Schleswig-Holsteinischer Landtag Plenarprotokoll 14/95 14. Wahlperiode 99-09-17

Plenarprotokoll

95. Sitzung

Kiel, Freitag, 17. September 1999

Gemeinsame Beratung Zweite Lesung des Entwurfs eines Geset- a) Bericht des Landtagspräsidenten über zes zur Änderung des Schulgesetzes die 8. Ostseeparlamentarierkonferenz Gesetzentwurf der Fraktionen von SPD, in Mariehamn CDU, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, b) Bericht über die Aktivitäten der Lan- F.D.P. und der Abgeordneten des SSW desregierung im Ostseeraum Drucksache 14/2368 1998/1999 (Ostseebericht) Bericht und Beschlußempfehlung des Bil- dungsausschusses Bericht der Landesregierung Drucksache 14/2398 Drucksache 14/2289 Heinz-Werner Arens, Landtagspräsident 7139, Dr. Ulf von Hielmcrone [SPD], ...... 7155 Berichterstatter ...... 7156 Gerd Walter, Minister für Justiz, Bun- Beschluß: Verabschiedung...... 7156 des- und Europaangelegenheiten...... 7141, 7154 Peter Lehnert [CDU] ...... 7144 Erhalt des deutschen Generalkonsulats in Dr. Gabriele Kötschau [SPD]...... 7146 Apenrade Detlef Matthiessen [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]...... 7148 Antrag der Fraktionen von SPD und Dr. Ekkehard Klug [F.D.P.] ...... 7149 BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Anke Spoorendonk [SSW]...... 7153 Drucksache 14/2327 Beschluß: Überweisung des Berichts Änderungsantrag der Fraktion der CDU Drucksache 14/2289 an den Europa- Drucksache 14/2369 ausschuß zur abschließenden Beratung 7156Änderungsantrag der Fraktionen von CDU, SPD, F.D.P., BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 7138 Schleswig-Holsteinischer Landtag (14. WP) - 95. Sitzung - Freitag, 17. September 1999

und der Abgeordneten Anke Spoorendonk Landtagsbeschluß vom 26. September 1996 [SSW] Drucksachen 14/223, 14/266 und 14/272 Drucksache 14/2400 Bericht der Enquetekommission Lothar Hay [SPD] ...... 7156 Drucksache 14/2373 (neu) Meinhard Füllner [CDU]...... 7157 Jürgen Weber [SPD] ...... 7176, 7179 Irene Fröhlich [BÜNDNIS 90/DIE Gero Storjohann [CDU] ...... 7177 GRÜNEN]...... 7158 Irene Fröhlich [BÜNDNIS 90/DIE Dr. Ekkehard Klug [F.D.P.] ...... 7159 GRÜNEN]...... 7181 Anke Spoorendonk [SSW]...... 7160 Dr. Christel Happach-Kasan [F.D.P.] . 7184, 7190 Monika Heinold [BÜNDNIS 90/DIE Anke Spoorendonk [SSW]...... 7186 GRÜNEN]...... 7162 Dr. Adelheid Winking-Nikolay Heide Simonis, Ministerpräsidentin..... 7163 [fraktionslos]...... 7189 Wolfgang Kubicki [F.D.P.] ...... 7164 Rainder Steenblock, Minister für Um- welt, Natur und Forsten...... 7189 Beschluß: Annahme des Antrages Druck- Dr. Jürgen Hinz [SPD]...... 7190 sache 14/2400 ...... 7165 Beschluß: Überweisung an den Sozialaus- Mechanisch-biologische Abfallbehand- schuß, den Agrarausschuß, den Um- lungsanlagen in Schleswig-Holstein weltausschuß, den Wirtschaftsaus- schuß, den Bildungsausschuß und den Antrag der Fraktionen von SPD und Innen- und Rechtsausschuß zur ab- BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN schließenden Beratung...... 7190 Drucksache 14/2182 Änderungsantrag der Fraktion der CDU Bericht zur biologischen Behandlung und Drucksache 14/2404 Verwertung von Bioabfällen zur Biogaserzeugung, zur Behandlung und Helmut Jacobs [SPD] ...... 7165 Verwertung von Klärschlämmen Roswitha Strauß [CDU] ...... 7167, 7171 Detlef Matthiessen [BÜNDNIS 90/DIE Landtagsbeschluß vom 2. Juni 1999 GRÜNEN]...... 7168 Drucksachen 14/1965 und 14/2162 Dr. Christel Happach-Kasan [F.D.P.] . 7169, 7172 Bericht der Landesregierung Anke Spoorendonk [SSW]...... 7170 Drucksache 14/2361 Rainder Steenblock, Minister für Um- welt, Natur und Forsten...... 7172 Rainder Steenblock, Minister für Um- welt, Natur und Forsten...... 7191 Beschluß: Annahme des Antrages Druck- Dr. Christel Happach-Kasan [F.D.P.] . 7192 sache 14/2382 ...... 7174 Helmut Jacobs [SPD] ...... 7193 Roswitha Strauß [CDU] ...... 7194 Bericht des Landtagspräsidenten gemäß Detlef Matthiessen [BÜNDNIS 90/DIE § 28 des Schleswig-Holsteinischen Abge- GRÜNEN]...... 7195 ordnetengesetzes über die Angemessen- Anke Spoorendonk [SSW]...... 7197 heit der Entschädigung sowie der Auf- wandsentschädigung der Abgeordneten Beschluß: Überweisung an den Umwelt- Drucksache 14/2393 ausschuß und den Agrarausschuß..... 7197 Heinz-Werner Arens, Landtagspräsident 7174 Reform des Bundesausbildungsförde- Holger Astrup [SPD]...... 7175 rungsgesetzes Beschluß: Überweisung an den Finanz- Antrag der Fraktion der F.D.P. ausschuß...... 7175 Drucksache 14/2383 Holger Astrup [SPD], zur Dr. Ekkehard Klug [F.D.P.] ...... 7198 Geschäftsordnung ...... 7175 Jürgen Weber [SPD] ...... 7199 Jost de Jager [CDU] ...... 7200 Bericht der Enquetekommission „Chan- Irene Fröhlich [BÜNDNIS 90/DIE cen und Risiken der Gentechnologie“ GRÜNEN]...... 7202 beim Schleswig-Holsteinischen Landtag Anke Spoorendonk [SSW]...... 7203 Schleswig-Holsteinischer Landtag (14. WP) - 95. Sitzung - Freitag, 17. September 1999 7139

Ute Erdsiek-Rave, Ministerin für Bil- Beginn: 10:00 Uhr dung, Wissenschaft, Forschung und Kultur ...... 7204 Vizepräsident Dr. Eberhard Dall‘Asta: Beschluß: Überweisung an den Bildungs- Meine Damen und Herren! Die Sitzung ist eröffnet. ausschuß...... 7205 Nach Mitteilung der Fraktionen sind der Abgeordnete Durchführung des Bildungsfreistellungs- Peter Gerckens, die Abgeordnete Gisela Böhrk, die und Qualifizierungsgesetzes (BFQG) Abgeordnete Silke Hars, die Abgeordnete Ulrike Ro- dust und der Abgeordnete Peter Zahn erkrankt. Wir Bericht der Landesregierung wünschen allen gute Besserung. Drucksache 14/2119 (Beifall) Horst Günter Bülck, Minister für Wirt- schaft, Technologie und Verkehr...... 7205 Ich rufe die Punkte 25 und 26 der Tagesordnung auf: Ursula Röper [CDU] ...... 7206 Hermann Benker [SPD]...... 7208 Gemeinsame Beratung Irene Fröhlich [BÜNDNIS 90/DIE a) Bericht des Landtagspräsidenten über die 8. GRÜNEN]...... 7209 Ostseeparlamentarierkonferenz in Mariehamn Dr. Ekkehard Klug [F.D.P.] ...... 7210 Anke Spoorendonk [SSW]...... 7211 b) Bericht über die Aktivitäten der Landesregie- rung im Ostseeraum 1998/1999 (Ostseebericht) Beschluß: Überweisung an den Wirt- schaftsausschuß und den Bildungs- Bericht der Landesregierung ausschuß zur abschließenden Beratung 7212 Drucksache 14/2289 Ich erteile dem Herrn Landtagspräsidenten das Wort.

* * * Heinz-Werner Arens, Landtagspräsident: Regierungsbank: Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her- ren! Der Ostseeraum als Wachstumsregion durch- läuft seit Jahren eine rasante Entwicklung. Die verbes- Heide Simonis , Ministerpräsidentin serten Ausgangsbedingungen für grenzüberschreitende Gerd Walter , Minister für Justiz, Bundes- und Kontakte und Investitionen im Ostseeraum sind auf Europaangelegenheiten das Netzwerk der engen Zusammenarbeit zwischen Parlamenten, Regierungen und auch Nichtregierungs- Ute Erdsiek-Rave , Ministerin für Bildung, Wis- organisationen zurückzuführen. Handel und Verkehr senschaft, Forschung und Kultur haben einen respektablen Aufschwung genommen. Dr. Ekkehard Wienholtz , Innenminister Das Auslandsengagement norddeutscher Unternehmen Angelika Birk , Ministerin für Frauen, Jugend, aus Schleswig-Holstein, Hamburg und Mecklenburg- Wohnungs- und Städtebau Vorpommern ist in den ehemals sozialistischen Län- Claus M ö ller , Minister für Finanzen und Energie dern des Ostseeraumes überdurchschnittlich gestiegen. Ohne das politische Miteinander wäre eine solche Horst Günter Bülck , Minister für Wirtschaft, Entwicklung sicherlich nicht möglich gewesen. Dieses Technologie und Verkehr Vertrauen gilt es weiterhin zu festigen, eine Aufgabe, Klaus Buß , Minister für ländliche Räume, Land- die natürlich vor allem der Politik zufällt. wirtschaft, Ernährung und Tourismus Über die politischen, wirtschaftlichen und gesell- Heide Moser , Ministerin für Arbeit, Gesundheit schaftlichen Transformationsprozesse im Ostseeraum und Soziales haben Sie, die Abgeordneten des Landtages, sich in zahlreichen Ausschußsitzungen und auch hier im Ple- Rainder Steenblock , Minister für Umwelt, Natur num mit großer Regelmäßigkeit durch die Regierung und Forsten informieren lassen. Dabei hat es unser Parlament nicht bei bloßer Kenntnisnahme bewenden lassen, * * * * sondern es ist auch selbst aktiv geworden. Schleswig- Holstein war auf der parlamentarischen Ebene von Anfang an dabei, als die Ostseezusam- 7140 Schleswig-Holsteinischer Landtag (14. WP) - 95. Sitzung - Freitag, 17. September 1999

(Landtagspräsident Heinz-Werner Arens) menarbeit kurze Zeit nach dem Fall von Mauern und dete Resolution trägt dem Rechnung. Die Ostseepar- Grenzen in Europa erste Konturen entwickelte. lamentarier fordern den Ostseerat und die Regierungen der Konferenzteilnehmer - also auch unsere Regierung (Beifall des Abgeordneten Dr. Ekkehard Klug - auf, sich für eine aktive Beschäftigungspolitik, für [F.D.P.] und vereinzelt bei der CDU) Möglichkeiten des lebenslangen Lernens sowie für Die rasante Entwicklung, auf die ich eingangs hinwies, mehr soziale Gerechtigkeit und verbesserte Lebensbe- hat auch die Zusammenarbeit der Parlamente verän- dingungen einzusetzen. Soviel zum Thema „Soziales“! dert. Waren zu Beginn das Ins-Gespräch-Kommen, die Der zweite Schwerpunkt, mit dem sich die Ostseepar- Kontakte, das Sich-Kennenlernen, der persönliche lamentarierkonferenz befaßte, war das Thema Kontakt unter Parlamentariern Ziel, Inhalt und Zweck, „Umwelt“. Auch hierzu möchte ich nur wenige An- so stehen heute konkrete und zielgerichtete politische merkungen machen. Aktivitäten im Mittelpunkt. Aus dem ursprünglichen Diskussionsforum ist eine Arbeitsplattform geworden, Unser politisches Leitziel ist gleichzusetzen mit Si- deren Ergebnisse zunehmend auch beachtet werden cherheit und Stabilität im Ostseeraum. Mittel und und aus unserer Sicht auch gern beachtet werden soll- treibende Kraft ist das, was man in der Sprache der ten. Ostseekooperation „region-building“ nennt: Ausbil- Dieser Wandel, dieses neue Selbstverständnis der dung einer gemeinsamen Identität aller Anrainerstaa- Parlamentarierkonferenz ist vor einem Jahr durch die ten rund um die Ostsee, ein Prozeß also, der im Kopf 7. Ostseeparlamentarierkonferenz in Lübeck wesent- beginnt. „Region-building“ bedeutet konkret, Gemein- lich mit eingeleitet worden. In Mariehamn - in der samkeiten herauszukristallisieren und im Rahmen von vergangenen Woche - wurde die Fortsetzung auf den grenzüberschreitender und transnationaler Zusammen- Weg gebracht. arbeit einen Mehrwert für alle Beteiligten zu schaffen. Welcher Bereich wäre da besser geeignet als der Be- Im Anschluß an die erfolgreiche Auftaktveranstaltung reich der Umwelt! in Lübeck vertiefte jetzt die achte parlamentarische Konferenz in Mariehamn das Thema „EU-Oster- Die Ostseeparlamentarierkonferenz in Mariehamn hat weiterung“ unter dem Blickwinkel der sozialen Di- das Thema „Nachhaltige Entwicklung und Umwel- mension. Dabei wurde deutlich, daß sich unterschied- taspekte“ aufgegriffen. Damit entsprach sie nicht nur liche Lebensbedingungen, Armut und Arbeitslosigkeit dem Wunsch des Åländischen Lagting, sondern auch zu sozialer Sprengkraft entwickeln können und damit einem gerade aus unserem Landtag wiederholt geäu- auch die Sicherheit Europas gefährden können. Mitt- ßerten Wunsch. lerweile ist selbst in der Europäischen Union jeder zehnte Erwerbsfähige von Arbeitslosigkeit betroffen. Mariehamn hat deutlich gemacht, daß allen Anrainer- In den ehemals kommunistischen Ländern sind die staaten daran gelegen ist, die Ostsee als unsere ge- Probleme noch bedeutend größer. Hier sind besonders meinsame Lebensgrundlage zu erhalten und mit ihr alte Menschen, kinderreiche Familien, Menschen in und ihren Ressourcen pfleglich und verantwortungsvoll der Landwirtschaft, im Bergbau und in der Textilindu- umzugehen. strie von Armut betroffen, alles Sektoren, die eng mit dem alten System verbunden waren. (Vereinzelter Beifall im ganzen Hause) Die Konferenz war sich darin einig, daß die Länder im Das Thema „Transeuropäische Netze“ - insbesondere Übergang ihre Gesellschaftssysteme aus eigenem An- Verkehr und Energie - zog sich als roter Faden durch trieb verändern müssen. Unzureichende Produktivität, die Konferenz. Verschiedene Forderungen wurden erhöhte Unfallzahlen am Arbeitsplatz und im Straßen- diskutiert und in einer Resolution auch angenommen, verkehr, geringe Lebenserwartung, ungesunde Lebens- so zum Beispiel ein Umlenken der Verkehrsströme von gewohnheiten und teilweise unzureichende Fürsorge der Straße auf die Schiene und auf das Wasser, für Kinder signalisieren, daß ein verantwortungsvolles soziales Verhalten noch fehlt. Die Lösung dieser Pro- (Beifall der Abgeordneten Irene Fröhlich bleme ist untrennbar mit dem Aufbau einer Zivilge- [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) sellschaft verbunden. die vermehrte Nutzung erneuerbarer Energien, die Infolge Grenzöffnung und EU-Beitrittsprozeß rücken Errichtung eines Energieverbundes und eines gemein- die Länder im Ostseeraum ohne Zweifel näher zu- samen Energiemarktes im Ostseeraum, die Aufforde- sammen. Politik muß vermehrt für soziale Ausgewo- rung an die Baltic Agenda 21 und HELCOM, zusam- genheit und einen schrittweisen Abbau des Wohl- men mit dem Ostseerat weitere Strategien für eine standsgefälles sorgen. Die in Mariehamn verabschie- nachhaltige Umweltpolitik zu entwickeln. Schleswig-Holsteinischer Landtag (14. WP) - 95. Sitzung - Freitag, 17. September 1999 7141

(Landtagspräsident Heinz-Werner Arens)

Ferner konzentrierte sich die Diskussion auf das Leit- eingehen und ein wenig aus dieser Veranstaltung zitie- bild der „nachhaltigen Entwicklung“; gemeint ist, die ren. Damit komme ich auch zum Ende dieses Berichts. Bedürfnisse einer wachsenden Zahl von Menschen befriedigen zu können, ohne die Lebensgrundlagen Als letzter Redner der Konferenz zog der Initiator der zukünftiger Generationen zu beeinträchtigen. Hieraus ersten Ostseeparlamentarierkonferenz, der ehemalige soll kein Primat eines Politikbereiches - weder der finnische Reichstagspräsident Kalevi Sorsa, in Marie- Umweltpolitik noch der Sozialpolitik noch der Wirt- hamn Bilanz. Darauf möchte ich kurz eingehen. schaftspolitik - abgeleitet werden. Nachhaltig zu- Im Hinblick auf die Erweiterung der Europäischen kunftsverträgliche Entwicklung reicht über Einzelfra- Union sprach Sorsa sich nachdrücklich für eine ge- gen weit hinaus. Sie verbindet ökologische, ökonomi- samteuropäische Integration aus. Es sei wichtig zu sche und soziale Aspekte. erkennen, daß auch die Union vitale Interessen zu verteidigen habe. Die aktuellen Erweiterungsverhand- Es stellt sich natürlich die Frage, welche Richtung in lungen unterstrichen die Notwendigkeit, eine eigene dem Dreieck „Ökologie - Ökonomie - Soziales“ einzu- Politik für den Ostseeraum zu entwickeln. Die finni- schlagen ist. Mariehamn blieb hier - ich sage dies sehr sche Initiative für eine nördliche Dimension biete, wie deutlich - noch eine Antwort schuldig. Der technische die Reaktionen der EU und der Ostseeanrainer gezeigt Fortschritt und der gesellschaftspolitische Wandel hätten, hierfür geeignete Ansatzpunkte. Er sagte, daß führen zu immer neuen Ausgangsbedingungen. Inso- die Ostseeparlamentarierkonferenz seit ihrer Grün- fern durchlaufen wir ständig neue Such-, Lern- und dung einen Entwicklungsprozeß von der Vision zur Erfahrungsprozesse, und zwar auch mit der Ostsee- Aktion durchlaufen habe. Nur so konnte sie ihre Posi- parlamentarierkonferenz. Standpunkte und politische tion als beratendes parlamentarisches Gremium im Strömungen wurden erneut deutlich. So entzündete Ostseeraum festigen, und das mit Erfolg. Als Gründer- sich die Diskussion nicht zufällig an der Forderung vater begrüßt er nicht ganz ohne Stolz diesen Wand- nach einem - ich zitiere - „schnellstmöglichen schritt- lungsprozeß. weisen Ausstieg aus der Atomenergie“. Die Proble- matik und die Grenzen der dem Konsensprinzip ver- Das haben wir als Teilnehmer an der Konferenz aus pflichteten Konferenz traten an diesem Punkt beson- diesem Landtag mit Freude zur Kenntnis genommen. ders deutlich zutage. Wir werden uns auch weiterhin aktiv in diese Arbeit einbringen. Dennoch: Wir stehen nicht am Ende einer Entwick- lung, sondern eher am Anfang. (Beifall im ganzen Haus)

(Beifall der Abgeordneten Ingrid Franzen Vizepräsident Dr. Eberhard Dall‘Asta: [SPD] und Irene Fröhlich [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Auf der Tribüne begrüße ich jetzt Besucherinnen und Besucher, nämlich Auszubildende der Landesent- Je wichtiger und bedeutender die Konferenz, desto wicklungsgesellschaft Schleswig-Holstein, Kiel, und sorgfältiger muß dem vorprogrammierten Konflikt Schülerinnen und Schüler der Grone-Schule, Kiel. zwischen dem Finden gemeinsamer Positionen und der Herzlich Willkommen! Freiheit des Abgeordnetenmandats Rechnung getragen werden. Das Zusammenbringen unterschiedlicher (Beifall) Standpunkte im Konsens ist Ausdruck politischer In der Loge begrüße ich unseren ehemaligen Kollegen Kultur. Um sie gilt es sich zu bemühen. Ich denke, Manfred Frank. Herzlich Willkommen! auch dieses Bemühen prägte spürbar und sichtbar die Ostseeparlamentarierkonferenz in Mariehamn. (Beifall) Die Ostseeparlamentarierkonferenz kann natürlich Das Wort hat jetzt der Minister für Justiz, Bun- keine singuläre Veranstaltung sein. Das gilt auch für des- und Europaangelegenheiten, Herr Walter. unseren Landtag. Auch wir werden solche Konferen- zen immer besser vor- und nachzubereiten haben, zum Gerd Walter, Minister für Justiz, Bundes- und Euro- Beispiel durch das Umweltforum, das wir noch vor den paangelegenheiten: Sommerferien durchgeführt haben, aber auch durch andere Veranstaltungen, insbesondere im Rahmen der Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir legen Arbeit des Europaausschusses hier im Hause. mit diesem Ostseebericht die jährlich übliche Bilanz vor, die auch deswegen ausführlich und detailliert Ich denke, daß Mariehamn weitere Denkanstöße gege- ausfällt, weil dieser jährliche Ostseebericht, der dem ben hat. Ich möchte gern auf die Schlußveranstaltung Landtag vorgelegt wird, in der Zwischenzeit für viele 7142 Schleswig-Holsteinischer Landtag (14. WP) - 95. Sitzung - Freitag, 17. September 1999

(Minister Gerd Walter) eine fortgeschrittene Informationsquelle über die Ost- uns unverändert bedeutsame Zusammenarbeit zwi- seepolitik ist. Deshalb ist dieser Bericht auch sehr schen Deutschland und Dänemark in den Grenzregio- gefragt. nen fortgesetzt.

Er ist eine Bilanz, zu der wir in jedem Jahr sehr viel Auf der anderen Seite müssen wir auch sagen, daß der beigetragen haben. Man kann gar nicht alles aufzäh- Ostseerat als Motor der Ostseekooperation eher ein len. Ob es das Ostseejugendbüro ist, ob es die Sozial- wenig schwächelt. Das war wohl auch die überein- hansa ist, die heute abend in Travemünde wiederbelebt stimmende Beurteilung bei dem letzten Treffen in wird, ob es die deutsch-nordische Juristenvereinigung Palanga. Das ist Ausdruck einer organisatorischen ist, ob es die unermüdlichen Kammern sind, wir sollten Schwäche, aber es ist vielleicht auch Ausdruck eines uns heute - wie in jedem Jahr - von Herzen bei den politischen Mißverständnisses, daß mit Näherrücken vielen Akteuren im Lande bedanken, die das Thema der EU-Mitgliedschaft der Ostseeanliegerstaaten - Ostseekooperation in Schleswig-Holstein mit Leben oder der schon vollzogenen EU-Mitgliedschaft - die erfüllen. Ostseekooperation gewissermaßen unwichtiger werde. (Beifall bei SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Ostseekooperation wird damit als eine Art Durchlauf- NEN, SSW und der Abgeordneten Ursula erhitzer für die Mitgliedschaft in der Europäischen Röper [CDU]) Union mißverstanden.

Ich weiß sehr wohl, daß sich manche gelegentlich von Das Gegenteil ist der Fall. Wenn wir das ökonomische dem Thema Ostseekooperation ermüdet fühlen und Potential der Ostseeregion wirklich entwickeln wollen, daß man immer wieder mit der Frage konfrontiert wenn wir das politische Gewicht der Ostseeanlieger im wird, was dabei in Mark und Pfennig herauskommt. größeren Europa einbringen wollen, wenn wir in Brüs- Ich finde, wir haben am 1. September diesen Jahres an sel als Ostseeregion gehört werden wollen, dann muß der Westerplatte bei Danzig ein beeindruckendes Bei- die Ostseekooperation vertieft werden, gerade und spiel erlebt, und zwar aus Anlaß der Feierlichkeiten erst recht in einer größeren EU, in der Großregionen zum 60. Jahrestag des deutschen Überfalls auf Polen: innerhalb der EU eine größere Bedeutung - auch im Es war keineswegs selbstverständlich, daß eine Dele- Wettbewerb untereinander - haben werden. gation des Landes Schleswig-Holstein, mit der Mini- sterpräsidentin an der Spitze, dazu eingeladen war. (Beifall bei SPD und SSW) Und wenn es nur diese eine Geste der Aussöhnung gewesen wäre, die das Ergebnis von Ostseekooperati- In den nächsten zehn Jahren wird die Ostseekooperati- on wäre, dann hätte sich die Anstrengung schon ge- on ganz im Zeichen der sogenannten Osterweiterung lohnt. stehen. Ich denke, wir werden alles tun, damit der (Beifall im ganzen Haus) bevorstehende Gipfel in Helsinki die Liste der Ost- seeländer komplettiert, die in der ersten Linie der Bei- Man kann nicht alles in Mark und Pfennig messen. trittskandidaten stehen. Litauen und Lettland gehören Wir verweisen in dem Bericht darauf, daß sich auch in dazu. Es ist höchste Zeit für einen solchen Schritt. diesem Berichtsjahr die politischen Rahmenbedin- gungen für die Ostseekooperation weiterentwickelt (Beifall bei SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- haben. Die Maßnahmen der Europäischen Union im NEN, SSW und des Abgeordneten Martin Rahmen der sogenannten Vorbeitrittsstrategie - auch Kayenburg [CDU]) für die Ostseeanliegerstaaten - sind angelaufen. Die nördliche Dimension der EU war Thema auf Gipfeln Es ist ein gutes Zeichen, daß der deutsche Bundes- in Wien und Köln und wird Thema der Außenmini- kanzler in den nächsten Wochen mit einem Besuch sterkonferenz im November sein. dies dort unterstreichen wird und damit Irritationen, Die gemeinsame Strategie für Rußland ist in Köln auf die in der Vergangenheit über die deutsche Haltung dem Gipfel beschlossen worden. Die USA - aber auch gegenüber den baltischen Staaten entstanden sind, Frankreich und England - widmen der Ostseekoopera- ausräumen helfen wird. tion gesteigerte Aufmerksamkeit. Interessanterweise ist man in Washington - auch in Ostseefragen - hell- (Beifall bei der [F.D.P.] und des Abgeordne- sichtiger, als man das in Deutschland gelegentlich ist. ten Holger Astrup [SPD]) Die Agenda 2000 hat die Fortführung des Ostseepro- Wir müssen unsererseits alles tun, um die Kandidaten gramms INTERREG II c grundsätzlich gesichert, auch vorzubereiten, um die Folgeprobleme der Erweiterung wenn die Verzahnung mit dem PHARE-Programm zu reduzieren, die - wenn ich das kritisch anmerken noch unzureichend ist. Im übrigen wird auch die für darf - im Augenblick allenthalben noch unter- Schleswig-Holsteinischer Landtag (14. WP) - 95. Sitzung - Freitag, 17. September 1999 7143

(Minister Gerd Walter) schätzt werden. Wir leisten als Land Schleswig- den Aufbruch Skandinaviens nach Berlin steht, für das Holstein dazu unsere bescheidenen Beiträge in der Zusammenwachsen der südlichen Ostseeregion und für Zusammenarbeit mit Nordpolen und in der Zusam- Schleswig-Holsteins Zukunft in Europa überhaupt. menarbeit mit den Partnern in den baltischen Staaten Das darf man nicht zerreden; das Für und Wider sol- und werden dies auch in Zukunft tun. cher Projekte muß man zwar auch in Mark und Pfen- nig ausdrücken, aber es läßt sich eben nicht nur in Darüber hinaus werben wir in diesen Wochen sehr Mark und Pfennig ausdrücken. Diese Bemerkung stark für eine internationale Gemeinschaftsaktion wollte ich jedenfalls gemacht haben. zugunsten von Kaliningrad, denn Kaliningrad ist auf dem Wege, zu einer russischen Exklave zu werden, (Beifall bei der SPD sowie der Abgeordneten inmitten von Staaten, die der Europäischen Union Roswitha Strauß [CDU] und Peter Lehnert angehören. Bevor sich dort - inmitten der Union - auf [CDU]) Dauer ein Krisenherd etabliert, müssen wir gemein- schaftlich international etwas tun, um mit den Autori- Die Weichenstellungen, die in Schleswig-Holstein täten in Kaliningrad zusammen etwas für diese Region notwendig sind und über die es grundsätzlich ja gar zu tun, damit sie in Zukunft ihren Platz findet. keinen Dissens gibt, werden durch die Möglichkeiten erleichtert, die wir als Ergebnis der Agenda 2000 in (Beifall bei SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- den nächsten sieben Jahren in Schleswig-Holstein NEN und dem Abgeordneten Martin Kayen- haben werden. Ich erinnere daran: Wenn der Rest- burg [CDU]) dissens mit der Kommission ausgeräumt sein wird, Im übrigen ist bilaterale Hilfe und Kooperation mit werden wir in Schleswig-Holstein innerhalb von sie- den Beitrittsländern nicht alles. Bei dem Bericht des ben Jahren insgesamt - alle Mittel zusammengerechnet Herrn Landtagspräsidenten ist das Stichwort „region- - ein Volumen von 2 Milliarden DM bewegen können. building“ gefallen. Je mehr die Ostseekooperation das Das ist das größte Programm, das es jemals für die realisiert, was im Kalmarer Aktionsprogramm der Zukunftsentwicklung in Schleswig-Holstein gegeben Außenminister niederlegt ist, je mehr wir als Region hat. wirklich in der Infrastruktur und all den Dingen, die (Vereinzelter Beifall bei der SPD) auf dem Wunschzettel stehen, zusammenwachsen, desto besser ist es auch für die Beitrittsländer. Die Wir müssen diese Chance nutzen. Deshalb sage ich wirksamste Hilfe für die Beitrittsländer liegt in einer aus gegebenem Anlaß: Wir sollten diese Chance nicht entwickelten Ostseekooperation. durch ein Vabanquespiel mit der Kommission, zum Beispiel wenn es um Naturschutzgebiete geht, gefähr- Die permanente Hauptaufgabe für uns hier im Lande den. heißt nach wie vor, die Weichen in allen Bereichen des Landes so zu stellen, daß es der Wettbewerbsfähig- (Holger Astrup [SPD]: Sehr richtig!) keit Schleswig-Holsteins in der Ostseeregion nützt. Darüber waren wir uns auch im letzten Jahr einig. Jeder sollte genau wissen und abwägen, was dort im Leitprojekte sind als offene Liste definiert. Sie wer- einzelnen zu geschehen hat. den zur Zeit mit dem Initiativkreis Ostsee abgearbeitet. Manches macht dabei gute Fortschritte, wie etwa die (Beifall bei der SPD und der Abgeordneten Kooperation mit der Øresundregion und mit Hamburg Roswitha Strauß [CDU]) im Rahmen des STRING-Projekts, aber auch die Insgesamt blicken wir gemeinsam - ich sage an dieser Kooperation der Hochschulen. Manches ist zäh, das Stelle bewußt „gemeinsam“ - auf eine respektable soll nicht verschwiegen werden, wie etwa das Thema Bilanz, aber wir blicken auch - wie in jedem Jahr - des gemeinsamen Arbeitsmarktes in der Grenzregion, noch auf sehr viel vor uns liegende Arbeit. Die Basis dessen Nichtexistenz ja dazu beiträgt, daß die Grenz- dafür ist gut. Insbesondere in den letzten Wochen ist region ökonomisch hinter ihren Möglichkeiten zurück- noch einmal deutlich geworden, daß Schleswig- bleibt. Holstein nach wie vor einen guten Namen in der Ost- (Beifall bei der SPD) seeregion hat. Ihn zu pflegen und ihn zu mehren sollte uns gemeinsam auch in Zukunft ein Anliegen sein. Es gibt auch manches, was wir davor bewahren müs- Was immer in den nächsten Wochen in diesem Lande sen, am Ende zerredet zu werden. Ich will das am auf den Hauklotz des Wahlkampfes gelegt wird, die Beispiel der Fehmarnbeltdebatte aufzeigen. Natürlich Ostseezusammenarbeit gehört dort nicht hin. muß am Ende gerechnet und gewogen, meinetwegen auch abgewogen werden. Aber was ja so schwer meß- (Beifall bei SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- bar ist, ist, daß ein solches Projekt beispielsweise für NEN und CDU) 7144 Schleswig-Holsteinischer Landtag (14. WP) - 95. Sitzung - Freitag, 17. September 1999

Vizepräsident Dr. Eberhard Dall‘Asta: Ich halte es für eine der zentralen Herausforderungen in diesem Prozeß, ob es uns gelingt, insbesondere Zunächst hat nun Herr Abgeordneter Lehnert das Rußland noch stärker in das regionale Beziehungsge- Wort. flecht einzubinden. (Claus Hopp [CDU]: Sehr gut!) (Detlef Matthiessen [BÜNDNIS 90/DIE Peter Lehnert [CDU]: GRÜNEN]: Sehr gut! - Beifall der Abgeord- neten Dr. Gabriele Kötschau [SPD]) Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich bin froh, daß wir heute die Gelegenheit Die Teilnahme von Abgeordneten der Regional- haben, über einige Grundsätze der Ostseepolitik parlamente aus dem Kaliningrader Gebiet, der Le- miteinander zu diskutieren. Besonders erfreulich im ningrader Oblast und aus Karelien sowie des Föderati- Bereich der Europapolitik und hier insbesondere bei onsrates an der 8. Ostseeparlamentarierkonferenz ist der Zusammenarbeit im Ostseeraum ist die weitgehen- meines Wissens die bisher stärkste Präsenz auf einer de Übereinstimmung aller Fraktionen in diesem Hohen solchen Veranstaltung und insoweit ein ermutigendes Hause. Ich halte das auch im Sinne einer effektiven Zeichen. Interessenvertretung Schleswig-Holsteins für dringend erforderlich. Einen fruchtbaren Gedankenaustausch mit konkreten (Beifall bei der CDU sowie der Abgeordneten Ergebnissen werden wir aber nur erreichen, wenn wir Heinz-Werner Arens [SPD], Holger Astrup alle Länder bei den wichtigen Zukunftsfragen einbe- [SPD] und Dr. Gabriele Kötschau [SPD]) ziehen. Rußland ist und bleibt ein wichtiger Ostseean- rainer, und es blickt hierbei auf eine viele hundert Diese grundlegende Übereinstimmung darf uns aller- Jahre dauernde Tradition zurück. In dieser Zeit gab es dings nicht davon abhalten, die Politik der Landesre- immer wieder enge Bindungen zu Schleswig-Holstein. gierung auch in diesem Bereich kritisch zu begleiten. Heute und in Zukunft werden wir die Ostseekoopera- Um so mehr freue ich mich über die Tatsache, daß der tion nur unter Einbindung Rußlands dauerhaft si- CDU-Kandidat für das Amt des Ministerpräsidenten, chern können. Volker Rühe, immer wieder deutlich gemacht hat, für Allerdings muß in diesem Zusammenhang auch er- wie wichtig er den Bereich der Europapolitik hält. wähnt werden, daß der Schlüssel für eine positive Dies wird besonders dadurch deutlich, daß er diesen Entwicklung dabei weitgehend im Lande selber liegt. Bereich weiter aufwerten will. Damit unterstreicht der Wir können nur hoffen, daß die Dumawahlen im De- die Bedeutung der Europapolitik. zember dieses Jahres und die Präsidentschaftswahlen (Beifall bei der CDU - Zurufe von der SPD) im Sommer nächsten Jahres ein Ergebnis bringen, das für politische Stabilität sorgt und die dringend notwen- Vor diesem Hintergrund möchte ich die Bedeutung der digen Reformen voranbringt. Ostseeparlamentarierkonferenz hervorheben, die ein wichtiges Forum des Gedankenaustausches und der Im Rahmen der Diskussion zur anstehenden Erweite- gemeinsamen Koordination ist. Als Teilnehmer der 8. rung der Europäischen Union ist es die Aufgabe Ostseeparlamentarierkonferenz in Mariehamn erlau- Schleswig-Holsteins, sich aktiv in die Diskussionen ben Sie mir einige Ausführungen dazu. mit einzubringen. Es geht darum, nicht nur Polen, Zunächst möchte ich mich aber bei den Mitarbeiterin- sondern auch die drei baltischen Staaten möglichst nen und Mitarbeitern der Landtagsverwaltung, die mit schnell in die Lage zu versetzen, der Europäischen der Vorbereitung der Tagung befaßt waren, herzlich Union beizutreten. Dabei gilt es, die von der Europäi- für die gute Vorarbeit bedanken. schen Union zur Verfügung gestellten Mittel zu nut- zen, um in enger Kooperation mit den Beitrittsstaaten (Beifall im ganzen Haus) die Aufnahmevoraussetzungen zu erfüllen. Das dort beschlossene Papier für den Bereich der Verfahrensregeln für die Parlamentarierkonferenz Allerdings müssen auch wir uns auf die zu erwartende und für das Standing Committee ist ein Schritt in die Erweiterung der Europäischen Union vorbereiten. richtige Richtung. Leider beinhaltet es aber nicht alle Dabei werden wir wichtige Entscheidungen für die unsere Wünsche für eine neue effektivere Ar- Wettbewerbsfähigkeit Schleswig-Holsteins zu treffen beitsstruktur. Dies sollte uns allerdings nicht davon haben. abhalten, bei den folgenden Konferenzen für weitere Eine bedeutende Aufgabe für Schleswig-Holstein ist Verbesserungen in diesem Bereich einzutreten. die Stärkung der Wirtschaftsbeziehungen in der Ostseeregion. Bei aller Bedeutung der Förderung Schleswig-Holsteinischer Landtag (14. WP) - 95. Sitzung - Freitag, 17. September 1999 7145

