Plenarprotokoll 10/105

Deutscher

- Stenographischer Bericht

105. Sitzung

Bonn, Donnerstag, den 29. November 1984

Inhalt:

Fortsetzung der zweiten Beratung des von Beratung der Beschlußempfehlung des der Bundesregierung eingebrachten Ent- Haushaltsausschusses zu der Unterrich- wurfs eines Gesetzes über die Feststellung tung durch die Bundesregierung des Bundeshaushaltsplans für das Haus- Der Finanzplan des Bundes 1984 bis 1988 haltsjahr 1985 (Haushaltsgesetz 1985) — Drucksachen 10/1801, 10/2251, 10/2387 — — Drucksachen 10/1800, 10/2250 — Beschlußempfehlungen und Bericht des in Verbindung mit Haushaltsausschusses

Zweite und dritte Beratung des von der Einzelplan 08 Bundesregierung eingebrachten Entwurfs Geschäftsbereich des Bundesministers der eines Gesetzes über Finanzhilfen des Bun- Finanzen des nach Artikel 104 a Abs. 4 GG an das — Drucksachen 10/2308, 10/2330 — Saarland — Drucksache 10/2229 — in Verbindung mit Beschlußempfehlung und Bericht des Haushaltsausschusses Einzelplan 32 — Drucksache 10/2503 — Bundesschuld in Verbindung mit — Drucksache 10/2323 —

Zweite und dritte Beratung des von der in Verbindung mit Fraktion der SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über Finanzhilfen des Bun- Einzelplan 60 des nach Artikel 104 a Abs. 4 GG an die Allgemeine Finanzverwaltung Freie Hansestadt Bremen — Drucksache 10/2327 — — Drucksache 10/2141 — Beschlußempfehlung und Bericht des Haushaltsausschusses in Verbindung mit — Drucksache 10/2502 — Einzelplan 20 in Verbindung mit Bundesrechnungshof — Drucksachen 10/2317, 10/2330 — Erste Beratung des von der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurfs eines Geset in Verbindung mit zes über eine Ergänzungsabgabe zur Ein- II Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 105. Sitzung. , Donnerstag, den 29. November 1984 kommensteuer und zur Körperschaft- Bredehorn FDP 7857 C steuer (Ergänzungsabgabegesetz) Frau Reetz GRÜNE (Erklärung nach § 30 — Drucksache 10/2460 — GO) 7860 C Dr. Apel SPD 7774 B Carstens (Emstek) CDU/CSU 7781 C Einzelplan 12 Dr. Weng FDP 7786 B Geschäftsbereich des Bundesministers für Dr. Stoltenberg, Bundesminister BMF . 7789 C Verkehr Wieczorek (Duisburg) SPD 7800 C — Drucksachen 10/2312, 10/2330 — Dr. Hackel CDU/CSU 7804 B Metz CDU/CSU 7861 C Kleinert (Marburg) GRÜNE 7806 D Hoffmann (Saarbrücken) SPD 7864 B Dr. Solms FDP 7810 A Hoffie FDP 7868 B Dr. Wieczorek SPD 7811 D Drabiniok GRÜNE 7871 B Krizsan GRÜNE 7814 B Dr. Dollinger, Bundesminister BMV . . 7874A Austermann CDU/CSU 7815 B Einzelplan 13 Waltemathe SPD 7816 D Geschäftsbereich des Bundesministers für Dr. Knies, Minister des Landes Saarland 7817 D das Post- und Fernmeldewesen — Drucksachen 10/2313, 10/2330 — Erklärungen nach § 31 GO Paterna SPD 7878 B Matthöfer SPD 7818 C Dr. Friedmann CDU/CSU 7880 D Stratmann GRÜNE 7818 D Frau Reetz GRÜNE 7883 B Hoffie FDP 7885 D Dr. Schwarz-Schilling, Bundesminister Namentliche Abstimmung 7820 B BMP 7888 C

Haushaltsgesetz 1985 Einzelplan 09 — Drucksachen 10/2328, 10/2329 — Geschäftsbereich des Bundesministers für Sieler SPD 7891A Wirtschaft von Hammerstein CDU/CSU 7893 C — Drucksachen 10/2309, 10/2330 — Kleinert (Marburg) GRÜNE 7895 C Glos CDU/CSU 7822 B Dr. Weng FDP 7898 C Frau Simonis SPD 7827 C Strube CDU/CSU 7899 D Dr. Weng FDP 7831 A Dr. Stoltenberg, Bundesminister BMF . 7900 C Lattmann CDU/CSU 7832 D Dr. Bangemann, Bundesminister BMWi 7834 B Nächste Sitzung 7902 C Roth SPD 7839 B

Burgmann GRÜNE 7843 A Anlage 1 Urbaniak SPD (Erklärung nach § 31 GO) 7845A Liste der entschuldigten Abgeordneten . 7903*A

Einzelplan 10 Geschäftsbereich des Bundesministers für Anlage 2 Ernährung, Landwirtschaft und Forsten — Drucksachen 10/2310, 10/2330 — Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Hinrichs (CDU/CSU) und Metz (CDU/CSU) Frau Zutt SPD 7846 A zur Abstimmung über den von der Frak- Schmitz (Baesweiler) CDU/CSU . . . 7849 A tion der SPD eingebrachten Entwurf eines Gesetzes über Finanzhilfen des Bundes Frau Dr. Vollmer GRÜNE 7852 A nach Art. 104a Abs. 4 GG an die Freie Han- Kiechle, Bundesminister BML 7855 B sestadt Bremen — Drucksache 10/2141 — 7903* B Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 105. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. November 1984 7773

105. Sitzung

Bonn, den 29. November 1984

Beginn: 9.00 Uhr

Vizepräsident Stücklen: Die Sitzung ist eröffnet. Einzelplan 20 Bundesrechnungshof Meine Damen und Herren, wir fahren in der Be- ratung von Punkt I der Tagesordnung fort: — Drucksachen 10/2317, 10/2330 — Zweite Beratung des von der Bundesregie- Berichterstatter: rung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes Abgeordnete Nehm über die Feststellung des Bundeshaushalts- Roth (Gießen) plans für das Haushaltsjahr 1985 (Haushalts- Kleinert (Marburg) gesetz 1985) dazu — Drucksachen 10/1800, 10/2250 — Beratung der Beschlußempfehlung des Haus- haltsausschusses (8. Ausschuß) zu der Unter- Beschlußempfehlungen und Berichte des richtung durch die Bundesregierung Haushaltsausschusses (8. Ausschuß) Der Finanzplan des Bundes 1984 bis 1988 Ich rufe auf: — Drucksachen 10/1801, 10/2251, 10/2387 — Einzelplan 08 Berichterstatter: Geschäftsbereich des Bundesministers der Abgeordnete Carstens (Emstek) Finanzen Hoppe — Drucksachen 10/2308, 10/2330 — Wieczorek (Duisburg) Kleinert (Marburg) Berichterstatter: Austermann Abgeordnete Wieczorek (Duisburg) Dr. Hackel Dr. Hackel Borchert Glos Hoffmann (Saarbrücken) Kleinert (Marburg) Zweite und dritte Beratung des von der Bun- Einzelplan 32 desregierung eingebrachten Entwurfs eines Bundesschuld Gesetzes über Finanzhilfen des Bundes nach Artikel 104 a Abs. 4 GG an das Saarland — Drucksache 10/2323 — — Drucksache 10/2229 — Berichterstatter: Abgeordnete Wieczorek (Duisburg) Beschlußempfehlung und Bericht des Haus- Austermann haltsausschusses (8. Ausschuß) Kleinert (Marburg) — Drucksache 10/2503 — Einzelplan 60 Berichterstatter: Allgemeine Finanzverwaltung Abgeordnete Austermann Hoppe — Drucksache 10/2327 — Wieczorek (Duisburg) Berichterstatter: Kleinert (Marburg) Abgeordnete Carstens (Emstek) (Erste Beratung 101. Sitzung) Austermann Dr. Hackel Zweite und dritte Beratung des von der Frak- Borchert tion der SPD eingebrachten Entwurfs eines Hoppe Gesetzes über Finanzhilfen des Bundes nach Wieczorek (Duisburg) Artikel 104a Abs. 4 GG an die Freie Hanse- Hoffmann (Saarbrücken) stadt Bremen Kleinert (Marburg) — Drucksache 10/2141 — 7774 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 105. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. November 1984

Vizepräsident Stücklen Beschlußempfehlung und Bericht des Haus- entsteht eine Vertrauenskrise in der Bevölke- haltsausschusses (8. Ausschuß) rung, — Drucksache 10/2502 — (Frau Fuchs [Köln] [SPD]: Sehr richtig!) Berichterstatter: die heute schon erkennbar ist, weil die Ab- Abgeordnete Austermann sichtserklärungen der Politiker in Bonn — Be- Hoppe kämpfung der Arbeitslosigkeit — und das tat- Wieczorek (Duisburg) sächliche Verhalten in der Finanzpolitik immer Kleinert (Marburg) weiter auseinanderfallen. (Erste Beratung 101. Sitzung) (Frau Fuchs [Köln] [SPD]: Sehr wahr!) - Zusatzpunkt 2: Genau das, Herr Kollege Dr. Stoltenberg, werfen wir Sozialdemokraten Ihnen heute vor. Erste Beratung des von der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes (Beifall bei der SPD) über eine Ergänzungsabgabe zur Einkom- Versprechungen der Bundesregierung und Erwar- mensteuer und zur Körperschaftsteuer (Er- tungen in den Abbau der Arbeitslosigkeit einerseits, gänzungsabgabengesetz — ErgAbG) das tatsächliche Handeln der Finanzpolitik zur Be- — Drucksache 10/2460 — kämpfung der Arbeitslosigkeit andererseits haben nichts, aber auch gar nichts miteinander zu tun. Überweisungsvorschlag: Finanzausschuß (federführend) (Zuruf von der CDU/CSU: Wir machen Rechtsausschuß keine falschen Versprechungen!) Ausschuß für Wirtschaft Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung Wir fordern auch für den Bundeshaushalt 1985 Haushaltsausschuß mitberatend und gemäß § 96 GO eine Verstärkung der investiven Ansätze. Meine Die Fraktion der SPD hat zum Einzelplan 08 auf Damen und Herren von der Koalition, selbst die Drucksache 10/2475 und zum Einzelplan 60 auf sonst sehr vorsichtige Bundesbank fordert in ihrem Drucksache 10/2487 Änderungsanträge vorgelegt. Monatsbericht vom November 1984 die Verstärkung der wachstums- und beschäftigungsfördernden Meine Damen und Herren, interfraktionell ist Ausgaben als ein derzeitig wichtiges Ziel der Fi- vereinbart worden, daß die Aussprache vier Stun- nanzpolitik. den dauern soll. Sind Sie damit einverstanden? — Die Finanzpolitik des Herrn Dr. Stoltenberg wird Ich sehe und höre keinen Widerspruch. Es ist so diesem Gebot auch nicht im entferntesten gerecht. beschlossen. (Beifall bei der SPD) Wird das Wort zur Begründung gewünscht? — Das ist nicht der Fall. Ich eröffne die Aussprache. Der Investitionsanteil an den Bundesausgaben Das Wort hat der Herr Abgeordnete Apel. geht in den vor uns liegenden Jahren weiter zurück. Dieser, Investitionsanteil wird einen Rekordtief- stand erreichen. Ich füge hinzu, Herr Kollege Dr. Stoltenberg: Mit Haushaltskonsolidierung hat das Dr. Apel (SPD): Herr Präsident! Guten Morgen, überhaupt nichts zu tun, denn während die Investi- meine sehr geehrten Damen und Herren! tionsausgaben dank der Finanzpolitik des Herrn (Zurufe: Guten Morgen! — Dr. Friedmann Dr. Stoltenberg in den Keller rutschen, [CDU/CSU]: Wie geht's?) (Dr. Friedmann [CDU/CSU]: Dafür neh In diesen Wochen erreichen uns in der Tendenz men die privaten Investitionen zu! Das ist doch viel wichtiger!) unterschiedliche Signale über die weitere wirt- schaftliche Entwicklung des Jahres 1985. nehmen die Steuersubventionen von 29 Milliarden DM im Jahre 1982 auf 39 Milliarden DM für das (Zuruf von der CDU/CSU: Nein, nur posi nächste Jahr, also um 10 Milliarden DM, d. h. um tive!) ein Drittel, zu! Die einen prognostizieren uns ein Wirtschafts- (Frau Fuchs [Köln] [SPD]: Hört! Hört!) wachstum von 2 %, die anderen gar von 3 %. Aber alle, auch der Sachverständigenrat, erwarten, daß Das ist Ihr Werk. Es gibt wahrlich keinen Grund, die Arbeitslosigkeit hoch bleibt, daß sie sich kaum darauf stolz zu sein. verändert, daß mehr als 2 Millionen Menschen ohne (Beifall bei der SPD — Dr. Friedmann Arbeit bleiben, und das ist doch, Herr Kollege Dr. [CDU/CSU]: Die Investitionen nehmen zu! Stoltenberg, auch für die Finanzpolitik eine zen- Wir wollen private Investitionen!) trale Herausforderung. Meine sehr geehrten Damen und Herren, greifen (Beifall bei der SPD) wir noch einmal auf die Aussagen des Herrn Dr. Im Sommer 1982 haben Sie, Herr Dr. Stoltenberg, Stoltenberg vor dem Regierungswechsel zurück. kurz vor dem Regierungswechsel in einem Inter- Herr Kollege Stoltenberg, Sie haben kurz vor dem view des Deutschlandfunks zu einer verstärkten Regierungswechsel in einem „Spiegel"-Interview Bekämpfung der Dauerarbeitslosigkeit aufgerufen. folgendes erklärt: Sie haben damals festgestellt — ich zitiere —: Wenn Es ist unbefriedigend, wenn Bürger mit hohem das nicht geschieht, Einkommen durch das legale Benutzen von Ab- Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 105. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. November 1984 7775

Dr. Apel schreibungsmöglichkeiten ihre Steuerschuld Neubau-, Ersatz- und Erweiterungsinvestitionen praktisch auf Null bringen. vorzunehmen. Wie wahr, Herr Kollege Dr. Stoltenberg! (Beifall bei der SPD — Dr. Friedmann [CDU/CSU]: Das stimmt gar nicht! Die Fi (Beifall bei der SPD) nanzen haben sich verbessert!) Inzwischen hat der Bundesfinanzminister — ei- — Die Gemeinden können keine Kredite aufneh- nem Auftrag entsprechend, den wir ihm als Deut- men, weil sie auf Grund der Schuldengrenzen ein- scher Bundestag gemeinsam gegeben haben — ei- geengt sind. Das wissen Sie genauso wie ich. Erset- nen ausführlichen Bericht über die Möglichkeiten zen Sie doch Sachkenntnis nicht durch dumme Zwi- zur Einschränkung derartiger Steuersparmodelle - schenrufe und Polemik. vorgelegt. Ergebnis: Nichts, aber auch gar nichts will der Finanzminister in dieser Frage unterneh- (Beifall bei der SPD — Dr. Friedmann men. [CDU/CSU]: Gehen Sie einmal in einen Stadtrat! Sie wissen gar nicht, wie es aus (Frau Dr. Hellwig [CDU/CSU]: Von Ihnen sieht!) fehlen aber auch jede Vorschläge!) Meine sehr geehrten Damen und Herren, unsere Dabei stecken im Subventionsabbau, sehr geehrte Vorschläge zur Verbesserung der Gemeindefinan- gnädige Frau, doch die Milliarden, die beim Bund, zen liegen vor. Wir begrüßen es, daß der Sachver- aber insbesondere bei den Städten und Gemeinden ständigenrat in dem vielgerühmten Gutachten er- wachstums- und beschäftigungsfördernd einzuset- neut die Reform der Gemeindefinanzen gefordert zen wären. hat. Wir stimmen dem zu. Wir fordern Sie, Herr Dr. (Dr. Friedmann [CDU/CSU]: Und meistens Stoltenberg, auf, endlich Ihre Untätigkeit aufzuge- Arbeitsplätze sichern!) ben Herr Kollege Stoltenberg, Sie und Ihre Mitwir- (Frau Dr. Hellwig [CDU/CSU]: Und Schul kenden sollten endlich aufhören, in diesem Zusam- den zu machen!) menhang die Gemeindefinanzen gesundzubeten. und mit uns gemeinsam (Zuruf von der SPD: Richtig! — Hornung (Zuruf von der CDU/CSU: Wieder Schulden [CDU/CSU]: Die werden nicht gesund ge zu machen!) betet, sondern gesund gemacht!) die Gemeindefinanzreform anzupacken, die alle Es war doch eher peinlich, daß Sie uns, Herr Kol- Spitzenverbände der Gemeinden und der Städte lege Dr. Stoltenberg, bei der ersten Lesung des Bun- fordern. deshaushaltes am 15. September 1984 hier mitge- (Hornung [CDU/CSU]: Die Sie, Herr Apel, teilt haben, daß die kommunalen Investitionen 1984 in Ihrer Zeit nicht gemacht haben!) erstmals wieder um eine Milliarde DM ansteigen werden. Zur gleichen Zeit hat das Statistische Bun- Handeln Sie endlich. Schwätzen Sie nicht. Die Ge- desamt die Ergebnisse der Kommunalfinanzen für meinden brauchen eine Gemeindefinanzreform, das erste Halbjahr 1984 vorgelegt. Schauen Sie ein- meine sehr geehrten Damen und Herren. mal hinein, meine Damen und Herren von der Ko- (Beifall bei der SPD) alition, Herr Kollege Dr. Stoltenberg, und Sie wer- den feststellen, daß die Sachinvestitionen um mehr Am 25. September 1981 hat der damalige Mini- als 5 % im ersten Halbjahr 1984 zurückgegangen sterpräsident Dr. Stoltenberg im Zusammenhang sind, mit der Diskussion über Sparmaßnahmen der so- zialliberalen Koalition im Bundesrat folgendes er- (Frau Fuchs [Köln] [SPD]: Hört! Hört!) klärt: die Baumaßnahmen sogar um fast 7 %. Das ist die Die meisten Menschen sind ja heute problem Realität. bewußter, kritischer und wacher, als manche Partei- und Verbandsfunktionäre unterstellen. (Beifall bei der SPD — Dr. Friedmann Sie werden zumutbare Einschränkungen dann [CDU/CSU]: Die Finanzen sind trotzdem tragen, wenn sie von dem ernsthaften Willen besser geworden!) der Verantwortlichen überzeugt sind, Auch 1984 hat sich der massive Rückgang der Ge- — nun kommt der entscheidende Satz von Herrn meindeinvestitionen fortgesetzt. Dr. Stoltenberg — (Dr. Friedmann [CDU/CSU]: Die Finanzen daß diese Kürzungen nicht einseitig erfolgen. sind besser geworden!) (Dr. Vogel [SPD]: Hört! Hört! — Frau Fuchs Wenn Sie, meine sehr geehrten Damen und Herren, [Köln] [SPD]: Das ist gut!) in diesen Tagen Alarmrufe aus der Bauwirtschaft hören, dann hat das auch damit etwas zu tun, Ich frage Sie, Herr Bundesfinanzminister: Wo ha- ben Sie denn eigentlich seit der Bonner Wende in (Hornung [CDU/CSU]: Der Apel setzt nur Ihrer eigenen Politik den ernsthaften Willen doku- auf den Staat, auf sonst nichts!) mentiert, daß Ihre Haushaltskürzungen nicht ein- daß die Gemeindeinvestitionen zurückhängen, daß seitig sind und nicht einseitig sein sollen. die Gemeinden nicht in der Lage sind, dringende (Beifall bei der SPD) 7776 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 105. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. November 1984

Dr. Apel Tatsache ist doch: Rentner, Arbeitslose, Familien Herr Kollege Dr. Stoltenberg, dafür tragen Sie die mit Kindern, Schüler, Studenten und Mieter sind Verantwortung. Haben Sie denn schon einmal über- die Opfer Ihrer unsozialen Sparpolitik. legt, wie viele Beamte in den Finanzämtern durch (Hornung [CDU/CSU]: Konsumstaat!) Ihre Schuld mit dem Einziehen und Rückzahlen der Zwangsanleihe beschäftigt waren, beschäftigt sind Die Vermögensteuer wird massiv gesenkt. Nun und noch eine ganze Zeit beschäftigt sein werden kommt noch eines dazu: Die Zwangsanleihe wird zurückgezahlt. Damit wird deutlich, Herr Kollege (Hornung [CDU/CSU]: Ohne Ihre finan Dr. Stoltenberg, daß sich Ihre grundsätzlichen Aus- zielle Erblast wäre das doch alles gar nicht sagen des Jahres 1981, nämlich keine einseitigen notwendig gewesen!) Kürzungen, in Ihrem heutigen politischen Handeln- und wie viele Finanzbeamte dadurch von ihren ei- als leere Worthülsen erweisen. gentlichen Aufgaben abgehalten werden, nämlich (Beifall bei der SPD Gerster [Mainz] im Interesse aller Bürger eine zügige und gerechte [CDU/CSU]: Sie wissen doch, daß das Un Besteuerung durchzuführen? sinn ist, was Sie da reden!) Sie, Herr Kollege Dr. Stoltenberg, haben am Ihre Parolen, Herr Kollege Stoltenberg, und Ihr tat- 15. November 1984, also vor zwei Wochen, hier im sächliches Handeln haben nichts miteinander zu Deutschen Bundestag versucht, den Vorwurf des tun. leichtfertigen Umgangs mit der Verfassung zu wi- (Hornung [CDU/CSU]: Das sagen andere derlegen. Sie haben auf eine Entscheidung des Leute anders!) Bundesverfassungsgerichts aus dem Jahre 1953 — tatsächlich ist sie im Jahre 1954 ergangen — hinge- Dieser Eindruck verstärkt sich in der ganz aktu- wiesen. Herr Kollege Dr. Stoltenberg, schauen Sie ellen Diskussion. Wie war das denn mit der in dieses Urteil hinein, und Sie werden feststellen, Zwangsanleihe, die jetzt vom Bundesverfassungs- daß dieses Urteil mit dem heutigen Urteil und mit gericht für verfassungswidrig und nichtig erklärt der Finanzierung des Bundeshaushalts nichts, aber worden ist? Hier haben doch, Herr Kollege Dr. Stol- auch überhaupt nichts zu tun hat. Das Bundesver- tenberg, die Finanzwissenschaftler und die Verfas- fassungsgericht hat seine Judikatur nicht geändert. sungsrechtler von Anbeginn schwerste Bedenken Es weist Ihnen nach, daß Sie in jedem Punkte ge- geäußert. Ich selbst habe Sie dreimal, Herr Kollege gen Verfassungsrecht verstoßen haben. Es bleibt Dr. Stoltenberg, von dieser Stelle aus vor Ihrem ver- dabei: Sie sind leichtfertig mit der Verfassung um- fassungswidrigen Weg der Zwangsanleihe ge- gegangen. So billig können Sie sich nicht aus der warnt. Affäre ziehen. (Frau Dr. Däubler-Gmelin [SPD]: Sehr (Beifall bei der SPD — Dr. Diederich [Ber wahr! — Frau Fuchs [Köln] [SPD]: Er lin] [SPD]: Doch eine bewußte Strategie!) wußte das auch! Er wollte das so!) Alles das ist schlimm genug. Herr Kollege Nils Sie haben das alles vom Tisch gewischt. Heute tun Diederich, Sie haben ja recht, in diesem Zusammen- Sie überrascht über das Urteil des Bundesverfas- hang stellt sich eine ganz andere Frage: Wurde Dabei hätten Sie doch spätestens sungsgerichts. nicht vielmehr aus übergeordneten politischen, nach dem Urteil des Bundesfinanzhofs wissen müs- auch koalitionstaktischen, Erwägungen die sen, was auch Herr Mundorf jetzt im Handelsblatt Zwangsanleihe beschlossen, deren Verfassungswid- festgestellt hat — ich zitiere —: rigkeit bewußt in Kauf genommen, sogar einkalku- Die Investitionshilfeabgabe verstößt nicht nur liert, gegen eine, sie verstößt gegen sämtlich in Frage kommenden Bestimmungen des gelten- (Hornung [CDU/CSU]: Eine böse Unterstel den Verfassungsrechts ... lung!) (Dr. Vogel [SPD]: Das hat er gewußt!) um auf diese Art und Weise soziale Gerechtigkeit und soziale Ausgewogenheit Alle diese verfassungsrechtlichen Bedenken sind gegen die Zwangsanleihe schon erhoben (Dr. Vogel [SPD]: Vorzutäuschen!) worden, bevor sie Gesetz geworden ist ... vorzugeben und den Wähler zu täuschen? (Frau Dr. Däubler-Gmelin [SPD]: Sehr (Beifall bei der Hornung [CDU/ wahr!) SPD — CSU]: Herr Apel, Sie haben Art. 115 des — immer noch das „Handelsblatt", Herr Kollege Dr. Grundgesetzes jahrelang überhaupt nicht Stoltenberg — beachtet!) Die Leichtfertigkeit, mit der die Bundesregie- Meine sehr geehrten Damen und Herren von der rung solche Einwände ignorierte, ist wirklich Union, bleiben Sie doch endlich bei der Wahrheit! erstaunlich ... (Zurufe von der CDU/CSU) (Beifall bei der SPD — Frau Fuchs [Köln] [SPD]: Das wollten die so! — Gerster Es ist doch so gewesen, daß Sie in Ihrem Wahl- [Mainz] [CDU/CSU]: Das müssen ausge programm für die Bundestagswahlen im März 1983 rechnet Sie sagen! — Dr. Diederich [Berlin] die Ergänzungsabgabe für die sehr gut Verdienen- [SPD]: Das war doch eine bewußte Strate den dem Wähler versprochen haben. Herr Blüm hat gie!) im Fernsehen nach diesem Beschluß auf seine rhei- Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 105. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. November 1984 7777

Dr. Apel nische Art gesagt, jetzt mache ihm Wahlkampf wie- ken Sie doch schon bereits an einer Badehose, mit der Spaß. der Sie die schreienden Ungerechtigkeiten Ihrer (Beifall bei der SPD — Zuruf von der CDU/ unsozialen und ungerechten Sparpolitik schamlos CSU: Eine ehrliche Politik!) verbergen wollen. Was ist hinterher gewesen? Sie haben dieses Wahl- (Glos [CDU/CSU]: Sie sind fast so gut wie versprechen gebrochen. der Dr. Vogel!) (Dr. Vogel [SPD]: Abgabenlüge!) Meine Damen und Herren, an eine echte Belastung der sehr gut Verdienenden wird nicht mehr ge- Es ist bei der Zwangsanleihe geblieben. Und wir dacht. wissen es doch, diese Zwangsanleihe sollte einen - ganz bestimmten politischen Zweck erfüllen; sie (Hornung [CDU/CSU]: Sie widersprechen sollte den Eindruck sozialer Ausgewogenheit bei sich!) den sozial Schwächeren vermitteln, denen Sie doch So wie ich es verstanden habe, erhalten die Durch- viele Milliarden DM zur Hilfe zum Lebensunterhalt schnittsverdiener ab 1986 ein steuerliches Trink- und für die Chancengleichheit genommen haben geld als Trostpflaster, und auf Dauer weiter nehmen. (Glos [CDU/CSU]: Sie sind doch ein finanz (Hornung [CDU/CSU]: Chancen haben Sie genommen! — Weitere Zurufe von der politischer Exhibitionist! Sie haben doch nicht mal eine Badehose!) CDU/CSU) Herr Kollege Dr. Stoltenberg, früher haben Sie oder aber die sehr gut Verdienenden verzichten für die Zwangsanleihe wiederholt — ich habe das stets zwei Jahre auf einen bescheidenen Teil der Ihnen begrüßt — als einen Solidarbeitrag der Besserver- zugedachten üppigen Steuererleichterungen. So dienenden bezeichnet. Auch jetzt noch haben Sie geht diese Debatte am Ende aus. Ich sage Ihnen, diesen Grundgedanken, nämlich sehr gut Verdie- meine Damen und Herren von der Union, so endet nende auch heranzuziehen, als im nachhinein für dann Ihr Wahlversprechen aus dem Jahre 1983. richtig bezeichnet. Herr Kollege Dr. Stoltenberg, er- (Zurufe von der SPD) innern wir uns gemeinsam: Ich war damals Bundes- tagsabgeordneter, Franz Josef Strauß und Sie wa- Ich sage Ihnen: Was Sie heute vorhaben, ist im ren Bundesminister. Am 7. Dezember 1967 haben nachhinein Betrug an den Wählern, nichts ande- wir in der Großen Koalition in ähnlichen Umstän- res. den eine befristete Ergänzungsabgabe beschlossen. (Beifall bei der SPD) (Frau Fuchs [Köln] [SPD]: Das war gut Ausgerechnet zu Weihnachten werden jetzt Mil- so!) lionen von Normalverdienern Auch damals hat Herr Genscher seine infamen Ar- (Hornung [CDU/CSU]: Warum denn „aus gumente der Neidsteuer, gerechnet zu Weihnachten"?) (Frau Fuchs [Köln] [SPD]: Richtig!) bei ihrem Weihnachtsgeld erleben, wie ihnen die Leistung darf nicht bestraft werden, vorgebracht. Bundesregierung, die Koalition, tief in die Tasche Leistung beginnt bei Ihnen anscheinend erst bei greift. einem Familieneinkommen von 100 000 DM, und Rentner haben augenscheinlich ihr ganzes Leben (Zuruf von der CDU/CSU: Nicht tief!) lang nichts geleistet. Deswegen dürfen sie auch an- Teilweise werden die Sozialversicherungsabgaben dauernd und dauernd bestraft werden. auf das 13. Gehalt verdoppelt. Nur bei denen, die (Beifall bei der SPD — Zurufe von der SPD mehr als 5 000 DM verdienen, wird nicht 1 DM zu- und der CDU/CSU) sätzlich abkassiert, im Gegenteil, sie werden noch vor Weihnachten einige Tausend DM aus der verbo- Doch heute morgen, nach dem gestrigen Tage, tenen Zwangsanleihe_ zurückerhalten. Frohe Weih- stellt sich das alles ganz anders dar. Nach anhalten- nacht! Christdemokratische Politik: Wer hat, dem den wechselseitigen Beschimpfungen der Koalitio- wird gegeben, wer nichts hat, dem wird genom- näre untereinander erklärt der Bundeskanzler men. diese wichtige Debatte über die soziale Ausgewo- genheit Ihrer Sparpolitik zu einer „Phantomdiskus- (Beifall bei der SPD — Zuruf von der CDU/ sion". Soziale Gerechtigkeit wird bei Ihnen zu ei- CSU: Aber jetzt bringen Sie alles durchein nem Phantom; der Bundeskanzler hat seine eigene ander, Herr Apel!) Politik richtig charakterisiert. Ich habe dem nichts Meine sehr geehrten Damen und Herren, wir So- hinzuzufügen. zialdemokraten wissen — und das hat die Debatte (Beifall bei der SPD — Zurufe von der der letzten Wochen deutlich gemacht —, daß es CDU/CSU) auch in der Union Abgeordnete mit sozialem Gewis- sen gibt. Wir bieten Ihnen unsere Zusammenarbeit Im übrigen soll der Streit nach bewährter Manier an, um der sozialen Gerechtigkeit eine Chance zu ausgesessen werden. geben. Wir debattieren heute auch unseren Gesetz- Aber, meine sehr geehrten Damen und Herren, entwurf zur Einführung einer Ergänzungsabgabe, eines ist doch bereits heute deutlich: Obwohl unklar die Sie 1983 den Wählern versprochen haben. Wir ist, ob und wann sich die Koalition einig wird, strik- laden Sie ein, unserer Initiative zu folgen, damit Sie 7778 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 105. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. November 1984

Dr. Apel sich selber treu bleiben können, meine sehr geehr- daß die Bundesregierung die Spitzenverdiener sage ten Damen und Herren. und schreibe fünfzigmal stärker als den Durch- schnittsverdiener entlastet. (Beifall bei der SPD) (Beifall bei der SPD — Wieczorek [Duis Der Bundesfinanzminister hat erst vor zwei Wo- burg] [SPD]: Unerhört, skandalös ist das!) chen hier im Deutschen Bundestag starke Worte im Hinblick auf die Steuerdiskussion in den eigenen Oder nehmen wir eine andere Quelle: Das Deut- Reihen gebraucht. Herr Kollege Dr. Stoltenberg, Sie sche Institut für Wirtschaftsforschung in Berlin hat haben es selbst gespürt: Ihre starken Worte haben gerechnet. Es werden 15 Milliarden DM für die niemanden sonderlich beeindruckt. Steuertarifentlastung eingesetzt. Von diesen 15 Mil- - liarden DM erhalten ein Sechstel der Steuerzahler (Gerster [Mainz] [CDU/CSU]: Was halten 10 Milliarden DM, zwei Drittel der gesamten Sum- Sie denn von Ihrer Rede?) me. Das sind die, die mehr als 75 000 DM im Jahr verdienen. Und wenn wir hinzunehmen, daß die Die Debatte geht lustig weiter. Steuerentlastung in Kinderfreibeträge — das können Sie doch nicht einem Schritt oder in zwei Schritten? Geringere leugnen, Herr Dr. Stoltenberg —, die Sie nun erhö- Entlastung für die Gutverdienenden als Kompensa- hen wollen, dem Spitzenverdiener pro Kind zwei- tion für die zurückgezahlte Zwangsanleihe, ja oder einhalbmal soviel Entlastung bringen wie dem Nor- nein? Es wird hin und her geredet. Und wenn es um malverdiener, dann ist richtig, was die christdemo- die Frage geht, Steuerreform in einem Schritt oder kratischen Arbeitnehmer sagen: Diese Steuervor- in zwei Schritten, bahnen sich ganz neue Männer- schläge sind' skandalös; sie müssen geändert wer- freundschaften an. den. Auch hier bieten wir Ihnen unsere Hilfe an. (Dr. Vogel [SPD]: Genscher und Strauß!) (Beifall bei der SPD) Bangemann und Strauß, Genscher und Strauß Arm Herr Kollege Dr. Stoltenberg, untersuchen wir ei- in Arm gegen den Bundesfinanzminister. Herr Dr. nen anderen Aspekt. Sie stellen diese Tarifentla- Stoltenberg, so ist das Leben. stung unter das Motto: Leistung muß sich wieder lohnen. Sie sagen: Damit das so ist, (Gerster [Mainz] [CDU/CSU]: Apel und Kleinert!) (Hornung [CDU/CSU]: Damit Arbeitsplätze geschaffen werden!) Meine Damen und Herren, angesichts dieser chaotischen Debatte in Regierung und Koalition müssen die Grenzsteuersätze gesenkt werden. möchte ich für die Sozialdemokraten zur Steuer- Schauen wir genau hin, was das bedeutet. entlastung folgendes feststellen: Beim verheirateten gut verdienenden Arbeitneh- mer, der heute etwa 3 500 DM monatlich verdient, (Hornung [CDU/CSU]: Ja, was ist denn das, wird die Grenzsteuerbelastung 1988 nach Ihrer was Sie hinterlassen haben?) Steuerreform um sechs Punkte höher liegen als Wir halten eine Entlastung bei der Lohn- und Ein- 1982. kommensteuer grundsätzlich für notwendig. Bei (Zurufe von der SPD: Was? Hört! Hört!) der Wahl des Zeitpunkts muß berücksichtigt wer- den, daß die Möglichkeiten der öffentlichen Haus- Dagegen werden die sehr gut Verdienenden eine halte, beschäftigungswirksame Impulse zu geben, deutlich niedrigere Grenzsteuerbelastung haben. nicht noch stärker eingeschränkt werden dürfen. Für sie — das haben wir erkannt — beginnt Lei- Ich sage das insbesondere im Hinblick auf die stung, die steuerlich zu begünstigen ist, offensicht- Haushalte von Ländern und Gemeinden. Und aus lich erst bei einem Monatseinkommen von rund diesem Grunde unterstützen wir den Bundesfinanz- 10 000 DM und mehr. minister: Wir halten eine Tarifentlastung in einem (Hört! Hört! bei der SPD) Schritt zum 1. Januar 1986 nicht für realistisch. Das ist dann die Konsequenz Ihrer Steuerreform: Aber der Inhalt des Pakets, der Steuerentla- Den Großen wird gegeben, und bei der Masse der stungsvorschläge, ist allerdings verteilungspolitisch mittleren und kleinen Einkommen wird kassiert. skandalös. (Beifall bei der SPD — Hornung [CDU/ (Dr. Vogel [SPD]: Richtig!) CSU]: Sie müssen dabei die Ausgangsbasis berücksichtigen!) Sie können doch nicht leugnen, meine Damen und Herren von der Union — und die Christlich-Demo- Ich sage Ihnen: Dieser verschärften Umvertei- kratische Arbeitnehmerschaft hat Ihnen das doch lung werden wir nicht zustimmen. Unsere Vor- selber kritisch ins Stammbuch geschrieben, Ihre ei- schläge für eine gerechte Steuerentlastung sind be- genen Kollegen von der Christlich-Demokratischen kannt: eine stärkere Entlastung der kleinen und Arbeitnehmerschaft, auch hier im Deutschen Bun- mittleren Einkommen und an Stelle der unsozial destag — wirkenden Kinderfreibeträge eine Erhöhung des Kindergeldes. Das führt nämlich dazu, daß dann (Frau Fuchs [Köln] [SPD]: Die haben doch dem Staat jedes Kind, ob das eines Arbeitslosen gar nichts zu sagen! — Hornung [CDU/ oder eines Millionärs, gleich viel wert ist. Es darf CSU]: Von denen zu viele in den Gewerk nicht dahin kommen — wie Sie es wollen —, daß schaften sind!) das Kind des Millionärs dem Staat sehr viel mehr Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 105. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. November 1984 7779

Dr. Apel wert ist als das Kind eines Durchschnittsverdie- Nehmen wir es doch zur Kenntnis, wie es wirk- ners. lich ist. Die Ausgabenexplosion im Agrarbereich ist (Beifall bei der SPD — Hornung [CDU/ doch trotz gegenteiliger Beteuerung von Ihrer Seite CSU]: Was haben Sie denn gemacht? Sie kaum gebremst. 1983 schnellten die Ausgaben für haben doch den Millionär genauso entla den Agrarbereich um 27 % in die Höhe. 1984 sollte stet!) das besser werden, aber wir stellen fest: Auch im Jahre 1984 wird der Anstieg 16 % betragen. Und er Meine Damen und Herren, wenn wir in zweiter wäre sehr viel höher gewesen, Herr Kollege Dr. Lesung über den Bundeshaushalt reden, müssen Stoltenberg, hätten Sie nicht fällige Ausgaben des wir über die Risiken der Bundesfinanzen sprechen, Jahres 1984 erneut in das nächste Haushaltsjahr die sich aus der Europäischen Gemeinschaft erge- - geschoben. ben. Der Bundesfinanzminister und seine Kollegen haben sich bemüht, die EG-Finanzkrise in den Griff (Hornung [CDU/CSU]: Der Bundeskanzler zu bekommen. Die Ergebnisse sind kümmerlich. hat gehandelt!) Das ist wohl auch der Grund, weswegen Herr Kol- Nehmen wir doch zur Kenntnis: Die Agrarüber- lege Dr. Stoltenberg in der letzten Debatte im Deut- schüsse in Brüssel sind auf ein unerträgliches Maß schen Bundestag — wenn auch vorsichtig, ich gebe gewachsen. Der Warenwert dieser größtenteils un- das zu, aber immerhin — deutlich versucht hat, die verkäuflichen Überschüsse beläuft sich auf 20 Milli- Finanzprobleme der Europäischen Gemeinschaft arden DM. Die Butter wird ranzig; sie muß langsam der sozialliberalen Koalition zuzuschieben. verkauft werden. Das kostet dann zusätzliche Milli- (Richtig! bei der CDU/CSU) arden, auch aus dem Bundeshaushalt. „Das Erblastgerede erinnert mich" — so Außen- (Dr. Friedmann [CDU/CSU]: Das war doch minister Genscher am 29. Oktober 1984 im Deutsch- schon Ihr Problem! Warum haben Sie denn landfunk — nicht gehandelt?) (Hornung [CDU/CSU]: Das sind Fakten!) Bleiben wir doch wenigstens ehrlich, und sagen wir nicht, wir hätten in Brüssel etwas bewegt und in „an die Methode ,Haltet den Dieb`." Das ist ein Zitat Ordnung gebracht. Das ist es, was wir dem Kollegen des Vizekanzlers dieser Koalition. Stoltenberg vorwerfen. (Zurufe von der CDU/CSU) (Beifall bei der SPD — Hornung [CDU/ — Ich wiederhole es für Sie, damit Sie es begreifen. CSU]: Sie haben nichts getan!) „Das Erblastgerede des Herrn Kollegen Dr. Stolten- Meine Damen und Herren, wir haben in diesem berg erinnert den Vizekanzler dieser Koalition an Deutschen Bundestag immer wieder gesagt: Wir die Methode ,Haltet den Dieb`." wollen die Mehrwertsteuergrenze von 1 % in Brüs- (Beifall bei der SPD) sel festhalten. Das ist doch längst Vergangenheit. Das wird schlimme Konsequenzen haben. Vor eini- Herr Kollege Genscher fährt fort: gen Tagen mußte der Bundesfinanzminister im Ich kann mich noch genau an die Aussprachen Nachtragshaushalt für 1984 650 Millionen DM für im Deutschen Bundestag erinnern, in denen die EG nachschießen. Im Bundeshaushalt 1985 ha- Kollege Ertl gerügt wurde, ben Sie vorsorglich einen Betrag von 1,6 Milliarden — gerügt wurde, und zwar von Ihnen — DM eingestellt. daß er in der EG versucht hatte, die Entwick- Ich habe meine ganz großen Zweifel, daß dieser lung Betrag ausreichen wird. Herr Kollege Dr. Stolten- berg, das ist keine Schwarzmalerei, auch nicht der — der Preise — Versuch der Besserwisserei. Ich komme aber zu in Grenzen zu halten. dem Ergebnis — ich hoffe, Sie teilen das Ergebnis mit mir —: (Zuruf von der CDU/CSU: Wann denn?) (Glos [CDU/CSU]: Das stimmt nicht!) Die Unions-Politiker verlangten mehr, nicht weniger. Wer die Lage in der EG nüchtern analysiert, kann die Risiken für den Haushalt 1985 aus der EG- (Widerspruch bei der CDU/CSU) Agrarpolitik gar nicht hoch genug veranschlagen. — Ich gebe Ihnen notfalls die Protokolle des Deut- Herr Kollege Dr. Stoltenberg, Sie haben uns am schen Bundestages, aus denen hervorgeht, daß der 15. November 1984 im Deutschen Bundestag mitge- heutige Bundesernährungs- und -landwirtschafts- teilt, daß es ihnen gelungen sei, in Brüssel Grund- minister ununterbrochen mehr und nicht weniger sätze für die Haushaltsdisziplin zu erreichen. Ich verlangt hat. zitiere Sie jetzt wörtlich. Sie haben hier im Deut- (Beifall bei der SPD) schen Bundestag gesagt: Herr Genscher hat recht: Hören Sie auf, über Erb- Wir sind einen großen Schritt vorangekommen. last zu reden. Sie sind es gewesen, die die Preise in Wir haben erstmals ein wirksameres Instru- Brüssel auch nach oben getrieben haben. ment, auch eine vernünftige Ausgabenkontrolle (Dr. Vogel [SPD]: Das sind die Erblaster! — im Verfahren und in der Sache herzustellen. Weiterer Zuruf von der SPD: Eure Erb Ich wollte Sie, Herr Kollege Dr. Stoltenberg, dazu last!) heute eigentlich beglückwünschen. Aber das Selbst- 7780 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 105. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. November 1984

Dr. Apel lob des Finanzministers hält einer kritischen Nach- Die Auswirkungen für die deutsche Landwirt- prüfung leider nicht stand. In Brüssel wurden — schaft sind nicht besser. Der Kollege Bredehorn von Herr Kollege Stoltenberg, Sie wissen es doch — der FDP hat die Beschlüsse, die im wesentlichen lediglich Schlußfolgerungen beschlossen, die kei- von Bundesfinanzminister Stoltenberg für die deut- nerlei rechtliche Bindung haben. Der Spielraum der sche Landwirtschaft geprägt worden sind, am Agrarminister wurde kaum eingeengt. 18. Oktober 1984 im Deutschen Bundestag folgen- Die „Neue Zürcher Zeitung" schrieb dazu am dermaßen bezeichnet — ich zitiere —: 14. November 1984 unter der Überschrift „Fragwür- Die agrarpolitischen Entscheidungen wie die diger Kompromiß der Finanzminister" — ich zitie- Milchkontingentierung, der Abbau des Grenz- re —, in Brüssel sei von den Finanzministern ein ausgleichs, die undifferenzierte generelle 5 %- Text erarbeitet worden, „der mit den ursprüngli-- Erhöhung der Vorsteuerpauschale sind Ent- chen Ambitionen nicht mehr allzuviel gemein hat". scheidungen gegen den bäuerlichen Familien- (Hornung [CDU/CSU]: Zitieren Sie doch betrieb. nicht die Schweiz, wo die Bauern ein Viel (Beifall bei der SPD — Abg. Dr. Weng faches mehr für ihre Produkte bekom [FDP] meldet sich zu einer Zwischen men!) frage) Die „Neue Zürcher Zeitung" schreibt weiter: „Er- neut hat der Berg, wie in Brüssel üblich, nur eine Maus geboren." Vizepräsident Stücklen: Herr Abgeordneter, ge- Herr Kollege Stoltenberg, ich habe den Agentur- statten Sie ein Zwischenfrage? meldungen im übrigen entnommen, daß selbst diese „Maus" inzwischen an den europäischen Realitäten in Brüssel „gestorben" ist. Dr. Apel (SPD): Nein. — Ihr Kollege Bredehorn (Frau Fuchs [Köln] [SPD]: Wie traurig!) fügte hinzu — und wir Sozialdemokraten schließen uns dem an —: Ich frage Sie, Herr Kollege Dr. Stoltenberg: Warum können Sie vor diesem Bundestag nicht ein- Ich mache mir große Sorgen um die Existenz fach zugeben, daß Sie in Brüssel ihre Ziele nicht unserer bäuerlichen Familienbetriebe. erreicht haben? Herr Kollege Stoltenberg, das können Sie doch (Rode [Wietzen] [CDU/CSU]: Bloß weil die nicht bestreiten, auch wenn Sie es immer wieder Schweizer Zeitung das schreibt?) versuchen: Die umsatzstarken Betriebe werden be- günstigt. Wenn wir das nüchtern feststellen, dann Warum immer wieder diese Selbstbeweihräuche- hat das doch nichts mit Klassenkampf zu tun, wie rung, die doch genauer Nachprüfung nicht stand- Sie so gern behaupten. Rechnen Sie doch einmal, hält? Herr Kollege Dr. Stoltenberg, und Sie kommen zu Wir sagen: Die finanzpolitische Bilanz Ihrer Eu- dem Ergebnis, ropapolitik ist miserabel. In Brüssel setzten Sie (Hornung [CDU/CSU]: Das ist die Korrek keine durchgreifenden Sparmaßnahmen durch. tur Ihrer falschen Politik!) Aber hier in Bonn beschließen Sie mit Ihrer Mehr- heit einen Nachschlag nach dem anderen für die daß ein Betrieb mit 500 000 DM Umsatz seinen Ge- Landwirtschaft. winn nach Abzug der Unkosten schlagartig jährlich um 20 000 DM ohne eigene Leistung erhöht, wäh- (Hornung [CDU/CSU]: Als Ausgleich für rend ein kleinerer Betrieb mit einem Jahresumsatz das, was aus Ihrer falschen Politik entstan von 100 000 DM bei weitem nicht einmal den Ver- den ist! Das haben Sie immer noch nicht lustausgleich für die Folgen Ihrer verfehlten Politik begriffen! — Weitere Zurufe von der CDU/ erhält. CSU) (Beifall bei der SPD) — Ich komme darauf zurück; nur ruhig. Wir wollen im Interesse unserer Landwirtschaft Mit der Anhebung der Vorsteuerpauschale um — wenn Sie dazu bereit sind, mit Ihnen gemeinsam 5 % hat der Bundesfinanzminister seinen Ruf als — einen Ausweg finden. seriöser Finanzpolitiker ramponiert, (Dr. Riedl [München] [CDU/CSU]: Sie sind (Beifall bei der SPD) j a ein Bauernvertreter!) und zwar nicht nur in der Bundesrepublik, Lassen Sie uns von dem von Ihnen eingeschlagenen (Dr. Friedmann [CDU/CSU]: Das müssen falschen Weg abweichen. Lassen Sie uns ihn korri- Sie sagen!) gieren. sondern auch bei den Kollegen in der EG. Man (Hornung [CDU/CSU]: Aber nicht in die nimmt doch einem Mann, nämlich dem Bundesmi- Richtung, die Sie vorgeschlagen haben!) nister der Finanzen, der Jahr für Jahr Geld — und Wir müssen den Landwirten flächenbezogen helfen. dann über Nacht 3 Milliarden DM zusätzlich — für Wir müssen entsprechend die Regelungen der Vor- die deutsche Landwirtschaft übrig hat, doch nicht steuerpauschale ändern. Nur so werden die hohen ab, daß er kein Geld hat. finanziellen Opfer für unsere Landwirtschaft sinn- (Frau Fuchs [Köln] [SPD]: Richtig!) voll eingesetzt und wird dem durch Ihre verfehlte Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 105. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. November 1984 7781

Dr. Apel Finanzpolitik herbeigeführten „Bauernlegen" ein Steuerpolitik setzt sich das fort. Der versprochene Ende bereitet. Subventionsabbau findet nicht statt. Im Gegenteil. Aus der Europapolitik des Finanzministers erwach- (Beifall bei der SPD — Glos [CDU/CSU]: sen unkalkulierbare Risiken für den deutschen Nicht einmal von dem Thema verstehen Steuerzahler. Das ist wahrlich keine glanzvolle Bi- Sie etwas! — Hornung [CDU/CSU]: „Bau ernlegen" ist eine juristische Angelegen lanz Ihrer Politik. heit!) (Beifall bei der SPD) Sie, Herr Dr. Stoltenberg, haben mir am 12. Sep- Deswegen, Herr Kollege Dr. Stoltenberg, stünden tember 1983 hier im Deutschen Bundestag „Mäßi- auch Ihnen Mäßigung und Selbstkritik gut an. gung und Selbstkritik" im Rückblick auf meine Zeit - Ich bedanke mich. als Bundesfinanzminister empfohlen. (Anhaltender Beifall bei der SPD — Stock (Glos [CDU/CSU]: Sie sollten sich schä hausen [CDU/CSU]: Fangen Sie einmal bei men!) sich selber an!) Ich gebe Ihnen heute diese Empfehlung zurück. (Müller [Schweinfurt] [SPD]: Das braucht Vizepräsident Stücklen: Das Wort hat der Herr Ab- er!) geordnete Carstens (Emstek). Am 15. November 1984 erkärten Sie überheblich als (Dr. Weng [FDP]: Endlich ein Haushaltspo Bundesfinanzminister litiker!) (Glos [CDU/CSU]: Sie sind überheblich!) Carstens (Emstek) (CDU/CSU): Herr Präsident! zu den Aussagen eines Kollegen im Bundestag — Meine sehr verehrten Damen und Herren! Was mei- ich zitiere —: nen Sie wohl, meine sehr verehrten Kolleginnen Es war kaum verständlich, was er hier vorge- und Kollegen, wie viele Bürger an den Rundfunk- tragen hat, und schon gar nicht logisch und und Fernsehgeräten soeben gedacht haben, wie gut konsistent. es ist, daß und nicht Hans (Zuruf von der CDU/CSU: Das kann man Apel Bundesfinanzminister ist? bei Ihnen auch sagen!) (Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU Am 14. September 1984 bewerteten Sie die Aussa- und der FDP — Zuruf des Abg. Dr. Apel gen eines anderen SPD-Kollegen hier im Parlament [SPD]) folgendermaßen — ich zitiere Stoltenberg —: — Herr Kollege Apel, ich werde auf Ihre Rede gleich noch eingehen, möchte aber zunächst wichti- Das ist selbst durch rheinisches Kabarett kaum gere Dinge in den Vordergrund der Debatte stel- noch zu überbieten. Melden sie sich doch bei len. den Laienschauspielern an. (Erneute Heiterkeit und Beifall bei der (Stockhausen [CDU/CSU]: Richtig!) CDU/CSU und der FDP) Herr Kollege Dr. Stoltenberg, abschließend: Auf Nur eines vorweg: Machen Sie sich keine falschen Ihre Entschuldigung wegen der Verleumdung unse- Hoffnungen! Mit der CDU/CSU-Bundestagsfraktion res früheren Kollegen durch ist eine Ergänzungsabgabe nicht zu machen. Herrn Waigel und Sie hier im Bundestag am 24. Mai 1984 während der Debatte über Ihre gescheiterten (Dr. Vogel [SPD]: Wahlprogramm!) Pläne der Amnestie bei Parteispenden warten wir Wir haben in der Fraktion ausführlich darüber de- immer noch. Wenn Sie ein Ehrenmann sind: Ent- battiert. Niemand von uns hat diese Ergänzungsab- schuldigen Sie sich! Sie haben damals zu Unrecht gabe gewünscht, gewollt, geschweige denn gefor- — hoffentlich nicht bewußt — Herrn Offergeld ver- dert. dächtigt. Inzwischen ist dies alles klar. Sagen Sie (Hoffmann [Saarbrücken] [SPD]: Partei hier, daß Sie sich geirrt haben. tagsbeschluß, Parteitagsbeschluß! — Wei (Beifall bei der SPD — Hornung [CDU/ tere Zurufe von der SPD) CSU]: Herr Apel, über Ihr Schauspiel ist Das hängt damit zusammen, daß wir die Wirtschaft schon längst der Vorhang gefallen!) weiter beleben und nicht kaputtmachen wollen, Wir Sozialdemokraten stellen fest: Anspruch und meine verehrten Damen und Herren. Wirklichkeit fallen in der Finanzpolitik des Finanz- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) ministers immer wieder weit auseinander. Aber Sie können sicher sein, daß wir schon in (Stockhausen [CDU/CSU]: Das war in der Kürze — in Kürze! — eine angemessene Antwort Zeit von Apel!) (Hoffmann [Saarbrücken] [SPD]: Welche? Der Finanzminister tut nichts gegen die unerträg- — Zuruf von der CDU/CSU: Die beste Ant lich hohe Arbeitslosigkeit. wort ist Schweigen!) (Roth [Gießen] [CDU/CSU]: Jetzt redet er in Sachen Investitionshilfeabgabe geben werden. von sich selber!) Meine verehrten Damen und Herren, nun, wie Seine Haushaltspolitik erschöpft sich im Umvertei gesagt, zu den noch wichtigeren Dingen: Der Bun- len zu Lasten der sozial Schwächeren. In seiner deshaushalt 1985 ist der dritte Haushalt in Folge, 7782 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 105. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. November 1984

Carstens (Emstek) von dem mit Fug und Recht behauptet werden Meine Damen und Herren, wieviele kluge Leute hat kann, daß er selbst hohen finanz- und wirtschafts- es in den letzten Jahren gegeben, die gemeint ha- politischen Anforderungen genügt. Das sagen nicht ben, genau das Gegenteil berichten zu sollen und wir über unseren Haushalt. Vielmehr brauchen Sie für die Zukunft für möglich halten zu sollen. Wir nur die Ziffern 438 ff. des Sachverständigengutach- sind hier eines Besseren belehrt worden. Die Rich- tens nachzulesen, um dies bestätigt zu sehen. tigkeit unserer Politik hat sich hier bestätigt. Ich Sparsamkeit und Solidität sind auch für 1985 wie- sage auch einmal ganz persönlich — das ruft auch der Richtschnur unserer Haushaltspolitik; sie wer- Gefühle hervor, meine Damen und Herren —: Es ist den es auch in den nächsten Jahren bleiben. Die nach zwei Jahren nicht leichter Arbeit und nicht Gesundung der Staatsfinanzen macht weiter erheb- leichtgemachter politischer Entscheidungen schon liche Fortschritte. - angenehm, nun diese Bestätigung durch den Sach- verständigenrat zu bekommen. (Hoffmann [Saarbrücken] [SPD]: Mit den Bundesbankgewinnen!) (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Die Konsolidierungsphase ist zwar noch nicht abge- Nun sehen Sie sich einmal an, wie die Zeitungen schlossen, doch werden wir auch 1985 ein schönes — wie auch immer sie politisch strukturiert sein mögen — darüber berichtet haben. Der „Kölner Stück weiterkommen. Wir werden die Neuverschul- dung im Jahre 1985 auf weniger als 25 Milliarden Stadtanzeiger" sagt: „Experten sehen langen Auf- DM zurückführen. schwung". Die „Westdeutsche Allgemeine Zeitung": „Aufschwung — Hoffnung bestätigt". Die „Frank- (Schlatter [SPD]: Dank heimlicher Steuer furter Neue Presse": „Gutachter sehen Chancen für erhöhungen!) ein langes Wachstum". Die „Kölnische Rundschau": Erkennbare Risiken sind hinreichend abgesichert „Gutachter: Aufschwung wie noch nie". Die „Rheini- — weitere Risiken sind kaum zu erwarten —, so sche Post": „Weniger Arbeitslose, mehr Wachstum". daß man davon ausgehen kann, daß die Neuver- Die „Welt" von heute berichtet auf Grund einer Pro- schuldung im Jahre 1985 — was auch immer kom- gnose des Instituts der Deutschen Wirtschaft davon, men mag — auf weniger als 25 Milliarden DM zu- daß man die Hoffnung haben kann, daß wir im Mai rückgeführt wird. 1985 bei den Erwerbslosenzahlen erstmals unter 2 Millionen kommen. Das sind doch Berichte, die Zu Recht kann weiter gesagt werden, daß die sich sehen lassen können. Wir werden in diesem Haushalts- und Finanzpolitik das eigentliche Kern- Sinne weitermachen. stück der Politik der Regierung Kohl/Genscher ist. Denn wer wollte behaupten, daß die Erfolge, von (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — denen das Sachverständigengutachten berichtet, Hornung [CDU/CSU]: Da sieht die SPD ohne die Konsolidierung der Staatsfinanzen mög- rot!) lich gewesen wären? Ja, meine Damen und Herren, Meine Damen und Herren, natürlich ist mir klar, die Erfolge — ich betone: die erwarteten Erfolge — daß es nicht wenige Bürger und einzelne Branchen unserer nie in Zweifel gezogenen Konsolidierungs- gibt, die immer noch mit Schwierigkeiten und Pro- politik stellen sich nun ein, man möchte fast sagen: blemen zu tun haben, zum Teil mit großen Schwie- unaufhaltsam und immer deutlicher sichtbar. Noch rigkeiten. Das soll überhaupt nicht verheimlicht sind wir nicht ganz über den Berg, aber das Gröbste werden. Aber auch hiermit werden wir doch am ist geschafft. Der Sachverständigenrat sagt: Beein- ehesten fertig, je nachhaltiger und dauerhafter uns druckend ist: Gravierende Fehlentwicklungen die wirtschaftliche Belebung gelingt. Darauf kommt konnten in wenigen Jahren beseitigt werden. An es an, um auch mit diesen Problemen fertig zu wer- anderer Stelle heißt es — ich zitiere —: den. Basis der Zuversicht, daß es in den kommenden Die wirtschaftliche Belebung, von der ich soeben Jahren gelingen kann, auch beim Beschäfti- sprach, ist im Gange. Sie verstärkt sich von Monat gungsziel voranzukommen, ist die Diagnose, zu Monat. Besonders erfreulich ist, daß nach den daß die Voraussetzungen für eine langgezogene vielen Jahren des Pessimismus in unserem Lande wirtschaftliche Aufwärtsbewegung mit durch- endlich wieder mehr und mehr Bürger optimisti- gängig positiven — wenn auch nicht Jahr für scher in die Zukunft sehen, zu Recht, wie ich meine. Jahr gleich großen — Wachstumsraten stark Optimismus ist angebracht. Jetzt ist der Zeitpunkt, verbessert sind: durch den Erfolg bei der Ein- zu dem man mit Recht optimistisch sein kann. dämmung der Inflation, durch die Erfolge bei Nun hat der Erfolg viele Väter. Meine Damen und der Konsolidierung der Staatsfinanzen mit der Herren, das ist bekannt. Im Falle der Konsolidie- Möglichkeit einer baldigen deutlichen Senkung rungspolitik stimmt dies sogar, denn vom Bundes- der Steuerlast ... kanzler über die Fraktionsvorsitzenden, nicht zu- (Hornung [CDU/CSU]: Unabhängige Fach letzt über den Fraktionsvorsitzenden Dr. Dregger, leute!) bis in die Koalitionsfraktionen haben wir in großer Geschlossenheit Kurs und Linie gehalten. Man muß sich einmal auf der Zunge zergehen las- sen, was in dieser Passage zum Ausdruck gebracht (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) worden ist. Da ist die Rede von der Chance eines langgezogenen wirtschaftlichen Aufschwungs mit Herr Abgeordneter, ge- durchgängig positiven Wachstumsraten. Vizepräsident Stücklen: statten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeord- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) neten Ehrenberg? — Bitte sehr. Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 105. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. November 1984 7783

Dr. Ehrenberg (SPD): Herr Kollege, würden Sie, da Ich darf diese Gelegenheit aber auch nutzen, Herrn Sie von den vielen Vätern der Konsolidierungser- Stoltenberg zu bitten, diesen aufrichtig gemeinten folge sprechen, auch diejenigen dazuzählen, die da- Dank auch an die Mitarbeiter seines Hauses weiter- für verantwortlich sind, daß die Rentenversiche- zugeben; denn diese haben uns bei den Beratungen rung innerhalb eines Jahres 9,5 Milliarden DM ih- in hervorragender Weise unterstützt. rer Reserven aufzehren mußte, daß die Renten (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — heute auf Pump gezahlt werden, daß die Konsolidie- Zuruf von der SPD: Vergessen Sie die Putz rung dadurch völlig in Frage gestellt wird, weil j a frauen nicht!) der Bund auch für den Haushalt der Rentenversi- cherungsträger verantwortlich ist, und daß dort so Ebenfalls darf ich mich bei den Haushaltspoliti- viel an Reserven aufgezehrt worden ist, wie umge-- kern der FDP bedanken. Wir haben eine überaus kehrt im Bundeshaushalt konsolidiert wurde? gute persönliche und sachliche Zusammenarbeit ge- habt, die überhaupt nicht hätte besser sein können. (Zustimmung bei der SPD) Herzlichen Dank dafür! Nehmen Sie es mir ab, daß ich auch dies genauso Carstens (Emstek) (CDU/CSU): Herr Kollege Eh- aufrichtig meine, wie ich es sage: ein Dank an die renberg, gerade Sie müssen von Sicherheit der SPD-Haushaltspolitiker! In menschlicher, persönli- Rentenversicherung sprechen. cher Hinsicht sind wir hervorragend miteinander (Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU ausgekommen. Politisch hat es Differenzen und und der FDP) Auseinandersetzungen gegeben. Das muß j a auch Ich kann mich noch genau daran erinnern, wie Sie der Fall sein. Aber wenn wir viele Stunden lang, bis hier diskutiert, argumentiert und mit Ihren Händen in die Abendstunden tagen, wären die Beratungen gestikuliert haben, so daß die Rentner den Ein- kaum zu ertragen, wenn das Menschliche nicht druck gewinnen mußten: Bei jedem Griff wird uns stimmen würde. Dafür, daß Sie es möglich gemacht noch mehr aus der Tasche gezogen. haben, die Beratungen in menschlich aufrichtiger Weise zu führen, auch Ihnen ganz, ganz herzlichen (Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU Dank. und der FDP — Zuruf des Abg. Dr. Ehren berg [SPD]) (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — Wissen Sie, wir haben die Rentenversicherung si- Zurufe von der SPD) cher gemacht. Die Rentner wissen, daß ihre Renten Es fällt mir schwer, zu den GRÜNEN Passendes absolut sicher sind. Zum 1. Juli 1985 wird der Kran- zu sagen. Da kann das Lob den Tadel nicht überwie- kenversicherungsbeitrag noch einmal angehoben. gen. Aber wir sind miteinander zurechtgekommen, Die Rentner wissen aber, daß ab 1986 wieder Ren- meine sehr geehrten Damen und Herren. tenerhöhungen von schätzungsweise 3 oder 4 Pro- Bezüglich der kommenden Haushaltsjahre er- zent auf sie zukommen werden, kläre ich, daß wir die Konsolidierungspolitik un- (Schlatter [SPD]: Das wissen sie eben beirrbar fortführen werden, wobei einschneidende nicht!) gesetzliche Maßnahmen nicht mehr nötig sind und ohne daß etwas abgezogen wird. Das steht den folglich auch nicht mehr beschlossen werden. So Rentnern dann auch auf Dauer in vollem Umfang wie wir in diesem Jahr die schon im Entwurf vorge- zur Verfügung. Das ist unsere Rentenpolitik. sehene niedrige Ausgabensteigerung gegenüber 1984 noch einmal auf 0,9% abgesenkt haben, (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — Schlatter [SPD]: Von Ihnen würde ich nicht (Hört! Hört! bei der CDU/CSU) einmal einen Gebrauchtwagen nehmen! — werden wir auch in Zukunft mit den Staatsfinanzen Abg. Westphal [SPD] meldet sich zu einer äußerst sorgfältig umgehen. Zwischenfrage) Das heißt nun nicht, daß wir keine finanz- und wirtschaftspolitische Handlungsfreiheit mehr be- Vizepräsident Stücklen: Herr Abgeordneter, ge- hielten. Ganz im Gegenteil! Das zeigen die Be- statten Sie eine weitere Zwischenfrage? schlüsse des Haushaltsausschusses in diesem Jahr, die oft durch Beschlüsse der Fraktionen initiiert Carstens (Emstek) (CDU/CSU): Ich habe eben von waren. Trotz 0,9 % Ausgabensteigerung ist noch eine den Vätern unseres Erfolges gesprochen und Menge an zusätzlichen Beschlußfassungen bzw. möchte dieses Thema noch einmal in Erinnerung Umsetzungen möglich gewesen. Ich will nur einige zurückrufen. Denn eines muß, obwohl es stimmt, davon nennen. daß in der Tat viele diese Bezeichnung für sich in Wir haben z. B. dadurch neue Zeichen gesetzt, daß Anspruch nehmen können, doch einmal deutlich wir die Mittel für die Förderung der Leistungs- und festgehalten werden — das möchte ich hier vor dem Wettbewerbsfähigkeit kleinerer und mittlerer Un- Deutschen Bundestag tun —: Ein Mann steht in be- ternehmen erhöht haben. Wir haben dafür Sorge sonderer Weise für unser Programm dieser Konso- getragen, daß unser Programm zur Gründung selb- lidierungspolitik; es ist kein anderer als Finanzmi- ständiger Existenzen, so wie es bisher festgelegt nister Gerhard Stoltenberg, bei dem ich mich na- worden ist, noch über Jahre fortgeführt werden mens der Fraktion herzlich bedanken möchte. kann. Wir haben sogar Ansparzuschüsse bewilligt, (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — um hierüber auf Dauer weitere selbständige Exi- Zurufe von der SPD) stenzen gründen zu können. Wir haben beschlossen, 7784 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 105. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. November 1984

Carstens (Emstek) zur Sicherstellung eines flächendeckenden Ange- Darüber wird heute morgen noch mehr zu sagen bots an bleifreiem Benzin Investitionszuschüsse an sein. Das ist zweitens die erste Stufe — ich betone: kleinere und mittlere Tankstellenunternehmen zu die erste Stufe — des Einkommensteuertarifs ab geben. Wir haben die Mittel für benachteiligte Ge- 1. Januar 1986. Drittens gibt es mit Blick auf 1986 biete aufgestockt. Wir haben eine Menge Geld für gewisse Unsicherheiten bei den Steuerschätzungs- die Berufsausbildung benachteiligter Jugendlicher ansätzen. Allein diese drei Faktoren belasten den zur Verfügung gestellt. Gestern war hier noch die Haushalt 1986 mit wahrscheinlich mehr als 10 Milli- Rede von der zweiten Familienheimfahrt, die nicht arden DM. zuletzt auf Initiative der Kollegin Seiler-Albring er- Aus diesem Grunde haben wir im Haushaltsaus- möglicht worden ist. Die Krebshilfe ist aufgestockt schuß vorsorglich ein wirksames Instrument einge- worden; Herr Kollege Friedmann hat gestern davon setzt. Wir haben sämtliche berichtet. Es gibt noch weitere Beispiele. Verpflichtungsermächti- gungen für kommende Haushaltsjahre zunächst Dies zeigt, daß eine aktive Sachpolitik keine zwei- einmal gesperrt. Hieraus mag die Fachwelt erken- stelligen Steigerungsraten im Haushalt benötigt, nen, daß wir unsere Aussagen zur Konsolidierung sondern die finanzpolitische Handlungsfähigkeit der Staatsfinanzen ernst meinen, absolut ernst. Wir auch bei knappen Zuwachsraten erhalten bleiben werden sicherstellen, daß kein notwendiges Pro- kann. jekt, keine notwendige Investition oder Maßnahme aufgehalten wird. Aber alle Verpflichtungsermäch- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) tigungen kommen auf den Prüfstand. Unser Ziel ist Diese Linie werden wir fortsetzen. es, hiermit die Finanzpolitik Gerhard Stoltenbergs kraftvoll zu unterstützen, um hierüber der schon Ich darf hinzufügen, daß dies mittlerweile der vorhandenen Wirtschaftsbelebung weitere Schub- dritte Haushalt in Folge ist, der nun rechtzeitig zum kraft zu verleihen. 1. Januar in Kraft treten kann. Das scheint mir auch erwähnenswert zu sein. In diesem Jahr sind Herr Kollege Apel, ich hatte gesagt, daß ich noch wir im Deutschen Bundestag mit der abschließen- auf einige Ausführungen von Ihnen zurückkommen den dritten Lesung sogar morgen, im November, werde. Ich meine, man kann durchaus sagen, daß fertig, so daß selbst die Bundesratsfristen eingehal- Ihre Kritik angesichts des geballten und politisch ten werden können. Auch dies scheint mir ein Zei- unabhängigen Sachverstandes der wissenschaftli- chen solider und ordnungsgemäßer Haushaltspoli- chen Sachverständigen verblaßt. Ich kann mich nur tik zu sein. wundern, daß Sie überhaupt die Stirn haben, so zu reden, wie Sie es getan haben. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Ich möchte bei der Gelegenheit — das wird sicher auch im Sinne der Opposition sein; ich kann mir Wenn ich mir die Zahlen aus den 70er Jahren an- vorstellen, daß Herr Kollege Walther, der Ausschuß- sehe, vorsitzende, und auch Herr Kollege Wieczorek dar- (Dr. Friedmann [CDU/CSU]: Er hat doch auf noch zu sprechen kommen werden — vorschla- die meisten Schulden gemacht!) gen, daß wir uns im nächsten Jahr für die Beratun- stelle ich fest, daß Sie doch der eigentliche Schul- gen etwas mehr Zeit nehmen. Vielleicht können wir denminister sind. dafür noch eine Woche zusätzlich zur Verfügung halten. Wir mußten doch oft bis in die späten (Zustimmung bei der CDU/CSU) Abendstunden beraten; es erscheint mir sinnvoll, Ich habe es zunächst gar nicht glauben wollen: Der die wichtigen Positionen, bei denen es um Milliar- erste Haushalt, für den Sie zuständig gewesen sind denbeträge geht, in aller Ruhe beraten zu können. — das war der Haushalt 1975 —, hat, nachdem es Wir haben es in diesem Jahr an nichts fehlen las- im Jahre 1974 eine Neuverschuldung von 9,5 Milli- sen. Wir haben so beraten, wie es nötig war. Aber arden DM gegeben hatte, einen Kreditbetrag von das sollte doch bei der Terminplanung im nächsten sage und schreibe 29,9 Milliarden DM ausgewie- Jahr bedacht werden. Ich möchte das auch meiner- sen. seits mit vorschlagen, damit die SPD-Kollegen Be- scheid wissen. (Hört! Hört! bei der CDU/CSU) (Dr. Friedmann [CDU/CSU]: Das Problem Das war mehr als das Dreifache des Vorjahres. liegt beim Bundesrat!) (Hornung [CDU/CSU]: Die Schamröte müßte es ihm ins Gesicht treiben!) Der Haushalt 1985 wird in dieser Woche abge- schlossen. Das heißt, daß wir uns dann gedanklich Und Sie stellen sich hier hin, um unsere Politik zu schon mit dem Haushalt 1986 zu befassen haben. kritisieren! Ich möchte sagen, daß es bei der Aufstellung des (Beifall bei der CDU/CSU) Haushalts 1986 wiederum größter Haushaltsdiszi- plin bedarf, damit der Pfad der Tugend nicht verlas- Sie haben gemäß der Vorgabe Ihres Lehrmeisters, sen wird — vor allem deshalb, weil der Bundes- dem 5 % Inflation lieber waren als 5% Arbeitslosig- bankgewinn nicht als dauerhafte und sichere Ein- keit, Kredite über Kredite lockergemacht. Das ist nahme zu werten ist und weil auch schon drei Risi- Ihre Politik gewesen. Man darf das doch wohl noch ken mit größeren Beträgen im Jahre 1986 auf uns einmal sagen, damit die Berliner Wähler auch Be- zukommen, von denen wir schon jetzt wissen. Das scheid wissen, mit wem sie es zu tun haben. ist erstens die zusätzliche Ausgabe in Richtung EG. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 105. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. November 1984 7785

Carstens (Emstek) Meine verehrten Damen und Herren, ich habe real etwa 10 % wirtschaftliches Wachstum haben eben darauf aufmerksam gemacht, daß im Sachver- können. Das ist doch etwas! 10 % in einer Periode ständigengutachten steht: Gravierende Fehlent- sind doch noch vor einigen Jahren kaum für mög- wicklungen konnten in wenigen Jahren beseitigt lich gehalten worden; da haben alle von mehr Ar- werden. Das ist ein tolles Lob für die jetzige Regie- beitslosigkeit und schrumpfender Wirtschaft gere- rung, aber es ist auch ein gewaltiger Tadel für die det. Und jetzt: wahrscheinlich 10% reales Wachstum vorherige Regierung. in dieser Legislaturperiode! (Zuruf von der CDU/CSU: So ist es!) (Zuruf von der CDU/CSU: Auf dem hohen Denn hier steht ja, festgestellt vom Sachverständi- Niveau!) genrat, daß es gravierende Fehlentwicklungen ge- - Die Reallöhne steigen wieder, und auch bei der Ar- geben hat, und wenn es die gegeben hat und wir sie beitslosigkeit zeichnen sich Erfolge ab. Die Zahl der beseitigen mußten, muß ja die vorherige Regierung Kurzarbeiter ist um über die Hälfte zurückgegan- diese Fehlentwicklungen verursacht haben. Herr gen, die Jugendarbeitslosigkeit nimmt ab, und fast Apel, das sollten Sie sich einmal durchlesen! alle jungen Leute bekommen in diesem Jahr eine (Beifall bei der CDU/CSU) Lehrstelle, und im nächsten Jahr wird es wieder so sein. Auch das wäre ohne diese Politik gar nicht Herr Kollege Apel, dann reden Sie davon, wir ver- möglich gewesen. teilen von unten nach oben um. Da denke ich nur einmal an die Zinsen. Riesige Summen an Zinsen (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) mußten in den letzten Jahren gezahlt werden. Über- Wir werden bald die Bürger von Steuern entla- legen Sie doch nur einmal: Wer hat die Zinsen be- sten können. Wir starten schon sehr bald unsere kommen, familienpolitische Offensive. Auch der öffentliche (Zuruf von der CDU/CSU: Ja, wer hat kas Dienst hat ab 1985 wieder Anteil an der wirtschaftli- siert?) chen Entwicklung. Und, wie gesagt, auch die Rent- und wer hat die Zinsen gezahlt? ner wissen, daß sie zwar einmal noch den Kranken- versicherungsbeitrag erhöht bekommen, aber ab (Zuruf von der CDU/CSU: Die Arbeiter!) 1986 bei der wirtschaftlichen Entwicklung voll da- Das war — verursacht durch Ihre Politik — die bei sind. Und darauf kommt es den Rentnern an: größte Umverteilung von unten nach oben, daß ihre Renten sicher sind und daß sie mit einer dauerhaften Erhöhung auch in Zukunft rechnen (Zuruf von der CDU/CSU: Die schlimm können. ste!) (Hoffmann [Saarbrücken] [SPD]: Nach ih die in der deutschen Geschichte je vorgekommen rem Tod!) ist. (Beifall bei der CDU/CSU) Meine Damen und Herren, nachdem ich — mit innerlicher Freude, wie Sie festgestellt haben — Der kleine Mann mußte und muß Ihre Zeche zah- von diesen finanzpolitischen Erfolgen gesprochen len: Sie haben das Kindergeld für alle Familien habe, möchte ich zum Abschluß noch ein anderes gekürzt, Sie haben sogar das Kindergeld für ar- ernsthaftes Wort sagen dürfen. beitslose Jugendliche gestrichen, die Reallöhne sind gesunken, die Arbeitslosenzahl ist gestiegen, viele (Hoffmann [Saarbrücken] [SPD]: Gut, daß kleine und mittlere Betriebe sind in Existenznot wenigstens ein ernsthaftes Wort drin ist! — gebracht worden oder sogar pleite gegangen. Nein, Weiterer Zuruf von der SPD: Das wird aber Herr Kollege Apel, gerade Sie sollten sich beschei- Zeit!) den zurückhalten, wenn es im Deutschen Bundes- Ich würde mich sehr freuen, wenn es uns gelingen tag um diese Fragen geht! würde, 1985 zu einem Jahr der geistig-moralischen (Beifall bei der CDU/CSU) Erneuerung in unserem Lande werden zu lassen. Unsere Politik bringt — mit dieser Feststellung (Demonstrative Zustimmung bei Abgeord möchte ich meine Ausführungen beenden — neten der SPD — Dr. Apel [SPD]: Das wird auch höchste Zeit!) (Hoffmann [Saarbrücken] [SPD]: Das freut uns!) Es gibt hierfür viele Stichworte, sehr bald für alle Bürger merkliche Vorteile. Die (Dr. Apel [SPD]: Aber kaum mit Herrn Zeit des Kürzens ist vorbei. Die Bürger erkennen, Birne!) daß die Beschlüsse von 1983 und 1984 notwendig die ich aber, da wir eine finanzpolitische Debatte waren, um viele Dinge, die in Unordnung waren, haben, nicht weiter ausführen will. Auf eines wieder in Ordnung zu bringen. Sie erkennen, daß möchte ich jedoch hinweisen: Es ist völlig unan- sich nun die Erfolge dieser Politik einstellen. Ich nehmbar, daß in einem Land wie der Bundesrepu- kann mir vorstellen, daß der Finanzminister diese blik Deutschland bei dieser wirtschaftlichen Ent- Erfolge noch näher vorstellen wird. Ich habe von wicklung auch in Zukunft weiterhin 200 000 noch der Neuverschuldung gesprochen; vom Herabgehen aus vermeintlich sozialen der Inflationsrate, von den niedrigeren Zinsen und nicht geborene Kinder Gründen getötet werden. von dem Wachstum möchte ich reden. Stellen Sie sich vor, wenn das Wachstum so beibehalten wer- (Zuruf von der CDU/CSU: Niemand kann den kann, werden wir in dieser Legislaturperiode das verstehen!) 7786 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 105. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. November 1984

Carstens (Emstek) Ich möchte Sie alle ganz, ganz herzlich bitten und Ich will deswegen eines feststellen, und das, nach- auffordern, daß wir uns im nächsten Jahr dieser dem ich mich der Unterstützung von geschätzten Frage gemeinsam annehmen. Kollegen versichert habe. Ich will es auch im Blick (Beifall bei der CDU/CSU) auf meine Wähler und meine Parteifreunde feststel- len. Ich bin nicht dumm. Ich bin kein Hanswurst. Dann wird uns auch der Segen Gottes beschieden Und das Niveau der sein, Beleidigungen kennzeichnet den Abgeordneten Horn von der SPD. (Stratmann [GRÜNE]: Lassen Sie Gott aus dem Spiel!) (Heiterkeit und Beifall bei der FDP und ohne den die beste Regierung, die beste Politik und der CDU/CSU) das leistungsfähigste Volk auf Dauer nicht auskom-- men können. Meine Damen und Herren, die Diskussion über Herzlichen Dank. den Einzelplan des Finanzministeriums muß natür- lich eine Diskussion über die Finanz- und Haus- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — haltspolitik der Bundesregierung und damit des Hoffmann [Saarbrücken] [SPD]: Sehr pein Bundesfinanzministers sein. Der Entwurf des lich!) Haushalts 1985 hat nach der Beratung im Haus- haltsausschuß ein Gesamtvolumen von 259,3 Milli- Vizepräsident Stücklen: Meine Damen und Her- arden DM, was einer Steigerung gegenüber dem ren, da die Fraktion der GRÜNEN für die erste Soll von 1984 um 0,9 % entspricht. Damit befindet Runde keinen Redner gemeldet hat, sich dieser Haushalt im Rahmen der mittelfristigen (Gerster [Mainz] [CDU/CSU]: Das ist kein Finanzplanung und wird, einen ordnungsgemäßen Verlust!) Haushaltsvollzug vorausgesetzt — womit ich einen kann ich die in der Geschäftsordnung erwünschte sparsamen Haushaltsvollzug meine —, einen weite- Reihenfolge — Rede und Gegenrede — nicht ein- ren Fortschritt in Richtung auf die Konsolidierung halten. Ich erteile daher dem Herrn Abgeordneten der Staatsfinanzen bedeuten. Wir werden auch den Dr. Weng das Wort. Vollzug sehr sorgfältig begleiten. (Jung [Lörrach] [CDU/CSU]: Es ist schon Der Haushaltsausschuß hat bei einer Vielzahl schwer, wenn man zur Finanzpolitik nichts von Änderungen gegenüber der Regierungsvorlage sagen kann!) zusätzliche Einsparungen von 0,9 Milliarden DM vorgeschlagen, über die der Bundestag heute nacht Dr. Weng (FDP): Herr Präsident! Meine sehr ver- in der zweiten Lesung des Haushaltsgesetzes und ehrten Damen und Herren! Erlauben Sie, daß ich morgen in der dritten Lesung abschließend Be- vor Eintritt in meine Haushaltsrede eine kleine Er- schluß fassen wird. Ich habe allen Grund — und wähnung in eigener Sache mache. Im Protokoll der dies ohne das Verbergen politischer Meinungsun- Debatte von vorgestern abend über den Haushalt terschiede —, allen Kollegen im Haushaltsausschuß des Verteidigungsministeriums habe ich Zwischen- für den fairen Umgang miteinander bei den über- rufe des Abgeordneten Horn, SPD, gefunden wie aus strapaziösen Beratungen, die zum Teil bis weit „Ein Hanswurst ist das!" und „Sie sind doch dumm!" nach Mitternacht gedauert haben, zu danken. Mein Da der amtierende Präsident Westphal, SPD, hier- Dank, meine Damen und Herren, gilt insbesondere auf nicht reagierte, war ich der Auffassung — — dem Ausschußvorsitzenden Walther von der SPD und seinen Stellvertretern, die neben der Bewälti- Vizepräsident Stücklen: Herr Abgeordneter Weng, gung der schwierigen Materie, deren Umfang sich Fragen, die die Geschäftsführung eines amtieren- ein Außenstehender kaum vorstellen kann, zusätz- den Präsidenten berühren, werden im Ältestenrat lich für Ruhe und Konzentration bei den Beratun- des Deutschen Bundestages und im Präsidium be- gen Sorge getragen haben. Der Dank gilt auch den sprochen, aber nicht hier im Parlament. Mitarbeitern des Haushaltsausschusses, die noch (Beifall bei der SPD — Dr. Vogel [SPD]: mehr, als es in anderen Bereichen der Tätigkeit des Das weiß der überhaupt nicht!) Deutschen Bundestages erforderlich ist, zu höch- ster Leistung gefordert waren und diese Leistung Dr. Weng (FDP): Ich bedanke mich für den Hin- erbracht haben. weis, Herr Präsident. — Ich war daher der Auffas- sung, meine Damen und Herren, daß es sich hierbei (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) vielleicht um den in der SPD üblichen Umgangston handelt und daß der Kollege Horn einen Kollegen Meine Damen und Herren, der Haushalt beinhal- aus der eigenen Fraktion meinte. tet natürlich Risiken, die in ihrem Umfang nicht (Beifall bei Abgeordneten der FDP und der genau eingeschätzt werden können. CDU/CSU) Wenn wir an die großen Ausgabenblöcke denken, Nun hat man mich aufgeklärt, daß das deswegen müssen wir hierbei auch über den Tarifabschluß im nicht sein könne, weil ja hier gesagt worden sei „Sie öffentlichen Dienst nachdenken, der nach meiner sind doch dumm" und die Genossen untereinander Meinung bei Berücksichtigung aller Umfeldgege- per du seien. benheiten zu hoch ausgefallen ist. Hier hätte so- (Heiterkeit bei der FDP und der CDU/CSU wohl der Arbeitgeberseite ein härteres Verhandeln — Dr. Vogel [SPD]: Albern!) gut angestanden, wie man auch auf Arbeitnehmer- Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 105. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. November 1984 7787 Dr. Weng seite versäumt hat, etwas Konkretes für die Ar- Ein zukünftiges Haushaltsrisiko wird auch durch beitslosen und die Arbeitsplatzsuchenden zu tun. die geplante Entlastung der Bürger im Einkom- (Beifall bei Abgeordneten der FDP und der mensteuerbereich auf uns zukommen. Natürlich ist CDU/CSU) die geringe Inflationsrate ein enorm stabilisieren- der Faktor für das Konsumverhalten der Bürger im Der Abschluß wird dazu führen, daß der öffentliche Lande. Wer wie vorgestern eine Rednerin der SPD Dienst immer mehr zur geschlossenen Gesellschaft vom Verlust der Massenkaufkraft spricht, macht derer wird, die einen Platz ergattert haben, und alle sich lächerlich. anderen draußen bleiben müssen. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) (Hornung [CDU/CSU]: Die einen sitzen drin, und die anderen sitzen draußen!) Aber wir wollen doch immer vor Augen haben, daß die Koalition aus CDU/CSU und FDP mit dem Schade, daß die Gelegenheit versäumt wurde, bei erklärten Ziel angetreten ist, einerseits den Haus- den jüngsten Verhandlungen hier ein deutliches halt zu konsolidieren, andererseits aber auch die Zeichen zu setzen. Steuerlastquote der Bürger nicht zu erhöhen, son- Ein weiteres Risiko im Haushalt ist natürlich der dern möglichst zu vermindern. Ich weiß noch sehr Eingang der Steuern. So wünschenswert die gerin- gut, daß in früheren Bundestagswahlkämpfen die gen Preissteigerungsraten sind, so sehr fallen diese Frage des Staatsanteils gerade bei der Argumenta- auf der staatlichen Einnahmenseite negativ ins Ge- tion unseres Koalitionspartners CDU eine wichtige wicht. Eine weiter expandierende Wirtschaft wird Rolle gespielt hat. Ich möchte unseren Partner allerdings dieses Risiko mindern. Wer das neueste hieran erinnern. Wir wünschen den Familienla- Gutachten des Sachverständigenrates aufmerksam stenausgleich mit der Steuerreform, der Familien, liest, der stellt ja fest, daß die Voraussetzungen für und zwar gemeinsam Erziehenden ebenso wie Al- die deutsche Wirtschaft — ich zitiere — so gut sind leinerziehenden, mehr Gestaltungsmöglichkeiten wie lange nicht mehr. bringen soll, als sie derzeit haben. Wir meinen aber auch, daß die Reform der Einkommensteuer drin- (Hornung [CDU/CSU]: So ist es!) gend erforderlich ist. Die Progressionszone, ur- Damit ist auch von neutraler Seite klar ausgesagt, sprünglich für größere Einkommen vorgesehen, hat daß sich die Wirtschafts- und die Finanzpolitik die- sich heute im Zuge der Geldwertverminderung frü- ser Bundesregierung auf einem unstrittig richtigen herer Jahre zu einer Sondersteuer im Bereich der Kurs befinden. mittleren Einkommen ausgeweitet. Wenn die Wirtschaft bei guter Preisdisziplin wei- (Beifall bei der FDP und bei Abgeordneten ter floriert, dann wird dies auch die Risiken min- der CDU/CSU) dern, die für den Haushalt z. B. im Bereich der Ren- Lassen Sie mich an dieser Stelle auch ein Wort tenversicherung und der Arbeitslosenzahlen liegen. zur Frage einer möglichen Ergänzungsabgabe oder Eine florierende Wirtschaft mit steigenden Beschäf- irgendeines Ersatzes für eine solche Abgabe sagen. tigungszahlen und damit ansteigenden Beiträgen Wer der Auffassung ist, daß unser Steuersystem für die Sozialversicherung, mit sinkenden Arbeits- ungerecht sei, der muß dies sagen und muß versu- losenzahlen und damit Entlastung der Arbeitenden chen, dieses Steuersystem zu ändern. Ich bin nicht ebenso wie der öffentlichen Hände, dies ist die be- dieser Auffassung, weil es nach meiner Überzeu- ste Voraussetzung für eine Gesundung des Bundes- gung in einem freiheitlichen Staat mit freiheitlicher haushalts im Rahmen unserer Finanzplanung. Des- Wirtschaftsordnung erforderlich ist, die Leistungs- halb müssen wir unsere Bemühungen konsequent fähigen und die Leistungswilligen zu motivieren. fortsetzen. Das heißt, wer mehr leistet, muß hierfür auch die Ich will bei den Risiken die steigenden Kosten Chance von mehr Einkommen haben, und dies darf für die Europäische Gemeinschaft nicht vergessen der Staat nicht über Gebühr beschneiden. und hier meine Forderung an die Bundesregierung (Beifall bei der FDP und bei Abgeordneten erneuern, im EG-Bereich für besseren Umgang mit der CDU/CSU — Hoffmann [Saarbrücken] dem Geld Sorge zu tragen. Dies gilt auch und ge- [SPD]: Sie leisten sich schon ganz schön rade im Vorfeld des Beitritts von Spanien und Por- viel!) tugal. Ich halte dies für eine Grundfrage der Gesell- (Beifall bei Abgeordneten der FDP und der schaftspolitik. Natürlich muß im sozialen Staat je- CDU/CSU) der ein an der wirtschaftlichen Gesamtsituation Wenn diese Länder Mitglied werden, ohne daß für orientiertes Auskommen haben. Aber die Chance die jetzigen und zukünftigen Probleme, insbeson- der Besserstellung durch Leistung ist Grundvoraus- dere im Bereich der Landwirtschaft, Lösungen vor- setzung für das Funktionieren unserer Gesellschaft. programmiert sind, dann wird es ein schlimmes Er- Wenn heute die „Stuttgarter Zeitung" in ihrem wachen geben. Unsere Bürger werden zu Recht Kommentar schreibt, die FDP betreibe hier Taktik, auch weiterhin kein Verständnis dafür haben, daß dann ist dies Unsinn. Hier geht es um unsere gesell- z. B. wachsende Mengen von Lebensmitteln ver- schaftspolitischen Überzeugungen. nichtet werden, während anderswo auf der Welt (Beifall bei der FDP und bei Abgeordneten Menschen verhungern. der CDU/CSU) (Beifall bei der FDP und bei Abgeordneten Nur eine derartige Motivation bringt nämlich ein der CDU/CSU) Wirtschaftssystem zu der Blüte, wie wir sie in der 7788 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 105. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. November 1984

Dr. Weng Bundesrepublik lange Jahre erlebt hatten, und nur sehr ausführlich und sehr detailliert berichtet. Ich eine derart florierende Wirtschaft ist in der Lage, schließe mich für meine Fraktion der Auffassung auch die berechtigten Ansprüche all der Schwachen der Arbeitsgemeinschaft Selbständiger Unterneh- zu erfüllen. Der Versuch, jetzt eine Ergänzungsab- mer an, daß das Konzept zwar weniger als erhofft, gabe aus vermeintlichen Gründen sozialer Symme- aber zumindest nach außen hin mehr als erwartet trie einzuführen, hat einen ganz anderen Grund: beinhaltet. Mit „nach außen hin" meine ich, daß Hier soll bei unseren Bürgern der Eindruck er- einige Dinge doch recht halbherzig angegangen weckt werden, irgendwo werde — dies natürlich werden. ohne entsprechende Leistung — furchtbar viel Geld Meine Damen und Herren, wer die Liste der Auf- verdient, und der Staat müsse das diesen Reichen sichtsratsmitglieder mancher im Bundesbesitz be- abnehmen, wenn er gerecht sein wolle. Hier liegt- findlicher Unternehmen kennt, ahnt, woher die Ver- der Überlegung ein völlig falscher Ansatz zu- zögerungen kommen. grunde. (Dr. Friedmann [CDU/CSU]: Ja!) Wenn ich auch die Äußerungen meines Frak- tionskollegen Grünbeck über schwarze Marxisten Herr Minister Stoltenberg, bei konsequenter Verfol- in der CDU für unsinnig und völlig überzogen gung Ihres Konzepts werden Sie viele der in der halte, Vorlage genannten Prozentzahlen der angestrebten Privatisierung noch deutlich erhöhen müssen, da- (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU — mit nicht der Eindruck mangelnder Handlungsbe- Hoffmann [Saarbrücken] [SPD]: Alles Sa reitschaft entsteht. Wir hätten es — und ich sage tire!) auch dies in großer Deutlichkeit — sehr begrüßt, so bitte ich doch den Koalitionspartner dringend, wenn die Beratungen des Kabinetts so weit voran- über meine Grundüberlegung nachzudenken und getrieben gewesen wären, daß auf der Einnahmen- mir hierin zu folgen. Die sogenannten Besserver- seite unseres Haushalts für 1985 schon ein realisti- dienenden haben doch gerade durch die heimlichen scher Ansatz, ich sage: von wenigstens 500 Millio- Steuererhöhungen in den vergangenen Jahren nen DM für die Veräußerung hätte stehen können, ganz erhebliche Konsolidierungsopfer erbracht. der natürlich — und ich sage das gerne, Herr Kol- (Sehr richtig! bei der CDU/CSU) lege Roth, der Sie mich hier ansehen — zu einer weiteren Rückführung der Verschuldung hätte ein- Viele steuerliche Vorteile wurden in den letzten gesetzt werden müssen. Jahren abgebaut oder beseitigt. Ich will hier gar nicht ins Detail gehen: Die Steuerbelastung ist nach Wir haben uns allerdings sehr gefreut, daß Sie, meiner Überzeugung schon jetzt eher unvertretbar Herr Minister, auch aus dem Bereich der Bundes- hoch. Man denke doch auch daran, daß die frühere bahn mit der Verkehrskreditbank und dem Spedi- Ergänzungsabgabe von 3 % in den jetzigen Tarif mit tionsunternehmen Schencker erstmals privatisier- einem Spitzensteuersatz von 56 % eingearbeitet bare Leistungen aufgezeigt haben. Dies kann nur wurde. ein Anfang sein. Auch hier muß unverzüglich mit konstruktiver Arbeit begonnen werden. Meine Auf- Wir können und dürfen nicht von unseren erklär- forderung geht deswegen heute nochmals an den ten steuerpolitischen Zielen abgehen, weil eine Herrn Verkehrsminister, aus seinem Gesamtbe- kurzfristige Stimmungsmache infolge des Bundes- reich in Richtung Privatisierung zusätzliche kon- verfassungsgerichtsurteils hierzu auf zuzurufen krete Vorschläge zu machen. Es steht für mich au- scheint. Solide Politik, meine Damen und Herren, ßer Zweifel, daß im Privatisierungsvorschlag des muß gerade im Steuerbereich zukunftsorientiert Bundesverbandes der Selbständigen für den Ver- sein. kehrsbereich eine große Zahl durchaus durchführ- (Beifall bei der FDP und bei Abgeordneten barer Vorschläge gemacht werden. Dieses Papier, der CDU/CSU — Hoffmann [Saarbrücken] Herr Minister Dollinger — oder die Herren, die im [SPD]: Es spricht der Apotheker!) Moment für ihn auf der Regierungsbank sitzen —, geht Ihrem Hause von unserer Seite nochmals mit Zukunftsorientiert sein müssen wir auch in der der Bitte um eine Stellungnahme, aber auch mit der Frage des Rückzugs des Staates aus den Bereichen, Bitte um Tätigkeit zu. in denen staatliches Handeln nicht erforderlich ist. (Beifall bei Abgeordneten der FDP und der Ich habe mit Freude gehört, daß der Bundeskanz- CDU/CSU — Dr. Friedmann [CDU/CSU]: ler in seiner Rede zum Haushalt des Bundeskanz- Die Bahnbusdienste kann man auch rein leramtes vorgestern deutlich gesagt hat, daß, wie es nehmen!) auch in beiden Regierungserklärungen bereits ge- heißen hat, die Privatisierung weiter ein Schwer- Gerne gebe ich in diesem Zusammenhang zur punkt unserer Politik bleibt. Ich gebe zu, daß es Kenntnis, daß die Abgeordneten der Koalition in meine Fraktion gern gesehen hätte, wenn die Re- der Frage der Privatisierung der Naßbaggerei ein gierungsvorlage des Finanzministers in Sachen Pri- Konzept erreicht haben, das den Vorstellungen der- vatisierung im Kabinett zügig behandelt worden jenigen Bürger entsprechen dürfte, die mit mir der wäre. Im Moment scheint der Verdacht nicht ganz Ansicht sind, daß staatliches Handeln in vielen Be- unbegründet zu sein, daß nicht nur die wohlgefüllte reichen durch privates ersetzt werden kann. Bis Tagesordnung der Kabinettssitzung Grund für die zum Jahre 1987 sollen sowohl im Küsten- wie im Zurückstellung war. Über den Inhalt der vertrauli- Binnenbereich 75 % der Baggerleistungen privati- chen Vorlage hat j a, wie Sie alle wissen, die Presse siert sein. Ich will auch gerne daran erinnern, daß Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 105. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. November 1984 7789

