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Geheimdienst-Diplomatie (I): Mitten im Kalten Krieg ließen 1962 die USA den KGB-Oberst Abel, die Sowjetunion den CIA-Piloten Powers und die DDR einen inhaftierten US-Stu- denten frei. Ende 1966 wurde ∏SSR-Spion Frenzel gegen eine deutsche Journalistin ausge- tauscht. Hinter den Kulissen makelte diskret DDR-Anwalt Vogel. Von Norbert F. Pötzl Der Makler der Agenten ine lange Blutspur zieht sich durch die Geschichte der Spionage. Die legendenumwobene Holländerin Mata Hari, Edie als Nackttänzerin Furore gemacht und liebend Deutsch- lands Weltkrieg-I-Feinde ausgehorcht hatte, wurde 1917 füsiliert. Der Oberst Alfred Redl vom Wiener k.u.k. Evidenzbureau wurde 1913 zum Selbstmord mit der Pistole gezwungen. Er hat- te zwölf Jahre lang Geheimnisse an die Russen verraten. Der KGB-Agent Richard Sorge, Moskaus wohl erfolgreichster Spion aller Zeiten, wurde 1944 von den Japanern gehenkt. Er hatte dem sowjetischen Diktator Stalin die Angriffspläne Hitlers verraten (die der Kreml-Herr allerdings nicht ernst nahm) und acht Jahre lang in Tokio spioniert. Das letzte Todesurteil über Sowjetagenten, die im Westen wirk- ten, wurde im April 1951 über das amerikanische Ehepaar Julius und Ethel Rosenberg verhängt. Von einem in Los Alamos be- schäftigten Bruder Ethels hatten die Rosenbergs Informationen über die Atombomben-Versuchsstation der Amerikaner erhalten und an das KGB weitergeleitet. Die Atomspione starben am 19. Juni 1953 auf dem elektrischen Stuhl. Auch in der DDR mußten enttarnte Landesverräter mit dem Schlimmsten rechnen. Sie endeten entweder unter der Guilloti- ne, hier zur „Fallschwertmaschine“ eingedeutscht, oder später, von 1968 an, durch „unerwarteten Nahschuß in den Hinterkopf“, wie es in der Vollstreckungsordnung hieß. So wurden am 23. November 1955 Elli Barczatis, eine frühere Sekretärin des Ministerpräsidenten Otto Grotewohl, und ihr Le- bensgefährte Karl Laurenz in Dresden mit dem Fallbeil hinge- richtet. Der promovierte Jurist Laurenz (Doktorarbeit: „Die To- desstrafe im Wandel der Zeiten“) hatte dem bundesdeutschen Ge- heimdienst Akten und Regierungsinterna überbracht, die ihm Freundin Elli aus dem Chefbüro angeschleppt hatte. Mit einer weitblickenden Argumentation bewahrte zwei Jahre später der New Yorker Anwalt James B. Donovan seinen Man- danten, den KGB-Agenten Rudolf Iwanowitsch Abel, vor der drohenden Todesstrafe. „Es ist möglich“, sagte Donovan im Au- gust 1957 in seinem Plädoyer, „daß in Zukunft auch einmal ein gleichrangiger amerikanischer Spion von den Russen oder einem ihrer Verbündeten gefangen wird, und in einem solchen Fall wäre ein Austausch von Häftlingen auf diplomatischem Wege even- tuell im Interesse der Vereinigten Staaten.“ Donovan mußte wissen, daß es schwer sein würde, einen Mann von ähnlichem Kaliber auf der anderen Seite zu finden. Abel, ein asketischer KGB-Oberst, war einer der blendendsten Sowjet- spione, die je in den USA ihr Wesen trieben. Er sprach neben Rus- sisch Deutsch, Polnisch, Jiddisch sowie Englisch, und das wahl- weise mit schottischem, irischem, Oxford- und Brooklyn-Akzent. Donovans Begründung, warum es sinnvoll sei, Abel am Leben zu lassen, leuchtete den Richtern ein. Sie verurteilten den Spitzenagenten zu 30 Jahren Zuchthaus. © 1997 spiegel-Buchverlag, Hamburg. – Der ungekürzte Text von Norbert F. Pötzl Anwalt Vogel 1959 (bei einer Party in seiner Ost-Berliner Kanzlei) erscheint diesen Monat unter dem Titel „Basar der Spione. Die geheimen Missionen des DDR-Unterhändlers Wolfgang Vogel“ (540 Seiten; 49,80 Mark). 