SÜDWESTRUNDFUNK SWR2 Wissen – Manuskriptdienst

Archivradiogespräch: Die -Bänder

Von Gábor Paál mit Maximilian Schönherr Redaktion: Detlef Clas Sendung: Montag, 28. Februar 2011, 8.30 Uhr, SWR 2

Bitte beachten Sie: Das Manuskript ist ausschließlich zum persönlichen, privaten Gebrauch bestimmt. Jede weitere Vervielfältigung und Verbreitung bedarf der ausdrücklichen Genehmigung des Urhebers bzw. des SWR.

Mitschnitte auf CD von allen Sendungen der Redaktion SWR2 Wissen/Aula (Montag bis Sonntag 8.30 bis 9.00 Uhr) sind beim SWR Mitschnittdienst in Baden-Baden für 12,50 € erhältlich.

Bestellmöglichkeiten: 07221/929-6030

Kennen Sie schon das neue Serviceangebot des Kulturradios SWR2?

Mit der kostenlosen SWR2 Kulturkarte können Sie zu ermäßigten Eintrittspreisen Veranstaltungen des SWR2 und seiner vielen Kulturpartner im Sendegebiet besuchen. Mit dem kostenlosen Infoheft SWR2 Kulturservice sind Sie stets über SWR2 und die zahlreichen Veranstaltungen im SWR2-Kulturpartner-Netz informiert. Jetzt anmelden unter 07221/300 200 oder swr2.de

SWR 2 Wissen können Sie auch als Live-Stream hören im SWR 2 Webradio unter www.swr2.de oder als Podcast nachhören: http://www1.swr.de/podcast/xml/swr2/wissen.xml

MANUSKRIPT

Mann / Bandausschnitt: Herr Hollstein, können Sie uns sagen wie die Vorschriften über die Anwendung des Gummiknüppels lauten?

Mann / Bandausschnitt: Die Politik der sogenannten Stärke des USA-Imperialismus …

Gábor Paál: Die Stasi-Bänder. Ein Archivradiogespräch von Gábor Paál mit Maximilian Schönherr.

Richter / Bandausschnitt: Sie sollen meine Frage beantworten.

Elli Barczatis / Bandausschnitt: Ja, ich habe auch mit ihm darüber gesprochen, und da habe ich noch gesagt …

Richter / Bandausschnitt: Und darüber haben Sie dann erst in der Haft nachgedacht, wollen Sie jetzt erzählen, ja?

Elli Barczatis / Bandausschnitt: Nein.

Richter / Bandausschnitt: Haben Sie doch aber.

Mann / Bandausschnitt: Den Gebrauch des Gummiknüppels, wann soll davon Gebrauch gemacht werden?

Werner Hollstein / Bandausschnitt: Also bei der Westberliner Polizei ist ein Gummiknüppel an und für sich nicht üblich, sondern wir haben einen Holzknüppel.

Gábor Paál: Die DDR-Staatssicherheit hat nicht nur Akten gesammelt, sondern auch jede Menge Tonmaterial, aus Telefonüberwachungen, aus Raumüberwachungen, das heißt Lauschangriff per Wanze. Gerichtsprozesse wurden auch mitgeschnitten. 170.000 Tonträger waren verzeichnet, und 28.000 davon sind nach der Wende übrig geblieben. Tonbänder, Kassetten, Plattenfolien, so viel Material, dass man, wenn man das alles nonstop durchhören wollte, dafür 3 Jahre bräuchte. Seit dem Zerfall der DDR lagern diese Tondokumente, genau wie die ganzen Akten aus Papier, in der Bundesbehörde für die Stasi-Unterlagen, also das, was früher Gauck- Behörde hieß, jetzt Birthler-Behörde heißt und demnächst Jahn-Behörde heißen wird. Die Archivare dort bereiten das Material zurzeit auf, das hat Priorität, denn die Tonbänder halten nicht ewig. Der Magnetstaub zerbröselt und das Material soll natürlich vor dem Verfall gerettet werden. Nach und nach wird dieses Tonmaterial für die Öffentlichkeit freigegeben. Das heißt, was Sie jetzt gleich hier hören werden, ist bisher noch nie öffentlich gesendet worden, noch nie öffentlich zu hören gewesen.

2 Mein Name ist Gábor Paál und bei mir im Studio ist Maximilian Schönherr. Er hat das Material beschafft und dafür gesorgt, dass wir es jetzt hören können. Maximilian, war das ein großer Aufwand an dieses Material ranzukommen?

