Medien ACTION PRESS ACTION Late-Night-Talker Schmidt mit „Big Brother“-Star Manuela: „Dieses Kratzen, Nagen, Streicheln“

SPIEGEL-GESPRÄCH „Nach der Ironie das Pathos“ Entertainer Harald Schmidt über Zoten und Quoten, die Wandlung der deutschen Spaßgesellschaft und die Lehren aus den Erfolgen von „Big Brother“ und seines Kollegen Stefan Raab

SPIEGEL: Herr Schmidt, mit Ihrer Late- SPIEGEL: Ähnliches könnte auch Ihr Zau- drooahtzaun würden Sie sich nicht ab- Night-Show, die nun im fünften Jahr und berlehrling Stefan Raab, der diese Woche geben? diese Woche zum 750. Mal läuft, haben Sie beim Schlager-Grand-Prix für Deutschland Schmidt: Das ist eine Frage der Gehalts- es zum Zeremonienmeister der deutschen antritt, von sich sagen. Der singt mittler- klasse. Für mich kommen als Opfer nur Pro- Spaßgesellschaft gebracht – und müssen weile über Sie: „Du reißt die besseren Zo- minente in Frage, hoch bezahlte, eitle Men- sich doch neuerdings von Kritikern vor- ten, doch ich hab die besseren Quoten.“ schen. Dass die sächsische Hausfrau Regi- halten lassen, Sie seien, verglichen mit den Schmidt: Ich bin nicht der Lehrmeister na Zindler ins Fernsehen kam, dazu hat sie Helden von „Big Brother“ oder mit Stefan von Stefan Raab. Sondern Raab ist der wenig beigetragen. Ich würde mich immer Raab, „nicht mehr Kult“. Frisst die Spaß- Nachfolger von Thomas fragen: Was wäre, wenn gesellschaft ihren Meister? Gottschalk. Thommy das deine Eltern wären? Schmidt: Die Spaßgesellschaft ist nie hat das selbst gesagt. Ich mag auch nicht, mein Thema gewesen. Ich habe nicht die Das ist so, wie Schäuble wenn das Fernsehen ah- Grundlage für „Big Brother“ oder Stefan der Nachfolger von nungslose Omas auf der Raab gelegt, ich liefere die Rechtferti- Kohl wurde. Mir wurde Straße anhaut und sie gung für den Weiterbestand von : klar, dass sich die Un- fragt: Was ist Sperma? Alles, was bei Arte vernuschelt den Ge- terhaltungsindustrie in Wir brauchen jeden Tag nies angetan wird, wird bei mir zurecht- beängstigender Weise standrechtliche Exeku- gerückt. der Politik annähert. tionen, aber es muss die SPIEGEL: Sie fühlen sich vollkommen un- Und die Frage ist jetzt: Richtigen treffen. schuldig am aktuellen Blödel-TV? Wer ist Angie Merkel? SPIEGEL: Dirty Harry Schmidt: Ich bin ja nur der Begrüßer des je- Kann es wird human. Gehören weiligen Marktführers. Wenn wir zum Bei- noch sein? die „Big Brother“-Hel- spiel die große Kakteenwelle in Deutsch- SPIEGEL: Im Gegensatz den zu den Richtigen, land haben, dann sage ich: „Meine Damen zu Stefan Raab treten die man treffen darf? und Herren, ich begrüße Deutschlands Sie nicht nach kleinen Schmidt: Unbedingt. Ich

größten Kaktus.“ Ich bin eine Durchlauf- Leuten. Mit Frau Zind- DPA bin jetzt begeistert von station. ler und deren Maschen- Schmidt-Konkurrent Raab der Show. Meine Wand-

