1. Juni 1970: Fraktionssitzung
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SPD – 06. WP Fraktionssitzung: 01. 06. 1970 [32.] 1. Juni 1970: Fraktionssitzung AdsD, SPD-BT-Fraktion 6. WP, 32. Überschrift: »Protokoll der Fraktionssitzung vom 1. Juni 1970«. Zeit: 14.13–17.28 Uhr. Vorsitz: Wehner. Protokoll: Halberstadt. Sitzungsverlauf: A. TOP 1: Informationen (Bericht von Bundeskanzler Brandt zur Europa-, Ost- und Deutschlandpolitik; Diskussion und Fragen der Abgeordneten). B. Vorbereitung der Plenarsitzungen: TOP 2: Tagesordnung und Ablauf der Plenarsitzun- gen. – TOP 3: Nachtrag Jahreswirtschaftsbericht, Sondergutachten, Konjunkturpolitik. – TOP 7: Weißbuch 1970 zur Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland und zur Lage der Bundeswehr. – TOP 8: Bericht des Verteidigungsausschusses über den Bericht des Wehrbeauftragten. – TOP 5: Drittes Vermögensbildungsgesetz. – TOP 6: Vermögens- wirksame Leistungen für Beamte und Soldaten. – TOP 4: Zweite Beratung Haushalt. C. Sonstiges: TOP 10: Kleine Anfrage betr. Schiffsbesetzungsordnung »Kleine Handels- fahrt«. – TOP 11: Kleine Anfrage betr. Flaggendiskriminierung. – TOP 12: Absatz- fondsgesetz. [A.] Herbert Wehner eröffnet die Sitzung, verliest die Namen der entschuldigten Abgeord- neten und erteilt sodann zum Punkt 1 der Tagesordnung dem Bundeskanzler das Wort. Willy Brandt nimmt zuerst zu den Angriffen der Opposition auf die Europapolitik der Bundesregierung1 Stellung. Er verweist insbesondere auf die bevorstehenden Aktivitä- ten der Bundesregierung und der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft.2 Der Bundeskanzler verweist sodann auf die deutschen Vorschläge anläßlich der NATO- Tagung in Rom hinsichtlich der Angebote an die Mitgliedstaaten des Warschauer Pak- tes und zu den erstrebenswerten Rüstungsbeschränkungen. Er unterstreicht insbeson- dere die Unterstützung der Bundesregierung durch die Bündnispartner innerhalb der NATO im Hinblick auf die Ostpolitik der Bundesregierung.3 Willy Brandt berichtet sodann von der Sitzung des Parteivorstandes am 31. Mai 1970 in Bonn.4 Der Parteivorstand hat die Bundesregierung aufgefordert, die bisherige Politik fortzusetzen. Die Vorbereitungen zu Verhandlungen mit der Regierung der UdSSR über ein Gewaltverzichtsabkommen werden fortgesetzt. Bei einem solchen Abkommen werden bestehende Verträge unberührt bleiben. Es wird dabei von den bestehenden 1 Gemeint sind vermutlich die Äußerungen des CDU/CSU-Fraktionsvorsitzenden Barzel in der Debatte am 27. Mai 1970 über die Große Anfrage der CDU/CSU zur Deutschland-, Ost- und Euro- papolitik. Vgl. BT Plenarprotokoll 06/53, S. 2670 f. 2 Seit Juni 1970 hatte die Bundesrepublik den Vorsitz im Rat der Europäischen Gemeinschaften inne. Ende Juni 1970 begannen in Luxemburg die Beitrittsverhandlungen der EG mit Großbritannien, Ir- land, Dänemark und Norwegen. 3 Am 26./27. Mai 1970 trat in Rom der NATO-Ministerrat zusammen. Zu den Ergebnissen vgl. das Schlusskommuniqué; BULLETIN, Nr. 75 vom 2. Juni 1970, S. 742–744. 4 Vgl. die Kurzzusammenfassung über die Sitzung des Parteivorstandes am 31. Mai 1970 und das Kommuniqué über die Sitzung des Vorstandes der SPD am 31. Mai 1970 in Bonn (Teil IV und Schluss); AdsD, SPD-Parteivorstand 2/PVAS000509. Copyright © 2016 KGParl Berlin 1 SPD – 06. WP Fraktionssitzung: 01. 