III. Das Jahrhundert der Kriege: 1. Der Erste Weltkrieg (3/1999); 2. Der Zweite Weltkrieg (4/1999); 3. Der Wahn der Atomrüstung (5/1999); 4. Vietnam und der Kalte Krieg (6/1999); 5. Die Kriege um Israel (7/1999); 6. Geheimdienst und Spionage (8/1999) H. WESEMANN H. DARCHINGER (u.r.) ARGUM (u.l.); J. HELLER / ARGUM (o.r.); F. (o.l.); BND-Chef Gehlen (1958); US-Abhörstation in Bad Aibling (Bayern); Geheimdienst-Mikrofon; DDR-Spion Guillaume, Kanzler Brandt (1974)

Das Jahrhundert der Kriege Geheimdienst und Spionage Lauschen, Stehlen, Mordaufträge – selbst Demokratien setzen auf die schmutzigen Dienste von Agenten und Spionen. Trotz hoher Einsätze – die Bilanz bleibt trübe: mehr Verfolgungswahn als Aufklärung, „verdammt viel Rauch und wenig Feuer“.

8/1999 137 Das Jahrhundert der Kriege: Geheimdienst und Spionage Das schmutzige Patt Von Christian Habbe

rau in grau war Ost- an die- kurze Reichweite durch ein übergroßes sem Tag im Dezember 1989, und Racket, mit dem er auch schon mal über Gder Besucher, den Oberst Alexan- das Netz klettere und Gegner prügle. der Prinzipalow in der Karlshorster KGB- Um Pechous’ Beute jedenfalls setzte als- Dienststelle empfing, versprach auch kei- bald echtes Foulspiel ein. Befreundete nen Lichtblick. Der Mann entstieg einem Dienste beklagen sich, weil die eroberten tristen Wartburg, blickte mit Amtsmiene Akten ihnen nur zögerlich und auszugs- und trug einen Aktenkoffer. weise vorgezeigt würden. Das geschehe, Immerhin – der Anblick des Gepäcks um die Übermittler zu schützen, behaup- stimmte den Russen schon besser. Es war tet die CIA. Daß Bonns Geheimdienst-Ko- einer der kantigen Container aus mehreren ordinator Ernst Uhrlau das „auf Dauer Lagen Rindsleder, in denen die Kuriere des nicht akzeptabel und hinnehmbar“ findet, Ministeriums für Staatssicherheit das ganz hielten die CIA-Leute für nicht so wichtig. Wichtige zu transportieren pflegten. Auch mit der amerikanischen Bundes- So auch diesmal. Der Koffer enthielt drei polizei stritten sie: Das FBI mußte sich Ak- längliche Zylinderhüllen, amtlich bekannt teneinsicht mit einer Klagedrohung gegen als „Milchkannen“. In ihnen stapelten sich, den unkooperativen Pechous erzwingen. säuberlich aufeinandergepackt wie Drops Doch von wem er die Filme gekauft hat, in der Rolle, Mikrofilme von schwer schätz- blieb nebulös. Auch der verdächtige KGB- barem Wert. Der Mann von der Bruder- Mann sagt nichts mehr. In Moskau hieß es, behörde hatte die legendäre „Mob-Kartei“ Prinzipalow sei vor einiger Zeit einem der Hauptverwaltung Aufklärung (HVA) Herzleiden erlegen. gebracht, das Not-Set aller Topdaten, die Das Match um die Ledertasche dürfte

Spiegel des 20. Jahrhunderts der DDR-Auslandsnachrichtendienst für zu den letzten Höhepunkten in einer den Mobilisierungsfall bereithielt. langen Reihe von Geheimdienst-Coups Berliner Geheimdienst-Drehscheibe Glienicker Goldener Kern der Milchkanne: die zählen, die Berlin in den vergangenen Agentenliste mit Tausenden von Klar- 50 Jahren zu einem Drehkreuz der Agen- namen und den Arbeitsberichten des welt- tendienste machte. Im Kalten Krieg hatte weit wohl besten aller Spionageapparate. Berlin den Rang einer „ewigen Stadt der Zwei von insgesamt nur drei Exemplaren Spione“, schrieb der Engländer John der „Mob-Kartei“, so sagte der - Le Carré, der mit seinem Roman „Der Mann, hätten seine Oberen schon vernich- Spion, der aus der Kälte kam“ den Ber- tet, die letzte Kopie übergäben sie den liner Showdown der Sicherheitsdienste „Freunden“ zur Aufbewahrung. KGB- sprichwörtlich machte. Mann Prinzipalow quittierte dankend. Die Machenschaften der Geheimdien- Dann ging die DDR unter, die Stasi mit ste haben dem Kalten Krieg nirgends soviel ihr, Prinzipalow samt Genossen kehrte Energien geliefert und zugleich neue ab- heim. Auch die „Mob-Kartei“ blieb ver- gewonnen wie in Berlin. Da wurde ge- schwunden, aber ihr Inhalt begann Kreise lauscht und gespitzelt, untergraben und zu ziehen: Amerikanische Geheimdienstler desinformiert, entführt und ermordet, je verkündeten, ihre Deutschland-Kund- nach Auftraggeber. Agenten von allen schafter hätten, als die Mauer fiel, schnel- Schauplätzen brachte es hierher, und sei es ler zugepackt als alle Konkurrenten und zum Freitausch auf der Glienicker Brücke, CIA-Zentrale in Langley, KGB-Zentrale Lubjanka sich des HVA-Schatzes bemächtigt. wo sich schon 1962 die Wege des U-2-Pilo- Als Sieger dieses Wettrennens gilt der ten Gary Powers und des Meisterspions Osten die Nase vorn – West-Berlin war ein damalige Bonner Stationschef der CIA, Ed Rudolf Abel kreuzten. freier Supermarkt für Nachrichten. Wohl- Pechous, ein ehrgeiziger Karriere-Ge- Die West-Dienste hatten in der Stadt trainierte rote Beutemacher räumten der- heimdienstler mit viel Erfolgsaura und we- ihre größten Filialen.Von hier horchten sie maßen ab, daß sogar alle in der DDR täti- nig Freunden. „Poison Dwarf“ (Giftzwerg) in den Ostblock, führten wichtige Ost- gen CIA-Agenten zu „Doppelagenten ge- nennen sie ihn im CIA-Klatsch und lästern Quellen und nahmen wertvolle Überläufer gen die CIA“ umgedreht wurden, wie genüßlich, der nicht sehr groß gewachsene wie den Stasi-Maulwurf Werner Stiller in Klaus Eichner, einst US-Spezialist bei der Pechous kompensiere beim Tennis seine Empfang. Doch weit öfter noch hatte der HVA, bilanziert. „Die Arbeit der Spione muß der Herrscher persönlich leiten. Die zurückkehrenden Spione ermöglichen die Kenntnis über den Gegner, darum verhalte dich ihnen gegenüber besonders großzügig.“ Der chinesische Philosoph Sun-tzu (4. Jahrhundert v. Chr.) in „Traktat über die Kriegskunst“