(Peter Lehnert) etwa des kulturellen Austausches muß die Politik ge- (Beifall der Abgeordneten Dr. Gabriele Köt- rade im Bereich des Handels und der Wirtschaft noch schau [SPD]) mehr unterstützend tätig werden. Die Bedeutung dieses Ziels für den Erhalt und die Schaffung zusätzlicher In erster Linie betrifft dies die baltischen Staaten und Arbeitsplätze wird immer noch unterschätzt. Erfreuli- Rußland. Die Vorteile auch für uns liegen dabei auf cherweise sind die schleswig-holsteinische Wirtschaft der Hand. und ihre Organisationen in diesem Bereich sehr aktiv. Hierbei möchte ich die Aktivitäten der Industrie- und In der Konferenz von Mariehamn mit ihrem Umwelt- Handelskammer und ihres Hauptgeschäftsführers in schwerpunkt ist von mehreren Rednern zu Recht Kiel, Herrn Janzen, besonders hervorheben. darauf hingewiesen worden, daß es beispielsweise im Bereich der Abwasserbehandlung unser Interesse sein (Beifall bei SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- muß, dazu beizutragen, daß Abwässer nicht wegen NEN und CDU) mangelnder finanzieller Mittel ungeklärt in unsere Ihrem Einsatz ist es zu verdanken, daß in diesem Be- gemeinsame Ostsee eingeleitet werden. Es ist auch in reich in den letzten Jahren Erhebliches erreicht wurde. unserem Interesse, hierbei ausreichend projektbezoge- Dies gilt es auszubauen und politisch aktiv zu unter- ne Mittel bereitzustellen. Bei uns wird mit hohem stützen. Dabei werden wir ein besonderes Augenmerk finanziellen Aufwand das letzte Milligramm an Schad- auf den Ausbau der Verkehrsinfrastruktur legen. In stoffen herausgefiltert. Mit dem gleichen Geld könnten diesem Zusammenhang ist die anstehende Entschei- wir in den betroffenen Ländern für unsere Umwelt dung über den Bau der Fehmarnbeltquerung von erheblich mehr tun. großer Bedeutung. (Beifall bei der CDU und vereinzelt bei der Auch die Kooperation im Bildungsbereich gilt es SPD) weiter auszubauen. Dabei stelle ich mir nicht nur eine Zusammenarbeit auf hoher, ministerieller Ebene oder Die Liste der Herausforderungen, die wir im Ost- zwischen Fachbehörden vor, sondern ganz konkret seeraum gemeinsam aktiv anzugehen haben, stellt uns auch einen aktiven Einsatz für das menschliche Mit- vor immer neue Aufgaben. Zu einer engagierten Ost- einander. Gerade beim Schüleraustausch im Bereich seepolitik gibt es keine Alternative. Auch wenn unser der Ostsee gibt es gute Ansätze. Dies ist wichtig, da- Land die anstehenden Probleme nicht wird allein lösen mit sich vor allem die jungen Menschen näherkommen können, müssen wir doch einen angemessenen Beitrag und einander besser verstehen. Auch die Chance für dazu leisten. Dieser kann und muß stärker sein als Studenten, sich in den jeweiligen Ländern weiterzubil- bisher. den, sollten weiter ausgebaut werden. Doch gilt es auch, über den großen Chancen für unser Land in der Die widernatürliche Spaltung Europas durch den Ei- Ostseeregion mögliche Gefahren und Risiken nicht zu sernen Vorhang, der auch durch unser Land verlief, vergessen. wurde überwunden, und wir sind nun dabei, neue und Schon heute ist die grenzüberschreitende Kriminali- immer intensivere Formen der Kooperation zu ent- tät ein ernstes Problem, dem wir entschlossen begeg- wickeln. Dies schafft für die gemeinsame Zukunft das nen müssen. Gerade den umfassenden Komplex der erforderliche Vertrauen und Verständnis zwischen den sogenannten Schleuserkriminalität in Verbindung mit Nachbarn, aus denen nun zunehmend Partner und Menschenhandel und Prostitution müssen wir dabei Freunde geworden sind. energischer als bisher bekämpfen. Die 6. Ostseeparla- mentarierkonferenz 1997 in Danzig hatte die Be- Die Ostseeparlamentarierkonferenz leistet dazu - kämpfung der organisierten Kriminalität als Haupt- hierin waren sich die Teilnehmer und Beobachter in thema. Was vor zwei Jahren von den teilnehmenden Mariehamn einig - einen wertvollen Beitrag. Deshalb Parlamentariern beschlossen wurde, gilt unverändert: ist es richtig und wichtig, daß sich unser Parlament Gemeinsam mit den anderen Ostseeanrainerstaaten und vor allem der Europaausschuß als Arbeitsebene werden unsere Erfolgsaussichten erheblich größer weiterhin engagiert und intensiv in die Zusammenar- sein. beit im Ostseeraum einbringt. Nicht nur vor dem Hintergrund der Bekämpfung der (Beifall bei der CDU und vereinzelt bei der Kriminalität muß es ein elementares Ziel der interna- SPD) tionalen Ostseepolitik sein, die Lebensbedingungen der Menschen vor allem im früheren Ostblock vor Ort Vizepräsident Dr. Eberhard Dall‘Asta: zu verbessern. Das Wort hat Frau Abgeordnete Dr. Kötschau. 7146 Schleswig-Holsteinischer Landtag (14. WP) - 95. Sitzung - Freitag, 17. September 1999

Dr. Gabriele Kötschau [SPD]: auseinander. Das führt - Herr Kollege Lehnert hat schon darauf hingewiesen - zu einem bedenklichen Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Selten gibt Anstieg der Prostitution, zu einem Anstieg des es im Landtag eine solche Einigkeit wie in der Frage Schwarzmarkts und zu einem Rückgang der Möglich- der Ostseekooperation, und das ist gut so. keiten für den Staat, Steuern überhaupt nur einzutrei- Die bisherigen Ergebnisse geben uns darin recht, die- ben. ses Thema als ein gemeinsames, für unsere Zukunft und die unserer Kinder wichtiges zu betrachten und die Der Herr Landtagspräsident hat in seinem Bericht über hierin liegenden Chancen zu nutzen. Um nichts zu die Ostseeparlamentarierkonferenz auf den sozialen wiederholen, was sowohl der Herr Landtagspräsident Sprengstoff hingewiesen, der sich durch die unter- in seinem Bericht als auch der Europaminister in sei- schiedlichen Lebensbedingungen, die Armut und die nem Ostseebericht, als auch Sie, Herr Lehnert, vorge- Arbeitslosigkeit in einigen Ländern entwickelt. Auch tragen haben - es gibt große Übereinstimmungen zwi- mich hat der engagierte Vortrag der estnischen Abge- schen uns -, möchte ich mich gern auf einige Punkte ordneten Marjo Laurestin sehr beeindruckt. Die so- beschränken, die mir erwähnenswert und besonders ziale Dimension der postkommunistischen Regime, wichtig erscheinen. sagte sie, verlangt vor allem eine starke bürgerliche Gesellschaft. Von Armut bedroht sind in den neuen Mit den Namen Björn Engholm, Gerd Walter und Staaten alte und junge Menschen und Menschen, die Heide Simonis ist heute im gesamten Ostseeraum die zu den alten Strukturen gehören. Das bedeutet zum Tatsache verbunden, daß das Binnenmeer Ostsee nicht Beispiel, daß Frauen, die früher eine hohe Bildungs- trennt, sondern stark verbindet. stufe in diesen Ländern erreicht hatten und in allen (Beifall bei SPD und BÜNDNIS 90/DIE Bereichen des Lebens eine große Rolle spielten, von GRÜNEN) der Armut besonders betroffen sind und heute gesetzli- cher Hilfe bedürfen. Ich freue mich auch darüber, daß die Bedeutung des Ostseeraums von der neuen Bundesregierung sehr Neben der Situation der Frauen ist für mich ein sehr deutlich anerkannt wird. Die Reise von Außenminister erschreckendes Phänomen die Zunahme der Straßen- in die baltischen Staaten war ein sehr kinder, die es überwiegend in den neuen osteuropäi- positives Signal. Der bevorstehende Besuch des Bun- schen Staaten, auch rund um die Ostsee, gibt. Die deskanzlers Gerhard Schröder setzt dies fort. Wir Umstellung auf ein völlig neues System und zugleich werden alles daransetzen, daß dies so bleiben wird. der Wettbewerb um die Aufnahme in die Europäische Wir begrüßen das Zusammenwachsen und den großen Union allein überfordern viele Staaten. Auch das ist Anteil, den Schleswig-Holstein von Anfang an hieran ein Stück Ostseekooperation: diesen jungen Staaten hatte. Hierzu gehören einmal die Eröffnung gemein- auf den Weg zu helfen. samer Repräsentanzen in verschiedenen Ländern und dann Kooperationen sowie ganz konkrete Projekte, Der Kaliningrader Duma-Abgeordnete Ustyugov be- die ich aus Zeitgründen nicht im einzelnen aufführen tonte, die Zukunft werde auch davon abhängen, in will. welchem Umfang Verantwortung übernommen wer- de. Die Entwicklung gerade in den neuen Staaten rund Die letzte Ostseeparlamentarierkonferenz in Marie- um die Ostsee werde uns noch viele Jahre vor große hamn hat deutlich gezeigt, daß es inzwischen eine Herausforderungen stellen, so im Bereich von Bildung eigenständige parlamentarische Arbeit im Ostseeraum und Wissenschaft, der Wirtschaft, der sozialen Pro- gibt, die nicht mehr nur Regierungshandeln begleitet, bleme und der Umwelt. Seit etwa zwei Jahren be- sondern selbständig und in eigener Regie Kooperatio- schäftigt sich Kaliningrad verstärkt mit dem Thema nen und Projekte initiiert und so dem Zusammenwirken Umweltschutz. Das, meine Damen und Herren, ist mit eine breite demokratische Legitimation verleiht. Die Sicherheit ein Erfolg auch der engen Zusammenarbeit Ziele sind auf allen Ebenen die gleichen: die Schaffung im Ostseeraum. von Stabilität und Sicherheit im Ostseeraum als Grundlage für eine Stabilisierung in Europa. (Beifall bei SPD und BÜNDNIS 90/DIE Deutlich wurde in der Diskussion der Ostseeparla- GRÜNEN) mentarierkonferenz in Mariehamn besonders die so- ziale Dimension. So korrespondiert der Wechsel zur Ein weiteres Thema, das in Kaliningrad auf der Agen- sozialen Marktwirtschaft in den osteuropäischen An- da stehe, so führte er aus, sei das Recht der Regionen rainerstaaten mit den Folgen der Privatisierung. Die auf eine eigene Gesetzgebung. Hierbei sollten die Schere zwischen arm und reich klafft immer weiter ökonomischen und ökologischen Bedingun- Schleswig-Holsteinischer Landtag (14. WP) - 95. Sitzung - Freitag, 17. September 1999 7147

(Dr. Gabriele Kötschau) gen besonders berücksichtigt werden. In diesem ge- seeregion - und damit auch Schleswig-Holstein - nicht samten Prozeß sei man stark auf eine Zusammenarbeit nur Standort, sondern auch Bewegungsort wird. angewiesen. Hier liegt eine Aufgabe auch für uns, aufgrund unserer eigenen Erfahrungen beratend tätig Aber zahlreiche kleine Projekte vor Ort können eben- zu werden. falls sehr viel erreichen und zu einem stetigen Zusam- menwachsen beitragen. Wir begrüßen in dem Zusammenhang auch die Absicht des Europaministers, einen Workshop zur Projektfin- (Beifall) dung in Kaliningrad durchzuführen. Ich wünsche mir hierbei auch die Einbeziehung des Parlaments. Daher ist es von großer Bedeutung, daß die bestehen- den Kontakte nicht nur Regierungen und Parlamente Neben den Parlamentarierkonferenzen werden zuneh- umfassen, sondern maßgeblich von den Kooperationen mend die Kieler Woche sowie Informationsreisen in zwischen Städten und Schulen, Hochschulen und die Länder um Ost- und Nordsee genutzt, um Kontak- Kammern, Vereinen und Verbänden getragen und te zu vertiefen und konkrete Projekte zu diskutieren umgesetzt werden, das heißt von Menschen, die sich und zu initiieren. Hierbei ist die Zusammenarbeit mit konkret engagieren, konkret aktiv einbringen. den anderen norddeutschen Ländern erfreulich, wie sie zum Beispiel bei den Parlamentarierkonferenzen be- (Beifall) reits praktiziert wird. Ich rege an, darüber nachzuden- ken, wie gerade diese Zusammenarbeit in der Koope- Sie sind nicht nur die Basis, sondern das Rückgrat ration mit Kaliningrad intensiviert werden kann, zumal einer lebendigen, aktiven Ostseepolitik. sich auch Mecklenburg diese Kooperation auf die Fahnen geschrieben hat. Lassen Sie mich an dieser Stelle all denjenigen Akteu- ren dafür danken, daß sie dieses Engagement zeigen, Anläßlich des Kieler-Woche-Gesprächs hatte der und sie ermutigen weiterzumachen, auch wenn es Vorsitzende des Haushaltsausschusses der Kaliningra- Rückschritte gibt. Es gibt keine Alternative, auf die- der Duma, Alexander Filatenko, darum gebeten, die sem Weg fortzufahren. Beziehungen zwischen unseren Parlamenten zu inten- sivieren. Das ist eine Anregung, die ich gern aufgreife. (Beifall im ganzen Haus) Ich möchte sie verfolgen und kann mir vorstellen, daß dies ein Thema ist, mit dem sich der Europaausschuß Für eine Verbesserung der Situation im Ostseeraum einmal befassen sollte. gibt es allerdings noch zahlreiche Probleme zu beseiti- gen, und ich nutze gern die Gelegenheit, einige von Ich habe die Notwendigkeit einer Beschäftigung mit ihnen heute exemplarisch aufzuführen. Es liegen noch der Stadt Kaliningrad betont. Ich bin Herrn Minister immer Giftgasfässer, vor allem Senfgasfässer aus dem Walter sehr dankbar, daß er die Situation der Enklave Zweiten Weltkrieg, in der Ostsee. Noch immer haben Kaliningrad und die Probleme deutlich gemacht hat, wir keine befriedigende Antwort auf unsere Frage die sich daraus ergeben. Das hat einen guten Grund. erhalten, wie dieser Gefahr begegnet werden könne. Ist Weit weg von Moskau, ohne die erforderliche finan- Abwarten und Hoffen, daß nichts passiert, genug? zielle Unterstützung seitens der Hauptstadt, ohne eige- - Ich meine, nein! ne Gesetzgebungskompetenz und ohne das Recht, eigenständig international tätig zu werden, muß diese (Beifall der Abgeordneten Ursula Kähler Region sogar schon Grenzen überwinden, um ins [SPD] und Detlef Matthiessen [BÜNDNIS Mutterland zu kommen. Diese Region wird in nicht 90/DIE GRÜNEN]) allzu ferner Zeit von EU-Mitgliedstaaten umgeben sein und hat dadurch noch eine andere Dimension In der Energiepolitik gibt es besondere Defizite, auch einer Enklave zu erwarten. in den Staaten und Regionen um die Ostsee herum. Mit dem Baltic Ring und anderen Projekten sind Anfänge Herr Minister Steenblock sagte auf dem Landtagsfo- einer gemeinsamen Energieversorgung bereits getan, rum am 2. Juli zu den Umweltstrategien im Ost- es wird aber Zeit, aktiv und effektiv gegen die Ener- seeraum: Was not tut, ist das konkrete Handeln und ist gievergeudung vorzugehen. Rotte Erdöl- und Gaspipe- die Kooperation, die die arbeitenden Menschen, die lines und die fehlende Möglichkeit der Wärmeregulie- Unternehmen und die Politiker mitbringen. Ich kann rung etwa durch Thermostate in den neuen Staaten Ihnen hierin, Herr Minister, nur in vollem Umfang führen zu einer Energieverschleuderung von bis zu zustimmen. Große Projekte wie die feste Belt-, die 50 % in dieser Region. Am problematischsten in vielen Øresund- und auch die anstehende Fehmarnbeltque- Bereichen ist das fehlende Bewußtsein der Menschen, rung geben Impulse und sind wichtig, damit die Ost- daß Ressourcen end- 7148 Schleswig-Holsteinischer Landtag (14. WP) - 95. Sitzung - Freitag, 17. September 1999

(Dr. Gabriele Kötschau) lich sind und andere Energien nicht von selbst aus der Faröer-Inseln, Karelien, St. Petersburg und natürlich Steckdose kommen. auch Schleswig-Holstein und andere Regionen des Ostseeraums dort vertreten sind. Aber auch Staatenor- Es liegen noch große Aufgaben vor uns. Ich nenne ganisationen wie OSZE, Nordischer Rat, Europarat stichpunktartig die Entwicklung einer Tourismusinfra- und andere sind und bleiben Mitglieder der Konferenz. struktur rund um die Ostsee. Auch hier können wir Das ist schon eine sehr interessante Zusammenset- durch Beratung Hilfestellung leisten. zung, die immer besser funktioniert. (Beifall bei der SPD) Ich möchte an dieser Stelle unserem Landtagspräsi- Wenn ich durch Teile Polens, die baltischen Staaten denten Heinz-Werner Arens danken, der mit seiner oder gar die russische Ostseeregion fahre, stelle ich Erfahrung, mit seinen Kontakten und seiner sensiblen immer wieder fest, daß Reisende ohne Sprachkenntnis- Verhandlungsführung unserem Land und diesem se aufgeschmissen sind. Schleswig-Holsteinischen Landtag große Anerkennung verschafft. (Glocke des Präsidenten) - Ich komme zum Schluß, Herr Präsident. - Dies be- (Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN ginnt beim Lesen der Beschilderung und endet noch und SPD - Vereinzelter Beifall bei der CDU) lange nicht bei der Suche nach einem Hotel oder Re- staurant. Bevor ich auf einzelne Ergebnisse der parlamentari- schen Konferenz eingehe, möchte ich Ihnen einige Lassen Sie mich abschließend noch wenige Sätze zum Eindrücke vermitteln, die ich auf der Konferenz ge- Beitritt zur Europäischen Union sagen! Wir alle winnen konnte, notwendigerweise subjektive Eindrük- unterstützen den Beitritt der neuen Beitrittsstaaten zur ke. Für mich ist es ja die vierte ostseeparlamentarische Europäische Union. Wir dürfen bei all dem nur nicht Konferenz, an der teilzunehmen ich Gelegenheit hatte. vergessen, daß ein behutsames Aufnehmen in die Eu- Mir fällt dabei die - vielleicht auch durch Wahlen ropäische Union entscheidend ist. Wir müssen auch bedingte - Fluktuation der Personen auf, was unter die westlichen Staaten - auch da gibt es arme Staaten - anderem auch für Rußland gilt, das auf jeder dieser mitnehmen, damit wir nicht nur neue Staaten heranzie- Konferenzen durch andere Repräsentanten vertreten hen, sondern in ein gesamtes Europäisches Haus inte- war, die sich häufig inhaltlich anders positionieren. grieren. Ich freue mich, daß Herr Lehnert die Bedeutung Ruß- (Beifall im ganzen Haus) lands in diesem Prozeß für die CDU hervorgehoben hat. Die Betonung dieses Schwerpunktes durch die Vizepräsident Dr. Eberhard Dall‘Asta: CDU habe ich bisher vermißt, und daher begrüße ich Das Wort hat Herr Abgeordneter Matthiessen. das jetzt um so mehr. Die russische Problematik und Fluktuation ihrer Teilnehmer ist nicht das einzige, aber Detlef Matthiessen [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: doch ein sehr wichtiges Beispiel der personellen Dis- kontinuität in einem Prozeß, dessen Weiterentwicklung Herr Präsident! Meine verehrten Kolleginnen und von Beständigkeit profitiert. Kollegen! Die Ostseezusammenarbeit hat sich stabi- lisiert und schreitet weiter fort - eine Entwicklung, die Wenn ständig von der Wichtigkeit des „people ap- keineswegs selbstverständlich ist und die wir um so proach“ richtigerweise die Rede ist, dann gehört dazu stärker begrüßen. Das gilt auch für die Entwicklung natürlich auch die Vertiefung der menschlichen Kon- der parlamentarischen Konferenz über die Zusammen- takte. Da ist eine personelle Kontinuität sehr wün- arbeit im Ostseeraum selber, die sich in Zukunft ver- schenswert. Insofern haben Sie das Problem richtig kürzt „Ostseeparlamentarische Konferenz“ nennt - auf benannt. englisch: „Baltic Sea Parliamentary Conference“ oder BSPC -, ein weiteres Kürzel unter den vielen bekann- Die russische Rolle ist aus meiner Sicht nur schwer ten Buchstabenkombinationen, die man sich im Zu- einschätzbar. Eine Verfestigung der Beziehungen und sammenhang mit der Ostseekooperation merken muß. der Zusammenarbeit erscheint mir nach wie vor schwierig. Nach meiner Einschätzung ist die Ent- Die Konferenz hat sich vor allem auch eine neue wicklungsperspektive nicht verbessert, so wünschens- Geschäftsordnung gegeben. Mit förmlichen, ver- wert, wichtig und unverzichtbar sie auch ist. bindlichen organisatorischen Strukturen wurde sie weiter gestärkt. Dabei erhalten beziehungsweise be- Beeindruckend und ermutigend war der Beitrag einer halten die Teilregionen eine eigenständige Rolle, so Vertreterin aus dem russischen Teil Kareliens, die auf daß neben den nationalen Regierungen auch Åland, die die vielen atomindustriellen Anlagen in ihrer Region Schleswig-Holsteinischer Landtag (14. WP) - 95. Sitzung - Freitag, 17. September 1999 7149

(Detlef Matthiessen) aufmerksam gemacht und gesagt hat, ihnen sei da- gerung des Transports von der Straße auf die See hin- durch, daß die Zentralregierung das an sich gezogen auslaufen sollte.“ habe, jegliche Entscheidungskompetenz für ihre eigene Region genommen. Das waren einige Eindrücke, die Aus meiner Sicht habe ich dem nichts hinzuzufügen. man dort mitnehmen konnte. Die Ostseekooperation schreitet voran. Dies ist eine Die Umweltpolitik war ja ein Schwerpunktthema der überparteiliche Angelegenheit. Sie eignet sich auch Konferenz. Mit dem Ministertreffen des Ostseerates in nicht zum parteipolitischen Streit hier im Hause. Nyborg im Juni des letzten Jahres wurde eine wichtige Trotzdem konnte sich Herr Lehnert nicht zurückhalten, Grundlage für die Entwicklung der Ostseeregion in an verschiedenen Stellen eine Verstärkung der Zu- Übereinstimmung mit der Agenda 21, den Beschlüssen sammenarbeit anzumahnen. Herr Rühe wolle - falls er von Rio, gelegt. Darauf basierend, hat die parlamenta- die Funktion übernimmt - noch weiter Gas geben, rische Konferenz in Mariehamn die Fortsetzung des sagte er. Herr Lehnert, ich habe vermißt, daß Sie das Implementierungsprozesses der regionalen Agenda 21 bisherige Engagement der Landesregierung und unse- für den Ostseeraum, die Baltic 21, vom CBSS und von res Europaministers nicht mit einer Silbe erwähnt den Regierungen der teilnehmenden Länder gefordert. haben. Sie müssen, wenn Sie solche Forderungen auf- Die Energiepolitik soll weiter vorangebracht werden, stellen, schon sagen, an welcher Stelle und mit wel- basierend auf den von uns Grünen im Rahmen der chem Aufwand Sie Verbesserung wollen. ökologischen Energiewende geforderten drei Säulen Energieeinsparung, Effizienzsteigerung und verstärk- (Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN ter Einsatz regenerativer Energiequellen. Die Konfe- und SPD) renz wendet sich gleichzeitig gegen Umweltdumping und fordert daher folgerichtig, die Voraussetzungen für Schleswig-Holstein hat eine Initiatorfunktion und bis einen gemeinsamen Elektrizitätsmarkt entsprechend zu auf den heutigen Tag eine führende Rolle in der Zu- harmonisieren, unter Beachtung von Umweltstandards. sammenarbeit im Ostseegebiet. Ich habe bisher von Dazu gehört natürlich auch die Forderung nach Ent- seiten der Opposition ein besonderes Engagement und wicklung von Rahmenbedingungen für umweltbezoge- wesentliche Beiträge in diesem Bereich leider nicht ne Investitionen, zum Beispiel bei der Modernisierung feststellen können. bestehender Heizkraftwerke oder dem Einsatz von Blockheizkraftwerken. (Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Zu Ihrer Information: Im Osten ist die Fernheizung mit Die CDU kann für sich zumindest beanspruchen, mit gigantischen Heizwerken Tradition, und die befinden ähnlicher Kontinuität bei der Sache zu sein wie ver- sich in einem sehr maroden Zustand. Das ist jedoch ein schiedene russische Delegationen. spezielles energiepolitisches Thema, das für mich hochinteressant ist. (Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, SPD und SSW) Die Atomenergie soll nach dem Willen der Konferenz in der Zukunft des Ostseeraums keine Rolle mehr spielen. Das ist eine gute Entscheidung. Ebenfalls wird Vizepräsident Dr. Eberhard Dall‘Asta: der gemeinsame Erdgasmarkt für den Ostseeraum gefordert. Das Wort hat Herr Abgeordneter Dr. Klug. Mit diesen energiepolitischen Beschlüssen der Konfe- renz und des Baltic 21 Documents ist eine aus unserer Dr. Ekkehard Klug [F.D.P.]: Sicht zukunftweisende Grundlage für eine umweltver- trägliche Entwicklung im Ostseegebiet gesetzt worden. Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zwischen dem vorliegenden Ostseebericht der Landesregierung Zufrieden sind wir ebenfalls mit den Ergebnissen zur für den Zeitraum 1998/1999 und dessen Vorgänger Verkehrspolitik, in der die Konferenz die CBSS und aus dem Jahr 1997 gibt es einen auffälligen Unter- die Teilnehmerländer auffordert, „ein gemeinsames schied: Der aktuelle Bericht ist viel technokratischer Ziel bezüglich der Reduzierung übermäßiger Stickoxi- und viel weniger politisch als dessen Vorgänger. demissionen durch den Verkehr auf und um die Ostsee herum festzusetzen und bei anstehenden Infrastruktu- Besonders deutlich wird das bei einem Vergleich zwi- rinvestitionen im Transportwesen in jedem Einzelfall schen der knappen Einleitung des neuen Berichtes und diejenige Alternative zu wählen, die die geringste dem doch sehr programmatischen Anfangsteil des Umweltbelastung mit sich bringt, was auf eine Verla- Berichts aus dem Jahr 1997. In diesem Bericht 7150 Schleswig-Holsteinischer Landtag (14. WP) - 95. Sitzung - Freitag, 17. September 1999

(Dr. Ekkehard Klug) fand man im übrigen auch kritische Aussagen an die Über Paavo Lipponen, den finnischen Regierungschef, Adresse des Bundes, quasi als Untermauerung des schreibt Wernicke in der „Zeit“: „Gerhard Schröders schleswig-holsteinischen Anspruchs, Motor in Sachen finnischer EU-Erbe möchte ein wenig zerschlagenes Ostseekooperation zu sein und Defizite und Probleme, Porzellan kitten.“ Zu alledem hört man von der die in der Politik des Bundes in der Vergangenheit schleswig-holsteinischen Landesregierung, die in der allfällig gelegen haben, aufzuzeigen. Vergangenheit doch immer den Zeigefinger hob, wenn dieses und jenes in Sachen Ostseepolitik auf der Bun- Bedeutet das „Schweigen der sozialdemokratischen desebene nicht richtig lief, überhaupt nichts. Lämmer“ aus Deutschlands Norden etwa, daß es keine grundsätzlichen Fragen und kritischen Anmerkungen Parteisoldatentum und Leisetreterei haben sich da breit mehr gibt, die man an die Regierung, die jetzt in Berlin gemacht, wo früher der Anspruch bestand, kritischer sitzt, richten könnte? Oder gebietet neuerdings - nach Motor der Ostseepolitik zu sein. Auch in diesem dem Wechsel der Regierungsfarbe im Bund - die rot- Politikfeld haben SPD und Grüne in Schleswig- grüne Parteiraison eine andere Gangart? Holstein bereits ihre politische Abdankungserklärung (Dr. Gabriele Kötschau [SPD]: Die neue Re- ausgefüllt. gierung hat auch schon einiges getan!) (Beifall bei F.D.P. und CDU) Wen hat der finnische Ministerpräsident Paavo Lippo- nen wohl gemeint, Frau Kötschau, als er zur Jahres- Die auftrumpfende Rolle, mit der Bundeskanzler mitte anläßlich der Übernahme der Ratspräsidentschaft Schröder auf der europäischen Bühne gerade bei den der EU folgende Sätze aussprach? - Ich zitiere aus der kleinen EU-Mitgliedstaaten so viel politisches Porzel- „Zeit“ vom 1. Juli 1999: lan zerschlagen hat, findet ihre Entsprechung in den „Europa ist nicht nur für die großen Länder sogenannten „kleinen Signalen“. da“. (Zuruf der Abgeordneten Dr. Gabriele Köt- Und weiter: schau [SPD])

„Wir entscheiden am gemeinsamen Tisch, Staatsminister Naumann vom Bundeskanzleramt, ver- nicht draußen, wo die großen Länder diese antwortlich für die Kulturpolitik, Neigung haben, ein Direktorat zu schaffen.“ Wen hat er damit wohl gemeint? Doch nicht etwa die (Lothar Hay [SPD]: Sehr guter Mann!) Luxemburger! Nein, aus diesen Sätzen des finnischen Ministerpräsidenten können wir ablesen, was die klei- will das einzige Institut, das sich in Deutschland mit neren EU-Mitgliedsländer am Ende der sechsmonati- der wissenschaftlichen und kulturellen Zusammenar- gen deutschen Ratspräsidentschaft bewegt. beit mit den baltischen Staaten befaßt, schließen. Die- se Einrichtung, das Institut „Nordostdeutsches Kul- Am 8. Juli, etwas später, hat Christian Wernicke, turwerk in Lüneburg“, liegt zwar im Nachbarland meiner Meinung nach einer der profiliertesten journa- Niedersachsen, aber auch uns Schleswig-Holsteinern listischen Beobachter der Europapolitik, auf der Titel- kann dieser Vorgang nicht gleichgültig sein, wenn wir seite der „Zeit“ die Entwicklung der ersten sechs Mo- die Zusammenarbeit zwischen Deutschland und nate dieses Jahres auf den Punkt gebracht, als er von dem Ostseeraum und gerade mit den neuen Demo- der Sorge vor einem „neuen Wilhelminismus“ sprach, kratien im Baltikum weiter pflegen wollen. die bei manchen Partnern in der Europäischen Union nach den Erfahrungen mit der Regierung Schröder Lesen Sie, meine Damen und Herren von SPD und während der deutschen Ratspräsidentschaft aufge- Grünen, doch einmal die Kommentare zu Herrn Nau- kommen sei. manns Plänen, die man auf den Internetseiten der Uni Gewiß, dieser „neue Wilhelminismus“ kommt nicht, Düsseldorf lesen kann, wo ein Diskussionsforum ein- wie sein Vorgänger, säbelrasselnd in des Kaisers gerichtet worden ist. Diese enthalten Stellungnahmen Uniformrock daher. Seine moderne Spielart hat die von Politikern und Wissenschaftlern aus den balti- erlesene Eleganz des neuen sozialdemokratischen schen Staaten oder von Martin Dean vom United Sta- Kanzler-Outfits mit einem 4.000-Mark-Mantel von tes Holocaust Memorial Museum, der an die Berliner Brioni und allem anderen Brimborium. Die darin ge- Regierung appelliert, das Lüneburger Institut zu er- kleidete Politik schockt aber offenbar nicht nur viele halten, damit es „den jungen baltischen Demokratien deutsche Sozialdemokraten, sondern auch nicht wenige weiter beistehen möge auf dem Weg zur vollständigen Europäer. Teilhabe an der europäischen Völkerfamilie“. Aus Zeitgründen kann ich einige wenige Aspekte des Schleswig-Holsteinischer Landtag (14. WP) - 95. Sitzung - Freitag, 17. September 1999 7151

(Dr. Ekkehard Klug)

Themas Ostseezusammenarbeit nur in sehr geraffter turfördermittel des Bundes in Höhe von mehr als 70 % Form ansprechen. Ich möchte zunächst einmal auf den kassieren, während hierzulande bereits bei 30 % das Vergleich zwischen dem vorletzten und dem aktuellen Ende der Fahnenstange erreicht ist, kann von einem Bericht der Landesregierung zurückkommen. Der fairen Wettbewerb nicht die Rede sein. Hier muß Bericht aus dem Jahre 1997 enthielt noch, und zwar Chancengleichheit hergestellt werden, und dies zu auf Seite 12, eine sehr optimistische Einschätzung im erreichen, ist Aufgabe der Landespolitik. Hinblick auf die mittelfristigen wirtschaftlichen Wachstumschancen in der Ostseeregion. Dabei ist Ein letzter Punkt - er ist schon angesprochen worden -: von möglichen Zuwächsen der Handelspotentiale bis Die Ostseekooperation hat unter anderem auch ihre zu 300 % bis zum Jahre 2010 die Rede gewesen. Die- Bedeutung darin, daß wir durch sie auf vielen Ebenen se optimistische Einschätzung finde ich in dem neuen die Zusammenarbeit mit unserem Nachbarn Ruß- Bericht nicht wieder. land erreichen können, daß wir Rußland auf diese Weise in ein multinationales Beziehungsgeflecht ein- Legt man die Tabellen über die Außenwirtschaftsda- beziehen, aus dem die Russen sich sonst, und zwar, ten Schleswig-Holsteins im Ostseeraum der beiden wenn man es objektiv betrachtet, durchaus zu Recht, in Berichte nebeneinander, so zeigt ein Vergleich inner- vieler Hinsicht ausgeschlossen sehen - Stichwort: halb der neunziger Jahre eine bemerkenswerte Ent- Osterweiterung der EU, Osterweiterung der NATO. wicklung. So stellt man nämlich fest, daß es bei den Hier geht es darum, über die Ostseezusammenarbeit Wirtschaftsbeziehungen nicht nur positive Rahmen- unseren Nachbarn Rußland in ein transnationales, daten und -entwicklungen im Langzeitvergleich der multinationales Beziehungsgeflecht einzubeziehen und neunziger Jahre gegeben hat, sondern daß es in einer die Zusammenarbeit mit diesem Nachbarstaat zu in- Reihe von Fällen durchaus bedenkliche negative Ent- tensivieren. wicklungen gegeben hat. Lagen die Ausfuhren aus Schleswig-Holstein nach Schweden 1990 noch bei In den nächsten Monaten werden die Parlaments- und rund 479 Millionen DM, so waren es 1998 nur noch dann vor allem die Präsidentschaftswahlen in Rußland rund 380 Millionen DM, also 100 Millionen DM we- entscheidende Weichenstellungen bringen, von denen niger. auch wir Deutsche betroffen sein werden. Ich darf darauf hinweisen, daß sich Ende Mai dieses Jahres in Im Falle Finnlands ist im gleichen Zeitraum ein Rück- St. Petersburg eine neue politische Gruppierung gebil- gang von etwa 200 Millionen auf jetzt nur noch 120 det hat, daß sich dort 16 führende russische Regional- Millionen DM Ausfuhren aus Schleswig-Holstein zu politiker zu einer neuen Partei oder politischen Grup- verzeichnen. Im Falle der baltischen Staaten zeigt die pierung mit dem Namen „Ganz Rußland“ zusammen- Ausfuhrstatistik von 1992 bis 1998 folgendes Bild: in geschlossen haben, unter ihnen auch der Oberbürger- bezug auf Estland Stagnation der Ausfuhren in der meister von St. Petersburg, Wladimir Jakowlew. Größenordnung von jährlich 27 Millionen DM, in bezug auf Lettland ein Rückgang von 47 auf Es ist ohnehin evident, daß der Einfluß der russi- 20 Millionen DM, in bezug auf Litauen eine ver- schen Regionen in der Innenpolitik auf der gesamt- gleichbare Schrumpfung von 76 auf 38 Millionen DM staatlichen Ebene in den letzten Jahren zugenommen bei den Ausfuhren aus Schleswig-Holstein. hat. Die neue Gruppierung von Gouverneuren und hat am 11. März in einem Bei- Republikpräsidenten will auf die Wahlen auf nationa- trag für die „Frankfurter Allgemeine“ kritisch ange- ler Ebene Einfluß nehmen. Sie steht in Verbindung merkt, daß man in Skandinavien das anhaltend hohe zum Moskauer Bürgermeister Luschkow und dem Potential der baltischen Staaten, die immerhin jetzt ein früheren Ministerpräsidenten Primakow, die heute jährliches Wirtschaftswachstum zwischen 3 und 5 % allgemein in der Presse als die chancenreichsten An- erreichen, offenbar klarer erkannt habe als in wärter auf die Nachfolge Jelzins gelten. Wenn wir das Deutschland. Dieses Urteil gilt für Schleswig-Holstein betrachten und wenn wir sehen, daß unser Ansprech- und seine Unternehmen und Wirtschaftsverbände so partner in Petersburg zu einer einflußreichen politi- sicherlich nicht. Die zahlreichen Initiativen und Akti- schen Gruppierung gehört, die möglicherweise in kur- vitäten der schleswig-holsteinischen Wirtschaft in der zer Zeit Verantwortung auch auf der gesamtstaatlichen Ostseeregion können sich sehen lassen. Ebene in Rußland übernehmen wird, dann wird schon an diesem Beispiel deutlich, wie wichtig es ist, auch Die Landespolitik hat aber die Pflicht, diese wirt- über die Ostseezusammenarbeit die Verbindung zu schaftlichen Impulse zu stärken und vor allem inner- politischen Entscheidungsträgern im Nachbarstaat halb des Bundesgebietes auf gleiche Wettbewerb- Rußland anzuknüpfen und hier auch Verbindungen zu schancen hinzuwirken. Solange die mecklenburgi- erreichen, die nicht nur der Region an der Ostsee, schen Ostseehäfen Rostock und Mukran Infrastruk- sondern Europa insgesamt helfen, eine gute Zusam- 7152 Schleswig-Holsteinischer Landtag (14. WP) - 95. Sitzung - Freitag, 17. September 1999

