III. Das Jahrhundert der Kriege: 1. Der Erste Weltkrieg (3/1999); 2. Der Zweite Weltkrieg (4/1999); 3. Der Wahn der Atomrüstung (5/1999); 4. Vietnam und der Kalte Krieg (6/1999); 5. Die Kriege um Israel (7/1999); 6. Geheimdienst und Spionage (8/1999) H. WESEMANN H. DARCHINGER (u.r.) ARGUM (u.l.); J. HELLER / ARGUM (o.r.); F. (o.l.); BND-Chef Gehlen (1958); US-Abhörstation in Bad Aibling (Bayern); Geheimdienst-Mikrofon; DDR-Spion Guillaume, Kanzler Brandt (1974) Das Jahrhundert der Kriege Geheimdienst und Spionage Lauschen, Stehlen, Mordaufträge – selbst Demokratien setzen auf die schmutzigen Dienste von Agenten und Spionen. Trotz hoher Einsätze – die Bilanz bleibt trübe: mehr Verfolgungswahn als Aufklärung, „verdammt viel Rauch und wenig Feuer“. der spiegel 8/1999 137 Das Jahrhundert der Kriege: Geheimdienst und Spionage Das schmutzige Patt Von Christian Habbe rau in grau war Ost-Berlin an die- kurze Reichweite durch ein übergroßes sem Tag im Dezember 1989, und Racket, mit dem er auch schon mal über Gder Besucher, den Oberst Alexan- das Netz klettere und Gegner prügle. der Prinzipalow in der Karlshorster KGB- Um Pechous’ Beute jedenfalls setzte als- Dienststelle empfing, versprach auch kei- bald echtes Foulspiel ein. Befreundete nen Lichtblick. Der Mann entstieg einem Dienste beklagen sich, weil die eroberten tristen Wartburg, blickte mit Amtsmiene Akten ihnen nur zögerlich und auszugs- und trug einen Aktenkoffer. weise vorgezeigt würden. Das geschehe, Immerhin – der Anblick des Gepäcks um die Übermittler zu schützen, behaup- stimmte den Russen schon besser. Es war tet die CIA. Daß Bonns Geheimdienst-Ko- einer der kantigen Container aus mehreren ordinator Ernst Uhrlau das „auf Dauer Lagen Rindsleder, in denen die Kuriere des nicht akzeptabel und hinnehmbar“ findet, Ministeriums für Staatssicherheit das ganz hielten die CIA-Leute für nicht so wichtig. Wichtige zu transportieren pflegten. Auch mit der amerikanischen Bundes- So auch diesmal. Der Koffer enthielt drei polizei stritten sie: Das FBI mußte sich Ak- längliche Zylinderhüllen, amtlich bekannt teneinsicht mit einer Klagedrohung gegen als „Milchkannen“. In ihnen stapelten sich, den unkooperativen Pechous erzwingen. säuberlich aufeinandergepackt wie Drops Doch von wem er die Filme gekauft hat, in der Rolle, Mikrofilme von schwer schätz- blieb nebulös. Auch der verdächtige KGB- barem Wert. Der Mann von der Bruder- Mann sagt nichts mehr. In Moskau hieß es, behörde hatte die legendäre „Mob-Kartei“ Prinzipalow sei vor einiger Zeit einem der Hauptverwaltung Aufklärung (HVA) Herzleiden erlegen. gebracht, das Not-Set aller Topdaten, die Das Match um die Ledertasche dürfte Spiegel des 20. Jahrhunderts der DDR-Auslandsnachrichtendienst für zu den letzten Höhepunkten in einer den Mobilisierungsfall bereithielt. langen Reihe von Geheimdienst-Coups Berliner Geheimdienst-Drehscheibe Glienicker Goldener Kern der Milchkanne: die zählen, die Berlin in den vergangenen Agentenliste mit Tausenden von Klar- 50 Jahren zu einem Drehkreuz der Agen- namen und den Arbeitsberichten des welt- tendienste machte. Im Kalten Krieg hatte weit wohl besten aller Spionageapparate. Berlin den Rang einer „ewigen Stadt der Zwei von insgesamt nur