5. September 1962: Fraktionssitzung 1
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FDP – 04. WP Fraktionssitzung: 05. 09. 1962 5. September 1962: Fraktionssitzung ADL, Bestand Wolfgang Mischnick, A40-747. Überschrift: »Kurzprotokoll der Sitzung der Fraktion am 5. September 1962«. Zeit: 10.15–21.00 Uhr. Vorsitz: Mende, dazwischen: Döring, später: Bucher. Anwesende Fraktionsmitglieder: keine Angabe. Sitzungsverlauf: A. Geschäftliche Mitteilungen. B. Bericht des Fraktionsvorsitzenden Mende über die innen- und außenpolitische Lage mit anschließender Aussprache. C. Berichte aus den Arbeitskreisen. D. Bericht von Bundesfinanzminister Starke über den Bundeshaushalt 1963 (Wirtschafts-, Finanz-, Verkehrs- und Sozialpolitik). [A.] TOP 1: Geschäftliche Mitteilungen 1. Glückwunsch zum Geburtstag von Dr. Dörinkel (55). 2. Entschuldigt: Dr. Danz, Dr. Kiep-Altenloh, Dr. Kohut, Logemann, Keller, Margu- lies, Dr. Menne, Dr. Rieger, Schmidt, Kühn. 3. Neben den Landesministern und Landessenatoren sowie den Staatssekretären Hüt- tebräuker1 und Qualen2 haben Sonnenhol3 und Niebel4 die Berechtigung, an den Fraktionssitzungen teilzunehmen. 4. Zur Behandlung der Berlinfragen wurden Borm5 und Ullmann6 zusätzlich zu der Fraktionssitzung gebeten. 5. Auf Anregung verschiedener Abgeordneter soll der Kreis der Teilnehmer an der Fraktionssitzung beschränkt werden. Dr. Aschoff: Außer dem Fraktionsgeschäftsführer sollten die Mitarbeiter an den Fraktionssitzungen nicht teilnehmen. Dr. Mende: Borm oder Stellvertreter sollten, da wir keine Berliner Abgeordneten mehr haben, permanent an den Fraktionssitzungen teilnehmen. Dr. Dehler: Unsere Mitarbeiter sind Leute unseres Vertrauens und die sachliche Arbeit bedingt auch die Anwesenheit der Sachreferenten. 1 Rudolf Hüttebräuker, Staatssekretär im Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten. 2 Hans-Hellmuth Qualen, Staatssekretär im Bundesschatzministerium. 3 Gustav Adolf Sonnenhol, Ministerialdirektor und Leiter der Abteilung I (u. a. Finanz- und Wirt- schaftsfragen der Entwicklungshilfe, Internationale Zusammenarbeit) im Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit. 4 Fritz Niebel, Ministerialdirigent und Leiter des Koordinierungs- und Planungsbüros im Presse- und Informationsamt der Bundesregierung. 5 William Borm, Landesvorsitzender der FDP in Berlin, Mitglied des Bundesvorstandes der FDP. 6 Heinz Ullmann, 1951–1958 MdA (FDP), 1953–1955 Senator für Verkehr und Betriebe von West- Berlin. Copyright © 2018 KGParl 1 FDP – 04. WP Fraktionssitzung: 05. 09. 1962 Dürr: Er unterstützt die Auffassung von Dr. Dehler. Es ist besser, die Presserefe- renten teilnehmen zu lassen, damit sich die Presse nicht nach der Fraktionssitzung auf die Abgeordneten stürzt. Dr. Mende: Wir sollten heute bei der alten Übung bleiben, es sei denn, die Abge- ordneten wollten untereinander Kritik üben (wenn ein Minister kritisiert wird, dann dürfen die unterstellten Beamten nicht teilnehmen). Dr. Bucher: Er erklärt sich bereit, zusammen mit Dr. Aschoff klare Richtlinien über die zur Fraktionssitzung zugelassenen Personen zu erarbeiten. Dr. Mende: Der Fraktionsvorstand wird sich unter Federführung von Dr. Bucher mit dieser Frage befassen. 