138 der spiegel 8/1999 Sinn des Ganzen: „Wie viele Milliarden sind die Dienste wert?“ Geheimdienste haben kaum je Kriege verhindert oder folgenschwere Umstürze richtig vorhergesagt. Immer wieder mal ge- lingt eine spektakuläre Kommandoaktion wie die Entführung des Nazi-Mörders Adolf Eichmann 1960 aus Argentinien durch die Israelis oder wie in der vergangenen Woche das Kidnapping des PKK-Chefs Öcalan in Nairobi durch konzertierten Zugriff ver- schiedener Dienste (siehe Seite 22). Doch selbst der berühmte israelische Mossad und der legendäre englische Auslandsdienst MI6 versagten in entscheidenden Situationen: Rechtzeitig hatten zwar die Satelliten An- griffsvorbereitungen arabischer Staaten vor dem Jom-Kippur-Krieg 1973 und Argen- tiniens vor der Landung auf den Falkland- inseln 1982 erspäht. Doch die Staatsfüh- rungen blieben ahnungslos. Das gleiche Bild jenseits des Grabens. Moskaus Dienste verkannten die Ent- schlossenheit Präsident Kennedys in der Kuba-Krise oder das Potential der Auf- ständischen in Tschetschenien. In Afghani- stan ließen sie die Rote Armee blind in die Stinger-Raketen der von CIA-Experten trainierten Rebellen laufen. Trotzdem hält sich der Jahrhundert- mythos von der Omnipräsenz allwissender Beobachter. Geheimdienst-Szenarien be-

ULLSTEIN BILDERDIENST ULLSTEIN flügeln Verschwörungstheorien überall: In Brücke*: Prominentenaustausch in der ewigen Stadt der Spione den USA wappnen sich rechte Milizen ge- gen angeblich geplante Anschläge auf die Nation, die durch Nachtflüge schwarz- gespritzter CIA-Helikopter vorbereitet würden. „So macht die Angst Idioten aus uns allen“, ulkte die „taz“ über linke Re- flexe auf die Dienste, denn auch bei der Spaßguerrilla hört hier schnell der Spaß auf: Die Szene der Computerhacker sah nach dem Tod eines Berliner Freundes, un- geachtet der offiziellen Freitod-Version, den langen Arm der Geheimen am Werk. Paranoia rundum kann nicht verwun- dern, denn sie wird seit je von gestandenen Geheimdienstlern vorgelebt. James Jesus Angleton, CIA-Spionageabwehrchef in den sechziger Jahren, benutzte als Metapher M. DEVILLE / GAMMA STUDIO X R. RESSMEYER / CORBIS seines Jobs gern das einem Alptraum- (1987): „Wie viele Milliarden sind die Dienste wert?“ gedicht von T. S. Eliot entlehnte Bild „wilderness of mirrors“, die Vorstellung Mager dennoch die Bilanz dieser Spio- chefs, warben Wissensträger, zählten Ra- einer unheimlichen Spiegelwelt, in der ein nage-Weltspiele. Die Stasi, nach eigener keten, stahlen Akten. Doch in der Pflicht, Schockbild viele andere reflektiert. Definition Schild und Schwert der Partei, die Auftraggeber vor Unbill zu bewah- Dagegen steht die Wirklichkeit höchst vermochte nicht einmal ihre wichtigste ren, versagten die „Armies of Ignorance“, trivialer Apparate. Selbst das Ministerium Hausaufgabe zu lösen – die Lebensgefahr wie sie der amerikanische Geheim- für Staatssicherheit, das effizienteste Sy- für ihren Staat zu erkennen, geschweige dienst-Analytiker William Corson nennt, stem der DDR neben den Goldmedaillen- denn zu bannen. Aber auch den West- oft eklatant. Sportlern und Dopingspritzern, war von Diensten waren die Vorzeichen des Zu- Nur wenige geben das so unverblümt zu einem kleinkarierten Schleifer beherrscht. sammenbruchs glatt entgangen. wie General Patrick Hughes vom US-Mi- Erich Mielke litt neben lauter Moskau- Das Berliner Debakel der Schnüffel- litärgeheimdienst, der einem Kongreßaus- Heimkehrern an dem Makel, als ehemals in agenturen spiegelt den Weltmaßstab der schuß in Washington 1997 den alten Molt- Frankreich Internierter ein „Westemigrant“ Branche. Geheimdienste belauschten Staats- ke referierte: „Von den drei Optionen des gewesen zu sein. So mußte er von ganz Gegners, die du kennst, nimmt der für ge- unten anfangen und sich im Juni 1945 ge- wöhnlich die vierte.“ Und nach einer Ana- horsam bei den Obergenossen melden: * Sowjetbürgerrechtler Anatolij Schtscharanski (M. mit Pelzmütze) neben US-Botschafter Richard Burt beim lyse des US-Spionagedienstes bezweifelte „Augenblicklich bin ich in einer Straßen- Freitausch gegen Ost-Agenten 1986. der Harvard-Historiker Ernest R. May den zelle und nahm an einer Sitzung des 5. Be-

