21. Januar 1969: Fraktionssitzung (Teil 1)
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SPD – 05. WP Fraktionssitzung (Teil 1): 21. 01. 1969 [70 a] 21. Januar 1969: Fraktionssitzung (Teil 1) AdsD, SPD-BT-Fraktion 5. WP, 114 Überschrift: »Protokoll der Fraktionssitzung vom Dienstag, dem 21. Januar 1969«. Dau- er: 16.13–18.34 Uhr. Anwesend: 174. Vorsitz: Schmidt, Möller. Bundesregierung: Heine- mann, Schiller, Schmid, Strobel, Wehner; StS: Schäfer. PStS: Börner, Jahn. Protokoll: Schmidt. Datum der Niederschrift: 3. 2. 1969. Sitzungsverlauf: A. Informationen B. Öffentliche Angriffe gegen den Bundestagspräsidenten Helmut Schmidt beglückwünschte Hans Lautenschlager (z. Zt. in Straßburg) zum 50., Max Seidel (entschuldigt abwesend) zum 63. und Reinhard Bühling zum 43. Geburts- tag. Er hieß Helmut Esters (33), Nachfolger für Klaus Hübner1, als neues Fraktionsmit- glied willkommen. Helmut Esters ist Assistent von Alfred Nau. Sodann schlug Helmut Schmidt vor, den Tagesordnungspunkt 82 abzusetzen, weil in der Sache sich der Arbeitskreis II3 noch damit zu befassen habe. Es wurde so beschlos- sen. Helmut Rohde regte zu den letzten in Berlin stattgefundenen Demonstrationen an, daß ein Berliner Genosse dazu berichten möge. In seiner gleichzeitigen Eigenschaft als Vor- sitzender des SPD-Landesverbandes Berlin gab Kurt Mattick einen eingehenden Be- richt über den Verlauf der angemeldet gewesenen APO-Demonstration aus Anlaß der Wiederkehr des 50. Todestages von Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht. Nach sei- nen Ausführungen sei gegen eine solche Demonstration nichts zu unternehmen gewe- sen. Ein Verbot war nicht ergangen. Beteiligt haben sich schätzungsweise 1 000 bis 2 000 vorwiegend sehr junge Menschen, zum großen Teil etwa 16-Jährige und auffallend viele Schulmädchen. Die sichernde Polizei sei zahlenmäßig ausreichend gewesen. Beim DGB- Haus, in dessen Nähe Bauarbeiten im Gange waren, haben sich zahlreiche Demonstran- ten mit Wurfmaterial versehen und »Kristallnacht«-ähnliche Vorgänge ausgelöst. Am DGB-Haus seien etwa 6 Fensterscheiben zu Bruch gegangen. Die aufgebrachte Bevölkerung rufe nach einem »starken Mann«. Kurt Mattick stellte die Fragen, ob die gesetzlichen Mittel zur Aufrechterhaltung von Ordnung und Freiheit in Berlin noch ausreichen und wie weit ein sich austobendes Rowdytum noch gehen werde. Kurt Neubauer habe ihm erklärt, daß »etwas getan werden müsse, um die Frei- heit Berlins zu sichern«. Karl Mommer wies auf Äußerungen des Innenministers Benda hin, wonach Studenten, die Unruhen verursachen und daran teilnehmen, die Förderungsmittel entzogen werden 1 Klaus Hübner hatte am 14. Januar 1969 sein Mandat niedergelegt, um in das Amt des Polizeipräsiden- ten der Stadt Berlin zu wechseln. 2 Es handelte sich um die »Kleine Anfrage betr. Elektronische Datenverarbeitung in der Justiz«. Dieser Punkt wurde in der Sitzung vom 11. Februar 1969 behandelt, vgl. SPD-Fraktionssitzung am 11. Fe- bruar 1969. 3 Innenpolitik. Copyright © 2016 KGParl Berlin 1 SPD – 05. WP Fraktionssitzung (Teil 1): 21. 01. 