Dr. Weng in dieser Frage noch in der früheren Koalition so- zichten. Mit meiner Stimme werden sie sonst die gar die Sozialdemokraten über ihren ideologischen Mittel für den Umbau nicht freibekommen. Schatten gesprungen waren und ersten Privatisie- (Beifall bei der FDP — Hoffmann [Saar rungsschritten zugestimmt hatten. brücken] [SPD]: Vorher hat er behauptet, (Dr. Friedmann [CDU/CSU]: Nein, nein, er sei nicht dumm!) das war nur Ihr Kollege Gärtner!) Meine Damen und Herren, die Finanz- und Haus- — Der Herr Kollege Gärtner war initiativ, Herr haltspolitik der Koalition ist ein Eckpfeiler der Ar- Kollege Friedmann, das ist richtig, aber er hatte beit unserer Regierung. Die Fraktion der FDP steht allein doch keine Mehrheit. hinter der Person des Finanzministers in gleicher - Weise, wie es der Kollege Carstens für seine Frak- (Dr. Friedmann [CDU/CSU]: Bei der Ab tion gesagt hat. Wir stimmen seinem Haushalt zu. stimmung haben die Genossen nicht mit (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU — gemacht! Es waren damals die Opposition Hoffmann [Saarbrücken] [SPD]: Das war und Gärtner!) der Höhepunkt der parlamentarischen De — Ich werde es im Protokoll nachlesen. batte!) Meine Damen und Herren, erlauben Sie mir noch einige wenige Anmerkungen zu Haushaltsberei- Vizepräsident Stücklen: Das Wort hat der Herr chen außerhalb des Einzelplans 08, die mir wichtig Bundesminister der Finanzen. erscheinen. Der Verwaltung und insbesondere der (Hoffmann [Saarbrücken] [SPD]: Jetzt Planungsbürokratie nicht mehr in gleicher Weise wird es um eine Stufe anspruchsvoller, wie früher vertrauend, habe ich beim Einzelplan hoffe ich!) des Verkehrsministeriums nach einigen Straßen- bauvorhaben gefragt und erklärt, daß ich einem Mittelansatz für diese Maßnahmen nicht zustim- Dr. Stoltenberg, Bundesminister der Finanzen: men könne. Dies betraf insbesondere die geplante Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Den er- Fortsetzung der A 81 vom Leonberger Dreieck in sten Hinweis auf die heutige Rede des Kollegen Richtung Böblingen/Sindelfingen. Hierfür sind konnte man bereits gestern in einer noch keine Mittel eingesetzt. Ich will an dieser Kleinanzeige der Berliner Sozialdemokratischen Stelle gerne sagen, daß ich dem Innenminister des Partei im Lokalteil der Stadtpresse finden. Landes Baden-Württemberg, Herrn Schlee, dafür (Hört! Hört! bei der CDU/CSU) dankbar bin, daß er einer vierspurigen Trassierung in diesem Bereich eine klare Absage erteilt hat. Wir Da steht: „Hans Apel: Rede vor dem Deutschen werden von hier aus aber auch vorgeschlagene Al- Bundestag zum Haushalt 1985 ,für eine gerechtere ternativlösungen mit äußerster Reserve und mit ge- Politik' morgen ca. 9 Uhr im ZDF." nauer Kontrolle der Planung verfolgen. Meine Da- (Heiterkeit bei der CDU/CSU und der FDP men und Herren, Ausbau vor Neubau, Nutzung vor- — Zuruf von der SPD: Ja, stimmt doch!) handener Trassen vor Kahlschlägen durch die Ich muß sagen, Herr Kollege Apel: das Geld der Landschaft, das ist für uns kein Schlagwort, son- Genossen war nicht gut investiert. dern auch konkrete politische Handlungsanwei- sung im Haushaltsbereich. (Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU — Eine große Berliner Zeitung hat diese kleine An- Hornung [CDU/CSU]: Herr Weng, beson zeige in einen Artikel eingearbeitet, der mit dem ders im Neckar-Odenwald-Kreis!) Satz beginnt: „Wegen Maschinenschaden geschlos- Eine letzte Bemerkung zur Frage sinnvoller Aus- sen." gabe von Steuermitteln. Meine Damen und Herren, (Heiterkeit bei der CDU/CSU und der ich persönlich halte es für einen Fehler, daß der FDP) Bund den noch dazu zu einem zu hohen Petersberg, Das scheint mir eine richtige Assoziation zu sein, Preis, erworben hat. Ich sehe ein, daß dieser Erwerb wenn man den Aggregatzustand, die Dynamik der die Renovierung als konsequente Folge nach sich finanzpolitischen Argumente Ihrer Rede richtig be- ziehen muß, aber Renovierung nicht zu einer Protz- werten will. scheune, sondern zu einem unserem bürgerlichen Staat angemessenen Gästehaus für mögliche aus- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) ländische und auch inländische Besucher. Was ich beklage, ist nicht so sehr die Wiederho- (Zustimmung bei Abgeordneten der CDU/ lung sattsam bekannter polemischer Formeln, die CSU) abgenutzt sind. Das paßt dann wieder zu dem Ma- schinenschaden. Was ich schon eher beklage, ist die Der in der vorliegenden Planung vorgesehene zu- ständige Wiederholung oder Neuauflage sachlich sätzliche Rundbau für eine Empfangshalle ist nach falscher Behauptungen. Ich muß auch deshalb ei- meiner Meinung nicht nur unnötig, sondern auch un- nige Dinge richtigstellen. Aber ich glaube nicht, daß schön. Ich fordere die Planer deshalb auf, das au- eine interessierte Öffentlichkeit von uns in erster genblickliche Konzept schnell im Sinne einfacherer Linie einen vordergründigen Schlagabtausch er- und preiswerterer Lösungen zu überdenken und wartet, wie Sie das versucht haben, sondern doch insbesondere auf den zusätzlichen Rundbau zu ver eine ernsthaftere und nachdenklichere Diskussion 7790 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 105. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. November 1984

Bundesminister Dr. Stoltenberg über die Frage, wo wir in der Finanzpolitik eigent- löst haben durch eine stetige, eine berechenbare, lich stehen — eine vorausschauende Politik. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — Zuruf des Abg. Dr. Apel [SPD]) natürlich im Für und Wider der Strategien und Ar- gumente — Wir können bei allen gut erwogenen Veränderun- gen im Haushaltsausschuß, auf die meine Vorred- (Hornung [CDU/CSU]: Und wir angefan ner hingewiesen haben und die begründet sind — gen haben!) ich bedanke mich auch ausdrücklich für einige die- und was wir zu entscheiden haben, damit der be- ser Entscheidungen —, unseren Entwurf noch wie- gonnene Weg der Gesundung, der aber noch nicht- dererkennen. Ich glaube, das ist wichtig. das Ziel erreicht hat, zu einer dauerhaften Verbes- Im übrigen — dies erscheint mir noch bedeutsa- serung nicht nur der öffentlichen Finanzen, son- mer —: In den Jahren 1983 und 1984 haben nicht dern auch der Grundlagen des wirtschaftlichen und nur die Regierungsentwürfe, sondern auch die vom sozialen Lebens für die Bürger der Bundesrepublik Parlament beschlossenen Haushaltspläne während Deutschland führt. Dem möchte ich mich — auch in des Haushaltsvollzugs standgehalten. Anknüpfung an einige Überlegungen der Herren Kollegen Carstens und Weng — jetzt zuwenden. (Hornung [CDU/CSU]: Das ist ganz neu!) Meine Damen und Herren, diese dritte Phase des Es ist ja die klassische Funktion einer zweiten Haushaltsvollzugs ist natürlich die entscheidende und dritten Lesung, jeden einzelnen Politikbereich Phase. Es ist die Frage zu stellen, ob es durch die zu diskutieren. Natürlich gibt es auch immer einen tatsächliche Entwicklung des Jahres — wir denken Bezug zu den Zahlen des Haushalts, und sei es das natürlich an die Vorausschau an das Jahr 1985 — Gehalt der verantwortlichen Minister. Es gab ja entscheidende und schwere Einbrüche und damit auch einmal Traditionen der Opposition, die Mißbil- Verschlechterungen gibt, die unsere Annahmen ligung durch Anträge auszudrücken, das Gehalt der korrigieren und verschlechtern. Das ist aus heuti- Minister jedenfalls symbolisch zu kürzen. Ich stelle ger Sicht — ich sage das bei allen Unwägbarkeiten, fest, daß das noch nicht so ist. Aber es kann ja noch die ich nicht übersehen will — nicht zu erkennen. kommen. Anfang 1984 konnten wir feststellen, daß auf (Dr. Apel [SPD]: Die Belastungen der Sozi Grund strenger Ausgabendisziplin und infolge des alhilfe sind zu hoch!) neu beginnenden Wirtschaftswachstums der Bun- — Herr Kollege Apel, wir haben j a unter dem Vor- deshaushalt 1983 — der erste in der Verantwortung zeichen der Einsparungen der letzten Jahre den Be- der neuen Koalition — mit einem hervorragenden schluß erneuert, die Amtsgehälter der Bundesmini- Ergebnis abschloß. Die Ausgaben waren um 6,5 Mil- ster auch für das nächste Jahr um 5% zu kürzen. In liarden DM geringer als Ende 1982 veranschlagt. Ihrer Amtszeit wurde zwar auch gekürzt, aber nicht Die Einnahmen lagen um rund 3 Milliarden DM bei den Ministergehältern. Das ist der Unterschied. über dem Soll. Damit drückten wir die Nettokredit- aufnahme um fast 9,5 Milliarden DM unter den Be- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) trag, den wir sofort nach dem Regierungswechsel noch veranschlagen mußten. Für jeden Finanzminister hat eine solche Diskus- sion Strikte Ausgabenbegrenzung im Haushaltsvoll- zug kennzeichnet nun auch das Haushaltsjahr 1984. (Matthöfer [SPD]: Dafür haben Sie auch Bis Ende Oktober sind die Ausgaben nur um 1,1 mehr Parlamentarische Staatssekretäre angestiegen. Da damit zu rechnen ist, daß in den und Minister!) letzten acht Wochen noch eine Reihe von größeren — das galt auch für meine Vorgänger, Herr Kollege Ausgaben auf den Bundeshaushalt zukommen, Matthöfer — eine besondere Bedeutung. Sie zeigt, wird der Gesamtzuwachs etwa bei 2 % liegen. Diese unmittelbar vor der Verabschiedung, inwieweit der stärkere Zunahme der Ausgaben zum Jahresende Regierungsentwurf standgehalten hat gegenüber beruht auf bestimmten Sonderfaktoren: die zusätz- dem Sachverstand des Parlaments, aber natürlich lichen Zahlungen für die EG oder etwa die Tatsa- auch gegenüber den Unwägbarkeiten, die in einem che, daß die Personalausgaben im November dop- Zeitraum von knapp sechs Monaten nach dem Ka- pelt so hoch sind wie in jedem anderen Monat. binettsbeschluß zum Entwurf über den Haushalt Aber in absoluten Beträgen dürften die Minder- auftreten können. Wir alle haben ja aus dem Jahre ausgaben 1984 voraussichtlich eine Größenordnung 1982 noch in lebhafter Erinnerung, wie grundlegend von 4 bis 5 Milliarden DM gegenüber dem Haus- sich ein Haushalt gegenüber dem Entwurf einer haltssoll erreichen. Dies ist wichtig, weil wir in der Regierung innerhalb von sechs Monaten verändern Tat in den Steuereinnahmen 1984 um vielleicht kann, wenn nämlich der Entwurf auf Sand gebaut knapp 3 Milliarden DM hinter der Steuerschätzung war. des Frühjahrs zurückbleiben. Das ist nicht nur ein (Frau Dr. Hellwig [CDU/CSU]: Sehr wahr!) in den Ursachen negativer Tatbestand. Er beruht ja entscheidend — darauf hat der Finanzplanungsrat Ich möchte aber schon darauf aufmerksam ma- letzte Woche einstimmig hingewiesen — auf dem chen, daß wir in der Haushaltspolitik das Krisen- deutlichen Rückgang der Inflationsrate, der günsti- management, das permanente Löcherstopfen, abge- ger ist als unsere Erwartungen. Er beruht auf Son- Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 105. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. November 1984 7791

Bundesminister Dr. Stoltenberg derfaktoren wie den Auswirkungen des Arbeits- oder 2,8 % steigen. Das ermöglicht es, trotz der et- kampfs. was ungünstigeren Steuerschätzung, die Nettokre- (Zuruf des Abg. Walther [SPD]) ditaufnahme auf knapp 25 Milliarden DM zu veran- schlagen. Er beruht auch auf den Entscheidungen des Bun- destags — ich erwähne das alles, Herr Kollege Wal- 1981 und 1982, in den letzten Jahren sozialdemo- ther — zum Thema Vorruhestand bezüglich der kratischer Regierungsführung, waren es über 37 steuerlichen Begleitmaßnahmen und zur Vorsteuer- Milliarden DM. Wir kommen jetzt auf diesem Weg pauschale. Das ist vollkommen richtig. von 31,5 und 29 Milliarden in eine Größenordnung von voraussichtlich 24 bis 25 Milliarden DM. Insofern können wir dennoch davon ausgehen, daß die Neuverschuldung voraussichtlich unter 30 - Die Konsolidierung ist damit nicht beendet. Ich Milliarden DM bleibt. Das wäre ein weiterer Schritt höre es mit ein bißchen Unbehagen, wenn auch in zur Gesundung in der voraussichtlichen Bilanz die- den Erfolgsbilanzen des einen oder anderen meiner ses Jahres, freilich ein kleinerer als 1983. Aber die politischen Freunde vor allem außerhalb von Bonn Richtung stimmt. Das ist entscheidend. Das, was gesagt wird, die Konsolidierung sei erreicht. Sie ist uns heute und morgen zur Beschlußfassung vor- nicht erreicht. liegt, erweckt die Hoffnung auf einen wieder etwas (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) größeren Schritt zur Konsolidierung und Gesun- dung im Jahr 1985. Die Richtung stimmt. Darauf Ich kann mich auch hier, Herr Kollege Apel, auf die können die Bürger sich verlassen. einstimmigen Feststellungen des Finanzplanungs- rats in der letzten Woche beziehen. Dieses Doku- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — ment, an dem ja Finanzpolitiker und Finanzmini- Zuruf des Abg. Fischer [Frankfurt] [GRÜ ster der Christlich Demokratischen Union, der NE]) Christlich Sozialen Union, der Sozialdemokrati- Denn nach den parlamentarischen Beratun- schen Partei — ich bedauere, daß die Freien Demo- gen — — kraten zur Zeit in diesem Kreis fehlen; aber ich bin (Gegenruf des Abg. Zander [SPD]: Nicht mit ihnen einig — und die Vertreter der kommuna- einmal das stimmt!) len Spitzenverbände mitgewirkt haben — Ich habe das nicht verstanden, Herr Fischer. Daß (Zuruf des Abg. Dr. Vogel [SPD]) Sie ein anderes Koordinatensystem als wir haben, und das Sie, Herr Kollege Apel, bei Ihrer Überbela- ist völlig klar. Das ist evident. stung im Berliner Wahlkampf wahrscheinlich nicht (Dr. Friedmann [CDU/CSU]: Fischer lesen konnten, schaut immer schräg! — Weiterer Zuruf (Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU) von der CDU/CSU: Das ist die „grüne" Mengenlehre!) ist eine eindrucksvolle Widerlegung einer Reihe der abwegigen Behauptungen, die Sie hier, auch zum — Ja. Ich will das nicht vertiefen. Thema „kommunale Investitionen", aufgestellt ha- (Fischer [Frankfurt] [GRÜNE]: Besser als ben. Ich empfehle es Ihnen und einer breiteren Öf- schielen!) fentlichkeit. — Es wäre besser gewesen, es hätte sich mal einer (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) von Ihnen hier zu Wort gemeldet, meine Damen und Herren von den GRÜNEN. Unser Ziel muß es sein, die Neuverschuldung ohne Berücksichtigung des Bundesbankgewinns, (Kleinert [Marburg] [GRÜNE]: Das kommt der seit 1981 die Optik verbessert und verschönt, noch, Herr Stoltenberg!) auf weniger als 20 Milliarden DM zu senken, um — Ja, ja; wir kennen ja die taktischen Winkelzüge: uns von der unerträglichen Last immer noch zu Lieber nachher ein bißchen polemisieren, als sich sehr steigender Zinsausgaben endlich zu befreien. vorher der Auseinandersetzung stellen. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Das heißt, die Zinsausgaben sollen langfristig nicht Aber da Sie sich an der guten Tradition eines Mei- stärker wachsen als das Wachstum der Ausgaben. nungsaustauschs der Fraktionen zunächst nicht be- teiligen, möchte ich Ihre Zwischenbemerkungen Ich sage hier, Herr Kollege Apel — das ist nicht heute irgnorieren. eine polemische, sondern eine programmatische Bemerkung —: Diese genannten Zahlen für 1983, (Zuruf von den GRÜNEN) 1984 und im jetzt zur Verabschiedung anstehenden Nach den parlamentarischen Beratungen wird Haushaltsplan 1985 zeigen, daß wir nicht nur eine der Bundeshaushalt — das wurde gesagt — nur neue Finanzpolitik betreiben, sondern eine Haus- 0,9 % über dem Soll 1984 liegen. Nun bedeutet das, halts- und Finanzpolitik einer ganz anderen Quali- weil wir 1984 den Rahmen der Ansätze nicht voll tät als in den Jahren seit 1969. ausschöpfen, tatsächlich einen Spielraum für eine (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — %. Auf der Ausgabensteigerung 1985 um etwa 2 1 / 2 Zurufe von der SPD) niedrigeren Basis der Ausgaben 1984 können mit den jetzt vorgeschlagenen Beschlüssen die Ausga- Die Ausgaben des Bundes, Herr Finanzmini ben des Bundes 1985 um etwa 2,5 %, vielleicht 2,7 ster a. D., stiegen von 87,9 Milliarden DM im Jahre 7792 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 105. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. November 1984

Bundesminister Dr. Stoltenberg 1970 auf 244,6 Milliarden DM bis einschließlich 1982 gungsziel voranzukommen, ist die Diagnose, an. daß die Voraussetzungen für eine langgezogene (Hornung [CDU/CSU]: Unbegreiflich!) wirtschaftliche Aufwärtsbewegung ... stark verbessert sind ... Das war in Ihrer Zeit — Sie waren ja ein maßgebli- cher Architekt des Fehlbaus, der da entstanden ist An anderer Stelle heißt es: Die Voraussetzungen — eine jährliche Steigerungsrate von rd. 10 %. In dafür sind so gut wie lange nicht mehr. den drei Jahren seit dem Regierungswechsel — un- Wirtschaftliche und soziale Wirkungen, Herr Kol- ter Einbeziehung des Jahres 1985 — beträgt der lege Apel, es führt doch kein Weg daran vorbei, daß jährliche Zuwachs im Schnitt 2 %. Das ist eine an- die von Ihnen betriebene Politik 1980 und 1981 zu dere Qualität der Finanz- und Haushaltspolitik, die- einem erschreckenden Ansteigen der Inflation ge- wir in dieser Koalition verwirklichen. führt hat, 1981 und 1982 mit einer Inflationsrate (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) zwischen 5,5 % und 6,5 %. Das nenne ich Konsolidierung, das nenne ich eine (Zuruf des Abg. Dr. Apel [SPD]) neue Finanzpolitik, die ihrer wirtschafts- und so- — Ich sage: mit einer Inflationsrate von 5,5 % bis zialpolitischen Verantwortung endlich wieder ge- 6,5 %. recht wird, vor allem der Zukunft unseres Volkes. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) (Beifall bei der CDU/CSU — von Schmude [CDU/CSU]: Das können die nicht hören! Finanzpolitik ist von hohem, eigenständigem — Zurufe von der SPD) Rang, aber sie ist nicht Selbstzweck; auch das erste muß betont werden. Ich begrüße, daß der Sachver- — Sie können auch durch lärmende Zwischenrufe ständigenrat es getan hat und hier andere Akzente die Feststellung des Statistischen Bundesamtes in setzt — auch in dieser Prinzipienfrage — als die Wiesbaden und die bitteren Erfahrungen von Mil- Konjunkturforschungsinstitute. Es gibt bei einigen lionen Mitbürgern, vor allem mit kleinen Einkom- unserer Konjunkturforscher — Sie haben ein ge- men, nicht aus der Welt schaffen, meine Damen und schätztes Institut zitiert, Herr Kollege Apel — die Herren von der SPD. Tendenz, Haushalts- und Finanzpolitik nur als ein (Lebhafter Beifall bei der CDU/CSU und Element in Kreislaufrechnungen für private oder der FDP) öffentliche Nachfrage zu betrachten. Dies ist, wie ich glaube, eine nicht zureichende Betrachtung; der Wir können demgegenüber 1984 von einer Geldent- Sachverständigenrat hat hier ganz andere, ent- wertungsrate von 2% ausgehen. Die genannten wis- scheidende Aussagen getroffen. senschaftlichen Gutachten begründen die Hoff- nung, daß wir auch 1985 eine Geldentwertungsrate Wie gesagt, Finanzpolitik ist nicht Selbstzweck. von etwa 2 % — die niedrigste im internationalen Ihre wichtigste Aufgabe ist es, die Geldwertstabili- Vergleich! — halten können. tät zu fördern. Man muß die wirtschaftlichen und sozialen Wirkungen verstehen, aber nicht mit den (Zander [SPD]: Kommen Sie jetzt doch mal alten, abgenutzten Sprüchen, die wir heute wieder zur Massenarbeitslosigkeit!) vom Kollegen Apel gehört haben, mit denen Sie Dies ist Politik für die Familie, für die Rentner und schon eine Bundestagswahl verloren haben und für die sozial Schwachen. auch die nächste verlieren werden, wenn Ihnen bis dahin nichts Besseres einfällt. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — Alle Sprüche mit so viel groben Unrichtigkeiten in Fischer [Frankfurt] [GRÜNE]: Jetzt den den Tatsachen und Wertungen — dazu gehören zu- ken die aber nach, Herr Finanzminister!) dem noch die, die Sie heute vorgetragen haben — Es geht hier um die Interdependenzen, um die ändern überhaupt nichts daran. Wechselwirkungen. Und natürlich hat die neue Fi- Auch Sie haben heute morgen noch einmal das nanzpolitik zur Trendwende in der Wirtschaftspoli- Rententhema anklingen lassen. Aber Sie können tik beigetragen. Im letzten Jahr der Regierung doch nicht aus der Welt schaffen, daß die Rentner in Schmidt ist das Bruttosozialprodukt in der Bundes- den genannten letzten Jahren Ihrer Regierungszeit republik Deutschland um mehr als 1 % zurückge- zwar nominal einen Zuwachs von 4 % hatten, aber gangen; 1983 ist es um 1,3 % gestiegen; 1984 werden unter sozialdemokratischer Regierungsführung bei wir voraussichtlich — trotz des Rückschlags vom einer Inflationsrate von 5,5% und 6,5% über Jahre Frühjahr — 2,5 % Wachstum erreichen; für 1985 gibt hinweg einen Rückgang ihres Lebensstandards und es zunehmend Prognosen, die — optimistischer als ihrer Realeinkommen hinnehmen mußten. wir — 3 % für erreichbar halten, zuletzt vom Sach- verständigenrat. (Beifall bei der CDU/CSU — Dr. Vogel [SPD]: Was ist jetzt, 1985?) (Dr. Apel [SPD]: Und wie ist es mit der Arbeitslosigkeit?) Hierzu sagt der Sachverständigenrat — ich zitiere; das nimmt auch Ihr Stichwort auf —: Vizepräsident Stücklen: Herr Bundesminister, ge- Basis der Zuversicht, daß es in den kommenden statten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeord- Jahren gelingen kann, auch beim Beschäfti neten Hoffmann (Saarbrücken)? Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 105. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. November 1984 7793

Dr. Stoltenberg, Bundesminister der Finanzen: Im davon aus, daß wir mit dieser starken Steigerung Augenblick nicht, Herr Kollege Hoffmann, ich bitte der privaten Investitionen rechnen können. Ohne um Entschuldigung. diese Steigerung der privaten Investitionen, Herr (Hoffmann [Saarbrücken] [SPD]: Sie knei Kollege Vogel, sehe ich keine Perspektive für eine fen! Das ist alles!) Verbesserung auf dem Beschäftigungsmarkt, sehe ich keine Perspektive für eine Verbesserung auf — Ich kneife überhaupt nicht. Sie können nachher dem Beschäftigungssektor. reden; es gibt noch eine weitere Diskussionsrunde. (Beifall bei der CDU/CSU — Dr. Vogel (Hoffmann [Saarbrücken] [SPD]: Wieviel [SPD]: Das trennt uns nicht!) Zuwachs ist denn jetzt? — Dr. Vogel [SPD]: Wieviel Zuwachs haben Sie denn 1985?) - Es ist die Voraussetzung für alles andere, was im- mer noch an flankierenden Maßnahmen vom Vor- — Ich bin gerne bereit, mich mit Ihren Argumenten ruhestand noch einmal auseinanderzusetzen. (Dr. Vogel [SPD]: Arbeitszeitverkürzung!) (Zurufe von der SPD: Tun Sie es doch!) über Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen bis zu sinn- Meine Damen und Herren, zu wirtschaftlichen vollen Investitionen hinzukommt. — Ja, Vorruhe- und sozialen Wirkungen: Eine Politik, die zunächst stand ist Arbeitszeitverkürzung; insofern bedarf es breiten Schichten der Bevölkerung bestimmte Ein- Ihres belehrenden Zwischenrufes nicht mehr, sehr schränkungen in staatlichen Transferleistungen zu- geehrter Herr Fraktionsvorsitzender. gemutet hat — das haben wir vor der Bundestags- wahl gesagt und in der zweiten Stufe angekün- (Heiterkeit bei der CDU/CSU) digt —, hat sich in den sozialen Wirkungen durch Wir müssen durch eine neue Investitionsdynamik die Brechung der Inflation und der Inflationsmen- auf der Grundlage höherer Erträge für die Unter- talität als richtig erwiesen, gerade gegenüber den nehmen und besserer Bedingungen für Kapitalbil- vielen Millionen mit niedrigeren Einkommen. Das dung die Grundlagen für eine anhaltende Verbesse- können wir hier heute feststellen. rung der Beschäftigungssituation schaffen. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Sie hat sich auch als richtig und notwendig erwie- Wir haben im Oktober in der Arbeitsmarktstati- sen, um wieder stabilere Grundlagen für die Betrie- stik zum erstenmal seit Anfang des Jahres wieder be, für unsere Volkswirtschaft, die einem härteren einen saisonbereinigten Rückgang der Arbeitslo- internationalen Wettbewerb entgegengeht, und da- senzahl um 24 000 gehabt. Deswegen scheint es mir mit für die Beschäftigungspolitik zu schaffen. durchaus begründet zu sein, wenn der Sachverstän- Die Annahmen des Sachverständigenrates beru- digenrat sagt: Im Durchschnitt des nächsten Jahres hen auf der Erwartung, daß die Ausrüstungsinvesti - kann die Arbeitslosigkeit um 100 000 zurückgehen, tionen im nächsten Jahr um 10 Prozent zunehmen. was im Jahresverlauf eine Zahl von über 150 000 bedeuten würde. (Hoffmann [Saarbrücken] [SPD]: Und die Rüstungsinvestitionen?) Das hochangesehene Institut der deutschen Wirt- schaft unter Leitung von Professor Gerhard Fels — Herr Kollege Hoffmann, das Niveau Ihrer Zwi- hat gemeint, es könnte im Verlauf des nächsten schenrufe ist wirklich beklagenswert. Wir reden Jahres auch eine Verringerung der Arbeitslosen- von zentralen Fragen der wirtschaftlichen und be- zahl um 180 000 sein. schäftigungspolitischen Zukunft, Wir alle können unabhängig von parteipoliti- (Zander [SPD]: Und Sie gehen dauernd um schen Gegensätzen auch in der Arbeitsmarktpolitik die zentralen Fragen herum!) ja nur hoffen, daß dies im Ergebnis eintrifft. Jeden- und da müssen Sie hier von Rüstung reden. Das ist falls begründet dies erstmals wieder Hoffnung und hier vorgestern zu später Stunde intensiv gesche- eine Perspektive; denn ein Rückgang der Arbeitslo- hen. Der Kollege Weng hat ja auch einiges davon sigkeit im kommenden Jahr von 7 bis 10 % wäre zitiert. Was Sie hier machen, ist nicht viel besser als eine signifikante Veränderung, wenn auch in keiner das, was der Herr Kollege Horn mit seinen Zwi- Weise die Lösung dieses Problems, das uns noch schenrufen in jener Abendstunde gemacht hat. viele Jahre begleiten wird. (Beifall bei der CDU/CSU) (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Lassen Sie uns einmal mit Ernsthaftigkeit dar- Aber Sie müssen uns schon abnehmen, daß wir über reden, welche Strategie zur Lösung unserer ohne Übermut — Sie werden Mühe haben, Herr ökonomischen Fragen und der Fragen des Arbeits- Kollege Apel, Zitate zu finden, die in diesem Zusam- marktes wirklich Erfolg verspricht. Das genannte menhang unter das Vorzeichen Arroganz oder Gutachten der fünf Weisen, die ja einen gesetzli- Überheblichkeit einzuordnen sind — sagen: Ja, das chen Auftrag vom Deutschen Bundestag haben und ist für uns eine Ermutigung, auf diesem politischen nicht einem Privatvergnügen nachgehen, ist natür- Weg, den Sie hier erneut so heftig kritisiert haben, lich ein bedeutender Hinweis für eine angemessene weiter voranzugehen. Debatte pro und contra. Sie stützen sich auf wich- tige Indikatoren wie etwa den letzten Ifo-Konjunk- Richtig ist, daß wir eine Umverteilung vorgenom- turtest, also den Konjunkturtest des Münchner men haben, Wirtschaftswissenschaftlichen Instituts. Sie gehen (Kleinert [Marburg] [GRÜNE]: So ist es!) 7794 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 105. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. November 1984

Bundesminister Dr. Stoltenberg aber eine Umverteilung für produktive Zukunftsin- darauf, daß wir durch eine sinnvolle, von mir be- vestitionen, auf die unser Volk angewiesen ist, grüßte und mit herbeigeführte Verhandlung mit wenn es auch in 10, 20 Jahren eine Perspektive den Ländern einen Vorgang der Entmischung, der geben soll. vernünftigeren Gliederung der Aufgaben durchfüh- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — ren. Wir beseitigen Mischfinanzierung — ein lang- Zurufe von der SPD und den GRÜNEN — gehegter Wunsch vor allem der Finanzminister der Stratmann [GRÜNE]: Sie sind ein produk Länder und des Bundes. Das heißt, die Länder über- tiver Destrukteur!) nehmen einvernehmlich ausschließlich die Kran- kenhausfinanzierung. Und so verschwindet fast — Meine Damen und Herren, das ganze Thema eine Milliarde DM Investitionsmittel aus unserem Zukunftsinvestitionen und wirtschaftliches Risiko- Etat. Sie gehen aber voll in die Länderhaushalte und Arbeit unter den Bedingungen eines wirt- über, und wir übernehmen dafür von den Ländern schaftlichen Risikos ist den GRÜNEN bei der sozio- entsprechende Aufgaben, die überwiegend nicht als logischen Struktur und den Verhaltens- und Rede- Investitionen zu bezeichnen sind. Das ist der Grund, weisen der überwältigenden Mehrzahl der Mitglie- weshalb wir einen minimalen Rückgang der Inve- der dieser Fraktion völlig fremd. Das ist auch schon stitionsquote haben, Herr Kollege Apel. Da haben vor Ihren Zwischenrufen völlig klargewesen. Sie halt auch mit einer großen Keule zugeschlagen (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — und die Sache, die ich hier deutlich machen will, Burgmann [GRÜNE]: Jetzt hat er es uns einfach nicht getroffen. wieder gegeben! — Weitere Zurufe von den Subventionsabbau bleibt eine Daueraufgabe. Es GRÜNEN) macht aber wenig Sinn, daß Ihre Sprecher in der — Es ist schade, daß die meisten, die unsere De- ersten Lesung heftig den starken Rückgang des batte verfolgen, das Niveau Ihrer Zwischenrufe Haushalts des Wirtschaftsministers kritisieren. nicht registrieren können. Dieser Haushalt geht im Einvernehmen mit den Kollegen Graf Lambsdorff und Bangemann um Meine Damen und Herren, das Thema Subven- 10 % zurück, weil dort nachhaltig Subventionen ab- tionen ist für die Regierung ein dorniges und gebaut werden. Und dann kommt die nächste Spre- schwieriges Thema. Herr Kollege Apel, ich will cherriege, Herr Kollege Apel, und beklagt den feh- ganz offen sagen, daß auch ich mit der Zwischenbi- lenden Abbau von Subventionen! Ich finde das nicht lanz des Erreichten nicht völlig zufrieden bin. überzeugend. (Zuruf von der SPD: Peinliches Thema!) (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) — Ich sage ja, daß ich mit der Zwischenbilanz des Erreichten nicht völlig zufrieden bin. Es ist richtig Vizepräsident Stücklen: Gestatten Sie eine Zwi- — ich erinnere daran, weil es in der Öffentlichkeit schenfrage? debattiert wurde —, daß nach meinen Vorstellun- gen bei den Grundsatzbeschlüssen zur Steuersen- Dr. Stoltenberg, Bundesminister der Finanzen: kung auch ein wesentliches Element Subventions- Bitte sehr, Herr Apel. abbau im Steuerrecht dazugehört hätte. Ich habe konkrete Vorschläge im Umfang von 3,5 Milliarden Dr. Apel (SPD): Herr Kollege Stoltenberg, sind Sie DM gemacht. Aber dies war in der Koalition, ob- bereit, nicht nur generell über Subventionen zu re- wohl sie sich in den wirtschafts- und finanzpoliti- den, sondern auch zur Kenntnis zu nehmen, daß die schen Grundfragen einig ist, noch nicht konsensfä- Abteilung Steuersubventionen von 29 Milliarden hig. Ich komme darauf zurück; das will ich aus- DM 1982 auf 39 Milliarden DM in 1985 steigt, und drücklich sagen. Nur würde ich mich natürlich freu- wie wäre es, wenn Sie hier ansetzten, um die Viel- en, wenn ich zum Zeitpunkt der Diskussion einmal zahl von Steuersubventionen, die meistens unge- Ihre laute Unterstützung finden würde statt ein hal- recht sind, anzupacken und zu kürzen? bes Jahr später, wenn die Sache anders entschieden ist. Ich sage das zu Ihrem Rollenverständnis in der Dr. Stoltenberg, Bundesminister der Finanzen: Ich Zukunft. kann Ihre Zahlen nicht ganz bestätigen. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) (Schlatter [SPD]: Sie sind aber richtig!) Aber ich habe solches noch nicht gehört und auch — Herr Schlatter, Sie wissen es j a immer schneller noch nicht vernommen. als die Fachleute, die das berechnen — jedenfalls nach Ihren Zwischenrufen zu schließen. Aber ich Jetzt komme ich zur Frage der Finanzhilfen. will jetzt nicht Ihre Zwischenbemerkungen beant- (Zander [SPD]: Ich dachte: zur Arbeitslo worten, sondern die Frage des Herrn Kollegen sigkeit!) Apel. Herr Kollege Apel, Sie gehen mit den Tatsachen Steuervergünstigungen des Bundes: 1981 Ist 14 nicht sorgfältig um. Wir haben im Regierungsent- Milliarden DM, 1984 Soll 16,3 Milliarden DM. Wir wurf einen Abbau der Finanzhilfen von 750 Millio- haben für die nächsten Jahre keine verläßliche nen DM vorgesehen. Nun sieht es in der Vorlage Schätzung, aber ich gehe davon aus, daß sowohl auf etwas anders aus. Das beruht aber nicht darauf, daß Grund der von mir erwähnten Beschlüsse zu steu- der Haushaltsausschuß in diesem Teil etwa ein erlichen Rahmenbedingungen Vorruhestandsrück- schlechteres Ergebnis erzielt hätte, als es sich die stellungen gebildet werden müssen als auch die Regierung vorgenommen hatte. Es beruht einfach Steuersubventionen in der Landwirtschaft vorüber- Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 105. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. November 1984 7795

Bundesminister Dr. Stoltenberg gehend ansteigen. Ich lege aber Wert auf zwei Fest- zialen Sicherungssysteme für die Landwirtschaft stellungen. Es handelt sich bei den von uns getroffe- vorgenommen. nen Entscheidungen, die höhere Steuersubventio- Wissen Sie, nach der von Ihnen mitbeschlossenen nen bewirken, ausschließlich um zeitlich befristete mittelfristigen Finanzplanung des Kabinetts Maßnahmen. Das gilt für den Schuldzinsenabzug Schmidt wären die Zuschüsse des Bundes für die für den Wohnungsbau, der sich natürlich in diesen Berufsgenossenschaft auf Null zurückgegangen. steigenden Zahlen niederschlägt als Teil eines So- fortprogramms, zeitlich befristet, jetzt abzulösen (Zuruf von der CDU/CSU: Wie schlimm!) durch wesentlich bessere dauerhafte Rahmenbe- Wir haben dieses wichtige Instrument zugunsten dingungen für den privat genutzten Wohnungsbau. der Agrarsozialpolitik nicht nur wiederhergestellt, Wir werden in Kürze dem Deutschen Bundestag - sondern auf einen Betrag von jetzt über einer hal- den Gesetzentwurf zuleiten. Das gilt, Herr Kollege ben Milliarde DM erhöht. Das sollten Sie doch wirk- Apel, für die steuerlichen Rückstellungen für den lich einmal zur Kenntnis nehmen, bevor Sie weiter Vorruhestand, die unabweisbar waren, nachdem so bewegt über die kleinen Landwirte reden, wie wir uns in Übereinstimmung mit der Mehrzahl der Sie es hier und in der Öffentlichkeit immer wieder Gewerkschaften und Arbeitgeber für diesen Weg versuchen. zur Entlastung des Arbeitsmarktes entschlossen haben. Das gilt auch für die Vorsteuerpauschale für (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) die Landwirtschaft. Meine Damen und Herren, wir sprachen über die Was mich an Ihnen ein bißchen verwundert — wirtschaftlichen und sozialen Wirkungen von Sub- obwohl Sie uns schon viele Überraschungen zuge- ventionen. Lassen Sie mich nun noch einiges zu den fügt haben, wundert manches immer noch —, ist, Grundsätzen künftiger Finanzpolitik sagen. mit welcher Apodiktik Sie das verwerfen, nachdem (Zuruf von der SPD: Gestatten Sie eine Sie es 1969 eingeführt und bis Ende der 70er Jahre Zwischenfrage?) gehandhabt haben. Das ist bestürzend an dem Kol- legen Apel. — Ich bitte um Entschuldigung, aber ich möchte jetzt fortfahren. Ich bin sicher, daß nachher noch (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) einer Ihrer Kollegen dazu sprechen wird.

Vizepräsident Stücklen: Gestatten Sie eine weitere Zu den besonders bemerkenswerten Kapiteln im Zwischenfrage? Sachverständigengutachten gehört für mich das Schlußkapitel, in dem über die Strategie künftiger Dr. Stoltenberg, Bundesminister der Finanzen: Finanzpolitik reflektiert wird. Der Sachverständi- Noch eine bei dem Kollegen Apel, und dann möchte genrat setzt sich dort mit drei möglichen Wegen ich fortfahren — wenn es eine Frage ist. auseinander. Zunächst erörtert er eine Konzeption, die den Vorstellungen der Sozialdemokratischen Dr. Apel (SPD): Das kriege ich schon hin, in Frage- Partei zumindest nahekommt: Beibehalten der ho- form zu argumentieren. hen Staatsquote, Beibehalten der Steuerquote und Beibehalten der Kreditaufnahme, d. h. also eine er- Dr. Stoltenberg, Bundesminister der Finanzen: hebliche Verstärkung der öffentlichen Ausgaben Das glaube ich Ihnen. gegenüber unseren Planungen. Der Sachverständigenrat lehnt diesen ersten Weg Dr. Apel (SPD): Herr Kollege Dr. Stoltenberg, sind mit überzeugenden Argumenten ab. Gerade wer Sie denn wenigstens bereit, mit uns gemeinsam wirtschaftliches Wachstum bezweifelt, problemati- darüber nachzudenken, daß die Vorsteuerpauschale siert, nicht mehr für wünschenswert oder für nicht für die Landwirtschaft, die bis 1991 Kosten verur- mehr in nennenswertem Umfang erreichbar hält, sacht, die bis 3 Milliarden DM jährlich steigen, so muß die ehrliche Konsequenz ziehen, daß es dann umzugestalten wäre, daß auch über flächengebun- auch kein Wachstum der Kreditfinanzierung geben dene Subventionen in der Tat allen landwirtschaft- kann, sondern nur eine noch drastischere Zurück- lichen Betrieben geholfen wird und nicht nur, wie führung, als wir sie vornehmen. es jetzt geschieht, den umsatzstarken? (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) (Eigen [CDU/CSU]: Ist doch völlig falsch! Sie haben keine Ahnung! Das ist Ihr Pro Wer diese Konsequenz nicht zieht, ist unredlich und blem! Merken Sie das gar nicht? — Weitere täuscht sich selbst und andere. Zurufe von der CDU/CSU) Der zweite Weg, den der Sachverständigenrat er- örtert, heißt: Die Absenkung der Staatsquote muß Dr. Stoltenberg, Bundesminister der Finanzen: weitergehen. Herr Kollege Apel, die Bewertung, die in Ihrer (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Frage liegt, kann ich nicht übernehmen. Die Vor- steuerpauschale ist ein wesentliches, ist das wich- Ich nehme hier ein Stichwort des Herrn Kollegen tigste Element der Ausgleichsmaßnahmen, aber wir Weng auf; wir sind uns da einig. Wir haben die haben darüber hinaus im Blick auf die Kleinbetrie- Staatsquote zum Ende dieses Jahres auf voraus- be, also unter dem Gesichtspunkt des sozialen Ak- sichtlich 48 % zurückgeführt. Ich bekräftige erneut, zents in der Landwirtschaft, wie Sie wissen — ich daß das nur ein Zwischenstadium sein kann und unterstelle das höflicherweise —, erhebliche Kor- daß wir uns bis 1988 eine Rückführung der Staats- rekturen und Verbesserungen im Bereich der so- quote auf etwa 45 % vornehmen sollten. 7796 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 105. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. November 1984

Bundesminister Dr. Stoltenberg Im internationalen Vergleich waren in der Be- hier eine hervorragende erste Lesung über die Sen- schäftigungspolitik nur drei Länder erfolgreicher kung der Einkommen- und Lohnsteuer haben. als wir: Japan, die Schweiz und die USA. Sie alle (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU haben eine Staatsquote von deutlich unter 40 %. Es und der FDP) lohnt sich auch für eine ideologisch vorgeformte — vielleicht manchmal etwas verformte — Partei wie Ich will mit Blick auf die Uhr nur noch kurz die Sozialdemokratie, doch einmal die Ergebnisse etwas sagen. der empirischen Wirtschafts- und Sozialwissen- (Zuruf von der SPD: Das wird auch Zeit! — schaften zur Kenntnis zu nehmen. Dr. Apel [SPD]: Nein, das macht Spaß! Las (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) sen Sie ihn noch ein bißchen!) - — Ich freue mich über die große Aufmerksamkeit Meine Damen und Herren, der zweite Weg bedeu- des Hohen Hauses und die sich allmählich wieder tet eine weitere Zurückführung der Staatsquote, verbessernde Präsenz und nehme das als ein ermu- und er bedeutet eine weitere deutliche Rückfüh- tigendes Zeichen für das Interesse an meiner rung der Kreditfinanzierungsquote. Darin sind wir Rede. uns — das haben die Reden von Herrn Hoppe und Herrn Weng gezeigt — einig. Das heißt allerdings (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) konsequenterweise, daß wir die Steuerquote, das Der Schlüssel zum Erfolg bleibt ein harmoni- dritte Element, kurzfristig nicht so stark zurückfüh- sches Zusammenwirken von Haushalts-, Steuer- ren können, wie wir es möchten. und Währungspolitik. Das dritte Stichwort kommt in vielen Diskussionen in diesem Hohen Hause zu Dann erörtert der Sachverständigenrat einen kurz. Heute können Sie in den Schlagzeilen lesen, dritten Weg. Die Variante heißt: Ja, die Staatsquote auch im „Handelsblatt" — diese Schlagzeile war zurückführen, die Steuerquote schnell zurückfüh- besser als der zitierte Kommentar, Herr Kollege ren und dafür zunächst einmal die Kreditfinanzie- Apel —, daß der Kapitalmarktzins jetzt auf 7% zu- rungsquote auf dem jetzigen — immer noch hohen rückgegangen ist. Das ist ein eindrucksvoller Be- — Stand halten. weis für das Vertrauen der Sparer, der Anleger von Meine Folgerung ist, daß wir noch für einige Geld im In- und Ausland in die Finanz- und Wäh- Jahre die Strategie 2 verfolgen müssen, daß sie aber rungspolitik der Bundesrepublik Deutschland. in die Strategie 3, in den dritten Weg, einmünden (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) muß. Das heißt, wenn wir die Neuverschuldung bei Herr Kollege Matthöfer mag noch daran erin- Bund, Ländern und Gemeinden weiter erheblich ab- nern, daß er unter — ich gebe das zu — schwierige- gesenkt haben, muß der entstandene Spielraum für ren außenwirtschaftlichen Bedingungen kurz vor eine dauerhafte Verringerung der Steuerquote und seinem Ausscheiden noch Bundesanleihen mit nicht für neue Schleusen für Ausgabenprogramme 10 1/ 2 % auflegen mußte. Wir sind jetzt wieder an genutzt werden. guten 7 %, meine Damen und Herren. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) (Zuruf des Abg. Matthöfer [SPD]) Ich will sagen, daß mich diese Betrachtungen des — Das hatten Sie zeitweise auch. Aber zum Schluß Sachverständigenrates sehr ermutigen, die Kombi- waren es leider die 10 % bis 11%. Ich bestreite gar nation des zweiten und des dritten Weges in einer nicht, was Sie jetzt ergänzend hinzufügen. Aber die längerfristig angelegten Finanzpolitik zu sehen. Jahre 1980, 1981 und 1982 sind uns natürlich in Das bedeutet allerdings auch ein bißchen Geduld in nachhaltigster Erinnerung. der aktuellen steuerpolitischen Diskussion. Diese (Zuruf des Abg. Matthöfer [SPD]) Bemerkung geht nicht nur an die Opposition, son- dern auch an einige in der Koalition. Sie sind für uns die Ausgangsbilanz, Herr Kollege Matthöfer, an der wir die heutigen Erfolge messen. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Nach solchen Reden wie die des Herrn Apel ist das angebracht. Ich werde die abenteuerlichen Behauptungen des (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Herrn Kollegen Apel über Grenzsteuergesetze und die angeblich schlimmen Wirkungen unserer Steu- Wir sind wieder bei 7%. Wenn wir die Situation erentlastungspläne aus Zeitgründen nicht aufneh- unserer Nachbarländer in Westeuropa und auch die men. Sie waren genauso zuverlässig wie seine Be- unbestreitbaren Schwierigkeiten der USA im Feld merkungen über die öffentlichen Investitionen und der Haushalts- und Währungspolitik betrachten, anderes, meine Damen und Herren. dann wissen wir diesen Stabilitätsvorsprung schon zu schätzen. Es gibt uns benachbarte Länder der (Dr. Apel [SPD]: Herr Kollege Stoltenberg, Europäischen Gemeinschaft, deren Finanzminister das sind Antworten, die Sie uns auf Anfra für entsprechende Anleihen noch heute einen Zins gen gegeben haben!) von 13% oder 14 % zahlen müssen. — Wir kommen darauf zurück, wenn wir im neuen Deswegen müssen wir auch die richtigen Priori- Jahr täten in der Entwicklung des Europäischen Wäh- rungssystems diskutieren. Ich stimme hier dem (Dr. Apel [SPD]: Es tut mir leid, so einfach Aufsatz des geschätzten Kollegen können Sie es sich nicht machen!) in der „Zeit" nicht zu. Die Verbesserung der wäh- Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 105. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. November 1984 7797 Bundesminister Dr. Stoltenberg rungspolitischen Zusammenarbeit in Europa muß ten übernimmt. Das ist ein Vorschlag, der der Stär- von den richtigen Schwerpunkten her beginnen. kung des Europäischen Währungsystems dient. Erstens. Eine Reihe von Mitgliedstaaten müssen (Matthöfer [SPD]: Natürlich! — Zander größere Anstrengungen unternehmen, um die Infla- [SPD]: Das war auch nicht die Frage! — tion noch weiter herunterzubekommen. Weiterer Zuruf von der SPD: Das ist doch Zweitens. Wichtige Mitgliedsländer wie Frank- - kein Widerspruch!) reich und Italien müssen in einem mehrjährigen — Es ist ja gut, wenn wir keinen Widerspruch ha- Konzept die Liberalisierung ihrer Kapitalmärkte ben. Es ist sehr erfreulich, wenn es jedenfalls in der verwirklichen. Es gibt erste, aber unzulängliche Währungspolitik etwas mehr Einvernehmen als in der Haushaltspolitik gibt. — Ich erkenne ausdrück- Schritte. - (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU lich an, Herr Kollege Matthöfer — ich will das hier und der FDP) sagen —, daß zur Geschichte zwei Punkte festzuhal- ten sind. Erstens. Die kritischen Einwendungen ins- Drittens. Großbritannien als ein relativ starkes besondere der Bundesbank haben einen zu großen Land mit einer relativ stabilen Währung muß end- Schritt verhindert, für den die Voraussetzungen lich die vollen Rechte und Pflichten im Europäi- noch nicht da waren. Aber diejenigen — das gilt für schen Währungssystem übernehmen. den früheren Bundeskanzler Schmidt, und das gilt (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP so für Sie als damaligen Finanzminister —, die den wie bei Abgeordneten der SPD) ersten, begrenzt bemessenen Schritt durchgesetzt Es geht nicht an, daß ein so bedeutendes Land zwar haben, können auch heute sagen, daß bestimmte dabei ist, sich aber in der Frage der vollen Beteili- Befürchtungen jener Jahre nicht in Erfüllung ge- in gung am Wechselkurssystem, also am Floating-Sy- gangen sind. Das Europäische Währungssystem stem mit den Bandbreiten, eine Sonderrolle reser- seiner heutigen Ausgestaltung, auch in den Gren- viert. Das ist um so wichtiger, weil sich jetzt auch zen, die gegeben und geboten sind, hat ohne Zweifel die Frage der Einbeziehung der relativ schwachen einen Vorgang der externen Disziplin bei vielen Währungen Portugals und Spaniens in diesen Ver- wichtigen Ländern bewirkt. Der französische Fi- bund stellt. Das sind unsere Erwartungen, wenn nanzminister — der frühere und der jetzige — sag- darüber — wie ich höre — jetzt auch in Dublin von ten ausdrücklich, auch öffentlich — deswegen kann anderen und bei den neuen Diskussionen im näch- ich es hier zitieren —: Die Mitgliedschaft im Wäh- sten Jahr gesprochen werden soll. Demgegenüber rungssystem hat die Durchsetzung eines schwieri- ist die Frage der künftigen Rolle des ECU nicht die gen Stabilitätskurses in Frankreich in den letzten Frage von erster Priorität und Bedeutung. Wir re- 24 Jahren gefördert. — den mit der Bundesbank über die aufgeworfenen (Dr. Apel [SPD]: Richtig!) Themen, aber wir wollen nicht, daß man das Pferd Ich teile mit Ihnen diese positiven Bewertungen. vom Schwanz aufzäumt. Nur, wenn wir über die Verstärkung der währungs- politischen Zusammenarbeit in Europa reden, müs- sen wir die richtigen Prioritäten setzen. Wir sind für Herr Bundesminister, ge- Vizepräsident Wurbs: diese Verstärkung. Wir sind für den Ausbau der statten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Europäischen Gemeinschaft. Aber wir wollen unse- Matthöfer? ren Stabilitätsvorsprung auch halten, den wir durch eine große eigene Anstrengung gewonnen haben. Dr. Stoltenberg, Bundesminister der Finanzen: Ja, (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) bitte. Wir wollen anderen dabei helfen, daß sie mit eige- nen Anstrengungen mehr Stabilität gewinnen. Vizepräsident Wurbs: Bitte. (Zuruf des Abg. Kühbacher [SPD]) — Ich bin sehr damit einverstanden.

Matthöfer (SPD): Herr Kollege Stoltenberg, sind Sie sich darüber im klaren, daß Sie heute wie da- Vizepräsident Wurbs: Herr Bundesminister, ge- mals argumentieren und daß das Europäische Wäh- statten Sie eine weitere Zwischenfrage des Abge- rungssystem niemals zustande gekommen wäre, ordneten Apel? wenn man die Position bezogen hätte, die Sie heute beziehen, daß es nicht um die Ziele geht, sondern Dr. Apel (SPD): Herr Kollege Dr. Stoltenberg, ich um den Weg und um die Mittel, um diese Ziele zu formuliere das jetzt in einer Frage. erreichen? (Beifall bei der SPD) Dr. Stoltenberg, Bundesminister der Finanzen: Ja- wohl.

Dr. Stoltenberg, Bundesminister der Finanzen: Nein, Herr Kollege Matthöfer, ich kann Ihrer kriti- Dr. Apel (SPD): Möchten Sie bitte zur Kenntnis schen Zwischenfrage nicht folgen. Der Punkt 2, den nehmen, daß ich in diesem Fall das, was Sie eben ich beschrieben habe, ist, daß eines der wichtigsten gesagt haben, ausdrücklich für richtig halte und un- Mitgliedsländer dieses Währungssystems — Groß- terstreiche? britannien — endlich die vollen Rechte und Pflich- (Beifall bei der SPD) 7798 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 105. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. November 1984

Dr. Stoltenberg, Bundesminister der Finanzen: Ich beiten, und während die nachdenken, machen an- bedanke mich, ich begrüße das; ich höre das mit dere die Interviews. Das kommt halt in jeder Partei Befriedigung. mal vor. Das ist Schicksalsgemeinschaft über die Jetzt müssen wir uns, Herr Kollege Apel, nach Parteigrenzen hinweg. dieser Phase der Harmonie doch wieder einem kon- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — troversen Thema zuwenden. Frau Dr. Timm [SPD]: Bei uns wird das (Heiterkeit bei der CDU/CSU — Zander immer kritisiert! Das ist der kleine Unter [SPD]: Jetzt schlägt er wieder zu!) schied!) — Es ist doch gut, wenn in freier Rede so etwas ein- — Na gut. Wissen Sie, es gibt menschliche Erfah- mal im Deutschen Bundestag sichtbar wird, nach-- rungen über Parteigrenzen hinweg. Die verbinden dem wir hier so viele vorgelesene Manuskripte er- ja auch. Das ist einer der Gründe für die hervorra- lebt haben. gende menschliche Zusammenarbeit im Haushalts- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) ausschuß, die hier zu Recht gewürdigt wurde. Jeder hat da gelegentlich so seine Last in den eigenen Meine Damen und Herren, in der Einschätzung Reihen, gerade was Haushalts- und Finanzpolitik der Investitionshilfeabgabe und der Ergänzungsab- betrifft. gabe haben wir einen fundamentalen Auffassungs- unterschied. Herr Kollege Apel, hier war — nun Ich will hier ein paar Grundsätze noch einmal sage ich das einmal freundlich nach dieser Phase deutlich machen: Nein zur Ergänzungsabgabe, Dis- der Harmonie — Ihre Erinnerung nicht richtig; das kussion über eine eventuelle Lösung des sozialen ist die höflichste Beschreibung, um einen anderen Ausgleichs, die nicht eine Steuererhöhung bedeutet Sachverhalt zu kennzeichnen. Hier war Ihre Erin- und die nicht Investitionen beschwert. Was für mich nerung getrübt. Wir haben den Wählern 1982 nicht wichtiger ist, Herr Kollege Apel — ich lasse mal die Ergänzungsabgabe versprochen, davon kann Ihre Betrachtungen über die verfassungsrechtliche überhaupt keine Rede sein; denn die Ergänzungs- Seite fast ganz beiseite —, ist folgendes. Wir wollen abgabe ist, wie das jüngste Urteil des Bundesverfas- die Gesetzesvorlage zur Steuersenkung terminge- sungsgerichts deutlich gemacht hat, nur ohne ein recht auf den Weg und in das Gesetzgebungsverfah- Investitionsprivileg möglich. Alle Überlegungen, ren bringen. Ich bekräftige das hier ausdrücklich alle programmatischen Aussagen der CDU/CSU, für die Koalition und die Bundesregierung. Unser alle Diskussionen der Koalition beinhalteten, daß Ziel bleibt, daß die Gesetzgebung im Bundesrat und ein Sonderbeitrag der Bezieher gehobener Einkom- Bundestag im Januar beginnen kann, daß vor allem men — mir gefällt der Ausdruck Besserverdienende dieses Hohe Haus und sein Finanz- und Steueraus- auch nicht so sehr —, der Bezieher höherer und schuß bis zum Frühjahr genügend Zeit haben, die gehobener Einkommen, nur unter dem Vorzeichen Ausschußberatungen zu führen, daß die Abschluß- möglich ist, daß Investitionen dadurch nicht behin- beratung und die Verabschiedung vor der Sommer- dert werden. pause erfolgen, damit das Gesetz 1986 in seiner ersten Stufe in Kraft treten kann. Die Vorlage des (Abg. Dr. Apel [SPD] meldet sich zu einer Bundesfinanzministers wird ungeachtet von allen Zwischenfrage) möglichen öffentlichen Betrachtungen aus dem La- — Ich habe Sorge wegen der Redezeit, Herr Kollege ger der Koalitionsparteien über neue Elemente Apel. oder eine Stufe, zwei oder drei Stufen und Tarife Bei aller Bereitschaft, mit Ihnen zu diskutieren, hin und her erstellt, und die Vorlage des Bundesfi- muß ich Ihnen sagen: Die Ergänzungsabgabe, die nanzministers beruht auf den Koalitionsvereinba- Sie beantragen, macht es nicht möglich, diejenigen, rungen vom 20. Juni 1984 und dem Kabinettsbe- die investieren, davon freizustellen. Deshalb ist die- schluß vom 3. Juli 1984. Selbstverständlich ist das ser Vorschlag auf dem Hintergrund unserer pro- die Grundlage. grammatischen Aussagen und Diskussionen vor Meine Damen und Herren, wir wollen in der er- und nach der Bundestagswahl für uns nicht an- sten Stufe ab 1986 die Kinderfreibeträge einführen, nehmbar. Nehmen Sie es so zur Kenntnis. den Grundfreibetrag erhöhen und einen Zwischen- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) tarif vorsehen, dem 1988 die volle Tarifentlastung Nicht alles, was einige Politiker der Christlich folgen soll. Dieser Vorrang der Familienpolitik und Demokratischen Union und der Freien Demokrati- des Grundfreibetrages ist natürlich auch Ausdruck schen Partei in den letzten 14 Tagen nach dem eines sozialen Akzents dieses Konzeptes, den ich Urteil des Bundesverfassungsgerichts zu dieser hier noch einmal unterstreiche. sorgfältigen internen Diskussion öffentlich beige- (Beifall bei der CDU/CSU) tragen haben, war dazu geeignet, die ernsthaften Überlegungen der Koalition für jedermann sichtbar Herr Kollege Apel, es ist wirklich nicht gut, wenn zu machen. Das will ich hier mal ausdrücklich sa- Sie in Verbindung mit den Kinderfreibeträgen nun gen. hier von der Begünstigung der Millionärskinder re- den. (Hoffmann [Saarbrücken] [SPD]: Sehr schön! Wunderbar!) (Dr. Apel [SPD]: Aber das ist doch so!) Es gibt gelegentlich — Herr Kollege Apel, die Er Sie unterschlagen — dies nehme ich Ihnen wirklich fahrung haben Sie auch gemacht — die Arbeitstei übel —, daß es parallel dazu die Einführung eines lung, daß die einen in einer Koalition ernsthaft ar Kindergeldzuschlages von bis zu 45 DM pro Kind Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 105. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. November 1984 7799

Bundesminister Dr. Stoltenberg für die Bezieher der untersten Einkommen über Ein erheblicher Prozentsatz davon trägt Ihre Hand- das Kindergeld gibt. schrift. (Zuruf von der SPD: Feigenblattlösung!) (Zander [SPD]: Aber Sie holen inzwischen mächtig auf!) Wenn Sie sagen, daß bei einem Mitbürger, einer alleinstehenden Frau oder einem Ehepaar mit ei- Seien Sie ein bißchen vorsichtiger in solchen Dis- nem verfügbaren Einkommen von 1 000 oder 1 500 kussionen. Die Vergangenheit holt Sie immer wie- DM bei zwei Kindern eine Verbesserung der Kin- der ein. dergeldzahlungen von 90 DM im Monat — das sind Meine Damen und Herren, als letztes möchte ich über 1 000 DM verfügbares Einkommen im Jahr — noch kurz das Stichwort Finanzpolitik im Bundes- ein Feigenblatt ist, muß ich sagen: Sie haben jeden - staat ansprechen; das spielte doch auch in Ihrer Maßstab in einer ernsthaften finanz- und familien- Diskussion eine Rolle. Ich hätte Neigung, werde es politischen Diskussion verloren. aber aus Zeitgründen nicht tun, die einstimmig ver- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) abschiedete Stellungnahme des Finanzplanungsra- tes vom 23. November 1984 hier vorzulesen. Ich will mich nur auf den von Ihnen besonders behandelten Vizepräsident Wurbs: Herr Bundesminister, ge- Punkt der kommunalen Finanzen beziehen. Der Fi- statten Sie eine Zwischenfrage der Frau Abgeord- nanzplanungsrat sagte hier in der letzten Woche — neten Matthäus-Maier? das ist sechs Tage her — einstimmig, mit den Ver- tretern der kommunalen Spitzenverbände und den sozialdemokratischen Finanzministern — ich zi Dr. Stoltenberg, Bundesminister der Finanzen: tiere —: Frau Matthäus-Maier, ich tue es nur mit Rücksicht auf die anderen Kollegen nicht. Der Finanzplanungsrat stellt fest, daß die not- wendige Umschichtung in den Haushalten in Ich muß Ihnen noch einmal sagen, daß Sie, der Richtung zu mehr Wachstum und Beschäfti- Sie hier große Sprüche machen, Herr Kollege Apel, gung Fortschritte macht. So wird für 1985 ins- als Mitglied der Bundesregierung vor wenigen Jah- besondere ein Wiederanstieg der gemeindli- ren das Kindergeld für diese sozial Schwachen ge- chen Investitionen erwartet. kürzt haben, während bei unserer Kürzung beim Wir haben in die Projektion für 1985, Herr Kollege Kindergeld eine Einkommensgrenze eingeführt wurde, die ausschließlich die Bezieher gehobener Apel, eine Zunahme der kommunalen Investitionen und höherer Einkommen von dieser Kürzung be- von mindestens 4,5% hineingenommen. Und die Ih- troffen sein ließ. Ich muß Ihnen sagen, daß Sie zu nen gut bekannten, angesehenen Repräsentanten keinem Zeitpunkt an eine solche soziale Differen- der Spitzenverbände haben in dieser Sitzung aus- drücklich gesagt, es sei realistisch, es gebe in der zierung zugunsten der Bezieher niedrigster Ein- kommen gedacht haben. zweiten Jahreshälfte 1984, wie ich unter Berufung auf die Bundesbank vor einigen Wochen sagte, Zei- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) chen für eine Trendwende. Und diesen Sachverhalt Sie haben sich auf ein Nein zu Kinderfreibeträgen benutzen Sie unter Verwendung von sechs Monats- beschränkt, das ich für falsch halte. Darüber kön- zahlen der ersten Hälfte 1984 zu wilden Attacken nen wir doch einmal diskutieren. gegen meine Aussagen. Mir ist das vollkommen un- verständlich, Herr Kollege Apel. Sie sollten Ihre Re- Und ich muß Ihnen auch sagen, Herr Kollege dezeit besser nutzen, wenn Sie das nächste Mal hier Apel: Sie sollten nicht so über uns reden, wenn wir mit Wirkung vom 1. Januar 1985 die von Ihnen be- zum Angriff antreten. schlossene Kürzung für die Eltern mit arbeitslosen (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Kindern wieder rückgängig machen und ihnen wie- der eine verstärkte soziale Hilfe geben. Das alles, Vizepräsident Wurbs: Herr Bundesminister, ge- was Sie hier machen, ist nicht in Ordnung. Das alles statten Sie eine Zwischenfrage? ist nicht in Ordnung und nicht vertretbar. FDP — (Beifall bei der CDU/CSU und der Bundesminister der Finanzen: Ja, [SPD]: Sie haben sich auf die Dau Dr. Stoltenberg: Zander ich muß das beim Kollegen Apel machen, da wir erarbeitslosigkeit eingerichtet, deshalb hier im Dialog sind. Bitte sehr. müssen Sie es tun!) Meine Damen und Herren, zum Urteil des Bun- desverfassungsgerichts will ich nur sagen: Ich habe Dr. Apel (SPD): Herr Kollege Stoltenberg, damit die Rechtsprechung aus dem Jahre 1954 vollkom- wir ganz genau sind: Sie haben im September hier men korrekt zitiert. Sie hat damals gesagt: Die In- bei der ersten Lesung gesagt, nach Ihren Informa- vestitionshilfeabgabe ist auch in Form einer tionen gingen die kommunalen Investitionen der- Zwangsanleihe möglich. — Das Verfassungsgericht zeit um 1 Milliarde DM nach oben, und zu derselben hat hier einen neuen Akzent gesetzt. Aber, Herr Zeit hat das Statistische Bundesamt zweifelsfrei Kollege Apel, in Ihrer Regierungszeit hat das Bun- das Gegenteil nachgewiesen. Nur dieses habe ich desverfassungsgericht sage und schreibe 86 gesetz- Ihnen gesagt. Was das Jahr 1985 bringen wird, wer- liche Vorschriften, Einzelbestimmungen als rechts- den wir sehen. widrig bezeichnet. (Zurufe von der CDU/CSU: Frage!) (Hört! Hört! bei der CDU/CSU) Darüber heute zu streiten hat keinen Zweck. 7800 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 105. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. November 1984

Dr. Stoltenberg, Bundesminister der Finanzen: sen Sie uns alle nach dem Streit, der unvermeidbar Herr Kollege Apel, Sie haben — ich habe jetzt fast ist, die Kräfte der begründeten Zuversicht stärken. den Eindruck — unbewußt an meiner Aussage vor- (Anhaltender Beifall bei der CDU/CSU und beigeredet. Ich habe im September von Anzeichen der FDP) für das Jahr 1984 gesprochen, mich übrigens bezo- gen auf den letzten Monatsbericht der Bundesbank, Das Wort hat der Abgeord- die diese Dinge ja mit besonderer Aktualität ver- Vizepräsident Wurbs: nete Wieczorek (Duisburg). folgt. Das war meine Quelle.

Es ist unzulässig, eine Einschätzung, die ich im Wieczorek (Duisburg) (SPD): Herr Präsident! September für 1984 abgegeben habe, mit sechs Mo- Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich natszahlen aus der ersten Jahreshälfte widerlegen- würde gern an den Appell anknüpfen, den Herr zu wollen. Das ist in einer statistisch und metho- Bundesminister Stoltenberg gerade an uns gerich- disch sauberen und einwandfreien Diskussion un- tet hat, nämlich die Dinge gemeinsam anzupacken. zulässig. Das sage ich auf Ihre Frage und wende Gemeinsam und harmonisch, so wie es auch schon mich jetzt einem anderen Thema zu. zweimal in dieser Debatte angeklungen ist, wäre es (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — uns am liebsten. Es wäre uns sehr lieb, zumal das Carstensen [Nordstrand] [CDU/CSU]: Hin eigentliche Ziel, das sich dieser Bundesfinanzmini- setzen!) ster gestellt hat, nämlich den Haushalt zu konsoli- dieren, nicht nur nicht erreicht ist — da bin ich mit Herr Kollege Apel, es hat auch keinen Sinn, daß Ihnen voll auf einer Wellenlänge, Herr Minister —, Sie weiterhin die schlechte Lage der kommunalen sondern noch gar nicht begonnen wurde. Sie erzäh- Finanzen beklagen. Auf dieser Sitzung des Finanz- len immer nur etwas von Konsolidierung, nur, Sie planungsrates gab es eine Diskussion mit den kom- konsolidieren nicht. munalen Vertretern: ob die kommunalen Gebiets- körperschaften — wie wir annehmen — im Saldo Es ist auch geradezu eine Unverschämtheit, wie Sie weltwirtschaftliche Entwicklungen im negati- 1985 bereits einen Überschuß von 2 1 / 2 bis 3 1 / 2 Mil- liarden DM haben werden oder sich — was die ven Fall der früheren Koalition anrechnen, im posi- tiven Fall aber zu Ihrer eigenen Leistung machen. kommunalen Spitzenvertreter meinten — für sie eher ein Ergebnis von plus/minus Null abzeichnet. (Beifall bei der SPD) Aber selbst wenn das Ergebnis im nächsten Jahr Herr Dr. Stoltenberg, Haushaltspolitik, Finanzpo- wäre — wie die Sprecher der kommunalen Spitzen- litik müssen intellektuell redlich gemacht werden. verbände unterstellen —, daß sie keine Über- Es hat keinen Zweck, sich Zahlen auszuwählen, die schüsse haben, aber auch keine Schulden mehr ma- man gerade haben möchte. Vielmehr muß man von chen müssen, wäre das doch geradezu ein phanta- denen ausgehen, die sich einem bieten, und man stischer Fortschritt gegenüber den Jahren, in denen muß sie im Rahmen der Zusammenhänge sehen, Sie in Bonn auch für die Kommunen Verantwor- die wir von unserer Haushaltssystematik her ein- tung getragen haben. fach vorgegeben bekommen haben. (Beifall bei der CDU/CSU) (Unruhe) Deswegen ist mir der laute Schrei nach der Ge- meindefinanzreform etwas unverständlich. Die hät- Vizepräsident Wurbs: Herr Abgeordneter, gestat- ten Sie einmal zu dem Zeitpunkt machen sollen, als ten Sie einen Augenblick. die Kommunen jedes Jahr 8, 10, 12 Milliarden DM Meine Damen und Herren, ich darf doch bitten, Schulden aufnehmen mußten. Platz zu nehmen oder die Gespräche draußen fort- zusetzen. (Sehr wahr! bei der CDU/CSU) Bitte fahren Sie fort. Wir haben ihnen durch die politischen Entscheidun- gen der vergangenen Jahre geholfen, im Saldo wie- Wieczorek (Duisburg) (SPD): Herzlichen Dank, der zu vernünftigen finanziellen Verhältnissen zu Herr Präsident. kommen. Ich sage Saldo, weil es natürlich Unter- schiede zwischen den kommunalen Gebietskörper- Ich möchte trotzdem versuchen, meine Damen schaften gibt. Das weiß jeder. Die einen machen und Herren, mit der diesem Thema angemessenen Rücklagen, und die anderen machen immer noch Sachlichkeit unsere Vorstellungen hier deutlich zu Schulden. Aber wir müssen ja von der Gesamtrech- machen. Als wir bei der ersten Lesung unsere Mei- nung ausgehen. nung gesagt haben, haben wir Ihnen, Herr Dr. Stol- tenberg, unsere Kritik in drei Punkten vorgehalten: Auch in der Verbesserung der Zusammenarbeit Erstens. Dieser Haushaltsentwurf schafft keine zu- im Bundesstaat können wir erhebliche Fortschritte sätzliche Arbeit. Dafür ist das Ausgabenvolumen zu verzeichnen. Ich sage das mit großer Genugtuung. niedrig, dazu ist die Investitionstätigkeit des Bun- Mir lag daran, deutlich zu machen, daß die großen des zu gering. Zweitens. Dieser Haushaltsentwurf Aufgaben noch nicht gemeistert sind, auch nicht in enthält keine zusätzlichen Ansätze zur Verbesse- der Konsolidierung. Aber der jetzt zur Entschei- rung der Umweltsituation. Drittens. Dieser Haus- dung vorliegende Haushaltsentwurf des nächsten halt dokumentiert die Fortsetzung der unsozialen Jahres stellt die Weichen richtig. Er ist Anlaß zu Kürzungspolitik. einer zuversichtlicheren Betrachtung auch in sei- (Beifall bei der SPD — Zander [SPD]: Das nen wirtschaftlichen und sozialen Wirkungen. Las- ist leider wahr!) Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 105. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. November 1984 7801

Wieczorek (Duisburg) Meine Damen und Herren, Arbeit, Umwelt, so- weltbereich zu fördern und gleichzeitig Arbeit zu ziale Gerechtigkeit — das sind die Themen, denen schaffen. Das ging von der Verbrennungstechnolo- sich ein Haushaltsminister nicht entziehen kann gie über den Schallschutz bis zu zusätzlichen Mit- und nicht entziehen darf, Herr Dr. Stoltenberg. Das teln für die Kreditanstalt für Wiederaufbau, damit sind Themenbereiche, in denen wir unsere Alterna- sie in die Lage versetzt wird, zinsgünstige Darlehen tiven vorgelegt haben. zu geben. Alles das blieb ohne Erfolg. Wer jedoch von den Beratungen im Haushalts- (Austermann [CDU/CSU]: Das war ein ausschuß eine Verbesserung in diesen Bereichen Schuß in den Ofen!) erwartet hatte, muß bitter enttäuscht sein. Der — Es war ein Schuß in den Ofen, Herr Kollege. Das Haushalt 1985 ist nun erst recht beschäftigungs- - will ich gern zugestehen. Trotzdem bin ich traurig, feindlich. Der Haushalt 1985 enthält immer noch weil Sie sachgerechten Argumenten nicht zugäng- keine zusätzlichen Initiativen zur Bewältigung der lich sind. Umweltkrise. Der Haushalt 1985 hat nach der Bera- tung im Ausschuß mit sozialer Gerechtigkeit, meine (Beifall bei der SPD) Damen und Herren, überhaupt nichts mehr zu tun. Wir hätten es sehr gern gehabt, wenn Sie sich (Zustimmung bei der SPD) etwas stärker den Elementen der sozialen Gerech- tigkeit zugewandt hätten, denn diese findet man Wir Sozialdemokraten — das gestehen wir offen, nach den Beratungen im Ausschuß im jetzt vorge- aber sehr traurig ein — haben unser Ziel nicht legten Haushalt überhaupt nicht mehr. erreicht. Vor den Ausschußberatungen dokumentierte sich (Dr. Probst [CDU/CSU]: Das ist richtig!) die soziale Ungerechtigkeit der Politik dieser Regie- Wir haben uns mit unseren Vorschlägen im Aus- rung in der massiven Kürzung des Sozialetats. schuß nicht durchsetzen können. Nach den Ausschußberatungen ist mit der Strei- chung der Mittel für die Zwangsanleihe (Glos [CDU/CSU]: Weil sie schlecht wa auch das allerletzte soziale Feigenblatt gefallen. ren!) (Beifall bei der SPD) Die Kollegen von der Regierungskoalition sind un- beweglich wie nie. Ersatzlösungen verweigern Sie sich, meine Da- men und Herren von der Koalition, beharrlich, und Das Recht des Parlaments, meine Damen und unsere Forderung nach einer Ergänzungsabgabe Herren, den Haushalt zu gestalten, steht in meinen haben Sie rundweg abgelehnt. Auch diejenigen, die Augen nur noch auf dem Papier. Ich habe den Ein- in Ihren eigenen Reihen nach wie vor einen solchen druck, daß hier nur noch Regierungsvorgaben Solidarbeitrag für erforderlich halten, werden vom durchgepaukt werden. FDP-Vorsitzenden als Erfinder von Neidsteuern be- (Glos [CDU/CSU]: Das ist überhaupt nicht schimpft und diffamiert. Wir geben Ihnen Gelegen- wahr!) heit, heute mittag in namentlicher Abstimmung Das hat nichts mit der menschlichen Harmonie im Ihre persönliche Haltung zu einem Solidarbeitrag Ausschuß zu tun. zu dokumentieren. Sehen wir uns trotzdem einmal die Ergebnisse (Beifall bei der SPD) der Ausschußberatungen an. Die Gesamtausgaben Nach den Beratungen im Haushaltsausschuß sind gegenüber dem Entwurf um rund 1 Milliarde muß das Fazit lauten: Sie haben zwar die Nettokre- DM gekürzt worden. Damit bleibt gegenüber dem ditaufnahme um eine Milliarde DM erhöht — ein Soll 1984 ein Ausgabenzuwachs von 0,9 %, gegen- Vorgang, der in den letzten 15 Jahren im Haushalts- über dem Ist ein solcher von 2 % bis 3%. ausschuß noch nie zu erkennen war — und beim Die Kürzungen gingen fast ausschließlich zu La- Bundesbankgewinn zwei Milliarden DM draufge- legt; Sie haben aber keinen Pfennig für zusätzliche sten der investiven Ausgaben im Bundeshaushalt. Sie wurden um weitere 500 Millionen DM zusam- Arbeit, keinen Pfennig für zusätzliche Umweltinve- mengestrichen und betragen nur noch 35,3 Milliar- stitionen und erst recht keinen Pfennig für soziale Gerechtigkeit. den DM. Das ist noch weniger, als für dieses Jahr angesetzt war. Herr Dr. Stoltenberg, das liegt nicht Herr Bundesfinanzminister, nachdem Sie nun Ih- an der Auflösung der Mischfinanzierung. Sie geben ren dritten Haushalt vorgelegt haben, ist dies Anlaß 1 Milliarde DM Investitionen für die Krankenhaus- für mich, den Versuch einer Zwischenbilanz Ihrer finanzierung an die Länder zurück und überneh- Politik zu ziehen. Ich scheue dabei nicht den Blick men dafür aber 500 Millionen DM Investitionen aus in die Vergangenheit. Wir haben zusammen mit der dem Wohnungsbau. Hier wird wiederum das, was FDP, die hier immer wieder begeistert klatscht, ich Ihnen als intellektuell unredlich vorgeworfen wenn ihre eigene Vergangenheit kritisiert wird, in habe, deutlich. den drei Haushalten 1980, 1981 und 1982 eine Finan- zierungslücke, Herr Kollege Hoppe, von insgesamt (Beifall bei der SPD) 115 Milliarden DM gehabt. Dabei rechne ich immer, Gesamtwirtschaftliche und beschäftigungspoliti- wie von der CDU ständig gefordert, die Nettokredit- sche Impulse kann man von diesem Haushalt nicht aufnahme von 15 Milliarden DM schon mit ein. Das erwarten. Arbeit, Umwelt, soziale Gerechtigkeit — ist eine durchschnittliche Finanzierungslücke von das sind unsere Forderungen an die Haushaltspoli- 38 Milliarden DM pro Jahr — viel zuviel, wie ich tik. Wir haben deshalb versucht, Initiativen im Um- zugebe. Wir haben diese Mittel eingesetzt, um zu- 7802 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 105. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. November 1984

Wieczorek (Duisburg) sätzlich Arbeit zu schaffen, was man an den damali- sieht. Nur: Wie kommt es dazu? Die 6 % — im Durch- gen niedrigeren Arbeitslosenzahlen deutlich able- schnitt 2 % pro Jahr — sind gekommen, weil Sie sen konnte. ganz massive Einschnitte bei den Sozialausgaben vorgenommen haben, weil Sie die beschäftigungs- Ihre Bilanz, Herr Dr. Stoltenberg, sieht so aus. Sie wirksamen Investitionen gekürzt haben, weil Sie haben 1983 eine Nettokreditaufnahme von 31,5 Mil- Lasten auf die Länder und Gemeinden und auf die liarden DM und einen Bundesbankgewinn von Sozialversicherung verschoben haben. Das ist die 11 Milliarden gehabt. Sie haben 1984 eine Nettokre- soziale Gerechtigkeit, die für die Beschäftigung in ditaufnahme von 31 Milliarden — es wird wahr- unserem Land sehr schlimm ist. scheinlich etwas weniger — und einen Bundes- bankgewinn von 11,4 Milliarden DM — geplant. Für (Beifall bei der SPD) - 1985 erwarten Sie eine Nettokreditaufnahme von Sie können das an der Arbeitslosigkeit ablesen. rund 25 Milliarden DM und schätzen Sie den Bun- Ich will Sie jetzt mit einer Folge Ihrer Politik kon- desbankgewinn — wie immer sehr vorsichtig — auf frontieren: Im Jahre 1982 — für Sie ja immer Be- 12,5 Milliarden. zugsjahr für negative Kritik an Sozialdemokraten Wenn ich nun immer schön nach Ihrem eigenen — haben wir 1,8 Millionen Arbeitslose gehabt; auch alten Rezept zusammenzähle, dann weisen die das war damals schon zu viel. Sie sind jetzt bei drei Haushalte, für die Sie Verantwortung tragen, 2,2 Millionen Arbeitslose und gehen davon aus, daß 40 Milliarden DM durchschnittliche Fehlbeträge sich diese Zahl nicht besonders ändert. auf. (Austermann [CDU/CSU]: Davon gehen (Dr. Schwörer [CDU/CSU]: Sie Rechen wir nicht aus! Wir gehen davon aus, daß die künstler!) Zahl nach unten geht! — Zuruf von der CDU/CSU: Sie wollen wohl 3 Millionen ha Von 38 Milliarden DM, die wir gehabt haben, auf ben?) 40 Milliarden DM, die Sie jetzt haben, das feiern Sie als einen Erfolg, als ob es heute besser wäre als frü- Ich muß Ihnen ehrlich sagen: Ich bin ganz betrübt her, und Sie wollen dem deutschen Volk vermitteln, darüber, daß Sie diese Zahl von rund 2 Millionen Sie würden die Nettokreditaufnahme herunterfüh- Arbeitslosen als eine Sockelarbeitslosigkeit anse- ren. In Wirklichkeit geht sie rauf. hen, hinsichtlich der Sie nichts tun, um sie in ir- gendeiner Form zu beseitigen. (Beifall bei der SPD — Austermann [CDU/ CSU]: Wo denn? — Dr. Schwörer [CDU/ (Beifall bei der SPD) CSU]: Und die Zinsen, die wir zahlen! — Das ist schon schlimm, wenn man sich nämlich Zurufe von der CDU/CSU: Das ist die neue ansieht, wie Sie sich, Herr Dr. Stoltenberg, in der Mengenlehre! — Taschenspielertricks! — Zwischenzeit beim Steuerzahler bedient haben. In Peinlich für jedes Milchmädchen! — Wei den letzten drei Jahren, in denen Sie hier die Ver- tere Zurufe von der CDU/CSU) antwortung tragen, sind die Steuereinnahmen des — Wenn Sie Ihre Zwischenrufe, meine Herren Kol- Bundes — ohne eine Steueränderung — um 14 % legen, so konzentriert machen, daß ich sie verste- gestiegen. Wenn ich dann noch das gegenrechne — hen kann, würde ich sie gern auch den Zuschauern das muß man ja redlicherweise auch tun —, was Sie am Fernsehschirm übersetzen. Aber leider ist es an Steuervergünstigungen an Unternehmen und nur ein Gemurmel. Aber ich habe von Ihnen auch Großbauern verteilt haben, dann komme ich sogar noch nie etwas anderes gehört. auf eine Steigerung der Steuereinnahmen von 15,5%. Allein der Bund hat in den letzten drei Jah- (Dr. Schwörer [CDU/CSU]: Sagen Sie doch ren 29 Milliarden DM mehr aus zusätzlichen Steu- etwas zu den Zinsen, die wir in der Zeit ereinnahmen kassiert. Wenn wir diese Mittel für bezahlt haben!) eine sinnvolle Konsolidierung des Bundeshaushalts — Nein: Die nicht Sie bezahlt haben, sondern die hätten einsetzen können, Herr Dr. Stoltenberg, wir alle, Herr Kollege, bezahlt haben. (Austermann [CDU/CSU]: Wir haben sie (Dr. Stavenhagen [CDU/CSU]: Wir zahlen eingesetzt, wir haben sie ja für den Abbau die Zinsen für Ihre Schulden!) der Verschuldung eingesetzt!) — Wenn Sie zugehört hätten, hätten Sie bemerkt: hätten wir jetzt keine Schwierigkeiten, die Steuer- Ich habe von Anfang an für meinen Teil die Verant- reform in einem Rutsch zu finanzieren. Aber dazu wortung übernommen. Davor scheue ich mich nicht. hatten Sie nicht die innere Kraft. Ich habe Ihnen von vornherein gesagt: Die Konsoli- (Beifall bei der SPD — von Schmude dierung ist nicht nur nicht abgeschlossen, sondern [CDU/CSU]: Dazu haben Sie uns zu viel sie hat noch nicht begonnen. Das wollte ich Ihnen Schulden hinterlassen!) hiermit beweisen. Ich hoffe, Sie gehen da weiter mit. Das, was Sie im Augenblick als Konsolidierung ver- kaufen, ist keine Konsolidierung, sondern ist Um- Ich will Ihnen auch sagen, wie es im Grund ge- verteilungspolitik, die Sie in höchstem Maße voll- kommen ist. In den vergangenen drei Jahren, Herr ziehen. Stoltenberg — jetzt sehe ich Sie direkt; da kann ich Sie besser ansprechen —, haben Sie eine Ausgaben- Wenn Sie das bestreiten: Bei der Abstimmung steigerung von 6 % gehabt. Das ist eine beachtliche über unsere Vorlage zur Ergänzungsabgabe können Senkung, wenn man die anderen Haushalte an- Sie j a beweisen, daß Sie eine andere Politik im Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 105. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. November 1984 7803

Wieczorek (Duisburg) Auge haben. Sie, Herr Dr. Stoltenberg, haben allein der CSU eingesehene Differenz bei der sozialen Ge- die Nettokreditaufnahme im Auge und leugnen die rechtigkeit nicht ausgleichen muß. gesamtwirtschaftlichen Auswirkungen Ihrer Poli- tik. Sie sind der Oberbuchhalter der Nation, Herr Bundesfinanzminister, Sie rechnen sich arm und setzen die Steuerannahmen und die Bun- (Lachen und Widerspruch bei der CDU/ desbankgewinne zu niedrig an. Dann kann man ja CSU) zur Not dem eigenen Klientel noch einmal ein paar aber nicht der Finanzminister dieses Landes. Sonst Milliarden drauflegen. Sie suchen durch Ihre fal- hätte Herr Dr. Stoltenberg bei seinem Lob über den schen Zahlen gleichzeitig eine bessere Position bei Sachverständigenrat uns soeben doch sicherlich den Verhandlungen mit den Ländern zu erreichen. auch mitteilen müssen, daß der Sachverständigen - - Anders ist es nämlich nicht zu erklären, daß Sie für rat für das nächste Jahr klar und deutlich gesagt das nächste Jahr ein gesamtstaatliches Defizit von hat, daß er mit einer wesentlich geringeren Netto- 39 Milliarden DM erwarten, während die Sachver- kreditaufnahme der öffentlichen Hand insgesamt ständigen nur mit 29 Milliarden DM rechnen. rechnet als der Bundesfinanzminister, und zwar mit Am Ende bleibt man unter der veranschlagten 10 Milliarden DM weniger. Neuverschuldung. Ihr haushaltspolitisches Ziel ist Der Sachverständigenrat, Herr Dr. Stoltenberg, dann damit erfüllt. Arbeit, Umwelt und soziale Ge- hat Ihnen aber auch noch etwas anderes ins rechtigkeit sind aber dabei auf der Strecke geblie- Stammbuch geschrieben. Er hat Ihnen nämlich ge- ben. Nur einen gemeinsamen Nenner haben alle sagt, daß Sie Ihre finanzpolitischen Ziele noch nicht Ihre Aktivitäten: Sie sind auf Umverteilung von un- richtig formuliert haben, daß sie noch nicht klar for- ten nach oben ausgerichtet. Das ist der eigentliche muliert sind. Sie haben nämlich ein haushaltspoliti- Inhalt Ihrer Konsolidierungsvorstellungen. sches und kein finanzpolitisches Ziel. Ich muß Sie (Beifall bei der SPD) einfach fragen, Herr Dr. Stoltenberg: Was verstehen Sie eigentlich unter Konsolidierung? Sozialabbau, Meine Damen und Herren, wir haben in der er- Abbau des strukturellen Defizites — das wäre ja sten Lesung angekündigt, daß wir mit unseren Än- vernünftig —, Verminderung der Neuverschuldung derungsanträgen versuchen werden, Sie hinsicht- durch Einstellung des Bundesbankgewinns in den lich der Themen Arbeit, Umwelt und soziale Ge- Haushalt, Steuersenkung für Unternehmer, Steuer- rechtigkeit umzustimmen. Wir haben dazu zur zwei- subventionen für die Landwirtschaft, und zwar für ten und dritten Beratung eine Reihe von Anträgen Großbauern, vorgelegt. (Stockhausen [CDU/CSU]: Das ist doch bil Um Arbeit zu schaffen und um gleichzeitig die lig!) Umweltsituation zu verbessern, fordern wir eine deutliche im Einsparen von Milliardenbeträgen bei den Sozial- Verstärkung der investiven Ausgaben Bundeshaushalt. Dafür wollen wir beispielsweise ausgaben, und das Jahr für Jahr? Herr Dr. Stolten- eine Kapitalzuführung an die berg, wieso fallen die Haushaltsansätze und die Ist Kreditanstalt für Wiederaufbau in Höhe von 500 Millionen DM, um Ergebnisse bei Gesamtausgaben, Investitionen und diese in die Lage zu versetzen, als Einstieg in ein Bundesbankgewinn bei Ihnen immer so weit aus- künftiges Sondervermögen Arbeit und Umwelt zu- einander? sätzliche Darlehen zu zinsgünstigen Konditionen (Austermann [CDU/CSU]: Positiv!) zur Finanzierung von Umweltschutzinvestitionen — Es gibt hier kein positives oder negatives Ausein- zu gewähren. anderfallen. Denn wenn Sie ein sogenanntes positi- Wir wollen mehr Mittel für die Bundesbahn; wir ves Auseinanderfallen haben, haben Sie der Wirt- wollen mehr Mittel für Bundesautobahnen, und schaft irgendwo zu viel Geld entzogen, Herr Kolle- zwar hier für Umweltschutzmaßnahmen an Ver- ge, das Sie nicht in Arbeit umwandeln können, und kehrswegen. Wir wollen mehr Mittel für verbes- da setzt unsere Kritik an. Es ist kein Positivum, serte Forschung im Bereich der Umwelttechnologie wenn der Bundesfinanzminister eine bestimmte und insbesondere der Verbrennungstechnologie. Ausgabenschwelle nicht erreicht, weil er der Wirt- schaft damit möglicherweise große Mittel entzieht, Wir wollen aber auch die Bundesanstalt für Ar- die in Arbeit umgesetzt werden können. Genau das beit durch einen Zuschuß von 2,7 Milliarden DM in ist unser Kritikpunkt, den wir hier bei Ihnen insge- die Lage versetzen, die Rücknahme der unsozialen samt haben. Kürzungen der vergangenen Jahre zu finanzieren, damit mehr für aktive Beschäftigungsförderung ge- (von Schmude [CDU/CSU]: Dann sagen Sie tan werden kann. doch einmal, wem wir das Geld aus der Tasche ziehen!) (Kroll-Schlüter [CDU/CSU]: Aber wie wol len Sie das alles bezahlen?) Mir scheint es aber so zu sein, daß der Bundesfi- nanzminister in der Tat eine gewisse Strategie hat, — Ich komme gleich darauf zu sprechen, wie wir es nämlich eine Strategie, die mit der inneren Struk- bezahlen wollen; keine Sorge, Herr Kollege. tur dieser Regierung zusammenhängt. Er ist dazu (Kroll-Schlüter [CDU/CSU]: Mit Schul gezwungen, sich arm zu rechnen, damit die Begehr- den!) lichkeiten seiner Kollegen im Kabinett nicht noch größer werden. Er muß es auch tun, damit er die Zur Finanzierung haben wir nämlich sehr konkrete eigentlich von vielen Kollegen in der CDU und in Vorschläge gemacht. Wenn Sie gleich der Ergän- 7804 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 105. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. November 1984

Wieczorek (Duisburg) zungsabgabe zustimmen, dann haben wir eine wun- merkenswert, wieviel Mühe sich die Opposition gibt derschöne Finanzierungsbasis für alles. — ob nun mit Polemik, mit lautem Wortgeklingel (Beifall bei der SPD) oder sogar mit falschen Behauptungen, etwa über klassenbewußte Umverteilung —, die Erfolge der Ich sage Ihnen aber noch einmal, was wir nicht Bundesregierung zu verschleiern. wollen. Wir wollen keine Finanzierung durch Um- verteilungspolitik. Wir wollen Umschichtungen im (Dr. Diederich [Berlin] [SPD]: Sie ver Haushalt. Das ist richtig. — Herr Präsident, meine suchen, den Schleier festzuhalten, Herr Fraktion verlängert meine Redezeit sicherlich noch Hackel! — Weitere Zurufe von der SPD) um zwei bis drei Minuten. Heute morgen hat Herr Apel einige falsche Zah- (Lachen bei der CDU/CSU) - len genannt. Herr Wieczorek hat das jetzt wieder — Das wird sie sicherlich tun. sehr moderat getan. Aber was immer Sie sagen, eines bleibt doch richtig, Herr Wieczorek: Die öf- fentliche Verschuldung ist seit 1982/83, seitdem die Vizepräsident Wurbs: Herr Abgeordneter, ich darf Sie darauf aufmerksam machen, daß diese Zeit CDU/CSU zusammen mit .der FDP die Regierung dann den Rednern Ihrer Fraktion abgezogen wird. übernommen hat, zurückgegangen. Die Zahlen, die Sie vorhin genannt haben, sind doch so schlicht und einfach falsch. Wieczorek (Duisburg) (SPD): Das weiß ich, Herr Präsident. Aber ich möchte meine Rede noch been- (Beifall bei der CDU/CSU) den dürfen. Sie wissen es doch ganz genau: Wir mußten von (Zuruf von der CDU/CSU: Das ist auch eine einem Nettoneuverschuldungsbetrag von 55 Milliar- Form der Umverteilung! — Heiterkeit bei den DM im Jahr 1982/83 ausgehen. Wir sind über der CDU/CSU) 33 Milliarden DM und 29 Milliarden DM nun bei Ich würde gerne noch ein paar Sätze dazu sagen, unter 25 Milliarden DM, nämlich bei 24,9 Milliarden wie wir das finanzieren wollen, denn ein Vortrag in DM Nettoneuverschuldung angelangt. dieser Form wäre unvollständig; er wäre unvoll- (Zurufe von der SPD) kommen, wenn ich den Finanzierungsvorschlag — Entschuldigen Sie, Herr Kollege, auch im Jahr schuldig bliebe. 1982 hatten wir schon einen Bundesbankgewinn Ich darf auf die Rede meiner Kollegin Frau von 10 Milliarden DM drin. Traupe vom Dienstag hinweisen. Sie hat am Vertei- digungshaushalt sehr deutlich gemacht, wie unsere (Widerspruch bei der SPD) Vorstellungen haushaltspolitisch sauber und sicher- — Aber selbstverständlich! Das wissen wir doch. heitspolitisch vertretbar realisiert werden können. Sie haben — daran können Sie nicht vorbeige- Wenn wir im Verteidigungshaushalt nach streng- hen, Herr Kollege Wieczorek und Herr Kollege Apel ster Prüfung 1,8 Milliarden DM freimachen können, — in den letzten Jahren nun einmal einen Ausga- ohne daß die Verteidigungsbereitschaft darunter benzuwachs gehabt. Heute haben wir bei einem leidet, dann ist es auch in anderen Bereichen mög- Haushaltsvolumen von 259,3 Milliarden DM eine lich. Wenn Sie beispielsweise nur den Bundesbank- Steigerung von weniger als 1 %. Dem steht aller- gewinn von 12,5 Milliarden DM auf 13 Milliarden dings wiederum ein Wirtschaftswachstum gegen- DM realistisch anheben — es werden wahrschein- über, das von der Bundesregierung mit 2,5% und lich 15 Milliarden DM werden —, dann haben Sie von den fünf Wirtschaftswissenschaftlern in ihrem auch schon wieder einen erheblichen Beitrag zur Gutachten gar mit 3% prognostiziert worden ist. Ich Deckung. halte das für eine ganz wesentliche Ursache dafür, Ich kann Ihnen sagen: Die Arbeitsgruppe Haus- daß z. B. die Zunahme der Arbeitslosigkeit ge- halt der SPD-Fraktion hat in der Opposition noch bremst werden konnte und wir schließlich eine In- keinen einzigen Antrag eingebracht, um die Netto- flationsrate haben, die bei 2,0 % liegt und mit der wir kreditaufnahme weiter zu erhöhen. die Entwicklung alles in allem gebändigt haben. (Beifall bei der SPD) Herr Kollege Wieczorek, Sie haben soeben be- Wir sind immer in der Kontinuität unserer Konsoli- klagt, von 1981 bis 1984 sei die Arbeitslosenquote dierung geblieben, auch wenn Sie es nicht gern gestiegen. Das ist zweifellos richtig; darüber gibt es wahrhaben wollten. gar nichts zu debattieren. Aber Sie wissen auch, daß Um das Zeitkontingent meiner Kollegen jetzt sowohl die eigenen Entwürfe der Bundesregierung nicht weiter zu belasten, will ich hiermit enden. Ich selbst als auch Ihre Prognosen davon ausgegangen darf mich bei Ihnen für Ihr reges Mitgehen herzlich sind, daß wir weit mehr Arbeitslose haben würden, bedanken. als wir heute tatsächlich haben. (Beifall bei der SPD) (Wieczorek [Duisburg] [SPD]: Unsere Furcht ging dahin!) Vizepräsident Wurbs: Das Wort hat Herr Abgeord- Sie selbst sind von über 3 Millionen ausgegangen. neter Dr. Hackel. Wir haben gesagt, daß wir vielleicht sogar bei 2,5 Millionen landen würden. Heute liegen wir weit, Dr. Hackel (CDU/CSU): Herr Präsident! Meine weit darunter. Das ist doch ganz logischerweise ein sehr verehrten Damen und Herren! Ich finde es in Erfolg dieser Politik, der nicht wegzuleugnen ist, der Haushaltsberatung hier im Plenum schon be- was immer Sie dazu auch sagen. Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 105. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. November 1984 7805

Dr. Hackel Die geringe Inflationsrate, die ganz zweifellos nämlich der Etat 08, den der Bundesfinanzminister vorhanden ist, zeigt doch auch zu vertreten hat, sogar um etwa 1 % gesenkt wor- (Zander [SPD]: Er hat gesagt, über 2 Millio den. nen Arbeitslose seien ein Erfolg dieser Aber wenn wir diesen Haushalt betrachten, so Politik!) müssen wir doch feststellen, daß es einen kleinen — Herr Kollege Zander —, daß wir faktisch eine Wertmutstropfen im gut gegorenen Wein des Haus- Kaufkraftsteigerung haben. halts gibt; denn der Finanzminister ist nicht nur Etatminister, sondern in seiner Doppelfunktion (Zander [SPD]: Für wen denn?) auch Chef einer Behörde. Behördenchef zu sein be — Für jeden einzelnen. deutet, daß er auch eine gewisse Verantwortung für (Zander [SPD]: Für die Bezieher höherer - seine Mitarbeiter hat. In einer Behörde, nämlich in Einkommen!) der Zollverwaltung, steht manches nicht so ganz — Sowohl für die Arbeiter als auch für die Beam- zum Guten. Auch da haben wir von der SPD etwas ten, als auch für die Angestellten und natürlich übernommen, was in der Tat nicht gerade sehr gut auch für die Rentner. ist. (Hoffmann [Saarbrücken] [SPD]: Ist doch (Hoffmann [Saarbrücken] [SPD]: Erblast, gar nicht wahr! — Zander [SPD]: Stimmt alles Erblast!) doch gar nicht!) — Aber Herr Kollege Hoffmann, es ist doch ganz Sowohl in der Debatte über den Sozialhaushalt wie klar: Wenn in der Zollverwaltung bei den Beförde- in der Debatte über den Finanzhaushalt haben rungen im mittleren Dienst heute eine Wartezeit mehrere Redner völlig unwidersprochen — vorhin bis zu zwölf Jahren und im gehobenen Dienst bis zu Herr Kollege Carstens, dann Kollege Stoltenberg — 15 Jahren besteht, können Sie doch nicht davon klargemacht, daß eine so geringe Inflationsrate na- ausgehen, daß dies ausdrücklich seit dem 6. März türlich immer noch eine größere Kaufkraft bringt 1983 besteht, sondern daß es eine Entwicklung ist, als das, was Sie in den letzten Jahren bei 4 % Erhö- die Sie natürlich über zehn oder 13 Jahre mitzuver- hung und 6 % Inflationsrate den einzelnen, insbe- antworten haben. sondere auch den Rentnern, geboten haben. Ich (Jäger [Wangen] [CDU/CSU]: So ist es!) gehe davon aus, daß sich das selbstverständlich in Zukunft noch erweitern wird. Sie haben in dieser Zeit nicht ein einziges Wort davon gesprochen, daß Sie an dieser Stelle einmal eine Veränderung einführen müssen. Jetzt kommen Vizepräsident Wurbs: Gestatten Sie eine Zwi- Sie plötzlich damit und sagen: Wir müssen hier schenfrage des Abgeordneten Dr. Diederich? neue Planstellen schaffen, wir müssen hier zum Wohle der Zöllner 1 000 neue Planstellen einrich- Dr. Hackel (CDU/CSU): Ja, bitte sehr. ten.

