Sozialdemokraten als Opfer im Kampf gegen die rote Diktatur Arbeitsmaterialien zur politischen Bildung

Dieter Rieke (Hg.) Herausgeber: Dieter Rieke Stellv. Vorsitzender des Sozialdemokratischen Arbeitskreises ehemaliger politischer Häftlinge der SBZ/DDR © 1994 by Friedrich-Ebert-Stiftung, Godesberger Allee 149, 53175 Bonn Layout: Pellens Kommunikationsdesign GmbH, Bonn Fotos: Frauendorf, Reiss, FES Lithografie: Schreck & Jasper GmbH, Bonn Druck: satz & druck gmbh, Düsseldorf Papier. Zanders Mega matt, aus 100% chlorfrei ge- bleichten Zellstoffen (TCF) und aus wiederauf- bereiteten Recyclingfasern im Verhältnis 50:50 Printed in 1994

Inhalt

5 Dieter Rieke Sozialdemokraten als Opfer im Kampf gegen die rote Diktatur

7 Sozialdemokraten, die in der SBZ und frühen DDR zu hohen Freiheitsstrafen verurteilt wurden Beispiele für viele Tausende

12 Die zwangsweise Vereinigung von KPD und SPD Eine Argumentation der Grundwertekommission beim Vorstand der SPD

17 Ein Kronzeuge der damaligen Zeit

22 Kurt Schumachers Manifest Freiheit in Europa und demokratische Selbstbehauptung

25 Aus der Zeit des Widerstandes

27 Wolfgang Buschfort Gefoltert und geschlagen

31 Gegner und Opfer der Zwangsvereinigung berichten

37 Der Brief aus Bautzen

42 Gedenkfeier und Vermächtnis

44 Dokumente über sowjetische Internierungslager und Strafanstalten

46 Kongreß der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands 1961 Deutscher Freiheitskampf in der Sowjetzone - Begrüßungsansprache von Erich Ollenhauer - Aus der Ansprache Willy Brandts

50 Anhang mit Literaturverzeichnis

3 Sozialdemokraten als Opfer im Kampf gegen die rote Diktatur

„Diese Worte sind mit Herzblut geschrieben. Man kann dies auf zweierlei Weise tun: Der Sie sind jenen Menschen gewidmet, die den Mensch „vergißt" und ignoriert die Qualen der politischen Wandel der neuen Bundesländer Vergangenheit, oder er versucht, die Etappen nicht mehr erleben und mitgestalten können. der Entwürdigung und Einkerkerung zu verar- Sie haben ihren Einsatz für Recht, Freiheit und beiten und das Resümee weiterzureichen. Menschenwürde in der sowjetisch besetzten Bei meinen Gesprächen mit Freunden in Ost- Zone und in der DDR mit ihrem Leben bezahlt." deutschland, aber auch mit Kritikern des Ge- Nun sei es an der Zeit, diesen Teil deutscher schehens und, was das Maß des Erträglichen Geschichte nach 1945 mit dem Opfergang vie- überschritt, insbesondere mit Tätern der Straf- ler Tausender Menschen unter der Knute des vollzugsanstalt Bautzen, in der mich die Kom- sowjetischen Besatzungsregimes und danach munisten fast neun Jahre eingesperrt hielten, ist des Staatssicherheitsdienstes neu zu schreiben mir bewußt geworden, wieviele Menschen hü- und dem Vergessen zu entreißen. ben wie drüben noch mit den Schrecken der So schrieb ich im November 1989, als sich auf Vergangenheit belastet sind und nur zögernd dem damaligen Gebiet der DDR nach über den Geschehnissen zu folgen vermögen. 40jähriger Zwangsherrschaft der politische Umbruch und damit die Wende zu einem de- Fast zwei Generationen sind in der SBZ/DDR mokratischen Rechtsstaat abzeichneten. herangewachsen, die seit dem Umbruch daran- gehen, sich Kenntnis und Meinung über die Der Blick der Menschen zwischen Ostsee und Zeit nach Kriegsende in ihrem Lande zu ver- Erzgebirge ist heute wohl eher auf die Gegen- schaffen. Ich will bei diesem ehrlichen Bemü- wart und Zukunft gerichtet. Aber niemand kann hen auch nicht jene Wissenschaftler, Bildungs- ohne seine Vergangenheit leben- auch nicht die politiker und Historiker ausklammern, die noch verantwortlichen Politiker und erst recht nicht vor geraumer Zeit an den Hochschulen die kom- agierende Parteien, was immer sie auf ihre Fah- munistische Ideologie interpretiert haben und nen geschrieben haben. damit die Machtstrukturen der Herrscher um Die Verfolgung von Sozialdemokraten hatte Honecker zu rechtfertigen suchten. Verblen- schon Tradition seit den Zeiten der Reichsgrün- dung und Fehler dieser Akademiker sollten uns dung unter Bismarck. Ungleich grausamer und aber nicht daran hindern, Einsichten und Er- systematischer zog sich unter Hitler und Stalin kenntnisse zu vermitteln, die einen tragfähigen bis Ulbricht und schließlich bis Honecker und gemeinsamen Lebensweg in die Zukunft er- Mielke eine Blutspur durch Etappen jüngster möglichen. deutscher Geschichte, die Leid gebracht und So wollen wir mit den nachfolgenden Materia- unzählige Opfer gekostet hat. lien zur Geschichte der Sozialdemokratischen Wer die Hölle der Nazi-KZs oder die der kom- Partei in Mitteldeutschland und der Verfolgung munistischen Internierungslager und Haftan- der mit ihr verbundenen Menschen einen Bei- stalten überlebt hat, muß das Trauma dieser trag leisten. Dies um so mehr, als sich jetzt die unmenschlichen Vergangenheit täglich neu Erwartung von mir und vielen meiner Weg- überwinden. gefährten erfüllt hat, daß die Sozialdemokra-

5 tische Partei in Deutschland wieder eins ist und den nachfolgenden Materialien gerne voran- daran mitwirkt, die von Recht, Freiheit und gestellt. Menschenwürde getragene demokratische Ge- Diese Broschüre wurde 1990 unter dem Titel sellschaft zu gestalten. „Sozialdemokraten im Kampf gegen die rote In Fernsehsendungen und Zeitungsinterviews Diktatur unter Stalin und Ulbricht" zum ersten- wurde ich oft gefragt, wieviele Opfer an Ver- mal veröffentlicht. Da nach wie vor eine große folgten, Internierten, Verhafteten und zu Tode Nachfrage nach dieser Dokumentation besteht, Gequälten es seit 1945 in der SBZ/DDR gege- wird sie hiermit, ergänzt um einige Materialien, ben habe. Wer kennt und zählt heute noch die neu aufgelegt. Namen derer, die als Sozialdemokraten, als Wi- Zusätzlich aufgenommen wird, stellvertretend derstandskämpfer gegen das kommunistische für viele Tausende, eine Liste von über 150 So- Regime oder als Internierte unter fadenscheini- zialdemokraten, die in der SBZ und der frühe- gen Gründen in den Lagern, Untersuchungsge- ren DDR zu hohen Freiheitsstrafen verurteilt fängnissen und Haftanstalten zu Tode gequält wurden. Darüber hinaus wird eine Dokumenta- wurden, verhungerten oder an Tbc gestorben tion des Kongresses ehemaliger politischer sind und namenlos verscharrt wurden? Unzäh- Häftlinge in der SBZ/DDR 1961 in Bonn mit lige Tote und Vermißte gehen auf das Konto der einer Rede des Parteivorsitzenden Erich Ollen- Kommunisten und ihrer Ideologie. Mahnung hauer ebenso eingefügt wie Stellungnahmen genug, nicht nur ein neues Blatt der Geschichte Willy Brandts zu den sozialdemokratischen aufzuschlagen, sondern auch den Spuren der Opfern des Stalinismus. In einem Brief ehema- Täter und Verfolgten nachzugehen. Den heute liger politischer Häftlinge an das Zentralko- noch trauernden Angehörigen und vor allem mitee der SED vom 31. März 1971 wird die den Opfern sind wir dies schuldig. Größenordnung dieser Opfer genannt. Danach „Grüßt meine Kinder und denkt an uns, wenn ist allein für die Jahre 1948-50 die Rede von Ihr mal wieder in Freiheit lebt!" Dies waren die 200.000 Sozialdemokraten, die auf die eine letzten Worte von Hermann M. in Bautzen, be- oder andere Weise vom SED-Regime ge- vor ihn die Kräfte verließen. Nach Jahren der maßregelt, verfolgt oder zur Flucht getrieben Verfolgung und KZ-Haft unter den Nazis en- worden sind; über 5.000 Sozialdemokraten dete sein politischer Weg nun unter dem Terror schmachteten danach lange Jahre in den Ker- von Stalin und Ulbricht. - Ich kann die vielen kern der Kommunisten - 400 verloren ihr Le- Freunde und Mitstreiter nicht vergessen, die in ben für ihre politische Überzeugung. Waren es Sachsenhausen, Buchenwald, Bautzen, Torgau, gar mehr? Wurden die vielen namenlos Ver- Waldheim oder sonstwo in den Gefängnissen scharrten und Verschollenen dabei mitgezählt? des NKWD oder des jämmerlich umge- Noch wissen wir es nicht. Es bleibt zu hoffen, kommen sind. daß dieser dunkle Teil unserer Geschichte bald näher beleuchtet und erforscht wird. In ihrem Andenken habe ich diese Zeilen auch heute mit einigem Herzblut geschrieben und Dieter Rieke

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Sozialdemokraten, die in der SBZ und frühen DDR zu hohen Freiheitsstrafen verurteilt wurden Beispiele für viele Tausende

Die Zahl der Opfer aus den Reihen der Sozialdemokratie in der Sowjetischen Besatzungszone und späteren DDR war groß. Jede Liste mit Namen der Opfer kann nur unvollständig sein. Die folgende Zusammenstellung bezieht sich in hohem Maße auf Sozialdemokraten, die wegen ihres Widerstandes gegen die erzwungene Vereinigung von SPD und KPD zur SED 1946 und ihres Eintretens für Recht und Freiheit in der kommunistisch beherrschten SBZ/DDR verhaf- tet und zu hohen Freiheitsstrafen verurteilt wurden. Viele dieser aufrechten Sozialdemokraten haben ihren Einsatz für die Menschenrechte in der Haft oder kurz nach ihrer Entlassung mit dem Leben bezahlt. Die Urteile von zumeist 25 Jahren fällten sowjetische Militärtribunale (SMT), häufig auch durch Fernurteil. Verbüßt werden mußte ein großer Teil der langen Haftstrafen in Arbeits- lagern der UdSSR wie Workuta, Orscha, Tapiau, Rudnik, Mordwinia, und in den Internie- rungslagern der Sowjetischen Besatzungszone Buchenwald; Sachsenhausen, Torgau, Mühlberg sowie in den Gefängnissen und Zuchthäusern Bautzen, Waldheim, Brandenburg-Goerden, Halle, Luckau, Hoheneck, Hohenschönhausen, Bützow-Dreibergen, um nur einige zu nennen.

Arnold, Wilfried Behnisch, Bernhard 1954 verhaftet; lebenslänglich; 1952 verhaftet; lebenslänglich in Haft verstorben Benke, Erich Auschill, Horst 1946 verhaftet; 10 J. Zwangsarbeit 1948 verhaftet; 1954 entlassen Berg, Paul Backhaus, Alfred 1952 verhaftet; zum Tode verurteilt 1946 verhaftet; 20 J. Zwangsarbeit Berger, Siegfried Baran, Günter 1953 verhaftet; 7 J. Zwangsarbeit 1953 verhaftet; 12 J. Zwangsarbeit Bienert, Franz Bauer, Willy 1951 verhaftet; spurlos verschwunden 1952 verschleppt; 10 J. Zuchthaus Blawert, Winfried Baumann, Emma 1956 verhaftet; 15 J. Zuchthaus 1948 verhaftet; 1954 entlassen Böttcher, Lothar Becker, Horst 1952 verhaftet; 10 J. Gefängnis 1952 verhaftet; 9 J. Zuchthaus Boldt, Lothar Beese, Heinrich 1949 verhaftet; 25 J. Zwangsarbeit 1949 verhaftet; 25 J. Zwangsarbeit Bonkas, Hans Beissel, Bernhard 1949 verhaftet; zum Tode verurteilt; 1947 verhaftet; 25 J. Zwangsarbeit 25 J. Zwangsarbeit Beiersdorf, Willi Bordihn, Peter 1946 verhaftet; 10 J. Zwangsarbeit 1948 verhaftet; 10 J. Lagerhaft

7 Bornschein, Heinz Fritzsche, Heini 1949 verhaftet; 25 J. Zwangsarbeit 1951 verhaftet; 25 J. Zwangsarbeit Bredenbeck, Julius Gallert, Emil 1948 verhaftet; 25 J. Zuchthaus 1953 verhaftet; 15 J. Zuchthaus Breslauer, Harrt' Gast, Willi 1948 verhaftet; 10 J. Zuchthaus 1955 verhaftet; 15 J. Zuchthaus Broh, Charlotte Gatte, Wilhelm 1948 verhaftet; 10 J. Zwangsarbeit 1955 verhaftet; 8 J. Zuchthaus Brünig, Willi Geißler, Helmut 1947 verhaftet; 25 J. Arbeitslager 1949 verhaftet; 25 J. Zuchthaus Brundert, Willi Gerull, Heinz 1950 verhaftet; 15 J. Zuchthaus 1950 verhaftet; 25 J. Zwangsarbeit Bruschwitz, Günter Geye, Fritz 1948 verhaftet; 25 J. Zuchthaus 1947 verhaftet; 25 1. Arbeitslager Busch, Wilfred Gosselck, Claus-Hinrich 1948 verhaftet; 1955 entlassen 1950 verhaftet; 25 J. Zuchthaus Christiansen, Berthold Grabe, Kurt 1948 verhaftet; 25 J. Zwangsarbeit 1948 verhaftet; 3x25 J. Zuchthaus Czyrny, Erich Grohmann, Paul 1949 verhaftet; 25 J. Zwangsarbeit 1949 verhaftet; 25 J. Zuchthaus Dietze, Hildegard Grünberg; Kurt 1948 verhaftet; 25 J. Zwangsarbeit 1948 verhaftet; 25 J. Zwangsarbeit Donath, Horst Haufe, Arno 1953 verhaftet; 10 J. Zuchthaus 1948 verhaftet; 25 J. Zwangsarbeit Dorfmeister, Ewald Heft, Hans 1947 verhaftet; 10 J. Zwangsarbeit 1 954 verhaftet; 25 J. Zwangsarbeit Drescher, Fritz Heinicke, Fritz 1948 verhaftet; 1955 entlassen 1948 verhaftet; 10 J. Zwangsarbeit Eckardt, Curt Heinrich, Karl 1948 verhaftet; 25 J. Zwangsarbeit 1945 verhaftet; in Haft verstorben Eger, Karl Heinze, Gerhard 1949 verhaftet; 25 J. Zwangsarbeit 1947 verhaftet; 10 J. Zwangsarbeit Fank, Max Helwig-Wilson, Hans-Joachim 1949 verhaftet; 25 J. Zwangsarbeit 1961 verhaftet; 13 J. Zuchthaus Fischer, Dorothea Henning, Rudolf 1949 verhaftet; 25 J. Zwangsarbeit 1946 verhaftet; in Haft verstorben Förster, Horst Hesse, Will 1947 verhaftet; 25 J. Zuchthaus 1948 verhaftet; 25 J. Zwangsarbeit Friedland, Walter Heubeck, Willi 1949 verhaftet; 1956 entlassen 1949 verhaftet; 25 J. Zuchthaus

8 Heyden, Charlotte Knaack, Walter 1947 verhaftet; 25 J. Zwangsarbeit 1949 verhaftet; 25 J. Arbeitslager Heynitz, Benno von Knipp, Richard 1 947 verhaftet; 25 J. Zwangsarbeit 1948 verhaftet; 25 J. Zwangsarbeit Hildebrandt, Manfred Koch, Hilmar 1 959 verhaftet; 7 J. Zuchthaus 1946 verhaftet; 10 J. Zwangsarbeit Hiller, Helmut Kochan, Ernst 1949 verhaftet; 25 J. Zwangsarbeit 1 950 verhaftet; 25 J. Zwangsarbeit Himmelreich, Alfred Köhler, Willi 1949 verhaftet; 1956 entlassen 1946 verhaftet; 1954 entlassen Hoch, Ludwig Körbecher, Karl 1948 verhaftet; 25 J. Zwangsarbeit 1948 verhaftet; 25 J. Zwangsarbeit Hoppe, Paul Kohl, Heinz 1 948 verhaftet; 25 J. Arbeitslager 1949 verhaftet; zum Tode verurteilt; dann 25 J. Zwangsarbeit Horn, Fanny 1949 verhaftet; 25 J. Zwangsarbeit Kopka, Hans 1949 verhaftet; 1957 entlassen Irmler, Willi 1954 verhaftet; 25 J. Zwangsarbeit Kowohl, Horst 1949 verhaftet; 25 J. Zuchthaus Jaensch, Theo 1949 verhaftet; 25 J. Zwangsarbeit Kracht, Fritz 1948 verhaftet; 25 J. Zuchthaus Jelonnek, Klaus 1948 verhaftet; 1954 entlassen Kreutzer; Hermann 1949 verhaftet; 25 J. Zwangsarbeit Jesse, Willi 1946 verhaftet; ohne Urteil in sibirischem Kreutzer; Paul Schweigelager; 1954 entlassen 1949 verhaftet; 1956 entlassen

Kabel, Fritz Krüger, Otto 1948 verhaftet; 1956 entlassen 1950 verhaftet; 25 J. Zwangsarbeit Kabot, Gerhard Kruggel, Otto 1948 verhaftet; 25 J. Zwangsarbeit 1951 verhaftet; 15 J. Zuchthaus Kade, Heinz Kues, August 1948 verhaftet; 1956 entlassen 1945 verhaftet; im Lager verstorben Kaderschafka, Gerhard Kunze, Horst 1949 verhaftet; 25 J. Zwangsarbeit 1948 verhaftet; 1956 entlassen Kaufmann, Ewald Lange, Horst 1949 verhaftet; 20 J. Zuchthaus 1948 verhaftet; 10 J. Zwangsarbeit

Keil, Helmut Langguth, Alfred 1949 verhaftet; zum Tode verurteilt; 1949 verhaftet; zum Tode verurteilt; dann 3x25 J. Zuchthaus dann 3x25 J. Zwangsarbeit Kewald, Adolf Lauschke, Heinz 1950 verhaftet; 25 J. Zuchthaus 1949 verhaftet; 1955 entlassen

9 Lehmann, Heinz Pfaffenzeller, Bernhard 1949 verhaftet; 25 J. Zuchthaus 1949 verhaftet; 15 J. Zuchthaus Leuendorf, Hans Polenz, Hermann 1946 verhaftet; in Haft verstorben 1948 verhaftet; 20 J. Zwangsarbeit Lippschütz, Alfred Quade, Heinz 1948 verhaftet; 25 J. Arbeitslager 1948 verhaftet; 25 J. Zwangsarbeit Luther, Moritz Reckstadt, Otto 1949 verhaftet; 25 J. Zuchthaus 1953 verhaftet; 8 J. Zuchthaus Majunke, Richard Richter, Gerhard 1956 verhaftet; 1965 entlassen 1948 verhaftet; 1956 entlassen Maletzki, Gustav Rieke, Dieter 1955 verhaftet; 8 J. Zuchthaus 1948 verhaftet; 25 J. Zuchthaus Malz, Ingeborg Rothe, Paul 1948 verhaftet; 25 J. Zwangslager 1954 verhaftet; 8 J. Zuchthaus Marquardt, Hans-Georg Rudolph, Karl 1953 verhaftet; 12 J. Zuchthaus 1949 verhaftet; in Haft verstorben Matthias, Kurt Rüdiger, Werner 1949 verhaftet; 25 J. Zuchthaus 1949 verhaftet; 1954 entlassen Matuschek, Wilhelm-Georg Sippel, Robert 1949 verhaftet; 25 J. Zuchthaus 1953 verhaftet; verschollen Matuschke, Trude Soosten, Gerhard von 1949 verhaftet; 25 J. Zwangsarbeit 1949 verhaftet; 1956 entlassen Möhring, Hermann Sperling, Gerhard 1952 verhaftet; 25 J. Zwangsarbeit 1 946 verhaftet; verschollen Müller, Peter Svoboda, Gerda 1952 verhaftet; 15 J. Zuchthaus 1948 verhaftet; 25 J. Zuchthaus Nestler, Moritz Szillat, Paul 1949 verhaftet; 25 J. Zwangsarbeit 1 950 verhaftet; 8 J. Zuchthaus Neubert, Helmut Schaffner, Erwin 1949 verhaftet; 25 J. Zuchthaus 1949 verhaftet; 25 J. Zuchthaus Neugebauer, Else Schlierf, Günther 1950 verschleppt; 25 J. Zuchthaus 1948 verhaftet; 25 J. Zuchthaus Noack, Heinz Schultheiß, Franklin 1948 verhaftet; 25 J. Zuchthaus 1949 verhaftet; 1956 entlassen Otto, Karl Schulz, Albert 1953 verhaftet; 12 J. Zuchthaus 1947 verhaftet; 10 J. Zwangsarbeit Otter, Lothar Schulz, Robert 1949 verhaftet; 25 J. Arbeitslager 1947 verhaftet; 2x25 J. Zuchthaus Pester, Karl Steglich, Johannes 1947 verhaftet; 1954 entlassen 1949 verhaftet; 25 J. Zuchthaus