114 der spiegel 19/2000 Medien lung vollzog sich am Kaffeeautomaten. Ich SPIEGEL: Wie bitte? ker immer mehr verschlampt, sind wir ge- habe erst gesagt, Manu, Zladdi – wer will Schmidt: Weil Sabrina und Jürgen sofort radezu verpflichtet zum Ausdruck Ge- diese Scheiße sehen? Aber dann hörte ich, eine Meinung über jemanden hätten, der sichtsvotze. Das Leben ist viel zu kurz, um wie sich meine Mitarbeiter am Kaffeeau- sie in den Krieg hetzen will. unpräzise zu sein. tomaten unterhielten. Ein todsicheres Zei- SPIEGEL: Weil das Fernsehen dazu anhält, SPIEGEL: Ihre Liebe zu Kraftausdrücken ist chen, dass „Big Brother“ läuft. zu allem und jedem sofort eine Meinung zu also Folge einer Art Torschlusspanik? SPIEGEL: Und da haben Sie sich vor den haben, ohne sich um Begründung und Schmidt: Mein Schlüsselerlebnis hatte ich Bildschirm gesetzt und hatten Ihr Damas- Konsens zu bemühen? Das wird ja in den bei … kus-Erlebnis? Talks am Nachmittag kräftig geübt. SPIEGEL: … Ihrem großen amerikanischen Schmidt: „Big Brother“ ist vor allem eine Schmidt: Ja. Und ich stelle eine Rückkehr zu Kollegen … Bestandsaufnahme über den Zustand der den traditionellen Werten fest. Ich gucke Schmidt: … der kam mit fünf Bypässen Sprache. „Echt“, „super“, „total“ oder „Ich gepiercten Girlies zu, die wie „Schände zurück in seine Sendung. Das war die Sen- denk mir was bei“. Ich glaube, das liefert ei- mich“ aussehen und zugleich bedingungs- sation. Da hat Iceman Dave erst gegen die nen schönen Querschnitt aus dem Deutsch- lose sexuelle Treue einklagen. Eine Haltung Tränen gekämpft, als das Team ihn auf der land 2000. wie aus den soliden fünfziger Jahren. Jeder Bühne begrüßte. Aber dann hat er verbal SPIEGEL: Hätte man diese tief greifende Er- hat eine Meinung – das ist der Preis der Gas gegeben. Er hat jetzt kein Problem mit kenntnis nicht auch ohne Menschenkäfig Demokratie. Sie wird sofort gesendet und, gar nichts mehr. Mir wurde klar: Man muss gewinnen können? wenn sie besonders kultig ist, gibt’s eine ei- auf die Bühne gehen, als ob man fünf By- pässe hat. SPIEGEL: Sie haben keine Bypässe, aber möglicherweise ein Quotenproblem. Schmidt: I wo. Sehen Sie sich die Aprilzah- len an. 1999 hatten wir im Schnitt 14,3 Pro- zent, im April dieses Jahres 14,2 Prozent. SPIEGEL: Macht ein Minus von 0,1 Prozent. Schmidt: Aber nach unserer internen Sat-1- Schönrechnung läuft alles in diesem Jahr auf eine Verbesserung der Quote hinaus. SPIEGEL: Wie das? Schmidt: Das Entscheidende ist der Anteil der jungen Zuschauer, die bei den Werbe- blöcken dranbleiben. Da sind wir Markt- führer. Deshalb haben wir jetzt drei statt bisher nur zwei Werbeblöcke. SPIEGEL: Bleibt die Quotendelle am Freitag, wenn Sie gegen die Comedys auf RTL und die Talks in den Dritten antreten müssen. Woher nehmen Sie Ihren Optimismus, dass es in Ihrer Late-Night-Show mit der Quo- te aufwärts geht? Schmidt: Der Freitag ist schwer. Da müssen wir solide rackern. Aber im letzten Jahr ha- ben wir unsere Reifeprüfung bestanden, und jetzt kann es nur besser werden. SPIEGEL: Wieso?