drei Exemplaren Spione“, schrieb der Engländer John der „Mob-Kartei“, so sagte der Stasi- Le Carré, der mit seinem Roman „Der Mann, hätten seine Oberen schon vernich- Spion, der aus der Kälte kam“ den Ber- tet, die letzte Kopie übergäben sie den liner Showdown der Sicherheitsdienste „Freunden“ zur Aufbewahrung. KGB- sprichwörtlich machte. Mann Prinzipalow quittierte dankend. Die Machenschaften der Geheimdien- Dann ging die DDR unter, die Stasi mit ste haben dem Kalten Krieg nirgends soviel ihr, Prinzipalow samt Genossen kehrte Energien geliefert und zugleich neue ab- heim. Auch die „Mob-Kartei“ blieb ver- gewonnen wie in Berlin. Da wurde ge- schwunden, aber ihr Inhalt begann Kreise lauscht und gespitzelt, untergraben und zu ziehen: Amerikanische Geheimdienstler desinformiert, entführt und ermordet, je verkündeten, ihre Deutschland-Kund- nach Auftraggeber. Agenten von allen schafter hätten, als die Mauer fiel, schnel- Schauplätzen brachte es hierher, und sei es ler zugepackt als alle Konkurrenten und zum Freitausch auf der Glienicker Brücke, CIA-Zentrale in Langley, KGB-Zentrale Lubjanka sich des HVA-Schatzes bemächtigt. wo sich schon 1962 die Wege des U-2-Pilo- Als Sieger dieses Wettrennens gilt der ten Gary Powers und des Meisterspions Osten die Nase vorn – West-Berlin war ein damalige Bonner Stationschef der CIA, Ed Rudolf Abel kreuzten. freier Supermarkt für Nachrichten. Wohl- Pechous, ein ehrgeiziger Karriere-Ge- Die West-Dienste hatten in der Stadt trainierte rote Beutemacher räumten der- heimdienstler mit viel Erfolgsaura und we- ihre größten Filialen.Von hier horchten sie maßen ab, daß sogar alle in der DDR täti- nig Freunden. „Poison Dwarf“ (Giftzwerg) in den Ostblock, führten wichtige Ost- gen CIA-Agenten zu „Doppelagenten ge- nennen sie ihn im CIA-Klatsch und lästern Quellen und nahmen wertvolle Überläufer gen die CIA“ umgedreht wurden, wie genüßlich, der nicht sehr groß gewachsene wie den Stasi-Maulwurf Werner Stiller in Klaus Eichner, einst US-Spezialist bei der Pechous kompensiere beim Tennis seine Empfang. Doch weit öfter noch hatte der HVA, bilanziert. „Die Arbeit der Spione muß der Herrscher persönlich leiten. Die zurückkehrenden Spione ermöglichen die Kenntnis über den Gegner, darum verhalte dich ihnen gegenüber besonders großzügig.“ Der chinesische Philosoph Sun-tzu (4. Jahrhundert v. Chr.) in „Traktat über die Kriegskunst“ 138 der spiegel 8/1999 Sinn des Ganzen: „Wie viele Milliarden sind die Dienste wert?“ Geheimdienste haben kaum je Kriege verhindert oder folgenschwere Umstürze richtig vorhergesagt. Immer wieder mal ge- lingt eine spektakuläre Kommandoaktion wie die Entführung des Nazi-Mörders Adolf Eichmann 1960 aus Argentinien durch die Israelis oder wie in der vergangenen Woche das Kidnapping des PKK-Chefs Öcalan in Nairobi durch konzertierten Zugriff ver- schiedener Dienste (siehe Seite 22). Doch selbst der berühmte israelische Mossad und der legendäre englische Auslandsdienst MI6 versagten in entscheidenden Situationen: Rechtzeitig hatten zwar die Satelliten An- griffsvorbereitungen arabischer Staaten vor dem Jom-Kippur-Krieg 1973 und Argen- tiniens vor der Landung auf den Falkland- inseln 1982 erspäht. Doch die Staatsfüh- rungen blieben