10 Steiner, Walter Vollrath, Horst 1949 verhaftet; 25 J. Zwangsarbeit 1949 verhaftet; 25 J. Arbeitslager Stelling, Helmut Vorsatz, Helmut 1948 verhaftet; 25 J. Arbeitslager 1947 verhaftet; 2'5 J. Zwangsarbeit Steyer, Leo Wähler, Günter 1948 verhaftet; 251. Zuchthaus 1946 verhaftet; 101. Zuchthaus Tantz, Heinz Weck, Gerhard 1955 verhaftet; 1965 entlassen 1948 verhaftet; 1956 entlassen Thorwardt, Willi Wegel, Rolf 1948 verhaftet; 1953 entlassen 1949 verhaftet; 1956 entlassen Thurow, Irmgard Wehrstedt, Rudolf 1949 verhaftet; 1954 entlassen 1961 verhaftet; 12 J. Zuchthaus Trabalski, Stanislaw Wend; Arno ab 1947 mehrfach verhaftet und 1948 verhaftet; 25 J. Zwangsarbeit zu Jahren Zuchthaus verurteilt Wenzel, Hermann Trautner, Paul 1946 verhaftet; 15 J. Zuchthaus 1949 verhaftet; 1956 entlassen Wesemeyer, Albert 1948 verhaftet; 25 J. Zwangsarbeit Uhlmann, Fritz 1949 verhaftet; 25 J. Zwangsarbeit Winde, Karl 1949 verhaftet; 25 J, Arbeitslager Voigt, Albrecht 1948 verhaftet; 25 J. Arbeitslager Zabel, Fritz 1948 verhaftet; 20 J. Zwangsarbeit

1 1 Die zwangsweise Vereinigung von KPD und SPD Eine Argumentation der Grundwertekommission beim Vorstand der SPD

Im Juli 1990 veröffentlichte die Grundwerte- das größte Opfer gebracht, das je eine Partei kommission beim Parteivorstand der SPD in bringen konnte, die Einheit der Partei." Bonn eine Ausarbeitung ihres Mitglieds Prof. Dr. Susanne Miller zu Fragen der Zwangs- Nach Ende des Ersten Weltkrieges kam es zur vereinigung von KPD und SPD zur SED im Zusammenarbeit zwischen Mehrheitssozial- Jahre 1946. In dieser Ausarbeitung werden die demokratie und USPD, die aber schon nach wichtigsten Ereignisse, Strömungen, Fakten und einigen Wochen im Streit endete. Durch die Entscheidungen im Zusammenhang mit den Gründung der KPD und ihre zunehmende Ab- damaligen Vorgängen dargestellt. hängigkeit von Moskau wurden die Konflik- te innerhalb der linken Arbeiterbewegung wei- Seit der Wende in der DDR ist dieser Teil der ter verschärft. Sie wurde dadurch - zusätzlich deutschen Geschichte erneut ins Blickfeld ge- zu anderen Faktoren - so geschwächt, daß sie raten. Der Opfergang der SPD unter der kom- der Instabilität der Weimarer Republik nicht munistischen Herrschaft in der damaligen so- ausreichend entgegenwirken konnte. Ein ge- wjetisch besetzten Zone Deutschlands ist ein meinsamer Kampf von SPD und KPD gegen Teil unserer Zeitgeschichte, der Beachtung und den Nationalsozialismus wurde selbst in der stete Erinnerung verdient. Endphase der Republik nicht geführt.

Während der NS-Diktatur entstand menschli- 1. Das Ideal der Einheit der che Solidarität zwischen Sozialdemokraten und Arbeiterbewegung Kommunisten, politisch stimmten sie aber fast Seit dem Zusammenschluß von „Lassalleanern" nur in ihrer Feindschaft gegen das NS-Regime und „Eisenachern" (den Anhängern von August überein. Bei vielen von ihnen lösten jedoch die Bebel und Wilhelm Liebknecht) im Jahre 1875 Erfahrung der katastrophalen Niederlage der hatte die deutsche Sozialdemokratie trotz in- Arbeiterbewegung und der grausamen Verfol- nerparteilicher Auseinandersetzungen und gung ihrer Mitglieder die Überzeugung aus, daß Richtungskämpfe ihre organisatorische Einheit nach dem Sturz des NS-Regimes die Spaltung bis 1916/17 bewahrt. Sie zerbrach im Ersten der Arbeiterbewegung überwunden werden Weltkrieg an unüberbrückbaren politischen Ge- müsse. Diesem Gedanken hatte bereits das gensätzen, die durch Stichworte ganz grob ge- „Prager Manifest" des SPD-Exilvorstandes vom kennzeichnet werden können. Für die Mehrheit Januar 1934 Ausdruck gegeben. Es hatte im der SPD und fast alle Gewerkschaften: Bewilli- Exil aber keine nachhaltige Wirkung. Vor allem gung der Kriegskredite, Einhaltung des innen- die Moskauer Schauprozesse und das Verhalten politischen Burgfriedens für die Dauer des der Kommunisten im Spanischen Bürgerkrieg Krieges. Für die Sozialdemokratische Arbeits- schreckten auch frühere Befürworter einer gemeinschaft USPD und Spartakusgruppe: Einheitsfront von einer Zusammenarbeit mit Verharren in der Rolle einer grundsätzlichen, den Kommunisten ab. Am Versuch, im Pariser international orientierten Opposition. Im Rück- Exil eine Volksfront unter dem Vorsitz von blick auf die Politik der Mehrheitssozialde- Heinrich Mann zu schaffen, beteiligten sich nur mokratie im Kriege erklärte ihr Parteivorsitzen- einige Sozialdemokraten. In London gelang es der Otto Wels 1925: „Wir haben unserem Volk den Mitgliedern des SPD-Exilvorstandes Hans

12 Vogel und Erich Ollenhauer während des Zwei- in einigen Gebieten ihre Presse auf und gewann ten Weltkrieges die „Union Deutscher Soziali- so viel Selbstbewußtsein, daß im September stischer Organisationen in Großbritannien" ins 1945 , der Vorsitzende des ZA, Leben zu rufen; Kommunisten gehörten ihr einen eigenständigen Führungsanspruch der ausdrücklich nicht an. Die meisten Mitglieder SPD zum Ausdruck brachte. der in der „Union" zusammengeschlossenen An der von Kurt Schumacher, dem führenden Organisationen traten nach dem Krieg in die Mann der SPD im Westen, für den 5. und 6. Ok- SPD ein. tober 1945 nach Wennigsen bei Hannover ein- Während die Besatzungsmächte in den West- berufenen Konferenz nahmen Delegierte aus zonen die Genehmigung für die Gründung poli- den drei Westzonen und als Gäste Vertreter des tischer Parteien hinauszögerten, bildeten sich Berliner Zentralausschusses und des Londoner dort-oft durch sozialdemokratische Initiative- Exil-Vorstandes der SPD teil. Schumacher setz- Aktionskomitees mit Sozialdemokraten und te sich mit seiner Entscheidung durch, dem Kommunisten als Mitglieder, meist als „Antifa- Berliner ZA eine Zuständigkeit nur für die So- schistische Ausschüsse" bezeichnet. Sie hatten wjetische Besatzungszone zuzugestehen, was durchweg eine nur kurze Lebensdauer aus ver- Grotewohl und die anderen ZA-Mitglieder ent- schiedenen Gründen: Verbot durch die Be- täuschte und ihre Position schwächte. satzungsbehörden, negative Erfahrungen in der Kurz vor der Wennigsener Konferenz hatten Zusammenarbeit mit Kommunisten, Selbstauf- die Kommunisten ihre Taktik geändert. Wahr- lösung, weil die unmittelbaren Aufgaben erfüllt scheinlich wegen der zunehmenden Resonanz, waren. die Sozialdemokraten in der SBZ fanden - der so entstandene Eindruck wurde später noch 2. Die erzwungene Vereinigung verstärkt durch die Wahlniederlagen der Kom- von SPD und KPD munisten in Österreich und in Ungarn -, waren Durch den „Befehl Nr. 2" vom 11. Juni 1945 es nun die SMAD und die KPD, die auf die hat die Sowjetische Militäradministration in organisatorische Verschmelzung mit der SPD Deutschland (SMAD) „die Schaffung und Tä- drängten. Die ihnen reichlich zur Verfügung tigkeit aller antifaschistischen Parteien" in ih- stehenden Mittel setzten sie ein, um auf die rem Machtbereich erlaubt. Daraufhin erließen Sozialdemokraten Druck auszuüben. Die Reak- am 11. Juni 1945 das Zentralkomitee der KPD tion der Sozialdemokraten in der SBZ war eine und am 15. Juni 1945 der Zentralausschuß (ZA) wachsende, jedoch nicht einmütige Ablehnung der SPD in Gründungsaufrufe. Die So- des Zusammenschlusses mit den Kommuni- zialdemokraten traten in diesem Aufruf für die sten. Ein vom Berliner ZA-Mitglied Erich organisatorische Einheit mit den Kommuni- Gniffke unternommener Versuch, in einem Ge- sten ein; in der Sozialdemokratie, auch in den spräch mit Schumacher die Unterstützung der Westzonen, traf der Gedanke der Einheitspar- Westzonen-SPD für den ZA zu gewinnen, um tei durchaus auf Resonanz, die allerdings mehr dessen Position gegenüber den Kommunisten emotional als politisch-programmatisch begrün- zu stärken, blieb erfolglos. det war. Der KPD-Aufruf enthielt dagegen ein Einen entscheidenden Schritt zur organisatori- Bekenntnis zur parlamentarischen Demokratie schen Verschmelzung bildete die von den Kom- und forderte die Errichtung eines „antifa- munisten initiierte Konferenz in Berlin am schistisch-demokratischen Regimes" mit allen 20./21. Dezember 1945, die von je dreißig Ver- Rechten und Freiheiten für das Volk. tretern der SPD und der KPD beschickt wurde, Obwohl die KPD, im Gegensatz zur SPD, von die „Sechziger Konferenz". Grotewohls Be- der SMAD in jeder Beziehung massiv unter- schwerde über den „undemokratischen Druck" stützt wurde, erreichte die SPD in ihren traditio- auf die Sozialdemokraten und seine Erklärung, nellen Zentren ihre ehemalige Stärke, baute daß erst nach „vorbehaltloser Aufgabe aller trotz aller Behinderungen ihre Organisation und unzulässiger Einflußnahme auf die SPD" der

13 ZA zur Vorbereitung der Einheit in der Lage sei, 3. Die Entwicklung der SED zu einer wurden nicht von allen SPD-Delegierten unter- „Partei neuen Typus" stützt. Die auf der Konferenz offensichtlich Zwischen Dezember 1945 und April 1946 wur- gewordenen Meinungsverschiedenheiten unter den nach einer Mitteilung von Erich Ollenhauer den Sozialdemokraten trugen dazu bei, daß die aus dem Jahre 1961 „mindestens 20.000 Sozial- Kommunisten ihre Resolution für eine baldige demokraten gemaßregelt, für kürzere oder auch Vereinigung beider Parteien mit einigen Kon- für sehr lange Zeit inhaftiert, ja sogar getötet". zessionen an die Sozialdemokraten durchbrin- Nach der Gründung der SED wurden die Ver- gen konnten. folgungen fortgesetzt und verstärkt. Einen Versuch, die Absichten der KPD zu durch- Sozialdemokratischer Einfluß wurde mehr und kreuzen, unternahm die SPD in Berlin. In einer mehr zurückgedrängt und schließlich völlig aus- Urabstimmung, die im Ostsektor der Stadt vom geschaltet. Sozialdemokraten, die anfangs zu sowjetischen Stadtkommandanten verboten den eifrigsten Wortführern der Einheit der Ar- wurde, legte sie ihren Mitgliedern zwei Fragen beiterbewegung gehörten, wie Hermann L. Brill, vor: „Bist Du für den sofortigen Zusammen- Gustav Dahrendorf, Erich Gniffke, mußten in schluß beider Arbeiterparteien?" Dies wurde den Westen flüchten, weil sie in der SBZ/DDR von 82,2 % der Abstimmenden (23.755 So- nicht mehr wirken konnten und sich persönlich zialdemokraten) verneint. Hingegen bejahten gefährdet fühlten. „Sozialdemokratismus" wur- 62,1 % die Frage: „Bist Du für ein Bündnis de von den Kommunisten als eine verwerfliche beider Parteien, welches gemeinsame Arbeit Gesinnung gebrandmarkt und mit Maßnahmen sichert und den Bruderkampf ausschließt?" Die- bestraft, die denen der Nazis sehr ähnlich wa- ses Ergebnis einer Abstimmung von Sozialde- ren. So hatten Sozialdemokraten die Wahl, die mokraten, die nicht wie in der SBZ unter Pres- SBZ bzw. die DDR zu verlassen-was nach dem sionen und Bedrohungen standen, zeigte ihre Mauerbau sehr schwierig wurde -, sich aus dem Bereitschaft zur Zusammenarbeit mit Kommu- öffentlichen Leben völlig zurückzuziehen - so- nisten, wenn die SPD dabei ihre Eigenständig- weit dies möglich war-, oder sich dem Regime keit und Gleichberechtigung wahren könnte. anzupassen. Der sozialdemokratische Widerstand gegen eine Von 1948 an wurde die SED eine bolschewisti- organisatorische Vereinigung mit der KPD ent- sche „Partei neuen Typus", die von den sprach so sehr einer weitverbreiteten Stimmung, Organisationsprinzipien und den ideologischen daß sich die Zahl der SPD-Mitglieder in der Grundsätzen des Bolschewismus geleitet, die SBZ und in Berlin von 376.000 Ende Dezem- „führende Rolle" der KPdSU bedingungslos ber 1945 bis Ende März 1946 auf 680.000 er- akzeptierte. Dies als stalinistische Entartung höhte. Die Stabilisierung der Sozialdemokratie des Marxismus-Leninismus zu bezeichnen, wäre als führende politische Kraft verstärkte die Ent- verfehlt. Denn die Anforderungen, die an die schlossenheit der Kommunisten, mit Hilfe der „Partei neuen Typus" gestellt wurden, stimm- Besatzungsmacht den Einfluß der SPD auszu- ten weitgehend mit den 1920 von Lenin erlas- schalten. Am 21./22. April 1946 fand in Berlin senen einundzwanzig Bedingungen für den der Vereinigungsparteitag statt, also die Grün- Anschluß einer Partei an die Kommunistische dung der Sozialistischen Einheitspartei Internationale überein. In diesen „Bedingun- Deutschlands (SED), und damit das Ende der gen" wurde das „Prinzip des demokratischen SPD in der SBZ/DDR. Nur im Ostsektor Ber- Zentralismus", das heißt die bedingungslose lins bestand sie bis 1961 weiter. Unterwerfung der kommunistischen Parteien unter das Diktat der Moskauer Zentrale, festge- legt. Es verlangte u.a. die Entfernung aller „reformistischen" Kräfte; eine kommunistische Tätigkeit innerhalb der Gewerkschaften, der

14 Betriebsräte und anderer Massenorganisatio- 5. Zur Beurteilung des Verhaltens der nen; die Beseitigung von allen „unzuverlässi- SPD der Westzonen gen Elementen" aus den Parlamentsfraktionen War Kurt Schumachers entschiedene Haltung und „von Zeit zu Zeit" vorzunehmende „Säube- gegenüber dem Berliner ZA und der SPD in der rungen" (neue Registrierungen) des Bestandes SBZ von Anfang an richtig? Diese Frage ist in ihrer „Parteiorganisation". der historisch-politischen Diskussion umstritten, und es gibt wohl keine eindeutigen und generell 4. Die Blockparteien überzeugenden Antworten auf sie. Sicher ist, Ende Juni/Anfang Juli 1945 sind in der SBZ daß Schumachers strikte Ablehnung einer Zu- die CDU und die LDPD (Liberal-Demokrati- sammenarbeit mit Kommunisten seiner Über- sche Partei Deutschlands) zugelassen worden. zeugung entsprang, daß die Achtung der Men- Am 14. Juli 1945 wurde der „Block Antifaschi- schen- und Bürgerrechte und der Regeln der stisch-Demokratischer Parteien" gegründet, dem parlamentarischen Demokratie die Vorausset- SPD, KPD, CDU und LDPD angehörten. Es zung einer politischen Kooperation bilden müß- wurde festgelegt, daß ihr Ausschuß Beschlüsse te. Die Politik der Sowjetunion und der KPD nur einstimmig fassen dürfe. Nach und nach seit ihrer Gründung stand im krassen Gegensatz wurde der „Block" um die „gesellschaftlichen zu dieser Voraussetzung. Schumachers Beur- Massenorganisationen" - Bauernvereinigung, teilung der Kommunisten und die Konsequen- Frauenbund, Kulturbund, Gewerkschaften, FDJ, zen, die er aus ihr zog, wurden fast ausnahmslos sämtlich von der SED geführt - erweitert. Im von der gesamten SPD im Westen geteilt und Frühjahr 1948 kamen zwei weitere Parteien, die unterstützt, auch von denen, die zunächst die Nationaldemokratische Partei und die Demo- Schaffung einer Einheitspartei angestrebt hat- kratische Bauernpartei, hinzu. Diese Parteien ten. Schumachers Grundauffassung vom un- hatten, so (Kleine Geschichte trennbaren Zusammenhang von Demokratie und der DDR, Köln 1980, S. 58), eine Alibifunktion: Sozialismus führte ihn zur Aufgabe der Einheit Verschleierung der kommunistischen Einpar- der Partei um der Freiheit willen, noch bevor die teienherrschaft und Vortäuschung einer plura- Einheit Deutschlands in Frage gestellt war. Erst listischen Demokratie, eine gesamtdeutsche durch den Trennungsstrich gegenüber dem Osten Funktion: Kontakte zum Westen und eine erschien es ihm und der überwiegenden Mehr- Transmissionsfunktion: Verbreitung der Vor- heit der Sozialdemokraten möglich, ein poli- stellungen der SED in anderen Bevölkerungs- tisch-programmatisches und politisch-strategi- gruppen, z.B. durch die CDU in christlichen sches Fundament zu schaffen, von dem aus die Kreisen. deutsche (und die europäische) Einheit zu er- streben war. Es gab in diesen Parteien Menschen und Grup- pen, die der Diktatur der SMAD und der KPD/ Selbst eine kritische Beurteilung von Schuma- SED Widerstand zu leisten versuchten, aber chers Verhalten im einzelnen kann nicht bedeu- Führungspositionen erreichten und behielten ten, daß er die SPD-KPD-Fusion hätte verei- nur diejenigen, die bereit waren, sich dem teln, die Existenz der SPD im sowjetischen SED-Regime zu unterwerfen: In der SPD/SED Machtbereich retten und damit die Einpartei- Otto Grotewohl, in der CDU Otto Nuschke, in diktatur in der DDR hätte verhindern können. der LDPD Wilhelm Külz. Die Blockparteien Die Entwicklung, die sich in der SBZ/DDR bildeten kein Korrektiv zur SED. Sie wurden vollzog, hätte durch eine andere Politik Schu- von ihr vereinnahmt und in ihre menschenver- machers und der West-SPD höchstens verzö- achtenden, repressiven Praktiken verstrickt. Par- gert, nicht aber abgewendet werden können. teipolitiker, die sich dem widersetzten, wurden Was Schumacher in bezug auf seine Partei of- entweder zur Flucht gezwungen oder jahrelang fenbar für aussichtslos hielt und darum unter- unter furchtbaren Bedingungen eingekerkert. lassen hat, wurde von den CDU-Mitgliedern

1 5 Johan Baptist Gradl, Jakob Kaiser, Ernst Rücksicht auf den Eindruck in den Westzonen Lemmer für ihre Partei versucht: sie gesamt- bzw. in der Bundesrepublik nahm und die Chan- deutsch und dem SMAD/KDP-Druck gegen- cen der dort agierenden KPD nicht noch weiter über resistent zu halten. Es ist ihnen völlig verschlechtern wollte. mißlungen, und sie selber wurden in den We- sten getrieben. Wichtiger noch als diese Erfah- Die Haltung der sozialdemokratischen Führung rung ist die Tatsache, daß 1948/49 in allen zur Zeit Kurt Schumachers zeigt, wie konse- Staaten im sowjetischen Machtbereich eine bru- quent Freiheit, Demokratie und Rechtsstaat- tale, von Schauprozessen, Hinrichtungen und lichkeit den Wünschen nach politischer Einheit Einkerkerungen begleitete Bolschewisierung be- der Arbeiterbewegung übergeordnet wurden. trieben wurde. Sie hat vor der SBZ nicht kaltge- In der sowjetisch besetzten Zone wurden die macht. Daß dort keine Schauprozesse stattfan- Sozialdemokraten Opfer des bolschewistischen den, lag wahrscheinlich daran, daß die SED Zugriffs auf die ungeteilte Macht.

