FDP – 04. WP Fraktionssitzung: 05. 09. 1962

5. September 1962: Fraktionssitzung

ADL, Bestand Wolfgang Mischnick, A40-747. Überschrift: »Kurzprotokoll der Sitzung der Fraktion am 5. September 1962«. Zeit: 10.15–21.00 Uhr. Vorsitz: Mende, dazwischen: Döring, später: Bucher. Anwesende Fraktionsmitglieder: keine Angabe.

Sitzungsverlauf: A. Geschäftliche Mitteilungen. B. Bericht des Fraktionsvorsitzenden Mende über die innen- und außenpolitische Lage mit anschließender Aussprache. C. Berichte aus den Arbeitskreisen. D. Bericht von Bundesfinanzminister Starke über den Bundeshaushalt 1963 (Wirtschafts-, Finanz-, Verkehrs- und Sozialpolitik).

[A.] TOP 1: Geschäftliche Mitteilungen 1. Glückwunsch zum Geburtstag von Dr. Dörinkel (55). 2. Entschuldigt: Dr. Danz, Dr. Kiep-Altenloh, Dr. Kohut, Logemann, Keller, Margu- lies, Dr. Menne, Dr. Rieger, Schmidt, Kühn. 3. Neben den Landesministern und Landessenatoren sowie den Staatssekretären Hüt- tebräuker1 und Qualen2 haben Sonnenhol3 und Niebel4 die Berechtigung, an den Fraktionssitzungen teilzunehmen. 4. Zur Behandlung der Berlinfragen wurden Borm5 und Ullmann6 zusätzlich zu der Fraktionssitzung gebeten. 5. Auf Anregung verschiedener Abgeordneter soll der Kreis der Teilnehmer an der Fraktionssitzung beschränkt werden. Dr. Aschoff: Außer dem Fraktionsgeschäftsführer sollten die Mitarbeiter an den Fraktionssitzungen nicht teilnehmen. Dr. Mende: Borm oder Stellvertreter sollten, da wir keine Berliner Abgeordneten mehr haben, permanent an den Fraktionssitzungen teilnehmen. Dr. Dehler: Unsere Mitarbeiter sind Leute unseres Vertrauens und die sachliche Arbeit bedingt auch die Anwesenheit der Sachreferenten.

1 Rudolf Hüttebräuker, Staatssekretär im Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten. 2 Hans-Hellmuth Qualen, Staatssekretär im Bundesschatzministerium.

3 Gustav Adolf Sonnenhol, Ministerialdirektor und Leiter der Abteilung I (u. a. Finanz- und Wirt- schaftsfragen der Entwicklungshilfe, Internationale Zusammenarbeit) im Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit. 4 Fritz Niebel, Ministerialdirigent und Leiter des Koordinierungs- und Planungsbüros im Presse- und Informationsamt der Bundesregierung. 5 William Borm, Landesvorsitzender der FDP in , Mitglied des Bundesvorstandes der FDP. 6 Heinz Ullmann, 1951–1958 MdA (FDP), 1953–1955 Senator für Verkehr und Betriebe von West- Berlin.

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Dürr: Er unterstützt die Auffassung von Dr. Dehler. Es ist besser, die Presserefe- renten teilnehmen zu lassen, damit sich die Presse nicht nach der Fraktionssitzung auf die Abgeordneten stürzt. Dr. Mende: Wir sollten heute bei der alten Übung bleiben, es sei denn, die Abge- ordneten wollten untereinander Kritik üben (wenn ein Minister kritisiert wird, dann dürfen die unterstellten Beamten nicht teilnehmen). Dr. Bucher: Er erklärt sich bereit, zusammen mit Dr. Aschoff klare Richtlinien über die zur Fraktionssitzung zugelassenen Personen zu erarbeiten. Dr. Mende: Der Fraktionsvorstand wird sich unter Federführung von Dr. Bucher mit dieser Frage befassen. 6. Im Namen der Fraktion gratuliert Döring Dr. Mende zur Geburt seines Sohnes Matthias. Dr. Mende dankt für die Glückwünsche. [B.] TOP 2: Die innen- und außenpolitische Lage Dr. Mende: Die außenpolitische Information der FDP war bis März gut, wurde dann aber immer spärlicher. Dr. Mende hat am 5. Juni ein Gespräch mit Smirnow7 gehabt. Es wurde ihm gesagt, daß im Herbst diesen Jahres, spätestens aber im Frühjahr nächsten Jahres der Separatfriedensvertrag mit der DDR abgeschlossen würde; es sei denn, die Bundesrepublik tritt in Verhandlungen mit der UdSSR ein. Wenn jetzt keine Verhand- lungen erfolgen, wird sich die Verhandlungsposition des Westens verschlechtern. Smirnow sagte, daß keine Behörde über den Zugang nach Berlin denkbar sei, in der die DDR nicht vertreten sei. Dr. Mende hat Dr. Adenauer und Dr. Schröder8 von dem Ergebnis dieses Gespräches unterrichtet. Sein eigener Eindruck ist, daß sich in Berlin eine Depression breitmacht, und daß man das Gefühl hat, daß jetzt eine Aktion des Westens erforderlich ist. Die Berliner machten ihrem Unmut gegen die bisherige abwar- tende Hilflosigkeit durch verschiedene Demonstrationen Luft. Der Arbeitskreis I hat zu einer Friedenskonferenz geraten, worüber Dr. Schröder ein Memorandum zugeleitet wurde. Nach der Übergabe des Memorandums hat ein Gespräch mit dem Kanzler statt- gefunden, bei dem aber die Fibag9-Affäre und nicht die Außenpolitik im Vordergrund stand. An diesem Gespräch nahmen auch die stellvertretenden Fraktionsvorsitzenden teil. Schröder hat den Separatfriedensvertrag als Nullum bezeichnet und über dpa eine Warnung an die Neutralen gegeben, die deutsche Zweistaatlichkeit anzuerkennen. Hiervon wurde die FDP vorher nicht unterrichtet. In Berlin hat Dr. Mende erklärt, daß alles getan werden müsse, um den Separatfriedensvertrag zu verhindern. Er hat mit Schröder vereinbart, daß dieser vor der FDP-Fraktion spricht. Über den Bayerischen Rundfunk hat Dr. Mende am 8. August in der Sendung »Politik aus erster Hand« er- klärt, daß mit weiteren Schritten vom Osten gerechnet werden muß. Inzwischen haben die Sowjets ihren Stadtkommandanten in Berlin zurückgezogen und dafür einen so- wjetzonalen Generalmajor ernannt. Ähnliches ist auf dem Gebiet der Luftkontrolle zu erwarten. Zu befürchten ist auch die Einführung eines DDR-Visums im Verkehr nach Berlin. In dieser Situation schrieb Dr. Mende am 21. August an Adenauer mit Durch- schlag an Dr. Schröder, Dr. von Brentano10 und Dr. Dollinger11. Er schlug in diesem

7 Andrei Andrejewitsch Smirnow, sowjetischer Botschafter in . 8 Gerhard Schröder, MdB (CDU), Bundesminister des Auswärtigen. 9 Finanzbau Aktiengesellschaft. 10 Heinrich von Brentano, MdB (CDU), Vorsitzender der CDU/CSU-Bundestagsfraktion.