der spiegel 8/1999 139 Das Jahrhundert der Kriege: Geheimdienst und Spionage

zirks des U. B. Wedding zur Bildung der Zwar gewann trotz allem der Westen, Überzeugung und riskierten dabei alles. Zellenleitungen teil.“ Mielkes scharfe Profis gingen unter. Doch Sorge, der während des Zweiten Weltkriegs Derart mühsam aufgestiegen, ließ „Miel- darauf kam es nicht an. Denn es hatte ja für Stalins Geheimdienst die Offensivplä- ke, Armeegeneral“ (so seine Unterschrift) der Kapitalismus gesiegt und nicht sein ne von Deutschen und Japanern ausspäh- gern strammstehen, HVA-Chef Markus technisch unterlegener Geheimdienst. Nur te, wurde in Tokio gehenkt (SPIEGEL Wolf und seine Generalskollegen mußten der Direktvergleich zählte im Wettbewerb 6/1999). Abel, der als illegaler Resident dem Chef gelegentlich in Operettenuni- der Spionageblöcke, die ihre schönsten Sie- KGB-Agenten in den USA führte, kam formen die Aufwartung machen. ge gegeneinander feierten – wobei ge- wohl nur wegen seines Wertes als Tausch- Erst durch seine Masse war das MfS rich- wöhnlich auch der Verlierer gewann. „Je- pfand mit dem Leben davon. tig groß. Die schlagstarke Behörde verfüg- der von ihnen verdankt sein Überleben der Doch Ehrenspione wie Sorge und Abel te über 270000 haupt- und nebenamtliche Existenz der anderen“, urteilt der britische seien schon „Typen einer verflossenen Mitarbeiter (auf 60 Bürger ein Mielke- Geheimdienst-Chronist Phillip Knightley. Epoche“, beklagt der US-Historiker Walter Mensch). Rund 4200 von ihnen saßen auf Und Hansjoachim Tiedge, einst vom MfS Laqueur den Sittenverfall an der geheimen Planstellen für Auslandsspionage, ein Spe- gekaufter Abwehrchef des Bundesamts für Front. Richter Klaus Wagner, der als Se- zialistenheer, das seine westdeutschen Pen- Verfassungsschutz, höhnt aus dem russi- natsvorsitzender beim Düsseldorfer Ober- dants notleidend aussehen ließ. schen Exil: „Solange Spionage betrieben landesgericht über hundert der prominen- Verfassungsschutz (insgesamt rund 4000 wird, so lange gibt es auch sie – meine ge- testen DDR-Spione abzuurteilen hatte, er- Mitarbeiter) wie Bundesnachrichtendienst liebte Spionageabwehr.“ innert sich vor allem an „Skrupellosigkeit“, (6000) sind zwar hochdotierte Einrichtun- Wer Kundschafter wurde, so eine frühe- „üble Methoden“ und Beamtendelikte „in gen mit einem Jahresetat von, offiziell, re Auffassung, spioniere um des Guten abscheulichster Form“. Und selten, daß knapp über einer Milliarde Mark. West- willen. „Möge Gott ihm lohnen, was die einmal auch einer von ihnen offenbart, deutsche Dienste waren aber durch Miel- Menschen versäumen“, ruft im Ur-Thril- ihm stinke eigentlich dieser Job, und er kes Truppe unterwandert bis ins letzte ler „The Spy“ von James Fenimore Cooper komme sich vor „wie eine Art Klofrau“ Glied und hatten gegen die Roten kaum et- (erschienen 1821) US-Präsident George (so einst der britische Sowjetspion Donald was zu bestellen. Für westliche Kollegen Washington einem toten Spion nach. Maclean). Denn im allgemeinen pflegt das waren sie „teilweise nichts anderes als eine Bis in die neuere Zeit zierten sich Dien- Genre die Tradition der Weißwäsche. Unterabteilung des ostdeutschen Geheim- ste gern mit Kontaktleuten aus illustren „Moment mal! Was habe ich denn dienstes“, spottete ein Autor in der Zeit- Kreisen, wie dem englischen Verleger Ce- verraten? Ich habe doch aufgeklärt“, schrift „International Affairs“. cil King (MI5), Ernest Hemingway (OSS) verwahrte sich in einem SPIEGEL- Auf der Habenseite buchten sie vor oder dem Wirtschaftswunder-Aufsteiger Gespräch der Sowjetspion Heinz Felfe, der allem Negativ-Schlagzeilen. BND-Leute Hannsheinz Porst (MfS). als BND-Beamter den eigenen Dienst aus- warben mit Dreistigkeit Journalisten als Ost-Spione aus Idealismus fanden sich geplündert und BND-Agenten ans Messer

Spiegel des 20. Jahrhunderts Mitarbeiter, flogen 1991 wegen Panzer- noch in der europäischen Linken zwischen geliefert hatte. Und die Regierungsdirek- schmuggel nach Israel oder 1995 wegen den Kriegen und in der amerikanischen KP. torin Gabriele Gast – gleiche Stelle, glei- Plutoniumimport aus Rußland auf. Verfas- Margret Boveri,Autorin des Standardwerks che Quelle – sieht sich nicht als „Verrä- sungsschützer wurden während des Ob- „Der Verrat im 20. Jahrhundert“, attestier- terin“, sondern als „Verratene“, nachdem ihr Ex-Führungsoffizier ausge- packt hatte. Verfassungsschützer Klaus Ku- ron, der für über 700000 Mark Agentenlohn der westdeutschen Spionageabwehr die schwersten Schläge versetzte, will vorher we- nigstens noch „die innere Kündi- gung“ ausgesprochen haben. Gern wird das fischige Ge- schäft als Match schöngeredet, wo Sieger dem Gegner die Aner- kennung nicht versagen und Ver- haftete schon mal fordern: „Ich bitte Sie, meine Offiziersehre zu respektieren“, so Günter Guil- laume, der seinen Freund und Chef Willy Brandt über Jahre verriet. „Wir alle spielen unsere Spiele“, doziert „C“ (Traditions- kürzel für den Chef des engli- ASP / CAMERA ASP ULLSTEIN BILDERDIENST ULLSTEIN schen Secret Intelligence Service) Spione Ethel und Julius Rosenberg (1951), Powers (1960): Tradition der Weißwäsche in Graham Greenes Roman „Der menschliche Faktor“. „C“ wei- servierens observiert oder sprengten auch te dieser Schicht „emotional besetzte Be- ter: „Es ist wichtig, kein Spiel zu ernst zu mal, wie 1978 in Celle geschehen, ein Loch jahung des Sowjetregimes“ gegenüber dem nehmen, sonst verliert man es.“ in Gefängnismauern, um einen Konfi- „vermeintlich moralisch minderwertigen, Die Realität bleibt hier der Literatur denten in die Terrorismusszene einzu- rückständigen und in sich nicht mehr er- nichts schuldig.Auch Politiker aus dem We- schleusen. Und sie wurden natürlich dabei neuerungsfähigen heimischen System“; das sten finden – rechtsstaatliche Beschrän- ertappt. „Das waren für uns die mit dem erzeuge einen „Schwebezustand zwischen kungen hin oder her – Gefallen an diesem weißen Stock und der schwarzgepunkteten Loyalität und den Vorfeldern des Verrats“. Genre, das sich lieber nach Spielregeln als gelben Binde“, stichelt Klaus Kuron, früher Auch Späher wie Richard Sorge oder nach Gesetzen richtet. Wo nötig, unter- DDR-Spion beim Verfassungsschutz. Rudolf Abel taten es noch aus politischer scheidet sich dabei die Handschrift nicht