16 Wolfgang Leonhard Ein Kronzeuge der damaligen Zeit

Wie es zu der erzwungenen Vereinigung von tische Arbeit in Deutschland. Aber das ist eine Sozialdemokraten und Kommunisten im April Lüge. Für uns Kommunisten, die wir damals in 1946 zur Sozialistischen Einheitspartei gekom- Moskau lebten, gab es nicht die Partei. Wir alle men ist, hat am 25. Februar 1990 im Europa- waren aufgesplittert in unterschiedlichen In- haus von Colditz Prof. Wolfgang Leonhard be- stitutionen. Einige waren im Institut 205 in richtet. Leonhard flüchtete 1935 mit seiner Mut- Rostokino beziehungsweise im Redaktionsstab ter in die UdSSR, absolvierte dort ein Hochschul- des KPD-Senders Deutscher Volkssender`. studium und die Ausbildung an der Komintern- Eine andere Gruppe befand sich im Institut Schule, arbeitete dann im „Nationalkomitee Nr. 99, das war das Stadtbüro des Nationalkomi- Freies Deutschland" und kam 1945 mit der tees, Freies Deutschland `mit der Redaktion des Gruppe Ulbricht nach Berlin. 1949 gelang ihm dazugehörenden Senders, dessen Sprecher ich die Flucht. Der heutige Professor an der Yale- damals war. Es gab Kommunisten, die der Ro- Universität (USA) und weithin bekannte Publi- ten Armee angehörten. Und es gab jene, die als zist veröffentlichte 1955 das Buch„ Die Revolu- Instrukteure in den Kriegsgefangenenlagern tä- tion entläßt ihre Kinder": tig waren. Als große Gemeinschaft getroffen haben wir uns in jener Zeit nicht. Unter Stalin In seinem Vortrag schilderte Prof. Leonhard war das einfach nicht üblich. Erst Ende Februar als Zeitzeuge und Ostexperte nochmals, wie auf 1945 begann für etwa 150 deutsche kommuni- sowjetischen Befehl mit Druck, TerrorundTäu- stische Emigranten im Gebäude des Moskauer schung die Sozialdemokraten in der Sowjeti- Gebietskomitees der Partei ein Schulungskurs. schen Besatzungszone zur Unterwerfung unter Wöchentlich einmal trafen wir uns zu Vorträ- das kommunistische Diktatgezwungen wurden: gen und Aussprachen. Zu uns sprachen Wil- „Im Mai 1945 kam ich mit der Gruppe Ulbricht helm Pieck, Walter Ulbricht, Hermann Matern, von Moskau aus nach Berlin. Bis 1947 war ich Anton Ackermann, Edwin Hoernle und Rudolf Mitarbeiter der Abteilung Agitation und Pro- Lindau. paganda des Zentralkomitees der SED, an- Von der Gründung einer Kommunistischen schließend Lehrer an der SED-Parteihochschule Partei im Nachkriegs-Deutschland war nie die ,Karl Marx`. Aus Opposition gegen den Stali- Rede. Wir hatten auszugehen von einer lang- nismus bin ich im März 1949 unter Lebensge- fristigen Besetzung durch die Einheit der Anti- fahr geflohen. Die Geschichte jener Jahre auf- hitlerkoalition. Sie sei das Unterpfand des Sie- zuarbeiten, ist dringend notwendig, um der ob- ges. Es könne Jahre dauern, bis wieder deutsche jektiven Wahrheit näherzukommen. politische Parteien zugelassen werden; daher die Aufgabe, in örtlichen deutschen Verwaltun- Zur Vorbereitung in Moskau gen - in Übereinstimmung mit den Weisungen der Alliierten - mitzuarbeiten. Sobald deutsche Der DDR-Historiker Horst Laschitza zum Bei- politische Organisationen zugelassen werden, spiel behauptet in seiner Arbeit, Kämpferische müsse eine breite antifaschistisch-demokrati- Demokratie gegen den Faschismus`, daß die sche Massenorganisation unter dem Namen kommunistischen Emigranten in Moskau gründ- ,Block der kämpferischen Demokratie` ge- lich vorbereitet wurden für die zukünftige poli- schaffen werden.

17 Wie ich nach Berlin kam sich dafür eignen. Alle bekamen Listen mit den Namen von Antifaschisten. Zu mir als dem Anfang April 1945 hörte ich in Moskau zum Jüngsten sagte Ulbricht: Du bleibst bei mir, wir ersten Mal von einer ,Gruppe Ulbricht` sowie fahren nach Neukölln. einer, Gruppe Ackermann`, die bald Reisevor- bereitungen zu treffen hätten. Mitte April wur- de mir gesagt, daß erste Gruppen nach Deutsch- Es muß alles demokratisch aussehen land entsandt würden und ich, damals 24 Jahre Am 2. Mai fand dieses erste Zusammentreffen alt, als jüngstes Mitglied zur, Gruppe Ulbricht` Ulbrichts mit 12 Berliner Kommunisten in Neu- gehöre. kölln statt. Die Fahrt ging durch die Ruinen Am 27. April teilte uns Ulbricht mit, daß wir . Es gab kein Licht, kein Wasser. Man am 29. oder 30. April abfliegen. Jeder von uns hörte noch den Einschlag der Geschosse. Er hörte sich nicht an, was die Kommunisten zu erhielt ein Bündel Banknoten, darunter 1.000 Rubel und 2.000 neugedruckte deutsche Nach- sagen hatten, wie sie jene Jahre des Grauens kriegs-Reichsmark. Zuvor werde es noch eine unter dem Faschismus überlebt hatten. Er gab nur Befehle. Und ihn interessierte lediglich, wer Abschiedsfeier bei im Hotel Lux geben. Diese Abschiedsfeier fand am 29. sich wie verhalten hatte während des Faschis- April abends statt, und an jenem Abend lernten mus, wem man noch vertrauen könne. An die- sich die 10 Mitglieder der Gruppe Ulbricht` sem ersten Tag in Berlin erlebte ich meine erste auch erst kennen. Es war ein gemütlicher, bittere Enttäuschung. Wie konnte man so mit freundlicher Abend-und es fiel kein Wort über den Menschen umgehen! unsere Aufgabenstellung in Deutschland. Vom nächsten Tag an begann die organisierte Tätigkeit. Ulbricht erklärte, die Berliner Be- Am nächsten Morgen, dem 30. April, trafen wir zirksverwaltungen müßten, politisch richtig zu- uns früh 6 Uhr in einer Seitengasse des Hotel sammengestellt` sein. Wir brauchten viele für Lux. Ein kleiner Bus brachte uns zum Flug- die Zusammenarbeit, vor allem Sozialdemo- platz. Ulbricht zeigte ein bestimmtes Papier, kraten, aber auch Bürgerliche, speziell Akade- wir wurden sofort durchgelassen und in eine miker mit Doktortitel, sowie antifaschistische amerikanische Transportmaschine DC 3 ge- Geistliche, die mit uns zusammenarbeiten woll- bracht. Mit Ausnahme von Ulbricht wußte nie- ten. Sozialdemokraten sollten vor allem für Er- mand, wo wir landen würden. Wir wußten nur, nährung, Wirtschaft, Soziales und Verkehr ein- wir würden in ein Gebiet kommen, das dem gesetzt werden, denn von Kommunalpolitik ver- Oberbefehl von Marschall Schukow unterstand, stehen sie etwas. Unsere Leute` sollten vor al- und daß es sich um eine Arbeit im Sinne einer lem für Personalfragen, in der Volksbildung, antifaschistisch-demokratischen Umgestaltung für Sicherheitsfragen und beim Aufbau der Deutschlands handeln sollte. Niemandem mehr Polizei eingesetzt werden. Ulbrichts zusam- als das Notwendigste zu sagen, ist ein wesent- menfassende Direktive: Es muß demokra- licher Ausgangspunkt für die Beherrschung der tisch aussehen, aber wir müssen alles in der Menschen. Hand haben.' Die Maschine landete im deutsch-polnischen Grenzbereich auf einem Militärflugplatz. So begannen wir also mit dem Aufbau der Verwaltungen. Eigentlich waren wir nur im Am 1. Mai abends erhielten wir endlich von Auftrag der sowjetischen Kommandantur tätig. Ulbricht die Anweisungen für unsere Arbeit: Wir leiteten alles ein, und sie stempelte alles ab. Wir seien die erste Gruppe von 10 bekannten Trotzdem war ich optimistisch. Wenn in jeder Kommunisten, die nach Berlin kämen: wir soll- Bezirksverwaltung nur vier Kommunisten wa- ten deutsche Selbstverwaltungsorganisationen ren und alles andere demokratisch geschah, in Berlin aufbauen, in die verschiedenen Berli- konnte man doch Hoffnung haben. Es entstan- ner Bezirke fahren, aus antifaschistisch-de- den ja auch spontan antifaschistische Komitees mokratischen Kräften jene heraussuchen, die und Ausschüsse, die dringende Lebensfragen

18 erfolgreich anpackten. Ulbrichts Anweisung, Bodenreform wurde das Land der Großgrund- diese Ausschüsse sofort aufzulösen, weil sich besitzer den landlosen und landarmen Bauern dort Nazis einschlichen, begriffen wir einfach übergeben. Vor uns stand der Aufbau einer de- nicht. Es mag sicher einzelne Personen zwei- mokratischen Republik, die allen Werktätigen felhaften Charakters in diesen Ausschüssen soziale Sicherheit geben sollte. Ich gebe es ger- gegeben haben, aber in der Regel wirkten diese ne zu, wie ich damals geglaubt habe, denn ich Komitees äußerst positiv. Ich habe zu spät be- bin kein Wendehals. griffen, daß es sich in Wirklichkeit um die Im Herbst 1945 begann die große Verunsiche- Furcht Ulbrichts und der sowjetischen Funktio- rung. Die SPD wuchs schneller als die KPD, näre vor jeder Initiative von unten handelte... aller Bevorzugung der KPD zum Trotz. Hinzu kamen Hiobsbotschaften aus dem Ausland. Eine Plötzlicher Bruch schwere Niederlage erlitten die ungarischen Die gesamte Tätigkeit der ,Gruppe Ulbricht` Kommunisten bei den Wahlen in der ersten No- lief unter dem Motto ,antifaschistisch-demokra- vemberhälfte 1945, noch schwerer war die Nie- tisch'. Am 3. Juni war Ulbricht plötzlich ver- derlage der KP bei den österreichischen Par- schwunden. Gemeinsam mit Anton Ackermann, lamentswahlen (wo die SPÖ 76 und die KP nur damals in Chemnitz, und , da- 4 Mandate erhielt). Die Auswirkungen dieser mals in Schwerin, war er nach Moskau geflo- beiden Wahlen spielten bei den Diskussionen gen. Dort erhielten sie am 4. Juni den Befehl im ZK-Apparat, in dem ich damals tätig war, Stalins: Es wird keinen Block der kämpferi- eine große Rolle. Waren doch für 1946 in der schen Demokratie `geben: die Kommunistische Sowjetzone Wahlen vorgesehen, in der die SPD Partei ist sofort zu gründen. Am 10. Juni kehrte möglicherweise die Überlegenheit erringen die Gruppe mit dem KPD-Gründungsaufruf aus könnte. Moskau zurück, am 11. Juni wurde er veröffent- Zum ersten öffentlichen Krach zwischen den licht. Gleichzeitig mit der Gründung der KPD Führungen von SPD und KPD kam es aus Anlaß erhielt sie eine eigene Zeitung unter dem Na- der Revolutionsfeier. Die KPD wollte eine ge- men , Deutsche Volkszeitung'. meinsame Revolutionsfeier mit der SPD gestal- Das KPD-Aktionsprogramm sollte als Grund- ten, in deren Mittelpunkt sowohl die deutsche lage zur Schaffung eines , Blocks der antifaschi- Revolution von 1918 als auch die Oktober- stisch-demokratischen Parteien` gelten. Dabei revolution von 1917 stehen sollten. Die SPD wurden die Kommunistische Partei, die Sozi- lehnte diesen Vorschlag ab. aldemokratische Partei, die Zentrumspartei, , und andere genannt`. Mit der SPD sollte eine Akti- Der Zwang zur Einheitspartei onseinheit angestrebt werden, jedoch keine Ein- Auf der Veranstaltung der KPD am 9. Novem- heitspartei. ber fiel zum ersten Mal der Begriff von der Am 17. Juni wurde die SPD gegründet, und einheitlichen Arbeiterpartei. Und auf der zwei zwar von Erich W. Gniffke unter Mitarbeit von Tage später stattfindenden SPD-Feier hielt Otto Fechner, Dahrendorf und Grotewohl. Zur Bil- Grotewohl seine letzte freie Rede. Die Einheit dung der Zentrumspartei kam es nicht, weil die der Arbeiterbewegung, so Grotewohl, müsse katholische Kirche eine nur ihr allein naheste- auf dem Willen der Mitglieder beider Parteien hende Partei nicht wollte. Dafür entstand für beruhen; sie dürfe nicht auf eine Besatzungs- beide Kirchen am 25. Juni die CDU. Jede die- zone beschränkt sein, sondern müsse in ganz ser Parteien bekam eine eigene Zeitung. Nur Deutschland erfolgen. Grotewohls Rede wurde war damals schon die Auflage der KPD-Zei- in keiner Zeitung der Sowjetzone veröffentlicht tung fünfmal so hoch wie die Auflagen der an- und führte zu heftigen Auseinandersetzungen deren Zeitungen zusammengenommen. i m SPD-KPD-Einheitsausschuß. Ich habe damals geglaubt, wir gingen gemein- Von nun an gab es nur noch einen Kurs, den zur sam in eine antifaschistische Zukunft. Mit der Vereinigung der beiden Arbeiterparteien unter

1 9 dem Namen Sozialistische Einheitspartei 2. Verlogene Versprechungen. Deutschlands. Die SPD war nicht prinzipiell gegen die Historische Darstellungen in der DDR sprechen Vereinigung, aber sie wollte dazu ein Me- immer von einer freiwilligen Vereinigung, im morandum ihrer Mitglieder, forderte also Westen dagegen ist nur von einer Zwangs- Zeit. Noch am 5. Dezember, als die SPD- vereinigung die Rede. Die Wahrheit liegt dazwi- Führer ihre Besorgnisse über die Vereini- schen. gungskampagne zum Ausdruck brachten und Grotewohl fragte, ob es dafür schon einen Man muß sich jener Zeit erinnern. Es geht um bestimmten Termin gäbe, antwortete Pieck: die Monate von November 1945 bis zum April Natürlich nicht. Doch es gab bereits diesen 1946. Kommunisten und Sozialdemokraten hat- konkreten Datumsplan. ten gemeinsam in Konzentrationslagern ge- sessen, hatten gemeinsam gegen den Faschis- 3. Bespitzelung und Diffamierung. mus gekämpft. Sie lebten in der Hoffnung, ge- Die Nr. 4 in der sozialdemokratischen Füh- meinsam mehr erreichen zu können. Noch im rung war Gustav Dahrendorf. Unter den Na- Sommer 1945 war der Wunsch nach Vereini- zis war er Häftling gewesen. Im November gung auch in der Sozialdemokratie recht stark. 1945 bekam einer seiner beiden Söhne vom Doch von Juni bis November 1945 hatten viele sowjetischen den Auftrag, Sozialdemokraten bereits die Erfahrung ge- seinen eigenen Vater zu bespitzeln. Als Va- macht, daß die Kommunisten sich nicht an ihre ter und Sohn sich daraufhin nach Westen Versprechen hielten. Bei der Besetzung von absetzten, löste die KPD-Führung eine Ver- Verwaltungsstellen wurden Sozialdemokraten leumdungskampagne aus. vielfach ausgeschaltet, und im Herbst 1945 häuf- ten sich bereits die Verhaftungen solcher SPD- 4. Bruch von Vereinbarungen. Funktionäre, die sich durch Eigenständigkeit Am 13. Februar 1946 fand die erste Gewerk- oder Treue zu sozialdemokratischen Zielsetzun- schaftsdelegiertenkonferenz statt, um den gen auszeichneten. Dennoch haben schätzungs- FDGB zu konstituieren. Trotz der Vereinba- weise 10 bis 15 Prozent der Sozialdemokraten rung, paritätisch Sozialdemokraten und Kom- die Vereinigung gewollt. munisten zu wählen, gab Ulbricht den Be- fehl an alle Kommunisten, nur Kommunisten Methoden zur Zwangsvereinigung zu wählen. Unter Berufung auf die Verein- barung gab es Protest von unten, von der 1. Ausspielen von SPD-Funktionären gegen- kommunistischen Basis, doch Ulbricht setz- einander. te sich durch. So erhielt die KPD auf dem Die einen wurden schlechtgemacht, den Gewerkschaftskongreß fast eine 3/4-Mehr- anderen bot man Posten an. So säte man das heit und konnte den von Ulbricht vorbereite- Mißtrauen in die SPD. Auch Korruption ten Beschluß über die Vereinigung durchset- spielte eine Rolle. Max Fechner beispiels- zen. An diesem Abend wurde allen klar, daß weise kam von einem Gespräch mit Oberst die Vereinigung am 22. April stattfinden Tulpanow in einem neuen, geschenkten würde, und zwar in dem Verhältnis von BMW zurück und einem Honorar von 700.000 Sozialdemokraten zu 600.000 300.000 Mark für ein Buch, das sein Se- Kommunisten. kretär geschrieben hatte. Den skeptischen Erich W. Gniffke versuchte man über Dank- 5. Geheimmitgliedschaft in anderen Parteien. barkeit zu gewinnen, indem sein Sohn Gerd Die KPD verfügte damals über Geheim- mit einer Sondermaschine aus sowjetischer mitglieder in anderen Parteien. Vertrauens- Gefangenschaft ausgeflogen wurde. Von würdige Kommunisten wurden in andere Marschall Schukow persönlich wurde Gro- Parteien eingeschleust, um dort den Kom- tewohl als führender Mann eingesetzt. munisten dienlich zu sein. Solange die Ar-

2 0 chive geschlossen sind, läßt sich das do- gunsten der Vereinigung zweifellos geför- kumentarisch nicht belegen. Bekannt ist je- dert. doch, daß , der im März 1948 die 7. Verbot der Urabstimmung. NDPD gründete, seit 1932 Mitglied der KPD war. Für die Bauernpartei spielten Golden- Trotz des versprochenen demokratischen baum und Fensch diese Rolle. Bestimmungsrechts der Mitglieder` wurde die sozialdemokratische Urabstimmung am 6. Der sogenannte ,Druck von unten`. 31. März 1946 über die Frage der Vereini- Während die zentrale Führung der SPD der gung im sowjetischen Sektor von Berlin und Vereinigung skeptisch gegenüberstand, kam in der Sowjetzone verboten. Die Urabstim- es von unten zu Druck und sogar Drohun- mung fand nur in Berlin statt. Von den 32.447 gen. Für die Sowjetische Militäradmini- SPD-Mitgliedern stimmten 2.937 für eine stration und die KPD erwies es sich als sofortige Vereinigung; 5.559 waren gegen leichter, auf untere beziehungsweise mittle- jede Vereinigung und gegen jedes Bündnis re Ebenen Druck auszuüben und sie einzu- mit den Kommunisten. Die Mehrheit der schüchtern als auf den SPD-Zentralaus- Berliner Sozialdemokraten, nämlich 14.753, schuß. Dieser von ganz oben organisierte sprach sich für ein Bündnis mit der KPD, , Druck von unten` hat die Entscheidung zu- aber gegen eine sofortige Vereinigung aus."