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Schreiben eine Initiative des Westens für eine Friedenskonferenz vor. Dr. Adenauer antwortete, daß er den Zeitpunkt wegen der Zurückziehung des sowjetischen Stadt- kommandanten in Berlin nicht für gut halte. Geantwortet hat auch Dr. von Brentano, der Bedenken gegen eine solche Initiative wegen der Teilnahme der DDR-Delegation äußerte, wodurch die Spaltung Deutschlands besiegelt würde. In einem persönlichen Gespräch sagte ihm Dr. von Brentano, daß sich der Fraktions- vorstand der CDU für einen Beitritt Großbritanniens ausgesprochen habe. Das gleiche hatte vorher schon die FDP getan und nach dem Brief Dr. Adenauers an Macmillan12 ein weiteres Mal. In einem Gespräch, an dem auch Mischnick teilnahm, äußerte Dr. Adenauer die Befürchtung, daß der Beitritt Englands und der skandinavischen Staaten zu einem sozialistischen Europa führt. Dem widersprachen sowohl die FDP als auch Dr. von Brentano. Frankreich ist im Gegensatz zu den USA und England im Augen- blick nicht bereit, sich an einer Konferenz unter Druck, wie es de Gaulle13 nennt, zu beteiligen. Dr. Adenauer sprach von einer Aufweichung in der Berlinfrage, die sowohl von seiten der USA als auch Englands festzustellen sei. Dr. Mende hat den Eindruck, daß Dr. Adenauer den Beitritt Englands mit allen Mitteln zu verhindern sucht. Adenau- er übersieht die Konsequenzen in der Berlin- und Deutschlandfrage nicht mehr. Er ist offenbar auch nicht geneigt, im Herbst 1963 ohne Druck zurückzutreten. Er neigt dazu, im Jahre 1964 Prof. Erhard14 zum Bundespräsidenten und Dr. Krone15 zu seinem Nachfolger als Bundeskanzler zu machen. In dem Gespräch ließ er erkennen, daß er sich mit Gedanken über eine Kabinettsumbildung trägt, die seine Position stärkt. Von der CDU ist wegen der dortigen Diadochenkämpfe nichts zu erwarten. Unser außen- politischer Einfluß ist im Augenblick gleich Null. Die schlechte Information des Bun- desvorsitzenden zeigte sich zum Beispiel im Fall Groepper16. Chruschtschow17 betrach- tet es als unfreundlichen Akt, daß Kroll18 jetzt zugunsten Groeppers abgelöst werden soll, der bis vor kurzem der dritte Mann in der deutschen Botschaft in Moskau war. Die Frage der Amtsniederlegung des Kanzlers sollten wir in der Öffentlichkeit nicht in ultimativer Form fordern, wohl aber sollten schon jetzt darüber mit der CDU Gesprä- che geführt werden. Hier ist eine gemeinsame FDP/CDU-Initiative angebracht. Der Bundesvorstand beschloß einstimmig, eher eine schwarz-rote Koalition in Kauf zu nehmen, als den Koalitionsvertrag nicht erfüllt zu sehen. Zoglmann: Vor Gesprächen mit Adenauer sollte genau festgelegt werden, worüber zu sprechen ist. Er ergänzt die Ausführungen von Dr. Mende. Anstelle von Scheel sollte ein Abgeordneter aus der Fraktion laufend Verbindung zum Auswärtigen Amt halten. Wehner19 ist für einen Gesamtdeutschen Rat als gesamtdeutsche Repräsentanz eingetre- ten, den er als Vorläufer einer Allparteienregierung auffaßt. Wir haben uns dem Ge-

11 , MdB (CSU), Vorsitzender der CSU-Landesgruppe, stellvertretender Vorsitzender der CDU/CSU-Bundestagsfraktion. 12 Harold Macmillan, Premierminister des Vereinigten Königreichs Großbritannien und Nordirland. 13 Charles de Gaulle, Präsident der Französischen Republik. 14 , MdB (CDU), Bundesminister für Wirtschaft, Vizekanzler. 15 , MdB (CDU), Bundesminister für besondere Aufgaben. 16 Horst Groepper, stellvertretender Leiter der Abteilung 7 (Ostabteilung) des Auswärtigen Amts. 17 Nikita Sergejewitsch Chruschtschow, Erster Sekretär des Zentralkomitees der KPdSU sowie Vorsit- zender des Ministerrates der UdSSR. 18 Hans Kroll, Botschafter der Bundesrepublik Deutschland in Moskau. 19 , MdB (SPD), Vorsitzender des Ausschusses für gesamtdeutsche und Berliner Fra- gen, stellvertretender Bundesvorsitzender der SPD.

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samtdeutschen Rat nicht verschlossen, nachdem die dabei vorgesehene Aufwertung des BHE20 abgewendet werden konnte. Dr. Achenbach: Die Entwicklung von Juli und August zwingt uns zur Überprüfung unserer Politik in der Koalition. Wir sind unter der Voraussetzung in die Regierung eingetreten, daß wir einen hinreichenden außenpolitischen Einfluß erhalten. Hier hat sich der zunächst positive Eindruck nicht bestätigt. Die CDU gibt zu erkennen, daß sie die außenpolitischen Vereinbarungen des Koalitionsvertrages nicht einzuhalten ge- denkt. Hier muß Klarheit geschaffen werden. Wir können uns das nicht gefallen lassen und können diese Außenpolitik als Regierungspartei nicht mehr mitvertreten. Dr. Mende: Er erwähnt lobend die Rede Dr. Achenbachs im Rundfunk. Dr. Mende begrüßt Minister Kienbaum21. Borm: Der Eintritt der FDP in die Bundesregierung hat an dem außenpolitischen Im- mobilismus nichts geändert. Die Stimmung in Berlin sinkt immer mehr. Die Alliierten lassen es durchgehen, daß sie in ihren Rechten immer mehr beschränkt werden. In der gleichen Weise weichen die Bundesregierung und das Parlament zurück. Es hat seit längerer Zeit keine Sitzung mehr des Bundestages in Berlin stattgefunden. Die FDP- Politik hat ursprünglich in Berlin Anerkennung gefunden. Der erste Einbruch in diese positive Stimmung erfolgte durch die nicht pointierte Ablehnung der isolierten Berlin- Verhandlungen. Der Berliner macht der FDP nicht den Umfall im Zusammenhang mit der Wahl Adenauers zum Vorwurf, sondern die mangelnde außenpolitische Aktivität. Man sollte prüfen, ob man aus Berlin ein Land der Bundesrepublik macht. Er hält die Aussichten in einer großen Friedenskonferenz für gar nicht so schlecht, da die Mehrheit aller Länder, die daran teilnehmen würde, unserem Anliegen positiv gegenübersteht. Dr. Mende: Die FDP hat isolierten Berlin-Verhandlungen niemals zugestimmt (zitiert aus dem Bundestagsprotokoll der 6. Sitzung vom 6.12.1961). Döring: Er beantragt, daß die Fraktion ohne Mitarbeiter weitertagt (die Mitarbeiter verlassen den Sitzungssaal). Wir haben im Bewußtsein der Öffentlichkeit als politischer und als koalitionspolitischer Faktor verloren. Es muß nun unsere Aufgabe sein, diesen Stimmungsverlust aufzuho- len. Der Öffentlichkeit muß unser Einfluß bewiesen werden. Wir haben zu keinem Zeitpunkt geglaubt, daß isolierte Berlin-Verhandlungen zum Erfolg führen, da sie im- mer zu einem Status quo minus führen werden. Den politischen Vorschlägen der USA und Englands hat die Bundesregierung nicht zugestimmt, es wird auch nichts erfolgen, wenn die Bundesregierung keine eigenen Vorschläge macht. Vorschläge in der Europa- politik müssen in einem sinnvollen Zusammenhang mit einer aktiven Deutschlandpoli- tik stehen. Das ist nur dann möglich, wenn die EWG auf andere Staaten ausgedehnt wird, auch auf skandinavische Staaten, die nicht der Nato angehören. Durch wirtschaft- liche Zusammenarbeit läßt sich auch hier politisch praktisch etwas verwirklichen. Dabei ist aber das Verhalten des Kabinettschefs entscheidend. Dessen Verhalten ist aber ein weiterer Schlag gegen unser außenpolitisches Konzept. Der Kanzler hat im Fernsehen erklärt, daß er in Berlin auf alles vorbereitet ist. Dabei ist darüber im Kabinett über- haupt nicht gesprochen worden. Es ergibt sich die Schlußfolgerung, daß es ausgeschlos- sen ist, daß wir das, was wir vorhaben, mit diesem Kanzler durchsetzen können. Ein- fluß können wir nur dann nehmen, wenn an der Spitze des Kabinetts ein Mann steht, der überhaupt bereit ist, mit uns zu diskutieren. Dabei ist es notwendig, daß die Ablö-