54 der spiegel 33/1997 Serie Wenn auch in der Sowjetunion oder bei deren Vasallen sich tatsächlich um die Ehefrau des sowjetischen Meisterspions kein Häftling einsaß, der Abel auch nur annähernd eben- handelte, glaubte Vogel keinen Augenblick. Für ihn gab es keinen bürtig war, so hatte der Ostblock quantitativ einiges zu bieten. Dut- Zweifel, daß „Frau Abel“ eine Schöpfung des KGB war. zende von Geheimdiensten schickten massenhaft Freiwillige durch Iwan Schischkin, einer der fähigsten KGB-Offiziere, hatte die den damals noch löcherigen Eisernen Vorhang, um auf der jeweils Verhandlungen um Rudolf Abel in Gang gebracht – Beleg für den anderen Seite mehr oder minder Geheimes aufzuspüren. hohen Stellenwert, den die Sowjets ihrem Spion beimaßen. Wo sich so viele Agenten tummelten, verfingen sich etliche in Schischkin, offiziell Zweiter Sekretär an der sowjetischen Bot- den Netzen der Spionageabwehr, andere wurden von Überläufern schaft in Ost-Berlin, in Wahrheit jedoch Koordinator der gesam- verpfiffen. Bald waren die Gefängnisse hüben und drüben voll von ten KGB-Spionage in Westeuropa, hatte bei dem Stasi-Major enttarnten Geheimdienstzuträgern. Da waren Profis darunter, vor Heinz Volpert vorgefühlt, ob der DDR-Dienst dem Bruderdienst allem aber naive Gelegenheitsagenten, idealistische Amateure und behilflich sein könne. Volpert, der Vogels Kontaktmann bei der Abenteurer, die für ein Handgeld und haltlose Versprechungen le- Stasi war, leitete Schischkins Anfrage weiter. So kam dann Vogel bensgefährliche Risiken eingingen. Sie umwehte nicht das Flair von über den Mittelsmann Streit ins Geschäft. James Bond, sondern meist der Mief kleiner Leute, die ins Rä- Abel hatte während seines Prozesses immer bestritten, So- derwerk des Kalten Krieges geraten waren. 08/15 statt 007. wjetbürger zu sein, und das KGB hatte sich bislang nicht zu sei- AP AP KGB-Agent Abel (M.) nach Verhaftung 1957 Spionageflieger Powers (M.) beim Prozeß 1960 Es bedurfte nur noch eines geeigneten Vermittlers, der im Osten nem Agenten bekannt. Die Einschaltung eines deutschen An- wie im Westen gleichermaßen akzeptiert würde, um die wechsel- walts hatte aus Sicht des KGB den Vorteil, daß die Sowjets, falls seitige Heimkehr der eingelochten Späher organisieren zu können. die Verhandlungen scheitern sollten, die Gespräche einfach zu Es mußte eine Persönlichkeit gefunden werden, die durch diplo- Vogels Privatangelegenheit erklären konnten. matisches Geschick Brücken zwischen den verfeindeten Blöcken Obwohl er ein Mandat der vorgeblichen Frau Abel hatte, konn- schlagen konnte. Und der Gesuchte mußte mit den Vorzügen ei- te Vogel zunächst nichts weiter tun, als die Korrespondenz zwi- nes Berufsstandes auftreten können, der auf- schen seiner Klientin und seinem US-Kollegen grund beiderseits anerkannter gesetzlicher Vor- Sie umwehte nicht das Donovan zu vermitteln. Denn