2 1 Kurt Schumachers Manifest Freiheit in Europa und demokratische Selbstbehauptung

Gegen das kommunistische Diktatursystem, das des deutschen Volkes und zur gleichen Zeit die sich strukturell nicht von dem des Dritten Rei- ideologische Aufpäppelung des deutschen Na- ches unterscheidet, haben sich Anfang 1946 tionalismus. Diese Konzeption hatten sie als zuerst die Sozialdemokraten in den Westzonen Waffe der Diktatur, und praktisch haben damit und in dem damals noch ungeteilten Berlin zur die Sowjets 1945 bereits die Teilung Deutsch- Wehr gesetzt. Dies ist ihr historisches Ver- lands vollzogen... dienst. Man hätte der Welt viel ersparen können, wenn Am 1. März 1951 sprach Kurt Schumacher, man begriffen hätte, daß die Freiheit in der Welt Vorsitzender der westdeutschen SPD, zu den die deutsche Freiheit benötigt. Berlinern und stellte in seiner Rede unter ande- rem fest: Sommer der Illusionen „...Dieses Land war für die Träume der kom- 1945 freilich war in ganz Deutschland der Som- munistischen Weltrevolution immer das Herz- mer der großen Illusionen. In die Illusion war stück der kommunistischen Welteroberung. man geflüchtet aus dem Grauen der unerträg- lichen Tatsachen der letzten Kriegsperiode, der Für uns war es klar, daß dieser Angriff mit der Zerschmetterung des Dritten Reiches`, der Erweckung aller Kräfte der menschlichen und menschlichen und materiellen Verwüstung. sozialen, der nationalen und persönlichen Qua- Nach einer unerträglichen Periode des Hoch- litäten abgewehrt werden mußte. Für uns wurde muts bemächtigte sich damals eines Teiles un- es klar: die Freiheit in Europa war nicht zum seres Volkes eine sinnlose Niedergeschlagen- wenigsten eine Angelegenheit der demokrati- heit, in der man in jedem Gegner von früher schen Selbstbehauptung des deutschen Volkes. gleich das Symbol der politischen und gesell- Die Alliierten lebten in dem Irrtum, die Kriegs- schaftlichen Überlegenheit sah. Die Erkenntnis situation als Hauptinstrument der Erziehung von der inneren Hohlheit und Unechtheit des des deutschen Volkes ansehen zu können. Die ,Dritten Reiches` hatte zum Rückschlag einer Kommunisten jedoch waren dank der sowjeti- Überbewertung aller anderen Faktoren in der schen Aufklärung ohne jede Illusion, ohne die- Welt geführt. se Träume, die den Blick der westlichen Alli- Etwas, glücklicherweise nicht zuviel, von die- ierten vernebelten. Die östliche Besatzungs- sem Geiste, mehr aber vom Geiste eines Zu- macht rechnete damit, alle vier Parteien zu trauens an die Vernunft der internationalen soli- russischen Staatsparteien zu machen. Bei drei darischen Demokratie atmete das ,Neun-Punk- Parteien ist es ihnen gelungen, wenn auch in te-Programm' der Sozialdemokraten vom 15. verschiedenen Graduierungen. Juni hier in Berlin. In ihm war noch der Glaube an die Bündnisfähigkeit, die Vertragstreue und Eine Partei aber ist lieber organisatorisch zu- den sittlichen Ernst der Kommunisten enthal- grunde gegangen. Eine Partei hat die Opfer der ten. Man hatte noch nicht begriffen die struktu- Illegalität auf sich genommen, die SPD. relle Gleichheit des kommunistischen Systems Die Sowjets hatten als einzige eine Konzeption. mit der des Dritten Reiches`. Dieser Glaube Sie ist, kurz gesagt: die materielle Ausbeutung war zwar erklärlich und war gefördert aus der

2 2 Tatsache des Bündnisses der Demokratien in In Berlin, wo die Entwicklung atmosphärisch der Welt mit dem sowjetischen Komplex. An- unter für den Osten günstigeren Bedingungen dere Leute in Deutschland hatten aber diese stand und wo der Druck spürbarer geworden Illusion nicht. war, kam bei einer Verhandlung zwischen dem In der Erklärung vom April-Mai 1945, in den Zentralausschuß und mir der Augenblick, „Wenn das, was wir im Osten taktischen Richtlinien unserer Partei vom erleben, tatsächlich Sozialismus August 1945 und in den Konferenzen unserer in dem ich den Leu- wäre, dann wäre damit von der Partei am 5. und 6. Oktober in Wennigsen und ten sagte: In ganz europäischen Menschheit das Hannover war die Notwendigkeit der großen kurzer Zeit wird kein Todesurteil übenden Sozialismus politischen, kämpferischen Auseinandersetzung einziger von euch ausgesprochen." zwischen Freiheit und Diktatur eindeutig for- Sozialdemokraten in einer Einheitspartei muliert. Kurt Schumacher im Januar 1946 auch nur die Andeu In Wennigsen-Hannover hat der Herr, der heute tung einer Rolle spielen können. Es sei denn, als ,Ministerpräsident` der ,Regierung` in Pan- daß einer für die Kommunisten als für so wert- kow amtiert, nach einem Referat von mir in der voll befunden wird, daß man ihn in seinem Diskussion erklärt: Ich stimme in allen Punk- Amte läßt. ten mit dem Genossen Schumacher überein.' Keiner ist das, mit Ausnahme eines einzigen, Eine Forderung hatte er allerdings in Wennigsen- der heute glaubt, die Trompete blasen zu kön- Hannover, nämlich die Verlegung des Partei- nen, und er doch nur das Mundstück viel lun- vorstandes in den goldenen Käfig der Behren- genkräftigerer Bläser ist. straße in Berlin. Diese große Partei, die einzige Massenbasis für demokratische Kräfte, sollte Ich will die trübe Geschichte der Kapitulation sich den diktatorischen Begebenheiten einer des Zentralausschusses der kommunistischen bestimmten Besatzungszone fügen. Mobilisierung der Gewerkschaften unter sowje- Damit wäre, wenn wir schwach geworden wä- tischem Einfluß hier nicht im einzelnen schil- ren, das Schicksal unserer Partei in der sowjeti- dern. Der Druck war stärker als ihn etwa der schen Besatzungszone das Schicksal unserer deutsche Bürger bis zu dem Zeitpunkt hätte Partei in ganz Deutschland geworden. aushalten können, der heute die Sozialdemo- kraten, die in die SED hineingezwungen wor- den sind, kritisieren möchte. Als grundsätzli- Eindeutige Ablehnung im Januar chen Unterschied möchte ich geltend machen: Nie sind die damals gegebenen Versprechungen Die Gepeinigten haben wir in Schutz zu nehmen der Zusammenarbeit erfüllt worden. Hinter un- gegen die Peiniger und zwischen ihnen zu un- serem Rücken hat man versucht, unsere Mit- terscheiden... glieder in der amerikanischen Zone gegen uns zu mobilisieren, zu korrumpieren, mit Geld, Die Legende von der Spaltung Versprechungen und allem möglichen. Aber die Front stand fest. Am 3. Januar 1946 erklär- Damals ist der Grundplan für eine Position der ten die Sozialdemokraten der britischen Zone Sozialdemokratie und eine Zielsetzung hier am einstimmig, und am 6. Januar 1946 erklärten die Ort gelegt worden, die uns unseren Kritikern Delegierten der französischen und der amerika- gegenüber zu der grundsätzlichen Frage veran- nischen Zone mit 115 gegen 11 Stimmen die laßt: Wer hat 1946 gekämpft? Welche Parteien absolute, kompromißlose und durch keine Ver- in Westdeutschland haben diesen Kampf un- handlungen beeinträchtigte Ablehnung des An- terstützt? gebots auf ,Einheit`. Die Befreiung von der verderblichen Illusion Von den wenigen, die damals für Besprechun- von der Bündnisfähigkeit der Kommunisten ist gen waren, ist keiner mehr Mitglied unserer einzig und allein eine Angelegenheit der Sozial- Partei. demokratischen Partei. Die anderen haben sich

23 in die kommunistische Gefangenschaft der qualitäten. Was sie Spaltung nennen, ist die Be- Blockpolitik begeben. wahrung der Menschlichkeit in ihrem letzten Sinne. Ich diskutiere nicht, ichpolemisiere nicht. , Der ferngelenkte Spalter' hieß vor einigen Mit Knechten kann man nicht von der Freiheit Tagen ein Artikel in der ,Täglichen Rundschau'. reden... Darin wird haarscharf nachgewiesen, daß ich als Agent der Amerikaner` in Berlin tätig sein Noch nie ist ein politisches System, das so viele werde. (Ich glaube, in amerikanischen Kreisen Anlaufchancen hatte und so viele Hoffnungen wird freudige Überraschung herrschen.) Aus- bei den Menschen erregt hat, in seinen geistigen drücklich wird in diesem Artikel die relative und moralischen Werten so schnell zusammen- Bravheit der Parteien rechts von der Sozialde- gebrochen wie das kommunistische System. mokratie anerkannt und der ganze Stoß gegen Man hat der Macht der herrschenden Horde unsere Partei, diese bösartige Sozialdemokrati- zuliebe die Qualitäten des Sozialismus aufge- sche Partei, und ihren Schumacher gerichtet. geben. Das bedeutet im Tageskampf das Ver- Sehr amüsant ist ja blassen des sozialen Moments in der kommuni- stischen Politik und Propaganda. Die kleinen „Daß man die Sozialdemokratie für Kenner der Ver- Agitationsschlager interessieren dabei nicht. In in der Ostzone verbietet, unter- hältnisse aus kom- westdeutschen Großstädten stimmen die Kom- drückt und verfolgt, ist nicht in munistischem Mun- munisten gegen die allgemeine Wohnungsbau- erster Linie eine Frage der Sozial- de der Vorwurf der abgabe. Im Bundestag hat die kommunistische demokratischen Partei. Es ist die Spaltung. Wenn die Fraktion gegen das Mitbestimmungsrecht der Frage der Rechtsgleichheit, nach Kommunisten Lenin Arbeitenden gekämpft und gestimmt. Nun ja, in der staatsbürgerlichen Gleichheit studiert hätten, an- aller Deutschen. Es ist die Frage statt vom Leninis- der sowjetischen Besatzungszone haben die ar- der Weltdemokratie." mus zu reden, dann beitenden Menschen nur das Recht, sich aus- würden sie dort die beuten zu lassen, zu gehorchen und vom Men- Kurt Schumacher 1947 schen zum Material zu werden. Aber, daß man Philosophie der be- sich gegen das Mitbestimmungsrecht zu wen- gründeten Spaltung sehr sorgfältig zur Kennt- den wagt, das für die Arbeitenden in der Wirt- nis nehmen können. schaft einen politischen Wert hat wie einst das Aber bei den Kommunisten kennt man Lenin allgemeine Wahlrecht in der Politik, das ist für nicht mehr. Die geistigen Kräfte sind dadurch eine Partei mit proletarischen Mitgliedern eine beansprucht, daß man Stalin auswendig lernen Schande. Dieser Partei kann man keine deut- muß. schen Arbeiter überlassen. Es ist eine nationale und moralische Aufgabe, die kommunistischen Jeder Tadel an unserer angeblichen Spalter- Arbeiter von der sowjetischen Diktatur zur leistung ist das größte Lob, das wir erfahren deutschen Freiheit zu führen." können. Denn was sie Spaltung nennen, das ist die Bewahrung der persönlichen, der menschli- (Text aus„ Turmwächter der Demokratie "Band chen, der sittlichen und der nationalen Freiheits- II, Berlin 1953)

24 Aus der Zeit des Widerstandes

Aus der Zeit des aktiven Widerstandes von So- fertigung der sozialdemokratischen Aufklä- zialdemokraten gegen die rote Diktatur gibt es rungsaktionen in der Sowjetzone, das war die eine Fülle von Berichten, Dokumenten und an- politische Funktion und Aufgabe des Ostbüros." deren Informationsmaterialien. Verstärkt und Über die 1948 einsetzenden Massenverhaftun- organisiert wurde er unmittelbar nach der gen in der sowjetischen Zone, die mit hohen Zwangsvereinigung von SPD und KPD im Som- Zuchthausstrafen oder Verbannung nach Sibi- mer 1946 mit der Gründung einer„ Flüchtlings- rien endeten, lieferte das Ostbüro dem Berliner betreuungsstelle Ost" beim Parteivorstand der „Telegraf` Namenslisten, die täglich veröffent- SPD in Hannover, der Vorläuferin des„ Ostbü- licht wurden. Von Freikauf war damals noch ros" der SPD. Die Flüchtlingsbetreuungsstelle keine Rede. „Schumacher-Agent" war bald ein half den Familien von verhafteten Genossen, Ehrenname in der Ostzone und späteren DDR schickte Pakete und sorgte mit Handgeld und für die illegalen Helfer des Ostbüros. Arbeitsvermittlung für die nach Westdeutsch- land Entkommenen. Diese „Schumacher-Agenten" des Ostbüros Die politische und materielle Unterstützung des machten der SED schwer zu schaffen. Auf dem sozialdemokratischen Widerstandes war Kurt Parteitag der SED vom 20. bis zum 24. Juli 1951 forderte ihr Vorsitzender Wilhelm Pieck „den Schumacher, dem Vorsitzenden der westdeut- schen SPD, besonders wichtig. Dazu Stephan entschiedenen Kampf gegen die illegale Schu- Thomas, seit Juli 1948 Leiter des Ostbüros: macher-Agenturund alle Erscheinungen „Das Ostbüro ist die Institution der „Wir waren überzeugt, daß der Kommunismus des Sozialdemokra- organisierten Sozialdemokraten als System scheitern muß, daß das Ulbricht- tismus als einer par- gegen den Machtanspruch der regime scheitern muß, und es ging um das teifeindlichen Ideo- Kommunisten in ganz Deutsch- Wachhalten des Zusammenhalts und den Auf- logie". Mit diesem land." bau eines demokratischen Deutschlands. Das und einer Fülle von Kurt Schumacher 1946 war im Grund auch die Reflexion der Men- anderen Zitaten wies schen drüben gewesen. Wenn ich z.B. an die Stefan Rammes 1987 in seiner Magisterarbeit Ballonaktion denke, das sozialdemokratische nach, wie Kurt Schumacher im Urteil der so- Flugblatt im Thüringer Wald, im Harz, im Erz- wjetischen Besatzungszone eingeschätzt wur- gebirge oder irgendwo: Wer das aufnahm und de. durchlas, konnte es abgeben oder vernichten, aber es war ein Zuspruch, die Bestätigung sei- Er galt dort nach 1946 als „Faschist", „Kriegs- ner eigenen Vorstellungen, Hoffnungen über hetzer", „Separatist" und „Antisozialist". Als die Einheit Deutschlands in Freiheit. Das Wis- neues Schimpfwort tauchte der Begriff „Schu- sen und die Zuversicht dieser (sich) in einer machertum" auf. Am 15. März 1951 hieß es in großen geistig-politischen Not befindenden einer gemeinsamen Erklärung der Volkskam- Menschen, daß es im Westen` eine große poli- mer (zitiert nach Rammes), Schumacher bege- tische Kraft gibt, die an ihn denkt, die ihn in he „als Adjutant Adenauers das größte Verbre- seiner Sehnsucht versteht und gegen das Re- chen gegen Volk und Vaterland". Otto Grote- gime ankämpft, das ihn täglich bedroht, das wohl nannte bei gleicher Gelegenheit Schu- waren im Grunde genommen Sinn und Recht- machers Politik „pure Heuchelei". Dieser be-

2 5 fürworte „Arm in Arm mit Adenauer" rück- mitglieder. Rund 6.000 waren zu langjährigen sichtslos und brutal die Politik der aggressiven Freiheitsstrafen verurteilt und in ehemalige KZs amerikanischen Kriegstreiber. eingesperrt worden, in denen sie schon während der Hitlerzeit gesessen hatten. Und die theoretische Zeitschrift der SED faßte 1952 noch einmal alle Argumente der kommu- Für Stephan Thomas, den Chef all dieser Ope- nistischen Einheitspartei gegen Kurt Schuma- rationen von 1948 an, war Kurt Schumacher cher zusammen: „In bezug auf verräterische „der Mann der Geschichte, der alles in sich Manöver und Demagogie hat Schumacher alle hatte: die Intellektualität, die Befähigung, das Rekorde gebrochen. Geschickt spielt er die Rolle, Charisma - ein Mann, der offensiv einstieg in die den rechten Sozialdemokraten von ihren die Herausforderung". Er habe mit Schumacher imperialistischen Brotgebern übertragen wor- damals in Hannover und später in Bonn oft den ist; sich in Worten als Opposition auszuge- stundenlang Gespräche geführt, erzählte Tho- ben, die angeblich die Interessen der deutschen mas dem Autor wenige Wochen vor seinem Arbeiterklasse verteidigt, in der Tat aber den Tode im Mai 1987. Schumacher sei 1945 der Willen des amerikanischen Imperialismus einzige Deutsche gewesen, der aufgrund seiner durchzuführen". Und Walter Ulbricht, damals Vita politisch das andere Deutschland habe ver- SED-Generalsekretär, beschuldigte Schumacher körpern können. „Er war die stärkste Inkarna- im Juli 1952, dieser habe mit Hilfe der westli- tion eines genuinen Patriotismus, ein Mann mit chen Okkupationsmächte „die Herrschaft der historischer Intuition." Monopolherren und der faschistischen Büro- So urteilte der Arbeitersohn aus einer ursprüng- kraten wiederhergestellt, die hitlerische Revan- lich polnischen Familie, der vor 1933 in Berlin- chepolitik wiederaufgenommen und ... eine Neukölln als Hochbegabter die Karl-Marx-Schu- Politik der Kriegsvorbereitungen durchgeführt". le absolviert, während des Krieges in London Die Maßlosigkeit solcher Angriffe läßt unschwer als Journalist im deutschen Programm von BBC erkennen, daß die SED-Führung die illegale mitgearbeitet, in Gefangenenlagern politische Arbeit des Ostbüros der SPD in ihrem Machtbe- Bildungsarbeit geleistet und dann als Leiter des reich für sehr gefährlich hielt. Immerhin waren Ostbüros die letzten Lebensjahre des fünfzehn - nach vorsichtigen Schätzungen - in der Zeit Jahre älteren Parteivorsitzenden unmittelbar zwischen 1948 und 1951 mindestens 200.000 miterlebt hatte. frühere Sozialdemokraten aus der SED ausge- schlossen worden. Die meisten hatten fliehen (Text aus der Biographie „Kurt Schumacher" können, darunter auch prominente Vorstands- von Günther Scholz, Econ-Verlag, 1988.)

26 Wolfgang Buschfort Gefoltert und geschlagen

Als Antwort auf die Bestrebungen zur Vereini- Große Bedeutung maßen die Sicherheitsbehör- gung von SPD und KPD in der sowjetischen Be- den der SBZ von Anfang an wohl dem gekid- satzungszone wurde Anfang 1946 die „Flücht- nappten Heinz Kühne zu. Nach seiner Ent- lingsbetreuungsstelle Ost" der SPD in Hanno- führung am B. Februar 1949 kam er sofort nach ver gegründet, später allgemein als „Ostbüro" Lichtenberg. In derselben Nacht wurde er Ge- bekannt. Aufrechte Sozialdemokraten agierten neral Melnikow und Oberst Tjulpanow vorge- unter Mithilfe dieser Stelle politisch in der SBZ, stellt. Kühne wurde nach seinen eigenen Anga- sie verteilten Flugblätter, sammelten Informa- ben anschließend nach Hohenschönhausen ge- tionen und versuchten, eine illegale Organisa- bracht, wo er ein Jahr lang Verhören ausgesetzt tion aufzubauen. Diese Sozialdemokraten wur- war. Mit falschen Informationen wurde ver- den in den Jahren 1948/49 zu Hunderten ver- sucht, die Häftlinge mürbe zu machen. So wur- folgt und verhaftet. Zum Großteil wurden die de Kurt Grabe erzählt, der Kurier, dem er seine inhaftierten Mithelfer des Ostbüros zuerst in Gefangennahme verdanke, hielte sich als freier spezielle Untersuchungshaftanstalten gebracht. Mensch in Moskau auf. Gefangenen Ostbüro- Das waren insbesondere die in Berlin-Lichten- Vertrauensleuten wurden auch Fotos der ein- berg und -Hohenschönhausen. Rieke bezeichnet sitzenden Kuriere gezeigt, so Hiller. seine einjährige Haft in Hohenschönhausen als Gerade auf Heinz Kühne trifft wohl zu, was „das Schrecklichste, was ich je erlebt habe." Nikita Chruschtschow vor dem 20. Parteitag Die Untersuchungsmethoden führten von der der KPdSU sagte: „Wie ist es möglich, daß ein Androhung und dem Verabreichen von Schlä- Mensch Verbrechen zugibt, die er gar nicht genübertagelangen Schlafentzug bis zum nack- begangen hat? Nur auf eine Weise, nämlich ten Einsperren in Karzer- und Wasserzellen. aufgrund der Anwendung physischer Gewalt Fricke schildert die Untersuchungshaft wie folgt: zur Geständniserpressung, indem man ihn bis „Die Häftlinge (waren) in jener Zeit Bedingun- zur Bewußtlosigkeit foltert und ihn seiner Ur- gen ausgesetzt, die sie körperlich und seelisch teilsfähigkeit und seiner menschlichen Würde zermürben sollten. Ohne Anwaltsbeistand, ohne beraubt. Auf diese Weise kamen die ,Geständ- Kontakt zu ihren Angehörigen, ohne Möglich- niss' zustande." keit, ihre Verteidigung vorzubereiten (...). Die Untersuchungsführer (wandten) sowohl psychi- Ein SPD-Häftling beschreibt die Untersuchungs- haft nach seiner Entlassung folgendermaßen: schen als auch physischen Terror an. Gewalt „Ich wurde fast vier Wochen lang jede Nacht gegen die ihnen recht- und hilflos ausgeliefer- ten Gefangenen war durchaus nicht ungewöhn- zur Vernehmung geholt. Dann kam die große Pause." Diese dauerte bis zum Januar 1950 zur lich. Schlaf- und Essenentzug, tage- und näch- Gerichtsverhandlung, ein Jahr nach der Gefan- telange Dauerverhöre, Einzelhaft, Karzer und anderes mehr kennzeichneten diese Methoden." gennahme. Bei prominenten Ostbüro-Vertrau- ensleuten, so bei Curt Eckhardt aus Erfurt, konnte Neben den Sozialdemokraten in der SBZ wur- die Untersuchungshaft schon mal 15 Monate den auch die Kuriere des Ostbüros, die Binde- oder zumindest ein Jahr dauern. Zwischen Ver- glieder der SPD in dieser Zeit zwischen Ost und haftung und Verurteilung lagen beim Kurier West, von dem sowjetischen Geheimdienst Karl Gundlach 17 Monate. Willi Jesse war vier aufgespürt und verhaftet. Jahre in Untersuchungshaft und wurde dann -

2 7 ohne verurteilt worden zu sein - in die UdSSR Eine Stichprobenuntersuchung aus dem Jahre deportiert. Der Kurier Gundlach wurde sowohl 1960, die unter entlassenen SMT-Verurteilten mit den Fotos als auch den Aussagen von bereits durchgeführt wurde, ergab, daß von inhaftier- verhafteten Vertrauensleuten und Kurieren des ten Parteimitgliedern 43,1 % zuvor in der SED Ostbüros konfrontiert. Auch Fotografien von gewesen waren. Dieser hohe Anteil geht auf Angestellten des Ostbüros in Hannover wurden inhaftierte Sozialdemokraten nach der Zwangs- den Inhaftierten bereits 1948 in den Verhören vereinigung zurück. vorgelegt. Zwischen dem 26. Mai 1947 und dem 12. Janu- Gundlach schildert die Alternative in der Be- ar 1950 war die Todesstrafe in der UdSSR ab- handlung der Verhafteten wie folgt: „Wir wur- geschafft, somit konnten auch Militärgerichte den als Gefangene von der SPD kommend alle in der SBZ/DDR keine Häftlinge mehr zum vor die Entscheidung gestellt, feige eine scho- nende Behandlung', wie sie Kühne erfuhr, durch Tode verurteilen. Diese Regelung dürfte eini- Verrat zu ergaunern oder aber körperliche und gen hundert Sozialdemokraten das Leben be- seelische Belastungen härtester Art auf uns zu wahrt haben, denn genau in diesen Zeitraum nehmen." fielen ja die Massenverhaftungen. Höchststrafe für Vergehen, die zuvor mit der Todesstrafe In einem Fall ist bekannt, daß sich ein Häftling geahndet wurden, war 25 Jahre Zwangsarbeits- vor dem Sowjetischen Militärtribunal über die lager. In der Regel wurden die Verhafteten Haftbedingungen beschwerte und aussagte, sei- gleich mehrfach zu je 25 Jahren verurteilt, die ne Geständnisse seien unter Drohungen und dann zu 25 Jahren zusammengezogen wurden. Schlägen zustande gekommen. Das Verfahren Somit ist die Frage müßig, ob es ohne den In- wurde daraufhin abgebrochen, der Häftling wie- formationsauftragdes Ostbüros keine Verfol- der zur Voruntersuchung zurückgebracht. Dort gung von Personen gegeben hätte, die wegen begannen die Folterungen allerdings erneut, Spionage zu 25 Jahren verurteilt wurden. Nie- und ein halbes Jahr später endete die zweite mand wurde allein wegen Spionage verurteilt, Verhandlung vor einem Militärtribunal mit der es kamen immer noch mindestens illegale Grup- üblichen Verurteilung zur 25jährigen Zwangs- penbildung, meist noch antisowjetische Hetze arbeitshaft. fürs Flugblattverteilen hinzu, die jeweils mit 25 Jahren bestraft wurden.