06. 1970 Grenzen ausgegangen. Der Artikel 2 der Charta der Vereinten Nationen wird gelten; die Artikel 53 und 107 der Charta der UN werden von der Sowjetunion in gleicher Weise wie von den Westmächten behandelt.5 Der Bundeskanzler unterstreicht aus- drücklich »Es wird kein Unrecht anerkannt!«. Willy Brandt vertritt die Auffassung, daß die Vertreter der CDU/CSU hinter ihre in der Großen Koalition eingenommenen Posi- tionen zurückfallen. Die Grundlage der Zusammenarbeit mit der FDP ist absolut solide. (Weitere Einzelheiten der Ausführungen des Bundeskanzlers sind aus dem beigefügten Tagesdienst Nr. 329 vom 1. Juni 1970 zu entnehmen.6) Georg Schlaga fragt nach den Dahrendorf unterstellten Äußerungen.7 Willy Brandt weist darauf hin, daß Dahrendorf die ihm unterstellten Äußerungen zu- rückgewiesen hat. Helga Timm bezieht sich auf die von der »Frankfurter Allgemeinen Zeitung« geäußerte Frage, ob unter Umständen der Abgeordnete Achenbach die Nachfolge von Dahren- dorf als Parlamentarischer Staatssekretär antreten soll.8 Willy Brandt weist darauf hin, daß das Vorschlagsrecht beim Minister liegt. Im übrigen bestehe »kein Anlaß zur Sorge«. Jürgen Schmude bezieht sich auf das VW-Gesetz9 und bittet die Bundesregierung ge- nerell um frühere Informationen. Herbert Wehner bemerkt, daß die Antwort später gegeben werden muß, weil das Fi- nanzministerium noch nicht vertreten ist. Fred Zander unterstützt die Auffassung von Jürgen Schmude. Otto Wittmann erinnert an die Zusage der Bundesregierung, die Abgeordneten jeweils unmittelbar nach Kabinettsitzungen über die dort gefaßten Beschlüsse zu unterrichten.10 Conrad Ahlers sichert zu, daß künftig so verfahren wird. Hugo Collet fragt nach den angekündigten organisatorischen Verbesserungen. Katharina Focke antwortet, daß sich diese auf das Bundeskanzleramt beziehen. Herbert Wehner unterstreicht die Notwendigkeit guter Zusammenarbeit zwischen Kabinett und Fraktion. Er bemerkt, daß die von Horst Ehmke gegebenen Zusagen in ihren Auswirkungen bisher noch unbefriedigend sind. 5 Zum Wortlaut von Art. 2 und der sog. Feindstaatenklauseln in Art. 53 und 107 vgl. CHARTER OF THE UNITED NATIONS, S. 676. – Bereits im September 1968 hatten die drei Westmächte im Zusam- menhang mit den Verhandlungen über den Beitritt der Bundesrepublik zum Vertrag über die Nicht- verbreitung von Kernwaffen erklärt, dass Art. 53 und 107 der UN-Charta niemandem, auch nicht der UdSSR, das Recht auf einseitige Intervention in der Bundesrepublik gebe. Vgl. AUSWÄRTIGER AUS- SCHUSS 1969–1972, S. 150–151. – Anlässlich des Unterzeichnung des Vertrages über die Nichtver- breitung von Kernwaffen durch die Bundesregierung am 28. November 1969 bekräftigten die drei Westmächte diese Aussage durch Erklärungen ihrer Außenminister und unterstrichen, dass die Grundsätze von Art. 2 der UN-Charta uneingeschränkt auch für die Bundesrepublik gelten würden. Vgl. BULLETIN, Nr. 145 vom 29. November 1969, S. 1236. 6 Die Anlage ist dem Protokoll beigefügt. 7 Zur Unzufriedenheit des Parlamentarischen Staatssekretärs Dahrendorf mit seinen Aufgaben im Auswärtigen Amt vgl. den Artikel »Ab nach Brüssel«; »Der Spiegel«, Nr. 23 vom 1. Juni 1970, S. 33. – Dahrendorf wechselte im August 1970 als Kommissar für Außenhandel nach Brüssel. 