140 der spiegel 8/1999 der Agenten Schauplätze imKrieg Berlin Operationsfeld lonne Gaddafis mit einerBombeangegrif- PfundausLondondie Wagenko-100000 Einarabischer Killerhabe 1996 für dafi. Mordanschlag aufLibyens Staatschef Gad- sehen übereinenregierungsamtlichen DerberichteteimBBC-Fern- zu wehren. ehemaligen MI5-Agenten David Shayler gerichtlich gegen Anschuldigungen des teln deutscheStrafverfolger nochheute. ermit- der BRDsechsMenschenstarben, beidenenzwischen1956 und1959 in kriegs, dienst-Attacken aufGegnerdes Algerien- tion gedeckt.Wegen französischer Geheim- höchsten StellenderPariser Administra- war von suche imPazifik stören sollte, das1985 diefranzösischen Atomver- rior“, kernde Greenpeace-Schiff „Rainbow War- Alain Maffart aufdasinNeuseelandan- dienst-Agenten DominiquePrieurund derMoskauerGeheimdienst-Zentrale. ka, den ganz unteren Schubladen derLubjan- einmal sehrvon Handlungsmusternaus Terrorziele „ Terrorziele ben siebenMenschen Agenten ster-nischer gen libyscher undira- 1992 –beiAnschlä- 1986 und„ Teufelsberg, diebis zum Ural reichte hörstation aufdem Stillgelegte US-Ab- Derzeit hat sich diebritischeRegierung Der Sprengstoffanschlag derGeheim- Glienicker Brücke Mykonos La Belle “ “

ULLSTEIN WEST-BERLIN SÜDD. VERLAG Westen in den 1979flieht sicherheit, für Staats- Ministerium im Maulwurf Stiller Werner , BND- Center US Document tendienstes zusammenmitaltenNazis. Jahre beim Aufbau desBundesnachrich- strierten sieesschonEndedervierziger Besondersunbekümmertdemon- kalt. seineLandsleuteweitgehend läßt möchte, schen Politikern insGewissen pflanzen Amerikaner Walter Laqueurdemokrati- dender sellschaften undGeheimdiensten“, mehrere Unbeteiligtegetötet hatte. aber diedenPräsidenten verfehlt, fen, ofe,dieses Wissen alsFaustpfand ge- hofften, vielfach SS-undGestapo-Ehemalige – und dieDeutschen– der Naziserpicht, die Amerikaner aufdieOsteuropanetze wehr undReichssicherheitshauptamt. takte zuverschiedenen Spitzen von Ab- nem Schweizer DienstsitzGeheimkon- pflegte schon1944 ansei- Mitbegründer, US-Geheimdienst OSSundspäterer CIA- Leiterbeim Allen Dulles, kennengelernt. künftigen Konfidenten gegen Kriegsende erschossen führt undspäter in dieUdSSRent- sten“, wird 1952 heitlicher Juri- frei-ausschuß „Untersuchungs- Referent beim Walter Linse a oet ne rfs Dabei waren Man pokerte unter Profis. Die US-Verantwortlichen hatten ihre Der „Widerspruch zwischenfreien Ge- grenze Sektoren- ehemalige der spiegel der spiegel kontrolle Telefon- alliierte West, zentrale Abhör- ,

K. MEHNER OST-BERLIN Seiten 1954 die wechselt schutz, Verfassungs- amts für des Bundes- Präsident Otto John Spionin ver- hingerichtet und haftet als BND- wird 1955 Elli Barczatis Sekretärin Grotewohl- 8/1999 MfS-Zentrale , Karlshorst KGB-Zentrale pe natürlich von nichtzuvermitteln.Viele war dieser Trup- sellschaft dienen sollten, fleißig SD-undGestapo-Ehemalige. warb Jäger von Hitler-Oppositionellen, Reinhard Heydrich undunerbittlicher vormals Freund desSicherheitschefs Krichbaum, SS-Standartenführer Willi Nun hatte ereinschlägige Helfer: melt. im Kampf gegen Sowjetagenten gesam- Ost“ vereint mitSS-ExpertenErfahrung Wehrmachtsaufklärung „Fremde Heere Schergen nachnützlichenHelfern. ber unterarbeitslosgewordenen Nazi- SosuchtenUS-Wer- Gehlen entstehen. maligen WehrmachtsgeneralsReinhard Das sollte unterLeitungdesehe- zung. Sicherheitssystem mitdeutscherBeset- Geheimdienstler schonmalumeinneues kümmertensichUS- chern jagen ließen, Alliierten andernortsnachKriegsverbre- Während die Kalkül gingfürvieleauf. Das gen Straffreiheit tauschenzukönnen. Propaganda Erpressung und verfolgung, zwecks Straf- Akten-Archiv Nazi- zugleich hausen – Hohenschön- Stasi-Gefängnis Daß siejetzteinerdemokratischen Ge- Gehlen hatte imKriegalsLeiterder

DPA kontaktiert von derStasi Hotel Metropol im Agentin vous miteiner beim Rendez- Lummer Heinrich CDU-Politiker Maueropfer bekanntesten ist einesder Richard Burton) (Darsteller der Kälte kam“ „Spion, deraus John leCarrés tarnt 1956 ent- fonnetzes, Sowjet-Tele- zapfen des zum An- CIA-Tunnel Gold Operation wird , ein 141