Verurteilung durch Dies bestätigt auch Willi Brundert, der zwar als Sowjetische Militärtribunale (SMT) Sozialdemokrat, nicht aber als Vertrauensper- son des Ostbüros verurteilt wurde: „In den er- In den Jahren 1948 bis 1950 fanden politisch motivierte Prozesse fast ausschließlich vor sten Jahren nach 1945 hat es in der Sowjeti- Sowjetischen Militärtribunalen (SMT) statt, also schen Besatzungszone Deutschlands im wesent- vor Militärgerichten der sowjetischen Truppen lichen nur die schon genannten drei Strafmaße in der SBZ und Ost-Berlin. Der Schwerpunkt gegeben: Todesstrafe, lebenslängliche Freiheits- der Verurteilung von Deutschen lag zwischen strafe oder 25 Jahre Zwangsarbeit. Und als 1947 und 1949. Fricke spricht davon, daß diese Strafgrund gab es im wesentlichen auch nur die Gerichte der SED die „politische Schmutzar- drei Gruppen: Verbrechen gegen die Mensch- beit" abnahmen, wenngleich auch DDR-Ge- lichkeit, Spionage, Sabotage." Später spezifi- richte Hunderte von Sozialdemokraten verur- zierte er dies noch: „Russen kannten ja im we- teilten. Die sowjetischen Verfahren ließen selbst sentlichen nur die drei Delikte: Spionage, Sa- „minimale Ansprüche eines gesetzlichen Ver- botage oder Verbrechen gegen die Menschlich- fahrens vermissen". Sie schufen die Grundlage keit. Und auch die Strafmaße trugen die Züge dafür, daß eine „Revolution von oben" auf dem der schon oben angedeuteten Einheitlichkeit: Gebiet der heutigen DDR durchgeführt werden lebenslänglich, 25 Jahre oder in besonderen konnte. Fällen ,nur' 15 Jahre."

28 Eine illegale Tätigkeit, die nur im Bilden von Für das Malen von Wandparolen erhielt etwa politischen Diskutierklubs bestand und auf die Rudolf Mangold vier Jahre Zuchthaus, ein 22jäh- Ausforschung der Verhältnisse und auf Agita- riger Arbeiter namens Mapel wurde wegen des tion und Propaganda verzichtet hätte, wäre Verteilens von ca. 35.000 bis 40.000 Flug- ebenso mit einem Vierteljahrhundert Strafhaft blättern zu 12 Jahren Zuchthaus verurteilt. belegt worden. Drakonische Strafen bekamen auch von Ge- Außerdem ist in diesem Zusammenhang wich- richten der DDR Personen, denen ein Informa- tig zu wissen, daß sich kein signifikanter Un- tionstransfer zum Ostbüro nachgewiesen wer- terschied bei der späteren Haftentlassung von den konnte. Cäcilie Silberstein, Angestellte im Personen ergab, die nur wegen zwei oder mehr DIA Invest-Export in Ost-Berlin, die 1953 fest- Delikten verurteilt worden waren. genommen wurde, erhielt ein Strafmaß von 12 Jahren. Ebenfalls zwölf Jahre bekam Karl-Otto Das gesamte Strafmaß für Ostbüro-Mitarbeiter Lerm, Leiter einer Gruppe im Leuna-Werk, 1953. vor Sowjetischen Militärtribunalen (SMT) kann Seine Frau wurde wegen Mitwisserschaft zu fast beliebig mit Beispielen illustriert werden: fünf Jahren Haft verurteilt. Die anderen Mitan- Von den neun Mitgliedern der Gruppe Hiller geklagten erhielten zwischen sieben und zwei erhielten sieben 25 Jahre, einer 15 Jahre und Jahren Haft. Max Halliger, er hatte im Polizei- einer 10 Jahre. Dies bestätigt auch Kreutzer: verhör die anderen Namen genannt, wurde nur Von den insgesamt sechs Personen seiner Grup- zu einem Jahr Haft verurteilt. pe wurden fünf zu 25 Jahren verurteilt, einer erhielt 20 Jahre. Mitte der 50er Jahre ist mit der vorläufigen Konsolidierung der DDR-Gesellschaft nach dem Die Mitglieder der „Gruppe Koch" in Zwickau 17. Juni ein deutliches Zurückschrauben des wurden wegen politischer und wirtschaftlicher Strafmaßes für Vertrauensleute des Ostbüros zu Spionage, antisowjetischer Propaganda, Her- verzeichnen: Die Gruppe um das Ehepaar Bräu- stellung und Verbreitung antidemokratischer ning, der sogenannte Patina-Komplex, wurde, Literatur, Netzarbeit und Werbung von Leuten verglichen mit früheren Jahren, zu vergleichs- für Netzarbeit jeweils zu fünfmal 25 Jahren weise geringen Freiheitsstrafen verurteilt: Frau verurteilt, die dann auf 25 Jahre pro Person zu- Altrichter erhielt fünfeinhalb Jahre, das Ehe- sammengezogen wurden. Im Sommer 1955 wur- paar Bräuning wurde zu dreieinhalb bzw. zwei- den diese Strafen für einzelne Mitglieder auf einhalb Jahren verurteilt. Die Angeklagten Her- 12 Jahre Haft heruntergesetzt. Ähnliches schil- bert Rohde, Heinz Troppenz und Margarete dert auch Helmut Hiller. Müller erhielten je ein Jahr, wurden aber bereits Meist wurden gemeinsam verhaftete Personen zwei Monate nach der Urteilsverkündung vom in einem Verfahren vor einem SMT verurteilt, 5. Juli 1956 nach etwa einem halben Jahr Haft- gelegentlich wurde das Verfahren bei zu vielen dauer wieder auf freien Fuß gesetzt. Der Ange- Angeklagten auch geteilt. In wenigen Einzel- klagte Seeger wurde im April 1957 für Werks- fällen wurden aber Verhaftete auch willkürlich spionage für das Ostbüro zu fünf Jahren Zucht- zusammen vor einem Tribunal verurteilt, selbst haus verurteilt, ebenso der Bürgermeister von dann, wenn auch der NKWD nicht von einer Moxa, Otto Blumenstein, angeblich Ostbüro- Verbindung zwischen den Angeklagten aus- agent mit der unglaubwürdigen Registriernum- ging. mer 4711, der ebenfalls im April 1957 verurteilt wurde. Richard Majunke und seine Frau Hilde Bei Verurteilungen durch Gerichte der DDR, wurden am 27. Juli 1957 „wegen Boykott- und die in politisch relevanten Fällen erst ab 1950 arbeiteten, gab es die Höchststrafe von 25 Jah- Kriegshetze und Spionage" zu sechs Jahren bzw. zu eineinhalb Jahren Zuchthaus verurteilt. ren nicht. In der Regel wurde man Anfang der 50er Jahre zu etwa 10 Jahren Zuchthaus verur- Das Strafmaß ist um so bemerkenswerter, da teilt, wenngleich das Urteil auf die Haftzeit, die zur gleichen Zeit andere, für die Organisation bis 1955 oder 1956 dauerte, kaum Einfluß hatte. Gehlen arbeitende Personen zu weitaus höhe-

2 9 ren Strafen verurteilt wurden. Zu nennen sind Nach dem Gnadenerlaß Piecks vom Juli 1955 hier besonders die Sekretärin Grotewohls, Elli und den durch Namensweitergabe stark gestiege- Barczatis, und ihr Lebensgefährte, der 1949 aus nen Paketsendungen in die Haftanstalten wur- der SED ausgeschlossene Karl Laurenz. Beide den die Haftbedingungen für die zurückgebliebe- wurden am 3. Oktober 1955 wegen Spionage nen Häftlinge verschärft. So stellte der Leiter zum Tode verurteilt und kurze Zeit später in des DRK-Suchdienstes, Dr. Wagner, im März Frankfurt/Oder guillotiniert. 1956 fest: „Seit September 1955 ist allen SBZ- Inhaftierten der Paketempfang untersagt wor- Haft unter verschärften Bedingungen den. Sie dürfen ersatzweise mit monatlichen Geldbeträgen versorgt werden, deren Höhe un- Während die Zuständigkeit des Strafvollzugs in terschiedlich ist, je nachdem, ob derbetreffende der SBZ/DDR zunächst in den Händen der Inhaftierte arbeitet oder nicht. Die zugelasse- sowjetischen Besatzungsmacht bzw. der Länder- nen Summen differieren zwischen 10,- und justizministerien lag, regelt die „Verordnung 30,- Ostmark pro Monat." Mit diesen Summen zur Übertragung der Geschäfte des Strafvoll- konnten die Häftlinge in den HO-Läden der zugs auf das Ministerium des Innern der DDR" einzelnen Haftanstalten einkaufen. Damit schloß vom 16. November 1949 diesen Übergang der man aus, daß Pakete aus dem Westen, etwa Befugnisse an die Zentralgewalt. Schon zuvor, initiiert vom Ostbüro, über Verwandte in der so im Juni 1949 in Brandenburg, war die Zu- DDR an die Häftlinge weitergegeben werden ständigkeit von sowjetischer Verwaltung an das konnten. Die Versendung von DDR-Geld aus Justizministerium der DDR übergegangen. dem Westen war wiederum nicht erlaubt. Schick- te man aus dem Westen offiziell über die Noten- Zwar waren Sozialdemokraten und Ostbüro- bank der DDR Westgeld zum Tausch in Ostgeld Vertrauensleute in nahezu allen Strafanstalten an die Verwandten der Häftlinge, so verdiente der DDR inhaftiert, ein Großteil befand sich die DDR hieran, sicherlich kein Vorgang, an allerdings in Bautzen I und 11, Brandenburg und dem das Ostbüro interessiert war. Halle 1 (Roter Ochse). Das Paketempfangsverbot vergrößerte in den Die Verurteilung mehrerer tausend Sozialde- Haftanstalten die ohnehin schon hohe Zahl an mokraten führte in den Zuchthäusern meist zur Tbc-Kranken. Die Ernährungslage war in den Bildung starker sozialdemokratischer Grup- Gefängnissen katastrophal, ohne ein Zubrot von pen, die sich zum Teil deutlich von den anderen außen war ein Überleben kaum möglich. So Mithäftlingen absetzten. Innerhalb dieser haben beispielsweise sieben der acht Häftlinge Gruppen diskutierte man politisch weiter; wenn der Gruppe um Klaus Jelonnek die Haft nicht ein Mitglied durch irgendeinen Umstand vor- überlebt. zeitig entlassen wurde, gab man die Namen, Entlassen wurden die meisten Häftlinge, die in Haftumstände und die Adressen von Angehöri- Zusammenhang mit der Arbeit des Ostbüros gen an die Berliner SPD oder das Ostbüro wei- gebracht worden waren, zwischen 1954 und ter. In weitaus kleinerem Umfang gelang dies 1956. Einige wurden jedoch, ohne daß ein Grund auch durch das Herausschmuggeln solcher Li- sten aus den Haftanstalten. Diese Listen dienten dafür zu erkennen ist, bis in die 60er Jahre hinein in Haft gehalten. Andere, die nach ihrer der Berliner SPD, dem Ostbüro, der Arbeiter- Entlassung in die DDR versucht hatten zu flie- wohlfahrt und vereinzelt dem DRK zum Ver- hen, wurden erneut verhaftet und verurteilt. sand von Päckchen an Familienangehörige, die Nach weiteren Haftjahren in Bautzen hat man diese dann wiederum teilweise an die Gefange- sie dann in den Westen abgeschoben oder sie nen weiterschicken konnten. Man mußte diesen wurden freigekauft. Umweg wählen, da den Inhaftierten nur der Paketempfang von Angehörigen erlaubt war. (Auszug aus einer Dissertation, 1990.)

3 0 Gegner und Opfer der Zwangsvereinigung berichten

Was sich in dieser Zeit des Kampfes von Sozial- Für mich ist der Begriff Stalinismus" als un- demokraten gegen die rote Diktatur abgespielt mittelbare Lebenserfahrung als Zeitgenosse und hat, läßt sich anschaulich aus den Berichten dann seine theoretische Verarbeitung noch längst von Zeitzeugen ablesen, die im September 1985 nicht da, als ich längst - zuchthausreif - mit in der Gustav-Heinemann-Akademie in Freu- Euch, mit dem Ostbüro, zusammenarbeitete. denberg mit Wissenschaftlern, Journalisten, Damals ist mir Stalinismus" gar nicht bewußt. Politikern, Lehrern und Erwachsenenbildnern Wann ich ,Stalinismus" kennenlerne? 1937/38, aus dem Abstand von fast 40 Jahren die Zwangs- als ich nach Moskau komme und dort persön- vereinigung von SPD und KPD diskutiert und lich die Trümmer der deutschen Emigration analysiert haben. kennenlerne, als die mir dort zu erzählen begin- nen. Ich kann es nicht ausführen, aber das be- Aus den Protokollen dieses Seminars hier eini- greife ich, daß Stalinismus ein Millionen-Mord- ge Auszüge: Regime gewesen ist, und nicht das, was ich vor- her angenommen hatte..." Heinz Brandt Heinz Westphal „Ich setze als bekannt voraus, daß ich im Jahre 1945 sechsunddreißig Jahre alt bin und eine Na- „Es heißt ja immer, wir seien dem antikommu- zihaft von sechs Jahren Zuchthaus - vorher nistischen Zeitgeist unterlegen - was immer - zwei Jahre illegale Arbeit ,Siemens-Lautspre- dieser Zeitgeist sein mag. Wir haben uns unsere cher' in Berlin, im Zuchthaus Luckau und Bran- Entscheidung wirklich nicht leicht gemacht. denburg, dann KZ Sachsenhausen, Auschwitz, Daß unsere dann getroffene Entscheidung für Buchenwald hinter mir habe. die selbständige Sozialdemokratische Partei richtig war, bestätigten uns die späteren Ereig- Ich komme raus, bin sechsunddreißig Jahre alt, nisse. Dafür möchte ich noch einige Beispiele habe eine Belastung, die ich verheimlichen kann; nennen: Da hat Gerhard Sperling, 17 Jahre, aus ich war nämlich Mitglied der ,Versöhnler', einer Berlin-Lichtenberg, zusammen mit drei ande- parteifeindlichen Organisation. Das war eine tödliche Belastung; ich hatte keine Ahnung, daß ren Falken in der Berliner S-Bahn Zettel ver- ich mich sofort nach der Befreiung aus dem KZ teilt. Mit Schreibmaschine hatte er geschrie- ben Freiheit ist immer die Freiheit des Anders- wieder in tödlicher Gefahr befand... denkenden - Rosa Luxemburg". Dies war der Ich habe Kurt Schumacher ein einziges Mal Grund für seine Verurteilung zu 25 Jahren sprechen gehört, in West-Berlin, und ich habe Zuchthaus durch ein sowjetisches Militärtribu- es in mich aufgenommen; mich bewegte seine nal. Oder es sei erinnert an den Septembertag persönliche Anteilnahme, sein unerhörtes Hin- 1948, als Ernst Reuter vor dem Berliner Reichs- ter-dem-Stehen, was er sagte. Was er sagte, hat tag zu der großen Kundgebung der Berliner mich kaum berührt, nicht betroffen. Heute emp- sprach. Die Menschen strömten danach nach finde ich ihn als einzige mir persönlich bekannt- Hause, auch durchs Brandenburger Tor zu den gewordene SPD-Gestalt, die damals etwas er- Ostberliner S-Bahnhöfen. Ein junger Falken- kannte, was keiner von uns erkannt hat... Gruppenleiter, Wolfgang Scheunemann, wurde

3 1 am Brandenburger Tor von Volkspolizisten er- Zusammenhang möchte ich betonen, daß meine schossen. Er hatte sich schützend vor eine ande- Freunde und ich uns stets vor einem undiffe- re Falken-Helferin aus Tiergarten gestellt. Ich renzierten Antikommunismus hüteten und nie- schildere diese Dinge nicht, um daran hängen mals den Kampf gegen Rechtsreaktion und Fa- zu bleiben, sondern um deutlich zu machen: schismus vergaßen. Unsere Zielvorstellungen, dies war die Lage. So zeigte sich der Kommu- besonders die im Jugendverband, führten zu nismus. einer entschiedeneren Position innerhalb der Sozialdemokratie. Ich würde mich auch heute Wir hatten uns nach dem Ende des Krieges beim noch als einen keineswegs pflegeleichten' endlich möglichen freien Aufbau zwei Dinge Sozialdemokraten bezeichnen. Gegenüber der vorgenommen: Sozialismus und Demokratie. mit dem Begriff ,Apparatschik` verbundenen Aber das, was wir machen mußten, war, Frei- Gefahr oder den Tendenzen zu einem Wahl- heit zu verteidigen gegenüber einer neuen Dik- verein in der eigenen Partei bin ich immer sehr tatur. Wir sind darüber heute geschichtlich ein sensibel gewesen. ganzes Ende hinaus, obwohl es noch immer Unfreiheit zu überwinden gibt. Ich hoffe, wir Die Vorgänge der ersten Nachkriegszeit, vor haben Gelegenheit, im Rahmen dieser Tagung allem in Berlin, haben für mich in bezug auf die da weiter zu diskutieren. Mir geht es darum, daß klare Zielstellung des demokratischen Sozialis- die heutigen jungen Menschen diese damalige mus auch heute noch verpflichtenden Charakter. Zeitsituation begreifen, aber daraus nicht schluß- Dabei darf nicht vergessen werden, daß ange- folgern, unsere Erkenntnis der Unvereinbarkeit sichts der politischen und technischen Bedro- von demokratischem Sozialismus und kommu- hung, die heute gegeben ist, die Sicherung des nistischer Praxis ließe nur eine Erstarrung im Friedens auf der Welt das vorrangige Ziel aller Kalten-Kriegs-Denken zu. Viele von uns waren Politik ist. Ein Zurück zum Kalten Krieg` darf und sind Beteiligte an dem Bemühen, den Ost- es nicht geben. Die geistige Auseinanderset- West-Gegensatz im Interesse der Aufrechter- zung um die humanitäre Entwicklung der haltung des Friedens zu überwinden..." Menschheit ist aber nach wie vor gefordert. Die Beschäftigung mit den damaligen Ereignissen Dieter Rieke muß für mich deshalb vorwärtsweisenden Cha- rakter haben. „Mein politischer Weg begann eigentlich schon im Oktober 1944, als ich aus amerikanischer Ich selber hatte Gelegenheit, mit bewährten Gefangenschaft ausrückte und mich bis zum Genossen aus dem Bezirk Magdeburg - Otto Kriegsende dann in Mitteldeutschland versteckt Bär, Erich Meisterfeld, Hermann Möhring u.a. hielt. Im Juni 1945 Eintritt in die SPD im Bezirk - Kontakt zu haben. Und wir haben uns gesagt: Magdeburg und Aufbau der regionalen Partei- Hier ist unbedingt die Notwendigkeit gegeben, organisation. ,Nein' zu den Bestrebungen um mit den westdeutschen Sozialdemokraten-nicht die Zwangsvereinigung. Danach Widerstands- mit den Berlinern - Kontakt aufzunehmen. So arbeit mit den Genossen im Bezirk Magdeburg. entstand die Verbindung zur Jakobstraße, zum Korrespondenz mit westdeutschen Zeitungen, Ostbüro der westdeutschen SPD. Kontakte mit dem Ostbüro und schließlich 1948 Es war wie bei einem trockenen Schwamm: Inhaftierung; Verurteilung vom Obersten So- Die Leute, denen wir den ,Telegraf` von Han- wjetischen Militärgericht 1949, neun Jahre Haft. nover mitbrachten, oder Informationsschriften, Nach der Entlassung Flucht nach Westdeutsch- SOPADE und dergleichen, sogen das förmlich land... auf. So bildete sich im westlichen Sachsen- Anhalt in jedem Bezirk, in jedem Kreis eine Gerade die allgemeine Notlage und die Hoff- recht starke sozialdemokratische Gruppe, die nung auf eine bessere Zukunft motivierten uns zu einer gewaltigen Aktivität. Dabei führte die eine Aktionseinheit mit der KPD ablehnte... Lage in Berlin auch zu verschärften Auseinan- Die bitteren Jahre nach der Zwangsvereinigung dersetzungen mit den Kommunisten. In diesem dokumentierten sich vor allen Dingen darin,

