Tanzflä­ delt feuriger Balkan-Pop in die ziemlich frische den, nehmen wir am riesigen Tresen Platz. Rings­ che blicken zu lassen. „Dick und Durstig“ sind auch Oktobernacht vor dem Einkaufscenter Horn Ost. um leere Tische und Stühle im Interregio-Stil. Weiter Frei schon da. Biggy und Andrea kennen sich aus dem Wir gehen mal eine Ecke weiter. Wir warten auf draußen Nagelstudio, Geldautomat, Daddelhalle, Big Apple in Barmbek. Schon ewig. Manch Hekto­ Andrea. Da kommt ihr Bus. Schlecker, Eiscafé, Handy-Laden. liter haben sie in seliger Gemeinsamkeit gekostet. Bis Andrea ihre Tochter bekam, später ihre Enkelin. Andrea kommt von der Spätschicht an der Pforte Peter Maffay So bist du Wenn es um den Nachwuchs geht, ist Andrea stock­ des Thalia Theaters. 14 bis 22 Uhr. Die blonde Braut Andrea macht uns mit der Infrastruktur vertraut. Es nüchtern. „Die Lütte ist ihre Nummer eins“, weiht ist der Sonnenschein des Thalia, pünktlich, schnell, geht nach unten, terrakottafarbener Rauhputz zau­ uns Biggy ein. zuverlässig und eigentlich immer gut gelaunt. Ein bert mediterranes Flair. „Ich zeig euch mal besser die zeit Standortfaktor: Für manchen Schauspieler ist sie Klos; mit acht Promille schafft man das nicht mehr.“ Dirty Dancing The Time of My Life „der einzige Grund zu bereuen, nicht am Thalia zu Gegenüber steht ein Vater mit seinen Söhnen, alle arbeiten.“ Heute gab’s Lieferungen, Fotografen, das Tom Jones Sex Bomb PFÖRTNER … der Suff befördert gut angeknistert. „Die haben einen Kurzen nach ganze Theaterpersonal. Da geht die Zeit rum. An den Der Abend wird mit drei zügigen Runden feinen drei Dinge ganz enorm. dem anderen genommen, als ich denen erzählt ha­ Wochenenden passiert kaum was; erst abends trudeln Apfelkorns eingeleitet. „Oh, der verzaubert…“ An be, dass Andrea kommt“, klärt uns Biggy auf. – Techniker und Schauspieler zur Vorstellung ein. dieser Stelle ein herzliches Dankeschön an Biggy, MACDUFF Und welche solln das sein. „Du musst die Viecher nur erziehen. Wenn ich die großzügige Tresenkraft! Dann gehen wir zum aufstehe, kriegen die alle Manieren“, übernimmt PFÖRTNER Tja, Sir, die Nasenfärbung, Andrea Berg Die Gefühle frisch gezapften Düschardeng über; Andrea bevor­ die Zwei-Meter-Frau Andrea das Kommando. haben Schweigepflicht zugt ihr Pils aus der Flasche. „Tüllich! Hallooo?“ den Schlaf und den Harndrang. „Kein Hunger, wir haben schon gegessen!“– Der Andrea Vagt ist in Horn aufgewachsen, war Ver­ ihr Horn übertönt Tom Jones. William Shakespeare, „Macbeth“ Rosenverkäufer zieht ab. käuferin im schicken Alsterhaus am Jungfernstieg, später Altenpflegerin („…nix für mich, ich stehe Michael Wendler Sie liebt den DJ Wolfgang Petry Wahnsinn auf Jüngere, HA!“). Sie wirkte in der Barmbeker Michis HiFi-Turm gibt alles: Der DJ, in feinstem Irgendwann waren wir dann wohl weg; Andrea sagte Gastronomie, wohnte in Eppendorf und Marien­ Adidas gewandet, spielt, was gut und teuer ist, zuletzt so etwas wie „geht doch richtig gut los hier!“ dorf, aber „Bei Remi“ hat sie immer wieder reinge­ „aber totmachen tut der sich auch nicht. Der: im­ Morgen hat sie frei, übermorgen Spätschicht. Gut schaut. Auch nur mal auf ein, zwei Bier, „aber mer schön am Tresen, und Einer geht noch… Sie so. Dann ist wieder was los in der Pförtnerloge. nach dem dritten hast du Klebe am Arsch.“ liebt den DJ, aber ist ja keiner daaaahahahaha!“ Andreas Brüggmann & Ursula Steinbach 44 Thalia Magazin Zeit 45

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