Lama Anagarika Govinda Und Die Orakel Tibets
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1 FESTSCHRI F T F ÜR ARMIN GOTTM A NN ZUM 70. GEBURTST ag Volker Zotz (Hg.) Schnittstellen Buddhistische Begegnungen mit Schamanismus und westlicher Kultur 3 Kairos Edition 2013 © 2013 Kairos a.s.b.l. – Luxembourg www.kairos.lu | [email protected] Herstellung: BoD - Books on Demand GmbH, Norderstedt ISBN 978-2-919771-04-2 4 INHALT EIN F ÜHRUN G DES HER A US G EBERS 7 I. ZUM 70. GEBURTSTA G ARM I N GOTTMANNS BI R gi T ZOT Z „Du s t e h s t u n t e r D e m Ze i c h e n Śi v a s .” Zu r Bi o g r a f i e ar m i n go t t m a n n s 17 RENATE HUF ARMIN GOTTM A NN - EINE KOMMENTIERTE AUSW A HLBIBLIO G R af IE 35 II. BUDDH I SMUS UND SCHAMAN I SMUS ROBERT JANSSEN SCH A M A NISMUS , YO ga UND BUDDHISMUS 47 VERON I CA FUTTERKNECHT „al l e De v a s s i n D D a u n D l a u s c h e n ...” - ge i s t e r g l a u B e , al c h e m i e u n D he i l u n g i m Ko n t e x t v o n Bu dd h i s m u s UND TR A DITIONELLER MEDIZIN IN BURM A 63 BI R gi T ZOT Z „ZWIELICHT F RÜHESTER MENSCHHEITSER fa HRUN G “ - la m a an a g a r i K a go v i n D a u n D D i e or a K e l ti B e t s 83 III. BUDDH I SMUS UND WESTL I CHE KULTUR YUK I O KOTAN I Ba s h ō , go e t h e u n D D a s s y m B o l i s c h e De n K e n 105 HE I N Z PUS I T Z We n n i c h e i n m a l , Wa n D e r e r , n a c h ... ÜB e r D a s fa l s c h e i m ri c h t i g e n 121 KARL NEUMANN ve x a t i o n s a n D va r i at i o n s . Bu dd h i s m u s B e i Ja c K Ke r o u a c 131 VOLKER ZOT Z „BLEIBT PHILOSO P HEN , SOL A N G E IHR ES WOLLT !“ Di e an f ä n g e D e s Ār y a ma i t r e y a ma n D a l a i n eu r o p a 153 au t o r e n v e r Z e i c h n i s 179 5 BIRGIT ZOTZ „Zw i e l i c h t f r ü h e s t e r m enschheitserfahrung “ - LAMA ANA G AR I KA GO vi NDA UND D I E ORAKEL TI BETS Das tibetische Klosterwesen der Gelugpa kennt einen ausgeprägten Orakel- kult, bei dem ein Priester in willentlich herbeigeführte Trance fällt. Er stellt seinen Körper einer Gottheit (lha) zur Verfügung, die durch ihn spricht und agiert. In diesem Zustand der Besessenheit werden physische Beschränkun- gen überschritten. Der Orakelpriester trägt schwere Kronen und verknotet Schwerter (siehe Abb. 1). Darüber hinaus gibt es Berichte über Verletzungen wie abgeschnittene Zun- gen, die nach dem Ritual wieder verheilten. Nebesky-Wojkowitz schrieb 1955, dass Tibeter ihm erzählten, wie sich ein Orakelpriester „in seiner Raserei selbst den Bauch aufschlitzte und mit den herausgerissenen Eingeweiden die Götterbilder schmückte.“1 Geschichten wie diese weckten bei lokalen Beob- achtern wie bei Tibetreisenden einige Faszination. Ein wichtiges Orakel im Tibet vor 1959 war das Staatsorakel im Kloster Ne- chung. Es war am Auffinden der Dalai Lamas beteiligt und wurde in vie- len politischen Angelegenheiten befragt. Neben solchen institutionalisierten Klosterorakeln fungieren in Dörfern Personen (lha pa) als Sprachrohre meist hierarchisch niedriger lokaler Gottheiten, um zu heilen und zu weissagen. Dachte mancher Forscher vor Jahrzehnten, er würde die „letzten tibetischen