Maximilian Schönherr: Das ist vor allem den guten Kommunikationswegen zwischen den Archivaren und Dokumentaren in Deutschland zu verdanken. Da gibt es den Dokumentar im Südwestrundfunk in Stuttgart, Georg Polster. Und Georg Polster hat zum Beispiel eine Meldung von der Gauck-Behörde bekommen in der stand, dass interessante Bänder gefunden und teilweise schon erschlossen wurden. Erschlossen heißt bei Dokumentaren ja immer, man hat sie durchgehört, man kann sie einigermaßen zuordnen. Auf die Weise kamen die zu uns und werden für das Archivradio im SWR aufbereitet, wo wir die Möglichkeit haben, auch sehr lang, ausschweifende Takes zu senden, und viele Bänder sind sehr lange. Wir haben bisher nur einen kleinen Vorgeschmack bekommen, denn diese Behörde hat mit 3 Jahren O-Ton - wenn man also das ganze Material durchhören wollte – so viel Material, dass wir nicht annähernd dazu kämen, einen repräsentativen Ausschnitt zu senden. Wir werden uns jetzt mal die ersten, die allerfrühesten vorknöpfen, da gibt’s am wenigsten Material. Da bekam ich zum Beispiel einen Originalton vom Spätsommer 1951.

Gábor Paál: Was ist das, was wir jetzt als Erstes hören?

Maximilian Schönherr: Damals gab es eine sehr junge DDR, 1951 war die DDR zwei Jahre alt. Und die Jugendbewegung der DDR hieß FDJ, Freie Deutsche Jugend. Die ging vom Ostsektor, sozusagen eingeladen vom Westberliner Bürgermeister Ernst Reuter, im Sommer – es war schön – singend über diese Grenze.

Gábor Paál: Es gab ja noch keine Mauer.

Maximilian Schönherr: Es gab keine Mauer, aber ich entnehme diesen insgesamt 10 Stunden, die ich gehört habe, dass die Grenze doch dichter war. Und es war problematisch, denn jenseits der Grenze warteten so eine Art Panzerspähwagen auf sie und eine ganze Menge Leute, Militär und Paramilitär, und haben die in Straßen reingedrängt. Und zu diesem Thema hat die junge DDR dann, sozusagen die SED, die Partei, einen Ausschuss gegründet, der nennt sich Groscurth-Ausschuss. Der heißt deswegen Groscurth-Ausschuss, weil Anneliese Groscurth das angeregt hat. Und die hören wir jetzt; allerdings in einer nicht sehr guten Qualität. Sie eröffnet diesen Kongress und die Saalmikrofonie hat noch nicht so ganz eingesetzt.

Anneliese Groscurth / Bandausschnitt: Hunderte, besonders Mädchen, wurden brutal misshandelt, erlitten zum Teil schwere Verletzungen. Als Westberliner Ärztin und als Mutter bin ich tief empört über diese unmenschlichen Hoheitsakte. So weit ist es also schon wieder in Westberlin

3 gekommen. Ich sehe hier die Rückkehr der scheußlichen und barbarischen Methoden der Nazizeit. Ich habe selbst meinen Mann als Opfer der Nazi… verloren. Er starb als deutscher Antifaschist auf dem Schafott. Ich will nicht, dass in Deutschland je wieder so etwas geschehen kann. Ich will nicht, dass meine beiden Söhne Opfer eines neuen Faschismus, eines neuen Krieges werden. Ich bin entschlossen mich mit aller Kraft dafür einzusetzen, dass der Geist des Hasses und der Verhetzung unterbunden wird.

Gábor Paál: Die Qualität dieser Aufnahme ist im wahrsten Sinne des Wortes berauschend. Aber diese Frau, das war ja eine Ärztin, die, wie du gesagt hat, in den Westen gegangen ist, dort auch eigentlich lebt. War das eine Art Prozess, wo sie aufgetreten ist?

Maximilian Schönherr: Für sie stank diese Re-Nazifizierung, wie sie das nannte, die im Westen stattfand. Sozusagen unter Anleitung der Amerikaner Kapitalismus einzuführen und ruhig die alten Richter in ihren Positionen zu lassen, die aus der Nazizeit noch da waren. Da sozusagen mit der Nazizeit nicht aufzuräumen. Das hat die junge Bundesrepublik ja auch tatsächlich erst viel, viel später gemacht.

Gábor Paál: Sie hat es an diesem Vorfall mit der FDJ, also mit diesen FDJlern, festgemacht, die in den Westen gegangen sind und dort irgendwie in die Enge getrieben wurden.