20 Bund der Heimatvertriebenen und Entrechteten. 21 Gerhard Kienbaum, Minister für Wirtschaft, Mittelstand und Verkehr des Landes Nordrhein- Westfalen (FDP).

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sung des Bundeskanzlers kurzfristig erfolgt. Die Koalition muß durchgehalten werden, aber der Mann an der Spitze ist auszuwechseln, sonst haben wir parteipolitisch nur Nachteile, weil sich unser bisheriger Einsatz nicht gelohnt hat. Es stellt sich für uns die Frage, wie das erreicht werden kann. Der in der Koalitionsvereinbarung genannte Brief ist sehr vage abgefaßt. Adenauer sagt, daß ein neuer Kanzler erst dann eingesetzt werden kann, wenn der Bundespräsident, der für eine schwarz-rote Koalition eintritt, durch Erhard abgelöst ist; dann soll Krone Kanzler werden. Adenauer versucht, Erhard noch mehr abzuwerten. Das gleiche ver- sucht er mit Dufhues22, was diesen für einige Zeit zu unserem Verbündeten macht. Einzelgespräche mit der CDU haben ergeben, daß alle der Meinung sind, daß Adenauer besser heute als morgen abzulösen ist. Nachfolger ist für die CDU Erhard als Über- gangslösung (mit dessen Einverständnis), sonst verliert die CDU die Wahl 1965. Einhel- lig ist die CDU, einschließlich von Brentano, aus nüchterner Überlegung für die Erhal- tung dieser Koalition bis 1965. Adenauer wird aber nicht ohne massiven Druck gehen. Wir sollten jetzt keinen Beschluß über das Gesagte fassen, aber wir sollten noch in die- sem Herbst weiterverhandeln mit dem Ziel, daß Adenauer im Frühjahr 1963 zurücktritt in der Form, daß er vom Kabinett dazu gezwungen wird, was natürlich nach außen in allen Ehren geschehen muß. Wenn das in dieser Form nicht gelingt, werden wir Ade- nauer auch noch 1964 und 1965 als Bundeskanzler haben. Die genannte Aktion darf keine Einzelaktion von uns sein, sondern sie muß unter strengstem Stillschweigen ge- meinsam mit CDU und CSU geführt werden. In diesem Zusammenhang sollten wir auch unser Verhalten in der Fibag-Angelegenheit sehen. Dr. Mende: Er gibt bekannt, daß die Gespräche in voller Kenntnis von ihm, Lenz und Leverenz23 geführt worden sind. 13 Uhr – Unterbrechung 14.30 Uhr – Fortsetzung Rademacher: Es geht um das Bestehen der Partei. Die tödliche Umarmung durch die CDU hat begonnen. Vorsitz: Döring. [Döring:] Eine klare Aussage zur Europapolitik ist erforderlich. Wir wollen kein Euro- pa, in dem Frankreich dominiert. Das reicht aber nicht aus, unsere Wähler aufzurütteln. Daher müssen wir auf unser Ziel »weg mit Adenauer« zurückkommen. Wir müssen uns aber auch fragen, ob nicht in der CDU so zahlreiche Kräfte vorhanden sind, daß auch dann eine Zusammenarbeit unmöglich erscheint. Ein Dreiparteienkabinett erscheint ihm daher das richtige, um ein Mehrheitswahlrecht abzuwenden. Er ist der Auffassung, daß man den Hauptausschuß einberufen sollte. Vorsitz: Dr. Mende. Dr. Bucher: Die Frage, welcher Art die Koalition sein soll, stellt sich im Augenblick nicht, aber ein Dreiparteienkabinett erscheint ihm auf jeden Fall nicht angebracht. Vor den Wahlen in Bayern und Hessen sollte schon der Beschluß bekannt sein, daß Ade- nauer nach seinem 87. Geburtstag sein Amt niederlegt. Natürlich müssen wir in dieser Beziehung mit der CDU zusammenarbeiten, jedoch unseren Anteil daran herausstellen. In der Fibag-Angelegenheit sollten wir in bezug auf Strauß24 gegen Kasse arbeiten.

22 Josef Hermann Dufhues, MdL Nordrhein-Westfalen (CDU), Vorsitzender der CDU Westfalen- Lippe, geschäftsführender Bundesvorsitzender der CDU. 23 Bernhard Leverenz, Minister für Justiz des Landes Schleswig-Holstein (FDP), Landesvorsitzender der FDP in Schleswig-Holstein, stellvertretender Bundesvorsitzender der FDP. 24 Franz Josef Strauß, MdB (CSU), Bundesminister der Verteidigung.