32 daß wir feststellen mußten, wie man einzelne SAJ, 1932 in die Partei, dann in die Illegalität, Genossen sozusagen aus dem Verkehr zog. Vie- dann in den Knast, aus dem Knast, dann - trotz le Sozialdemokraten waren noch in Verwal- Wehrunwürdigkeit - zum Militär, vom Militär tungsfunktionen tätig; die wenigsten waren in die russische Gefangenschaft gekommen. Ich Vorsitzende geworden in der örtlichen Partei- war früher in Deutschland als mein Freund führung der SED. Wo es mit ihnen Problem' Wolfgang Leonhard; dank einer militärischen gab, fand man sehr bald einen Vorwand, diese Spielerei der Russen wurde ich am 3. Februar Genossen zu inhaftieren. 1945 mit dem Fallschirm hinter den deutschen Linien abgesetzt. Bis zum Zusammenbruch habe Die Verbindungen der sozialdemokratischen ich illegal gelebt. Meine Erfahrungen in der Genossen untereinander wurden immer schwie- russischen Gefangenschaft sind die Ursache riger, auch dadurch, daß längst nicht alle die gewesen, mich der Zwangsvereinigung zu wi- Möglichkeit hatten, über eine berufliche Tätig- dersetzen. Aus diesen Erfahrungen heraus ge- keit Fahrten oder Reisen zu unternehmen. Dann lang es mir, insbesondere die jungen Freunde in diente vor allem der Kontakt über das Ostbüro Chemnitz eher zur Abneigung gegen Einheits- dazu, die Verbindung miteinander aufrechtzu- tendenzen zu bewegen, als das anderen möglich erhalten und vor allem Informationen zu erhal- gewesen wäre... ten zu dem Punkt: Was machen wir jetzt und welche Möglichkeiten der sozialdemokratischen 1945 wurde ich am 15. Juni Bürgermeister in Politik haben wir noch, um die Partei, wenn Oberlichtenau in der Nähe von Chemnitz. Ich auch im Untergrund, am Leben zu erhalten? konnte jetzt in aller Offenheit meinen Genossen Diese Gedanken waren freilich bittere Illusion. meine Erfahrungen mit kommunistischer und Ich muß offen sagen, daß wir nächtelang dar- russischer Politik mitteilen. Ich verhehle nicht, über gesprochen haben, was wir in dieser daß ich erschrocken war - ja, ich verstehe es schrecklichen Situation tun könnten. Uns blieb bis heute noch nicht -, wie Sozialdemokraten nichts anderes, als den Leuten Informationen Illusionen haben konnten über eine Zusam- über die Totalität der sowjetischen Herrschaft menarbeit mit den Kommunisten, ja sich sogar zu geben. Wir verteilten insgeheim Flugblätter, in einer einheitlichen Partei mit den Kommuni- Zeitungen, Zeitschriften, um damit eine gewis- sten einlassen wollten, und dann zu glauben, se Basis zu schaffen für sozialdemokratisches man könnte eine freie selbständige Politik be- Denken und Handeln im Sinne einer deutschen treiben, und dies mit der russischen Besatzungs- sozialdemokratischen Partei. macht im Rücken. Hinter diese Aktivitäten kamen dann sehr schnell Wer das glaubt, hat niemals das Wesen einer die sowjetischen Machthaber. Durch unglück- kommunistischen Diktatur begriffen. An dieser liche Zufälle gerieten einige in Haft; andere Erkenntnis ändert auch gemeinsame Haft nichts. konnten fliehen. Aber-in großer Teil der sozial- Ich kann für meinen Teil nur sagen, meine Er- demokratischen Genossen aus dieser Zeit von fahrungen mit der KPD im Knast waren alles 1946 bis 1950 wurde verfolgt und verhaftet und andere als erfreulich. Auch in der Illegalität war ging den bitteren Weg durch die sowjetischen eine Zusammenarbeit kaum möglich, wenn man Konzentrationslager und Zuchthäuser. Einige nicht am nächsten Tag hochgehen wollte. Es haben überlebt, und nur wenige haben in das gab einen wesentlichen Unterschied in der Illega- Leben eines heute noch berufstätigen Menschen lität zwischen Kommunisten und Sozialdemo- zurückgefunden." kraten. Er lag darin, daß die sozialdemokrati- sche Führung für die illegal lebenden Menschen Hans Hermsdorf viel größere Verantwortung zeigte als die Füh- „Ich bin sehr ungern Zeitzeuge, weil man bei rung der KPD. Die SPD setzte meistens junge dieser Gelegenheit leicht in die Gefahr kommt, Leute ein, die keine Familie hatten; denn wenn zu weitschweifig zu werden. Ich will mich kurz ein Mann eine Familie hatte und hochging, war vorstellen. Ich bin 1914 geboren, 1928 in die er sofort viel näher dran, durchgedreht zu wer-

3 3 den, verraten zu müssen, um seine Familie nicht Kultur-Autonomie mitzugestalten. Es kam an- in Gefahr zu bringen. Ein junger Mensch, der ders, als wir hofften und dachten. keine Familie hatte, brauchte darauf keine Rück- Ich wurde dann zunächst Bürgermeister in sicht zu nehmen. Hirschfelde/Sa. an der Neiße-Grenze. Die Ge- Die Menschenverachtung der KP-Führung kann- meinde lag beiderseits, die halbe Gemeinde te keine Grenzen. Wer und wieviele hochgin- wurde polnisch, ein unerträglicher Zustand. Aber gen, interessierte sie überhaupt nicht. Ganz zu hier begann meine politische Tätigkeit, indem schweigen von einem Interesse am Strafmaß. ich am 12. Juni 1945 eine sogenannte Deutsche Arbeiterpartei nach englischem Muster er- Als ich im November 1945 Bürgermeister in richtete. Chemnitz wurde und gleichzeitig stellvertre- tender Bezirksvorsitzender, stellten wir fest, Meine politischen Freunde in Magdeburg erin- daß wir plötzlich einen Landesvorstand hatten, nerten sich an mich, holten mich nach Magde- der in saß. Wie er eigentlich zusam- burg, und hier begann erneut meine politische mengesetzt wurde und durch wen, ist uns unklar Tätigkeit und nachher auch mein Desaster. Ich geblieben. Wir wurden nur nach Dresden be- bekenne, daß ich im Admiralspalast mit einem stellt, und ein gewisser Otto Buchwitz wurde ,Ja' der Vereinigung zugestimmt habe - mit uns als Landesvorsitzender vorgestellt. Buch- sehr vielen Wenn und Aber, die aber nachher witz war mehr als ein Mann der Vereinigung. i m Frage- und Antwort-Spiel erörtert werden können. Mit Demokratie hatte das Ganze nichts zu tun, und eigentlich hätte die Mehrzahl der Sozialde- 1948 - ich war damals Leiter der Bergbau- mokraten nun merken müssen, wohin die Reise Ingenieur-Schule in Eisleben - wurde ich dann ging. Aber nein, sie glaubten nach wie vor, sie endgültig entlarvt als ,Schumacherling' und könnten selbständig Politik machen..." als Agent des Ostbüros`, und wie der ganze Quatsch denn so hieß. Im Mittelpunkt der An- klage stand das bekannte und von mir verbreite- Julius Bredenbeck † te Buch von Paul-Sering Jenseits des Kapi- „Ich komme aus Kiel - Lassalleaner, und wir talismus', das hat mir immerhin 25 Jahre ein- haben die ganzen Verstiegenheiten, die zum gebracht, von denen ich fast sechs Jahre abge- Teil mit dem doktrinären Marxismus verbun- sessen habe." den sind, von vornherein kaum gekannt. Darum sind wir sehr vorurteilslos in die Arbeiterbewe- Kurt M. Grabe gung gekommen, durch die Sozialistische Arbei- ter-Jugend 1921- ich bin Jahrgang 1907 -, also „Zu meinen politischen Aktivitäten damals ge- mit 14 Jahren; mit 20 Jahren Mitglied der Partei, hörte u. a., daß ich illegal über die, grüne Gren- sehr aktiv gewesen im Kampf gegen den auf- ze` in den Westen fuhr, um z.B. Thermometer kommenden Faschismus. gegen Lebensmittel einzutauschen, und bei sol- chen Gelegenheiten traf ich in Hannover mit 1933 untergetaucht in Magdeburg, der Stadt, Genossen zusammen. Erich Ollenhauer hatte zu die mir zur zweiten Heimat geworden ist, dort dieser Zeit seine Bleib' in einem stehenge- Verbindung gefunden zu den illegal tätigen bliebenen Luftschutzbunker, wo wir uns trafen Genossen. und besprachen. Mein SPD-Mitgliedsbuch hat- te ich bei der seltsamen,Vereinigung ` zwischen 1945 sind wir wieder politisch untergetaucht. der SPD und der KPD spontan auf den Tisch Ich mußte als Reichsdeutscher zunächst die gelegt, was man im Augenblick gar nicht sonder- Tschechoslowakei verlassen, bekam vom Na- lich ahndete - jedenfalls nicht offenkundig. rodni Vybor, dem Nationalausschuß, aber den Auftrag, in Zittau, an der Grenze, zu bleiben, Als ich am Tage der Währungsreform im Juni um nach der Beruhigung der Situation zurückzu- 1948 wieder einmal in der Ziethenstraße in kehren und die den Deutschen versprochene Berlin (Ostbüro) war, wurde dieser Besuch spä-

34 ter dein Indiz gegen mich: Man hatte mich fotogra- kist`, ,Titoist', ,Spalter der Arbeiterklass' wur-de ich beschimpft. fiert und listenmäßig erfaßt... Resümierend ergaben sich daher drei Punkte Aus dem Urteil: Bereits vor der Volkswahl am für das Urteil in einem nichtöffentlichen, ohne 15.10.1950 begann M. in übelster Weise gegen Verteidiger geführten Prozeß vor einem Sowje- die DDR zu hetzen, indem der die Volkswahl als tischen Militärtribunal (SMT), denn im Juli den größten Betrug darstellte, den des jemals in 1948, zu Beginn der Sommerferien und meines Deutschland gegeben habe. In diesem Zusam- Urlaubs, war ich von der Straße weg verschleppt menhang äußerte der gegenüber seinen Stubenkol- worden. Spionage und Sabotage auf politischem, legen, daß die Regierung nur deshalb nicht wirtschaftlichem und militärischem Gebiet, also mehrere Parteien zugelassen habe, weil sonst 75 Jahre insgesamt. Hätte ich sie absitzen müs- die SED deine große Pleite erlebt hätte. Er selbst sen, könnte ich heute hier nicht berichten. Nach könne die Politik in der DDR nicht mehr ver- dem Besuch von Carlo Schmid und Bundes- treten, da der die Politik der Sozialdemokratie in kanzler in Moskau wurde Westdeutschland für richtig halte... mein Verbleib in roten Verliesen auf zehn Jahre Der geschilderte Sachverhalt hinsichtlich des herabgemindert, und nach verbüßten acht Jah- Angeklagten Marquardt erfüllt den Tatbestand ren wurde ich 1956 nach Hannover entlassen." der Boykotthetze gegen demokratische Einrich- tungen und Organisationen, der Kriegshetze, Hans Marquardt Bekundung von Völkerhaß sowie der Friedens- „Ich war noch nicht vier Monate lang in der gefährdung durch Erfindung und Verbreitung SPD, da kam der Zusammenschluß mit den tendenziöser Gerüchte im Sinne des Art. 6 der Kommunisten. Wir in Putbus waren dagegen. Verfassung der DDR und Art. 111 A 111 der KD Die anderen Ortsvereine auch. Nr. 38, wobei sich das vorsätzliche Handeln aus dem Sachverhalt ergibt. Es begann die Zeit der Verfolgung. Alle For- men der Beeinflussung habe ich erlebt. Über- Der Angeklagte M. war bereits im Jahre 1949 wegen des Verdachts von Zersetzungstätigkeit redung, Schmeichelei, Drohung, Zwang, Ge- walt und Einschüchterung. Auf Parteischulen längere Zeit in Untersuchungshaft. Damals studierte ich den ,Marxismus-Leninismus`, ich konnte ihm sein verbrecherisches Handeln nicht nachgewiesen werden, und der wurde deshalb wurde verlockt, lukrative Positionen einzuneh- men; man hat mich inhaftiert, wieder freigelas- wieder aus der Haft entlassen. Der Angeklagte sen, wieder inhaftiert wegen Verdachts poli- hat sich seit dieser Zeit nicht geändert, sondern tischer Zersetzungsarbeit`, wie ich Jahre später der hat seine Zersetzungstätigkeit nunmehr erfuhr. systematisch mit dem bestimmten Ziel ausge- führt, die antifaschistisch-demokratische Ord- Daß alle Sozialdemokraten seit der Zwangs- nung in der DDR zu gefährden. Wie sich aus vereinigung beobachtet worden sind, wußte ich dem Sachverhalt ergibt, gehörte der bereits 1948 nicht. Die Mitgliederlisten der Sozialdemokra- einer illegalen Widerstandsgruppe auf der Insel ten waren an die SED gekommen. Ich mußte Rügen an. Es ist daher kein Zufall, daß der sich mich vor Parteigremien rechtfertigen, und gerade in das für unseren Aufbau so wichtige schließlich sollte ich,zur Bewährung ` im Uran- Bergbaugebiet begab, sondern Marquardt kam erzbergbau arbeiten. Auch dort bin ich fortwäh- offenbar bereits mit bestimmten Aufträgen in rend bespitzelt worden, provoziert und denun- dieses Gebiet. Das ergibt sich daraus, daß der ziert; aber ich wußte des nicht. Wieder wurde ich auch in Aue einer Widerstandsgruppe angehörte. verhaftet und schließlich zu acht Jahren Zucht- Charakteristisch für M. ist, daß der seine Zer- haus verurteilt. setzungstätigkeit vortrefflich zu tarnen vermoch- Aus meinem Verhalten hatte der Staatssicher- te, denn nach außen zeigte der sich am Anfang heitsdienst geschlossen: So benimmt sich nur seiner Tätigkeit im Wismutgebiet stets als dein unverbesserlicher Sozialdemokrat. ,Trotz- fortschrittlicher Mensch. Kennzeichnend ist

3 5 dafür, daß er noch 1950 sogar die Friedens- ben will. Es war daher erforderlich, den Ange- medaille erhalten hat. Daraus ergibt sich aber klagten im Interesse aller friedliebenden Men- gerade die besondere gesellschaftsgefährliche schen auf längere Zeit von der Gesellschaft zu Tätigkeit des Angeklagten. Dabei war weiter zu entfernen. Das Gericht hat deshalb die von der beachten, daß es sich bei M. um einen politisch Staatsanwaltschaft neben den obligatorischen geschulten Menschen handelt, der aufgrund sei- Sühnemaßnahmen beantragte Zuchthausstrafe ner Ausbildung als Neulehrer und durch den von acht Jahren als mindestens erforderlich und Besuch der Universität Greifswald genau über ausreichende Sühne erachtet. Die Untersu- das politische Geschehen unterrichtet war. Die- chungshaft war dem Angeklagten nicht anzu- se Umstände waren bei der Handlungsweise des rechnen, da er nichts zur Wahrheitsfindung Angeklagten strafschärfend zu beachten. Straf- beigetragen hat.' mildernde Umstände waren bei der Tat des An- geklagten nicht zu erkennen, da er sogar in der Sechs Jahre lang habe ich in den Zuchthäusern Untersuchungshaft noch seine hetzerische Tä- Zwickau, Waldheim und Torgau zugebracht - tigkeit auf die gemeinste Art und Weise fortge- Jahre, in denen ich eigentlich nach meinen setzt hat. Das Gericht hat daraus geschlossen, Erfahrungen und Erkenntnissen vom verbre- daß der Angeklagte stets ein Gegner unserer cherischen Naziterror mithelfen wollte beim antifaschistisch-demokratischen Ordnung blei- Aufbau der Demokratie in Deutschland."

36 Der Brief aus Bautzen

Ein erschütterndes Dokument über die Haft- Bautzen um Hilfe. Erhört unseren dringenden bedingungen in der mit mehreren tausend poli- Notschrei, denn wir haben nach der Absendung tischen Häftlingen überfüllten Strafvollzugs- des ersten Berichtes Furchtbares erlebt! anstalt Bautzen ist der auch von sozialdemokra- Am 31. März, an dem wiederum von Tausenden tischen Häftlingen, darunter Dieter Rieke, ver- unschuldiger Menschen in ihrer Angst vor dem faßte und hinausgeschmuggelte Hilferuf. Die- Hunger, vor der Tuberkulose, in ihrer unermeß- ser Brief wurde nach dem Hungerstreik und lichen seelischen Qual und Ungewißheit um das dem Aufstand gegen die Bewacher von der Schicksal ihrer Angehörigen ein Notschrei aus am 31. März 1950 geschrieben und der äußersten Verzweiflung in die Öffentlichkeit aufverschlungenen Wegen dem damaligen Vor- hinausgeschrien wurde, wurden wir von der sitzenden des Bundestagsausschusses für ge- Meute der entmenschten Volkspolizei mit grau- samtdeutsche Fragen, Herbert Wehner, zuge- samster Brutalität niedergeschlagen. leitet. Herbert Wehner hat diesen Brief 1950 auf dem Hamburger SPD-Parteitag vorgelesen. Alte und Junge, Kranke und Invaliden, Opfer Der Brief hat folgenden Wortlaut: des Faschismus und Kriegsversehrte wurden derart mit Gummiknüppeln, Koppeln und Fuß- „Bautzen, den 6. April 1950 tritten bearbeitet, daß Hunderte mit schweren Kopfverletzungen, Knochenbrüchen, Blutergüs- Deutsche Männer und Frauen! sen und Verrenkungen darniederliegen. Die Zum zweiten Male rufen wir Euch, rufen wir entmenschten Polizisten, die auch diesmal un- jeden, der noch Anspruch auf die Bezeichnung ter dem Kommando von Polizeirat Schulz stan- Mensch erhebt, aus dem gelben Elendsbau in den und die durch Hinzuziehung einer an der