UPI/BETTMANN/CORBIS W. PRANGE J. RITTER Das Jahrhundert der Kriege: Geheimdienst und Spionage

dete, klopfte der Militärattaché nur „her- ablassend auf die Schulter“ (Trepper). Richard Sorges zutreffende Meldungen aus Tokio nahm Stalin nicht ernst. Im letzten Jahrhundert noch hatten US- Administrationen gänzlich auf einen Geheimdienst verzichtet – Präsident Abraham Lincoln baute selbst während des Bürgerkriegs lieber auf die Detektei Pin- kerton. In England wurden zu Jahrhun- dertbeginn die Sicherheitsämter so nach- rangig behandelt, daß sogar Literaten auf mehr Wachsamkeit drängten – wegen des „unsäglichen Zustands“ der britischen Abwehr schrieb Autor Erskine Childers

MILLER / GREENPEACE 1903 ein Buch über die Angriffspläne der Deutschen, den Spio- nageklassiker „Das Rätsel der Sandbank“. Tatsächlich aber war Agentenziel „Rainbow Warrior“*: Attentat im Auftrag von Paris im Kaiserreich das Spio- nagewesen noch wenig Gehlens alten Kameraden brachten ihre ten, beispiellos gespru- entwickelt. Der erste alten Feindbilder mit in die neue Repu- delt. Felfe bekam 14 Nachrichtendienst-Chef blik und betrieben rechtswidrig Inlands- Jahre Zuchthaus, wur- des Reichs hatte 1913 aufklärung. „Kreuzzugsmentalität“ und de 1969 freigetauscht einen Etat von 300000 „antikommunistischen Hexenglauben“ und erhielt in Ost-Ber- Mark. Es gab vier Ruß- bescheinigten die SPIEGEL-Redakteure lin eine Professur – für land-Beobachter, be- Heinz Höhne und Hermann Zolling 1971 Kriminalistik. richtet Major Walther in ihrem Buch über den BND („Pullach So wie ihren Gegner Nicolai, erster ND- intern“) den braunen Gründern. führen Dienste auch die Chef; über einen Ame- Manche aus Gehlens Traditionsverein eigenen Auftraggeber rikadienst wurde beim

Spiegel des 20. Jahrhunderts waren derart belastet, daß sie nur außer- gelegentlich in die Irre. Kaiser selbst noch im halb der Reichweite deutscher Staats- Aus Sicht des frühe- Ersten Weltkrieg „nicht anwälte aktiv werden konnten, wie der ren englischen Geheim- einmal gesprochen“

frühere Eichmann-Vertraute und Juden- dienst-Oberen George REGLAIN / GAMMA STUDIO X F. (Nicolai). Deporteur Alois Brunner, der von Da- Young sind manche Agentin Prieur*: „Üble Methoden“ Inzwischen sind die maskus aus zuarbeiten durfte. Politiker so unfähig, daß Dienste Großbehörden Wer in Pullach blieb, war ein erpreß- es nötig war, „Operationen aus eigenem mit nahezu unbegrenzten Mitteln und bares Sicherheitsrisiko. Einige Pullacher Ermessen durchzuführen und sie hinterher höchster technischer Ausstattung. Doch holte sich folglich das KGB, so auch den vor vollendete Tatsachen zu stellen“. die Inkompetenz wächst offenbar mit. sächsischen Polizistensohn Heinz Felfe. Entsprechend reserviert begegnen Re- Bürokratische Strukturen bedeuten, daß Der hatte im Dritten Reich vom NS- gierende den gesammelten Erkenntnissen Posten auf Leitungsebene oft nur nach Schülerbund über den SS-Motorsturm als ihrer amtlichen Geheimnisjäger. Im Kabi- Politproporz vergeben werden. Geheim- Kriminalbeamter eine Musterkarriere bis nett Helmut Schmidts galt, der Kanzler zie- dienst kann Behördenklüngel in direkter in die Gestapo hingelegt – also ein Fall für he manchmal die Lektüre der „Neuen Zür- Erblinie sein. Fast jeder Präsident des Bun- Gehlen. Unter Protektion des Chefs stieg cher Zeitung“ den Vorträgen des Bundes- desamts für Verfassungsschutz entstamm- Felfe in der Pullacher Spionageabwehr nachrichtendienstes vor. Der englische La- te einer Beamtenfamilie. Das reizt zum bis zum Leiter der Abteilung Sowjetunion bour-Premier Harold Wilson sah die Di- Schaffen immer neuer Stellen. auf. Als ein Überläufer den wendigen rektoren der Geheimdienste MI6 (Ausland) Daß Staatsschützer mitsamt der Ver- Ex-Nazi als KGB-Mann outete, kam es und MI5 (Abwehr) so selten, daß er bei fassung die eigene Klasse schützen, ist al- zum größten Spionageskandal in der Meetings deren Namen verwechselte. lerdings weltweit üblich. Als in den USA Geschichte der Bundesrepublik. Die Folge: Nur selten zahlen sich er- Anfang der sechziger Jahre die Dienste Zwar versuchte Gehlen die Bedeutung kenntnismäßige Volltreffer der Dienste so der Teilstreitkräfte zwecks Rationalisie- herunterzuspielen – er habe „Anlaß zu aus wie bei der Operation „Ultra“, als rung einer gemeinsamen Defence Intelli- der Ansicht, daß Felfe nicht so erfolgreich Polen und Engländer Funkcodes der Wehr- gence Agency (DIA) unterstellt wurden, gearbeitet hat, wie seine Auftraggeber er- macht knackten und dadurch die deutsche schrumpften die zählebigen Behörden wartet haben“. Doch tatsächlich war der U-Boot-Strategie hart getroffen wurde. Oft zwar kurzzeitig. „Aber sie regenerierten Fall Felfe ein Desaster. Jahrelang hatte aber verpufften solche Coups bei den Ent- sich und waren in weniger als zehn Jahren Quelle „Paul“, wie die Russen ihn nann- scheidungsträgern. Dem Chef des Agen- größer als vor der Gründung der DIA“, tenrings „Rote Kapelle“, Leopold Trepper, berichtete die Zeitschrift „World Politics“. * Oben: im Hafen von Auckland 1985; rechts: nach der der 1941 der Sowjetbotschaft in Frankreich Vom Geheimdienst der Marineinfanterie Freilassung aus neuseeländischer Haft 1988. den bevorstehenden Angriff Hitlers mel- bis zu dem des Finanzministers ernährt die „Je solider die Information eines Überläufers, je weniger darf man ihm trauen und um so mehr muß man annehmen, daß er etwas zu verbergen hat.“ CIA-Abwehrchef James Jesus Angleton