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Dürr: Die Gefahr, daß ein Mehrheitswahlrecht kommt, sollte nicht überschätzt wer- den. Bevor wir in ein Dreiparteienkabinett eintreten, sollten wir in die Opposition ge- hen. Döring: Wir sollten eine Erklärung über unsere Stellung zur Ausweitung der EWG abgeben. Seit vorigem Herbst hat sich in bezug auf unsere Stellungnahme zum Dreipar- teienkabinett nichts geändert. Eine Hauptausschuß-Sitzung ist von problematischem Wert, wenn die Führung dabei kein klares Konzept hat. Die Öffentlichkeit wird in diesem Fall noch mehr beunruhigt. Es liegt ihm auch fern, ein evtl. Verdienst der FDP am Abgang Adenauers zu verschweigen. Das kann man aber nicht am Anfang einer erst anlaufenden Aktion tun. Nach außen kann man sagen, daß die FDP nicht vergessen hat, welche Bedeutung die Personalfrage bei den Koalitionsverhandlungen gehabt hat. Dr. Mende: Wir werden eine Presseerklärung abgeben, jedoch nicht über das Zentral- problem, das hier behandelt wurde. Dr. Achenbach: Der Brentano-Brief kann nicht im Raum stehenbleiben. Hierüber muß eine Erklärung abgegeben werden. Dr. Mende: Es erfolgt darüber eine Aussprache mit Dr. Schröder, der dann auch vor der Fraktion sprechen wird. Da der Brentano-Brief nicht veröffentlicht wurde, können wir auch dazu keine Presseerklärung abgeben. Dr. Dehler: Von Brentano sollte intern eine schriftliche Antwort erhalten. Dabei muß der Hinweis gegeben werden, daß von Brentanos Standpunkt im Gegensatz zum Koali- tionsabkommen steht. Dr. Mende: Er stellt fest, daß die Fraktion mit einem Brief des Fraktionsvorstandes einverstanden ist, und daß der Brentano-Brief vor der vorgesehenen Aussprache beant- wortet wird. Dr. Rutschke: Wenn das Kabinett Adenauer zum Rücktritt zwingen will, muß man einkalkulieren, daß Adenauer dann möglicherweise das Kabinett umbilden wird, da er nur durch ein konstruktives Mißtrauensvotum zum Rücktritt gezwungen werden kann. Hüttebräuker: Der Beitritt Englands zur EWG ist nur dann möglich, wenn gleichzeitig der Getreidepreis gesenkt wird, das sollte man bedenken. Dr. Mende: Die Frage des Getreidepreises wurde im Augenblick offenbar von Adenau- er hochgespielt. Dr. Effertz: Wir haben von der Landwirtschaft eben wegen des englischen Agrarsy- stems schon immer für den Beitritt Englands zur EWG plädiert. Damit entwickelt sich auch ein stärkeres Gegengewicht gegen den Monopolanspruch Frankreichs. Dr. Achenbach: Wir sollten unsere Erklärung nicht auf Großbritannien beschränken. Am besten sollten wir gar keine Erklärung abgeben. Dadurch würde nur die französi- sche Meinung verstärkt, daß die FDP ein Mißtrauen gegen Frankreich hat. Dr. Mende: Er stellt die Frage der Kabinettsbesetzung während der Ferien zur Debatte, da am 25. Juli kein Minister im Kabinett anwesend war und der Fall Groepper im Kabi- nett offenbar ohne Anwesenheit eines FDP-Ministers behandelt worden ist. Mischnick: Damit ein FDP-Minister in Bonn anwesend ist, hat er im August seinen Urlaub vorzeitig abgebrochen. Lenz: Es muß zugegeben werden, daß unter den Ministern keine rechtzeitige Abspra- che über den Urlaub erfolgt ist. Dr. Starke: Es war an sich klar, daß Lenz die FDP bis Ende Juli im Kabinett vertreten soll.

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Lenz: Er war zur Eröffnung der Bayreuther Festspiele. Dr. Emde: Der Fall Groepper sollte mit der CDU noch einmal durchgesprochen wer- den. [C.] TOP 4: Berichte aus den Arbeitskreisen Dr. Atzenroth: In nächster Zukunft wird die Verschlechterung der Wirtschaftslage immer mehr erkennbar werden, daher hat der Arbeitskreis die Forderung nach Führung durch die Bundesregierung auf wirtschaftlichem Gebiet aufgestellt. Der Wirtschaftsmi- nister muß mit marktwirtschaftlichen Mitteln Eingriffe vornehmen. Weiterhin beschloß der Arbeitskreis, daß der Beitritt Großbritanniens zur EWG mit allen Mitteln zu för- dern ist. Auf Vorschlag von Dr. Menne beschloß der Arbeitskreis, den BDI25- Vorschlag nach freiwilligem Preisstillhalten zu unterstützen, unter der Voraussetzung, daß die Gewerkschaft beim Lohn ein Gleiches tut. Der erste Schritt muß aber ein Ge- setzgebungsprogramm der Regierung sein, das dem Koalitionspartner vorzuschlagen ist. Die Liberalisierung soll nicht eingeschränkt werden, wenn kein Dumping ange- wandt wird. Es besteht Einigkeit mit dem Finanzminister, daß wir keine Steuererhö- hung zum Ausgleich des Haushalts 1963 zulassen. Der Mittelstandsbauch soll abgebaut werden und der Sockelsatz bei der Einkommensteuer ist zu senken. Ferner soll dem Bundesfinanzminister bei der Änderung des Verteilungsschlüssels der Einkommensteu- er eine Stütze gegeben werden. Die Vorarbeiten für eine Finanzreform sind beschleu- nigt fortzusetzen. Eine Mäßigung der öffentlichen Hand in der Ausgabengestaltung ist anzustreben. Die Ausgaben- und Steuerschätzungen sollen sich für 1963 im Rahmen des realen Sozialproduktzuwachses, der von der Bundesbank mit 3,5 % geschätzt wird, halten. Kreditrestriktionen der Notenbank werden vom Arbeitskreis nicht für zweck- mäßig gehalten, aber auch keine Verflüssigung der Geldmittel. Die klassischen Mittel der Notenbank sind wegen des großen Anteils der öffentlichen Hand nicht mehr so wirksam. In bezug auf die Maßnahmen zur Bremsung des Baumarktes ist sich der Arbeitskreis darüber im klaren, daß die Bauten der Bundeswehr die Baukonjunktur wesentlich an- heizen, und daß man hier mit weniger Mitteln einen gleichen Effekt erzielen könnte. Die Wehrbauverwaltung sollte vom Verteidigungsministerium an das Finanzministeri- um überführt werden. Es sollte Auskunft darüber eingeholt werden, welche tatsächli- chen Ausgaben das Verteidigungsministerium für Bauten und Baudarlehen im Jahre 1962 gehabt hat. Weiterhin ist der Antrag zu stellen, daß die Bundesregierung bis zum 31.12.1962 einen Bericht über die Auswirkungen des Baustoppgesetzes vorlegt. Wir sollten nach Meinung des Arbeitskreises jetzt schon Überlegungen anstellen, wie man das Übermaß der Bautätigkeit nach dem 30.6.1963 bei der öffentlichen Hand verhin- dern kann. Aufgenommen wurde in die Empfehlung des Arbeitskreises auch unsere alte Forderung nach Abschaffung der Grundsteuer C. Zur Unterstützung des Finanzmi- nisters wurde beschlossen, Post und Bahn keine Zuschüsse über das bisherige Maß hinaus zu gewähren und eine Verringerung der Abgaben der Post abzulehnen; beide Betriebe müssen nach betriebswirtschaftlichen Grundsätzen geführt werden. Eine lange Diskussion ergab sich über die Höhe der zusätzlichen Belastungen durch sozialpoliti- sche Ausgaben. Der Arbeitskreis hat sich hier auf die folgende Formulierung geeinigt: »Keine zusätzliche Belastung durch sozialpolitische Ausgaben über diejenigen, die bisher vom Bundesfinanzministerium im ordentlichen Haushalt in Aussicht genommen sind, hinaus.« Ein Gesetz zur Änderung des Tarifvertragsgesetzes soll wieder einge-