Maximilian Schönherr: Und schwer misshandelt wurden. Es wurde damals in der Westpresse dargestellt, als hätte die FDJ Streit gesucht; und deswegen gab es eine Straßenschlägerei. In diesem Ausschuss hier klingt das gar nicht so. Man hört teilweise sehr junge, damals schwerverletzte Mädchen, also 16-jährige Frisörinnen; Frisösinnen sagten sie damals noch. Anneliese Groscurth hat gesagt, dieses zum Himmel schreiende, ungerechte Verhalten müssen wir aufarbeiten. Und weil wir kein Gericht haben, im Osten, an der Humboldt- Universität, wo das hier stattfand, was sozusagen wirklich mit dem Westen abrechnen kann, machen wir einen Ausschuss, der so tut, als wäre er ein Gericht.

Gábor Paál: Der Ton, den wir als nächsten hören, hat auch damit zu tun?

Maximilian Schönherr: Ganz genau.

Gábor Paál: Wer ist das?

Maximilian Schönherr: Hier hören wir sozusagen den Kronzeugen. Es war ja kein richtiger Prozess, deswegen kann man ihn auch nicht Kronzeugen nennen. Aber dieser Mann hier, der ist ein Überläufer. Er nennt sich Werner Hollstein, wenn ich den Namen richtig verstanden habe, es gibt nichts mehr über ihn zu finden. Aber er ist der Star dieser zweitägigen Veranstaltung, weil er bei den westlichen Polizisten dabei war, und es hat ihn auch so

4 angekotzt – er drückt sich auch sehr kräftig aus – dass er dann zur Freien Deutschen Jugend in den freiheitlichen Sektor – darunter verstand die DDR sich selbst, in – übergelaufen ist und jetzt hier als Star auftritt.

Gábor Paál: Also ein Polizist als Zeuge.

Werner Hollstein / Bandausschnitt: Und vor allen Dingen dabei die Bestialitäten in der Art sie auftraten, dass sich verschiedene freuten, dass sie nun auf einen wehrlosen Menschen einschlagen können, haben mich derart beeindruckt, dass ich, wie gesagt, das nicht mehr mitmachen konnte und mich so freiwillig hierher in den Ostsektor begeben habe, um hier für diese Sache einzutreten. (Applaus) Ein anderer Fall ist, in der Bernauer, äh, in der Brunnenstraße passiert, dass nachher sich ein Polizist auch noch rühmte, nachdem er einem Mädel einen Schlag über das Gesäß gegeben hatte, hätte direkt erotische Gefühle bekommen. Na, ich meine das hat mit einem polizeilichen Thema überhaupt nichts mehr zu tun. Das sind meiner Meinung nach Unmenschlichkeiten, für die ich keinerlei garadestehen will.

Mann / Bandausschnitt: Herr Hollstein, können Sie uns sagen wie die Vorschriften über die Anwendung des Gummiknüppels lauten? Früher konnte die Polizei einschreiten, um Störungen der öffentlichen Ordnung zu beseitigen und hatte dann das zu tun, was dazu nötig war. Alles Darübergehende war streng verpönt. Wie ist es heute? Wie lauten die Vorschriften bei der Westpolizei, Westberliner Polizei über den Gebrauch des Gummiknüppels? Wann soll davon Gebrauch gemacht werden?

Werner Hollstein / Bandausschnitt: Also bei der Westberliner Polizei ist ein Gummiknüppel an und für sich nicht üblich, sondern wir haben einen Holzknüppel. Und dieser Knüppel ist, laut Waffenbestimmung, ein Hilfsmittel der körperlichen Gewalt. Das heißt, wenn die Kraft des eigenen Mannes, Fausthieb und so weiter oder Polizeigriffe, nicht mehr ausreichen, ist der Mann, wenn er alleine ist, befugt, selbstständig vom Knüppel Gebrauch zu machen. Befindet sich der Mann in einer geschlossenen Formation, das heißt in einer Gruppe oder einem Zuge, so hat nur der Gruppenführer beziehungsweise der Zugführer die Genehmigung, den Knüppelgebrauch zu befehlen.

Gábor Paál: Was ja ganz auffallend war bei dieser Aufnahme, war dieser Applaus. Nach den ersten 30 Sekunden, also ganz plötzlich, wie auf Zuruf: „Jetzt Applaus“ – für diesen Polizisten, der die Polizei im Westen schmäht.