8 Vgl. den Artikel »Dahrendorf wird zweiter deutscher Mann in Brüssel«; »Frankfurter Allgemeine«, 30. Mai 1970, S. 1. 9 Zum Entwurf der Bundesregierung vom 12. März 1970 für ein »Zweites Gesetz zur Änderung des Gesetzes über die Überführung der Anteilsrechte an der Volkswagenwerk Gesellschaft mit be- schränkter Haftung in private Hand« vgl. BT Drs. 06/509. 10 Vgl. die Fraktionssitzung am 28. April 1970, Dok. 28, SVP A. Copyright © 2016 KGParl Berlin 2 SPD – 06. WP Fraktionssitzung: 01. 06. 1970 Katharina Focke kündigt an, daß künftig alle Gesetzentwürfe unmittelbar nach Eingang an den Bundestagspräsidenten gegeben werden sollen. Herbert Wehner bemerkt dazu, daß er ein solches Verfahren für schlecht hält (nach dieser Stellungnahme starker Beifall der Fraktion). [B.] Zum Tagesordnungspunkt 2 weist Karl Wienand darauf hin, daß in dieser Woche am Mittwoch, Donnerstag und Freitag die Fragestunden jeweils von 8–9 Uhr stattfin- 11 den werden. Am Dienstag, den 2. 6. 1970, wird um 14 Uhr mit der Beratung des Weißbuchs 1970 begonnen12, die bis etwa 19 oder 20 Uhr dauern wird13; daran anschließend dann etwa ½ –1 Stunde Diskussion über den Bericht des Wehrbeauf- 14 tragten . Am Mittwoch, den 3. 6. 1970, ab 9 Uhr, Beratung des Nachtrags zum Jah- reswirtschaftsbericht 197015, des Sondergutachtens »Zur Konjunkturlage im Frühjahr 1970«16, Behandlung der Großen Anfrage der CDU/CSU betreffend Konjunkturpoli- tik17 und Beratung des Antrags der CDU/CSU betreffend Konjunkturpolitik der Bun- desregierung18. Am Nachmittag, etwa ab 14 Uhr, 2. Beratung des Bundeshaushaltsplans 197019, Beginn mit den Einzelplänen 01, 02, 03, 05, 07 und 08. Am Donnerstag, den 4. Juni, um 9 Uhr Fortsetzung der Beratung des Haushaltsplans mit den Einzelplänen 04 und 0920. Am Freitag, den 5. Juni, sollen die Einzelpläne 14, 13 und 06 behandelt wer- den.21 Der Gesetzentwurf der CDU zur Krankenversicherung der Angestellten ist gestrichen worden.22 Die 1. Beratung der Änderung des Ausbildungsförderungsgesetzes wurde gleichfalls abgesetzt23, sie soll aber noch vor der Sommerpause erfolgen. Die weitere Reihenfolge der Beratungen wird der in der Tagesordnung ausgedruckten Weise ent- sprechen. Wegen der Wichtigkeit der zur Beratung anstehenden Punkte, können Ent- schuldigungen nicht akzeptiert werden. Am Donnerstag ist mit Angriffen der Opposi- tion auf das Bundeskanzleramt zu rechnen, eventuell auch mit einem Mißtrauensantrag. Das Gesetz zur Änderung des Absatzfondsgesetzes wird behandelt werden.24 Die bei- 11 Zu den Plenarsitzungen, einschließlich der Fragestunde, am 2., 3. und 4. Juni 1970 vgl. BT Plenarpro- tokoll 06/54, 06/55 und 06/56. 12 Zum Weißbuch 1970 zur Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland und zur Lage der Bundeswehr vgl. BT Drs. 06/765. 13 Zur Debatte vgl. BT Plenarprotokoll 06/54, S. 2750–2813. 14 Zum Jahresbericht 1969 des Wehrbeauftragten des Bundestages vom 26. Februar 1970 vgl. BT Drs. 06/453. – Zur Debatte vgl. BT Plenarprotokoll 06/54, S. 2813–2815. 15 Vgl. BT Drs. 06/850. 16 Vgl. BT Drs. 06/773. 17 Vgl. BT Drs. 06/714. 18 Vgl. BT Drs. 06/511. – Die CDU/CSU-Fraktion forderte im Antrag vom 12. März 1970 die Bundes- regierung