Orakelpriester“2 untersuchen, zeigte sich inzwischen, wie die Institution trotz kommunistischer Regierung in Tibet und den Problemen der Exilsituation Be- stand hat. 1 Nebesky-Wojkowitz 1955, 231 2 Vgl. Schüttler 1971 83 Abb. 1: Verknotetes Schwert; Museum Stok, Ladakh 2012 (© Birgit Zotz) Dieser Beitrag widmet sich der Wahrnehmung des Orakelwesens durch ei- nen europäischen Buddhisten und Künstler. Lama Anagarika Govinda (1898- 1985), der ursprünglich Ernst Lothar Hoffmann hieß, war ab 1932 bis Ende der vierziger Jahre wiederholt als Pilger, Maler und Forscher in Ladakh und Tibet. Dort wurde er Zeuge des klösterlichen Orakels und spontaner Beses- senheit. Nachfolgend wird mit einem Fokus auf das Klosterorakel gefragt, wie Govinda diese Phänomene interpretierte. Weiter wird seine Perspektive mit jenen anderer europäischer Beobachter seiner Epoche verglichen. „MACHT DES GEISTES ÜBER DIE MATERIE “ Govinda, der sich bereits als Jugendlicher für den Buddhismus interessier- te, übersiedelte 1928 nach Britisch-Indien. Er wurde zum Anagarika, einem „hauslosen“ Asketen. Als er 1931 dem als Tomo Geshe (gro-mo dge-bshes) be- kannten Lama Ngawang Kalzang (ngag-dbang skal-bzang; 1866-1936) begegne- te, fand er vom Theravāda zum Vajrayāna. 1932 und 1933 reiste Govinda nach Südtibet und Ladakh. 1947 heiratete er die indische Malerin und Fotografin Li Gotami3 (1906-1988), mit der er zwei Expeditionen nach Süd- und Westtibet unternahm. 3 Vgl. Li Gotami Govinda 1979a und 1979b; 84 Um Govindas Wahrnehmung und Deutung der Orakel einzuordnen, folgt zunächst ein Blick auf seine Einstellung zu paranormalen Erscheinungen vor den Reisen in den tibetischen Kulturraum. In der Jugend vertrat Hoffmann einen rationalistischen Buddhismus im Kont- rast zum Christentum.4 Wie „kann ein Glaube befriedigen, der nicht mit unse- rem Verstand zu vereinbaren ist oder ihm gar widerspricht?“5 Diese Haltung änderte sich, als er ab 1920 intensiv meditierte. Er erkannte, wie der Bud- dhismus über vernünftiges Denken hinaus Dimensionen inneren Erfahrens umfasst, wenn „die Unendlichkeit des Raumes unmittelbar erlebt wird, in der der Meditierende sich emporgehoben und schwebend fühlt. Die anfängliche Gelöstheit erweitert sich so zum Bewusstsein ungehemmter Freiheit.“6 Der einstige Rationalist sah nach solchen Erlebnissen nicht mehr den Verstand als alleinigen Maßstab des Urteilens. Der Gedanke, nüchtern denkende Euro- päer könnten nicht mehr an Übernatürliches glauben, wich der Offenheit für Unerklärliches. Hoffmann nahm in den 1920er Jahren an einer spiritistischen Séance teil. Die Theorie und Praxis des Spiritismus nannte er im Nachhinein zwar „primitiv und unbefriedigend,“ doch leugnete er „die Wirklichkeit ok- kulter Kräfte“ nicht.7 Bei der Sitzung wurde nach früheren Existenzen der Anwesenden gefragt, wobei Hoffman den Hinweis bekam, die Wiedergeburt von Novalis, dem Dichter Georg Friedrich Philipp Freiherr von Hardenberg (1772-1801) zu sein, der ihm bis dahin unbekannt war. Bei dessen anschließender Lektüre fand er seine „eigenen innersten Gedanken“ wieder „und zwar genau in den Worten und Bildern, die ich selbst zu brauchen pflegte.