ACTION PRESS ACTION Schmidt: 1999 hatten wir den Kosovo-Krieg, Moderator Schmidt, „Big Brother“-Held Zlatko: Mittelmaß und Wahn das Lawinenunglück von Galtür, keine Olympiade, keine Fußball-EM. In diesem Schmidt: Wer „Big Brother“ für mediale gene Show. Wer da Schuldgefühle hat, der Jahr ist der Late-Night-Gott mit uns gnä- Verblödung hält, der hat die gigantische muss sich halt Schwanitz’ „Bildung“ kaufen. diger. Hera Linds Trennung, Birgit Schro- Qualität der Sendung nicht erkannt. Man SPIEGEL: Während Sie das Comeback der wange schwanger. Und „Big Brother“ – muss ja sagen, dass Jürgen und Sabrina traditionellen Werte beschwören, lassen ein Geschenk des Himmels. Jetzt haben letztlich die Basis für Müntefering und Sie in Ihrer Sendung immer ungenierter wir das, was ich Abhangtage nenne: Es Schröder sind. Alle sind super drauf, herumzoten. Wie ist das zu erklären? läuft von selber. locker, alles läuft tierisch. Keine Vorurtei- Schmidt: Ich habe von Philip Roth gelernt. SPIEGEL: Vielleicht hätten Sie höhere Quo- le. Jürgen möchte, dass ein Schwuler in Früher war ich bei einschlägigen Themen ten, wenn Sie interessantere und nicht so die WG kommt. Sabrina beurteilt nieman- noch hüstel, hüstel. Bei Roth wird alles oft die gleichen Gäste hätten? den nach der Hautfarbe. Da ist wirklich ausformuliert. Schmidt: Mir machen die Gäste inzwischen Enzensbergers „Mittelmaß und Wahn“ SPIEGEL: Und nun verfahren Sie nach der unglaublich Spaß. bildlich umgesetzt. Devise: Was der US-Schriftsteller kann, SPIEGEL: Weil viele von ihnen jung, blond SPIEGEL: Wie meinen Sie das? kann ich auch? und weiblich sind? Schmidt: Das Affenartige der Gesellschaft Schmidt: Ja. Penislänge ist Penislänge. Schmidt: Schauen Sie sich Lisa Ortgies an, ist zu erkennen, dieses Kratzen, Nagen, Dicke Titten sind dicke Titten. Wir sind die die junge Moderatorin von „Frau TV“, permanente Mützentragen, das Streicheln, erste Show, die das Wort Gesichtsvotze ar- oder Anastasia, das Girlie von MTV, die das Kuscheln. Der Vorteil von „Big Bro- tikuliert hat. sind großartig. ther“ ist: Man sieht, wie es riecht. Zugleich SPIEGEL: Sie tragen zur kulturellen Verro- SPIEGEL: Finden Sie, aber finden das auch ist die Haltung der Bewohner ein Garant hung bei. die Zuschauer? dafür, dass es nie mehr ein totalitäres Sys- Schmidt: Nein. Das ist Präzision in der Schmidt: Gerade mit den Gästen machen tem in Deutschland geben wird. Sprache. Während die Sprache der Politi- wir Quote. Es gibt noch immer Leute, die

116 der spiegel 19/2000 Medien stürzen auf mich zu und sagen: Wenn Gäs- Schmidt: Deshalb nennt man mich ja auch te kommen, schalte ich ab. Das hängt mit in der Medienbranche „IM Stehlampe“. deren Glauben zusammen, ich sei nur gut Im Ernst: Es gibt keine Kotzbrocken mehr, als Intellektueller. Das stimmt nicht: Ich weil die alle einen Medienberater haben. fange beim Eröffnungssolo als Lumpen- SPIEGEL: Woran merken Sie das? sammler mit 7 bis 8 Prozent an; kommen Schmidt: Ich habe Olli Kahn bei Johannes die Gäste, steigert sich die Quote auf bis zu B. Kerner gesehen. Im Tor ist er ein Gigant. 20 Prozent. Ohne Gäste würden wir gar Aber im Fernsehen von Medienberatern nicht auf die Gesamtquote kommen, die zurechtgetrimmt nach der Devise: Brems