1969 sollen.4 Im Gegensatz zu Ulrich Lohmar, der Benda widersprochen habe, halte er es mit Benda, denn wer die Feinde des Staates finanziere, sei zum Untergang verurteilt. Fritz Böhm erklärte sich als Augenzeuge der Berliner Vorgänge und bestätigte Kurt Matticks Ausführungen. Dabei erwähnte er Einsatzmängel der Polizei, die dringend be- hoben werden müßten. Werner Jacobi sprach von Anarcho-Syndikalisten, die nicht nur in Berlin, sondern auch in Heidelberg ihr Unwesen trieben.5 Er zog einen warnenden Vergleich zu Begebenhei- ten in der Nazizeit, verneinte jegliches Entschuldigungsrecht und behauptete Mitschuld der Exekutive. Dem widersprach Edith Krappe. Die an der Berliner Demonstration Beteiligten hätten zwar auf die SPD geschimpft. Notwendig sei, ihnen ein verlorengegangenes Vertrauen wiederzugeben. Ulrich Lohmar warnte davor, in dieser Debatte eine falsche »Schlachtordnung« zu geraten. Mit Karl Mommer stimme er in der Bewertung von Berlin überein. Seine in der vorangegangenen Woche abgegebene Erklärung habe sich nicht gegen die politische Absicht von Karl Mommer gerichtet.6 Aus einer Mehrzahl von Gründen habe er Ben- das Auffassung ad absurdum führen müssen (5 Gründe), und die Fraktion könne sich hinter seine Erklärungen stellen. Helmut Schmidt nahm danach ausführlich zur bisherigen Diskussion Stellung. Seine Ausführungen sind in der von der Pressestelle der Fraktion gefertigten Niederschrift (Anlage Nr. 4)7 enthalten. Eingehend auf Reinhard Bühling berief sich Kurt Mattick nochmals auf Kurt Neubau- er, der ihm gesagt habe, daß Demonstrationen nicht verhindert werden können. Es müßten Wege gefunden werden, um Übergriffe zu vermeiden. Was sich in Berlin abge- spielt habe, hat nichts mit Unruhe an Unis zu tun. Jacobis Pläne seien nicht gangbar. Franz Neumann erklärte, nach einem Gespräch mit Klaus Hübner könne er dessen Auffassung nicht zu seiner machen. Er bedauere es im übrigen, daß an der Spitze des Berliner Demonstrationszuges Peter Brandt8 gewesen sei. Hans Matthöfer beanstandete, daß von einer Informationsstunde keine Rede mehr sein könne. Es müsse auf Einhaltung der Geschäftsordnung geachtet werden. Seine Bemer- kung: »Berlin ist nicht die Bundesrepublik« entlockte Karl Herold einen Zwischenruf. Warnen müsse er, Matthöfer, von »Vertierten Horden«» zu sprechen und bat dringend, solche Terminologie zu vermeiden. Willy Bartsch griff noch einmal die Äußerungen von Ulrich Lohmar auf, dessen Stel- lungnahme in der Öffentlichkeit nicht gut angekommen sei. Die Äußerungen Lohmars könnten die politische Leidenschaft verändern, speziell in Berlin. Stellungnahmen müß- ten stets so erfolgen, daß keine schädlichen Ausdeutungen mehr möglich seien. Dabei sei auch an die Wahlauswirkungen zu denken. 4 Vgl. »Bonn denkt an Stipendien-Streichung«, FAZ vom 16. Januar 1969. 5 Außer in Berlin war es vor allem an der Heidelberger Universität in der Woche vom 13. Januar zu massiven Ausschreitungen mit Institutsbesetzungen und Sachbeschädigungen gekommen. 6 Lohmars Antrag betr. Stipendienentzug und der Antrag Mommer/Hermsdorf »Erklärung der SPD- Bundestagsfraktion betr. Sperrung von Stipendien« vom 21. Januar 1969 liegen dem Protokoll bei. Der Antrag Lohmars ist als Pressemitteilung INFORMATIONEN, Nr. 26 vom 16. Januar 1969 er- schienen. 7 Zum Wortlaut vgl. SPD-Fraktionssitzung am 21. Januar 1969 (Teil 3). 