Maximilian Schönherr: Auf den ganzen 10 Stunden gibt es vielleicht 4, 5 mal Applaus. Und es gibt den anständigen Applaus, den man dann in den 30 weiteren DDR-Jahren noch oft gehört hat, wenn ein Staatsratsvorsitzender eine lange Rede hielt und man dann brav applaudiert hat am Schluss. Aber in dem Fall, bei Hollstein, kam das wirklich spontan, ist mein Eindruck. Was die Archivarinnen hier herausfinden, und auch wir als Hörer, ist, wie groß die Veranstaltung eigentlich war. Wir wissen zwar nicht mehr genau. in welchem Raum sie

5 stattfand. Wir wissen auch nicht genau die beiden Tage, an denen diese Veranstaltung stattfand, aber wir kriegen ein Gefühl dafür, wie viele Leute da waren, dass es sicherlich über 100 Leute waren, vielleicht waren es auch 500.

Gábor Paál: Wir haben es vorhin ja schon angedeutet: Das, was wir heute hier hören, ist etwas untypisch, denn bei den meisten dieser Stasi-Aufnahmen handelt es sich um Abgehörtes, um heimliche Mitschnitte von Telefongesprächen oder eben von Lauschangriffen auf unbescholtene Bürger. Aber genau dieses Material, das die Mehrheit bildet, dürfen wir aus Gründen des Persönlichkeitsschutzes nicht senden.

Maximilian Schönherr: Also es gibt zwei Gründe dafür. Erstens müssen wir uns einschränken und deswegen habe ich mir die frühe DDR als Thema genommen. Deswegen werden die Jahre 1951 bis 1955 den Kern dieser neuen Bestückung des Archivradios bilden. Dennoch, diese Abhörsachen nehmen einen ganz großen Teil ein und auch die Abhörsachen aus den späten 80er-Jahren. Das heißt kurz vor der Wende hat die Stasi, als würde sie schon ahnen, dass jetzt alles zerbricht, ums zusammenzuhalten, umso mehr abgehört. Also es gibt aus der Schlussphase der DDR einfach unendlich viel mehr Aufnahmen als aus früheren Zeiten. Und hier hören wir zum Beispiel mal einen nicht ganz geheimen Mitschnitt. Man hört einfach einen Funkmitschnitt der Polizisten und der Stasi-Spitzel, die sich unter die Montagsdemonstranten gemischt haben, und die hier sozusagen den einen Satz: „Und wir haben wieder mal den Knüppel“, diesmal den Gummiknüppel erlauben.

Verschiedene Polizisten / Bandausschnitt: 11 8 200 103 kommen.

200, sie stehen unmittelbar an der Wiese.

Beweglicher Stadtkreis wegräumen in Richtung …

Na ja, es wird gerade geräumt, aber in die verkehrte Richtung. Ich versuche, das noch in den Griff zu kriegen.

Ja, wieso denn nur? Ich hab’s doch dreimal gesagt: in Richtung Dittrichring wird geräumt.

Mit runtergehen. 201, mit runtergehen zum Sachsenplatz, nicht am Sachsenplatz lassen. Runter rennen jetzt. Runter zum Sachsenplatz.

201, los, im Laufschritt runter.

201 empfangen.

Na los.

Na ja, dann jetzt, volle Breite und dann geht das quer drüber, dass wir sie ja in die Thomas … kriegen können.

6 Gábor Paál: Das war jetzt also eine Aufnahme von 1989. Wie weit ist das Material denn überhaupt schon ausgewertet? Wie gut ist dieses Tonarchiv in der Birthler-Behörde sortiert?

Maximilian Schönherr: Dieses Archiv in Berlin befindet sich übrigens im Gelände des ehemaligen Ministeriums für Staatssicherheit, das heißt die Mielke, sozusagen in der Zentrale der Stasi. Da sind auch die Bänder heute noch, die meisten jedenfalls. Die Bänder liegen in allen möglichen Formaten vor und sie haben eine ganz, ganz unangenehme Eigenschaft: Es steht nämlich auf den Bandkartons nichts drauf. Die Bänder werden quasi behandelt wie ein Dokumentarmaterial, was man irgendwie verschriftlichen wird, was nicht ernst zu nehmen ist. Aber diese Bänder waren ungemein wichtig. Wenn zum Beispiel eine Frau aus bei der Staatssicherheitsbezirksstelle in Leipzig anrief, hat man dieses Telefonat standardmäßig mitgeschnitten. Dabei hat diese Person nur angerufen – das ist jetzt ein Beispiel, das wir nicht hier senden dürfen, weil es private Daten sind; die darf man nicht einfach so öffentlich machen – um zu sagen: „Seit ihr diese neue Beleuchtung da in dem Plattenbaublock installiert habt, können wir alle nicht mehr schlafen.“ Man hat diese Frau, obwohl sie nur was ganz Triviales wollte, hingehalten, denn sie hatten hinter sich im Regal die sogenannten Dialektbänder. Und da konnte man reingreifen und – meinetwegen beim oberfränkischen Dialekt Richtung Sächsisch gehend oder Thüringisch – herausfinden und zuordnen, was das jetzt für ein Dialekt war, den diese Person gesprochen hat.