wir haben. Außerdem: Mit Gästen zu reden dich mal runter. Aber wer will einen her- /LAIF BAATZ U. ist für mich die Fortsetzung des Monologs untergebremsten Olli Kahn sehen? Oder Talker Schmidt beim SPIEGEL-Gespräch* mit anderen Mitteln. bei internationalen Stars wie den Models „Sag ich rechtzeitig, es reicht?“ SPIEGEL: Kommen deshalb so viele Naomi Campbell oder Linda Evangelista: Schmidt-Besucher aus der Medienbranche? keine Fragen zum Freund, zum Verlobten, es zu einer Rückkehr der Emotionen Kai Pflaume war bei Ihnen gerade zum stattdessen ein Gespräch über eine Jeans- kommen. achten Mal. Kollektion für einen wohltätigen Zweck in SPIEGEL: Und deshalb beklagen Sie sich Schmidt: Und hatte eine Riesenquote. Wer Afrika. So etwas erspare ich mir. über die neue Lässigkeit der Deutschen? gut ist, der kommt immer öfter. Erfahrene SPIEGEL: Die Glitzerwelt wird langweiliger? Schmidt: Ja, ich will Nachrichten, die wie Gäste haben außerdem einen Vorteil: Sie Schmidt: Den traditionellen Promi, der die „Tagesschau“ aussehen. Ich brauche arbeiten, und ich kann mich entspannen. fremdgeht und im Suff vom Balkon springt, keine Zwillingsgeburt von Gorillas am Wer wie ich lange in der Medienbranche den gibt es nicht mehr. Die Nummer heu- Schluss einer Sendung. Es gibt Menschen, mitspielen will, der braucht nicht nach je- te ist: Hallöchen, wir haben uns getrennt, die sind witzig, andere sind es nicht. Einen dem Ball zu grätschen. Dafür gibt es die wir bleiben Freunde. Alle zwei Jahre Banker, der ein schräger Typ sein will, den Katsche Schwarzenbecks. Ich bin nicht schickt der Herr mal Hera Lind. In meiner finde ich anstrengend. mehr der Moderator, der glaubt, der Wit- Zeit, im guten alten letzten Jahrhundert, da SPIEGEL: Wie sieht es in Ihrer Abteilung zigste sein zu müssen. hat sich Schröder noch scheiden lassen, Sinn des Lebens aus? SPIEGEL: Das klingt, als sei Harald Schmidt und Bohlen noch das Problem gehabt: Wo Schmidt: Das ist für mich sehr klar: Immer weiser geworden. kommen die blauen Augen von Verona schlichter werden. Ich sehe meine Zukunft Schmidt: Milder, vielleicht gleichgültiger. her? Das gibt es heute nicht mehr. in der Nähe von Wittgenstein, irgendwo in Man tut jeden Tag seinen Dienst. Außer- SPIEGEL: Statt großes Drama herrscht über- einer kleinen Hütte in England. Was mir dem hat sich das Umfeld geändert. all Ironie. Welche Auswirkungen hat das auch gut gefällt, das sind diese ganzen No- SPIEGEL: Die Prominenz darf immer unge- auf Ihre Arbeit? belpreisträger in Brooklyn, die in Haus- störter um sich selbst kreisen. Wo bleibt in Schmidt: Schon wieder gebe ich ein Mil- schuhen um die Ecke gehen und Hot Dogs den Interviews Ihr Biss? lionen-Dollar-Berufsgeheimnis unentgelt- essen. Für mich ist die Frage: Sag ich sel- Schmidt: Ich bin Unternehmer. Die Gäste lich an den SPIEGEL weiter: Nach der Iro- ber rechtzeitig, es reicht? Denn ich glaube sind für mich auch Geschäftspartner. nie kommt das Pathos. Und: Diese Zeit ist nicht, dass man mich rausschmeißt. 170 Manchmal kommen die Leute und sagen, schon angebrochen. Ich bin pathosfähig. Stunden pro Jahr zuverlässig und ohne sie wollten Negatives über die Gäste hören. SPIEGEL: Müssen wir uns Sorgen um Sie Zicken – der Sender Sat 1 weiß, was er an Ich sage: Nie im Leben. Das sind Partner. machen? Wer, wenn nicht Harald Schmidt, mir hat. Ich lebe davon, dass sie gerne kommen. hat denn zur Ironisierung des allmächti- SPIEGEL: Es hieß, Sie wollten mit Ihrer Fir- SPIEGEL: Wo sind die Gegner? Wo bleibt gen Fernsehens beigetragen? ma Bonito ins Internet und auch Ihre Bio- Frau Böttinger? Schmidt: Schon, aber weil inzwischen jeder grafie ins Netz stellen. Schmidt: Die ist längst keine Feindin mehr. ironisch ist – Fernsehmoderatoren, Politi- Schmidt: Das habe ich nur so herauspo- SPIEGEL: Ihr neues Motto: versöhnen statt ker, selbst das Feuilleton fühlt sich als saunt. So etwas würde mein Mythoslein spalten? Bestandteil der Spaßgesellschaft –, muss zerstören. Und was sollte ich in einer Bio- grafie aufschreiben? SPIEGEL: Ihr aufregendes Privatleben viel- leicht. Schmidt: Was ist daran aufregend? Ich habe drei Kinder von zwei Frauen. SPIEGEL: Oder die Geschichte Ihrer aben- teuerlichen Steuerflucht nach Belgien. Schmidt: Ich bin zurückgekehrt. Eine Steu- erflucht ist fürchterlich entwürdigend. SPIEGEL: Gibt es für Sie ein Leben jenseits des Fernsehens? Schmidt: Meine Lesungen im Theater sind sensationelle Erlebnisse, besonders in der ausverkauften Burg in Wien. Ich erwähn- te den Namen Fritz Muliar, da flog das Dach weg. Da merke ich, welche Kompro- misse ich im Fernsehen eingehe. Fernseh- menschen können nie begreifen, was ein ausverkauftes Burgtheater bedeutet. SPIEGEL: Herr Schmidt, wir danken Ihnen für dieses Gespräch.

ACTION PRESS ACTION * Mit Redakteuren Wolfgang Höbel, Nikolaus von Fes- Entertainer Schmidt mit Verona Feldbusch: „Ich muss nicht mehr der Witzigste sein“ tenberg.

der spiegel 19/2000 119