Dr. Diederich (Berlin) (SPD): Lieber Herr Kollege Hackel, würden Sie dem Hohen Hause dann viel- Vizepräsident Wurbs: Herr Abgeordneter, gestat- leicht erläutern, welche Vorteile die Arbeitslosen ten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordne- von der geringeren Kaufpreissteigerung haben? ten Riedl? (Zuruf von der CDU/CSU: Die gleichen!) Dr. Hackel (CDU/CSU): Bitte, sehr, Herr Kollege Dr. Hackel (CDU/CSU): Das ist genau das gleiche, Riedl. Herr Kollege Diederich. Das ist eine ganz einfache Rechnung. Der Betrag, den die Arbeitslosen bekom- men, sinkt ja nicht. Wenn sie für diesen Betrag Dr. Riedl (München) (CDU/CSU): Herr Kollege mehr bekommen, weil die Inflationsrate so gering Dr. Hackel, sind Sie bereit zu bestätigen, daß der ist, dann ist auch hier eine Kaufkraftsteigerung vor- Haushaltsausschuß, nachdem 13 Jahre keine Initia- handen, die schlicht und einfach nicht abzustreiten tive der früheren Regierung in diesem Bereich er- ist. griffen worden ist, (Beifall bei der CDU/CSU — Zuruf von der (Dr. Diederich [Berlin] [SPD]: Nachdem Sie CDU/CSU: Das war eine entlarvende Fra die Initiative der SPD abgelehnt haben!) ge! — Dr. Stavenhagen [CDU/CSU]: Der hat nur Karl Marx gelernt!) jetzt die Bundesregierung aufgefordert hat, zum Haushaltsentwurf für 1986 einen Stufenplan vorzu- Meine Damen und Herren, an diesem Erfolg war legen, das Finanzministerium natürlich wesentlich betei- ligt, zumal man sich in einzelnen Gesprächen, die (Dr. Diederich [Berlin] [SPD]: Unsere In zwischen den Ressorts geführt werden, letztendlich itiative haben Sie bekämpft!) auf die Größenordnung der einzelnen Etats einigt. damit in dieser ersten Rate dieses Stufenplanes die- Aus diesem Grunde muß der Etatminister, der Bun- ses schwierige Problem gelöst werden kann, und desfinanzminister, gegenüber den anderen Etats, sind Sie zweitens bereit, zu bestätigen, daß es über- gegenüber den Fachministern, auch immer mit gu- einstimmende Auffassung der Kollegen im Haus- tem Beispiel vorangehen. Er ist mit gutem Beispiel haltsausschuß war, daß dieser Antrag von der SPD vorangegangen. Zum Beispiel ist sein eigener Etat, in ihrer Regierungszeit nicht gestellt worden ist? 7806 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 105. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. November 1984

Dr. Hackel (CDU/CSU): Herr Kollege Riedl, das ist den kommenden Jahren vom Bund die entspre- zu bestätigen und auch der Grund, warum ich das chende Unterstützung bekommen werden. angesprochen habe. Meine Damen und Herren, wenn man von Gren- Der Bundesminister für Finanzen ist aufgefor- zen redet, ist uns als Berlinern natürlich auch klar, dert — und zwar auf Grund eines Beschlusses des welche geographische Lage wir in unserer Stadt Haushaltsausschusses, den wir ganz wesentlich vorfinden. Weil wir diese geographische Lage ken- mitgetragen haben —, im Jahre 1985 für den Haus- nen, dürfen wir bei allen Bemühungen um ein ver- haltsplan 1986 einen Stufenplan vorzulegen, damit nünftiges Verhältnis gegenüber der DDR, trotz des eine solche Entwicklung, wie sie sich über 13 Jahre Ausbaus und Neubaus von Autobahnen und trotz im Zoll leider eingebürgert hat, nicht wieder vor- mancher Pläne zur Verbesserung des Schienenver- kommt, so daß wir endlich zu einer Änderung die-- kehrs nie vergessen, daß der einzige unkontrollierte ses Beförderungsstaus auch in der Zollverwaltung Zugang nach Berlin nach wie vor der Luftweg ist. kommen können. Ich halte es deshalb für notwendig, daß wir uns zusammensetzen und daß Bundesregierung, Berli- (Hoffmann [Saarbrücken] [SPD]: Der Fi ner Senat und alliierte Schutzmächte unter strikter nanzminister will es gar nicht glauben!) Beachtung aller bestehenden Verträge eine Verbes- Bei der Gelegenheit, Herr Finanzminister, serung und auch eine Erweiterung des Flugver- möchte ich Sie noch bitten, über die Frage nachzu- kehrs anstreben, was technisch möglich ist, wofür denken, inwieweit die Tätigkeit anderer Behörden es ausreichende Interessen gibt und wozu wir auch an den Grenzen koordiniert oder gar in die Arbeit bei konkret vorliegenden Plänen die finanziellen der Zollverwaltungen eingebaut werden kann. Möglichkeiten ausloten könnten. Wenn wir als Berliner von Grenzen reden, sind Ich bin sicher, daß Überlegungen dieser Art, die wir uns natürlich immer wieder bewußt, daß wir in letztlich auch die Wirtschaftskraft Berlins fördern einer besonderen Stadt leben und dort eine beson- und damit auch den Beitrag des Bundes zum Berli- dere Lage vorfinden. Dies ist zwar, Herr Apel, wenn ner Haushalt verringern würden, nicht nur der Sie gelegentlich in diese Stadt kommen, sehr Stadt gut anstehen und die Bindungen der Stadt im schnell zu vergessen, denn diese Stadt sprüht im Bund festigen, sondern daß es auch dadurch die Moment wieder vor Vitalität, vor Kraft und vor Zu- Zukunft der Stadt zu stärken und zu festigen gilt. kunftshoffnung. Vielen Dank, meine Damen und Herren. (Zuruf von der SPD: Durch Sie! — Zander (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) [SPD]: Vor allem in der Bundesliga!) — Auch in der Bundesliga! Sie werden sehen, daß wir auch dort wieder aufsteigen. Vizepräsident Wurbs: Das Wort hat der Abgeord- All dies ist natürlich in erster Linie den Regierun- nete Kleinert (Marburg). gen von Weizsäcker und Diepgen zuzuschreiben, die einfach den 30jährigen Schutt der SPD-Herr- Kleinert (Marburg) (GRÜNE): Herr Präsident! schaft wegzuräumen hatten Meine Damen und Herren! Herr Kollege Hackel, (Zander [SPD]: Schon wieder eine Trüm die Attitüde des Staatsmannes steht Ihnen nun merfrau!) weiß Gott nicht. Ich wäre bei Ihrer Rede fast einge- und die sowohl wirtschaftlich und kulturell neue schlafen. Deswegen will ich versuchen, das Tempo Akzente gesetzt als auch zur sozialen und gesell- ein bißchen zu forcieren. schaftlichen Beruhigung in der Stadt wesentlich (Zurufe von der CDU/CSU) beigetragen haben. Der Herr Bundesfinanzminister, den ich noch er- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) leben wollte — deshalb habe ich mich erst zu die- Das, meine Damen und Herren, ist eine große Lei- sem Zeitpunkt zu Wort gemeldet —, hat heute mor- stung des CDU-FDP-Senats, die mit Sicherheit im gen wieder das gemacht, womit man rechnen muß- kommenden März auch honoriert werden wird. te. Er hat sich hier in der Pose des erfolgreichen Sanierers der Staatsfinanzen präsentiert (Zuruf von der SPD: Sie schauen so ge quält!) (Zuruf von der CDU/CSU: Mit Recht!) und hat einmal mehr das finanzpolitische Glau- Meine Damen und Herren, wir sind uns aber bensbekenntnis dieser Bundesregierung verkündet, auch darüber im klaren, daß dies nicht möglich das lautet: Wir sind auf dem richtigen Weg, wäre, wenn nicht der Bund — Bundesregierung, Bundestag, Bundesrat — nach wie vor Bundeshilfe (Zuruf von der CDU/CSU: Jawohl!) leisten würde und uns nach wie vor in der Wirt- der Abbau der Staatsverschuldung schreitet voran, schaftsstruktur unterstützen würde, was in der No- vellierung des Berlinförderungsgesetzes zum Tra- (Jäger [Wangen] [CDU/CSU]: Sehr rich gen kam. tig!) (Dr. Diederich [Berlin] [SPD]: Auch eine die Wirtschaft wird saniert. „Erblast"!) (Zustimmung bei Abgeordneten der CDU/ Dieser Beistand wird auch in Zukunft notwendig CSU) sein, und ich hoffe, daß wir in diesen Fragen auch in Wir alle kennen diese Begrifflichkeit. Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 105. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. November 1984 7807

Kleinert (Marburg) Herr Stoltenberg hat für seinen Vortrag aus Ih- der Arbeitslosigkeit zur Folge haben. Genau das ist ren Reihen wieder so viel Beifall bekommen, aber nicht der Fall. (Zuruf von der CDU/CSU: Zu Recht!) Soweit es überhaupt zu einer Belebung der Inve- daß ich fast glauben mochte, er werde vielleicht stitionstätigkeit kommt, spielt sich das in erster Li- schon früher als im nächsten Herbst zum Zuge nie in Form von Rationalisierungsinvestitionen ab. kommen, wenn es darum geht, einen Nachfolger für Investieren heißt unter den von Ihnen produzierten den jetzigen Bundeskanzler zu finden; das diskutie- Voraussetzungen eben nicht neue Arbeitsplätze ren Sie hinter vorgehaltener Hand ja schon ganz schaffen, investieren heißt in erster Linie Geld un- offen. terbringen, innerhalb des Betriebes in Form von Rückstellungen und Abschreibungen und außer- (Zustimmung bei den GRÜNEN — Zuruf halb des Betriebes in Form von Finanzanlagen. von der CDU/CSU: Wir haben doch kein Rotationsprinzip!) (Dr. Friedmann [CDU/CSU]: Das sichert doch Arbeitsplätze!) Aber das alles kann nicht darüber hinwegtäu- Das für Investitionen bestimmte Kapital wird steu- schen, daß die zentralen Probleme unserer Wirt- ersparend und zinsbringend geparkt in Form von schaft durch Ihre Haushaltspolitik ebenso wenig Finanzanlagen. Das ist ein Sachverhalt, den selbst angefaßt werden wie die Probleme unserer Umwelt, die Bundesbank in ihrem Monatsbericht kürzlich und das will ich Ihnen jetzt im einzelnen aufzei- gen. sehr eindrucksvoll bestätigt hat. Finanzinvestitionen und Rationalisierungsinve- Erstens muß man feststellen, daß Sie nicht ein- stitionen, das ist der durch Ihre Politik geförderte mal die Ziele erreicht haben, die Sie sich selber Typus der Unternehmertätigkeit. Er ist weit von gesetzt haben. jenem Unternehmertypus entfernt, auf den sich der (Zuruf des Abg. Dr. Friedmann [CDU/ Herr Stoltenberg gern beruft und den Schumpeter CSU] ) den Pionierunternehmer nennt. — Herr Friedmann, hören Sie aufmerksam zu; Von Ihrer glückseligmachenden Verheißung, dann können Sie vielleicht noch etwas lernen. — So Herr Bundesfinanzminister, die Investitionen hat sich die Gewinnsituation der Unternehmen ge- schafften Arbeitsplätze, bleibt in der Wirklichkeit genüber den Vorjahren zweifellos verbessert. Die kaum eine Spur übrig. Die Wirtschafts- und Finanz- Arbeitslosigkeit ist dadurch jedoch überhaupt nicht politik dieser Bundesregierung hat alles mögliche zurückgegangen, im Gegenteil, meine Damen und hervorgebracht, nur eines nicht: den Abbau der Ar- Herren: Die Zahl der registrierten Arbeitslosen beitslosigkeit. liegt weit über zwei Millionen. Wenn man die Ar- (Beifall bei Abgeordneten der GRÜNEN) beitslosen, die aus den offiziellen Statistiken her- ausfallen, hinzuzählt, kommt man auf eine Arbeits- Dafür hat sie allerdings — das ist heute morgen losenzahl von weit über drei Millionen. Das ist die schon erwähnt worden — zu einer kräftigen Um- Bilanz Ihrer Politik. verteilung der Einkommen beigetragen, einer Um- verteilung, die die Reichen reicher macht und die (Dr. Friedmann [CDU/CSU]: Wollen Sie die die soziale Not in der Bundesrepublik ansteigen Industrie vernichten?) läßt. Auch das läßt sich exakt in Zahlen belegen. In der Bundesrepublik Deutschland gibt es inzwi- So ist im Jahre 1983 das Einkommen aus unselb- schen eine neue soziale Armut, die das bei weitem ständiger Tätigkeit um 2 % gesunken, meine Damen übersteigt, was man sich vor wenigen Jahren über- und Herren. Die Einkommen aus selbständiger Tä- haupt vorstellen konnte. tigkeit sind um 12 % gestiegen. Genau jener Sach- (Jung [Lörrach] [CDU/CSU]: Propaganda!) verständigenrat, auf den Sie sich seit letzter Woche so gerne berufen, hat das in seiner Statistik offiziell Zweitens. Sie haben in der Tat die Investitionsbe- ausgewiesen. Das ist die Bilanz Ihrer Sanierungs- dingungen verbessert. Das Gutachten des Sachver- politik. Das ist die Bilanz Ihrer Gesellschaftspolitik, ständigenrates rechnet für 1985 mit einem Zuwachs einer Gesellschaftspolitik der Umverteilung. der Einkommen aus Unternehmertätigkeit in der Größenordnung von 7% bis 7 1 / 2 %. Gleichzeitig aber Diese Bunderegierung hat also trotz aller Beteue- sinken Lohnquote und Reallöhne seit Jahren, rungen nicht einmal ihre eigenen wirtschaftspoliti- meine Damen und Herren. Das erwähnen Sie hier schen Ziele erreicht. Man muß sagen, daß die bun- nicht. desdeutsche Wirtschaft nach wie vor an der Reck- stange hängt, ziemlich träge. Der Bundeskanzler (Austermann [CDU/CSU]: Stimmt auch müßte eigentlich sagen; Sie haben Ihre Hausaufga- nicht!) ben nicht gemacht. Die zusätzlichen Gewinne, die Sie haben im letzten Jahr steuerliche Entlastungen gemacht werden, wandern zu einem erheblichen für die Unternehmen beschlossen, die diesen Unter- Teil auf die amerikanischen Finanzmärkte. Aber nehmen auch 1985 Steuergeschenke in einer Grö- das alles wollen Sie nicht hören. Der Bundesfinanz- ßenordnung von annähernd 5 Milliarden DM brin- minister möchte diese Wahrheiten am liebsten gen werden. Nach Ihrem eigenen wirtschafts- und nicht zur Kenntnis nehmen. Um das nicht zur finanzpolitischen Glaubensbekenntnis müßte das Kenntnis nehmen zu müssen, gibt es ein ganz einfa- Ganze eine spürbare Belebung der Investitionstä- ches Strickmuster. Es sieht so aus: Wenn Ihre Rech- tigkeit bewirken. Das wiederum sollte einen Abbau nung — Reallöhne herunter, steuerliche Belastun- 7808 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 105. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. November 1984

Kleinert (Marburg) gen für die Unternehmer senken, Gewinne erhöhen, markt durch staatliche Verschuldung nirgendwo das Ganze bringt Ankurbelung der Investitionstä- wirklich bewiesen. tigkeit — nicht aufgeht, dann behaupten Sie ein- (Austermann [CDU/CSU]: Einmal eins ist fach: Wir sind in unserem Kurs noch nicht konse- neun!) quent genug gewesen, wir müssen diesen Kurs noch konsequenter fortsetzen, es wird noch eine Weile — So ein Quatsch! Sagen Sie doch einmal etwas dauern, dann wird es klappen. Ernsthaftes, dann kann man darauf eingehen, aber nicht einen solchen Unsinn. (Dr. Stavenhagen [CDU/CSU]: Erzählen Sie doch nicht einen solchen Stuß!) (Erneuter Zuruf des Abg. Austermann [CDU/CSU]) Wenn Sie feststellen, daß die Arbeitslosigkeit noch immer steigt, daß die Investitionstätigkeit trotz ge- Meine Damen und Herren, ich könnte diese Kon- stiegener Gewinne nicht das Ausmaß erreicht hat, frontation von finanzpolitischer Dichtung und was Sie gewünscht haben, dann sagen Sie einfach: Wahrheit noch an vielen anderen Bereichen durch- Die Unternehmer haben eben noch nicht genug exerzieren. Dann würde sich z. B. auch zeigen, daß Vertrauen gewonnen, wir müssen ihre Belastungen Sie Ihre Absicht, Subventionen abzubauen, in der noch weiter senken, wir müssen die Reallöhne noch Praxis in ihr Gegenteil verkehren. Bestehende Sub- weiter senken. Die Konsequenz daraus wäre, daß ventionen sind gerade nicht abgebaut worden. In all das noch passiert. dem Bereich der Subventionen stehen weiterhin konzeptionslose Konservierungspolitik und wild- Meine Damen und Herren, auf diese Weise kön- wüchsige Modernisierungspolitik unverbunden ne- nen Sie Ihr wirtschafts- und finanzpolitisches Kon- beneinander. Es ist erst wenige Monate her, daß Sie zept gegenüber jeder Kritik immunisieren, indem den Landwirten einen umsatzsteuerlichen Kür- Sie immer dann, wenn man Sie auf Ihre Mißerfolge zungsanspruch zugestanden haben, der 1985 Min- hinweist, sagen: Na j a, wir haben es noch nicht kon- dereinnahmen in Milliardenhöhe und dabei gleich- sequent genug angepackt, und in ein paar Jahren zeitig eine Einkommensverzerrung nach Betriebs- wird es dann einmal klappen. formen und Betriebsgrößen produzieren wird. Was Sie Wettbewerbsförderung nennen, das dient vor al- Ich komme jetzt zum dritten Punkt. Die große lem der Förderung der Großunternehmen. finanzpolitische Botschaft des Herrn Stoltenberg lautet: Wenn die Nettokreditaufnahme herunterge- (Beifall bei den GRÜNEN) fahren wird, dann werden die Zinsen fallen und Meine Damen und Herren, das alles macht deut- dann werden die Investitionen blühen. Auch diese lich: Schöne Worte und Wirklichkeit liegen weit Rechnung ist nicht aufgegangen. Die Zinsen sind auseinander. Es zeigt darüber hinaus, daß das, was nicht nennenswert gesunken. Sie Konsolidierung nennen, Herr Stoltenberg, in (Austermann [CDU/CSU]: Das darf doch weiten Bereichen nichts anderes ist als bloßer Eti- wohl nicht wahr sein!) kettenschwindel. Mit der Senkung der Nettokreditaufnahme ist es Ihr wirtschafts- und finanzpolitisches Konzept ist auch so eine Sache. Das wirkliche Ausmaß der kre- letzten Endes Ausdruck einer Zielsetzung, die lau- ditfinanzierten öffentlichen Ausgaben — auch das tet: mehr Markt, weniger Staat. Herr Stoltenberg ist heute vormittag schon angedeutet worden — hat das so ausgedrückt: Der Abbau der Staatsquote verbergen Sie einfach dadurch, daß Sie sich ande- muß weitergehen. Sie wollen bürokratische Schwer- rer Formen der nichtsteuerlichen Geldbeschaffung fälligkeiten und Ineffizienzen im staatlichen Be- bedienen. Die inzwischen verworfene Investitions- reich — die wir kritisieren — mit einer Privatisie- hilfeabgabe war ein Weg dazu. Der zweite Weg ist rungsstrategie austreiben, die in ihrer Vorstellung die direkte Ingangsetzung der Notenpresse für den am Ende nur auf eine gigantische Umverteilung Staat unter der Überschrift „Bundesbankgewinn". und eine Reduzierung der sozialen Versorgung für Das Ganze bringt zusammen zirka 15 Milliarden die, die es am nötigsten brauchen, zur Folge haben DM. Wenn man sich diese Zahlen ansieht, dann wird. Und dabei tun Sie so, als ob nicht schon seit sieht die von Ihnen so gepriesene Senkung der Net- Jahrzehnten bekannt wäre, wohin diese Form des tokreditaufnahme ganz anders aus als die stolze Steinzeit-Liberalismus führen würde. Der moderne Bilanz, die Sie uns hier heute wieder vorgelegt ha- Wohlfahrtsstaat, dessen bürokratische Formen wir ben. GRÜNEN kritisieren, ist doch gerade Ergebnis des historischen Versagens solcher Gesellschaftsmodel- Herr Stoltenberg, es mag ja durchaus sein, daß le, wie Sie sie wieder favorisieren. diese Form der Geldbeschaffung über den Bundes- bankgewinn vernünftig ist, aber das Ganze paßt Die Bundesregierung beweist in ihrer politischen nicht in ein Konzept, das Verschuldung und Zinsen Praxis ohnehin ein ganz besonderes Verständnis senken soll. Diese Form der Geldbeschaffung ist in von Privatisierung. Für die Arbeitnehmer soll mehr Wahrheit nichts anderes als Ersatz für Verschul- und mehr das Prinzip der Privatisierung des Risi- dung. Die Ausweitung des Bundesbankgewinns hat kos gelten, wenn sie in eine Notlage geraten. Sollten keine zinssenkende, sondern eher eine zinsstei- die Unternehmer dagegen in eine Notlage kommen, gernde Wirkung. z. B. in die Notlage — in die sogenannte Notlage, müßte man besser sagen —, daß in ihrem Betrieb Im übrigen ist auch Ihre These vom Herausdrän- mit veralteter Technologie produziert werden soll, gen der privaten Kreditnehmer aus dem Kredit- dann allerdings können diese Unternehmer sicher Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 105. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. November 1984 7809

Kleinert (Marburg) sein, daß durch rechtzeitige staatliche Unterstüt- allenfalls Ladenhüter aus der Mottenkiste neoli- zung für die Bereitstellung einer neuen Technologie beraler Wirtschaftskonzepte, deren Untauglichkeit gesorgt wird. Hier wird dann das Risiko sozialisiert, zur Lösung der Probleme ebenso deutlich ist wie und das ist die Gesellschaftspolitik, die Sie sich vor- die Untauglichkeit solcher Vorstellungen, die das stellen. wirtschaftspolitische Allheilmittel in quantitativ Meine Damen und Herren, wo so großzügig an orientierten staatlichen Modernisierungsprogram- der steuerlichen Entlastung der Unternehmen und men sehen. Ihr Wachstumsmodell wird vor der öko- der Vermögenden gearbeitet wird, wo fehlende Be- logischen Krise ebenso wie vor der alten und neuen triebsprüfungen und großzügige Steuerstundungen sozialen Frage versagen. den Unternehmen zahlreiche Möglichkeiten der - Meine Damen und Herren, es gibt doch faktisch Steuerhinterziehung eröffnen, wo eine Steuerre- längst eine Entkoppelung von Wachstum und Be- form angekündigt ist, die wieder vor allem die Be- schäftigung. Das sollten Sie mal zur Kenntnis neh- zieher höherer Einkommen entlasten wird, da wol- men. Es geht nur darum, daß man daraus endlich len natürlich dann auch die nicht abseits stehen, die politische Konsequenzen zieht. Wer vom Steigen diese milden Gaben bereitstellen. des gesamtwirtschaftlichen Wachstums Lösungen (Zurufe von der CDU/CSU) der Beschäftigungskrise erwartet, der wird Schiff- bruch erleiden. Wenn Sie dies endlich einmal zur Daß immer mehr Menschen mit den Sozialhilfe- Kenntnis nehmen würden, könnten Sie vielleicht sätzen ihr Dasein fristen müssen, hindert manch auch einmal begreifen, woran sich eine vernünftige, einen der tapferen Sparpolitiker in diesem Hohen eine ökologische und soziale Haushalts- und Wirt- Hause nicht daran, sich selbst aus der Staatskasse schaftspolitik orientieren müßte. reichlich zu bedienen. Und das gilt nicht nur für Diätenerhöhungen. Wenn die Spenden aus der In- (Dr. Meyer zu Bentrup [CDU/CSU]: Woran dustrie einmal nicht mehr so kräftig sprudeln, dann denn?) sehen unsere Sparpolitiker keinen Grund, bei den Wir behaupten nicht, daß wir die Patentrezepte in Globalzuschüssen für ihre parteinahen Stiftungen der Tasche hätten; aber schon die ökologische Zer- nicht mal eben noch 20 Millionen DM draufzule- störung, die wir täglich beobachten müssen, zeigt, gen. daß die Notwendigkeit eines Umbaus der Wirt- (Zurufe von der CDU/CSU) schaft nicht zu bestreiten ist. Und wenn frühere Mitglieder dieser Bundesregie- (Beifall bei GRÜNEN — Zurufe von der rung, wie Herr Lambsdorff, CDU/CSU) (Dr. Friedmann [CDU/CSU]: Was soll Weil wir das für nötig halten, haben wir zu diesem das?) Bundeshaushalt ein Entgiftungsprogramm vorge- im Zusammenhang mit ihrer vielleicht allzu großzü- legt, haben wir ein Programm zur Bekämpfung der gigen Amtsführung in Kalamitäten kommen, dann neuen Armut vorgelegt, und wir haben zahlreiche scheuen Sie sich auch nicht, sich selbst mit großzü- Vorschläge vorgelegt, die aufzeigen, wie man diesen gigen Rechtsbeihilfen aus dem Bundeshaushalt zu Bundeshaushalt so umverteilen könnte, daß Lösun- bedienen. gen, die in eine andere Richtung gehen, wirklich (Zuruf von der CDU/CSU: Wie ist das mit angegangen werden können. den Stiftungen der GRÜNEN!) Wenn Sie diese Vorschläge aufmerksam prüfen, Und damit das keiner merkt, werden solche Ausga- würden Sie schnell merken, daß wir nicht in die ben unter sachfremden Titeln versteckt und durch Steinzeit zurückwollen und daß wir uns auch nicht Vorschriften legitimiert, für deren Anwendung kei- einbilden, daß man aus der Industriegesellschaft nerlei Voraussetzungen vorliegen. einfach mal so aussteigen könnte. (Horacek [GRÜNE]: Pfui!) (Austermann [CDU/CSU]: Ins Mittelalter!) Meine Damen und Herren, hier wird offensicht- Aber Sie verzichten ja darauf, sich das einmal lich der Bundeshaushalt als Selbstbedienungsladen ernsthaft anzugucken. Und Sie führen lieber Ihre für bedürftige Politiker zweckentfremdet. Auseinandersetzungen mit uns unterhalb der Gür- (Beifall bei den GRÜNEN) tellinie, wie wir das gestern erst wieder feststellen mußten. Für diesen Sachverhalt gibt es nur eine alte Weis- heit, die hier zutrifft, die lautet: Wer hat, dem wird Ich komme zum Schluß. gegeben. Das gilt wohl auch ganz besonders hier in Bonn und ganz besonders auf dieser Seite in die- (Dr. Stavenhagen [CDU/CSU]: Wird aber sem Hohen Hause. auch Zeit!) (Carstensen [Nordstrand] [CDU/CSU]: Sie Was wir wollen, ist ganz einfach zu umschreiben: haben nichts!) Wir wollen diese Gesellschaft so umbauen, daß wir auch übermorgen noch in ihr leben können. Das Dieser Bundeshaushalt ist ein neuer Beweis da- wird nicht gehen, wenn auf den alten Wachstums- für, daß Sie weder auf die Ausbreitung einer neuen pfaden weitergegangen wird. gesellschaftlichen Armut noch auf die Notwendig- keit einer effektiven Umweltpolitik wirklich eine (Dr. Stavenhagen [CDU/CSU]: Sie übertrei Antwort wissen. Was Sie anzubieten haben, sind ben!) 7810 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 105. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. November 1984

Kleinert (Marburg) Herr Stoltenberg hat vor einer Woche einen Satz zu überlegen, wo es dann hingeht mit der Wirt- gesagt, dem ich nur zustimmen kann. Ich zitiere ihn schaft- und Steuerpolitik in der Bundesrepublik. zum Abschluß: In der Regierungserklärung vom 4. Mai 1983 Es wird Jahrzehnte dauern, bis zurückliegende hatte sich die Koalition aus CDU/CSU und FDP das Ereignisse für heute zu treffende Entscheidun- Ziel gesetzt, die Sanierung der öffentlichen Haus- gen keine Rolle mehr spielen, und so gesehen halte energisch in Angriff zu nehmen. Sie hatte sich werden wir sicherlich noch eine geraume Zeit das Ziel gesetzt, zur Wiederbelebung der Wirt- mit Fehlern der Vergangenheit zu kämpfen ha- schaftstätigkeit, der unabdingbaren Voraussetzung ben. für den Abbau der Arbeitslosigkeit, das steuerpoliti- sche Instrumentarium einzusetzen, und sie hatte Herr Stoltenberg, dem kann ich nur zustimmen.- Sie haben aber vergessen, darauf hinzuweisen, daß die- sich vorgenommen, für einen besseren Familienla- ser Satz auch in Zukunft gilt und daß dieser Satz stenausgleich zu sorgen. Wo stehen wir heute? Das auch dafür gilt, wenn wir einmal damit befaßt sein ist die Frage. müssen, die Lasten Ihrer Politik abzutragen. (Kriszan [GRÜNE]: Wo steht die FDP? — Vielen Dank, meine Damen und Herren. Kleinert [Marburg] [GRÜNE]: Wo Sie ste (Beifall bei den GRÜNEN — Austermann hen, fragen wir schon seit vielen Jahren!) [CDU/CSU]: Das wird nie kommen!) Die Situation der öffentlichen Haushalte aller Ge- bietskörperschaften hat sich entscheidend verbes- sert. Die Wirtschaft ist wieder angekurbelt worden. Vizepräsident Wurbs: Das Wort hat der Abgeord- Wir haben in diesem Jahr ein Wirtschaftswachstum nete Dr. Solms. von rund 2,5 %. (Wieczorek [Duisburg] [SPD]: Die Weltwirt (FDP): Herr Präsident! Meine Damen Dr. Solms schaft hat angezogen!) und Herren! Wir sollten dem Herrn Abgeordneten Kleinert zuhören, damit wir etwas lernen. — Das Der Sachverständigenrat sagt 3 % für das nächste Zuhören ist mir schwergefallen, gelernt habe ich Jahr voraus. Die Leistungsbilanz ist positiv, die In- nichts. flationsrate unter 2 % gedrückt, die Zinsen sind auf (Beifall bei der FDP — Kriszan [GRÜNE]: 7 % gefallen, der Arbeitsmarkt hat sich stabilisiert Das glaube ich gerne!) — nicht verbessert aber stabilisiert —, die Ausbil- dungssituation ist dramatisch verbessert worden, es Meine Damen und Herren, wenn Sie Interesse sind 720 000 neue Ausbildungsverträge geschlossen haben, zu wissen, was die Steuerpolitik der GRÜ- worden — eine enorme Anstrengung der vielen NEN bedeutet, darf ich Ihnen einmal den Katalog, hunderttausend Handwerksbetriebe, kleinen Unter- den ich aus deren Programm herausgeschrieben nehmen, Selbständigen und Freiberufler in diesem habe, vorlesen, Forderungen der GRÜNEN bezüg- Lande. lich der Steuerpolitik: deutliche Anhebung des Spit- zensteuersatzes bei der Einkommensteuer, (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) (Beifall bei den GRÜNEN) Ich als Mittelständler kann nur bestätigen: Die Bundesregierung ist auf dem richtigen Weg. Wir Abschaffung des Ehegattensplittings, Einführung sind noch nicht am Ziel, aber das Klima in der Bun- einer nicht rückzahlbaren Ergänzungsabgabe, desrepublik hat sich verbessert. Die Leute sind be- (Beifall bei den GRÜNEN) reit zu investieren, Risiken einzugehen, sich für die- Einführung einer Arbeitsmarktabgabe für Selb- ses Land einzusetzen und damit Arbeitsplätze, ständige und Beamte, neue, zukunftsträchtige Arbeitsplätze, zu schaffen. (Beifall bei den GRÜNEN) (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Streichung sämtlicher steuerlicher Hilfen im Woh- Und in dieser Situation kommt der geniale Ein- nungsbau, Besteuerung bestimmter Rohstoffim- fall Ihrer Seite, eine Zusatzsteuer zu beantragen. porte, (Zuruf von der SPD: Das war der Koali (Beifall bei den GRÜNEN) tionspartner von Ihnen!) höhere Besteuerung von sogenannten Genuß- und Wer nur ein bißchen von Volkswirtschaft versteht, Luxusgütern, Erhöhung der vor allem von Betrie- greift sich an den Kopf, was das soll. ben zu zahlenden — und damit Arbeitsplätze bela- stenden — betrieblichen Vermögensteuer. (Schreiner [SPD]: Der greift sich an den (Dr. Rumpf [FDP]: Und Abschaffung des Biedenkopf!) Eigentums!) — Darauf komme ich gleich. Das ist nur ein kleiner Auszug daraus. Sie betreiben mit den Argumenten von vorge- Ich darf die Kollegen von der SPD warnen und stern Politik von gestern. Aber die ist gescheitert. auffordern, sich, wenn sie sich weiterhin der Politik Schon 1971 auf Ihrem Steuer-Sonderparteitag hat der GRÜNEN so stark anpassen, wie sie das in den Karl Schiller gesagt: Genossen, laßt die Tassen im letzten Jahren getan haben, Schrank. (Widerspruch von der SPD — Zander (Hoffmann [Saarbrücken] [SPD]: Das ist [SPD]: Waren das die Freiburger Thesen?) etwas Neues?) Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 105. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. November 1984 7811

Dr. Solms Das haben Sie bis heute anscheinend noch nicht dazu bei, daß die Gesamtsituation verbessert wird verstanden. und daß wir wieder neue Arbeitsplätze schaffen (Zustimmung bei der CDU/CSU) können. (Zuruf von der SPD: Welche Leistung ist Ich darf Ihnen in diesem Zusammenhang viel- denn Herrn Horten gegeben worden?) leicht einmal vorlesen, was der frühere Bundes- kanzler Helmut Schmidt am 20. Juli 1982 an den Wir befinden uns mit der Bundesrepublik Vorsitzenden des DGB, Herrn Breit, geschrieben Deutschland ja nicht in einer Insellage. Wir stehen hat: im Wettbewerb mit allen Industrienationen. Wenn Sie heute auf internationale Messen gehen — bei- Eine Finanzierung von investiven Ausgaben - spielsweise der Mikroelektronik —, werden Sie als durch eine Erhöhung von Ausgaben, Steuern Deutscher nur noch als Kunde empfangen, weil oder Sozialversicherungsbeiträgen wäre der man den Deutschen gar nicht mehr zutraut, daß sie falsche Weg. Sie wissen, daß ich persönlich ei- in diesem Bereich moderner Technologien über- ner Ergänzungsabgabe für Bezieher hoher Ein- haupt etwas Konkurrenzfähiges anbieten können. kommen durchaus hätte Sympathie abgewin- In der Situation sind wir heute, und diese gilt es zu nen können, wenn sie nicht gleichzeitig zu ei- ändern. Das können Sie eben nur, indem Sie hier ner Belastung der mittelständischen Unterneh- das Klima verbessern, indem Sie Risikobereitschaft men und des Handwerks geführt und damit auslösen, indem Sie die vielen tausend kreativen kontraproduktiv gewirkt hätte. Eine höhere Be- Kräfte dazu anregen, etwas zu tun, damit die Wirt- lastung der Arbeitnehmer durch Ausgaben ist schaft wieder nach vorne kommt. für mich nicht vertretbar. Ich darf Ihnen zum Schluß ein Zitat des Heraus- So der ehemalige Bundeskanzler Helmut Schmidt. gebers der „Wirtschaftswoche" Professor Engels Diesen Argumenten schließe ich mich hundertpro- vorlesen, zentig an. (Zurufe von der SPD: Der paßt zu Ihnen! — Mit den Appellen an niedere Gefühle in der Be- CDU-Mitglied!) völkerung, Neid, Mißgunst, Mißtrauen, erreichen dem ich insoweit durchaus zustimme. In der Bevöl- Sie nichts, tragen Sie nicht zur Verbesserung des kerung ist nämlich gar nicht das Verständnis dafür Klimas bei. Vielmehr schädigen Sie damit das Kli- ma, vielmehr machen Sie damit die Möglichkeit zu- vorhanden, daß Steuererhöhungen angemessen wä- ren. Wenn Sie einen sozialen Beitrag leisten wollen, nichte, neue Arbeitsplätze zu schaffen. Dafür müs- sen Sie sich verantworten. dann können Sie nur die Belastung der unteren und mittleren Einkommensbezieher zusätzlich ermäßi- (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU — gen. Das — und nicht eine Steuererhöhung — wäre Wieczorek [Duisburg] [SPD]: Wir wissen ein sozial- und wirtschaftspolitisch vernünftiger das! Das müssen Sie Herrn Genscher sa Beitrag. gen!) (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Es gibt natürlich auch aus anderen Parteien Rat- Herr Engels schreibt in seinem Beitrag: schläge aus der Provinz; ich möchte sagen: wichtig- tuerische Ratschläge. Für allgemeine Steuersenkungen gibt es einen besseren Grund. Wenn der Staat allein 600 DM (Wieczorek [Duisburg] [SPD]: Was haben von jedem Haushalt verbraucht, um seine Bahn Sie gegen die Provinz?) zu subventionieren, wenn er Riesenbeträge auf- In diesem Zusammenhang möchte ich nur einmal wendet, um Lebensmittel zu vernichten oder in fragen: Wo wird die Verantwortung für die Finanz- die Sowjetunion zu exportieren, wenn zur an- und Wirtschaftspolitik der Bundesrepublik getra- geblichen Rettung von Arbeitsplätzen Beträge gen? Hier durch den Wirtschaftsminister und den aufgewandt werden, mit denen man den betrof- Finanzminister und nicht durch Provinzpolitiker, fenen Arbeitern ein Luxusleben ohne Arbeit wo immer sie auch herkommen mögen. bescheren könnte, dann hat der Bürger ver- nünftigere Verwendungsmöglichkeiten für sein (Beifall bei der FDP) sauer verdientes Geld als der Staat. Ich will dazu noch etwas aus der Sicht der klei- Das ist die Stimmung, die Sie draußen bei der nen Unternehmen sagen. Die Interessengegensätze Bevölkerung antreffen. Diese Stimmung müssen im kleinen Unternehmen, die Sie auf seiten der Op- Sie aufgreifen und können nicht an Ihren überkom- position heraufbeschwören, zwischen Arbeitneh- menen und veralteten Ideologien festhalten. mern, leitenden Angestellten und Unternehmer exi- stieren nicht. Sie sind insofern von der Praxis Danke schön. längst zu weit abgehoben. Die Leute arbeiten alle (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) zusammen, sie ziehen an einem Strang, weil sie wissen: Nur wenn sie gemeinsam Erfolg haben, Vizepräsident Wurbs: Das Wort hat der Herr Abge- können ihre Arbeitsplätze gesichert und zusätzliche ordnete Dr. Wieczorek. Arbeitsplätze geschaffen werden. (Zurufe von der SPD) Dr. Wieczorek (SPD): Herr Präsident! Meine Da- Lassen Sie diese dumme Unterstellung, den Rei men und Herren! Wenn man sich die Diskussion chen werde gegeben, den Armen werde genommen. zur Steuerpolitik nach dem Debakel mit der Investi- Wir tragen mit dieser Steuer- und Finanzpolitik tionsabgabe anhört, bekommt man wirklich lang- 7812 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 105. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. November 1984 Dr. Wieczorek sam das Gefühl, als würde das absurde Theater, das Das Verfassungsgericht wird sie uns schon zurück- Sie 1982/83 aufgeführt haben, noch einmal von ge- geben. — Das ist ja auch passiert. nau derselben Schauspielertruppe aufgeführt. (Beifall bei der SPD) (Beifall bei der SPD) Die Eile, mit der jetzt überall die Rückzahlung be- Da gibt es die sozial angewandelten Christdemo- trieben wird, steht ja in einem auffälligen Mißver- kraten, die plötzlich wieder einmal die soziale Sym- hältnis zu sonstigen Steuererstattungen. Vielleicht metrie entdecken, nachdem sie zwei Jahre lang ge- hat das dort auch seinen Hintergrund. nau das Gegenteil gemacht haben. Da gibt es die FDP, die zumindest ehrlicher ist und im doppelten Weil wir dazu eine andere Auffassung haben, sind Wortsinn „unverblümt" nur noch die Interessen der wir nach wie vor der Meinung, daß nur eine echte - Wohlhabenden in der Gesellschaft vertritt. Ergänzungsabgabe den rechtlichen und den sozia- len Anforderungen gerecht wird. Die rechtlichen (Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten Anforderungen haben Sie selbst anerkannt, Herr der GRÜNEN — Abg. Cronenberg [Arns Stoltenberg; das sei anerkannt. berg] [FDP] meldet sich zu einer Zwischen frage) Deswegen bringen wir heute auf Drucksache 10/2460 unseren Vorschlag für eine Ergänzungsab- — Ich habe leider nicht genügend Zeit für eine Zwi- gabe ein, der vorsieht, daß bei Alleinstehenden mit schenfrage. Ich bitte um Verständnis. mehr als 50 000 DM zu versteuerndem Einkommen und bei Verheirateten mit mehr als 100 000 DM im Vizepräsident Wurbs: Herr Abgeordneter, gilt das Jahr für den Zeitraum von 1985 bis 1987 ein Zu- generell für die Beantwortung von Zwischenfragen? schlag in Höhe von 5 % der Einkommen- und Kör- — Gut. perschaftsteuer erhoben wird. Das bringt uns für diesen Zeitraum nach unserer Schätzung rund 14,8 (Glos [CDU/CSU]: Kein Wunder! Dann Milliarden DM an zusätzlichen Einnahmen. Das kann man j a nicht vom Zettel lesen!) wäre ein spürbarer Beitrag der Einkommensstar- ken zur Bewältigung der Folgen der Weltwirt- Dr. Wieczorek (SPD): Ich lese gar nicht vom Zettel, schaftskrise, die bei Ihnen, Herr Stoltenberg, heute meine Herren, denn soviel Zeit habe ich gar nicht. morgen gar nicht mehr vorkam. Als Sie die Infla- Es ist ja ein Vergnügen, nach dem Kollegen Solms tionsraten unter der sozialliberalen Regierung ge- darauf hinzuweisen, was die Rolle der FDP heute nannt haben, haben Sie ganz diejenigen unter Ih- noch ist. Das kann man sehr deutlich machen. rem großen Freund in Amerika vergessen. Die wa- ren j a wohl eine Ecke höher. Dazu nur eine Bemerkung. Ich erwarte von Ihren Gesprächen nicht, daß dabei noch etwas sozial Aus- Es geht darum, genau diese Folgen zu bekämp- gewogenes herauskommt. Jetzt reden Sie ja nur fen. Dabei geht es nicht nur um soziale Ausgewo- noch über die Verschiebung von Steuervergünsti- genheit; es geht vor allen Dingen um die Bewälti- gungen. gung der anhaltenden Massenarbeitslosigkeit von Herr Bundesfinanzminister, der Kollege Apel hat über 2 Millionen. heute morgen recht gehabt: Nach Ihrer Tarifreform Genau hierfür hat das Grundgesetz die Ergän- wird es künftig so aussehen, daß die Grenzsteuer- zungsabgabe vorgesehen. Aus dem beschäftigungs- belastung für die unteren Einkommen steigt, aber politischen Ungleichgewicht, das wir konstatieren für die höheren Einkommen sinkt; so zumindest die können — sprich: der Arbeitslosigkeit —, folgt eben Äußerung Ihres Parlamentarischen Staatssekretärs die Verpflichtung, auch bei einem defizitären Haus- Häfele hier im Bundestag. Entweder hat er das halt die Arbeitslosigkeit zu bekämpfen. Die Ergän- nicht richtig gesagt, oder Sie haben vorhin dem Kol- zungsabgabe ist dafür das geeignete Mittel. legen Apel fälschlicherweise unterstellt, er habe (Beifall bei der SPD) hier etwas Falsches gesagt. (Schlatter [SPD]: Der Finanzminister Bei der beschäftigungspolitischen Tatenlosigkeit kennt den eigenen Tarif nicht!) dieser Regierung überrascht es ja auch nicht, daß selbst der Ihnen so freundlich gesonnene Sachver- Wenn das aber so ist, dann brauchen wir auch ständigenrat gar nicht auf die Idee kommt, daß Aus- nicht darauf zu hoffen, daß dabei etwas heraus- sichten bestehen, daß die Arbeitslosigkeit abneh- kommt. Ihre Politik, Leistung nach Ihrem Verständ- men wird. Wir sind dagegen der Überzeugung, daß nis nur bei den Reicheren anzuerkennen, aber die mit unserer Ergänzungsabgabe die Maßnahmen im Ärmeren für die Reicheren leisten zu lassen, wird Umweltbereich, bei der Wasserwirtschaft, bei der sich fortsetzen. Abfallwirtschaft, im Nahverkehr finanziert werden (Beifall bei der SPD) können, die für mehrere hunderttausend Menschen Meine Damen und Herren, es ist ja nicht umsonst zusätzliche Dauerarbeitsplätze schaffen können. der Eindruck entstanden, daß Sie die Investitions- (Beifall bei der SPD) abgabe nur augenzwinkernd beschlossen haben, denn die verfassungsmäßigen Bedenken kannten Unser Programm „Arbeit und Umwelt" weist Ihnen Sie vorher genau. Wenn Sie es trotzdem gemacht das im einzelnen nach. Es liegt Ihnen vor. haben, dann dürfen Sie sich nicht wundern, daß Es ist ja wohl kein Zufall, daß der Deutsche Land- heute der Verdacht geäußert wird, daß Sie sie au- kreistag gerade festgestellt hat, daß er 9 Milliarden genzwinkernd nach dem Motto beschlossen haben: investieren könnte, wenn er sie hätte. Es ist wohl Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 105. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. November 1984 7813

Dr. Wieczorek ebensowenig ein Zufall, daß Herr Biedenkopf, der Zeitpunkt, der Sachverständigenrat eben Ihrer Re- in der Distanz, in der er zu dieser Regierung steht, gierung mit einer sehr viel optimistischeren Schät- offensichtlich zu seinem professoralen klaren Den- zung der wirtschaftlichen Entwicklung an die Öf- ken zurückkommt, die Notwendigkeit einer Ergän- fentlichkeit tritt, die sofort von Ihnen, Herr Stolten- zungsabgabe für die Finanzierung von Investitio- berg, in einem langen Artikel im „Handelsblatt" als nen im Umweltbereich anerkannt hat. Dabei gibt es Beweis für den Erfolg Ihrer Politik gefeiert wird auch keineswegs einen Widerspruch, wie Sie in der und die der Herr Bundeskanzler am Dienstag in Koalition so gern behaupten, zwischen privaten und dieser Haushaltsdebatte strahlend den so offen- öffentlichen Investitionen. Es geht vielmehr darum, sichtlichen Schwierigkeiten seiner Regierung ent- in den von uns genannten Bereichen öffentlichen gegenstellte — er braucht ja etwas zum Sonnen —. und privaten Investitionsbedarf durch die Mobili- Aber der Widerspruch, warum man einerseits in sierung der entsprechenden Finanzmittel zu kon- der eigenen Steuerschätzung Mitte November von kreter Investitionsnachfrage werden zu lassen. einem nominalen Wachstum des Bruttosozialpro- (Beifall bei der SPD) dukts von 4,3 % für 1984 und 4,7 % für 1985 ausgeht und daraufhin seine Steuerschätzung mindert, Aber ohne die Erschließung dieser Nachfragefelder nachdem man noch im Juni mit 5,3 und 5,6 % ge- bleibt es eine Illusion, allein auf die autonome pri- rechnet hatte, also jetzt viel pessimistischer ist, und vate Investitionsnachfrage zu hoffen. Denn bei den andererseits jubelnd dem Sachverständigenrat zu- gegebenen Verteilungsstrukturen reichen die heute stimmt, der 1984 ein nominales Wachstum von 4,5% vorhandenen Produktionskapazitäten aus. Investi- und 1985 von 5,5% schätzt, ist unaufgeklärt. Entwe- tionen gibt es im privaten Bereich im Moment doch der glaubt diese Regierung und glauben Sie, Herr nur im Bereich der Rationalisierung. Das aber be- Finanzminister, nicht an den Optimismus des Sach- deutet mehr Arbeitsplatzverluste. Freie Mittel, die verständigenrats, oder aber Sie haben Ihre Steuer- vorhanden sind, gehen ja nicht in Investitionen, schätzung bewußt zu niedrig angesetzt. sondern im wesentlichen in real hochverzinsliche Geldanlagen und in Spekulationsgeschäfte. Davon (Beifall bei der SPD) haben die Arbeitslosen aber überhaupt nichts. Es gibt zwar gute Gründe, die Prognosen des Wenn ich mir dann noch ansehe, daß wir eine Sachverständigenrats zu bezweifeln; hat er es doch Nettokreditaufnahme zwischen 25 und 30 Milliar- in den 15 Jahren von 1967 bis 1982 gerade zweimal den haben — das hängt von den Steuereinnahmen geschafft, in seiner Schätzung um weniger als 0,5% ab; auf die Steuerschätzung werde ich gleich noch vom tatsächlichen Wachstum entfernt zu liegen. eingehen —, dann ist wohl auch finanztechnisch Das ist aber keine Ausrede, wenn man sich jetzt klar, daß die Ergänzungsabgabe begründet ist. 1968 dauernd auf seine Schätzungen beruft und so tut, genügte bei der damaligen Situation auch nach als seien diese sozusagen das Gütesiegel für die Meinung der Christdemokraten eine Nettokredit- Politik dieser Regierung. Da muß man dann auch aufnahme von 5,8 Milliarden, um eine Ergänzungs- bei der Steuerschätzung sagen: Entweder — oder. abgabe zu begründen. Um wieviel mehr ist sie heute Aber es gibt noch eine weitere Merkwürdigkeit: berechtigt. Dem aufmerksamen Beobachter fällt nämlich auf, (Reddemann [CDU/CSU]: Wie ist es daß das Ergebnis der Steuerschätzung nur für 1984 heute?) und 1985 gesenkt wurde, für die restlichen Jahre des Finanzplanungszeitraums aber nicht. Heißt das, Damit Sie hier „klar Schiff!" bekennen können, Herr Minister, daß Sie mit der wohltätigen Wirkung beantrage ich im Namen der Fraktion der SPD, daß weiterer heimlicher Steuererhöhungen rechnen? eine namentliche Abstimmung zu dem Haushaltsti- Heißt das, daß Sie mit einem höheren nominalen tel, den wir in der Drucksache 10/2528 genannt ha- Wachstum rechnen, und wenn ja, liegt Ihre Hoff- ben, heute hier stattfindet. nung dann darin begründet, daß es ein höheres (Beifall bei der SPD) reales Wachstum oder wieder höhere Inflationser- wartungen geben wird? Aber mit der Nettokreditaufnahme bin ich bei Die Antwort auf diese Widersprüche, Herr Stol- dem zweiten Widerspruch, nämlich bei dem Wider- tenberg, sind Sie auch heute in Ihrer Rede schuldig spruch in der letzten Steuerschätzung, die uns geblieben, aber sie ist fällig, diese Antwort. Denn es Mitte November vorgelegt wurde. Da wird mitge- geht ja nicht um die ökonomischen Glasperlen- teilt, daß die erwarteten Steuereinnahmen des spiele der volkswirtschaftlichen Schätzungen, son- Bundes 1984 um 2,9 Milliarden, 1985 um rund 4 Mil- dern darum, für die heutige Politik die Finanzsitua- liarden unter den Schätzungen, die ja erst vom Juni tion des Bundes und natürlich auch die der Länder sind, liegen werden. Für diese Mindereinnahmen und Kommunen für die nächsten Jahre abzuschät- haben Sie, Herr Stoltenberg, flugs an erster Stelle zen. Es geht darum, festzustellen, welcher Spiel- Streiks und die Preisentwicklung genannt. Aber ei- raum für die gesamte Beschäftigungspolitik, für nen wesentlichen Teil, und zwar mehr als 50 %, ma- dringend notwendige Investitionen der öffentlichen chen j a wohl die Subventionen aus, die Sie den gro- Hände tatsächlich erwartet werden kann. Es geht ßen landwirtschaftlichen Betrieben zahlen, nämlich darum, welche sozialen Verbesserungen nach den 1,6 Milliarden 1984 und 2,6 Milliarden 1985. radikalen Einschnitten im sozialen Netz tatsächlich Doch es sind nicht nur diese inneren Widersprü- finanzierbar sind. Es geht darum, zu verhindern, che, die verblüffen. Verblüffen muß vielmehr auch, daß den Schwächeren unter dem Stichwort „Konso- daß wenige Tage später, praktisch zum gleichen lidierung" neue Lasten aufgebürdet werden. Es geht 7814 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 105. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. November 1984

Dr. Wieczorek vor allem auch darum, Spielräume für Steuer- und sen. Ich halte diesen Ausdruck für eine Verschleie- Subventionsgeschenke für die Hätschelkinder die- rung der Realitäten. Das, was wir hier im Bundes- ser Koalition nicht klammheimlich entstehen zu tag an kurzfristig einsetzbaren Instrumenten be- lassen. schließen können, kann ohnehin nur zu einer Ver- (Beifall bei der SPD) ringerung der Asymmetrie, nicht aber zu einer so- zialen Symmetrie führen. Aber es ist dringend ge- Wer, wie Sie, Herr Bundesfinanzminister, so viel boten, wenigstens die verschärfte Asymmetrie et- Wert auf den Begriff der Klarheit legt, muß hier was zu beseitigen. Dazu, wie das mit der Symmetrie endlich Klarheit schaffen. Es ist Ihre Aufgabe, hier wirklich aussieht, hat Hubert Kleinert soeben und heute klare Vorgaben für den Finanzierungs- schon die Zahlen genannt, vor allen Dingen auch rahmen zukünftiger Politik zu setzen. Es darf nicht die Zahlen hinsichtlich der Steigerung des Net- Ziel Ihrer Politik sein, sich durch unklare Schätzun- toeinkommens aus Unternehmertätigkeit und Ver- gen die Möglichkeit zu verschaffen, in zwei Jahren mögen. dem staunenden Wähler zu verkünden, daß die Haushaltslage ja doch viel besser sei als angenom- Wir machen unseren Vorschlag hier, um, wie wir men. Der Arbeitslose, der arbeitslos bleibt, weil Sie meinen, einen Weg zu finden, diese Asymmetrie zu jetzt, obwohl Mittel vorhanden wären, keine Be- verringern. Zumindest die FDP und die CSU wer- schäftigungsmaßnahmen treffen, und die Rentner, den gegen unseren Vorschlag sofort ihre geistige die jetzt eine Kürzung ihres Realeinkommens zu Dachlatte von der Leistungsfeindlichkeit schwin- erwarten haben, werden Ihnen das dann mit Si- gen. cherheit danken. Das soll uns nur recht sein, (Cronenberg [Arnsberg] [FDP]: Sehr (Carstensen [Nordstrand] [CDU/CSU]: Das wahr!) ist ja interessant, daß Ihnen das recht sein soll!) — Da kommt schon, wie vorausgesagt, die Bestäti- gung dessen. — aber, es hilft den Leuten nicht. Deswegen muß hier und heute Klarheit geschaffen werden. (Carstensen [Nordstrand] [CDU/CSU]: Sie haben ein Dachlattensyndrom!) (Beifall bei der SPD) Es muß — dies ist mein letzter Satz — ein Ende mit Meine Damen und Herren, hier wird ein Wider- den Verwirrspielen dieser Regierung, was ihre eige- spruch zwischen Verteilungsgerechtigkeit und Ar- nen Zahlen angeht, haben. beitsleistung suggeriert, der meines Erachtens so überhaupt nicht besteht Danke sehr. (Beifall bei den GRÜNEN) (Beifall bei der SPD) und der auch als Rechtfertigung dient, hohe Ein- kommen ungeschoren zu lassen. Wie wäre es sonst Das Wort hat der Herr Abge- Vizepräsident Wurbs: zu erklären, daß Sie auf dieser Seite des Hauses die ordnete Krizsan. erhöhte Belastung des Weihnachtsgeldes für Millio- nen von Arbeitnehmern für wirtschaftspolitisch Krizsan (GRÜNE): Herr Präsident! Meine Damen verkraftbar halten? Bei dem von Ihnen unterstell- und Herren! Zunächst Herrn Solms schönen Dank, ten Zusammenhang zwischen Abgabenbelastung daß er für die Weiterverbreitung unseres Pro- und Leistungswillen hätten Sie doch befürchten gramms gesorgt hat. Das hilft uns sicherlich weiter müssen, daß im Dezember, wenn nämlich die er- als Ihnen. höhten Abgaben aus dem Weihnachtsgeld fällig (Austermann [CDU/CSU]: Ins Abseits! — werden, die deutsche Wirtschaft zusammenbricht, Carstensen [Nordstrand] [CDU/CSU]: weil Millionen Arbeitnehmer die Arbeit hinschmei- Wenn jemand das liest, wählt er Sie nicht ßen. mehr! — von Schmude [CDU/CSU]: Auf (Zustimmung bei den GRÜNEN — Zurufe dem grünen Holzweg sind Sie da!) von der CDU/CSU: Was?) Meine Damen und Herren, Ihnen liegt auf der Ich möchte nun in vier Punkten begründen, Drucksache 10/2521 ein Entschließungsantrag un- warum wir eine Tarifänderung an Stelle einer Er- serer Fraktion auf sofortige Änderung des Einkom- gänzungsabgabe vorschlagen. mensteuertarifs und des Körperschaftsteuersatzes vor. Erstens ist eine Tarifänderung der verfassungs- (Sehr gut! bei der SPD) rechtlich unbedenklichste Weg. Zum einen ist hier- bei die Kompetenzfrage völlig geklärt, zum anderen Wir schlagen eine 5%ige Erhöhung des Steuersat- entfällt das Problem, daß im Falle einer Sonderab- zes für Körperschaftsgewinne und eine 5 %ige Erhö- gabe ein spezifischer Finanzbedarf vorliegen muß, hung des Steuersatzes für zu versteuernde Einkom- der nicht durch die übliche Besteuerung abgedeckt men ab 50 000 DM vor. werden kann. Seit dem Wegfall der Investitionshilfeabgabe ist Zweitens halten wir eine Tarifänderung auch für in dem Streit um das Für und Wider einer Ergän- den sachlich richtigen Weg. zungsabgabe, der immer wieder eine Änderung der vorgesehenen Steuersenkungen als Alternative ge- Drittens halten wir es nicht für angebracht, die genübergestellt wird, von Ihnen auf der rechten Erhöhung der Belastung von vornherein zeitlich zu Seite viel von sozialer Symmetrie die Rede gewe- befristen, wie die SPD es vorschlägt, denn z. B. die Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 105. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. November 1984 7815

Krizsan Konsolidierungsopfer der oft angesprochenen Rent- Bundeshaushalt 1981 — fünf Milliarden DM für zu- ner sind ja zeitlich auch nicht befristet. sätzliche Investitionen. Viertens — das ist für mich hierbei der wichtigste (Hört! Hört! bei der CDU/CSU) Punkt — ist zu bedenken, daß eine Sonderabgabe Entgegen der Kritik des SPD-Abgeordneten Roth nur dem Bundeshaushalt zugute kommt, denn die vom Sommer 1984 hat der Bundeshaushalt damit in Ertragshoheit für eine solche Abgabe liegt nur beim mehrfacher Hinsicht investive und arbeitsplatz- Bund. Ein finanzieller Bedarf liegt dagegen nicht schaffende Wirkungen. Das wird jeder einzelne nur hier vor; wir meinen vielmehr, daß auch die Bürger im Land spüren. Finanzsituation der Gemeinden dringend verbesse- rungswürdig ist. Der Kapitalmarkt wird entlastet; die Zinssen- - (Beifall bei den GRÜNEN) kungstendenz wird weiter gefördert; die Investitio- nen steigen an. — Der Kollege Kleinert ist leider Der Bund hat sich ständig auf Kosten der Kommu- nicht mehr hier; sonst hätte ich ihn darüber beleh- nen konsolidiert. Wir halten es deshalb für nicht ren können, was das tatsächlich bedeutet. 1981 be- befriedigend, wenn der Bund seine Gesetzgebungs- trugen die Zinsen für Kommunaldarlehen etwa kompetenz im Abgabenbereich wieder nur zu sei- 13 %. Sie betragen heute etwa 7 %. Damit er auch da nen Gunsten einsetzt. keine Schwierigkeiten hat, erläutere ich ihm die (Zustimmung von den GRÜNEN) Differenz: Es sind 6% Unterschied. Wenn das keine Zinssenkung ist, dann möchte ich wissen, was sonst Das Mehraufkommen aus der von uns vorgeschla- eine Zinssenkung ist. genen Tarifänderung kommt dagegen dem Bund, den Ländern und den Gemeinden zugute. Wir schla- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) gen zum Schluß vor, diese Tarifänderung zum 1. Ja- Die Ausgangslage wäre für uns natürlich noch nuar 1985 in Kraft treten zu lassen. viel besser, wenn wir nicht diese enorme Schulden- Ich bitte Sie darum, diesem Antrag zuzustim- last übernommen hätten. Ich darf Ihnen einmal vor- men. rechnen, was diese Schuldenlast tatsächlich bedeu- Danke schön. tet. Sie haben Schulden in Höhe von 250 Milliarden DM hinterlassen. Daraus ergeben sich bis 1990 (Beifall bei den GRÜNEN) zwangsläufig weitere Schuldensteigerungen auf die Größenordnung von 450 Milliarden DM. Sie selber warnen ja immer davor, daß wir uns kaputtsparen. Das Wort hat der Herr Abge- Vizepräsident Wurbs: (Zurufe von der SPD) ordnete Austermann. Wenn ich die Zinsen daraufschlage, dann ergibt sich ein Betrag von etwa 750 Milliarden DM, die Austermann (CDU/CSU): Herr Präsident! Meine zwangsläufig aus der Verschuldungspolitik Ihrer Damen und Herren! Auch der Einsatz der Wieczo- Regierungszeit entstanden sind. rek-Zwillinge hat nicht ausgereicht, das zu rechtfer- (Widerspruch bei der SPD) tigen und zu belegen, was Sie hier hinsichtlich der Gemeindefinanzen und der Situation auf dem Ar- Das ist eine dreiviertel Billion. Das nenne ich den beitsmarkt behauptet haben. Ich möchte eine ganz sozialdemokratischen Schuldenberg, den Monte klare Feststellung treffen: Der Bundeshaushalt Sozi, den man nicht deutlicher bezeichnen kann. 1985 wirkt positiv auf den Arbeits- und Kapital- (Beifall bei der CDU/CSU) markt. Der sozialdemokratische Schuldenberg beträgt eine (Hoffmann [Saarbrücken] [SPD]: Das ist dreiviertel Billion DM. eine Behauptung, aber keine Feststel lung!) Sehen wir uns einmal an, wie es mit der Verschul- dungsentwicklung heute tatsächlich aussieht. Wir Das wird erkennbar, wenn man die Investitions- haben den Rekordbundesbankgewinn eingeplant. quote, vor allem die Investitionsquote der Vorjahre, Aber wir haben ihn dazu verwendet, die Schulden- ins Verhältnis zur Neuverschuldung setzt. Herr last abzubauen, die Nettokreditaufnahme abzusen- Wieczorek, seit drei Jahren, nämlich 1983, 1984 und ken. Hätten wir nicht die Einbußen bei den Steuer- 1985, wird die verfassungsrechtliche Grenze des einnahmen, bedingt durch die EG und durch den Art. 115 des Grundgesetzes selbstverständlich wie- Streik, dann könnten wir davon ausgehen, daß wir der eingehalten. Das war bei Ihnen nicht selbstver- mit Sicherheit eine Nettoneuverschuldung von etwa ständlich. Sie hatten ein schlechtes Verhältnis zur 20 Milliarden DM hätten. Das ist die magische Zahl, Verfassung. Die alte Regierung Schmidt hat diese die wir brauchen, um auch bei den Zinsen langsam Vorschrift mehrfach verletzt. Heute ist es selbstver- zu einer fallenden Tendenz zu kommen. Ich glaube, ständlich, daß die investiven Ausgaben wieder an- wir werden diese 20-Milliarden-DM-Grenze im steigen. Haushaltsvollzug auch 1985 erreichen. (Wieczorek [Duisburg] [SPD]: Das ist doch Die SPD hat 1975 mit dem damaligen Bundes- nicht wahr, Herr Kollege!) kanzler Schmidt zwei schlimme Raketen steigen — Natürlich, sie steigen — gemessen an der Zahl lassen. Die eine war die Verschuldungsrakete, die des Jahres 1981 — um fünf Milliarden DM. Das sind andere die Arbeitslosigkeitsrakete. Sie haben über- — gemessen an dem von Ihnen zu verantwortenden haupt keine Veranlassung, uns heute vorzuwerfen, 7816 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 105. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. November 1984

Austermann wir täten zuwenig gegen den Abbau der Arbeitslo- Ich brauche nicht zu betonen, daß, wenn eine sigkeit. Entwicklung auf diese Art und Weise in Gang kommt, bei der sich Nordrhein-Westfalen an Dann zur mittelfristigen Perspektive. 1986 wird eine solche Argumentation anhängt, das ge- der Bund zusätzliche Belastungen für soziale Lei- samte System des Ausgleichs zwischen Län- stungen im Bundeshaushalt übernehmen: für das dern und Bund ins Rutschen kommt. Erziehungsgeld, für den Kinderzuschlag für Nicht- Nordrhein-Westfalen hat sich bei der Abstimmung steuerzahler, für Familienentlastung, durch die über Ihren Antrag der Stimme enthalten. Steuerreform, durch das Babyjahr. Das sind zusätz- lich 14 Milliarden DM. Trotzdem werden wir bei der Was Bremen betrifft, so haben wir im Rahmen Neuverschuldung eine sinkende Tendenz haben der Gemeinschaftsaufgabe mit 80 Millionen DM, und 1987 mit der Nettoneuverschuldung wieder bei mit erhöhter Werfthilfe, Seeschiffahrtshilfe und an- der 20-Milliarden-DM-Grenze ankommen. deren Hilfen bisher mehr für dieses Bundesland getan als jede andere Bundesregierung zuvor. Nun ein paar Worte zur Belastung der Besserver- Lassen Sie mich zusammenfassen. Die Sparmaß- dienenden. Ich will überhaupt nicht verniedlichen, nahmen, die erheblichen Opfer, die 30 Millionen un- was eine große Zahl unserer Bürger, nämlich etwa serer Bürger erbracht haben, waren sinnvoll. Die 30 Millionen, durch Ihre Schuldenlast an Belastun- öffentliche Verschuldung wird von Jahr zu Jahr ver- gen zu tragen haben. Aber man muß bitte auch ringert. Eine umfangreiche Steuerentlastung steht anerkennen, daß die heimliche Steuererhöhung seit bevor. Eine neue Politik für die Familien ist einge- der letzten Tarifkorrektur etwa 55 Milliarden DM leitet. Der Ausgabenzuwachs liegt unter dem des beträgt und daß die Besserverdienenden auch von Bruttosozialprodukts. Die Zunahme der Arbeitslo- uns bisher erheblich in Anspruch genommen wor- sigkeit ist gestoppt. Sie nimmt Jahr für Jahr ab. Der den sind. Meine Damen und Herren, wir wollen nur Bundeshaushalt 1985 und die mittelfristige Finanz- eine solche Beteiligung der Besserverdienenden — planung wirken positiv auf Arbeits- und Kapital- und dafür werden wir auch eine Lösung finden —, markt. Ich möchte Sie deshalb bitten, den Einzelplä- die die Erhaltung von Arbeitsplätzen und neue In- nen 08, 32 und 60 sowie der Saar-Hilfe zuzustimmen vestitionen nicht beeinträchtigt; etwas anderes und den SPD-Antrag betreffend die Ergänzungsab- wäre grundfalsch. gabe abzulehnen. Wir brauchen uns auch überhaupt nicht zu ver- Herzlichen Dank. stecken, was die soziale Symmetrie betrifft. Wenn (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Sie die sozialen Leistungen dieser Regierung für die nächsten Jahre sehen, dann können Sie davon ausgehen, daß der Familienlastenausgleich pro Vizepräsident Wurbs: Meine Damen und Herren, Jahr um 10 Milliarden DM erhöht wird. An sich ich möchte darum bitten, daß Sie Platz nehmen. Wir sollte man erwarten, daß die SPD nach dem, was sie haben noch eine Wortmeldung vorliegen. Dann tre- 1982 hinterlassen hat, eine Schamfrist des Schwei- ten wir in die Abstimmung ein. gens verstreichen läßt — etwa für eine Legislatur- Das Wort hat der Herr Abgeordnete Waltema- periode —, des Schweigens über das, was sie selber the. hervorgerufen hat.

Die von Ihnen beantragte Ergänzungsabgabe ist Waltemathe (SPD): Herr Präsident! Meine sehr völlig ungeeignet, weil sie investitionsfeindlich und verehrten Damen und Herren! Die Bundesregie- arbeitsplatzvernichtend ist. Interessanterweise ha- rung hat ihren Beschluß vom 3. Juli 1984, dem Saar- ben Sie den Teil bezüglich der Arbeitsplätze, den land eine Investitionshilfe von 300 Millionen DM zu Sie beim letztenmal noch vorgehabt haben, wegge- gewähren, durch Finanzminister Stoltenberg am lassen. Die Konzeption der Tarifreform würde 4. Juli vor der Pressekonferenz damit begründet, durch die Ergänzungsabgabe im Kern getroffen. das Saarland habe die höchste Verschuldung, eine Auch international paßt das, was Sie wollen, über- wirtschaftliche Schieflage und besondere Arbeits- haupt nicht in die Landschaft. Wir werden Ihren marktprobleme aufzuweisen. Als man merkte, daß Antrag selbstverständlich ablehnen. die gleichen Kriterien auch auf Bremen zutreffen, hat man noch eine Begründung nachgeschoben: Meine Damen und Herren, noch einige Sätze zu Das Saarland sei erst 1957 zum Bundesgebiet ge- dem Antrag, dem Saarland Hilfeleistung zu gewäh- kommen und habe deshalb einen besonderen Nach- ren. Der Bund wird in den nächsten drei Jahren je holbedarf. Jahr 100 Millionen DM an das Saarland geben. Wir halten es für gerechtfertigt, die besondere Situation Nun ist es aber nach Art. 104 a Abs. 4 des Grund- dieses Landes aus gesamtstaatlicher Verantwor- gesetzes so, daß der Bund zu besonderer Hilfe be- tung auf diese Weise zu berücksichtigen. Es gibt rechtigt, aber auch verpflichtet ist, wenn eine Stö- keine Veranlassung, für andere Bundesländer sich rung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts bemüßigt zu fühlen, ähnliche Anträge zu stellen. Ich vorliegt oder unterschiedliche Wirtschaftskraft im darf bezüglich des Antrags des Landes Bremen Bundesgebiet ausgeglichen werden soll. Es kommt kurz auf die Stellungnahme des Staatsministers Ei- also auf objektive und gegenwärtige Tatbestände nert aus Nordrhein-Westfalen vom 5. Oktober 1984 an, nicht auf deren Ursachen. im Bundesrat und auf Herrn Gaddum verweisen, Meine Damen und Herren, der Bremer Senat und der gesagt hat: alle politischen Kräfte in Bremen haben von An- Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 105. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. November 1984 7817

Waltemathe fang an die Hilfe an das Saarland für eine richtige nicht den Schluß, daß dem Saarland nicht geholfen Maßnahme gehalten. werden darf. Aber es ist zwingend, daß Bremen (Beifall bei der SPD und Abgeordneten der dann auch geholfen werden muß, da die Zahlen aus CDU/CSU) dem Hause Stoltenberg doch wohl objektiv sind. (Beifall bei der SPD) Ebenso aber haben alle Bremer Parlamentarier des Landtages und hier im Bundestag eine gleiche For- Im Grundgesetz der Bundesrepublik ist das derung an die Bundesregierung gestellt, auch dem Gleichbehandlungsgebot verankert. Es steht nir- kleinsten Bundesland Bremen wegen seiner beson- gends geschrieben und kann ja wohl kein Verfas- deren Verschuldungs-, Arbeitsmarkt- und Struktur- sungsgrundsatz sein, daß die Bundesregierung es probleme eine Investitionshilfe zu gewähren. sich aussuchen kann, ausschließlich solchen Län- dern zu helfen, die CDU-regiert sind und vor einer (Beifall bei der SPD) Landtagswahl stehen, und nicht auch solchen Län- So sagte der Landes- und Fraktionsvorsitzende dern, die auf Grund des überzeugenden Ergebnis- der Bremer CDU, , am 19. Septem- ses einer Landtagswahl SPD-regiert sind. ber 1984 in der Bremischen Bürgerschaft folgen- (Beifall bei der SPD) des: Das Saarlandhilfegesetz enthält ja wohl auch Deswegen will ich vorweg sagen, um nicht miß- nicht eine Klausel, nach der auch nach dem verstanden zu werden, daß ich das Begehren 10. März 1985 der Ministerpräsident des Saarlandes Bremens für berechtigt halte. Ich habe nie ei- noch zwingend Zeyer heißen muß. Ich hoffe, er nen Hehl daraus gemacht, daß ich die Argu- heißt dann nicht mehr so. mente der Bundesregierung, bezogen auf die (Beifall bei der SPD — Zuruf von der CDU/ Nichtvergleichbarkeit Bremens mit dem Saar- CSU: Wird er aber!) land, nicht hinnehme. Wir können es jedenfalls nicht hinnehmen, daß Bre- (Beifall bei der SPD) men notwendige Hilfe versagt wird, weil der Kosch- An anderer Stelle sagte er: nick-Senat dieser Bundesregierung nicht paßt. Die Ich vertrete die Auffassung, daß bei der Gewäh- Hilfe, derer Bremen dringend bedarf, soll nicht zu rung von Hilfen, bezogen auf das Grundgesetz Gefallen von Politikern gewährt werden, sondern 104 a, der tatsächliche Zustand eine Rolle damit in einem kleinen Bundesland in einer struk- spielt. turell schwierigen Region den dort lebenden Bür- gern, die zur Zeit zu fast 14% arbeitslos sind, durch Diesen Feststellungen kann ich mich vollinhalt- Investitions- und Strukturmaßnahmen Zukunfts- lich anschließen. Gleiche Tatbestände, meine Da- chancen eröffnet werden können. men und Herren, dürfen nach unserer Verfassung Ich bitte deshalb das ganze Haus, den Grundsatz nicht ungleich behandelt werden. Annähernd 70% der Gleichbehandlung gleicher Tatbestände zu be- aller Beschäftigten im Lande Bremen arbeiten in achten und deshalb auch Bremen solche Hilfe zu Branchen mit einem Rückgang an Arbeitsplätzen. gewähren, wie sie zu Recht dem Saarland zugestan- Trotz rigorosester, jeden einzelnen Bürger treffen- den wird. Ich gehe davon aus, meine Damen und der Einsparungsmaßnahmen sind die Verschuldung Herren von der größten Fraktion dieses Hauses, des Landes Bremen besonders hoch, die wirtschaft- daß Sie es nicht fertigbringen, die CDU Bremens im liche Wachstumsrate leider weit unterdurchschnitt- Regen stehenzulassen. Sie werden also unserem lich und die Investitionsquote besonders niedrig. Gesetzesantrag zustimmen. Bremen ist nicht in der Lage, sich ausschließlich Vielen Dank. mit eigenen Bordmitteln aus der besonderen Klemme zu befreien. Das Land Bremen, seine Bür- (Beifall bei der SPD) gerinnen und Bürger einschließlich der 90 000 Nie- dersachsen, die ihren Arbeitsplatz in Bremen und Vizepräsident Wurbs: Das Wort hat der Minister Bremerhaven haben, erwarten, daß der Bund seine für Rechtspflege und Bundesratsangelegenheiten Verpflichtung zur Hilfe erkennt und auch wahr- des Saarlandes. nimmt. (Zuruf von der SPD: Wie heißt der Mann?) (Beifall bei der SPD) Meine Damen und Herren, aus dem Hause Stol- Minister Dr. Knies (Saarland): Herr Präsident! Ver- tenberg frisch auf den Tisch: Drucksache 10/2298, ehrte Damen! Meine Herren! Ich werde den Eintritt „Bericht der Bundesregierung über die Angemes- der Mittagspause nicht lange verzögern, senheit der mit dem Haushaltsbegleitgesetz 1983 (Zustimmung bei der CDU/CSU) getroffenen Regelung zum horizontalen Länderfi- nanzausgleich ..." Was geht daraus hervor? — Daß aber der, dem geholfen wird, schuldet Dank, Bremen und das Saarland vor Finanzausgleich an (Zuruf von der SPD: Richtig!) letzter Stelle liegen, daß nach Finanzausgleich Bre- und dem, der geholfen hat, gebührt Dank. men und das Saarland bei 95% des Bundesdurch- schnitts liegen. Das Saarland erhält eine Bundeser- (Zustimmung bei der CDU/CSU) gänzungszuweisung. Dann liegt es bei 100,6%. Bre- Das Saarland schuldet dem Bund Dank für die men erhält keine, hat deshalb also Finanzkraft von Finanzhilfen, die heute von diesem Hohen Hause 95% des Bundesdurchschnitts. Daraus ziehe ich beschlossen werden. Dank schulden wir Ihnen, 7818 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 105. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. November 1984

Minister Dr. Knies (Saarland) meine Damen und Herren, die Sie heute Ihre Zu- Ich danke Ihnen, meine Damen und Herren, daß stimmung zu diesem Gesetz geben werden. Dank Sie mit Ihrem heutigen Gesetzesbeschluß dieser schulden wir der Bundesregierung, nicht zuletzt Verantwortung des Bundes gerecht werden. dem Bundesfinanzminister Gerhard Stoltenberg, (Beifall bei der CDU/CSU) der sich auch in diesem Falle sehr nachdrücklich für das Saarland engagiert hat. Vizepräsident Wurbs: Meine Damen und Herren, (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache. Meine Damen und Herren, das Saarland schuldet dem Bund Dank, Ich erteile das Wort dem Abgeordneten Matthö- - fer zur Abgabe einer Erklärung nach § 31 unserer (Zuruf von der SPD: Nein, Geld!) Geschäftsordnung. das Saarland sagt dem Bund Dank, Matthöfer (SPD): Herr Präsident! Meine Damen (Hoffmann [Saarbrücken] [SPD]: Jetzt ist und Herren! Ich werde dem Antrag zustimmen, ob- es ja gut!) wohl ich immer der Meinung war und noch der Mei- und es sagt diesen Dank aufrichtig, aber auch auf- nung bin, es wäre besser, das Steuersystem durch recht, durchaus in der Haltung eines selbstbewuß- Abbau von Steuervergünstigungen, die den oberen ten Landes Einkommensschichten zugute kommen, zu verein- fachen (Dr. Ehmke [Bonn] [SPD]: Das nützt Herrn (Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten Zeyer auch nichts mehr. Lassen Sie es!) der GRÜNEN) und nicht mit der Unterwürfigkeit eines bettelnden und nicht durch Einführung einer Ergänzungsab- selbstverschuldet Armen. gabe zusätzlich zu komplizieren. Weil aber die CDU/CSU entgegen den Ankündigungen vor der Denn, meine Damen und Herren, wenn wir um Wahl nicht nur eine drastische Umverteilung zu- Hilfe bitten, so fordern wir die Solidarität des Bun- gunsten der oberen Einkommensschichten betreibt des und der Länder für eine Hypothek deutscher — das haben wir schließlich erwartet —, sondern Geschichte, die auf dem Saarland seit langem und auch allgemein die Steuerlastquote, insbesondere noch immer lastet durch den drastischen Anstieg des Lohnsteuerauf- (Hoffmann [Saarbrücken] [SPD]: Herr kommens, erhöht und das Steuersystem weiter Zeyer!) kompliziert, die Bürokratisierung begünstigt, werde ich dem Antrag meiner Fraktion, weil ich keine und die das Land noch auf absehbare Zeit wird andere Möglichkeit sehe, zu ein wenig sozialer Aus- abtragen müssen. Ich bitte Sie, sich nur für einen gewogenheit beizutragen, uneingeschränkt zustim- Augenblick die weitreichenden Folgen zu vergegen- men. wärtigen, die der dem Saarland auferlegte vierma- lige Wechsel des Staats- und Wirtschaftsverbandes (Beifall bei der SPD) nach den beiden Weltkriegen in diesem Jahrhun- dert bedingt und bedeutet hat. Bedenken Sie bitte Vizepräsident Wurbs: Das Wort zur Abgabe einer heute und auch in Zukunft, daß der Anschluß des Erklärung nach § 31 unserer Geschäftsordnung hat Saarlandes an die Bundesrepublik Deutschland, der Abgeordnete Stratmann. wirtschaftlich gesehen und gesprochen, spät, zu spät erfolgte, zu einem Zeitpunkt nämlich, als lei- Stratmann (GRÜNE): Liebe Kolleginnen und Kol- stungsfähige neue Branchen und zukunftsweisende legen! Ich möchte erklären, warum ich persönlich Forschungseinrichtungen an anderer Stelle der und die Fraktion der GRÜNEN zu dem Entwurf Bundesrepublik Deutschland längst angesiedelt eines Gesetzes über Finanzhilfen des Bundes nach und seßhaft geworden waren. Art. 104 a Abs. 4 des Grundgesetzes an das Saarland uns enthalten werden, allerdings der Finanzhilfe an Meine Damen und Herren, die Saarländer sind das Land Bremen zustimmen werden. Ich will das dem Herrn Bundespräsidenten dankbar, daß er in kurz begründen. einer Rede vom 22. Oktober diesen geschichtlichen Hintergrund, diesen nationalen Charakter der Last, (Zurufe von der CDU/CSU: Persönliche Er die das Saarland zu tragen hat, hervorgehoben und klärung!) in das Bewußtsein der Deutschen gehoben hat. Ich Wir sind der Meinung, daß Finanzhilfen auch in will mit einigen Sätzen aus dieser Rede des Herrn der vorgeschlagenen Höhe sowohl an das Saarland Bundespräsidenten schließen: als auch an Bremen sinnvoll sind. Das entspricht genau unseren politischen Vorstellungen. Das Saarland stand und steht damit vor außer- gewöhnlichen Schwierigkeiten. Weder ist die (Zuruf von der CDU/CSU: Herr Präsident, Schuld dafür im Saarland zu suchen, noch kann das geht nicht!) vom Saarland allein eine Lösung dieser Pro- bleme erwartet werden. ... Der Bund wird zu Vizepräsident Wurbs: Herr Abgeordneter, ich darf seiner Verantwortung zu stehen haben, in an- Sie darauf aufmerksam machen, daß Sie zur Ab- gemessener Weise zu helfen, damit das Saar- stimmung sprechen und jetzt nicht die Debatte neu land mit seiner ungewöhnlich hohen Aufgaben- eröffnen können. last besser fertig werden kann. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 105. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. November 1984 7819

Stratmann (GRÜNE): Ich will keine Debatte füh- bitte ich, die Abstimmungskarte mit Ja, wer dage- ren, ich möchte mein Abstimmungsverhalten mit gen stimmt oder sich der Stimme enthalten will, zwei Sätzen erklären. den bitte ich, die entsprechende Abstimmungskarte Ich persönlich bin der Meinung, daß nach den in die hier vorne aufgestellten Urnen zu legen. Ausschußberatungen im Wirtschaftsausschuß ab- Ich eröffne die namentliche Abstimmung. sehbar ist, daß wesentliche Teile der 300 Millio- Meine Damen und Herren, ich darf darauf auf- nen DM für den Ausbau des Saarkanals, den wir merksam machen, daß nach der namentlichen Ab- aus ökologischen und wirtschaftspolitischen Grün- stimmung noch weitere — allerdings keine nament- den nicht mittragen können, lichen — Abstimmungen erfolgen. Ich bitte daher, (Zuruf von der CDU/CSU: Wie? Wer hier im Saal zu bleiben. denn?) Meine Damen und Herren, darf ich fragen, ob verwendet werden. Aus diesem Grunde differenzie- noch ein Mitglied des Hauses anwesend ist, das ren wir und differenziere ich persönlich: Enthal- seine Stimmkarte nicht abgegeben hat? — tung bei den Finanzhilfen für das Saarland, obwohl wir grundsätzlich für die finanzielle Unterstützung Ich frage noch einmal: Ist noch ein Mitglied an- des Saarlandes durch den Bund sind, ausdrückliche wesend, das die Stimmkarte nicht abgegeben hat? Zustimmung zur Finanzhilfe an das Land Bremen. — Das ist offensichtlich nicht der Fall. Ich schließe damit die Abstimmung. Ich bitte die Schriftführer, Ich danke Ihnen. mit der Auszählung zu beginnen. Ich bitte, damit einverstanden zu sein, daß wir in Vizepräsident Wurbs: Herr Abgeordneter, ich darf der Tagesordnung fortfahren, bis die Auszählung darauf aufmerksam machen, daß Sie eine Erklä- erfolgt ist. — Ich sehe keinen Widerspruch. Dann rung nach § 31 unserer Geschäftsordnung nur für wird so verfahren. sich persönlich und nicht für die Fraktion abgeben Ich darf bitten, Platz zu nehmen; wir haben noch können. einige Abstimmungen durchzuführen. Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldun- Ich lasse über den Einzelplan 60, Allgemeine Fi- gen liegen nicht vor. nanzverwaltung, in der Ausschußfassung abstim- Wir kommen zur Abstimmung. men. Wer dem Einzelplan seine Zustimmung zu ge- Ich rufe den Einzelplan 08 auf. Hierzu liegt auf ben wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Drucksache 10/2475 ein Änderungsantrag der Frak- Gegenstimmen? — Enthaltungen? — Der Einzel- tion der SPD vor. Wer dem Änderungsantrag zuzu- plan ist angenommen. stimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzei- Wer dem Einzelplan 20, Bundesrechnungshof, in chen. — Gegenstimmen? — Enthaltungen? — Das der Ausschußfassung zuzustimmen wünscht, den zweite war die Mehrheit. Der Antrag ist abgelehnt. bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenstimmen? — Meine Damen und Herren, von hier oben ist nicht Enthaltungen? — Der Einzelplan ist angenommen. festzustellen, wie sich die Abstimmung im einzel- Wir stimmen jetzt über die Beschlußempfehlung nen vollzieht. Ich darf doch bitten, bis zur namentli- des Haushaltsausschusses zu dem Finanzplan des chen Abstimmung sitzenzubleiben. Wir haben noch Bundes 1984 bis 1988 ab. Wer der Beschlußempfeh- einige Abstimmungen zu vollziehen. lung des Haushaltsausschusses auf Drucksache Wer dem Einzelplan 08 — Geschäftsbereich des 10/2387 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Bundesministers der Finanzen — in der Ausschuß- Handzeichen. — Gegenstimmen? — Enthaltungen? fassung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das — Die Ausschußempfehlung ist angenommen. Handzeichen. — Gegenstimmen? — Enthaltungen? Wir kommen zur Einzelberatung und Abstim- — Das erste war die Mehrheit. Der Einzelplan ist mung über den von der Bundesregierung einge- angenommen. brachten Entwurf eines Gesetzes über Finanzhilfen Wer dem Einzelplan 32 — Bundesschuld — in der des Bundes nach Art. 104a Abs. 4 des Grundgeset- Ausschußfassung zuzustimmen wünscht, den bitte zes an das Saarland, Drucksache 10/2229. ich um ein Handzeichen. — Gegenstimmen? — Ent- Ich rufe die §§ 1 bis 8, Einleitung und Überschrift haltungen? — Der Einzelplan ist angenommen. in der Ausschußfassung auf. Wer den aufgerufenen Ich rufe den Einzelplan 60 — Allgemeine Finanz- Vorschriften zuzustimmen wünscht, den bitte ich verwaltung — auf. Hierzu liegen auf den Druck- um ein Handzeichen. — Gegenstimmen? — Enthal- sachen 10/2487 und 10/2528 zwei Änderungsanträge tungen? — Die aufgerufenen Vorschriften sind an- der Fraktion der SPD vor. genommen. Wer dem Änderungsantrag auf Drucksache Wir treten in die 10/2487 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenstimmen? — Enthaltungen? dritte Beratung — Der Antrag ist abgelehnt. ein und kommen zur Schlußabstimmung. Wer dem Wir kommen nun zu dem Änderungsantrag der Gesetz als Ganzem zuzustimmen wünscht, den bitte Fraktion der SPD auf Drucksache 10/2528. Die ich, sich zu erheben. — Gegenstimmen? — Enthal- Fraktion der SPD verlangt gemäß § 52 unserer Ge- tungen? — Das Gesetz ist angenommen. schäftsordnung namentliche Abstimmung. Wer Wir kommen nunmehr zur Einzelberatung und dem Änderungsantrag zuzustimmen wünscht, den Abstimmung über den von der Fraktion der SPD 7820 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 105. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. November 1984

Vizepräsident Wurbs eingebrachten Entwurf eines Gesetzes über die Fi- Dr. Friedmann Dr. Mikat nanzhilfe des Bundes nach Art. 104 a Abs. 4 des Ganz (St. Wendel) Dr. Miltner Frau Geiger Milz Grundgesetzes an die Freie Hansestadt Bremen, Dr. Geißler Dr. Möller Drucksache 10/2141*). Der Ausschuß empfiehlt, die- Dr. von Geldern Müller (Remscheid) sen Gesetzentwurf abzulehnen. Dr. George Müller (Wadern) Gerstein Müller (Wesseling) Ich rufe die §§ 1 bis 8 Einleitung und Überschrift Gerster (Mainz) Nelle auf. Wer den aufgerufenen Vorschriften zuzustim- Glos Frau Dr. Neumeister men wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Dr. Göhner Niegel Götzer Dr.-Ing. Oldenstädt Gegenstimmen? — Enthaltungen? — Der Gesetz- Günther Dr. Olderog entwurf ist in zweiter Beratung abgelehnt. Damit Dr. Häfele Pesch unterbleibt nach § 83 Abs. 3 unserer Geschäftsord- von Hammerstein Petersen nung jede weitere Beratung. Hanz (Dahlen) Pfeffermann Haungs Pfeifer Meine Damen und Herren, zu Zusatzpunkt 2 wird Hauser (Esslingen) Dr. Pinger interfraktionell vorgeschlagen, den Gesetzentwurf Hauser (Krefeld) Pohlmann Hedrich Dr. Probst der Fraktion der SPD auf Drucksache 10/2460 zu Freiherr Heereman Rawe überweisen: zur federführenden Beratung an den von Zuydtwyck Reddemann Finanzausschuß und zur Mitberatung an den Frau Dr. Hellwig Regenspurger Rechtsausschuß, den Ausschuß für Wirtschaft, den Helmrich Repnik Dr. Hennig Dr. Riedl (München) Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung sowie zur Herkenrath Dr. Riesenhuber Mitberatung und zur Beratung gemäß § 96 unserer Hinrichs Rode (Wietzen) Geschäftsordnung an den Haushaltsausschuß. Gibt Hinsken Frau Roitzsch es dazu andere Vorschläge? — Das ist nicht der Höffkes (Quickborn) Höpfinger Dr. Rose Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Dr. Hoffacker Rossmanith Dr. Hornhues Roth (Gießen) Ich warte noch auf das Ergebnis der Auszählung. Hornung Rühe — Meine Damen und Herren, ich gebe das von den Frau Hürland Sauer (Salzgitter) Schriftführern ermittelte Ergebnis der Abstim- Dr. Hüsch Sauer (Stuttgart) mung über den Antrag der Fraktion der SPD auf Dr. Hupka Saurin Graf Huyn Sauter (Epfendorf) Drucksache 10/2528 bekannt. Von den voll stimmbe- Jäger (Wangen) Sauter (Ichenhausen) rechtigten Mitgliedern des Hauses haben 440 ihre Jagoda Dr. Schäuble Stimmen abgegeben. Ungültige Stimmen: keine. Dr. Jahn (Münster) Schartz (Trier) Mit Ja haben gestimmt 173, mit Nein haben ge- Dr. Jenninger Schemken Dr. Jobst Scheu stimmt 254, Enthaltungen: 13. Von den 20 Berliner Jung (Lörrach) Schlottmann Abgeordneten haben alle ihre Stimmen abgegeben. Dr.-Ing. Kansy Schmidbauer Davon ungültig: keine. Mit Ja haben gestimmt 9, Frau Karwatzki Schmitz (Baesweiler) mit Nein haben gestimmt 11, Enthaltungen: keine. Keller von Schmude Kiechle Schneider Klein (München) (Idar-Oberstein) Endgültiges Ergebnis Dr. Köhler (Duisburg) Dr. Schneider (Nürnberg) Dr. Köhler (Wolfsburg) Freiherr von Schorlemer Abgegebene Stimmen 439 und 20 Berliner Abgeordnete; Dr. Kohl Schreiber davon Kolb Dr. Schroeder (Freiburg) Kraus Schulhoff ja: 172 und 9 Berliner Abgeordnete Krey Dr. Schulte nein: 254 und 11 Berliner Abgeordnete Kroll-Schlüter (Schwäbisch Gmünd) Frau Krone-Appuhn Schwarz enthalten: 13 Dr. Kronenberg Dr. Schwarz-Schilling Dr. Kunz (Weiden) Dr. Schwörer Nein Bühler (Bruchsal) Lamers Seehofer Carstens (Emstek) Dr. Lammert Seesing Carstensen (Nordstrand) Dr. Langner Seiters CDU/CSU Clemens Lattmann Dr. Freiherr Dr. Abelein Dr. Czaja Dr. Laufs Spies von Büllesheim Frau Augustin Dr. Daniels Lemmrich Spilker Austermann Daweke Lenzer Spranger Dr. Becker (Frankfurt) Frau Dempwolf Link (Diepholz) Dr. Stavenhagen Berger Deres Link (Frankfurt) Dr. Stercken Biehle Dörflinger Linsmeier Stockhausen Dr. Blank Dr. Dollinger Lintner Dr. Stoltenberg Dr. Blens Doss Dr. Lippold Strube Dr. Blüm Dr. Dregger Löher Stücklen Böhm (Melsungen) Echternach Lohmann (Lüdenscheid) Stutzer Dr. Bötsch Ehrbar Louven Susset Bohl Eigen Lowack Tillmann Bohlsen Engelsberger Maaß Dr. Todenhöfer Borchert Dr. Faltlhauser Frau Männle Uldall Braun Fellner Magin Dr. Unland Breuer Frau Fischer Marschewski Frau Verhülsdonk Broll Fischer (Hamburg) Dr. Marx Vogel (Ennepetal) Brunner Francke (Hamburg) Dr. Mertes (Gerolstein) Vogt (Düren) Metz Dr. Voigt (Northeim) Dr. Meyer zu Bentrup Dr. Voss *) Siehe dazu Anlage 2 (Erklärung nach § 31 GO) Michels Dr. Waffenschmidt Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 105. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. November 1984 7821

Vizepräsident Wurbs Dr. Waigel Dr. Apel Matthöfer Westphal Graf von Waldburg-Zeil Bachmaier Meininghaus Frau Weyel Dr. Warnke Bahr Dr. Mertens (Bottrop) Dr. Wieczorek Dr. Warrikoff Bamberg Müller (Düsseldorf) Wieczorek (Duisburg) Weirich Becker (Nienberge) Müller (Schweinfurt) Wiefel Weiß Bernrath Müntefering von der Wiesche Werner Berschkeit Nagel Wimmer (Neuötting) Frau Dr. Wex Bindig Nehm Wischnewski Frau Will-Feld Frau Blunck Neumann (Bramsche) Witek Frau Dr. Wilms Brück Dr. Nöbel Dr. de With Wilz Buckpesch Frau Odendahl Wolfram Wimmer (Neuss) Büchler (Hof) Oostergetelo (Recklinghausen) Windelen Buschfort - Paterna Würtz Frau Dr. Wisniewski Catenhusen Pauli Zander Wissmann Collet Dr. Penner Frau Zutt Dr. Wittmann Conradi Peter (Kassel) Wittmann (Tännesberg) Dr. Corterier Pfuhl Berliner Abgeordnete Dr. Wörner Curdt Porzner Würzbach Frau Dr. Däubler-Gmelin Poß Dr. Diederich (Berlin) Egert Dr. Wulff Daubertshäuser Purps Zierer Dreßler Heimann Rapp (Göppingen) Löffler Zink Duve Rappe (Hildesheim) Dr. Ehmke (Bonn) Reimann Frau Luuk Berliner Abgeordnete Dr. Ehrenberg Reuschenbach Dr. Mitzscherling Dr. Emmerlich Reuter Dr. Vogel Frau Berger (Berlin) Wartenberg (Berlin) Boroffka Dr. Enders Rohde (Hannover) Buschbom Esters Roth Ewen Sander Dolata DIE GRÜNEN Feilcke Fischer (Homburg) Schäfer (Offenburg) Dr. Hackel Fischer (Osthofen) Schanz Drabiniok Kalisch Franke (Hannover) Dr. Scheer Dr. Ehmke (Ettlingen) Dr. h. c. Lorenz Frau Fuchs (Köln) Schlaga Fischer (Frankfurt) Schulze (Berlin) Frau Fuchs (Verl) Schlatter Hoss Straßmeir Gansel Dr. Schmidt (Gellersen) Kleinert (Marburg) Gerstl (Passau) Schmidt (München) Reents Gilges Schmitt (Wiesbaden) Frau Schoppe FDP Glombig Dr. Schmude Stratmann Frau Dr. Adam Grunenberg Dr. Schöfberger Schwaetzer Haar Schreiner Berliner Abgeordneter Haase (Fürth) (Mülheim) Baum Schröer Schneider (Berlin) Beckmann Haehser Schulte (Unna) Bredehorn Hansen (Hamburg) Dr. Schwenk (Stade) Cronenberg (Arnsberg) Frau Dr. Hartenstein Sielaff Eimer (Fürth) Hauck Sieler fraktionslos Engelhard Heistermann Frau Simonis Ertl Herterich Dr. Soell Bastian Dr. Feldmann Hettling Dr. Sperling Gallus Heyenn Stahl (Kempen) Gattermann Hiller (Lübeck) Steiner Enthalten Genscher Hoffmann (Saarbrücken) Frau Steinhauer Dr. Holtz Grünbeck Stiegler DIE GRÜNEN Grüner Horn Stockleben Frau Dr. Hamm-Brücher Frau Huber Dr. Struck Frau Dr. Bard Dr. Haussmann Huonker Frau Terborg Burgmann Dr. Hirsch Ibrügger Tietjen Frau Dr. Hickel Kleinert (Hannover) Immer (Altenkirchen) Frau Dr. Timm Horacek Kohn Jahn (Marburg) Toetemeyer Krizsan Dr.-Ing. Laermann Jansen Frau Traupe Frau Nickels Dr. Graf Lambsdorff Jaunich Urbaniak Frau Potthast Mischnick Dr. Jens Voigt (Frankfurt) Frau Reetz Möllemann Junghans Waltemathe Sauermilch Neuhausen Jungmann Walther Schwenninger Paintner Kastning Weinhofer Verheyen (Bielefeld) Ronneburger Kiehm Weisskirchen (Wiesloch) Vogt (Kaiserslautern) Dr. Rumpf Kirschner Dr. Wernitz Frau Dr. Vollmer Schäfer (Mainz) Kisslinger Frau Seiler-Albring Klein (Dieburg) Dr. Solms Dr. Klejdzinski Dr. Weng Klose Der Antrag ist abgelehnt. Wolfgramm (Göttingen) Kolbow Wurbs Kretkowski Meine Damen und Herren, es ist interfraktionell Dr. Kübler vereinbart worden, die Abstimmung über Finanz- Berliner Abgeordneter Kühbacher Kuhlwein hilfen für Bremen zu wiederholen, weil es Unstim- Hoppe Lambinus migkeiten bzw. Mißverständnisse gegeben hat. Lennartz Können wir die Abstimmung gleich wiederholen? Ja Leonhart Frau Dr. Lepsius (Zurufe: Ja!) Liedtke SPD Lohmann (Witten) Wir kommen also noch einmal zur Abstimmung Dr. Ahrens Lutz über den von der Fraktion der SPD eingebrachten Amling Frau Matthäus-Maier Entwurf eines Gesetzes über Finanzhilfen des Bun- 7822 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 105. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. November 1984