Gábor Paál: Es war also ganz wichtig, dass die Stasi weiß, wer da anruft und wer sich da beschwert, bei der Behörde?

Maximilian Schönherr: Es dauerte ewig, bis die zu Potte kamen, denn der sagte immer: „Ich verstehe Sie nicht. Können Sie es noch mal sagen?“ und so weiter. Das dauert.

Gábor Paál: Jetzt gibt es also diese Unmengen an Bändern und die werden ausgewertet. Wer macht das in Berlin?

Maximilian Schönherr: Das machen Archivarinnen, also vorwiegend Frauen, die in diesem ehemaligen Ministerium für Staatssicherheit sitzen.

Gábor Paál: Die schreiben dann so alles auf? Die hören sich das an und machen sich Notizen, oder wie muss man sich das vorstellen?

Maximilian Schönherr: Ich habe zum Beispiel die Archivarin Elke Steinbach gefragt, die sich auch sehr mit der Technik beschäftigt und alles per Software digitalisiert, ob sie wirklich in alles reinhört.

Ton-Archivarin Elke Steinbach: Also mit „nur mal reinhören“ ist leider nichts. Wenn ich so ein Band auflege, weiß ich nicht immer, was mich erwartet. Ich weiß nicht, in welcher Geschwindigkeit es läuft.

7 Insofern weiß ich auch nicht, wie lange dieses Band läuft. Aber zur Erschließung der Bänder hören wir die Bänder von Anfang bis Ende komplett durch.

Gábor Paál: Wenn man sich vorstellt, da zu sitzen und stundenlang Bänder abzuhören – das klingt nach einer entspannten Tätigkeit. Wenn die Inhalte natürlich nicht so beklemmend wären. Aber mit dem reinen Anhören ist die Arbeit der Archivarinnen vermutlich ja auch nicht getan?

Maximilian Schönherr: Als ich da war, haben die gerade eine Maschine bekommen, aus einem der Bezirke, weil sie lange danach gesucht hatten, mit der man sogenannte Diktierplatten abspielen kann. Denn sie haben ungefähr 100 Diktierplatten; das sind so braune Scheiben, die vermutlich von innen nach außen abgespielt werden, also anders als die typischen Langspielplatten. Und dafür brauchte man Abspielgeräte, um mal zu gucken, was darauf ist. Es gibt auch Tondrähte zum Beispiel. Bei Ebay musste man ein Gerät zum Einlegen dieser Tondrahtspulen ersteigern.

Gábor Paál: Wir haben ja gesagt, wir können von den Aufnahmen, die bei Abhörmaßnahmen entstanden sind, nichts spielen, weil natürlich die Leute auch noch leben könnten, rein theoretisch. Aber es gibt eine Aufnahme, da hat die Stasi sich sozusagen selber abgehört.

Maximilian Schönherr: Die Stasi hörte sich dauernd selber ab. Es ist wirklich grotesk. Ich habe da einige Beispiele gehört, die wir hier nicht alle in diesem Umfang diskutieren können. Aber ein ganz besonders schönes ist, wo zwei Mitarbeiter der Staatssicherheit in einem Raum – wir wissen nicht wo, wir wissen nicht wann, weil auf dem Band wieder nichts draufsteht – eine Wanze installieren, in einer Vase, die dann dabei kaputtgeht. Aber dabei werden sie abgehört.

Gábor Paál: Diesen einen schönen O-Ton mit der zerbrochenen Vase haben uns die Archivare leider nicht zur Verfügung gestellt. Wir haben jetzt hier nur einen eher atmosphärischen Aufnahmeschnipsel, der vielleicht ein bisschen veranschaulicht, wie das geklungen hat, wenn die Stasi Wohnungen verwanzte. Was man im Hintergrund hört, ist das nebenbei laufende schöne DDR-Radio.

Bandaufnahme beim Installieren von Wanzen

Ton-Archivarin Katri Jurichs: Also es gab im MFS selber ja auch eine gewisse Konspiration, man hat sich auch selbst überwacht. Also wir haben auch zum Teil Telefongespräche, die innerhalb des Hauses des MFS also mitgeschnitten wurden. Also man hat sich gegenseitig auch misstrauisch beäugt.

8 Maximilian Schönherr: Das ist eine der anderen Kolleginnen, die sich um die Staatssicherheitstonbänder kümmern. Katri Jurichs heißt sie, und auch sie hat unendlich viel gehört und uns geholfen, diesen O-Ton mit zu erschließen.