6. Im Namen der Fraktion gratuliert Döring Dr. Mende zur Geburt seines Sohnes Matthias. Dr. Mende dankt für die Glückwünsche. [B.] TOP 2: Die innen- und außenpolitische Lage Dr. Mende: Die außenpolitische Information der FDP war bis März gut, wurde dann aber immer spärlicher. Dr. Mende hat am 5. Juni ein Gespräch mit Smirnow7 gehabt. Es wurde ihm gesagt, daß im Herbst diesen Jahres, spätestens aber im Frühjahr nächsten Jahres der Separatfriedensvertrag mit der DDR abgeschlossen würde; es sei denn, die Bundesrepublik tritt in Verhandlungen mit der UdSSR ein. Wenn jetzt keine Verhand- lungen erfolgen, wird sich die Verhandlungsposition des Westens verschlechtern. Smirnow sagte, daß keine Behörde über den Zugang nach Berlin denkbar sei, in der die DDR nicht vertreten sei. Dr. Mende hat Dr. Adenauer und Dr. Schröder8 von dem Ergebnis dieses Gespräches unterrichtet. Sein eigener Eindruck ist, daß sich in Berlin eine Depression breitmacht, und daß man das Gefühl hat, daß jetzt eine Aktion des Westens erforderlich ist. Die Berliner machten ihrem Unmut gegen die bisherige abwar- tende Hilflosigkeit durch verschiedene Demonstrationen Luft. Der Arbeitskreis I hat zu einer Friedenskonferenz geraten, worüber Dr. Schröder ein Memorandum zugeleitet wurde. Nach der Übergabe des Memorandums hat ein Gespräch mit dem Kanzler statt- gefunden, bei dem aber die Fibag9-Affäre und nicht die Außenpolitik im Vordergrund stand. An diesem Gespräch nahmen auch die stellvertretenden Fraktionsvorsitzenden teil. Schröder hat den Separatfriedensvertrag als Nullum bezeichnet und über dpa eine Warnung an die Neutralen gegeben, die deutsche Zweistaatlichkeit anzuerkennen. Hiervon wurde die FDP vorher nicht unterrichtet. In Berlin hat Dr. Mende erklärt, daß alles getan werden müsse, um den Separatfriedensvertrag zu verhindern. Er hat mit Schröder vereinbart, daß dieser vor der FDP-Fraktion spricht. Über den Bayerischen Rundfunk hat Dr. Mende am 8. August in der Sendung »Politik aus erster Hand« er- klärt, daß mit weiteren Schritten vom Osten gerechnet werden muß. Inzwischen haben die Sowjets ihren Stadtkommandanten in Berlin zurückgezogen und dafür einen so- wjetzonalen Generalmajor ernannt. Ähnliches ist auf dem Gebiet der Luftkontrolle zu erwarten. Zu befürchten ist auch die Einführung eines DDR-Visums im Verkehr nach Berlin. In dieser Situation schrieb Dr. Mende am 21. August an Adenauer mit Durch- schlag an Dr. Schröder, Dr. von Brentano10 und Dr. Dollinger11. Er schlug in diesem 7 Andrei Andrejewitsch Smirnow, sowjetischer Botschafter in Bonn. 8 Gerhard Schröder, MdB (CDU), Bundesminister des Auswärtigen. 9 Finanzbau Aktiengesellschaft. 10 Heinrich von Brentano, MdB (CDU), Vorsitzender der CDU/CSU-Bundestagsfraktion. Copyright © 2018 KGParl 2 FDP – 04. WP Fraktionssitzung: 05. 09. 