25 Bundesverband der Deutschen Industrie.

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bracht werden und dazu ein Unterausschuß gebildet werden. Auch unser altes Anlie- gen, die Überstunden von der Lohnsteuer zu befreien, wurde in die Empfehlung an die Fraktion aufgenommen. Dagegen hatte sich Funcke gewandt. Zur Prüfung dieser Frage sollte ein Unterausschuß gebildet werden. Als letzte Forderung nahm der Arbeitskreis II auf, daß die Frage der Umsatzsteuerreform weiter zu verfolgen ist. Zusammenfassend ist festzustellen, daß der Arbeitskreis einstimmig für eine stärkere Aktivität von seiten der Bundesregierung eintritt. Bundesbauausschuß Hammersen: Auch der Bauausschuß ist für die Beseitigung der Grundsteuer C einge- treten. Über dieses Thema sollte mit dem Koalitionspartner gesprochen werden. In 26 bezug auf den § 7 b EStG stellte sich in einem Gespräch beim Kanzler heraus, daß auch der Bundeswirtschaftsminister für eine Außerkraftsetzung des § 7 b ist. In der

Öffentlichkeit sind wir wegen unseres Antrages zu § 7 b stark kritisiert worden. Der Bauausschuß ist der Auffassung, daß dieser steuerliche Anreiz erhalten bleiben muß. Gerade in den Ballungsgebieten und bei der Sanierung der Städte wird die private Initia- tive weiterhin benötigt, jedoch soll Mißbräuchen entgegengetreten werden. Auch ist eine Streckung der Prozentsätze der Abschreibung über mehrere Jahre möglich (zum

Beispiel: die ersten 4 Jahre je 5 %, dann 6 Jahre je 3 1/3 % Abschreibung). Eine sofortige Aussetzung sollte nicht vorgenommen werden. Arbeitskreis V Dr. Effertz: Die Klausurtagung des Arbeitskreises V steht noch bevor. Im Wahlpro- gramm hatten wir außer kostendeckenden Preisen gefordert, daß weitere Belastungen für die Landwirtschaft vor dem Beitritt Englands nicht eintreten dürfen. Er weist in diesem Zusammenhang auch auf die Regierungserklärung und auf die Forderung nach Entwicklung einer neuen Konzeption hin, die in einem von CDU, FDP und SPD ange- nommenen Entschließungsantrag zum Ausdruck kommt. Auf der Tagesordnung von Bad Segeberg steht auch die Änderung des Landwirtschaftsgesetzes mit folgenden Punkten: 1. Konkretisierung der Begriffe, 2. Verpflichtung (nicht Empfehlung) der Regierung, etwas zu tun, 3. Anpassung an EWG-Bestimmungen. In Abwehr gegen das Ermächtigungsgesetz für die Landwirtschaft in Frankreich, der holländischen Reichsnährstandspolitik sowie der englischen Landwirtschaftspolitik müssen wir neue agrarpolitische Vorstellungen entwickeln. Nebenerwerbssiedlungen sollten nicht weiter forciert werden. Das Problem hat auch mit der Agrarpolitik nichts zu tun. Ostbetriebe sollten nicht durch Zerschlagung bestehender Betriebe neu geschaf- fen werden. Die bisherige Siedlungs- und Strukturpolitik sollte nicht weiter betrieben werden. Die CDU-Politik hinsichtlich der Kleinbetriebe ist unehrlich, da sie seit Jahren Versprechungen macht, die unerfüllbar sind. Die Agrarpolitik muß in ihrem Aufgaben- bereich zwischen Bund und Ländern geteilt werden. Der Bund hat sich um die kon- junkturpolitischen, die Länder um die strukturpolitischen Belange zu kümmern. Wenn der Landwirtschaft der kostendeckende Preis gewährt wird, können viele Einzelposi- tionen aus dem Grünen Plan herausgenommen werden. Dies ist dann Aufgabe der Selbstverwaltung. Die vier vorhandenen Marktordnungsgesetze sind nicht ausreichend. Wenn hierin keine Ergänzung stattfindet, wird die deutsche Landwirtschaft den In- teressen Frankreichs und Hollands geopfert. Die Behauptung verschiedener Kreise, daß

26 Einkommensteuergesetz.

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durch die Marktordnungen zwangsläufig höhere Preise entstehen, entspricht nicht den Tatsachen. Die FDP-Agrarier haben von Anfang an dieser These widersprochen und Recht behalten. Man muß eben zwischen Erzeugerpreisen und Verbraucherpreisen unterscheiden. Die Erzeugerpreise liegen zum Teil sogar niedriger als zuvor. Dr. Effertz erinnert an den Beschluß der Fraktion, den Milchpreis zu revidieren. Die Geflügelpreis- frage ist wichtig. Er bedauert den Kabinettsbeschluß, nach dem die Abschöpfungen gesenkt wurden, welchem Beschluß, wie er eben hörte, die EWG-Kommission zuge- stimmt hat. An dem jetzigen Getreidepreissystem darf nicht gerüttelt werden, es sei denn, daß für die ausfallenden Beträge Subventionen geleistet werden. Arbeitsgruppe »Verkehr« Rademacher: Die Regierungserklärung verspricht eine weitere Sanierung der Bundes- bahn und Ausbau der Straßen. Die 20 %ige Haushaltskürzung hat den Verkehr hart getroffen. Er verweist auf den Briefwechsel mit Dr. Starke. Dr. Starke hat ihm geschrie- ben, daß er sich in der Sache mit ihm einigen könne, da er sich ja auch mit Seebohm27 geeinigt habe. Das steht aber im Gegensatz zu seinen Ausführungen im Arbeitskreis Wirtschaftspolitik. Es verlautet, daß verschiedene Haushaltsansätze des Verkehrshaus- haltes herabgesetzt werden sollen. Die Verkehrsverbände schrieben wieder einmal vom Umfall der FDP. Deshalb ist er an die Öffentlichkeit gegangen. Die FDP hat bisher eine gute Verkehrspolitik betrieben, die jetzt durch die Entziehung von Mitteln gefährdet wird. Es wurde im Arbeitskreis Wirtschaftspolitik richtig gesagt, daß die Bundesbahn nicht immer Reservate behalten kann, indem sie mit ruinösen Wettbewerbstarifen in Konkurrenz zu anderen Verkehrsträgern tritt. Die verladende Wirtschaft darf nicht das Minus im Personenverkehr der Bundesbahn tragen. Der Finanzminister ist berechtigt, an jeder Verwaltungsratssitzung der Bundesbahn teilzunehmen, er wurde aber dort noch nie gesehen (kritisiert Korff28, der an den Verwaltungsratssitzungen teilnimmt – Dr. Starke verwahrt sich dagegen). Das Prinzip der Zweckbindung der Mineralölsteuer muß bestehenbleiben. Der Ausbau der Binnenwasserstraßen ist auch für die kommen- den Wahlkämpfe von Bedeutung. Döring begrüßt Minister Leuze29. Arbeitskreis III Im Oktober wird das Unfallversicherungsneuregelungsgesetz in 2. und 3. Lesung verab- schiedet werden. Anträge dazu werden am 17. September 1962 vom Arbeitskreis III formuliert. Eine Ausweitung des Mitgliederkreises wird bei der Unfallversicherung abgelehnt. Ebenso wird eine Ausweitung der kommunalen Unfallversicherung abge- lehnt. Die Aktualisierung kann zwar jährlich vorgenommen werden, das muß aber nicht geschehen. Bei der freien Arztwahl ist ein Spielraum erforderlich. In bezug auf die Lohnfortzahlung hat der Arbeitskreis III Formulierungen vorgelegt, die dem Minister für Arbeit vertraulich zur Verfügung gestellt worden sind. Diese haben in dem Regie- rungsentwurf keinen Niederschlag gefunden. Der Arbeitskreis hält die vom Ministeri- um vorgeschlagene Form der Lohnfortzahlung für undiskutabel. Die versicherungs- technische Lösung wird angestrebt, evtl. wird man jedoch auf eine modifizierte arbeits- rechtliche Lösung eingehen, das bedeutet, daß ein Lohnfortzahlungsanspruch im ersten Jahr der Betriebszugehörigkeit nur für die Dauer der Kündigungszeit besteht und die volle 6wöchentliche Lohnfortzahlung erst nach einem Jahr Betriebszugehörigkeit ein-