Vizepräsident Wurbs des nach Art. 104 a Abs. 4 des Grundgesetzes an die Herr Minister, Sie haben ja Gelegenheit, das klar- Freie Hansestadt Bremen, Drucksache 10/2141. Ich zustellen. rufe die §§ 1 bis 8, Einleitung und Überschrift auf. (Roth [SPD]: Ich habe es nicht gelesen, le Wer den aufgerufenen Vorschriften zuzustimmen sen Sie es bitte vor!) wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Ge- genstimmen? — Enthaltungen? — Der Gesetzent- — Bitte, ich lese es vor: wurf ist in zweiter Beratung abgelehnt. In einer Partei wie der CSU wird ein Vorsitzen (Dr. Hackel [CDU/CSU]: Das Ergebnis ist der schon gewählt, wenn er ein Glas Bier hebt. das gleiche!) (Demonstrative Zustimmung bei der SPD) Damit unterbleibt eine weitere Beratung. - — Ich bemerke den Neid der SPD. Über die SPD Meine Damen und Herren, wir treten nunmehr in würde man so etwas nicht sagen. In der Partei wird die Mittagspause ein und fahren danach mit der man nämlich nur noch Vorsitzender, wenn man ein Beratung des Einzelplanes 09 fort. sehr sauertöpfisches Gesicht macht. Deswegen ha- ben Sie in Bayern ja auch so wenig Erfolg, Herr Ich unterbreche die Sitzung bis 14 Uhr. Dr. Vogel. (Unterbrechung der Sitzung von 13.25 bis 14.00 Uhr) (Beifall bei der CDU/CSU) Ich möchte aber doch sagen, lieber Herr Minister Bangemann: Sie werden noch erfahren, wie schwer Vizepräsident Westphal: Meine Damen und Her- es ist, wenn man in einer Partei Vorsitzender wird. ren, die unterbrochene Sitzung ist wieder eröffnet. Sie haben Probleme mit Ihrem Vorgänger im Mini- steramt. Sie haben noch größere Probleme mit Ih- Ich rufe auf: rem Parteivorsitzenden als dessen designierter Nachfolger. Sie haben sicher auch draußen Proble- Einzelplan 09 me, qualifizierte Orts- und Kreisvorsitzende zu fin- Geschäftsbereich des Bundesministers für den. Wir haben diese Probleme nicht. Wir stellen an Wirtschaft sich andere Qualifikationsansprüche. Ich bin sehr — Drucksachen 10/2309, 10/2330 — gespannt, wie gesagt, wie das bei Ihnen weiter- Berichterstatter: geht. Abgeordnete Glos Jedenfalls haben Sie als Bundeswirtschaftsmini- Dr. Weng ster ein sehr gut geführtes Haus übernommen. Sie Frau Simonis haben ein Ministerium übernommen, mit dem man Burgmann gut arbeiten kann. Daher haben Sie auch einen gut Hierzu liegen Ihnen Änderungsanträge vor gemachten Haushaltsentwurf übernommen. Nur auf den Drucksachen 10/2419 bis 10/2423, 10/2476, haben wir den gut gemachten Haushaltsentwurf in 10/2505 und 10/2532. den Beratungen noch etwas verbessert, weil das Bessere der Feind des Guten ist. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache zwei Stunden vorgesehen. — Ich Wir erfüllen mit diesem Haushaltsentwurf die sehe, das Haus ist damit einverstanden. Verpflichtungen gegenüber Branchen, die ohne staatliche Hilfe bzw. ohne den Ausgleich von Wett- Wird das Wort zur Berichterstattung gewünscht? bewerbsnachteilen nicht leben können. So stehen — Das ist nicht der Fall. wir zur deutschen Steinkohle und erfüllen unsere Dann eröffne ich die allgemeine Aussprache. Das gegebenen Zusagen an die Stahlindustrie. Wort hat der Abgeordnete Glos. (Kolb [CDU/CSU]: So ist es! — Dr. Vogel (Hoffmann [Saarbrücken] [SPD]: Der [SPD]: Mit Kürzungen! — Weitere Zurufe Mann mit dem Mehlhammer!) von der SPD) Allerdings darf ich für die Mehrheit des Ausschus- Glos (CDU/CSU): Herr Präsident! Meine sehr ver- ses sagen, daß wir der Meinung sind: 3 Milliarden ehrten Damen und Herren! Die Debatte zum Einzel- DM Subventionen sind genug. Wir haben als Bund plan des Bundesministers für Wirtschaft ist eine unseren Beitrag geleistet. Darüber hinaus soll die stets willkommene Gelegenheit, die wirtschaftliche Industrie die erforderlichen Mittel selbst aufbrin- Lage zu analysieren, die Ergebnisse und Fort- gen. schritte darzulegen sowie auf die künftigen Aufga- (Hoffmann [Saarbrücken] [SPD]: Um wie ben und Schwerpunkte der Wirtschaftspolitik hin- viel ist gekürzt worden? — Müller zuweisen. Doch bevor ich damit anfange, Herr Mini- [Schweinfurt] [SPD]: 10 % weg!) ster, möchte ich mich einmal kurz an Sie wenden. Die Unterstützung durch den Wirtschaftshaus- Ich habe zu meinem Mißfallen in der „Bild"-Zei- halt gilt auch in besonderem Maße unserer Luft- tung — gestern ein sogenanntes „Zitat des Tages" fahrtindustrie, wo wir vor allem mit der Forderung entdeckt, mit dem Sie sich nicht ganz gut über des europäischen Gemeinschaftsprojekts Airbus meine Partei auslassen. Ich nehme an, das war und moderner Triebwerkstechnologie die Voraus- mehr eine scherzhafte Äußerung. setzungen dafür schaffen, daß unser Land auch (Bindig [SPD]: Eine selten lichte Stunde künftig an dieser modernen Spitzentechnologie be- von Herrn Bangemann!) teiligt ist und daß die Fluggesellschaften in aller Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 105. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. November 1984 7823

Glos Welt Alternativen zu amerikanischen Flugzeugen Verpflichtungsermächtigungen — das stand auch und amerikanischen Anbietern haben. nicht im Entwurf des Wirtschaftsministers, sondern ist von uns hereingebracht worden — in Höhe von Da die Produktion des deutschen Anteils an die- 400 Millionen DM garantieren die Fortführung der sem guten Flugzeug insbesondere in Norddeutsch- bewährten Existenzgründungshilfen und ermögli- land stattfindet, haben wir damit zugleich — wie chen vor allen Dingen — neu — die Einführung des auch durch unsere Hilfe für die Schiffbauindustrie Existenzgründungssparens. Ich bin der Meinung: — einen herausragenden Beitrag zur Strukturpoli- Wir brauchen dringend neue Betriebe und neue tik des Küstenraumes geleistet. selbständige Existenzen, denn diese bringen neue Herr Kollege Wieczorek hat heute früh gesagt, Arbeitsplätze. wir seien eine Abstimmungsmaschinerie für Regie-- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) rungsentwürfe und dürften von uns aus keine In- Die Erfahrung zeigt, daß kleinere Betriebe auf itiativen im Haushaltsausschuß ergreifen. Ich glau- die Herausforderungen des Strukturwandels oft be, gerade das Gegenteil ist richtig. Beim Haushalt schneller und flexibler reagieren können. Vor allem des Wirtschaftsministeriums ist es uns gelungen, sehen wir dies am Beispiel der USA. Dort sind die durch Umschichtungen die Mittel für die Gewerbe- neuen Arbeitsplätze hauptsächlich in neuen Betrie- zu erhöhen. Durch diese förderungsmaßnahmen ben des Dienstleistungssektors entstanden. Mittel werden sowohl die Beratungen zur Existenz- gründung als auch Unternehmensberatungen geför- Sicherlich würde alle staatliche Förderung nichts dert. Wir haben dies aufgestockt, ebenso wie wir das nutzen, wenn nicht wieder ein entsprechendes Ver- bewährte Instrument der industriellen Gemein- trauensklima in unserer Wirtschaft und in unserer schaftsforschung über den Regierungsentwurf hin- Bevölkerung vorhanden wäre. aus ausgebaut haben. Hier gibt der Staat Hilfen, um sinnvolle Forschungsprojekte zur Steigerung der Vizepräsident Westphal: Herr Abgeordneter Glos, Wettbewerbsfähigkeit gerade kleiner und mittlerer gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Unternehmen zu unterstützen. Hoffmann? (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Glos (CDU/CSU): Wenn es sein muß, bitte sehr. Meine sehr verehrten Damen und Herren, es war Hoffmann (Saarbrücken) (SPD): Herr Kollege interessant, den Briefeingang zu diesem Thema zu Glos, da Sie gerade das amerikanische Beispiel als beobachten. Ich habe noch nie so viele Briefe wie Vorteil anführen: Können Sie mir bestätigen, daß jetzt bekommen, in denen interessierte Unterneh- die meisten neuen Arbeitsplätze im niedrig qualifi- mensberater und Unternehmungsberatungsgesell- zierten Bereich entstanden sind und die qualifizier- schaften forderten, diesen Haushaltstitel zu erhö- ten Arbeitsplätze abgebaut wurden? hen. Ich habe manchmal ein bißchen den Eindruck: Das Interesse liegt nicht bei den zu Beratenden, (Dr. Graf Lambsdorff [FDP]: Nein!) sondern bei den Beratern. Darunter waren auch Glos (CDU/CSU): Das zweite kann ich Ihnen Briefe in ganz unverschämtem Ton. Aber das war nicht bestätigen. Das erste ist sicher richtig, näm- Gott sei Dank nicht die Mehrzahl. lich daß sich diese Entwicklung vorwiegend im Wir haben auch erreicht — Herr Wieczorek, da Dienstleistungsbereich vollzog. Das geschah teil- sollten Sie aufmerken; das war eine Initiative des weise zu Löhnen, die nicht unserem Lohnniveau bei Haushaltsausschusses —, daß den mittelständi- Spitzentechnologien entsprechen. schen Tankstellenbetrieben die Einführung des Aber ich bin der Meinung, daß es besser ist, einen bleifreien Benzins erleichtert wird, damit die gegen- niedriger bezahlten Arbeitsplatz zu haben, als zum wärtige Wettbewerbsstruktur auf dem Mineralöl Sozialamt zu gehen oder Arbeitslosenhilfe zu bean- markt nicht zum Nachteil dieser mittelständischen tragen. Betriebe verändert wird. Diese Aktion zeigt, daß wir (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) „Erbsenzähler" vom Haushaltsausschuß, wie man uns immer apostrophiert, auch ein Herz für den Meine sehr verehrten Damen und Herren, in die- deutschen Wald haben und das Nötige dazu beige- sem Zusammenhang folgende Anmerkung. Wer tragen haben, daß sehr schnell umgestellt wird. sich selbständig macht, muß auf die Zukunft ver- trauen können. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Außerdem sind die Mittel für die Frachthilfen im Vizepräsident Westphal: Herr Abgeordneter, es Grenzland erhöht worden, um die Fortführung die- gibt noch einmal den Wunsch nach einer Zwischen- ser bewährten Strukturhilfe insbesondere für Bay- frage, und zwar bei Herrn Graf Lambsdorff. ern zu ermöglichen. Glos (CDU/CSU): Bitte sehr, Herr Minister. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) (FDP): Herr Kollege Glos, Ich darf mich hier bei allen Kolleginnen und Kol- Dr. Graf Lambsdorff würden Sie die Freundlichkeit haben, den Kollegen legen, insbesondere der Haushaltsgruppen der Hoffmann darauf aufmerksam zu machen — ich CDU/CSU und der FDP, sehr herzlich für das stete glaube, Sie wissen es —, daß Arbeitsplätze im Verständnis für die Belange der Grenzlandregionen Dienstleistungsbereich in der Wirtschaft der Verei- bedanken. nigten Staaten keineswegs vorwiegend Arbeits- (Lachen und Zurufe von der SPD) plätze sind, die sich z. B. auf die auch sehr sinnvolle 7824 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 105. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. November 1984

Dr. Graf Lambsdorff Tätigkeit des Servierens in Gaststätten erstrecken, einem alles wegsteuert, oder ob man dieses Ein- sondern den gesamten Softwarebereich moderner kommen über staatliche Transfers bekommt. Technologie erfassen, den gesamten öffentlichen (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — Dienst erfassen, also durchaus in der Richtung lie- Zurufe von der SPD — Zuruf des Abg. gen, von der wir uns wünschen sollten, auch mehr Krizsan [GRÜNE]) Arbeitsplätze zu haben? Wir haben in unserer Regierungszeit viel getan, (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU — um diese soziale Symmetrie zu verbessern. Ich darf Hoffmann [Saarbrücken] [SPD]: Leider einmal ein paar Punkte aufzählen, um daran zu falsch! — Weitere Zurufe von der SPD) erinnern, was wir an Koalitionsbeschlüssen, auch - wenn sie noch nicht in Gesetzesform sind, auf den Weg gebracht haben: Einführung des Erziehungs- Vizepräsident Westphal: Herr Glos, bevor Sie ant- gelds, Anrechnung der Erziehungszeit in der Ren- worten, wollte ich einfügen: Fragen müssen kurz tenversicherung, Erhöhung des Kindergelds für un- sein, Graf Lambsdorff, und Dreieckschießen ist bei tere Einkommensschichten, steuerliche Entlastung uns verboten. der Familien ab 1986, Wiedereinführung des Kin- dergeldes für arbeitslose Jugendliche — das ist üb- rigens von Ihnen abgeschafft worden —, Verlänge- rung des Arbeitslosengelds für Langzeitarbeitslose, Glos (CDU/CSU): Ich bedanke mich jedenfalls, verstärkte Förderung der Vermögensbildung in Ar- daß er in Frageform mein Wissen aufgemöbelt hat. beitnehmerhand, zusätzliche Maßnahmen gegen Ich glaube, wenn wir an Amerika denken, sollten Jugendarbeitslosigkeit, Verstärkung der Arbeitsbe- wir nicht nur an McDonald denken. schaffungsmaßnahmen für Arbeitslose. (Zuruf des Abg. Hoffmann [Saarbrücken] (Zuruf des Abg. Krizsan [GRÜNE]) [SPD]) Ich glaube, diese Entscheidungen waren alle rich- Denn bei McDonald sind gar nicht so viele Arbeits- tig. Wir können uns mit diesen Entscheidungen vor plätze. Die Kunden holen sich nämlich ihre Ham- der Bevölkerung sehen lassen und sollten deswegen burgers alle selbst. die Diskussion über eine ökonomisch fragwürdige Ergänzungsabgabe beenden. Ich wollte sagen — und darauf will ich zurück- kommen — , daß Vertrauen dazu gehört, wenn man (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — sich selbständig macht, wenn man eine Existenz Zurufe von der SPD) gründet, wenn man diesen Sprung wagt. Und es Es ist uns gelungen, in vergleichsweise kurzer gehört auch ein bißchen Hoffnung dazu, daß man Zeit, nämlich 24 Monaten, aus der längsten Wirt- dann möglicherweise etwas mehr Geld verdient, schaftskrise der Nachkriegszeit heraus daß man einmal zu der Gruppe der Besserverdie- nenden gehört, wie es heute so schön heißt. (Hoffmann [Saarbrücken] [SPD]: Zur höch sten Massenarbeitslosigkeit!) Wer Jagd auf die sogenannten Besserverdienen- wieder zu Wirtschaftswachstum, zu Preisstabilität den macht und hier zur Hatz bläst, versündigt sich wie zu Ludwig Erhards Zeiten und zu gesicherten gleichzeitig an unserer Volkswirtschaft. außenwirtschaftlichen Überschüssen zu kommen. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — In dem Zusammenhang ist interessant: Der Okto- Hoffmann [Saarbrücken] [SPD]: Warum ber 1984 ist der Monat mit dem Außenhandelsre- klatschen die Apotheker?) kord in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland, nämlich 8,8 Milliarden — Ich bedanke mich sehr für den Beifall. Ich muß Ausfuhrüber- schuß. da aber auch ganz kritisch an die Adresse eigener Fraktionskollegen sagen, daß die Debatte in den Es ist auch gelungen, den beängstigenden An- letzten Wochen nicht immer hilfreich war. Sie wis- stieg der Arbeitslosigkeit zu stoppen. Wir können sen, es waren die Verfassungsrichter, die in ihrer mit Fug und Recht sagen: Die Arbeitsplätze sind Weisheit uns das Instrument der Investitionshilfe- sicherer geworden. abgabe aus der Hand geschlagen haben. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) (Hoffmann [Saarbrücken] [SPD]: Das ha ben Sie doch vorher gewußt!) — Was heißt „vorher gewußt"? Das hat's schon mal Vizepräsident Westphal: Herr Abgeordneter, es ist gegeben. Damals hat das Verfassungsgericht das der Wunsch nach einer Zwischenfrage von dem Ab- anerkannt. Sie wissen das ganz genau, Herr Hoff- geordneten Dr. Ehrenberg geäußert worden. mann.

In dem Zusammenhang ist immer von sozialer Glos (CDU/CSU): Herr Präsident, das ist die Symmetrie die Rede. Was heißt schon „soziale letzte Zwischenfrage — zumindest von dieser Symmetrie"? Eine totale Gleichheit im Einkommen Seite. wird es nie geben. Es wird immer Unterschiede geben müssen. Und es ist vor allen Dingen ein gro- (Heiterkeit bei der CDU/CSU und der FDP ßer Unterschied, ob man sich sein Geld selber ver- — Lachen bei der SPD) dient, ob einem der Staat davon etwas beläßt, ob er Bitte sehr. Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 105. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. November 1984 7825

Dr. Ehrenberg (SPD): Herr Kollege, da Sie auf den die Sozialisten aus dem Bremserhäuschen endlich Außenhandelsüberschuß des Oktobers dieses Jah- entfernt worden sind. res anspielen: Würden Sie so freundlich sein, dem (Beifall bei der CDU/CSU) Plenum und der Öffentlichkeit auch mitzuteilen, daß im Oktober 1984 die deutsche Kapitalbilanz ei- Die positiven Export- und Investitionserwartungen nen Negativsaldo von 4 1 /2 Milliarden aufzuweisen der Wirtschaft sind die Reaktion auf eine deutliche hat? Verbesserung der gesamtwirtschaftlichen Rahmen- (Hoffmann [Saarbrücken] [SPD]: Davon bedingungen. Stabile Preise, niedrige Zinsen, eine versteht er leider nicht so viel!) feste D-Mark, moderate Tarifabschlüsse, insbeson- dere aber die stabilitätsorientierte Bundesbankpoli- - tik und vor allen Dingen die Konsolidierung der öffentlichen Haushalte haben dazu beigetragen. Glos (CDU/CSU): Herr Hoffmann, sorgen Sie sich nicht um mein Verständnis. Ich bin gerne bereit, die (Wieczorek [Duisburg] [SPD]: Wer hat Ih Antwort zu geben. — Aber Sie müssen schon ste- nen denn den Schwachsinn aufgeschrie henbleiben, Herr Minister. ben?) Kapitalströme sind von Investitionsbedingungen Wenn Sie die drei Haushaltsjahre 1983 bis 1985 und von der Attraktivität von Zinsen zu beeinflus- unter dem Gesichtspunkt des Ist-Ergebnisses — bei sen. Wir wissen, daß in den Vereinigten Staaten von 1985 sind wir allerdings noch auf das Soll angewie- Amerika die Zinsen höher sind. Wir wissen, daß bei sen — zusammenfassen, dann stellen Sie fest, daß uns auch die Renditen für Geld, das investiv und die unionsgeführte Bundesregierung die Erwartun- produktiv arbeitet, noch zu niedrig sind. Es ist si- gen, die sie in ihrem ersten Finanzplan geweckt hat, cher nicht richtig, Geld irgendwo auf ein Dollar- bzw. die Ziele, die sie sich selbst gestellt hat, sogar konto zu legen, falls das rentabler ist, statt es pro- noch übertroffen bzw. überschritten hat. Wir haben duktiv bei uns einzusetzen. Das heißt aber auch, 26 Milliarden DM mehr konsolidiert, als es dort vor- daß wir die Rahmenbedingungen gesehen war. Meine sehr verehrten Damen und (Zuruf des Abg. Wieczorek [Duisburg]) Herren, deswegen bin ich der Meinung — das ist zwar nur meine persönliche Meinung, gleichwohl und die Gewinne in der Wirtschaft verbessern müs- möchte ich sie hier aber sagen —, daß wir die Steu- sen, damit dieses Geld bei uns bleibt und bei uns erentlastung in einem Schritt durchführen könnten, arbeitet. zumindest aber die zweite Stufe auf 1987 vorziehen (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) sollten. Wenn die Leute denken, daß bei uns möglicher- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) weise ein rot-grünes Bündnis kommt, dann legen Die Deutsche Bundesbank bestätigt uns, daß wir sie ihr Geld in Amerika an, selbst wenn die Zinsen richtig damit liegen, daß wir die Gewinnsituation dort viel niedriger wären. der Unternehmen wieder verbessert haben. Die (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — nach wie vor gravierende Eigenkapitalschwäche be- Lachen bei der SPD) findet sich in einem Verbesserungsprozeß. Und, — Meine sehr verehrten Damen und Herren von meine sehr verehrten Damen und Herren: Die Op- der SPD, Sie ärgern sich doch nur, weil Ihr Plan, position in diesem Hause wäre sehr gut beraten, den Sie angezettelt haben — zusammen mit Teilen wenn sie sich einmal die Grundeinsichten zu eigen des DGB —, mißlungen ist, nämlich uns den Auf- machen würde, daß die Betriebe erst ausreichende schwung kaputtstreiken zu lassen und uns wieder Erträge erwirtschaften müssen, bevor sie investie- von der Verantwortung zu verdrängen. Das ist doch ren können, daß sie ausreichende Erträge erwirt- eine Tatsache! schaften müssen, wenn sie wettbewerbsfähig blei- ben und Arbeitsplätze sichern wollen. Ich bin der (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — Meinung, daß inzwischen auch die Arbeitnehmer Zurufe von der SPD) verstehen: Dort, wo es dem Betrieb gut geht, geht es Gottlob geht's mit der Wirtschaft wieder auf- auch dem Arbeitnehmer gut. wärts. Der Einbruch in diesem Sommer ist beendet; (Beifall bei der CDU/CSU) wir sind wieder auf dem alten Wachstumspfad. Für das kommende Jahr sehen wir ein Wirtschafts- Wir sind Weltmeister bei der Preissteigerungsra- wachstum von 3%; jedenfalls haben die Gutachter te. Sie beträgt im Jahre 1984 im Schnitt 2 %; das uns diese Steigerungsrate vorausgesagt. Auch die kann sich sehen lassen. Ich glaube, Preisstabilität jüngsten Konjunkturdaten bestätigen diese Ent- ist wieder zu einem Markenzeichen deutscher Poli- wicklung. Vor allen Dingen bei den inländischen tik geworden. Das hat den Sparern genützt, das Investitionen zeigt sich ein kräftiger Aufwärts- nützt den Investoren, und es nutzt vor allen Dingen trend. auch der Wirtschaft bei den Abschreibungen. Denn für die Abschreibungen ist wieder ein höherer Ge- (Frau Simonis [SPD]: Wo denn?) genwert vorhanden. Sie sind nicht mehr inflations- Der Welthandel wird 1985 wieder eine beachtliche aufgebläht. Nach Beendigung des Abschreibungs- Dynamik entfalten. Ich bin überzeugt, daß es im zeitraums müssen dann nicht um so viel höhere nächsten Jahr auch mit dem Export weitergeht. Mittel zur Reinvestition aufgebracht werden. Wir können insgesamt feststellen: Nach jahrelan- Ohne diese stabilen Preise wären die Lohnab- gem Stillstand rollt der Konjunkturzug wieder, weil schlüsse in moderater Form sicher nicht möglich 7826 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 105. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. November 1984

Glos gewesen. Ich bin überzeugt, daß der Teufelskreis Sie fordern staatlich finanzierte Ausgabenpro- von immer höheren Löhnen und immer höheren gramme. Ich denke dabei nur an das Sonderpro- Preisen von uns durchbrochen worden ist. Wir ha- gramm „Arbeit und Umwelt", mit dem Sie schon ben jetzt nur noch den zweiten Schritt zu vollzie- seit Monaten hausieren gehen. Manche SPD-Politi- hen, auch bei der Steuer das abzuspecken, was dem ker erheben die Forderung nach immer neuen Arbeitnehmer durch den progressiven Tarif genom- staatlichen Beschäftigungsprogrammen mit genau men wird. dem gleichen Fanatismus mit dem die Eingebore- nen in Haiti ihren sogenannten Voodoo-Kult betrei- Die Beseitigung der Arbeitslosigkeit ist für uns ben. eine Hauptaufgabe der Wirtschaftspolitik. Sie ist deswegen auch der zentrale Punkt der Auseinan- Es ist Tatsache, daß die Arbeitslosigkeit struktu- dersetzung zwischen der Opposition in diesem- relle Ursachen hat und deswegen nur mit struktu- Hause und uns. Meine sehr verehrten Damen und rellen Maßnahmen bekämpft werden kann. Das Herren, wir sind über die Wege dazu oft verschie- müßte sich Ihre Partei zu eigen machen. Deswegen dener Meinung, aber in den Zielen sollten wir uns hätte ich mir gewünscht, daß man — statt Herrn einig sein. Apel zum finanzpolitischen Sprecher zu machen, der das alles nicht kapiert hat — den Herrn Matthö- (Hoffmann [Saarbrücken] [SPD]: Das sind fer oder den ehemaligen Bundeskanzler Helmut wir j a!) Schmidt — er steht leider nicht mehr zur Verfü- Ich spreche Ihnen nicht ab, daß es nicht Ihre Ab- gung — oder den Herrn Lahnstein genommen hät- sicht wäre, die Situation zu verbessern. te. Die drei Letztgenannten haben bessere und rich- tigere Forderungen erhoben, aber der Erstgenannte (Esters [CDU/CSU]: Das ist nett von Ih hat resigniert. Das ist bekannt. — Herr Vogel, Sie nen!) schauen sicher auch deswegen so traurig, denn Und Sie können auch von uns annehmen, daß wir während Sie hier Ihre Rede gehalten haben, hat hier Verbesserungen erreichen wollen und daß das Herr Schmidt eine Pressekonferenz abgehalten, törichte Gerede nicht stimmt, das man oft hört, wo- statt sich das anzuhören. Ich kann ihn gut verste- nach wir eine Sockelarbeitslosigkeit wollten, um die hen. Gewerkschaften und die Arbeitnehmer besser un- (Dr. Vogel [SPD]: Wir arbeiten auf allen terdrücken zu können. Ebenen!) (Wieczorek [Duisburg] [SPD]: Genau das Er hat es sich damit erspart. ist es! — Weitere Zurufe von der SPD) (Dr. Vogel [SPD]: Wir teilen unsere — Ich würde an Ihrer Stelle nicht so laut rufen, Kräfte!) Herr Wieczorek; die Früchte Ihrer Politik sind be- Herr Vogel, ärgern Sie sich doch nicht so dar- kannt. Darüber hat der Wähler geurteilt, und ich — bin überzeugt: Wenn er heute zu urteilen hätte, über. würde er wieder genauso handeln. (Dr. Vogel [SPD]: Kein Mensch ärgert sich!) Sie haben uns in die schlimmste Rezession der Nachkriegsgeschichte getrieben. — Ich glaube, der Herr Schmidt tut es noch öfter, wenn er weiß, daß er Sie damit ärgern kann. (Zuruf von der SPD: Der Lambsdorff war das! — Lachen bei der CDU/CSU) (Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU) — Er war mit Ihnen zusammen in einem Boot. Der Der zweite, der Herr Matthöfer, ist von Ihnen ziem- beste Steuermann kann in einem Boot nichts aus- lich aus dem Verkehr gezogen worden. Er hat sich richten, wenn alle Ruderschläge verkehrt sind. noch einmal kurz mit einer Zwischenfrage zur Ent- wicklungspolitik gemeldet. Der Herr Lahnstein (Heiterkeit bei der CDU/CSU — Zurufe läuft jetzt auch dem schnöden Mammon nach. von der SPD) Heute soll er allerdings wieder im Haus sein, und — Herr Vogel, an wen hat denn wohl Ihr Generalse- zwar im 19. Stockwerk des Langen Eugen, wo viele kretär, der Herr Glotz gedacht, als er — das hat er aktive und ehemalige Politiker aussagen müssen. schon öfters getan — sagte, die SPD Er war ja in der Zeit der Steuerbefreiung für den Flick-Konzern Finanzminister. (Zuruf von der SPD: Er hat Sie gemeint!) (Heiterkeit bei der CDU/CSU) — ich gehöre nicht zur SPD; ich bin da unverdäch- Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich tig — müsse ihre Kompetenz in der Wirtschaftspoli- möchte noch ein Wort zur Strukturpolitik und zu tik wieder zurückgewinnen? Ich habe immer ge- dem Gerede von dem sogenannten Süd-Nord-Gefäl- dacht, er hat an den Herrn Roth gedacht, aber ich le, das wir angeblich mittlerweile in der Bundesre- merke jetzt: Er hat hauptsächlich an Sie gedacht, publik haben, sagen. Ich sehe dieses Süd-Nord-Ge- Herr Vogel, denn Sie sind das größte Investitions- fälle nicht, ich bin nur der Meinung, daß der Steuer- hemmnis, wenn Sie als Kanzler drohen. Gott sei zahler auf die Dauer nicht mit öffentlichen Subven- Dank ist die Drohung im Moment nicht so groß, tionen wettmachen kann, was in der Lohnpolitik denn sonst wäre ich davon überzeugt, daß noch versäumt wird. Es ist ganz interessant, daß z. B. mehr Geld nach Amerika fließt. HDW in Kiel — Frau Simonis, das ist ja so in etwa (Heiterkeit bei der CDU/CSU — Zurufe Ihre Gegend — oder Arbed Saarstahl in Ihren Re- von der SPD) gionen Lohnführer sind, dies ausgerechnet, nach- Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 105. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. November 1984 7827

Glos dem sie mit die höchsten Subventionen bekom- Danke schön. men. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) (Hoffmann [Saarbrücken] [SPD]: Das ist natürlich absolut dummes Zeug!) Vizepräsident Westphal: Das Wort hat Frau Abge- ordnete Simonis. Staatliche Strukturhilfe, Unternehmer-Wagemut, Lohndifferenzierung und Mobilität der Arbeitneh- mer sind unverzichtbare Voraussetzungen, um über Frau Simonis (SPD): Herr Präsident! Meine Da- den nötigen Strukturwandel zu dauerhaften Ar- men und Herren! Lieber Herr Kollege Glos, wenn beitsplätzen zu kommen. Sie dem Einheitsredenschreiber Ihrer Fraktion bei- - bringen könnten, daß er Sie demnächst die Reden Wenn sozialdemokratisch regierte Länder in Zu- wieder allein schreiben läßt, und bedenken könn- sammenarbeit mit den GRÜNEN oder mit deren ten, daß von den zehn angekündigten Gesetzent- Duldung eine die Wirtschaft verunsichernde, sie be- würfen, die für die Familien so nützlich sein sollen, lastende Politik in ihren Regionen betreiben, wie noch nicht einmal zwei als Gesetz vorliegen, dann wir dies jetzt z. B. deutlich in Hessen feststellen könnten Ihre Reden vielleicht besser werden. Auf können, und infolgedessen ganze Landstriche in ih- jeden Fall wären sie dann wahrheitsgemäßer. rer Wirtschafts- und Steuerkraft geschwächt wer- (Beifall bei der SPD) den, dann können wir dies nicht mit staatlichen Mitteln ausgleichen. Meine sehr verehrten Damen Mehr als zehn Stunden wurde der Einzelplan des und Herren, die Wähler in Nordrhein-Westfalen und Bundeswirtschaftsministers im Haushaltsausschuß im Saarland müssen wissen, was es bedeutet, wenn diskutiert, länger als jeder andere Einzelhaushalt sie bei den künftigen Landtagswahlen eine rot- und länger als jemals zuvor. Dieser steigende Dis- grüne Mehrheit zum Zuge kommen lassen. kussionsbedarf steht allerdings in ganz krassem Widerspruch zu der abnehmenden Bedeutung des (Zurufe von der SPD) Wirtschaftsministers. Denn da, wo ihn der Finanz- minister und die vereinigte Arbeitsgruppe Haushalt Ich bin der Meinung, das neue Wirtschaftsgefälle in nicht fleddern, wird er von seinem eigenen Partei- der Bundesrepublik wird einmal zwischen den Län- vorsitzenden geschurigelt. Und falls dieser ihn mit dern, in denen liberal-konservative Regierungen seinen Verbalnoten nicht gerade quält, sorgt der oder reine CDU/CSU-Regierungen sind, und denen, versammelte angestiegene wirtschaftspolitische wo es rot-grüne Koalitionen gibt, verlaufen. Das ist Sachverstand in der FDP-Fraktion dafür, daß der doch heute schon deutlich an den Investitionsent- neue Wirtschaftsminister schon wieder auf die scheidungen der Unternehmungen abzulesen. rechte Größe zurechtgestutzt wird. (Hoffmann [Saarbrücken] [SPD]: So stellt Fast bekommt man Sehnsucht nach einem Wirt- sich der kleine Michel das vor!) schaftsminister, der, wenn ich auch seine Meinung Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich selten geteilt habe, wenigstens den Namen Wirt- möchte ein paar abschließende Sätze sagen. Die schaftsminister verdient hat finanz- und wirtschaftspolitischen Forderungen der (Hoffmann [Saarbrücken] [SPD]: Das ist SPD sind ein Hexeneinmaleins. Sie wollen neue Ar- wahr!) beitsplätze und gleichzeitig massive Arbeitszeitver- und nicht nach seinem Übervater Stoltenberg kürzungen mit vollem Lohnausgleich. Sie wollen schielt wie ein Kind, das Angst um sein Taschen- Existenzgründungsprogramme und verunsichern geld hat. gleichzeitig den Mittelstand und die Selbständigen. (Beifall bei der SPD) Sie wollen angeblich die Zinsen senken, die Staats- schulden abbauen, und gleichzeitig wollen Sie die Es liegt doch nicht nur an dem Test der Dauerbe- Sparmaßnahmen zurückgenommen haben. Ihre lastbarkeit des kanzlerschen Gesäßes, daß in Bonn Forderung lautet mit einem Wort: Wasch mich, aber keine Politik gemacht wird, sondern auch daran, mach mich nicht naß. daß im gesamten Kabinett keiner den Mut hat, mit dem Finanzminister darüber zu streiten, ob seine (Zuruf von der SPD: Reden und nichts sa kleinkarierte, kleindimensionierte Sparstrumpf- gen ist Ihr Motto!) mentalität denn wirklich das richtige Instrumenta- Sie können von uns nicht verlangen, daß wir Ihren rium für eine flexible, leistungsfähige, moderne und Rezepten folgen. Sie haben sich mit diesen Rezep- soziale menschliche Industriegesellschaft ist. ten und mit Ihrer Art und Weise, Politik zu machen, (Beifall bei der SPD) um die Regierungsverantwortung gebracht. Zu ängstlich, mit Stoltenberg zu diskutieren, pfeifen Ich erinnere mich noch sehr gut an eine Begeben- Sie wie ein Kind im Dunkeln und loben mit den heit. Als wir den ehemaligen Finanzminister Lahn- ewig gleichen, ausgeleierten Floskeln Ihre eigene, stein im Haushaltsausschuß des Bundestages das angeblich so vorteilhafte und erfolgversprechende erstemal empfingen, haben wir gesagt: Jetzt kommt Wirtschaftspolitik. der letzte sozialdemokratische Finanzminister die- In diesem strahlenden Bild kommen Arbeitslose ses Jahrtausends. Sie haben gelacht, aber das La- natürlich nur als bedauernswerte, aber im Grunde chen ist Ihnen schnell vergangen. Wir werden mit genommen gottgewollte, schicksalsgegebene Schat- unserer Politik dafür sorgen, daß Herr Lahnstein ten vor. Es treibt einem wirklich die Tränen in die dies bleibt. Augen, wenn die Regierung mit bewegenden Wor- 7828 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 105. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. November 1984 Frau Simonis ten in Sonntagsreden das schwere Los der Arbeits- Und was bedeuten denn schon die so viel gelob- losigkeit beschreibt. Aber eines sollten Sie sich viel- ten 2,5 %, um die das Bruttosozialprodukt in diesem leicht doch einmal merken: Sie werden nicht dafür Jahr gestiegen sein soll? Im Grunde genommen bezahlt, uns hier zum Weinen zu bringen; Sie sollen müßten die Ursachen dieses Wachstums Ihnen die handeln, aber davon kann man wenig merken. Ruhe rauben. Denn allein die außenwirtschaftli- (Kolb [CDU/CSU]: Wer waren denn die chen Erfolge und nicht binnenwirtschaftliche Er- Brandstifter?) folge Ihrer Politik haben dies bewirkt; die binnen- wirtschaftliche Nachfrage haben Sie doch auf Null Was soll denn das Gerede, daß die angeblich so heruntergesetzt. Das sollten Sie irgendwann einmal erfolgreiche Inflationsbekämpfungspolitik die beste nachprüfen. Sozialpolitik der Regierung sei? Ein einziger Anruf - beim Statistischen Bundesamt in Wiesbaden — im (Zustimmung bei der SPD) übrigen auf Kosten des Ministeriums — würde Ih- Allein die außenwirtschaftlichen Erfolge haben Sie nen doch zeigen, daß Arbeitnehmer und Rentner doch vor einem Einbruch schlimmster Art be- reale Einkommenseinbußen von 2,3 % im Jahre wahrt. 1982, von fast 1 % im Jahre 1983 und wiederum von Wenn schon sonst nichts Sie zum Handeln treibt, 1 % in diesem Jahr zu verkraften haben, und zwar die Schlagzeilen der deutschen Presse müßten Sie deshalb, weil ihnen Ihre Wohlstandsklaupolitik doch mindestens mal ab und zu aufwachen lassen: eben mehr aus der Tasche herauszieht, als Ihre „Immer mehr Häuser kommen unter den Hammer angebliche Inflationsbekämpfungspolitik ihnen am — im Norden mehr Versteigerungen als im Süden". Ende übrigläßt. Das ist offensichtlich die Folge der erfolgreichen (Beifall bei der SPD — Kolb [CDU/CSU]: Politik des Finanzministers im Norden — so die Wo haben Sie Wirtschaftspolitik gelernt?) „Süddeutsche" vom 22. November 1984. „Zahl der Die Blümsche Bauchtanztruppe, normalerweise Privatinsolvenzen nahm 1984 wieder zu", nachdem auch als Sozialausschüsse bekanntgeworden, mag sie bereits im Jahre 1983 eine Rekordhöhe erreicht zwar über die rednerische Begabung ihres Ritters hatte. „Deutsche Konjunktur hat den Gipfel schon wider den tierischen Ernst begeistert sein, aber das hinter sich." Ich habe das Gefühl, als ob der ehema- ändert nichts daran, daß denjenigen unter den Ar- lige Finanzminister im Schleswig-Holsteinischen beitnehmern und Rentnern der Humor vergehen Landtag, der heute Vorstandsvorsitzender der muß, die auch nur in die allerweiteste Reichweite schleswig-holsteinischen Landesbank ist, hier sei- von Ritter Norberts Sozialpolitik geraten. Denn nen ehemaligen Landesvater vors Schienbein tre- wenn es darauf ankommt, im Kabinett die Interes- ten wollte; denn er hat diesem ausgerechnet im sen von Arbeitnehmern und Rentnern zu vertreten, Ausland ins Stammbuch geschrieben, daß die deut- war Blüm schon immer der Organisator des geord- sche Konjunktur bereits wieder an Siechtum einge- neten Rückzugs hinter die Schutzwälle von Mainz, hen wird. wie es singt und lacht. (Lachen bei der CDU/CSU — Hauser [Kre (Beifall bei der SPD — Dr. Friedmann feld] [CDU/CSU]: Ach Gott! Ach Gott! Da [CDU/CSU]: Jetzt sind Sie die Kassandra bei können Sie doch selbst nicht ernst blei von Bonn!) ben! Das ist eine Büttenrede, was Sie da machen!) Von Bangemann in diesem Zusammenhang be- richten zu wollen, ist müßig. Es gibt nichts zu be- — Lesen Sie es doch einmal nach! richten. Auch der griechische Tragödienchor, be- Wo bleibt denn die Initiative des Wirtschaftsmini- kannt als versammelter wirtschaftspolitischer sters? Wo bleibt sein neues Instrumentarium, mit Sachverstand oder die fünf Weisen, bringt doch je- dem er noch im Sommer die Journaille von einer des Jahr die gleiche alte Leier von den gleichen Pressekonferenz zur anderen gejagt hat? alten angebotsorientierten Wohltaten der neuen Re- gierung, bringt die gleiche Leier von zu hohen Löh- (Glos [CDU/CSU]: Was heißt „Journaille"?) nen, zu hohem Anspruchsdenken in der Republik. Es fällt Ihnen im Grunde nichts weiter ein, als im- (Dr. Weng [FDP]: Heide Simonis als Trau mer westwärts auf unseren großen Partner Ame- rika zu schauen. Sie werden sich noch wundern, erweide!) was Ihnen da passiert. Es ist bis jetzt jeder — einschließlich des Sozialmi- Der Versuch, nisters — uns den Beweis schuldig geblieben, daß Amerika zu kopieren, gleicht doch geschiedene Frauen, Arbeitnehmer, Rentner, Schü- einem Tanz auf dem Vulkan. Das geradezu atembe- ler, Studenten, Rentnerinnen von dem Geld, das Sie raubende Defizit im amerikanischen Budget, der ihnen zugestehen wollen, auch nur halbwegs leben abenteuerlich hohe Dollarkurs, die Zinszahlungen, können. Nun seien Sie doch mal ehrlich: Niemand die den amerikanischen Steuerzahler täglich 250 von denen, die so laut erklären, daß das Anspruchs- Millionen DM kosten, das soll des Pudels Kern ei- denken zu hoch sei, käme auch nur eine Woche mit ner neuen Wirtschaftspolitik sein? dem zurecht, womit andere Leute einen oder zwei (Kolb [CDU/CSU]: Und welche Zinsen zah Monate ihre ganze Familie ernähren müssen. len wir noch aus Ihrer Vergangenheit?) (Beifall bei der SPD — Kolb [CDU/CSU]: — Mit den Zinsen, die die täglich zahlen, könnten Mit Inflation kommen die noch schlechter Sie — um einmal die komische Rechnung von zurecht!) Herrn Blüm aufzunehmen — jedem Rentner ein Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 105. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. November 1984 7829

Frau Simonis Weihnachtsgeschenk von 10 000 DM machen und Staatsknete ist? Vielleicht könnten Sie das hier ein- hätten noch sehr viel Geld übrig. mal erklären. (Kolb [CDU/CSU]: Sprechen Sie von uns (Heiterkeit bei der CDU/CSU — Lachen hier, das ist besser!) bei der SPD — Zurufe von der SPD: Du Eine Gesellschaft, die die Armut breiter Teile der sprichst wohl nicht mit deinen Kindern? — Bevölkerung bewußt in Kauf nimmt, um die eige- Deine Kinder sagen dir das! — Opa! — nen Reichen reicher zu machen, ist das die Blau- Hauser [Krefeld] [CDU/CSU]: Die Kinder pause für die deutsche Gesellschaft? Eine Gesell- sind anständig erzogen!) schaft, in der die Produktivität in manchen Berei- chen gegen Null hin tendiert, ist das die Vorlage für Frau Simonis (SPD): Lieber Herr Glos, wir werden eine moderne deutsche Wirtschaftspolitik? in drei Wochen Weihnachten haben, und dann ha- Was würde wohl die Frohnatur Blüm sagen, wenn ben Sie genügend Zeit, Ihren väterlichen Pflichten unter sozialdemokratischer Regierung Menschen nachzukommen und Ihre Kinder über die moderne vor Suppenküchen Schlange stehen würden? Sprache in einer modernen Gesellschaft, die Sie j a (Kolb [CDU/CSU]: Das ist in Frankreich angeblich vertreten, aufzuklären. der Fall, Frau Kollegin! Wissen Sie, wer (Beifall bei der SPD — Hauser [Krefeld] dort regiert?) [CDU/CSU]: Ist das modern?) Ich warte heute schon darauf, was diese Frohnatur Bei dem sonst so vornehm zurückhaltenden Ton sagen wird, wenn die Armutspolitik der neuen Re- der Bundesbank kommt die Ermahnung, endlich et- gierung weiterhin Früchte tragen wird. was für die Beschäftigung in dieser Republik zu Wenn schon von der Regierung keine neuen Vor- tun, einem flehentlichen Aufruf zum Handeln wirk- schläge kommen, muß ich allerdings auch einmal lich schon sehr nahe. Während die Regierung den ein Wort zu den Vorschlägen der GRÜNEN sagen. Blick fest westwärts auf Milton Friedmans Wunder- Die GRÜNEN gehen durch die Landschaft und re- land gewandt hat, den „small ist beautiful", „dezentralisiert", „ohne (Zuruf von der CDU/CSU: Ihr Blick geht Staatsknete", „freibestimmt". Und dann kommen ostwärts!) die Anträge, mal eben zwei Milliarden Mark her- überzuschieben an die deutsche Großchemie für geht hinter ihr, nämlich hier bei uns in der Bundes- Konversion. Das klingt zwar gut, aber wer um des republik, Land unter. Himmels willen soll denn sonst noch das Geld auf- Was haben Sie den Wählern und der Wirtschaft bringen, wenn nicht die Großverdiener der deut- nicht alles versprochen! Es ist ja fast schon langwei- schen Großindustrie, um Konversion zu machen? lig, alles zu wiederholen, was Sie gesagt haben: Zu- (Beifall bei der SPD) verlässigkeit und Berechenbarkeit der Wirtschafts- politik, Zurücknahme der Subventionen, Zurückfah- Ihr müßtet schon einmal ein ganz klein bißchen ren der Steuerlastquote, Zurückweisen der Bundes- darüber nachdenken, ob das, was ihr draußen von bankgewinne, Hochfahren der Investitionsquote, „klein, selbstbestimmt und frei" erzählt, damit in Abbau der Arbeitslosigkeit. Von diesen Eckdaten Übereinstimmung zu bringen ist, 3 Milliarden DM der geistig-moralischen Wende hat der Bundesfi- Staatsknete in die Großindustrie hineinzuschieben. nanzminister erstens klammheimlich Abschied ge- (Beifall bei der SPD — Zurufe von den nommen, und zweitens hat er haarscharf die Kurve GRÜNEN) gekratzt und den Gegenkurs angesteuert: Die Sub- Dennoch, so unbedacht oder dumm auch man- ventionen steigen wie ein Hefeteig, cher Antrag der GRÜNEN sein mag, die Ruhe der (Kolb [CDU/CSU]: In welcher Welt leben Regierung, die der eines Karnickels vor dem Sie eigentlich?) Schlangenblick gleicht, hat sogar die gute alte Gou- jeden Tag ein bißchen mehr; die neuen Denkan- vernante Bundesbank dazu genötigt, der Regierung stöße für die Wirtschaft erschöpfen sich im wesent- folgende Mahnung zu erteilen: Es wäre jetzt an der lichen darin, daß der Bundeswirtschaftsminister je- Zeit, die Beschäftigungsmöglichkeiten zu verbes- den Tag die Richtlinien neu schreiben läßt und sern und auch die Ausgaben zur Verringerung der neue Verordnungen herausgibt, damit die Wirt- Umweltschäden zu erhöhen. schaft mit dem bißchen Geld, das der Finanzmini- ster ihm übrigläßt, überhaupt noch rechnen kann. Vizepräsident Westphal: Frau Abgeordnete Simo- Dies ist auch eine Art von Kontinuität, Herr Wirt- nis, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeord- schaftsminister. Es zeigt im Grunde genommen, neten Glos? daß wir das Wirtschaftsministerium fast abschaffen könnten, denn irgendein gut bezahlter Beamter im Finanzministerium würde es auch noch schaffen, Frau Simonis (SPD): Ja, gerne. ein paar Richtlinien umzuschreiben. Die Steuerlastquote steigt so hoch, wie sie noch Glos (CDU/CSU): Verehrte Frau Kollegin Simo- nie gewesen ist, nämlich auf 25 % im nächsten Jahr, nis, darf ich Sie, da ich davon ausgehe, daß meine und die Investitionen, die heilige Kuh der Markt- Kinder zu Hause vor dem Fernseher zuschauen, wirtschaft, der Scheidungsgrund des Grafen, für und sie in eine Schule gehen, in der man die Begrif- den er als Ritter ohne Furcht und Tadel in den fe, die Sie bringen, nicht so lernt, fragen, was Krieg gegen die Sozialdemokraten ziehen zu müs- 7830 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 105. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. November 1984

Frau Simonis sen gemeint hat, sinken nicht nur beim Staat, son- — Wenn man zufällig mit dem Finger auf eine dern auch bei den Privaten. Wenn die Halbierung Wunde kommt, schreien Sie gequält auf. Also habe des Zuwachses bei den privaten Investitionen bei ich offensichtlich recht mit meiner Bemerkung. Ihnen, lieber Kollege Glos, schon ein „kräftiger Aus schwung" ist, dann frage ich Sie: Wo um Gottes wil- (Beifall bei der SPD — Hauser [Krefeld] len haben Sie eigentlich Ihre wirtschaftspolitischen [CDU/CSU]: Wenn es unverschämt wirkt, Grundkenntnisse herbekommen? muß man sich doch rühren können! — Wei tere Zurufe von der CDU/CSU) (Zurufe von der CDU/CSU) — Das war die Sache: Er hat einen Trocken- Dies bedeutet doch de facto, daß sich bei uns die pri- schwimmkurs bei Krupp in Sachen praktischer vaten Investitionen ungefähr bei Null einpendeln- Wirtschaftspolitik gemacht. Wenn Sie es gern wie- werden und daß die staatlichen Investitionen von derholt haben möchten, kann ich es ein drittes Mal Stoltenberg als eine Sparbüchse besonderer Art an- sagen. gesehen werden. (Wissmann [CDU/CSU]: Das sind doch Weil die staatlichen Investitionsquoten sinken, keine Argumente! — Weitere Zurufe von weil die Investitionen nicht zunehmen, nimmt auch der CDU/CSU) die Arbeitslosigkeit zu. Folgerichtig muß man da- von ausgehen, daß Sie das wollen, daß Sie die Ar- Warum regt sich eigentlich bei uns sowohl in den beitslosigkeit brauchen, um damit eine bestimmte veröffentlichten Meinungen in den Medien wie in Politik durchsetzen zu können. der Politik niemand über die Diskrepanz zwischen dem verbalen Wollen und Wirken von Bangemann (Zustimmung bei Abgeordneten der SPD und Superman Stoltenberg auf, in dessen Wahlkreis — Glos [CDU/CSU]: Gerade habe ich ge beispielsweise die höchste Arbeitslosenquote seit sagt, daß wir es nicht wollen! — Hauser 1952 erreicht wurde, unter dessen Fuchtel die allge- [Krefeld] [CDU/CSU]: Mein Gott, ist das meine Arbeitslosigkeit strukturell und nominell zu- ein dummes Gerede!) nimmt, unter dessen unerbittlichem Regiment Weil die Arbeitslosigkeit zunimmt, haben Sie auch ganze Regionen ausbluten? Warum regt sich über nicht genug Geld, um die Renten zu zahlen; Sie diese Diskrepanz zwischen dem, was er verkündet, müssen auf Pump gehen. und dem, was er tut, niemand auf? Weil die eigentli- che Aufgabe, die Stoltenberg zu erfüllen hat und die (Hauser [Krefeld] [CDU/CSU]: Mehr fällt zu erfüllen er gewillt ist, nicht das ist, was er sagt. Ihnen nicht ein!) Denn dann müßte man sich zu Recht aufregen. Blüm wäre in Ohnmacht gefallen, wenn das bei uns Schulden haben ihn noch nie aufgeregt. Als Mini- passiert wäre. sterpräsident. hat er hervorragend mit einer Schul- denpolitik gelebt und ist ohne Schrammen davonge- Brav wie die Schlachtlämmer marschiert die ge- kommen. samte Koalition hinter dem Finanzminister her, der zur Tröstung aller in der Bundesrepublik Versam- Seine Aufgabe ist die ideologisch begründete melten durch die „International Herald Tribune" Einteilung der deutschen Bevölkerung in solche, bekanntgibt, die Flick-Affäre könne neue Investitio- die haben und deren Leistung sich a priori wieder nen nicht gefährden. lohnen soll, und solche, denen genommen wird und die gefälligst zur Kenntnis zu nehmen haben, daß (Glos [CDU/CSU]: Was Sie alles lesen!) ihr Platz unten, und zwar sehr weit unten in dieser O Gott, Herr Finanzminister! Die Flick-Affäre viel- Gesellschaft ist und daß sie dafür zu arbeiten ha- leicht nicht, denn Unternehmer investieren, um Ge- ben, daß sie unten bleiben und die anderen oben winne zu machen, keineswegs um Flick einen Ge- sind. fallen zu tun. Aber der Finanzminister selbst ge- fährdet Investitionen, wenn er sich bei jedem (Kolb [CDU/CSU]: Wer hat sie nach unten Haushalt an den Investitionsmitteln, die das Parla- gebracht?) ment genehmigt hat, vergreift, um sie seinem Spar- Das zweifelhafte Verdienst des Finanzministers topf einzuverleiben. Vielleicht werden deutsche Un- ist, daß er allein die Nerven hat, für die Reise in ternehmer wieder anfangen zu investieren, wenn eine Klassengesellschaft nach konservativem Ge- der Wirtschaftsminister, der nach eigenem Bekun- schmack, die dank Blumschen Frohsinns nach au- den noch viel lernen muß, endlich aus diesem Sta- ßen den Anstrich einer harmlosen Vatertagstour dium herausgekommen ist, wenn der Finanzmini- angenommen hat. Daß er die Nerven und den not- ster seinen Glauben aufgibt, daß man bereits ein wendigen Hofnarren hat, den gesellschaftlichen Wirtschaftsfachmann ist, wenn man neben Abge- Konsens zu zerstören, bezweifelt bei uns niemand. ordnetenmandat und Ministeramt einen Trocken- Daß aber jemand aus der Regierung das Recht hat, schwimmkurs in Wirtschaftspolitik bei Krupp ab- als Verfechter einer besonderen, einer geistig-mora- solviert hat. lischen Politik aufzutreten, das ist Ihnen allen zu- (Hauser [Krefeld] [CDU/CSU]: Eklig, diese sammen abzusprechen. Deswegen werden wir Ih- Art, sich auseinanderzusetzen! Ist dies eine ren Haushalt ablehnen. primitive Art! Ihnen sind die Argumente Ich danke Ihnen. wirklich ausgegangen! — Weitere Zurufe von der CDU/CSU) (Beifall bei der SPD) Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 105. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. November 1984 7831

Vizepräsident Westphal: Das Wort hat der Abge- des Mineralölmarktes auf bleifreies Benzin wegen ordnete Dr. Weng. der Kapitalvorteile der Ölmultis zu einer uner- (Zuruf von der SPD: Nicht zum dritten wünschten Marktbereinigung führt, weil natürlich mal!) für kleine und mittlere Betriebe bei Investitionen dieser Größenordnung keine Wettbewerbsgleich- heit besteht. Dr. Weng (FDP): Herr Kollege Diederich, „schon wieder der Weng": Eine kleine Fraktion bietet die (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Chance, sich häufiger zu bewähren, Daß wir diesen Beschluß einstimmig gefaßt ha- (Zuruf von der SPD: Zu blamieren!) ben, muß für die Verwaltung Anlaß sein, für sorgfäl- als das bei einer großen Fraktion der Fall ist. Bei - tige Durchführung zu sorgen. Das heißt, Herr Mini- einer großen Fraktion ist es zwangsläufig so, daß ster Bangemann, die Richtlinien in Ihrem Hause eine Reihe der Talente im Stillen blühen müssen. müssen umgehend erstellt werden, und sie müssen (Heiterkeit bei der FDP und der CDU/ natürlich auch diejenigen Betriebe betreffen, die mit solchen Maßnahmen bereits begonnen haben. CSU) Der Haushaltsausschuß wird auf das Verwaltungs- Das heißt aber nicht, daß alle, die bei den großen verfahren sehr aufmerksam achten. Fraktionen im Stillen blühen, Talente sind. Ein weiterer Schwerpunkt unserer Bemühungen (Heiterkeit bei der FDP und der CDU/CSU im Bereich der Existenzgründungen ist von Kollege — Dr. Lammert [CDU/CSU]: Schon gar Glos schon genannt worden. Hier haben wir nicht nicht alle, die hier reden! — Zurufe von der nur die Zinszuschüsse im Rahmen des Eigenkapi- SPD) talhilfeprogramms zur Gründung selbständiger Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen Existenzen hoch angesetzt, sondern zusätzlich auch und Herren! Der Haushaltsausschuß und insbeson- noch mit dem heute vorgelegten Antrag eine wei- dere die Haushaltspolitiker der Koalition haben bei tere Erhöhung der Verpflichtungsermächtigungen den Beratungen des Einzelplans 09 des Wirtschafts- gefordert. Diese Erhöhung soll dazu führen, daß die ministeriums einen wesentlichen Schwerpunkt auf Zinszuschüsse bis Ende 1987 in der Höhe nicht ver- die Förderung des Mittelstandes gelegt, aus der ändert zu werden brauchen. Daß wir einem drin- Überzeugung heraus, daß für eine gesunde Wirt- genden Wunsch der Wirtschaftspolitiker von FDP schaftsstruktur ein gesunder Mittelstand tragender und CDU/CSU folgend neu ein Ansparmodell zur Bestandteil ist. Wir haben diesen Weg schon im Be- Gründung selbständiger Existenzen aufgenommen richterstattergespräch aus Überzeugung beschrit- haben, wird durch die dazu gehörige Verpflich- ten. Ich bin dem Kollegen Glos von der CSU für tungsermächtigung von 200 Millionen DM doku- seine Kooperationsbereitschaft besonders verbun- mentiert. Dies ist besonderer Erwähnung wert. Ich den. weiß, daß hier ein langgehegter Wunsch von Kolle- (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) gen mit wirtschaftspolitischem Sachverstand in Er- Ich möchte zunächst einmal einen Bereich in den füllung geht. Mittelpunkt meiner Ausführungen stellen, bei dem Ein Teilwunsch ist allerdings offengeblieben. Das wir mit wirtschaftspolitischer Beschlußfassung Ansparen mit dem Ziel der Selbständigkeit in auch etwas für die Umwelt getan haben. Wir haben freien Berufen ist bisher wegen des unsicheren nämlich nicht nur im Bereich des Verkehrsministe- Umfangs der finanziellen Auswirkungen nicht in riums durch den Verzicht auf Erträge aus den Ne- das Programm aufgenommen. benbetrieben der Bundesautobahnen dafür Sorge (Zuruf von der CDU/CSU: Bedauerlich!) getragen, daß schnellstmöglich die Umstellung aller Autobahntankstellen auf das Angebot von blei- Hier sollte das Ministerium bemüht sein, zunächst freiem Benzin ermöglicht wird, sondern wir haben Klarheit über die erforderlichen Mittel zu schaffen zusätzlich im Wirtschaftsministerium einen Baran- und dann gegebenenfalls doch noch die Besserung satz von 10 Millionen DM und eine zusätzliche Ver- zu versuchen, wenn dies die Haushaltslage ermög- pflichtungsermächtigung in gleicher Höhe für das licht. Jahr 1986 eingestellt, damit mittelständischen Un- (Beifall bei der FDP und bei Abgeordneten ternehmen der Ausbau ihrer Tankstellen auf blei- der CDU/CSU) freies Benzin erleichtert wird. Ich habe eingangs gesagt, daß ein Schwerpunkt Die entsprechenden Investitionen sollen ja nach unserer Bemühungen auf der Förderung des Mittel- dem erklärten Willen dieses Hauses in den Jahren standes lag. Wir haben z. B. den hohen, deutlich 1985 und 1986 vorgenommen werden, damit die Bür- erhöhten Ansatz für die ger, die die umweltfreundlichen Autos in Zukunft Zuschüsse zu Personalauf- kaufen, dann auch überall das dazu nötige Benzin wendungen im Forschungs- und Entwicklungsbe- reich kleiner und mittlerer Unternehmen aus- vorfinden. Daß es das erklärte Ziel unserer Maß- drücklich belassen, verbunden mit der Forderung, nahme ist, neben dem schnellen Erreichen dieses die Richtlinien so zu gestalten, daß die vorhande- Umweltziels gleichzeitig die Struktur und die Wett- nen Forderungen, die zu einer sogenannten Bug- bewerbsvielfalt auf dem deutschen Mineralölmarkt welle aufgelaufen sind, nach und nach abgebaut zu erhalten, werden Sie verstehen; denn dieser Viel- werden können. falt verdanken wir einen im internationalen Ver- gleich stets als günstig anzusehenden Benzinpreis. Wir haben die Forschungsmittel für den Bereich Wir wollen verhindern, daß die Umstrukturierung der industriellen Gemeinschaftsforschung und Ent- 7832 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 105. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. November 1984

Dr. Weng wicklung um 5 Millionen DM erhöht. Diese indu- rungen am geltenden Ladenschlußgesetz geplant strielle Gemeinschaftsforschung erzielt mit unver- seien. hältnismäßig geringen staatlichen Zuschüssen eine (Zuruf von der CDU/CSU: Jetzt macht er große Breitenwirkung. Hier sind Mitnahmeeffekte sich unbeliebt!) so gut wie ausgeschlossen, und hier wird ein schnel- ler und fruchtbarer Wissensaustausch zugunsten Die Position unserer Fraktion ist hier, einen zeitlich von immerhin rund 25 000 daran partizipierenden ausreichenden größeren Versuch damit zu unter- Unternehmen gewährleistet. nehmen, daß an einem Abend in der Woche längere Öffnungszeiten ermöglicht werden sollen und daß Ich will mit großer Deutlichkeit auf die Verstär- für diese Verlängerung Kompensation z. B. durch kung im Bereich der Beratungsförderung hinwei- Abschaffung des langen Samstags oder ähnliches sen. Im Bewußtsein der Tatsache, daß die förderba- möglich sein soll. Der Herr Wirtschaftsminister hat ren Betriebsberatungen in den vergangenen Jahren mir gestern ausdrücklich versichert, daß es in sei- sehr stark in Anspruch genommen worden sind — nem Hause keine weitergehenden Pläne gibt dies auch mit sehr gutem Erfolg — haben wir die (Hauser [Krefeld] [CDU/CSU]: Der ist ja Mittel aufgestockt und haben ebenso zusätzlich die auch nicht dafür zuständig!) Möglichkeit der finanziellen Unterstützung von Be- ratern im Bereich der Existenzgründung deutlich und daß er im Augenblick nur daran denkt, bei verbessert. einem solchen Modellversuch mit den Verbänden und mit den Gewerkschaften zusammenzuarbei- Ich muß in diesem Zusammenhang aber auch ten. eine ernste Anmerkung machen. Unter der Vielzahl von qualifizierten Beratungsunternehmen haben (Zuruf von der CDU/CSU: Der ist gar nicht sich auch einige wenige weniger qualifizierte ange- zuständig! Es ist gar nicht dessen Sache!) siedelt, bei denen es zum Teil auch unerwünschte Ich glaube, hier wird deutlich, daß der tatsächliche Aufdringlichkeit gegenüber Wirtschaftsunterneh- Sachstand, nach dem das Ergebnis solcher Versu- men und -verbänden gegeben hat. Ich meine, daß che erst ein Grund für weitere Überlegungen sein deshalb die Aufsichtsbehörde auch zukünftig ein wird, kein Grund zu irgendwelchen großen Beunru- sehr waches Auge haben muß. Auf Kontrolle in die- higungen ist. sem Bereich darf nicht verzichtet werden, sonst wird nicht nur der Haushalt des Wirtschaftsmini- Vizepräsident Westphal: Herr Abgeordneter Dr. steriums durch Anforderungen überfordert, son- Weng, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn dern es wird auch die Qualität der Beratungen ins- Abgeordneten Dr. Diederich? gesamt leiden. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Dr. Weng (FDP): Nein, Herr Präsident, das ge- Meine Damen und Herren, ich will erwähnen, daß statte ich nicht. wir durch Aufstockung der Mittel für Maßnahmen (Dr. Diederich [Berlin] [SPD]: Kaum will im Bereich der Außenwirtschaft gerade kleinen man was fragen, ergreift er die Flucht!) und mittleren Unternehmungen verstärkt die Mög- Ich beende nämlich meine Ausführungen damit, lichkeit der Beteiligung an Auslandsmessen und daß ich darauf hinweise, daß sich der neue Wirt- -ausstellungen geben wollen. Dies ist auch darin schaftsminister Dr. erwartet begründet, daß sich in der jüngeren Vergangenheit rasch in die schwierige Materie eingearbeitet hat erfreulicherweise sehr viel mehr solcher Betriebe und die Wirtschaftspolitik seines Vorgängers mit am Export beteiligen wollten und auch schon betei- eigenem Profil fortsetzt. Hierzu hat er unsere Un- ligen konnten. Unser Dank gilt in diesem Zusam- terstützung. Meine Fraktion stimmt seinem Haus- menhang den Außenhandelskammern, die sich im- halt zu. mer wieder mit großem Engagement für die Be- lange der deutschen Wirtschaft im Ausland einset- (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) zen. Vizepräsident Westphal: Das Wort hat der Herr Wir sind insgesamt als Haushaltsgruppe der Ko- Abgeordnete Lattmann. alition stolz darauf, daß wir alle die Maßnahmen, die ich hier geschildert habe, die natürlich auch (Zurufe von der CDU/CSU) Subventionen sind, wenn auch zeitlich begrenzte — Herr Kollege Lattmann, ich höre gerade, Sie ha- Subventionen, durch Kürzungen in anderen Sub- ben heute Geburtstag. Das darf bei solcher Gelegen- ventionsbereichen aus dem gleichen Haushalt nicht heit lobend erwähnt werden. Herzlichen Glück- nur finanziert haben, sondern insgesamt sogar noch wunsch! Einsparungen erreichen konnten. (Beifall) (Beifall bei der FDP und bei Abgeordneten der CDU/CSU) Lattmann (CDU/CSU): Herzlichen Dank, Herr Ich möchte noch ein Wort zu einem Problem äu- Präsident. ßern, das im Augenblick verhältnismäßig brennend Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die interessiert und im politischen Raum steht, zum Koalitionsfraktionen haben einen Änderungsan- Thema Ladenschluß. Hier kommt es bei allen Betei- trag zum Titel 662 61 — Zinszuschüsse im Rahmen ligten in letzter Zeit zu einer gewissen Unsicher- des Eigenkapitalhilfeprogramms zur Gründung heit, ob und in welcher Weise möglicherweise Ände- selbständiger Existenzen — eingebracht, mit dem Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 105. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. November 1984 7833

Lattmann die Verpflichtungsermächtigung für zukünftige vorzuwerfen? Zugegeben, Ihren ideologischen Maß- Haushaltsjahre um noch einmal 40 Millionen auf stäben mögen diese Maßnahmen nicht genügen. nunmehr 240 Millionen DM aufgestockt werden (Dr. Lammert [CDU/CSU]: So ist es!) soll. Names der CDU/CSU bitte ich um Unterstüt- zung für diesen Antrag. Sie legen den Schwerpunkt darauf, den Mitbürgern beizubringen, wo und wie man am besten die Hand (Beifall bei der CDU/CSU) aufhält. Unser Schwerpunkt liegt darin, den Leuten zu zeigen, wie man diese Hand nutzt und die andere Er zieht die Konsequenzen aus einer außerordent- lich erfreulichen Entwicklung, die sich aus den Zah- dazu, um möglichst kräftig zuzupacken. len der bewilligten Eigenkapitalhilfedarlehen able- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) - sen läßt. Während 1981 nur 78,2 Millionen DM und Sie mögen dies von Ihrem ideologischen Stand- 1982 nur 95,3 Millionen DM in Anspruch genommen punkt aus kritisieren, aber der Erfolg gibt uns recht. wurden, stieg diese Summe 1983 auf 357,4 Millionen Weil Sie gegen richtige Erkenntnisse und erfolgrei- DM. Sie vervierfachte sich also im ersten Jahr, für che Politik nicht anargumentieren können, versu- das die Koalition der Mitte die Verantwortung trug. chen Sie es mit Polemik der billigsten Art. Im ersten Halbjahr 1984 sind bereits 236,6 Millionen DM bewilligt worden; die Rekordzahl des Vorjahres Wir haben gerade ein hervorragendes Beispiel er- wird also erneut übertroffen. Um dieses erfolgrei- lebt. Da hat — ich will nur einen Satz herausgreifen che Programm mit unveränderten Zinskonditionen — die Kollegin Simonis doch tatsächlich den denk- auch in den Folgejahren fortsetzen zu können, ist würdigen Satz von der Reduzierung der Binnen- eine erneute Aufstockung der Verpflichtungser- nachfrage auf Null geprägt — und das, obwohl wir mächtigung erforderlich. in diesem Jahr erneut ein Wirtschaftswachstum ha- ben. Verehrte Frau Kollegin, das ist empirisch In dieselbe Richtung zielt auch das von der CDU/ falsch und wäre systematisch nobelpreisverdächtig, CSU entworfene und bereits seit langem geforderte wenn es einen Preis für ökonomischen Unsinn sogenannte Ansparmodell, mit dem jungen Men- gäbe. schen der Weg in die Selbständigkeit erleichtert (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — werden soll. Für Ansparzuschüsse zur Förderung Hauser [Krefeld] [CDU/CSU]: Das ist der der Gründung selbständiger Existenzen im Bereich Sachverstand der Kollegin Simonis!) der gewerblichen Wirtschaft ist auf unseren Antrag hin in diesen Haushalt eine Verpflichtungsermäch- tigung für künftige Haushaltsjahre in Höhe von Vizepräsident Westphal: Herr Abgeordneter, ge- 200 Millionen DM eingestellt worden. statten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten (Beifall bei der CDU/CSU) Dr. Ehrenberg? Das macht deutlich, meine Damen und Herren: Wir reden nicht, wir handeln. Lattmann (CDU/CSU): Nein. Ich darf Sie darauf hinweisen, daß das Sachver- Erinnert werden muß in diesem Zusammenhang ständigengutachten, das zu lesen Sie hoffentlich auch an unsere Initiative zur Förderung der Bil- Gelegenheit hatten, folgenden, Sie widerlegenden dung von Risikokapital, die gerade im Bereich in- Satz erwähnt: novativer und besonders risikobehafteter techni- scher Entwicklungen neue Spielräume schaffen soll Die privaten Haushalte haben ihre Konsumgü- und wird und deshalb einen wichtigen Beitrag zur terkäufe in diesem Jahr in ähnlichem Umfang Bewältigung unserer Strukturprobleme darstellt. ausgeweitet wie 1983. Meine Damen und Herren, die Zahlen und Ent- Und das war nur möglich, weil es durch unsere Poli- wicklungen beweisen: Die von uns gewünschte und tik eine Steigerung der Realeinkommen gegeben verstärkt initiierte Gründungswelle in der Bundes- hatte. republik rollt, und sie wird zunehmend stärker. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — Darüber hinaus setzen die von uns beschlossenen Krizsan [GRÜNE]: Der Unternehmensein Steuererleichterungen, denen weitere folgen wer- kommen!) den und müssen, sobald es die Haushaltslage zu- Und dann muß natürlich — Sie haben ihn wie läßt, auch etablierte zukunftsorientierte Unterneh- viele andere auch gebracht — der Hinweis auf die men in die Lage, durch neue Investitionen die Wett- neue soziale Armut kommen. bewerbsfähigkeit zu steigern. Und dies, meine Da- men und Herren, ist die einzige wirkliche Chance, (Dr. Ehrenberg [SPD]: Die hat Geißler er unsere Strukturprobleme auf die Dauer zu lösen. funden!) Und dies ist die einzige wirkliche Chance, die in ver- Der Herr Apel hat das heute morgen hier mit einem alteten Branchen verloren gegangenen Arbeits- bemerkenswerten Satz eingeleitet. Er hat gesagt: plätze durch neue zu ersetzen. Wer nichts hat, dem wird etwas genommen. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) (Heiterkeit bei der CDU/CSU und der FDP) Und nun, meine Damen und Herren von der Op- position, muß ich wirklich einmal fragen: Wie kom- Das ist wirklich phantastisch. men Sie angesichts dieser Entwicklung und ihrer (Kolb [CDU/CSU]: Herr Apel bringt das Ergebnisse dazu, uns immer wieder Untätigkeit fertig!) 7834 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 105. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. November 1984

Lattmann Ich muß wirklich sagen, einen, der sich einer so sen, was wir heute erreicht haben. An anderer umfassenden Logik bedient, würde ich nicht einmal Stelle sagt der Sachverständigenrat: „Die Deutsche den Klingelbeutel in der Kirche zählen lassen, ge- Wirtschaft befindet sich bei deutlich verbesserter schweige denn ihm die Bundeskasse anvertrauen, Konstitution im konjunkturellen Aufwind." was leider passiert ist — mit den bekannten Ergeb- (Zuruf des Abg. Purps [SPD]) nissen. Was wollen Sie denn eigentlich ernsthaft ange- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — sichts dieser Feststellungen noch einbringen? Das Kolb [CDU/CSU]: Der Apel hatte auch ein ist Ihr Problem. Deswegen ist diese Debatte mit Minuswachstum! — Dr. Lammert [CDU/ Ihnen so schwierig. CSU]: Wir machen jetzt Plusschrump fung!) - Natürlich befindet sich die Volkswirtschaft wie- der auf Wachstumskurs. Alle Daten zeigen das. Die — Der hatte ein Minuswachstum, das ist völlig rich- Kapazitätsauslastung nimmt zu. Auch die Investi- tig, Herr Kollege Kolb. tionen haben sich erhöht, Frau Simonis. Wenn man Ich weiß, daß in diesem Bereich, was die soziale Sie so reden hört, wenn Sie vor allen Dingen den Ausgewogenheit angeht, natürlich eine Reihe von Eindruck zu erwecken suchen, daß ich dem Kurs Problemen besteht — wer wollte das bestreiten? —, des Kollegen Stoltenberg sozusagen nur notgedrun- aber auch hier gilt natürlich, daß man nur etwas gen folgte, dann haben Sie erstens völlig unrecht; verteilen kann, was man hat. Auch hier gilt: Verdie- denn ich halte diesen Kurs für richtig. Deswegen nen kommt vor Verteilen. unterstütze ich ihn. (Zustimmung bei der CDU/CSU) (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Das ist der Schwerpunkt unserer Politik von An- Wenn Sie mir dann zweitens noch vorwerfen, ich fang an gewesen, und diese Politik werden wir fort- litte unter einem Ödipuskomplex, dann muß ich sa- setzen. gen: Man muß wahrscheinlich einen neuen Begriff (Hauser [Krefeld] [CDU/CSU]: Entschei in die Psychologie einführen: Sie leiden unter ei- dender Unterschied zu Sozialisten!) nem Wahlkreiskomplex. Es kann nicht darum gehen, zu verteilen, was man (Heiterkeit bei der FDP und der CDU/ nicht hat, aber glaubt, es zu verdienen, sondern: CSU) Erst verdienen und dann verteilen. Das ist der ein- Diese Entwicklung der Wirtschaft ist natürlich zige erfolgversprechende Weg. Ich möchte die Bun- nicht von selbst möglich gewesen. Da liegt ja der desregierung ermuntern, auf diesem Weg fortzufah- Trugschluß, wenn Sie immer wieder sagen, hier ge- ren. schehe nichts. Die Ergebnisse, die sich zeigen, sind (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) die Folgen von zwei Jahren Regierungspolitik. Das hat diese Regierung in zwei Jahren zustande ge- bracht, und zwar allein dadurch, daß wir Rahmen- Vizepräsident Westphal: Das Wort hat der Bundes- bedingungen aufrechterhalten und verteidigt ha- minister für Wirtschaft. ben, ohne die überhaupt nichts geht. Das allerdings geht nicht von selbst. Dazu muß man etwas tun. Dr. Bangemann, Bundesminister für Wirtschaft: Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Vizepräsident Westphal: Herr Minister, gestatten Herren! Natürlich ist die Situation schwierig — für Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. Eh- die Opposition. renberg? (Heiterkeit bei der FDP und der CDU/CSU — Dr. Ehrenberg [SPD]: Für Sie nicht?) Dr. Bangemann, Bundesminister für Wirtschaft: Denn die positiven Ergebnisse der Wirtschafts- und Bitte sehr. Finanzpolitik sind so unübersehbar und werden im übrigen auch von all denjenigen, die das objektiv zu Dr. Ehrenberg (SPD): Herr Bundeswirtschaftsmi- beurteilen haben, anerkannt, daß einem wirklich nister, würden Sie dem Plenum und damit auch der nur noch der Fluchtweg in die Polemik übrigbleibt. Öffentlichkeit bitte über das, was Sie über den Das ist eigentlich bedauerlich; denn man kann ja Sachverständigenrat gesagt haben, hinaus mittei- über das eine und andere auch sachlich miteinan- len, daß der Sachverständigenrat ebenfalls fest- der reden. stellt, die Binnennachfrage verlaufe immer noch sehr mäßig — das ist fast wörtlich —, und daß der Wenn der Sachverständigenrat — er hat diesen Namen, weil er nicht dem griechischen Chor ähnelt, Sachverständigenrat zu Beginn seines Gutachtens sondern eben aus seinem wirtschaftlichen Sachver- als leuchtendes Beispiel für die Welt den amerika- stand heraus und in völliger Unabhängigkeit von nischen Aufschwung darstellt, aber verschweigt, Regierung und Opposition die wirtschaftliche Situa- daß der amerikanische Aufschwung auf nichts an- tion und ihre Entwicklung zu beurteilen hat — sagt deres als auf die Anwendung der alten Keynes- — ich zitiere mit der Erlaubnis des Präsidenten — schen Rezepte zurückzuführen ist? „Beeindruckend ist: Gravierende Fehlentwicklun- (Lachen und Zurufe von der CDU/CSU) gen konnten in wenigen Jahren beseitigt werden.", dann ist das nicht ein Lob an die Regierung, dann Dr. Bangemann, Bundesminister für Wirtschaft: ist das nicht einmal ein Lob an die Opposition, son- Ich will mit Ihnen jetzt nicht über die Ursachen der dern dann ist das eine schlichte Feststellung des- amerikanischen Wirtschaftsentwicklung streiten, Deutscher Bundestag — 10. 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Bundesminister Dr. Bangemann weil sicherlich manches von dem, was die Amerika- für bedanke ich mich ausdrücklich bei dem Hohen ner gemacht haben und machen konnten, auf un- Hause und seinen Ausschüssen. sere Situation nicht übertragen werden kann. (Zuruf der Abg. Frau Simonis [SPD]) Manchmal kann man sich sogar fragen, ob wir uns nicht einmal überlegen sollten, ob wir unsere Be- — Ich bedanke mich auch bei Ihnen, Frau Simonis, dingungen nicht ein bißchen anpassen sollten. für den Beitrag, den Sie dazu leisten konnten. Ich will Ihnen einen ganz wichtigen Punkt nen- In diesem Zusammenhang darf ich vielleicht auf nen, wo Sie dann nicht mehr so strahlen werden, die Bemerkung eingehen, die Herr Glos zu Anfang wie Sie das jetzt tun. Daß in Amerika im Dienstlei- machte. Ich habe überhaupt keine Schwierigkeiten stungsbereich Millionen neuer Arbeitsplätze ge- mit meinem Freund Franz Josef Strauß. schaffen werden konnten, hängt natürlich auch mit (Beifall bei der CDU/CSU — Zurufe von der Flexibilität des Arbeitsrechts in Amerika zu- der SPD) sammen. Ich befinde mich, wie Sie ja wissen, (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU — Zurufe von der SPD) (Roth [SPD]: Neue Männerfreundschaft!) — Ich komme ja nachher noch auf alle diese Fragen in der Steuer- und Finanzpolitik und in vielen Fra- im einzelnen zu sprechen. gen der Wirtschaftspolitik mit ihm völlig auf einer Linie. Wenn Sie sich z. B. einmal die Entwicklung der Arbeitslosigkeit bei uns ansehen, dann werden Sie (Zustimmung bei der CDU/CSU) feststellen — wir haben das in der Zusammenset- Ich habe diesen Ausspruch, den Sie kritisch auf- zung ganz systematisch untersucht —: Die Zu- gegriffen haben, in einem bestimmten Zusammen- nahme der Arbeitslosigkeit bei gering qualifizierten hang und in der Tat scherzhaft verwendet. Wenn Arbeitslosen hängt auch damit zusammen, daß lei- der Zusammenhang gelöst wird, bekommt er einen der bei Tarifabschlüssen diese unteren Lohngrup- ganz anderen Sinn. Ich habe nämlich bei einer Par- pen überproportional angehoben worden sind, so teiveranstaltung meiner eigenen Partei darauf ver- daß dort die Arbeitslosigkeit durch eine Verschie- wiesen, welche übergroßen Schwierigkeiten FDP- bung des Lohngefüges entstanden ist. Vorsitzende manchmal mit ihrer Partei haben. In (Zustimmung bei der CDU/CSU) diesem Zusammenhang habe ich die Solidarität der CSU lobend erwähnt und das in einen bildkräftigen Ausdruck gebracht. Das ist der Hintergrund. Vizepräsident Westphal: Herr Minister, gestatten (Zurufe von der SPD) Sie eine Zwischenfrage? Die deutliche Zunahme der Auftragseingänge im Investitionsgüterbereich läßt auch erwarten, daß Dr. Bangemann, Bundesminister für Wirtschaft: die privaten Investitionen im Sinne eines Konjunk- Ich möchte jetzt gern im Kontext weitermachen. turmotors fortwirken. Die gute Exportkonjunktur, Deswegen möchte ich den Kollegen Ehrenberg bit- die wir in diesem Jahr bereits haben, wird sich im ten, seine Frage auf nachher zu verschieben. nächsten Jahr mit Sicherheit fortsetzen. Auch der niedrige Preisanstieg ist eben nicht nur ein Datum (Zurufe von der CDU/CSU: Das war Graf für Statistiker oder für Haushaltsfanatiker oder Fi- Lambsdorff!) nanzakrobaten, — Das gilt auch für Graf Lambsdorff. Ich bin gern (Kolb [CDU/CSU]: Das merkt man am bereit, nachher mit Ihnen beiden zusammen ein Geldbeutel!) Glas Bier zu trinken. Dann können wir das bespre- chen. sondern dieser niedrige Preisanstieg — das läßt sich einfach nicht bestreiten; das sagt auch der (Zuruf von der SPD: Und wer bezahlt Sachverständigenrat — ist ein wesentlicher Faktor das?) bei der Erholung der Realeinkommen. Deswegen Vom Rezessionstiefpunkt Ende 1982 bis zum Jah- ist das eine soziale Tat, was wir da gemacht resbeginn 1984, meine Damen und Herren, ist das haben. reale Bruttosozialprodukt um rund 4 % gestiegen. Die Industrieproduktion stieg sogar um 6,5%. Das (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) sind die Fakten, an denen niemand vorübergehen Wenn wir, meine Damen und Herren, Weltmei- kann. ster bei den positiven Entwicklungen der Preise Sie haben sich übrigens auch in der Behandlung sind — und das sind wir —, dann ist das ein ganz meines Etats durch den Wirtschafts- und den Haus- wesentliches Datum gerade auch für Rentner, für haltsausschuß niedergeschlagen. Ich möchte mich Menschen, die nicht mehr im aktiven Arbeitsprozeß hier ausdrücklich bei beiden Ausschüssen, bei ihren stehen und deren Einkommen sich nicht in Vorsitzenden und insbesondere bei den Berichter- gleichem Maße und so schnell entwickelt, wie das stattern des Haushaltsausschusses bedanken. Ich bei denjenigen der Fall ist, die noch aktiv arbeiten bin mit all dem einverstanden, was sich aus den können. Ausschußberatungen heraus an Änderungen erge- Deswegen sind diese Fakten und Zahlen, die wir ben hat. Ich bin wie Sie, Herr Glos, der Meinung, Ihnen hier vortragen, ein Ausweis dafür, daß diese daß das eine Verbesserung dieses Haushalts ist. Da- Regierung eine Wirtschafts- und Finanzpolitik be- 7836 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 105. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. November 1984

Bundesminister Dr. Bangemann treibt, die sich sozial höchst positiv auswirkt. Des- erwarten wir nicht, daß wir in einem rasanten Ab- wegen ist es auch eine soziale Wirtschafts- und Fi- stieg die Arbeitslosigkeit im nächsten Jahr um nanzpolitik. 500 000 oder 600 000 herunterdrücken können, was (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU — wir gerne wollten. Zuruf des Abg. Dr. Ehrenberg [SPD]) (Zuruf des Abg. Dr. Ehrenberg [SPD]) Alle Prognosen sind sich einig darin, daß wir 1985 Wir erwarten allerdings auch nicht — und das ist einen weiteren guten Verlauf der Konjunktur ha- das, was ich Ihnen vorwerfe —, daß wir in den näch- ben werden. Die Einschätzungen sind unterschied- sten Jahren einen Anstieg auf 3 oder 4 Millionen lich. Wir befinden uns nicht in der Spitzengruppe. haben. Sie wissen, daß der Sachverständigenrat einen An-- (Kolb [CDU/CSU]: Wie im hessischen stieg des realen Bruttosozialprodukts von über 3 % Wahlkampf gesagt wurde!) erwartet. Wir schätzen das auf 2,5 %. Aber letzten Endes ist das vielleicht ein Unterschied, den man Und da liegt Ihre sozialpolitische Verantwortung. bei einer Prognose vernachlässigen kann. Sicher Diese Art von Schwarzmalerei ist es, was zusätzlich ist: Auch 1985 wird sich dieser Anstieg fortsetzen. das Klima auf dem Arbeitsmarkt verschlechtert Das bedeutet, daß sich dieses Wachstum positiv und viele Arbeitsplätze gefährdet, meine Damen auch auf die Beschäftigung auswirkt. und Herren von der Opposition. (Frau Simonis [SPD]: Nein! — Dr. Ehren (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) berg [SPD]: Die Produktivität steigt doch Sie wollen Realitäten einfach nicht zur Kenntnis stärker!) nehmen. Das ist Ihr Problem. — Herr Ehrenberg, das Problem ist j a nicht, daß Sie Ich habe schon bei verschiedenen Gelegenheiten mir nicht glauben. Das würde ich Ihnen jederzeit darauf verwiesen, daß man, wenn man eine Arbeits- zugestehen. Das Problem ist, daß Sie den Sachver- marktstrategie betreiben will, vor allem die Zusam- ständigen nicht glauben. mensetzung, die Ursachen, die Dauer der Arbeitslo- (Zuruf des Abg. Dr. Ehrenberg [SPD]) sigkeit genau ansehen muß. Und da frage ich mich nun: Warum glauben Sie (Dr. Ehrenberg [SPD]: Es wird immer län denen nicht? ger!) Es gibt zwei Gründe, warum Sie den Sachverstän- Wir haben das gemacht. Dabei stellt sich etwas her- digen nicht glauben. Der eine: Ihnen selber würde aus, was das bestätigt, was wir immer gesagt haben, ein Sachverstand fehlen, das zu erkennen. Das nämlich daß Qualifikation immer noch der beste glaube ich nicht. Da unterscheide ich mich von Frau Schutz vor Arbeitslosigkeit ist. Ich trage Ihnen die Simonis. Ich gestehe Ihnen das nicht nur zu, son- Zahlen vor. Ich hoffe, daß Sie diese Zahlen endlich dern ich gehe davon aus. Wenn das aber so ist, dann mal zur Kenntnis nehmen. Die höchste Arbeitslo- paßt das eben nicht in Ihre politische Landschaft. senquote haben jugendliche Ausländer ohne abge- Deswegen glauben Sie es nicht. schlossene Berufsausbildung, und die niedrigste Ar- beitslosenquote haben Deutsche der Alterklasse 25 (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU — bis 54 Jahre mit abgeschlossener Berufsausbildung. Kolb [CDU/CSU]: Das ist der Punkt!) 70 % der Beschäftigten sind qualifizierte Bei einem Anstieg der Zahl der Beschäftigten um Arbeitskräfte, wie die statistische Bezeichnung 200 000 erwartet der Sachverständigenrat einen lautet. Rückgang der Arbeitslosenzahl um 100 000. Darin (Burgmann [GRÜNE]: Sensationell!) wird natürlich deutlich, daß wir eine erhebliche stille Reserve haben, so daß diese stille Reserve bei Auf diese Gruppe entfallen aber nur 42 % der Ar- der Beurteilung der Arbeitsmarktproblematik ein- beitslosen. Die 30 % Nichtqualifizierten der Beschäf- gerechnet werden muß. tigten stellen 58 % aller Arbeitslosen. (Peter [Kassel] [SPD]: Nennen Sie die (Zuruf des Abg. Dr. Ehrenberg [SPD]) Zahl!) Wenn das nicht ein Hinweis darauf ist, daß die — Da das eine stille Reserve ist, ist es sehr schwer, berufliche Qualifikation einer der wichtigsten Herr Kollege, das der Zahl nach anzugeben. Schlüssel zur Bekämpfung dieses Problems ist, dann ist Ihnen nicht zu helfen. Wir können aber schon aus den Zahlen, die wir heute haben, ablesen, daß der steigende Trend der (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU — Arbeitslosigkeit gestoppt worden ist. Wir haben Zurufe von der SPD — Zuruf des Abg. eine erheblich zurückgegangene Zahl der Kurzar- Krizsan [GRÜNE]) beiter, und die jüngsten Arbeitsmarktdaten vom In diesem Zusammenhang der Bekämpfung von September und Oktober bestätigen, daß auch die Arbeitslosigkeit spielt eben auch die Steuerpolitik generelle Arbeitslosigkeit eine so wichtige Rolle. Deswegen ist es richtig, daß (Zurufe von der SPD) Herr Glos darauf hingeweisen hat, daß es hier nicht um das von Ihnen so genannte Problem der Besser- nicht weiter steigt. verdienenden geht. Selbstverständlich bestreitet Man kann nicht beides tun. Ich und alle Kollegen hier doch niemand, daß jemand, der in einem pfle- aus den Regierungsfraktionen haben immer gesagt: gerischen Beruf tätig ist, dort eine Leistung er- Weil wir realistisch an dieses Problem herangehen, bringt. Wenn Sie aber in gleicher Weise auch die Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 105. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. November 1984 7837

Bundesminister Dr. Bangemann Leistung von unternehmerisch und aktiv und inno- unserer Wirtschaft dadurch schädigt, daß er nicht vativ Tätigen anerkennen würden, dann wäre uns mehr in der Lage ist, die Leistung der dort Beschäf- allen mehr geholfen. Das ist das Problem. Sie er- tigten — ich schließe die Unternehmer da ausdrück- kennen das nicht an. lich mit ein — anzuerkennen, sondern mit dem Aus- (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) druck „Besserverdienende" eine Art von sozialer Asymmetrie behauptet, ist die Sache sehr schwie- Nun war der Herr Kollege Roth so freundlich, mir rig. zu meinem Geburtstag ein Buch zu schenken, drei Bände sogar, (Abg. Krizsan [GRÜNE] meldet sich zu ei ner Zwischenfrage) (Kolb [CDU/CSU]: Das sind ja ganz neue Züge, das muß man ja sagen. Kompliment! - — Ich muß jetzt zu Ende kommen, weil ich nur 23 — Weitere Zurufe von der CDU/CSU) Minuten habe. Aber ich lade Sie auch noch zum Bier ein. und zwar mit dem Wunsch — das Buch ist von Phi- (Heiterkeit bei der FDP und der CDU/CSU lippovich; Titel: „Grundriß der politischen Ökono- — Krizsan [GRÜNE]: Sagen Sie doch ein mie" — , daß ich dieses Buch auch lesen, studieren und beherzigen möge. mal, wann das Buch geschrieben worden ist!) (Zander [SPD]: Ich dachte, das wären die Freiburger Thesen!) Solange das nicht anerkannt wird, meine sehr verehrten Damen und Herren, wird es in dieser Das habe ich jetzt begonnen. Bei der Lektüre dieses Bundesrepublik immer schwieriger — jedenfalls in Buches habe ich aber festgestellt, daß der Kollege bestimmten Teilen —, zu einer Neuansiedlung von Roth, der es mir freundlicherweise geschenkt hat, Industrie zu kommen. es selber offenbar nicht gelesen hat. (Zander [SPD]: Wir wollen doch nur wis (Heiterkeit) sen, wann das Buch geschrieben worden Deswegen möchte ich Ihnen zur Versachlichung ist!) der Debatte über die Frage, ob man die Besserver- Meine Damen und Herren, man stelle sich das dienenden oder Unternehmer oder was immer Sie einmal vor: Da ist jetzt so ein junger Unternehmer sich da auswählen wollen für das bestrafen soll, was mit einer Idee, dem wir über das Ansparprogramm sie tun, indem man ihren Steuertarif anhebt, einen und mit anderen Möglichkeiten helfen wollen, sein kleinen Abschnitt aus diesem Buch vorlesen. Ich Unternehmen neu zu beginnen. Der kommt auf die darf mit Genehmigung des Herrn Präsidenten vor- Idee, das in einem Land zu tun, das Strukturschwie- lesen: rigkeiten hat und deshalb diese neue Industrie an- Solange Freiheit der Konsumtion, also Freiheit siedeln will. Und dann geht er vor einer Kommunal- in der Wahl der Befriedigungsmittel, besteht, wahl durch dieses Land und guckt sich das ein biß- ist die Vorsorge für die nach Ort und Größe chen an. Da findet er dann große Plakate einer gro- schwankende, veränderliche Nachfrage eine ßen Partei, auf denen steht: „Aufschwung ist nichts selbständige Leistung innerhalb der volkswirt- für die Millionen, das ist nur etwas für die Millionä- schaftlichen Arbeit, die ohne Verfügung über re". Glauben Sie, daß Sie einem jungen Unterneh- die Produktionsmittel nicht möglich ist, aber mer mit einer solchen Aussage einen Anreiz geben, nicht aus dieser Verfügungsgewalt, sondern sich in diesem Land niederzulassen und ein unter- aus der persönlichen Befähigung entspringt. nehmerisches Risiko auf sich zu nehmen? Sie würde immer eine besondere Entlohnung (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) erfordern. Ebenso berechtigt das Auffinden neuer Produktionsgelegenheiten, neuer Ar- Ich glaube das nicht. beits- und Verarbeitungsmethoden, Für den Mittelstand, für das Handwerk haben — heute nennt man das neue Technologien — wir viel getan. Mein Haushalt ist zwar um 10 % klei- ner als im vergangenen Jahr, weil wir bei Subven- neuer Gebrauchs- und Verbrauchsgüter als tionen für große Industrien abgebaut haben. selbständige Leistung zu einer besonderen Ver- gütung. Solange das Privateigentum, auf die- (Zurufe von der SPD) sem Wege die Güterversorgung, in der Volks- — Ja, j a, dazu müssen Sie sich einmal äußern; eins wirtschaft zur ökonomischsten Verwertung der kann ja nur stimmen. — Dagegen sind die Haus- Produktivkräfte und zu ihrer vollständigsten haltsansätze für die kleine und mittlere Industrie, Ausnützung führt, ist der Bestand dieses Ein- für neue, junge Unternehmer und für das Hand- kommens, das zu einer solchen, im allgemeinen werk um 20 % erhöht worden, meine Damen und Interesse liegenden Produktions- und Erwerbs- Herren. tätigkeit den Anreiz gibt, wünschenswert und (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) berechtigt. Darin liegt auch, wenn Sie so wollen, ein kleiner (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU — Dank an all die Menschen im Handwerk, die auch Zander [SPD]: Sagen Sie doch einmal, dafür gesorgt haben, daß die Ausbildungsangst, die wann das Buch geschrieben worden ist!) Sie geschürt haben, nicht eingetreten ist, daß diese Meine sehr verehrten Damen und Herren von der Menschen sich nicht haben beirren lassen. Sie ha- Opposition, solange jemand die Innovationskraft ben eine Rekordzahl von Ausbildungsplätzen ge- 7838 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 105. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. November 1984