Gábor Paál: Jetzt machen wir einen zeitlichen Sprung ins Jahr 1954.

Maximilian Schönherr: Ja, wir gehen wieder zurück, wo das Archivradio sich jetzt eigentlich befindet.

Gábor Paál: In die 50er-Jahre, und hören was?

Maximilian Schönherr: Wir hören eine Rede, eine ganz typische frühe DDR-Rede des Staatssekretärs für Staatssicherheit – die Stasi war damals noch kein Ministerium – Ernst Wollweber heißt jedenfalls der Mann, der hier redet. Und er redet vor Belegschaftsmitgliedern des Werkes für Fernmeldewesen in Berlin-Köpenick. Der erste Teil der Rede lässt kein gutes Haar am westlichen Kapitalismus und ist so eine richtige Staatssekretärsrede.

Ernst Wollweber / Bandausschnitt: Wir haben also insgesamt, weltpolitisch gesehen, eine bedeutende Veränderung des Kräfteverhältnisses zwischen den rückständigen, geschichtlich überholten Kräften des kapitalistischen Systems und des Imperialismus. Und wir haben eine bedeutende Erstärkung des sozialistischen Sektors in der Welt, in den verschiedensten Ländern.

Gábor Paál: Das war, wie du gesagt hast, im Werk für Fernmeldewesen. Also analog wäre, wenn sich jetzt ein Staatssekretär vor die Telekom-Mitarbeiter stellt und sich über die Lage in Nordafrika auslässt.

Maximilian Schönherr: Genau, so war’s. Und das ist eben so was Prototypisches. Den Mann, wenn man seine Geschichte kennt, ist auch eine tragische, schreckliche Gestalt gewesen.

Gábor Paál: Ernst Wollweber?

Maximilian Schönherr: Wollweber. Wollweber hat gesagt, um die Stasi besser zu profilieren, um sozusagen ein richtiges Ministerium draus zu machen: Wir räumen jetzt mit den westlichen Geheimdiensten auf. Und dann hat er ziemlich beliebig und willkürlich Menschen festnehmen und aburteilen lassen; viele mit Todesurteilen, wo er dann sagen konnte: „Ich habe einige hundert Spione der westlichen Dienste inhaftiert.“ Aber am Schluss seiner Rede, so im zweiten Drittel ungefähr, geht er noch auf das ein, was die Werksangehörigen, die hier brav saßen, garantiert alle schon wussten. Aber er hat’s noch mal genüsslich erzählt, nämlich Spionagefälle eben in dieser Firma: „Sie sind mitten unter euch“.

9 Ernst Wollweber / Bandausschnitt: Ich nehme zuerst den Fall des verhafteten ehemaligen Entwicklungsingenieurs Jäsche. Er arbeitete in eurem Betrieb. Er hat inzwischen schon längst ein umfassendes Geständnis abgelegt und wird demnächst vor Gericht gestellt. Er hat von August, hat im August 1952 von einem dem Staatssekretariat für Staatssicherheit bekannten Agenten des amerikanischen Geheimdienstes CIC, das ist sozusagen der amerikanische Bruder der Gehlen-Organisation in Berlin-Zehlendorf, Klerli, ist er zur Spionagearbeit unter dem Decknamen Jäger angeworben. Im Auftrage dieses amerikanischen Agenten entwendete Jäsche Hans, bis Ende des Jahres 1952 circa, nach seinen eigenen Angaben, 35 Spezial- und Versuchsröhren verschiedener Typen und lieferte diese an die CIC. Da ist der Werkzeugmacher Karl Klaus, er wurde im Herbst 1952 … einen Agenten des amerikanischen Geheimdienstes CIC und der Spionageorganisation Gehlen, Berlin- Charlottenburg-Kaiserdamm, zum Liefern von Spezialröhren verschiedener Typen an den Residenten bei der Organisation Ratei, wohnhaft Berlin-Schöneberg, Nordstraße 52, angeworben.

Gábor Paál: Ja, das ist was. Alle mutmaßlichen Spione schön mit Namen und Adresse an den Pranger gestellt. Was man ja bei diesen Aufnahmen, wenn man ganz genau hinhört, merkt, sind die Echoeffekte, also dass sich etwas, was dieser Wollweber da sagt, kurz darauf noch mal leise, wie ein Echo wiederholt. Was ja wohl auch von der Lagerung kommt, nehme ich an, also dass sich bei den aufgespulten Bändern die Signale durchpausen.