(Dr. Ekkehard Klug) menarbeit mit dem Nachbarn Rußland auch in Zukunft gen und Perspektiven für Schleswig-Holstein“ befaß- aufrechtzuerhalten. ten, hob ich für den SSW hervor, daß wir ohne ein friedliches und demokratisches Rußland die Vision (Beifall bei F.D.P. und CDU) eines Mare Balticum, einer Zukunftsregion Ostsee, nicht umsetzen können, und die NATO-Erweiterung Vizepräsident Dr. Eberhard Dall‘Asta: macht dies um so deutlicher, will ich hinzufügen. Das Wort hat Frau Abgeordnete Spoorendonk. Der Ostseebericht dokumentiert zudem, daß die Ost- Anke Spoorendonk [SSW]: seepolitik eine Querschnittsaufgabe ist und daß sie nur funktioniert, wenn alle an einem Strang ziehen. Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Die vielen Formen von Bürgerengagement in Sachen diesjährige Bericht der Landesregierung zur Ostsee- Ostseekooperation belegen dies, und ich finde, wir kooperation versteht sich als Fortsetzung des letztjäh- sollten noch einmal unseren Dank dafür ausdrücken, rigen Berichts, wo es in erster Linie um die Diskussion daß dieses Engagement von einer so breiten Mehrheit der künftigen Schwerpunkte der Ostseepolitik Schles- in Schleswig-Holstein auch innerhalb dieses Parla- wig-Holsteins und auch der Bundesrepublik insgesamt ments getragen wird. ging. Der Bericht im letzten Jahr war spannender zu lesen. Da stimme ich denn doch mit dem Kollegen (Beifall bei SPD und BÜNDNIS 90/DIE Klug überein, aber seine Analyse teile ich nicht, denn GRÜNEN) ich finde, daß der Bericht im letzten Jahr einen bemer- kenswerten Beitrag zur Analyse der gesamten Ostsee- Neu hinzugekommen ist in diesem Berichtsjahr das kooperation darstellte. Zu Recht hebt der diesjährige Projekt STRING, das Anfang Dezember letzten Bericht hervor, daß die Umsetzung der Ostseepolitik Jahres genehmigt wurde. Ziel dieses Projekts, an dem langfristig betrachtet werden muß. sich auch Schleswig-Holstein beteiligt, ist, die Ent- Dabei muß auch mitbedacht werden, daß Schleswig- wicklungspotentiale der gesamten Region „südliche Holstein als Bundesland nur begrenzte Ressourcen in Ostsee“ zu erschließen. Wichtig ist in diesem Zusam- die Ostseekooperation stecken kann, im Vergleich mit menhang, daß auch die zukunftsträchtige Øeresundre- den nordischen Ländern also ein eher bescheidener gion einbezogen ist. Beitrag. Dennoch gibt es keinen Grund, das schleswig- holsteinische Engagement klein- oder schlechtzureden. In der Auseinandersetzung über die künftige Rolle Das Know-how des Europaministers und seiner Mit- Schleswig-Holsteins in der Ostseekooperation wird arbeiterinnen und Mitarbeiter im Ministerium wird in immer wieder darauf hingewiesen, daß es auch darauf Gesprächen immer wieder hervorgehoben. ankomme, den Wettbewerb mit der Øeresundregion zu bestehen. Das ist sicherlich richtig. Aus Sicht des Insgesamt gilt, daß der Stellenwert, den die Ostseeko- SSW muß es aber heißen, das eine zu tun und das operation für die wirtschaftliche, soziale und kulturelle andere nicht zu lassen. Regionalpolitisch betrachtet ist Entwicklung Schleswig-Holsteins hat, bei allen Partei- es nämlich nicht hinnehmbar, wenn in den kommenden en unumstritten ist. Diese Gemeinsamkeit sollten wir Jahren geradezu einäugig auf diese südliche Koopera- festhalten. Die Landesregierung spielt seit Jahren tionsmöglichkeit fokussiert wird. Damit meine ich, daß eine konstruktive Rolle in der Ostseezusammenar- sowohl die Fehmarnbeltquerung als auch die verstärkte beit. Das muß man auch klar sagen. Für den SSW ist Zusammenarbeit Kiel - Øeresund dazu führen könnten, dabei von Bedeutung, daß die Zusammenarbeit im daß der Norden abgehängt wird. Die Regionalpolitik Ostseeraum mehr ist als eine EU-interne Zusammen- bekäme dadurch eine gänzlich neue Qualität. Das weiß arbeit. Je mehr Polen und Estland darauf drängen, jetzt man auch nördlich der Grenze. Wenn Sie sich mit endlich einen Zeitrahmen über konkrete Schritte zu Politikern nicht nur aus dem Amt Sønderjylland, son- einem EU-Beitritt zu erfahren, desto wichtiger wird es dern überhaupt aus Südjylland unterhalten, werden Sie sein, gerade daran festzuhalten. Das finnische Projekt, feststellen, daß genau dies ein Punkt ist. die nördliche Dimension der Europäischen Union, hat letztlich das Ziel, auch unter sicherheitspolitischen Der Bericht der Landesregierung belegt, daß diese Gesichtspunkten die regionale Ostseezusammenarbeit grenzüberschreitende Kooperation gut funktioniert und zu stärken. weiter ausgebaut wird. Die kleine Jubiläumsveran- Dabei spielt natürlich die Einbeziehung Rußlands staltung zum zehnjährigen Geburtstag des INTER- eine entscheidende Rolle. Als wir uns vor der Som- REG-Begleitausschusses bestätigt dies ja auch. merpause einmal mehr mit den Themen „Schleswig- Holstein im 21. Jahrhundert“ und „Rahmenbedingun- Daß die formalisierte Regionzusammenarbeit dabei Schleswig-Holsteinischer Landtag (14. WP) - 95. Sitzung - Freitag, 17. September 1999 7153

(Anke Spoorendonk) eine Nebenrolle spielt, wird auch bestätigt. Ohne zu Sie sich, was Sie gern hätten. Wir schreiben das näch- polemisieren, möchte ich darauf verweisen, daß die ste Mal auch gern wieder alles auf. Arbeit des Regionalrats von dänischen Politikerinnen und Politikern durchaus auch kritisch betrachtet wird, (Beifall bei SPD und BÜNDNIS 90/DIE und das nicht nur deshalb, weil die andere Seite, die GRÜNEN) deutsche Seite, es nicht lassen kann, den Regionalrat für Resolutionspolitik zu mißbrauchen, sondern auch Das zweite: Was die Wirtschaftszahlen angeht, rate deshalb, weil man sich bewußt ist, wieviel einfacher es ich zu einem sorgfältigen langjährigen Vergleich. Es ist, alles mögliche zu fordern, wenn man nicht selbst ist keineswegs so, wie Sie es hier dargestellt haben. zu zahlen hat. (Wolfgang Kubicki [F.D.P.]: Der Kollege Ich möchte daran erinnern, daß eine dreijährige Erpro- Klug ist Historiker!) bungszeit verabredet wurde. Um so erfreulicher ist es daher, daß sich die grenzüberschreitende Zusammen- Es gibt jährliche Schwankungen, aber es gibt auch arbeit dadurch nicht beirren läßt. Sie wächst anhand deutliche langjährige Trends, und die sind unter dem konkreter Vorhaben, weil Menschen Lust dazu haben. Strich eher positiv als negativ. Das ist ja genau das, was der SSW will und sich auch immer gewünscht hat. Im übrigen: Was das Unterschätzen der ökonomischen Wir begrüßen es, daß die Ostseeparlamentarierkonfe- Möglichkeiten angeht, so haben Sie ausdrücklich renz wirklich zu einer festen Institution geworden ist. Schleswig-Holstein und die Akteure im Land ausge- Ich finde es besonders positiv, daß sich die diesjährige klammert. Ich würde sie nicht ausklammern. Ich glau- Konferenz auf den Åland-Inseln überwiegend auch mit be, auch bei uns in Norddeutschland, auch bei uns in Umweltfragen konkreter drängender Probleme des Schleswig-Holstein gibt es noch nicht eine wirkliche Ostseeraums angenommen hat, die sich wirklich auch Wahrnehmung der langfristigen ökonomischen Mög- nur gemeinsam lösen lassen und bei denen wir auch lichkeiten, die in der Ostseeregion insgesamt liegen. nur so weiterkommen können. Dies ist ein großer Fort- schritt für die Zusammenarbeit um das Mare Balticum. (Wolfgang Kubicki [F.D.P.]: Das glauben wir ja auch nicht! Das hat Klug ja gesagt!) Es ist noch ein Zeichnen dafür, daß wir auch im par- lamentarischen Bereich endlich über die Ebene Zum Thema Bundesregierung möchte ich nur mit freundlicher Absichtserklärungen hinausgehen, um aller Freundlichkeit darauf hinweisen, daß in dem gemeinsame Politik für die Menschen in unserer Groß- Bericht ein Kapitel steht, in dem es heißt: region zu machen. Wir sind auf dem richtigen Weg. „Forderungen an eine Ostseepolitik des Bundes blei- ben.“ Das ist eine Wiederholung früherer Forderun- (Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN gen. Nehmen Sie es mir bitte ab: Das, was kritisch zu und vereinzelt bei der SPD) sagen ist, wird unabhängig von der Parteifarbe auch in Zukunft kritisch gesagt werden. Es ist nicht diese Bun- Vizepräsident Dr. Eberhard Dall‘Asta: desregierung gewesen, die die Verabschiedung der Das Wort hat zunächst Herr Minister Walter. Visumsfreiheit für die baltischen Staaten so lange hinausgezögert hat, lieber Herr Klug! Gerd Walter, Minister für Justiz, Bundes- und Euro- paangelegenheiten: (Beifall bei SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Meine Damen und Herren! In der gebotenen Kürze möchte ich gern auf Herrn Klug reagieren. Herr Klug, Es ist nicht diese Bundesregierung gewesen, und es ist wir waren uns immer einig, daß jeder Ostseebericht auch nicht dieser Bundeskanzler gewesen, der nicht jeweils auf den Berichten basiert, die vorher abgege- dorthin gefahren ist. ben worden sind. Sonst bestünden diese Berichte aus unendlichen Wiederholungen. Insoweit haben wir Es gibt also eine Reihe von Akzenten bis hin zur geglaubt, auf ausführliche Ausführungen zu Zielset- Neufassung der Arbeit des Ostseerates, die von der zung, Strategie et cetera diesmal verzichten zu können. neuen Bundesregierung jetzt angegangen worden sind. Im übrigen entspricht das Anregungen, die die Oppo- Ich sage aber ausdrücklich, ich bin sozusagen mit der sition bei früherer Gelegenheit gemacht hat, bei denen gesamtdeutschen Performance unter Einschluß der angemahnt worden ist, man solle sich mehr auf das deutschen Politik in Sachen Ostseepolitik keineswegs Konkrete im Lande konzentrieren und nicht soviel zufrieden. Es ist überhaupt kein Problem, dies hier über Philosophie verbreiten. Also, bitte, entscheiden genauso öffentlich zu sagen. 7154 Schleswig-Holsteinischer Landtag (14. WP) - 95. Sitzung - Freitag, 17. September 1999

(Minister Gerd Walter)

Zu Frau Spoorendonk möchte ich nur noch eine Be- (Beifall bei SPD, CDU und F.D.P.) merkung machen, weil sie die Grenzregion angespro- chen hat. Ich will auch noch einmal ausdrücklich be- Eine zweite Anmerkung, die ich redlicherweise natür- stätigen und unterstreichen - auch gemeint und adres- lich auch machen muß, ist folgende. Herr Kollege siert an die Grenzregion -: Wenn wir über die südliche Matthiessen, man muß aus Entwicklungen lernen, und Ostseeregion reden, wenn wir über die strategische ich denke, wir alle befürworten das, was ich vorhin als Allianz reden, wenn wir über die strategische Allianz Entwicklungsprozeß der Ostseeparlamentarier- mit der Øresundregion reden, dann schließt das immer konferenz - Frau Spoorendonk hat es auch noch ein- - wenn man so will - den Süden Dänemarks ein, wo mal angesprochen - vom Diskussionsforum zur parla- immer dieser Süden ist, an welcher Grenze. mentarischen Arbeitsplattform gekennzeichnet habe. Das bedeutet natürlich auch, daß wir jetzt über Sachen (Martin Kayenburg [CDU]: Bis Altona?) reden, daß wir jetzt nicht mehr nur über den Austausch Da gibt es kein Entweder-Oder. Ich sage das aus- von Freundlichkeiten reden. Wir reden über Sachen. drücklich: Es gibt kein Entweder-Oder. Nur, dann müssen wir natürlich die Sachen auch rich- tig einordnen. Wir schätzen die Entwicklungsmöglichkeiten so ein, daß Platz und Bewegungsmöglichkeit und Perspektive Auf der Pressekonferenz im Anschluß an die Ostsee- für alle da sind. Es gibt kein Entweder-Oder - entwe- parlamentarierkonferenz in Mariehamn war an mich der südliche Ostsee oder grenzüberschreitende Zu- die erste Frage, wie denn das Standing Committee den sammenarbeit im Planungsraum diesseits und jenseits § 14 der Resolution, den möglichst schnellen Ausstieg der Grenze -, aus der Kernenergie, umsetzen wolle. Meine Antwort war folgende: Die Ostseeparlamentarierkonferenz ist (Beifall bei der SPD) dem Einstimmigkeitsprinzip, dem Konsensprinzip, sondern es gibt eine Gemeinsamkeit, und es besteht verpflichtet. Sie hat einen 50-Punkte-Katalog mit ganz eine ständige Einladung an alle in der Grenzregion, konkreten Maßnahmen einstimmig beschlossen. Nur, sich an allen diesen Aktivitäten, wie immer es in der bei diesem Punkt - das muß man redlicherweise sa- Grenzregion selbst gewünscht wird, zu beteiligen. Im gen -, dem möglichst schnellen Ausstieg aus der übrigen - bezogen auf das, was in Zukunft abläuft -: Atomenergie, haben wesentliche Teile der Konferenz Es besteht auch die grundsätzliche Bereitschaft der gesagt - es waren eine Reihe von Delegationen, auch Landesregierung, sich je nach den Wünschen der Re- die deutschen Christdemokraten, die finnischen Kon- gionen auch in Zukunft in der Grenzregion dort oben servaten -, diesen Punkt könnten sie so nicht mittragen. zu engagieren. Ich weiß, daß Sie das wissen. Ich Das bedeutet natürlich für mich als Mitglied des Stan- wollte es bei dieser Gelegenheit nur noch einmal klar- ding Committees in der Umsetzung in den nächsten stellen. zwölf Monaten, daß dies nicht der erste Punkt auf der Prioritätenliste der Umsetzung ist. (Beifall bei der SPD) (Beifall des Abgeordneten Jost de Jager Vizepräsident Dr. Eberhard Dall‘Asta: [CDU]) Der Herr Landtagspräsident hat noch einmal um das Das Verdienst dieses Punktes ist, daß er thematisiert Wort gebeten. Bitte sehr! worden ist, daß er auf der Tagesordnung der Ostsee- parlamentarierkonferenz steht und daß er mit Sicher- Heinz-Werner Arens, Landtagspräsident: heit eine Fortsetzung auf der nächsten Konferenz in Malmö finden wird. Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Gestatten Sie mir ebenfalls nur noch zwei Anmerkungen. Ich Das muß man zum Stellenwert sagen. Wir müssen wäre als Berichterstatter, aber auch als Landtagspräsi- lernen, mit solchen Entwicklungen umzugehen. Wir dent schlecht beraten, wenn ich die Arbeit der Regie- müssen ihnen auch den richtigen Rahmen geben. Aber rung in der Ostseekooperation bewerten wollte. Aber ich denke, auch das kann man durchaus tragen. ich wäre ebenfalls schlecht beraten, wenn ich als De- legationsleiter - ich glaube, das auch im Namen des Wir werden in Zukunft auch noch weitere Punkte ha- gesamten Parlamentes sagen zu können - für das Maß ben. Früher wäre eine Ostseeparlamentarierkonferenz der Zusammenarbeit mit der Regierung, für die Zuar- möglicherweise an kontroversen Diskussionen ge- beit, für die Beratungen nicht ein herzliches Danke- scheitert. Das tut sie heute nicht mehr, und das allein - schön an die Regierung sagen würde. Das qualifiziert so meine ich - ist schon der Fortschritt. auch die Arbeit der Parlamentarier. (Beifall bei SPD, CDU, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und F.D.P.) Schleswig-Holsteinischer Landtag (14. WP) - 95. Sitzung - Freitag, 17. September 1999 7155

Vizepräsident Dr. Eberhard Dall‘Asta: Änderungsantrag der Fraktion der CDU Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe Drucksache 14/2369 die Beratung. Ich stelle zunächst fest, daß der Landtag Änderungsantrag der Fraktionen von CDU, SPD, den Bericht des Herrn Landtagspräsidenten zur Kennt- F.D.P., BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der Abge- nis genommen hat. ordneten Anke Spoorendonk [SSW] Zum Bericht der Landesregierung über Aktivitäten im Drucksache 14/2400 Ostseeraum, Drucksache 14/2289, ist vorgeschlagen worden, die Vorlage dem Europaausschuß zur ab- Wird das Wort zur Begründung gewünscht? - Das ist schließenden Beratung zu überweisen. Wer so be- nicht der Fall. Dann eröffne ich die Aussprache. Das schließen will, den bitte ich um das Handzeichen. - Wort hat Herr Abgeordneter Hay. Die Gegenprobe! - Enthaltungen? - Das ist einstimmig so beschlossen. Lothar Hay [SPD]: Meine Damen und Herren, ich rufe Tagesordnungs- Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her- punkt 8 auf: ren! Zunächst einmal bin ich erfreut darüber, daß es in dieser Angelegenheit möglich ist, einen gemeinsamen Zweite Lesung des Entwurfs eines Gesetzes zur Antrag aller Fraktionen des Landtages zu stellen. Änderung des Schulgesetzes Gesetzentwurf der Fraktionen von SPD, CDU, (Beifall im ganzen Haus) BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, F.D.P. und der Abge- Ich hoffe aufgrund aktueller Meldungen, daß es auch ordneten des SSW in anderen aktuellen Politikbereichen möglich sein Drucksache 14/2368 wird, daß wir zu einheitlichen Maßstäben zurückkeh- Bericht und Beschlußempfehlung des Bildungsaus- ren und vieles nicht kaputtmachen. Ich habe am Mitt- schusses woch gesagt - das sage ich ausdrücklich auch noch Drucksache 14/2398 einmal an dieser Stelle -: Es muß unter Demokraten immer möglich sein, daß man sich die Hand gibt. Mehr Das Wort hat zunächst der Berichterstatter des Bil- will ich dazu nicht sagen. dungsausschusses, Herr Abgeordneter Dr. von Hielmcrone. (Vereinzelter Beifall bei SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie Beifall des Abge- Dr. Ulf von Hielmcrone [SPD]: ordneten Meinhard Füllner [CDU]) Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Bil- Nun will ich mich mit dem Generalkonsulat beschäfti- dungausschuß hat sich in seiner gestrigen Sitzung mit gen. Das deutsch-dänische Verhältnis in der dem Gesetzentwurf beschäftigt. Er empfiehlt dem Grenzregion hat gerade in den vergangenen Jahren Haus einstimmig, den Gesetzentwurf anzunehmen. eine erfreuliche Stabilität erreicht. In einer solchen Situation vergißt man gerade aus Berliner - früher Vizepräsident Dr. Eberhard Dall‘Asta: hätte ich gesagt „Bonner“, jetzt ist es die Berliner - Distanz allzuleicht, daß es sich dabei um einen nicht Ich danke dem Herrn Berichterstatter. Gibt es Wort- immer tragfähigen Boden handelt, unter dem ein meldungen zum Bericht? - Das ist nicht der Fall. durchaus aktiver Vulkanismus herrscht. Da eine Aussprache nicht vorgesehen ist, lasse ich Wir konnten in den vergangenen Wochen Äußerungen jetzt über den Gesetzentwurf in der vom Ausschuß von Bundespolitikern dazu lesen. Der Staatsminister empfohlenen Fassung abstimmen. Wer zustimmen im Auswärtigen Amt, Ludger Volmer, hat sich auch will, den bitte ich um das Handzeichen. - Die Gegen- dazu geäußert. Ich will ihm nicht vorwerfen, daß seine probe! - Enthaltungen? - Das ist einstimmig so be- Sachkenntnis nicht allzu groß ist. Es muß unserer schlossen. gemeinsame Aufgabe sein, dazustellen - - Ich rufe Tagesordnungspunkt 13 auf: (Wolfgang Kubicki [F.D.P.]: Was?) Erhalt des deutschen Generalkonsulats in Apenra- de - Mit „Sachkenntnis“ meine ich, was Tatsache in der deutsch-dänischen Grenzregion ist! Antrag der Fraktionen von SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Es muß unsere gemeinsame Aufgabe sein, auf allen Drucksache 14/2327 politischen Ebenen - da sind auch unsere Koalitions- 7156 Schleswig-Holsteinischer Landtag (14. WP) - 95. Sitzung - Freitag, 17. September 1999

(Lothar Hay) partner, die Grünen, gefragt - Herrn Volmer und auch Vizepräsident Dr. Eberhard Dall‘Asta: Herrn Fischer deutlich zu machen, daß der Erhalt des deutschen Generalkonsulats in Apenrade mehr ist Meine Damen und Herren, zunächst begrüße ich auf als nur ein Symbol. der Tribüne Damen und Herren der Kulturfreunde (Beifall im gesamten Haus) Morsum-Sylt und der Grone-Schule Kiel-Suchsdorf. Herzlich willkommen! Wir sollten aber auch nicht versuchen, kurzfristig politische Vorteile durch Pressemitteilungen - wie das (Beifall) der CDU-Abgeordnete Wolfgang Börnsen versucht hat - aus dieser Aktion zu ziehen. Das ist nicht hilf- In der Loge begrüße ich unsere ehemalige Kollegin reich. Köster. Herzlich willkommen! Wir dürfen die gemeinsam von uns allen getragene Aktion nicht durch Kurzfristiges zerstören. Das Wort hat Herr Abgeordneter Füllner. (Beifall bei SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Meinhard Füllner [CDU]: Die Sorge im Grenzland wird noch verstärkt durch die beabsichtigte 7,4prozentige Kürzung bei den Mitteln Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Hay, der deutschen Volksgruppe, 1,2 Millionen DM. Ihr Beitrag hat gezeigt, daß wir in dieser Frage in der Tat eine große Gemeinsamkeit haben. Auch wir be- (Ursula Röper [CDU]: So ist es!) grüßen es, daß es letztlich zu einer Einstimmigkeit in Beides zusammen ist das, was insgesamt zur Sorge im der Initiative gekommen ist. Ich glaube, das ist nach Grenzland führt, und zwar nicht nur auf der nord- Lage der Dinge die einzige Chance, eine Initiative zu schleswigschen Seite, sondern auch im Landesteil ergreifen. Schleswig. Ich will die Gelegenheit wahrnehmen, aus unserer (Beifall des Abgeordneten Dr. Ekkehard Klug Sicht zu sagen, daß wir in der Nachbetrachtung, der [F.D.P.]) Rückbetrachtung der letzten Jahre, ja sogar Jahrzehnte Die ersten Reaktionen von Kommunalpolitikern haben in der Grundfrage und in vielen konkreten Fragen der das bestätigt. Ausgestaltung der Minderheitenpolitik hier in diesem Haus eine große Einstimmigkeit gehabt haben und es Bei meinen Gesprächen in Nordschleswig - ich führe deshalb zu diesem großen Erfolg gekommen ist. sie laufend - ist die Bereitschaft signalisiert worden, sich an Sparbemühungen zu beteiligen. Es darf aber unter dem Strich nicht dabei bleiben, daß die Förde- (Lothar Hay [SPD]: Ja, genau! - Beifall im rung von Minderheiten zunehmend eine Sache des ganzen Haus) dänischen Staates wird und sich der deutsche Staat zurückzieht. Das ist ein falsches Signal. Ich glaube, das ist der Schlüssel zum Erfolg gewesen.

(Beifall im ganzen Haus) Wir haben schon deutlich gemacht, daß es aus unserer Ich betone ausdrücklich: Eine Verschiebung der Ba- Sicht - das fügt sich ein in die Sicht aller, die beteiligt lance im Grenzland ist mit dem Gedanken eines zu- sind, angefangen bei der Stadt Flensburg über die sammenwachsenden Europas - wohlgemerkt - der dänische Minderheit bis hin zur deutschen Minderheit vereinten Nationen, mit dem Willen zur Stärkung des - eine Einstimmigkeit über den Landtag hinaus in der Grenzgebiets, der Region Schleswig-Sønderjylland, Frage gibt, daß dies ein völlig falsches Signal und nicht vereinbar. Deshalb muß es eine Lösung geben, unsinnig wäre. Dies sage ich bewußt vor dem Hinter- um die wir uns auf den unterschiedlichsten politischen grund der Tatsache, daß manche die Einrede machen, Ebenen alle bemühen, eine Lösung für den Erhalt des die europäischen Integration schwäche vieles von dem deutschen Generalkonsulats, die von mir aus auch ab, um das wir uns täglich bemühen. Dies gilt auch als zwischen schwarz und weiß liegen kann. Es geht hier falsches Signal vor dem Hintergrund der fortschreiten- um mehr als ein „Sowohl“, sagte ich vorhin. Es geht den europäischen Integration in dieser Region. auch darum: Wie gehen wir mit deutschen Minderhei- ten außerhalb unseres Landes um? Da gibt es mehr als Wenn man sich die Meldungen durchliest, die man so nur eine moralische Verpflichtung. täglich auf den Tisch bekommt - auch den Antwort- brief von Staatsminister Volmer und Einlassungen (Beifall im ganzen Haus) anderer aus dem Auswärtigen Amt -, gewinnt man Schleswig-Holsteinischer Landtag (14. WP) - 95. Sitzung - Freitag, 17. September 1999 7157

(Meinhard Füllner) den Eindruck, daß diese in völliger Unkenntnis im Ich möchte an dieser Stelle auch gern noch einmal Hinblick auf die historischen Entwicklung der deut- daran erinnern - die rote Lampe leuchtet hier schon schen Minderheitsfrage, der deutsch-dänischen Min- auf -, daß Sie, Herr Hay, zu Recht darauf hingewiesen derheitenpolitik und auch in Unkenntnis der prakti- haben, daß in diese Debatte auch die darüber hinaus- schen, konkreten Ausgestaltung dessen, worüber wir gehenden Haushaltskürzungen gehören. Nach meiner uns quasi täglich im Landtag bemühen, sind. Das Meinung wiegt das genauso schwer, wenn plötzlich macht insbesondere die Bemerkung von Staatsminister 1,3 Millionen DM gekürzt werden sollen. Herr Matlok Volmer deutlich, der in einem Schreiben gesagt hat, hat ja gerade darüber berichtet, daß im dänischen die deutsche Volksgruppe sei so gut integriert, daß Staatshaushalt für das Haushaltsjahr 2000 genau Konflikte nicht zu erwarten seien. gegenteilig verfahren wird, daß dort nämlich die Mittel um 2,8 % oder 2,7 % angehoben werden sollen. Damit (Lothar Hay [SPD]: Das ist dummes Zeug!) geht die Spanne der Förderpolitik immer weiter aus- Das ist eine verkürzte Betrachtung des Problems. einander.

(Beifall im ganzen Haus) (Beifall des Abgeordneten Dr. Ekkehard Klug Natürlich gibt es keine Konflikte, natürlich gibt es [F.D.P.]) keine Probleme. Aber die deutsch-dänischen Bezie- hungen sind eben mehr als nur fiskalische Größenord- Ich sage es also noch einmal: Wir sollten diese Ge- nungen. Deshalb sind wir auch gemeinsam dieser meinsamkeit des Landtages nutzen, Frau Ministerprä- Auffassung. sidentin, und Ihnen dies mit auf den Weg geben, damit Sie die Chance haben, noch einmal mit mehr Erfolg als (Beifall bei CDU, SPD und F.D.P.) bisher auf die Bundesregierung einzuwirken oder über Ich will folgendes unterstreichen. Wir alle engagieren den Bundesrat oder auf anderen Wegen zu erreichen, uns ja in vielfältiger Weise - persönlich, als Fraktio- daß dieser Entwicklung Einhalt geboten wird. nen, als Organisationen - und wissen, daß sich ein (Beifall bei CDU, SPD und F.D.P. sowie der ganz austariertes System entwickelt hat. Abgeordneten Anke Spoorendonk [SSW]) (Dr. Ekkehard Klug [F.D.P.]: Richtig!) Aus diesem austarierten System kann man nicht ein- Vizepräsident Dr. Eberhard Dall‘Asta: fach einen Baustein herausbrechen. Deswegen muß Das Wort hat Frau Abgeordnete Fröhlich. das aus vielerlei Hinsicht, aus materieller, aus politi- scher, aber auch - das betone ich besonders - aus poli- tisch-psychologischer Sicht erhalten bleiben. Das ist Irene Fröhlich [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: ein Faktor, den wir nicht unterschätzen sollten. Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Gerade die Debatte um Schengen und seine Folgewir- Kollegen! Als mir vor zwei Tagen an dieser Stelle kungen hat gezeigt, wie sensibel dieses Thema an der vorgehalten wurde, daß ich mich in der Haushaltsde- deutsch-dänischen Grenze immer noch ist. Auch aus batte nicht nur mit dem Haushaltsentwurf beschäftigt dieser Sicht heraus müssen wir Daten, Fakten und hätte, sondern auch auf das Zukunftsprogramm der Empfindungen an die Adresse des Auswärtigen Amtes Bundesregierung eingegangen sei, habe ich das des- liefern, um unser Anliegen zu befördern. wegen getan, weil die wegen der Mißwirtschaft der früheren schwarz-gelben Regierung notwendigen Ich will gar nicht auf die vielen Ersatzlösungen einge- Sparmaßnahmen im Bundeshaushalt natürlich auch hen, die ins Spiel gebracht worden sind. Sie reichen Auswirkungen auf den schleswig-holsteinischen Haus- von der Arbeit eines Generalkonsulats bis hin zur halt haben. Aufgabenerfüllung im fernen Kopenhagen. Sie alle taugen nicht, auch wenn auf eine mögliche hochrangi- (Beifall der Abgeordneten Monika Heinold ge personelle Ausstattung in Kopenhagen und eine [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) gute Ausstattung mit Reisekostenetats hingewiesen wird. Diese Ersatzlösungen taugen alle nichts. Über eine dieser Auswirkungen - es geht dabei um die Handlungsfähigkeit dieses Staates; das ist von meinen Wir müssen auch sehen, daß das seit 80 Jahren - das beiden Vorrednern eben ausführlich beschrieben wor- vergißt man manchmal - den, was Handlungsfähigkeit des Staates an dieser (Lothar Hay [SPD]: Ja, stimmt!) Stelle bedeutet - für unser Land sprechen wir heute. existierende Generalkonsulat nicht einfach aus fiskali- Wie Sie wissen, werden im Bundeshaushalt des näch- schen Gründen beseitigt werden kann. sten Jahres 30 Milliarden DM eingespart. Dazu müs- 7158 Schleswig-Holsteinischer Landtag (14. WP) - 95. Sitzung - Freitag, 17. September 1999

(Irene Fröhlich) sen alle Bundesministerien ihren Beitrag erbringen, es in diesem Hause nach der Barschel/Pfeiffer-Affäre auch das Auswärtige Amt. Unser Bundesaußenmini- ein Patt zwischen CDU und F.D.P. sowie SPD gab. ster hat darauf hingewiesen, daß der größte Teil seines Etats Personalausgaben sind, die sich nicht kurzfristig Auf dänischer Seite wurde gegen die Region Schles- verringern lassen. Seinen Beitrag zur Konsolidierung wig-/Sønderjylland demonstriert, und es ist noch kann der Außenminister also nur durch strukturelle nicht lange her, daß Mitglieder des SSV auf Sylt eine Maßnahmen erbringen. Deshalb ist das Auswärtige Unterschriftenkampagne starteten, weil ein Mitglied Amt zu dem Vorschlag gekommen, in nächster Zeit der Grünen in den Elternbeirat einer Schule der däni- fünf Botschaften und 16 konsularische Vertretungen schen Minderheit gewählt worden war. der Bundesrepublik im Ausland zu schließen. Die beiden Generalkonsulate in Apenrade und in Ich finde es respektabel, daß das Auswärtige Amt Flensburg leisten also einen wichtigen Beitrag zum selbstverständlich den gleichen Sparbeitrag leistet wie weiteren Zusammenwachsen der Menschen im die anderen Berliner Häuser, und ich finde es durchaus Grenzland. Wir haben hier im Landtag bereits über die verständlich, daß Joschka Fischer, unser Außenmini- sozialpolitischen und rechtlichen Probleme gespro- ster, die Beziehungen der Bevölkerungsgruppen in der chen, die Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen sowie Region Schleswig/Sønderjylland als so gut ansieht, Firmen haben, die auf der jeweils anderen Seite der daß eine Vertretung der Bundesrepublik unmittel- Grenze aktiv werden wollen. Da ist noch viel zu tun; bar hinter der deutsch-dänischen Grenze verzichtbar auch dafür brauchen wir die beiden Konsulate. Ich wäre. hielte es für fatal, wenn der Eindruck entstünde, Deutschland ziehe sich nach und nach aus der Förde- Es stimmt ja, meine Damen und Herren: Das Zusam- rung der Minderheiten zurück. Bereits jetzt trägt menleben von Däninnen und Dänen wie Deutschen unser Nachbarland dabei die finanzielle Hauptlast. Da beiderseits der Grenze gilt weltweit als Musterbeispiel wäre die Schließung der deutschen Vertretung im für die kulturellen und politischen Beziehungen von Grenzgebiet einfach das falsche Signal. Minderheiten und Mehrheitsbevölkerung, und das mit Recht, Aber, meine Damen und Herren, es geht auch um die Wiederherstellung der Handlungsfähigkeit des deut- (Detlef Matthiessen [BÜNDNIS 90/DIE schen Staates. GRÜNEN]) (Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) zudem in einer Region, in der man sich noch vor 50 Jahren feindselig gegenüberstand. Unter diesem Aus diesem Grund unterstützen wir die Ministerpräsi- Blickwinkel ist die geplante Schließung der Konsulate dentin bei ihrem Einsatz für die Erhaltung des Gene- in Temesvar in Rumänien und Oppeln in Polen sicher- ralkonsulats. Sie hat dankenswerterweise bereits eine lich sehr viel kritischer zu betrachten. praktikable Alternative vorgeschlagen, nämlich den Verkauf des Botschaftsgebäudes der ehemaligen DDR Auch einem anderen Argument des Bundesaußenmini- in Kopenhagen. Ich hoffe sehr, daß der gemeinsame sters kann ich mich nicht ganz entziehen. Wenn Dä- Appell aller Fraktionen des Schleswig-Holsteinischen nemark in Kürze dem Schengener Abkommen beitritt, Landtages dazu beiträgt, daß der Bundesaußenminister verschiebt sich die Außengrenze der Schengen-Staaten und nicht zuletzt auch die Bundestagsabgeordneten - an den Nordrand unseres Nachbarlandes. Dadurch denn Joschka Fischer hat ja den Ball sozusagen an das wird zweifellos der Arbeitsanfall im Generalkonsulat Parlament zurückgespielt - die Entscheidung noch in Apenrade deutlich zurückgehen. einmal im Lichte der hier vorgetragenen Argumente überprüfen, die Schließung nochmals überdenken und Trotzdem halten auch wir die beabsichtigte Schließung möglichst zu einem anderen Schluß kommen. zumindest für problematisch. Bei den Bevölkerungs- gruppen im Grenzland sind unter der Oberfläche (Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) durchaus noch gegenseitige Vorbehalte vorhanden, tiefsitzende Ängste vor möglicher kultureller und poli- Vizepräsident Dr. Eberhard Dall‘Asta: tischer Dominanz der jeweils anderen. Ich erinnere mich gut an die Aufregung, als 1979 die zweisprachige Das Wort hat Herr Abgeordneter Dr. Klug. Zeitschrift „Slesvigland“ an die geschichtlichen däni- schen Wurzeln des Landesteils Schleswig erinnerte, Dr. Ekkehard Klug [F.D.P.]: oder an die Proteste dagegen, daß ein Däne - nämlich Karl Otto Meyer - als Zünglein an der Waage ent- Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die scheiden könnte, wer Schleswig-Holstein regiert, als Schließung des deutschen Generalkonsulats in Apen- Schleswig-Holsteinischer Landtag (14. WP) - 95. Sitzung - Freitag, 17. September 1999 7159

(Dr. Ekkehard Klug) rade wäre ein verheerendes Signal. Damit würde die mit anderen konsularischen Vertretungen im Ausland Bundesregierung in Jahrzehnten aufgebautes Vertrau- nicht ziehen kann -, meine Damen und Herren, sagte en in die Verläßlichkeit der deutschen Minderheiten- kürzlich öffentlich unser dänischer Kollege, der politik zerstören. Venstre-Abgeordnete Erik Jacobsen aus Krusau. Den Herren der sogenannten „Berliner Republik“ - ich mag (Wolfgang Kubicki [F.D.P.]: So ist es!) dieses politische Plastikwort eigentlich gar nicht mehr Es ist geradezu grotesk: Minderheitenvertreter und hören - ist eine solche Einsicht aber offenbar völlig Politiker aus vielen europäischen Staaten besuchen das fremd. deutsch-dänische Grenzland, um das Beispiel einer Meine Damen und Herren, es ist gut, daß sich die von beiden Staaten getragenen vorbildlichen Minder- schleswig-holsteinische Landesregierung - wenn auch heitenpolitik kennenzulernen. Vor allem für die jungen mit einer gewissen Spätzündung - kraftvoller in die Demokratien in Osteuropa mit ihren vielfältigen Min- Diskussion um die Erhaltung des Standorts Apenrade derheitsproblemen ist dies ein Beispiel der Hoffnung, eingeschaltet hat, als es zunächst der Fall gewesen ist. daß es für das Nebeneinander und das Miteinander Als Reaktion auf die Nachricht von den Schließungs- nationaler Minderheiten andere Lösungswege gibt als plänen kündigte der Regierungssprecher zunächst im die - schlimmstenfalls - im ehemaligen Jugoslawien. „Nordschleswiger“ vom 23. Juli 1999 nur einen Brief Just in dieser Zeit leitet die rot-grüne Bundesregierung der Ministerpräsidentin an den Bundesaußenminister in Berlin einen Erosionsprozeß ein, der das Fundament an. Ich habe daraufhin spontan mit der Bemerkung der erfolgreichen Minderheitenpolitik im deutsch- reagiert, Heide Simonis sollte für den Erhalt des Apen- dänischen Grenzland erschüttert. Diese Minderheiten- rader Generalkonsulats vielleicht doch etwas mehr in politik beruhte nämlich bislang auf einer von beiden die Waagschale werfen als nur das Briefporto für ein Seiten sorgsam gewahrten Balance. Dazu gehört unter Schreiben an Außenminister Fischer. anderem die Existenz des deutschen Generalkonsu- (Beifall des Abgeordneten Wolfgang Kubicki lats in Apenrade wie die des dänischen Generalkon- [F.D.P.] - Zuruf der Abgeordneten Irene sulats in Flensburg. Des weiteren gehört dazu auch die Fröhlich [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Balance in der materiellen Förderung beider Minder- heiten - sie ist bereits erwähnt worden -; auch sie gerät Das hat die Ministerpräsidentin dann ja auch getan. zunehmend aus dem Lot. Ich erkenne ausdrücklich an, was in den letzten Wo- chen von Seiten der Regierung an engagierten Erklä- Während die dänische Minderheit in Südschleswig im rungen zu diesem Thema öffentlich gemacht worden kommenden Jahr - so ein kürzlich erschienener Bericht ist. Ich hoffe, daß der Appell der Fraktionen des im „Nordschleswiger“ - mit einer Steigerung ihrer Schleswig-Holsteinischen Landtags ebenfalls dazu Zuschüsse aus Kopenhagen um 2,3 % rechnen kann - beitragen wird, die deutsche Minderheitenpolitik wie- in absoluten Zahlen rund 8 Millionen DKr; das sind der ins Lot zu bringen. über den Daumen gepeilt etwa 2 Millionen DM zu- sätzlich -, hat Herr Verheugen, bis vor kurzem (Beifall bei F.D.P. und CDU) Staatsminister im Auswärtigen Amt, nach einem Be- richt des „Nordschleswigers“ Anfang September noch Vizepräsident Dr. Eberhard Dall‘Asta: von „unvermeidlichen Kürzungen auch bei den Zu- schüssen an die deutsche Minderheit in Dänemark“ Das Wort hat Frau Abgeordnete Spoorendonk. gesprochen. Die Zahl von 1,3 Millionen DM ist vorhin ja bereits genannt worden. Anke Spoorendonk [SSW]: Diese Entwicklung, das wachsende Ungleichgewicht Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! der deutschen und der dänischen Minderheitenförde- „Vielleicht würde die Politik mehr Menschen rung, ist das eigentliche politische Problem: ein Ab- positiv ansprechen, wenn wir eine Atmosphä- bruch auf Raten, der in der Schließung des Apenrader re schaffen könnten, wo Freundschaften nor- Generalkonsulats symbolhaft zum Ausdruck käme. mal sind. Wo dann auch die Presse positiv Es ist schlimm, daß Kanzler Schröder und sein grüner darüber schreiben würde und nicht immer die Außenminister offenbar überhaupt kein Verständnis Politikerinnen und Politiker niedermachen für die politische Brisanz dieser Entwicklung aufbrin- würde.“ gen. Man kann das Generalkonsulat in Apenrade auf- Dies ist ein Zitat der dänischen Politikerin Ritt Bjerre- grund seiner Rolle im Grenzland nicht mit anderen gaard. konsularischen Vertretungen vergleichen, Frau Kolle- gin Fröhlich. Dies - daß man eben diesen Vergleich (Lothar Hay [SPD]: Sehr gut!) 7160 Schleswig-Holsteinischer Landtag (14. WP) - 95. Sitzung - Freitag, 17. September 1999

(Anke Spoorendonk)

Über Ritt Bjerregaard könnte man einiges hinzufügen, Grenzlandpolitik ist etwas anderes als Außenpolitik. weil sie selbst nicht immer nach diesem Grundsatz Grenzlandpolitik lebt von der Kommunikation, von der agiert hat. Dennoch finde ich, daß es - auch für diesen Vermittlung und vom Austausch über die Grenze hin- Tagesordnungspunkt - ein gutes Motto ist. Mit diesem weg, auch zwischen Mehrheit und Minderheit. Gerade Zitat meine ich: Gut, daß es hier zu einem gemeinsa- hier spielen das deutsche und das dänische Konsulat men Antrag gekommen ist. Das ist der Sache ange- auf jeder Seite ihrer Grenze eine wichtige Rolle, ins- messen. Es dient der Sache nicht, wenn man sich beim besondere natürlich für die jeweiligen Minderheiten. Erhalt des deutschen Generalkonsulats in Dänemark parteipolitisch profilieren will. Das sage ich auch an Die Bundesregierung macht also einen großen Fehler, die Adresse des Bundestagsabgeordneten Wolfgang wenn sie darauf hinweist, daß die praktischen Aufga- Börnsen, der die Ministerpräsidentin in dieser Frage ben des Generalkonsulats auch von Kopenhagen aus angegriffen hat. geregelt werden können. Das mag richtig sein, aber eben darum geht es nicht. Hier muß man dem Staats- (Ingrid Franzen [SPD]: Ein Schaumschläger!) sekretär Volmer aus dem Bundesaußenministerium leider vorwerfen, daß er nichts begriffen hat. Auch wenn wir es nicht mit Minderheitenpolitik im engeren Sinne zu tun haben, gilt der Spruch: Minder- (Beifall bei CDU und F.D.P.) heitenpolitik steht über Parteipolitik. Ich denke, gerade dazu gibt es in diesem Hohen Hause einen Konsens. Der Weg von Berlin nach Apenrade ist eben doch viel (Beifall bei SPD und BÜNDNIS 90/DIE länger als umgekehrt. Die Schließung der Generalkon- GRÜNEN) sulate von Apenrade und auch von Oppeln in Polen sind ein Schlag ins Kontor der dort anwesenden deut- Parteiübergreifend haben wir uns schon vor dieser schen Minderheiten, die von den Konsulaten betreut Landtagsdebatte alle zusammen für den Erhalt des werden. deutschen Generalkonsulats in Apenrade ausgespro- chen. Ich möchte es schon als historisch - und auch als (Beifall bei SPD, CDU und F.D.P.) Ausdruck des hervorragenden Klimas im Grenzland - bezeichnen, daß sich der SSW als Partei der dänischen Deshalb fordert der SSW die Landesregierung auf, Minderheit im Landesteil Schleswig auch öffentlich sich weiterhin mit Nachdruck auf allen politischen für den Erhalt des deutschen Generalkonsulats in Ebenen für den Erhalt des deutschen Generalkonsulats Nordschleswig einsetzt. in Apenrade einzusetzen.