Bundesminister Dr. Bangemann schaffen und dazu beigetragen, daß Menschen bei nicht mehr auf der Grundlage dieses Briefwechsels, uns ausgebildet werden. natürlich auch nicht auf der Grundlage eines neu (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) ausgehandelten Abkommens, sondern wir haben uns nach den allgemeinen GATT-Regeln zu richten. Dabei, meine Damen und Herren, haben wir in Meine Damen und Herren, wer immer allgemeine diesen zwei Jahren j a auch sehr viel für die soziale GATT-Regeln verletzt, der wird die Konsequenzen, Symmetrie getan. die sich daraus ergeben, auf sich nehmen müssen. (Zander [SPD]: Ist das wahr? Jetzt bin ich Die Bundesrepublik hat sich in der Europäischen aber gespannt! — Wolfram [Recklinghau Gemeinschaft mit Nachdruck immer gegen Stim- sen] [SPD]: Sie haben sie kaputtgemacht!) men eingesetzt, die sich für Protektionismus ausge- - sprochen haben. Wir haben immer versucht, unse- Wir haben eine ganze Reihe von Maßnahmen — ich ren Nachbarn deutlich zu machen, daß z. B. die Fett- will Ihnen nur ein paar aufzählen — durchgesetzt: steuer möglicherweise interne Probleme lösen die Verlängerung der Zahlung von Arbeitslosengeld kann, aber neue externe Probleme schafft. Wir ha- auf 18 Monate für über 50jährige Arbeitnehmer, das ben uns immer dafür eingesetzt, daß in den Ver- Vorruhestandsgeld, die Augustzahlung beim Schü- handlungen mit Spanien und Portugal der insge- ler-BAföG zur Vermeidung von sozialen Härten, samt niedrigere allgemeine Außenzolltarif, den (Lachen bei der SPD) nach dem Beitritt auch diese Länder gegen sich gel- im Familienlastenausgleich die Einbeziehung — — ten lassen müssen, nicht dazu benutzt wird, um im Wege eines sogenannten „Kredits" dafür andere (Egert [SPD]: Das ist ja nicht zu glauben! Zölle zu erhöhen. Wir haben uns ganz entschlossen — Lebhafte Zurufe von der SPD) und ohne den Schatten eines Zweifels gegen jeden — Der größte Skandal, den Sie, meine Damen und Protektionismus ausgesprochen. Herren, zu verantworten haben, war, daß Sie ar- Aber ich muß hier mit allem Nachdruck sagen: beitslose Jugendliche bis 21 Jahre aus der Kinder- Wenn die amerikanische Regierung diese Position geldzahlung ausgeschlossen haben. Das haben wir nicht revidiert, wird sich die Europäische Gemein- wieder rückgängig gemacht. schaft zu Gegenmaßnahmen gezwungen sehen. Ich (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU — bedauere das, aber das wollte ich hier noch aus- Zurufe von der SPD) drücklich sagen. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Sie haben den Mut, von sozialer Symmetrie zu re- den, und die Armsten der Armen schließen Sie von Herr Minister, gestatten einer solchen sozialen Leistung aus; und dann stel- Vizepräsident Westphal: Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. Mitz- len Sie sich hierhin und wollen uns etwas vorrech- scherling? nen. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU — Dr. Bangemann, Bundesminister für Wirtschaft: Zurufe von der SPD) Ich bin am Schluß, aber wenn sie zu dem Komplex Herr Präsident, ich muß noch ganz kurz auf eine gehört, bitte sehr. aktuelle Diskussion eingehen, weil ich die Gelegen- heit dieser Debatte nutzen möchte, um eine, wie ich Dr. Mitzscherling (SPD): Herr Bundeswirtschafts- hoffe, nicht zu überhörende und klare Warnung an minister, wenn Sie einen Handelskrieg mit Ame- einen Partner auszusprechen, an dessen Zusam- rika befürchten und den Protektionismus als eine menarbeit und an dessen Verständnis mir und, ich den Welthandel beschränkende Entwicklung fürch- glaube, allen hier im Hause sehr viel liegt. ten: Wie beurteilen Sie das vor dem Hintergrund der Entwicklung der außenwirtschaftlichen Tätig- Wir haben gestern erleben müssen, daß die Ame- keit der deutschen Industrie im nächsten Jahr und rikaner ein Verhandlungsangebot der Europäi- der prognostischen Kraft des Sachverständigen schen Gemeinschaft zur Regelung der Exporte von Gutachtens? Stahlröhren ausgeschlagen haben und statt dessen auf eine Position zurückfallen wollen, die sie schon Dr. Bangemann, Bundesminister für Wirtschaft: angekündigt haben, nämlich auf einen totalen Im- Ich habe schon bei der Debatte, die wir hier vor portstopp, auf alle Fälle bis Ende des Jahres. wenigen Wochen über die Außenwirtschaftspro- (Zuruf von der SPD: Was machen Sie dage bleme geführt haben, gesagt, daß ich davon ausge- gen?) he, daß wir diese protektionistischen Anwandlun- gen, die wir überall finden, nicht nur in Amerika, — Was ich dagegen mache, wollte ich Ihnen gerade mit Erfolg bekämpfen können. Das heißt: Ich gehe sagen. — Ich sage Ihnen hier: Ich habe, als ich das davon aus, daß das, was der Sachverständigenrat hörte, sofort mit dem dafür zuständigen Kommissar zur Entwicklung auch unseres Exports gesagt hat, der Europäischen Kommission gesprochen. Wir wa- realistisch ist. Aber wenn ich das so betrachte, dann ren uns einig: Der Briefwechsel, auf dem bisher die muß ich meine Verpflichtung wahrnehmen, was ich, freiwillige Beschränkung auf 5,9 % beruht, wird ge- glaube ich, jetzt hier getan habe, öffentlich deutlich kündigt. — Er ist inzwischen nach einem Beschluß darauf hinzuweisen, daß wir eine solche Maßnahme des Ministerrates gekündigt. nicht unwidersprochen hinnehmen können. Ich Wir sind jetzt in dem Zustand, den die GATT gehe weiter davon aus — in der Einschätzung die- beschreiben; das heißt: Wir befinden uns-Regeln ser Möglichkeit unterscheide ich mich vielleicht Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 105. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. November 1984 7839

Bundesminister Dr. Bangemann nicht von Ihnen persönlich, aber von einigen Ange- Ich frage mich: Was empfinden eigentlich die 2,2 hörigen der Oppositionsfraktionen —, daß die Ame- Millionen Arbeitslosen? In Wahrheit sind es nicht rikaner diesen Appell richtig verstehen. 2,2 Millionen, sondern wenn man die stille Reserve Die amerikanische internationale Handelskom- einbezieht, 3,7 Millionen. mission hat erst vor kurzem bei Prüfung einer (Hauser [Krefeld] [CDU/CSU]: Wer bietet Klage der amerikanischen Stahlindustrie ausdrück- mehr?) lich festgestellt, daß durch die Importe aus der EG Was empfinden die Arbeitslosen, wenn so über die amerikanische Stahlindustrie nicht in Schwie- Wirtschaft geredet wird, wie es heute nachmittag rigkeiten geraten ist. Besonders die Röhrenexporte der Wirtschaftsminister getan hat? betreffen in der Regel Produkte, die die Amerika- (Beifall bei der SPD) ner selber jedenfalls nicht in der Qualität herstellen - können. Sie sind also auf die Einfuhr dieser Röhren Wo finden die sich in den Ausführungen der Verant- und entsprechender Produkte sogar angewiesen. wortlichen der Regierung eigentlich wieder? Wenn das so ist, dann, meine ich, sollten wir hier Wir gehen jetzt in das dritte Jahr der Regierung alle gemeinsam — da können wir uns dann viel- Kohl. Zum Amtsantritt am 1. Oktober 1982 hatten leicht wieder treffen — einen Appell besonders an wir in der Bundesrepublik laut Arbeitslosenstati- unsere Freunde richten — und die Amerikaner sind stik 1,82 Millionen Arbeitslose. Zum jetzigen Zeit- und bleiben unsere Freunde — daß wir uns nicht punkt, zwei Jahre später, nämlich am 1. Oktober von diesem Weg entfernen, der uns bisher allen 1984, betrug die Arbeitslosenzahl 2,14 Millionen. genutzt hat. Liberalität ist nicht nur ein guter (Zuruf von der CDU/CSU: Ohne den Wech Grundsatz für binnenwirtschaftliche Politik, son- sel wären es 4 Millionen!) dern ist der einzige Grundsatz, nach dem der Welt- Das heißt, es sind 280 000 mehr bzw. — saisonberei- handel zum Nutzen und Frommen aller organisiert nigt — 350 000 mehr. Wenn man von den Erwerbstä- werden kann. Wer das nicht einsieht, wird nicht nur tigen, von denjenigen ausgeht, die in unserer Volks- sich selbst, sondern der ganzen Welt schaden. Aber wirtschaft überhaupt schaffen, dann sind jetzt eine davor möchte ich uns und unsere Freunde bewah- halbe Million Menschen weniger tätig. Das ist die ren. Sachlage. Ich danke Ihnen. (Beifall bei der SPD) (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Davon redet hier kein Mensch. (Abg. Wissmann meldet sich zu einer Zwi Vizepräsident Westphal: Das Wort hat Herr Abge- schenfrage) ordneter Roth. Vizepräsident Westphal: Herr Abgeordneter Roth, Roth (SPD): Herr Präsident! Meine Damen und gestatten Sie eine Zwischenfrage? Herren! Zunächst einmal, Herr Bangemann, möchte ich mich sehr herzlich bedanken, daß Sie so aus- Roth (SPD): Sie wissen, daß die Vereinbarung so führlich mein Geschenk zu Ihrem 50. Geburtstag eng ist, daß meine Redezeit sehr knapp geworden gewürdigt haben. Ich habe mir natürlich etwas da- ist. bei gedacht, warum ich Ihnen ein liberales Lehr- Noch nie hat es eine konjunkturelle Erholung ge- buch der Wirtschaftspolitik geschenkt habe. Ich geben, ohne daß Arbeitslosigkeit abgebaut wurde. dachte, zum Einstieg in die Wirtschaftstheorie über- Das ist die neue Lage. Zu dieser neuen Lage sagte haupt sei ein liberales Buch für Sie besser. Denn der Herr Wirtschaftsminister in seiner Rede kein wenn ich ein politisch mir nahestehendes Buch ge- einziges Wort. schenkt hätte, dann hätten Sie gleichzeitig zwei Sachen lernen müssen. Nun fangen Sie erst einmal (Beifall bei der SPD — Kolb [CDU/CSU]: mit der liberalen Wirtschaftstheorie an. Später krie- Welche Auswirkung hat denn die Arbeits gen Sie dann ein zweites, mir ideologisch naheste- zeitverkürzung, Herr Kollege?) hendes Buch. Sie werden genauso wie wir alle ein Nun füge ich hinzu: Ich bedaure allerdings, daß bißchen älter, und vielleicht lernen Sie hinzu. der Sachverständigenrat zur Begutachtung der ge- (Kolb [CDU/CSU]: Am 26. Januar schenken samtwirtschaftlichen Situation in seiner Mehrheit wir Ihnen dann ein schöneres Buch!) — vier von fünf — diese Verharmlosung des Ar- beitsmarktes mit betreibt. — Vielen Dank. (Beifall bei der SPD) Als ich die Rede des Herrn Wirtschaftsministers hörte — ich nehme an, viele, die zugehört haben, Ich jedenfalls empfinde es so, und ich weiß, daß das hier und draußen, haben ähnliche Empfindungen eine schroffe Kritik ist. gehabt —, entstand bei mir der Eindruck, als lebten Der Auftrag des Sachverständigenrates, zu allen wir in einer Gesellschaft und Wirtschaft, die ein Zielen Empfehlungen zu geben, ist in diesem Gut- paar Problemchen hätte, die man insgesamt leicht achten nicht erfüllt worden. Zur Arbeitslosigkeit lösen könnte, die von sich aus automatisch in Ord- gibt es keine Antworten. nung kämen. Das heißt, im Wirtschaftsministerium (Beifall bei der SPD — Wissmann [CDU/ regieren jetzt die verharmlosende Ratlosigkeit und CSU]: Haben Sie die Zahlen denn gelesen? Einfallslosigkeit. — Zander [SPD]: Bei den fünf Weisen sind (Beifall bei der SPD) ja auch vier Schwarze!) 7840 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 105. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. November 1984

Roth Zurück zu dieser Politik der Bundesregierung! Konjunktur-Zampano zu versuchen. Also ver- Was der Zeitungsleser tagtäglich lesen kann, was anstaltet er erst einmal einen Reihenabwurf wir hier in Bonn erleben, ist keine wirtschaftspoliti- von Interviews. Nach dem Motto „Neue Besen sche Konzeption, sondern sind weitgehend Chaos kehren gut" gibt er darin allerlei Schönes, Gu- und Widersprüche. Ich nenne nur ein paar Bei- tes und Teures zum besten. spiele. Das konservative Blatt fährt fort: Erstens. Da findet jetzt seit exakt zwei Jahren Kühn behauptet der Ministernachwuchs, auf eine steuerpolitische Diskussion statt, und niemand diese Weise Vertrauen zu verbreiten und kei- in der Wirtschaft weiß, wann, in welchem Umfang nen Attentismus zu schüren. Wie das funktio- und in welchen Stufen die Steuerreform erfolgt. nieren soll, wird sein Geheimnis bleiben. Das ist doch wohl Verunsicherung, oder was ist- es? (Beifall bei der SPD) (Beifall bei der SPD) Meine Damen und Herren, ich sage das auch des- Zweitens. Seit zehn Jahren und mehr wird von halb, weil das Bundeswirtschaftsministerium kein Ihnen, von der CDU/CSU, von Subventionsabbau Ressort ist, das so viele unmittelbare Instrumente gesprochen: fünf Prozent jährlich, zehn Prozent und so viel Macht hätte wie das Innenministerium, jährlich. Und was ist das Ergebnis? Im Jahr 1985 wie das Justizministerium, wie das Finanzministe- 4 Milliarden DM Steuersubvention mehr an eine rium. Der Wirtschaftsminister lebt aus seiner Gruppe der Bevölkerung. Glaubwürdigkeit und Kompetenz. Drittens. Da werden Erhöhungen der Investi- (Glos [CDU/CSU]: Deswegen dürfen Sie tionsquote angekündigt. Anschließend kürzt man, niemals Wirtschaftsminister werden!) und im Bauwesen gibt es eine neue Pleitewelle. Kein Zweifel, meine Damen und Herren: Im Wirt- Viertens. Da wird die Verbesserung der Ange- schaftsministerium gibt es besonders fähige und er- botsbedingungen der Wirtschaft gefordert und fahrene Beamte, und zwar Beamte, die dort seit lan- gleichzeitig jeder Vorschlag zur Verbesserung der ger Zeit verschiedene Wirtschaftsminister — übri- Angebotsbedingungen in Richtung auf das Jahr gens aus verschiedenen Lagern — beraten haben. 1990 vertagt. (Zander [SPD]: Nur bis B 9!) (Kolb [CDU/CSU]: Subventionen, Subven tionen!) Aber es hat in der Bundesrepublik Deutschland bis- her kein Wirtschaftsminister so gegen sein Amt re- Fünftens. Da wird ein Baufinanzierungspro- giert und entgegen den Ratschlägen freihändig gramm 1982 beschlossen. Investitionen flackern Sprüche gemacht wie dieser. Er hat die Wirtschaft vorübergehend auf, und jetzt kommt die größte verunsichert! Pleitewelle im Baugewerbe auf uns zu. (Beifall bei der SPD — Kolb [CDU/CSU]: Sechstens. Seit mehr als acht Monaten diskutie- Die gelobten Beamten schütteln erstaunt ren Sie jetzt über Steuerpolitik im Zusammenhang den Kopf! — Weitere Zurufe von der CDU/ mit den Katalysatoren. Seit acht Monaten! Ergebnis CSU: Drehen Sie sich einmal um! — Die ist, daß nun die Autokäufer total verunsichert sind, Beamten lachen Sie aus! — Zander [SPD]: der ADAC zum Abwarten rät und wir wegen Ihrer Bei dem Minister haben sie auch was zu Unfähigkeit eine Rezession in der Automobilindu- lachen!) strie bekommen. Das ist die Wahrheit. Meine Damen und Herren, ohne Zweifel ist es so, (Beifall bei der SPD — Kolb [CDU/CSU]: daß wir hier heute keinen blutleeren Dogmenstreit Weil ihr seit 1972 nichts gemacht habt, euer und nicht nur Auseinandersetzungen brauchen. Ich großer Hauff!) glaube, wir brauchen in der Wirtschaftspolitik neue Sie sprechen immer von stetigen und verläßli- Ideen, und ich will in sieben Punkten ein Diskus- chen Rahmenbedingungen in der Volkswirtschaft. sionsangebot — auch für den weiteren Verlauf der Verlassen kann man sich in der Wirtschaft nur auf Debatte — machen. eines: auf die ständige Produktion von Ankündigun- (Kolb [CDU/CSU]: Herr Roth, das sind Ihre gen, die dann anschließend wieder zurückgenom- uralten Rezepte!) men werden. Das ist die Tatsache. Erster Punkt: Kein Konjunkturprogramm — das (Beifall bei der SPD) ist nicht unser Problem —, sondern ein mittelfristi- Führend auf diesem Gebiet ist der Bundeswirt- ges qualitatives Wachstumsprogramm, das die Um- schaftsminister. weltfrage zusammen mit der Beschäftigungsfrage löst. Das ist die Aufgabe! (Dr. Lammert [CDU/CSU]: Gestern habt ihr behauptet, der Innenminister sei es!) (Beifall bei der SPD — Kolb [CDU/CSU]: Und wer finanziert es?) Es ist ja schon wahr, was das konservative „Han- delsblatt" in einem Kommentar über den Stil der Es ist Aufgabe des Staates, dabei mitzuhelfen, neue Politik Bangemanns geschrieben hat. Zitat: Wachstumsfelder zu erschließen. Eines dieser Fel- der, und zwar das wichtigste, scheint mir in der Der 42-Tage-Minister Martin Bangemann hält Zukunft der Umweltschutz zu sein. Hier ist auch es für angebracht, sich ohne Not als großer und besonders der Staat gefordert, denn Umwelt- Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 105. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. November 1984 7841

Roth Schutz gibt es nur jenseits der rein privaten Nach- Konsequenz dieses Widerspruches ist — da sollte frage und des rein privaten Angebots. keiner wegsehen — zum Teil auch die Schwarzar- Meine Damen und Herren, das heißt natürlich beit. trotzdem, daß die meisten Umweltleistungen in pri- Was ist also zu tun? Ganz falsch wäre es, das zu vaten Unternehmen erbracht werden. Es heißt aber tun, was Blüm einmal versucht hat, nämlich mit der auch, daß Umweltverbesserungen nicht naturwüch- Polizei an die Schattenwirtschaft heranzugehen. sig über den Markt kommen, sondern staatliche Das wird nicht erfolgreich sein. In personal- und Vorgaben — Gebote, Anreize, im Einzelfall Verbote damit lohnintensiven Bereichen führt kein Weg — notwendig sind. Wir sollten diese Chance, über daran vorbei, an den Gesamtarbeitskosten der Men- Anreize usw. zu investieren und gleichzeitig Ar- - schen anzusetzen. beitsplätze zu schaffen, durch ein Sondervermögen (Zustimmung bei Abgeordneten der SPD) Arbeit und Umwelt nutzen. Zur Zeit werden auf die Löhne unter Einschluß (Kolb [CDU/CSU]: Aha, jetzt kommt's!) aller Aspekte 70 % Lohnnebenkosten aufgeschla- Meine Damen und Herren, ich bitte Sie, diese Chan- gen. ce, 1 bis 2 % zusätzliches Sozialprodukt und 400 000 (Kolb [CDU/CSU]: 76% ist der unterste, Arbeitsplätze jährlich zu schaffen, zu nutzen und 110% der oberste Satz!) Ihre Blockadepolitik gegen eine investitionsortien- tierte Umweltpolitik aufzugeben. Gelänge es, bei Wahrung des allgemeinen Lohnni- veaus in der Bundesrepublik Deutschland diese Zu- (Beifall bei der SPD — Kolb [CDU/CSU]: schläge zu reduzieren oder anders zu finanzieren, Dadurch werden Sie andere Arbeitsplätze würden Dienstleistungen billiger. Es würde mehr gefährden, Herr Kollege!) nachgefragt, und es entstünden somit neue Arbeits- — Rufen Sie doch nicht dazwischen! Der Herr Zim- plätze. mermann hat doch unser Sondervermögen Arbeit (Zuruf von der CDU/CSU: Jetzt kommt und Umwelt im Kleinbildformat bereits abgekup- es!) fert, und zwar bei der Kreditanstalt für Wiederauf- bau. Das ist doch die Wahrheit. Wer vernünftig ist, wird natürlich kein Soziallei- (Zustimmung bei der SPD) stungsniveau kürzen wollen. Das ist kein Weg. Es ist zwar ein Weg, wie ihn manche von Ihnen vor- Ein zweites Diskussionsangebot: Denken Sie schlagen, aber unser Weg wird es nicht sein. Wir doch noch einmal über die Haushaltspolitik nach. sollten die Finanzierung der sozialen Sicherung Ihre Steuererhöhungen für 1985, die heimlichen überprüfen, und zwar gemeinsam. Anstatt die Fi- nämlich, sind doppelt so hoch wie die Ausgabener- nanzierung unseres Rentensystems, unseres Kran- höhungen für das nächste Jahr. Das muß doch Ar- kenversicherungssystems, unseres Arbeitslosenver- beitsplätze zerstören. sicherungssystems an der Lohnsumme zu orientie- (Kolb [CDU/CSU]: Ihre Schulden müssen ren, sollten wir die Finanzierung über die Wert- wir bezahlen!) schöpfung versuchen, Beschließen Sie doch einem wachstums- und stabi- (Beifall bei der SPD) litätsorientierten Haushalt, nicht einen Haushalt, d. h., wir sollten bei der Finanzierung des Systems der Arbeitsplätze vernichtet! der sozialen Sicherung Gewinne, Mieten, Zinsen (Beifall bei der SPD) und Löhne zusammenfassen. Die Einführung einer Wertschöpfungsabgabe, vielleicht in Form einer Der dritte Punkt ist ein Punkt, bei dem ich zu- dritten Säule im Finanzierungssystem unserer so- tiefst davon überzeugt bin, daß wir, insbesondere zialen Sicherung, muß meines Erachtens nicht nur die großen Parteien, das Problem nur gemeinsam überprüft, sondern auch angepackt werden. lösen können. Wir brauchen eine Antwort auf die Frage, warum der Dienstleistungssektor nicht — (Beifall bei Abgeordneten der SPD) wie früher — als Schwamm am Arbeitsmarkt wirkt, Es entstünden mehr Arbeitsplätze, weil die Arbeits- d. h. expandiert. Dabei gibt es gerade im Dienstlei- plätze im lohnintensiven, im arbeitsintensiven Be- stungssektor im Grunde noch genügend Beschäfti- reich billiger würden. gungschancen. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) (Glos [CDU/CSU]: Das ist richtig!) Meine Damen und Herren, damit würde die Hand- Wir müßten nur in der Lage sein, diese Dienstlei- werkerstunde billiger. Sie würde mehr nachgefragt. stungen zu bezahlen. Damit würden die kulturellen Leistungen billiger. (Kolb [CDU/CSU]: Ja, wenn man sie ver Sie würden mehr nachgefragt. In vielen Bereichen kaufen könnte! Schwarzarbeit, Herr Kol des Handels hätte der Preis wieder eine Chance, lege!) einen Absatz zu finden. Das Problem ist, daß Verbraucher von Dienstlei- (Beifall bei der SPD) stungen offensichtlich nicht bereit sind, das vorhan- Darüber sollten wir diskutieren. Ich hätte erwartet, dene Angebot zu den geforderten Preisen zu akzep- daß dieser Wirtschaftsminister ein bißchen über tieren. den Zaun hinwegguckt, auch in Richtung auf die (Zustimmung des Abg. Kolb [CDU/CSU]) sozialpolitischen Fragen der nächsten Jahre. 7842 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 105. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. November 1984

Roth Viertens. Es ist notwendig, die private Investi- striepolitisches Gesamtkonzept, das den Anpas- tionstätigkeit zu stärken. sungsprozeß erleichtert und verbessert. (Zuruf von der CDU/CSU: Richtig!) (Kolb [CDU/CSU]: Wie finanzieren Sie Auch dazu lade ich zur Debatte ein. Dies geht nicht das?) durch pauschale Steuersenkungen für Unterneh- Die Verweigerung eines nationalen Stahlkonzeptes men. Da trifft es Gerechte und Ungerechte. Dies durch die Bundesregierung ist zynisch und uner- geht nur durch steuerliche Anreize für die Investi- träglich, ich wiederhole das hier. tionen selbst, für die Aktivität selbst. Nicht pau- schale Gewinnsteigerung ist nötig, sondern ein An- (Beifall bei der SPD) reiz für die Investition. - Das Trauerspiel Arbed hat mit neuen Nachforde- Um die Eigenkapitalausstattung der deutschen rungen von 70 Millionen DM einen neuen Höhe- Unternehmen zu verbessern, ist es vor allem not- punkt. Die Fusion Klöckner/Krupp führt zur Zer- wendig, die Kapitalströme in der Bundesrepublik störung eines mittelständischen Stahlunterneh- umzulenken — weg von Geldvermögensanlagen, mens, das völlig gesund war, nämlich Wuppermann weg von Abschreibungsmodellen, insbesondere in Leverkusen. dem absurden Bauherrenmodell, weg von Immobi- (Urbaniak [SPD]: Was tun die denn dage lienanlagen und hinein in Beteiligungen bei Unter- gen?) nehmen. Das erfordert steuerliche Änderungen. Wir sollten die steuerliche Vorzugsbehandlung von Ka- Meine Damen und Herren von der CDU/CSU, Sie pitalanlagen in Geldvermögen, Abschreibungspro- greifen hier nicht ein, obgleich Sie 3 Milliarden DM jekte und Immobilien abbauen. ausgeben. Wo ist da Ihre Glaubwürdigkeit gegen- über der mittelständischen Klientel? Meine These ist: Es gibt genügend Kapital in der Bundesrepublik Deutschland, nur wird es zumeist (Beifall bei der SPD) in falsche Anlageformen gelenkt. Es kommt darauf an — das ist Aufgabe der Steuerpolitik der näch- Probleme aber haben wir nicht nur in den tradi- sten Jahre —, sie in produktive Anlagen, also in tionellen Industriebranchen, Probleme haben wir Arbeitsplätze, umzulenken. Das ist die Aufgabe. auch bei der Sicherung unserer technischen Spit- zenposition. Ich meine — hier besteht ein Unter- (Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten schied zu der Fraktion, die anschließend redet —: der CDU/CSU) Wir können uns einen Ausstieg aus dem internatio- Richtig bleibt dann immer noch, was von den nalen Wettbewerb nicht leisten. Gewerkschaften eingewandt wird: daß manche (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Sachkapitalbildung zur Zerstörung von Arbeitsplät- zen führt. Um so mehr müssen wir versuchen, unser Wir sind der Meinung, wir müssen auch das Drittel Steuersystem auch daraufhin zu überprüfen, wo der Arbeitsplätze im Industriesektor sichern, das eine Förderung der Arbeitsplatzschaffung verstärkt vom internationalen Wettbewerb abhängig ist. werden kann. Könnte es nicht Sonderabschreibun - Sechstens. Der Abstand zwischen Leistungsfähig- gen für die Unternehmen geben, die besonders ar- keit unserer Wirtschaft und Absatzmöglichkeiten beitsplatzintensiv für die Zukunft investieren? ihrer Güter und Dienstleistungen muß auch durch Könnte das nicht ein Weg sein? eine forcierte Arbeitszeitverkürzung geschlossen (Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten werden. Diese Position besteht weiter. der CDU/CSU) Ich komme zum letzten, zum siebten Punkt. Zur Meine Damen und Herren, ich bitte Sie jenseits Überwindung der Beschäftigungskrise reicht es von dem übrigen Konflikt, der uns immer noch tei- nicht, sich nur national zu orientieren. Wir brau- len wird, auf dem Gebiet der Dienstleistungen und chen einen europäischen Beschäftigungspakt, und der Investitionen für Arbeitsplätze gemeinsame An- wir brauchen eine gemeinsame Aktion Europas ge- strengungen zu starten. Den Bürgern in der Bun- gen Tendenzen aus Amerika nicht nur beim Stahl. desrepublik Deutschland dient es nicht, wenn wir hier nur Schaukämpfe machen und nur Widersprü- (Beifall bei der SPD) che austragen. Für die Arbeitsplätze in Deutschland ist die stän- (Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten dige indirekte Ausbeutung Europas über die inter- der CDU/CSU) nationalen Kapitalmärkte viel bedeutsamer. Das ist die Situation. Ich hätte mir gewünscht, daß der Bundeswirt- schaftsminister mit Ideen zur Investitionsförderung (Beifall bei der SPD) hier an diesen Tisch tritt und zu uns redet. Nehmen Sie doch, Herr Wirtschaftsminister, Herr (Zuruf von der SPD: Er hat das Buch noch Finanzminister, diesen Ball auf, den Helmut nicht durchgelesen! — Dr.-Ing. Kansy Schmidt gespielt hat, nämlich den schrittweisen [CDU/CSU]: Er hat das Buch von Bange Ausbau des Europäischen Währungssystems hin zu mann doch gelesen!) einer Währungseinheit, die dann Kraft genug hätte, dem Dollar standzuhalten. Das ist die Aufgabe der Fünftens. Wir können die Industrieregion des Zukunft. großen Wiederaufbaus Stahl/Kohle nicht einfach ihrem Schicksal überlassen. Wir brauchen ein indu- (Beifall bei der SPD) Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 105. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. November 1984 7843

Roth Ich finde, diese Debatte wäre besser gelaufen, dem die Arbeitslosigkeit nun trotz Wachstum wei- wenn der Wirtschaftsminister Perspektiven formu- ter ansteigt. liert und beispielsweise die Opposition zu einem (Beifall bei den GRÜNEN) Wettstreit um sachliche Fragen eingeladen hätte. (Beifall bei der SPD) Das Ergebnis: Dieser Aufschwung wird also keine entscheidende Verringerung der Arbeitslosig- Ich fordere deshalb die CDU — die sicher noch keit bringen. Eine Sockelarbeitslosigkeit von deut- einen Redner hat — mit großer Hoffnung auf, doch lich über 2 Millionen wird uns auf absehbare Zeit ein paar Worte konkret zu diesen Fragen zu sagen. begleiten, und das bedeutet, daß der nächste Kon- Vielleicht kommen wir dann ein Stück weiter. junkturabschwung, der, wie selbst von Herrn Vielen Dank fürs Zuhören. Lambsdorff schon zugegeben wurde, in den näch- (Beifall bei der SPD) sten Jahren kommen muß, von diesem höheren Sockel der Arbeitslosigkeit aus eine weitere Zu- nahme der Arbeitslosigkeit bringen wird. Vizepräsident Westphal: Das Wort hat der Abge- ordnete Burgmann. Was tut die Regierung in dieser Frage, wenn das so offensichtlich ist? Ich muß sagen, sie benutzt die Arbeitslosigkeit in Zusammenarbeit und Einigkeit Burgmann (GRÜNE): Meine Damen und Herren! mit dem Kapital, um die Arbeitsschutzbestimmun- Ich war, bevor diese Wirtschaftsdebatte begann, bei gen zu reduzieren, um den Jugendarbeitsschutz zu einem Treffen von Leuten aus Arbeitsloseninitiati- reduzieren, um den Frauenarbeitsschutz zu redu- ven in der Fraktion der GRÜNEN. Ich muß sagen, zieren, um Sozialleistungen abzubauen, um die ich habe dort in der halben, dreiviertel Stunde, die Löhne abzubauen. Auch im Zuge der Arbeitslosig- ich da beiwohnen konnte, mehr von den Problemen keit werden im Falle von Wiedereinstellungen ge- der Wirtschaft, von den Problemen der Betroffenen wöhnlich niedrigere Löhne angesetzt, so daß auch gehört, als in anderthalb Tagen hier in der Debatte da ein permanenter Abbau von Löhnen stattfindet. über dieses Thema gesagt worden ist. Nun sollen auch Arbeitszeit und Arbeitsbedingun- (Beifall bei den GRÜNEN) gen an die Produktion angepaßt werden; der Ich habe das Gefühl, daß hier immer wieder ver- Mensch soll zu einem willkürlichen Instrument der sucht wird, mit Statistiken — die man so oder so Produktion werden. Wenn man die Arbeitslosigkeit auslegen kann — an den wirklichen Problemen vor- nicht will, so ist sie doch auf jeden Fall ganz offen- beizureden. sichtlich willkommen, um diese gesellschaftliche Rückentwicklung einzuleiten. Da weiß man dann (Beifall bei den GRÜNEN) auf einmal, warum Flick, Horten und andere die Wenn ich von Herrn Bangemanns Beitrag über- Millionen an diese Parteien zahlen. Dabei ist es haupt etwas begriffen habe, dann das, daß die ganz gleichgültig, ob Flick nun zahlt, damit diese Schuld an der Arbeitslosigkeit wohl der Opposition Politik betrieben wird, oder ob er zahlt, weil diese mit ihrer ständigen Miesmacherei zukommt und Politik betrieben wird. Entscheidend ist, daß von daß die Schuld an dem Aufschwung der Regierung dieser Regierung die Interessen des Großkapitals in zuzuschreiben ist. einem Klassenkampf von oben vertreten werden, Wenn wir uns einmal wirklich über die Gründe wie wir das in dieser Republik noch nicht erlebt der Arbeitslosigkeit unterhalten, über die Tatsache, haben. daß es trotz 2 bis 3% Wachstum keine Beschäfti- (Beifall bei den GRÜNEN) gungszunahme gibt, dann kommen wir zu dem Er- gebnis, daß einerseits trotz steigender Gewinne Das Ganze wird dann als sogenannte freie Markt- kein Abbau der Arbeitslosigkeit erfolgt, weil durch- wirtschaft noch ideologisch verklärt. aus ausreichende Kapazitäten vorhanden sind, um Wenn diese Regierung mit ihren Erfolgen der diese steigenden Gewinne mit zu erwirtschaften, Konsolidierung und Inflationsbekämpfung hier wu- daß die Investitionen, die getätigt werden, zu mehr chert, dann müssen wir Ihnen vorhalten: Sie haben als 50 % in die Rationalisierung laufen, und daß die diese Erfolge auf Kosten der Arbeitslosen, der Be- Unternehmer wissen, daß es insofern eine gewisse hinderten, der Rentner und Sozialhilfeempfänger Marktsättigung gibt, als dort, wo Geld ist, der Be- erzielt, und insbesondere das Wachstum geht letz- darf begrenzt ist, daß in vielen Bereichen wohl noch ten Endes auf Kosten der Umwelt und der Lebens- Bedarf besteht, aber nicht das Geld da ist, zu kau- grundlagen in diesem Lande. fen. Das gilt für die Privaten wie für die öffentliche Hand und insbesondere für die Dritte Welt. (Kolb [CDU/CSU]: Zurück zur Natur!) Ein weiterer ganz entscheidender Grund ist, daß Wenn diese Regierung sagt, einschneidende Maß- sich die neuen Technologien, die von den Regie- nahmen seien nötig, d. h. die neue Verarmung, die rungsparteien und der Regierung so gefördert wer- sich dort entwickelt, ist nötig, um die Gewinnsteige- den, grundsätzlich von anderen Technologien der rungen der Unternehmen, um die Vermögensteuer, Vergangenheit insofern unterscheiden, als diese die Steuerreform zugunsten der Großen möglich zu neuen Technologien auf der einen Seite eine ganz machen, dann muß ich sagen, das ist gerade das gehörige Rationalisierungswirkung haben, im Un- Unerträgliche, das Zerstörerische an dieser soge- terschied zu früheren aber keinen neuen Bedarf nannten freien Marktwirtschaft, daß sie nur blüht, auslösen, sondern lediglich Arbeitsplätze vernich- wenn riesige, wenn Milliardengewinne erzielt wer- ten. Das ist der entscheidende Unterschied, aus den, und das geht eben nur noch auf Kosten der 7844 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 105. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. November 1984

Burgmann Verarmung in der Dritten Welt und bei uns und auf Sondervermögen Arbeit und Umwelt einsetzt, dann, Kosten einer ständigen Zerstörung und Ausbeu- wenn wir einen Antrag stellen, im Bundeshaushalt tung unserer Umwelt. Das Thema Umwelt kommt hier konkret etwas zu tun, nicht unterstützen in der Argumentation der Bundesregierung im wirt- kann. schaftlichen Zusammenhang typischerweise gar Ich komme zu einem anderen wichtigen Antrag, nicht vor. der heute noch zur Abstimmung steht, dem Antrag (Zurufe von der CDU/CSU) auf Konversionshilfe für die Chemieindustrie. Bei diesem Antrag sind scheinbar die Leute auf beiden Das Thema wird auch von den fünf Weisen gar Seiten dieses Hauses vollkommen hilflos. Dem Kol- nicht thematisiert. Die Arbeitslosigkeit wird noch legen Rappe wird es wahrscheinlich kalt den Rük- als Schönheitsfehler angesprochen, aber die Um- ken runterlaufen, wenn er hört, daß wir nun auch weltentwicklung wird aus der Wirtschaft gern her- noch an diese gewinnträchtige Industrie heranwol- ausgehalten, als hätte sie nichts damit zu tun. Dabei len. wird sie doch hauptsächlich durch diese Wirtschaft verursacht. Wenn man vom Wachstum spricht, muß (Kolb [CDU/CSU]: Daß Sie zurückwollen man auch vom Wachstum der Waldschäden spre- ins letzte Jahrhundert! — Weiterer Zuruf chen, das im vergangenen Jahr um 50 % zugenom- von der CDU/CSU: Wo haben Sie denn den men hat — genauso wie die dramatische Entwick- Schlafanzug her, Herr Kollege?) lung bei Böden, Wasser und Luft. Vizepräsident Westphal: Herr Abgeordneter, ge- (Krizsan [GRÜNE]: Das interessiert Herrn statten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Bangemann nicht!) Hoffmann. Wer heute in der hochindustrialisierten Bundes- republik noch wirtschaftliche Probleme mit Wachs- Burgmann (GRÜNE): Ja, bitte. tum zu lösen versucht — Herr Kollege Roth, auch das möchte ich zu Ihnen sagen —, versündigt sich nicht nur an der Natur, sondern wird auch zum Vizepräsident Westphal: Bitte schön. Totengräber der kommenden Generation. Hoffmann (Saarbrücken) (SPD): Herr Kollege, ist (Beifall bei den GRÜNEN — Roth [SPD]: es nicht einleuchtend, wenn man zur selben Zeit, wo Nicht einmal zugehört!) einer der größten Chemiekonzerne 3 Milliarden DM Es macht keinen Sinn, wenn Herr Geißler hier für Gewinn macht, eine gerechtfertigte Forderung nach das ungeborene Leben plädiert, sich aber gleichzei- Konversion auch dorthin verlagert, wo das Geld ist, tig daran beteiligt, daß die Grundlagen für das gebo- und wieso sollten wir das dann auch noch aus Steu- rene Leben zerstört werden. ergroschen finanzieren? Das verstehe ich nicht. Können Sie mir das mal erklären? Die Feststellung ist also, daß es zwei herausra- gende Probleme gibt — das ist die Arbeitslosigkeit, das ist die Umweltentwicklung — und daß dazu im Burgmann (GRÜNE): Sehr gerne. Ich wollte ge- Haushalt des Wirtschaftsministers überhaupt rade darauf zu sprechen kommen. nichts ausgesagt, kein Pfennig investiert wird. Kein Natürlich wäre das Kapital da, dort etwas zu ma- Pfennig wird gezielt gegen die Arbeitslosigkeit ein- chen. Aber das Entscheidende ist doch, daß nichts gesetzt, und dem, was im Rahmen der umwelt- getan wird und wir, wenn wir, wie es eigentlich freundlichen Energieversorgung angesetzt ist, 110 unsere Forderung sein müßte, Formaldehyd oder Millionen DM, wobei diese Maßnahmen in den andere dieser giftigen Stoffe verbieten wollen, vor nächsten Jahren auslaufen werden, stehen allein der Frage stehen: Was machen wir mit den Arbei- für Uran- und Mineralölversorgung 182 Millionen tern, die dann vor dem Problem stehen, neue Arbeit DM gegenüber. Kein Pfennig ist in diesem Einzel- finden zu müssen? plan 09 für Recycling angesetzt, aber allein 8,6 Mil- (Hauser [Krefeld] [CDU/CSU]: Die leben lionen DM für die Erforschung der Rohstoffausbeu- dann alle schon nicht mehr!) tung der Meere und der Antarktis. Ja, man will die letzten großen noch einigermaßen intakten Lebens- Da muß, meine ich heute, angesetzt werden, damit räume auch noch ausbeuten und zerstören, ehe neue Arbeitsplätze gefunden werden. Es darf nicht man auch nur einen Pfennig für Recycling, für die erst wenn die Krise da ist, wenn das Chaos da ist, Einsparung von Rohstoffen ausgibt. versucht werden, im letzten Moment umzusteuern. (Beifall bei den GRÜNEN — Kolb [CDU/ Ich habe kürzlich in meinem Beitrag zur umwelt- CSU]: Was werden Sie denn tun?) freundlichen Energieversorgung deutlich gemacht, wie man durch gezielte Investitionen in diesem Be- Ich komme zum Schluß meines Beitrages. Ich reich sinnvolle Arbeitsplätze schaffen, die Abhän- habe leider nur wenige Minuten Zeit gehabt. Die gigkeit von Einfuhren und Ausfuhren verringern, GRÜNEN haben keine Patentrezepte, aber wir sind die Umwelt entlasten und strukturelle Veränderun- die erste Partei, die ihren Erfolg nicht auf wirt- gen der Wirtschaft hin zu arbeitsintensiven, dezen- schaftliche und materielle Versprechen gründet. tralen und demokratischen Wirtschaftsstrukturen Wir haben erkannt, daß das Leben, die Überlebens- einleiten kann. Darauf zielt auch unser Antrag, der frage, wichtiger ist als der Lebensstandard. heute zur Abstimmung steht. Das Seltsame ist, daß (Kraus [CDU/CSU]: Zurück zum Holzpflug! uns die SPD, die sich auf der einen Seite für ein — Weitere Zurufe von der CDU/CSU) Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 105. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. November 1984 7845

Burgmann Es wird in Zukunft immer weniger zu verteilen Wer dem Änderungsantrag auf Drucksache sein, Herr Kollege Kraus. Und um so wichtiger ist 10/2420 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das es, daß Arbeit und Einkommen gerechter verteilt Handzeichen. — Gegenprobe! — Stimmenthaltun- sind. Dafür werden wir uns einsetzen. Damit bewe- gen? — Der Antrag ist mit Mehrheit abgelehnt. gen wir uns allerdings genau in die entgegenge- Wer dem Änderungsantrag auf Drucksache setzte Richtung wie die rechte Seite in diesem 10/2421 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Hause. Handzeichen. — (Beifall bei den GRÜNEN — Zuruf von der (Kolb [CDU/CSU]: Wieder 6 Ja-Stimmen!) CDU/CSU: Jetzt geht er ins Bett!) Gegenprobe! — Enthaltungen? — Erneut mit Mehr- Vizepräsident Westphal: Zu einer Erklärung nach - heit abgelehnt. § 31 unserer Geschäftsordnung, also zur Abstim- Wer dem Änderungsantrag auf Drucksache mung, hat der Herr Abgeordnete Urbaniak das 10/2422 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Wort. Handzeichen. —

Urbaniak (SPD): Herr Präsident! Meine Damen (Kolb [CDU/CSU]: Es bleibt bei 6 Stim und Herren! Den Antrag der Fraktion DIE GRÜ- men!) NEN auf Drucksache 10/2532 lehne ich ab. Für mich — Gegenprobe! — Stimmenthaltungen? — Bei einer gilt: Erstens. Zur Sicherung der Arbeitsplätze in der Reihe von Stimmenthaltungen auf der linken Seite Stahlindustrie sind weiterhin Kooperationen zwi- ist dieser Antrag mit Mehrheit abgelehnt. schen den Unternehmungen notwendig. Wir kommen jetzt zum Änderungsantrag auf Zweitens. Nur so können die regionalen Stahl- Drucksache 10/2423. Wer zuzustimmen wünscht, standorte gesichert werden. den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenprobe! Drittens. Da, wo Betriebsteile nicht mehr gehal- — Stimmenthaltungen? — Mit Mehrheit abge- ten werden können, müssen den Arbeitnehmern an- lehnt. dere Arbeitsplätze angeboten werden. Ist das nicht Wer dem Änderungsantrag auf Drucksache möglich, muß eine ausreichende Sozialflankierung 10/2532 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das für die betroffenen Arbeitnehmer garantiert sein. Handzeichen. — Hierum haben die Sozialdemokraten lange ge- kämpft. (Kolb [CDU/CSU]: Es werden nicht mehr!) Viertens. Die Sicherung der Montan-Mitbestim- Gegenprobe! — Stimmenthaltungen? — Dieser Än- mung und ihre Ausweitung ist für die SPD selbst- derungsantrag ist mit Mehrheit abgelehnt. verständlich. Dem Parlament werden wir Gelegen- Wir stimmen jetzt über den Änderungsantrag der heit geben, unseren Gesetzentwürfen zur Mitbe- Fraktion der SPD auf Drucksache 10/2476 ab. Wer stimmung zuzustimmen. zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Hand- Fünftens. Der Antrag der Fraktion DIE GRÜNEN zeichen. — Gegenprobe! — Stimmenthaltungen? — ist unaufrichtig, unrealistisch und ein Betrug an (Kolb [CDU/CSU]: Das ist die neue Koali unseren Arbeitnehmern in der Stahlindustrie. tion!) Noch einmal: Ich lehne den Antrag auf Druck- Der Antrag ist mit Mehrheit abgelehnt. sache 10/2532 ab. Das ist auch die Meinung meiner Fraktion. Wir kommen zur Abstimmung über den Ände- rungsantrag der Fraktionen der CDU/CSU und (Beifall bei der SPD — Kolb [CDU/CSU]: FDP auf Drucksache 10/2505. Wer diesem Ände- Das war wieder_ nicht zulässig!) rungsantrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltun- Vizepräsident Westphal: Herr Kollege Urbaniak, der letzte Satz hätte nach unseren Regeln nicht fol- gen? — Der Antrag ist mit Mehrheit angenommen. gen dürfen. Ich bitte, das in Zukunft zu beachten. Wer dem Einzelplan 09 — Geschäftsbereich des Weitere Wortmeldungen liegen zu diesem Einzel- Bundesministers für Wirtschaft — in der Ausschuß- plan nicht mehr vor. Ich schließe deshalb die Aus- fassung mit der soeben beschlossenen Änderung sprache. zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Hand- zeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Der Wir kommen zur Abstimmung, und zwar zu- Einzelplan 09 ist mit Mehrheit angenommen. nächst über die Änderungsanträge der Abgeordne- ten Burgmann, Stratmann, Verheyen (Bielefeld) und der Fraktion DIE GRÜNEN auf den Druck- Ich rufe nun auf: sachen 10/2419 bis 10/2423 und 10/2532. Es handelt sich also um eine Reihe von Anträgen. Einzelplan 10 Wer dem Änderungsantrag auf Drucksache Geschäftsbereich des Bundesministers für 10/2419 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Ernährung, Landwirtschaft und Forsten Handzeichen. — Gegenprobe! — Stimmenthaltun- — Drucksachen 10/2310, 10/2330 — gen? — Berichterstatter: (Kolb [CDU/CSU]: Sechs Mann haben zu Abgeordnete Schmitz (Baesweiler) gestimmt!) Frau Zutt Der Antrag ist mit Mehrheit abgelehnt. Verheyen (Bielefeld) 7846 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 105. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. November 1984 Vizepräsident Westphal Hierzu liegen Ihnen auf den Drucksachen 10/2424 die EG nachschießen. In den Bundeshaushalt 1985 und 10/2425 zwei Änderungsanträge des Abgeord- ist vorsorglich ein Betrag von 1,6 Milliarden DM neten Verheyen (Bielefeld) und der Fraktion DIE eingestellt. Auch wenn ich persönlich meine Zweifel GRÜNEN vor. habe, ob dieser Betrag ausreichen wird, will ich es Interfraktionell ist für die Aussprache über die- vorläufig bei diesen Zahlen lassen. sen Einzelplan eine Runde vereinbart worden. — Um die von Herrn Kollegen Schmitz geforderten Ich sehe, daß Sie damit einverstanden sind. „realistischen Bezüge zu Europa" herzustellen, ist Wird das Wort zur Berichterstattung gewünscht? es auch erforderlich, die Agrarsubventionen, die Sie — Das ist nicht der Fall. im Schnellgang über die Erhöhung der Vorsteuer- - pauschale um 5 % seit 1. Juli dieses Jahres als Aus- Ich eröffne die allgemeine Aussprache. Das Wort gleich für den Wegfall des positiven Grenzaus- hat die Abgeordnete Frau Zutt. gleichs gewähren, mit in die Beratung der Land- wirtschaftspolitik einzubeziehen. (Hornung [CDU/CSU]: Ausgleich!) Frau Zutt (SPD): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Verehrter Kollege Schmitz, Sie haben — Wir kommen noch dazu. vor einem Jahr Ihre Haushaltsrede in der festen Überzeugung abgeschlossen, daß „diese Bundesre- Diese Subventionen, meine Damen und Herren, gierung unter Minister in der Lage finden Sie weder im Etat des Landwirtschaftsmini- ist, eine Politik zu betreiben, die den Bauern dient, sters noch bei den Finanzen- oder den EG-Agrar- die das Ziel hat, in Europa wieder realistische Be- ausgaben. züge herzustellen, und dem ländlichen Raum und (Hornung [CDU/CSU]: So ist es!) der Landwirtschaft wieder eine Zukunftsperspek- tive geben wird". So Ihr wörtliches Zitat. Sie finden sie gar nicht; denn sie machen sich ledig- lich als Steuermindereinnahmen bemerkbar, die (Beifall bei der CDU/CSU — Hornung von der Regierung für Bund und Länder im Jahre [CDU/CSU]: Genauso ist es!) 1984 mit 1,7 Milliarden DM und für 1985 mit 2,6 Mil- Wir werden prüfen müssen, ob diese Überzeugung liarden DM angegeben werden, die aber positiv bei heute Wirklichkeit geworden ist. den umsatzstarken landwirtschaftlichen Betrieben zu Buche schlagen. (Vorsitz : Vizepräsident Wurbs) Strenge Haushaltsdisziplin, Konsolidierung des (Schmitz [Baesweiler] [CDU/CSU]: Wie die Haushalts, Erneuerung der Sozialen Marktwirt- Verluste auch umsatzbezogen sind!) schaft sind die proklamierten und angeblich schon Den Ausgaben für den gesamten Landwirt- erreichten finanzpolitischen Ziele dieser Regie- schaftsetat in Höhe von 6,5 Milliarden DM muß rung. man die Agrarsubventionen und die EG-Ausgaben (Pfeffermann [CDU/CSU]: Was heißt hier in Höhe von noch einmal zusammen 6,5 Milliarden „angeblich"?) DM hinzuzählen. Wir haben also im Grunde einen Etat für die Landwirtschaft von rund 13 Milliarden Wieweit dies auch für den Landwirtschaftsbereich DM zu betrachten. zutrifft, werden wir ebenfalls zu prüfen haben. Die Forderungen nach Abbau der Subventionen Wir Sozialdemokraten lehnen diesen gesamten erwähne ich hier der Vollständigkeit halber, denn Landwirtschaftsetat ab, weil er für eine verfehlte beim Landwirtschaftsetat kann sie allerdings nur Politik steht, die verschwenderisch dort Ausgleich zu Heiterkeitserfolgen führen. gewährt, wo es nicht notwendig ist, Im Gegensatz zum Gesamthaushalt stiegen die (Hornung [CDU/CSU]: Wo ist denn Ver Ausgaben im Einzelplan 10, dem Haushalt des Mi- schwendung betrieben worden?) nisters für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten andere dagegen bestraft und durch Einführung noch stärker an, als im Regierungsentwurf vorgese- planwirtschaftlicher Modelle und dirigistischer hen war, nämlich statt um 5,4% um 7,8 % auf insge- Maßnahmen den Fortbestand der bäuerlich struk- samt 6,581 Milliarden DM. turierten Landwirtschaft in der Bundesrepublik ge- (Zurufe von der CDU/CSU) fährdet. Die Erhöhung der Ausgaben im Einzelplan 10 ist (Erneuter Zuruf des Abg. Hornung [CDU/ für uns Sozialdemokraten nicht der Grund für un- CSU]) sere Ablehnung; denn es ist durchaus vorstellbar, daß Reformen im europäischen Agrarmarkt auch — Ich werde es begünden. vorübergehend Erhöhungen des nationalen Bud- Damit kein Zweifel aufkommt, meine Damen und gets mit sich bringen müßten, die wir auch mittra- Herren: Zwischen der Regierung und den Sozialde- gen würden. mokraten bestehen keine Meinungsunterschiede Doch schauen wir uns erst einmal die Ausgaben bezüglich der Notwendigkeit des Abbaus der land- für den europäischen Agrarmarkt an. Vor wenigen wirtschaftlichen Überproduktion in der Europäi- Tagen mußte Herr Minister Stoltenberg in einem schen Gemeinschaft, weil wir alle wissen, daß Eu- Nachtragshaushalt für 1984 650 Millionen DM für ropa sonst an seinen Überschüssen erstickt und po- Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 105. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. November 1984 7847

Frau Zutt litisch nicht zusammenwachsen kann und selbst be- mänteln für die, die sie gar nicht brauchen, weil sie stehende Strukturen gefährdet werden. eh schon mehrere im Schrank haben. (Hornung [CDU/CSU]: Seit wann hat es (Beifall bei der SPD und den GRÜNEN — denn diese Überschüsse gegeben?) Schmitz [Baesweiler] [CDU/CSU]: Wen Unsere Kritik richtet sich gegen die Maßnahmen, meinen Sie damit?) die Sie Herr Minister Kiechle, zum Teil animiert Der Sachverständigenrat, den die Regierung so von Herrn Minister Stoltenberg und unterstützt gern für sich zitiert, hat zur Agrarpolitik der Bun- vom ganzen Kabinett, eingeführt haben. Mit der desregierung ein vernichtendes Urteil gesprochen. Zustimmung zum positiven Grenzausgleich ab 1. Ja- Zum Thema „Vorsteuerpauschale" sagte er, daß das nuar 1985 haben Sie in Brüssel einen hohen Preis - 20-Milliarden-Programm Überkompensation und für die Einführung der unseligen Quotenregelung Verteilungswillkür bedeutet, die Gefahr von Karus- bezahlt. sell- und Scheingeschäften in sich birgt und völlig (Freiherr von Schorlemer [CDU/CSU]: Das im Widerspruch zu den von der Regierung prokla- hat nichts damit zu tun! — Zuruf des Abg. mierten Zielen der Haushaltskonsolidierung und Müller [Schweinfurt] [SPD]) des Subventionsabbaus steht. Ihre Kollegen im Ministerrat waren gar nicht be- Im übrigen ist noch nicht einmal sicher, daß die reit, über das von Ihnen favorisierte Kontingentie- 5%ige Anhebung Bestand vor dem Europäischen rungsmodell bei der Milch zu reden, bevor nicht der Gerichtshof haben wird. Sie haben wohl inzwischen positive Grenzausgleich, der der deutschen Land- erfahren, daß gegen Rat und Kommission auf Scha- wirtschaft Wettbewerbsvorteile brachte, vom Tisch densersatz geklagt worden ist. war. Auch bei der Milchkontingentierung, die der (Hornung [CDU/CSU]: Wer sagt das?) Sachverständigenrat als mengenbegrenzendes Die Wettbewerbsnachteile, die mit dem Wegfall den Staatskartell abqualifiziert, werden Sie mit Klagen deutschen Landwirten entstehen würden, sollten überzogen. durch vorübergehend gewährte nationale Zu- (Hornung [CDU/CSU]: Da sind Sie anschei schüsse gemildert werden. nend noch nicht so sachverständig!) (Hornung [CDU/CSU]: Unsere Landwirte sind auf die vorletzte Stelle in Europa ab Ich bin nicht sicher, ob Sie da mit heiler Haut her- gesackt!) auskommen. Sie entschieden sich für eine 3 %ige Anhebung der (Freiherr von Schorlemer [CDU/CSU]: Wie Vorsteuerpauschale. Die anderen waren damit ein- hätten Sie es denn gemacht?) verstanden. Zu Hause wurden sehr schnell 5% dar- Ihre nationale Verordnung, Ihr Versuch, dem letz- aus. Als wir zum erstenmal im Haushaltsausschuß ten Hof die Quote vorzuschreiben, steht auf äußerst darüber berieten, fragte ich den Staatssekretär im wackeligen Füßen. Tausende von kleinen und mitt- Finanzministerium, ob es denn bei den 3 % bleibe. leren Betrieben werden schlichtweg in den Ruin Denn ein bekannter norddeutscher Bauernver- getrieben. Mit einer differenzierten Mitverantwor- bandspräsident, der zu den einflußreichen Zuer- tungsabgabe wären Sie besser gefahren. Sie hätten werbslandwirten in diesem Parlament gehört, sich nicht mit Härtefällen herumschlagen müssen. (Heiterkeit) (Hornung [CDU/CSU]: Wenn das rechtzei hatte kurz vorher erklärt, es müßten mindestens 6 % tig geschehen wäre!) sein. Was helfen da die Erhöhung der Ausgleichsabgabe (Hornung [CDU/CSU]: Da hat er recht! — für die Bergbauern und die Ausweitung der benach- Weitere Zurufe von der CDU/CSU) teiligten Gebiete? Wir unterstützen die Aufstockung — Meine Herren, hören Sie doch ein bißchen zu! und die Ausweitung. Das ist doch bis jetzt die Wahrheit, nicht wahr, Herr Sie haben zwar den Bauern mehr versprochen, Schmitz? — Staatssekretär Voss antwortete mir da- Herr Minister Kiechle. Aber hier hat Sie Herr Fi- mals, das sei die private Meinung dieses Herren; die nanzminister Stoltenberg wohl wieder im Stich ge- Regierung bleibe bei 3 %. lassen. Herr Stoltenberg ist ja auch nicht auf Ihren Bis die Vorlage mit 3% zur nächsten Beratung dringlichen Wunsch eingegangen, bereits jetzt Zu- vorlag, war sie schon überholt. Einige Bauernprote- sagen für die Altershilfe für Landwirte im Haushalt ste, nicht nur in Bayern, sondern auch in Schleswig 1986 zu machen. Sie, Herr Kiechle, haben den Bau- Holstein, ern draußen eine Aufstockung um 150 Millionen (Schmitz [Baesweiler] [CDU/CSU]: Die versprochen. Die Bauern müssen sich auch hier er- sind eben schnell!) neut betrogen fühlen. machten den sonst zugeknöpften Finanzminister (Beifall bei Abgeordneten der SPD — schnell allzu weich. Weitere Milliarden wurden ge- Schmitz [Baesweiler] [CDU/CSU]: Länder nehmigt. anteil!) Was als wärmendes Wollzeug gegen plötzlich ein- Wenn es um Hilfen für kleine und mittlere Betriebe fallenden Wettbewerbswind für die deutsche Land- geht, dann läuft in dieser Regierung nichts. Für die wirtschaft gedacht war, wurde über Nacht zu Pelz- Milliarden der Vorsteuer haben Sie wenige Tage 7848 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 105. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. November 1984

Frau Zutt gebraucht; für den vom Parlament im Dezember gerade dieser bäuerlichen Existenzen und ist eben 1982 angeforderten Gesetzentwurf zur sozialen keine Politik für die bäuerlichen Familienbetriebe. Staffelung der Altershilfe brauchen Sie Jahre, oder wollen Sie ihn gar nicht, wollen Sie Aufträge des (Hornung [CDU/CSU]: Das, was Sie da sa gen, ist unlogisch!) Parlaments weiter mißachten? Ich frage mich: Wo wird denn die Leistung dieser (Müller [Schweinfurt] [SPD]: Ja, das ist bäuerlichen Familienbetriebe entlohnt? Oder hat eine Mißachtung!) die Regierung eine neue Definition von Leistung Stimmen Sie unserem Antrag, dem Antrag der vorgenommen, nach der sich Leistung allein am SPD, zu, der kostenneutral und damit auch im Umsatz orientiert? Sinne des Herrn Ministers Stoltenberg ist und der- (Beifall bei der SPD) die kleinen Betriebe dennoch jährlich mit mehr als 800 DM entlastet. Wenn Sie demnächst nur noch Umsatz als Leistung nähmen, dann ist das allerdings ein ganz neuer Lei- (Beifall bei der SPD) stungsbegriff. Dazu gibt es vielleicht noch einiges Das wäre soziale Politik, aber eine solche Politik zu sagen. will die Regierung wohl nicht. (Bredehorn [FDP]: Aber das ist Ihre Erfin (Müller [Schweinfurt] [SPD]: Wir bräuch dung!) ten eine soziale Regierung, ja!) — Prüfen Sie doch Ihre eigenen Maßnahmen nach. Vor wenigen Tagen hat sich Finanzminister Stol- Dann werden Sie sehen, was hier als Leistung ho- tenberg vor dieses Hohe Haus gestellt und sich als noriert wird. — Kenner der bäuerlichen Landwirtschaft ausgewie- Es wäre zur Landwirtschaftspolitik dieser Regie- sen. rung noch vieles zu sagen, z. B. daß Sie, Herr Mini- (Eigen [CDU/CSU]: Das ist er sehr wohl!) ster Kiechle, in Brüssel anscheinend so glücklich waren, das Quotenmodell bei Milch durchgesetzt zu Er hält es für Klassenkampf, wenn man einen 50- haben, daß Sie sich um Durchführungsbestimmun- Hektar-Betrieb als Großbetrieb bezeichnet. gen dieses Modells in den einzelnen Ländern nicht (Eigen [CDU/CSU]: So ist es, recht hat er! weiter kümmerten oder kümmern konnten, so daß — Freiherr von Schorlemer [CDU/CSU]: sich jetzt ein Land bei der Milchproduktion be- Ja, dann sagen Sie doch einmal: Ist das nun schränkt, das andere sich aber genausogut darüber ein kleiner oder ein großer Betrieb?) hinwegsetzen kann mit der Begründung, so schnell sei das alles nicht zu machen. Die Zahlung von Herr Minister Kiechle, könnten Sie Ihrem werten Strafgeldern wird ausgesetzt und dann doch wieder Finanzkollegen nicht einmal Nachhilfeunterricht angeordnet. Alles nach dem Motto: Hü und hott; kei- über die Struktur der bäuerlichen Landwirtschaft ner weiß genau Bescheid. Alles, was Ihnen in Brüs- bei uns geben und ihm sagen, daß in der Bundesre- sel nicht gelang, setzen Sie zu Hause mit um so grö- publik Deutschland nur 5 % aller Betriebe mehr als ßerer Strenge gerade gegenüber den kleineren Be- 50 Hektar haben? trieben durch, fast wie der im Berufsleben glück- (Freiherr von Schorlemer [CDU/CSU]: So lose Vater, der seine Kinder zu Hause besonders wie Jan Oostergetelo!) streng erzieht. Für uns in Süddeutschland — da werden Sie mir (Dr. Bötsch [CDU/CSU]: Das nehmen Sie wohl zustimmen, Herr Minister — ist ein 50-Hek- sofort zurück! — Heiterkeit bei der CDU/ tar-Betrieb ein großer. Hier wird der untaugliche CSU und der FDP) Versuch gemacht, Umverteilungspolitik für um- — Ich denke, Sie haben für strenge Erziehung doch satzstarke landwirtschaftliche Betriebe durch sicher etwas übrig. — Sie wollen die bei der Milch Schönfärberei zu rechtfertigen. eingeführte Quotenregelung als Modell auf andere Die Bauern und Bäuerinnen, gerade auf den klei- Überschußprodukte übertragen. neren Höfen, haben sich sicher sehr gefreut, als der (Hornung [CDU/CSU]: Wer sagt das?) Bundesaußenminister und Vizekanzler den bäuerli- chen Familienbetrieb hier vor zwei Tagen als Ga- — Der Herr Minister selbst. Hören Sie doch zu, was ranten der Freiheit und der Pflege unserer Land- Ihr eigener Minister sagt. schaft bezeichnet hat Sie sollten auch hier die Warnungen des Sachver- (Zurufe von der FDP) ständigenrates beachten, der eindringlich auf die Konsequenzen einer solchen Politik aufmerksam — richtig —, und das im Zusammenhang mit dem gemacht hat. Statt mehr Markt haben Sie mehr Slogan: Leistung muß sich wieder lohnen. Bürokratie eingeführt, statt marktwirtschaftlicher (Zurufe von der FDP) Steuerung haben Sie sich für verwaltungsmäßige Lenkung der Agrarmärkte entschieden. Herr — Können Sie nicht ein bißchen abwarten? — Kiechle, ist das die Reform, die Sie versprochen (Susset [CDU/CSU]: Wir warten gern!) haben? Im Bereich der Landwirtschaft — national und europäisch — ist der Haushalt kein Sparhaus- Ihre Politik — das gilt vor allem für die Milchkon halt und kein Reformhaushalt. Im Gegenteil, er ist tingentierung — führt aber zu einer Vernichtung verschwenderisch. Statt Schaden vom deutschen Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 105. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. November 1984 7849

Frau Zutt Volk abzuwenden, haben Sie ihm Schaden zuge- Herr Apel hat hier eine Milchmädchenrechnung fügt. aufgemacht. — Frau Kollegin Zutt, Sie haben das (Pfeffermann [CDU/CSU]: Na, na! Jetzt hier gerade auch mit in die Debatte eingeführt. — übertreiben Sie aber!) Er sagt: Da ist einer, der macht 500 000 DM Umsatz; durch den Ausgleich von 5 % kann er sich nachher — Seien Sie nicht so empfindlich. eine goldene Nase verdienen. — Sie haben dann Wir Sozialdemokraten lehnen den Haushalt da- von den Pelzmänteln der Bäuerinnen und Bauern her ab. gesprochen. Ich kann nur sagen: Hier wird ein fal- Ich danke Ihnen. sches Spiel getrieben. (Beifall bei der SPD und den GRÜNEN) - (Hornung [CDU/CSU]: Ein arrogantes, bö ses Spiel!) Vizepräsident Wurbs: Das Wort hat der Herr Abge- Das ist nicht richtig, und das ist auch nicht gerecht. ordnete Schmitz (Baesweiler). Diese Größenordnung ist immer der Umsatz; der (Zuruf von der SPD: Bösweiler!) Verlust ist umsatzbezogen gewesen, und dieser Ver- lust ist auch umsatzbezogen ausgeglichen worden, meine Damen und Herren. So und nicht anders ver- Schmitz (Baesweiler) (CDU/CSU): Herr Präsident! hält es sich. Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Frau Kollegin Zutt, nachdem Sie im Haushaltsaus- (Beifall bei der CDU/CSU) schuß gesagt haben, im Grunde genommen sei alles Es ist eigentlich traurig, wenn sich ein ehemaliger falsch, alles werde schlecht gemacht, hätte ich er- Finanzminister der Bundesrepublik Deutschland wartet, daß Sie in Ihrer Rede, die — so will ich ein- hier hinstellt und noch nicht einmal das kleine Ein- mal sagen — hier so leicht dahinplätscherte, maleins der Europäischen Gemeinschaft kennt. (Müller [Schweinfurt] [SPD]: Aber recht hat sie!) (Müller [Schweinfurt] [SPD]: Sie wissen doch, daß das nicht stimmt! Sie können Alternativen aufgezeigt hätten, aber Alternativen doch Prozentrechnen, oder?) habe ich bei Ihnen vermißt. (Wieczorek [Duisburg] [SPD]: Sie können — Ach, wissen Sie, Herr Müller, Sie müssen schon nicht hören! — Frau Dr. Vollmer [GRÜNE]: einen Zahn zulegen, wenn Sie mich aus der Ruhe Die kommen jetzt von Ihnen, Herr bringen wollen. Schmitz!) (Breuer [CDU/CSU]: Wo ist der Bauernprä — Ich meine, das ist ja eigentlich auch nicht Ihre sident?) Aufgabe. Hier ist kritisiert worden, daß der Mittelansatz Ich will Ihnen sagen: Wir sehen natürlich, daß im Agrarhaushalt gestiegen ist. Meine sehr verehr- sich die Situation in der Agrarpolitik durch die Be- ten Damen und Herren, er ist eben deswegen ge- schlüsse in Brüssel zur Zeit im Umbruch befindet. stiegen, weil wir korrigieren mußten, was Ihre Poli- Das bestreitet doch niemand, meine sehr verehrten tik in langen Jahren versäumt hat. Damen und Herren. (Frau Nickels [GRÜNE]: Wohin, Herr (Hoffmann [Saarbrücken] [SPD]: Wo ist Schmitz?) denn der Herr Heereman?) — Das werden Sie gleich erfahren, Frau Kollegin. Der Agraretat steigt um 7,8 %. Sie sagen, das sei eine — Es ist auch klar, daß die Lage unter den Voraus- exorbitante Steigerung. Er steigt deshalb so, weil setzungen nicht einfach ist, ja verkompliziert wird. wir die Nachteile ausgleichen wollen. Das ist be- Aber derjenige, der sich hier hinstellt und die Aus- wußt geschehen, das ist Absicht; das wollen wir lei- gleichsmaßnahme, die beschlossen worden ist, kriti- sten. Das ist die höchste Steigerungsrate der letzten siert, sollte hier einmal etwas zu den Alternativen sieben Jahre. Wir begrüßen dies. sagen. Meine Damen und Herren von der SPD, diese (Müller [Schweinfurt] [SPD]: Haben wir Zahlen sprechen für sich. hätte sich ja doch! Ihr habt j a alles, was von uns kam, seinerzeit gefreut, wenn Sie ihm durch solche Dota- abgelehnt!) tion Gelegenheit gegeben hätten, seine Politik zu Derjenige, der sich hier hinstellt, und sagt, die gestalten. Er hätte sich darüber gefreut. Agrarausgaben in der Europäischen Gemeinschaft müßten begrenzt werden, aber gleichzeitig die Vor- (Beifall bei der CDU/CSU — Carstensen teile des europäischen Marktes konsumiert — die [Nordstrand] [CDU/CSU]: Dann hätte er gesamte gewerbliche Wirtschaft und die Industrie nicht nur wursteln müssen!) tut das —, der muß sich natürlich fragen lassen, ob Es ist Tatsache, daß im Etat für das kommende es denn richtig ist, wenn er hier einfach gegen den Jahr 6,581 Milliarden DM für die deutsche Land- Ausgleich polemisiert, der notwendig geworden ist, wirtschaft zur Verfügung stehen; das ist eine Stei- nachdem der Grenzausgleich abgebaut worden ist, gerung um rund 480 Millionen DM. Das kann man meine Damen und Herren. doch nicht leugnen. Das muß man doch einmal posi- (Beifall bei der CDU/CSU) tiv herausstellen. Die Bundesregierung läßt die 7850 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 105. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. November 1984

Schmitz (Baesweiler) Bauern — entgegen allen Unkenrufen — nicht im Schmitz (Baesweiler) (CDU/CSU): Nein, Herr Prä- Stich. sident. Bei der Kürze der Redezeit halte ich das nicht für sinnvoll. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — (Frau Dr. Vollmer [GRÜNE]: Für gute Ant Frau Dr. Vollmer [GRÜNE]: Fragen Sie worten haben Sie sonst immer Zeit!) mal die Bauern, was die davon halten! Ge hen Sie mal nach Bayern!) — Die kriegen Sie ja noch, Frau Kollegin; darauf können Sie sich verlassen. — Ich komme gleich darauf zu sprechen. Ich würde Meine sehr verehrten Damen und Herren, es ist sagen: Wenn Sie sich etwas beruhigt haben, Frau möglich — und ich halte es auch für notwendig —, Kollegin Nickels — — - daß wir im dritten agrarsozialen Ergänzungsgesetz ebenfalls die von Ihnen geforderte soziale Staffe- (Frau Nickels [GRÜNE]: Sie verwechseln lung der Beiträge einführen. Ich fordere die Bun- mich mit Frau Vollmer, Herr Schmitz!) desregierung ausdrücklich auf, sich für den Haus- halt 1986 darauf einzustellen, daß diese Notwendig- — Nein, Frau Kollegin Nickels. Ich spreche Sie be- keit besteht und daß ein entsprechender Ausgleich wußt an. Sie und Ihre Fraktion haben heute morgen geschaffen werden muß. Das bedeutet natürlich Dinge gefordert, bezüglich deren ich gern Ihren nicht, daß der Finanzminister sofort seine Taschen Bruder, der ja Landwirt ist, fragen würde, was er aufmacht. Es bedeutet Verhandlungen. Ich kann dazu sagt. den Bundeslandwirtschaftsminister ermuntern, diese Verhandlungen zu führen. (Frau Nickels [GRÜNE]: Der weiß das bes ser! Den brauchen Sie nicht zu belehren!) (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Ich will noch ein Wort zur Quotenregelung für Meine sehr verehrten Damen und Herren, ent- Milch sagen. Derjenige, der dies für falsch hält, scheidend für unsere Politik ist, daß wir im Agrar- sollte hier die Alternative aufzeigen. Was wäre die etat zum Ausdruck bringen, daß wir sowohl in der Alternative gewesen? Drastische Preiseinbrüche, Sozialpolitik wie in der Strukturpolitik einen Kurs meine sehr verehrten Damen und Herren! fahren wollen, der zum Ausgleich der Nachteile in der Landwirtschaft führt. Dies ist insbesondere Wenn hier eine differenzierte Mitverantwor- auch im Rahmen der Verbesserung der Agrarstruk- tungsabgabe gefordert wird, dann frage ich: Wie tur und des Küstenschutzes feststellbar. Hier haben hätte das denn konkret ausgesehen? Hätten die Be- wir über 100 Millionen DM aufgestockt. Dadurch ist triebe, die noch über eine gute Struktur verfügen, es möglich, nicht nur die Zahlungen in den benach- dann möglicherweise nicht eine völlig andere teiligten Gebieten auszuweiten, sondern auch die Struktur bekommen? Wir hätten doch einen gespal- Zahlungen für die GV höherzusetzen. Die Landwirt- tenen Preis bekommen, Frau Kollegin. Das ist doch schaften in diesen Gebieten können eben nicht aus nicht machbar. sich selbst heraus und auf Grund ihrer Betriebslei- (Frau Dr. Vollmer [GRÜNE]: Fragen Sie stungen existieren. Hier muß der Staat ausgleichen. doch mal Herrn Eisenmann! Der hat sich Seien wir einmal ehrlich: Jeder von uns ist bereit, kräftig dafür eingesetzt!) die schöne Landschaft zu konsumieren, aber nicht bereit, dafür etwas zu zahlen. Dies wird hier zum Wir haben an diesem System sicherlich einiges Ausdruck gebracht, meine Damen und Herren. auszusetzen. Ich gehe davon aus, daß sich die Betei- ligten im Verlauf des Jahres 1986, wenn das erste (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Milchwirtschaftsjahr beendet ist, zusammensetzen und die Korrekturen anbringen, die notwendig sind. Wer sich einmal die Agrarsozialpolitik ansieht, Ich halte es für ganz wichtig, daß das, was im admi- wird feststellen müsen, daß wir hier eindeutige Ak- nistrativen Bereich auch nach unserer Auffassung zente gesetzt haben. Sie wollten doch den staatli- nicht gut gelaufen ist, weggenommen wird; das muß chen Beitrag — Sie können auch ruhig von „Sub- vom Tisch. Ich meine, der richtige Zeitpunkt ist das vention" reden — bei der Berufsgenossenschaft in Ende des ersten Milchwirtschaftsjahres. dieser Legislaturperiode abbauen. Sie wollten ihn Lassen Sie mich auch ein Wort zu Rocard sagen, doch schlichtweg abbauen und damit die Bauern zu den Franzosen, die nicht die entsprechende Su- gleichermaßen im Regen stehen lassen. Wir haben perabgabe kassieren konnten. Auch das gehört in eine Aufstockung auf 400 Millionen DM vorgenom- die Bilanz, die wir nach dem ersten Milchwirt- men. Meine Damen und Herren, das ist eine Lei- schaftsjahr entsprechend korrigieren müssen, falls stung. Ich hoffe, daß man sich in absehbarer Zeit sich die Franzosen daran nicht beteiligen. auf einen vernünftigen Schlüssel einigen kann. Nun zu den Ich habe Herr Minister, dies ist unser Wunsch und der Anträgen der GRÜNEN. mich gewundert, Herr Kollege Verheyen; denn es Wunsch des Parlaments. Das muß rasch geschehen. hat für meine Begriffe noch keine Partei gegeben, Ich meine, das ist notwendig. die es so schnell wie die Ihre geschafft hat, sich darum zu kümmern: Wie komme ich an öffentliche Mittel? Ich habe es nicht begriffen. Sie waren in der Vizepräsident Wurbs: Herr Abgeordneter, gestat- Stellung von Anträgen so schnell. Sie wollten hier ten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordne- ein Ökoinstitut und dort ein Ökoinstitut gefördert ten Müller (Schweinfurt)? haben, ohne konkrete Pläne vorgelegt zu haben. Le- Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 105. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. November 1984 7851

Schmitz (Baesweiler) gen Sie erst einmal konkrete Pläne vor; dann wer- Auch das müssen Sie hier sagen. Kommen Sie her- den wir uns über das Thema unterhalten können. auf und sagen Sie das. Sie sollten hier nicht so einfach alles fordern. (Beifall bei der CDU/CSU — Zurufe von (Zuruf der Abg. Frau Nickels [GRÜNE]) den GRÜNEN) Lassen Sie mich noch etwas Weiteres sagen. Ihre Und dann geht es um den berühmten kleinen beiden Anträge, die Sie gestellt haben, sprechen im Mann und um die Natur. Ich habe mir mal die Grunde genommen Bände. Sie haben Anträge ge- Mühe gemacht, in Ökoläden hineinzugehen. stellt in der Größenordnung von nahezu 3 Milli- Schauen Sie sich das doch einmal an! Ich kann arden DM, Ihnen die Liste gern einmal vorlesen. Da geht es (Hört! Hört! bei der CDU/CSU) - überhaupt nicht um den kleinen Mann. Es geht überhaupt nicht um die Gesunderhaltung. Bei Ih- ohne konkret zu sagen, nen ist mehr Ideologie im Spiel als alles andere. (Frau Nickels [GRÜNE]: Genau das, was Sie ausschütten für die Ausgleichszulage!) (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) wie Sie das verteilen wollen; Diejenigen, die die Produkte der Ökoläden kaufen können, sind doch nicht die armen Leute. (Zuruf von der CDU/CSU: Nach grüner Stimmung!) (Eigen [CDU/CSU]: Nur die Reichen! — Freiherr von Schorlemer [CDU/CSU]: Die einfach so, ohne zu sagen, ob das zusätzlich zu dem Schickeria! — Weiterer Zuruf von der sein soll, was wir vorgesehen haben. CDU/CSU: Die grüne Schickeria!) Das ist doch nicht der kleine Mann. Vizepräsident Wurbs: Herr Abgeordneter, gestat- ten Sie eine Zwischenfrage der Frau Abgeordneten Vergleichen Sie doch einmal die Preise! Ein Kilo Vollmer? Kartoffeln kostet im Ökoladen 1,30 DM, normal, auf dem Markt, 75 Pf, ein Roggenbrot 5 DM, normal bis 3,50 DM, 0,7 1 Apfelsaft im Ökoladen 1,60 DM, nor- Schmitz (Baesweiler) (CDU/CSU): Nein, Frau Kol- malerweise 60 Pf — Sie sollten da mal einkaufen legin. — gehen —, ein Glas Babykost 2,20 DM, normaler- (Zuruf von der SPD: Wenigstens Kavalier weise 1,20 DM, 1 kg Zwiebeln 3,60 DM, normaler- sollten Sie sein!) weise 40 Pf. Deswegen meine ich, man muß sich einmal mit dem (Zurufe von den GRÜNEN) auseinandersetzen, was Sie wirklich wollen. Sie sa- Und das berühmte kleine Ei — ich gebe Ihnen mal gen, Sie wollen ein Entgiftungsprogramm machen. ein Ratespiel auf, meine Damen und Herren — ko- Damit wollen Sie im Grunde suggerieren, daß die stet normal 18 Pf; im Ökoladen kostet es 40 Pf. bisherige Landwirtschaft die Menschen alle vergif- tet. Ich wundere mich, daß Sie überhaupt noch le- (Frau Dr. Vollmer [GRÜNE]: Es freut mich, ben, wenn dieses Horrorgemälde, das Sie den Leu- daß Sie jetzt einkaufen gehen, Herr ten da vorstellen, Wirklichkeit ist. Da kann ich nur Schmitz — ein Beitrag zur Emanzipation!) sagen: abenteuerlich! Und dann machen Sie mal diese Landwirtschaft, Ich habe mir die Mühe gemacht, einmal nach den die Sie vorhaben! Die gesamten Verbraucher kön- wissenschaftlichen Untersuchungen zu forschen, nen das nicht bezahlen. Das sind an die 200 Milliar- von denen Sie immer reden. Es gibt keine Untersu- den DM, die dann zusätzlich für Nahrungsmittel chung, die das beweist, was Sie suggerieren wollen: ausgegeben werden müssen. daß konventionelle Landwirtschaft die Menschen (Hornung [CDU/CSU]: Das ist die grüne vergiftet und daß Ihre Ökobauern in der Lage seien, Zukunft!) diese Leute so gesund zu erhalten, wie Sie das möchten. Alle bislang vorliegenden Untersuchun- Es braucht j a nicht immer Hummer zu sein, den ein gen gehen davon aus, daß die konventionell erzeug- Mitglied Ihrer Fraktion aus Amerika mitgebracht ten Agrarprodukte ohne giftige Rückstände sind. hat. Das können sich die kleinen Leute sowieso nicht leisten. (Frau Dr. Vollmer [GRÜNE]: Das stimmt nicht!) (Frau Nickels [GRÜNE]: Herr Schmitz, wer Wenn Sie, meine Damen und Herren von den GRÜ- hat denn Hummer gegessen?) NEN, anderslautende Ergebnisse vorliegen haben, — Frau Kollegin, ich kann es Ihnen gern sagen: Es müssen Sie die hier nennen. war die Frau Kollegin Reetz, die drei Hummer aus (Frau Dr. Vollmer [GRÜNE]: Wenn Sie die Amerika mitgebracht hat. Es waren Maine-Hum- Untersuchungen von der chemischen Indu mer. strie machen lassen, dann kriegen Sie die (Frau Nickels [GRÜNE]: Danke schön!) so serviert!) — Bitte schön, Frau Kollegin. Das kann sich der — Mich interessiert hier im Moment die Landwirt- kleine Mann nicht leisten. schaft, nicht die chemische Industrie. — Durch Emissionen ist der Ökobauer genauso gefährdet (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) wie der konventionell wirtschaftende Bauer. Das Trotzdem bleibt eine Reihe von Wünschen offen. hat mit seiner Produktionsweise gar nichts zu tun. Wir sind aufgefordert, in den nächsten beiden Jah- 7852 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 105. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. November 1984

Schmitz (Baesweiler) ren deutlich zu machen — auch diese Bundesregie- jekt Agraralkohol der deutschen Agraralkoholver- rung —, daß wir nach den ersten Schritten, die wir suchsanlage in Ahausen-Eversen. unternommen haben, die Sicherung der Existenz und des Einkommens der Landwirtschaft weiterhin (Zurufe von der CDU/CSU: So ist es! — ausbauen werden. Bauern haben in dieser Frage Sehr gut!) ein gesundes Gespür. Viele erwarten auch, daß das, Das ist nun ein ganz interessantes „Umweltschutz- was ich soeben zu den notwendigen Korrekturen projekt". ausgeführt habe, angepackt wird. (Zuruf von der CDU/CSU: Ja, das müssen Lassen Sie mich hier auch ein Wort sagen in Sie sich ansehen!) Richtung auf die Landwirte selber. Ihnen, die hart arbeiten müssen, hier ein Wort des Dankes vor dem- Es wird hier ein agrarindustrielles Großprojekt als Deutschen Bundestag — Beitrag zum Umweltschutz deklariert. Ich finde das (Beifall bei der CDU/CSU, der FDP und der schon ein starkes Stück. SPD) (Zustimmung der Abg. Frau Nickels [GRÜ auch den Landfrauen, von denen Frau Kollegin Zutt NE] — Hoffmann [Saarbrücken] [SPD]: ja immer glaubt, sie hätten zwei Pelzmäntel im Leider hat sie recht!) Kleiderschrank! Wir sind alle, meine ich, aufgefor- dert, die Zukunftsperspektiven für die Bauern, für Wir GRÜNEN sind — nicht zuletzt seit den prakti- die jungen, aber auch für älteren, so zu gestalten, schen Erfahrungen eines Landes wie Brasilien — daß sie ein soziales Leben führen können. der Überzeugung, daß das Programm nachwachsen- der Rohstoffe ein höchst umweltfeindliches Land- Wir stimmen dem Einzelplan 10 zu. bewirtschaftungs- und Energiegewinnungspro- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) gramm ist. (Zustimmung der Abg. Frau Nickels [GRÜ NE] — Eigen [CDU/CSU]: Sie haben doch Das Wort hat die Abgeord- Vizepräsident Wurbs: keine Ahnung! — Frau Nickels [GRÜNE]: nete Frau Dr. Vollmer. Hören Sie erst einmal zu!) — Ja, hören Sie einmal zu. Ich werde das jetzt bele- Frau Dr. Vollmer (GRÜNE): Herr Präsident! Meine gen. Damen und Herren! Eine der Grundtugenden von Haushältern in der Führung ihrer Haushaltsbücher Es ergeben sich gerade aus diesem Projekt unge- ist die Klarheit und Durchsichtigkeit der einzelnen heure Umweltprobleme. Umweltprobleme ergeben Teile. sich aus der Tendenz zur Monokultur, weil vor allen Dingen Maisanbau dafür gebraucht wird, der be- (Hoffmann [Saarbrücken] [SPD]: Und die kanntermaßen mit Bodenerosion zu tun hat. Um- Wahrheit!) weltprobleme ergeben sich auch, weil es auf diesen — Und die Wahrheit! — Es gibt aber auch Haus- Anbauflächen eine Tendenz zum wachsenden Ein- haltsbücher, die teilweise eher etwas Ähnlichkeit satz von Agrargiften, von chemischen Pflanzen- mit Dschungelbüchern haben. schutzmitteln, gibt. Umweltprobleme ergeben sich (Frau Nickels [GRÜNE]: Sehr richtig!) auch durch die Nitratbelastung der Böden. Aus dem Agrarhaushalt möchte ich ein solches Bei- Besonders aber und vor allem ergeben sich bei spiel aufgreifen. solchen Versuchsprojekten Umweltprobleme durch die Anlage selbst. Sämtliche Anlagen dieser Art, die Da finden wir einen Teil unter der schönen und es bisher gibt, haben ganz große Probleme mit der klaren Überschrift: Investitionen zur Durchführung Entsorgung, Probleme, die überhaupt noch nicht ge- von Forschungs- und Entwicklungsvorhaben für löst sind. So fallen allein in der Anlage Ahausen- Umweltschutz im Agrarbereich. Meine Damen und Eversen 2 500 000 Kubikmeter Schlempe an, für die Herren, ich frage Sie: Was würden Sie unter For- es keinerlei Lösungskonzept gibt. Ebenso ungelöst schung und Entwicklung mit dem Ziel des Umwelt- ist die Frage der Beseitigung der aufgeheizten Ab- schutzes in der Landwirtschaft verstehen? Darun- wässer einer solchen Großanlage. ter stellt sich doch der Durchschnittsbürger viel- leicht Programme zur Verhinderung der Boden- Aber nicht genug damit; jetzt kommt erst der erosion vor, vielleicht auch ein Programm zur Ver- eigentliche Knüller. Dies ist keineswegs der einzige minderung der Boden- und Gewässerbelastung Punkt im Agrarhaushalt, der mit diesem Projekt zu durch massiven Gülleeinsatz, vielleicht auch ein tun hat. Modellvorhaben zur Nutzung der Energieressour- cen des ländlichen Raumes für eine unabhängige (Zuruf von der CDU/CSU: Das ist ja auch Energieversorgung oder vielleicht ein Forschungs- ein wichtiger Bereich!) projekt zur Sanierung der schwer geschädigten Gehen wir einmal auf Seite 41 zurück. Da finden deutschen Waldgebiete. wir — diesmal unter der richtigen Bezeichnung — Aber weit gefehlt! Schlagen wir einmal Seite 47 den Teil: Forschungs- und Entwicklungsaufträge unseres Agrarhaushalts — in der Ausführung, die auf dem Gebiet der nachwachsenden Rohstoffe. Wir ich habe — auf, so sehen wir, was sich darunter ver- haben also faktisch das gleiche Programm und so- birgt, nämlich 4,74 Millionen DM für das Pilotpro- gar dieselbe Anlage unter zweierlei Titeln, einmal Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 105. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. November 1984 7853

Frau Dr. Vollmer unter dem Titel „Nachwachsende Rohstoffe" und Rohstofflieferung für einen immer mehr wachsen- einmal unter dem schönen Titel „Umweltschutz". den Industriekomplex degradiert. Die Entwick- lungskosten für diese Programme trägt der deut (Sehr richtig! bei der CDU/CSU) sche Steuerzahler. Neben der offensichtlichen, zur Täuschung ange- (Hornung [CDU/CSU]: Das stimmt doch legten Undurchsichtigkeit dieser Mittelaufstellung gar nicht!) bemängeln wir vor allem, daß diese Projekte in einem Haushalt stehen, der sich den Interessen der Denn bis heute läuft kein einziges dieser Pro- Landwirtschaft gewidmet sieht, wo sie überhaupt gramme betriebswirtschaftlich rentabel, nichts zu suchen haben. (Hornung [CDU/CSU]: Sie kennen die (Beifall bei den GRÜNEN) - gesamtwirtschaftlichen Zusammenhänge nicht!) Die Forschungsgelder, die hier ausgewiesen sind, von den volkswirtschaftlichen Schäden ganz abge- dienen nämlich eindeutig dem Interesse der petro- sehen. chemischen Industrie und niemandem sonst. (Beifall bei den GRÜNEN — Zuruf von der Vizepräsident Wurbs: Frau Abgeordnete, gestatten CDU/CSU: Unsinn! — Hornung [CDU/ Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten von CSU]: Im Gegenteil, das sind die echten Al Hammerstein? ternativen!) Für diese Industrie geht es offensichtlich um von Hammerstein (CDU/CSU): Frau Vollmer, Sie Grundlagenforschung, und sie wird auf den Agrar- sprachen von einem Industrieunternehmen. Wissen haushalt umgewälzt. Sie eigentlich, zu wieviel Prozent die Landwirt- (Frau Nickels [GRÜNE]: Versteckte Indu schaft an diesem Unternehmen in Ahausen-Ever- strieförderung!) sen beteiligt ist? Die Landwirtschaft soll zu diesen der Industrie die- nenden Programmen nichts anderes liefern als den Frau Dr. Vollmer (GRÜNE): Das weiß ich nicht. Das agrarindustriellen Rohstoff. können Sie mir aber gerne sagen. Ich weiß aber, wieviel Gelder des Agraretats hineingehen. (Zuruf von der CDU/CSU: Ist das denn nichts?) Kommen wir zu einem weiteren undurchsichti- gen Kapitel. Der Herr Staatssekretär von Geldern, Wir haben schon wiederholt darauf hingewiesen, der gerade frisch gebräunt auf der Bank sitzt, sei- daß solche Programme in gar keiner Weise geeignet nes Zeichens Parlamentarischer Staatssekretär, sind, die Probleme der Landwirtschaft in unserem kann mir sicher nähere Auskunft geben, da er ge- Land, die sehr groß sind, zu lösen. rade von einem Besuch aus Südafrika zurückge- (Beifall bei den GRÜNEN) kommen ist. Da gibt es im Augenblick offensicht- lich einen sehr regen Kontakt. Wir kündigen hiermit schon heute an, daß wir in den kommenden Monaten — (Pfeffermann [CDU/CSU]: Da ist er minde stens zwanzig GRÜNEN begegnet! Die (Hornung [CDU/CSU]: Zu dem vielen Pa tummeln sich regelmäßig zwischen Afrika pier, das auf dem Tisch liegt!) und Asien!) das wird Sie dann sicher auch beschäftigen — eine In diesem Jahr waren vom 7. bis 20. April zwei hohe große Kampagne unter den Landwirten starten Ministerialbeamte in Südafrika, um Vorschläge für werden, um sie auf die Wahnsinnsfolgen gerade die- eine deutsch-südafrikanische Kooperation auf dem ser Projekte hinzuweisen. Gebiet der Agrarforschung zu erarbeiten. Diese ha- (Carstensen [Nordstrand] [CDU/CSU]: Da ben sie mit ministerialer Gründlichkeit vorgelegt. kommen Sie gerade richtig! — Zuruf von (Hornung [CDU/CSU]: Nicaragua wäre der CDU/CSU: Viel Erfolg damit!) besser gewesen!) Nun wird uns immer gesagt — das ist Ihr Argu- Die Vorschläge ergeben einen breitesten Katalog ment —, damit hätten wir die einzig mögliche Ver- intensivster Kooperation auf dem Gebiet der wendung unserer Überschüsse und damit sei ge- Agrarforschung. rade dieses Programm ein Programm zur Beseiti- Auf Gegeneinladung war dann vom 27. August bis gung unserer Überschußproblematik. Statt dieses zum 10. September eine südafrikanische Delegation aber bei der Wurzel zu packen, nämlich nach den in der Bundesrepublik Deutschland zu Gast, um mit Ursachen dieser Überschüsse zu fragen, die darin den verschiedenen Bundesforschungsanstalten wei- liegen, daß wir unser Land mit importierten Futter- tere Abklärung über eine durchaus intensive ge- mitteln überschwemmen — was nach den letzten plante Kooperation vorzunehmen. Beschlüssen des Ernährungsausschusses auch wei- tergehen wird, weil Sie die offene Deklaration ab- (Hornung [CDU/CSU]: In Afrika herrscht lehnen —, und sie zu beseitigen, fördern Sie jetzt Hunger, falls Sie das nicht wissen sollten, ein Programm, das die Futtermittelimporte unange- und zwar in vielen Ländern!) tastet läßt und gleichzeitig die Landwirtschaft voll Jeder weiß, daß die Kontakte mit dem Rassisten den industriellen Interessen ausliefert. Damit wer- regime in Südafrika von den Menschen unseres den die Erträge unserer Flächen zu einer reinen Landes mit besonderer Aufmerksamkeit gesehen 7854 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 105. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. November 1984