ahnungslos. Das gleiche Bild jenseits des Grabens. Moskaus Dienste verkannten die Ent- schlossenheit Präsident Kennedys in der Kuba-Krise oder das Potential der Auf- ständischen in Tschetschenien. In Afghani- stan ließen sie die Rote Armee blind in die Stinger-Raketen der von CIA-Experten trainierten Rebellen laufen. Trotzdem hält sich der Jahrhundert- mythos von der Omnipräsenz allwissender Beobachter. Geheimdienst-Szenarien be- ULLSTEIN BILDERDIENST ULLSTEIN flügeln Verschwörungstheorien überall: In Brücke*: Prominentenaustausch in der ewigen Stadt der Spione den USA wappnen sich rechte Milizen ge- gen angeblich geplante Anschläge auf die Nation, die durch Nachtflüge schwarz- gespritzter CIA-Helikopter vorbereitet würden. „So macht die Angst Idioten aus uns allen“, ulkte die „taz“ über linke Re- flexe auf die Dienste, denn auch bei der Spaßguerrilla hört hier schnell der Spaß auf: Die Szene der Computerhacker sah nach dem Tod eines Berliner Freundes, un- geachtet der offiziellen Freitod-Version, den langen Arm der Geheimen am Werk. Paranoia rundum kann nicht verwun- dern, denn sie wird seit je von gestandenen Geheimdienstlern vorgelebt. James Jesus Angleton, CIA-Spionageabwehrchef in den sechziger Jahren, benutzte als Metapher M. DEVILLE / GAMMA STUDIO X R. RESSMEYER / CORBIS seines Jobs gern das einem Alptraum- (1987): „Wie viele Milliarden sind die Dienste wert?“ gedicht von T. S. Eliot entlehnte Bild „wilderness of mirrors“, die Vorstellung Mager dennoch die Bilanz dieser Spio- chefs, warben Wissensträger, zählten Ra- einer unheimlichen Spiegelwelt, in der ein nage-Weltspiele. Die Stasi, nach eigener keten, stahlen Akten. Doch in der Pflicht, Schockbild viele andere reflektiert. Definition Schild und Schwert der Partei, die Auftraggeber vor Unbill zu bewah- Dagegen steht die Wirklichkeit höchst vermochte nicht einmal ihre wichtigste ren, versagten die „Armies of Ignorance“, trivialer Apparate. Selbst das Ministerium Hausaufgabe zu lösen – die Lebensgefahr wie sie der amerikanische Geheim- für Staatssicherheit, das effizienteste Sy- für ihren Staat zu erkennen, geschweige dienst-Analytiker William Corson nennt, stem der DDR neben den Goldmedaillen- denn zu bannen. Aber auch den West- oft eklatant. Sportlern und Dopingspritzern, war von Diensten waren die Vorzeichen des Zu- Nur wenige geben das so unverblümt zu einem kleinkarierten Schleifer beherrscht. sammenbruchs glatt entgangen. wie General Patrick Hughes vom US-Mi- Erich Mielke litt neben lauter Moskau- Das Berliner Debakel der Schnüffel- litärgeheimdienst, der einem Kongreßaus- Heimkehrern an dem Makel, als ehemals in agenturen spiegelt den Weltmaßstab der schuß in Washington 1997 den alten Molt- Frankreich Internierter ein „Westemigrant“ Branche. Geheimdienste belauschten Staats- ke referierte: „Von den drei Optionen des gewesen zu sein. So mußte er von ganz Gegners, die du kennst, nimmt der für ge- unten anfangen und sich im Juni 1945 ge- wöhnlich die vierte.“ Und nach einer Ana- horsam bei den Obergenossen melden: * Sowjetbürgerrechtler Anatolij Schtscharanski (M. mit Pelzmütze) neben US-Botschafter Richard Burt beim lyse des US-Spionagedienstes
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