(Beifall bei SPD, CDU und F.D.P.) (Beifall bei SPD, CDU und F.D.P.) Noch vor einigen Jahren wäre dies wohl so nicht mög- lich gewesen. Der SSW wird diese Problematik auch Wir tun dies auch, weil wir uns ernsthaft über das am kommenden Montag - das habe ich bereits öffent- Gleichgewicht im Grenzland Sorgen machen. Dazu lich gesagt - in der Sitzung des Kontaktausschusses für habe ich in meiner Rede zum Haushalt 2000 schon die dänische Minderheit beim Bundesinnenminister ausführlich Stellung genommen. Ich möchte noch ein- ansprechen. mal etwas vor dem Hintergrund dessen, was der Kol- lege Klug gesagt hat, deutlich machen. Das Problem (Beifall bei SPD und F.D.P.) ist doch, daß der dänische Staat für beide Minderhei- ten das meiste zahlt. Das ist es doch! Der Erhalt des deutschen Konsulats ist auch im Inter- esse der dänischen Minderheit. Auch in Dänemark (Beifall des Abgeordneten Dr. Ekkehard Klug gab es in den 80er Jahren einige Überlegungen, ob das [F.D.P.]) dänische Generalkonsulat in Flensburg noch nötig sei. Zum Glück hat sich dann die Einsicht durchgesetzt, In aller Freundschaft: Ich bin gern bereit, Besen be- daß dieses Konsulat eben nicht nur ein x-beliebiges reitzustellen, damit wir alle erst einmal vor unserer Auslandskonsulat Dänemarks ist, sondern eine beson- eigenen Tür kehren. dere Bedeutung hat. Man kann die Konsulate in Nord- und Südschleswig nicht nur unter außenpoliti- (Zuruf des Abgeordneten Peter Jensen-Nissen schen Gesichtspunkten sehen. Sie sind auch Teil der [CDU]) Minderheitenregelung, des deutsch-dänischen Grenzlandmodells und somit der Grenzlandpolitik. Doch zurück zum Thema! Die Minderheitenpolitik ist das eine, und was wir hier über den Haushalt mitein- (Beifall im ganzen Hause) ander noch zu besprechen haben, ist das andere. Zu- Schleswig-Holsteinischer Landtag (14. WP) - 95. Sitzung - Freitag, 17. September 1999 7161

(Anke Spoorendonk) rück also zu dem Generalkonsulat in Apenrade! Die (Wolfgang Kubicki [F.D.P.]: Wenigstens Ministerpräsidentin hat schon Finanzierungsvorschlä- Sie!) ge für den Erhalt des Generalkonsulats in Apenrade Frau Fröhlich hat deutlich gemacht, daß wir diesen gemacht. Antrag mittragen, weil er Symbolcharakter hat und für (Glocke des Präsidenten) die Region wichtig ist. - Ich komme zum Schluß. Es würde der Bundesregie- (Dr. Ekkehard Klug [F.D.P.]: Wie peinlich - rung gut zu Gesicht stehen, wenn sie diesen Vorschlag diese Eloge!) aufnähme und somit die Schließung verhindern würde. - Ich lasse es hier nicht stehen, wenn Sie davon spre- chen, es sei ein verheerendes Signal für diese Region, (Beifall bei SPD und CDU) es sei grotesk und es sei ein Erosionsprozeß, den Rot- Grün dort einleiten würde, Vizepräsident Dr. Eberhard Dall‘Asta: (Ursula Röper [CDU]: Das stimmt doch!) Nach § 56 Abs. 4 der Geschäftsordnung erteile ich der Frau Abgeordneten Heinold das Wort. es sei schlimm und man müßte es allein deswegen aufrechterhalten, weil es das ganze schon 80 Jahre gibt. Monika Heinold [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: (Dr. Ekkehard Klug [F.D.P.]: Lesen Sie mal Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! die Erklärung vom 23. Juli!) Eigentlich wollte ich gar nichts sagen. Ich dachte, es gebe einen interfraktionellen Antrag. Ich fand die Re- Ich sage noch eines zum Schluß. Mir ist es ein bißchen den sehr gut, vor allem fand ich den Beitrag meiner zu billig, wenn denjenigen, die Einsparmaßnahmen Kollegin Frau Fröhlich ausgesprochen gut, die sehr vertreten, immer vorgeworfen wird, sie seien zu blöd, ehrlich deutlich gemacht hat, daß wir immer - wenn sich vor Ort zu informieren. wir vor Ort dafür eintreten, daß die Strukturen so blei- (Klaus Schlie [CDU]: Wo steht das? - Wolf- ben, wie sie sind - die Haushaltssituation mit im gang Kubicki [F.D.P.]: Wen interessiert das? Kopf haben müssen. - Dr. Ekkehard Klug [F.D.P.]: Fragen Sie mal (Zuruf des Abgeordneten Dr. Ekkehard Klug die Menschen im ganzen Land! Die sehen das [F.D.P.]) genauso!) Ich nehme Staatssekretär Volmer ausdrücklich in Gerade deshalb habe ich mich unglaublich über den Schutz. Beitrag von Ihnen, Herr Klug, geärgert. Sie haben das ganze abgelesen, als wäre in der Zwischenzeit nichts (Dr. Ekkehard Klug [F.D.P.]: Selbst die Ab- passiert, als hätte es keine Debatte gegeben. Sie stellen geordnete hat diese Kritik ge- sich hier hin und sprechen von der Spätzündung von äußert!) Rot-Grün. - Das ist völlig in Ordnung, die kommt aus Schleswig- (Zurufe von der CDU) Holstein. (Glocke des Präsidenten) Vielleicht habe ich nicht alle Anträge dabei. Es gibt einen Antrag von Rot-Grün vom 27. Juli, dann kam Ich habe keine Lust, immer mit dem Amtsgericht zu der CDU-Landtagsantrag vom 1. September - wunder- argumentieren, weil mir das irgendwann zu blöd ist. bar! -, und dann hüpfte plötzlich - 14 Tage später - die (Unruhe) F.D.P. mit auf. Dann werfen Sie uns Spätzündung vor! Das war so deutlich. Vor Ort sind immer alle dagegen, (Detlef Matthiessen [BÜNDNIS 90/DIE und im Land, im Bund oder wo das ganze finanziert GRÜNEN]: Wer ist denn hier Spätzünder? - werden muß, sind sie dafür. Diesen Zirkus mache ich Zuruf des Abgeordneten Dr. Ekkehard Klug nicht mit! [F.D.P.]) (Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und des Abgeordneten Holger Astrup [SPD]) Das kann nicht sein. Außerdem ist es die F.D.P., die immer wieder sagt: Der Staat soll sparen, soll keine Ich lasse das in dieser Form nicht stehen. Sie setzen Mehreinnahmen haben, und sie mahnt gerade die sich für die Verwaltungsstrukturreform ein, ohne Bei- Strukturreform, die strukturellen Entlastungen überall spiele zu nennen, und sind dann vor Ort immer dage- an. Ich teile die Auffassung des SSW. gen. Frau Fröhlich hat sehr sehr deutlich ge- 7162 Schleswig-Holsteinischer Landtag (14. WP) - 95. Sitzung - Freitag, 17. September 1999

(Monika Heinold) macht, was für eine schwierige Gratwanderung das ist. Die Stadt Flensburg und die IHK Flensburg haben Und sie hat vor allen Dingen auch deutlich gemacht - Außenminister Fischer darauf aufmerksam gemacht, das hat Frau Spoorendonk ebenfalls ausgeführt -, wie welche bedeutende Rolle im Grenzland das General- sensibel wir mit diesem Thema umgehen müssen konsulat beziehungsweise die beiden Generalkonsulate für die grenzüberschreitende Zusammenarbeit, für die (Wolfgang Kubicki [F.D.P.]: Ihre Rede war wirtschaftlichen Kontakte, aber auch für das Ver- entbehrlich!) ständnis für diese Region aufbringen und haben. und daß wir deshalb im Bund dafür werben müssen, Der Regionalrat Sønderjylland/Schleswig hat ebenfalls das Konsulat zu erhalten. gebeten, die Entscheidung zu überdenken. Im däni- (Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) schen Folketing wurde Außenminister Nils Petersen von den Abgeordneten aufgefordert, sich bei seinem Amtskollegen für den Erhalt des Generalkonsulats Vizepräsident Dr. Eberhard Dall‘Asta: einzusetzen. Das Wort hat nun die Frau Ministerpräsidentin. Über alle Grenzen und Parteien hinweg gibt es also einen großen Konsens, alles Menschenmögliche zu Heide Simonis, Ministerpräsidentin: tun, um diese Entscheidung zurückzudrehen. Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Ich habe in Briefen an den Herrn Bundeskanzler und Herren! Mitte Juli wurde die Entscheidung des Au- den Außenminister dargestellt, wie wichtig aus der ßenministeriums bekannt, im Rahmen der Sparvorga- Sicht der Landesregierung und der gesamten Politik ben für den Haushalt 2000 rund 20 Auslandsvertre- gerade in dieser Region die Aufrechterhaltung von tungen zu schließen, darunter auch das deutsche Ge- festen Strukturen ist, an die man sich wenden kann, an neralkonsulat in Apenrade. Dessen Aufgaben sollen die man sich gewöhnt hat und von denen man weiß, von der deutschen Botschaft in Kopenhagen über- daß sie auch im Notfall für uns und für die Region nommen werden. sprechen. Es spricht vielleicht - das ist eine kritische Bemerkung Es gibt andere Möglichkeiten, die notwendigen Spar- in Richtung /Berlin - für das mangelnde Finger- raten zu erbringen, wobei überhaupt kein Zweifel spitzengefühl der Verwaltung im Außenamt, dies über bestehen kann, daß gespart werden muß. Ich glaube, die Zeitungen bekanntzugeben. Es gibt andere Mög- eine Strukturüberprüfung im Auswärtigen Amt lichkeiten, über Sparnotwendigkeiten zu informieren. würde manches zutage fördern, worüber wir uns hier (Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN nur wundern können. und der Abgeordneten Dr. Ekkehard Klug Die Schließung des Generalkonsulats ließe sich schon [F.D.P.], Peter Lehnert [CDU] und Heinz dadurch vermeiden, daß in einigen Auslandsvertretun- Maurus [CDU]) gen die Bundesbesoldung herabgestuft würde. Die Arbeit vieler B 9-Stellen-Inhaber, die allein in Brüssel Man müßte ihnen vielleicht einmal mitteilen, daß das versammelt sind und von denen man gar nicht weiß, besser gemacht werden sollte. wer dort was macht, würde, glaube ich, ohne daß die Seitdem diese Pläne bekannt geworden sind, sind Beziehungen zusammenbrächen, sich durchaus auch in überall in Schleswig-Holstein und auch bei unseren anderen Besoldungsstufen bewältigen lassen, und dänischen Partnern Stimmen laut geworden, die sich damit hätten wir Geld frei, um in Apenrade das Gene- für den Erhalt des Generalkonsulats einsetzen. Ich ralkonsulat aufrechtzuerhalten. bedanke mich ausdrücklich dafür, daß hier alle an (Beifall der Abgeordneten Irene Fröhlich einem Strang in die gleiche Richtung ziehen und ver- [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) suchen, den Schaden so gering wie möglich zu halten, ja vielleicht die Entscheidung wieder rückgängig zu Was nun wirklich überhaupt nicht einzusehen ist - da machen. denke ich, sollte der Herr Außenminister einmal in seiner Haushaltsabteilung nachrechnen lassen -, ist das Die Landesregierung wurde in ihrem Bemühen, die seit 1990 leerstehende ehemalige DDR-Botschafts- Bundesregierung umzustimmen, von vielen Gruppen gebäude in Hellerup. Es steht nur deshalb leer, weil unterstützt: Verbände, Kommunen, Fraktionen und sich drei Ministerien nicht darüber einigen können, andere Gremien haben vor den negativen Folgen der wohin der Millionenerlös laufen sollte, Schließung gewarnt und von sich aus nach Berlin be- ziehungsweise Bonn geschrieben. (Dr. Ekkehard Klug [F.D.P.]: Unglaublich!) Schleswig-Holsteinischer Landtag (14. WP) - 95. Sitzung - Freitag, 17. September 1999 7163

(Ministerpräsidentin Heide Simonis) in das deutsche Innenministerium, weil es damals die (Beifall der Abgeordneten Ingrid Franzen deutsche Einheit zustandegebracht hat, in das Außen- [SPD], Anke Spoorendonk [SSW] und Beifall ministerium, weil es eine Botschaft war, oder ins Fi- bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) nanzministerium, weil der Finanzminister sowieso immer alles nimmt. Ich glaube, wenn die Landesregierung, der Grenzland- beauftragte und das Parlament sowie die Verbände und 70.000 bis 80.000 DM im Jahr kostet allein die Si- Vereine zusammenarbeiten, kann uns wenigstens die- cherstellung und Instandhaltung des Gebäudes. Für ser Teil der Aufgabe gelingen. Die Schließung des dieses Geld könnten wir das Generalkonsulat erhalten. Generalkonsulats bedeutet jedenfalls keinen Rückzug Schleswig-Holsteins aus der Zusammenarbeit mit den (Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Minderheiten diesseits und jenseits der Grenze. sowie der Abgeordneten Thomas Stritzl (Beifall bei SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- [CDU] und Dr. Ekkehard Klug [F.D.P.] - Zu- NEN, F.D.P. und des Abgeordneten Hans rufe) Siebke [CDU]) Das ist etwas, was sowieso keiner versteht. Ich ver- falle hier wieder einmal in meine alte Haushältermen- Vizepräsident Dr. Eberhard Dall‘Asta: talität, zu gucken, woher man Geld bekommen kann, wenn man denn sparen muß und trotzdem bestimmte Nach § 56 Abs. 4 erteile ich nun Herrn Abgeordneten Sachen aufrechterhalten will. Kubicki das Wort.

(Irene Fröhlich [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Wolfgang Kubicki [F.D.P.]: NEN]: Das ist eine Altlast!) Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das wären jedenfalls vernünftigere Schritte, als jetzt Eigentlich muß man der Ministerpräsidentin für ihre ein Generalkonsulat zu schließen, dessen Schließung Ausführungen danken; denn ich glaube, daß sie das für man später nicht mehr rückgängig machen kann. den Schleswig-Holsteinischen Landtag Wesentliche - darauf kommt es mir an - gesagt hat, und zwar auch im Der Außenminister hat mir Anfang dieser Woche mit- Hinblick auf das Verhältnis zwischen Deutschen und geteilt, daß er an seinem Beschluß festhalten wird. Dänen in der Grenzregion. Den Beitrag der Kollegin Jetzt kommt es also vor allem darauf an, die gemein- Heinold habe ich allerdings nicht richtig verstanden. same Entschließung des Landtages noch einmal ein- (Holger Astrup [SPD]: Ich habe ihn sehr gut dringlich in Berlin vorzustellen und darauf hinzuwei- verstanden!) sen, daß dies in der gesamten Region von niemandem gebilligt wird, und es kommt darauf an, unsere Abge- - Ja gut, wenn die Sozialdemokraten ihn gut verstan- ordneten aus Schleswig-Holstein - die Abgeordneten den haben, Kollege Astrup, dann müssen wir uns mit Austermann, Koppelin und Frau Beer - zu bitten, im der Fragestellung vielleicht doch noch einmal ein biß- Haushaltsausschuß des Bundestages für den Erhalt des chen beschäftigen, weil mir das Anlaß gibt, über eini- Generalkonsulats zu werben und Mehrheiten dafür zu ge Sachen nachzudenken. sammeln. Wenn man die Schließung des deutschen General- Und um den Schaden gering zu halten, kommt es vor konsulats in Apenrade hinnimmt und wenn man nicht allem darauf an, unseren Minderheiten diesseits und entsprechend dagegen ankämpft, wie wir das eigentlich jenseits der Grenze klarzumachen, daß wir zu unserem tun sollten, dann ist das Staatsraison. Aber wenn über erfolgreichen Modell eines friedlichen Miteinanders die Frage des Grenzlandbeauftragten auch nur dis- von Minderheit und Mehrheit im Grenzland stehen. kutiert wird, dann ist das ein Sich-Versündigen an den Das breite Engagement über alle Parteigrenzen hinweg deutsch-dänischen Beziehungen. zeigt, daß bei uns in der Minderheitenpolitik Konsens besteht. Das sollten wir immer wieder klarmachen, (Zurufe von der SPD) und wir werden es auf uns nehmen müssen, unseren Ich hätte hier ein bißchen mehr Ehrlichkeit erwartet, dänischen Partnern - damit sie ihr Vertrauen in uns aufrechterhalten können - nachvollziehbar zu machen, (Karl-Martin Hentschel [BÜNDNIS 90/DIE daß es keine Bosheit ist beziehungsweise daß es keine GRÜNEN]: Das hätten wir auch!) Absage an die Minderheitenpolitik ist, wenn wir aus Spargründen weniger Geld zur Verfügung stellen kön- weil ich mich frage, was denn eigentlich gemeinsame nen, als es zur Zeit die dänische Regierung tut. Entschließungen sollen, beispielsweise im Hinblick 7164 Schleswig-Holsteinischer Landtag (14. WP) - 95. Sitzung - Freitag, 17. September 1999

(Wolfgang Kubicki) auch auf die Wettbewerbshilfe, die ja ebenfalls noch Drucksache 14/2400, den gemeinsamen Antrag, ab- vor uns steht, wenn die Schließung zur Staatsraison stimmen. Wer zustimmen will, den bitte ich um das erklärt wird - unabhängig von den noch anstehenden Handzeichen. - Die Gegenprobe! - Enthaltungen? - Debatten im Deutschen , die dort ja noch Das ist einstimmig so beschlossen. geführt werden sollen und wo ja auch noch um den Erhalt des Generalkonsulats in Apenrade gekämpft Ich rufe Tagesordnungspunkt 19 auf: werden soll. Ich kenne jedenfalls schleswig-holstei- Mechanisch-biologische Abfallbehandlungsanlagen nische Abgeordnete im Deutschen Bundestag - auch in Schleswig-Holstein Abgeordnete der Grünen -, die es zu ihrem Ziel erklärt haben, sich in den Haushaltsberatungen massiv dafür Antrag der Fraktionen von SPD und BÜNDNIS einzusetzen, und mir geht es nun darum, sie zu unter- 90/DIE GRÜNEN stützen und nicht im Wege vorauseilenden Gehorsams Drucksache 14/2182 und als Staatsraison diese Schließung hinzunehmen. Änderungsantrag der Fraktion der CDU (Beifall bei der F.D.P. und von Abgeordneten der CDU) Drucksache 14/2404 Ich beziehe da ausdrücklich Frau Angelika Beer ein, Wird das Wort zur Begründung gewünscht? - Das ist die das gesagt hat. Dafür bedanke ich mich. Ich weiß nicht der Fall. es im übrigen auch von den Kollegen Koppelin, Schmidt-Jortzig und von Abgeordneten der Union, daß Dann eröffne ich die Aussprache. Das Wort hat der sie in gleicher Weise tätig werden wollen. Herr Abgeordnete Jacobs. Meine Hoffnung richtet sich an diese Abgeordneten in (Vizepräsidentin Dr. Gabriele Kötschau gleicher Weise wie bei der Wettbewerbshilfe an die übernimmt den Vorsitz) Abgeordneten der Küstenländer, daß sie wirklich im Interesse Schleswig-Holsteins die sehr sensible Situa- Helmut Jacobs [SPD]: tion im deutsch-dänischen Grenzgebiet beachten und bei denen, die in Berlin oder anderswo weiter weg Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und sitzen, deutlich machen, daß das mehr ist, als nur Ko- Herren! Im Landesabfallwirtschaftsgesetz von 1998, sten einzusparen. im früheren Abfallwirtschaftsprogramm und im Ab- fallwirtschaftsplan hat das Land ein klares Bekenntnis Im übrigen müssen wir uns wirklich fragen, Kollege zur mechanisch-biologischen Restabfallbehandlung Astrup, ob die Förderung des Sports im südlichen abgegeben. Somit ist der Ihnen heute vorliegende An- Afrika durch das Auswärtige Amt mit Millionenbe- trag eine logische Folgerung dieser Zielsetzung. trägen so sinnvoll gewesen sein kann, wenn dieses Land von der Fußballweltmeisterschaft wegen Beste- Nach Wegfall der Landesabfallabgabe war eine at- chungsversuchs ausgeschlossen wurde. Irgendwie traktive Förderung derartiger Anlagen leider nicht könnte man da vielleicht viel besser sparen und das mehr möglich. Um aber der Kooperation in der Ab- Geld anderweitig sinnvoller einsetzen, wie es hier im fallwirtschaft Hilfen zu geben, hat das Umweltministe- deutsch-dänischen Grenzbereich der Fall wäre. rium jüngst ein Merkblatt zum Thema „Anforderungen an die mechanisch-biologische Abfallbehandlung“ (Beifall bei der F.D.P.) herausgegeben, das als Entscheidungshilfe für die Also noch einmal der Appell an alle Beteiligten, sich öffentlich-rechtlichen Entsorgungsträger geeignet ist. nach wie vor dafür einzusetzen. daß das Generalkon- Die jetzt gültige TASi setzt einseitig auf die Verbren- sulat erhalten bleibt, um unsere friedlichen, freund- nung als Regelvariante und war 1993 in der Erwartung schaftlichen, nachbarschaftlichen Verhältnisse weiter- verabschiedet worden, daß die vorhandenen Haus- zuentwickeln und ihnen nicht entgegenzuwirken. mülldeponien bei gleichbleibendem Abfallaufkommen (Beifall bei der F.D.P. und von Abgeordneten innerhalb festgelegter Übergangsfristen bis zum Jahr der CDU) 2005 verfüllt sein würden. Es ist aber die Situation eingetreten, daß bei verminderter Restabfallmenge Vizepräsident Dr. Eberhard Dall‘Asta: nach 2005 umfangreiche Deponievolumen ungenutzt abgeschrieben und teure Verbrennungsanlagen ge- Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe schaffen werden müßten. die Beratung. Die Anträge Drucksachen 14/2327 und 14/2369 sind durch die Vorlage des gemeinsamen Deponiebetreiber ziehen mit Dumpingpreisen Müll an Antrages erledigt. Ich lasse daher über den Antrag und füllen den eigentlich für einen viel längeren Zeit- Schleswig-Holsteinischer Landtag (14. WP) - 95. Sitzung - Freitag, 17. September 1999 7165

(Helmut Jacobs) raum gedachten Deponieraum auf, um ihre Kosten Abfälle deponiert und die TASi für alternative Be- zumindest teilweise zu amortisieren. Diese Entwick- handlungsverfahren geöffnet werden. lung könnte in eine andere Richtung gehen, wenn sich die Deponiebetreiber der mechanisch-biologischen Das BMU geht davon aus, daß diese neue Abfallstra- Abfallbehandlung zuwendeten und damit neben den tegie in besonderem Maße geeignet ist, bisherige ökologischen Vorteilen erreichen würden, daß Depo- Konflikte zwischen Befürwortern und Gegnern von nien über das Jahr 2005 hinaus betrieben werden Verbrennungstechniken zu beenden. könnten. Die neue Strategie zielt auf eine in hohem Maße um- (Detlef Matthiessen [BÜNDNIS 90/DIE weltverträgliche Entsorgung von Siedlungsabfällen. GRÜNEN]: Sehr vernünftig!) Sie schafft auch Planungssicherheit für die Kommunen Nach den Erkenntnissen mit Pilotverfahren aus einigen und die private Entsorgungswirtschaft, und sie fördert Bundesländern und nach bisherigen Ergebnissen aus die technische Entwicklung, Innovation und auch Inve- Forschungsvorhaben zur mechanisch-biologischen stitionen, die neue Arbeitsplätze schaffen können. Restabfallbehandlung sowie aufgrund der im Zulässig- keitsverfahren geführten Gleichwertigkeitsnachweise Mit der Ergänzung der TASi soll nicht nur über das gemäß der Ausnahmeregelung der TASi können Ziel- Instrument der Ausnahmeregelung, sondern grund- setzungen, was eine weitgehende Emissions- und Set- sätzlich im Zuge der Regelanforderung der TASi auf zungsfreiheit anlangt, bei der Ablagerung mechanisch- Bundesebene erreicht werden, daß die mechanisch- biologisch behandelter Restabfälle auf Deponien er- biologische Behandlung von Abfällen als gleichwerti- bracht werden. ge Alternative zu den thermischen Verfahren zuge- lassen wird. Die Öffnung der TASi würde nicht nur Das technische Anforderungsniveau ist also sehr wohl eine umweltverträgliche Abfallbehandlung ermögli- bekannt, meine Damen und Herren von der CDU. chen, es wäre auch volkswirtschaftlich und abfallpoli- tisch ein sinnvoller Schritt, der einen Beitrag zur Weiterhin will ich kurz auf Ihren Änderungsantrag Dämpfung der Gebühren leisten würde. eingehen. Auch mit der Gewährleistung der Gleich- wertigkeiterfordernisse der Ablagerung mechanisch- Das, liebe Kolleginnen und Kollegen von der CDU, biologisch behandelter Abfälle gegenüber den Re- sollten wir doch wohl alle fordern. gelanforderungen der TASi kann schon jetzt bei voller Planungssicherheit für die öffentlich-rechtlichen Ent- Der CDU-Antrag ist aus meiner Sicht überflüssig, sorgungsträger der Bau mechanisch-biologischer Ab- weil die von uns geforderte TASi-Öffnung die hohen fallbehandlungsanlagen durchgeführt werden. Umweltstandards erhält. Ich freue mich, daß die CDU Darüber hinaus informiert die Broschüre des Um- allmählich auf MBAs einschwenkt weltministeriums und appelliert an die Entsorgungs- träger, in regionalen Kooperationen die aufgezeigten (Beifall bei SPD und BÜNDNIS 90/DIE genehmigungsfähigen Konzeptionen für MBAs zu GRÜNEN) nutzen. Das Entstehen des Merkblatts ist vermutlich auch ein Ergebnis einer Umweltministerkonferenz, auf und im Grunde den Eckpunkten des Umweltministers der mehrheitlich beschlossen worden ist, daß die hohen zustimmt. Im Antrag selbst fordern Sie eine zügige Standards der TASi, was die nachsorgearme Deponie Erarbeitung von Rahmenprogrammen. anlangt, erhalten bleiben sollen, aber andererseits eine rechtliche Absicherung von gleichwertigen Vorbe- Vizepräsidentin Dr. Gabriele Kötschau: handlungsprodukten eingefordert werden soll. Herr Abgeordneter, kommen Sie bitte zum Schluß! Eine Ergänzung der Parameter im Anhang der TASi um Alternativparameter - zum Beispiel Atmungsakti- vität oder Gasbildungsrate - soll geprüft werden. Aus- Helmut Jacobs [SPD]: sagen der rot-grünen Bundesregierung in der Koaliti- onsvereinbarung weisen im übrigen in die gleiche In der Begründung lehnen Sie das wieder ab. Richtung. Im übrigen halte ich das Entgegenkommen gegenüber Am 20. August hat das Bundesumweltministerium der Verbrennungsindustrie für gebührenzahlerfreund- Eckpunkte für die Zukunft der Entsorgung von Sied- lich. lungsabfällen veröffentlicht. Danach sollen bis späte- stens 2020 alle Siedlungsabfälle vollständig verwertet, (Beifall bei SPD und BÜNDNIS 90/DIE bis zur Erreichung dieses Ziels nur noch vorbehandelte GRÜNEN) 7166 Schleswig-Holsteinischer Landtag (14. WP) - 95. Sitzung - Freitag, 17. September 1999

Vizepräsidentin Dr. Gabriele Kötschau: Erstmals gibt es Vorgaben, aus denen zu ersehen ist, daß die Abfallbehandlung mit hochwertigen mecha- Das Wort hat Frau Abgeordnete Strauß. nisch-biologischen Anlagen ihren Preis haben wird.

Roswitha Strauß [CDU]: Erstmals wird Abfallverbrennung verlangt, um heiz- wertreiche Teilfraktionen zu nutzen. Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Es ist für eine Abgeordnete, die eine Rede zu halten hat, Herr Meine Damen und Herren, die rot-grünen Abfallex- Kollege Matthiessen, sehr schön, wenn Spannung perten müssen schlicht und ergreifend umdenken. aufkommt. Dafür bedanke ich mich. (Beifall bei CDU und F.D.P.) 1993 wurde die TA Siedlungsabfall mit großer Mehr- heit im Bundesrat beschlossen. Mit der Erarbeitung Ihr Feindbild der Verbrennung ist einfach futsch. und der Durchsetzung der TA Siedlungsabfall hat die CDU Meilensteine in der Abfall- und Umweltpolitik (Beifall bei der CDU) gesetzt. Vor diesem Hintergrund kann man den Antrag von (Beifall bei der CDU) SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN nur als grob fahrlässig bezeichnen. Die in der TA Siedlungsabfall festgelegten Umwelt- standards sichern für die Zukunft eine nachsorgefreie (Peter Jensen-Nissen [CDU]: So ist es!) und altlastenfreie Abfallentsorgung, die weltweit ih- resgleichen sucht. Erstens wird versucht, die hohen Umweltanforderun- gen der Bundes-Immissionsschutzverordnung zu un- (Beifall bei der CDU) terlaufen, indem sie nicht genannt werden, sondern Der Beschluß der Umweltministerkonferenz vom No- durch die schwammige Formulierung „sowie eine vember 1998, sowohl an den hohen Umweltstandards Festlegung immissionsschutzrechtlicher Standards“ als auch am Zeitrahmen der TA Siedlungsabfall fest- ersetzt werden. zuhalten, ist eine großartige Bestätigung der Umwelt- Zweitens ist die im Antrag enthaltene Aufforderung an und Abfallpolitik der CDU. die öffentlich-rechtlichen Entsorgungsträger, trotz (Beifall bei der CDU) ausstehender TA-Siedlungsabfall-Änderung, das heißt ohne Rechts- und Planungssicherheit und ohne Kennt- Unter dieser Prämisse hat sich die Umweltminister- nis der technischen Anforderungen und deren Kosten, konferenz für eine Fortentwicklung einsetzbarer Tech- in entsprechende Planungen einzutreten, nur als haar- nologien ausgesprochen. Ich möchte anmerken: Daran sträubend und verantwortungslos zu bezeichnen. war bisher auch niemand gehindert. (Beifall bei der CDU) Meine Damen und Herren, mit großem Interesse habe ich daher die vom Bundesumweltministerium veröf- Politik muß verläßlich sein und darf nicht andere zu fentlichten Eckpunkte für die Zukunft der Entsorgung Risiken auffordern, deren Folgen diese anderen, näm- von Siedlungsabfällen gelesen. Was ist daran nun neu? lich die Bürger dieses Landes, zu tragen und zu be- zahlen haben. Neu ist dies: Erstmals wird bestätigt, daß bisher nur Verbrennungstechniken die ökologischen Standards (Peter Jensen-Nissen [CDU]: Sehr gut!) der TA Siedlungsabfall einhalten. Seit 1996 wissen wir, daß eine unglaubliche Deponie- (Thomas Stritzl [CDU]: Hört, hört!) überkapazität in Schleswig-Holstein entstanden ist. Die Ursache hierfür liegt nicht - wie in der Begrün- Erstmals wird bestätigt, daß die bisherigen Techniken dung Ihres Antrages suggeriert wird - in den Über- zur Vorbehandlung mit mechanisch-biologischen gangsfristen der TA Siedlungsabfall, die Ursache Anlagen den ökologischen Standards nicht genügen. hierfür liegt in der desaströsen Abfallpolitik der Sozi- aldemokraten. Darüber haben wir hier seit 1996 dis- (Peter Jensen-Nissen [CDU]: So ist es!) kutiert.

Erstmals wird zugegeben, daß für hochwertige mecha- (Beifall bei CDU und F.D.P.) nisch-biologische Anlagen erst noch rechtliche Rege- lungen vor deren Einsatz zu treffen sind und entspre- Ich darf in diesem Zusammenhang daran erinnern, daß chende Technologien noch nicht zur Verfügung stehen. der Kreis Schleswig-Flensburg noch 1993 eine Schleswig-Holsteinischer Landtag (14. WP) - 95. Sitzung - Freitag, 17. September 1999 7167

(Roswitha Strauß)

Rüge der damaligen Umweltministerin Edda Müller Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! dafür erhalten hat, daß er die Standortsuche für eine Die Bürger unseres Landes sind für Umweltschutz. Sie Mülldeponie eingestellt hat. wissen, daß wir unser aller Zukunft damit sichern. Sosehr die Bürger für Umweltschutz sind, sosehr ist in (Unruhe bei der CDU) den letzten Jahren im Ver- und Entsorgungsbereich Inzwischen wäre eigentlich ein Dankesschreiben an eine weit über der Inflationsrate liegende Kostenstei- den Kreis sinnvoll gewesen. gerung zu beobachten. Sie alle kennen das Problem der sogenannten zweiten Miete, der Kostenlast, die (Beifall bei der CDU) sich aus Strom- und Heizungskosten, aus Frisch- und Abwassergebühren und anderem und nicht zuletzt Ich erinnere daran, daß der Müll aus Harrislee genau eben auch aus den Müllgebühren zusammensetzt. Zur dort gelandet ist, wo er nicht hin sollte, nämlich auf Steigerung dieser Kostenlast für unsere Bürger hat der Deponie Schönberg. die alte Bundesregierung mit ihrer Abfallpolitik er- (Thomas Stritzl [CDU]: Hört, hört!) heblich beigetragen. Die alte Bundesregierung hat sich in der Technischen Anleitung Siedlungsabfall und Ich erinnere daran, daß die Abfallabgabe die Depo- damit zusammenhängenden Vorschriften - ich nenne niekosten in Schleswig-Holstein drastisch verteuert hat hier nur den berühmt- berüchtigten Glühverlust - und dadurch erhebliche Abfallströme das Land verlas- praktisch auf die teuerste Variante der Abfallbehand- sen haben. lung festgelegt, nämlich die Müllverbrennungsanla- Auch die Bemühungen des amtierenden Umweltmini- gen. sters, die ich ihm durchaus nicht absprechen will, wa- (Brita Schmitz-Hübsch [CDU]: Die sicher- ren offenbar nicht zielführend und werden daher im ste!) Ergebnis leider als Aktionismus in die Annalen dieser rot-grünen Regierung eingehen müssen. Demgegenüber haben wir immer deutlich gemacht, daß wir nicht nur aus den genannten Kostengründen, Meine Damen und Herren, es waren Sie auf der linken sondern auch aus ökologischen Gründen dem mecha- Seite des Hauses, die in Sachen Abfallbehandlungs- nisch-biologischen Verfahren eine Chance geben wol- anlagen einen Glaubenskrieg geführt haben, nicht die len. Durch den Regierungswechsel auf Bundesebene CDU. Die CDU hat Umweltstandards festgelegt, die und die von uns immer vorhergesagten und jetzt weiter für die Zukunft eine nachsorgefreie und altlastenfreie erhärteten wissenschaftlichen Grundlagen, die allmäh- Entsorgung garantieren. Das ist nachhaltige Umwelt- lich erarbeitet werden, und die Entwicklung neuer politik. Daran halten wir fest. technischer Möglichkeiten sollten wir diesen Weg in Schleswig-Holstein beschreiten. Unter dieser Prämisse haben wir einen konstruktiven Antrag in den Landtag eingebracht, der den öffentlich- (Beifall des Abgeordneten Helmut Jacobs rechtlichen Entsorgungsträgern verläßliche Rahmen- [SPD]) daten liefert, Planungssicherheit herstellt und Wirt- schaftlichkeitsberechnungen über zukünftige Abfall- Wir brauchen mindestens eine MBA in Schleswig- behandlungsanlagen sicherstellt. Holstein. Durch die Überarbeitung der TASi wird dieser Weg jetzt endgültig eröffnet. Meine Damen und Herren, werden Sie endlich sach- lich und stimmen Sie dem CDU-Antrag zu! Er bringt (Brita Schmitz-Hübsch [CDU]: Dann wird es sowohl für die Bürger als auch für die Umwelt mehr. noch teurer!) Die Nutzung des vorhandenen Deponieraumes mit (Anhaltender und lebhafter Beifall bei CDU ordnungsgemäß vorbehandeltem, nach Kreislaufwirt- und F.D.P.) schaftsgesetz ablagerungsfähigem Restmüll und damit die weitere Bewirtschaftungsmöglichkeit der Deponien Vizepräsidentin Dr. Gabriele Kötschau: vermeidet „stranded investments“, also Fehlinvestitio- Das Wort hat Herr Abgeordneter Matthiessen. nen, die letztendlich die Bürger unseres Landes be- zahlen müßten. Detlef Matthiessen [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die Wirtschaftlichkeit wird durch die Nutzung der Das war ja doch nicht so spannend, wie man erwarten heizwertreichen Bestandteile in Anlagen nach der konnte. 17. BImSchV weiter verbessert. Eine weitere Voraus- setzung, diesen Weg zum Wohle der Gebührenzahler (Klaus Schlie [CDU]: Das war ja schwach! zu beschreiten, ist bekanntlich die Zusammenarbeit der - Weitere Zurufe von der CDU) kommunalen Körperschaften. Durch sie wird die 7168 Schleswig-Holsteinischer Landtag (14. WP) - 95. Sitzung - Freitag, 17. September 1999

(Detlef Matthiessen)

Voraussetzung geschaffen. Hier muß eine vertrauens- Vizepräsidentin Dr. Gabriele Kötschau: volle und allen Seiten dienliche Kooperation verwirk- licht werden. Das Wort hat Frau Abgeordnete Dr. Happach-Kasan.