3 7 tschechischen Grenze stationierten Alarmeinheit Wie unsagbar schlecht, wie katastrophal die verstärkt worden waren, gingen bei dieser blu- sanitären Zustände und der Gesundheitszustand tigen Aktion vollkommen planmäßig vor, in- der Häftlinge waren und sind, geht wohl am dem sie jeweils in einen abgeschlossenen Saal eindeutigsten aus der traurigen Tatsache her- eindrangen - in dem bis zu 400 Mann auf vor, daß bei der Übernahme des Lagers kein kleinstem Raum zusammengepfercht leben müs- Amtsarzt sich bereit erklärte, weder Behand- sen - und dort in der allerbrutalsten, gemeinsten lungen und Betreuung noch etwa gar die Ver- Art und Weise die Kranken, von Hunger ge- antwortung für diese sechstausend zum größten schwächten, wehrlosen Menschen durch die Teil schwerkranken, behandlungsbedürftigen Gänge trieben, zur Tür hinausprügelten und die Insassen zu übernehmen, und daß selbst heute Treppe hinunterstürzten. noch die ärztliche Behandlung allein in den Händen von gefangenen Ärzten liegt, denen Selbst die diensthabenden Gefängnisärzte, die lediglich ein Sanitätswachtmeister beigegeben sich schützend vor die Gefangenen stellten, ist. wurden rücksichtslos mit Gummiknüppeln nie- dergeschlagen, dann tobte sich der Mut" der Schwebt den Amtsärzten der DDR vielleicht blauen Banditen selbst an den Schwerkranken das Schicksal der Ärzte in den ehemaligen Kon- in viehischer Weise aus. Die Hilfeleistung der zentrationslagern der Nazis vor Augen? Saalärzte an bewußtlos im Saal und auf der Treppe liegenden Inhaftierten wurde von Poli- Die Volkspolizei sperrt die Post; die Zeitungs- zeirat Schulz mit der satanisch-zynischen Be- lieferungen wurden eingestellt; jede kulturelle merkung begleitet ,Laßt die Hunde verrecken!' Betätigung innerhalb der einzelnen Säle ist ver- boten. Man darf die Anzahl der Verletzten mit etwa zwei Drittel der Gesamtbelegschaft annehmen. Wir Häftlinge wurden als Verbrecher be- schimpft, die Zählungen in Kehrtstellung durch- Noch einmal, unter diesen Bedingungen viel- geführt. leicht zum letztenmal, rufen wir die ganze zivili- sierte Welt, wenden wir uns an die Gerechtig- So wurde die Belegschaft des Lagers ganz sy- keit und Menschlichkeit einer demokratischen, stematisch in eine Angstpsychose hineingetrie- besseren, freien Welt, noch einmal entrollen ben, die sich noch ganz erheblich steigerte, als wir vor der Öffentlichkeit die Vorgänge von selbst sechs Wochen nach der Übernahme durch Bautzen. die deutschen Organe sich keiner der zuständi- gen Offiziere oder Verwaltungsbeamten dazu Nachdem in den ersten Tagen des Februar d.J. hatte bewegen lassen, auch nur mit einem Wort die deutsche Verwaltung das Gefangenenlager sich über die rechtliche Lage der Inhaftierten zu Bautzen übernommen hatte, in dem etwa sie- äußern. bentausend Unschuldige schmachten, begann sie ihr Regime mit einer Kürzung der Lebens- Die Saalältesten und die Vertrauensleute wie- mittelrationen. Die Verpflegung bestand nun: sen immer und immer wieder in dringlichen Frühmorgens aus heißem Wasser mit ver- Meldungen und beschwörenden Appellen die einzelten Nudeln, mittags aus einer Futterrun- verantwortlichen Stellen auf diese Angstpsy- kelbrühe, eingesäuerten Mohrrüben oder Kartof- chose vor Hunger und Tbc hin. In wiederholten felschalensuppe mit Sauerkrautfäden. Die Tu- Schreiben baten sie den Kommandeur, doch mit berkulose, die schon vorher als Schreckgespenst einigen aufklärenden Worten über den Fort- vor den Häftlingen gestanden hatte, wütete mit gang der Dinge diese seelisch vollkommen zu- jedem Tage stärker, Medikamente waren prak- grunde gerichteten Menschen zu beruhigen. tisch nicht vorhanden, die sanitären Einrichtun- Immer wieder wurde darauf hingewiesen, daß gen in einem Zustande, der es jedem erlaubte, die jahrelange unmenschliche Haft mit ihren sich auszurechnen, wann er dem würgenden grausamen Bedingungen die Menschen voll- Tod oder dem Hunger zum Opfer fallen würde. kommen seelisch zermürbt und zerstört hatte.

38 Es war alles vergebens; es rührte und regte sich Essen sich von Tag zu Tag noch mehr verschlech- nichts. Hunger, Tbc und seelische Qualen trie- terte und als laufende Neuzugänge die qualvolle ben die Menschen zum Äußersten. Am 13. März Enge noch steigerten, die Seuchengefahr ver- rissen sie die Fenster auf und schrien ihre Not, größerten. ihre Angst und ihr Elend, schrien damit aber Diese armen Opfer, diese schwer Tuberkulose- auch zugleich die Schande und die Schmach kranken, wurden auf offenen Lastwagen hier dieses Regimes in die Öffentlichkeit. eingeliefert, so daß bei der Ankunft schon ein Diese Rufe mußten den Machthabern grausam Toter zu beklagen war und am gleichen Tage in den Ohren gegellt haben, denn schon am noch zwei Inhaftierte verstarben. nächsten Tage gaben Inspektoren, hohe Offi- ziere, Verwaltungsbeamte und Minister einan- Wieder waren es die Gefangenen selbst, die in der die Türklinke in die Hand, und am 16. März zahlreichen schriftlichen und mündlichen Ge- erschien in den einzelnen Sälen eine deutsch- suchen um eine Unterredung mit einem der russische Offizierskommission. Während die verantwortlichen Männer nachsuchten. Nichts russischen Offiziere lediglich die Versicherung geschah. Zum erneuten Male wurden die Men- abgaben, nicht nur in Karlshorst, sondern auch schen in einen Zustand getrieben, der ihnen den den Herren Pieck und Grotewohl unsere Lage Genickschuß oder die Gaskammer als humani- eingehend zu schildern und eine Klärung her- tärer, weil schnellere und schmerzlosere Metho- beizuführen, versprachen die deutschen Poli- den erscheinen ließ! zeioffiziere - vor allem der traurig berüchtigte Um alle, aber auch restlos alle Möglichkeiten Polizeirat Schulz - das Blaue vom Himmel. auszuschöpfen, wendeten sich die einzelnen Aufbesserung der Verpflegung, Verlegung der Säle sogar an die höchsten Stellen in der DDR, Jugendlichen, Arbeitsmöglichkeit für alle, Er- unabhängig voneinander richteten sie auf dem neuerung der Bekleidung, sofortige Postzustel- Dienstwege an die verschiedenen Regierungs- lung, die Möglichkeit zu schreiben und unbe- stellen der DDR Gesuche und baten um Abstel- schränkt Pakete zu empfangen, Zahnbürsten, lung der unmöglichen - weil zum Tode von Kämme, Seife sollten ausgegeben werden usw. tausenden Unschuldiger führenden - Zustände; Bautzen schien sich mit einem Male in ein baten um Klärung ihrer rechtlichen Stellung Erholungslager verwandeln zu wollen. Wer aber und vor allem um ein ordentliches Gerichts- die Herren bei ihren Versprechungen ansah, verfahren, das ja nur ihre Unschuld beweisen konnte ihnen die befohlenen und bewußten konnte. Lügen vom Gesicht ablesen, und am deutlich- sten dokumentierte sich die Wut und Angst in Als wiederum Tage und Wochen vergingen, den Worten des Polizeirats Schulz: Sie sollen ohne daß das Geringste erfolgte, genügte nun- alles haben, aber schreien Sie um Gottes willen mehr eine Geringfügigkeit, um aus dieser Si- nicht wieder.' tuation eine spontane Kundgebung hervorge- hen zu lassen. Wir Häftlinge schrien nicht wieder. Wir hat- ten Verständnis mit verwaltungstechnischen Am 31. März d.J. schlug dann die Verzweiflungs- Schwierigkeiten, wir waren auch nicht so ge- stimmung um, wehrten sich die Tausende gegen mein wie unsere Wärter; denn wir glaubten - den immer näher rückenden Würgeengel Tbc sogar nach all den Jahren der Gemeinheiten und und den Hungertod, schrien sie zum zweitenmale der Quälereien - an das Wort eines deutschen ihre Angst, Not und Pein in die Welt hinaus. Beamten. Am Mittag hatte man uns wieder eine stinkende Aber wiederum geschah gar nichts. Das Hun- dünne Runkelbrühe vorgesetzt; zu gleicher Zeit gern ging weiter, Tuberkulose herrschte, die ,durfte` jeder Häftling eine Karte mit dem vor- Lage verschärfte sich noch, als deutsche Volks- geschriebenen Text schreiben: ,Liebe(r)...! polizisten von den Wachtürmen herab Anschlag- Teile Euch mit, daß Ihr mir innerhalb acht übungen auf uns Inhaftierte vornahmen, als das Wochen einmal schreiben könnt und auch ich

3 9 Euch in dieser Zeit einmal schreibe. Besuchs- als sie von 18- bis 20j ährigen politisch zuverläs- und Paketempfang zur Zeit noch nicht gestattet. sigen Bestien den neuen Sozialismus einge- Herzlichen Gruß!...' prügelt bekamen, wenn Ihr gesehen hättet, wie man die Kranken von den Liegestätten herun- Dieser neue Wortbruch, diese neue Gemeinheit terwarf und blindwütig mit Gummiknüppeln führte endlich zu den Vorgängen des 31. März. auf sie einschlug, dann würdet Ihr, freie Men- Wiederum wurden spontan die Fenster aufge- schen, mit grenzenlosem Entsetzen und namen- rissen, wiederum gellten die tausendfachen loser Empörung vor diesem Verbrechen stehen, Schreie und Sprechchöre den Kerkermeistern vor diesem Verbrechen gegen die Menschlich- und Henkersknechten entgegen, wiederum keit, begangen fünf Jahre nach der Beseitigung schrien 6.000 gequälte, halbverhungerte Men- des Regimes, dessen es würdig wäre. schen all ihre Not in eine Welt, von der allein sie Genossen und Parteifreunde! sich Hilfe versprachen! Deutsche Menschen diesseits und jenseits der Und wenn auch weit über die Hälfte aller Häft- Grenzen! In unserer namenlosen Verzweiflung linge diesen Hilfeschrei mit schweren Verletzun- und Not wenden wir uns an Euch, wir wenden gen, mit Schmerzen und mit Blut bezahlen uns an alle Parteien und Organisationen! An die mußten, wenn auch die 172 Volkspolizisten mit kirchlichen Verbände und Religionsgemein- ihren 16 Offizieren in Gegenwart höchster, gold- schaften! betreßter Herren, die sich dieses erhebende Schauspiel nicht entgehen lassen wollten, ihren Wir wenden uns an den Kampfbund gegen die Mut bewiesen und uns wehrlose Menschen der- Unmenschlichkeit und das Ministerium für Wie- artig zusammenschlugen, daß noch heute die dervereinigung! Opfer mit ausgeschlagenem Auge, bewußtlos und der Sprache beraubt mit zerschlagenen Wir wenden uns an das Rote Kreuz und die Liga Knochen darniederliegen, ja, selbst wenn noch für Menschenrechte! einige von uns diesen Einsatz mit ihrem Leben Wir wenden uns an alle Demokraten, an alle bezahlen müßten, da sie bei dieser Behandlung Menschen in einer freien Welt: Hört unseren und Kost kaum den Blutverlust ersetzen kön- Schrei! nen, so haben wir, so hat die gesamte Welt doch das Angesicht dieses Regimes als Fratze des Hört den Schrei der 6.000 gequälten und hun- Teufels erkannt. gernden Gefangenen, die in Euch ihre allerletz- te Hoffnung sehen, die von Euch Rettung für Die Repräsentanten dieser Schandrepublik der sich und ihre Familien ersehnen. DDR selbst stürmten mit Gummiknüppeln in der Hand die Säle und Zellen, in denen die Häft- Hört uns und helft uns! Helft den Tausenden linge ruhig auf ihren Pritschen saßen, sie selbst von Unschuldigen, die als Opfer einer blutigen knüppelten alte, weißhaarige Männer nieder; Tyrannei schon 20.000 ihrer Kameraden in der sie schrien ihren Männern immer wieder zu: Erde verscharren mußten! ,Schlagt vor allem die Jugendlichen zusammen! Hört uns, Genossen der SPD! Tausende Eurer Schlagt die Verbrecher tot!' Genossen wurden von den Banditen der Ein- Freie Menschen in Deutschlands Westen! Wenn heitspartei ermordet, hört die Überlebenden und Ihr nur einen Blick in unsere Säle hättet werfen helft ihnen. können, nur einen einzigen Blick während die- Hört uns, Freunde der CDU, LDPD! Eure be- ser schmachvollen Vorgänge, wenn Ihr gesehen sten Mitglieder sind es, die hier brutal und sy- hättet, wie alte Männer, die ein Lebensalter stematisch zu Tode gequält werden, weil sie es schon im Dienste der Gemeinschaft standen gewagt hatten, für ihre Partei einzutreten! oder für die sozialistische Bewegung sich ein- gesetzt hatten, nicht nur körperlich, sondern Hört uns, ihr Menschen jenseits der deutschen auch seelisch vollkommen zusammenbrachen, Grenze!

40 In der allerhöchsten Not schreien wir zu Euch! Erhört unseren Notschrei! Hört ihn, alle, die Ihr Schon einmal habt Ihr Legionen Unschuldiger, noch Menschenantlitz tragt und die Ihr noch Gequälter vom Tode errettet, duldet nicht, daß einer menschlichen Regung fähig seid! Hört zum zweiten Male unersättliche Machtgier, nied- und helft uns. Legt diesen Unmenschen, legt rigste animalische Instinkte und teuflische Mord- diesem Blutregiment das Handwerk! Genug lust sich an aufrechten Menschen austoben! des unschuldig vergossenen Blutes! Genug der Menschen in allen Ländern! Erhört uns! Pran- Opfer, die im Kampfe gegen Willkür und Dik- gert diese Verbrecher und ihre viehischen Will- tatur, gegen Sklaverei und Knechtschaft fielen! kürakte an! Genug der Opfer, die hinter Stacheldraht in elenden Baracken, in Zellen und Gaskammern, Ruft durch Eure gesamte Presse die anständigen in Konzentrationslagern hingemordet wurden! Menschen auf zum Kampf gegen dieses Un- Genug der Opfer, die Hunger, Seuchen und termenschtum! Tuberkulose grinsend hinwegrafften! Genug der unschuldigen Toten! Nicht mehr Tod und Ver- Schickt unseren Schrei der Not und Verzweif- nichtung, Leben und Aufbau sollen regieren! lung durch Draht und Radio durch alle Welt! Wir rufen die gesamte zivilisierte Welt! Wir Genossen! Freunde! Menschen! 6.000beschwö- wollen nicht dem Hunger und der Tuberkulose ren Euch! Hört den Aufschrei dieser Gemar- zum Opfer fallen! terten! Wir wollen nicht langsam verrecken wie hilflo- Jeder Tropfen Blut, der hier vergossen wurde, ses Vieh! muß brennen im Gewissen der Menschheit, Wir rufen die freien Menschen in aller Welt! muß brennen als Schandfleck eines Blutregimes! Duldet nicht länger, daß Verbrecher und Mör- Wir wollen arbeiten, aufbauen, leben! der ihre sadistischen Triebe an Unschuldigen Wir wollen der Freiheit in der ganzen Welt zum austoben! Laßt es nicht zu, daß nach der brau- Siege verhelfen! nen jetzt die rote Diktatur mit denselben Metho- Erhört uns, Brüder und Schwestern in der gan- den jede Menschlichkeit niederknüppelt und zen Welt! finsteres Mittelalter nochmals zur Herrschaft gelangt! Helft uns!"

4 1 Gedenkfeier und Vermächtnis

Am 31. März 1990, also 40 Jahre nach der Nie- Der Mut der Verzweifelten und die Opfer an derschlagung des Aufstandes von 6.000 Häft- Gesundheit und Leben waren, so könnte man lingen in Bautzen gegen die Bewacher, die heute sagen, durch den Aufstand des Volkes Volkspolizei, versammelten sich ehemalige poli- nicht vergebens. tische Häftlinge mit ihren Angehörigen in der Wir sind heute nach Bautzen zurückgekehrt Strafvollzugsanstalt Bautzen zu einer Gedenk- feier in der Anstaltskirche. Aus der von Dieter ohne Gefühle des Hasses oder der Rache, aber Rieke gehaltenen Gedenkrede nachstehend ein auch ohne Gedanken des Verzeihens. Auszug: Wir sind erfüllt von den Gedanken des Schmer- „Wir sind heute nach Bautzen zurückgekehrt, zes über die Wunden, die uns mit langjähriger um jener Tage und Stunden vor 40 Jahren zu Haft und Hungerjahren von den kommunisti- gedenken, an denen die hier inhaftierten poli- schen Machthabern gerissen wurden. Sie sind tisch Verfolgten einen Aufschrei der Verzweif- heute vernarbt, aber nicht vergessen. lung an die Öffentlichkeit richteten. Wir sind heute auch hier in Erinnerung an die Zu Tausenden hatten die kommunistischen vielen Weggefährten, die es nicht geschafft Machthaber nach 1945 in der SBZ/DDR un- haben, Hunger und Tbc zu überstehen, oder die schuldige Männer und Frauen interniert, ver- an den Folgen der Haft nach ihrer Freilassung haftet, zu langjährigen Freiheitsstrafen verur- verstorben sind. teilt, deportiert oder schon nach ihrer Inhaftie- rung zu Tode gequält. Wir wissen auch heute noch nicht, wo wir ein Blümchen für die vielen pflanzen können, die Ihre Schuld lag für die Kommunisten darin, daß hier elend verstorben sind und auf dem berüch- sie sich gegen Willkür und Terror des Stalin- tigten Karnickelberg namenlos verscharrt wur- regimes und seiner Helfer wehrten und für Frei- den. heit und Recht aller Menschen eintraten. Wer nennt die Namen und die Anzahl derer, um Tausende Frauen und Männer, darunter viele die heute noch Frauen, Kinder und Enkelkinder Sozialdemokraten, gingen den Weg durch die trauern? Hölle von Verfolgung und Haft.

Er endete für viele nach 1945 in den Konzen- Unsere Gedanken gehen heute zurück in die Zeit nach Kriegsende. trationslagern Buchenwald und Sachsenhausen und ebenso in den Haftanstalten von Torgau, Wir glaubten damals an den Neubeginn einer Hoheneck, Brandenburg, Waldheim, in den La- Zeit, in der nach Diktatur und Terror der Nazis gern von Workuta oder hier in Bautzen. gegen politisch Andersgläubige ein neuer, nach Der Aufschrei der hier eingesperrten über demokratischen Rechtsgrundsätzen aufgebau- 6.000 Häftlinge an das Gewissen der Welt vor ter deutscher Staat jedermann Freiheit und poli- nunmehr 40 Jahren blieb nicht ungehört. tisches Tätigkeitsfeld zum Wohle einer mensch- lichen Gesellschaft gewährt. Aber es dauerte fast ebenso lange, bis das kom- munistische Terrorregime nun endlich beseitigt Aber die Diktatur der Nazis wurde in der sowje- werden konnte. tisch besetzten Zone sehr bald durch eine neue

42 Diktatur der sowjetischen und deutschen kom- Nun stehen wir hier am Ort des Geschehens - munistischen Machthaber ersetzt. 40 Jahre danach: Noch leben die Täter und Helfer von damals in diesem Land. Wir empfin- Die Menschen in Mitteldeutschland wurden von den für sie nur noch ein Bedauern für ihre den Kommunisten sowjetischer und deutscher Verblendung, die sie zu Mithelfern von Terror Prägung in ein Terrorregime gezwängt, das in und Unmenschlichkeit der Kommunisten hat seiner Unerbittlichkeit gegenüber Andersden- werden lassen. kenden gnadenlos war. Die Zeit heilt Wunden - die Narben bleiben, sie Für die Opfer hatte die Perfektion der allumfas- schmerzen uns heute noch. senden Herrschaft des kommunistischen Ein- heitsstaates mit Staatssicherheit, Mauer und Gibt es für das, was geschehen ist, überhaupt ein Stacheldraht dem Nazi-Regime vergleichbare Wort des Verzeihens? Züge. Wir sind nicht nach Bautzen zurückgekehrt um eines sensationellen Effekts willen, sondern des Wir haben am eigenen Leib erfahren und er- Gedenkens wegen. tragen, wie Rechtlosigkeit und Unmenschlich- keit zum Prinzip kommunistischer Machtherr- Der Wandel zu einem demokratischen Gemein- schaft wurden. wesen, der sich jetzt in den neuen Bundeslän- dern vollzieht, gibt uns die Kraft dazu. Unser Aufbäumen gegen diese Gewaltherrschaft haben viele von uns mit langjähriger Haft oder Viele von uns haben diesen Wandel erhofft und gar mit dem Tode bezahlt. ersehnt. Aber auch vielen von uns war es nicht mehr vergönnt, die neue Zeit eines geeinten Verhaftet, zu Tode gequält, verschollen, ver- Deutschlands noch zu erleben. mißt oder an Seele und Körper gebrochen - so Ich nenne keine Namen. Für sie alle aber spre- hat der Kommunismus seine politischen Geg- che ich in dieser Stunde des Gedenkens hier das nergeschlagen. Vermächtnis aus, daß wir ihr Angedenken be- Noch heute ist Bautzen gleichsam das Synonym wahren werden und daß wir uns weiter bemü- für die auch an Deutschen begangenen Verbre- hen wollen, die langen Schatten der kommuni- chen der Kommunisten. stischen Machtherrschaft aufzuhellen und den Opfern Gerechtigkeit widerfahren zu lassen. Der 31. März 1950, der Tag unseres Aufstandes hier, ist aber auch Symbol für den Überlebens- Laßt uns, jeder an seinem Platz und soweit uns willen der vielen in dieser Strafanstalt einge- die Kräfte reichen, daran wirken, daß sich dieser pferchten Menschen. dunkle Teil deutscher Geschichte niemals wie- derholt und daß wir den nachfolgenden Genera- Nach der Übergabe der Gefangenen im Februar tionen auch in den neuen Bundesländern den 1950 von den sowjetischen Besatzern an die Mut und den Willen vermitteln, gemeinsam ein Volkspolizei bzw. an die Organe der Staatssi- Deutschland in Frieden, Freiheit und Gerech- cherheit verschlechterte sich rapide das Leben tigkeit aufzubauen. der hier eingesperrten Menschen. Das sei unser Vermächtnis für die Zukunft un- Es kam am 13. und 31. März zu einem Aufstand seres Vaterlandes und aller Menschen, die darin an den Gittern der Säle und Zellen. leben."