27 Hans-Christoph Seebohm, MdB (CDU), Bundesminister für Verkehr. 28 Hans Clausen Korff, Leiter der Abteilung II (Bundeshaushalt) im Bundesministerium der Finanzen. 29 Eduard Leuze, Minister für Wirtschaft des Landes Baden-Württemberg (FDP/DVP), stellvertreten- der Landesvorsitzender der FDP/DVP in Baden-Württemberg, Mitglied des Bundesvorstandes der FDP.

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tritt. Wenn Blank30 bereits von vornherein sechs Wochen Lohnfortzahlung vorsieht, so handelt es sich dabei um keine arbeitsrechtliche, sondern um eine sozialrechtliche Gleichstellung. Der Individualbeitrag bei der Krankenversicherung ist nicht wirkungs- voll genug, um den Krankenstand zurückzudrängen. Neben dem Individualbeitrag sollte daher alternativ das Kostenerstattungssystem bei der Versicherung eingeführt werden. Die FDP hat an dem Blank-Entwurf in keiner Weise mitgearbeitet. Die Be- denken der FDP wurden dem Minister am 19. Juli und am 30. August zur Kenntnis gebracht. Eine bessere Lösung bei den Angestellten und eine gegliederte Krankenversi- cherung ist unabdingbar, außerdem eine Schwelle bei der Lohnfortzahlung. Von unse- ren Wünschen ist nur verwirklicht worden, daß an Stelle von 1 % 2 % Individualbeitrag eingesetzt wurde, und daß die Selbstbeteiligung statt mit 10 % mit 25 % eingesetzt wur- de, wobei das Wort Selbstbeteiligung nicht erwähnt wird. Die Fraktion sollte heute keine unabdingbaren Beschlüsse fassen und evtl. auf eine modifizierte Lösung eingehen. Die Kriegsopferfrage wird noch im Unterausschuß am 21. September behandelt. Bundesurlaubsgesetz Die Urlaubsregelung ist Sache der Tarifpartner. Die FDP sollte in einem Entschlie- ßungsantrag nach der 2. Lesung unter Herausstellung der gesundheitspolitischen Mo- mente den Tarifpartnern 18 Urlaubstage empfehlen. Das Kindergeld soll ab 1. Juli auf den Haushalt übernommen werden. Es empfiehlt sich, die Einkommensgrenze für das

Zweitkindergeld von bisher 7 200,– DM auf 8 400,– DM zu erhöhen. In bezug auf die Vertriebenen- und Sowjetzonenflüchtlingsfragen folgt der Arbeitskreis III den Vorstel- lungen von Mischnick. Eine Einigung zwischen Finanzminister und Vertriebenenmini- ster ist anzustreben. Die Frage der Aufwertung der Altlebensversicherung muß im Sinne von Dr. Stammberger angegriffen werden, ebenso die Heimkehrerfrage. In der Eigentumsfrage müssen wir darauf achten, daß wir nicht überrollt werden, und von einem Unterausschuß dazu Arbeitsgrundlagen erstellen lassen. Es wird vorgeschlagen, daß der Vorsitz in diesem Unterausschuß zur Behandlung von Eigentumsfragen Dr. Imle anvertraut wird. Weiterhin werden als Mitglieder vorgeschlagen: Dorn, Mertes, Ollesch sowie Dr. Heuser31, Fertsch-Röver32 und Dr. Stein. Die Fraktion sollte darauf hinwirken, daß die CDU keine Gesetzentwürfe zur Frage des Investivlohnes einbringt. Dr. Rutschke: In bezug auf die Kriegsopferversorgung scheint sich Frau Probst33 mit der SPD schon weitgehend über die Gestaltung des 2. Neuordnungsgesetzes geeinigt zu haben. Der FDP erscheint die Erhöhung des Einkommensteuerfreibetrages erforder- lich. Viele Kriegerwitwen würden gern arbeiten, wenn sie nicht einen so hohen Abzug von der Rente hätten. Ein wichtiger Punkt ist auch die Berufsschadensrente. Bei der Schwerbeschädigtenrente ist eine Zulage erforderlich (kostet 8–10 Mio.). Die kostspie- ligste Frage ist die Erhöhung der Grundrente, deren Anhebung aber erforderlich ist. In bezug auf den Zeitpunkt erinnert er daran, daß Dr. Mende erklärt hat, daß die Verbes- serung für Beamte und Kriegsopfer zur gleichen Zeit erfolgen sollte. Unterbrechung – 18.15 Uhr Fortsetzung – 19.00 Uhr

30 , MdB (CDU), Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung. 31 Hedda Heuser, Vorsitzende der FDP-Fraktion im Gemeinderat der Stadt Bensberg, Mitglied des FDP-Landesvorstandes Nordrhein-Westfalen. 32 Dieter Fertsch-Röver, Bezirksvorsitzender der FDP West-Hessen, Vorsitzender des Tarifausschusses des Bundesfachverbandes Färberei/Chemische Reinigung. 33 , MdB (CSU), stellvertretende Vorsitzende des Ausschusses für Kriegsopfer- und Heim- kehrerfragen.