Der Erfolg dieses Weges liegt daher natürlich nicht Dr. Christel Happach-Kasan [F.D.P.]: allein in der Verantwortung der Landesregierung. Herr Minister Steenblock, ich vertraue Ihnen, daß wir bei Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kollegen! Herr Mat- den Verhandlungen mit den Kreisen durch Ihre Ge- thiessen, in einem möchte ich Ihnen zustimmen: Die duld, Ihre Beharrlichkeit und Ihr Verhandlungsge- CDU hat einen Schwenk in der Abfallpolitik vollzo- schick zu einer einvernehmlichen und produktiven gen, diesen Schwenk wird die F.D.P. nicht mitgehen. Lösung zum Wohle unseres Landes gelangen werden. Das ist doch wohl klar. Im übrigen ist der Ihnen vorliegende Antrag umfäng- (Detlef Matthiessen [BÜNDNIS 90/DIE lich schriftlich begründet, worauf ich an dieser Stelle GRÜNEN]: Das habe ich mir gedacht!) noch einmal verweisen möchte. Erstaunlicherweise ist in dem uns heute morgen als Herr Kollege Jacobs, Abfallfragen sind keine Be- Tischvorlage vorgelegten Antrag der CDU ein kenntnisfragen. Da haben Sie etwas verwechselt. Egal, Schwenk weg vom Dogma der Einbahnstraße Müll- in wie vielen Broschüren der Landesregierung die verbrennung zu beobachten. mechanisch-biologischen Anlagen auch erwähnt wer- den müssen - technologisch unsinnig sind sie allemal. (Widerspruch bei der CDU) Das ändert daran nichts. Ich verweise einfach auf den Text Ihres vorgelegten Die F.D.P. lehnt eine Änderung der Technischen An- Antrages leitung Siedlungsabfall (TASi) ab, die das Ziel ver- (Zurufe von der CDU) folgt, künftig die Behandlung der Restabfälle außer in thermischen Behandlungsanlagen auch in mechanisch- und werde daraus zitieren. Den Schwenk, den Sie in biologischen Anlagen zuzulassen. Es wäre ein Rück- der Abfallpolitik beschreiten, schritt in der Umwelpolitik mit gravierenden Folgen (Widerspruch bei der CDU) für die Umwelt. Gucken Sie sich doch bitte unsere Altstandorte im Lande an, gucken Sie sich unsere Alt- kaschieren Sie mühsam, indem Sie nicht mehr generell lasten an! gegen mechanisch-biologische Abfallbehandlungsan- lagen reden, sondern indem Sie „hochwertige mecha- (Konrad Nabel [SPD]: Die Stromkonzerne, nisch-biologische Abfallbehandlungsanlagen“ fordern. die Sie hier immer vertreten!) (Beifall des Abgeordneten Helmut Jacobs Die Bestimmungen der TASi verfolgen das Ziel, eine [SPD]) nachsorgefreie Ablagerung der Abfälle zu gewährlei- sten. Darin sollten wir uns eigentlich einig sein. Nur so Wir hingegen haben, wenn wir davon gesprochen kann verhindert werden, daß künftige Generationen die haben, wahrscheinlich immer von Schrottanlagen ge- Abfälle entsorgen müssen, die heute produziert wer- redet und nicht von technologischem Fortschritt. Das den. Und wer je den Altlastenstandort Barsbüttel, die scheint jetzt der Unterschied zu sein. Deponie Haferteich oder die Appener Deponie besich- Wir sind also in Zukunft mit Ihnen zusammen für tigt hat, weiß, wie wichtig eine nachsorgefreie Entsor- hochwertige MBAs. gung ist. Diese wird nur durch eine thermische Be- handlung der Abfälle erreicht. In Punkt 3 Ihres Antrages fordern Sie „eine zügige Erarbeitung der hierfür notwendigen rechtlichen und Anlaß für den heutigen Antrag von Rot-Grün ist eine abfalltechnischen Rahmenvorgaben“. Dazu kann man Initiative des Bundesumweltministers, der ein Eck- deutlich feststellen, daß die Möglichkeit, diese Rah- punktepapier zur Entsorgung von Siedlungsabfällen menvorgaben zu erarbeiten, durch den Regierungs- vorgelegt hat. Dieses Eckpunktepapier ist in sich wi- wechsel in Bonn jetzt erstmalig eröffnet worden ist, dersprüchlich. Das scheint keiner von den grünen nachdem Sie jahrelang Verhinderungspolitik für tech- Kollegen bemerkt zu haben. Einerseits sollen bis 2020 nischen Fortschritt in der Abfallwirtschaft betrieben entsprechend Punkt 5 des Papiers alle Siedlungsabfälle haben. vollständig verwertet werden. Dort heißt es: „Bis spä- testens 2020 sollen die Behandlungstechniken so wei- (Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN terentwickelt und ausgebaut werden, daß alle Sied- und SPD) lungsabfälle in Deutschland vollständig und umwelt- verträglich verwertet werden.“ Schleswig-Holsteinischer Landtag (14. WP) - 95. Sitzung - Freitag, 17. September 1999 7169

(Dr. Christel Happach-Kasan)

Andererseits, so heißt es in dem Papier, soll die TA- Angesichts der Tatsache, daß die Biotonne auf einem Siedlungsabfall für alternative Behandlungsverfahren - guten Weg ist - der von der F.D.P.-Fraktion beantragte sprich mechanisch-biologische Abfallbehandlung - Bericht zur Verwertung der Biomasse zeigt dies auf -, geöffnet werden. Die vollständige Verwertung der ist weiter zu fragen, welchen Sinn die mechanisch- Restabfälle ist nur durch die energetische Verwer- biologische Behandlung machen soll. Warum wollen tung möglich, mechanisch-biologische Verfahren Sie Abfall mechanisch-biologisch behandeln, wenn für können nur eine Behandlung ohne Verwertung ermög- die Biomasse eine effektive rohstoffliche Verwertung, lichen. für die übrigen Restabfälle hingegen eine energetische Verwertung möglich ist? Wo bleibt Ihr Bekenntnis Die von der christlich-liberalen Regierung beschlosse- zum Vorrang der Verwertung? Wo ist es? ne TASi wie auch das Kreislaufwirtschafts- und Ab- fallgesetz des Bundes weisen den Weg zur vollständi- (Beifall bei F.D.P. und CDU) gen Verwertung. Einmal mehr weist ein Umweltminister des Landes Frau Kollegin Strauß, auch wenn Sie es nicht sagen Schleswig-Holstein den entsorgungspflichtigen Kör- möchten, ich bin immer noch der Meinung, daß die perschaften den Weg in eine kostspielige Sackgasse. christlich-liberale Regierung damit erfolgreich war. Die Körperschaften, die dem Rat von Professor Hey- Vielleicht können wir uns darauf einigen. Die Öffnung demann folgten, haben nun nicht mehr benötigte De- der TASi für alternative Behandlungsverfahren läßt ponien am Hals; folgen sie Minister Steenblock, kom- Zweifel daran aufkommen, daß der Bundesumweltmi- men ebenso überflüssige mechanisch-biologische An- nister meint, was er sagt. lagen hinzu.

Aus Punkt 5 des Eckpunktepapiers läßt sich doch nur (Beifall bei F.D.P. und CDU) folgern, daß einzig die thermische Behandlung von Abfällen mit ihrer Möglichkeit der Erzeugung von Nein, danke! Wir lehnen beide Anträge ab. Fernwärme und Strom die Methode der Wahl ist. Me- (Beifall bei der F.D.P.) chanisch-biologische Anlagen produzieren Material, das in jedem Fall deponiert werden muß. Das ist keine Verwertung. Punkt 5 des Papiers des Bundesumwelt- Vizepräsidentin Dr. Gabriele Kötschau: ministers will die vollständige Verwertung. Das Wort hat Frau Abgeordnete Spoorendonk. Die Politik hat die rechtlichen Rahmenbedingungen zu formulieren. Fehlinvestitionen in überflüssige Ab- Anke Spoorendonk [SSW]: fallanlagen belasten die Bürgerinnen und Bürger und die Betriebe im Land mit unnötigen Gebühren. Schon Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! jetzt, Kollege Matthiessen, produzieren die vier Müll- Daß wir es heute mit geringer werdenden Abfallmen- verbrennungsanlagen in Schleswig-Holstein Fernwär- gen zu tun haben, sollte uns eigentlich freuen. Jedoch me und Strom. Ihre Leistung entspricht der eines hal- bringt diese Tatsache schon seit mehreren Jahren Pro- ben Kernkraftwerks. Die Landesregierung geht dar- bleme mit sich. Wir stehen heute vor der Situation, daß über immer mit Schweigen hinweg. Der Energiebe- wir in unserem Land Überkapazitäten in der Abfall- richt nennt stolz die Leistung der geförderten Biomas- beseitigung haben, insbesondere bei Verbrennungsan- seprojekte, die Wärme und Strom in Höhe von 50.000 lagen und Deponien. Das wissen wir alle. MWh produzieren. Die annähernd zehnfache Leistung Der Grund für die momentane Situation ist in der der Müllverbrennungsanlagen fällt unter den Tisch. Technischen Anleitung Siedlungsabfall - also in der Sie ist ideologisch unerwünscht. Soviel zur Aussage- TASi - von 1993 zu finden. Hier wird unter anderem kraft farbiger Broschüren der rot-grünen Landesregie- gefordert, daß spätestens ab dem Jahr 2005 nur noch rung! vorbehandelte Abfälle gelagert werden dürfen. Eine (Beifall bei der CDU) solche Vorbehandlung läßt sich nach TASi nur mit Verbrennungstechniken erreichen. Auf der Umweltmi- Bunte Bildchen zur Manipulation der Bürger! nisterkonferenz im November wurde einerseits be- schlossen, an den hohen Umweltstandards der TASi Jede kommunale Körperschaft, die in mechanisch- festzuhalten, andererseits hat man sich für eine Wei- biologische Anlagen investiert, tätigt somit eine Fehl- terentwicklung der einsetzbaren Technologien ausge- investition, denn Ziel der Abfallpolitik ist die vollstän- sprochen. Hierzu wurde vom Umweltbundesamt unter dige Verwertung, und dies ist nur durch Verbrennung Berücksichtigung bislang vorliegender Forschungser- zu erreichen. gebnisse und Untersuchungen ein Ergeb- 7170 Schleswig-Holsteinischer Landtag (14. WP) - 95. Sitzung - Freitag, 17. September 1999

(Anke Spoorendonk) nisbericht vorgelegt, der für die Vermeidung und Ver- (Beifall bei SPD und BÜNDNIS 90/DIE wertung von Siedlungsabfällen fünf Eckpunkte vor- GRÜNEN) sieht. Aus Zeitgründen möchte ich hiervon nur zwei Punkte Vizepräsidentin Dr. Gabriele Kötschau: aufgreifen. Neben der bisherigen thermischen Vorbe- handlung von Siedlungsabfällen sollen auch hochwer- Das Wort zu einem Kurzbeitrag nach § 56 Abs. 4 der tige mechanisch-biologische Vorbehandlungsver- Geschäftsordnung hat Frau Abgeordnete Strauß. fahren zugelassen werden, welche sowohl in einer Ergänzung der TASi als auch in einer Rechtsverord- (Irene Fröhlich [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- nung nach dem Bundes-Immissionsschutzgesetz fest- NEN]: Wir gehen auf Mittag zu, Frau Strauß! gelegt werden sollen. Ebenfalls sollen die Deponien Haben Sie Erbarmen mit uns!) geschlossen werden, die nicht oder nur mit unverhält- nismäßigem Aufwand nachzurüsten sind. Roswitha Strauß [CDU]: Wir sehen also, daß sich hinsichtlich einer Öffnung der TASi schon etwas auf Bundesebene tut. Um dieser Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe Sache Nachdruck zu verleihen, unterstützen wir den Frau Abgeordnete Fröhlich, auch das zieht als Folge Antrag der Fraktionen von SPD und BÜNDNIS Abfallprobleme nach sich. Insofern bin ich hier gar 90/DIE GRÜNEN, nicht falsch. (Beifall bei SPD und BÜNDNIS 90/DIE Herr Matthiessen, ich möchte auf das von Ihnen vor- GRÜNEN) getragene Kostenargument eingehen. Es gibt eine in dem die Landesregierung aufgefordert wird, sich für Kleine Anfrage von CDU/CSU- eine zügige Öffnung der TASi bei der Bundesregie- Bundestagsabgeordneten an die Bundesregierung, die rung einzusetzen und den Prozeß zu beschleunigen, vom 15. Juli 1999 datiert. Da wird folgende Frage der im Gange ist. gestellt: Für uns - das möchte ich deutlich sagen - hat eine „Kann die Bundesregierung ausschließen, daß umweltschonende Abfallverwertung Vorrang vor Ab- sich die mengenspezifischen Gesamtkosten fallverbrennung. Der SSW erkennt die ökologischen der Restabfallbeseitigung auf der Grundlage Vorteile von mechanisch-biologischen Abfallbehand- mechanisch-biologischer Abfallbehandlung lungsanlagen im Vergleich zu Müllverbrennungsanla- dann, wenn die Anforderungen an diese gen an. Technologie insbesondere aus Sicht des Im- (Beifall des Abgeordneten Detlef Matthiessen missionsschutzes und des Schutzes des Was- [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) serpfades definiert werden, derart erhöhen, daß diese in der gleichen Größenordnung wie Abschließend möchte ich folgendes zu bedenken geben die der Restabfallbeseitigung auf der Grund- - einen Punkt habe ich noch -: Der Landkreis Schles- lage der thermischen Behandlung liegen?“ wig-Flensburg hat seinerzeit einen Langzeitvertrag mit den Stadtwerken in Kiel abgeschlossen. Dies ist unter Die Antwort lautet: der Voraussetzung der TASi geschehen, die bis zum Jahr 2005 eine Verbrennung von Abfällen vorge- „Es ist davon auszugehen, daß die mengen- schrieben hat. Wenn wir uns für eine zügige Öffnung spezifischen Gesamtkosten einer umweltver- der TASi im Hinblick auf mechanisch-biologische träglichen Restabfallbeseitigung auf der Abfallbehandlungsanlagen einsetzen, sollten wir uns Grundlage mechanisch-biologischer Vorbe- auch die Frage stellen, wie nach einer Öffnung der handlung in der gleichen Größenordnung lie- TASi den Landkreisen geholfen werden kann, wenn gen werden, wie sie derzeit für thermische sie aus ihren Verträgen mit den Betreibern von Ver- Behandlungswege genannt werden. Bei den brennungsanlagen herauskommen möchten, ohne daß Kostenschätzungen für mechanisch-biologi- ihnen solche Schritte mit Androhung von Regreßzah- sche Verfahren bestehen allerdings Unsicher- lungen madig gemacht werden. Wir müssen uns die heiten, da die Anforderungen bei solchen Frage stellen, wie wir den Stadtwerken, die aufgrund Verfahren an Immissionsschutz, Gewässer- der TASi in teure Verbrennungsanlagen investiert schutz und Arbeitsschutz der Beschäftigten haben, helfen können, wenn einige Landkreise ihren sowohl für die Vorbehandlungsverfahren wie Müll nicht mehr zur Verfügung stellen. Es gibt also für die Ablagerung erst noch festgelegt wer- noch einiges zu tun. den müssen.“ Schleswig-Holsteinischer Landtag (14. WP) - 95. Sitzung - Freitag, 17. September 1999 7171

(Roswitha Strauß)

Wenn Sie hier den Eindruck erwecken, das wäre alles Vizepräsidentin Dr. Gabriele Kötschau: schon klar - sowohl finanziell als auch hinsichtlich der Anforderungen -, dann ist das grob fahrlässig. Das Wort zu einem weiteren Kurzbeitrag nach § 56 Abs. 4 der Geschäftsordnung hat Frau Abgeordnete Und es ist grob fahrlässig, an unsere öffentlich- Dr. Happach-Kasan. rechtlichen Entsorgungsträger, die wirklich die Depo- nieüberkapazität im Genick haben - das ist eine Ver- Dr. Christel Happach-Kasan [F.D.P.]: antwortlichkeit der Sozialdemokraten, und ich habe hierbei immer unterschieden zwischen Grünen und Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Ich Sozialdemokraten -, Forderungen zu stellen ohne die möchte es noch einmal ganz deutlich machen: Vor dem Festlegung dieser Dinge. Das ist grob fahrlässig und Hintergrund des Eckpunktepapiers des Bundesum- verantwortungslos. weltministers habe ich meinen Redebeitrag hier for- muliert. Dieses Eckpunktepapier sieht bis 2020 eine (Beifall bei der CDU) vollständige Verwertung der Siedlungsabfälle vor. Vor Frau Dr. Happach-Kasan, ich bin ein bißchen irritiert diesem Hintergrund geht es nicht mehr darum, einfach durch Ihre Argumentation. Ich will gern einräumen, nur den Standard einer Behandlungsanlage zu formu- daß die CDU und die F.D.P. die TA Siedlungsabfall lieren. In diesem Punkt haben Sie recht. Wir wollten erarbeitet und durchgesetzt haben. Aber Ihnen ist ge- Standards formulieren, damit sind wir einverstanden. nauso bekannt wie mir, daß die TA Siedlungsabfall Schadstoffgrenzen und Standards festlegt. Es war mir Vor dem Hintergrund des Eckpunktepapiers des Bun- immer ein Anliegen, nicht in diesen ideologischen desumweltministers, der deutlich macht, Ziel ist die Blödsinn und in Technikfeindlichkeit zu verfallen, wie vollständige Verwertung, komme ich zu dem Schluß, es auf der linken Seite der Grünen dieses Hauses stän- daß es mit einer mechanisch-biologischen Behandlung dig betrieben wurde, indem diese Frage immer auf eben nicht getan ist, weil sie in jedem Fall, ob es nun Anlagentechnik verkürzt worden ist. Das ist nicht Stil deponiefest ist oder nicht, Material produziert, das der CDU. Wir sind für jede technische Entwicklung, deponiert werden muß. Von daher kann diese Methode aber unter der Prämisse, daß die Schadstoffgrenzen den Ansprüchen, die der Bundesumweltminister for- eingehalten werden. muliert hat, nicht genügen.

(Lothar Hay [SPD]: Sie sind für wirklich jede Von daher meine ich, daß wir unseren kommunalen technische Entwicklung?) Körperschaften den Weg weisen sollten, mit dem sie auch im Jahre 2020 bestehen werden. Sie wissen, wie - Entschuldigung, Herr Hay, wir sind beim Bereich der lange es dauert, solche Anlagen zu errichten. Daher Abfallwirtschaft. Das ist eine Unterstellung übelster meine ich, daß wir auf der einen Seite den eingeschla- Art. genen Weg - Biotonne für die rohstoffliche Verwer- tung von Biomasse - weitergehen sollen - der Bericht, (Lothar Hay [SPD]: Ich habe nur nachge- den ich zu diesem Zweck angefordert habe, hat dies fragt!) gezeigt - und auf der anderen Seite bei den Reststof- fen, die rohstoffliche Verwertungen nicht ermöglichen, Wir sind für technische Entwicklungen, die diese eine energetische Verwertung anstreben. Das ist mein Schadstoffgrenzen jederzeit gewährleisten. Ich möchte Ziel: energetische Verwertung, nicht einfach in die dazu eines sagen: Es wäre wirklich wünschenswert, Luft blasen. Ich hoffe, daß ich dafür die Mehrheit des auch in Anbetracht der Situation in diesem Land, daß Hauses bekomme. wir uns endlich von ideologischen Argumenten verab- schieden. Das geht an die linke Seite des Hauses, ich (Beifall bei der F.D.P.) bin hier ganz eindeutig und klar. Am Ende - und das muß man ganz klar und nüchtern Vizepräsidentin Dr. Gabriele Kötschau: sehen - werden die öffentlich-rechtlichen Entsor- gungsträger diese Frage über die Wirtschaftlichkeit Das Wort hat Herr Minister Steenblock. entscheiden. Das, was im Augenblick im Lande läuft, daß ausgeschrieben wird, ist eine ganz normale Ge- Rainder Steenblock, Minister für Umwelt, Natur und schichte. Nur das sichert dem Bürger zu, daß über die Forsten: Kostenermittlung letztlich die Entscheidungen fallen; denn er zahlt schließlich die Gebühren, niemand sonst. Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Als Umweltminister dieses Landes begrüße (Beifall bei der CDU) ich ganz ausdrücklich, daß der Bundesumweltminister 7172 Schleswig-Holsteinischer Landtag (14. WP) - 95. Sitzung - Freitag, 17. September 1999

(Minister Rainder Steenblock) seine Eckpunkte vorgelegt hat. Damit ist endlich wie- brennungstechnologie setzen, läßt sich mittlerweile der Bewegung in die abfallpolitische Debatte auch auf schon recht gut quantifizieren. Bundesebene gekommen. Es freut mich natürlich auch aus dem Grunde, weil in den Punkten, die Trittin auf- Deshalb sollten wir die technologischen Möglichkei- genommen hat, im wesentlichen die Politik, die Rot- ten, die eine weitergehende Abfallwirtschaft bei hohen Grün hier in Schleswig-Holstein als Abfallpolitik Standards bietet, nutzen. Die Chance, auch weiterhin definiert hat, nun auch auf Bundesebene ihre Fortset- die Deponien, die wir hier haben, mit hohen Standards zung findet. Das, was wir seit 1996 hier formulieren, zu betreiben, sollten wir uns nicht entgehen lassen. scheint sich nun auch auf Bundesebene positiv durch- Deshalb bin ich dem Bundesumweltminister ausge- zusetzen. Das bedeutet eine Ergänzung der sprochen dankbar. TA Siedlungsabfall, natürlich mit den Standards, die dort gesetzt sind. Niemand in dieser Republik - dar- (Beifall bei SPD und BÜNDNIS 90/DIE über bin ich sehr froh - will von diesen Standards GRÜNEN) herunter; das ist nicht das Problem, und das sollten wir auch beibehalten. Ein zweiter Punkt ist die Ausschleusung heizwertrei- Frau Strauß, Sie haben angedeutet, daß diese Debatte cher Fraktionen. Auch dies ist angedeutet worden. um die TA Siedlungsabfall nicht ideologisch behaftet Auch dies können Sie schon als Bestandteil des Ab- sein soll, sondern sie soll das Ringen um die Entwick- fallwirtschaftsplans des Landes Schleswig-Holstein - lung von technologisch innovativen Konzepten sein, der Kabinettsbeschluß 1998 hat das deutlich gemacht - die am angemessensten sind, genau die Kriterien, die nachlesen. Sie sind auch in dem kürzlich veröffent- in der TASi formuliert sind, nämlich nachsorgearme lichten Merkblatt über die Anforderungen an mecha- Deponie, möglichst setzungsfreie Deponie, zu errei- nisch-biologische Abfallbehandlung und deren an- chen. Wer sich dort, Frau Happach-Kasan, selber schließende Ablagerung konkretisiert worden. Gerade Denkblockaden auferlegt, ist zumindest sehr nahe dieses Merkblatt ist entstanden aus der Sorge der öf- daran, ideologieorientiert zu arbeiten und die Ideologie fentlich-rechtlichen Entsorgungsträger in Schleswig- in den Vordergrund zustellen. Holstein, daß entsprechende Anträge über den magi- schen Zeitraum von 2005 nicht genehmigt werden. Wir (Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) schaffen hier Klarheit für die Entsorgungsträger, daß Die Crux der TA Siedlungsabfall war immer die, daß sie mit ihren modernen Deponiekapazitäten auch wei- sie ihre Standards mit einem nur sehr eingeschränkten terhin den Abfall in diesem Land entsorgen können. Teil von Parametern kontrollierbar machen wollte. Die beiden Parameter, um die es hier geht - TOC und Wir haben gesagt, daß es nur wenige sind, die diese Glühverlust -, sind nicht die Parameter, die diese Stan- Standards erfüllen. Aus meiner Sicht ist das Niemark dards definieren, sondern das sind die Parameter, die mit den Veränderungen, Damsdorf und Neumünster, diese Standards nur für Verbrennungsanlagen zulas- Wittorfer-Feld. Mit diesen Deponien haben wir sen. Das ist der Fehler der TA Siedlungsabfall gewe- hochmoderne Anlagen, die auch über das Jahr 2005 sen. hinaus zur Verfügung stehen sollen. Wir haben die Verbrennungsanlagen auf schleswig-holsteinischem (Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Boden, die ihren Teil zur Entsorgung beitragen, und Deshalb kommt es darauf an, in Zukunft zusätzliche wir werden als dritte Säule die mechanisch- Parameter, die diese hohen Standards halten, dazu zu biologischen Anlagen auf hohem technologischem definieren. Das ist die Absicht des BMU. Das haben Standard haben. Dieses Konzept ist aus meiner Sicht wir schon immer sehr deutlich gefordert. Es geht um angemessen, um die Abfallprobleme des Landes zu Atmungsaktivität etwa als Parameter, es geht darum, lösen. Es ist ein multivariables Konzept, das nicht den Gärtest als Verfahren einzuführen, der genau dies ideologisch verhärtet auf Verbrennung orientiert ist. auch beschreiben kann. Hier sollten wir nicht solche Denn die, die das gemacht haben - man sehe sich technologischen Entwicklungen, die auch für die Ge- Hamburg an -, stehen jetzt vor erheblichen Problemen, bührenzahler relevant sein können, verhindern. Die dies ihren Gebührenzahlerinnen und Gebührenzahlern Entwicklung, die wir jetzt haben, führt doch dazu, daß klarzumachen. Deshalb bin ich sehr für flexible Lö- die Überkapazitäten, die es nicht nur in Schleswig- sungen, für zukunftsorientierte Lösungen, die techno- Holstein gibt - das ist eine bundesweite Debatte -, zur logische Innovationen nicht hemmen, sondern fördern, Zeit in Gefahr sind brachzuliegen, daß neue Deponien und das machen die MBA. mit hohen Standards in der ganzen Bundesrepublik nicht mehr genutzt werden. Welcher volkswirtschaftli- (Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN che Schaden dadurch entsteht, daß wir nur auf Ver- und SPD) Schleswig-Holsteinischer Landtag (14. WP) - 95. Sitzung - Freitag, 17. September 1999 7173

Vizepräsidentin Dr. Gabriele Kötschau: Heinz-Werner Arens, Landtagspräsident: Weitere Wortmeldungen liegen mir nicht vor. Ich schließe damit die Beratung. Es ist Abstimmung in der Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Sache beantragt worden. Ich schlage vor, alternativ Herren! Ich habe Ihnen meinen Bericht zugeleitet und abzustimmen. Gibt es dagegen Widerspruch? - Das ist brauche ihn hier deshalb nicht zu verlesen. Ich will nicht Fall. mich auf zwei wesentliche Anmerkungen beschränken. Zunächst einmal möchte ich zum konkreten Vorschlag Dann lasse ich zunächst über den Ursprungsantrag der selbst gern klärend darauf hinweisen, daß die Ange- Fraktionen von SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- messenheit der Diät, der ja nicht nur der Landtagsprä- NEN, Drucksache 14/2382, abstimmen. Wer dem sident in seinem Bericht und seinem Vorschlag ver- zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. - Dann pflichtet ist, sondern der wir alle verpflichtet sind, der brauche ich über den Änderungsantrag der CDU gar Entschädigung, der Aufwandsentschädigung, viele nicht mehr abstimmen zu lassen, weil dies mit den Bestandteile enthält - nicht nur die Diät, nicht nur die Stimmen der Fraktionen von SPD, BÜNDNIS 90/DIE Funktionszahlungen und auch nicht nur die Mitarbei- GRÜNEN - - terzahlung, sondern beispielsweise auch die Altersver- (Meinhard Füllner [CDU]: Bei alternativer sorgung, die Übergangsbezüge, Tagegelder, Reiseko- Abstimmung müssen Sie über beide Vorlagen sten und so weiter. Dazu gehören also auch die einzel- abstimmen lassen!) nen Bestandteile. - Gut. Dann lasse ich jetzt über den Änderungsantrag der Fraktion der CDU, Drucksache 14/2404, abstim- Wenn ich einen Vorschlag gemacht habe, der besagt, men. Wer dem zustimmt, den bitte ich um das Hand- daß die Diät zum 1. Januar 2000 um 1,5 % erhöht zeichen. werden sollte, daß die Funktionszahlungen ebenfalls um 1,5 % erhöht werden sollten und daß die Mitar- (Dr. Ekkehard Klug [F.D.P.]: Wir möchten beiterzahlungen adäquat der Einkommensentwicklung gegen beide stimmen!) um 70 DM im Monat angehoben werden sollten, dann - Damit ist der Antrag der Fraktionen von SPD und ist mein Verständnis nach allen Grundlagen, die wir BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN mit den Stimmen der haben, daß ich Ihnen damit vorschlage, die Angemes- Fraktionen von SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN senheit der Diät so zu formulieren, daß der Status und SSW angenommen. quo, auf dem wir uns befinden, hergestellt wird, nicht weniger, aber auch nicht mehr. Ich glaube, das ist in Meine Damen und Herren, ich stehe vor folgendem der momentanen Situation auch der richtige und einzi- Problem: Wir wollen vor der Mittagspause noch den ge Weg, den man gehen kann und den man gehen muß. Bericht des Landtagspräsidenten über die Angemes- senheit der Entschädigung sowie der Aufwandsent- schädigung der Abgeordneten, den Diätenbericht, Daß wir uns diese Entscheidung nicht leichtmachen aufrufen. Die Frage ist, ob wir den Punkt jetzt gleich vor dem Hintergrund aller gesellschaftlichen Ent- behandeln oder ob wir zunächst den Bericht der Lan- wicklungen, ist auch klar. Aber ich will an dieser desregierung zur biologischen Behandlung und Ver- Stelle auch einmal sehr bewußt darauf hinweisen, daß wertung von Bioabfällen, Tagesordnungspunkt 34, eben unser Einkommensgefüge, das unser Mandat als behandeln sollen. Wenn wir diesen Bericht der Lan- Entschädigung vorsieht, mit nichts, aber auch mit kei- desregierung jetzt behandelten, würde das allerdings ner anderen Einkommensart in der Bevölkerung ver- bedeuten, daß wir in die Zeit der Mittagspause hinein- gleichbar ist. Diese Entscheidung werden wir auch in gehen müßten. Zukunft selbst treffen müssen. - Dies als eine erste Anmerkung! (Zurufe: Diätenbericht! Erst den Diätenbe- richt!) Jetzt gestatten Sie mir eine zweite Anmerkung. Das - Gut, damit rufe ich mit Ihrer Zustimmung jetzt Ta- macht mir Sorge: Seit Jahren bemühen wir keine gesordnungspunkt 37 auf: Sachverständigenkommission mehr in der Beratung; Bericht des Landtagspräsidenten gemäß § 28 des die letzte haben wir 1994 bestellt. Diese Sachver- Schleswig-Holsteinischen Abgeordnetengesetzes ständigenkommission hatte festgestellt, daß wir in über die Angemessenheit der Entschädigung sowie den Strukturen unseres Einkommens nicht mehr zeit- der Aufwandsentschädigung der Abgeordneten gemäß sind. Wir haben aber aus Rücksicht auf das Drucksache 14/2393 Bundesverfassungsgerichtsurteil, das sich auf wesent- Ich erteile dem Herrn Landtagspräsidenten das Wort. liche Teile der Strukturen unserer Entschädigung be- zieht, immer wieder gesagt, wir wollen im Respekt 7174 Schleswig-Holsteinischer Landtag (14. WP) - 95. Sitzung - Freitag, 17. September 1999

(Landtagspräsident Heinz-Werner Arens) vor dem Bundesverfassungsgericht diesen Spruch Ich möchte dies wirklich so formulieren. Ich halte das abwarten, und dann werde es notwendig sein, einmal auch nicht für ein Kneifen, sondern ich halte das für durch unabhängige Sachverständige begutachten zu eine Selbstverständlichkeit, wenn eine Legislaturperi- lassen, wie unsere Versorgungsbezugsstruktur noch in ode zu Ende geht, auch ein wenig auf den Weg der diese - ich sage das so - Welt paßt. Die hat ja auch nächsten Legislaturperiode zu legen, ohne diese - das etwas mit der Attraktivität des Mandats, das ja auch ist selbstverständlich - verpflichten zu können. im Interesse der Gesamtbevölkerung liegt, zu tun. Das ist in diesem Jahr mein Bericht zur Angemessen- Ich muß ganz ehrlich sagen: Nachdem in diesem Jahr heit der Diäten. Ich gebe ihn vertrauensvoll in die wieder eine Aussage von Karlsruhe vorlag, noch in Ausschußberatungen und hoffe, daß wir zu guten Be- diesem Jahr 1999 werde ein Spruch ergehen, will ich schlüssen kommen werden. diesem vertrauen. Das muß ich ja auch. Aber bei allem Respekt vor dem Bundesverfassungsgericht: Wenn (Beifall bei SPD, CDU und F.D.P.) dieser Spruch nicht erfolgt - so kann ich nur am Ende dieser Legislaturperiode sagen -, wird das Parlament Vizepräsidentin Dr. Gabriele Kötschau: unabhängig davon zu Beginn der nächsten Legislatur- Eine Aussprache ist nicht vorgesehen. Ich stelle fest, periode eine Sachverständigenkommission einsetzen daß der Landtag den Bericht des Herrn Landtagspräsi- müssen. denten zur Kenntnis genommen hat. (Beifall bei SPD, CDU, BÜNDNIS 90/DIE (Widerspruch) GRÜNEN und der Abgeordneten Anke Spoo- rendonk [SSW]) - Herr Abgeordneter Astrup!

Ich denke, das sind wir unserem Mandat auch schul- Holger Astrup [SPD]: dig. Wir haben wirklich lange genug dem Bundesver- fassungsgericht den Vortritt gelassen, wie es sich ge- Ich bitte um Überweisung in den Finanzausschuß, hört. Frau Präsidentin!