1962 Schreiben eine Initiative des Westens für eine Friedenskonferenz vor. Dr. Adenauer antwortete, daß er den Zeitpunkt wegen der Zurückziehung des sowjetischen Stadt- kommandanten in Berlin nicht für gut halte. Geantwortet hat auch Dr. von Brentano, der Bedenken gegen eine solche Initiative wegen der Teilnahme der DDR-Delegation äußerte, wodurch die Spaltung Deutschlands besiegelt würde. In einem persönlichen Gespräch sagte ihm Dr. von Brentano, daß sich der Fraktions- vorstand der CDU für einen Beitritt Großbritanniens ausgesprochen habe. Das gleiche hatte vorher schon die FDP getan und nach dem Brief Dr. Adenauers an Macmillan12 ein weiteres Mal. In einem Gespräch, an dem auch Mischnick teilnahm, äußerte Dr. Adenauer die Befürchtung, daß der Beitritt Englands und der skandinavischen Staaten zu einem sozialistischen Europa führt. Dem widersprachen sowohl die FDP als auch Dr. von Brentano. Frankreich ist im Gegensatz zu den USA und England im Augen- blick nicht bereit, sich an einer Konferenz unter Druck, wie es de Gaulle13 nennt, zu beteiligen. Dr. Adenauer sprach von einer Aufweichung in der Berlinfrage, die sowohl von seiten der USA als auch Englands festzustellen sei. Dr. Mende hat den Eindruck, daß Dr. Adenauer den Beitritt Englands mit allen Mitteln zu verhindern sucht. Adenau- er übersieht die Konsequenzen in der Berlin- und Deutschlandfrage nicht mehr. Er ist offenbar auch nicht geneigt, im Herbst 1963 ohne Druck zurückzutreten. Er neigt dazu, im Jahre 1964 Prof. Erhard14 zum Bundespräsidenten und Dr. Krone15 zu seinem Nachfolger als Bundeskanzler zu machen. In dem Gespräch ließ er erkennen, daß er sich mit Gedanken über eine Kabinettsumbildung trägt, die seine Position stärkt. Von der CDU ist wegen der dortigen Diadochenkämpfe nichts zu erwarten. Unser außen- politischer Einfluß ist im Augenblick gleich Null. Die schlechte Information des Bun- desvorsitzenden zeigte sich zum Beispiel im Fall Groepper16. Chruschtschow17 betrach- tet es als unfreundlichen Akt, daß Kroll18 jetzt zugunsten Groeppers abgelöst werden soll, der bis vor kurzem der dritte Mann in der deutschen Botschaft in Moskau war. Die Frage der Amtsniederlegung des Kanzlers sollten wir in der Öffentlichkeit nicht in ultimativer Form fordern, wohl aber sollten schon jetzt darüber mit der CDU Gesprä- che geführt werden. Hier ist eine gemeinsame FDP/CDU-Initiative angebracht. Der Bundesvorstand beschloß einstimmig, eher eine schwarz-rote Koalition in Kauf zu nehmen, als den Koalitionsvertrag nicht erfüllt zu sehen. Zoglmann: Vor Gesprächen mit Adenauer sollte genau festgelegt werden, worüber zu sprechen ist. Er ergänzt die Ausführungen von Dr. Mende. Anstelle von Scheel sollte ein Abgeordneter aus der Fraktion laufend Verbindung zum Auswärtigen Amt halten. Wehner19 ist für einen Gesamtdeutschen Rat als gesamtdeutsche Repräsentanz eingetre- ten, den er als Vorläufer einer Allparteienregierung auffaßt. Wir haben uns dem Ge- 11 Werner Dollinger, MdB (CSU), Vorsitzender der CSU-Landesgruppe, stellvertretender Vorsitzender der CDU/CSU-Bundestagsfraktion. 12 Harold Macmillan, Premierminister des Vereinigten Königreichs Großbritannien und Nordirland. 13 Charles de Gaulle, Präsident der Französischen Republik. 14 Ludwig Erhard, MdB (CDU), Bundesminister für Wirtschaft, Vizekanzler. 15 Heinrich Krone, MdB (CDU), Bundesminister für besondere Aufgaben. 16 Horst Groepper, stellvertretender Leiter der Abteilung 7 (Ostabteilung) des Auswärtigen Amts. 17 Nikita Sergejewitsch Chruschtschow, Erster Sekretär des Zentralkomitees der KPdSU sowie Vorsit- zender des Ministerrates der UdSSR. 18 Hans Kroll, Botschafter der Bundesrepublik Deutschland in Moskau. 19 Herbert