43 Dokumente über sowjetische Internierungslager und Strafanstalten

Erst im Juli 1990 sind zum ersten Male sowjeti- reich 11 diente dem Ministerium für Staats- sche Dokumente der Öffentlichkeit übergeben sicherheit zeitweilig als Haftarbeitslager; worden, aus denen Genaueres über die Zahl der Häftlinge und die Art der „Sonderlager" in der 3. Buchenwald bei Weimar (im ehemaligen sowjetischen Besatzungszone hervorgeht. Konzentrationslager) von August 1945 bis Februar 1950; Diese Unterlagen bestätigen viele Aussagen 4. Frankfurt/Oder (in einer ehemaligen Sied- von Zeugen und korrigieren einige bis dahin lung) von Mai bis Oktober 1945 und in einer nurgeschätzteAnga- ehemaligen Kaserne von Mai 1945 bis Sep- „Den Wohlmeinenden, den Re- ben. Die FAZ vom tember 1947; dewütigen und Repräsentations- 27. Juli 1990 zitiert hungrigen hier in diesem Lande aus den sowjetischen 5. Fünfeichen bei Neubrandenburg (in einem möchte ich sagen: Man kann nicht Dokumenten unter ehemaligen Kriegsgefangenenlager) von mit den Peinigern verhandeln und anderem folgendes: April 1945 bis Oktober 1948; die Gepeinigten ignorieren. Die Opfer der Freiheit, die Eingeker- „In der sowjetischen 6. Jamlitz bei Lieberose (in einem ehemaligen kerten, die Verschleppten, die ge- Besatzungszone er- Straflager der SS) von September 1945 bis samte Bevölkerung der Ostzone, richtete die sowje- April 1947; tische Besatzungs- die Kriegsgefangenen, sie alle ha- 7. Ketzschendorf bei Fürstenwalde (in einer ben Anspruch auf unsere mensch- macht elf Internie- früheren Arbeitersiedlung) von April 1945 liche und nationale Solidarität." rungslager, die in der bis Februar 1947; Denkschrift des so- Kurt Schumacher wjetischen Innenmi- B. Mühlberg/Elbe, Kreis Liebenwerda (in ei- im Bundestag, März 1951 nisteriums nicht alle nem ehemaligen Kriegsgefangenenlager) und nicht korrekt be von September 1945 bis Oktober 1948; zeichnet sind. Sie bestanden zwischen 1945 und 1950 unterschiedlich lange. 9. Sachsenhausen bei Oranienburg (im ehe- maligen Konzentrationslager) von August Nach westlichen Erkenntnissen waren es die 1945 bis März 1950; Lager: 10. Torgau (in einer früheren Militärhaftanstalt Bautzen (im ehemaligen Zuchthaus) von und in Fort Zinna) von September 1945 bis Mai 1945 bis Februar 1950; Mai/Juni 1946, anschließend in einer ehe- maligen Kaserne bis März 1947, 2. Berlin-Hohenschönhausen (Lagerbereich 1 in einer früheren Molkerei und Lagerbe- 11. Weesow bei Werneuchen (ehemalige Guts- reich II in einer früheren Fleischmaschi- höfe) von Mai bis August 1945. nenfabrik) von Mai 1945 bis Oktober 1946. Der Lagerbereich I war von 1946 bis 1951 In einer Denkschrift des sowjetischen Innen- zentrales Untersuchungsgefängnis der so- ministeriums vom Juli 1990 heißt es, sowjeti- wjetischen Sicherheitsorgane und ab 1951 sche Archivdokumente belegten, daß in den Untersuchungsgefängnis des Ministeriums sowjetischen Sonderlagern in der sowjetischen für Staatssicherheit der DDR; der Lagerbe- Besatzungszone von 1945 bis 1950 insgesamt

44 122.671 Deutsche eingesessen hätten, von de- der Gesamtzahl der Häftlinge in den Sonderla- nen 45.262 wieder auf freien Fuß gesetzt wor- gern betragen. Bei der übergroßen Mehrzahl der den seien. Wie viele Jahre lang diese Menschen Häftlinge dürfte es sich um Unschuldige ge- ohne Strafverfahren und ohne Urteil einge- handelt haben. Die sowjetische Denkschrift deu- sperrt waren, wird nicht gesagt. 14.202 Häft- tet das auch an, wenn es dort heißt, zu allen in linge seien von den Sowjets dem Ministerium die Lager eingewiesenen Personen seien sorg- des Innern der DDR übergeben worden. Aus fältige Untersuchungen geführt worden, in de- den Lagern seien 12.770 Personen in die So- ren Folge viele wieder freigelassen worden sei- wjetunion gebracht und 6.680 in Kriegsgefan- en. „Es ist jedoch nicht ausgeschlossen, daß sich genenlager überführt worden. Nach den Unter- unter den Internierten auch Personen befanden, lagen ist 212 Häftlingen die Flucht gelungen. die lediglich auf der Grundlage von Anzeigen Weiter heißt es in der sowjetischen Denkschrift: oder infolge tragischer Verknüpfungen von „In der gesamten Zeit (1945 bis 1950) starben Umständen in Haft genommen wurden." nach vorhandenen Angaben 42.889 Personen infolge von Krankheit, vor allem in den Jahren 1945 bis 1947. Arbeitskreis Durch das Militärgericht wurden 756 Personen ehemaliger politischer Häftlinge zum Tode verurteilt. Hinweise auf Grabstätten wurden in den Archiven nicht gefunden." Ehemalige politische Häftlinge, die der SPD angehören und in der DDR oder in anderen In der Denkschrift des sowjetischen Innenmini- Staaten des ehemaligen Ostblocks in Haft steriums heißt es weiter, die verfügbaren Doku- waren, haben sich schon vor Jahren in der mente belegten, daß in den Lagern der sowje- SPD zum sozialdemokratischen „Arbeits- tischen Besatzungszone „für jene Zeit erträg- kreis ehemaliger politischer Häftlinge der liche Haftbedingungen" geschaffen worden sei- SBZ/DDR" zusammengetan. en und die Behandlung der Häftlinge auf der Grundlage des Gesetzes erfolgt sei. Die hohe Freunde und Schicksalsgefährten; die mit Sterblichkeit unter den gefangenen Deutschen diesem Arbeitskreis Verbindung aufneh- sei vor allem auf Krankheiten zurückzuführen, men möchten, wenden sich bitte an den insbesondere Tuberkulose. Die Anzahl der SPD-Parteivorstand, Ollenhauerstraße 1, Deutschen, die wegen ihrer Verbrechen zum 53113 Bonn. Tode verurteilt worden seien, habe 0,6 Prozent

45 Kongreß der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands Deutscher Freiheitskampf in der Sowjetzone am 15./16. April 1961 in der Stadthalle in Bad Godesberg

Begrüßungsansprache des SPD-Vorsitzenden Erich Ollenhauer

Meine Damen und Herren, „Zehntausend Jahre" steht über Eurem Kon- Genossinnen und Genossen ! greß. Man muß sie aufgelöst betrachten in Hunderte von Einzelschicksalen. Etwa in das Als ich eben durch die Ausstellung gegangen Schicksal eines von Euch, der mit offenem bin, wurde ich noch einmal so recht in die Pro- Visier in den Kampf eintrat, als es darum ging, blematik hineingezogen, die uns hier und heu- daß die Kommunisten durch die Zwangsver- te gestellt ist. Zehntausend Jahre Kerker für einigung unsere Sozialdemokratische Partei in Deutschlands Frei- die Illegalität treiben wollten, um den Weg frei- heit - das steht als zumachen für ihre Diktatur in Mitteldeutsch- Motto über dieser Zu- land. Man muß den Weg dieses einen Genossen sammenkunft ehe- verfolgen, wie er wirkte und kämpfte, wie sie maliger politischer ihn abholten, schlugen, folterten. Und man muß Häftlinge aus der So- den Weg mit ihm gehen durch die einzelnen wjetzone, die verur- Stationen der Untersuchung, mit endlosen Ver- teilt wurden, die lei- hören, Hunger, Schlaflosigkeit, bis dann das den mußten, weil sie Urteil kam: dreimal 25 Jahre. Und vielleicht nicht aufhörten, freie muß man dann noch die Leiden von Bautzen Menschen, gute Deut- dazuzählen, wieder mit Hunger, mit Schlägen, sche und Sozialde- Bespitzelung und all den psychischen Foltern, mokraten zu sein. bis irgendwann - aufgrund von Protesten aus Ein großer Mann hat einmal festgestellt, daß die Deutschland, aus der Welt - die Stunde der Summierung von Leiden und Grauen abstump- Freiheit schlug. Das ist der Einzelfall, der sich fe und es nicht mehr empfinden lasse. Das ist ein bereits in diesem Raum zu Zehntausend Jahren durchaus richtiger Gedanke, und auch als man summiert. Man muß den Einzelfall sehen und den EICHMANN-Prozeß in Jerusalem vorbe- miterleben, um zu ermessen, was dieser Kon- reitete, rieten namhafte Leute den Richtern, greß aussagen will und aussagen wird. man solle nur den Fall einer Familie aburteilen, Wir, die wir das Glück hatten, im anderen Teil die durch jenen „Endlöser" ins Unglück, in den Deutschlands nach dem Zusammenbruch des Tod getrieben wurde. Diese Leute stützten sich Hitler-Regimes anfangen zu können, wir kön- dabei auf die Erfahrung, die man mit der Sum- nen uns nur verneigen vor der Leistung und der mierung des jüdischen Leidens gemacht hatte: Hingabe, die Hunderttausende von Landsleuten Viele blieben davon unberührt. Aber als dann in in Mitteldeutschland für die Sache der Freiheit einer künstlerischen Leistung ein einziger Fall und der Einheit der Nation gezeigt haben. Wir aus diesem namenlosen Leid herausgestellt wur- können uns nur verneigen vor dem Opfer, das de, der Fall der Anne Frank, da zeigte sich sie um der Freiheit unseres Volkes willen ge- plötzlich ein ganz anderes Bild. Das, was in bracht haben. Millionenzahlen nicht mehr faßbar war, wurde plötzlich faßbar, schlug um in echtes Mitemp- Aber viele haben auf diesem Opfergang noch finden und auch in ein starkes Wollen, das in mehr geben müssen. Sie haben die Unterdrük- dem Bekenntnis „Nie wieder" ausmündete. kung, die Leiden auskosten müssen bis zur Nei-

46 ge, bis zur Hingabe des Lebens. Erheben wir errichten konnten, ohne vorher die Sozialdemo- uns zum Gedenken an über 70.000 bekannte kratie zu unterdrücken, die nie bereit gewesen und namenlose Deutsche, die in den Jahren von wäre, eine Diktatur zu akzeptieren. Der Weg zu 1945 bis zum heutigen Tage in den Lagern der dieser Zwangsvereinigung aber, die von Pan- Kommunisten sterben mußten. Sachsenhausen, kow dieser Tage gefeiert wird, führte über die Buchenwald, Bützow-Dreibergen, Waldheim, ersten Opfer, die unsere Partei im Kampf um Bautzen, Brandenburg, Halle, Naumburg, Ho- das neue Deutschland nach dem Kriege zu brin- heneck - schier endlos ist die Kette der Namen gen hatte. Hier im Saal sind manche Genossen, von Lagern und Strafanstalten, in die Deutsche die damals bereits den Weg in die Kerker und wegen ihres Bekenntnisses zu Deutschland, zu Zuchthäuser antraten. Man muß immer wieder Recht und Freiheit, wegen ihres Widerstandes daran erinnern, daß nach ganz vorsichtigen geworfen wurden. 70.000 konnten bis heute den Schätzungen in der Zeit von Dezember 1945 bis Weg in die Freiheit nicht mehr antreten, und die zum April 1946 mindestens 20.000 Sozialde- Namen von 87 von ihnen, von 87 aufrechten mokraten gemaßregelt, für kürzere oder auch Genossen unserer Partei, stehen draußen auf der sehr lange Zeit inhaftiert, ja sogar getötet wur- Gedenktafel stellvertretend für alle. Sie starben den. Das ist die wahre Geschichte des genann- für die Freiheit unseres Volkes, für unser Recht ten Vereinigungsparteitages, den Pankow jetzt, auf Zusammengehörigkeit, für unser Recht auf zum 15. Jahrestag, festlich begehen möchte. Menschenwürde. Wir können ihnen nur noch Zu diesen Feierlichkeiten gehört auch die Wei- danken und von hier aus geloben, in ihrem he einer Gedenkstätte auf dem Gelände des ehe- Sinne weiterzukämpfen, ihre Ziele endlich den- maligen Hitler-Konzentrationslagers Sachsen- noch zu erreichen... hausen. Aber bei diesen Feierlichkeiten wird Sie haben sich zu Ehren der Toten erhoben, ich verschwiegen, daß Sachsenhausen ein berüch- danke Ihnen. tigtes Konzentrationslager des Naziregimes war und 1945 nicht aufhörte, Konzentrationslager Liebe Genossinnen und Genossen, unser Kon- zu sein. Die Kommunisten haben es zu glei- greß will aufmerksam machen auf die Lage in chem Zwecke übernommen und jahrelang wei- Mitteldeutschland, auf den Kampf, den dort die terbenutzt. Hunderte Sozialdemokraten wur- Anhänger der Demokratie gegen die SOWJE- den hier gefangen gehalten und mißhandelt. TISIERUNG, gegen die Unfreiheit führen. Daß Man kann aber an einer solchen Stätte nicht der dies ein sozialdemokratischer Kongreß ist, ist Opfer der Grausamkeit HITLERs gedenken, kein Zufall. Wer die Geschichte der Zone kennt, ohne nicht gleichzeitig der Opfer des Kommu- der weiß, daß die Sozialdemokratie dort eine nismus zu gedenken, in denen sich eine Kon- der Hauptkräfte des Widerstandes ist. Der weiß tinuität des menschlichen Leidens unter HIT- aber auch, daß die Sozialdemokratie die Haupt- LER und unter ULBRICHT offenbart. Dieser opfer in diesem Kampf getragen hat. Eine Un- Kongreß wird die Tatbestände, die sich dahinter tersuchung aus unseren Tagen beweist, daß bei verbergen, erarbeiten und klarstellen. den jetzt inhaftierten politischen Häftlingen die Sozialdemokraten oder die der SPD Naheste- Erlauben Sie mir, daß ich Sie alle recht herzlich henden die größte Gruppe unter den Betroffe- im Namen des Vorstandes der SPD begrüße. nen ausmachen. Diese Tatsache bestätigt nur, Besonders aber darf ich die Teilnehmer hier daß die Sozialdemokraten in der Zone im Kampf willkommen heißen, die Genossinnen und Ge- um die Freiheit in der vordersten Linie stehen. nossen, die durch ihr Kämpfen und Leiden aller Welt sichtbar gemacht haben, daß das deutsche Gerade jetzt begehen die Kommunisten den Volk nicht gewillt ist, sich dem kommunisti- 15. Jahrestag der Gründung ihrer SED. Es ist schen Macht- und Herrschaftsanspruch zu beu- die Partei, die entstand als das Ergebnis der ge- gen. Euer Schicksal, liebe Genossinnen und waltsamen Unterdrückung der Sozialdemokra- Genossen, ist einer der stärksten Aktivposten in tie. Damals, 1945/46, haben die Kommunisten unserer heutigen Auseinandersetzung um die sehr deutlich erkannt, daß sie ihre Diktatur nicht Freiheit und Einheit des Volkes, um die Über-

47 windung jeder totalitären Gefahr. Denn Ihr habt Tat und durch das persönliche Opfer. Möge gezeigt, daß Ihr nicht nur mit dem Wort für Eure Erfahrung und Euer Wissen um die Zu- unsere Ziele eintretet, sondern auch durch die sammenhänge unseren Kampf befruchten.

Aus der Ansprache von

(... ) Und noch ein Zweites liegt in den unter- unseres Volkes ist eine Folge dieser Vergan- schiedlichen Maßstäben gegenüber der Bun- genheit, und unsere Landsleute, die den Krieg desrepublik und der Zone: Das Gefühl nämlich, nicht mehr verloren haben als wir im Westen, daß die Menschen in der Zone sich nach 1945 tragen an ihr schwerer als wir an den Summen nicht in freiheitlicher Selbstbestimmung ent- unserer Verpflichtungen nach innen und nach wickeln durften, sondern ihr Leben unter einem außen. Die Menschen in der Zone haben den Gewaltsystem ande- schwereren Teil der Last, die uns die zwölf Jah- rer Färbung fortzuset- re hinterlassen haben. Sie tragen für uns alle zen hatten. Das Los etwas von dem, was wir eigentlich gemeinsam und die Leiden, die zu tragen hätten und was einer Art von Sühne unsere Landsleute in gleichkommen könnte. (...) der Zone auszuhalten (...) unser Schicksal entscheidet sich in der hatten, haben die Ver- Zone. Unsere Landsleute in Mitteldeutschland, hältnisse umgekehrt. ihre Moral, ihre Kraft, ihre Widerstandsfähig- Sie sind keinesfalls keit, ihre Zähigkeit, ihr Stehvermögen gegen- Träger, sondern Op- über dem fremden Regime und dessen mehr fer eines totalitären oder weniger befugten Sachverwaltern ent- Regimes. Ihre Leiden scheidet unser Schicksal als Volk. sind so groß, daß sie für unser aller Gefühl vieles von dem gesühnt Würde eines Tages die Mehrzahl der Menschen haben, was an unserer Vergangenheit sühnbar in der Zone dem Kommunismus geistig an- ist. Den Menschen, die nun schon seit andert- heimfallen, dann wäre über unser Volk der Stab halb Jahrzehnten den Zonen-Zwangsstaat er- gebrochen, dann wäre die Einheit der Nation tragen müssen, wird die Vergangenheit nicht erst wirklich verloren, dann müßte sich die mehr zur Last gelegt. ganze freie Welt fürchten, denn sie hätte eine Unsere Landsleute in der Zone erfüllen durch entscheidende Bastion verloren. (...) ihre Haltung, durch ihr Ausharren, durch alle (...) Ich möchte hier noch ein Wort über die Zeichen, die sie dafür geben, sich nicht zu Rolle sprechen, die die Sozialdemokratische beugen und dieses Regime nicht zu unterstüt- Partei in dieser Auseinandersetzung spielt. Der zen, eine Aufgabe, die im Interesse unseres „Sozialdemokratismus" - wie er in der offizi- ganzen Volkes liegt. Gemessen an unserer ellen Sprachregelung jenseits des Brandenbur- Geschichte ist dies eine Leistung, für die wir in ger Tores genannt wird- gilt mit Recht als eine der Bundesrepublik nur dankbar sein können. Gefahr für das Regime. Diese große Partei hat Das gilt umsomehr, als die deutsche Teilung in in der Auseinandersetzung für die Einheit un- Wirklichkeit als ein Preis betrachtet werden seres Volkes schwere Opfer gebracht. Es be- müßte, der sich für uns aus den Fehlern der gann mit dem Kampf Kurt Schumachers. Sein Vergangenheit ergeben hat, ein unendlich bit- Verdienst war es, gegen viele Widerstände ver- terer und schwerer Preis. Denn die Spaltung hindert zu haben, daß es auch im freien Teil

48 Deutschlands eine regierende kommunistische Neben dem Leid für 200 einzelne Menschen Einheitspartei gibt. Er hat sich dabei nicht auf und ihre Angehörigen zeigt diese Straflast, daß den geringsten Kompromiß eingelassen. (...) der Wille zur Erhaltung und Behauptung der (...) Ich empfinde es als Ehre, heute zu Ihnen, Freiheit und der Würde des Menschen in Ihnen, zu 200 Häftlingen aus der Zone sprechen zu in deutschen Menschen, auch mit der ganzen dürfen. 10.000 Jahre Zuchthaus, durch Sie re- Macht terroristischer Justiz nicht zu unter- präsentiert, nahezu fünfmal der Zeitraum von drücken ist. Diese Straflast, die Sie repräsen- Christi Geburt bis auf unsere Tage. Sie tragen, tativ für viele Millionen Menschen in der Zone meine Freunde, mit dieser ungeheuren Last in zu tragen hatten, zeigt auch die unzerstörbare doppelter Hinsicht zur Ehre des deutschen Na- Zusammengehörigkeit zwischen den Men- mens bei, der in der Vergangenheit so schänd- schen in der Zone und denen der Bundesre- lich befleckt worden ist. publik. (...)

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Politische Verfolgung und Haft in der SBZ/DDR Literaturverzeichnis

Die in diesem Heft abgedruckten Berichte, Aussagen und Zitate aus anderen Veröffentlichungen sind nur ein kleiner Ausschnitt aus der Fülle an Informationen, die zur Vertiefung dieses Themas angeboten werden können. Nachfolgend eine Auswahl der Publikationen:

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