Ich will an dieser Stelle nur einmal auf zwei Tatbe- Vizepräsidentin Dr. Gabriele Kötschau: stände hinweisen: Wenn vorgeschlagen wird, be- Gut, Überweisung in den Finanzausschuß! Wer dem stimmte Diäten, bestimmte Einkommensteile um 1,5 % zustimmen will, den bitte ich um das Handzeichen. - anzuheben, heißt das ja nicht, daß der - so sage ich Gegenstimmen! - Enthaltungen? - Es ist einstimmig so jetzt einmal - Gesamtlohn um 1,5 % angehoben wird. beschlossen. Seit fünf Jahren ist die Aufwandsentschädigung in Höhe von 1.600 DM für durchlaufende Kosten, die so Ich denke, wir können jetzt noch den Tagesordnungs- in der Höhe der Einnahme auch für Aufwand ausgege- punkt 34 behandeln. ben werden, festgefroren, obwohl in diesen fünf Jahren (Widerspruch) - auch das habe ich gesehen - die Sachkosten beständig gestiegen sind. Trotzdem haben wir gesagt, wir packen - Herr Abgeordneter Astrup zur Geschäftsordnung! die Struktur nicht an. Oder ich nenne ein „Fossil“ unserer Entschädigung, Holger Astrup [SPD]: das Tagegeld. Es ist seit 25 Jahren festgefroren. Wir Frau Präsidentin, mit Blick auf die Uhr empfehle ich, alle sind uns darüber einig: Es paßt als Tagegeld so daß wir jetzt noch, soweit sie noch ausstehen, Tages- nicht mehr in die Landschaft. Nur, das sind eben Be- ordnungspunkte behandeln, zu denen eine Aussprache standteile, die haben wir liegenlassen, weil sie nicht nicht vorgesehen ist. mehr angepaßt werden sollten. Dies muß einmal grundsätzlich, und zwar nicht nur von uns, sondern Vizepräsidentin Dr. Gabriele Kötschau: auch von Vertretern aus der Gesellschaft heraus be- gutachtet werden, welche Vorschläge uns zur Verbes- Die gibt es nicht mehr. - Dann treten wir jetzt in die serung, zur zeitgemäßen Ausgestaltung unserer Struk- Mittagspause ein. Ich wünsche Ihnen eine gute Mit- tur gemacht werden können. Das allerdings sollten wir tagspause. Die Sitzung wird um 15:00 Uhr mit dem nicht selbst leisten, sondern dazu sollten wir uns schon Tagesordnungpunkt 36, Bericht der Enquetekommissi- des Sachverstandes bedienen. Entscheiden müssen wir on „Chancen und Risiken der Gentechnologie“, wie- am Schluß selbst. dereröffnet werden. (Beifall bei CDU, SPD und BÜNDNIS Die Sitzung ist unterbrochen. 90/DIE GRÜNEN) (Unterbrechung: 12:49 bis 15:01 Uhr) Schleswig-Holsteinischer Landtag (14. WP) - 95. Sitzung - Freitag, 17. September 1999 7175

Präsident Heinz-Werner Arens: „... Chancen und Risiken der Gentechnologie durch eine kritische Bestandsaufnahme der Meine Damen und Herren, die Sitzung ist wiederer- Debatte über ethische Grundsätze und öffnet. Grundlagen dieser Technologie und der Dar- Ich rufe Tagesordnungspunkt 36 auf: stellung ihrer aktuellen Entwicklung unter ökologischen, ökonomischen, rechtlichen, ge- Bericht der Enquetekommission „Chancen und sellschaftlichen und Sicherheitsgesichtspunk- Risiken der Gentechnologie“ beim Schleswig- ten aufzuzeigen. Insbesondere sollten dabei Holsteinischen Landtag Empfehlungen für die Arbeit des Landtags Landtagsbeschluß vom 26. September 1996 und der Landesregierung formuliert werden.“ Drucksachen 14/223, 14/266 und 14/272 Bericht der Enquetekommission Drucksache 14/2373 (neu) Dabei war auf die verschiedenartigen Bereiche der Anwendung und der denkbaren Anwendung von Gen- Ich erteile das Wort zunächst dem Vorsitzenden der technik Bezug zu nehmen. Von der Genomanalyse von Enquetekommission, Herrn Abgeordneten Weber. Pflanzen bis zur Gentherapie beim Menschen, von der Umweltsanierung durch gentechnisch veränderte Mi- Jürgen Weber [SPD]: kroorganismen bis zur Implementierung von Technik- Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen! Die folgenabschätzungen reichte der Bereich, mit dem wir Enquetekommission „Chancen und Risiken der uns befaßt haben. Gentechnologie“ legt nach zweieinhalb Jahren Arbeit in insgesamt 23 Sitzungen mit über 130 Sitzungs- stunden - davon zwölf Anhörungen von 40 Experten Der vorliegende Bericht spiegelt - wen wird es wun- aus Hochschulen, Behörden, Unternehmen, Verbänden dern? - den Grundkonflikt über Sicherheit, Sinn und sowie Vertretern der Landesregierung - ihren Ab- Nutzen der Gentechnik wider. Gleichzeitig gibt er aber schlußbericht vor. auch in 78 konkreten Empfehlungen eine Vielzahl Neben sechs Abgeordneten unseres Landtags haben von Hinweisen für künftiges Handeln zum Themen- acht Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, die komplex Gentechnologie in Schleswig-Holstein. auf Vorschlag der Fraktionen berufen wurden, ihren Sachverstand in die Arbeit der Kommission einge- bracht. Ich möchte an dieser Stelle die Gelegenheit Viel Zeit ist in der Kommission auf Fragen des Proce- nutzen, den Professores Jung, Hanneforth, Kollek und dere verwandt worden: vom Arbeitsprogramm bis zur Schlegelberger sowie den Doktores Idel, Frauen, Pe- Form der Berichterstattung. Die schließlich gefun- ters und Wilkens ausdrücklich im Namen des Landtags dene Form der Sachstandsberichte in der Verantwor- für ihre Arbeit in der Kommission zu danken. tung der Berichterstatter - zum Teil ergänzt durch mittragende oder ablehnende Voten oder auch ergänzt (Beifall im ganzen Haus) durch alternative und/oder ergänzende Papiere, zum Einige dieser Damen und Herren haben jetzt in der zweiten aber auch durch Bewertungen, die ebenfalls in Loge Platz genommen. Herzlich willkommen hier im die Verantwortung der jeweiligen Autorinnen und Parlament! Autoren fallen, schließlich durch Empfehlungen, die abgestimmt und gegebenenfalls durch Minderheitsvo- An dieser Stelle gebührt Dank auch Frau Dr. Richter ten ergänzt wurden - mag vielleicht nicht jeden voll- und Herrn Dr. Weß, die uns jeweils zeitweise als wis- ends zufriedenstellen, sie stellt aber eine transparente senschaftliche Mitarbeiter zur Seite standen. Last, but Darstellung der Inhalte und Auffassungen und damit not least möchte ich an dieser Stelle auch einmal die auch eine faire Präsentation dar, mit der sich weiterar- Mitarbeiter der Landtagsverwaltung nennen, die in beiten läßt und von der sich eine über die Kommissi- wahrlich nicht geringem Ausmaß durch Protokollie- onsarbeit hinausgehende Meinungsbildung und Ent- rung, durch Vor- und Nachbereitung der Kommissi- scheidungsfindung in Gang setzen lassen. onssitzungen in Anspruch genommen worden sind. Auch ihnen herzlicher Dank an dieser Stelle! (Beifall im ganzen Haus) (Beifall bei SPD und SSW) Meine Damen und Herren, Grundlage der Arbeit war der Einsetzungsbeschluß des Landtags vom 23. Au- gust 1996, der aufgab - ich zitiere -: Ich möchte an dieser Stelle auf Ausführungen zu di- versen Anwürfen nicht eingehen. Das könnten eh 7176 Schleswig-Holsteinischer Landtag (14. WP) - 95. Sitzung - Freitag, 17. September 1999

(Jürgen Weber) nur Insider verstehen. Ich möchte aber sagen, daß es den Verweisen finden. Man muß den Bericht nicht ein Versehen beziehungsweise Mißverständnis mei- unbedingt loben, aber man sollte ihn ausführlich und nerseits gewesen ist, daß bei der Präsentation des Be- ernsthaft auswerten. Diese Aufgabe können und wol- richts der stellvertretende Vorsitzende der Kommissi- len wir den Fraktionen und der Landesregierung nicht on, Herr Professor Jung, nicht eingeladen worden war. ersparen. Dafür habe ich mich an dieser Stelle zu entschuldigen, Herr Jung! (Beifall im ganzen Haus)

Ich will kurz ein paar Punkte erwähnen, die Anlaß zu Präsident Heinz-Werner Arens: weiterer Diskussion bieten sollten und über die wir in den Debatten der einzelnen Fraktionsmitglieder nach- Wortmeldungen zum Bericht sehe ich nicht. - Dann her noch sprechen werden. werden wir in die Aussprache eintreten. Ausgehend von der Einsicht, daß sich die Gentechnik Bevor ich das Wort weiter erteile, möchte ich auch zu einer Schlüsseltechnologie aller Lebenswissen- von dieser Stelle aus Gelegenheit nehmen, mich aus- schaften entwickelt hat, schlägt die Kommission - drücklich bei den Mitgliedern der Enquetekommission übrigens in weiten Passagen einmütig - vor, einen sehr herzlich für diese fleißige und umfangreiche Ar- Ausbau der Forschungskapazitäten in Schleswig- beit zu bedanken, insbesondere bei dem Vorsitzenden, Holstein in diesem Bereich vorzunehmen. Das unserem Herrn Abgeordneten Weber, und bei Herrn schließt Grundlagenforschung, Begleitforschung bei Professor Dr. Jung. Mein Dank gilt aber nicht nur den der Anwendung der Gentechnik und Technikfolgenab- Abgeordneten und den Mitgliedern, sondern selbstver- schätzung ein. Sie macht übrigens auch Vorschläge ständlich auch denjenigen Mitgliedern, die nicht Ab- zur Etablierung und Verbesserung von Beratung, In- geordnete sind. Wir als Parlament sind für unsere formation, Datenschutz und Wissensvermittlung. Beratungen und Beschlußfassungen auf sachkompe- tente Zuarbeit angewiesen und organisieren diese in Während die Kommission mehrheitlich eine stärkere Form von Enquetekommissionen. Dies ist einer der Nutzung der Gentechnik im Bereich der Humangenetik Höhepunkte unserer Arbeit. Nochmals herzlichen in verschiedenen Einzelpunkten durchaus befürwortet, Dank für Ihre Arbeit! Wir werden sie sicherlich sehr bestätigt sich andererseits mehrheitlich die ablehnende sorgfältig auswerten. Haltung der Landesregierung zu Freisetzungen und Inverkehrbringen von gentechnisch veränderten Orga- (Beifall im ganzen Haus) nismen in Schleswig-Holstein. Die Aussprache ist eröffnet. Ich erteile Herrn Abge- Ich möchte an dieser Stelle dazu einen Hinweis geben. ordneten Storjohann das Wort. Die Kommission hat eine große Zahl von wirklich hochkarätigen Sachverständigen hören können. Zudem Gero Storjohann [CDU]: hat die Landesregierung der Kommission umfangrei- che Informationen und Sachstandsberichte zur Verfü- Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und gung gestellt. Daraus hat sich eine umfangreiche Ma- Herren! Dem Thema in dieser Debatte gerecht zu terialsammlung ergeben, die im Anhang des Berichts werden, ist ein unmögliches Unterfangen. Was bleibt, auch bibliographiert ist. Im Interesse der Sache sollte ist eine punktuelle Betrachtung. der Landtag einen Weg finden, diese Informationen und Standpunkte, soweit es geht, auch der Öffentlich- Im Koalitionsvertrag dieser Regierung wurde der keit zugänglich zu machen. Dissens in der Gentechnik festgeschrieben. Dieser Dissens hat sich nun auch auf die Enquetekommission (Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) übertragen. Wer den Bericht liest, wird das auch fest- stellen. Gelöst wurde er nicht, aber es wurde angeregt, Eine abschließende Bemerkung zu dem Bericht, bevor den Diskurs doch in geeigneter Form fortzuführen. wir in die inhaltliche Diskussion einsteigen können! Es Das hat hier eben auch der Vorsitzende gesagt. Es ist mag in das eine oder andere Kalkül passen, daß die aber nicht die eigentliche Aufgabe einer Enquete- Arbeit der Kommission und die Ergebnisse lediglich kommission, Anstöße zu geben, sondern sie soll kon- als ein Steinbruch zur Bestätigung der jeweils vorge- krete Handlungsempfehlungen für die Landesregie- faßten Meinung angesehen werden. Ich bin aber über- rung erarbeiten. zeugt: Wer sich intellektuell redlich und mit der Be- reitschaft zum sachlichen Diskurs mit unserem Bericht (Beifall bei CDU und F.D.P.) auseinandersetzt, wird eine Vielzahl von Anregungen, von bedenkenswerten Vorschlägen, von lehrreichen Deshalb komme ich darauf zurück, daß es die CDU- Informationen und schließlich von erkenntnisbringen- Fraktion war, die gesagt hat: Wir benötigen keine Schleswig-Holsteinischer Landtag (14. WP) - 95. Sitzung - Freitag, 17. September 1999 7177

(Gero Storjohann)

Enquetekommission, um Handlungsempfehlungen für „Eine Datenspeicherung in medizinischen die Landesregierung zu erarbeiten. Zeitgründe, Zu- Registern ist grundsätzlich auszuschließen.“ ständigkeitsgründe und Kostengründe sprechen für andere Möglichkeiten. Wir lagen mit unserer damali- Das ist die Formulierung, die auch im Bericht des gen Einschätzung richtig. Vorsitzenden sowie in der Presseerklärung ihren Nie- derschlag findet. Nach zweieinhalb Jahren Beratung gab es wenig bahnbrechende Empfehlungen, auf Schleswig-Holstein Wir haben in der letzten Ausschußberatung das Wort bezogen. Geschätzte Kosten von 264.000 DM waren „grundsätzlich“ hinzugefügt. Man kann dieses Wort das Ergebnis. mißverstehen. Wir haben dann ergänzt, daß es für die klinisch-medizinische Forschung unerläßlich ist, daß Die Entwicklung in der Gentechnologie - das haben die Speicherung genetischer Daten nicht behindert wir in der Enquetekommission immer wieder festge- werden darf. Auf diese Feststellung lege ich großen stellt - ist so rasant, daß wir bei der Berichtsberatung Wert. davon ausgehen konnten: Sobald die Drucklegung erfolgt ist, sind die Daten schon veraltet. (Beifall bei CDU und F.D.P.) Unabhängig davon ist festzustellen: Die Mitarbeit in Im Lichte der weltweiten Entwicklung sollte die Lan- der Enquetekommission hat wohl allen Mitgliedern desregierung ihre ablehnende Haltung gegenüber Spaß gemacht. Manchmal hat sie auch Frust hervorge- transgenen Pflanzen revidieren. Obwohl sich trans- rufen. Sie war lehrreich, und es war interessant. Das gene Pflanzen in Tausenden von Feldversuchen - bis ist das persönliche Empfinden eines Mitglieds der 1997 waren es über 25.000 - als sicher erwiesen ha- Enquetekommission. ben, fährt diese Landesregierung weiterhin einen ande- ren Kurs. Die Kommission hat dazu eine Empfehlung Es war aber äußerst schwierig, Sitzungstermine zu gegen das Minderheitsvotum gegeben. finden, an denen alle Mitglieder dabei sein konnten. Die Erwartungshaltung über die zeitliche Beanspru- Ich zitiere weiter: chung bei der Berufung war sicherlich eine andere. „Schleswig-Holstein soll sich bundes- und Deshalb spreche ich einen besonderen Dank an die europaweit für die Schaffung allgemeingülti- Mitarbeiter und die Mitglieder der Enquetekommission ger, harmonisierter Ausschlußkriterien für die aus, besonders an diejenigen Sachverständigen, die Freisetzung und das Inverkehrbringen gen- von der CDU-Fraktion benannt worden sind: Professor technisch veränderter Organismen einsetzen.“ Schlegelberger, Dr. Frauen, Professor Jung und Dr. Wilkens. Diese Formulierung wurde mehrheitlich angenommen. (Beifall bei CDU und F.D.P.) „Mehrheitlich“ bedeutet immer: nicht einstimmig. Einen besonderen Dank spreche ich auch an Professor Meine Bewertung ist: Es handelt sich um eine Kau- Jung für die Wahrnehmung der Funktion des stellver- gummiformulierung, die wenig konkret ist, die nur den tretenden Vorsitzenden aus. kleinsten gemeinsamen Nenner darstellt. Ich möchte das belegen. Zum Beispiel kann die Veränderung Um so ärgerlicher ist die Stilfrage, die sich bei der ökologisch relevanter Eigenschaften bei Pflanzen Abschlußpressekonferenz ergeben hatte, wo Professor durchaus sinnvoll sein. Darunter fallen Kälte-, Hitze- Jung gern dabeigewesen wäre, was auch verständlich oder Salzresistenz. Die Beispiele sind bekannt: Be- ist. Wir hatten nämlich unterschiedliche Auffassungen, kämpfung des Hungers mit Pflanzen, die auch in es gab Minderheitsvoten. Daher wäre es besser gewe- Grenzregionen trotz Kälte oder Hitze noch gedeihen sen, wenn die Pressekonferenz durch den Vorsitzenden können. und den Stellvertreter gemeinsam durchgeführt worden wäre. Das folgende Beispiel wurde auch von der Landesre- gierung gebracht. Die Landesregierung steht hinter Jetzt einige Schlaglichter! Die Kommission sieht Re- dem Beispiel. Der Aralsee von der Größe Deutsch- gelungsbedarf bei Gentests. Hierzu zitiere ich: lands trocknet aus. „Die Erhebung und Verarbeitung von Daten (Konrad Nabel [SPD]: Durch menschliche über erbliche Veranlagung durch Versiche- Fehler!) rungen und Arbeitgeber muß ausgeschlossen werden.“ - Ja, durch die Bewässerung! - Die ehemaligen Was- serflächen, die jetzt trocken liegen, versalzen. Hier Die Kommission formuliert weiter: kann man nach meiner Auffassung salzresistente 7178 Schleswig-Holsteinischer Landtag (14. WP) - 95. Sitzung - Freitag, 17. September 1999

(Gero Storjohann)

Pflanzen zum Einsatz kommen lassen, damit dieses in der Grundschule sollte die Wissensvermittlung über von der UNO zum Katastrophenbereich erklärte Ge- biotechnische Verfahren wie Brot- und Käseherstel- biet in den nächsten hundert Jahren eine Humusschicht lung oder die Sauerkrautherstellung möglich sein. In bekommt. Das sind Chancen, die wir nutzen und nicht der Sekundarstufe I und II ist die Vermittlung von verstreichen lassen sollten. Grundlagenwissen notwendig, und das regen wir ein- stimmig an. Damit einhergehen muß die Lehrerfortbil- (Beifall bei CDU) dung, das ist selbstverständlich. Über die wirtschaftliche Bedeutung der Biotechno- (Beifall der Abgeordneten Dr. Christel Hap- logie und speziell der Gentechnik in Norddeutschland pach-Kasan [F.D.P.]) liegen nur wenige Daten vor. In Niedersachsen sind seit 1995 29 Unternehmen neu gegründet worden, in Wir möchten Anreize schaffen, damit sich die Wissen- Hamburg drei Unternehmen und in Schleswig-Holstein schaftler medial fortbilden, um ihr Wissen der breiten ein Unternehmen. Daten über Arbeitnehmer und För- Bevölkerungsschicht mitteilen. Wir können uns da dermittel für Schleswig-Holstein lagen uns nicht vor. zum Beispiel eine Zusammenarbeit mit der Universi- Für Hamburg und Schleswig-Holstein zusammen gibt tätsgesellschaft vorstellen. es 100 Mitarbeiter, die in solchen Unternehmen be- schäftigt sind. Insgesamt sind bisher 12 Millionen DM (Vereinzelter Beifall bei der CDU) an Fördermitteln geflossen. Als Fazit halte ich fest: Was hat die Enquete nun an Fazit für Schleswig-Holstein: Während sich die Bio- Empfehlungen erarbeitet, die man nicht anders, technologie im Aufwand befindet, ist in Schleswig- schneller und kostengünstiger hätte haben können? - Holstein erst ein schwaches Wachstum erkennbar. Der Streit um die Sachstandsberichte machte deutlich, Deshalb sollten wir die Bio-Initiative Nord ausbauen. wie Empfehlungen der Beliebigkeit untergeordnet werden können. Die Reduzierung des Themas auf (Beifall bei der CDU) Schleswig-Holstein fiel uns schwer. Einerseits ist die Für anwendungsbezogene Projekte sollten weiterhin Zuständigkeit und damit die Handlungskompetenz der Fördermittel gegeben werden. Die Beratung von jun- Landesregierung minimal, andererseits ist die Gen- gen Wissenschaftlern zur Erreichung der Selbständig- technik in Schleswig-Holstein erst ein zartes keit sollte erleichtert werden; die Selbständigkeit muß Pflänzchen, das es zu pflegen und zu fördern lohnt. schmackhaft gemacht werden. Eine ideologisch begründete Verweigerung der Chan- cen und eine Überhöhung der Risikodiskussion hilft Das Land sollte - hier handelt es sich um eine ein- Schleswig-Holstein im Standortwettbewerb der Bun- stimmig gefaßte Empfehlung, über die ich mich gefreut desländer nicht weiter. habe - in sein Marketingkonzept die Biologietechnogie und speziell die Gentechnik als einen Schwerpunkt Die CDU bleibt dabei: Die Enquete war nicht notwen- aufnehmen. Was in Mecklenburg-Vorpommern selbst- dig, und die jetzt vorliegenden Ergebnisse wären an- verständlich ist, daß sich der Wirtschaftsminister für ders schneller und kostengünstiger zu haben gewesen. die Nutzung von Gentechnik ausspricht, muß hier in (Beifall bei der CDU und der Abgeordneten die Redemanuskripte der Minister erst noch eingear- Dr. Christel Happach-Kasan [F.D.P.]) beitet werden. In einem Minderheitsvotum unterstütze ich die An- Präsident Heinz-Werner Arens: siedlung neuer Unternehmen, sogenannter Start-ups, und zwar in der Umgebung von Forschungszentren der Ich erteile Herrn Abgeordneten Weber das Wort. Biotechnologie, da sie langfristig die Chance auf hochwertige Arbeitsplätze bringen. Jürgen Weber [SPD]: (Beifall bei der CDU) Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Jetzt noch einmal mit der Fraktionsjacke derselbe Satz: Ich Deshalb sollten gezielt staatliche Anreize gegeben bedanke mich in erster Linie bei allen Kommissions- werden, um Unternehmen, die Forschungsergebnisse mitgliedern, egal von welcher Fraktion sie benannt staatlich geförderter Forschungsinstitutionen zur worden sind, für ihre Mitarbeit. Marktreife entwickeln, in der Nähe von Universitäten und anderen Forschungseinrichtungen in Schleswig- (Beifall bei SPD und BÜNDNIS 90/DIE Holstein anzusiedeln. GRÜNEN) Ein weiterer Punkt war die Vermittlung von Wissen, Soweit dürfte Einigkeit bestehen: Die Zukunft der und da möchten wir bei den Kleinen anfangen. Schon Gentechnologie wird zweifelsohne nicht in Schles- Schleswig-Holsteinischer Landtag (14. WP) - 95. Sitzung - Freitag, 17. September 1999 7179

(Jürgen Weber) wig-Holstein entschieden, aber Schleswig-Holstein Risikovorsorge ist unstreitig ein gesellschaftliches muß sich entscheiden, inwieweit es an der weltweiten Ziel, das staatliche Eingriffe in die Entwicklung der Entwicklung der Gentechnik partizipieren will. Technik rechtfertigt. Greifen wir das Beispiel der Ri- sikobewertung transgener herbizidresistenter Kultur- Schleswig-Holstein ist auch heute schon kein Nie- pflanzen heraus, stellen wir fest, daß im Dialog am mandsland in Sachen Gentechnik. Die Freisetzung von runden Tisch niemand für gentechnisch veränderte gentechnisch verändertem Mais, Raps oder Aspen sind Organismen irgendwelche Risiken beschreiben oder nur öffentlich sichtbare Signale einer Technologie, die benennen konnte, für die man nicht auch die entspre- es auch in diesem Land in Forschung, Entwicklung, chenden Beispiele bei konventionell gezüchteten Or- Landwirtschaft und Medizin bereits gibt. ganismen finden kann. (Zuruf des Abgeordneten Wolfgang Kubicki [F.D.P.]) (Beifall des Abgeordneten Gero Storjohann Daher ist es hilfreich, daß der vorliegende Kommissi- [CDU]) onsbericht in vielen Punkten durchaus konkrete Emp- fehlungen gibt. Man muß sich für die Beratung eines Es geht nicht darum, Risiken zu negieren. Wie sich solch komplizierten Themas auch Zeit lassen. Ich gezeigt hat, wissen wir, daß es sie gibt. Wie sich ge- glaube, es ist keine Zeitverschwendung, solche Dinge zeigt hat, wissen wir auch, daß gentechnisch übertra- ernsthaft und gründlich zu beraten. gene Herbizidresistenz durch Auskreuzung von Kul- turpflanzen an verwandte Wildpflanzen weitergegeben Aus Zeitgründen will ich jetzt nicht auf die ganzen werden kann. Auf das Beispiel der Paranuß will ich einzelnen Empfehlungen eingehen; sie sind nachzule- jetzt gar nicht zu sprechen kommen. Solche Risiken sen, und der Kollege Storjohann hat auch schon einige müssen in der Tat im Einzelfall geprüft und bewertet genannt. Ich möchte auf einige grundsätzliche Proble- werden. Sie sind aber nur begrenzt neuartige Risiken me und Schlußfolgerungen aus der Arbeit zu sprechen und keine spezifischen auf der Grundlage gentechnisch kommen. Ein wichtiges Argument zur Beurteilung veränderter Organismen. der Gentechnik, vor allem in Abgrenzung zu anderen Technologien, war und ist das Kriterium der Rück- (Beifall der Abgeordneten Dr. Christel Hap- holbarkeit. Wir konstatieren heute auch, daß allein pach-Kasan [F.D.P.]) auf dem amerikanischen Kontinent auf über 30 Millionen h Fläche transgene Pflanzen angebaut werden und daß mittlerweile in 45 Ländern an zirka Deswegen - um jetzt nicht mißverstanden zu werden - 25.000 Standorten Freilandversuche stattfinden. Auch glaube ich, daß es wichtig ist, die Frage zu stellen, ob darauf hat der Kollege hingewiesen. Wir tun deshalb unsere Instrumente der Risikovorsorge funktionie- gut daran, uns bei unseren Bewertungsmaßstäben nicht ren - mit oder ohne Gentechnik. Im Komplex der hy- auf fundamentale Vorgaben - egal welcher Provenienz pothetischen Risiken besteht wohl vor allem das Pro- - zu verlassen, sondern notwendige und sachliche Pa- blem des Nichtwissens, des Noch-nicht-erforscht- rameter zur Beantwortung der Frage heranzuziehen, Habens. Die Antwort kann meines Erachtens nur lau- wo, wie, in welchem Umfang und unter welchen Be- ten: vermehrte Forschung! Das muß die Antwort auf dingungen wir die Anwendung der Gentechnik akzep- diese Fragen sein. tieren können, wo wir sie für sinnvoll und wo wir sie vielleicht für unumgänglich halten. Mir ist es wichtig, in dieser Debatte darauf hinzuwei- sen, daß sich die Diskussion und das Handeln weg von Diese Parameter sind meines Erachtens erstens der allgemeiner Spekulation - egal von welcher Seite aus - tatsächliche Stand der Forschung, zweitens die Beur- hin zu einem Paket von Sicherheits- und Begleitfor- teilung der Risiken und drittens die Abschätzung schung, von etablierter Technikfolgenabschätzung, von des tatsächlichen Nutzens. In der Risikodebatte - ich Kennzeichnung und Wahlfreiheit sowie schließlich will darauf jetzt nur im Nebensatz hinweisen, da ich ökologischer Gesamtverträglichkeit und ökonomischer darauf schon in der Einsetzungsdebatte hingewiesen Nutzenbewertung bewegen sollte. Es gibt noch genü- habe - ist festzustellen, daß man den Risikobegriff gend Fragezeichen, ob nämlich die Gentechnik wirk- differenziert zu betrachten hat: faktisch nachweisbare lich in allen Anwendungsbereichen der Weisheit letz- Risiken zum einen und dann die hypothetischen Risi- ter Schluß ist. Ist eine artgerechte Tierhaltung für die ken, also theoretisch nicht auszuschließende unge- Tiergesundheit und die Fleischqualität nicht ein nach- wollte Veränderungen im Prozeß der Anwendung der haltigerer Weg als ein Gentransfer zur Leistungsver- neuen Technologie, zum anderen und schließlich auch besserung? spekulative Risiken, die den Bereich unbekannter Pro- zesse berühren. (Vereinzelter Beifall bei der SPD) 7180 Schleswig-Holsteinischer Landtag (14. WP) - 95. Sitzung - Freitag, 17. September 1999

(Jürgen Weber)

- Ich stelle das als Frage in den Raum. Mir scheint es notwendig zu sein, die konkreteren Forderungen, die in dem Kommissionsbericht nieder- Oder führt die Entwicklung von krankheitsresistenten gelegt sind, in künftigen Arbeitszusammenhängen von Pflanzen mit Hilfe der Gentechnik tatsächlich zur Wissenschaft, Politik und Wirtschaft zu vertiefen. Wir Verminderung des Einsatzes von Pflanzenschutzmit- werden dafür in absehbarer Zeit konkrete Vorschläge teln? Läßt der Einsatz der Gentechnik als Argument vorlegen. für die Nahrungsmittelversorgung in der Dritten Welt nicht die eigentlichen Ursachen von Hunger und Armut Mein persönliches Resümee der Enquete lautet - wenn außer acht? ich das so sagen darf -: Wo es uns wissenschaftlich weiterbringt, wo es der Gesundheit der Menschen (Beifall bei SPD und BÜNDNIS 90/DIE nützt, wo es ökologisch vertretbar und wirtschaftlich GRÜNEN) sinnvoll ist und wo schließlich auch ein ethisch be- Das ist eine Liste von Fragen, die sich fortsetzen ließe. gründeter öffentlicher Diskurs integriert ist, sollten wir Es geht meines Erachtens darum, die Dinge im Ver- uns der neuen technologischen Chancen nicht begeben; gleich - oder um einen anderen Begriff zu benutzen: im wir sollten sie verantwortbar nutzen. Wettbewerb der Konzepte und Methoden - zu be- trachten. Gentechnik forcieren zu wollen, muß die (Beifall bei der SPD sowie der Abgeordneten gleichrangige Suche und Bewertung von Alternati- Monika Heinold [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- ven einschließen. Es wäre nicht akzeptabel, würden NEN] und Detlef Matthiessen [BÜNDNIS wir uns einer wissenschaftlichen Methodik und ihrer 90/DIE GRÜNEN]) gesellschaftlichen Implikation allein ausliefern. Präsident Heinz-Werner Arens: Das beinhaltet eine ganze Reihe von Facetten. Ich nenne nur ein paar: Wer Gentechnik in Forschung und Ich erteile der Frau Abgeordneten Fröhlich das Wort. Anwendung fördern will - und ich will das in Teilbe- reichen durchaus -, der muß dann auch den ökologi- Irene Fröhlich [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: schen Landbau als alternative Möglichkeit entspre- chend fördern. Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren Abgeordneten und sehr geehrte (Beifall der Abgeordneten Ursula Kähler ehemalige Kolleginnen und Kollegen aus der Enque- [SPD]) tekommission mit allen dazugehörigen Mitarbeiterin- Wer in Gendiagnostik und und -therapie neue Maßstä- nen und Mitarbeitern und auch der höchstinteressierten be setzen will, muß auch das Recht auf Nichtwissen, und fachlich-kundigen Öffentlichkeit, die uns in der muß eine soziale und psychologische Beratung in die- Kommission begleitet hat! Meinen Ausführungen sen Fällen sicherstellen. Wer Lebensmittel, die unter möchte ich ein Zitat des amerikanischen Wissen- dem Einsatz von Gentechnik hergestellt oder selbst schaftsjournalisten Jeremy Rifkin voranstellen, um gentechnisch verändert worden sind, zulassen und noch einmal unsere Ausgangssituation in Erinnerung einführen will, muß Wahlfreiheit durch klare Kenn- zu rufen: zeichnung sicherstellen. „Mit der Entwicklung der Biotechnik gelangt In der Summe sage ich: Die Empfehlungen, die die die Menschheit an einen Kreuzweg ihrer Ge- Kommission vorlegt, mögen in manchen Punkten wi- schichte. Bald wird es möglich sein, lebende dersprüchlich klingen. Zum Beispiel empfiehlt die Systeme nach den gleichen technologischen Kommission dem Landtag, weiterhin bei seiner ableh- Grundsätzen zu planen und herzustellen, die nenden Haltung zur Freisetzung zu bleiben, und wir heute bei industriellen Fertigungsprozes- spricht sich für ein Moratorium für das Inverkehrbrin- sen anwenden. Die beliebige Konstruktion gen von genetisch veränderten Mikroorganismen aus. von Leben nach Maßgabe bestimmter tech- nologischer Voraussetzungen, genauer Pro- (Vereinzelter Beifall bei SPD und BÜNDNIS duktionsvorgaben und Qualitätskontrollen 90/DIE GRÜNEN) wirft Fragen von grundsätzlicher Bedeutung Einmütig wird gleichzeitig empfohlen, daß die weitere auf.“ Entwicklung solcher Mikroorganismen zur Umweltsa- Dies ist nach einer Veröffentlichung in „Genesis II“ nierung durchaus aufgegriffen und in Schleswig- von 1986 zitiert. Holstein - zunächst allerdings nur in geschlossenen Systemen - eingesetzt werden soll. Mit der Vorlage des Abschlußberichts der Enquete- kommission „Chancen und Risiken der Gentechnolo- Schleswig-Holsteinischer Landtag (14. WP) - 95. Sitzung - Freitag, 17. September 1999 7181

(Irene Fröhlich) gie“ ist nach unserem Dafürhalten eine gute Grundlage nehme Ihren Zwischenruf als einen Beitrag zum Fair- gegeben, um die obengenannten anstehenden Frage- play in diesem Hohen Hause. stellungen im Zusammenhang mit den Entwicklungen und Auswirkungen der Gentechnologie und der (Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Reproduktionstechnologie in Schleswig-Holstein auf und SPD - Lachen bei der CDU) fachlich-wissenschaftlicher Grundlage bewerten zu können. Aufgrund der mir zur Verfügung stehenden Unstreitig ist - - begrenzten Zeit möchte ich Ihre Aufmerksamkeit hier vor allem auf diejenigen Aspekte des Berichts lenken, (Wolfgang Kubicki [F.D.P.]: Das ist die angesichts des nach unserer Ansicht hohen Risikos Quatsch! Was hat das mit Unfairneß zu tun! dieser Technologie auch in diesem Bericht entweder Das ist eine Tatsachenbeschreibung, Frau einstimmig oder mehrheitlich dem Landtag oder der Fröhlich! Mein Gott!) Landesregierung empfohlen werden. Unstreitig ist, daß auch heute noch wesentliche mole- Zunächst noch einmal zurück in die Geschichte! Die kular- und zellbiologische Prozesse vor allem bei hö- Entwicklung der Gentechnologie geht seit fast heren Organismen unbekannt sind. Nimmt man den 30 Jahren mit rasanten Schritten voran und ist inzwi- Gegenstand der Gentechnologie, nämlich Lebewesen schen Alltag in den Forschungslabors. Praktische An- und deren Lebensprozesse und Strukturen, selbst zum wendung und kommerzielle Vermarktung gentechni- Vergleichsmaßstab, so stellt die Gentechnologie trotz scher Produkte klopfen miteinander sehr laut an die intensiver und hochtechnischer Forschung noch immer Ladentüren, häufig auch in direkter Verbindung mit ein recht grobes Hantieren an nur teilweise bekannten der Wissenschaft, die sie erforscht. Mal sind es soge- Lebenselementen und Prozessen dar. nannte Antimatsch-Tomaten oder gentechnisch mani- pulierte Waschmittelenzyme für die 30-Grad- Selbstkritische Stimmen aus der Wissenschaftsge- „Kochwäsche“, immer wieder auch Freisetzungen von meinde sehen hierin auch eine grundsätzliche Risiko- genmanipuliertem Mais, Raps, Kartoffeln oder Pap- dimension der gentechnischen Manipulation an Le- peln, der Import von Gensoja und Genmais aus den bewesen, das Risiko nämlich, statt der gewünschten - USA nach Europa und nicht zuletzt geklonte Tiere, die oder zusammen mit den gewünschten - auch unge- die Entwicklung in den Reproduktionstechnologien wollte und sogar unbekannte Eigenschaften von Orga- deutlich machen und in eine zum Teil hektische gesell- nismen zu erzeugen, die dann entweder selbst zum schaftliche Debatte bringen. Schadensherd werden können oder aber ihr geneti- sches Material über verschiedene Wege - zum Beispiel Die unmenschlichen Bestrebungen der sogenannten Virusinfektion, Nahrungsaufnahme, horizontaler Gen- Bioethik-Konvention des Europarates, zum Beispiel transfer - auf andere Lebewesen übertragen. Mit der fremdnützige Forschungen an sogenannten „nicht gentechnologischen Forschung und Anwendung ist aus einwilligungsfähigen“ Personen oder Menschen mittels dieser Sicht heraus in jedem Fall eine Sicherheits- und Gentherapie Heilung zu versprechen - dies alles gehört Freisetzungsproblematik verbunden. Natürlich: Selbst heute zur Normalität wie das Werbefernsehen. Hochsicherheitslabors können keine wirklich ge- schlossenen Systeme sein. Auch in Schleswig-Holstein wird schon seit längerem an zahlreichen Orten mit Hilfe gentechnischer Verfah- (Martin Kayenburg [CDU]: Wieso das denn ren geforscht und vereinzelt der Weg in die kommer- nicht! Das ist absoluter Quatsch!) zielle Nutzung eingeschlagen. Dies geschieht dann allerdings von der Öffentlichkeit doch eher unbemerkt Neben der möglichen Schädigung von Patienten infol- und ohne eine breite - auch fachlich begründete - de- ge der Einnahme gentechnischer Produkte oder eines mokratische Debatte und Kontrolle. Angesichts der medizinischen Gen-„Therapie“-Versuchs, durch nicht möglichen Auswirkungen auf unser zukünftiges Leben gewollte Nebeneffekte im obigen Sinne besteht im und hinsichtlich der Gefahrenpotentiale der Gen- und medizinischen und sozialen Bereich die Problematik in Reproduktionstechnologie kamen hier die Betreiber in einem möglichen Genreduktionismus der Biomedi- Wissenschaft und Wirtschaft sowie insbesondere die zin: Hoffnung auf raschere und direktere Eingriffser- staatlichen Entscheidungsträger ihrer Verantwortung folge, die Reputation und die Konzentration öffentli- bisher nur ungenügend nach. cher Mittel befördern die Tendenz, nach Faktoren von (Wolfgang Kubicki [F.D.P.]: Das ist doch Erkrankungen und sozial auffälligen Verhaltensweisen Quatsch!) nur noch einseitig auf der Ebene von Molekülen zu suchen und Behandlungskonzepte und Mittel darauf Für uns waren dies Gründe genug, uns für die Einset- auszurichten. Statt des Eingehens auf den ganzen zung dieser Enquetekommission stark zu machen. - Ich Menschen erfolgt womöglich nur 7182 Schleswig-Holsteinischer Landtag (14. WP) - 95. Sitzung - Freitag, 17. September 1999

(Irene Fröhlich) noch eine Genreparatur, statt gesundheitsfördernder direkt zugänglich sind. Daraus resultiert ein enormer Umweltpolitik und Arbeitsplatzgestaltung individuelle Bedarf an Beratungskompetenz. Genchecks, Lebensvorschriften und womöglich sogar soziale Ausschließungen von Arbeitsplätzen oder aus Mit dem notwendigen Beratungsinstrument der Tech- Versicherungen beziehungsweise Leistungspaketen. nikfolgenabschätzung und -bewertung können Ent- Ihr Beispiel, Herr Storjohann, bestätigt mich eher in scheidungsprozesse über zukünftige Entwicklungen, dieser Befürchtung. beziehungsweise Entwicklungswege, auf ein breiteres Kenntnis- und Informationsfundament gestellt werden. Um diesen bedrohlichen Tendenzen entgegenzutreten, Auch dies empfiehlt die Enquetekommission dem empfiehlt die Enquetekommission einstimmig, im Be- Landtag einstimmig. reich der genetischen Diagnostik die Pränataldiagno- stik nicht im Rahmen der allgemeinen Schwangeren- vorsorge durchzuführen, sondern diese an eine inter- (Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN disziplinäre, also psychosoziale wie medizinische, und der SPD) Beratung zu koppeln. Als Sofortmaßnahme soll mög- lichst schnell eine entsprechende Informationsbroschü- Es ist darauf hinzuwirken, daß an einer Universität des re für alle Schwangeren und Interessierten zur Präna- Landes eine Technikfolgenabschätzungseinheit einge- taldiagnostik erstellt werden. richtet wird, die sich schwerpunktmäßig mit den Kon- sequenzen der Gen- und Biotechnologie für Schles- Um den Auswirkungen der Pränataldiagnostik ent- wig-Holstein befaßt und die dazu vorhandenen regio- gegenzutreten, ist das bestehende hohe Schutzniveau nalen Entwicklungsalternativen erforscht. Außerdem des Embryonenschutzgesetzes zu erhalten. Manipula- ist zu prüfen, inwieweit dies in Kooperation und Ar- tionen an Embryonen, die zu ihrer Zerstörung oder zu beitsteilung mit anderen Technikfolgenabschätzungen genetischer Selektion führen, müssen unterbunden in Deutschland realisiert werden kann. werden. Auch dies ist eine einstimmige Forderung.