8 Der älteste Sohn Willy Brandts, der in Berlin studierte, war schon einmal im Zusammenhang mit den Studentenunruhen in die Schlagzeilen geraten, vgl. SPD-Fraktionssitzung am 29. April 1968, Anm. 16. Copyright © 2016 KGParl Berlin 2 SPD – 05. WP Fraktionssitzung (Teil 1): 21. 01. 1969 Willy Könen mahnte zu einem Rückblick nach 1933. Es bestehe Selbsthilfegefahr. Er wandte sich gegen Hans Matthöfer und lehnte Einengung einer Diskussion ab. Karl Wienand mahnte, künftig in der Ausdrucksweise vorsichtiger zu sein. SPD- Politiker müßten sich von dramatisierenden Worten freihalten. Dazu erklärte Helmut Schmidt, es werde langsam notwendig, die Dinge mit den ihnen zukommenden Namen zu benennen; allerdings sei die Fraktion keine pädagogische Anstalt. Joachim Raffert bat um eine Information durch Gustav Heinemann zu dem Überfall auf ein Munitionsdepot in Lebach.9 Gustav Heinemann antwortete, daß er sich mit dem Generalbundesanwalt10 in Verbindung gesetzt habe. Dieser habe ihm jedoch er- klärt, daß er die erbetene Information über Einzelheiten deshalb nicht geben könne, weil die Leitung nicht abhörsicher sei. Helmut Schmidt bemerkte dazu fragend, ob da wohl Kräfte außerhalb Deutschlands mitspielen. Wolfgang Stammberger fragte kritisch, unter Bezug auf Presseveröffentlichungen, wie es möglich gewesen sei, daß erst vormittags gegen 08.30 Uhr das Verbrechen von Le- bach entdeckt worden sei. Hier seien Prüfungen erforderlich. Karl Herold wies darauf hin, daß sich der Verteidigungsausschuß unverzüglich unter- richten lassen werde. Wolfgang Schwabe bemängelte, daß die ausgesetzte Belohnung zur Ergreifung der Täter zu niedrig sei. Nach seiner Meinung wären statt 10 000 DM mindestens 100 000 DM notwendig gewesen. Helmut Schmidt regte die Genossen aus dem Saarland an, zu den Trauerfeierlichkeiten zu fahren.11 Dazu empfahl Karl Mommer, es mögen auch Genossen teilnehmen, die dem Verteidigungsausschuß angehören. Hans Matthöfer fragte sodann, auf die Geschäftsordnung hinweisend, nach der Einstel- lung der Bundesregierung zur Frage der Militärhilfe für Griechenland.12 Es müsse ein Mechanismus gefunden werden, daß solche Fragen unter uns gestellt werden können. Dazu wies Helmut Schmidt auf den beim Arbeitskreis I13 liegenden Auftrag betreffend Griechenland hin. (Vgl. Anlage 2)14 Die Fraktion war sodann damit einverstanden, daß der Tagesordnungspunkt 6 vorge- zogen wurde. 9 Am 20. Januar 1969 überfielen drei Männer ein Munitionsdepot der Bundeswehr im saarländischen Lebach und töteten vier Soldaten. Ein weiterer Soldat wurde schwer verletzt. 10 Ludwig Martin. 11 An der Trauerfeier am 23. Januar 1969 nahm u. a. Bundesverteidigungsminister Schröder teil. 12 Der Bundestag hatte im April 1968 dem Antrag des Auswärtigen Ausschusses (BT ANL. 113, Drs. V/2608) auf Einstellung einer Militärhilfe außerhalb der NATO-Verpflichtungen zugestimmt, BT STEN. BER. 66, S. 8658–8662. Gerhard Jahn hatte in der Fraktionsvorstandssitzung vom 14. Januar 1969 darauf hingewiesen, daß die bisherige Haltung, keine NATO-Hilfe an Griechenland zu gewäh- ren, aber private Rüstungslieferungen von U- und Schnellbooten zu gestatten, auf Dauer nicht auf- recht erhalten werden könne. In der Fraktionssitzung vom 21. Januar solle darüber berichtet und dar- auf hingewiesen werden, daß deutsche Außenpolitik für