144 der spiegel 8/1999 Das Jahrhundert der Kriege: Geheimdienst und Spionage

sogenannte Intelligence Community der USA nicht weniger als 15 Agenturen. Rund 100 000 Amerikaner werden dort nach offizieller Lesart beschäftigt, andere Schätzungen gehen von etwa der doppel- ten Kopfstärke aus. Die größte aller US-Stellen, die da ge- trennt marschieren und vereint florieren, ist die National Security Agency (NSA). Auf einem Vier-Quadratkilometer-Gelän- de in Fort Meade (US-Staat Maryland) ana- lysiert die NSA Kommunikation rund um den Erdball. Die Lauschbehörde ist sogar etwas größer als die CIA. Allein in den USA beschäftigte sie zuletzt nach eigenen Angaben 21000 Leute (CIA: 16 000), das Budget soll 3,6 Milliarden Dollar (CIA: 3,1 Milliarden) betragen haben. NSA-Antennennester stehen auf be- freundeten Territorien von Oberbayern bis in die Pampa. Sie durchkämmen E-Mails, Faxe und Telefonate, zapfen Transozean- kabel und Satelliten an – „wir belauschen

sie alle“, sagt ein NSA-Leiter. Dabei wird DER SPIEGEL so viel Papier produziert, daß es, wie die DDR-Spionagechefs Wolf (2. v. l.), Mielke (4. v. l., 1980): Äußere Sicherheit vernachlässigt „Washington Post“ bemerkte, „selbst der liebe Gott nicht durchsehen und verarbei- richtet wurde die CIA mit dem Ehrgeiz, und explosive Zigarren aufgeboten wur- ten könnte, wenn er nicht bereits wüßte, „bester Nachrichtendienst der Welt“ (Al- den, als Waffenverkäufe an iranische Mul- was der Russe vorhat“. len Dulles) zu werden. Hausmotto ist noch lahs Schwarzgeld für rechtsextreme Ni- Der Russe wußte das aber wahrschein- heute ein Spruch aus dem Johannes-Evan- caragua-Contras zauberten („Irangate“) lich selbst nicht immer so genau, zu gi- gelium („And Ye shall know the truth and oder als 1056 Seiten Abhörprotokolle von gantisch war sein Sicherheitsapparat, zu the truth shall make You free“). Die from- Dianas Telefon auf den Markt kamen. „Was

Spiegel des 20. Jahrhunderts vielfältig auch hier der Materialeingang. me Absicht verflüchtigte sich aber, heraus das KGB nicht geschafft hat, hat die CIA Das Staatssicherheitskomitee KGB ließ die kam ein „alternder Horrorladen“, wie die sich selbst angetan“, schrieb der CIA-Kri- Welt durch 15 000 hauptamtliche Staats- „New York Times“ 1997 fand, als die Agen- tiker David C. Martin schon 1980. Ent- schützer bewachen. Es unterwanderte Par- cy ihren 50. Geburtstag feierte. täuscht sehen mittlerweile viele Agenten lamente, darunter den US- ihren Dienst verkommen, Kongreß und den Bundes- „eine traurige Mischung tag, attackierte den Papst, aus Monty Python und schlich sich in den Stab der Big Brother“, wie ein fru- Queen. striert ausgeschiedener Im Sowjetreich sollen bis CIA-Mann fand. zu sechs Millionen IM Marotten und Macken gespitzelt, 240 000 KGB- waren in den Chefzim- Grenzer die Wacht gehal- mern immer schon zu ten haben. Zunächst exi- Hause. Die berufsbeding- stierten die von dem pol- te Zwangslage zwischen nischen Revolutionär und Wahn und Wirklichkeit Lenin-Vertrauten Felix geht den Protagonisten au- K. MEHNER Dserschinski gegründeten PRESS ACTION genscheinlich aufs Gemüt. Sicherheitsorgane aus Not- Ehemalige Ost-Spione Felfe (1986), Tiedge (1996) So patrouillierte Com- wehr gegen ausländische Innere Kündigung ausgesprochen mander Mansfield Cum- Gegner. Doch sofort wur- ming, der gehbehinderte de die Außerordentliche Kommission Wenn die CIA zuschlägt, müssen – so MI6-Gründungschef, demonstrativ auf (Tschreswytschainaja komissija, kurz: der SPD-Sicherheitsexperte Andreas von einem Kindertretroller über die langen Tscheka) ein Terrorinstrument. Bülow – auch befreundete Länder „dumm- Flure seines geheimen Bürokomplexes Beim Wettstreit zwischen US-Agencys oder bösgläubig“ stillhalten. So geschehen, in Whitehall. Jurij Drosdow, Chef der und Tschekisten gelang es beiden Appara- als ein US-Agententrupp 1991 Jeffrey Car- mordberüchtigten KGB-Verwaltung „S“ ten, zu monströser Größe auszuufern. ney, einst MfS-Spitzel bei der U. S. Army, (Sonderoperationen), ließ seine Agenten Denn Siege des einen bedeuteten meist zwecks Aburteilung in den USA aus Ber- sich bei Thrillerautoren wie Frederick Nachrüstung beim anderen – ein schmut- lin verschleppte. Forsyth einlesen. ziges Patt, denn das Duell mit dem tota- Die CIA war im Spiel, als gegen den ku- , der hinter Sonnen- litären Gegner korrumpierte auch. Einge- banischen Feind Fidel Castro Mafia-Helfer gläsern gern unergründlich tat, lud gele- „Ich sehne mich danach, die ganze Menschheit mit meiner Liebe zu umarmen und sie vom Schmutz des modernen Lebens zu reinigen.“ Tscheka-Gründer Felix Dserschinski