Maximilian Schönherr: Genau. Das hört man nur über Kopfhörer mit. Da hört man nicht nur die Straßenbahn jetzt gerade, bei diesem Monolog, sondern man hört auch diese Übersprecheffekte. Auch bei den wenigen von der Stasi am Ende der DDR gelöschten Bändern hört man noch solche Schatten. Und die beiden Kolleginnen in Berlin, bei der Behörde, hören auch diese Sachen durch, also das ist quälend. Eigentlich haben sie gesagt, viel zu lachen haben sie nicht.

Gábor Paál: Aber das heißt tatsächlich, das ist ein Sammelsurium aus Abhörprotokollen oder Abhöraufnahmen einerseits, an solchen Propagandareden andererseits. Wobei, er redet ja von Spionage.

Maximilian Schönherr: Die ganzen 50er-Jahre sind voll mit Spionagethemen und hier gibt’s einen ganz besonders tollen Fundus, nämlich einige Hundert Mitschnitte von Gerichtsverhandlungen. Und die früheste, die ich bekommen habe, ich vom Oktober 1955, da wurden zwei Spione vor Gericht verhandelt. Und wir hören jetzt im Wechsel erst mal die Angeklagte Elli Barczatis, das war die Chefsekretärin von Ministerpräsident , und dann hören wir ihren Geliebten, , der der Westspion war.

Gábor Paál: Ihr wurde vorgeworfen, als Mitarbeiterin des Ministerpräsidenten Informationen in den Westen geschleust zu haben.

10 Maximilian Schönherr: Ganz genau. Dieser Prozess endet mit Todesurteilen.

Elli Barczatis / Bandausschnitt: Ich hatte, durch meine Tätigkeit in der, im Referat Wirtschaft, im Büro des Präsidiums des Ministerrates, Gelegenheit Einblick zu nehmen in die Betriebe und auch in die Verwaltungen. Und ich weiß, dass da sehr viel Fehler auch vorgekommen sind und sehr viel Fehler gemacht worden sind. Ich weiß, dass die Beschlüsse, die die Regierung erlassen hat, nicht immer durchgeführt wurden. Ich habe so viele Schwierigkeiten gesehen. Ich habe so viele Beschwerden gelesen, von der Bevölkerung, täglich hunderte von Briefen, dass es das nicht gibt und jenes nicht gibt und das nicht in Ordnung ist und jenes nicht in Ordnung ist. Ich habe sogar bei uns in der eigenen Dienststelle gesehen, dass Beschlüsse nicht durchgeführt worden sind. Ich weiß nicht, ob ich hier Einzelheiten erzählen kann.

Richter / Bandausschnitt: Dass Anordnungen und Verbote nicht ausgeführt worden sind, nämlich zu schweigen.

Elli Barczatis / Bandausschnitt: Das auch, ja.

Richter / Bandausschnitt: Das haben Sie selbst erlebt?

Elli Barczatis / Bandausschnitt: Das habe ich selbst erlebt. Ich meinte jetzt andere Dinge.

Richter / Bandausschnitt: Das passte in den allgemeinen Rahmen.

Mann / Bandausschnitt: Ich habe keine Fragen mehr.

Richter / Bandausschnitt: Keine weiteren?

Mann / Bandausschnitt: Ich habe keine weiteren Fragen.

Richter / Bandausschnitt: Angeklagte, treten Sie zurück. Es tritt nun eine Pause von einer halben Stunde ein. Angeklagter Laurenz, treten Sie vor. Schildern Sie zunächst Ihren Lebenslauf, Ihre Ausbildung, Ihre fachliche und politische Entwicklung.

Karl Laurenz / Bandausschnitt: Ich bin am 11. September 1905 …

Richter / Bandausschnitt: Treten Sie etwas näher noch ans Mikrofon.

11 Karl Laurenz / Bandausschnitt: Ich bin am 11. September 1905 in Rügen geboren. Ich war das vierte Kind meiner Eltern. Mein ältester Bruder war 15 Jahre älter als ich, mein zweitältester 11 Jahre, meine Schwester 5 Jahre.

Gábor Paál: Man muss es noch mal sagen: Das war ja ein geheimer Prozesse. Das heißt, es war kein Schauprozess, der inszeniert war, sondern sie waren wirklich angeklagt, nur dass es die Öffentlichkeit eigentlich gar nicht mitbekommen hat. Das heißt, dieses Material ist das einzige Dokument aus diesem Prozess damals?