“8 Seither galt ihm die Idee der Wiedergeburt nicht als Glaube, sondern als erwiesene Realität. In Nordafrika kam Hoffmann in dieser Zeit mit der Sufi-Bruderschaft der Aïs- sâwa, in Berührung.9 Er beobachtete Riten, deren Teilnehmern man in selbst induzierter Trance lange Spieße durch den Körper trieb, ohne dass Schmerzen oder Blutungen auftraten. Von der „Macht des Geistes über die Materie“ be- eindruckt, interpretierte er dies im Sinn einer Besessenheit, indem nach Ein- treten der Trance „eine andere Macht die Führung zu übernehmen“ schien. 4 Vgl. Govinda 1958 5 Hoffmann 1920, 19 6 Hoffmann 2010, 7. [MS von 1920] 7 Govinda 1969, 231-232 8 Govinda 1969, 234 9 Vgl. Govinda 1969, 418-421 85 Da ihm also Gegebenheiten wie Reinkarnation und Besessenheit schon zuvor als selbstverständlich galten, konnte er später in Tibet Gesehenes als Bestäti- gung des bereits Erlebten erfahren. ERLEBN I SSE I N TI BET Das im Zusammenhang unserer Untersuchung interessante Spektrum des von Govinda in Tibet Erlebten umfasst (1.) Trancelaufen, (2.) Ergriffenwerden vom Bewusstsein eines anderen, (3.) Orakel und (4.) spontanes Besessensein eines Menschen durch eine Gottheit. Bei den ersten beiden Ereignissen han- delt es sich um subjektive Erfahrungen, beim dritten und vierten um Beob- achtungen Govindas. Die Geschehnisse werden nachfolgend in der Chrono- logie des Auftretens dargestellt. (1.) Trancelaufen. Im Grenzgebiet von Tibet und Ladakh hatte Govinda sich 1933 am Panggong-See ohne Nahrung und Wasser weit vom Lager entfernt. Als er in der Dunkelheit den langen Weg zurück eilte, sprang er ohne wil- lentliches Zutun plötzlich „mit nachtwandlerischer Sicherheit von Block zu Block, ohne ein einziges Mal mein Ziel zu verfehlen, auszurutschen oder mei- nen Halt zu verlieren.“10 Seine Augen waren auf einen Stern gerichtet, der ihm als Richtung diente. „Plötzlich wurde mir bewusst, daß eine seltsame Kraft sich meines Körpers bemächtigt hatte [...] Meine Glieder bewegten sich wie in ei- nem Trancezustand, als ob sie mit einem ihnen innewohnenden, von mir unabhängigen Wissen handelten.“ Govinda deutete die Besitzergreifung durch ein Bewusstsein, dass nicht dem gewohnten entsprach, rückblickend als die Praxis eines Lunggompa (rlung- sgom-pa) genannten Tranceläufers. Diese verstärkt „Kräfte und Fähigkeiten, die in jedem Menschen gegenwärtig sind,“ indem von „Urkräften und den universellen Eigenschaften des Bewusstseins“ Gebrauch gemacht wird. Dieses universelle Bewusstsein übersteigt für Govinda das reflektierende und agierende Subjekt, handelten doch seine Füße, als ob sie mit „Eigenbewußt- sein“ und einem „eigenen Instinkt begabt wären.“ So fand er Halt an Stel- len, „die bei dieser Geschwindigkeit und im undurchdringlichen Dunkel der Nacht nur ein Hellseher hätte entdecken können.“ Govinda sah wieder den 10 Dieses und folgende Zitate Govinda 1969, 130-136 86 Beweis, wie „Materie dem Geist unterworfen werden kann.“ Der universel- le Geist, der sich im subjektiven Bewusstsein als Ausschnitt zeigt, steht über dem Physischen und vermag es zu bewegen.