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Vorsitz: Dr. Bucher. [D.] TOP 3: Der Bundeshaushalt 1963 – Wirtschafts-, Finanz-, Verkehrs- und Sozialpolitik Dr. Starke: Ständige Erörterungen, ob die Koalition hält oder nicht, sind nicht ange- bracht. Es ist auch einer Regierungspartei unwürdig, ständig Vorschläge zu machen, auf die niemand eingeht. Die Anforderungen für den Bundeshaushalt 1963 beliefen sich auf 14 Mrd. mehr als 1962. Bei dem Gespräch über Währungsfragen am 17. Juli mit dem Bundeskanzler ist nichts herausgekommen. Die Sitzung sollte am 31. August fortgesetzt werden. In Vor- bereitung dieser Sitzung traf sich Dr. Starke mit Prof. Erhard und Blessing34 am Te- gernsee. Das kam durch Erhards Leute in die Presse. Seit dieser Zeit hat Adenauer die- ses Bündnis sabotiert. Um ihn auf seine Seite zu bringen, hat sich Adenauer Dr. Starke gegenüber großer Liebenswürdigkeit befleißigt, um einen Keil zwischen ihn und Er- hard zu treiben. Die von ihm vorgesehene Kabinettsumbildung dient ausschließlich der Festigung seiner (Adenauers) Position. An dem Kanzlergespräch vom 31. August nah- men neben Starke auch Abs35, Dietz36 (Großhandel), Münchmeyer37 (DIHT), Butsch- kau38 (Sparkassen) und Boden39 (AEG), Blank und Blessing teil. Blank argumentierte, daß man in der Mitte des 20. Jahrhunderts nicht gegen die Gewerkschaften regieren kann. Auch bei diesem Gespräch kam nichts heraus. Es war nun vereinbart, daß Erhard an der Sitzung der FDP-Fraktion heute oder morgen teilnimmt und Starke bei einer Sitzung der CDU-Fraktion. Diese Termine wurden vom Kanzler hintertrieben. In dem genannten Gespräch hat Adenauer Dr. Starke untersagt, Zahlen zum Haushalt zu nen- nen, mit der Begründung, daß das ein Kabinettsgeheimnis ist. Im Oktober wird der Generalangriff der SPD auf die Koalition beginnen. Die von Dr. Starke vorgeschlage- nen Währungsgespräche wurden von Adenauer abgelehnt. Am 11. September soll im Kabinett der Haushalt besprochen werden. Es wird so sein, daß all das, was nicht ge- macht wird, an der FDP hängenbleibt. Er bittet die Fraktion, daß sie ihn unterstützt, wenn er isolierte Haushaltsberatungen ablehnt. Wir brauchen eine Führung in der Re- gierung und müssen darauf achten, was die Notenbank tut. Dr. Adenauer beabsichtigt in Urlaub zu gehen und in Cadenabbia die Minister einzeln zu empfangen. Das wird Dr. Starke ablehnen und bittet daher um die Unterstützung der Fraktion. Bevor Ade- nauer in Urlaub geht können die entsprechenden Kabinettsbeschlüsse gefaßt werden und zwar ist über folgende Punkte zu beschließen: 1. Frage der Steuererhöhung, 2. Ausgabensteigerung im Rahmen des Anstiegs des Sozialprodukts, 3. ob die Steuerschätzungen vom nominellen oder realen Sozialproduktzuwachs aus- gehen sollen,

4. wie weit mit der Kreditaufnahme zu gehen ist (1963 nicht mehr als 1962, d. h. 1,8 Mrd. einsetzen), 5. die Länderfrage – Die Länder sollten nur in dem Rahmen in Anspruch genommen werden, in welchem er es für notwendig hält. Durch einen von ihm vorzulegenden

34 Karl Blessing, Präsident der Deutschen Bundesbank. 35 Hermann Josef Abs, Vorstandssprecher der Deutschen Bank AG. 36 Fritz Dietz, Präsident des Bundesverbandes des Deutschen Groß- und Außenhandels. 37 Heinrich Alwin Münchmeyer, Präsident des Deutschen Industrie- und Handelstages. 38 Fritz Butschkau, Präsident des Deutschen Sparkassen- und Giroverbandes. 39 Hans Constantin Boden, Vorstandsvorsitzender der Allgemeinen Elektricitäts-Gesellschaft.

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Gesetzentwurf über eine Schlüsseländerung beim Einkommensteuer- und Körper- schaftssteuergesetz sollten den Ländern 2 Mrd. weggenommen werden. 6. Baumarktfragen, 7. sozialpolitische Maßnahmen im Zusammenhang mit Kriegsfolgelasten, 8. Tariferhöhungen bei Bahn und Post; Bundeshaushalt kann nicht zusätzliche Beträge hierzu übernehmen. 9. Festlegung auf Gutachtergremium und damit im Zusammenhang 10. obligatorische Schlichtung aufgrund der durch das Gutachtergremium erstellten Gutachten, 11. Korrekturen des Einkommensteuergesetzes (Mittelstandsbauch – ein entsprechen- des Schreiben hat er an den Kanzler gerichtet), 12. Beamtenfragen. Die Finanzreform spielt in diesem Programm keine Rolle, da sie längere Zeit benötigt. Die hier gebildete Kommission wird als Schattenkabinett der CDU bezeichnet und ist nicht arbeitsfähig. In dieser Kommission sind eine Reihe von Herren, die bei einem Kabinettsposten nicht berücksichtigt worden sind. Die Kommission wird auch von den Ländern abgelehnt. Da die Finanzreform Änderungen der Verfassung bedingt, ist hier auch die Zustimmung der SPD und der Länder erforderlich. Die SPD würde sich die Zustimmung teuer abkaufen lassen, wodurch die Koalition in Schwierigkeiten kommen würde. Man sollte die Kommission etwas umbauen, indem man zusätzliche Leute hin- einnimmt und auch mit der SPD darüber spricht. Die Seebohm-Affäre ist unerhört, da er mit Seebohm ein Abkommen getroffen hat. Seebohm hat 1961 einen Betrag von ca. 300 Mio. DM nicht verbaut und wird 1962 den gleichen Betrag wieder nicht verbauen. Deshalb hat er ihm gesagt, daß er ihm unter diesen Umständen 1963 nicht mehr geben kann, weil er sie wieder nicht verbauen wird. Das Wort Rademachers von der »verkehrsfeindlichen Politik des Finanzministers« wird der FDP noch sehr schaden. Dr. Starke ist auch nicht der Meinung, daß unsere Ver- kehrspolitik immer sehr glücklich war. U. a. hat Seebohm gesagt, daß er wegen des Fi- nanzministers den Nord-Süd-Kanal nicht bauen lassen kann, worauf Engelhard40 nach Absprache mit ihm erklärte, daß Dr. Starke schon immer für den Nord-Süd-Kanal war. Man ersieht daraus, daß es möglich ist, auch auf diese Weise zu kontern und nicht nur in der Form, wie es Rademacher getan hat. In bezug auf den Vierjahresverkehrsplan hat Dr. Starke mit Seebohm vereinbart, daß dieser vom Verkehrsminister eingebracht wird und dann von Jahr zu Jahr entschieden wird, wie viele Mittel zur Verfügung gestellt werden. Bei steigenden Preisen geht es nicht nur um die Währung, sondern um die Wettbe- werbsfähigkeit. Die Devisenreserven, die jetzt noch ca. 25 Mrd. DM betragen, werden langsam abgebaut werden, da wir jährlich ca. 5 Mrd. DM außerkommerzielle Devisen- verpflichtungen haben und bereits 1963 nach Blessings Annahme keine Überschüsse mehr aus der Außenhandelsbilanz haben werden. Auf diese Weise werden die Reserven bald abgebaut werden. Durch die steigenden Anforderungen an den Bund sind dort die Reserven schon aufge- braucht. Die Länder haben unterschiedlich verteilt noch ca. 5 Mrd. DM zur Verfügung. Wenn der Bund noch Kassenreserven ausweist, so ist dabei zu berücksichtigen, daß er

40 Edgar Engelhard, Senator für Wirtschaft und Verkehr sowie Zweiter Bürgermeister der Freien und Hansestadt Hamburg (FDP), Landesvorsitzender der FDP in Hamburg, Mitglied des Bundesvor- standes der FDP.