(Beifall bei der SPD) Die Enquetekommission empfiehlt dem Landtag mehr- heitlich, daß bei allen bio- und gentechnologischen Eine ökologische Risikodimension mit globaler politi- Projekten, bei denen eine Entscheidungs- und Hand- scher Brisanz ist mit dem möglichen zukünftigen Er- lungskompetenz des Landes vorliegt oder in die Lan- folg und der weltweiten Verbreitung der Gentechnolo- desmittel einfließen, eine parallele Folgeneinschätzung gie im Bereich der Pflanzen- und Tiernutzung verbun- einzufordern ist, die dem Stand und der Praxis der den, denn das zunehmende Ausbreiten einer im Labor Technikfolgenabschätzung entspricht. Es ist dafür manipulierten sogenannten „fehlerbereinigten“ in die Sorge zu tragen, daß bei der weiteren Entwicklung der evolutionäre Natur birgt das Risiko, daß die biologi- Bio- und Gentechnologie in Schleswig-Holstein Ge- sche Anpassungsfähigkeit von Pflanzen- und Tierpo- sichtspunkte dieser Art berücksichtigt werden. pulationen und ökologischen Systemen erodiert, wenn die fehlerfreundliche genetische Vielfalt verringert und Für die Bereiche der gesetzlich vorgeschriebenen die Trennung von Entwicklungsgebieten weiter aufge- Gentechnikkontrolle und -überwachung empfiehlt die hoben wird. Enquetekommission mehrheitlich, die zuständigen Überwachungsbehörden personell und finanziell so Zwei bisherige Grundbedingungen der natürlichen auszustatten, daß eine Bewertung von Monitoring Evolution würden vom Menschen in verstärktem Maße und Begleitforschung sowie eine jährliche Kontrolle aufgehoben, und das Eis, auf dem wir uns bewegen, aller gentechnischen Anlagen - einschließlich der würde immer dünner. Die Enquetekommission emp- Überprüfung von Aufzeichnungen - möglich sind. Die fiehlt deswegen mit Mehrheit dem Landtag, sich auf Ausstattung der zuständigen Überwachungsbehörde ist Bundes- und EU-Ebene für die Entwicklung und Har- dem steigenden Überwachungsbedarf anzupassen. monisierung von Ausschlußkriterien für die Freiset- zung und das Inverkehrbringen gentechnisch verän- derter Mikroorganismen einzusetzen. Nicht zuletzt möchte auch ich die Gelegenheit nutzen, an dieser Stelle nochmals allen - wirklich allen - Be- Gesellschaft und Politik sind dazu aufgefordert, über teiligten zu danken. Es ist eine große Arbeit gewesen. die zukünftige Richtung der Entwicklung und ihre Gestatten Sie mir, zum Abschluß zu sagen: Eine Regulierung zu entscheiden. Hierbei müssen allerdings Sternstunde, die ich in diesem Parlament vielleicht äußerst komplexe Sachverhalte und Entwicklungen erleben durfte, hätte ich ohne die Enquetekommission berücksichtigt werden, die zum Beispiel uns - als Ent- nicht erlebt. Das war - zusammen mit Frau Dr. Hap- scheidungsträger und Entscheidungsträgerinnen - nicht pach-Kasan, Frau Dr. Schlegelberger, Frau Dr. Idel Schleswig-Holsteinischer Landtag (14. WP) - 95. Sitzung - Freitag, 17. September 1999 7183

(Irene Fröhlich) und Frau Dr. Kollek - die reine Frauendiskussion über hungen, in der Kommission einvernehmlich getragene Pränataldiagnostik. Auch dies muß hier erwähnt wer- Sachstände zu verabschieden. den. Das war eine wirkliche Sternstunde. Das hätte ich nicht für möglich gehalten, und ich bedanke mich da- (Beifall bei F.D.P. und CDU) für ganz speziell bei den Kolleginnen. Dieses Scheitern ist eine Kapitulation. Alles andere ist (Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Schönrednerei. und der SPD) Die Gentechnik ist eine Methode. Sie ist weder gut noch schlecht. Ihre Bewertung steht in engem Zusam- Präsident Heinz-Werner Arens: menhang mit den Problemen, die die Methode bewälti- Ich erteile das Wort der Frau Abgeordneten Dr. Hap- gen helfen soll. pach-Kasan. Im Mittelpunkt der Arbeit der Enquetekommission sollte die Frage stehen, welche Chancen und Risiken Dr. Christel Happach-Kasan [F.D.P.]: die Gentechnik bietet. Ich will nicht darüber streiten, Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Frau ob diese Frage nicht letztlich schon beantwortet war, Fröhlich, in einem Punkt möchte ich Ihnen zustimmen: als wir anfingen. Nach drei Jahren Arbeit läßt sich Wir haben sehr interessante Sitzungen gehabt. Die aber auch sagen, daß wir zu der Antwort nicht viel Sitzung, die Sie erwähnen, gehört auch für mich zu beigetragen haben. Fest steht: Die Gentechnik bietet einer der besten Sitzungen. Gleichwohl kann ich Ihre - zahlreiche Chancen bei überschaubaren Risiken. sonst allgemein positive - Einschätzung der Arbeit Die Gentechnik ist in den verschiedensten Bereichen nicht in allen Punkten teilen. Das werde ich begrün- von Wissenschaft und Wirtschaft die Methode der den. Wahl. Wer meint, durch gezielte Förderung alternati- Wir haben in drei Jahren einen Bericht von 156 Seiten ver Verfahren die Gentechnik aufhalten zu können, erarbeitet. Herr Weber, ich möchte Ihnen für Ihre - läuft einem fahrenden Hochgeschwindigkeitszug hin- gerade anfangs - souveräne Sitzungsführung danken, terher. und ich möchte allen Wissenschaftlerinnen und Wis- senschaftlern danken, mit denen wir ausgesprochen Dazu nenne ich einige Beispiele: Nahezu 100 % der spannende und interessante Diskussionen gehabt ha- Waschmittelenzyme werden mit gentechnisch verän- ben. Ich habe viel gelernt. Frau Winking-Nikolay, Sie derten Organismen hergestellt. Die Käseherstellung haben leider nicht gelernt, denn Sie lachen nur. nutzt Enzyme gentechnisch veränderter Mikroorga- nismen. Die Textilien-, Leder-, Holz- und Papierver- (Zuruf der Abgeordneten Dr. Adelheid Win- arbeitung verwendet Enzyme, produziert von gen- king-Nikolay [fraktionslos]) technisch veränderten Mikroorganismen. 43 gen- technisch hergestellte Medikamente sind bei uns zu- Die Auseinandersetzungen zum Thema Gentechnik gelassen, sechs davon werden in Deutschland produ- wurden insbesondere durch die Verschiedenheit der ziert. In den USA stammen 40 % der Sojaernte und Ansätze, mit denen die Mitglieder der Kommission die 30 % der Maisernte von gentechnisch veränderten Gentechnik betrachtet haben, bestimmt. Die einen Pflanzen. betrachteten die Möglichkeiten, die Methoden der Gentechnik zum Erreichen verschiedener Ziele zu Im Fazit muß festgehalten werden: Nur wer Kleidung nutzen, die anderen suchten nach Gründen, die Metho- aus Wolle trägt, die er selbst gesponnen und verarbei- de abzulehnen. Das war keine gemeinsame Arbeits- tet hat, seine Kleidung nicht wäscht, keine Bücher oder grundlage. Zeitungen liest und nicht krank wird, hat zur Zeit noch eine gewisse Chance, sein Leben ohne Berührung mit Die Arbeit hat darunter gelitten, daß der in der rot- der Gentechnik zu führen. grünen Koalition bestehende Konflikt über den politi- schen Umgang mit dem Thema in die Kommission (Beifall bei F.D.P. und CDU) abgeschoben wurde. Damit war der eigentliche Auf- trag der Kommission nicht, die Chancen und Risiken Was soll in dieser Situation die Frage nach den Chan- der Gentechnik herauszuarbeiten, sondern zu verdek- cen und Risiken? Muß es nicht besser heißen: Wie ken, daß sich Rot-Grün bei dem Thema nicht einig können wir die Chancen der Methode besser nutzen war. und die Risiken eingrenzen? Dies hat sich in der Kommissionsarbeit fortgesetzt und Welchen Sinn machen fundamentalistische Graben- ist wesentliche Ursache für das Scheitern der Bemü- kämpfe? Welchen Sinn macht die Denunziation der 7184 Schleswig-Holsteinischer Landtag (14. WP) - 95. Sitzung - Freitag, 17. September 1999

(Dr. Christel Happach-Kasan)

Gentechnik durch die verwendete Sprache? GVO ist wurden. Da kann der Hase Schleswig-Holstein noch so die Abkürzung für gentechnisch veränderter Organis- schnell laufen, der Igel ist immer schon da. mus. Ein Berichterstatter macht daraus gentechnisch manipulierter Organismus. Ist das nicht kleinkariert? Frau Ministerpräsidentin, das ist kein schlechtreden unseres Landes, sondern leider Realität. Am Anfang Die Politik - das heißt das Parlament - hat die Aufga- der letzten Legislaturperiode veranstaltete die Tech- be, die Rahmenlinien für unsere Gesellschaft vorzuge- nologiestiftung eine Tagung zum Thema Biotechnolo- ben. Der Deutsche Bundestag hat mit der Verabschie- gie. Trotz des einmütigen Votums der beteiligten Wis- dung des Gentechnikgesetzes die Rahmenbedingungen senschaftler, die nächste Tagung der Gentechnik zu definiert, die bei der Nutzung der Gentechnik einzu- widmen, blieb das Thema aufgrund einer politischen halten sind. Wer sich im Rahmen des Gesetzes be- Weisung der Landesregierung tabu. Soviel zur Unab- wegt, handelt rechtmäßig. Die Vorstellung, politisch hängigkeit der Stiftung! bestimmen zu wollen, welchen Bedarf die Gesellschaft an technischem Wandel hat, welche Produkte die Ge- sellschaft braucht, ist unserer demokratisch verfaßten (Dr. Ekkehard Klug [F.D.P.]: Hört, hört!) Gesellschaft fremd. Die Planwirtschaft der DDR hat sich auch wegen der politischen Arroganz der Mächti- Inzwischen darf sich die Technologiestiftung mit gen, die Bedürfnisse der Gesellschaft bestimmen zu Gentechnik beschäftigen. Das Produkt kann sich sehen wollen, als Fehlschlag erwiesen. lassen: „Schleswig-Holstein Spezial - Biotechnologie“ mit 27 Beiträgen, nahezu alle zum Thema Gentechnik, (Beifall bei der F.D.P.) gut geschrieben und illustriert. Eine Werbebroschüre Während der BioRegio-Wettbewerb in der Bundesre- für die Gentechnik. Gentechnik steht nicht drauf, ist publik eine regelrechte Gründerwelle im Bereich von aber darin. Die Beiträge der Gegner der Gentechnolo- Biotechnologieunternehmen aufzuweisen hat, ist die gie stehen auf sechs von 107 Seiten. Sie haben allen- Entwicklung in Schleswig-Holstein kläglich. Nach falls Alibifunktion. einer Pressemitteilung von Dienstag wurden seit 1995 in Niedersachsen 29 Unternehmen und in Schleswig- (Wolfgang Kubicki [F.D.P.]: Das Protokoll Holstein 15 Unternehmen gegründet. Es ist den von muß das festhalten!) der Landesregierung geschaffenen Rahmenbedingun- gen zuzuschreiben, daß die Initiative der Bundesregie- Sie, Herr Kollege Weber, sind mit einem Beitrag über rung nicht besser genutzt wurde. Es ist ein Erfolg für die Enquetekommission ebenfalls dabei. Sie kannten die rot-grüne Klientel mit Ferienhaus in der Toscana, also diese - laut Impressum aus dem März dieses Jah- teuer erkauft durch mehr Arbeitslose und das Abwan- res stammende - Broschüre. Vor diesem Hintergrund dern von wissenschaftlich hochqualifizierten Men- frage ich Sie, ob Sie wirklich gut beraten waren, als schen. Das ist ein Verlust. Sie sich bereit erklärten, auf die einvernehmliche Ver- abschiedung der Sachstände zu verzichten, um den (Beifall bei F.D.P. und CDU - Zuruf der Ab- fundamentalistischen Gegnern der Gentechnik eine geordneten Konrad Nabel [SPD] und Ingrid Abstimmungsniederlage zu ersparen. Nur darum ging Franzen [SPD]) es bei dem Beschluß. Was ist von einer Regierung zu halten, deren Um- weltminister nach Auswertung von Ergebnissen eines (Beifall bei der F.D.P.) legalen Rapsfreisetzungsversuchs den Eindruck zu erwecken sucht, da wäre etwas schiefgelaufen, und den Wie will der Schleswig-Holsteinische Landtag in Zu- Leiter des Forstgenetischen Instituts mit gerichtlichen kunft für ähnliche Projekte Wissenschaftler für die Verfahren überzieht. Eine Regierung, die den Ein- Politikberatung gewinnen, wenn diese im Rückblick druck erweckt, daß in Schleswig-Holstein ein Be- feststellen müssen, daß ihre Fachkenntnis nur am Ran- triebsleiter, der sich im Rahmen des geltenden Gen- de interessiert? Die Regierung gibt eine Werbebro- technikgesetzes korrekt verhält, gleichwohl mit einem schüre zur Gentechnik heraus und die Enquetekom- Bein im Gefängnis steht, betreibt keine Politik der mission des Landtages einen Abschlußbericht, bei dem Ansiedlung von Unternehmen, er vertreibt Unterneh- sieben Sachstandsberichte als zumindest unausgegoren men. zu bezeichnen sind. Herr Weber, ist das Ihre Vorstel- lung von parlamentarischer Arbeit? (Beifall bei F.D.P. und CDU) Wenn Minister Bülck inzwischen über ein Biotechno- Als die ersten Freisetzungsversuche in Schleswig- logie-Zentrum nachdenkt, kritisieren wir dies nicht. Es Holstein angekündigt wurden, hatte die F.D.P.- ist aber festzuhalten, daß acht Jahre Zeit verschenkt Fraktion zur Begleitung der Versuche, zur Aufklä- Schleswig-Holsteinischer Landtag (14. WP) - 95. Sitzung - Freitag, 17. September 1999 7185

(Dr. Christel Happach-Kasan) rung über wissenschaftliche Fragen, eine Anhörung - Sie sind nicht dabeigewesen, Herr Kollege Nabel, ich mit dem Thema „Gentechnik in der Landwirtschaft - möchte daran erinnern. Chancen und Nutzen“ veranstaltet. Die Dokumentati- on gibt noch heute einen guten Einstieg in die Befas- (Konrad Nabel [SPD]: Das hat doch nichts sung mit dem Thema. Werte Kollegen von der SPD- mit akademischer Bildung zu tun! Es geht um Fraktion, ich freue mich, daß sich Bundeslandwirt- menschliche Bildung!) schaftsminister Funke inzwischen der Meinung der Ich bin sehr wohl der Meinung, daß Frauen eine gute F.D.P. zur Gentechnik angeschlossen hat. und gründliche Beratung brauchen. (Beifall bei der F.D.P.) (Beifall bei F.D.P. und CDU) Auf der Festveranstaltung aus Anlaß des 50jährigen Ich will nicht so tun, als seien mir die bestehenden Bestehens des Bundessortenamtes Anfang des Monats Vorbehalte gegen die Nutzung der Gentechnik nicht erklärte er, daß es ethisch-moralisch nicht zu verant- bekannt. Ich will vielmehr deutlich machen, daß ich sie worten sei, auf die Gentechnik zu verzichten. sehr ernst nehme. Schließlich habe ich mich als eine (Beifall bei F.D.P. und CDU) der Parlamentarierinnen am meisten mit den Themen der Gentechnik in diesem Hause beschäftigt. Das kann Mit dieser Aussage hat der Minister recht. Die Be- mir niemand absprechen. gründung können Sie in unserer Broschüre auch heute noch nachlesen. (Beifall bei F.D.P. und CDU) Die Äußerungen des Ministers zeigen die Realitätsfer- Aber ich behalte mir vor, immer auch zu untersuchen ne, die einen Teil der Sachstandsberichte unter dem und mich darüber zu informieren, wie begründet die Themenkomplex Ernährung, Landwirtschaft und Um- Vorbehalte sind. Ich sehe mit großer Besorgnis, daß welt prägen. Der Einsatz der Gentechnik in der Pflan- unsere Gesellschaft einmal wieder bereit ist, sich in zenzüchtung sei für den Erhalt der Wettbewerbsfä- Ängste gegenüber einer Methode treiben zu lassen. higkeit der deutschen Landwirtschaft auf internatio- Nicht in der Kritik an der Gentechnik, sondern in der nalen Agrarmärkten notwendig und für die Ernährung Bereitschaft der Gesellschaft, sich durch Ängste die der wachsenden Weltbevölkerung dringend erforder- Freiheit nehmen zu lassen, über die Zukunft rational lich - so Minister Funke. zu entscheiden, liegt die Gefahr dieser Haltung für Ein Teil der Ablehnung der Gentechnik gründet sich unsere Gesellschaft. auf die Kritik einer konventionellen Landwirtschaft. (Beifall bei F.D.P. und CDU) Auf der Veranstaltung zur Eröffnung des EXPO- Projekts „Sicherung der Welternährung“ erklärte die Ein Journalist sagte, wir seien eine alte Gesellschaft. Ministerpräsidentin unseres Landes wörtlich: „Unsere Man hat sich eingerichtet, alles Neue könnte eine Ge- Kulturlandschaft ist alles andere als eine Agrarwüste. fahr darstellen, es geht doch auch im alten Trott. Diese Eine der weltweit leistungsfähigsten Agrarregionen als Haltung ist verbreitet. Aber gerade die Politik, gerade erfolgreiches Urlaubsland: Das ist ein großes Kom- wir Abgeordneten dürfen uns mit dieser Haltung nicht pliment an unsere Landwirtschaft.“ - Und wenn unsere zufriedengeben. Wir haben den Auftrag, die Rahmen- Ministerpräsidentin recht hat, hat sie recht. bedingungen für unsere Kinder und Enkel zu schaffen. Die Jugend weiß, daß sich die Gesellschaft ändert, (Beifall bei F.D.P. und CDU) neue wissenschaftliche Erkenntnisse gesellschaftliche Zum Themenkomplex der Humangenetik möchte ich Veränderungen nach sich ziehen. Gestalten wir die insbesondere auf mein Sondervotum verweisen. Ich Zukunft, statt die Illusion zu pflegen, Schleswig- habe darin meine Befürwortung der Präimplantations- Holstein könnte als Insel der Seligen abgekoppelt von diagnostik begründet. Ich kann nicht erkennen, warum anderen Entwicklungen existieren! das Töten eines Fötus ethisch eher zu akzeptieren sein soll als das Töten eines Embryos nach einer Präim- (Beifall bei F.D.P. und CDU) plantationsdiagnostik. Ich traue es den Frauen zu, daß sie die mit der Pränatal- wie auch mit der Präimplan- Präsident Heinz-Werner Arens: tationsdiagnostik verbundenen Abwägungen und Ent- Ich erteile das Wort der Frau Abgeordneten Spooren- scheidungen verantwortlich treffen können. Ich bin donk. nicht der Auffassung, daß nur Frauen mit akademi- scher Bildung dazu in der Lage sind, wie dies bei der Anke Spoorendonk [SSW]: Beratung in der Kommission anklang. Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Als (Konrad Nabel [SPD]: Quatsch!) wir im September 1996 hier im Landtag über die 7186 Schleswig-Holsteinischer Landtag (14. WP) - 95. Sitzung - Freitag, 17. September 1999

(Anke Spoorendonk)

Einsetzung einer Enquetekommission debattierten, die wird so dokumentiert, daß es eben keinen eindeutigen sich mit den Chancen und Risiken der Gentechnologie Sachstand angesichts der komplexen Probleme der auseinandersetzen sollte, habe ich angedeutet, daß eine Gentechnik gibt. Ich finde es redlich, so etwas deutlich parlamentarische Kommission ein falsches Forum sein zu machen. könnte, um dieses sensible Thema anzugehen. Die Erfahrung hat gelehrt, daß die Suche nach gemeinsa- (Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN mer Realität und einem minimalen Grundkonsens in und des Abgeordneten Konrad Nabel [SPD]) solcher Besetzung schnell mit Parteitaktik verquickt wird. Ich habe befürchtet, daß am Ende der Kommis- Statt dessen haben wir ein Kompendium, das den sionsarbeit ein Gentechnikbericht steht, der nur die Stand der Forschungsdiskussion zu den Chancen und bereits vorhandenen Parteimeinungen widerspiegelt Risiken der Gentechnik aus ganz unterschiedlichen und daher umsonst ist. Ich möchte aber ausdrücklich Perspektiven und entgegengesetzten Bewertungen und hinzufügen, daß der SSW dem Beschluß, eine Enque- Empfehlungen berücksichtigend beleuchtet. Ich habe tekommission zur Gentechnik einzurichten, zuge- in meiner abschließenden Bewertung der Kommissi- stimmt hat. Dennoch habe ich diese Befürchtung geäu- onsarbeit daher bewußt gewählt, im Abschlußbericht ßert. auch nicht mehr als ein Kompendium des For- schungsstandes zu sehen. Meiner Ansicht nach ist Ich möchte in meinem Urteil heute nicht zu streng sein, keine pauschale Bewertung möglich. Ich kann daher aber betrachtet man den Abschlußbericht und die Son- auch nicht verstehen, daß die Vertreterinnen und Ver- dervoten und läßt man den Verlauf der Erstellung treter der CDU und F.D.P. in der Kommission darauf dieses Berichts Revue passieren, dann stellt man fest, bestanden, dokumentieren zu lassen, welche Texte sie daß sich meine Befürchtung leider etwas bewahrheitet unterstützen und welche sie ablehnen. hat. Die Grenzen, die bereits vor der Kommissionsar- beit von den Fraktionen gezogen wurden, bestehen In diesem Zusammenhang kam es leider auch zu An- auch jetzt noch. Sicherlich haben alle Kommissions- griffen gegen einige Mitglieder der Kommission, die mitglieder hinzugelernt. Der gewünschte gesellschaft- gentechnikkritische Texte für den Abschlußbericht liche Minimalkonsens, auf den sich weiter bauen ließe, verfaßt haben. Das kann ich nicht gutheißen. wurde aber nicht gefunden. Daher könnte das Fazit von zweieinhalb Jahren Kommissionsarbeit leider Ich möchte auch noch sagen, daß ich das Nachspiel, lauten: Wir sind genauso uneinig wie vorher, aber auf das uns die Kollegin Happach-Kasan bescherte, indem einem höheren Niveau. sie nach Abschluß des Endberichts für sich Sondervo- (Beifall der Abgeordneten Irene Fröhlich ten beanspruchte, für weniger glücklich halte. [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) (Beifall der Abgeordneten Irene Fröhlich Die vor der Kommissionsarbeit bestehenden Meinun- [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] und gen haben die Arbeit in der Enquetekommission ge- Dr. Adelheid Winking-Nikolay [fraktions- prägt. Verschärft wurden die Auseinandersetzungen los]) durch die von den Fraktionen ausgewählten Sachver- ständigen: auf der einen Seite Sachverständige, die Trotz aller Differenzen muß ich hinzufügen, daß meine sich für weniger Beschränkungen und stärkere Förde- Enttäuschung auch etwas damit zu tun hat, daß sich rung einsetzen, auf der anderen Seite Sachverständige, die Kollegin Happach-Kasan bei der Ausarbeitung der die seit Jahren die Entwicklung der Gentechnologie Voten konstruktiv eingebracht hat. Das paßt aus mei- kritisch begleiten. Zeitweise sah es so aus, als würde ner Sicht nicht zusammen. die Arbeit der Kommission ergebnislos abgebrochen werden müssen. Es zeichnete sich ab, daß es unmög- Über die Empfehlungen wurde einzeln abgestimmt. lich sein würde, zu einem Konsens über die Berichte Bei einem Teil der Empfehlungen kamen einstimmige und zu gemeinsamen Empfehlungen zu kommen. Doch Voten zustande. Mehrheitlich wurde eine verstärkte nun liegt uns ein Abschlußbericht vor, der - so hoffe Förderung von Forschungsprojekten im Bereich Gen- ich wenigstens - doch etwas bewirken wird. Ich be- technik gefordert. Andererseits enthält der Abschluß- danke mich bei allen, die daran mitgearbeitet haben. bericht viele Empfehlungen, die einen vorsichtigen (Vereinzelter Beifall) Umgang mit der Gentechnik fordern. Die Landesregie- rung wird aufgefordert, ihre Haltung zu Freisetzun- Dieser Text enthält zu den in der Enquetekommission gen in Schleswig-Holstein beizubehalten. Verstärkte umstrittenen Themen jeweils zwei Berichte. Zusätzlich Kontrolle und intensive Begleitforschung werden für wurden Minderheitsvoten dokumentiert. Wir halten dringend notwendig gehalten. Auch der SSW unter- dieses Verfahren nicht für optimal, andererseits aber stützt diese Forderungen ausdrücklich. Das Schleswig-Holsteinischer Landtag (14. WP) - 95. Sitzung - Freitag, 17. September 1999 7187

(Anke Spoorendonk) tun wir nicht zuletzt vor dem Hintergrund der Debatte, für den Landtag. In den Empfehlungen werden viele die momentan auf EU-Ebene läuft. konkrete Maßnahmen genannt, die möglichst bald in Angriff genommen werden sollten. Für besonders Aufgabe der Kommission war es, Chancen und Risi- wichtig halten wir die Einrichtung einer Einheit für ken der Gentechnologie zu diskutieren und Empfeh- Technikfolgenabschätzung an einer der Hochschulen lungen für Entscheidungen des Landtages zu erarbei- des Landes, die sich schwerpunktmäßig mit den Kon- ten. Im folgenden greife ich nur einige Ergebnisse aus sequenzen der Gen- und Biotechnologie für Schles- dem Abschlußbericht heraus: wig-Holstein befaßt und die dazu vorhandenen regio- Die Gentechnikkommission hält humangenetische nalen Entwicklungsalternativen erforscht. Diese Forschung und Beratung für wichtig und fordert die Empfehlung wurde einstimmig von der Kommission Landesregierung auf, molekulargenetische Forschung angenommen. auf dem Gebiet der Ursachen, der verbesserten Dia- gnostik und der gezielten Therapie von Krankheiten Aus der Sicht des SSW ist bis jetzt die Chance leider des Menschen verstärkt zu fördern. Allerdings wird nicht ergriffen worden, die Öffentlichkeit über die auch darauf hingewiesen, daß molekulare Diagnostik Arbeit der Enquetekommission zu informieren. Gerade oft nur Hinweise auf erhöhte Wahrscheinlichkeiten die Produktion einer vielseitig verwertbaren Doku- von Erkrankungen geben kann, nicht aber darauf, ob mentation, die sowohl Entscheidungsträgern in Politik der betroffene Mensch tatsächlich erkranken wird. und Wirtschaft als auch betroffenen Bürgerinnen und Deshalb fordert die Kommission verbesserte Bera- Bürgern beim Umgang mit den neuen Technologien tungsangebote und setzt sich für Projekte ein, die ethi- weiterhelfen kann, war eine der Hoffnungen, die der sche, psychosoziale und rechtliche Konsequenzen SSW mit der Arbeit der Enquetekommission verbun- erarbeiten. den hat. Chancen werden auch im Bereich der Gentherapie gesehen. Viele betroffene Menschen hoffen auf neue Der vorliegende Abschlußbericht ist aber kaum als Therapieangebote. Allerdings können zur Zeit noch Informationsbroschüre für die breite Öffentlichkeit keine Heilungserfolge präsentiert werden. Statt dessen geeignet. Wir halten es für wünschenswert, daß eine werden die gewaltigen Probleme derartiger Therapie- Broschüre erstellt wird, die als Grundlage für eine versuche immer deutlicher. Auch das dokumentiert der breite Diskussion in der Bevölkerung dienen kann. Abschlußbericht. Vorbild könnte hier ein Projekt des dänischen Wirt- Die schärfsten Kontroversen innerhalb der Enquete- schaftsministeriums sein, das den Forschungsstand der kommission entzündeten sich am Thema Gentechnik Chancen und Risiken der Gentechnologie zusammen- in der Landwirtschaft. Die positiven Erwartungen, gefaßt, um „Entscheidungen in Verbindung mit der mit Hilfe von Gentechnik krankheitsresistente Pflan- Gentechnologie“ zu verdeutlichen. Diese Informatio- zen zu entwickeln, um so den Einsatz von Pflanzen- nen werden nun über das Internet und in einer Bro- schutzmitteln in der Landwirtschaft zu verringern, schüre verbreitet, die in jeder Bücherei ausliegt, um haben sich unserer Meinung nach nicht überzeugend diese Debatte in die breite Bevölkerung zu tragen. Die erfüllt. Auf der anderen Seite sind die Risiken der Broschüre wird demnächst in englischer Sprache er- Freisetzung genetisch veränderter Pflanzen und Mi- scheinen. Ich werde mich bemühen, sie zu gegebener kroorganismen nicht zu unterschätzen. Auch wurde auf Zeit den Fraktionen zur Verfügung zu stellen. die Gefahr der zunehmenden Monopolisierung von Patenten auf Nutzpflanzen und Saatgut hingewiesen. Letzte Bemerkung: Vor dem Hintergrund aller Im Bereich der Tierzucht wurde festgestellt, daß der- Schwierigkeiten möchte ich mich ganz ausdrücklich zeit noch keine Erfolge vorgewiesen werden können, bei dem Vorsitzenden bedanken. Die Leitung der Sit- mit Hilfe der Gentechnik die Krankheitsresistenz bei zungen der Kommission war manchmal schwieriger, Nutztieren zu verbessern. Bei Anhörungen von Ex- als einen Sack Flöhe zu hüten. perten vor der Enquetekommission wurde deutlich, daß sich euphorische Prognosen in bezug auf neue Ar- beitsplätze auf dem Gebiet der neuen Biotechnologien (Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) nicht belegen lassen, im Moment jedenfalls noch nicht.

Trotz aller Probleme hält der SSW die Arbeit der Präsident Heinz-Werner Arens: Enquetekommission nach wie vor für sinnvoll. Das sagte ich zu Beginn meiner Rede schon. Wir sehen in dem vorgelegten Abschlußbericht eine brauchbare Ich erteile der Frau Abgeordneten Dr. Winking- Entscheidungsgrundlage für die Landesregierung und Nikolay das Wort. 7188 Schleswig-Holsteinischer Landtag (14. WP) - 95. Sitzung - Freitag, 17. September 1999

Dr. Adelheid Winking-Nikolay [fraktionslos]: Im Referat Biotechnologie arbeiten außer ihm noch zwei Verwaltungsfachleute, die alle zwei Jahre rotie- Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Mit Inter- ren. Ein Biologe muß daher laut „Biotechnologiereport esse habe ich in den letzten Tagen den Presserummel Schleswig-Holstein Spezial“ von 1999, Stand der über den Schlußbericht verfolgt. Ich ziehe meinen Hut, Erhebung von 1998, 78 gentechnische Anlagen an den den ich nicht aufhabe. Frau Happach-Kasan, Sie haben verschiedensten Standorten des Landes und dort 237 es mit Hilfe einer geschickten Medieninszenierung gentechnische Projekte überwachen, einschließlich der geschafft, den Vorsitzenden der Kommission so zu Aufzeichnungen. Hinzu kamen 1998 zehn Freisetzun- verwirren, daß er offenbar zu jedem Zugeständnis gen, 1999 waren es 17. Dies ist schlechterdings un- bereit war. In einem mit den übrigen Kommissionsmit- möglich, zumal die Bewertung von Monitoring und gliedern nicht abgesprochenen Neudruck vom Begleitforschung ausschließlich auf ihm lasten und 8. September 1999 ist es Frau Happach-Kasan gelun- noch vermehrt auf ihm lasten werden. gen, umfangreiche eigene Positionen nachträglich zum Berichtsteil zu plazieren. Im Ministerium für Arbeit, Gesundheit und Soziales arbeitet zwar eine Medizinerin, die für den Bereich der (Vereinzelter Beifall bei der CDU) Reproduktionstechnik kompetent ist. Dieses Gebiet Laut Kapitel A.1.3. - Arbeitsweise - verstößt dies gehört streng genommen allerdings nicht zur Gentech- gegen die Vereinbarung. Lediglich zu den Kapiteln nik. Auch im Landwirtschaftsministerium hat man über Empfehlungen waren, wie im ersten Druck ge- feststellen müssen, daß es hier die notwendige Fach- schehen, ausführliche Minderheitsvoten zugelassen. kompetenz nicht gibt. Das heißt, es müßte eine zusätz- Herr Storjohann, Sie haben sich über die erheblichen liche Stelle neu geschaffen werden, denn eine Verset- Kosten beklagt. Vielleicht erkundigen Sie sich einmal, zung aus einem anderen Referat oder Ressort kann die was das Einstampfen und der Neudruck des Berichtes erforderliche Kompetenz nicht gewährleisten, und ein gekostet haben. Dies ist, wie gesagt, gegen die Ab- derartiges Fachwissen ist auch nicht durch Nachschu- sprachen geschehen. lungen zu erreichen. Wer hat hier wen über den Tisch gezogen, muß man Sollte ich es im Haushaltsentwurf übersehen haben, fragen: Die F.D.P. den Vorsitzenden? Die SPD die oder ist tatsächlich keine personelle Aufstockung für Grünen? Oder die Politik die gentechnisch kritische das Referat Biotechnologie vorgesehen? Grün-intern Wissenschaft? wird ganz offen zugegeben, daß man da nicht „ran“ will. Wie üblich macht die SPD nicht mit, und der Trotz des vielen Gerangels um inhaltliche Positionen grüne Schwanz wird eingezogen, ehe er noch gewedelt ist ein erstaunlich gehaltvolles Papier zustande ge- hat. Also: Schreiben, schreiben, schreiben - Wahlpro- kommen. Aber Papier ist bekanntlich geduldig. gramme, Koalitionspapiere, pardon, ein Koalitionspa- pier, ein zweites wird es wohl auf absehbare Zeit nicht Haben die Empfehlungen des Schlußberichtes, die zum geben. Wie schon gesagt, Papier ist geduldig, offenbar Teil nicht nur Peanuts an Kosten nach sich ziehen deutlich geduldiger als Wähler und Wählerinnen. werden, irgendeinen Niederschlag in dem vorgelegten Haushaltsentwurf gefunden? Exemplarisch greife ich die folgende Empfehlung aus dem Kapitel Gentech- Präsident Heinz-Werner Arens: niküberwachung und öffentliche Partizipation an den Entwicklungen der Gentechnik in Schleswig-Holstein Ich erteile Herrn Minister Steenblock das Wort. heraus: (Zuruf des Abgeordneten Holger Astrup „Die zuständige Überwachungsbehörde muß [SPD]) personell und finanziell so ausgestattet sein, daß die Bewertung von Monitoring und Be- - Das Wort wird nicht gewünscht? gleitforschung sowie eine jährliche Kontrolle aller gentechnischen Anlagen, einschließlich der Überprüfung von Aufzeichnungen, mög- Rainder Steenblock, Minister für Umwelt, Natur und lich sind.“ Forsten: Zur Zeit gibt es in der gesamten Landesregierung nur Wenn Sie mich hier schon aufrufen, Herr Präsident, eine einzige Person, die eine derartige Aufgabe fach- möchte ich gern auch kurz sagen, warum dies nach lich bewältigen kann. Allerdings hat auch Herr meiner Auffassung nicht die Stunde der Regierung ist, Dr. Engelke, der heute hier anwesend ist, keinen 24- sondern es ist ein Bericht der Landtags- Stunden-Arbeitstag. Enquetekommission, und es ist die Aufgabe der Re- Schleswig-Holsteinischer Landtag (14. WP) - 95. Sitzung - Freitag, 17. September 1999 7189

(Minister Rainder Steenblock) gierung gewesen, als Dienstleister dieser Kommission ten, wo wir - das haben auch eindrucksvoll die betei- zuzuarbeiten. Aber ich sehe es nicht als meine Aufga- ligten Wissenschaftler aus dem Lande in der Kommis- be an, jetzt kommentierend die Arbeit der Kommission sion deutlich gemacht - besondere Stärken haben. Es einzuschätzen, sondern das wird erst dann passieren, ist unbestritten, daß das Land Schleswig-Holstein wenn aus dieser Kommissionsarbeit Anträge in diesem insbesondere in seinem wissenschaftlichen Bereich an Hause entstehen. Dann werde ich mich gern in diese den Hochschulen hervorragende Kompetenz hat, die Diskussion einmischen. Aber dies ist der falsche Zeit- es weiter zu fördern und auszuarbeiten gilt, das heißt punkt. auf dem Gebiet dessen, was die Kommission behandelt hat, insbesondere den medizinischen Bereich als (Beifall im ganzen Haus) Schwerpunktbereich herauszunehmen. Es hat nach meiner politischen Auffassung keinen Zweck, uns zu Präsident Heinz-Werner Arens: „verkämpfen“ und zu sagen: Wir wollen gleichzeitig Dann erteile ich das Wort nach § 56 Abs. 4 der Ge- im Bereich der grünen Landwirtschaft bei der Einfüh- schäftsordnung der Frau Abgeordneten Dr. Happach- rung gen- und biotechnologischer Verfahren in der Kasan. Landwirtschaft vorankommen und hier als Land Schleswig-Holstein tätig werden. Dies ist notwendiger Dr. Christel Happach-Kasan [F.D.P.]: Anlaß zur Erläuterung dessen, was meinen Geschäfts- ordnungsantrag auf Überweisung - federführend - an Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Ich den Sozialausschuß begründete. möchte nur noch einmal auf den letzten Absatz der Seite 4 des Berichts hinweisen. Dort steht: Präsident Heinz-Werner Arens: „In der Sitzung am 23. April wurde beschlos- sen, alle Positionen, die bei der Beschreibung Vielen Dank für diese „geschäftsordnungsleitende und Bewertung eines Sachstandes eine Rolle Bemerkung“. spielten, im Abschlußbericht der Enquete- Ich habe die Beratung geschlossen. Ich meine, daß die kommission zu dokumentieren.“ nur formale Kenntnisnahme nicht angemessen wäre, Ich bedanke mich dafür, Herr Weber, daß Sie fair und möchte gern diesen Vorschlag aufgreifen und gehandelt haben. etwas erweitern. Wir sollten den Bericht zur abschlie- ßenden Beratung den Fachausschüssen überweisen. (Beifall im ganzen Hause) Das ist in erster Linie der Sozialausschuß, es sind aber auch der Agrarausschuß, der Umweltausschuß, der Präsident Heinz-Werner Arens: Wirtschaftsausschuß, der Bildungsausschuß und na- Vielen Dank, Frau Abgeordnete! türlich auch der Innen- und Rechtsausschuß. Die Fe- derführung sollte der Sozialausschuß haben. Wer so Das Wort zu einem Kurzbeitrag nach § 56 Abs. 4 der verfahren will, den bitte ich um das Handzeichen. - Geschäftsordnung hat der Herr Abgeordnete Dr. Hinz. Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Einstimmig so Ich bitte in Zukunft um rechtzeitige Wortmeldungen. beschlossen! Ich rufe jetzt Tagesordnungspunkt 34 auf: Dr. Jürgen Hinz [SPD]: Herr Präsident, entschuldigen Sie! Meine sehr verehr- Bericht zur biologischen Behandlung und Verwer- ten Damen und Herren! Aber es geht um das künftige tung von Bioabfällen zur Biogaserzeugung, zur Verfahren. Wir haben uns ja überhaupt nicht geeinigt. Behandlung und Verwertung von Klärschlämmen Deshalb wollte ich eine „geschäftsordnungsleitende Landtagsbeschluß vom 2. Juni 1999 Bemerkung“ machen. Drucksachen 14/1965 und 14/2162 Meine Fraktion schlägt vor, den Bericht zur weiteren Bearbeitung dem Sozialausschuß und - mitberatend - Bericht der Landesregierung dem Wirtschafts- und dem Umweltausschuß zu über- Drucksache 14/2361 weisen. Das Wort erteile ich zunächst dem Herrn Minister für Ich möchte kurz begründen, weshalb ich diesen Vor- Umwelt, Natur und Forsten. Herr Steenblock, Sie schlag mache. Die Vielfältigkeit der angeschnittenen haben das Wort. Themen und die Bedeutung des gesamten Gebietes rechtfertigen es, angesichts der Situation des Landes (Vizepräsidentin Dr. Gabriele Kötschau Schleswig-Holstein insbesondere dort weiterzuarbei- übernimmt den Vorsitz) 7190 Schleswig-Holsteinischer Landtag (14. WP) - 95. Sitzung - Freitag, 17. September 1999