Frau Dr. Vollmer werden. Jeder weiß, daß die evangelische Frauen- den dringendsten Erfordernissen unserer Zeit wirk- hilfe eine umfangreiche Aktion unter dem Motto lich gerecht wird. Die Teile, die in den Agrarbereich „Kauft keine Früchte der Apartheid" gestartet hat, fallen, sind einmal ein Teil unseres Sonderpro- die das Bewußtsein vieler Bundesbürger für die un- gramms zur Eindämmung der Armut und zum an- glaublichen Unterdrückungen in diesem Lande ge- deren ein Teil unseres Sonderprogramms zur Ent- hoben hat, giftung. (Hornung [CDU/CSU]: Was hat das mit der Sie haben eben gefragt, Herr Schmitz, woher wir Agrarpolitik zu tun?) die 3 Milliarden DM nehmen wollen. Das ist ganz in dem 4 Millionen Weißen 87 % der Fläche gehören, einfach. Ich frage Sie dagegen: Wieviel haben Sie für die Erhöhung der Vorsteuerpauschale ange- während die 28 Millionen Schwarzen in die Home-- lands zusammengedrängt werden. setzt? (Zurufe von der CDU/CSU: Was hat das mit (Eigen [CDU/CSU]: Das wollen Sie weg dem Thema zu tun? Unsinn!) nehmen?) Während also die UNO einen Wirtschaftsboykott Genau dieses Geld, das bei den falschen, nämlich über Südafrika verhängt hat, während es keinen bei den Großbetrieben und nicht bei den kleinen offiziellen Entwicklungsetat für Südafrika gibt, ankommt, wäre richtig zur Stützung der kleinen läuft die Entwicklungshilfe hier offensichtlich unter und mittleren Betriebe eingesetzt. dem Landwirtschaftsetat und dazu noch gefaßt un- (Beifall bei den GRÜNEN — Abg. Freiherr ter dem undurchsichtigen Titel der Wirtschafts- von Schorlemer [CDU/CSU] meldet sich zu pläne der Bundesforschungsanstalten. Um so mehr einer Zwischenfrage) muß man hellhörig werden, wenn man die umfang- reichen Aktivitäten des Landwirtschaftsministeri- ums auf diesem Gebiet entdeckt. Der Verdacht liegt Vizepräsident Wurbs: Frau Abgeordnete, lassen Sie eine Zwischenfrage zu? offensichtlich nahe, daß damit wiederum Steuergel- der in Forschungsvorhaben gesteckt werden sollen, die unmittelbare Kooperation mit dem rassisti- Frau Dr. Vollmer (GRÜNE): Nein, nicht mehr. Ich schen Regime vorsehen. Wen wundert es, wenn wir habe nicht mehr soviel Zeit. unter der Nummer 14 der geplanten Kooperation Wenn Sie, Herr Schmitz, immer noch — wie ich mit Südafrika wieder unseren guten alten Bekann- gehört habe — wie früher Milchwagen in dem Dorf ten haben: ein Programm zur Nutzung nachwach- von Christa Nickels fahren würden, dann würden sender Rohstoffe. Sie auch wissen, wie dringend die Landwirte gerade (Hornung [CDU/CSU]: Nachwachsende dieses Geld brauchen. Ich habe in Ihrer Rede ge- Rohstoffe, das ist auch eine Umwandlung hört, daß Sie heute nicht mehr Milchwagen fahren; der Sonnenenergie! Das muß man einmal dafür gehen Sie einkaufen und wissen so gut über wissen!) die Preise Bescheid. Wenigstens das begrüße ich als Aber auch die anderen Kooperationspunkte las- Beitrag zur Ihrer Emanzipation. sen an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig. Ein (Heiterkeit und Beifall bei den GRÜNEN Blinder mit dem Krückstock sieht hier, wie hinter und bei der SPD — Schmitz [Baesweiler] diesem scheinbaren Agrarprogramm die Interessen [CDU/CSU]: Da unterscheide ich mich von von Bayer-Leverkusen, der Investitionsgüterindu- Ihnen!) strie und der Landmaschinenindustrie und die In- Da meine Zeit knapp ist, möchte ich noch ganz teressen der weißen Rassisten stecken. kurz auf zwei Punkte unseres Programms zur Stüt- (Beifall bei den GRÜNEN — Zurufe von zung des ökologischen Landbaues eingehen. An ih- der CDU/CSU) nen ließe sich zeigen, wie wir wirkliche Vorsorge für die Zukunft verstehen und daß wir damit in einer Tradition des Begriffs von Landwirtschaft ste- Vizepräsident Wurbs: Frau Abgeordnete, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Ertl? hen, der wirklich Vorsorge für die Zukunft und Exi- stenzerhaltung für die bäuerlichen Familien bedeu- tet. Frau Dr. Vollmer (GRÜNE): Nein, jetzt nicht mehr. (Zuruf von der CDU/CSU: Zurück in den — Es wundert deshalb auch gar nicht, warum wir Urwald!) im Landwirtschaftsministerium die völlig übertrie- bene Zahl von drei Staatssekretären haben. Wenig- Es gibt — das eine Beispiel will ich nennen — im stens für die interne Buchung sollte der eine doch Haushalt einen Ansatz unter dem schönen Titel gleich bei dem Ministerium angesiedelt werden, das „Dorferneuerung". Wenn man darunter nicht nur für den Außenhandel zuständig ist. Verputz von Fassaden und die Anbringung genorm- ter Laternen versteht, sollte man sich doch darauf (Zuruf von der SPD: Das dient der Konsoli besinnen, was ein Dorf eigentlich ausmacht. Dazu dierung des Haushalts!) gehört die Erkennung der Einheit des Dorfes als Meine Damen und Herren, wir haben Ihnen zwei Wirtschafts-, Lebens- und Kulturraum. Hochqualifi- Entschließungsanträge vorgelegt. Sie sind Teil des zierte Wissenschaftler haben Untersuchungen vor- alternativen Haushaltsprogramms der GRÜNEN, gelegt, deren Ergebnisse sofort in die Praxis um- das sich dem Ziel verpflichtet sah, ein umfassendes setzbar sind. Danach könnte man in einem Verbund alternatives Haushaltsprogramm vorzulegen, das der Energieressourcen des ländlichen Raumes und Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 105. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. November 1984 7855 Frau Dr. Vollmer der wirtschaftlichen Grundlagen, die die landwirt- Haushalt der Verschwendung wäre, wie Frau Zutt schaftliche Produktion bietet, eine Energieversor- ihn genannt hat. Ganz im Gegenteil, er ist der Be- gung des Dorfes ermöglichen, die das Dorf faktisch weis dafür, daß diese Regierung unseren Bauern unabhängig von der Zufuhr fremder Energie nicht nur mit nutzlosen Worten, Programmen, die macht. kein Mensch erfüllen kann, sondern mit Taten zu (Hornung [CDU/CSU]: Wie anno 1500!) helfen gewillt ist. Das heißt, da liegen ungeheure Energiereserven, (Beifall bei der CDU/CSU — Frau Nickels die wir nutzen können und mit denen wir auch [GRÜNE]: Die wollen gar nicht Ihre Bau unsere Abhängigkeit von ausländischer Energie er- ern sein! — Zurufe von der SPD) heblich reduzieren können. Sie, Frau Zutt, haben viel von Einsparungen gespro- - (Beifall bei den GRÜNEN) chen, und Sie haben auch den Satz geprägt: Dieser Etat steht für eine verfehlte Politik. Dieser Etat, Ich möchte Sie dringend bitten, diese Programme, Frau Zutt und meine Damen und Herren von der die gar nicht so viel kosten und die wirklich zu- SPD, ist deswegen nötig, weil wir eine verfehlte kunftsgerichtet sind, einmal zu überprüfen und in Politik der letzten 10 Jahre korrigieren müssen. den nächsten Haushalt aufzunehmen. (Hoffmann [Saarbrücken] [SPD]: „Erblast"! (Zurufe von der CDU/CSU) — Weitere Zurufe von der SPD) Der zweite Punkt betrifft die Unterstützung von Dieser Etat hat in der Gemeinschaftsaufgabe ge- Ausbildungsplätzen in ökologischen Betrieben. waltige Ansätze. Ich darf ihn einmal mit dem ver- Diese Betriebe berichten darüber, daß sie von An- gleichen, was Sie im alten Finanzplan hier vorgese- fragen junger Leute überschwemmt werden, die hen hatten. Das waren 1983 1,025 Milliarden DM, gern in der Landwirtschaft arbeiten möchten. 1984 dasselbe und 1985 wieder dieser Betrag. Wir (Hornung [CDU/CSU]: Was verstehen Sie haben ihn schon 1983 um 130 Millionen, 1984 um 150 unter ökologischen Betrieben?) Millionen DM aufgestockt, und 1985 werden wir ihn Wir haben also die jungen Leute, die da arbeiten um 275 Millionen DM aufstocken. Wir reden also möchten, nicht nur. (Zuruf von der CDU/CSU: Umsonst arbei (Beifall bei der CDU/CSU) ten die bei Ihnen!) Wenn ich Ihre berühmte soziale Leier, die Sie hier wir haben die Betriebe, die sie einstellen können, immer abspulen, und die schönen Sprüche über die wir wissen aber, daß diese Schwierigkeiten haben, Kleinbauern mit den Zahlen vergleiche, die nun tat- das zu finanzieren. sächlich Politik sind — der Haushalt ist ja sozusa- gen das Buch, das wirklich offenbart, wie Politik (Zurufe von der CDU/CSU) gemacht wird —, Wenn jemand einen Beitrag dazu geleistet hat, daß (Frau Nickels [GRÜNE]: Allerdings, Herr Landwirtschaft als Zukunftsperspektive für junge Minister!) Leute wieder attraktiv geworden ist, so sind es ge- rade diese Betriebe. dann lese ich hier, daß in Ihrer mittelfristigen Fi- nanzplanung für die Unfallversicherung im Jahre (Beifall bei den GRÜNEN) 1984 200 Millionen DM vorgesehen waren, 1985 120 Wir finden, es ist sowohl im Sinne der Agrarpolitik Millionen, 1986 40 Millionen DM und 1987 0 DM. als auch der Bekämpfung der Jugendarbeitslosig- (Hornung [CDU/CSU]: Soziale Verelen keit eine dringende Aufgabe, diese Programme zu dung!) unterstützen, und das, Herr Schmitz, waren unsere praktischen Alternativen zu Ihrem Haushaltspro- Wir haben bereits im vergangenen Jahr auf 280 Mil- jekt. lionen aufgestockt, wir werden 1986 gegenüber Ih- rer Planung um 360 Millionen und 1987 um 400 Mil- Ich danke Ihnen. lionen DM aufstocken. (Beifall bei den GRÜNEN — Hornung (Beifall bei der CDU/CSU) [CDU/CSU]: Ich lade Sie zum Rübenhak ken ein! — Dr. Bötsch [CDU/CSU]: Das war Das ist der Unterschied zwischen Worten und Ta- ein Landwirtschaftsprogramm für das Kö ten. nigreich Tonga!) Vizepräsident Wurbs: Herr Bundesminister, ge- statten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Das Wort hat der Herr Bun- Vizepräsident Wurbs: Müller (Schweinfurt)? desminister für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten. Kiechle, Bundesminister für Ernährung, Land- wirtschaft und Forsten: Ja. Kiechle, Bundesminister für Ernährung, Land- wirtschaft und Forsten: Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Einzelplan 10 Müller (Schweinfurt) (SPD): Herr Minister, schö- steigt um 7,8 %. Dies ist eine sehr respektable Lei- nen Dank. stung gegenüber der Landwirtschaft. Ich bedanke Herr Minister, stimmen Sie mir zu, daß wir So- mich dafür beim Parlament, auch beim Finanzmini- zialdemokraten das Gutachten zur Unfallversiche- ster. Ich finde in keinster Weise, daß dies etwa ein rung beantragt haben, und wären Sie bereit, uns 7856 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 105. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. November 1984

Müller (Schweinfurt) zuzubilligen, daß wir damals immer gesagt haben, Meine sehr verehrten Damen und Herren, Sie daß die alte Last von der Bundesregierung durch reden immer noch, obwohl Sie wirklich längst wis- Zuschüsse abgedeckt werden muß? sen müßten, daß es keinen Sinn mehr hat, sachlich darüber zu diskutieren, über differenzierte Preise (Zuruf von der CDU/CSU: Aber dazu muß die Geld dazukommen! — Weitere Zurufe von oder die sogenannte Mitverantwortungsabgabe, der CDU/CSU) man besser, gerechter und sozial schöner hätte durchsetzen können. Ich bin bereit, mit Ihnen dar- über zu diskutieren, auch hier an dieser Stelle. Ich gehöre nicht zu denen, die zu einem anderen Ge- Bundesminister für Ernährung, Land- Kiechle, danken von vornherein sagen: Darüber rede ich wirtschaft und Forsten: Lieber Herr Kollege Müller, nicht. Aber dann müssen Sie hergehen und sagen: ich stimme Ihnen zu, daß das Gutachten durch den- Der Preis für die Milch soll in der Größenkategorie Bundeslandwirtschaftsminister Ertl angefordert so hoch sein, so hoch bei jener und so niedrig bei wurde. Ich muß Sie hier leider auf die Zahl Ihrer letzterer. Wir wollen eine Mitverantwortungsabga- mittelfristigen Finanzplanung verweisen. Auf das, be, die oben so viel abzieht, in der Mitte so viel was Sie immer gesagt haben, kann ich leider nicht abzieht, unten so viel abzieht. — Dies müssen Sie in allzusehr bauen; denn Sie haben vieles gesagt und Zahlen genau verifizieren. Dann können wir dar- anderes getan. Dies ist leider wahr. über reden. Über pauschale Formulierungen kann (Beifall bei der CDU/CSU) man, wenn wir uns hier mit den harten Tatsachen Sie haben auch immer gesagt, wir müssen die Über- auseinandersetzen müssen, nicht diskutieren. schüsse abbauen, wir müssen die Produktion dem (Zustimmung bei der CDU/CSU — Zander Markt angleichen. Getan haben Sie gar nichts. Das [SPD]: Das sind doch keine harten Tatsa haben Sie jetzt uns überlassen. chen! Das ist doch Käse, und der ist (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) weich!) Solche billigen Forderungen sind mal irgendwo im Dafür kritisieren Sie nun die konkreten Maßnah- Wahlkampf, im Festzelt erlaubt, aber nicht hier vor men mit maßloser Überzogenheit. Ich habe nichts dem Hohen Hause. dagegen, wenn Sie im Detail kritisieren; denn wer konkret etwas tut, bietet immer auch Anlaß dazu, daß man noch Vorschläge machen kann, wie man Vizepräsident Wurbs: Herr Bundesminister, ge- die eine oder andere Maßnahme vielleicht noch bes- statten Sie eine weitere Zwischenfrage des Herrn ser hätte machen können. Ich weise nur darauf hin, Müller (Schweinfurt)? daß es zehn Länder sind, mit denen man verhan- deln muß. Aber die Maßlosigkeit, die darin liegt, daß Kiechle, Bundesminister für Ernährung, Land- Sie hier einfach hergehen und sagen: Tausende von wirtschaft und Forsten: Nein, ich habe dem Herrn kleinen Betrieben werden in den Ruin getrieben Kollegen schon eine Frage gestattet, und ich usw., dient nicht der Sache. Wenn sie der Polemik möchte meine Zeit nicht überziehen, um die Runde dienen soll, dann bitte. nicht neu zu eröffnen. Haben Sie also Verständnis. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — (Oostergetelo [SPD]: Weshalb nicht?) Müller [Schweinfurt] [SPD]: Aber das hat Sie kritisieren auch ständig die Garantiemengen. doch Franz Josef Strauß gesagt!) Meine Damen und Herren, da müssen Sie ein sol- — Sie haben hier zu vertreten, was Sie sagen, und ches Urteil auch über so angesehene Staaten wie nicht, was andere sagen. Und daran messe ich Sie. die Schweiz, Österreich, Kanada und Israel fällen, (Müller [Schweinfurt] [SPD]: Dann kritisie die alle längst mit einer beschränkten Produktion leben und damit verwirklichen, was auch wir ver- ren Sie doch Herrn Strauß!) wirklichen wollen: garantierte Mengen und dabei Sie haben eine Reihe von Behauptungen aufge- gesicherte Preise. stellt, die so nicht stimmen. Eine will ich heraus- (Zustimmung bei der CDU/CSU) greifen. Sie haben hier etwas abfällig zitiert, daß der Bundesaußenminister Genscher den bäuerli- Was Sie immer angestrebt haben, wenn auch nur chen Familienbetrieb gelobt habe. Ich empfehle Ih- verklausuliert formuliert, waren freie Mengen, aber nen, nachzulesen, wie das Konzert Ihrer Minister ohne Preisgarantie. Da können wir in der sachli- über die Agrarpolitik gewesen ist, als Sie noch Ver- chen Diskussion sehr wohl bestehen, und wir wer- antwortung trugen. Da hat man den Herrn Land- den in dieser sachlichen Diskussion auch beste- wirtschaftsminister Ertl ziemlich allein gelassen: hen. der Bundeskanzler so, der Finanzminister anders. (Hornung [CDU/CSU]: Roth und Müller ha Jeder hat sich nur über die EG-Agrarpolitik mo- ben gesagt: Preissenkung!) kiert. In dieser Regierung sprechen eben der Au- Denn allein schon durch die Tatsache, daß der Ver- ßenminister, der Finanzminister, der Landwirt- such gemacht wird, die Milchproduktion abzubrem- schaftsminister und der Bundeskanzler mit einer sen, sogar etwas nach unten zu korrigieren, so Zunge. Und dies ist ein entscheidender Unter- schwer das auch ist — Sie nutzen das jetzt weidlich schied. für Ihre sehr unfaire Polemik auf den Dörfern aus; (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — das kann man Ihnen nicht verbieten, aber Sie wer- Matthöfer [SPD]: Manchmal sogar mit den damit scheitern, wie ich Ihnen gleich voraussa- zwei!) gen möchte —, haben wir erreicht, daß die Milch- Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 105. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. November 1984 7857

Bundesminister Kiechle preise, Beschlüsse in Brüssel hin oder her, zu stei- beim Parlament für die Kooperation. Ich bedanke gen beginnen. Die Milchpreise in der Bundesrepu- mich bei den Mitgliedern des Haushaltsausschus- blik Deutschland — und dies spricht für unsere Po- ses vor allem für die echte Unterstützung in einer litik — lagen, wenn auch unter Einschluß der Mehr- schwierigen Situation. Ich bedanke mich bei dem wertsteuer, im September im Bundesdurchschnitt Parlament auch im Namen unserer Bauern. um 3 % höher, als sie im September vor einem Jahr Ich danke Ihnen. lagen, und sie lagen über 7 % höher gegenüber dem März dieses Jahres, also dem Monat vor den Brüs- (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) seler Beschlüssen. Dies spricht für unsere Politik. Ich meine, selbst wenn es da Wellenbewegungen Vizepräsident Wurbs: Das Wort hat der Herr Abge- geben sollte, vom Grundsatz her bedeutet das: Wer - ordnete Bredehorn. Preise sichern will, und zwar nicht nur über die Garantiepreise, die der Staat gewährt, sondern über (FDP): Herr Präsident! Meine Damen die Preise, die der Markt zu leisten in der Lage ist, Bredehorn und Herren! — Nun sehe ich Frau Vollmer gar nicht muß eben dafür sorgen — und das tun wir —, daß mehr. das Mengenangebot nicht ständig steigt und sich in diesem Fall gegen die Bauern und zu Lasten der (Zuruf von der CDU/CSU: Das macht sie Bauern auswirkt. immer so! Sie hält die Rede und haut ab!) (Hornung [CDU/CSU]: Das haben die Bau Das tut mir leid. Sie hat hier, ich möchte eigentlich ern begriffen!) sagen, eine Art agrarpolitische Schummelrede ge- halten. Nachdem Anträge über 3 Milliarden DM Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich vorliegen, hat sie uns zwar lange etwas über For- möchte mich nur noch mit einem einzigen Satz an Frau Kollegin Vollmer wenden. Sie haben hier schung usw. erzählt, aber ganz zum Schluß hat sie die Katze aus dem Sack gelassen. Da geht es z. B. lange über Forschungsprojekte geredet. Das inter- darum, 1,5 Milliarden DM für die ökologische Land- essiert unsere Bauern vielleicht nur sehr partiell. wirtschaft zur Verfügung zu stellen. Wenn man sich Sie haben Südafrika angesprochen. Dazu möchte das einmal durchliest, kann man nur sagen: das ist ich einen Satz sagen. Wir kooperieren mit den Län- im Grunde genommen eine Arroganz, die dahinter- dern in der Welt, denen wir auf dem agrarischen Gebiet etwas geben können und die auch bereit steckt. Man bekommt einfach den Eindruck, daß die traditionell wirtschaftende Landwirtschaft, die ge- sind, mit uns zusammenzuarbeiten, ob das nun Un- sunde preiswerte Nahrungsmittel für unsere Bür- garn ist oder Rumänien, ob das die Niederlande ger zur Verfügung stellt, ganz eindeutig in die Ecke sind oder Südafrika oder Israel oder wen immer Sie gestellt werden soll. nehmen wollen. Wir tragen hier keine ideologischen Scheuklappen. Wir setzen uns keine grüne. keine Hier steht: Umschuldungsprogramme für ver- rote oder wie sonst geartete Brille auf. schuldete Betriebe, die ihren Betrieb auf ökologi- (Zurufe von der SPD) sche Produktion umstellen: 290 Millionen DM. — Meine Damen und Herren, da kann ich nur sagen: Wir arbeiten mit denen zusammen, die auch mit Wer diesen ökologischen Landbau betreibt, muß uns zusammenarbeiten wollen. schon sehr gut ausgebildet und sehr tüchtig sein. Die Delegationen, die uns hier besuchen — Sie Wir fördern das. Aber man kann nicht die Betriebe, haben die südafrikanische genannt —, machen auf die vor der Pleite stehen, in den ökologischen Land- jeden Fall folgendes nicht — was eine Besucher- bau treiben. gruppe eines Ihrer GRÜNEN-Kollegen gestern im Sie reden immer wieder nach dem Motto: Zurück Ministerium für innerdeutsche Beziehungen ge- zur Natur! Sie führen hier immer wieder den Milch- macht hat —: Stühle aufschneiden, Teppiche zerstö- wagen an, möglichst noch mit einem Pferd davor ren, das Bild des Bundespräsidenten herunterrei- usw., und den Zustand, den wir vor 30 Jahren in der ßen und einen ganzen Saal kaputtmachen. Landwirtschaft hatten. Ich meine, dahinter steckt (Beifall bei der CDU/CSU — Zurufe von eine große Arroganz. Ich persönlich bin einer, der der CDU/CSU: Unglaublich! Pfui!) das mitgemacht hat und der weiß, was es damals Das war Ihr Kollege Reents, um es ganz genau zu für soziales Elend und soziale Not in den Betrieben sagen. Sie sollten sich erst einmal um Ihre Besu- auf dem Land gab. chergruppen kümmern, bevor Sie über Besucher- (Beifall bei der CDU/CSU) gruppen aus anderen Ländern hier abfällige Urteile Diejenigen, die solche Anträge hier stellen, sind fällen. Leute, die Pensionsanspruch haben, die unkündbar (Abg. Frau Nickels [GRÜNE] meldet sich sind und Vorteile von der Regelbeförderung haben. zu einer Zwischenfrage) So ist es nämlich. (Hornung [CDU/CSU]: So ist es!) Vizepräsident Wurbs: Herr Bundesminister, ge- Meine sehr verehrten Damen und Herren, der statten Sie eine Zwischenfrage? — Keine Zwischen- hier zu beratende Einzelplan 10 — und damit die frage. Agrarpolitik — steht nicht isoliert da. Sie ist inte- griert in eine Wirtschafts- und Finanzpolitik, die Kiechle, Bundesminister für Ernährung, Land- darauf ausgerichtet ist, der Bundesrepublik in den wirtschaft und Forsten: Meine sehr geehrten Da- nächsten Jahren wieder zu einem wirtschaftlichen men und Herren, ich bedanke mich noch einmal Aufschwung zu verhelfen. Dabei stehen zwei 7858 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 105. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. November 1984

Bredehorn Hauptziele im Vordergrund: erstens der Abbau der Wege zur Eindämmung der Überschußproduktion hohen Arbeitslosenquote und zweitens der Abbau aufzuzeigen. Nur so wird es möglich sein, zu mehr der hohen Verschuldung, d. h. die Konsolidierung Manövrierfähigkeit und mehr Entscheidungsspiel- des Bundeshaushalts. Gerade in strukturschwachen raum im gemeinsamen Agrarmarkt zurückzufin- ländlichen Räumen ist es um Arbeitsplätze schlecht den. bestellt. Ich erzähle Ihnen keine Märchen, denn in meiner Heimat an der oldenburgisch-ostfriesischen Die jetzige Regierung hat hier einen dornigen Nordseeküste gibt es Landkreise, wo von 15% bis Pfad beschritten, um der Situation Herr zu werden. über 25% der Menschen ohne Arbeit sind. Ich verrate Ihnen kein Geheimnis, wenn ich sage, daß es wegen der Milchkontingentierung auch Mei- Natürlich ist nicht damit zu rechnen, daß wir bei- nungsverschiedenheiten zwischen den Koalitions- dem augenblicklichen gesamtwirtschaftlichen Um- partnern gab und gibt. Aber diese Regierung hat feld diese Zahlen von heute auf morgen sofort und einen Weg beschritten, mit dem sie versucht, aus rapide senken können. Nur eine beständige Ankur- der Zwickmühle herauszukommen, der Zwick- belung aller wirtschaftlichen Kräfte, und zwar aus mühle nämlich zwischen volkswirtschaftlich uner- einer Eigendynamik heraus, die auf Leistung be- wünschten Nahrungsmittelbergen einerseits und ruht, kann diese Probleme langfristig lösen. einem zu geringen bäuerlichen Einkommen ande- Bei der Erhaltung von Arbeitsplätzen ist auch die rerseits. Ich weise nur auf den 20 %igen Einkom- Landwirtschaft besonders gefordert. Aus Gründen mensrückgang der Bauern im letzten Wirtschafts- der Arbeitsplatzerhaltung und einer gesunden jahr hin. Struktur im ländlichen Raum dürfen wir kurz- und langfristig den vielzitierten bäuerlichen Familien- Vor diesen Hintergründen und vor dem europäi- betrieb nicht aus den Augen verlieren. Seine Be- schen Währungsdilemma finden die Milchrente wahrung, d. h. die Erhaltung der bäuerlichen und die 5 %ige Anhebung der Vorsteuerpauschale Agrarstruktur, wird den Haushalt kostenmäßig nur ihren Platz. Dabei ist die Milchrente, für die der gering belasten, wenn nur die Rahmenbedingungen Bund zehn Jahre lang jährlich 100 Millionen DM stimmen, Rahmenbedingungen, die wir, indem wir zur Verfügung stellt, die einzige Möglichkeit, in Zu- die Eigenkräfte der Wirtschaft aktivieren, mit dem kunft noch Strukturveränderungen und Struktur- Programm zur Förderung der regionalen Wirt- verbesserung zu erreichen. Für mich ist es deshalb schaftsstruktur und der Gemeinschaftsaufgabe zur völlig unverständlich, daß die Oppositionsfraktio- Verbesserung der Agrarstruktur und des Küsten- nen, SPD und GRÜNE, diese Hilfe zur Selbsthilfe schutzes absichern. abgelehnt haben. (Schmitz [Baesweiler] [CDU/CSU]: Rich Auch die 5%ige Anhebung der Vorsteuerpau- tig!) schale war als Ausgleich für die Einkommensverlu- Die Gemeinschaftsaufgabe ist ein praktikables ste durch den Wegfall des Grenzausgleichs für die politisches Werkzeug, das in den vergangenen Jah- deutschen Landwirte notwendig. Wenn ich mir auch ren seine Richtigkeit unter Beweis gestellt hat. Zu- persönlich eine andere Differenzierung und eine sammen mit unserem Koalitionspartner hat es die andere Lösung bei der Vorsteuerpauschale vorge- FDP erreicht, daß trotz genereller einschneidender stellt und gewünscht hätte, Sparmaßnahmen die Mittel für die Gemeinschafts- (Zuruf von der SPD: Na also, das wollten aufgabe auf 1,3 Milliarden DM aufgestockt wurden. wir doch auch!) Mit diesen zusätzlichen Mitteln wollen wir insbe- sondere benachteiligten und einkommensschwa- so habe ich doch — und sicher auch viele Landwirte chen Betrieben helfen. Das heißt, es stehen zusätz- mit mir — kein Verständnis dafür, daß Sie grund- lich 125 Millionen DM zur Verfügung, die für eine sätzlich und generell die 5% abgelehnt haben. zusätzliche Förderung mit der Ausgleichszulage in benachteiligten Gebieten verwandt werden. Statt, Noch weniger ist es zu verstehen, wenn diese Op- wie im Vorjahr, 65 Millionen DM haben wir dafür position draußen im Lande behauptet, daß die jet- jetzt 190 Millionen DM veranschlagt. Zusätzlich zige Bundesregierung eine Wende in der Agrarpoli- kommen 40% von den Ländern, so daß wir insge- tik zu Lasten der Landwirte herbeiführen wolle. samt 315 Millionen DM zur Verfügung haben. Hier- Das Bundeskabinett, der Bundeslandwirtschaftsmi- mit ist es möglich, die Ausgleichszulage zu erhöhen nister und die Koalitionsfraktionen haben in ihren und die benachteiligten Gebiete auszuweiten. Entscheidungen gezeigt, daß sie bei der notwendi- Bei der Ausweitung der benachteiligten Gebiete gen agrarpolitischen Umorientierung die bäuerli- sollten die Länder darauf achten, daß nicht nur — chen Einkommen nicht aus den Augen verlieren. wie bisher — in den Bergbaugebieten eine Aus- gleichszulage gezahlt wird, sondern daß die durch (Hornung [CDU/CSU]: Und die SPD will die Milchkontingentierung besonders negativ be- die Preise senken!) troffenen Regionen mit einem Grünlandanteil von Heute morgen hat einer der neuen Agrarsprecher zum Teil über 90%, wo es zu Rindviehhaltung keine der Opposition, Herr Apel, hier kritische Äußerun- Alternative gibt, als benachteiligte Gebiete einbezo- gen zitiert, die ich zu der Agrarpolitik gemacht gen werden. habe. Ich sehe es allerdings als meine Aufgabe als Mit Blick auf die Kostenauswüchse der EG- frei gewählter Abgeordneter, der ich bin, an, daß ich Agrarpolitik ist es Aufgabe der Agrarpolitiker, durch sachliche, kritische Vorschläge die Bundesre- Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 105. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. November 1984 7859

Bredehorn gierung unterstütze, eine gute Agrarpolitik für un- Die fast 6,6 Milliarden DM, die im Bundeshaus- sere Bauern zu machen. halt für den Agrarbereich ausgewiesen sind, müs- (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) sen eingesetzt werden, um erstens das Einkommen der Landwirte zu stabilisieren, zweitens die Agrar- Es ist j a immer wieder auffallend — auch Herr Apel struktur zu verbessern, drittens die Agrarsozialpoli- hat es heute morgen nicht getan —: sobald es um tik weiter , auszubauen, viertens den Umwelt- und konkrete Schritte, um konkrete Hilfen für die Land- Naturschutz voranzutreiben und fünftens die Über- wirte geht, ist von der SPD nichts zu sehen. Dann schußproduktion zu begrenzen. geht die Diskussion „groß und klein" los. Hier ver- sucht man einfach, daraus parteipolitisches Kapital Die eben schon angesprochene Gemeinschafts- zu schlagen. Ich warne davor. aufgabe trägt Möglichkeiten in sich, diese Ziele mit- (Zurufe von der CDU/CSU) einander zu verwirklichen. Für die FDP-Fraktion möchte ich hier feststellen, daß es Aufgabe der Der Agrarhaushalt ist um 7,8 % aufgestockt wor- Agrarstrukturpolitik ist, Agrar- und Umweltpolitik den. besser aufeinander abzustimmen. Wenn wir wert- volle Wasserschutzgebiete behalten wollen, wenn Herr Abgeordneter, gestat- Vizepräsident Wurbs: wir wildlebende Pflanzen und Tiere vor dem Aus- ten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Mül- sterben bewahren wollen, wenn wir wirklich den ler? Biotopschutz nachhaltig verbessern wollen und wenn wir mehr aufforsten wollen, dann brauchen (FDP): Ja, bitte schön. Bredehorn wir Flächen, Flächen, die bisher meistens landwirt- schaftlich intensiv genutzt werden. Dann müssen Müller (Schweinfurt) (SPD): Herr Kollege Brede- wir aber auch mehr Mittel einsetzen, um bisher horn, wir hatten doch, als wir noch gemeinsam Re- gierungsparteien waren, ein Programm, das Sie mit intensiv genutzte Flächen zu extensivieren oder unterstützt haben. Wollen Sie damit sagen, daß das ganz aus der landwirtschaftlichen Nutzung heraus- kein konkretes Programm war, um diese Probleme zunehmen. Die dann zu zahlenden Nutzungsent- in den Griff zu kriegen? schädigungen sind sinnvoller und sehr viel billiger für den Steuerzahler als die Ausgaben für die dort sonst erzeugten Überschüsse. Die FDP-Fraktion Bredehorn (FDP): Da müssen Sie sich konkret ausdrücken, was Sie jetzt meinen. wird im Ernährungsausschuß einen entsprechen- den Antrag stellen und gleichzeitig das Ministerium (Lachen bei der SPD) auffordern, einmal darzustellen, wieviel Gelder für Da gibt es viele Dinge. Meinen Sie die Agrarsozial- den Umweltschutzbereich innerhalb des Agrar- politik oder was meinen Sie? haushalts jährlich zur Verfügung stehen. Dabei ist es interessant, daß im Jahre 1984 im (Schweinfurt) (SPD): Nein. Das sogenannte Müller Rahmen der Gemeinschaftsaufgabe ca. 146,8 Millio- Apel-Papier haben Sie doch mit unterstützt. Wollen nen DM für den Umweltschutzbereich ausgegeben Sie damit sagen, daß das kein Weg war? wurden, während es im Jahre 1985 ca. 163 Millionen DM innerhalb der Gemeinschaftsaufgabe sein wer- Bredehorn (FDP): Sie täuschen sich unheimlich. Die Freien Demokraten haben das Apel-Papier nie den. Diese Mittel werden eingesetzt für den Bau unterstützt. von Abwasseranlagen, zur Energieeinsparung, zur Bekämpfung neuartiger Waldschäden. Aber auch (Zustimmung bei der FDP) bei der Flurbereinigung oder zum Beispiel bei den Denn das beinhaltet ja einige Dinge, die einfach für Mitteln für die benachteiligten Gebiete fließt ein den bäuerlichen Betrieb nicht tragbar sind. Sie erheblicher Anteil der Gelder in umweltrelevante wollten nämlich die Probleme alle über den Preis Maßnahmen. Für die FDP-Fraktion fordere ich hier lösen. So war es doch. noch einmal, diesen Weg konsequent fortzusetzen Dieser Agrarhaushalt — das ist schon gesagt und zukünftig mehr Mittel bereitzustellen. Diese worden — liegt deutlich über der allgemeinen Stei- Mittel stehen innerhalb des Haushalts zur Verfü- gerungsrate des Bundeshaushalts. Ich muß sagen, gung, wenn wir endlich Schluß machen mit der wei- dies ist ein seit Jahren nicht mehr festzustellender teren Investitionsförderung bei Schweine-, Bullen- positiver Tatbestand, der deutlich macht, daß sich und Kuhställen, diese Bundesregierung und die Koalitionsfraktio- (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) nen um die Sorgen und Probleme unserer Land- wirte kümmern. Trotz der Aufstockung der Mittel deren Überschußproduktion wir dann mit hohen um 7,8% im Einzelplan 10 haben wir nicht das ein- Kosten übernehmen müssen. Wenn es uns in den gangs genannte Hauptziel, die Konsolidierung des nächsten Jahren gelingt, die dringend benötigten Bundeshaushalts, aus den Augen verloren. Im Flächen für Umwelt- und Wasserschutz, für ein Bio- Agrarhaushalt geht es nämlich auch darum, einen top-Verbundsystem, für den Anbau nachwachsen- Berufsstand zu unterstützen, der nicht nur den der Rohstoffe aus der intensiven Agrarproduktion ländlichen Raum wirtschaftlich prägt, sondern auch vermehrt herauszubekommen, werden wir hier eine große gesellschaftspolitische Verantwortung endlich auch wieder mehr Spielraum für eine ak- im Umweltschutz, in der Pflege der Kulturland- tive Agrarpolitik gewinnen. schaft übernommen hat. Lassen Sie die Bauern im Meine Damen und Herren, unsere Agrarsozialpo- Abseits stehen, bekommt die übrige Bevölkerung, litik ist zu einem agrarsozialen Sicherungsinstru- besonders auf dem Land, das zu spüren. ment ausgebaut worden, um das uns viele Berufs- 7860 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 105. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. November 1984 Bredehorn kollegen in anderen Ländern inzwischen beneiden. fristige Agrarpolitik zu definieren. Dabei geht es 3,7 Milliarden DM — das sind fast 60% des Agrar- darum, die Überschüsse loszuwerden, ohne unser haushalts — werden für die landwirtschaftliche So- Leitbild, den bäuerlichen Familienbetrieb, dabei zialpolitik bereitgestellt. Nachdem es im vorigen aufs Spiel zu setzen. Für die FDP bleibt der bäuerli- Jahr — entgegen der mittelfristigen Finanzplanung che Familienbetrieb ein unverzichtbarer Bestand- — gelungen war, den Zuschuß zur landwirtschaftli- teil einer freiheitlichen Gesellschaftsordnung. chen Unfallversicherung mit 279 Millionen DM in Seine Förderung ist nicht Interessenpolitik, son- voller Höhe zu erhalten, werden wir ab 1985 — fort- dern freiheitliche Gesellschaftspolitik. laufend bis zum Ende der Legislaturperiode — jähr- Wir werden dem Einzelplan 10 unsere Zustim- lich 400 Millionen DM bereitstellen. Damit ist die mung geben. sogenannte alte Last voll abgedeckt. Ich möchte- es an dieser Stelle nicht versäumen, mich beim Bun- (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) deskanzler zu bedanken, daß er damit sein auf dem Bauerntag in Freiburg gegebenes Wort, sich für Meine Damen und Herren, diese berechtigte Forderung einzusetzen, gehalten Vizepräsident Wurbs: weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich hat. schließe die Aussprache. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Ich erteile der Frau Abgeordneten Reetz das Wort Nach wie vor gilt der an die Bundesregierung zur Abgabe einer Erklärung nach § 30 unserer Ge- gegebene Auftrag, Vorschläge zu machen wie die schäftsordnung. Leistungen des Bundes für die Altershilfe für die Landwirte gerechter verteilt werden können. Die (Carstensen [Nordstrand] [CDU/CSU]: Sie FDP und die CDU/CSU haben im Ernährungsaus- lädt uns zum Hummeressen ein!) schuß einen Antrag eingebracht, hier zusätzliche Mittel bereitzustellen. Wir erwarten von der Bun- (GRÜNE): Herr Präsident! Meine Da- desregierung, daß sie im Rahmen des agrarsozialen Frau Reetz men und Herren! Ich habe zum Abschluß einer Ergänzungsgesetzes etwas tut, um die einkommen Reise mit dem Rechtsausschuß nach Amerika in schwachen Betriebe bei ihren Beiträgen spürbar zu New York einen Fischmarkt besucht und mir dort entlasten. Leider hat die SPD unserem Antrag im drei Hummer gekauft. Ausschuß nicht zugestimmt. Der Fraktionsvorsit- zende der SPD, Herr Dr. Vogel, hat sich in einer (Schmitz [Baesweiler] [CDU/CSU]: Le Aktuellen Stunde zur Agrarpolitik ganz strikt ge- bende!) gen zusätzliche Mittel für die Landwirtschaft aus- Denn ich wußte, daß ich nach meiner Rückkehr am gesprochen. Frau Zutt hat das hier wiederholt. Frau Abend desselben Tages mit meiner Familie und Zutt, Ihnen scheint es — so ist leider mein Eindruck Freunden zusammensein würde, und wollte daher — nur um eine neuerliche Umverteilung zu gehen, zu dem Essen etwas Besonderes beisteuern. und zwar um eine Umverteilung von den sogenann- ten großen — und damit wohl reichen — zu den (Beifall bei den GRÜNEN) kleinen Landwirten. Ich verbitte es mir, daß meine persönlichen Ein- käufe von Kollegen als politisches Argument gegen Vizepräsident Wurbs: Herr Abgeordneter, gestat- mich und meine Partei verwandt werden. ten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten (Beifall bei den GRÜNEN und der SPD — Oostergetelo? Freiherr von Schorlemer [CDU/CSU]: Das macht ihr doch sonst auch ständig! Das ist Bredehorn (FDP): Es tut mir leid, Herr Oosterge- doch doppelte Moral! — Weitere Zurufe telo, aber meine Zeit ist gleich abgelaufen. Wir kön- von der CDU/CSU) nen das allerdings gleich gerne klären. — Meine Auch als Abgeordnete lege ich Wert darauf, daß ich verehrten Kolleginnen und Kollegen von der SPD, eine Privatsphäre in bezug auf meine persönlichen ich möchte Sie wirklich herzlich bitten: Hören Sie Einkäufe habe, mit einer solchen Politik auf, mit einer Politik, die (Anhaltende Zurufe von der CDU/CSU: versucht, einen Keil in die Landwirtschaft hineinzu- Hört! Hört! — Aha! — Weitere lebhafte Zu treiben und Neidkomplexe zu schüren. rufe von der CDU/CSU) (Müller [Schweinfurt] [SPD]: Das machen die ich auch allein verantworten will und die nie- Sie doch, Herr Kollege!) manden etwas angehen. Unterstützen Sie doch die Politik der Koalitions- fraktionen! Wir wollen es beim gleichen Beitrag und (Zuruf von der CDU/CSU: Wir wollen alles der gleichen Leistung in der Altershilfe belassen, wissen! — Weitere Zurufe von der CDU/ wollen aber die einkommenschwachen Betriebe mit CSU) einem geringen Wirtschaftswert mit zusätzlichen In diesem Sinne stehe ich zu meinen Einkäufen. Mitteln bei ihren Beiträgen spürbar entlasten. Wir essen zu Hause sehr gern Fisch. Wir essen das Meine Damen und Herren, ich komme zum nicht deshalb, weil wir damit irgendeine Extrava- Schluß: Ohne den Haushalt zu überlasten und ohne ganz ausdrücken wollen, der notwendigen Sparpolitik des Finanzministers (Zuruf von der CDU/CSU: Luxuskonsum! entgegenzuwirken, muß es uns gelingen, eindeutige — Weitere Zurufe von der CDU/CSU und Ziele für eine kurzfristige, mittelfristige und lang- der FDP) Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 105. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. November 1984 7861

Frau Reetz sondern weil wir Nahrungsmittel sehr schätzen und Metz (CDU/CSU): Herr Präsident! Meine sehr ver- dankbar dafür sind und weil wir beim gemeinsa- ehrten Damen und Herren! Der Verkehrshaushalt men Essen eine außerordentliche Harmonie emp- steht mit einem Gesamtvolumen von über 25 Milli- finden und uns wohlfühlen. arden DM an vierter Stelle der Einzeletats des Bun- (Anhaltende Zurufe von der CDU/CSU und deshaushalts; er ist zugleich der bedeutendste Inve- der FDP) stitionshaushalt des Bundes. (Unruhe) Ich möchte noch sagen: Wenn ich vorher gewußt hätte, daß diese Tiere in einer Spezialverpackung lebendig verschickt werden, dann hätte ich diesen Vizepräsident Wurbs: Herr Abgeordneter, einen Kauf nicht getätigt. Es war das erstemal in meinem Augenblick bitte. — Meine Damen und Herren, ich Leben, daß ich Hummer gekauft habe. Ich war auch darf bitten. Platz zu nehmen. zum erstenmal in Amerika. (Hoffmann [Saarbrücken] [SPD]: Jawohl, (Beifall bei den GRÜNEN — Lachen bei Herr Präsident! Das ist richtig so! Der Herr der CDU/CSU und der FDP) Metz muß gehört werden!) — Das gilt für alle, Herr Hoffmann; das wird bei Ihnen nachher auch gelten. Ich werde für Ruhe sor- Vizepräsident Wurbs: Meine Damen und Herren, gen. — Bitte sehr, fahren Sie fort. wir kommen zur Abstimmung. Wir stimmen zunächst über die Änderungsan- Metz (CDU/CSU): Meine Damen und Herren, es träge des Abgeordneten Verheyen (Bielefeld) und ist ganz undramatisch; man kann sich auch hinset- der Fraktion DIE GRÜNEN auf den Drucksachen zen. — Über 12 Milliarden DM wird der Bund 1985 10/2424 und 10/2425 ab. für Investitionen im Verkehrsbereich aufwenden. Das bedeutet gegenüber dem Vorjahressoll eine Wer dem Änderungsantrag auf Drucksache Steigerung um immerhin 6% und gegenüber der 10/2424 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das alten Finanzplanung ein Plus von 678 Millionen Handzeichen. — Gegenstimmen? — Enthaltungen? DM. Ich hebe das noch einmal hervor: Wir investie- — Der Änderungsantrag ist abgelehnt. ren 678 Millionen DM mehr, als die Sozialdemokra- Wer dem Änderungsantrag auf Drucksache ten nach ihrer damaligen Finanzplanung vorhatten. 10/2425 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Meine Damen und Herren, ich betone das deswe- Handzeichen. — Gegenstimmen? — Enthaltungen? gen, weil die SPD bei diesen Beratungen sehr lok- — Der Änderungsantrag ist abgelehnt. ker Erhöhungsanträge in der Größenordnung von rund 800 Millionen DM stellt. Diese Mittel will sie Wer dem Einzelplan 10 — Geschäftsbereich des interessanterweise aus dem Verteidigungshaushalt Bundesministers für Ernährung, Landwirtschaft abzweigen. und Forsten — in der Ausschußfassung zuzustim- men wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — (Hoffmann [Saarbrücken] [SPD]: Das ist Gegenstimmen? — Enthaltungen? — Der Einzel- doch gut so! Hervorragend!) plan ist angenommen. Schon aus diesem Grunde werden wir diese An- träge ablehnen, aber natürlich nicht nur aus diesem Grunde. Ich rufe auf: (Zuruf von der CDU/CSU: Das ist die neue Einzelplan 12 politische Richtung!) Geschäftsbereich des Bundesministers für Wir investieren verstärkt: Für den gesamten Fi- Verkehr nanzplanungszeitraum wird praktisch jede zweite — Drucksachen 10/2312, 10/2330 — Mark des Verkehrshaushalts investiert. Berichterstatter: (Burgmann [GRÜNE]: Aber worin?) Abgeordnete Hoffmann (Saarbrücken) Wie in jedem Jahr, so haben wir auch diesmal bei Metz der Beratung des Einzelplans 12 in den Bereichen Dr. Weng Schiffahrt und Schiffbau wieder eine Debatte ge- Verheyen (Bielefeld) habt. Diese Bereiche haben, wie in jedem Jahr, eine Hierzu liegen Ihnen Änderungsanträge der Abge- große Rolle gespielt. ordneten Drabiniok, Verheyen (Bielefeld) und der (Zurufe von den GRÜNEN) Fraktion DIE GRÜNEN auf den Drucksachen — Immer eines nach dem anderen, Herr Verheyen! 10/2426 und 10/2427 (neu) sowie der Fraktion der — Stichworte sind hier: Reederhilfe und Finanzbei- SPD auf Drucksache 10/2478 vor. träge. Auf diesen Gebieten ist der Regierungsent- Meine Damen und Herren, im Ältestenrat ist für wurf während der Beratungen deutlich im Sinne die Aussprache eine Runde vereinbart worden. Sind der Küstenländer verbessert worden. Sie damit einverstanden? — Ich sehe und höre kei- Wenn der Haushaltsausschuß die Neubauhilfen nen Widerspruch. Dann ist so beschlossen. für Handelsschiffe um 50 Millionen auf ein Volu- Wünscht einer der Berichterstatter das Wort? — men von 250 Millionen DM aufgestockt hat, dann Das ist nicht der Fall. Dann eröffne ich die allge- hat er das Ergebnis der Hamburger Werftenkonfe- meine Aussprache. Das Wort hat der Abgeordnete renz vom 21. April 1983 umgesetzt. Damals bestand Metz (CDU/CSU). eine breite Übereinstimmung darüber, daß einer- 7862 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 105. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. November 1984 Metz seits empfindliche Kapazitätsreduzierungen im Verwirklichung der Beschlüsse gespannt und sind Handelsschiffbau auf deutschen Werften hinge- notfalls bereit, noch etwas nachzuhelfen. nommen werden müßten, daß jedoch andererseits nach Möglichkeit ein Bestand in Höhe von etwa Lassen Sie mich ein Wort zur Privatisierung der 3 Milliarden DM Jahresumsatz gesichert werden Naßbaggerei sagen, ein seit vielen Jahren umstrit- sollte. tenes Thema. Der Haushaltsausschuß hat jetzt nach zehn Jahren langer Vorgeschichte einen vor- Mit den jetzt eingestellten 250 Millionen DM läufigen Schlußpunkt unter dieses Kapitel gesetzt, kann eine Auftragssumme von rund 2 Milliarden basierend auf einem Grundsatzbeschluß vom Jahre DM in das Schiffahrtsförderungsprogramm 1985 1981, als die FDP-Mitglieder im Ausschuß mit der aufgenommen werden. Das ist ein Programm, das damaligen Opposition stimmten. Neulich hat der - deutschen Schiffahrtsunternehmen Schiffbauzu- Kollege Hoppe gesagt, das sei der Beginn der schüsse bis zu 12,5 % der Anschaffungs- oder Her- Wende gewesen. Ganz so dramatisch war es nicht. stellungskosten eines Neubaus gewährt. Aber ich erinnere in diesem Zusammenhang an un- Darüber hinaus sind die sogenannten Finanzbei- seren ehemaligen Kollegen Klaus Gärtner, der sich träge für die Seeschiffahrt — dabei handelt es sich in dieser Frage verdient gemacht hat. um pauschalierte Zinsbeiträge — fortgeschrieben (Hoffmann [Saarbrücken] [SPD]: Er hat worden. Der Haushaltsausschuß hat die Weiterge- kein Geld bekommen!) währung dieser Finanzbeiträge für erforderlich ge- halten, weil der Rückgang der deutschen Handels- Auf der Basis dieses Grundsatzbeschlusses von flotte weiter anhält. Wir wollen mit dieser Maß- 1981 ist nunmehr beschlossen worden, die weitere nahme dem weiteren Substanzverlust der deut- Vergabe der Naßbaggerunterhaltungsarbeiten an schen Handelsflotte und dem Trend zur Ausflag- private Unternehmen sowohl im Küsten- als auch gung entgegenwirken. Diese Hilfen vermindern die im Binnenbereich bis zu 75 % vorzusehen, und zwar Liquiditätsprobleme der Schiffahrtsunternehmen nach einem Stufenplan bis Ende 1987. und führen über eine Stärkung des Eigenkapitals (Beifall bei der FDP) zu einer Verbesserung der Investitionsfähigkeit deutscher Reeder. Die bisherigen Erfahrungen mit der Vergabe von Naßbaggerunterhaltungsarbeiten rechtfertigen die- Der Haushaltsausschuß kann manches für die se weitere Steigerung der Vergabe an Private. Mit deutsche Flotte tun. Er hat es auch getan. Aber das der stufenweisen Vergabe sollen Übergangsverluste in diesem Zusammenhang eigentlich entscheidende möglichst vermieden werden. Problem kann er nicht ohne weiteres lösen. Er kann nämlich nicht einfach dafür sorgen, daß deutsche Meine Damen und Herren, lassen Sie mich noch Reeder genug Ladung bekommen. Dies ist das ein Wort dazu sagen. Daß Privatisierung auch in Kernproblem. Aber das Parlament, wir alle können diesem Bereich etwa der ÖTV nicht paßt, leuchtet helfen, ins Bewußtsein zu rufen, daß wir eine doch jedem ein und kann niemand übelnehmen. Schiffahrtsnation sind und eigene Schiffahrtsinte- Daß die Gewerkschaft Bau-Steine-Erden anderer- ressen haben. Dabei geht es nicht nur um Küstenin- seits nichts dagegen hat, leuchtet ebenfalls ein. Wir teressen, sondern um ein nationales Interesse. wollen auch nicht hundertprozentig privatisieren. Wir wollen Vergleichsmöglichkeiten behalten. Aber (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) die bisherigen Einsparungserfolge legen die jetzt Ich darf darauf hinweisen, daß die strategische Be- getroffene Entscheidung mehr als nahe. deutung von Handelsflotten im Gegensatz zu ande- ren Ländern bei uns nicht immer in ihrem ganzen (Haehser [SPD]: Steht auf dem Papier!) Umfang erkannt worden ist. Einem Haushälter gebieten sie diese Entscheidung Meine Damen und Herren, per Oktober dieses geradezu. Wir haben überhaupt keine andere Chan- Jahres fuhren noch 418 Schiffe unter deutscher ce, wenn wir ernst machen wollen mit der These, Flagge. Ich kann der Bundesregierung nur empfeh- daß der Staat nur dort tätig sein soll, wo er vernünf- len, sich weiter mit Nachdruck unserer Handels- tige Gründe vorweisen kann, und daß er dort nicht flotte zu widmen. Ich begrüße es sehr dankbar, daß tätig sein darf, wo andere preiswerter arbeiten kön- wir mit Minister Dollinger nach langen Jahren wie- nen. Das ist hier der Fall. Deswegen bitte ich um der einen Verkehrsminister haben, der für die mari- Verständis für diese richtige Entscheidung. timen Belange der Bundesrepublik Deutschland ein (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Herz hat. Meine Damen und Herren, keine Verkehrsde- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — batte ohne ein paar Worte zur Bundesbahn. Zurufe von der SPD) (Hört! Hört! bei den GRÜNEN) Herr Minister, das wird an der Küste dankbar regi- striert. Frühere Haushaltsdebatten glichen, wenn sie das Stichwort Bundesbahn aufnahmen, den reinsten Im übrigen weise ich noch einmal darauf hin, daß Jammertiraden. Sechs verschiedene Konzepte der die gemeinsame Entschließung des Deutschen Bun- alten Regierung führten zu nichts, zu buchstäblich destages vom 15. Dezember 1982 und der Kabinetts- nichts. beschluß vom Mai dieses Jahres, die beide in Sachen Seeschiffahrt in die richtige Richtung wei- (Drabiniok [GRÜNE]: Ihres führt zur Rui sen, weiter gelten. Wir im Parlament verfolgen die nierung der Bahn!) Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 105. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. November 1984 7863

Metz Auch heute ist die Bundesbahn alles andere als der ist natürlich fein heraus, wenn die ersten bei- über den Berg. Das will ich gleich hinzufügen. Aber den Abteilungen der Staat bezahlt und wenn man es zeigen sich doch deutlich Silberstreifen am Hori- im eigenwirtschaftlichen Teil Gewinne machen zont. Die Bahn ist konkurrenzfähiger und moderner kann. Meine Damen und Herren, ich sage ganz geworden. deutlich: Nicht nur der Bundesrechnungshof meldet (Drabiniok [GRÜNE]: Und kürzer!) hier große Bedenken an. (Zurufe von der SPD: Lesen Sie das doch Ich nenne die neue Intercity-Generation ebenso wie einmal richtig durch!) das Intercargo-System, das im Nachtsprung die elf bedeutendsten Wirtschaftsregionen unseres Landes Ein Wort zum Großversuch Geschwindigkeitsbe- verbindet. - grenzung: In der Bereinigungssitzung zum Haus- halt 1985, also vor 14 Tagen, hat der Haushaltsaus- Ich nenne die elektrische Lokomotive der Bau- schuß des Deutschen Bundestages die Einstellung reihe 120. Mit der Freigabe der Mittel für die Be- eines neuen Titels in den Einzelplan 12 bei Kapitel schaffung einer ersten Serie von 36 von zunächst 60 1210 beschlossen, und zwar für den Großversuch vorgesehenen Drehstromlokomotiven Anfang Okto- Geschwindigkeitsbegrenzung. ber sind entscheidende Weichen gestellt worden. (Verheyen [Bielefeld] [GRÜNE]: Ein echtes (Zuruf des Abg. Drabiniok [GRÜNE]) Alibiprogramm!) Der Technologievorsprung, den die deutsche Loko- Die Anfang November vorgelegte Vorstudie der motivindustrie damit erreicht hat, wird sich auch Vereinigung der Technischen Überwachungsver- günstig auf die Exportfähigkeit der E 120 auswir- eine ken. (Drabiniok [GRÜNE]: Und des VDA!) (Hoffmann [Saarbrücken] [SPDJ: Das ist der Durchbruch!) und die folgenden intensiven Fachgespräche mit Vertretern von Hochschulen und aus der Verwal- Aus volkswirtschaftlichen Gründen und nicht zu- tung zeigen, letzt auch wegen des mit höherer Stückzahl verbun- denen niedrigeren Einzelpreises wäre es sinnvoll, (Drabiniok [GRÜNE]: Den VDA haben Sie vergessen!) (Zuruf des Abg. Verheyen [Bielefeld] [GRÜNE]) daß ein wegen der Tragweite der Entscheidung fun- diert angelegtes Gutachten — dagegen haben Sie wenn umgehend — ich sage das in Richtung auf das sowieso etwas —, Ministerium, Herr Minister Dollinger — freie Fahrt auch für die restlichen 24 Lokomotiven gegeben (Drabiniok [GRÜNE]: Weil man jetzt schon werden könnte. sagen kann, daß dieser Großversuch sinn los ist!) (Hoffmann [Saarbrücken] [SPD]: Das ist notiert!) das auf ausreichenden Messungen beruht, erforder- lich ist. Zur Zeit erarbeitet der TÜV die näheren — Das ist gut. Modalitäten aufgrund der Besprechungsergebnisse. Der Jahresfehlbetrag 1983 von 3,75 Milliarden Ziel ist es, DM ist immer noch viel zu hoch, aber er bedeutet (Drabiniok [GRÜNE]: Kein Tempolimit zu eine Verminderung des Verlustes gegenüber dem beschließen!) Ist 1982 um immerhin 400 Millionen DM und gegen- mit den Arbeiten im Januar 1985 zu beginnen. über dem Soll 1983 um mehr als 1,2 Milliarden DM. Der bisherige Geschäftsverlauf dieses Jahres läßt Wir begrüßen die Entscheidung der Bundesregie- eine weitere Verlustminderung um etwa eine halbe rung. Wir haben daher auch gegen die Stimmen der Milliarde DM erwarten. Opposition im Haushaltsausschuß der Ausbringung der Mittel für diesen Großversuch zugestimmt, und (Drabiniok [GRÜNE]: Wodurch?) wir bitten, dafür zu sorgen, daß der Auftrag in sei- Eine Zunahme der Neuverschuldung konnte also ner Qualität so angelegt ist, daß das Gutachten zu vermieden werden, obwohl die Bahninvestitionen möglichst unanfechtbaren Ergebnissen führt. deutlich wachsen. (Zustimmung bei der CDU/CSU — Haeh (Drabiniok [GRÜNE]: Erst mal Abbau der ser [SPD]: Es ist wirklich unglaublich! Seit Strecken!) Stunden fehlt der Finanzminister! Seit Stunden! Das ist unglaublich!) Es bleiben auch Fragen offen. Über den Begriff Trennungsrechnung beispielsweise läßt sich treff- Meine Damen und Herren, ein weiterer Punkt: lich streiten. Nicht alle, die diese Vokabel gebrau- Der Haushaltsausschuß hat die Mittel für Aufklä- chen, meinen immer dasselbe. Vielleicht macht es rungs- und Erziehungsmaßnahmen zur Bekämp- sich die Bahn mit ihrem Begriff der Trennungs- fung der Verkehrsunfälle erhöht und damit zum rechnung etwas zu leicht. einen die Leistungen des Deutschen Verkehrssi- cherheitsrates und der Deutschen Verkehrswacht (Zuruf von der SPD: In der Tat!) gewürdigt und zum anderen Konsequenzen aus der Wer zwischen Infrastruktur, also Schiene, gemein Tatsache gezogen, daß die Bundesregierung ein um- wirtschaftlichem Teil, also ÖPNV, und eigenwirt fangreiches Verkehrssicherheitsprogramm vorge- schaftlichem Teil, also z. B. Güterverkehr, trennt, legt hat. Dieses Programm will die Eigen- und Mit- 7864 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 105. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. November 1984

Metz verantwortung der Verkehrsteilnehmer im Verkehr folge Haushaltsdebatten diesmal nicht zum ersten- stärken. Zusätzliche Angebote zur Verkehrserzie- mal. Aber eines ist einmalig: Ich habe noch nie hung bzw. Verkehrsaufklärung, eine verbesserte erlebt, daß der eigentlich zuständige Minister prak- Fahrausbildung sowie eine neue Führerscheinrege- tisch über die gesamte Zeit der Debatte hier nicht lung, die auf Bewährung und Nachschulung basiert, anwesend ist, außer wenn er selbst redet. bilden dabei Schwerpunkte. (Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten Meine Damen und Herren, Verkehrspolitik ist ein der GRÜNEN — Zurufe von der SPD: Un schwieriges Feld, auf dem sich viele Interessen verschämtheit! Desavouierung des Parla wirtschaftlicher und regionalpolitischer Art stoßen. ments!) Auch kritische Stimmen betonen, man müsse die Das kann doch wohl nicht wahr sein. Kräfte eines Herkules, die Schläue eines Odysseus- und die Ausdauer eines Sisyphos haben, wenn man (Zurufe von der CDU/CSU: Er ist doch etwas bewegen wolle. da!) Dabei kann man es sich — das sage ich in aller Heißt das beispielsweise, daß nicht berücksichtigt Ruhe — nicht so leicht machen wie die Opposition, werden soll, was das Parlament für Rechte hat? die — so die SPD — mal eben über 800 Millionen Heißt das, daß der Bundesfinanzminister kein In- Mark vom Verteidigungshaushalt in den Verkehrs- teresse an der ganzen Geschichte hat? haushalt schaufeln möchte. Meine Damen und Her- (Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten ren, wir haben immer noch klare Prioritäten in der der GRÜNEN — Zurufe von der CDU/ Politik: so wichtig die Verkehrspolitik ist, die äu- CSU) ßere Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland ist Wenn er etwas Wichtiges zu tun hat, hätte er uns für uns noch wichtiger. etwas sagen können. Ich finde unglaublich, was er (Zuruf von der SPD: Hurra! — Roth [SPD]: macht. Aber wo ist der Finanzminister?) (Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten Man kann es sich auch nicht so leicht machen der GRÜNEN — Zurufe von der CDU/CSU: wie etwa die GRÜNEN, die mal eben bei Kanälen Er sitzt doch da!) und Straßen drei Milliarden Mark wegnehmen möchten, um sie der Bundesbahn zur Verfügung zu — Keine Panik. — Der Bundesfinanzminister stellen. (Pfeffermann [CDU/CSU]: Bis vor wenigen (Verheyen [Bielefeld] [GRÜNE]: Klare Ver Minuten war der Staatssekretär hier!) hältnisse!) ist derjenige, der für den Haushalt insgesamt zu- Ich sage zum Schluß: Ihnen scheint noch nicht ständig ist. aufgegangen zu sein, daß die Maßnahmen, die Sie (Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten vorschlagen, wegen rechtlicher Bindungen zu be- der GRÜNEN — Pfeffermann [CDU/CSU]: trächtlichen Schadensersatzforderungen führen Er kann doch nicht vier Tage ohne Unter würden, daß Sie Bauruinen hinterlassen würden, brechung hier sein! Er war vorhin noch daß Sie die Bauwirtschaft in größte Probleme stür- hier! — Lebhafte Zurufe von der CDU/ zen würden und daß Sie mit Ihrer Politik zusätzli- CSU) che Arbeitslosigkeit produzieren würden. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — Vizepräsident Wurbs: Meine Damen und Herren, Zurufe von den GRÜNEN) ich darf darauf aufmerksam machen, daß der Parla- Am Beispiel Ihrer Anträge wird deutlich, daß ge- mentarische Staatssekretär im Finanzministerium rade im Verkehrsbereich — — die ganze Zeit oben in der zweiten Reihe gesessen hat. Vizepräsident Wurbs: Ich darf Sie darauf aufmerk- (Pfeffermann [CDU/CSU]: Wo ist der Vo sam machen, daß Ihre Redezeit abgelaufen ist. gel? Wo ist der Hauff? Wo sind Ihre stell (Zuruf von der SPD: Ja, die Zeit ist lange vertretenden Parteivorsitzenden? Schauen um!) Sie sich die paar Hanseln an, die Sie da haben; es sind kaum fünfzehn Leute von Ihnen da! — Weitere Zurufe von der CDU/ Metz (CDU/CSU): Ich bin beim letzten Satz, Herr Präsident. — Gerade im Verkehrsbereich würden CSU) sich die Katastrophenmeldungen jagen, wenn SPD und GRÜNE einmal die Mehrheit bekämen. Wir Hoffmann (Saarbrücken) (SPD): Wissen Sie, was lehnen ihre Anträge ab und stimmen dem Einzel- Sie machen würden, wenn Sie sich jetzt selbst se- plan 12 zu. hen könnten? Sie würden ganz schnell vor jedem (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Spiegel verschwinden, weil Sie sich selbst nicht mehr sehen könnten, so wie Sie aussehen. Vizepräsident Wurbs: Das Wort hat der Abgeord- (Pfeffermann [CDU/CSU]: Wo ist Ihr Ver nete Hoffmann (Saarbrücken). kehrssprecher, der Herr Hauff? — Weitere lebhafte Zurufe von der CDU/CSU) Hoffmann (Saarbrücken) (SPD): Herr Präsident! — Sie brüllen wirklich in einer unverschämten Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich ver- Weise. Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 105. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. November 1984 7865

Vizepräsident Wurbs: Herr Abgeordneter, gestat- stehen, z. B. die Seeschiffahrtshilfen — der Kollege ten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordne- Metz hat dazu eben Ausführungen gemacht —; des- ten Riedl? halb rede ich zu diesem Thema nicht. Ich möchte zu einem der Punkte kommen, die für Hoffmann (Saarbrücken) (SPD): Herr Präsident, mich von besonderer Bedeutung sind, ich gestatte das gerne, weil ich davon ausgehe, daß ich dann endlich zu Wort kommen kann. (Zuruf von der SPD: Pfeffermann raus!) und würde das gern so vortragen, daß man in einen Dr. Riedl (München) (CDU/CSU): Herr Kollege Sachdialog hineinkommen kann. Ich spreche zu Hoffmann, dem Thema öffentlicher Personennahverkehr. (Pfeffermann [CDU/CSU]: So eine Flegelei - Meine Damen und Herren, wir haben hier lange da vorne!) eine Diskussion über das Problem der Strecken- unterstellt, wir haben das gleiche Parlamentsver- stillegungen geführt. Dabei ist von vielen gefragt ständnis, darf ich Sie fragen, ob es Ihnen entgangen worden: Was wenden Sie gegen Streckenstillegun- ist, daß das Finanzministerium seit Beginn dieser gen ein, wenn diese Strecken betriebswirtschaftlich zweiten Lesung am Dienstag entweder durch den nicht zu halten sind? Finanzminister oder durch den Parlamentarischen (Unruhe bei der CDU/CSU) Staatssekretär ständig vertreten war und wir den Parlamentarischen Staatssekretär ausdrücklich — Ich merke, Sie interessieren sich kolossal für die deshalb geschaffen haben, damit er den Minister im Sachauseinandersetzung. Ist es möglich, daß man Parlament gegebenenfalls vertritt, und dies hier im- vielleicht ein bißchen zuhört? mer der Fall war? (Zurufe von der CDU/CSU) (Beifall des Abg. Dr. Rose [CDU/CSU] — Ich gebe mir alle Mühe, vielleicht erreiche ich Ihren Widerspruch bei der SPD) Intellekt noch; das kann j a sein.

Hoffmann (Saarbrücken) (SPD): Herr Riedl, offen- Wir haben über Streckenstillegungen gespro- sichtlich ist es so, daß sich unser Parlamentsver- chen. Da ist vielfach eingewandt worden, daß das, ständnis in der Tat etwas unterscheidet. Die Schaf- wenn sich so etwas betriebswirtschaftlich nicht fung von Parlamentarischen Staatssekretären war rechnet, dann beispielsweise auch mit Busverkehr für die kontinuierlichen Kontakte zwischen Parla- muß gemacht werden können. Das kann man für ment und Regierung. Dann ist immer Parlaments- bestimmte Strecken möglicherweise sogar einse- verständnis gewesen, daß in der Hauptsache des hen. Nur, wenn dieser Streckenverkehr Bus nach- Haushaltes selbst der eigentlich verantwortliche her deshalb zurückgenommen wird, weil er zwangs- Minister sich zumindest die Mühe gibt, hier so läufig defizitär wird — ich will das mit den Zahlen lange zuzuhören, damit er möglicherweise daraus belegen, die wir beispielsweise im Schülerverkehr Konsequenzen ziehen kann. zu erwarten haben —, dann bedeutet dies, daß wir über den Umweg einer Nebeldiskussion über Busli- (Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten nien erreicht haben, daß durch die Streckenstille- der GRÜNEN — Pfeffermann [CDU/CSU]: gungen der Bahn effektiv ÖPNV-Möglichkeiten un- Sie überschätzen sich, junger Mann!) wiederbringlich gestrichen werden. Aber jetzt will ich hier zur Sache kommen. (Beifall bei der SPD) (Zuruf von der CDU/CSU: Die sozialdemo kratischen Finanzminister saßen doch Das ist ein Problem, das uns eigentlich alle in je- auch nicht immer da!) dem einzelnen Wahlkreis treffen müßte. Deshalb haben wir einen Antrag gestellt, in dieser Frage Vizepräsident Wurbs: Ich weise den Ausdruck etwas mehr zu tun. „Flegelei" des Abgeordneten Pfeffermann als un- Ich mache darauf aufmerksam: Dies ist ein Pro- parlamentarisch zurück. blem, das Sie nicht mit Erblast oder Erblust disku- (Beifall bei der SPD) tieren können, sondern dieses Problem wird in zwei bis drei Jahren gravierend auf uns zukommen. Hoffmann (Saarbrücken) (SPD): Herr Präsident, Wenn bis dahin die entsprechenden Vorbereitungen ich möchte hier das parlamentarische Recht haben, im Haushalt nicht geschehen sind, werden wir die die Vorstellung der SPD-Fraktion zu diesem Etat zu fatale Situation haben, daß der öffentliche Perso- sagen, und bitte deshalb darum, daß mir meine nennahverkehr in vielen Teilen zusammenbricht, Fraktion vier Minuten zugibt, weil das durch diese weil er von den Kommunen und teilweise den Re- Störereien bisher nicht möglich gewesen ist. gionen selbst nicht mehr erbracht werden kann. (Beifall bei der SPD — Pfeffermann [CDU/ Dieses Problem muß begriffen werden, und dann CSU]: Kommen Sie zur Sache!) muß entsprechend gehandelt werden. Jetzt möchte ich zur Sache kommen, zu dem, was (Beifall bei der SPD) Sie vielleicht auch nicht gerne hören. Wir haben einen zweiten Antrag vorgelegt, näm- Erster Punkt. Es gibt eine Reihe von verkehrspo- lich den, bestimmte Investitionen der Deutschen litischen Entscheidungen, die in diesem Haushalt Bundesbahn aufzustocken. Meine sehr verehrten mit Zahlen belegt sind, die wir als SPD-Fraktion Damen und Herren, ich bin sicher, daß der Ver- mitgetragen haben und zu denen wir nach wie vor kehrsminister nachher mit Freude mitteilen wird, 7866 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 105. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. November 1984

Hoffmann (Saarbrücken) daß sich die Investitionen insbesondere auch für und wir gleichzeitig auch keine Mittel geben, die den Neustreckenbau beträchtlich erhöhen. Nun, das ersetzen, was betriebswirtschaftlich nicht er- man muß nur wissen, womit das bezahlt wird. bringbar ist, dann stimmt irgendwo die Logik nicht. (Hornung [CDU/CSU]: Mit dem Nulltarif, Hier genau könnte die Trennungsrechnung einset- den Sie immer gepredigt haben, sicherlich zen. Wenn aus richtigen regionalpolitischen Grün- nicht!) den entschieden würde, daß das Ausbesserungs- werk Weiden, Fulda oder Saarbrücken erhalten Man muß beispielsweise wissen, daß diese Konzen- bleiben muß — wofür ich bin —, dann muß selbst- tration der Investitionen auf den Neubaubereich verständlich auch ein logischer Weg entwickelt wer- faktisch damit bezahlt wird, daß in vielen Bereichen den, daß die sich nachher daraus möglicherweise des Nahverkehrs kein oder ein verschlechtertes An- ergebenden betriebswirtschaftlichen Schwierigkei- gebot mehr vorhanden sein wird oder die notwen- ten nicht auf das Konto der Bundesbahn gehen. dige Verbesserung des Angebots nicht stattfindet. Also muß der Träger der politischen Entscheidung (Beifall bei der SPD) sagen: Dafür geben wir dir einen entsprechenden Ausgleich; denn das ist regionalpolitisch notwen- Das ist eine gefährliche Tendenz. Deshalb sind wir dig. der Auffassung, daß hier etwas gemacht werden muß. (Kühbacher [SPD]: Oder Fremdaufträge!) Aber an dieser Stelle ist auch folgendes sehr Die GRÜNEN haben einen Antrag gestellt, der deutlich festzustellen. Wir haben hier über Jahre von uns in der Aussage und in der Tendenz geteilt diskutiert: Wie können wir die Bundesbahn in eine wird. Nur ist der Antrag leider Gottes technisch völ- fairere Finanzdiskussion hineinbringen? Es wird ja lig falsch. Denn um herauszufinden, wie diese be- oft über die Bahn als größter Schuldenbuckel der triebswirtschaftliche und volkswirtschaftliche Ko- Nation diskutiert, was mitunter sehr unfair ist, stenrechnung gemacht wird, ist zu Recht ein beson- wenn man weiß, was sich alles hinter den Zahlen derer Weg vorgeschrieben, nämlich daß die Bundes- verbirgt. Deshalb haben wir eine Diskussion über bahn mit ihren Entscheidungsgremien dies an den die Trennungsrechnung geführt, nämlich zu unter- Bundesverkehrsminister heranträgt. Dieser muß scheiden, wo die Bundesbahn betriebswirtschaftli- eine Stellungnahme abgeben, er muß sich mit dem che Eigenverantwortung hat und wo sie politische Finanzminister über seine Stellungnahme klar wer- Aufträge erfüllt, die aus durchaus rationalen Grün- den, er muß dann, wenn es nicht betriebswirtschaft- den von der Bundesbahn verlangt werden, deren lich kalkulierbar ist, die entsprechenden Kosten im Kosten sie aber selbst betriebswirtschaftlich nicht Bundeshaushalt einstellen. Nur hat der Verkehrs- einspielen kann. Diese Diskussion wird jetzt neuer- minister diese Hausaufgabe leider nicht erfüllt, dings vom Verkehrsministerium in den Wind ge- (Beifall bei der SPD) schrieben. Das bedauere ich sehr, weil wir nur durch eine Klärung dieser Frage die politischen leider Gottes sind auch die entscheidenden Gre- Entscheidungen über die Prioritäten beim Ver- mien bisher offensichtlich, jedenfalls offiziell, nicht kehrssystem wirklich fällen können. in der Lage, dies zu beziffern. Leider gibt es hier nach meiner Auffassung eine Vernebelung in allen (Abg. Hoffie [FDP] meldet sich zu einer diesen Standorten, weil auf der einen Seite eine Zwischenfrage) Bestandsgarantie ausgesprochen wird, auf der an- — Ich habe vorhin zuviel Zeit verloren. Es geht jetzt deren Seite aber keine finanziellen Konsequenzen leider nicht. gezogen werden. Deshalb sage ich nur: Herr Minister, wenn Sie (Beifall bei Abgeordneten der SPD) dieser Diskussion keinen Raum geben, wenn Sie Das muß geschehen; da muß etwas hinein. Nur bitte nicht überprüfen, wo betriebswirtschaftliche Eigen- ich um Verständnis, daß wir zwar Ihren Antrag in verantwortung und wo politischer Auftrag ist, dann der Tendenz für richtig halten; aber da er nun wirk- können Sie kein logisches Konzept für die Deutsche lich das Pferd von hinten aufzäumt, werden wir uns Bundesbahn entwickeln. So sieht es leider Gottes in dieser Frage enthalten, obwohl wir völlig der Auf- zur Zeit aus. fassung sind, daß die Grundsatzentscheidung hier (Beifall bei der SPD) in diesem Sinne gefällt werden kann. Ich will Ihnen das an einem Beispiel deutlich ma- Nächster Punkt. Wir haben einen Antrag gestellt, chen. Damit komme ich gleichzeitig auf einen An- der Ihnen auch vorliegt, zur Verbesserung des trag, den die GRÜNEN gestellt haben. Nehmen wir Lärmschutzes. Hier komme ich ebenfalls auf ein das Problem der Ausbesserungswerke der Deut- Thema, das ein bißchen kompliziert ist, das ich aber schen Bundesbahn. Worin liegt deren Problem? De- nur kurz anreißen kann. Wir haben vor längerer ren Problem liegt darin, daß wir auf der einen Seite Zeit die Diskussion über die Lärmschutzwerte ge- eine verringerte Reparaturanfälligkeit bei den Wag- habt, und wir haben dort alle miteinander kein Ge- gons haben, einmal, weil die Lebensdauer länger setz zustande bekommen, weil das Problem darin geworden ist, zum anderen, weil es Bestandsverrin- besteht, daß man bestimmte Lärmschutzwerte in gerung gibt usw. Natürlich schlägt sich das in der den Kommunen nicht durchsetzen kann. Denn de- betriebswirtschaftlichen Situation der Ausbesse- ren Finanzaufwendungen wären viel zu groß und rungswerke nieder. Wenn wir den Ausbesserungs- möglicherweise geht es in bestimmten Bereichen werken nun zwar eine Bestandsgarantie geben, sie auch technisch gar nicht. Wenn das aber bedeutet, aber keine Außenaufträge annehmen dürfen daß sich der Bund in seinen Möglichkeiten selbst Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 105. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. November 1984 7867

Hoffmann (Saarbrücken) kastriert und für den Schallschutz nichts mehr sen, der hat sich in den Finger geschnitten, und der macht, dann ist das nach meiner Auffassung eine hat keinerlei Ahnung, was auf uns zukommen wür- Sackgasse, in die wir hineingeraten. Deshalb ist es de, wenn man nur aus Ideologie Privatisierungsge- unsere herzliche Bitte, doch zu versuchen, aus die- danken nachhängt, die keinerlei sinnvollen Beitrag sen großen Titeln des Straßenbaus, des Autobahn- zur Verbesserung unserer verkehrspolitischen Si- baus umzuschichten, um exemplarisch zeigen kön- tuation bringen. nen, was man mit Schallschutzmaßnahmen machen (Beifall bei der SPD — Pfeffermann [CDU/ kann, damit wir in diesem Punkt endlich etwas wei- CSU]: Zur Sache haben Sie nichts gesagt, ter vorankommen. als „borniert" zu formulieren! — Weitere (Beifall bei der SPD) Zurufe von der CDU/CSU) - Bisher versteckt man sich immer hinter juristi- Als nächstes komme ich zur Naßbaggerei, was ich schen Klauseln. Dennoch ist es möglich, wenn man hier auch nicht im einzelnen deutlich machen kann. es wirklich will — von mir aus unter dem Begriff Ich kann Ihnen nur eines sagen, die Kollegen von „Modellvorhaben", damit es keinen entsprechenden CDU und FDP haben in den Haushalt bereits einen Rechtsanspruch im kommunalen Bereich gibt —, Einnahmetitel geschrieben bzw. eine Erhöhung vor- etwas zu tun. Hier hat der Bund aber eine Vorrei- genommen, weil ein entsprechender Bagger, der in terfunktion, und die soll er endlich ausnützen. öffentlicher Hand ist, verkauft werden soll. Was (Beifall bei der SPD — Kühbacher [SPD]: diese beiden Kollegen als Betrag eingestellt haben, Der Minister ist entscheidungsschwach! ist noch nicht ein Drittel dessen, was in der letzten Das ist es!) Zeit als Reinvestition öffentlich in diesen Bagger hineingeflossen ist. Wenn man es irgendwo deutlich Nächster Punkt. Herr Metz hätte am besten machen kann, selbst im technischen Detail: Es ist nichts zum Großversuch mit dem Tempolimit ge- wirklich blödsinnig, das über das Knie zu brechen sagt; und den Titel entsprechend aufzustocken, nur weil (Walther [SPD]: Jawohl!) es die Ideologie verlangt. Das ist dummes Zeug, denn was da in der parlamentarischen Beratung meine Damen und Herren. passiert ist, war für mich ein Gag besonderer Art. (Beifall bei der SPD — Zurufe von der Selbst in der Bereinigungssitzung des Haushalts- CDU/CSU) ausschusses wußten die Ministerien noch nicht ein- mal, wie sie es bezahlen sollten, und erst recht wuß- Deshalb sage ich Ihnen nur: Wenn Sie dieser Frage ten die Ministerien nicht, was sie mit dem Geld wirklich seriös nachgegangen wären, hätten wir in machen sollten. ein, zwei Jahren eine Bestandsaufnahme gemacht, was denn nun wirklich mit den Preisen geschehen (Zustimmung des Abg. Walther [SPD]) wäre, und uns noch einmal darüber unterhalten. Sie Dabei hat aber das Parlament selbst Anhörungen wollten jetzt einen schnellen Erfolg in der Privati- zu diesem Thema durchgeführt; dicke Wälzer, Gut- sierung vorweisen achten liegen alle vor. Weil Sie nicht den politischen (Metz [CDU/CSU]: Zehn Jahre!) Mut haben, hier eine Entscheidung zu fällen, schie- ben Sie das auf die lange Bank und wissen noch und haben deshalb etwas Törichtes gemacht. nicht einmal, wie das Projekt durchgeführt werden Der nächste Punkt ärgert mich wirklich: Es gab soll. Das ist ein Armutszeugnis ersten Ranges, eine lange Diskussion in bezug auf zwei Haushalte, meine Damen und Herren. Forschung und Technologie und Verkehr, über den (Beifall bei der SPD — Pfeffermann [CDU/ Neubau des Forschungsschiffs „Meteor". Wir wa- CSU]: Das ist in der Sache unzutreffend, ren uns alle einig, daß es gebaut werden sollte. Da was Sie da sagen! — Zuruf von der CDU/ haben Sie wieder Privatisierungsideologie im Hirn CSU: Das stimmt doch gar nicht! — Wei gehabt und gesagt: Das muß natürlich privat beree- tere Zurufe von der CDU/CSU) dert werden. Dann haben Sie das schnell beschlos- Nächster Punkt. Es lohnte sich, länger darüber sen, und es gab eine Ausschreibung. Meine Bitte an nachzudenken, aber mangels Zeit geht das auch die betroffenen Ministerien war, daß das Deutsche hier nur sehr kurz: Was im Verkehrshaushalt unter Hydrographische Institut, also eine nachgeordnete dem Stichwort „Privatisierung" läuft, ist nach mei- Behörde des Verkehrsministeriums, eine faire ner Auffassung bornierte Ideologie. Chance haben sollte, sich an dieser Ausschreibung zumindest zu beteiligen, um nachweisen zu können, (Beifall bei der SPD) ob es das könnte oder nicht. Wissen Sie, was Sie Ich sage Ihnen nur mal ganz grob drei Beispiele. gemacht haben? Sie haben die Leute schlicht und Wer wirklich glaubt, es habe Sinn, die Lufthansa zu einfach um eine faire Chance beschissen. Das ist privatisieren, weil sie gute Erträge hat, der muß die Wahrheit. Das ist ein bißchen kräftig, aber es ist sich schon volkswirtschaftlich, betriebswirtschaft- trotzdem die Wahrheit. lich und verkehrspolitisch ein bißchen mehr einfal- (Dr.-Ing. Kansy [CDU/CSU]: Das ist Fäkal len lassen und der muß auch überlegen, wie die sprache!) Lufthansa innerhalb der internationalen Konkur- renz geschwächt oder gestärkt werden kann. Wer Es ist nachweislich so, daß die hinters Licht geführt dann glaubt, nur aus Buchhaltermanier, mit der worden sind, nur damit die Privatisierungsideologie dicken Buchhalternase könne er dieses Problem lö einen greifbaren Erfolg hat. Meine Damen und Her- 7868 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 105. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. November 1984

Hoffmann (Saarbrücken) ren, wenn das Politik ist`? — Na ja, die geht mit haltsdebatten auch für den Bürger draußen wirk- Ihnen nach Hause. lich einen Sinn haben sollen, (Beifall bei der SPD) (Zuruf von der SPD: Müssen Sie kom Da ich nun mit meiner Zeit leider Gottes am men!) Ende bin, will ich nur sagen, warum ich am Anfang darum gebeten habe, daß der Finanzminister per- muß hier verdeutlicht werden, welche politischen sönlich hier ist. Herr Dollinger, ich glaube — wenn Grundsatzpositionen sich jeweils hinter Zahlenwer- ich mir gestatten darf, das zu sagen —, daß Sie ein ken verbergen. Hier geht es um den größten Inve- angenehmer Zeitgenosse sind, stitionshaushalt des Bundes im nächsten Jahr, nämlich um Ausgaben in Höhe von 25 Milliarden (Zuruf von der CDU/CSU: Im Gegensatz zu - DM Steuergeldern. Ich meine, der Bürger hat einen Ihnen!) Anspruch darauf, zu erfahren, wie denn der Ver- aber, bei aller Sympathie, das, was Verkehrspolitik kehr der Zukunft bei uns funktionieren soll, in wel- gestaltet oder was den finanziellen Rahmen der chem Umfang und unter welchen Bedingungen er Verkehrspolitik setzt, geschieht leider nicht in Ih- auch in den kommenden Jahren noch selber und rem Haus, sondern beim Finanzminister, der Ihnen frei entscheiden darf, welches Verkehrsmittel er be- praktisch diktiert, was los ist — und nicht in einem nutzt. Die Wirtschaft muß wissen, wie die Waren Dialog. Der haut Ihnen vielmehr auf die Birne, was zwischen Produktionsstätten und Absatzmärkten Sie dann entsprechend zu machen haben. transportiert werden sollen. Es muß Klarheit dar- (Beifall bei der SPD) über bestehen, welche Rolle das Verkehrswesen mit rund 82 000 Unternehmen und rund 950 000 Mitar- Das heißt, Sie können gar keine eigenen Schwer- beitern, die weit über 100 Milliarden DM Umsatz punkte mehr bilden, Sie brauchen nur in die Zahlen erwirtschaften, künftig spielen soll. hineinzusehen, die Ihnen der Finanzminister in der mittelfristigen Finanzplanung aufgedrückt hat, um Meine Damen und Herren, Bürger und Wirt- festzustellen, daß an der Frage: Wie kann man in schaft haben offensichtlich noch nicht ausreichend der Verkehrspolitik gewichten?, überhaupt nichts zur Kenntnis genommen, was eigentlich die neue mehr dran ist. Verkehrspolitik von GRÜNEN und Sozialdemokra- in Wirklichkeit bedeutet. Das Schlimmste, was Sie dann gemacht haben — ten ich bin sofort fertig —: (Drabiniok [GRÜNE]: Wir rechnen Ihnen (Pfeffermann [CDU/CSU]: Es wird auch das gleich vor!) Zeit, daß Sie fertig werden!) Die Position der GRÜNEN ist klar, sie ist auch In den internationalen Verhandlungen, wo Sie sel- unmißverständlich. Sie verlangt ganz konkret: er- ber einen Handlungsspielraum gehabt hätten, ha- stens die Einstellung des innerdeutschen Luftver- ben Sie die Wettbewerbsverhältnisse, beispiels- kehrs, zweitens den sofortigen Baustopp für alle weise für die deutschen Lkw, drastisch verschlech- Bundesstraßen und drittens die sukzessive Ab- tert. schaffung des Straßengüterverkehrs. (Pfeffermann [CDU/CSU]: Herr Präsident, (Beifall des Abg. Drabiniok [GRÜNE]) gibt es hier Beleidigungszuschläge bei den Redezeiten?) Mit Verboten und Geboten sollen die Bürger aufs Letzter Satz: Wir haben die einmalige Chance ge- Fahrrad, auf Bus und Schiene gezwungen werden. habt, zum erstenmal eine UNO-Institution in die Wir haben dann vielleicht eine gesündere Eisen- Bundesrepublik zu bekommen, den Seegerichts- bahn. Wir haben vielleicht volle Busse und auch ausreichend Radwege. Aber das wäre auch das hof - - Ende der Mobilität und der Individualität.