auf östlicher Sei- schriften und Standesregeln einen Vertrauens- te gab es keinen Gefangenen von Abels Bedeu- bonus besaß. Flair von James Bond, tung, der zum Austausch hätte angeboten wer- Es waren genau die Kriterien, die der Ost- sondern meist der Mief den können. Berliner Anwalt Wolfgang Vogel erfüllte. An- kleiner Leute, die Das änderte sich, als am 1. Mai 1960 der ders als fast alle anderen jungen DDR-Juristen US-Pilot Francis Gary Powers vom Himmel fiel. hatte Vogel noch den klassischen Ausbildungs- ins Räderwerk des Kalten Powers war im Auftrag der CIA von der US-Ba- gang eines Volljuristen mit zwei Staatsexamina Krieges geraten waren sis Peschawar in Pakistan mit dem seinerzeit durchlaufen und im November 1957 auch die geheimsten Flugzeug der Welt gestartet. Zulassung als Anwalt im Westteil Berlins erhalten. Der strebsame, Über Afghanistan brachte der Pilot die mattschwarz gestriche- kooperationswillige Vogel war genau der richtige Mann, den die ne Maschine auf die vermeintlich sichere Flughöhe von 18300 Me- politische Führung und die Stasi mit heiklen zwischendeutschen tern. Die Route sollte ihn an diesem Tag über den sowjetischen und internationalen Missionen betrauen konnten. Weltraumbahnhof Tjuratam und über das Rüstungszentrum Swerd- lowsk führen.Wäre alles nach Plan verlaufen, hätte die U-2 elf Stun- m Juli 1959 ließ Josef Streit, Leiter des Sektors Justiz in der ZK- den nach dem Start im norwegischen Bodø aufgesetzt – mit ge- Abteilung für Staats- und Rechtsfragen, den jungen Anwalt zu stochen scharfen Aufnahmen der strategischen Zentren an Bord. Isich rufen. Kaum hatte der das Dienstzimmer Streits betreten, Doch gut 2000 Kilometer tief in Feindesland, verspürte der Pi- platzte der Politfunktionär mit der Frage heraus: „Wärst du be- lot plötzlich einen dumpfen Schlag gegen sein Flugzeug. Der so- reit, einen Fall in Amerika zu übernehmen?“ Es handle sich um wjetischen Flugabwehr war gelungen, was amerikanische Exper- Spionage, fügte Streit hinzu. ten für unmöglich gehalten hatten: die U-2 trotz Tarnanstrichs zu Schon bald erhielt der Advokat Post von einer „Helen Abel“ entdecken und mit einer Rakete vom Himmel zu holen. Powers aus Leipzig, Eisenacher Straße 24. Sie sei, behauptete die Brief- schwebte am Fallschirm nieder und landete unversehrt auf dem schreiberin, mit dem in den USA inhaftierten Rudolf Abel ver- Feld einer Staatsfarm bei Swerdlowsk. heiratet und derzeit bei Verwandten in der DDR zu Besuch. Vo- Die Sowjets entfachten eine gewaltige Propagandakampagne. gel solle sich für die Freilassung ihres Mannes einsetzen. Daß es Kreml-Chef Nikita Chruschtschow verurteilte den „Akt der Ag- der spiegel 33/1997 55 Serie des Ostblocks geschrieben. In Ost-Berlin hatte der Doktorand rund drei Dutzend Recherchegespräche geführt und in den Bi- bliotheken nach Material für seine Arbeit gesucht. In der Nacht zum 25.August wollte Pryor in Ost-Berlin eine jun- ge Wirtschaftswissenschaftlerin besuchen, die ihm bei seiner Dok- torarbeit geholfen hatte. Doch die Wohnung der Pryor-Helferin wurde von der Stasi überwacht. Die Frau war ein paar Tage zu- vor in den Westen geflohen. Die Stasi unterstellte Pryor, er habe persönliche Dinge der Republikflüchtigen