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in Höhe von 1,2 Mrd. mit fremdem Geld arbeitet, das kurzfristig abgerufen werden kann (500 Mio. Hallstein41, 500 Mio. aus VW-Privatisierung). In der augenblicklichen Situation haben wir äußerlich noch eine Hochkonjunktur, in Wirklichkeit handelt es sich aber nur um die Nachwirkung der Hochkonjunktur. Die Auftragsbestände werden aufgearbeitet, die Gewinnlage hat sich verschlechtert, Ar- beitskräfte werden zwar noch gehortet, das kann sich aber sehr schnell ändern. Ausga- ben werden zum Teil nicht aus Steuergeldern bezahlt, sondern aus Auflösung von Re- serven. Die Baumarktlage ist für uns tödlich. Von Mai 1961 bis Mai 1962 sind die Bau- kosten wiederum um 11 % gestiegen. Von dort kommen Lohnsteigerungen und Preis- steigerungen nicht nur auf dem Gebiet des Baumarktes, sondern auf allen Gebieten, die damit verbunden sind. Die Einflüsse strahlen auf die Wirtschaft aus. Durch den großen Überhang nicht fertiggestellter Bauvorhaben wäre es an sich möglich, ein Jahr keine Mittel zu geben, ohne daß weniger gebaut wird. Dann würde aber Herr Lücke42 kom- men und sagen, wenn Dr. Starke kein Geld gibt, bricht der Wohnungsbau zusammen. Die entscheidenden Antriebskräfte der Konjunktur waren Export und Investition. Das

Lohnniveau in der Industrie ist von 1960 auf 1962 um 22 % gestiegen, in Frankreich um

16 %, in den USA um 4 %. Die Ausfuhr stagniert dem Volumen nach, die Einfuhr steigt, die Kosten steigen weiter. Investitionen und Investitionsneigung gehen zurück. Im Maschinenbau sind die Auftragseingänge im Inland gegenüber dem Vorjahr um

14 % zurückgegangen. Aus der Auflösung von Guthaben der öffentlichen Hand, aus der Lohnwelle und der Konsumneigung wird diese Nachwirkung der Hochkonjunktur noch gespeist. Haushalt Dr. Starke hat in dem Brief an Adenauer gesagt, daß sich der Haushalt 1962 um den Nachtrag von 500 Mio. DM erhöht. Davon werden die Beträge abgesetzt, die nicht abgerufen worden sind. Hinzu kommen:

1. erforderliche Mittel für zwangsläufige Maßnahmen, d. h. für be- 1,9 Mrd. schlossene Gesetze 2. für von Parlament und Regierung ins Auge gefaßte Maßnahmen 2,7 Mrd. (Gesetzgebungsvorhaben) 3. für sonstige schwer abweisbare Ausgaben (Verteidigung, Berlin) 2,3 Mrd. DM 6,9 Mrd.

Ausgehend von einer 5 %igen Lohnsteigerung würden sich Mehrausgaben in Höhe von 2,7 Mrd. DM ergeben. Dazu kommen Kredite in Höhe von 1,8 Mrd. DM sowie ein Länderbeitrag in Höhe von 2 Mrd. DM. Danach ergibt sich als Haushaltssumme ein Betrag von 56,8 Mrd. DM, so daß 4,7 Mrd. DM ungedeckt bleiben. Würden die ge- schätzten Steuermehreinnahmen auf einer Lohnsteigerung von 7 % basieren, so ergäben sie einen Betrag von 3,6 Mrd. DM. Von der Bundesbank wurde die reale Sozialprodukt- steigerung mit 3,5 % geschätzt, das würde Steuermehreinnahmen von 2,3 Mrd. ergeben.

Die Steuermehreinnahmen der Länder würden bei 5 % Lohnsteigerung, die Dr. Starke anzunehmen beabsichtigt, 2,3 Mrd. betragen. Da der im Jahre 1962 gewährte Länder- beitrag von 1 Mrd. 1963 wegfällt, haben die Länder somit 3,3 Mrd. mehr Steuereinnah- men verfügbar, wovon er ihnen 2 Mrd. wieder wegzunehmen beabsichtigt. Wenn die

Löhne effektiv um 7 % steigen, wird der Bundesfinanzminister mehr Steuern einneh-

41 Walter Hallstein, Präsident der EWG-Kommission. 42 Paul Lücke, MdB (CDU), Bundesminister für Wohnungswesen, Städtebau und Raumordnung.

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men, insbesondere werden dann in den unteren Gruppen mehr Steuern einkommen, die er durch die vorgesehene Tarifänderung bei der Einkommensteuer als Mindereinnahme zurückgeben wird. Im Finanzministerium hat er einen Vorschlag von 1,6 Mrd. DM ausrechnen lassen. Man kann sich dabei überlegen, ob man den Sockelprozentsatz von

20 % auf 19 % senkt. Die Steuererhöhung in Form einer Ergänzungsabgabe ist nur dann möglich, wenn man vorher den Mittelstandsbauch beseitigt. Für neue Vorhaben stehen im Jahre 1963 4,5 Mrd. DM mehr zur Verfügung. Wir sollten Steuererhöhungen auch in Form der Ergänzungsabgabe ablehnen, da diese sich aus der Gesamtlage heraus verbie- ten. Bei den Verbrauchssteuern stünde hier die Mineralölsteuer und die Tabaksteuer zur Diskussion. Veränderungen auf dem Gebiet der Verbrauchssteuern sollte man sich aber für später als letzte Reserve aufheben. In bezug auf die Steuerschätzungen sollten wir uns auf einen Anstieg von 5 % einigen. Zu 1:

An zwangsläufigen Beträgen ergibt sich u. a. für die Rentenanpassung 518 Mio. DM, für die Flutkatastrophe 118 Mio. DM, für die ländliche Siedlung 40 Mio. DM. Dazu kom- men Beträge für Agrarfonds, Weltraumforschung, Entwicklungshilfe und Schulden- dienst. Daraus ergibt sich der angegebene Betrag von 1,9 Mrd. DM. Zu 2: Unter den ins Auge gefaßten Maßnahmen befindet sich das Sozialpaket in Höhe von 1,6 Mrd. DM sowie die für die Besoldungserhöhung der Beamten vorgesehenen Maßnah- men in Höhe von DM 927 Mio. [Unter den]43 in der Besprechung zwischen Erhard, Blessing und ihm am Tegernsee besprochenen Maßnahmen befanden sich die folgenden, die auch ihren Niederschlag in den Empfehlungen des Arbeitskreises II gefunden ha- ben: 1. Drakonische Maßnahmen sind nicht mehr möglich. 2. Keine Kreditrestriktionen. 3. An offener Grenze festhalten. 4. Im Zusammenhang mit dem Haushalt die Frage der öffentlichen Ausgaben – keine Steuererhöhungen – Schätzung des Steueraufkommens – Anleihepolitik. 5. Baumarktfragen. 6. Die Frage der sozialpolitischen Belastung. 7. Finanzen von Bahn und Post. 8. Gutachtergremium und Schlichtungswesen.

43 Vom Bearbeiter eingefügt. Dafür gestrichen: »Die«.

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