Vizepräsident Wurbs: Herr Abgeordneter, sie sag- (Zuruf von den GRÜNEN: Totales Blech!) ten: „Noch einen Satz." Ich bitte, zum Schluß zu Es wäre der Verzicht auf die Leistungskraft unserer kommen. Wirtschaft und auf Arbeitsplätze im Straßenbau, der Automobilindustrie und im Güterverkehrsge- Hoffmann (Saarbrücken) (SPD): Durch die Art und werbe. Weise, wie Sie die Seerechtskonvention behandelt (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) haben, ist uns die einmalige Chance verlorengegan- gen, endlich einmal eine UNO-Institution in die Die Anträge der GRÜNEN zum Verkehrshaus- Bundesrepublik zu bekommen. Das geht mit Ihnen halt sind insofern ja nur die sichtbare Spitze eines nach Hause. grünen Eisberges. (Beifall bei der SPD) (Lachen bei den GRÜNEN) Aber der darunter liegende ideologische Brocken Vizepräsident Wurbs: Das Wort hat der Abgeord- tritt schon deutlich zutage. nete Hoffie. (Zurufe von GRÜNEN) Hoffie (FDP): Herr Präsident! Meine sehr verehr- Sicher sagt es dem Bürger überhaupt nichts, ten Damen und Herren! Ich meine, wenn Haus- wenn die GRÜNEN in ihrem Antrag schreiben, Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 105. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. November 1984 7869

Hoffie daß der Tit. 74 123 in Kap. 12 10 des Verkehrshaus- Immerhin, hier weiß man, woran man bei den haltes gestrichen werden soll. GRÜNEN ist, wie ihr Weltbild einer neuen Ver- kehrsgesellschaft wirklich aussieht. (Kühbacher [SPD]: Aber, Herr Hoffie!) (Drabiniok [GRÜNE]: Sie können mir aber Deshalb muß hier Klartext gesprochen werden. Die- leid tun, Herr Hoffie!) ser Antrag ist nichts anderes als der sofortige Ver- zicht auf sämtliche 527 Bundesstraßen-Neubauvor- Dagegen liegt noch sehr stark im Nebel das Ende haben, die zum großen Teil bereits begonnen und der verkehrspolitischen Wendemanöver der SPD. für die schon über 530 Millionen DM ausgegeben 13 Jahre lang haben Sie gemeinsam mit der FDP worden sind. eine Verkehrspolitik verantwortet, die alles in allem - (Drabiniok [GRÜNE]: Ausgegossen, das ist gesehen einen vernünftigen ordnungspolitischen richtig!) Rahmen geschaffen hat. In dieser Zeit haben Sie auch die Grenzen einer verantwortungsgerechten Sagen Sie das, Herr Drabiniok, den Bürgern drau- Haushaltspolitik wenigstens im Verkehrsbereich ßen, gesehen. Heute, kaum aus der Verantwortung ent- lassen, kennen Sie diese Grenzen nicht mehr. (Frau Nickels [GRÜNE]: Sagen wir Ihnen auch!) (Beifall bei der FDP) die schon seit Jahren unter Lärm, unter Abgasen Ihre Forderung nach 1,1 Milliarden DM mehr für und Verkehrsgefahren leiden und auf ortskernent- die Bahn und 200 Millionen DM mehr für den öf- lastende Umgehungsstraßen warten — denn zum fentlichen Personennahverkehr ist haushaltspoli- größten Teil handelt es sich um solche —, die Sie tisch und von den verkehrspolitischen Inhalten her nun alle mit dem grünen Rotstift streichen wollen. genau das, was Sie damals in der Regierungsver- (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU — antwortung völlig zu Recht als absolut unverant- Frau Nickels [GRÜNE]: Sie sind ja schon wortlich bezeichnet haben; ganz heiser, Herr Hoffie!) (Hoffmann [Saarbrücken] [SPD]: Sie ha — Stimmt; weil es so schwer ist, gegen Ihr Geschrei ben falsche Zahlen!) und Ihre Zwischenrufe anzukämpfen. von Ihrem Deckungsvorschlag, das Geld dem Ver- Sagen Sie das den 108 000 Arbeitnehmern allein teidigungsetat zu entnehmen, einmal ganz abgese- im Straßenbau, von denen Sie einen großen Teil in hen. Früher haben Sie immer gesagt: Das machen die Arbeitslosigkeit entlassen wollen. Und dann sa- wir alles mit der Erhöhung der Mineralölsteuer; gen Sie, ob sie die alle in Ihren alternativen Betrie- noch letztes Jahr. Dann habe ich Ihnen vorgerech- ben oder auf hochqualifizierten Plätzen irgendwo net, daß das 25 Pfennige pro Liter macht. Dann im Umweltschutz unterbringen können. merkten Sie, daß das nicht publikumswirksam ist. Deshalb haben Sie das zurückgezogen, und jetzt Sicher sagt es dem Bürger auch überhaupt nichts, sind Sie beim Verteidigungshaushalt. wenn die GRÜNEN fordern, den Tit. 821 11 zu strei- chen. So schlicht steht es da. Dabei wird dann die Natürlich, meine Damen und Herren, bleibt die ganze Haushaltsschizophrenie der sogenannten Deutsche Bundesbahn wie seit Jahren auch jetzt ökologischen Partei deutlich. Im Klartext heißt das noch ein rollendes Haushaltsrisiko. Aber die ersten nämlich, daß zwar die Mittel für den Autobahnneu- Bremsspuren bei der Talfahrt sind deutlich zu er- bau in Höhe von 1,24 Milliarden DM bleiben sollen, kennen. Die eigenen Erträge werden in diesem Jahr im gleichen Atemzug aber alle Ausgaben für den voraussichtlich um ca. 500 Millionen DM steigen. dafür zunächst einmal notwendigen Grunderwerb Unser Bahnkonzept zeigt also weitere Wirkung. gestrichen werden. (Zuruf von den GRÜNEN) In Ihr grünes Verkehrsbild paßt dann auch noch nahtlos, daß Sie Wasserstraßenbaumaßnahmen, für Die Bahn erhält mit diesem Haushalt 54 % aller die bereits Hunderte von Millionen D-Mark ausge- Mittel aus dem Verkehrsetat. Im nächsten Jahr er- geben worden sind — folgt eine Erhöhung der Zuschüsse um rund 250 Millionen DM. Das schafft Zukunft für die Bahn, (Zuruf von den GRÜNEN: Sinnlos!) aber nur dann, wenn die entscheidenden Vorgaben da geht es eben nicht nur um den Rhein-Main- aus den Leitlinien dieser Regierung konsequent Donau-Kanal, sondern da geht es um ganz normale auch von politischer Seite abgedeckt werden. und vernünftige Maßnahmen am Main und an der Saar mit einer Investitionssumme von über 221 Mil- (Zuruf der Abg. Frau Nickels [GRÜNE]) lionen DM —, für 1985 stoppen wollen. Seitens der FDP, Herr Bundesverkehrsminister, ha- (Drabiniok [GRÜNE]: Aber, Herr Hoffie!) ben Sie jedenfalls für diese Leitlinien die uneinge- schränkte Unterstützung. Sie können die Anlage von Feuchtbiotopen und noch mehr Arbeitslosigkeit in der Tat billiger ha- (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU — ben. Zurufe von der SPD und den GRÜNEN) (Schreiner [SPD]: Sie sind ein wandernder Wir stehen auch zur Verantwortung des Bundes Feuchtbiotop!) für den öffentlichen Personennahverkehr — Herr 7870 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 105. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. November 1984

Hof fie Hoffmann hat das ja in den Mittelpunkt seiner Aus- Meine Damen und Herren, das hat nicht nur mit führungen gestellt —, der Frage nach dem Geld zu tun. Sie reden von der (Zuruf des Abg. Waltemathe [SPD]) großen Eigenverantwortung, von der Selbstbestim- mung, von der Selbstverwirklichung, vom sorgfälti- obwohl hier ja in erster Linie die Länder, die Kreise gen Umgang und der Schonung der Ressourcen, und die Gemeinden zuständig sind. von Umweltbewußtsein. Aber während dies zu aller- Deshalb muß endlich einmal mit der ebenso pu- erst von den GRÜNEN auch hier im Deutschen blikumswirksamen wie falschen Parole von SPD Bundestag erwartet werden dürfte, reisen Sie, wie und GRÜNEN aufgeräumt werden, daß diese Regie- wir das jetzt mehrfach beobachtet haben und wie es rung den öffentlichen Personennahverkehr benach- jeder weiß, mit Autos und Flugzeugen zu Demon- teiligt. - strationen, (Hoffmann [Saarbrücken] [SPD]: Das (Zuruf des Abg. Drabiniok [GRÜNE]) stimmt doch!) da lassen Sie sich durch die Fahrbereitschaft des Deutschen Bundestags die Schnapsflasche besor- — Herr Hoffmann, das genaue Gegenteil ist der gen, da fahren Sie Autos, die bei der von uns gegen Fall. Ihren Widerstand durchgesetzten jährlichen Abgas- (Zurufe von der SPD) kontrolle als größte Abgasgiftverursacher ihr Ich will Ihnen das an nur wenigen konkreten Zah- blaues Wunder erleben werden. len belegen. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Unabhängig vom kommunalen Straßenbau för- Also, meine Damen und Herren, hören Sie auf dert der Bund den öffentlichen Personennahver- mit dem Geschwätz, diese Bundesregierung er- kehr in diesem Jahr mit fast 1,27 Milliarden DM. kenne nicht ausreichend die verkehrsbedingten Das sind 35 Millionen DM mehr, als die soziallibe- Umweltbelastungen. Wir stellen uns wie keine an- rale Koalition in der mittelfristigen Finanzplanung dere Regierung zuvor dieser Verpflichtung, die aus vorgesehen hatte. Im nächsten Jahr sind es über 1,3 dem Gewinn an Mobilität, aus Wirtschaftswachs Milliarden DM. Das, meine Damen und Herren, tum, aus veränderten Siedlungsstrukturen, zuneh- sind dann 91 Millionen DM mehr, als Herr Hauff mender Arbeitsteilung, mehr Freizeit und ständig für 1985 ausgeben wollte. Die Zuwachsraten halten steigender Verkehrsnachfrage entstanden ist. Wir auch für die nächsten Jahre an. haben für Autos die strengsten Abgaswerte der Welt beschlossen, die in den USA erst in zwei, drei Und da kommen Sie heute hierher und sagen: Jahren wirksam werden. Niemand zweifelt hier an Für den öffentlichen Personennahverkehr brau- unserer Schrittmacherrolle in Europa. chen wir mehr Mittel! (Zuruf von den GRÜNEN) (Dr. Jannsen [GRÜNE]: Doch nicht erst seit heute!) Jeder, der seinen Beitrag dazu leisten will, daß sein Auto schadstoffarm fährt, kann das heute schon Das, was Sie selbst an Mittelbereitstellung vorge- tun, sehen hatten — das wollen Sie heute nicht mehr wahrhaben —, war erheblich weniger. Damals ha- (Schreiner [SPD]: Freie Fahrt für den Ab ben Sie gesagt: Das ist eine vernünftige Politik. geordneten Hoffie!) Jetzt wollen Sie neue Sonderfinanzierungen, weil wie ja auch niemand gehindert ist, schon heute Sie den Bürger glauben machen wollen, man müsse Tempo 100 zu fahren. Und wer immer nur nach dem nur genug Geld in öffentliche Verkehrsmittel hin- Gesetzgeber und nach der Gängelei des Mitbürgers einpumpen, dann stiegen über Nacht 24 Millionen und des Nachbarn ruft, bevor er dann selbst verant- Pkw-Fahrer auf Bus und Schiene um. wortlich handelt, Da genügte ein einziger Blick in den Landkreis (Frau Nickels [GRÜNE]: Wir gehen lieber am Bodensee, wo man das sogenannte Rufbussy- in den Wald!) stem praktiziert hat. Da hat man von der Konzep- der sollte aufhören, sich mit dem Heiligenschein tion her die Möglichkeit, an das nächste Telefon zu des Umweltapostels zu umgeben. gehen, den Hörer abzunehmen, sich ein Fahrzeug an die nächste Ecke zu bestellen und dann unmit- (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) telbar an jeden anderen Punkt im Landkreis beför- Unserer Verantwortung für die Umwelt werden dert zu werden. wir auch und ganz besonders im Straßenbau ge- recht. (Bindig [SPD]: Das ist gescheitert!) (Drabiniok [GRÜNE]: Ha!) — Das ist so gescheitert; Sie sagen das richtig von der SPD. Sie haben damit nicht mehr erreicht, als Wir wollen Straßenbau nach Maß. monatlich 200 Menschen mehr in die öffentlichen (Zuruf des Abg. Drabiniok [GRÜNE]) Nahverkehrsmittel zu bekommen, und das bei ei- Ich habe das für die FDP mehrmals gesagt. Wir wol- nem System, welches das Optimum an Fahrthäufig- len nämlich Straßen, die Ortskerne entlasten und keit und Abrufmöglichkeit darstellt, das man sich dem Umweltschutz dienen. Denn es geht eben nicht überhaupt vorstellen kann, noch darüber hinaus zu nur um den Wald. Es geht auch um die Menschen, Straßenbahntarifen. die in vielen Städten und Gemeinden seit Jahrzehn- (Zuruf des Abg. Drabiniok [GRÜNE]) ten in Abgas und Lärm krank werden. Es ist unso- Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 105. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. November 1984 7871

Hoffie zial, in diesem Bereich auf Verkehrsberuhigung zu trachtung einzelner Verkehrsträger beschränkt. Sie verzichten und weiter mit anzusehen, daß die, die es läßt völlig außer acht, daß es volkswirtschaftliche sich leisten können, ins grüne Umland abwandern und ökologische Aspekte gibt, die durch Ihre ver- und die sozial Schwachen und die alten Menschen kehrspolitischen Ziele, Herr Dollinger, zugunsten und die Arbeitslosen und die Ausländer dort zu- privater Verkehrs- und Straßenbaubetriebe geop- rückbleiben, wo zwar nicht der Wald, aber die Le- fert werden. bensqualität der Bürger stirbt. (Burgmann [GRÜNE]: Genauso ist es!) (Zuruf des Abg. Dr. Jannsen [GRÜNE]) Mehr noch: Durch diese Verkehrspolitik belasten Dieser Verkehrshaushalt ist ein gesunder und Sie die Volkswirtschaft um mehr als das Doppelte vernünftiger Ausgleich zwischen arbeitsplatzschaf- des Volumens Ihres Etats. Diese Auskünfte haben fenden Investitionen, die fast die Hälfte des Etats Sie uns selbst gegeben, in der — ansonsten, wie es beanspruchen, und einer Politik, die ein funktionie- die „Frankfurter Rundschau" nannte, „erbärmli- rendes Verkehrswesen in einer freien Gesellschaft chen" — Antwort auf unsere Große Anfrage zu den garantiert. Dieser Haushalt gibt der Bahn die not- gesellschaftlichen Kosten des Autoverkehrs. wendigen Mittel für die Neubaustrecken für neue Anstrengungen zu einem besseren Verhältnis zwi- Ich will der Aussprache zu dieser Anfrage gar schen öffentlichem und Individualverkehr. Er nicht vorgreifen, aber im Zusammenhang mit dem macht mehr Verkehrssicherheit möglich. Er verbes- Verkehrshaushalt sind doch einige Zahlen, die Sie sert die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Schif- genannt haben, ganz interessant, vor allem deshalb, fahrt. Dieser Haushalt stellt sich auch der Verant- weil durch Ihren Verkehrshaushalt die Investitio- wortung im Straßenbau. Sonst müßten wir die freie nen volkswirtschaftlich kontraproduktiv werden. Wahl der Verkehrsmittel, die die FDP ausdrücklich (Lemmrich [CDU/CSU]: Passen Sie auf, bejaht, aufgeben, daß Sie die Zeilen nicht verwechseln!) (Zuruf des Abg. Drabiniok [GRÜNE]) Herr Verkehrsminister, Sie haben in der Antwort die Mobilität des Bürgers und die Leistungsfähig- die kalkulatorischen Gesamtkosten des Verkehrs- keit der Wirtschaft aufgeben. Denen, die diese Ziele weges Straße mit einer 2,5 %igen Kapitalverzinsung auf dem Weg in eine andere Gesellschaft unter die in Rechnung gestellt. Danach belaufen sich nach Räder kommen lassen wollen, stellen wir uns mit Berechnungen des DIW die Gesamtkosten des Stra- diesem Verkehrshaushalt, dem die FDP ihre Zu- ßenverkehrs auf rund 30 Milliarden DM jährlich. stimmung gibt. Hätten Sie aber — wie Sie es selbstverständlich bei Herzlichen Dank. der Bahn tun — den realistischen Zinssatz von 6 % (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) angewendet, kämen Sie auf 42,5 Milliarden DM jährlich. Mit diesem jämmerlichen Täuschungsver- such haben Sie versucht, die tatsächlichen Kosten Vizepräsident Westphal: Das Wort hat der Abge- des Straßenverkehrs zu verheimlichen. Sie sollten ordnete Drabiniok. eigentlich in den letzten Monaten gemerkt haben, daß Ihre Tricksereien bei uns nicht so leicht durch- Drabiniok (GRÜNE): Herr Präsident! Meine sehr kommen. verehrten Damen und Herren! Liebe Freundinnen Auch das Arbeitsplatzargument, Herr Hoffie, als und Freunde! Herr Hoffie, diese Rede hätten Sie Begründung für weiteren Straßenbau hält einer sich eigentlich sparen können, weil das, was Sie Überprüfung nicht stand. Herr Verkehrsminister, gesagt haben, die Bürger sicher überhaupt nicht Sie schreiben in der Antwort, daß eine Milliarde interessiert. Ich werde versuchen, zu zeigen, was DM Investitionen 18 000 bis 20 000 Arbeitsplätze im Sie mit Ihrer Verkehrspolitik hier vollführen. Straßenbau schafft. Wie erklären Sie sich, daß eine Dieser Verkehrshaushalt mit einer Gesamt- interne Berechnung Ihres eigenen Ministeriums summe von über 25 Milliarden ist darauf ausgelegt, vom 18. August 1983 eine Spanne von 13 700 Ar- mehr Verkehr zu erzeugen, auf den Straßen, in den beitsplätzen beim Bundesfernstraßenneubau bis Kanälen und in der Luft. Auf dem Deutschen Stra- 19 900 Arbeitsplätze im ÖPNV ausweist? Wieder ßenverkehrstag haben Sie, Herr Verkehrsminister, einmal ein kleiner Täuschungsversuch, Sie Schlin- (Zuruf des Abg. Lemmrich [CDU/CSU]) gel. unlängst davon gesprochen, daß der individuelle (Zurufe von der CDU/CSU) Pkw-Verkehr um 20 %, der Straßengüterverkehr um Die Untersuchung des Grundsatzreferats im BMV 50 % und die Luftfracht um 80 % steigen sollen, daß hat gezeigt, daß die Investition von einer Milliarde weiterer Straßenbau also unerläßlich sei. 2 500 km DM im Fernstraßenbau nur 16 400 Arbeitsplätze neue Autobahnen und über 5 000 km neue Bundes- schafft und damit noch weit unter dem Durch- straßen seien notwendig, so betonten Sie, um den schnitt der Beschäftigungswirksamkeit aller Verkehr der Zukunft zu bewältigen. Diese Aussa- Staatsinvestitionen mit 19 600 Arbeitsplätzen je gen stammen aus einer Prognose, der Ihre ideolo- 1 Milliarde DM zurückbleibt. gisch geprägten Annahmen zugrunde liegen: er- stens ein 3 %iges Wirtschaftswachstum, zweitens (Hinsken [CDU/CSU]: Wer hat Ihnen das die Verkehrspolitik der Vergangenheit fortsetzen. ausgerechnet?) Herr Verkehrsminister, das ist eine Verkehrspo- — Wir können gut selber rechnen, der Minister litik, die sich auf die betriebswirtschaftliche Be- nicht. Den müßten Sie einmal fragen. 7872 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 105. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. November 1984

Drabiniok Eigentlich wären das schon Gründe genug, unse- Der Schiffsverkehr wird von privaten Binnen- ren Änderungsanträgen zur Streichung der Mittel schiffern betrieben, die diese Verkehrsträger na- zur Erneuerung, zum Um-, Aus- und Neubau von hezu kostenlos nutzen können und darüber hinaus Bundesfernstraßen sowie zum Grunderwerb für noch von der Mineralölsteuer befreit sind, ebenso Bundesautobahnen und Bundesstraßen zuzustim- wie der Flugverkehr. Die Bahn aber muß Mineralöl- men und die freiwerdenden Mittel der Bahn zuzu- steuer zahlen. Das ist eine Wettbewerbsverzerrung führen. zu Lasten der Bahn mit einem Volumen von jähr- lich 230 Millionen DM. (Dr. Rose [CDU/CSU]: Der komische An trag kam von dir! — Zuruf von der CDU/ (Kohn [FDP]: Wie können Sie solchen Un CSU: Lesen Sie doch ein bißchen langsa sinn erzählen?) - mer!) Insgesamt zahlen die Steuerzahler jährlich die Die Titelangaben entnehmen Sie dem Antrag. nichtgedeckten Wegekosten der Binnenschiffahrt in Höhe von 1,5 Milliarden DM. Aber einen wesentlichen Grund möchte ich noch anführen: die Unfallfolgekosten. (Carstensen [Nordstrand] [CDU/CSU]: Schmeißen Sie bloß den Mitarbeiter her (Pfeffermann [CDU/CSU]: Er muß das aus aus, der Ihnen diese Rede geschrieben gleichen, weil er selber so ein großer Um hat!) weltverschmutzer ist!) Zusätzlich macht die Bahn durch die beiden ge- — Herr Pfeffermann, Sie müssen noch ein paar nannten Schiffahrtsstraßen einen jährlichen Ver- Sprüche machen, damit Sie einmal hier herausge- lust im Gütertransport von rund 225 Millionen DM. schmissen werden. Ähnlich sieht es beim Straßenverkehr aus. Dort (Lachen bei Abgeordneten der CDU/CSU) sind die Wegekosten zu 16 Milliarden DM nicht ge- deckt. Durch den systematischen Kahlschlag bei Diese Unfallfolgekosten belaufen sich jährlich auf der Bahn, den Ausbau des Staßennetzes und die 37 Milliarden DM, von denen nur etwa 15 Milliar- Genehmigung von weiteren Konzessionen für den den DM von den Kraftfahrzeugversicherungen ge- Güterkraftverkehr werden die Wettbewerbsbedin- tragen werden. 22 Milliarden DM werden demnach gungen im Güterverkehr ebenfalls zu Lasten der von der Allgemeinheit in Form von Kranken- und Bahn verschlechtert. Durch die Erteilung von 2 100 Rentenversicherung aufgebracht. Die gesamten Un- neuen Genehmigungen für den Bezirksgüterver- fallfolgekosten des Straßenverkehrs summieren kehr geht der Bahn ein Frachtaufkommen verloren, sich auf über eine Billion DM seit 1945. Das Leid das bei ihr mit 130 Millionen DM jährlich negativ zu der Betroffenen kann mit diesen Zahlen überhaupt Buche schlägt. Diese 130 Millionen DM sahnt somit nicht wiedergegeben werden. das private Güterkraftgewerbe ab. Sie, Herr Ver- Meine Damen und Herren, die ökologischen kehrsminister, haben durch Senkung der Wegeko- Aspekte des Straßenbaus habe ich bewußt aus die- stendeckungsbeiträge bei einzelnen Bahnstrecken sem Beitrag heraushalten wollen. Ich habe Ihnen wieder eine Chance, diese stillzulegen. nachweisen wollen, daß Ihre eigenen Argumente (Lemmrich [CDU/CSU]: Da haben Sie mal für den Bundesfernstraßenbau einer genauen Be- wieder die Vorlage nicht richtig durchgele trachtung der Wirtschaftlichkeit nicht standhalten. sen! Sie sollten selber lesen, nicht lesen las (Pfeffermann [CDU/CSU]: Ihre Schreiber sen!) linge haben das nachweisen wollen, Sie — Herr Lemmrich, Sie müssen auch öfter einmal nicht!) denken und nicht denken lassen. Jeder neue Autobahnkilometer ist somit ein verant- Alles in allem: Das ist keine Verkehrspolitik, das wortungsloser Umgang mit Steuergeldern. ist Betrug am Steuerzahler. Es gehört schon eine Genauso unverantwortlich sind Ihre verkehrspo- pervertierte politische Grundhaltung dazu, diese litischen Rahmenbedingungen, die dazu führen, Auswirkungen in Kauf zu nehmen und mit dieser daß konkurrierende Verkehrsträger gefördert wer- verschwenderischen Politik fortzufahren und diese den. Dies führt zu Wettbewerbsverzerrungen, die noch als vernünftigen Umgang mit Steuergeldern insgesamt den sinnvollsten Verkehrsträger, die zu bezeichnen. Schiene, am schwersten treffen. Hinter dieser Poli- Es ist nicht zu glauben, mit welcher Dreistigkeit tik steckt die Absicht der Bundesregierung, die Ge- Sie konkurrierende Verkehrsträger mit marktwirt- winne zu privatisieren und die Verluste der Allge- schaftlichem Scheinargumentieren subventionie- meinheit aufzudrücken. Diese Politik wird deutlich, ren und den volkswirtschaftlich sinnvollsten Ver- wenn man sich einige wettbewerbsverzerrende Ent- kehrsträger, die Schiene, zu Lasten der Umwelt, der scheidungen genauer ansieht. Sicherheit und der Steuergelder systematisch ka- Betrachten wir zuerst die Wegekosten, die die puttmachen. Die Verpflichtung, verantwortungsvoll Bahn selber tragen muß. Der Wegekostendeckungs- mit Steuergeldern umzugehen — dabei gilt es auch, grad des Rhein-Main-Donau-Kanals und der Saar- die Folgekosten zu berücksichtigen —, zwingt dazu, kanalisierung bei Baukosten von 9 Milliarden DM einem Verkehrsträger den Vorrang zu geben. Dies wird höchstens 7% betragen. Das heißt, diese Bau- kann nur die Schiene sein. ten und deren Unterhalt werden aus Steuergeldern (Zuruf von der CDU/CSU: Bis hin zur bis zu 93 % subventioniert. Garage!) Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 105. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. November 1984 7873

Drabiniok Der volkswirtschaftliche Nutzen wäre immens. Die da dies gemäß § 14 Abs. 3 Satz 2 Bundesbahngesetz Beiträge der Sozial-, Kranken- und Rentenversiche- dem Verkehrsminister obliegt, ist davon auszuge- rung würden durch Senkung der Verkehrsunfallfol- hen, daß eine Stillegungsentscheidung auch gefällt gekosten für alle sinken. wird. Dann steht Minister Dollinger im Wort! Dann (Zuruf von der CDU/CSU: Er läßt mit Bun erst kommt die Stunde der Wahrheit! Will er dann destagswagen in Düsseldorf seine Genos seine Zusage einhalten und die Genehmigung zur sen abholen!) Stillegung versagen, so ist der Bund nach § 28 a Bundesbahngesetz dazu verpflichtet, der Bundes- Gleichzeitig würde eine Erhöhung der Lebensquali- bahn die damit verbundenen Mehraufwendungen tät durch die Senkung der Belastung durch den und Investitionsausgaben auszugleichen. Straßenverkehr erreicht werden. Unter anderem - würde die ökologische Folgekostenlawine, insbe- Dazu bedarf es jedoch der Zustimmung des sondere übrigens beim Waldsterben, gebremst. Herrn Finanzministers, der hier fehlt. Aber Herr Minister, da fällt mir ein: (Pfeffermann [CDU/CSU]: Gucken Sie erst mal auf Ihre paar Hanseln, die da sind!) (Zuruf von der CDU/CSU: Soviel Zeit ha ben Sie?) Der hat jedoch bereits seine Entscheidung gefällt und angekündigt, es gibt keinen Pfennig. Kein Wun- Ich weiß gar nicht, ob ich Sie überhaupt Minister der also, daß im Haushaltsentwurf für 1985 tatsäch- nennen darf, denn Minister heißt doch, wenn ich lich keine Mittel für den Erhalt von Ausbesserungs- mich nicht irre, „Diener des Volkes" und nicht „Die- werken der Bahn enthalten sind. ner einzelner Interessengruppen". Ohne die Bereitstellung dieser gesetzlich vorge- (Zuruf von der CDU/CSU: Nur Diener! — schriebenen Ausgleichszahlungen ist der Wort- Lemmrich [CDU/CSU]: Latein hat er noch bruch des Verkehrsministers nicht nur vorprogram- nicht gelernt!) miert, sondern bereits heute im Haushaltsplan fest- Hören Sie deshalb auf, der Automobil- und Straßen- geschrieben. baulobby zu ministrieren. (Pfeffermann [CDU/CSU]: Quatsch!) (Dr. Rose [CDU/CSU]: Und Sie der Eisen Trotzdem betreibt Minister Dollinger weiterhin bahn!) sein schamloses Verwirrspiel nach dem Motto, vie- — Der Eisenbahn ministriere ich sehr gerne. les erledigt sich durch Liegenlassen; Hauptsache ist Ich bitte Sie im Interesse einer volkswirtschaft- es, Zeit zu gewinnen. Das alles wird auf den Schul- lich sinnvollen Verkehrspolitik, unseren Anträgen tern der Eisenbahner ausgetragen, die dem Ver- zuzustimmen. kehrsminister ohnehin völlig schnuppe sind, hat er sich doch mit Haut und Haaren der Autolobby ver- (Pfeffermann [CDU/CSU]: Das täte uns schrieben. einfallen!) (Zuruf von der FDP: Nicht mit Ihren Haa Einer dieser Anträge bezieht sich auf das jüngste ren! — Pfeffermann [CDU/CSU]: Eine „grü Piratenstück des Herrn Dollinger: die beabsichtigte ne" Rede, eine unreife Rede!) Stillegung von vier Ausbesserungswerken der Bun- desbahn. Die Zusage von Herrn Dollinger, das Ausbesse- rungswerk Saarbrücken-Burbach zu erhalten, ist je- (Pfeffermann [CDU/CSU]: Jetzt hört's doch doch nichts weiter als ein befristetes Wahlgeschenk allmählich auf! Diese Dreistigkeit sollte zur Wahlkampfunterstützung seines christdemo- man sich einmal von hier unten erlauben. kratischen saarländischen Ministerkollegen Zeyer. Das ein Piratenstück zu nennen, ist doch Hier wird ein unglaublicher Wahlbetrug vorberei- wirklich nicht zu fassen! Jetzt kriege ich tet. natürlich gleich wieder einen Ordnungs ruf!) (Carstensen [Nordstrand] [CDU/CSU]: Von Wahlbetrug verstehen Sie etwas!) — Herr Pfeffersack, lassen Sie doch einmal! Die Zusage von Herrn Dollinger, den Erhalt der Ausbes- Die Spatzen pfeifen es doch von den Dächern: nach serungswerke Saarbrücken-Burbach, Fulda und der Landtagswahl, wenn die Zusage für den Erhalt Weiden zu sichern sowie die Möglichkeit, den Er- des Ausbesserungswerkes seine Dienste als Wahl- halt des Ausbesserungswerkes Hamburg sorgfältig kampfhilfe geleistet hat, soll die Stillegung des Aus- zu prüfen, ist eine schlimme Täuschung der Öffent- besserungswerkes Saarbrücken-Burbach endgültig lichkeit. besiegelt werden. Lediglich um Zeit zu gewinnen, hat Minister Dol- Herr Minister Dollinger, ich fordere Sie auf, hier linger erst einmal ein drittes Gutachten in Auftrag und heute einmal klipp und klar zu sagen, wie Sie gegeben. Sobald dieses Gutachten vorliegt, wird der ohne Haushaltsmittel zu Ihrer Aussage stehen wol- Verwaltungsrat der Bahn erneut über die Stille- len. Wie stellen Sie sich das vor? Verraten Sie uns gungsanträge entscheiden. Da der Verwaltungsrat das mal. der Bahn sozial-, arbeitsmarkt- und regionalpoliti- Meine Damen und Herren, durch die ständige sche Belange bei seinen Entscheidungen nicht zu Vortäuschung einer Kompetenzrangelei, durch das berücksichtigen braucht, andauernde taktische Hin- und Herschieben der (Pfeffermann [CDU/CSU]: Lesen sollte Verantwortung zwischen Minister Stoltenberg, dem man können!) Minister Dollinger, dem Bahnvorstand, dem Ver- 7874 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 105. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. November 1984

Drabiniok waltungsrat der Bahn und den Länderministern ist würden, wenn durch Sturheit der Ressorts am Ende eine Situation entstanden, in der mittlerweile die Norbert Blüm und der Etat für Soziales die ganzen Eisenbahner aller Ausbesserungswerke in Weiden, Finanzen in Ordnung bringen sollten. Das wäre ja Paderborn, Saarbrücken-Burbach, Kaiserslautern, gar nicht möglich. Also bitte ich um Verständnis, Hamburg-Harburg, Darmstadt, Fulda und Duisburg wenn das Kabinett verantwortlich als Einheit ope- voller Unsicherheit, Angst und Sorge sind. Auch der riert. Stabilisierung der Staatsfinanzen, dazu ein Bundeskanzler hat mit seiner leichtfertigen Äuße- Beitrag auch vom Verkehrsressort. rung dazu beigetragen und die Situation im Raum (Pfeffermann [CDU/CSU]: Das sind die So Kaiserslautern noch verschlimmert. zialdemokraten von früher her nicht ge (Pfeffermann [CDU/CSU]: Reine Rabuli wöhnt!) stik! Was das alles für Ausdrücke sind!) - Wir haben in diesem Etat zunächst die Aufgabe Es muß endlich Schluß damit sein. Ich möchte Sie der Erhaltung und der Gestaltung der Verkehrswe- deshalb bitten, schaffen Sie zumindest erst einmal ge. Gleichzeitig geben wir aus dem Etat Impulse für die Voraussetzungen dafür, daß 1985 überhaupt die die Binnenwirtschaft wie auch für die Außenwirt- Möglichkeit einer Entscheidung für den Erhalt von schaft. Ich bin dankbar, daß es möglich war, den Ausbesserungswerken besteht. Sorgen Sie dafür, Verkehrsetat um 2,2 % gegenüber dem Vorjahr zu daß die bei einer Entscheidung über den Erhalt von erhöhen und die Investitionsquote von 47,1 auf Ausbesserungswerken gesetzlich vorgesehenen 48,9 % zu steigern, wobei wir in den Jahren 1986 bis Ausgleichszahlungen in den Haushaltsplan 1985 1988 auf 49,4 % kommen werden. noch aufgenommen werden, und stimmen Sie unse- rem Antrag zu. Die betroffenen Eisenbahner wür- Die mittelfristige Finanzplanung von 1986 bis den Ihnen das danken. 1988 beinhaltet rund 3 Milliarden DM mehr für den Verkehrsetat, als das in der Regierungszeit von (Beifall bei den GRÜNEN — Pfeffermann Bundeskanzler Schmidt der Fall gewesen ist. Ein [CDU/CSU]: Eine vorzügliche Vorlesung, paar Schwerpunkte, um zu zeigen, wie die Entwick- der Inhalt war weniger gut!) lung ist: (Drabiniok [GRÜNE]: Ich hoffe, da sind Das Wort hat der Bundes- Vizepräsident Westphal: auch die Ausbesserungswerke drin! — Ge minister für Verkehr. genruf des Abg. Lemmrich [CDU/CSU]) Der ÖPNV steigt im Jahr 1985 gegenüber dem Bundesminister für Verkehr: Herr Dr. Dollinger, Vorjahr um 4,1 %. Für den kommunalen Straßenbau Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Her- stehen 4 % mehr zur Verfügung und für den Bun- ren! Ich möchte zunächst ein Wort des Dankes an desfernstraßenbau 2,5%. die Mitglieder des Verkehrsausschusses und des Haushaltsausschusses für die Beratungen sagen. (Zuruf des Abg. Drabiniok [GRÜNE]) Ich danke auch den Kollegen, die hier gesprochen Diese Zahlen zeigen eine positive Entwicklung. haben, die mir Positives gesagt haben, Negatives, Kritisches und auch, wie Sie, mit Unterstellungen Meine Damen und Herren, ich bin der Meinung, gearbeitet haben. über Zahlen kann man nicht streiten, wenn sie rich- (Drabiniok [GRÜNE]: Das sind keine Un tig sind. Die muß man anerkennen. terstellungen!) (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — — Es sind Unterstellungen, wenn Sie mich als Lob- Drabiniok [GRÜNE]: Aber wenn sie falsch byisten der Automobilindustrie bezeichnen. Es sind sind!) Unterstellungen, wenn Sie sagen, ich treibe Wahl- — Entschuldigen Sie, wo war hier eine falsche betrug. So sollten wir nicht miteinander umgehen. Zahl? (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — (Drabiniok [GRÜNE]: Eine falsche Zahl Drabiniok [GRÜNE]: Man wird doch wohl nicht, aber Sie machen eine falsche Politik! die Wahrheit sagen dürfen!) — Pfeffermann [CDU/CSU]: Herr Drabi- Herr Hoffmann, Sie haben bedauert, daß der Fi- niok, Sie haben vorhin lange genug vorge- nanzminister nicht da ist. Das bedaure ich natürlich lesen. Jetzt lassen Sie mal den Minister auch. Aber ich habe Verständnis für ihn; denn er reden!) sitzt sehr lange hier. — Herr Kollege Pfeffermann, wollen wir die Zeit Ich muß Ihnen gleich eines sagen: der Finanzmi- nicht verlieren mit Bemerkungen, die nicht zur nister diktiert mir nicht. Zugegeben, daß wir oft Sache oder zur Klärung beitragen! lange miteinander gerungen haben. Es gab sogar zwei Fragen, die erst im Kabinett entschieden wur- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — den, und zwar sogar in meinem Sinne gegen die Drabiniok [GRÜNE]: Fragen tragen nicht Meinung des Finanzministers. zur Sache bei? Was ist das für ein Parla- mentarismusverständnis, Herr Minister? Aber, meine Damen und Herren, eines muß man — Zuruf des Abg. Hoffmann [Saarbrücken] natürlich hier einmal ehrlich sagen: Der Egoismus [SPD]) der Ressorts darf nicht übertrieben werden, jeder Minister muß auch an das Ganze denken. Ich — Herr Kollege Hoffmann, Sie waren ja sachlich; möchte wissen, was Sie von der Opposition sagen Sie sind also nicht gemeint. Bei solchen Tatsachen, Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 105. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. November 1984 7875

Bundesminister Dr. Dollinger wie sie hier vorliegen, kann man die Opposition lungen mit der DDR stehen, den Transitverkehr nicht einmal zusammenspannen. von Berlin über Magdeburg und Braunschweig in Also gehen wir zur Bundesbahn! Sie müßte nach die Bunderepublik zu intensivieren? dem, was manche Herren prophezeit haben, schon längst von mir kaputtgemacht worden sein. Aber sie lebt noch. Dr. Dollinger, Bundesminister für Verkehr: Ich habe mit dem Kollegen Arndt über eine Reihe von (Zuruf von den GRÜNEN: Aber wie!) Problemen gesprochen, aber diese Strecke war Wir haben im Haushalt 1985 für die Bahn 13,099 nicht dabei. Milliarden DM. Das sind 241 Millionen DM mehr Ich gehe nun zum ÖPNV. Auch der ÖPNV muß als im Vorjahr. Die Investitionen aus dem Etat be- - auf die Dauer finanzierbar bleiben. In den Ballungs- tragen bei der Bahn 3,4 Milliarden DM. Das sind 400 räumen sollen die Verluste der Verkehrsunterneh- Millionen DM mehr als im Vorjahr, eine Steigerung men im Verhältnis zu den Gesamtzuwendungen an um 13 %. die DB nicht steigen bzw. sollen keine neuen Folge- (Vogt [Kaiserslautern] [GRÜNE]: ist aber kosten entstehen. Außerhalb der Ballungsräume nicht Schienengebunden!) bleibt die Deutsche Bundesbahn präsent. Es gibt Ich freue mich, daß das möglich ist, und wir brau- keinen Rückzug aus der Fläche, chen es auch. Wir haben zwei Neubaustrecken, (Beifall bei der CDU/CSU) sechs Ausbaustrecken. Die kosten uns 17,7 Milliar- den DM. und es gibt auch keinen Plan zur Stillegung von Tausenden von Eisenbahnkilometern. Dankenswerterweise hat Herr Metz auf die E 120 hingewiesen, mit der wir bekanntlich Weltrekord (Drabiniok [GRÜNE]: Das stimmt doch gefahren sind, und zwar in der Zeit, in der man von nicht, Herr Dollinger! — Vogt [Kaiserslau Verkehrsbeschränkungen gesprochen hat. tern] [GRÜNE]: Die machen das ohne Plan!) (Drabiniok [GRÜNE]: Geschwindigkeitsfe tischist! — Dr. Rose [CDU/CSU]: Prima, Ob der ÖPNV auf Schiene oder mit Bus oder in Herr Minister!) Kombination von beidem stattfindet, ergibt sich aus einer Einzelprüfung, die an die Verhältnisse, an die — Das waren 265 km/h. Damit war sie die schnell- Strukturen, an die Topographie angepaßt sein muß. ste von allen Drehstromlokomotiven. Wir hoffen, Nur die Einzelprüfung entscheidet! daß sich das auch auf den Export für unsere Indu- strie auswirkt. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — Die Deutsche Bundesbahn wird in Kürze den Zurufe von den GRÜNEN) neuen Triebwagen in Auftrag geben mit 120 Exem- Wir werden allerdings eine Kapazitäts- und Lei- plaren. stungsanpassung durchführen müssen, (Pfeffermann [CDU/CSU]: Sehr gut! Davon (Vogt [Kaiserslautern] [GRÜNE]: Erst las haben die anderen nur geredet!) sen Sie die Strecken vergammeln, und Wir werden Stellwerke bauen, die modern sind, dann legen Sie sie still!) Rangierbahnhöfe. Wir werden fortfahren mit den und zwar entsprechend der Nachfrage. Meine Da- Containerbahnhöfen für Huckepackverkehr und men und Herren, ich würde mir wünschen, daß Container, auch in Zusammenarbeit mit der priva- mancher, der so viel darüber redet, was für die ten Wirtschaft. Bahn geschehen muß, auch mehr mit der Bahn fah- (Drabiniok [GRÜNE]: Auch mit Strecken ren würde. stillegungen fahren Sie fort, mit Personal (Lemmrich [CDU/CSU]: Auch Sie, Herr abbau fahren Sie fort, mit Stillegung der Drabiniok!) Ausbesserungswerke!) Dann wäre das alles viel einfacher. Wenn der Bau gemeinsam im mittelständischen Be- reich erfolgt, dann ist sicher ein Interesse vorhan- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) den, daß die private Wirtschaft und der Staat ge- Das gilt auch für Bürgermeister und Landräte, die meinsam operieren. uns Briefe schreiben. Meine Damen und Herren, nun hat hier in der (Zurufe von den GRÜNEN und Gegenrufe Diskussion der ÖPNV eine Rolle gespielt. von der CDU/CSU) Eines füge ich ganz eindeutig hinzu: Wir sollten Vizepräsident Westphal: Herr Minister, würden das Wort von der Streckenstillegung streichen. Das, Sie vorher noch eine Zwischenfrage des Abgeordne- was wir wollen, ist gegebenenfalls eine Verlagerung ten Kühbacher gestatten? von der Schiene auf die Straße zum Zwecke einer besseren Verkehrserschließung. Denn niemand Dr. Dollinger, Bundesminister für Verkehr: Wenn kann bestreiten, daß die Siedlungen der Nach- sie kurz ist, Herr Kühbacher. kriegszeit nicht den klassischen Verkehrswegen wie Flüssen und Eisenbahnen gefolgt sind, sondern Kühbacher (SPD): Herr Minister, Sie haben hier ganz anders verlaufen. so viele Aktivitäten bei der Bundesbahn dargestellt. (Drabiniok [GRÜNE]: Volkswirtschaftlich Können Sie bestätigen, daß Sie in guten Verhand- haben Sie keine Ahnung, Herr Bundesmi- 7876 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 105. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. November 1984

Bundesminister Dr. Dollinger nister! — Pfeffermann [CDU/CSU]: Über um 800 Millionen zunehmen werden. Für den Strek- nehmen Sie sich doch nicht, Herr Drabi kenausbau stehen in den Jahren 1985 bis 1988 je- niok!) weils 2 Milliarden zur Verfügung. Es sind die Vor- — Sie sagen, daß ich keine Ahnung habe? Da bin aussetzungen dafür gegeben, daß die Neubaustrek- ich bloß froh, daß ich promoviert bin und ein Di- ken Ende der 80er Jahre fertiggestellt sein wer- plom habe. den. (Pfeffermann [CDU/CSU]: Nach der Lese (Drabiniok [GRÜNE]: Wenn nicht noch ein probe von vorhin würde ich an Ihrer Stelle paar Brücken einstürzen!) schweigen, Herr Drabiniok!) Ich darf feststellen, daß die Aufwendungen der — Meine Herren, können wir weitermachen? — Wir- Deutschen Bundesbahn in den Jahren 1982 bis 1984 müssen dafür sorgen, nahezu konstant geblieben sind. Die Erträge sind in der gleichen Zeit leicht angestiegen. Der Verlust (Vogt [Kaiserslautern] [GRÜNE]: Keine betrug im Jahre 1983 nicht, wie einmal in der Fi- Ahnung!) nanzplanung der Bahn hochgerechnet, 5 Milliarden, daß in diesen Bereichen eine entsprechende Auf- sondern 3,7 Milliarden. Wir werden im Jahre 1984 tragsvergabe auch an Dritte erfolgen kann. Wir nicht, wie seinerzeit hochgerechnet, einen Verlust brauchen eine Kooperation und Kapitalbeteiligung von 5,2 Milliarden, sondern einen Verlust von 3,3 Dritter bei bestimmten Objekten. Milliarden haben. Das Ziel muß sein, daß die Deutsche Bundesbahn Der Schuldenstand der Deutschen Bundesbahn in diesen Bereichen ein leistungsfähiges Angebot per 31. Dezember 1983 ist gegenüber 1982 nahezu macht und daß sie die Marktchancen nutzt. Ein konstant geblieben. Wir hatten 1983 einen Schul- Kahlschlag findet, wie gesagt, nicht statt. denstand von fast 36 Milliarden DM. Nach den Hochrechnungen von früher hätten es 38,9 Milliar- (Drabiniok [GRÜNE]: Sagen Sie doch et den DM sein sollen. Für 1984 war hochgerechnet ein was zu den Ausbesserungswerken!) Verlust von bereits 43,1 Milliarden DM ausgewie- Zu dem Vorwurf, die Fläche sei benachteiligt, sen. Wir stehen nach wie vor bei knapp 36 Milliar- möchte ich sagen: Fast 90 % der Fördermittel flie- den DM, ßen in die Ballungsräume. Das erweckt zunächst den Eindruck, daß der Vorwurf der Benachteiligung (Pfeffermann [CDU/CSU]: Ein hervorra berechtigt wäre. ÖPNV-Probleme in der Fläche sind gendes Ergebnis! — Drabiniok [GRÜNE]: Auf Kosten der Angestellten und Beamten aber — anders als in den Ballungsräumen — nicht und der Kunden der Bahn!) investitionspolitisch, sondern vor allem organisato- risch bedingt. und dies, meine Damen und Herren, obwohl sich die (Pfeffermann [CDU/CSU]: So ist es!) Investitionen wie folgt entwickelt haben: 1982 4,2 Milliarden DM, 1983 4,5 Milliarden DM, 1984 5 Milli- Man sollte sich darüber im klaren sein, daß der arden DM und 1985 5,9 Milliarden DM. ÖPNV in der Fläche in erster Linie ein Organisa- tionsproblem ist. Deshalb brauchen wir Koopera- (Beifall bei der CDU/CSU — Vogt [Kaisers tion und Koordination. Es gibt keinen Zweifel dar- lautern] [GRÜNE]: Und wie werden die an, daß der ÖPNV mit dem Bus auf der Straße und Mittel eingesetzt? Für Schiene oder mit der Bahn durchgeführt werden muß. Straße?) In den Ballungsräumen, wo heute rund 50 % der Mit denen, die hier noch den Mut haben zu sagen, Gesamtbevölkerung auf nur 7 % der Gesamtfläche für die Bahn geschehe nichts, braucht man nicht zu leben, ist es absolut notwendig, hohe Investitions- diskutieren. Zugegeben, wir haben den Personalbe- mittel einzusetzen, weil die Ballungsräume sonst stand abgebaut: 1983 auf 302 000. Zur Zeit haben wir einfach nicht mehr existieren können. Aber der einen Bestand von 289 000. ÖPNV in der Fläche wird nicht vernachlässigt. 50 % (Drabiniok [GRÜNE]: Ausbesserungs aller ÖPNV-Maßnahmen finden in der Fläche statt, werke!) nicht in den Ballungsräumen. Über die neuen Programme der Bahn brauche ich (Vogt [Kaiserslautern] [GRÜNE]: Wie ist im einzelnen nicht zu sprechen. Ich glaube, sie sind der Anteil der Schiene? Darauf kommt es Ihnen allen bekannt. doch an!) (Drabiniok [GRÜNE]: Sprechen Sie über Nun, meine Damen und Herren, noch ein paar die Ausbesserungswerke!) Bemerkungen zur Deutschen Bundesbahn. Die — Haben Sie doch Geduld, ich kann nicht alles auf wirtschaftliche Situation der Deutschen Bundes- einmal sagen. bahn hat sich beachtlich verbessert. Die Leitlinien, die das Kabinett am 23. November 1983 einstimmig (Drabiniok [GRÜNE]: Ich wollte Sie nur beschlossen hat, daran erinnern!) (Drabiniok [GRÜNE]: Sind eine Katastro Ich darf hier noch eines hinzufügen. Wir werden phe!) in der Lage sein, die Investitionen wie vorgesehen beginnen zu greifen. Ich darf hier feststellen, daß durchzuführen. die Investitionen der Deutschen Bundesbahn 1985 Nun, meine Damen und Herren, ein paar Sätze zu um 500 Millionen, 1986 um 600 Millionen und 1987 den Ausbesserungswerken. Wir haben ein Verfah- Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 105. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. November 1984 7877

Bundesminister Dr. Dollinger ren, das Ihnen auch bekannt ist. Aus strukturpoliti- wichtig, um klare Daten zu bekommen. Wir haben schen Gründen habe ich es für unmöglich gehalten, zur Zeit in der Bundesrepublik Deutschland 500 dem Beschluß des Verwaltungsrates zuzustimmen. verschiedene Autotypen auf unseren Straßen, 390 Er mag betriebswirtschaftlich richtig sein, struktur- deutsche, der Rest ausländische. Es gibt gar keinen politisch ist er aber falsch, denn niemand versteht Zweifel, daß wir diese nicht alle testen können. Wir es, daß der Staat auf der einen Seite das Geld in die müssen die testen, die in entsprechender Anzahl Räume gibt und zur gleichen Zeit mit der anderen vorkommen. Hier ist es ganz wichtig, daß wir klare Hand die Betriebe abzieht. Ergebnisse bekommen, solide. Einer wird bei dem Versuch verlieren. Das ist völlig klar. Aber die Ent- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU — scheidung muß so sein, daß sie nicht beanstandet Pfeffermann [CDU/CSU]: In den struktur schwachen Räumen!) - werden kann. (Drabiniok [GRÜNE]: Selbst wenn er posi Im übrigen darf ich feststellen, daß in der Zeit von tiv ist, lehnen Sie das Tempolimit ab!) 1967 bis 1983 sechs Werke stillgelegt worden sind. 5 901 Mitarbeiter waren dort einmal beschäftigt, am Im übrigen hoffe ich, daß die Umstellung auf 1. Oktober 1984 waren es noch 1 478. Das heißt, daß bleifreies Benzin entsprechend fortschreitet und in den stillgelegten Werken immer noch eine erheb- die Automobilindustrie im nächsten Jahr noch liche Zahl von Mitarbeitern vorhanden ist. mehr Fahrzeuge anbietet, die bleifrei fahren kön- nen. Ich hoffe, daß sich die Frage des Katalysators Meine Damen und Herren, die Bahn wird kein für jedes Fahrzeug entsprechend günstig entwik- neues Gutachten erstellen lassen. Der Vorstand ist kelt. Die Aussagen der Industrie stimmen positiv. von mir beauftragt worden, Vorstellungen zu ent- (Drabiniok [GRÜNE]: Gibt es ein Tempo- wickeln, wie das Problem weiter gelöst werden soll. limit, wenn der Versuch positiv ausfällt?) Wir brauchen nicht für alles ein Gutachten. Manch- mal genügt es, wenn man selbst entscheidet. Meine Damen und Herren, ein Satz zur Privati- sierung. Es gibt keinen Zweifel, zur Naßbaggerei (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU — hat der Ausschuß entschieden. Wir werden so vor- Drabiniok [GRÜNE]: Das war aber sehr gehen, daß hier kein Material vergeudet wird und mager!) auch keine sozialen Härten entstehen. Was die Nun zur Trennungsrechnung. Bereits 1979, also Lufthansa anbelangt, so darf ich Ihnen einmal eines noch zur Zeit der alten Regierung, wurde darüber sagen: Für mich ist die Frage der Lufthansa-Privati- gesprochen, Herr Hoffmann. Ich bin für eine sehr sierung auch eine Frage des zukünftigen Investi- klare betriebswirtschaftliche Durchleuchtung der tionsbedarfes. Ich bin der Überzeugung, daß es aus Bahn. Die halte ich für absolut nötig. Aber eine offi- Bundesmitteln nicht möglich sein wird — auf lange zielle Trennungsrechnung für die Bahn würde nach Sicht gesehen —, der Lufthansa die Gelder zu ge- meiner Meinung heute gar nichts bringen, und zwar ben, die sie braucht. Deshalb erachte ich eine Teil- ganz einfach aus folgendem Grund: Die vorhande- privatisierung persönlich als durchaus sinnvoll. nen Defizite können von niemand anderem bezahlt (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — werden als vom Bund. Ich würde eine Konstruktion Abg. Hoffmann [Saarbrücken] [SPD] mel für falsch halten, bei der die Bahn im Betrieb ver- det sich zu einer Zwischenfrage) dient und Gewinne macht und der Bund auf der anderen Seite die Zuschüsse geben muß. Innerbe- Vizepräsident Westphal: Herr Minister — — trieblich kann man es so machen, aber sonst halte ich das nicht für gut. Dr. Dollinger, Bundesminister für Verkehr: Ich (Drabiniok [GRÜNE]: Lesen Sie aus kann leider nicht, die Uhr läuft mir davon, Herr nahmsweise unsere Vorschläge dazu!) Hoffmann. Meine Damen und Herren, ein paar Bemerkun- Ich möchte mich noch kurz mit der Frage der gen zu den Bundesfernstraßen. Auch hier haben Marktordnung im Verkehr beschäftigen. Wir müs- wir eine entsprechende Steigerung. Ich kann das im sen dafür sorgen, daß ein ausreichendes Angebot einzelnen nicht ausführen, denn meine Redezeit vorhanden ist, und daß die Schnittpunkte der Ver- geht zu Ende. Was wir bauen, ist gemäß dem Be- kehrswege entsprechend aufeinander abgestimmt schluß des Deutschen Bundestages. Wir haben jetzt werden. Hier fällt das Wort Logistik. Auch die Ver- rund 8 000 Kilometer. Das deutsche Parlament hat bindungen über unsere Grenzen hinweg müssen im Jahre 1980 — ich glaube sogar einstimmig — möglichst verbessert werden, d. h. ein schnellerer 10 500 Kilometer beschlossen. Das bedeutet nach Grenzübergang ist erforderlich. Wir werden die Adam Riese — dazu braucht man keinen Compu- Marktordnung nicht außer Kraft setzen. Wir kön- ter —, daß noch 2 500 Kilometer gebaut werden sol- nen nicht eine Entwicklung wollen, die einen Teil len. Das ist nicht die fixe Idee des Verkehrsmini- der deutschen Verkehrsunternehmer kaputtmacht. sters, sondern die Ausführung eines Beschlusses Das können wir deshalb nicht, weil die Wettbe- des Parlaments. werbsbedingungen der Verkehrsträger in den ein- zelnen Staaten der EG einfach zu verschieden sind. (Beifall bei der CDU/CSU — Drabiniok Daher müssen wir dafür sorgen, daß eine Harmoni- [GRÜNE]: Sie können doch ändern!) sierung stattfindet; denn sonst kann es auf europäi- Wir werden weiterhin Radwege bauen. scher Ebene keine Liberalisierung geben. Ein paar Bemerkungen zum Großversuch. Der (Beifall bei der CDU/CSU, der FDP und bei Großversuch wird durchgeführt. Wir halten ihn für Abgeordneten der SPD) 7878 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 105. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. November 1984

Bundesminister Dr. Dollinger Herr Präsident, meine Damen und Herren, ich machen, mich auf die Punkte zu beschränken, in möchte all denen danken, die für unsere Verkehrs- denen mir die Kolleginnen und Kollegen der Uni- wege — Schiene, Straße, Wasserstraße, Seeschiff- onsfraktion und der Liberalen eigentlich recht ge- fahrt und Luftverkehr — tätig sind. Sie haben ge- ben müßten, zumindest dann, wenn es hier im Bun- rade mit dem Winterbeginn wieder einen schweren destag nicht schon zum Ritual gehörte, alles, was Dienst. Diesen Mitarbeitern zu danken ist mir ein die Opposition sagt, zurückzuweisen und die Regie- aufrichtiges Bedürfnis. rungspolitik bedingungslos zu verteidigen. Ich ma- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) che diesen Versuch — geben Sie mir mal eine Chan- ce, Herr Pfeffermann — deswegen besonders gern, Vizepräsident Westphal: Meine Damen und Her- weil ich weiß, daß nach mir der Kollege Friedmann ren, weitere Wortmeldungen zu diesem Tagesord- redet, ich ihn als Sachkenner des Posthaushaltes dungspunkt liegen nicht vor. Ich schließe die Aus- schätze sprache. (Zustimmung des Abg. Kühbacher [SPD]) Wir kommen zur Abstimmung, und zwar zuerst und insofern hier doch eher als sonst die Chance über die Änderungsanträge der Abgeordneten Dra- gegeben ist, wirklich eine sachgerechte Debatte biniok, Verheyen (Bielefeld) und der Fraktion DIE durchzuhalten. GRÜNEN auf den Drucksachen 10/2426 und 10/ 2427 (neu). Wer dem Änderungsantrag auf Druck- (Kühbacher [SPD]: Das sind gute Töne!) sache 10/2426 zuzustimmen wünscht, den bitte ich Ich meine, wir könnten gemeinsam beklagen, daß um das Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltun- bis zu dem Zeitpunkt der seit langem festgesetzten gen? — Dann ist dieser Änderungsantrag abge- Arbeitsausschußsitzung der Personalhaushalt der lehnt. Post nicht vorgelegen hat und den Mitgliedern des Wer dem Änderungsantrag auf Drucksache 10/ Verwaltungsrates bis heute nicht vorliegt. Hier ist 2427 (neu) zuzustimmen wünscht, den bitte ich um es offensichtlich so, daß sich der Postminister mit das Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? dem Finanzminister nicht hat einigen können. Ich — Dann ist dieser Antrag mit Mehrheit bei Stimm- meine, wir müssen dies gemeinsam beklagen, weil enthaltungen auf der Linken abgelehnt. in einer Debatte eigentlich der Personalhaushalt, Wir stimmen jetzt über den Änderungsantrag der der Betriebshaushalt und der Anlagenhaushalt, der Fraktion der SPD auf Drucksache 10/2478 ab. Wer Investitionshaushalt, zusammen beurteilt werden zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Hand- müßten. zeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Dann (Pfeffermann [CDU/CSU]: Aber doch nicht ist dieser Antrag mit Mehrheit bei Enthaltungen in hier im Bundestag!) der Fraktion DIE GRÜNEN abgelehnt. Wir stützen in dieser Auseinandersetzung zwi- Wer dem Einzelplan 12 — Geschäftsbereich des schen Postminister und Finanzminister hoffentlich Bundesminister für Verkehr — in der Ausschußfas- gemeinsam tendenziell die Position des Postmini- sung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das sters, weil wir es für eine Mindestbedingung halten, Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — daß die Soll-Zahlen des Personalhaushaltes 1985 die Der Einzelplan ist mit Mehrheit angenommen. gleichen wie die des laufenden Haushalts 1984 sind. Nun rufe ich auf: (Zustimmung des Abg. Kühbacher [SPD]) Einzelplan 13 Geschäftsbereich des Bundesministers für Ich betone, wie gesagt, das ist die Mindestforde- das Post- und Fernmeldewesen rung. Die Personalbedarfsanmeldung der Ämter ist — Drucksachen 10/2313, 10/2330 — höher. Ich meine, daß es eigentlich auch die Gele- genheit wäre, die eine oder andere Fehlentschei- Berichterstatter: dung im Rahmen des Personalhaushaltes 1984 ge- Abgeordnete Dr. Friedmann meinsam zu bedauern. Ich kann mir nicht vorstel- Verheyen (Bielefeld) len, daß unter den Kolleginnen und Kollegen der Interfraktionell ist für die Aussprache eine Regierungsfraktionen einer ist, der angesichts der Runde vereinbart worden. — Ich sehe, daß Sie da- besonderen Personalstrukturen die Streichung des mit einverstanden sind. Essensgeldzuschusses für einen besonders weisen Wird das Wort zur Berichterstattung gewünscht? Entschluß gehalten hat. Ich glaube, hier hätte man — Das ist nicht der Fall. durchaus eine Ausnahme zulassen können. Dann eröffne ich die allgemeine Aussprache. Das Ich glaube, wir können auch übereinstimmend Wort hat zuerst der Abgeordnete Paterna. feststellen, daß sich die betriebswirtschaftlichen Ergebnisse der Deutschen Bundespost 1983 und Paterna (SPD): Herr Präsident! Meine Damen und 1984 durchaus sehen lassen können. Da haben wir Herren! Die grundsätzlichen Meinungsverschieden- über 3 Milliarden DM Gewinn, über 4 Milliarden heiten zwischen Sozialdemokraten und dem Post- DM Ablieferung an den Bundeshaushalt. Aber ich minister bezüglich der Unternehmenspolitik der glaube, wir sind uns auch darin einig, daß man sich Deutschen Bundespost sind in der Öffentlichkeit so von diesen guten Ergebnissen im Hinblick auf die hinreichend bekannt, daß ich sie im Rahmen dieser Zukunft nicht blenden lassen sollte. 1983 haben zum Debatte nicht wiederholen will. Ich will einmal eher ersten Mal die noch von Sozialdemokraten durchge- den in solchen Debatten ungewöhnlichen Versuch setzten Gebührenerhöhungen voll zu Buche ge- Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 105. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. November 1984 7879

Paterna schlagen, und die irgendwann, vermutlich 1986, fäl- viel an, liegt aber bereits unter 4%. Dann kann es lige Gebührenerhöhung wird sehr viel schwerer sehr wohl sein, daß sich bei fortdauernd sehr hoher und nicht in diesem Umfang durchzusetzen sein, Investitionstätigkeit hier eine Schere öffnet, die weil da, etwa bei dem Paketdienst, viel geringere sich später nicht mehr schließen läßt. Preiselastizitäten gegeben sind. Diese Debatte unterscheidet sich von allen ande- Spätestens dann, meine lieben Kollegen, meine ren dieser Woche dadurch, Kolleginnen und Kolle- ich, sollten wir auch gemeinsam über die Höhe der gen von den Regierungsfraktionen, daß, wenn es Postablieferung reden. Sie werden sich erinnern, mit der Post bergab gehen sollte, der Hinweis auf daß Sie zu den Zeiten, als Sie noch in der Opposi- irgendwelche Erblasten nicht zieht. Sie haben ein sehr gesundes Unternehmen übernommen. tion waren, die Erhöhung von 6 2 / 3 auf 10% für einen - Fehler gehalten und hier sehr kritisiert haben. Sie (Beifall bei der SPD) sind bis heute den Beweis Ihrer tätigen Reue schul- gesunden dig geblieben. Dafür haben wir ein gewisses Ver- Und wenn sich an dieser bis dahin sehr etwas Erhebliches ändern sollte — ständnis. Finanzstruktur erste Anzeichen dafür gibt es —, wäre niemand (Pfeffermann [CDU/CSU]: Da braucht man anders dafür verantwortlich als der amtierende keine Reue zu haben! Das muß man in Ord Postminister. Auch die Hinweise auf die Defizite im nung bringen, damit der Bundeshaushalt gelben Bereich können dann keine hinreichende wieder besser in Schuß ist.) Entlastung sein. Gerade wenn man wie Dr. — Lieber Herr Kollege Pfeffermann, nun machen Schwarz-Schilling immer wieder auf diese Defizite Sie doch mal den Versuch, eine sachliche Debatte hinweist, muß es auch erlaubt sein, aus der Mitte zu führen, durch Ihren Adrenalinspiegel nicht ka- des Parlaments darauf hinzuweisen, daß der Schwerpunkt seines Arbeitens und seiner Interes- putt! sen eher in den Randbereichen der Unternehmens- (Bindig [SPD]: Das ist bei dem hoffnungs politik liegt. los!) (Beifall bei der SPD) Spätestens im Haushaltsjahr 1986, in dem sich Man sollte einmal nach Stunden bewerten, wieviel der Bundesfinanzminister, um mit dem Kanzler zu er sich mit Medienpolitik, mit Bildschirmtext, mit reden, die „größte Steuerermäßigung aller Zeiten" schnurlosem Telefon, mit dem neuen Autotelefon- glaubt leisten zu können, fällt doch das Argument, netz C, mit Heimtelefonanlagen beschäftigt hat. Ich das Sie bisher mit einem gewissen Recht haben will ihm das nicht ausreden; denn es ist schon wich- anführen können, weg. Das heißt, wenn es im Sinne tig, die Angebotspalette zu arrondieren und zu er- Ihrer früheren Anträge eine Chance gibt, wieder weitern, aber ich glaube, es ist doch an der Zeit, ihn auf die alte Höhe zurückzugehen, dann ist das zum einmal an die notwendige Gewichtung zu erinnern. Haushaltsjahr 1986 der Fall, und deswegen wollte Die Basisleistungen Briefdienst, Paketdienst, einfa- ich Ihnen rechtzeitig ankündigen, daß Ihnen da ein cher Fernsprechhauptanschluß sind doch die Maß- Test auf Ihre Glaubwürdigkeit bevorsteht. Das ist, stäbe für den Postkunden draußen im Lande, weil glaube ich, kein Grund zur Erregung. diese Dienste von allen Bürgern in Anspruch ge- (Zurufe von der CDU/CSU) nommen werden. In erster Linie diese müssen nicht nur auf die Erhaltung der Dienstleistungsqualität, Ich meine, wir können auch gemeinsam begrü- sondern möglichst auf ihre Steigerung hin abge- ßen, daß die inzwischen über 15 Milliarden DM für prüft werden. den Investitionshaushalt eine gute Sache sind. Das ist volkswirtschaftlich von erheblicher Bedeutung, Ich glaube, daß wir uns eigentlich über die Frak- aber ich meine, wir sollten uns auch in der Mah- tionen einig sein sollten und könnten, daß wir bei nung einig sein, in Zukunft hier eher vorsichtiger der Bewertung der Unternehmenspolitik nicht nur zu kalkulieren. Die Gesamtschulden der Post stei- betriebswirtschaftliche Kriterien anlegen und auch gen im Jahre 1985, so kalkuliert die Verwaltung, auf nicht gelten lassen dürfen, daß das Kostendek- über 58 Milliarden DM, der Eigenkapitalanteil kungsprinzip in allen Dienstzweigen und möglichst sinkt, wenn auch zunächst geringfügig. Von der in allen Verkehrsbeziehungen als oberster Maßstab Verwaltung selbst wird auf eine sich allmählich ver- angelegt wird; denn würde man dies in einer strin- schlechternde Finanzstruktur hingewiesen. genten Form tun, würde die Post die Berechtigung verlieren, als öffentliches Unternehmen geführt zu Es wird gemahnt, daß die Akzeptanz insbeson- werden. Das können auch privatwirtschaftlich ge- dere neuer Dienste, neuer Medien nicht so verlau- führte Unternehmen. Bei einer Debatte über die fen könnte, wie sie vom Postminister häufig öffent- Unternehmenspolitik der Post sollten daher auch lich eingeschätzt wird. Und wenn der Postminister, gemeinwirtschaftliche, gesamtwirtschaftliche und sicher zu Recht, darauf hinweist, daß Investitionen raumordnerische Aspekte von uns gemeinsam be- im Fernmeldebereich nur langfristig rentierlich sei- tont werden. Täte man das nicht und redete man en, so kann man aber nicht davon ausgehen, daß sie beispielsweise ideologischen Vorstellungen von sich mit Sicherheit amortisieren würden. Wenn wir Deregulation à la USA ungeprüft das Wort, weiter bei diesem Volumen bleiben und die Tatsa- che hinzunehmen, daß für die Jahre 1986 bis 1988 (Pfeffermann [CDU/CSU]: Wer tut das im Fernmeldewesen eine Einnahmensteigerung um denn? Das tut doch niemand!) jeweils 1,2 Milliarden DM von den Haushältern des wären die Bewohner der Fläche, ländlicher Räume, Unternehmens erwartet wird, hört sich das nach die Dummen. Das werden Ihnen, Herr Kollege Pfef- 7880 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 105. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. November 1984 Paterna fermann, auch die Fachleute von der FCC erzählen, tik zu buchen sind. Insgesamt werden es für die wenn Sie einmal mit denen reden. drei Jahre etwa 4,5 Milliarden DM sein. (Pfeffermann [CDU/CSU]: Das tut doch bei Einnahmen laut Haushaltsplan im Jahr 1984: 95 uns niemand der Verantwortlichen!) Millionen DM; Einnahmeerwartung für das Jahr 1985: 165 Millionen DM. Das ist also bis auf weiteres — Ich stelle doch mal Gemeinsamkeiten fest und eine Riesendiskrepanz. Nun kann man lange strei- weiß nicht, warum Sie gerade da protestieren. Ich ten über Amortisation, über break even points usw.; glaube, daß wir durchaus gemeinsam diese Aspekte das will ich alles nicht tun. Aber ich halte es für betonen sollten, die unverändert für die Berechti- unvertretbar, daß bis Ende 1985 diese insgesamt 4,5 gung sprechen, die Bundespost als Betriebseinheit Milliarden DM ohne klare unternehmenspolitische und gemeinwirtschaftliches Unternehmen zu füh-- Aufgabenstellung, ohne klare Planungsvorgaben an ren, d. h. gegen Privatisierung zu sein. die OPDen und an die Fernmeldeämter unter oder Zu diesem Aspekt der gesamtwirtschaftlichen über die Erde gebracht worden sind. Es gibt bis Verantwortung gehört, meine ich, auch — da wird heute, mehr als zwei Jahre nach der Übernahme es dann vielleicht etwas schwieriger —, daß man die Ihrer Unternehmensverantwortung, Herr Postmini- Rationalisierungswirkungen der Infrastrukturlei - ster, keine klare Planungsvorgabe, nach welchen stungen, insbesondere im Fernmeldebereich, mit Kriterien, in welcher Reihenfolge und nach welchen bedenkt; Rationalisierungswirkungen der neuen In- Kostenmaßstäben die Fernmeldeämter von einem formations- und Kommunikationstechniken nicht auf das andere Jahr diesen Netzausbau betreiben nur hinsichtlich des Arbeitsplatzverlustes, der da- sollen. mit verbunden sein kann, sondern auch hinsichtlich Wenn es diese Vorgaben geben wird — allmäh- der Veränderung der Arbeitsplatzstrukturen, die lich zeichnet sich das ab; in den nächsten Monaten mit Sicherheit kommen werden, und der möglicher- werden sie wohl kommen und vielleicht auch noch weise zunehmenden, uns über den Kopf wachsen- im Jahr 1986 ein bißchen wirken können —, dann den Probleme im Bereich des Datenschutzes, die werden Sie, liebe Kollegen von der Union, noch ein entstehen, wenn man eine zunehmende Netzinte- schlimmes Erwachen erleben. Dann werden Sie gration betreibt. Das, was langfristige Strategie ist feststellen — das sage ich Ihnen ohne jede Polemik — hin zu einem Integrated Service Digital Network, voraus —, daß sich nicht mehr als 50 % der bundes- ISDN — alle Dienste mit Ausnahme der Verteilung deutschen Haushalte nach betriebswirtschaftlich von Hörfunk und Fernsehen werden in einem einzi- akzeptablen Bedingungen werden verkabeln lassen, gen Netz betrieben —, wird die Datenschutzpro- daß insbesondere die Flächenländer — speziell gilt bleme bei uns vergrößern. Ich glaube, das ist nicht dies für Gemeinden mit unter 20 000 Einwohnern — strittig. Wie man ihnen begegnet, darüber sollten den Bach heruntergehen werden und daß gerade in wir einmal an anderer Stelle gründlicher diskutie- Bayern und Rheinland-Pfalz — dort ist es am ex- ren. tremsten —, aber auch in Schleswig-Holstein etwa Ich glaube, wir können auch gemeinsam darauf weit unter dem Durchschnitt investiert werden hinweisen, daß der Schutz persönlicher Daten, der wird. Die Erwartungshaltungen, die bei den unions- gewissenhafte Umgang mit dem Post- und Fernmel- geführten Landesregierungen bestehen und auf degeheimnis im Hinblick auf das Ansehen des Un- Grund deren Mediengesetze verabschiedet wurden, ternehmens ein hohes Gut ist, das sich betriebswirt- werden auch nicht annähernd erfüllt werden. schaftlich auch positiv auswirkt. Wir müssen alles Angesichts der enormen Kosten, die das bereits vermeiden im Zusammenhang mit neuen Diensten verursacht hat, werden wir uns selbst bei einem sol- wie etwa Bildschirmtext, TEMEX und anderen, Da- chen heraufziehenden unionsinternen Streit der tenschutzprobleme auf die leichte Schulter zu neh- Schadenfreude enthalten. men. Lieber des Guten etwas zuviel als unter for- maljuristischen Zuständigkeitserwägungen etwas Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. zuwenig tun. (Beifall bei der SPD — Pfeffermann [CDU/ CSU]: Jetzt wissen wir endlich, warum die Ich wollte nun auf einige Beispiele aus den Haus- SPD erst gar keine Mediengesetze macht!) haltsunterlagen hinweisen, mit denen ich begrün- den wollte, daß manche dicken Investitionsbrocken in diesem Haushalt von dem Unternehmen viel zu dürftig begründet werden, daß sie nachvollziehba- Vizepräsident Westphal: Das Wort hat der Herr rer für die Abgeordneten, für die Mitglieder des Abgeordnete Dr. Friedmann. Postverwaltungsrates gemacht werden müssen. Ich schenke mir das aus Zeitgründen. Das ist in dem Arbeitsausschuß des Postverwaltungsrats auch be- Dr. Friedmann (CDU/CSU): Herr Präsident! Meine reits ausführlich beredet worden. sehr geehrten Damen und Herren! Delikatessen be- spricht und genießt man vorwiegend am Abend. Was last not least die Breitbandverkabelung an- Das ist wohl der Grund, warum wir heute abend langt, so können wir uns, meine ich, auch minde- sowohl über Hummer als auch über die Bundespost stens in einem Punkte einig sein. In den Haushalts sprechen. jahren 1983 bis 1985 sind j a nicht nur die 3 Milliar- den DM für die Breitbandverkabelung etatisiert (Heiterkeit — Zurufe von der SPD) worden, sondern auch eine ganze Reihe anderer — Wer eine Tonsur hat, ist auch Delikatessen ge Posten, die ebenfalls auf das Konto der Medienpoli- genüber nicht abgeneigt. Die Tonsur ist ein Aus- Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 105. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. November 1984 7881

Dr. Friedmann druck dafür, daß der Heilige Geist über einen ge- schlechteres Ergebnis als das Ergebnis dieses Jah- kommen ist, lieber Herr Roth. res. (Zuruf des Abg. Roth [SPD]) Man muß auch wissen, daß von der Kosten- und — Ich weiß auch nicht, warum Sie den Zwischenruf Erlösstruktur her dieser Gewinn abnehmende Ten- gleich so bringen. Ich wollte eigentlich Herrn Pa- denz hat. Wenn sich die Gebührenstruktur nicht terna dafür loben, daß er eben mit Sachkenntnis ändert, wenn sich die Kostenstruktur nicht ändert, und mit Engagement über die Bundespost gespro- wird der Gewinn langsam, aber sicher seinem Ende chen hat. Dies wollte ich ihm bestätigen. Sie sollten entgegengehen. es mir nicht verübeln, wenn ich Ihren Kollegen Nun gibt es ja viele auch unter unseren Kollegen, auch einmal lobe. Sie werden es doch einem Ihrer die fragen: Wozu braucht ein öffentliches Unterneh- Kollegen gönnen. Wenn Sie es mir nicht gönnen, men einen Gewinn von 3 Milliarden DM? Sollte ein nehme ich es Ihnen nicht übel. solches Unternehmen — so ist die Frage — nicht (Zuruf des Abg. Kühbacher [SPD]) lieber auf den Gewinn verzichten, indem es etwa die Gebühren senkt oder indem es seine Mitarbei- Nun ist es nicht meine Absicht, eine Philippika ter besser bedient? Das ist eine oberflächliche Be- zur Breitbandverkabelung zu halten. Das Thema ist trachtungsweise. Denn wenn die Post sagt, sie er- mit dem Minister besprochen. Wir sind einver- wirtschafte einen Gewinn von 3 Milliarden DM, nehmlich übereingekommen, daß in sechs Jahren dann ist dies eine kaufmännische Aussage, die mit bezüglich der Investitionen Wirtschaftlichkeit zu er- einer kameralistischen Aussage nicht vergleichbar zielen ist. Dies bedeutet, daß nach 19 Jahren die ist. Dort, wo kameralistisch Buch geführt wird, ist Amortisation stattfindet. Das heißt, daß die Milliar- in solchen Fällen von Überschuß die Rede. Ein de, die in diesem Jahr investiert wird, sich bis zum Überschuß von 3 Milliarden würde bedeuten, daß Jahr 2003 bezahlt gemacht haben muß. Das muß bei nach Abzug der Investitionen 3 Milliarden übrig einer neuen Technik machbar sein, und darüber sind. Das kann bei der Post so nicht interpretiert gibt es auch gar keinen Dissens. werden. (Frau Dr. Hickel [GRÜNE]: Das ist eine Die Post wird im nächsten Jahr 16,7 Milliarden Täuschung!) investieren. Das ist eine stolze Zahl. Damit ist die Verehrter Herr Paterna, Sie haben vorhin kriti- Post der größte Investor. Aber diese 16,7 Milliarden siert, daß der Posthaushalt, insbesondere der Perso- müssen ja finanziert werden. Sie werden zur Hälfte nalhaushalt, noch nicht besprochen sei. Sie wissen, aus Abschreibungen finanziert. Und wie sieht es daß der eigentliche Posthaushalt hier nicht Gegen- mit der anderen Hälfte aus? Für die andere Hälfte stand der Debatte ist, weil er auch_ nicht Teil des stehen 3 Milliarden Gewinn zur Verfügung. Dann Bundeshaushalts ist. Aber es ist gute Tradition, daß bleibt eine Lücke von über 5 Milliarden DM, die der Posthaushalt in dem dafür zuständigen Gremi- durch eine Nettokreditaufnahme finanziert werden um, nämlich im Verwaltungsrat, im Dezember bera- muß. ten und Ende Dezember auch verabschiedet wird, samt Personalhaushalt. So wird es auch dieses Mal Daß heißt, trotz des Gewinns von 3 Milliarden sein. DM muß die Post neue Schulden von über 5 Milliar- den DM machen. Die Verbindung zum Bundeshaushalt — ich kann nur immer wieder darauf hinweisen — ergibt sich Dieses Beispiel dokumentiert ganz deutlich, wie daraus, daß im Einzelplan 13 das Gehalt des Mini- wichtig Gewinn in Unternehmen ist. Das gilt nicht sters und seines Staatssekretärs genauso wie die nur in einem öffentlichen Unternehmen, das wie Ablieferung und das Ergebnis der Bundesdruckerei ein privates geführt wird. Jedes Unternehmen veranschlagt sind. braucht Gewinne, damit es seine Investitionen fi- nanzieren kann; auch ein öffentliches Unterneh- Ich möchte Ihre Aufmerksamkeit heute abend men wie die Bundespost. auf etwas ganz anderes lenken. Die Bundespost wird im kommenden Jahr Betriebseinnahmen von Dieser Gewinn von 3 Milliarden ist dem Gewinn fast 50 Milliarden DM erzielen. Darin stecken Um- nach Steuern in der Industrie vergleichbar. Man satzerlöse von etwas mehr als 47 Milliarden DM. bezeichnet Unternehmen, die heute eine Umsatz- rendite von einem oder zwei Prozent erzielen, als Natürlich stehen den Betriebseinnahmen auch Spitzenunternehmen. Bei der Post sind bei den Betriebsausgaben gegenüber. Unter dem Strich 3 Milliarden bereits die Ablieferungen an den Bund wird die Post im neuen Jahr einen Gewinn von rund von über 4 1 / 2 Milliarden abgezogen. Sie wissen: 3 Milliarden DM machen. Das hört sich sehr stolz Diese 10 % entsprechen dem, was private Unterneh- an, zumal wenn man bedenkt, daß die Post im lau- men als steuerliche Belastung zu tragen haben. Das fenden Jahr einen Gewinn von 2,3 Milliarden DM ist wichtig. Denn in dem nichtmonopolisierten Be- erzielen wird. reich leistet die Bundespost, privaten Unternehmen Wenn man die Ergebnisse vergleicht, muß man Konkurrenz; Unternehmen, die ihrerseits Einkom- aber bedenken, daß in diesem Jahr eine Investi- men- oder Körperschaftsteuer zahlen müssen. tionsrückstellung in Höhe von 1 Milliarde DM gebil- Durch die Ablieferung von 10 % ist die Bundespost det werden muß, die eigentlich zu dem Ergebnis von pauschal im Wettbewerb den steuerpflichtigen pri- 2,3 Milliarden DM hinzukommt. Im nächsten Jahr vaten Unternehmen gleichgestellt. Das heißt, die ist eine solche Investitionsrückstellung nicht vorge- 3 Milliarden sind dem Gewinn nach Steuern bei pri- sehen, d. h. der Gewinn von 3 Milliarden DM ist ein vaten Unternehmen zu vergleichen. 7882 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 105. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. November 1984

Dr. Friedmann Bei der Post kommen rund 6 % Umsatzrendite auf dem Zusammenhang auch dafür danken, daß die diese Art zustande. Dennoch — ich muß es noch große Zahl der Mitarbeiter die ganze Diskussion einmal sagen — muß die Post neue Schulden von über die sogenannte Null-Runde im großen und über 5 Milliarden DM machen. ganzen, ohne stark zu murren, hingenommen und Nach meiner Einschätzung kommt es darauf an, auch die niedrigen Erhöhungsraten mit ertragen daß sich die Unternehmensleitung in nächster Zeit hat. sehr kritisch die Ertragsentwicklung vornimmt. Sie (Pfeffermann [CDU/CSU]: Aber sich noch wird nicht umhinkönnen, ihre Kostenstruktur kri- mehr gefreut hat, als das Problem so gelöst tisch zu durchleuchten und auf mehr Arbeitspro- wurde, wie es gelöst worden ist!) duktivität durch Rationalisierung zu setzen. Denn — Da gebe ich Ihnen gerne recht, Herr Pfeffer- da ist einiges zu tun. Man kann nicht glauben, daß mann. Denn die Postbediensteten sehen natürlich z. B. im Paketdienst private Unternehmen sich nur auch, daß bei einer niedrigen Inflationsrate und die Rosinen herauspicken. Jene privaten Konkur- 3,2 % Lohn- und Gehaltserhöhung einiges übrig- renten beim Paketdienst haben eine bessere Ko- bleibt. Schönen Dank für den Hinweis. — Aber stenstruktur. Die einzelnen Mitarbeiter und die ein- wenn es möglich wäre, den Stellenkegel bis zur obe- gesetzten Kraftfahrzeuge erbringen je Produktions- ren Grenze auszunutzen, so wäre gerade dem einfa- einheit mehr Leistung, als es innerhalb der Post, chen und dem mittleren Dienst besonders gehol- aus welchen Gründen auch immer, der Fall ist. fen. Die Bundespost wird auch darauf achten müssen, (Beifall bei der CDU/CSU und des Abg. daß sie eine offensive Marktstrategie betreibt. Sie Kühbacher [SPD]) kann nicht einfach alles so weiterlaufen lassen, wie es herkömmlich gewachsen ist. Wir haben den Finanzminister deshalb gebeten, diese Angelegenheit wohlwollend zu prüfen. Er Die Post hat den Vorzug, daß sie durch ihre In- wird dies auch tun. frastruktur über das ganze Land vertreten ist und daß sie Dienstleistungen anbietet, die allzeit gefor- (Kühbacher [SPD]: Hoffentlich!) dert und benötigt werden. Ein weiteres Problem ist der sogenannte Stellen- Die Post kann ein sehr wichtiger Partner für die puffer. Bei der Post sind ungefähr 50 000 Stellen ganze Bevölkerung und die Industrie sein. Das höher bewertet als die entsprechenden Arbeits- heißt, sie muß ihre Dienstleistungen offensiv anbie- platzinhaber. Es kommt immer wieder das Argu- ten. ment, die Bediensteten müßten somit eine Arbeit Doch, verehrter Herr Schwarz-Schilling, ich muß verrichten, die höherwertig ist, als sie bezahlt wird. hier rechtzeitig auf einen gewissen Konflikt hinwei- Es wird entgegengehalten, man solle doch den Mit- sen. In dem Maß, wie Sie aus unternehmerischen arbeitern diese Hoffnung lassen; das koste die Post Gesichtspunkten offensiv tätig werden, können Sie ja nichts. Ganz so ist es nicht. Soweit Tarifbedien- mit dem in Konflikt geraten, was wir sonst wirt- stete auf höherbewerteten Dienstposten sitzen, muß schaftspolitisch vorhaben. Wir haben wirtschaftspo- der Arbeitgeber Bundespost nach einem halben litisch eine breite Privatisierungswelle in Gang ge- Jahr auch die höheren Bezüge bezahlen. Aber im setzt. Sie ist noch nicht befriedigend. Aber es würde Grunde genommen ist es unehrlich, wenn man nur schwer zusammenpassen, wenn ein öffentliches 50 000 Bediensteten vormacht, sie könnten alsbald Unternehmen auf privatwirtschaftlichen Gebieten mit einer Beförderung rechnen, die dann doch nicht verstärkt tätig wird, während wir andererseits kommt. staatliche Unternehmen privatisieren. Hier müssen (Beifall des Abg. Werner [CDU/CSU]) plausible Gründe gefunden werden, um zu erklären, Deshalb haben wir als Rechnungsprüfungsaus- wie dies zusammenpaßt. schuß der Bundespost vorgegeben, den Stellenpuf- Nun, verehrter Herr Paterna, haben Sie einige fer etwa um die Hälfte abzubauen; die Beförde- Schwierigkeiten im personellen Bereich angespro- rungschancen bleiben die gleichen. Die Wahrneh- chen; sie sind zweifellos vorhanden. Vorhin hat mung dieser Chancen verlangt vielleicht ein wenig mich Kollege Kühbacher darauf angesprochen, daß mehr Mobilität als bisher. Dies bedeutet aber auch z. B. der sogenannte Stellenkegel noch nicht ausge- ein Stück mehr Ehrlichkeit. Ich möchte die Gewerk- schöpft ist. schaften, den Beamtenbund, die Bediensteten bit- (Kühbacher [SPD]: Das ist wahr!) ten, dies einzusehen. Die Probleme liegen sicher auch darin, daß der Bundespostminister seine Sie wissen, daß die Mehrzahl der Bediensteten bei Mannschaft noch mehr als bisher für sein Unter- der Post im einfachen und im mittleren Dienst be- nehmen motivieren muß. schäftigt ist. Diese Mitarbeiter sind nicht üppig be- zahlt. Herr Paterna, Sie haben vorhin gesagt, hier sei ein Gebiet, auf dem wir keine Erblast übernommen (Kühbacher [SPD]: Das ist richtig!) hätten. Ganz so ist es nicht. Die Digitalisierung des Es ist keine Seltenheit, daß ein Fernmeldesekretär Fernmeldenetzes hätte früher begonnen werden im Alter von 26/27 Jahren — verheiratet, zwei Kin- können. Die Beschäftigungsschwierigkeiten, die wir der — mit 1600, 1700 DM netto heimgeht. Wenn er bei Fernmeldehandwerkern haben, hängen gerade davon noch Miete oder die Tilgung für ein neues hier mit einem gewissen Versäumnis zusammen. Haus bezahlen muß, bleibt nichts anderes übrig, als Ich räume Ihnen gerne ein: Die Ertragslage, die wir daß seine Frau auch arbeiten geht. Ich möchte in von Ihnen übernommen haben, war im großen und Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 105. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. November 1984 7883

Dr. Friedmann ganzen befriedigend. Aber hier sind noch einige Ich frage mich jedoch, warum die Abgeordneten Dinge nachzuholen. Nun, wo ist das nicht der Fall? des Bundestages, vor allem aber die Abgeordneten (Pfeffermann [CDU/CSU]: Aber nicht im Postausschuß, in diesem Verfahren — insbeson- durch neue Marktangebote, sondern nur dere aber hinsichtlich seines zeitlichen Ablaufs — durch Gebührenerhöhungen war diese Er nicht eine unerhörte Mißachtung ihrer parlamenta- tragslage so befriedigend!) rischen Kompetenz sehen. Es ist doch ganz sicher möglich, ohne daß das Postverwaltungsgesetz geän- — Da gebe ich Ihnen recht; dazu ließe sich vieles dert werden müßte, daß die Feststellung durch den sagen. Wir haben mit den Pfunden, die wir auf dem Bundesverwaltungsrat so getimet wird, daß uns der Gebiet übernommen haben, mit auskömmlichen Haushalt des Bundespostministeriums nach der Gebühren, gewuchert, Herr Pfeffermann, aber jetzt - Feststellung durch den Postverwaltungsrat in die- wird es um so mehr darauf ankommen, die Kosten ser großen Haushaltsdebatte, in der die Haushalte dementsprechend anzupassen. aller Ministerien beraten werden, vollständig vor- Alles in allem möchte ich meinen: Die Bundes- liegt. Dann würden wir hier nicht so eine nutzlose post befindet sich in einem sehr guten Zustand. Der Diskussion über einen Einzelplan führen, der nichts Bundespostminister wird dieses Unternehmen ent- aussagt. Ein derartiges Verfahren würde der Bedeu- sprechend weiterzuentwickeln haben. Er ist sich tung dieses Haushalts entsprechen: Der Haushalt dieser Aufgabe bewußt und darf sich sicher sein, des Bundespostministeriums ist zusammen mit daß wir ihn dabei unterstützen. dem Verteidigungshaushalt der größte Haushalt al- Wir stimmen dem Einzelplan 13 deshalb zu. ler Bundesministerien. Schönen Dank. Ich habe Ihnen eine Anzeige mitgebracht. — Das (Beifall bei der CDU/CSU, der FDP und bei ist eine halbseitige Anzeige in einer großen Tages- Abgeordneten der SPD — Kühbacher zeitung. Die linke Hälfte ist ziemlich leer. Auf der [SPD]: Eine gute Rede!) rechten Seite sieht man einen großen Bildschirm. Das Ganze trägt die große Balkenüberschrift: „Computer sind einsam." Wenn Sie sich einmal den Vizepräsident Westphal: Das Wort hat die Abge- kleingeschriebenen Text ansehen, dann wird Ihnen ordnete Frau Reetz. schlecht, denn dort steht: (Pfeffermann [CDU/CSU]: Aber bitte nicht Ihr teurer Kollege, der Computer, schuftet von schon wieder Hummer! Es reicht! — Hei morgens bis abends. terkeit bei der CDU/CSU) Ich verlese nicht das ganze Zitat, sondern nur ei- nige Sätze. Es heißt dort weiter: Frau Reetz (GRÜNE): Herr Präsident! Kollegin- nen und Kollegen! Hinsichtlich Einzelplan 13 gerate Er kalkuliert und kombiniert, optimiert und or- ich in ein gewisses Dilemma, denn eigentlich weist ganisiert, berechnet und bestellt. er ja nur das Gehalt des Bundespostministers und Dann heißt es aber: der Staatssekretäre sowie noch den Haushalt der Soll Ihr Computer immer mit ein und demsel- Bundesdruckerei aus. Es geht zwar nicht direkt aus ben Kollegen bei ein und derselben Firma ar- dem Haushalt hervor, aber bei der Besprechung beiten? Braucht er nationale oder weltweite wurde man doch gewahr, daß sich die Bundesdruk- Kontakte? Wie schnell und wie viele Daten wer- kerei wahrscheinlich um einen Arbeitsauftrag be- den ausgetauscht? mühen muß. Zwar ist ein hoher Betrag — das ist ein großer Brocken — für den Druck des fälschungssi- (Dr. Friedmann [CDU/CSU]: Kein Humor!) cheren, computerlesbaren Personalausweises ein- — Vielleicht haben Sie einen anderen Humor, aber gesetzt worden, aber wenn das nun so nicht hin- meiner Meinung nach ist das eine Werbung, zu der haut, dann wird es doch wohl notwendig, daß man ich sagen möchte: Herr Dr. Schwarz-Schilling sollte sich nach einem anderen Arbeitsauftrag für die vielleicht wieder einmal die Werbeagentur wech- Bundesdruckerei umsieht. seln, oder er sollte überhaupt auf Werbeagenturen (Werner [CDU/CSU]: Das war ein witziger verzichten. Ich meine, notwendig wäre — ange- Einstieg!) sichts der Unternehmungen der Bundespost, die Sie — Ja. ja auch geschildert haben — wirklich ein Dialog mit Betroffenen. Das sind alle Bürger. Notwendig wäre Nach dem Grundgesetz ist die Deutsche Bundes- aber auch ein Dialog mit Sachverständigen, und post eine bundeseigene Verwaltung mit einem eige- zwar in technischer und finanzieller Hinsicht, so nen Verwaltungsaufbau. Die Betriebspflicht ist im wie Sie, Herr Dr. Friedmann, es uns soeben gut dar- Postverwaltungsgesetz festgelegt. Ich habe mir das gestellt haben. Postverwaltungsgesetz sehr genau durchgesehen, weil ich, wie gesagt, mit diesem Haushalt immer (Pfeffermann [CDU/CSU]: Blasen Sie doch Schwierigkeiten habe. Dabei habe ich festgestellt — keine Mücke zu einem Elefanten auf mit so das ist Ihnen j a nicht unbekannt; ich möchte es einer Anzeige!) aber doch wiederholen —, daß der Haushalt des Durch diesen Dialog wurde wirklich klar, was uns Postministeriums den 24 Mitgliedern des Postver- diese neue Telekommunikations-Infrastruktur in waltungsrates zur Feststellung vorgelegt wird. Da- bezug auf unseren alltäglichen Ablauf bringt, wie nach wird er dem Bundestag und auch dem Bun- sehr sie unser aller Leben verändert. Natürlich desrat zur Kenntnis gebracht. wurde dadurch auch klar — das gehört auch 7884 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 105. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. November 1984

Frau Reetz dazu —, was das alles kostet. Es ist wenig bekannt, Dabei ist doch das Telefonnetz nach dem jetzigen daß im Laufe von einigen Jahrzehnten — in 10 oder analogen System zu 99 % gesättigt, und jeder ist 20 Jahren — 400 Milliarden DM dafür aufgewendet damit zufrieden. werden müssen. (Beifall bei den GRÜNEN) (Dr. Friedmann [CDU/CSU]: Das gibt doch Kein Mensch hat ein Bedürfnis für DATEX. Was ich wieder Arbeitsplätze!) Ihnen eben gezeigt habe, war j a eine Reklame für Sogar der Bundespostminister hat einmal in einer den Datentext: DATEX-P. Wissen Sie, was es da für Rede zugegeben, daß diese gewaltige Aufgabe der eine Kostendeckung gibt? 35 %! Und da regen sich Zukunft eine Kapitalmasse erfordert, wie sie bisher die Leute auf, wenn wir bei der gelben Post 84 % noch für keine Netzstruktur notwendig war. Bei -ei- haben. Diese Sachen gehen mit weniger als 30 oder ner solchen Kapitalmasse wird natürlich der Rech- 40 % durch. nungshof hellhörig. (Pfeffermann [CDU/CSU]: Sie verwechseln Auch Ihr kritisches Gutachten zur öffentlichen Äpfel und Birnen!) Breitbandverkabelung hat nicht den Erfolg gehabt, daß etwa damit aufgehört worden wäre, diese Inve- — Also, jetzt sage ich einmal das, was ich weiter ausführen wollte. Herr Pfeffermann, wenn Sie stitionen in den Sand zu setzen, sondern es ist ge- nau im Gegenteil geradeso weitergegangen, sogar nachher reden, sage ich auch nicht: Sie müssen das mit neuen unbedachten Maßnahmen. sagen, und Sie müssen das sagen. (Zuruf von der CDU/CSU: Methoden!) (Pfeffermann [CDU/CSU]: Ich stelle auch nicht so blödsinnige Vergleiche an! — Roth — Ich weiß schon, was ich sagen will. Ich wollte nur [SPD]: Pfeffermann, Ruhe!) ein deutsches Wort statt „Methoden" sagen. — In dem Betriebsversuch ist z. B. weiter in dieser Rich- — Ich habe überhaupt keine Vergleiche angestellt. tung gearbeitet worden. Sie können doch nicht bestreiten, daß DATEX-P eine enorme Kostenunterdeckung hat. Die Kosten- unterdeckung der gelben Post aber wird seitens des Vizepräsident Westphal: Frau Abgeordnete Reetz, Postministeriums dazu benutzt, zu argumentieren, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abge- daß das nicht so weitergehen kann, daß eine Quer- ordneten Kühbacher? subventionierung nicht auf Sankt Nimmerlein er- folgen kann und daß die notwendige Querfinanzie- Kühbacher (SPD): Frau Reetz, glauben nicht auch rung, die, wenn ich mich nicht irre, im vorigen Jahr Sie, daß mit 400 Millionen DM Investitionen eine noch 4 Milliarden DM betragen hat, jetzt nahezu Unmenge friedlicher, hochintelligenter Arbeits- brutal auf 2 Milliarden DM zurückgedrängt wird. plätze geschaffen werden könnten? Sind Sie nicht Diese Entwicklung, die sich im Rahmen der Digi- der Meinung, daß Ihre Kritik, wenn Sie sie schon talisierung ergibt, ist auf alle Fälle — — daran anbringen, doch eine Alternative aufzeigen sollte, welche andere Technologie, die auch friedlich (Pfeffermann [CDU/CSU]: Unklar ist der ist, die Bundesrepublik intensivieren sollte? Rede Sinn!) — Haben Sie es nicht verstanden? Na, dann reden wir noch einmal allein darüber. Frau Reetz (GRÜNE): Ich danke Ihnen. Ich wurde vorhin bei der Rede von Herrn Paterna an seine Die Digitalisierung, von der wir eben gesprochen Ausführungen vom vorigen Jahr erinnert, als er an haben, bedeutet in jedem Fall eine Vorleistung an den Posthaushalt unerhört hart herangegangen die Industrie, vor allem an die sogenannte Büro- war. Die SPD ist in diesem Jahr auf alle Fälle sehr kommunikation, wobei sehr fraglich ist, ob das konziliant und paßt sich in einer gewissen Art an überhaupt eine Bürokommunikation bleibt. Denn die weitere Entwicklung an. auch Sie wissen, daß über die neuen Wege, die da (Pfeffermann [CDU/CSU]: Sie ist auf die eröffnet werden — z. B. „homebanking" und „home- Idee gekommen, daß die Postbediensteten working" —, die Arbeit wahrscheinlich in unsere die Reden nachlesen!) Wohn- und Schlafzimmer verlegt wird und die Bü- ros zu einem großen Teil nicht mehr zur Büroarbeit Natürlich sind diese 400 Millionen DM eine Rie- genutzt werden. senausgabe. Mir kommt dabei das Bedenken, daß das ja eine eingeschränkte, enge, eingleisige Rich- (Zuruf von der CDU/CSU: Auch in die Kü tung ist und daß überhaupt keine technischen Al- che! — Frau Dr. Vollmer [GRÜNE]: Grau ternativen erwogen werden. same Arbeitsplätze! — Weitere Zurufe von der CDU/CSU und Gegenrufe von der (Beifall bei den GRÜNEN) SPD) Dabei sind sehr viele Alternativen möglich. — Natürlich auch in die Küche. In die Küche kom- Ich rede jetzt einmal so, wie jeder Mensch auf der men noch die anderen vielen Dienste, die die Post Straße jetzt spricht. Postbenutzer und Telefonkun- uns aufdrängt — mit Messen und Einstellen und den sagen: „Was, 400 Millionen DM? Haben wir sonstwas —, so daß man schon überhaupt nicht denn nichts weiter zu tun, als die 4 Millionen in die mehr weiß, an welchem Knöpfchen vielleicht noch Digitalisierung zu stecken?" zu drehen ist, damit man endlich wieder normal (Pfeffermann [CDU/CSU]: Wieviel denn wird. nun: 4 Millionen oder 400 Millionen DM?) (Zurufe von der CDU/CSU) Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 105. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. November 1984 7885

Frau Reetz — Gut. Das ist wahr. Wir brauchen es nur abzuneh- Ich möchte zum Schluß sagen: Der Postminister men. Das war es, wovon ich vorhin gesprochen spricht immer wieder davon, daß alles das ge- habe. Notwendig ist wirklich ein Dialog mit dem schieht, damit wir exportfähig bleiben und unbe- Bürger, eine Aufklärung, aus der heraus die Leute dingt möglichst noch die Amerikaner und Japaner genau wissen, auf was sie sich einlassen, wenn sie überrennen. an dem Betriebsversuch teilnehmen. Da weiß nicht (Zuruf von der CDU/CSU: Nicht überren jeder Hausverwalter, daß er z. B. die ganze Akquisi- nen, überholen!) tion selbst machen muß und danach für 30 oder 40 Ich habe auch einmal einen Ausspruch des Postmi- Parteien in einem Hochhaus verantwortlich ist. Das nisters gehört, in dem er in bezug auf diese Export- muß gemacht werden. - fähigkeit doch einmal ehrlicherweise eingestanden Aber stillschweigend und schleichend kommt hat, daß er sich so vorkommt wie in dem Märchen diese Entwicklung. Von Digitalisierung weiß über- vom Hasen und Igel: wo er auch hinkommt, sind die haupt niemand etwas. anderen schon dagewesen. Ich meine, es ist auch etwas, darüber nachzudenken, daß wir über andere (Pfeffermann [CDU/CSU]: Das ist etwas Technologien nachdenken müssen, daß wir Alterna- ganz Schlimmes! Außerordentlich umwelt tiven suchen müssen, wo wir vielleicht ein ganz schädlich!) anderes Know-how haben, statt diesem nachzulau- Das ist eine postinterne Strukturveränderung, die fen, vor allem deshalb schlimm ist, weil sie viel Geld (Zuruf von der CDU/CSU: Zum Beispiel?) kostet und weil wir dieses Geld auch bei dem so statt die Zahl der Bits nur immer höher zu treiben. hohen Bruttosozialprodukt, das wir haben, dringend Wenn wir im Schmalband vielleicht 64 Kilobits ha- notwendig haben für andere Ausgaben. ben, reden Sie schon wieder davon, daß wir unbe- (Beifall bei den GRÜNEN — Pfeffermann dingt das Breitband mit 140 Megabit brauchen. Ich [CDU/CSU]: Eine Katastrophe, so was als habe von einem Professor gehört, der sogar schon Fachbeitrag zu leisten!) gesagt hat, die Bits sollten als Verrechnungseinheit genommen werden: Gibst du mir eine Information, Ich habe davon gesprochen, daß wir in jedem kriegst du von mir auch eine. Diese Verständigung Falle aufklären müssen, wenn solche grundlegen- klappt dann um den ganzen Erdball herum. Ich mei- den Änderungen in bezug auf das Leben der Allge- ne, in diesem Wettlauf werden wir wahrscheinlich meinheit durchgeführt werden. Es gibt z. B. den immer hinten dran sein, oder wir werden ihn auf Professor Kubicek in Trier, der sehr eindeutige Kosten von anderer Lebensqualität, die wir haben, Maßstäbe dafür gesetzt hat. durchführen; denn jede Münze hat ihre zwei Seiten. Für alles, was Sie in dieser Technik erringen wer- (Pfeffermann [CDU/CSU]: Es gibt noch an den, werden Sie einen hohen Preis zahlen müssen. dere Professoren!) Wir GRÜNE sind dafür, daß ein Bürgerdialog Er hat gesagt, es entstehen drei sehr tiefgreifende durchgeführt wird, das aufgeklärt wird, aber nicht Gefährdungen. Das ist einmal die Gefährdung des mit solchen Anzeigen, in denen überhaupt nichts Arbeitslebens, zum anderen ist es die Gefährdung drinsteht als so eine billige Werbung, des Reproduktionsbereichs — also Freizeit, Kon- sum —, und zum dritten ist es die Gefährdung des (Beifall bei den GRÜNEN) staatlichen Bereichs; daß wirklich von Fachleuten aufgeklärt wird, damit die Leute wissen, was die Digitalisierung des Tele- (Zuruf von der CDU/CSU: Änderung, keine fonnetzes, die Verwandlung von einzelnen Netzen Gefährdung!) in integrierte Netze und letzten Endes der Über- des Arbeitsbereiches durch Rationalisierung, durch gang zu Breitbandverkabelung — auch von Kupfer Entfremdung von der Arbeit, des Reproduktionsbe- auf Glas — in den nächsten 20 Jahren für sie bedeu- reiches durch eine Machtentfaltung der Gruppen, ten. die mit dem Computer arbeiten, bis in die Freizeit (Beifall bei den GRÜNEN) hinein gegenüber dem einzelnen, der die Freizeit selbst genießen will, und des staatlichen Bereichs Vizepräsident Westphal: Das Wort hat der Abge — das ist ganz schlimm — in bezug auf Daten- ordnete Hoffie. schutz und auf die Personenstandserfassung. Ich sehe, ich habe nicht mehr viel Zeit. Ich Hoffie (FDP): Herr Präsident! Meine Damen und möchte noch sagen: Die Gelbe Post ist keinesfalls Herren! eine Oase der Daseinsvorsorge. Wir haben vorhin (Kühbacher [SPD]: Aber nicht so schreien! schon besprochen, wie sehr durch die jetzt nicht — Weitere Zurufe von der SPD) mehr erfolgende Quersubventionierung innerhalb des Betriebes auch bei diesem Betrieb Einschrän- — Nein, jetzt machen wir es ganz ruhig. Es sind ja kungen gemacht werden müssen. Es muß da aber nur noch wenige da. doch festgestellt werden, daß die Gelbe Post mit Frau Reetz, Ihnen dürfte man zuerst sagen: Se- 65% Personalkosten belastet ist, also in einer ganz hen Sie, wenn neue Kommunikationstechnologien anderen Art arbeitet als die Graue Post, die nur in bis an den Küchenherd kommen, hat das zumindest bezug auf diese Investitionen in den Haushalt ein- für Ihre grüne Anhängerschaft den Vorteil, daß fließt. man einmal wieder richtig kochen kann. Da kriegt 7886 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 105. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. November 1984 Hoffie man die Daten, die Rezepte und die Zutaten gleich Um so erfreulicher ist es, daß der Postminister durchgespielt. Man kann von dem Einheitskörner- inzwischen sehr viel getan hat, die Attraktivität der brei weg. Dann können Sie einmal wieder richtig Fernmeldedienste aufrechtzuerhalten und noch genießen dazu zu steigern. (Pfeffermann [CDU/CSU]: Rezepte für fri Die Fernmeldegebühren sind insgesamt stabil sche Hummer!) geblieben. Ich hätte mir gewünscht, wir hätten das auch für die zurückliegenden Legislaturperioden in und dabei noch private Programme sehen, ganz der sozialliberalen Regierung sagen können. Dieser nach Wahl. Das Leben wird schöner. Beitrag der Deutschen Bundespost zur allgemeinen Ich will zunächst einmal eine generelle Feststel- Preisstabilität ist für die Gesamtpolitik der Bundes- lung treffen. Bei ganz objektiver Betrachtung muß- regierung eine wesentliche Stütze, eine wichtige Ur- man das unterstreichen, was Herr Friedmann ge- sache für die kontinuierliche Steigerung des Auf- sagt hat: Die Deutsche Bundespost befindet sich kommens im Fernsprechverkehr. insgesamt in einer guten Verfassung. Die Gebühren sind gesenkt worden und werden (Walther [SPD]: Macht aber immer mehr weiter dort gesenkt, wo Schwachstellen in der Ge- Schulden!) bührenstruktur vorhanden waren und sind. Ich nenne einmal die Senkung der Gebühren im inter- — Darüber können wir gleich reden. nationalen Fernsprechverkehr. Eine Gebührensen- Wenn Sie die Zahlen abfragen, Herr Walther: Die kung im internationalen Telexverkehr steht unmit- Deutsche Bundespost hat die Absicht, im kommen- telbar bevor. den Jahr zunächst einmal einen Gewinn von 3 Mil- (Matthöfer [SPD]: Ist das eine Schwach liarden DM zu erzielen. stelle?) (Matthöfer [SPD]: Das halten Sie für viel? — Ja, da brauchten wir einen vernünftigen Aus- Sehen Sie sich mal die Zahlen zu unserer gleich, Herr Kollege Matthöfer. Es kann ja wohl auf Zeit an! — Weitere Zurufe von der SPD) Dauer nicht richtig sein, daß Sie von den USA hier- — Ja, 3 Milliarden DM. her zu einem Bruchteil des Geldes telefonieren kön- nen, das sie ausgeben müssen, um von hier nach Für die Investitionspolitik sind neue Rekorde ge- den USA telefonieren zu können. Das ist eine plant: Schwachstelle. Da müssen Sie die Gebühren absen- (Walther [SPD]: Und neue Schulden, Herr ken, damit Sie zu einem vernünftigeren Verhältnis Hoffie!) kommen. Das ist geschehen. Ebenso ist eine Gebüh- rensenkung im Nandienst, für die Nahbereiche mit Die Anlageinvestitionen sollen um weitere 2 Milli- geringer Anschlußdichte und im Zonenrandgebiet arden DM auf 16,5 Milliarden DM in die Höhe klet- in Vorbereitung. Auch die Gebühren im Autotele- tern. Davon sind allein 14 Milliarden DM für den fonnetz werden drastisch gesenkt, sobald das neue Fernmeldebereich vorgesehen. Autotelefonnetz, das sogenannte C-Netz, in Betrieb (Walther [SPD]: Aber neue Schulden wer genommen werden kann. den gemacht!) Das sind alles gebührenpolitische Maßnahmen, Diese Zahlen zeigen sicher, zunächst einmal vom die ganz konsequent auf eine Verbesserung der At- Zustandsbild her, eine gute Verfassung. traktivität des Dienstleistungsangebots im Bereich der Individualkommunikation hinlaufen. Dies ist Ich glaube, wir können feststellen, daß sich die und bleibt für die weitere Entwicklung der Bundes- dynamische Aufwärtsentwicklung, mit der der Kol- post entscheidend. Denn 90 % aller Aktivitäten ste- lege Matthöfer in seiner Zeit als Postminister si- hen im Dienste der Individualkommunikation — cher hätte gut leben können, in unvermindertem das wird ja in den letzten Monaten immer stärker Tempo fortsetzt. Das wird auch so weitergehen. Das verdeckt —, und nur 10 % der Aktivitäten richten Haushaltsvolumen der Bundespost wird sich im sich auf Massenkommunikation, also auch auf das, Jahre 1985 voraussichtlich um weitere 4 Milliarden was wir unter dem Stichwort Kabel zu diskutieren DM erhöhen. Das bedeutet, daß sich der Haushalt haben. des nächsten Jahres in Einnahmen und Ausgaben Der Bundespostminister hat in richtiger Erkennt- mit fast 71 Milliarden DM ausgleichen wird. nis der zentralen Aufgaben der Deutschen Bundes- Da muß man zuerst herausstellen, daß insbeson- post in Zusammenarbeit mit dem Postverwaltungs- dere das Fernmeldewesen eine stetig wachsende rat erhebliche Anstrengungen unternommen, um gesellschaftliche und wirtschaftliche Bedeutung er- die Post auf den Weg der Innovation und des Kom- langt. Aus diesem zunehmenden Gewicht der Fern- munikationsfortschritts zu bringen. Dies gilt glei- meldepolitik — da langt j a das Stichwort Verkabe- chermaßen für den Dienstleistungsbereich wie lung — ergibt sich — da haben Sie recht, Frau auch für den Netzbereich. Da muß man kurz in Reetz —, das Erfordernis, stärker als in der Vergan- Erinnerung bringen: Einführung des Bildschirm- genheit immer wieder um einen breiten Konsens in textdienstes, dessen Markt sich nach unserer Ober- der Öffentlichkeit für die Fernmeldepolitik bemüht zeugung trotz mancher Geburtswehen Zug um Zug zu sein. Da die Bundespost in die nun wirklich entwickeln wird; die Vorbereitung des Telebox urpersönlichste Lebenssituation jedes einzelnen Dienstes, also Mailbox — da haben wir den Ver- Bürgers hineinwirkt, ist das auch nicht ganz ein- suchsbetrieb aufgenommen —; Vorbereitung Kre- fach. Aber es bleibt notwendig. ditkarten-Telefon (MACATEL) — für das ebenfalls Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 105. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. November 1984 7887 Hoffie der Probebetrieb läuft —; Vorbereitung des lung zu verzichten, wirklich in der richtigen Rich- TEMEX-Dienstes — hier auch in Kürze Probe- tung bewegt. Jetzt ist die Rede von den 65 %. dienst —; Vorbereitung von CHIP-Kartensystemen, für die wir international abgestimmte Lösungen (Kühbacher [SPD]: Bewegt worden ist, brauchen — aus diesem Grunde begrüßen wir die Herr Hoffie!) deutsch-französische Vereinbarung vom 30. Okto- — Wenn wir dazu gemeinsam einen Beitrag gelei- ber dieses Jahres —; letztlich das, was jetzt stark in stet haben, dann sollten wir auch gemeinsam loben, die Diskussion kommt und auch direkt dem Bürger daß wir uns jetzt in großer Übereinstimmung befin- zugute kommt, das schnurlose Telefon. Sie wissen, den. wie lange wir darum gekämpft haben. Ich wäre sehr froh, wenn wir nach einer gewissen Erprobungs- - (Walther [SPD]: Aber vorher hat er schön phase, dann allerdings über die Gebührenstruktur geschwindelt!) beim schnurlosen Telefon noch einmal im einzel- Mit dem Entschluß, durch direktstrahlende Sa- nen darüber nachdenken, um die Akzeptanz zu ver- telliten ein Angebot bereitzustellen, das die Verka- größern. belung ergänzt, ist jetzt ebenfalls eine Marschrich- tung angekündigt, die unsere Zustimmung findet. Meine Damen und Herren, auch in der Weiter- entwicklung der technischen Netzinfrastruktur für Mit dieser Marschrichtung müssen jetzt aber die Individualkommunikation ist der Postminister auch klare ordnungspolitische Rahmenbedingun- nach unserer Überzeugung auf dem richtigen Wege. gen der Verkabelung anvisiert werden. Dazu ge- Wir begrüßen die Entwicklung des ISDN-Netzes hört: Die Deutsche Bundespost sollte sich im Be- und die technische Modernisierung durch den Glas- reich der Breitbandverteilnetze auf den Ausbau der fasereinsatz, zunächst in der Fernebene. Infrastruktur in der Fernebene konzentrieren. Ich sage das immer wieder; eines Tages kommen wir Nun will ich nicht bestreiten, daß es ganz ohne sicher auch da zu einer größeren Übereinstimmung. Zweifel Probleme bei den traditionellen Postdien- Sie muß die technischen Voraussetzungen dafür sten gibt. Hier gibt es Kritik, auch begründete Kri- schaffen, daß zusätzliche Programme für Hörfunk tik an der Entwicklung der Dienstleistungsqualität. und Fernsehen an die örtlichen Verteilpunkte der Es gibt auch begründete Zweifel, ob Rationalisie- Breitbandverkabelungsanlagen in der Nahebene rung und Zentralisierung, wie sie sich derzeit voll- herangeführt werden. ziehen, ausreichend durchdacht sind und tatsäch- Die Verkabelung selbst sollte in erster Linie eine lich für die Qualität des Dienstleistungsangebots Aufgabe der privaten Wirtschaft sein. zuträglich sind. Ich kann hier aber nur vor unsinni- ger Hektik und vorbedachter Emotionalisierung (Walther [SPD]: Da stimme ich ausdrück warnen, Herr Paterna. Wir brauchen mehr nüch- lich zu!) terne Analyse, mehr konstruktives Mitdenken und Es muß Aufgabe der Bundespost sein, für das Enga- langfristig durchdachte Planung, wenn wir nicht zu- gement der privaten Wirtschaft die rechtlichen und letzt auch den Bediensteten der Deutschen Bundes- organisatorischen Voraussetzungen herzustellen. post wirklich dauerhaft helfen wollen. Wir tun, glaube ich, alle gut daran, wenn wir jetzt die Ergeb- In diesem Zusammenhang sollten die Koopera- nisse der in Auftrag gegebenen Untersuchungen tionsmodelle, Herr Bundespostminister, nun in ge- abwarten, das, welches Knight Wendling vorlegen meinsamen Anstrengungen durch bessere, geeigne- wird, und dann gemeinsam unsere Schlußfolgerun- tere ersetzt werden, durch auch verfassungsrecht- gen, übrigens auch für die Bankdienste, daraus zie- lich wasserdichte. Ich glaube, die jetzigen sind bei hen. Kein Zweifel, wir brauchen ein langfristig trag- intensiver Betrachtung in der Tat noch nicht taug- fähiges Konzept. Dennoch ist es auch im Bereich lich, weil sie die unternehmerische Freiheit über der Gelben Post eine ganz herausragende Leistung, Gebühr einengen. die Gebühren dreieinhalb Jahre lang stabil zu hal- Ich meine, wichtig ist, daß auch im Bereich der ten. Anzuerkennen ist auch, daß es gelungen ist, die Hausinstallation von Breitbandverteileinrichtun- Kostenunterdeckung im Postwesen um rund 1 Mil- gen klare Verhältnisse entstehen. Es ist für mich liarde DM, um ein Drittel zu senken. Daraus hätten unverständlich, daß trotz wiederholter Vereinba- sich früher viele große Lorbeerkränze gewunden. rungen mit den Organisationen des Handwerks im- mer noch Fernmeldeämter in heftigem Streit mit (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Handwerksbetrieben liegen, daß Fernmeldeämter immer noch selbst die Hausverkabelung durchfüh- Wir begrüßen es, daß die Deutsche Bundespost ren wollen. Mir scheint, daß hier eine eindeutige den Vorstellungen der FDP-Bundestagsfraktion in- verordnungsrechtliche Regelung, die den wieder- zwischen entscheidende Schritte entgegengekom- holt zum Ausdruck gebrachten Willen der Bundes- men ist. Ich gehöre ja nicht zu denen, die — wie es regierung festschreibt, vonnöten ist. Andernfalls Herr Paterna gesagt hat — die eigene Regierung, wird der Kleinkrieg, den Fernmeldeämter gegen insbesondere die Post — ich sage das auch als Mit- das Handwerk führen, in absehbarer Zeit wohl glied des Postverwaltungsrats —, ohne Kritik belas- nicht aufhören. sen. Aber ich glaube schon, man muß feststellen dürfen, daß sich der Minister mit dem Entschluß, (Walther [SPD]: Was sagen Sie denn zur von dem Gedanken der Daseinsvorsorge Abschied Verschuldenspolitik von Schwarz-Schil zu nehmen und auf eine flächendeckende Verkabe- ling?) 7888 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 105. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. November 1984