Maximilian Schönherr: Ja. Es ist eigentlich eine Spionageaufnahme aus einem Geheimprozess, die Öffentlichkeit war ausgeschlossen. In den Publikumsbänken saßen nur Stasileute. Und die beiden Angeklagten hatten auch keine Verteidiger; angeblich haben sie die Verteidigung abgelehnt. Aber es kommen in diesem Prozess auch Dinge zur Sprache, die gar nicht gut gewesen wären für die junge DDR, weil sie ein sehr problematisches Licht auf diesen jungen Staat werfen. Der Ton des Richters wird zwischendurch auch deutlich schärfer. Da hören wir noch einen Teil aus dem Prozess etwas später. Wir bewegen uns hier immer gleich ein paar Stunden nach vorne.

Richter / Bandausschnitt: Sagen Sie, warum legte denn Laurenz Wert darauf die Berichte über Besucher vor der Veröffentlichung von Ihnen zu bekommen?

Elli Barczatis / Bandausschnitt: Ich bin mir später, leider zu spät, darüber im Klaren geworden, dass diese Berichte …

Richter / Bandausschnitt: Sie sollen meine Frage beantworten. Warum wollte er das vorher wissen, ehe die Veröffentlichung …?

Elli Barczatis / Bandausschnitt: Ja, ich habe auch mit ihm darüber gesprochen.

Richter / Bandausschnitt: Hat er Ihnen doch gesagt, damals gesagt.

Elli Barczatis / Bandausschnitt: Ja. Und da habe ich noch gesagt …

Richter / Bandausschnitt: Und darüber haben Sie dann erst in der Haft nachgedacht, wollen Sie jetzt erzählen, ja?

Elli Barczatis / Bandausschnitt: Nein. Ich …

Richter / Bandausschnitt: Haben Sie doch aber.

12 Was haben Sie damals, als er Ihnen das sagte und von Ihnen verlangte, dass er das erfahren wollte, ehe die Veröffentlichung in der Presse stattfand - was haben Sie da gesagt oder gedacht?

Elli Barczatis / Bandausschnitt: Ich habe noch zu ihm gesagt: „Na, warum interessiert dich denn das? Das liest du doch nachher sowieso.“ „Ja, ich bin nun eben Journalist und nur rein persönlich.“

Richter / Bandausschnitt: Rein persönlicher Journalist. Und deswegen haben Sie es ihm dann erzählt. Wie?

Elli Barczatis / Bandausschnitt: Nur rein persönlich würde es ihn interessieren.

Richter / Bandausschnitt: Ja. Und deswegen haben Sie es ihm dann auch erzählt.

Elli Barczatis / Bandausschnitt: Ja.

Gábor Paál: Maximilian Schönherr, wir haben jetzt viele Dokumente gehört, die hier heute zum ersten Mal gelaufen sind, die es nicht mal bei Wikileaks gibt. Ist es denn schwierig, an die Dokumente ranzukommen, oder kann da jeder hingehen und sich das anhören?

Maximilian Schönherr: Die meisten sind mit einer solchen Privatsphäre verbunden, dass die keiner anhören wird in der Zukunft. Auch in dieser Behörde selber gibt es eine starke Internetsperrung, sodass kein Mitarbeiter mal eben auf die Idee kommt: Das könnte ich jetzt eigentlich bei YouTube posten und so weiter. Das ist wirklich sehr streng reglementiert. Die meisten Sachen werden wir wahrscheinlich nie hören, auch nicht, wenn wir in die Behörde reingehen. Man muss schon einen offiziellen Antrag stellen: „Ich habe den Verdacht, ich wurde überwacht von den DDR-Behörden. Könnte ich meine Aktenauskunft kriegen?“ Und dann stößt man in der Regel auf einen riesen Aktenordner oder auf einen kleineren Aktenordner und vielleicht eben auch Bänder, vielleicht auch Videos, vielleicht auch Computerdaten, denn auch solche Dinge werden in diesem Archiv abgehandelt. Und dann bekommt man Teile dieses Tonarchivs ausgehändigt. Da werden aber dann Namen zum Beispiel ausgepiepst. Auch dafür gibt es eine eigene technische Stelle, die in dieser Behörde dieses Auspiepsen macht, damit man nicht hört, wie der Name dieser Person lautet. Aber nur so geht die Auskunft. Und ansonsten kann man im Rahmen einer geschichtlichen Aufarbeitung darauf hoffen, dass wir jetzt von der ARD mehr Material bekommen, aus diesem ganz grandiosen Archiv.

Gábor Paál: All das, was wir in der letzten halben Stunde in Auszügen gehört haben, gibt’s in Ausführlichkeit auf SWR2.de/Archivradio. Dort laufen diese Originaltondokumente als Dauersendung, in einer sich wiederholenden Schleife.

13 Die Stasi-Bänder, das war in SWR2 Wissen ein Archivradiogespräch von Gábor Paál mit Maximilian Schönherr.

* * * * *

14