146 der spiegel 8/1999 Das Jahrhundert der Kriege: Geheimdienst und Spionage KEYSTONE / SYGMA KEYSTONE Topspion Philby (1955), Philby-Arbeitsgerät, Philby-Freund Angleton: Drei Dutzend „Jim and Kim“-Treffen mit reichlich Alkohol und

gentlich führende Mitarbeiter zu Dienst- britischen Labourführer Hugh Gaitskell ger Jahre von Moskauer Agentenwerbern gesprächen nach Hause vor. Da saß er auf umgebracht, um dem eigenen Mann, Ha- verpflichtet worden. Alle waren Absol- einem spießigen Sofa, während seine Frau rold Wilson, den Weg nach 10 Downing venten von noblen Schulen und hatten in in Sichtweite Hemden bügelte. „Manche Street zu ebnen. Cambridge an vornehmen Colleges stu- von uns fragten sich, ob seine Schlichtheit Dem englischen Angleton-Kollegen diert, wo sich der Eliten-Nachwuchs in wirklich nur gespielt war“, erinnert sich Michael Hanley vom MI5 schien das alles koketten Marxismus-Debatten erging und einer dieser Gäste. „jede Menge Rauch, aber wenig Feuer“, schwule Seilschaften formte. Das absonderlichste Gebaren von al- doch der CIA-Mann ließ sich nicht be- Geduldig beobachtete die Lubjanka len legte CIA-Mann Angleton an den Tag. irren. „Golizyn“, vermerkte der CIA- den Durchstieg des Quintetts bis in die Der langjährige Spionageabwehrchef der Sowjetexperte Leonard McCoy, „war die höheren Sphären des Establishments. CIA entwickelte Sicherheitstricks bis zum Erfüllung aller Träume Angletons.“ Nach anderthalb Jahrzehnten war es so-

Spiegel des 20. Jahrhunderts Verfolgungswahn. Schon als Dienstneu- Für John Gittinger, den Chefpsycholo- weit: Wie Philby reüssierten die Freunde ling, gegen Kriegsende in Italien, ver- gen bei der CIA, war Golizyn sogar Guy Burgess, Anthony Blunt und John blüffte er Kollegen, wenn er täglich bis zu „ohne Zweifel paranoid“. Doch Angle- Cairncross beim Geheimdienst, Donald anderthalb Stunden unter Tischen und ton schenkte ihm Glauben und war vor Maclean, der fünfte, wurde Diplomat. Schränken seines Büros nach versteckten allem von dem Hinweis alarmiert, bei der Philby saß, so lobten später FBI- Mikrofonen forschte. Agency treibe ein Meisteragent mit dem Ermittler, „auf dem perfektesten Platz, Überall wähnte Angleton Sowjetspione. Decknamen „Sascha“ sein Wesen. So den die Sowjets für einen ihrer Männer Der Gegner mit seinen vermuteten Tricks setzte in der Behörde eine Hexenjagd ein, nur irgend wählen konnten“. Weil und Finten beherrschte den Abwehrmann die Jahre dauerte. Gegen etwa 60 CIA- Engländer und die CIA seinerzeit im derart, daß Obsessionen immer mehr das Leute wurde auf der Suche nach dem Kampf gegen sowjetische Spionage eng Urteil überlagerten. Am Ende sah er nur ganz großen Maulwurf amtlich ermittelt, kooperierten, ging über Philbys Tisch noch Doppelspiel, wo „Lügen Wahrhei- viele von ihnen büßten ihre Jobs ein. amerikanisches Topmaterial. Hunderte ten und Wahrheiten Lügen waren und die Sowjetische Informanten, die sich den westlicher Agenten hat er dabei verraten. Reflexionen in den Spiegeln blendeten Amerikanern offenbaren wollten, wur- Dank Philby, so später das FBI, kann- und verwirrten“, wie Angletons Kollege den nun auf einmal abgeblockt, teils so- te Moskau auch den jeweiligen Stand Peter Wright, ein Abwehrexperte vom gar zurückgeschickt, was einige das Leben der Ermittlungen gegen die Atomspione MI5, einfühlsam schrieb. kostete. Das war in der irisierenden Welt Klaus Fuchs und das Ehepaar Rosenberg, Die „Wirrsal der Spiegel“ nahm Angle- Angletons ein unvermeidbarer Preis. die in den vierziger Jahren für Mos- ton endgültig gefangen, als 1961 Anatolij Denn sein irrwitziges Berufsmotto konn- kau das US-Atombombenprojekt ausge- Golizyn in den Westen ging. Der Über- te ihm keiner widerlegen: „Je solider die späht hatten. läufer, Nachrichtenauswerter in der Nato- Information eines Überläufers, je weniger Doch offenbar waren die Russen in Sektion des KGB, enthüllte einen an- darf man ihm trauen.“ Sorge, Rettungsmaßnahmen zugunsten geblichen sowjetischen Masterplan zur Ein Trauma verfolgte den Abwehr- der Kundschafter könnten Hinweise auf Durchdringung und Desinformation der ideologen seit Karrierebeginn – der Ver- den Tipgeber Philby liefern. Jedenfalls westlichen Gesellschaften. Eine Geheim- rat durch seinen Freund Kim Philby. Ihn überließen sie die Agenten ihrem Ge- dienst-Intrige von ungeahntem Ausmaß kannte Angleton schon aus Kriegstagen, schick: Fuchs erhielt in England 14 Jahre sei im Gang, warnte der Mann aus Mos- 1949 war er als Stationschef des britischen Haft und wurde später freigetauscht, kau: Raffiniert als Überläufer getarnte MI6 nach Washington gekommen. Die Ethel und Julius Rosenberg wurden 1953 Agenten blendeten die westlichen Dien- beiden sahen sich regelmäßig zum Lunch, hingerichtet. ste. KGB-Maulwürfe würden die Regie- der ältere Brite, für den aufstrebenden Immer wieder lenkten Tips von Agen- rungen bis in die höchsten Ämter konta- CIA-Mann eine Art Mentor, war bei den ten Verdacht auf Philby, der 1934 eine minieren, Falschmeldungskampagnen trü- Angletons zum Thanksgiving-Essen. Kommunistin geheiratet und für die Kom- gerische Sicherheit vorgaukeln. Philby nutzte die zahllosen, so alko- intern gearbeitet hatte. Doch Philby besaß Willy Brandt, Olof Palme, Henry Kis- hol- wie wortreichen „Jim and Kim“-Ses- viele Freunde. Graham Greene, Mitarbei- singer – alle mutmaßlich im Sold des sionen, um seine beispiellose Karriere als ter während des Krieges, beschrieb Phil- Kreml. Der habe sogar den an einer Sowjetspion zu stabilisieren. Zusammen by als „besten aller Chefs“. Für Londons seltenen Pilzerkrankung gestorbenen mit vier anderen war er Mitte der dreißi- Führungsetagen war der Landsmann mit