Hoffie Meine Damen und Herren, wir wünschen uns, Vizepräsident Westphal: Das Wort hat der Bundes- daß die Bemühungen um Entstaatlichung und Pri- minister für das Post- und Fernmeldewesen. vatisierung nun nicht nur andere Bereiche der Re- gierung treffen, sondern die Post mit einbeziehen. Da muß natürlich zunächst die Frage erlaubt sein: Dr. Schwarz-Schilling, Bundesminister für das Warum soll z. B. das schnurlose Telefon — über des- Post- und Fernmeldewesen: Herr Präsident! Meine sen Einführung ja in Kürze beschlossen wird — sehr verehrten Damen und Herren! Ich darf mich wieder ein Monopolangebot der Bundespost sein? zunächst für die sehr sachliche Form der Debatte Es wäre doch ein hervorragendes Betätigungsfeld bedanken. Ich muß Ihnen sagen, Herr Kollege Pa- der Privatwirtschaft. Man darf auch fragen: Warum terna, Sie haben mich direkt verunsichert, drangsaliert die Deutsche Bundespost die inländi-- (Heiterkeit) schen und die internationalen Kurierdienste mit da ich natürlich auf eine völlig andere Rede ge- der Drohung, von ihren Monopolrechten Gebrauch spannt bzw. eingerichtet war und nun mein Kon- zu machen, wenn doch die Möglichkeit besteht, die zept total umstellen muß. Aber ich werde es gerne Aufgabenfelder abzustecken und damit der Privat- tun. wirtschaft Planungssicherheit zu geben? (Pfeffermann [CDU/CSU]: Niemand kann (Walther [SPD]: Warum subventionieren gehindert werden, von Tag zu Tag klüger Sie die Zeitungsverleger mit einer halben zu werden!) Milliarde?) Ich darf mich sehr herzlich dafür bedanken, weil Ich weiß, daß inzwischen für den internationalen ich glaube, es ist gut, daß sowohl der Redner der Bereich — ich glaube, seit gestern, Herr Bundes- SPD wie die der CDU/CSU und der FDP in einigen postminister — eine vertretbare Regelung geschaf- sehr wesentlichen Grundfragen gleiche Aussagen fen wird. Wenn Sie das für das Inland hinbekom- über den Zustand der heutigen Bundespost auf der men, sind wir sicher ein großes Stück weiter. einen Seite und die Zukunftsentwicklung und ihre Man muß auch fragen dürfen, warum es immer Chancen, aber auch ihre großen Risiken gemacht noch nicht gelungen ist, z. B. das Wartungsmonopol haben, die ja sehr oft leicht übersehen werden. beim Telexdienst oder das Monopol für den Fern- Meine Damen und Herren, man kann natürlich sprechhauptanschluß aufzugeben, nicht einfach sagen, im gelben Bereich sei alles so in Ordnung gewesen, daß sich der Postminister nur (Walther [SPD]: Oder die Subventionen für um den anderen Bereich gekümmert hat. die Zeitungsverleger!) (Zuruf von der SPD: Aber heute dauert es wo doch alle redlichen Argumente eigentlich dafür viel länger!) sprechen. Daß in den Jahren 1972 bis 1982 in den Vereinigten Meine Damen und Herren, hier liegen Aufgaben- Staaten trotz der großen Telekommunikationsent- felder, die auf eine marktwirtschaftliche Lösung wicklung im Bereich von Paketen, Briefen und warten. Drucksachen, Werbebroschüren und ähnliches (Pfeffermann [CDU/CSU]: Über die wir mehr eine Steigerung des Volumens von rund 35% aber noch sehr intensiv miteinander reden zu verzeichnen ist, während wir in der Bundesrepu- wollen!) blik seit 1972 eine Phase absoluter Stagnation ha- ben, — Ich weiß, Herr Pfeffermann, daß wir darüber (Pfeffermann [CDU/CSU]: So ist das!) sehr intensiv beraten. — Wir werden bei wirklich muß ja an irgend etwas liegen. vernünftigen Bemühungen auch zu einvernehmli- chen Lösungen kommen. Aber Sie werden mir nicht (Zuruf von der SPD: Wollen Sie noch mehr übelnehmen, wenn die FDP hier nun wirklich jede Papier?) Gelegenheit benutzt, die Lösung, die mehr Markt, — Die Bundespost ist immer dafür da, viel Papier die mehr Wettbewerb, mehr private Wirtschaft auch von hier nach dort zu befördern. Wir sind Ihnen im Bereich der Post möglich macht, nach vorne zu dafür sehr dankbar, und auch diejenigen, die da- bringen. Ich weiß, Herr Bundespostminister, daß durch Arbeit und Brot haben, sind dankbar dafür, wir, wenn Sie so dürften, wie Sie könnten, sehr viel daß das nicht durch anderes ersetzt wird. schneller zu Ergebnissen kommen könnten, die uns (Beifall bei der CDU/CSU) gemeinsam einen Schritt voranbringen könnten. Sehen Sie einmal, welche Gebührenerhöhungen (Walther [SPD]: Kein Wort zur Schulden in den vier Jahren von 1979 bis 1982 gerade in die- politik!) sem Bereich vorgenommen worden sind: Das Brief- Alles in allem, meine Damen und Herren, ist die porto stieg von 50 über 60 auf 80 Pf. Insgesamt Post in guter Verfassung. Ich glaube, wenn wir in haben wir in diesem Bereich in den Jahren von 1978 den wenigen aufgeworfenen Fragen schneller zu bis 1982 eine Gebührenerhöhung von 51,6 % gehabt. übereinstimmenden Ergebnissen kommen, dann Das hat zwei Auswirkungen, nämlich einmal, daß wird es eine gute Zukunft für die Post und ihre Mit- unsere Gebühren im internationalen Vergleich rela- arbeiter geben. tiv sehr hoch liegen, was die Stagnation in diesem Bereich bringt, weil es zu teuer ist, diese Dienstlei- Herzlichen Dank. stungen zu benutzen, und zum anderen, daß wir (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) unsere Bürger — auch das muß man sagen — damit Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 105. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. November 1984 7889

Bundesminister Dr. Schwarz-Schilling überdimensional belasten. Insofern war die Ent- Herr Kollege Hoffie, ich bedanke mich auch bei scheidung dieses Postministers, daß wir ab 1982 bis Ihnen für Ihre Hinweise bezüglich der fernmelde- inklusive 1985 die Gebühren auch nicht um ein ein- technischen Aktivitäten. Da ist, wie ich sagen muß, ziges Prozent erhöhen, ein Beitrag zur Stabilität der sehr viel verschlafen worden. Es wurde zwar immer Wirtschaft, der Volkswirtschaft und für den Säckel sehr viel von der Glasfaser geredet, aber die ersten des Bürgers. Entscheidungen, sie im Fernnetz einzusetzen, sind dann von mir im Oktober/November gefällt worden. (Beifall bei der CDU/CSU — Walther Wir hatten BIGFON — das sei zugegeben — — [SPD]: Das konnten Sie nur machen, weil die Gebühren vorher erhöht worden waren! (Abg. Matthöfer [SPD] meldet sich zu einer Zwischenfrage) Sonst hätten Sie das auch nicht ge - schafft!) — Bitte schön, Herr Kollege Matthöfer. — Herr Kollege Walther, Sie haben gesagt: immer Vizepräsident Westphal: Da muß ich mich erst ein- mehr Schulden. Was würden Sie eigentlich sagen, mal einschalten. Sie gestatten eine Zwischenfrage wenn dieses große Unternehmen der Deutschen des Herrn Abgeordneten Matthöfer. Bundespost in den Investitionen nicht eine entspre- chende Steigerung vornimmt? Matthöfer (SPD): Ist es richtig, Herr Kollege Dr. (Walther [SPD]: Einverstanden!) Schwarz-Schilling, daß auch sozialdemokratische Postminister Entscheidungen über Glasfasernetze Dann würden Sie sagen: Der versteht wohl nicht, vor Ihnen getroffen haben, ja oder nein? um was es in der Zukunft geht. Insofern sind wir (Pfeffermann [CDU/CSU]: Versuche!) uns doch wohl einig, und wir sind uns auch darin einig, daß das Verhältnis von Eigenkapital und - Bundesminister für das Fremdkapital heute noch sehr gut ist, Dr. Schwarz Schilling: Post- und Fernmeldewesen: Herr Kollege Matthö- (Walther [SPD]: Aber nicht mehr lange!) fer, es gab eine Entscheidung. Das war die Ent- scheidung, in sieben deutschen Städten zehn Pilot- daß wir aber sehr genau aufpassen müssen, wie es projekte für Glasfasernetze aufzubauen. Diese BIG- in den nächsten Jahren wird, da wir heute Investi- FON-Projekte sind auch in entsprechender Ge- tionen von 16 Milliarden DM jährlich vorzunehmen schwindigkeit von mir weitergeführt worden. Das haben, wobei die Höhe der Gewinne mit 3 Milliar- war die Entscheidung, die getroffen wurde; es den DM außerordentlich kümmerlich ist. Sie ist wurde aber keine Entscheidung zum Aufbau der auch dann kümmerlich, wenn mir von verschie- Infrastruktur getroffen. denen Seiten gesagt wird, wir könnten ruhig weiter (Matthöfer [SPD]: Das ist doch nicht Betriebsverluste im Postbereich machen, wir hätten wahr!) ja ein kerngesundes Unternehmen mit Milliarden Gewinnen. So einfach kann man es sich nicht ma- Wir bauen jetzt ein Fernnetz, dessen erste Teil- chen. Insofern sind wir uns, glaube ich, in dieser strecke von Hamburg nach Hannover ich gerade Frage einig. vorige Woche eröffnen konnte. Es wurden keine Entscheidungen getroffen, wie wir serienmäßig die (Walther [SPD]: Einverstanden! — Kühba Teilnehmeranschlüsse im Ortsnetz hätten aus- cher [SPD]: Was ist mit der halben Mil bauen können; denn die Entwicklung, die dafür er- liarde DM für die Zeitungsverleger?) forderlich ist, die bei den Lasern, Kopplern und Wir haben uns aus diesem Grunde bemüht, auch Wandlern, stellt sich noch heute so dar, daß wir 80 000 DM für einen Anschluß bezahlen müssen. für die Jahre 1984 und 1985 die Defizite des gelben Bereichs — wenn ich ihn so nennen darf — auf Und Sie haben gesagt, Sie wollten die Rundfunk- etwa 2 Milliarden DM festzuhalten. Soweit ich sehe, und Fernsehverteilung mit Glasfasern machen! Ja, wird dies auch möglich sein. Wir hatten im Jahre meine Damen und Herren, dann hätten wir ganze 1982 noch ein Defizit von 3,2 Milliarden DM. Wir 16 000 Wohnungen für 1 Milliarde DM anschließen können. Ich hätte hören mögen, was der Rech- erreichen dieses Ziel, ohne daß wir Gebührenerhö- hungen im Jahre 1983 und im Jahre 1984 gehabt nungshof gesagt hätte, wenn ich so etwas gemacht hätten oder für 1985 planten. Ich glaube, das sollte hätte. auch einmal genannt weden; denn das ist eine Pro- Es gibt natürlich auch Äußerungen, daß das nur duktivitätsfrage. Das ist natürlich auch noch eine ein taktisches Mittel gewesen sei, um die Verkabe- Auswirkung der Erhöhungen des Jahres 1982 auf lung für Hörfunk und Fernsehen in den 80er Jahren das Jahr 1983, zu unterbinden. Wir haben das auch heute, meine lieben Kolleginnen und Kollegen, aus der Sozialde- (Walther [SPD]: Eben!) mokratischen Partei gehört. Sie brauchen nur von aber nicht mehr für das Verhältnis von 1983 und Albrecht Müller die letzte Streitschrift gegen von Dohnanyi zu lesen, in der das in aller Deutlichkeit 1984 und das Verhältnis von 1984 und 1985 relevant. Das ist etwas, wo ich nur sagen kann: Hier wird gesagt wird. Darum brauchen wir uns heute gar ungeheuer viel geleistet, auch von den Mitarbeitern, nicht mehr zu streiten. die ein solches Ergebnis ermöglichen. Dafür möchte ich mich hier ganz herzlich bedanken. Vizepräsident Westphal: Herr Minister, gestat- ten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Walther? 7890 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 105. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. November 1984

Dr. Schwarz-Schilling, Bundesminister für das Wir haben uns auch bemüht, in der Gebührenpo- Post- und Fernmeldewesen: Nein, ich möchte das litik dem internationalen Trend zu folgen. Wir ha- jetzt doch schnell zu Ende führen. ben allein im Verkehr mit unseren europäischen Frau Reetz, Sie haben die Frage gestellt: Wozu Nachbarländern und im Verkehr mit den außereu- überhaupt dieses ISDN oder die Digitalisierung? ropäischen Ländern in diesem Jahr die Fernmelde- Eigentlich sollten Sie sich von Ihrer Philosophie her gebühren um 170 Millionen DM ermäßigt. Wir ha- freuen, daß es moderne Techniken gibt, die umwelt- ben Nahbereichsgebühren, um die uns fast alle freundlich, energiesparend, leise, blitzschnell sind, Länder der Welt beneiden; denn es gibt kein Land, ohne irgendeine Störung für den Menschen. Ich das Reduzierungen auch gerade im Nacht- und Wo- möchte mal wissen: Wo wollen Sie eigentlich für ein chenendtarif bis zu 70 % der Normalgebühr kennt. - Industrieland überhaupt noch weitere Entwicklun- Das gibt es nicht. gen und Techniken, nachdem Sie Energiefragen Ich muß auch sagen, daß sich diejenigen, die jetzt und alle anderen Dinge nur noch alternativ sehen, einer zu schnellen Liberalisierung und Deregulie- wenn Sie nicht wenigstens auf solche Techniken rung das Wort reden, im klaren darüber sein müs- setzen? sen, daß dann der Trend genau umgekehrt sein wird, daß wir gravierende Erhöhungen im lokalen (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — Netz hätten und für Fernverbindungen weitere Re- Frau Reetz [GRÜNE]: Wegen der sozialen duzierungen, die wir aber bereits auch so in Gang Strukturen!) gebracht haben. Aus dem Grunde bin ich auch der Wenn Sie sagen: Das will keiner haben, bitte ich Auffassung, daß der Entschluß der Bundesregie- Sie: Gehen Sie einmal zu den Anwendern, zu den rung, zur Prüfung dieser Frage eine Kommission Datenverarbeitern, zu den Banken, zu den Versi- einzusetzen, die nicht aus der Hüfte schießt, son- cherungen, und lassen sich zeigen, wieviel Daten- dern ihre Aufgaben mit Ruhe erledigt, um auch im verkehr man heute braucht, um deren Aufgaben zu internationalen Vergleich die Dinge zu sehen, uns bewältigen, und wie notwendig es für die Nutzung davor bewahren wird, hier eine Hektik zu entfalten, z. B. der kleineren Computer, der Personal Compu- die unsere Mitarbeiter im Ministerium und draußen ter, die heute von der jungen Generation beinahe verunsichern und zu falschen Schlüssen in der Dis- besser bedient werden als von der älteren — ich kussion mit Privaten führen würde. zähle mich zu den Älteren —, (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) (Walther [SPD]: Das sieht man!) Lassen Sie mich abschließend sagen: Ich darf ist, zu Hause diese an die Datenfernübertragung mich für die Anregungen dieser Diskussion bedan- anschließen zu können, um Software-Pakete ganz ken. Ich würde mich freuen, wenn auch künftig in rasch übertragen zu bekommen. Das bringt j a auch diesem Stil die Debatten über das Post- und Fern- gerade die Freizeitmöglichkeiten für die jungen meldewesen durchgeführt würden — vielleicht Leute. Sie müssen dann eben nicht irgendwo im nicht nur in diesem Hohen Hause, sondern auch Kaufhaus stehen, um das auszuprobieren. Vielmehr draußen, Herr Kollege Paterna; das würde mich ist dann jeder Bürger in der Lage, diese Dinge zu ganz besonders freuen. Hause zu betreiben, die ihm Spaß machen. Dafür (Pfeffermann [CDU/CSU]: Auf Betriebsver sollten wir sorgen, für Freizeit und Beruf. sammlungen!) (Vorsitz : Präsident Dr. Jenninger) Lassen Sie mich all denen danken, die in den letz- Ich glaube, daß wir mit der Digitalisierung eine ten Monaten und Jahren die Stürme gut überstan- Möglichkeit haben, eine moderne, fortschrittliche den, der Bundespost die Treue gehalten und die Lei- Technik einzuführen. Dabei haben Sie recht, wenn stungsfähigkeit dieses Unternehmens erhöht ha- Sie sagen, daß wir nicht weit vorne waren; denn in ben. den 70er Jahren haben wir die Entwicklung etwas Ich darf mich bedanken. verschlafen. Das stimmt. Deswegen auch mein Bei- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) spiel vom Hasen und vom Igel. Aber das hat sich in der Zwischenzeit etwas geändert. Wir sind wieder in der Lage, modernste Technik anzubieten. Präsident Dr. Jenninger: Weitere Wortmeldungen Wenn Sie sich einmal die Tradition der deutschen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache. Fernmeldeindustrie ansehen, werden Sie feststel- Wir kommen zur Abstimmung. Wer dem Einzel- len, daß die Arbeitsplätze dort zu einem ganz hohen plan 13 — Geschäftsbereich des Bundesministers Prozentsatz vom Export abhängig sind. Wenn die für das Post- und Fernmeldewesen — in der Aus- deutsche Industrie diese Exporthöhe in der Qualität schußfassung zuzustimmen wünscht, den bitte ich nicht mehr behält, bekämen wir große Schwierig- um das Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltun- keiten nicht nur für die Arbeitsplätze in der fern- gen? — Der Einzelplan ist angenommen. meldetechnischen Industrie, sondern jeder Bürger Ich rufe — — müßte dafür bezahlen, weil die deutsche Industrie, wenn sie nicht mehr exportieren kann, ihre Preise (Pfeffermann [CDU/CSU]: Zur Geschäfts für Produkte, die sie der Bundespost liefert, gravie- ordnung!) rend erhöhen müßte. Das ist ein entscheidendes Ar- — Bitte sehr, Herr Kollege Pfeffermann. gument. (Pfeffermann [CDU/CSU]: Danke, es hat (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) sich erledigt!) Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 105. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. November 1984 7891

Präsident Dr. Jenninger — Das war ein Irrtum. Den entschuldige ich gern zu Technologie und für Entwicklungshilfe, um nur ei- dieser Abendstunde. nige zu nennen, aus den Fugen zu geraten. Ich rufe auf: (Zuruf von der SPD) Haushaltsgesetz 1985 — Das ist ja schön; der Herr Finanzminister ist — Drucksachen 10/2328, 10/2329 — da. Berichterstatter: Nun sind, meine Damen und Herren, Verpflich- Abgeordnete Carstens (Emstek) tungsermächtigungen ein notwendiges Instrument Roth (Gießen) der Haushaltspolitik, um Verträge, Aufträge und Hoppe - Programme über ein Haushaltsjahr hinaus über- Dr. Weng haupt möglich zu machen. Dieses Instrument gibt Wieczorek (Duisburg) den Ressortministern die Möglichkeit, Ausgabever- Hoffmann (Saarbrücken) pflichtungen einzugehen, die ja sehr häufig auch Kleinert (Marburg) über den Zeitraum der mittelfristigen Finanzpla- nung hinausgehen. Meine Damen und Herren, im Ältestenrat ist für die Aussprache eine Runde vereinbart worden. — Dies bedeutet aber zugleich auch eine langfri- Ich sehe, Sie sind damit einverstanden. stige Bindung von Haushaltsmitteln. Genau da liegt das Problem. Fachleute schätzen die bisher einge- Wird das Wort zur Berichterstattung gewünscht? gangenen Verpflichtungsermächtigungen mit Bin- — Das ist nicht der Fall. Ich eröffne die allgemeine dungswirkung auf rund 200 Milliarden DM. Für den Aussprache. Das Wort hat der Abgeordnete Sieler. kommenden Haushalt wurden von dieser Regie- rung insgesamt 48,2 Milliarden DM an Verpflich- tungsermächtigungen, d. h. 13 Milliarden DM mehr als 1984, eingestellt. Sieler (SPD): Herr Präsident! Meine sehr geehr- ten Damen und Herren! (Zuruf des Abg. Walther [SPD]) (Kühbacher [SPD]: Wo ist denn der Finanz Genau das macht nach unserer Überzeugung, minister? — Weitere Zurufe von der SPD) Herr Minister Stoltenberg, jetzt besondere Sorgen. Es entbehrt ja nicht einer gewissen Tragikomik, Es ist nicht immer eine leichte Aufgabe, am Ende daß ausgerechnet der finanzpolitische Supermann einer so langen Debatte hier noch reden zu müssen. dieser Bundesregierung ein zusätzliches Hilfsmittel Ich hätte mich natürlich gefreut, wenn ich den benötigt, nämlich eine Bremse, um die Begehrlich- Herrn Bundesfinanzminister hier sehen würde. Ich keit seiner Kabinettskollegen im Zaume zu halten. nehme an, er kommt. Die „Zeit" kommentiert dazu: „Der Finanzminister (Walther [SPD]: Er hat es gar nicht mehr muß sich vor den Fallstricken seiner Kabinettskol- nötig zu kommen!) legen in acht nehmen." Erlauben Sie mir, meine Damen und Herren, dar- (Dr. Weng [FDP]: War das nicht von heu auf hinzuweisen, daß mit dem Gesetz über die Fest- te?) stellung des Bundeshaushalts in der Regel das Fi- Wir Sozialdemokraten, Herr Kollege Weng, haben nanzpaket für das jeweilige Haushaltsjahr ge- uns im Haushaltsausschuß ja nicht gegen dieses schnürt und der Ermächtigungsrahmen für den Fi- Instrument, sondern für dieses Instrument ausge- nanzminister abgesteckt ist. sprochen, Nun könnte man ja glauben, daß am Ende einer (Dr. Weng [FDP]: Mit Recht!) so langen Debatte alle Facetten der Politik abge- deckt und dargestellt wurden, daß insbesondere obgleich — das werden Sie sicher auch zugeben — auch deutlich wurde, was hinter diesem Zahlen- der damit verbundene zusätzliche Verwaltungsauf- werk einer Scheinsolidität steckt. wand offenbleibt. (Matthöfer [SPD]: Sehr wahr!) Die Sperrung aller Verpflichtungsermächtigun- gen im Haushalt 1985 beschert Herrn Dr. Stolten- Ich kann es mir nicht verkneifen, Herr Finanzmi- berg zusätzliche Machtbefugnisse. Doch damit, nister Dr. Stoltenberg, meine Damen und Herren, muß der Kanzler selber (Walther [SPD]: Der fehlt immer noch!) fertigwerden. an diesem Gesetz sehr deutlich zu machen, wo An- (Walther [SPD]: Er fliegt ja wieder nach spruch und Wirklichkeit Ihrer Politik deutlich aus- Amerika!) einanderklaffen und wo Sie Ihre kabinettsinternen Diese generelle Sperre bedarf nämlich in jedem Schwierigkeiten mühsam zu kaschieren versuchen. Einzelfall der Aufhebung durch den Bundesfinanz- Uns ist bei diesem Gesetz ja erst richtig deutlich minister, der das nach Vorlage aller Gründe allein geworden, daß hinter der beabsichtigten kleinen verfügt. Darin liegt doch das Problem, meine Da- formalen Änderung mehr steckte, als Sie zuzuge- men und Herren. Das scheinen einige seiner Mini- ben bereit waren. Der Bundeshaushalt, meine Da- sterkollegen noch gar nicht gemerkt zu haben, ins- men und Herren, droht nämlich bei den Verpflich- besondere nicht der Verkehrsminister, der so laut- tungsermächtigungen in den Einzelplänen der Bun- hals gesagt hat, er sei vom Herrn Finanzminister desminister für Verteidigung, für Forschung und nicht in eine Richtlinie gezwängt. 7892 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 105. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. November 1984

Sieler Ich habe mir erlaubt, die Zwischenbemerkung zu beitslosengeld, bei den Arbeitslosenhilfeempfän- machen: „Nicht mehr lange". Denn er wird ja auch, gern von ihrer kärglichen Arbeitslosenhilfe, besonders wenn es um die Verpflichtungsermächti- gungen geht, beim Finanzminister antreten müs- (Walther [SPD]: Ja!) sen. Und wie geht es dann? Da wird der Minister bei den Behinderten und den Rentnern an Milliar- einen Antrag stellen; der wird von den zuständigen denbeträgen gerade erst eingesammelt hat, z. B. in Beamten aus dem Finanzministerium geprüft; dar- Richtung Großlandwirte und an die Besitzer von auf wird eine Vorlage gemacht; sie landet zur Ent- Kapitalvermögen. Was sich hinter dem neuen § 25 a scheidung auf dem Tisch des Herrn Dr. Stoltenberg, verbirgt, ist weder sozial noch solide. Es ist, Herr und wenn der dann nein sagt, läuft da nichts. - Minister, der untaugliche Versuch dieser Regie- (Walther [SPD]: Richtig! So war das im- rung, von den eigentlichen Finanzproblemen der mer!) Rentenversicherung abzulenken. Tatsache ist doch — auch wenn die Rentenversicherer zum Teil so Diese generelle Sperre zeigt natürlich auch, wie tun, als wäre dies eine vorübergehende finanzielle wenig sorgfältig der Bundeshaushalt 1985 vom Fi- Schwäche —, daß unsere gesetzliche Rentenversi- nanzminister vorbereitet und in die parlamentari- cherung mit ihren Reserven am Ende ist sche Beratung eingebracht worden ist. Wer seine Minister so an die Kette legt, hat — das ist unsere (Hoffmann [Saarbrücken] [SPD]: Der Mini Überzeugung — wirklich nicht sorgfältig gearbei- ster auch!) tet. und 1985 zahlungsunfähig würde, wenn nicht der Ein weiteres Problem. In § 4 Abs. 9 dieses Geset- Bund — wie er das schon in diesem Jahr getan hat zes soll unverändert die Kontrolle der Nachrichten- — seine Zuschüsse nicht gleichmäßig auf 12 Mo- dienste geregelt werden. Um Unklarheiten und Wie- nate verteilen, sondern schon in der ersten Hälfte derholungen auszuschließen, darf ich für meine des Jahres leisten würde. Fraktion hier erklären, daß wir an unserem Stand- punkt des Minderheitenschutzes bei wichtigen Die Rentenversicherer haben die Gründe dafür Kontrollaufgaben des Parlaments festhalten wer- genannt, Herr Minister Stoltenberg, warum sie an den. der Grenze der Zahlungsunfähigkeit angekommen Nun komme ich zu einem weiteren politisch bri- sind, warum sie derzeit schon Betriebsmittelkredite santen Punkt im Haushaltsgesetz 1985. bis zu 500 Millionen DM und im nächsten Jahr noch in wesentlich höherem Umfang aufnehmen müs- (Walther [SPD]: Jetzt wird's ernst!) sen. Mit den §§ 25 und 25 a (neu) des Haushaltsgesetzes Daß diese Befürchtungen nicht aus der Luft ge- werden die Schwächen dieser Regierung wohl für griffen sind, beweist der neue § 25 a im Haushalts- jedermann offenkundig. Wir haben ja alle noch die gesetz, wonach 5 Milliarden DM zinslose Betriebs- schwülstigen Reden von Herrn Dr. Blüm im Ohr, mitteldarlehen zur Verfügung gestellt werden. der gestern wieder einmal seine abgedroschene Mär vor diesem Hohen Hause ausgebreitet hat. Die Ursachen für die Zerrüttung der Rentenfi- (Schulhoff [CDU/CSU]: Der war gut!) nanzen liegen in der von Ihnen herbeigeführten Halbierung der Rentenversicherungsbeiträge für In seiner bekannten Art — wir kennen ihn ja — arbeitslose Leistungsempfänger und in der drasti- verkündete er nun schon im zweiten Jahr: Schluß schen Verringerung der Zahl der Leistungsempfän- mit dieser Reformeuphorie; jetzt wird der Gürtel ger bei der Bundesanstalt für Arbeit in Nürnberg. enger geschnallt; die Renten müssen wieder auf Die Bundesregierung hat mit ihren Haushaltsbe- eine solide Finanzgrundlage gestellt werden. Wäh- gleitgesetzen dafür gesorgt, daß -zigtausend Ar- rend dieser Herr Blüm noch damit beschäftigt war, beitslose kein Geld mehr bekommen und zusätzlich dem Bürger draußen den sozialpolitischen Kahl- noch aus der Arbeitslosenstatistik „herausfliegen". schlag als Erfolg seiner Bemühungen zu offerieren, Die Bundesregierung tut dann so, als gäbe es diese produzierten seine Ministerkollegen und sein Mini- Arbeitslosen nicht mehr, nur weil sie nicht mehr in sterium Gesetze mit wohlklingenden Bezeichnun- der Statistik sind, und feiert dies dann letztlich gen, in denen allerdings etwas anderes als das ent- auch noch als Erfolg, wie Herr Dr. Blüm das ja halten war, was das Etikett zum Ausdruck brachte. getan hat. Meine Damen und Herren, ich empfehle Ein Beispiel ist das Beschäftigungsförderungsge- Ihnen wirklich, den Kommentar in der „Süddeut- setz. Wer es etwas genauer liest, wird wohl nicht schen Zeitung" von gestern mit der Überschrift mehr zu der Überzeugung kommen, daß das mit „Rente auf Pump" doch sehr gründlich nachzulesen. Förderung der Beschäftigung noch etwas zu tun In diesem Kommentar ist ein vernichtendes Urteil hat. Im Volksmund nennt man so was Mogelpak- über diese Art der Manipulation gesprochen wor- kung. den. (Beifall bei der SPD — Zuruf des Abg. Dr. (Walther [SPD]: Hört! Hört!) Weng [FDP]) Die dramatische Verschlechterung der Finanz- Genau in dem Zeitraum, in dem dies passierte, lage der Rentenversicherung wird auch nicht bes- verteilten Ministerkollegen von Herrn Blüm schon ser dadurch, daß die beabsichtigte Beitragskosme- das, was die Regierung bei den Arbeitnehmern vom tik von 0,2 Beitragsprozentpunkten von der Arbeits- Weihnachtsgeld, bei den Arbeitslosen von ihrem Ar- losen- zur Rentenversicherung vorgenommen wird. Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 105. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. November 1984 7893

Sieler Was nun Herr Dr. Norbert Blüm zu seinem Haus- zugleich auch den notwendigen Spielraum, um dar- halt und den damit zusammenhängenden Gesetzen über nachzudenken, auf welche neuen Finanz- vorgetragen hat, grundlagen wir unsere Rentenversicherung stellen (Hoffmann [Saarbrücken] [SPD]: Helau!) wollen; das ist heute schon einmal angesprochen worden. Sie dagegen setzen — auch wenn Herr Dr. war im Grunde genommen nichts anderes als der Blüm dies bestreitet — auf Selbstbeteiligung à la Versuch, seine Blößen zu bedecken. Aber es ist j a Cronenberg und Lambsdorff, also auf Selbstbeteili- nichts übriggeblieben, womit er seine Pleite hätte gung in der Krankenversicherung: bei der Kran- zudecken können; vielleicht noch die Schamröte. kenhausbenutzung, beim Arztbesuch und bei ähnli- Man muß sich einmal vorstellen wie einem Rentner chem mehr. Und Sie setzen auf Subsidiarität à la zumute ist, wenn er die Rentenanpassung von real - Stoltenberg statt auf Solidarität, so sehr Sie sich 1,07 % bekommt — das ist weniger als die Preisstei- auch Mühe geben, meine Damen und Herren von gerungsrate — und feststellt, daß er dann noch we- der Regierungskoalition, diesen Vorsprung zu ka- niger Geld hat als vorher. schieren. (Zuruf von der CDU/CSU: Aber mehr noch Wir Sozialdemokraten werden diesen Weg nicht als bei Ihnen!) mitgehen. Wir lehnen daher dieses Haushaltsgesetz Herr Dr. Stoltenberg, es wäre interessant — ich ab. habe mir einmal die entsprechenden Zahlen her- (Beifall bei der SPD und bei den GRÜ ausgesucht —, jetzt auf die Vergleiche mit der NEN) Preissteigerung einzugehen. Aber lassen Sie mich lediglich noch einige wenige Bemerkungen zur Rentenversicherung machen. Bei der Bewertung Präsident Dr. Jenninger: Das Wort hat der Abge- dieser Vorgänge können wir feststellen, daß die ordnete von Hammerstein. Renten von 1970 bis 1982 nominal um 95% und real — nach Abzug der Preissteigerungsraten in diesen (Walther [SPD]: Jetzt kommt Charlys Jung Jahren — um 37,1 % gestiegen sind. Das ist ein fernrede!) durchschnittlicher Anstieg pro Jahr von 2,8%. Ich kann nur hoffen, daß Sie einen solchen Durch- schnitt — im Interesse der Menschen, um die es von Hammerstein (CDU/CSU): Herr Präsident! hierbei geht — wenigstens in dieser einen Legisla- Meine Damen und Herren! Der Haushaltsausschuß turperiode erreichen werden. hat den Entwurf des Haushaltsgesetzes 1985, das im Nun, meine Damen und Herren, was werden wohl übrigen in seinen wesentlichen Bestimmungen dem die Arbeitnehmer empfinden, wenn sie weniger des laufenden Haushaltsjahres entspricht, in drei Weihnachtsgeld in der Lohntüte haben? Was für ein Punkten ergänzt. Gefühl werden sie haben, wenn sie feststellen, daß Die erste Ergänzung betrifft die Liquiditätslage ihre Beitragsopfer zur Rentenversicherung nicht der gesetzlichen Rentenversicherung. Im Zuge der verhindert haben, daß 1985 die Renten aus Darle- Neuordnung der Sozialfinanzen wird im Haushalts- hensmitteln des Bundes, d. h. auf Pump, bezahlt gesetz die Möglichkeit geschaffen, daß der Bund werden müssen? Jede zwanzigste Rente wird aus der Rentenversicherung bei kurzfristigen vorüber- solchen Darlehensmitteln zu finanzieren sein. gehenden Liquiditätsengpässen zinslose Betriebs- (Zuruf von der SPD: Schrecklich!) mitteldarlehen bis zu einer Höhe von 5 Milliarden DM gewährt. Wie wollen Sie den Leuten draußen noch erklären, daß gutverdienende Bürger in unserer Republik (Carstens [Emstek] [CDU/CSU]: Genau das keinerlei Sonderopfer bringen müssen, daß — im ist der Punkt!) Gegenteil — Ihre Finanzpolitik der unsozialen Um- Diese Betriebsmitteldarlehen sind zurückzuzahlen, verteilung Opfer weiterhin nur diesen kleinen Leu- sobald und soweit die Einnahmen die Ausgaben ten abverlangt? wieder übersteigen, spätestens jedoch zum Jahres- (Beifall bei der SPD) ende. Meine Damen und Herren, wir Sozialdemokraten (Walther [SPD]: Wenn die kein Geld am haben einen Antrag eingebracht — Sie haben ihn Jahresende haben, was machen Sie abgelehnt —, der genau dort ansetzt, wo eine lang- dann?) fristige und solide Finanzgrundlage für unsere Ar- — Lieber Kollege Walther, wir haben immer beiter- und Angestelltenrentenversicherung anset- Geld. — zen müßte, nämlich auf der Einnahmenseite. Wir (Heiterkeit bei der CDU/CSU) sind der Auffassung, daß man die Rentenversiche- Eine Dauerbelastung des Bundeshaushalts erfolgt rung von dem Risiko der Konjunkturschwankun- dadurch nicht. Die Rentenversicherung ist darüber gen und der Arbeitslosigkeit abkoppeln müßte. Sie hinaus zusätzlich abgesichert. Damit, meine sehr haben das Gegenteil davon getan. verehrten Kolleginnen und Kollegen von der Oppo- Dieser von uns vorgeschlagene Weg würde bei sition, sind die Rentenzahlungen künftig also nicht der Rentenversicherung auch die notwendigen Fi- nur vom Beitragsaufkommen her und — für das nanzmittel schaffen, die eine solche Kreditbereit- gesamte Rechnungsjahr gesehen — durch den Bun- stellung, wie § 25a des Haushaltsgesetzes das vor- deszuschuß gedeckt, sondern die Rentner können sieht, überflüssig machen würden. Wir hätten damit auch sicher sein, daß die Zahlungen zu jedem Zeit- 7894 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 105. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. November 1984 von Hammerstein punkt während des ganzen Jahres auch liquiditäts- habe es bei Ihnen nie erlebt, daß Sie einmal Ihre mäßig gewährleistet sind. Gehälter gekürzt hätten. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — (Walther [SPD]: Wir haben auch bei den Wieczorek [Duisburg] [SPD]: Schulden!) Arbeitslosen nicht gekürzt!) Das entsprechende Gesetz wäre Ende dieses Jah- — Ich komme noch darauf zu sprechen. res außer Kraft getreten. Ich bedanke mich ganz herzlich bei den Ministern und Staatssekretären, Wir gestehen ein: Wir hatten in dieser Woche eine daß sie einer Verlängerung dieser Kürzung um ein schwierige Situation, denn wir mußten die Liquidi- weiteres Jahr im Haushaltsgesetz 1985 spontan zu- tät für einige wenige Tage kurzfristig durch eine gestimmt haben. Kreditaufnahme beim Bankenapparat sicherstel-- len. (Matthöfer [SPD]: Dafür haben die auch (Dr. Vogel [SPD]: Bei wem denn sonst?) zahlreiche Parlamentarische Staatssekre täre und Minister mehr!) — Hören Sie gut zu. — Es wurden für wenige Tage 500 Millionen benötigt, um die 11,5 Milliarden DM Präsident Dr. Jenninger: Herr Kollege von Ham- für die Dezember-Renten zu finanzieren. Aber ich merstein, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Ab- war erstaunt, von Ihnen, Herr Kollege Sieler, und geordneten Wieczorek? auch vom Kollegen Apel, der heute morgen gespro- chen hat, zu hören, mit welchem Frohsinn Sie be- Wieczorek (Duisburg) (SPD): Herr Kollege, wür- haupten, die Renten seien nicht mehr sicher. den Sie zugeben daß der Vorläufer der Kürzungen (Hoffmann [Saarbrücken] [SPD]: Das ist bei den Ministern und Staatssekretären im Senat nicht Frohsinn! Da sind wir sehr traurig!) Vogel in Berlin war und daß das für Sie als Muster gegolten hat? Sie sagten außerdem, wir seien nicht mehr zah- (Beifall bei der SPD) lungsfähig. (CDU/CSU): Wir wollen hier (Hoffmann [Saarbrücken] [SPD]: Wir ha von Hammerstein nicht die Kürzungen der einzelnen Senate und Län- ben gesagt, Sie hätten keinen Kredit derparlamente zitieren. Es ist nämlich einmalig bei mehr!) einer Bundesregierung, daß die Minister und — Nein, Kollege Hoffmann, machen Sie sich keine Staatssekretäre ihre Gehälter gekürzt haben. Sorgen; auch wir werden für diese Zwecke noch (Beifall bei der CDU/CSU) einen Kredit bekommen. Ich muß mich jetzt ein bißchen mehr an meine (Walther [SPD]: Nicht mehr lange!) Zeit halten und werde mich daher nicht mehr auf zu viele Zurufe einlassen. Lieber Kollege Sieler, die Zahlungsunfähigkeit ist Die Kürzung führt zu Einsparungen von 400 000 nie gegeben. Durch den Ergänzungsantrag benötigt DM. Der einzelne Bundesminister wird etwa 800 man keine Kreditaufnahme bei den Banken mehr. DM und der Bundeskanzler fast 1 000 DM im Monat Somit ist auch die Sicherheit gegeben, daß die Rent- weniger haben. ner monatlich ihre Renten bekommen. (Zurufe von der SPD) Es ist beabsichtigt, diese Regelung in künftigen Haushaltsgesetzen zu wiederholen, wenn eine sol- Präsident Dr. Jenninger: Herr Abgeordneter, ge- che Vorsorge erforderlich sein sollte. statten Sie eine weitere Zwischenfrage des Abge- ordneten Dr. Schmude? (Wieczorek [Duisburg] [SPD]: Charly, habt Ihr das wirklich vor?) Dr. Schmude (SPD): Herr Kollege, würden Sie, da Dies entspricht im übrigen einer Regelung, die be- Sie damals noch nicht hier waren, bitte auch zur reits seit 1977 für den Bereich der Bundesanstalt Kenntnis nehmen, daß die dem jetzigen Kabinett für Arbeit gilt. voraufgegangene Regierung Schmidt hier im Bun- desbereich durch Abkoppelung von der Besoldungs- Die zweite Ergänzung betrifft die weitere Kür- erhöhung selber eine Kürzung verfügt hat, die dann zung des Amtsgehaltes der Mitglieder der Bundes- bei der vom Kabinett Kohl beschlossenen Kürzung regierung und der Parlamentarischen Staatssekre- mit verrechnet wurde? täre. Seit dem 1. November 1982 haben die Mitglie- (Beifall bei der SPD) der der damals neuen Bundesregierung und die Parlamentarischen Staatssekretäre als eine Ihrer (CDU/CSU): Lassen Sie mich ersten Maßnahmen auf 5 % Ihrer Amtsbezüge ver- von Hammerstein bitte fortfahren. zichtet. (Matthöfer [SPD]: Bleiben Sie noch ein biß (Walther [SPD]: Weil wir das öffentlich ge chen länger hier!) macht haben!) — Ja, Herr Matthöfer, davon können Sie ausge- — Nein, Kollege Walther. Ich bin ja ein junger Ab- hen. geordneter, zwar nicht vom Alter, sondern von der Diese Beträge sind im Verhältnis zu den in den Mitgliedschaft in diesem Parlament her, aber ich letzten drei Tagen hier beratenen Milliardenpositio- Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 105. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. November 1984 7895 von Hammerstein nen des Haushalts wenig. Die spontane Bereit- Präsident Dr. Jenninger: Herr Abgeordneter, ich schaft der Mitglieder der Bundesregierung zur Ver- möchte Sie darauf hinweisen, daß Ihre Redezeit ab- längerung dieser Kürzungsmaßnahme sollte aber gelaufen ist. als Geste nicht geringgeachtet werden. Diese Bun- desregierung, die zur Sanierung der von ihrer Vor- von Hammerstein (CDU/CSU): Danke. Darf ich gängerin ruinierten Staats- und Sozialfinanzen vie- noch einen letzten Satz sagen? len Mitbürgern erhebliche Belastungen auferlegen mußte, setzt damit ein Zeichen dafür, daß soziale Präsident Dr. Jenninger: Aber bitte. Ausgewogenheit der finanziellen Belastungen auch für sie selber gilt. Diese Bundesregierung prakti- von Hammerstein (CDU/CSU): Es liegt deshalb noch eine ziemliche Konsolidierungsstrecke vor ziert soziale Ausgewogenheit an sich selbst. Andere, - meine Damen und Herren von der Opposition, re- uns. Erst wenn die Neuverschuldung im Bundes- den nur davon. haushalt in den künftigen Jahren ohne Bundes- bankgewinn wieder deutlich unter 20 Milliarden Die meines Erachtens wichtigste Veränderung im DM liegt, ist ein wichtiges Ziel der Haushaltskonso- Haushaltsgesetz schließlich betrifft die Sperre der lidierung erreicht. Verpflichtungsermächtigungen im nächsten Jahr. Dieser Haushalt 1985 ist das Regierungspro- Danach bedarf die Inanspruchnahme von Verpflich- gramm in Zahlen der von uns getragenen Bundes- tungsermächtigungen, regierung für das nächste Jahr. Die CDU/CSU-Bun- (Wieczorek [Duisburg] [SPD]: Maulkorbpa destagsfraktion stimmt diesem Haushaltsgesetz ragraph!) 1985 zu. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) soweit nicht ohnehin die Einwilligung des Haus- haltsausschusses erforderlich ist, der Einwilligung Präsident Dr. Jenninger: Das Wort hat der Abge- des Bundesministers der Finanzen. Ziel dieser Re- ordnete Kleinert (Marburg). gelung ist es, dem Finanzminister in möglichst brei- tem Maße Möglichkeiten des Einflusses auf das Kleinert ( Marburg) (GRÜNE): Herr Präsident! Ausmaß von Vorbelastungen für spätere Haushalts Meine Damen und Herren! Ich würde gerne jetzt jahre zu geben, die durch die Auftragsvergabe und eine dieser späten Stunde angemessene Form hier ähnliche Entscheidungen der einzelnen Ressorts im bringen, aber ich muß zunächst doch auf ein paar Haushaltsjahr 1985 ausgelöst würden. Dies soll dem ernsthaftere Dinge eingehen. Finanzminister die Fortsetzung der Etatkonsolidie- Im Entwurf für das Haushaltsgesetz fallen aus rung bei der Aufstellung künftiger Haushalte er- meiner Sicht drei Dinge besonders ins Auge. Das ist leichtern. einmal die Festsetzung des Höchstsatzes für Bürg- Hier möchte ich mich bei den Kolleginnen und schaften, Garantien und sonstige Gewährleistun- Kollegen von der SPD im Haushaltsausschuß ganz gen, auf unverändert 195 Millionen DM, zum zwei- herzlich bedanken, daß sie diesem Änderungsan- ten der § 4 Abs. 9, der die Kontrolle über die Etatan- trag zugestimmt haben. sätze der Geheimdienste regelt, und drittens der Beschluß des Haushaltsausschusses, mit dem für (Walther [SPD]: Das haben wir gern ge sämtliche Verpflichtungsermächtigungen eine macht!) Sperre ausgesprochen ist. Sparsamkeit und Solidität müssen oberste Richt- Meine Damen und Herren, wer die Bürgschaften schnur für den Haushaltsvollzug im nächsten Jahr für Kapitalexporte in § 9 auf 30 Milliarden DM er- und für die Haushaltsaufstellung für die Jahre ab höht, der muß wissen, daß das angesichts der wach- 1986 bleiben. senden Risiken im Außenhandelsgeschäft, die Sie kaum bestreiten werden, dann nicht paßt, wenn Sie Die Annahme, der langwierige Konsolidierungs- im Einzelplan 32 gleichzeitig den Ansatz für die Ge- prozeß sei bereits abgeschlossen, wäre allerdings währleistungen des Bundes auf 3 Milliarden DM ein gefährlicher Irrtum. Gewiß wir haben bedeu- begrenzen. Denn dadurch werden — ich folge hier tende Erfolge bei der Begrenzung des Wachstums nur Ihrer eigenen Logik — erhebliche Risiken für der Ausgaben. 1983 stiegen die IstAusgaben um diesen Haushalt produziert. Die Kosten, um die es 0,9 %. 1984 war es 1 %, und 1985 liegt der Haushalt hierbei geht, und die mit ihnen verbundenen Haus- wiederum nur um 0,9 % über den Soll-Ansätzen des haltsrisiken sind ein Teil des hohen Preises, den Sie laufenden Jahres. Meine lieben Kolleginnen und für die Exportabhängigkeit der bundesdeutschen Kollegen der Opposition, können Sie sich noch an Wirtschaft zu zahlen bereit sind, eines Preises, den die Jahre 1977 bis 1982 erinnern? Da stieg der Haus- im übrigen diejenigen zahlen müssen, die als einfa- halt jährlich um 5 bis 10 %. che Steuerzahler zu gelten haben, nicht aber dieje- nigen, die von den Exporten in Form von Gewinnzu- (Zurufe von der SPD — Zander [SPD]: Da wächsen profitieren. hatten wir aber nur 500 000 Arbeitslose!) Auch das unsägliche Produkt des Biegens und Trotz dieser strengen Ausgabendisziplin ist die bis- Brechens der Rechtsstaatlichkeit, das Sie sich nach herige Rückführung der Haushaltslücke teilweise langem Hin und Her im letzten Jahr ausgedacht aber eben auch durch den Bundesbankgewinn er- haben, um die GRÜNEN aus der Kontrolle der reicht worden. Das müssen wir zugeben. Dies sind Etatansätze der Geheimdienste herauszuhalten, in 1984 immerhin 12,5 Milliarden DM gewesen. findet sich dieses Jahr wieder. Sie wollen das Ganze 7896 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 105. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. November 1984

Kleinert (Marburg) wieder so praktizieren wie im letzten Jahr. Sie Kleinert (Marburg) (GRÜNE): Herr Kollege Hoff- wollen wieder eine Fraktion dieses Hauses von mann, ich muß Ihnen zugeben, daß Sie hier ein dieser Einsichtnahme ausschließen. Wir haben ernsthaftes Problem ansprechen. darüber schon letztes Jahr diskutiert, und ich kann (Zuruf von der SPD: Wie immer!) an dieser Stelle nur die Hoffnung ausdrücken, daß dem merkwürdigen Verhältnis der Regierungspar- Ich habe j a mit Ihnen schon einmal über dieses Pro- teien zu rechtsstaatlichen Gepflogenheiten, das blem gesprochen, insbesondere unter Berücksichti- sich an dieser Stelle ausdrückt, durch das Bun- gung der Tatsache, daß ich über einen Vorgang im desverfassungsgericht ein Riegel vorgeschoben Haushaltsausschuß habe in Erfahrung bringen kön- wird. nen, daß jedes Mitglied dieses Parlaments nach 12jähriger Parlamentszugehörigkeit in der Regel Ein Drittes. Durch die Berichterstattung in den das Bundesverdienstkreuz bekommt. Medien mag der Beschluß des Haushaltsausschus- ses, nach dem für alle Verpflichtungsermächtigun- (Hoffmann [Saarbrücken] [SPD]: Das geht gen eine Sperre ausgesprochen wird, so wirken, als Ihnen jetzt flöten!) werde dadurch die Kontrollkompetenz des Parla- Unter diesem Gesichtspunkt wäre die Frage zu stel- ments angehoben. Nichts davon ist wahr. Wahr ist len, ob — insbesondere auf der rechten Seite des vielmehr, daß durch diesen Beschluß allein die Hohen Hauses — die Vorliebe für die Rotation bei Position des Finanzministers in der Bundes- den GRÜNEN vielleicht doch größer werden könn- regierung gestärkt wird, denn eine einfache Sperre te. Das ist vielleicht ein neuer Gesichtspunkt, unter kann das Ministerium aufheben; dazu braucht es dem Sie diese Angelegenheit auch einmal sehen keinerlei Beschluß des Parlaments oder des Aus- sollten. schusses. (Zustimmung bei den GRÜNEN — Zurufe (Wieczorek [Duisburg] [SPD]: So ist es! — von der SPD) Walther [SPD]: Das ist ja nichts Neues!) Meine Damen und Herren, wir waren bei der par- Es ändert sich gegenüber dem, was vorher galt, nur lamentarischen Kompetenz. Es ist ohnehin die Fra- eines: Jetzt muß jeder Ressortminister zu Herrn ge, wie es um die parlamentarische Kontrolle bei Stoltenberg gehen, Haushaltsaufstellung und Haushaltsdurchführung (Hoffmann [Saarbrücken] [SPD]: Zu Fuß!) bestellt ist. Deshalb möchte ich hier darauf noch kurz eingehen. Wenn ich mir die Debatten hier und wenn er auf der Grundlage von ausgesprochenen die Debatten im Ausschuß in Erinnerung bringe, Verpflichtungsermächtigungen längerfristige Ver- muß ich schon sagen, daß es unter dem Gesichts- träge schließen will. punkt der Kontrolle an einigem fehlt. Daß Sie, (Zander [SPD]: Dann kommen die Herren meine Damen und Herren von der Koalition, kaum einmal zusammen, denn die machen ja so jemals eine kritische Haltung gegenüber den von selten Kabinettssitzungen!) der Regierung vorgelegten Haushaltsplänen einge- nommen haben, ist sicher nicht weiter verwunder- Ob der dann zu Fuß geht, Herr Hoffmann, muß man lich. Wie sollten Sie auch anders? Es ist ja schließ- leider bezweifeln. Er wird vermutlich mit dem Hub- lich Ihre Regierung, und schon der pure Wille zur schrauber fliegen, der ja jetzt lärmgeschützt ist, Machterhaltung bringt Kritik und eigenständige oder aber mit einem der Dienstwagen fahren, die ja politische Ideen bei Ihnen in aller Regel zum Ver- jetzt alle, wenn ich diese lange Auseinandersetzung stummen. Das kennen wir seit langem. richtig in Erinnerung habe, mit Telefon ausgerüstet sind. Die Intransigenz, mit der Sie mit Ihrer Mehr- (Zurufe von der SPD) heit — — Das Ganze, um das es hier geht, ist keine Erwei- (Zurufe von der SPD: Was?) terung parlamentarischer Kontrollmöglichkeiten, — Herr Kollege Hoffmann, Sie könnten vielleicht sondern nur eine weitere Stärkung der Rolle von Ihren Kollegen bei der Übersetzung diese Begriffs Herrn Stoltenberg, der nun noch mehr den starken Hilfestellung leisten; dann komme ich hier schnel- Mann in dieser Regierung spielen kann. — Herr ler voran. Hoffmann? Die Intransigenz, mit der Sie mit Ihrer Mehrheit auch die kleinsten und die sachbezogensten Ände- rungsanträge von uns vom Tisch fegen, diese In- Präsident Dr. Jenninger: Bitte sehr, eine Zwischen- transigenz haben wir erst gestern wieder gesehen, frage. (Weitere Zurufe von der SPD: Was?) als der Antrag der Kollegin Kelly und meiner Frak- Hoffmann (Saarbrücken) (SPD): Werter Kollege, tion hier abgewiesen wurde. da Sie jetzt von der Kontrollfähigkeit sprechen: (Walther [SPD]: Das ist die Schwester von Denken Sie, daß durch eine schnelle Ablösung von Konversion! — Heiterkeit) Abgeordneten dieses Hauses durch Rotationsver- Auch im Ausschuß ist das in den allermeisten fahren deren Qualifikation zur Kontrolle zunimmt Punkten so gewesen. Aber die Nibelungentreue zu oder abnimmt? denen, die in den Regierungsparteien das Sagen (Beifall bei der SPD und der FDP sowie haben, und zu dem, was Sie für Ihr politisches Pro- des Abg. Dr. Jannsen [GRÜNE]) gramm halten — dabei muß ich mich auch einmal Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 105. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. November 1984 7897

Kleinert (Marburg) an die rechte Seite des Parlaments wenden, obwohl weise die Kollegin Traupe am Dienstag hier abgab, da die Aufmerksamkeit nicht allzu groß ist —, diese als sie meiner Einschätzung über den seit mehr als Nibelungentreue also verdeckt im Grunde genom- dreißig Jahren jeder parlamentarischen Kontrolle men nur eine Schwäche, die dieses gesamte Parla- entzogenen Einzelplan 35 mit 1,7 Milliarden DM ment in diesen Haushaltsberatungen hoffnungslos zwar zustimmte, trotzdem aber meinte, sie müsse hintanstellt. diesem Einzelplan zustimmen. Ich fand das schon (Zurufe von der SPD) eine sehr merkwürdige Logik. Herr Kollege Walther, jetzt kommt ein ganz ernst (Zuruf der Abg. Frau Traupe [SPD]) gemeintes Argument: Die Ministerien sind es, die In diesen Zusammenhang gehört auch die vorhin die Informationen haben, die wissen, was mit den schon erwähnte Einschränkung der parlamentari- eingestellten Geldern passiert und was nicht. Die - schen Kontrolle über die Etats der Geheimdienste. Ministerien wissen, was sich hinter den Haushalts- Das Schauspiel, das wir hier Anfang Januar wieder titeln im einzelnen an Erläuterungen verbirgt. Oft erleben werden, wenn Sie das Gremium für die kostet es allergrößte Mühe, in den Berichterstatter- Etatberatung der Geheimdienste neu wählen, ge- gesprächen und in den Ausschußberatungen den hört genauso in die Rubrik der parlamentarischen Ministerien die Informationen aus der Nase zu zie- Selbstkastration wie die Nacht-und-Nebel-Aktion, hen. Das gilt nicht nur für uns, das gilt im Grunde die Sie, meine Damen und Herren von der Koali- auch für Sie, auch für die Abgeordneten aus den tion, im Ausschuß veranstaltet haben, als es darum Koalitionsparteien, ob Sie das nun wahrhaben wol- ging, sich eigene Pfründe zu sichern, wie Ihr Ver- len oder nicht. halten bei den Globalzuschüssen. (Hoffmann [Saarbrücken] [SPD]: Also, Es muß hier auch darauf hingewiesen werden, recht hat er!) daß die SPD dabei mitgespielt hat, Den Vorteil haben allemal die Ministerien und die (Hoffmann [Saarbrücken] [SPD]: Jetzt Beamten in den Ministerien. Es ist nach meiner aber vorsichtig!) Erfahrung de facto nur in ganz marginalen Ansät- daß sie offensichtlich bisweilen so etwas mitmacht, zen möglich, auch über den Haushaltsausschuß so etwas wie echte parlamentarische Kontrolle in die- (Hoffmann [Saarbrücken] [SPD]: Jetzt sem Bereich auszuüben. aber Schluß!) (Beifall bei Abgeordneten der GRÜNEN) wenn es Ihnen und Ihren eigenen Interessen in den Kram paßt. Das ist vor allem der Tatsache zu verdanken, daß (Hoffmann [Saarbrücken] [SPD]: Jetzt wir im Endeffekt nur einen Bruchteil selbst der geht es bis ans Heft!) Informationen, die wir bekommen können, für un- sere Arbeit wirklich verwenden können, weil uns in jeder Hinsicht die Mittel fehlen, um die kaum zu Präsident Dr. Jenninger: Herr Abgeordneter Klei- überblickende Vielfalt von Einzelinformationen nert, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeord- entsprechend zu verarbeiten. neten Gerster (Mainz)? Daß das Parlament hier so hoffnungslos ins Hin- tertreffen geraten ist, spüren natürlich die Opposi- Kleinert (Marburg) (GRÜNE): Entschuldigung, tionsparteien am meisten, vielleicht am allermei- Herr Kollege, ich habe noch drei Minuten Redezeit. sten jene, deren Kritikfähigkeit und politisches Nach aller Erfahrung wird die Geschäftsordnung Herangehen nicht durch die Einschwörung auf die bei den GRÜNEN immer so ausgelegt, daß mir we- sogenannte Sachzwanglogik vernebelt sind. nig zusätzliche Zeit zur Verfügung gestellt wird. (Gerster [Mainz] [CDU/CSU]: Die nicht in (Hoffmann [Saarbrücken] [SPD]: Keine den Ausschuß kommen und mitbekommen, Kritik am Präsidenten!) was los ist!) — Ach, Herr Gerster, ich darf Sie begrüßen — gu- Präsident Dr. Jenninger: Herr Kollege, wir legen ten Abend. — Vergleichen Sie einmal einen Bun- die Geschäftsordnung bei allen gleich aus. deshaushalt von vor zehn Jahren mit einem Haus- (Widerspruch bei den GRÜNEN — Hoff halt von heute, dann werden Sie feststellen, daß die mann [Saarbrücken] [SPD]: Sehr gut, Herr Entwicklung seiner Transparenz mit der Aufblä- Präsident!) hung seines Inhalts in keiner Weise Schritt gehal- ten hat, daß das Gegenteil davon stimmt, daß wir eine Tendenz beobachten, daß aus den genannten Kleinert (Marburg) (GRÜNE): Herr Präsident Jen- Verwendungszwecken immer mehr Wichtiges und ninger, ich würde es nie wagen, Sie zu kritisieren. Wissenswertes verschwindet, daß es in Fußnoten Ich möchte hier nur meinen Eindruck wiedergeben, und Sprechzettel abgedrängt wird und auch dort daß ich — aus meiner sicherlich beschränkten nur noch in Kürzeln vorkommt. Auch das ist ein Wahrnehmung heraus — Punkt, der hier heute abend einmal angesprochen (Hoffmann [Saarbrücken] [SPD]: Das ist werden sollte. wahr! — Wieczorek [Duisburg] [SPD]: Das Jetzt noch ein Wort an die Adresse der SPD. Was stimmt!) belegt eigentlich das schlichte Abgehängtsein des hier nicht unbedingt mit Ihnen übereinstimmen Parlaments mehr als die Einlassung, die beispiels- kann. 7898 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 105. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. November 1984

Kleinert (Marburg) In diesen Zusammenhang gehört auch noch — ein Rüstungshaushalt, der um 3,7 % steigt, statt des- die Psychologie kennt dafür den Begriff der Kom- sen Verschwendung in vielen Bereichen, statt des- pensation —, daß Sie in den Ausschüssen um die sen eine Palette der Bereicherung der Reichen, da- wichtigen Fragen häufig einen Bogen machen, da- mit sie noch reicher werden, Umverteilung von un- für aber bei Kleinigkeiten einen Tanz veranstalten, ten nach oben. daß man meinen könnte, das Schicksal der Nation Meine Damen und Herren, wir werden diesen stünde auf dem Spiel. Wenn es nicht so ernst wäre, Haushalt ebenso wie das Haushaltsgesetz ableh- könnte ich mich heute abend nochmals darüber nen. amüsieren, daß die SPD beispielsweise 50 000 DM (Beifall bei den GRÜNEN — Frau Dr. Hik bei den Orden für die Bundeswehroffiziere kürzen kel [GRÜNE]: Sehr gut!) wollte, aber andererseits milliardenschweren Groß-- projekten ohne viel Federlesen zustimmte. Präsident Dr. Jenninger: Das Wort hat der Herr (Hoffmann [Saarbrücken] [SPD]: Na, na!) Abgeordnete Dr. Weng. — Herr Kollege Hoffmann, Sie sind da eine rühmli- che Ausnahme. Das will ich gerne zugeben. — Der Dr. Weng (FDP): Herr Präsident! Meine lieben Herr Kollege Weng von der FDP macht um ein paar Kolleginnen und Kollegen aus dem Haushaltsaus- Mark bei der Anfertigung von Paßbildern bei der schuß! Sehr verehrte Gäste! Der Kollege Kleinert Bundeswehr einen Tanz, als ginge es um den Frie- hat hier deutlich gemacht, daß er mit einer ganzen den in der Welt, schweigt aber zu den milliarden- Menge Erfahrungen ins Privatleben gehen wird, schweren Großprojekten. wenn er im nächsten Jahr rotiert. Wir haben nur eine Bitte an ihn. Er sollte vielleicht den Nachrük- (Wieczorek [Duisburg] [SPD]: Jetzt ist kern, die in den Haushaltsausschuß kommen, eines Schluß! — Dr. Weng [FDP]: Wir fangen klarmachen, was er selbst vielleicht doch noch nicht klein an und machen vernünftig weiter!) begriffen hat: daß die Hoffnung, die er ins Bundes- Die Frage ist, was bleibt. Ich habe noch zwei Mi- verfassungsgericht setzt, spätestens dann unsinnig nuten. Es ist zunächst ein Dreieinhalb-Kilo-Werk ist, wenn er durch ständiges Streichen der Mittel von der Regierung vorgelegt — viel Papier —, von für dieses Gericht die Richter dort aushungert. den Abteilungen der Ministerien über das Jahr zu- Dann stirbt auch diese Hoffnung. sammengetragen, nach Fasson der Regierungspoli- (Kleinert [Marburg] [GRÜNE]: Das ist tik zurechtgeschnitten, durch die Mehrheit des Par- nicht wahr!) laments ein wenig — ein ganz klein wenig — er- gänzt. Das stellt die Weichen für einen großen Teil Präsident Dr. Jenninger: Herr Abgeordneter Dr. der Dinge, die sich auf dem Felde der Politik und in Weng, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abge- der Gesellschaft der Bundesrepublik im kommen- ordneten Kleinert? den Jahr ereignen werden. Dieses Parlament wird dem Ganzen mit seiner Mehrheit heute und morgen (Frau Reetz [GRÜNE]: Zugestimmt haben seinen Segen geben. Daran kann man nicht zwei- wir!) feln. Die wirklichen Kontroversen, der Streit um die politische Grundausrichtung, kamen hier kaum Dr. Weng (FDP): An dieser Stelle gerne. Ich weise zum Ausdruck. allerdings darauf hin, daß ich eine sehr kurze Rede vorbereitet habe. Wenn die Kolleginnen und Kolle- Ich glaube, meine Damen und Herren, daß es gen schon nach Hause gehen wollen, bin ich gerne nicht zum Nutzen dieses Parlaments ist und daß es bereit, am Schluß zuzuschließen. auch nicht zum Nutzen der Gesellschaft ist, wenn die wirklichen Grundprobleme in der Gesellschaft Kleinert (Marburg) (GRÜNE): Herr Kollege Weng, hier so wenig angesprochen werden. sind Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen, daß die (Zustimmung bei den GRÜNEN) Fraktion der GRÜNEN dem Einzelplan 19 als einzi- gem Einzelplan bei der zweiten Lesung ihre Zu- Ich meine, daß durch die Verabschiedung dieses stimmung gegeben hat? Bundeshaushalts diese Gesellschaft Schaden neh- men wird und daß die Bürger in diesem Lande Schaden nehmen werden. Dr. Weng (FDP): Das war nicht der Fall, Herr Kol- lege Kleinert. Aber ich vermute, Sie waren nicht da, Die Bürger werden die Auswirkungen dieses wie auch aufgefallen ist, liebe Kolleginnen und Kol- Bundeshaushalts zu tragen haben. Diese Auswir- legen, daß der Kollege Kleinert bei einer Sache von kungen sind: kosmetische Maßnahmen im Umwelt- Nacht und Nebel gesprochen hat, die morgens um schutz — keine Spur von einer effektiven Politik 10 Uhr stattfand. zur Beseitigung der entstandenen Schäden —, eine (Heiterkeit bei der FDP und der CDU/ wirtschaftspolitische Subventions- und Förderungs- CSU) politik ohne Konzept für Krisenbranchen, eine Technologiepolitik, die die Wachstumspfade pfla- Gott sei Dank gibt dieses Hohe Haus auch Indivi- stert — ohne Rücksicht auf die Lebensbedingun- dualisten noch Raum. gen, ohne Rücksicht auf die Nöte der Menschen —, Dieses Hohe Haus ist aufgefordert, über einen keine Ausdehnung des sozialen Netzes, sondern das Haushaltsentwurf für das Jahr 1985 in zweiter Le- Gegenteil: Hinnehmen einer neuen sozialen Armut, sung zu entscheiden, der gegenüber dem Soll von keine Lösung für die brennenden Fragen von Ar- 1984 eine Steigerung von 0,9 % auf 259,3 Milliarden beitslosigkeit und Rentensicherung, statt dessen DM aufweist. Die Steigerung beträgt gegenüber Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 105. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. November 1984 7899

Dr. Weng dem zu erwartenden Ist für 1984 zirka 2 %. Dies Steuerschätzungen zeigen ja deshalb in einem ge- bedeutet, daß wir den Haushaltsablauf sehr sorgfäl- wissen Trend nach unten. Die Kosten für die Euro- tig werden begleiten müssen, damit die Haushalts- päische Gemeinschaft werden steigen, die Risiken disziplin erhalten bleibt. Der Haushaltsausschuß für den Haushalt im Rentenbereich ebenso wie auf hat auf Anregung der Haushaltsgruppe der Koali- dem Arbeitslosensektor sind niemals genau voraus- tion hierzu einige Riegel eingebaut. zuberechnen. Dazu kommt, daß — von uns allen gewünscht — das Steuerentlastungspaket in künfti- Wir haben dem Finanzminister in der Frage der gen Haushalten für Mindereinnahmen sorgen wird. Beanspruchung von Verpflichtungsermächtigungen Dies ist notwendig, wenn wir mehr Steuergerechtig- für das Jahr 1985 ein zusätzliches Kontrollrecht ge- keit ebenso erreichen wollen wie eine Besserstel- geben. - lung der Familien, auch der Alleinerziehenden ge- Dazu kommt — ich sage dies insbesondere in genüber kinderlosen Berufstätigen. Richtung auf die Ministerien —, daß wir mit großer (Frau Dr. Hamm-Brücher [FDP]: Sehr Sorgfalt den Abfluß der Mittel kontrollieren wer- gut!) den, um das sogenannte November-Dezember-Fie- ber, d. h. das krampfhafte Ausgeben noch vorhande- — Ich bedanke mich für den Zuruf, Frau Kollegin ner Mittel zum Jahresschluß, im Jahre 1985 entfal- Hamm-Brücher. „Sehr gut" aus Ihrem Munde klingt len zu lassen. Haushaltsreste werden gespart. für mich besonders erfreulich. So haben wir zwar für diese Runde der Haus- Rund 0,9 Milliarden DM liegt der Haushaltsan- haltsberatungen unsere Pflicht erfüllt. Aber die satz unter dem Betrag der Regierungsvorlage, d. h. Pflichterfüllung in diesem Politikbereich ist eine die Mehrheit des Ausschusses — also im Normalfall Daueraufgabe. Sie wird fortgesetzt werden. die verantwortliche Mehrheit der Haushaltsgruppe der Koalition — hat per Saldo weitere Einsparun- Ich schließe mit einem Zitat der „Süddeutschen gen erreicht, obwohl wir auch an mancher Stelle Zeitung" vom 27. November, das aus meiner Sicht aus politisch guten Gründen Aufstockungen vorge- eine Aufforderung, auch des Deutschen Bundesta- nommen haben; ich darf nur, und dies erneut, an die ges, an unseren Finanzminister, Herrn Stoltenberg, sehr wichtige Förderung des Mittelstandes erin- bedeuten muß, der hier — malerisch umrahmt von nern. Wir wissen daß der Haushalt eine Reihe von seinen zwei Parlamentarischen Staatssekretären — Zukunftsrisiken beinhaltet, daß die Konsolidierung bis zuletzt ausgehalten hat: noch lange nicht am Ende ist und daß wir Disziplin Wenn der Finanzminister es fertigbrächte, bald fordern müssen, wenn wir das erklärte Ziel der Ko- ein Konzept für den Subventionsabbau und die alition — entsprechend den Forderungen des Wahl- Entzerrung der Steuerbelastung vorzulegen, ergebnisses vom März 1983 — weiterhin anstreben dann könnte er des Erfolges der Etatdisziplin wollen. noch sicherer sein. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU — Ich wünsche Ihnen allen eine gute Nacht. Dr. Jannsen [GRÜNE]: Da werden Sie wohl (Heiterkeit — Beifall bei der FDP und der nicht viel Erfolg haben!) CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der Ich appelliere, liebe Kolleginnen und Kollegen, SPD) hierbei dringend an die Kollegen aus den Fachaus- schüssen, die ja vereinzelt noch anwesend sind, ihre Präsident Dr. Jenninger: Herr Kollege Weng, wir Begehrlichkeit, die schon in diesem Jahr an vielen sind mit der Tagesordnung leider noch nicht zu Stellen aufflackerte, zu dämpfen. Wir sind uns im Ende. Haushaltsausschuß natürlich darüber im klaren, Das Wort hat der Abgeordnete Strube. daß es für Sie, die Kollegen, sehr viel angenehmer (Frau Dr. Vollmer [GRÜNE]: Sie haben das wäre, draußen im Wahlkreis bei der Bevölkerung Recht zum Gute-Nacht-Sagen, Herr Präsi einen Haushalt zu vertreten, der nicht restriktiv ge- dent!) führt ist. Wir sind uns der Tatsache bewußt, daß natürlich die Bereitschaft der Bürger zur Sparsam- keit immer da ein wenig geringer wird, wo es um Strube (CDU/CSU): Herr Präsident! Meine sehr den eigenen Bereich geht. Ich sage ganz offen: Es verehrten Damen und Herren! Mein Kollege von ist eine meiner ersten Erfahrungen, daß ich die Kol- Hammerstein ging insbesondere auf die drei wich- legen eigentlich ein wenig beneide, die zwischen tigsten Änderungen im Haushaltsgesetz 1985 ge- 1969 und 1982 — zu Zeiten hohen Wirtschaftswachs- genüber dem Vorjahr ein. Da aber das Haushaltsge- tums und dann anschließend bei immer höherer setz sozusagen eine Kurzfassung der 27 Einzelpläne Staatsverschuldung — eine Politik fröhlichen Aus- darstellt, einen Extrakt unserer wirtschafts-, finanz- gebens betrieben haben. Welche Interessengruppie- und haushaltspolitischen Vorstellungen, erscheint rung, welcher Verband, welcher Zuwendungsemp- es mir notwendig und in der Sache gerechtfertigt, fänger ist nicht erfreut, wenn er aus dem Gespräch am Ende der zweiten Lesung abschließend noch- mit einem Abgeordneten die Zusage mitnimmt, daß mals auf die Erfolge unserer seit 1982 konsequent die Zuschüsse erhöht werden oder doch zumindest durchgeführten Konsolidierungspolitik einzuge- für das Folgejahr eine Erhöhung in Aussicht ge- hen. stellt werden kann? In den zwei Jahren seit 1982 haben wir die Wei- Stabilitätspolitik, d. h. geringe Preissteigerungen, chen in die richtige Richtung gestellt. bedeuten auch geringere Steuereinnahmen. Die (Beifall bei der CDU/CSU) 7900 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 105. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. November 1984

Strube Wir haben wieder positive Wachstumsraten, und ist. Die Koalition hat gezeigt, daß sie diese Kraft das Realeinkommen breiter Bevölkerungsschichten besitzt. nimmt nach Jahren des Stillstands und des Rück- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) gangs wieder zu. Wir haben ein Maß an Preisstabili- tät, wie es während der gesamten Regierungszeit der vorangegangenen Koalition nicht erreicht wur- Präsident Dr. Jenninger: Herr Abgeordneter, ich de. Der Staatsanteil geht schrittweise zurück, und muß Sie darauf hinweisen, daß Ihre Redezeit abge- die Neuverschuldung nimmt ab. Für 1985 erwarten laufen ist. Bitte kommen Sie zum Schluß. wir eine Neuverschuldung, die unter 25 Milliarden DM liegt. Die volkswirtschaftliche Investitionsquote Strube (CDU/CSU): Ich komme zum Schluß, Herr hat wieder zugenommen. Die Exporterfolge unter- Präsident. Zu Beginn des nächsten Jahres wird der streichen die Verbesserung unserer internationalen Bundesminister der Finanzen den Gesetzentwurf Wettbewerbsfähigkeit, auch auf Grund moderater zu einer Reform des Einkommensteuertarifs vorle- Lohnabschlüsse. Die Grundlagen der sozialen Si- gen. cherungssysteme sind trotz weiterbestehender Pro- Das alles macht den Weg aus, der nach und nach bleme wieder stabiler. wieder jenes notwendige Vertrauen in die Zukunft (Gerster [Mainz] [CDU/CSU]: Das ist sehr unseres Landes entstehen läßt, das Sie in den wahr!) knapp eineinhalb Jahrzehnten zwischen dem Ende der 60er Jahre und dem Neubeginn im Herbst 1982 Dies beweist anschaulich, wie wichtig es für die restlos zerstörten. Wir stimmen deshalb dem Haus- Gesundung unserer Volkswirtschaft ist, daß die Fi- haltsgesetz 1985 zu. nanzen der öffentlichen Haushalte wieder unter Kontrolle sind. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) (Beifall bei der CDU/CSU) Das Wort hat der Bundes- Das in der Vergangenheit verlorengegangene Ver- Präsident Dr. Jenninger: minister der Finanzen Dr. Stoltenberg. trauen in unser Wirtschaftssystem ist zurückge- kehrt. Konsolidierung bedeutet also nicht, wie Sie, meine Kollegen von der SPD, uns in den letzten Dr. Stoltenberg, Bundesminister der Finanzen: drei Tagen permanent einzureden versuchten, Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Be- mehr Armut, nein, Konsolidierung bedeutet mehr deutung des Haushaltsgesetzes und der Diskus- Wohlstand für alle. sionsbeiträge rechtfertigen es, daß ich noch kurz für die Bundesregierung zu einigen Punkten Stel- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) lung nehme. Ich möchte mich auf die zwei Themen Sicher, es sind noch nicht alle Probleme, die Sie beschränken, die von allen Rednern angesprochen uns hinterlassen haben, gelöst. Noch ist das Ziel wurden. eines dauerhaften Wiedererstarkens der Gesamt- Es ist richtig, daß die erwähnte Regelung bei den konstitution unserer Volkswirtschaft nicht auf allen Verpflichtungsermächtigungen neu für den Bun- Gebieten erreicht. deshaushalt ist und deswegen nach dem Beschluß des Haushaltsausschusses auch schon eine weite Präsident Dr. Jenninger: Herr Abgeordneter Stru- öffentliche Beachtung in der Publizistik gefunden be, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeord- hat. Ich möchte allerdings hinzufügen: Diese Rege- neten Kirschner? lung ist in fast allen Bundesländern bewährt. Sie steht in den Haushaltsordnungen der meisten Bun- Strube (CDU/CSU): Nein, ich möchte jetzt zu desländer. Insofern kann man bei dieser Diskussion Ende kommen und möchte meine Ausführungen im auch die dort gemachten Erfahrungen einbeziehen. Zusammenhang vortragen. (Carstens [Emstek] [CDU/CSU]: Ich glau- Meine Damen und Herren, es geht um drei Dinge. be, in zehn Ländern!) Erstens: Die Staatsquote muß weiter gesenkt wer- Soweit die Wahrnehmung von Verpflichtungser- den. Überall dort muß sich der Staat aus der Wirt- mächtigungen nicht in die Zuständigkeit des Haus- schaft zurückziehen, wo er die Marktkräfte behin- haltsausschusses fällt, ist also die Zustimmung des dert, und gleichzeitig muß er dort seine Stärke ent- Bundesministers der Finanzen ausdrücklich not- falten, wo seine eigentlichen Aufgaben liegen. wendig. Zweitens: Voraussetzung für eine Senkung der (Kleinert [Marburg] [GRÜNE]: Sie wieder-- Staatsquote ist jedoch eine dauerhafte Begrenzung holen nur das, was alle schon gesagt ha- des Ausgabenzuwachses unter dem Wachstum des ben!) Bruttosozialproduktes. — Wissen Sie, wenn es nach den Wiederholungen (Beifall bei der CDU/CSU) ginge, Herr Kollege Kleinert, dann hätte Ihre Rede Dies ist uns 1983, 1984 und 1985 mit Erfolg gelun- nur ein Viertel der Redezeit in Anspruch genom- gen, im Gegensatz zu Ihnen, Herr Roth. Ziel wird es men. sein, daß dies auch 1986 gelingt. (Beifall bei der CDU/CSU — Matthöfer Drittens: Dieses Ziel erfordert auch in Zukunft [SPD]: Das geht Ministern auch so! — Zu- ein Höchstmaß an haushaltspolitischer Disziplin. ruf von den GRÜNEN: Sehr schwach!) Sie läßt sich nur entfalten, wenn die politische Ich hebe diesen Punkt wegen der besonderen Be Kraft zur Bestimmung von Prioritäten vorhanden deutung noch einmal hervor. Ich stelle hier einen Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 105. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. November 1984 7901

Bundesminister Dr. Stoltenberg Bezug mit den Bundesländern her, der doch für die registrieren. Aber eine solche Unruhe kann ja auch Beleuchtung des Themas nicht ohne Bedeutung viele an die strengen Grundsätze der Haushaltsdis- ist. ziplin und die klare politische Absicht der Koalition, Der unmittelbare Anlaß war in der Tat das vor- sie durchzuhalten, erneut erinnern. übergehende Zurückbleiben der Steuereinnahmen, Im übrigen, Herr Kollege Sieler: Nach unseren aber — ich unterstreiche, was hier gesagt wurde — Unterlagen ist es nicht so, daß wir bisher Verpflich- auch die Einsicht, daß wir zu viele neue Anforde- tungsermächtigungen in Höhe von 200 Milliarden rungen für die Jahre 1986 und 1987 haben. Insofern DM eingegangen sind. Wir schätzen die Größenord- begrüße ich, daß wir jetzt ein Element der Korrek- nung auf 70 Milliarden DM, die bereits an Vorbela- tur verwenden können. Natürlich bedeutet das für stungen für künftige Haushalte entstanden ist. Die den Bundesminister der Finanzen ein Mehr an Ar- Verpflichtungsermächtigungen jetzt im Regie- beit und an Verantwortung. rungsentwurf belaufen sich auf rund 55,5 Milliarden (Dr. Vogel [SPD]: Und Mißtrauen!) DM. Davon sind über 16 Milliarden DM für das — Ein Mehr an Arbeit und Verantwortung, Herr nächste Jahr vorgesehen. Der Rahmen geht weit Kollege Vogel. über das Jahr 1989 hinaus. Wir werden diese Aufgabe mit Augenmaß wahr- Lassen Sie mich, meine Damen und Herren, trotz nehmen, aber wir werden diese Ermächtigung auch der späten Stunde und des verständlichen Wun- nutzen, .. . sches nach Schluß der Debatte einige Sätze zu dem Thema „Haushaltsgesetz und Rentenversicherung" hinzufügen. Die hier vorgesehene Liquiditätsgaran- Präsident Dr. Jenninger: Herr Bundesminister, ge- statten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten tie ist eine zeitweise, eine vorübergehenden Abwei- Westphal? chung von der Reichsversicherungsordnung. Dem strengen Wortlaut der Reichsversicherungsordnung gemäß hätte die Rentenversicherung zunächst ihre Dr. Stoltenberg, Bundesminister der Finanzen:.. . Vermögenswerte veräußern und beleihen müssen. um sicherzustellen, daß der Rahmen der mittelfri- Wir halten das aus Gründen, die in der fachlichen stigen Finanzplanung in den kommenden Jahren Diskussion bekannt sind — die Schwierigkeit, Ver- eingehalten werden kann. mögenswerte kurzfristig zu einem angemessenen Bitte sehr. Preis zu veräußern, ist einer der Gründe —, in der jetzigen Situation nicht für sinnvoll. Westphal (SPD): Herr Minister, haben Sie diese Diese Bundesgarantie, die zeitweise befristet ist Einschränkung der Freiheit der einzelnen Ressort- — sie umfaßt die Möglichkeit, worauf der Kollege minister mit Ihren Kollegen im Kabinett bespro- von Hammerstein hingewiesen hat, sie erforderli- chen, und was haben die dazu gesagt? chenfalls ein Jahr oder zwei Jahre zu verlängern —, (Dr. Vogel [SPD]: Die waren begeistert! — die den Bundeszuschuß sinnvoll ersetzt, ist nichts, Carstens [Emstek] [CDU/CSU]: Das war was Alarm oder Panik auszulösen braucht. Es ist doch kein Kabinettsbeschluß!) vollkommen abwegig, gerade auf der Basis der hier zu entscheidenden vorgesehenen temporären Ga- Dr. Stoltenberg, Bundesminister der Finanzen: rantie des Bundeshaushalts von „Renten auf Pump" Herr Kollege Westphal, wie Ihnen Ihre Kollegen zu reden. Der Bundeszuschuß, den wir voll und un- aus dem Haushaltsausschuß sagen können, ist das eingeschränkt zur Verfügung stellen — unsere so- eine Initiative des Haushaltsausschusses und nicht zialdemokratischen Vorgänger haben ihn massiv der Bundesregierung. gekürzt, meine Damen und Herren —, kann da- (Beifall bei der CDU/CSU) durch sinnvoll temporär ersetzt werden. Unser Amtsverständnis ist, daß wir Entscheidun- (Matthöfer [SPD]: Im Zuge unserer „leicht- gen des souveränen Parlaments und seiner Aus- fertigen" Haushaltsführung haben wir ihn schüsse immer ernst nehmen und respektieren. gekürzt!) (Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU) — Das war trotzdem keine so gute Entscheidung, Aber ich würdige diese Entscheidung ausdrücklich Herr Kollege Matthöfer, vor allem, wenn ich mir die positiv. Ich will das noch einmal bekräftigen, wenn Reden von Frau Fuchs und anderen in Erinnerung daran ein Zweifel besteht. rufe. Das paßt ja alles gar nicht mehr zusammen. Deswegen erinnere ich daran. Wir müssen den gesetzten Rahmen auch in der mittelfristigen Finanzplanung einhalten. Wir müs- Eine Bundesgarantie kann temporär eine sinn- sen den Weg der Konsolidierung fortsetzen. Da wir volle Ergänzung sein. Dabei handelt es sich auch im die Steuerquote nicht erhöhen wollen, bleibt nach ungünstigsten Fall um eine Liquiditätshilfe von we- der Logik der finanzwirtschaftlichen Zusammen- nigen Tagen, von wenigen Wochen. Auch bei einer hänge nur, auch in der zweiten Hälfte der Wahlpe- vorsichtigen Einschätzung des Ablaufs des näch- riode, in der es nicht einfacher, sondern schwieriger sten Jahres ist sicher damit zu rechnen, daß gegen wird, Ausgabendisziplin durchzusetzen. Ende nächsten Jahres die Rechnung stimmt, d. h. Meine Damen und Herren, ich glaube, daß diese daß die Rentenversicherung über die vorgesehene Einschätzung auch für die anderen Mitglieder der Mindesrücklage verfügt. Bundesregierung gilt. Daß es hier und da in der (Zuruf des Abg. Hoffmann [Saarbrücken] Verwaltung eine leichte Unruhe gibt, kann ich auch [SPD]) 7902 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 105. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. November 1984

Bundesminister Dr. Stoltenberg Die Tatsache, daß der Bund außerhalb der regulä- Hoffnung, in späteren Zeiten einmal selbst wieder ren Verpflichtung eine solche Garantie übernimmt, verantwortlich diese Politik mitgestalten zu kön- ist ein Ausdruck der besonderen Verantwortung ge- nen, nicht aufgeben werden, empfehle ich Ihnen, genüber den Rentnern und nicht mit der irrefüh- heute so zu reden, daß spätere Einlassungen, Vorla- renden törichten Formel von der „Rente auf Pump" gen und Entscheidungen auch einmal daran gemes- zu beschreiben. sen werden können. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — Zurufe von der SPD) Hoffmann [Saarbrücken] [SPD]: Sehr unsi- Meine Damen und Herren, wir alle wissen, daß in cher geworden!) der kommenden Wahlperiode die große Reformauf- gabe einer Neuordnung der Rentenversicherung vor Bundestag und Bundesrat liegt, die dann unter Präsident Dr. Jenninger: Weitere Wortmeldungen den ganz veränderten und schwierigeren Bedingun- liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache. gen der demographischen Situation der 90er Jahre Wir kommen zur Einzelberatung und zur Abstim- und des nächsten Jahrhunderts den Generationen- mung. Ich rufe die §§ 1 bis 32 und den Gesamtplan, vertrag wieder verläßlich macht. Einleitung und Überschrift, in der Ausschußfassung Im übrigen hat der Präsident der Bundesversi- auf. Wer den aufgerufenen Vorschriften zuzustim- cherungsanstalt für Angestellte, Herr Hoffmann, men wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — heute in einem Interview von einem Auszehrungs- Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Die auf- prozeß der Rentenversicherung im vergangenen gerufenen Vorschriften sind angenommen. Jahrzehnt gesprochen. Ich will das nur zu einigen Damit ist die zweite Beratung des Entwurfs eines Ihrer polemischen Bemerkungen hinzufügen. Gesetzes über die Feststellung des Bundeshaus- Ich rate in dieser Debatte über die aktuellen Pro- haltsplans für das Haushaltsjahr 1985 (Haushalts- bleme der Rentenversicherung allen zu einer maß- gesetz 1985) abgeschlossen. vollen und verantwortungsbewußten Diskussion. Wir sind damit am Schluß unserer heutigen Ta- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) gesordnung. Das, was vor den gesetzgebenden Körperschaften Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen an Aufgaben und Entscheidungen in der kommen- Bundestages auf morgen, Freitag, den 30. November den Wahlperiode steht, ist eine noch größere Her- 1984, 9 Uhr ein. ausforderung als das, was wir jetzt zu meistern ha- ben. Die Sitzung ist geschlossen. Meine Damen und Herren der Sozialdemokratie, weil Sie doch als große Partei die Erwartung und (Schluß der Sitzung: 21.12 Uhr)

Berichtigung

104. Sitzung, Seite 7738 A: In der 23. Zeile ist statt „ISRF" zu lesen: „ESRF". Deutscher Bundestag - 10. Wahlperiode - 105. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. November 1984 7903*

Anlagen zum Stenographischen Bericht

Anlage 1 vorliegenden Wirtschaftsdaten mit denen des Saar- landes für vergleichbar, wenn auch nicht für iden- Liste der entschuldigten Abgeordneten tisch. Bremen leidet unter den vielfältigen Wettbe- werbsverzerrungen in der Schiffahrt, beim Schiff- Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich bau und beim Hinterlandverkehr der norddeut- Antretter * 30. 11. schen Häfen sowie unter den EG-Beschränkungen Dr. Barzel 30. 11. für die Hochseefischerei und die Stahlproduktion. Bayha 30. 11. Dadurch wurde und wird die Finanzkraft des klein- Frau Beck-Oberdorf 30. 11. sten Bundeslandes stark belastet. Ferner muß Bre- Dr. Bugl 29. 11. men als Stadtstaat durch die Finanzreform 1969 bei Erhard (Bad Schwalbach) 30. 11. Pendlern (etwa jeder vierte Arbeitnehmer) Einnah- Gerlach (Obernau) 29. 11. meverluste in Höhe von mehreren 100 Millionen Dr. Glotz 30. 11. DM hinnehmen. Dr. Haack 29. 11. Wir sind der Auffassung, daß statt einer einmali- Dr. Hauff 29. 11. gen Zahlung in einer umstrittenen Höhe der Freien Frau Hoffmann (Soltau) 30. 11. Hansestadt Bremen mit dem Abbau oder Ausgleich Jung (Düsseldorf) 30. 11. von internationalen Wettbewerbsverzerrungen, mit Kittelmann 29. 11. gezielten Hilfen zur Selbsthilfe, wie zum Beispiel Dr. Kreile 30. 11. mit Infrastrukturmaßnahmen und durch eine drin- Lenzer * 30. 11. gend notwendige Verbesserung des Länderfinanz- Frau Dr. Martiny-Glotz 29. 11. ausgleichs sehr viel wirksamer geholfen werden Dr. Müller * 30. 11. könnte. Bremen erhält als einziges der nehmenden Polkehn 30. 11. Länder im horizontalen Länderfinanzausgleich Frau Renger 30. 11. keine Bundesergänzungszuweisung. Die Bedingung Frau Schmidt (Nürnberg) 30. 11. für diesen Anspruch, nämlich finanzielle Leistungs- Schmidt (Wattenscheid) 30. 11. schwäche, liegt vor. Ferner müßte die jährliche Ent- Frau Dr. Skarpelis-Sperk 30. 11. schädigung für die Hafenlasten, die seit 1956 unver- Dr. Spöri 30. 11. ändert 25 Millionen DM beträgt, den heutigen Ver- Dr. Sprung 30. 11. hältnissen angepaßt werden. Bremen nimmt in die- Dr. Stark (Nürtingen) 30. 11. sem Zusammenhang zugleich nationale Aufgaben Stobbe 29. 11. für die Bundesrepublik Deutschland, das zweit- Vahlberg 30. 11. größte Welthandelsland, wahr. Voigt (Sonthofen) 30. 11. Wir glauben, daß der Freien Hansestadt Bremen Vosen 30. 11. in dieser Situation geholfen werden muß. Wir haben Weiskirch (Olpe) 30. 11. aber zugleich feststellen müssen, daß der von der SPD eingeschlagene Weg auf keiner politischen * für die Teilnahme an Sitzungen der Parlamentarischen Ver- Ebene durchsetzbar war. Der Bundesrat hat das sammlung des Europarates bremische Begehren eindeutig abgelehnt. In den Ausschüssen des Bundestages war keine Mehrheit zu bekommen. Die Bundesregierung war in dieser Anlage 2 Frage nicht zu überzeugen, zumal sie vor kurzer Zeit 80 Millionen DM für Bremen zur Verfügung Erklärung nach § 31 GO gestellt hat. der Abgeordneten Hinrichs (CDU/CSU) und Metz In dieser Situation halten wir es für klüger, uns (CDU/CSU) zur Abstimmung über den von der auf die Durchsetzung der von uns genannten, für Fraktion der SPD eingebrachten Entwurf eines Ge- Bremen notwendigen Maßnahmen zu konzentrie- setzes über Finanzhilfen des Bundes nach Art. 104 a ren, als einer gescheiterten Initiative zuzustimmen. Abs. 4 GG an die Freie Hansestadt Bremen (Druck- Da wir die Auffassung unserer Fraktion in diesem sache 10/2141) Punkt aus den genannten Gründen nicht teilen, Wir halten die Bremer Verhältnisse angesichts werden wir uns bei der Abstimmung über den SPD- der Konzentration vieler Problembranchen und der Gesetzentwurf der Stimme enthalten.