148 der spiegel 8/1999 Aufzeichnungen seiner Lunch-Gespräche 1991, als Norman Mailer dem Mann, mit Philby – die amtliche Nachzählung er- der die tragikomische Endstufe des In- gab über drei Dutzend davon –, sagte der telligence-Strategen verkörpert, ein li- CIA-Mann in aller Schlichtheit: „Sie sind terarisches Denkmal setzte („Harlot’s weg. Ich habe sie verbrannt. Sehr ärger- Ghost“), gab Spionagestoff noch Best- lich das Ganze.“ seller her. Das änderte sich mit Ende des Die Sache traf Angleton, wie seine Ehe- Kalten Krieges. frau Cicely berichtete, „furchtbar und tief Die Dienste zwar konnten ihre Wasser- – es war ein Schlag, den er niemals ver- kopfstärke retten, weil an neuen Feind- gaß“. Danach vertraute der Geprellte bildern kein Mangel ist – Wirtschaftsspio- kaum noch jemandem. nage,Atomwaffenschmuggel, Terrorismus, Die manische Spionjagd wurde Angle- Mafia (siehe Seite 154). Für ihre treuesten ton schließlich zum Verhängnis. Als er Begleiter, die Thrillerautoren, sieht es aber auch Universitäten und Vietnamkriegs- schlechter aus. Das Publikum übt Ab- gegner nach Sowjetinfiltranten durch- stinenz, „weil es den Kalten Krieg einfach kämmte, feuerte ihn CIA-Chef William nicht mehr gibt“, sagt Jack Romanos, Chef Colby Ende 1974. Zurück blieben 40 per- des US-Verlags Simon&Schuster. sönliche Safes mit Geheimmaterial, für Bestsellerautoren, darunter Frederick D. BRACH / BLACK STAR / BLACK D. BRACH GAMMA / STUDIO X dessen Erfassung CIA-Spezialisten an- Forsyth, Robert Ludlum und Ken Follett, Staatsgeheimnissen schließend drei Jahre benötigten. wechselten die Verlage. Die Zeiten wür- 20 Jahre Paranoia mit Angleton hatten den härter, fand Ken Follett: „Keiner mehr den brillanten Manieren und den guten das Kriegsspiel der Dienste auf ein fast hat Angst vor den Russen. Aber jemanden Oberklassekontakten kein Verrätertyp. künstlerisches Niveau gehoben, aber die zum Fürchten brauchst du.“ Als 1951 die „Fünf von Cambridge“ Erfolgsbilanz der CIA schmerzlich her- durch amerikanische Geheimfunkent- untergebracht. „Ich sehe leider nicht, daß Christian Habbe, 58, ist SPIEGEL-Redak- schlüsselung aufflogen, wurden als erste wir unter Jim auch nur einen Spion ge- teur und berichtet seit 1982 aus Berlin und Burgess und Maclean geortet, konnten fangen haben“, bilanzierte Colby traurig. Ostdeutschland. aber – wahrscheinlich dank eines Philby- Tips – in die UdSSR wegtauchen. Das Verschwinden der Cambridge-Zög- linge schockierte in den tonangebenden Zirkeln der englischen Politik.Von nun an galt auch Philby als Sicherheitsrisiko – nicht zuletzt weil Burgess zu seinen Freun- den zählte und beim Ehepaar Philby ge- wohnt hatte. Philby überstand alle Verhö- re. Vorsichtshalber schickten ihn die Vor- gesetzten im Juli 1951 in den Ruhestand, mit 4000 Pfund Abfindung sowie einer Ehrenerklärung im Unterhaus durch den Ministerpräsidenten Harold Macmillan. Erst 1963 gestand der Spion, inzwischen als Korrespondent in Beirut ansässig, ei- nem MI6-Emissär seine Spionagetätigkeit seit 1934. Dann floh er in die Sowjetunion. Das Geständnis raubte vielen Standesge- nossen in London die Illusionen. „Kim ist hinüber, es ist genau wie 1951, als die Jungs gingen“, jammerte Arthur Martin, Leiter der MI5-Sowjetabteilung. „Viele Menschen in der Welt der Geheimdienste alterten in der Nacht“, beobachtete MI5- Mann Peter Wright. In Washington fand Angleton schnell die Fassung wieder, obwohl die Enttar- nung seines Tischgenossen für die west-

lichen Dienste so etwas wie die Mutter ROGERS / GAMMA STUDIO X J. aller Katastrophen war. Befragt nach den Spionagethriller-Autor Le Carré: Keine Angst mehr vor den Russen

LITERATUR die Spionageabwehr der DDR die Deutschland- 20. Jahrhundert“. Scherz Verlag, Bern, München,Wien Margret Boveri: „Verrat im 20. Jahrhundert“. Rowohlt Aktivitäten der US-Dienste registrierte, aus der 1989; 416 Seiten – Standardwerk. Verlag, Reinbek 1976; 826 Seiten – Grundlegende Perspektive zweier ehemaliger MfS-Offiziere. Erich Schmidt-Eenboom: „Undercover“. Verlag Kie- Untersuchung über den Verrat, seine Protagonisten Oleg Gordiewsky, Christopher Andrew: „KGB“. penheuer & Witsch, Köln 1998; 447 Seiten – Wie der und deren Beweggründe. C. Bertelsmann Verlag, München 1990; 959 Seiten – BND unter westdeutschen Journalisten Inoffizielle Andreas von Bülow: „Im Namen des Staates“. Piper Spannende Geschichte der sowjetischen Geheim- Mitarbeiter warb – und reichlich fand. Verlag, München 1998; 624 Seiten – Eingehend dienste von Lenin bis Gorbatschow. Wolfgang Weber, Jürgen Krieger (Hrsg.): „Spiona- dokumentierte, bissige Kritik an den Machenschaf- Hans Halter: „Krieg der Gaukler“. Steidl Verlag, Göt- ge für den Frieden?“ Günter Olzog Verlag, München ten der CIA und anderer West-Dienste. tingen 1993; 284 Seiten – Sarkastische Beschreibung und Landsberg 1996; 272 Seiten – Das geteilte Klaus Eichner, Andreas Dobbert: „Headquarters einer Branche, die sich wichtiger nimmt, als sie ist. Deutschland als Schlachtfeld der Dienste, beschrie- Germany“. edition ost, Berlin 1997; 384 Seiten – Wie Phillip Knightley: „Die Geschichte der Spionage im ben von einer internationalen Expertengruppe.

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