Rainder Steenblock, Minister für Umwelt, Natur und gebot attraktiver zu machen. Dies sage ich unter Ein- Forsten: schluß dessen, daß die Eigenkompostierung natürlich weiterhin einen hohen Stellenwert haben muß. Auch Herr Präsident! Meine sehr verehrten Abgeordneten! die Kosten für die Bioabfallentsorgung sind sehr un- Eine moderne, zukunftsfähige Umweltpolitik muß sich terschiedlich: zwischen 90 und 260 DM pro Tonne. Im am Prinzip des Kreislaufs orientieren, um das Ziel Mittelwert sind wir aber, wenn wir uns mit anderen einer nachhaltigen Ressourcennutzung zu erreichen. In Bundesländern vergleichen, ganz gut. Das gilt auch für der Abfallpolitik ist dieser zentrale umweltpolitische die Qualität der entseuchten Komposte. Hier gab es Gedanke erstmals im Kreislaufwirtschafts- und nur sehr selten einmal Überschreitungen. Rund 56 % Abfallgesetz aufgegriffen und verankert worden. Bei- der Bioabfallkomposte werden landwirtschaftlich ver- spiele für die Anwendung des Gesetzes sind die wertet. Rückführung geeigneter organischer Abfälle als Se- kundärrohstoffdünger in der Landwirtschaft oder die Nutzung der in den Abfällen enthaltenen Energie in Auch die Energieerzeugung aus organischen Ab- Kraftwerken. fällen gewinnt immer mehr an Bedeutung. Das ist richtig und gut so. Die politisch-administrativen Vor- Bevor ich auf den Bericht näher eingehe, möchte ich aussetzungen dafür sind geschaffen worden, energeti- mich ganz ausdrücklich noch einmal bei den Betrei- sche Potentiale der Abfälle weiter zu nutzen, besser zu bern von Kompostierungsanlagen, den öffentlich- nutzen als in der Vergangenheit. Hier ist sicherlich die rechtlichen Entsorgungsträgern, bedanken. Denn die „Initiative Biomasse und Energie“ der Landesregie- vielen Informationen aus diesem Bericht sind in aller rung, die 1996 beschlossen worden ist, zu nennen. Regel originär nicht im Umweltministerium vorhan- den, sondern nur über die Kooperation mit diesen Be- treibern zu erhalten. Sie haben uns hier sehr schnell Die Nutzung von Reststoffen, beispielsweise aus der und sehr umfassend Hilfestellung geleistet. Vielen Land- und Forstwirtschaft, sowie von ökologisch un- Dank dafür! bedenklichen Abfällen aus Haushalt, Industrie und Gewerbe hat erhebliche positive Umweltauswirkun-

(Beifall bei SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- gen. Hier ist insbesondere die CO2-Neutralität dieser NEN und SSW) Maßnahmen zu erwähnen. Es gibt zur Zeit in Schles- Hierdurch ist eine ausführliche Darstellung der Bio- wig-Holstein elf Holzheizwerke und drei Holzheiz- abfallverwertung in Schleswig-Holstein möglich kraftwerke. Alle sind in den letzten Jahren entstanden. geworden. Mit dem Stand der Bioabfallerfassung und Zusätzlich sind zwei Strohheizwerke in Betrieb. Insge- Kompostverwertung in Schleswig-Holstein können samt sieben Biogasanlagen runden das energetische wir, glaube ich, zufrieden sein. Fast im gesamten Land Nutzungspotential ab, wobei ich sehr deutlich sagen werden, wenn wir einmal von der Landeshauptstadt will, daß hier noch Verbesserungsmöglichkeiten be- Kiel absehen, Bioabfälle getrennt gesammelt und ver- stehen. Dort sind die Potentiale mit Sicherheit noch wertet. Insgesamt ungefähr 150.000 t wurden 1997 nicht ausgeschöpft. Das ist bei der Deponiegasnutzung verwertet. Das sind durchschnittlich 53 kg pro Ein- anders. Dort verfügen mittlerweile acht von zehn wohner und Jahr. Hinzu kommen 23 kg Grünabfälle Hausmülldeponien über ein Energienutzungssystem in pro Einwohner und Jahr aus den kommunalen Samm- Form von Blockheizkraftwerken. lungen. Bis zum Jahr 2000 rechne ich mit einer weite- ren Steigerung. Ich glaube aber, daß wir diese Kapa- Meine sehr verehrten Damen und Herren, lassen Sie zitäten im wesentlichen in den Anlagen Schleswig- mich einen Punkt noch zum Schluß ansprechen. Auch Holsteins - es sind 14 Anlagen zur Kompostierung hier sind wir in den letzten Jahren ein gutes Stück von Bioabfällen und 43 Anlagen zur Kompostierung vorangekommen. Die Vorurteile, die es gegenüber dem von Grünabfällen - behandeln können. Klärschlamm gerade in der landwirtschaftlichen Verwertung gab, sind zurückgegangen. Der weitaus Bei den Anschlußquoten, also der Beteiligung der überwiegende Teil des schleswig-holsteinischen Klär- Grundstücke beziehungsweise der Einwohner eines schlamms wird bei uns landwirtschaftlich genutzt, Gebietes an der Verwendung, sehe ich noch Verbesse- geringe Teile aus den nördlichen Kreisen werden nach rungsmöglichkeiten. Wir haben in den einzelnen Krei- Dänemark exportiert; das macht ja auch Sinn. sen sehr unterschiedliche Dichten. Die Schwankungen betragen zwischen 20 % und 80 % der Grundstücke. Das hat sicherlich auch etwas mit der Gebührenge- Ich freue mich, daß auch die Getreidemühlen ihre staltung vor Ort zu tun. Ich bin froh, daß es bei den Zurückhaltung gegenüber einer Klärschlammverwer- Entsorgungsträgern auch eine Diskussion in Richtung tung abgebaut haben, so daß wir mit unserem Weg in Senkung der Biotonnengebühren gibt, um dieses An- Schleswig-Holstein, die Werte für den Klärschlamm Schleswig-Holsteinischer Landtag (14. WP) - 95. Sitzung - Freitag, 17. September 1999 7191

(Minister Rainder Steenblock) deutlich unterhalb der Bundesverordnung anzusetzen für die schadlose Verwertung von Abfällen deutlich und auch eine Vereinbarung mit der Landwirtschafts- verbessert. Auch diese Landesregierung hat erkannt, kammer zu erzielen, die Akzeptanzproblematik in daß die energetische Verwertung von Biomasse sinn- diesem Bereich deutlich verbessert haben. voll ist. Mit der „Initiative Biomasse und Energie“ soll - ich zitiere - „die in den Reststoffen enthaltene Ener- Insgesamt kann festgestellt werden, daß die stoffliche gie für das Land nutzbar gemacht werden“. Genau das Biomassenutzung in Schleswig-Holstein erhebliche ist die Forderung der F.D.P. Dies unterstützen wir. Fortschritte gemacht hat. Die energetischen Potentiale sind allerdings bei weitem noch nicht ausgeschöpft. Dies gilt es insbesondere in den nächsten Jahren ent- Nach dem Motto „Einen Schritt vor, zwei Schritte scheidend voranzubringen. zurück“ haben die Regierungsfraktionen dann aller- dings den Antrag zu den biologisch-mechanischen (Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Anlagen eingebracht - wir haben heute vormittag und SPD) schon darüber diskutiert -; sie sind auch vor dem Hin- tergrund dieses Berichts abzulehnen. Vizepräsidentin Dr. Gabriele Kötschau: Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hatte Frau Ab- Der Anteil der Bevölkerung, der die Biotonnen nutzt, geordnete Strauß. ist in den einzelnen Kreisen sehr unterschiedlich. Da- für sind die unterschiedlichen Rahmenbedingungen (Holger Astrup [SPD]: Die Antragstellerin! - verantwortlich. Es wäre wünschenswert, wenn die Detlef Matthiessen [BÜNDNIS 90/DIE Tabelle auf Seite vier, Herr Minister, auch die Gebüh- GRÜNEN]: Die F.D.P. müßte doch erst! - ren enthielte, die in den einzelnen Kreisen für die Holger Astrup [SPD]: Die Antragstellerin ist Biotonne zu zahlen sind. Dann könnte man etwas bes- die F.D.P.-Fraktion, Frau Präsidentin! Ich ser abschätzen, wieweit die Höhe der Gebühren eine denke, sie sollte zuerst reden!) bessere Nutzung der Biotonne verhindert. - Die F.D.P. ist Antragstellerin. Dann erteile ich zu- nächst der Frau Abgeordneten Dr. Happach-Kasan das Für die F.D.P. ist es gleichwohl kein Ziel, einen An- Wort. - Entschuldigung, ich habe das übersehen. schlußgrad von 100 % zu erreichen. Wer selbst kom- postieren will, soll das tun und dies auch durch gerin- (Detlef Matthiessen [BÜNDNIS 90/DIE gere Müllgebühren honoriert bekommen. Die Kosten GRÜNEN]: Das war kein schlechter Antrag! der Verwertung des Biomülls liegen zwischen 90 und Da wollen wir Sie nicht unterdrücken! - Mi- 240 DM. In der Antwort auf die Große Anfrage war nister Rainder Steenblock: Haben Sie Ihren der Betrag von 519 DM angegeben - das sage ich nur Kaugummi herausgenommen?) einmal zum Vergleich. Es ist zu fragen, ob tatsächlich die unterschiedlichen Rahmenbedingungen der Kreise Dr. Christel Happach-Kasan [F.D.P.]: für diese Preisgestaltung verantwortlich sind. Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! - Das ist richtig beobachtet worden; aber das macht Der Kreis Herzogtum Lauenburg hat - wie vier nichts! weitere Kreise - keine Kompostierungsanlage für Bio- abfälle. Da die Bioabfälle des Kreises kostengünstig Der Bericht der Landesregierung zur Verwertung von im mecklenburgischen Nachbarkreis verwertet wer- Bioabfällen ist im wesentlichen ordentlich erarbeitet den, besteht dafür auch keine Notwendigkeit. Im Ge- und gibt einen guten Überblick über die Verwertung genteil, die Auslastung vorhandener Anlagen ist von Bioabfällen in Schleswig-Holstein. Den Mitar- volkswirtschaftlich sinnvoll. Da die Landesregierung beiterinnen und Mitarbeitern sei dafür gedankt. ein rechnerisches Behandlungsdefizit von 50 t pro Jahr (Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN ausweist, klingt ihr Jammern über die Bioabfälle, die und SPD) schleswig-holsteinischen Anlagenbetreibern verloren- gehen - welchen denn, wenn keine Überkapazitäten Ich will nicht verhehlen, daß ich ein paar Widersprü- bestehen? -, allzu bemüht. che zu den Ausführungen in der Antwort auf die von mir vor zwei Jahren gestellte Große Anfrage erkenne, Die Qualität der Komposte ist gut. Daher ist ihre und freue mich über den Erkenntnisfortschritt. landwirtschaftliche Verwertung sinnvoll. Ich freue In der Einleitung gibt die Landesregierung zu erken- mich, daß es inzwischen auch möglich ist, die Ver- nen, daß sie bereit ist, wenigstens teilweise die Reali- wertung der Komposte zu ermitteln. Bei der Beant- täten anzuerkennen. Das Kreislaufwirtschafts- und wortung der Großen Anfrage der F.D.P. damals war Abfallgesetz des Bundes hat die Rahmenbedingungen das nicht möglich. 7192 Schleswig-Holsteinischer Landtag (14. WP) - 95. Sitzung - Freitag, 17. September 1999

(Dr. Christel Happach-Kasan)

Die Landesregierung beschreibt die landwirtschaftli- eine Minderung der finanziellen Belastung der Bürger chen Verwertung des Klärschlamms als die ökologisch zu erreichen. sinnvollste und kostengünstigste Form der Klär- schlammentsorgung. Dem stimmt die F.D.P. zu, Für die Förderung der ökologisch verträglichen Klär- sofern die Grenzwerte eingehalten werden. Die christ- schlammnutzung sollte eine Änderung der Richtlinien lich-liberale Bundesregierung hat diese Einschätzung der Ökolandbauverbände mit dem Ziel angestrebt geteilt und sich daher im Gespräch mit der Ernäh- werden, Klärschlamm in die Positivliste aufzunehmen. rungsindustrie dafür eingesetzt, daß bei Verträgen zwischen den Betreibern von Getreidemühlen und Die energetische Verwertung von Biomasse braucht Landwirten auf die Aufnahme von Klärschlammklau- weitere Förderung, um wettbewerbsfähig zu werden. seln möglichst verzichtet wird. Das ist konsequent. Ich beantrage, den Bericht zur abschließenden Bera- Es wäre wünschenswert, wenn sich die Landesregie- tung dem Umweltausschuß zu überweisen. rung bei den Ökolandbauverbänden für eine Ände- rung der Anbaurichtlinien einsetzte mit dem Ziel, den (Beifall bei der F.D.P.) Klärschlamm in die Positivliste der Stoffe einzusetzen, die als Dünger verwendet werden dürfen. Erst dann ist Vizepräsidentin Dr. Gabriele Kötschau: das Eintreten der Landesregierung für die landwirt- schaftliche Klärschlammverwertung glaubwürdig. Es Das Wort erteile ich jetzt dem Herrn Abgeordneten ist doppelzüngig, die Ökolandbaubetriebe als vorbild- Jacobs. lich für die Landwirtschaft zu preisen und gleichzeitig von konventionell wirtschaftenden Landwirten die Helmut Jacobs [SPD]: Klärschlammverwertung zu fordern. Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und (Detlef Matthiessen [BÜNDNIS 90/DIE Herren! Der Bericht zur biologischen Behandlung und GRÜNEN]: Das sehe ich auch so!) Verwertung von Bioabfällen zur Biogaserzeugung, zur Behandlung und Verwertung von Klärschlamm ist vom - Danke, Herr Kollege Matthiessen! - Ministerium für Umwelt, Natur und Forsten schnell Die thermische Verwertung von Bioabfällen er- und zügig erarbeitet worden. Für diese prompte Erle- bringt zur Zeit eine nutzbare Energiemenge von digung bedanke ich mich auch im Namen der SPD- 85.000 MWh pro Jahr. Zusammen mit der thermischen Fraktion. Verwertung von Restabfällen in den vier Müllver- (Beifall bei SPD und BÜNDNIS 90/DIE brennungsanlagen ergibt das eine genutzte Energie- GRÜNEN) menge von über 500.000 MWh pro Jahr. Das ent- spricht in etwa der Energieproduktion eines Kern- Wir erhalten einen Überblick über die Bioabfall- kraftwerkes während eines halben Jahres. Zu deutsch: sammlung, über vorhandene Verwertungskapazitäten Wer auf die Müllverbrennung verzichten will, braucht für Bioabfälle, über Kompostanlagen, über Anlagen ein halbes Kernkraftwerk mehr. Soviel einmal zu Ihrer für Grünabfälle und über das Thema Klärschlamm- Abfallpolitik, liebe Kolleginnen und Kollegen von der entsorgung. linken Seite! In Schleswig-Holstein hat die „Initiative Biomasse und (Detlef Matthiessen [BÜNDNIS 90/DIE Energie“ von 1996 gegriffen und die energetische GRÜNEN]: Das ist kein Biomüllproblem! Verwertung von Biomasse deutlich zugenommen, Das ist ein petrochemisches Problem, das Sie obwohl das Potential noch nicht ausgeschöpft ist, wie diskutieren!) Sie richtig sagten, Herr Umweltminister! Ich könnte Als Fazit möchte ich feststellen: mir aber vorstellen, daß auch die jüngste Entscheidung des Oberlandesgerichtes Schleswig, wonach die Die Einführung der Biotonne ist auf einem guten Weg. SCHLESWAG den Betreibern einer Biogasanlage die Ich erinnere daran, daß die Einführung der Biotonne volle Vergütung für den eingespeisten Strom zahlen rechtlich verpflichtend erst zum 1. Juli dieses Jahres muß, ein zusätzlicher Antrieb zur Errichtung weiterer festgeschrieben ist. Von daher sind wir inzwischen Anlagen sein könnte. schon recht weit gediehen. Auf fünf Seiten geht der Bericht umfassend auf ther- Eine Analyse der Kostenstruktur der Verwertung der mische Klärschlammbehandlungsverfahren ein. Biomasse aus der Biotonne sollte auf den Weg ge- Später erfahren wir dann allerdings, daß in Schleswig- bracht werden, um Einsparpotentiale zu ermitteln und Holstein zur Zeit keines der vorgestellten Schleswig-Holsteinischer Landtag (14. WP) - 95. Sitzung - Freitag, 17. September 1999 7193

(Helmut Jacobs) thermischen Verfahren angewandt wird. Ein interes- Steinburg. Ich sage das, weil im Bericht so oft Dith- santes und zukunftsträchtiges Projekt zur Klär- marschen genannt wird. schlammbehandlung erscheint mir die Seaborne- Anlage in Owschlag, die aus der Abfallabgabe geför- (Lothar Hay [SPD]: Sehr gut, daß das einmal dert worden ist. klargestellt wird!) (Beifall des Abgeordneten Detlef Matthiessen Eine Aussage zur Behandlung von Klärschlamm in [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) mechanisch-biologischen Behandlungsanlagen fehlt in diesem Bericht natürlich auch nicht. Frau Happach- Mit Hilfe dieses Verfahrens wird bisher nicht genutz- Kasan, der Bericht spricht auch nicht gegen den Bau ter Klärschlamm in komplizierten Verfahren zu Mine- von mechanisch-biologischen Kläranlagen; denn gera- raldünger verarbeitet und das dabei frei werdende de in der Antwort auf Ihre Große Anfrage steht ge- Biogas im Blockheizkraftwerk in elektrische und schrieben, daß trotz Bioabfallsammlung die Einrich- thermische Energie umgewandelt. tung von mechanisch-biologischer Abfallbehandlung noch sehr sinnvoll ist. In den vergangenen Jahren haben fast alle öffentlich- rechtlichen Entsorgungsträger in Erfüllung der TASi, (Zuruf der Abgeordneten Dr. Christel Hap- die vorschreibt, daß ab 1. Januar 1999 keine organi- pach-Kasan [F.D.P.]) schen Abfälle mehr deponiert werden dürfen, die ge- trennte Erfassung und Verwertung von Bioabfällen Das ist dort an Zahlenmaterial aufgezeigt und an vie- eingeführt. Dabei konnte festgestellt werden, daß die len Pilotversuchen nachgewiesen. - Das müssen Sie Bioabfallsammlung in den einzelnen Gebietskörper- nicht glauben; das ist in Ordnung. schaften auf sehr unterschiedliche Resonanz stößt. Die Klärschlamm aus mechanisch-biologischem Abfall ist Anschlußgrade liegen in den Kreisen zwischen 20 deshalb sinnvoll, weil eben Wasser und Nitrate den und 80 %. Die fehlende Akzeptanz liegt - das hat der Verrottungsprozeß forcieren. Herr Minister schon gesagt - zum Teil in den Kosten der Biotonne begründet. Es bleibt zu wünschen, daß die Arbeit nicht umsonst war und nicht in irgendeiner Schublade verschwindet, Die Tabelle zum Anschlußgrad der Bevölkerung an wie es zum Beispiel mit der Antwort auf die Große die Biotonne in den einzelnen Kreisen ist sehr unvoll- Anfrage der F.D.P. zur Abfallwirtschaft oder mit dem ständig. Wie im Vorwege bereits von mir vermutet, Bericht zur Baggergutentsorgung geschehen ist. sind die Auskünfte der öffentlich-rechtlichen Entsor- gungsträger immer sehr mager. Diese Erfahrung hat (Dr. Christel Happach-Kasan [F.D.P.]: Der man bereits mit der Fortschreibung des Landesentsor- ist nicht in der Schublade! Sie sehen, ich ar- gungsplanes gemacht. beite damit immer noch!) Den größten Teil des Berichtes nimmt das Thema Ich erhoffe mir also von diesem Bericht Konsequenzen Klärschlammentsorgung ein. Die Landesregierung hat und gute Vorschläge zum Thema Verwertung und in vielen Veröffentlichungen als Hauptziel genannt, Beseitigung organischer Abfälle. daß in Schleswig-Holstein anfallende Klärschlämme weitestmöglich landwirtschaftlich verwertet werden (Beifall bei SPD und BÜNDNIS 90/DIE sollen. Im Bericht wird zusammenfassend deutlich, GRÜNEN) welche Vorteile die Rückführung von Klärschlamm in den Naturkreislauf hat, daß die Akzeptanz bei Getrei- Vizepräsidentin Dr. Gabriele Kötschau: demühlen und Erzeugergemeinschaften zunimmt, daß das kommunale Klärschlammaufkommen über Ich erteile der Frau Abgeordneten Strauß das Wort. 120.000 Mg Trockensubstanz pro Jahr beträgt und daß fast 50 % landwirtschaftlich verwertet werden. Roswitha Strauß [CDU]: Es ist anzunehmen, daß die landwirtschaftliche Ver- Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Zum wertung von Klärschlamm auch in Zukunft der wich- einen in Anbetracht der Zeit und zum anderen der tigste Verwertungsweg bleiben und voraussichtlich Tatsache, daß wir das Thema im Ausschuß weiterbe- noch zunehmen wird. handeln werden, möchte ich hier nicht den vierten oder fünften Bericht zum Bericht abgeben. Fast 50.000 Mg Trockensubstanz der Papierfabrik Temming-Steinbeis aus Glückstadt werden energetisch (Beifall bei der CDU sowie der Abgeordneten verwertet. Diese Schlämme kamen früher auf die De- Dr. Ulf von Hielmcrone [SPD] und ponie nach Ecklak. Dieser Ort liegt übrigens im Kreis Dr. Christel Happach-Kasan [F.D.P.]) 7194 Schleswig-Holsteinischer Landtag (14. WP) - 95. Sitzung - Freitag, 17. September 1999

(Roswitha Strauß)

Ich möchte mich daher auf einige wesentliche Punkte, denke, hier gibt es wirklich Handlungsbedarf. Ich die mir aufgefallen sind und die wir im Ausschuß si- glaube auch, die Klärschlämme haben es verdient, als cherlich weiterbehandeln werden, beschränken. Sekundärrohstoffdünger auch gegenüber der konven- tionellen Landwirtschaft in der Akzeptanz gesteigert Die Landesregierung hat hier einen Bericht vorgelegt, zu werden. der eine ordentliche Beschreibung des Ist-Zustandes darstellt, aber aus meiner Sicht leider eine Analyse Eine weitere Frage: Warum sind die 410 t in Schles- bezüglich Effizienz, Kosten, Energiebedarf der einzel- wig-Holstein erzeugter industrieller Klärschlämme nen Verfahren und Anlagen vermissen läßt. Dies gilt nicht innerhalb Schleswig-Holsteins - bei der wohl für mich insbesondere vor dem Hintergrund der doch modernsten Sonderverbrennungsanlage SAVA - ent- erheblichen Fördergelder, die geflossen sind. Ich mei- sorgt worden, sondern in Hamburg? Dafür gibt es ne, begründete Schlußfolgerungen für künftige Pla- keine Begründung. Ich habe insgesamt bedauert, daß nungen sind in diesem vorgelegten Bericht nicht er- dieser vernetzte Ansatz für diesen Bericht nicht ge- kennbar. Ich denke, das ist bedauerlich; denn nur eine wählt worden ist. Wir können wirklich nur Handlungs- gründliche Kenntnis der Analyse über bestehende strategien und Förderungsrechtfertigungen aus einem Anlagen kann Handlungsstrategien und Förderungen solchen vernetzten Denken und aus einer vernetzten für die Zukunft rechtfertigen. Analyse ableiten. Ich will nur einmal darauf hinweisen: Die Beschrei- bung der Tatsache, daß Bioabfälle aus Schleswig- (Beifall bei der CDU und der Abgeordneten Holstein aus Kostengründen auch in anderen Bundes- Dr. Christel Happach-Kasan [F.D.P.]) ländern verwertet werden und daß dadurch Teile der Bioabfälle schleswig-holsteinischen Anlagenbetrei- bern verlorengehen, kann nicht ausreichen. Wir müs- Vizepräsidentin Dr. Gabriele Kötschau: sen doch eine Strategie haben, die das ändern kann. Das Wort hat Herr Abgeordneter Matthiessen. Gleiches gilt für die Feststellung, daß die für das Jahr 2000 prognostizierten Abfälle aus der Biotonnen- sammlung mit mehr als 40.000 t über der Schätzung Detlef Matthiessen [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: liegen. Daraus muß ich Schlußfolgerungen ziehen: Brauchen wir noch Anlagen, brauchen wir keine? Wir Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! werden das im Ausschuß machen. Vielen Dank, Herr Minister Steenblock, Ihnen und den Mitarbeitern Ihres Hauses für den Bericht, den man in Das, was ich auch vermißt habe, ist zum Beispiel: einem guten Sinne als schlank und übersichtlich be- Welche Erlöse kommen aus der Verwertung von Klär- zeichnen kann, wofür wir Abgeordnete, die wir regel- schlämmen und Komposten? mäßig mit Informationen zugeschüttet werden, beson- (Helmut Jacobs [SPD]: Die Frage war nicht ders dankbar sind. Die Bilanzen hinsichtlich der Er- gestellt worden!) fassung von Bioabfällen sind positiv, sowohl was die praktisch landesweit abgedeckte Gebietskulisse, aus - Das ist richtig. Ich denke, das machen wir im Aus- der lediglich Kiel herausfällt - der Minister nannte schuß. Aber ich möchte doch sagen, wo ich hier auch das -, als auch vor allen Dingen die erfreuliche Men- Widersprüche sehe. genentwicklung von 12.000 t in 1992 auf 143.500 t in 1997 angeht. Also ein deutlicher Fortschritt. Ganz kurz noch: Das Ziel, Klärschlämme und Kompo- ste weitestgehend landwirtschaftlich zu nutzen - das ist klar -, finden wir gut. Aber ich sehe einen Wider- Die erwartete Schätzmenge von 176.000 t in 2000 spruch in der ausdrücklichen Forderung der Landesre- unterschreitet allerdings die Prognose aus dem Ab- gierung, den Ökolandbau zu fördern. Wie paßt das fallwirtschaftsplan von 220.000 t erheblich. Soweit ich zusammen mit der Weigerung der Ökolandverbände, informiert bin, resultiert aus solch einer Erfassungs- die sogenannten Sekundärrohstoffdünger auch als unterschreitung gleichzeitig eine entsprechend starke Dünger anzuerkennen? Belastung des Restmülls mit Biomüll, der dort ja nicht hineingehört. So sehr ich die Eigenkompostierung Gerade auch vor dem Hintergrund: Welchen zukunfts- unterstütze - ich gehöre mit meinem Haushalt übrigens trächtigen Realitätsgehalt hat dann das angekündigte auch zu dieser Gruppe -, ist doch in vielen Fällen eine landesweite Konzept, in dem verfügbare Flächen zur ordnungsgemäße Behandlung und vor allen Dingen Verwertung von Sekundärrohstoffdünger dem Flä- Verwertung fraglich. Sieht man sich mal so manches chenbedarf anhand des Kompost- und Klärschlamm- Grundstück an, findet man in der Ecke irgendwo im aufkommens gegenübergestellt werden sollen? - Ich Garten, daß Rasenschnitt auf Rasen- Schleswig-Holsteinischer Landtag (14. WP) - 95. Sitzung - Freitag, 17. September 1999 7195

(Detlef Matthiessen) schnitt gehäuft vor sich hingammelt. Von aerober zwecken nutzen würde; das ist die naheliegende Ver- Rotte kann dort keine Rede sein. wertungsform -, daß wir damit die Hälfte der Woh- nungen des Landes beheizen könnten -, und das mit Man muß dieser Gruppe von Haushalten also - hier dem - sagen wir einmal - schlechten Dämmstandard, folge ich den Schlußfolgerungen des Berichtes sehr - denn 70 % der Wohnungen sind vor der ersten und die braune Tonne auch von der Gebührenseite her zweiten Wärmeschutzverordnung errichtet worden. attraktiver machen, und die Verlockung, dann Biomüll Daran kann man sehen, daß es sich hier keineswegs in die Restmülltonne zu stecken, ist bei Vorhandensein um Peanuts handelt, sondern daß am Horizont eine einer braunen Tonne schlicht nicht gegeben. Energiezukunft leuchtet, mit der wir den Heizbedarf (Zuruf der Abgeordneten Roswitha Strauß hier im Land regenerativ abdecken können. [CDU]) (Beifall der Abgeordneten Anke Spoorendonk Die Kompostqualitäten in Schleswig-Holstein gehören [SSW]) zu den Pluspunkten in diesem Bericht. Ich möchte noch einmal an Ihre Adresse gerichtet sagen, weil Sie meinten, die Biolandwirtschaft nimmt Klärschlämme - Dänemark hat das Problem eher umgekehrt, dort ist nicht auf: Das gilt natürlich auch für große Teile der nämlich der Weg schon fast bis zum Ende beschritten konventionellen Landwirtschaft, soweit sie Lieferver- worden. pflichtungen zum Beispiel gegenüber bestimmten Ver- arbeitern haben und so weiter. Das ist letztlich eine Wir müssen über eine Strukturpolitik nachdenken, die Sache, die wir hier beklagen können, die aber eine solche Verwertungsformen begünstigt. Ich sage, der Privatangelegenheit ist, eine Sache der privatwirt- Riese schlummert noch, und aus unserer Sicht sollte schaftlichen Organisation ist. der Schwerpunkt zunächst beim Aufbau von Bio- gasanlagen liegen. In vielen Fällen ist die Verwertung Insofern will ich das nicht weiter vertiefen. Die Ver- der Wärme zur Beheizung von Stallungen und zur marktung der Kompostmengen bedarf sicherlich noch Warmwassererzeugung gegeben und somit eine wich- weiterer Anstrengungen, aber ich glaube, da können tige wirtschaftliche Voraussetzung erfüllt. wir ganz optimistisch in die Zukunft schauen. Was natürlich die Bürger immer am meisten interes- Etliche Betriebe haben sich zusammengeschlossen. siert, ist auch die Kostenseite. Wie der Bericht aus- Die Zahl steigt im Moment sprunghaft an, so daß wir weist, ist im Land eine Spreizung von nahezu 300 % demnächst eine nennenswerte Zahl von Biogasanlagen zu beobachten. Hier gilt es eben, noch weitere An- im Lande haben werden. strengungen zu unternehmen, um wirtschaftliche An- reize zur Nutzung des Entsorgungsangebotes zu ge- Durch die Verwertung von sogenannten Cofermenten ben. aus der Abfallwirtschaft kann der Gasertrag gesteigert Was die energetische Verwertung anbelangt - damit werden. Die Biomüllentsorgung ließe sich dann ein bin ich bei meinem Lieblingsthema -, nimmt Schles- Stück dezentralisieren, die braune Tonne bliebe auf wig-Holstein bundesweit eine Spitzenstellung bei der dem Land. Ich begrüße ausdrücklich das Urteil des Stromerzeugung ein. Oberlandesgerichts in der BA-Angelegenheit, wo der Stromlieferant zur fairen Vergütung des regenerativen Was das Deponiegas anbelangt: Immerhin resultiert Biomassestroms verpflichtet wurde. mehr als ein halbes Prozent der gesamten Strommenge, die wir hier im Land verbrauchen, aus dieser Erzeu- Initiativen auf dem Gebiet der Biomassenutzung müs- gungsform. Und damit liegen wir wirklich mit Abstand sen also ergriffen werden, und ich weiß, Herr Minister, an der Bundesspitze. daß Sie im Rahmen der Ökotechnikförderung gerade So gut wir im Ländervergleich auch dastehen mögen, auf diesem Gebiet unterstützend tätig sind. Die Firma mit der energetischen Verwertung von Biomasse ste- Seaborne ist schon genannt worden. Dort werden or- hen wir allerdings noch am Anfang einer Entwicklung, ganische Stoffe in kristalliner Form entzogen, bei der große Potentiale realisiert werden können. Die Schwermetallverunreinigungen durch chemische Ver- Biomasse zählt zu den regenerativen Energieträgern, fahren abgetrennt. Das Potential beträgt mehr als weil sie alljährlich nachwächst und so mittelbar Son- 20.000 solcher Anlagen bundesweit. Dort kann man nenenergie in gespeicherter Form darstellt. Die Ener- also sagen: High-Tech und Biomasse auf dem Land - giestiftung gibt das Potential der Biomassenutzung Zukunft made in Schleswig-Holstein! inklusive der landwirtschaftlichen und forstwirtschaft- lichen Reststoffe so hoch an - wenn man es zu Heiz- Sie sehen, meine Damen und Herren, der Bericht und 7196 Schleswig-Holsteinischer Landtag (14. WP) - 95. Sitzung - Freitag, 17. September 1999

(Detlef Matthiessen) die Beschäftigung mit dem Thema Biomasse ist viel In Schleswig-Holstein existieren erst 16 Heizwerke, spannender, als man vermutet. die mit Biobrennstoffen befeuert werden. Damit wird erst ein geringer Teil des für eine thermische Verwer- (Beifall der Abgeordneten Helmut Jacobs tung einsetzbaren Potentials an Biomasse genutzt. Wie [SPD] und Konrad Nabel [SPD] - Konrad auch schon der Energiebericht deutlich gemacht hat - Nabel [SPD]: Es ist wirklich unheimlich und der Kollege Matthiessen hat es hier auch noch spannend! - Detlef Matthiessen [BÜNDNIS einmal hervorgehoben -, ist zum Beispiel unser Nach- 90/DIE GRÜNEN]: Ja, es ist wirklich ein barland Dänemark in der energetischen Nutzung der spannendes Thema! - Heiterkeit) Bionutzung viel weiter vorangeschritten als wir. Vizepräsidentin Dr. Gabriele Kötschau: Der zweite Teil des Berichts gibt Aufschluß über den Frau Abgeordnete Spoorendonk hat das Wort. Stand der energetischen Nutzung von Biogas. Aus der Sicht des SSW ist es erfreulich zu sehen, daß eine auf Anke Spoorendonk [SSW]: Ressourcenschonung und Nachhaltigkeit aufbauende Energieversorgung in Schleswig-Holstein zunimmt. Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Diese Art der Energiegewinnung birgt nicht nur öko- Der Bericht macht deutlich, daß wir es bei Bioabfällen logische Vorteile in sich, sondern sie schafft und si- und Klärschlämmen mit sehr komplexen Themen zu chert Arbeitsplätze im mittelständischen Bereich und tun haben. Daher möchte ich nur kurz einige Punkte eröffnet den Markt für innovative Technologien. Eben- des Berichts aufgreifen. so begrüßen wir, daß heute in acht von zehn Haus- (Beifall des Abgeordneten Uwe Eichelberg müllanlagen Blockheizkraftwerke durch Methange- [CDU]) winnung betrieben werden. Im ersten Teil des Berichtes wird deutlich gemacht, daß die Einführung der Biotonne nach anfänglicher (Jürgen Weber [SPD]: Sehr gut!) Skepsis und Widerwillen in der Bevölkerung jetzt an Akzeptanz gewonnen hat. Das ist auf eine intensive Im dritten Teil des Berichts wird unter anderem auf die Öffentlichkeitsarbeit zurückzuführen. Aber mit der Möglichkeiten der Klärschlammentsorgung einge- gewonnenen Akzeptanz haben sich auch neue Proble- gangen. Hier war es für mich überraschend zu sehen, me ergeben. So ist die Mengenentwicklung aus der daß zirka 50 % der anfallenden kommunalen Klär- Biotonnensammlung im Zeitraum von 1992 bis 1997 schlämme durch die Landwirtschaft verwertet werden. um ein zehnfaches gestiegen. 1997 hatten wir es in Schleswig-Holstein mit zirka 145.000 t Bioabfall zu Der Bericht macht deutlich, daß die Akzeptanz gegen- tun. Und nach vorläufigen Schätzungen der Kreise und über Klärschlamm bei den Betreibern von Getreide- kreisfreien Städte wird er bis zum Jahr 2000 weiter mühlen steigt. Eine strikte Ablehnung von Klär- steigend sein. Daher könnte es im Jahr 2000 zu einem schlammentsorgung ist heute nur noch bei Ökoland- Defizit an geeigneten Kompostierungsanlagen kom- bauverbänden zu finden, da ihre Anbaurichtlinien die men. Hier ist also wirklich noch etwas zu tun. Ausbringung von Klärschlamm ausschließen. Ich den- ke mir, auch für Klärschlamm wird es wichtig sein, die Die Bemühungen der Landesregierung und der Ener- Nutzung von Biogas und die Förderung von Bio- giestiftung Schleswig-Holstein, die thermische Nut- gasanlagen voranzutreiben. zung von Biomasse zu fördern, ist aus der Sicht des SSW begrüßenswert. Ich wünsche mir, daß wir im Ausschuß noch viele (Beifall des Abgeordneten Detlef Matthiessen interessante Gespräche zu diesem Bericht führen wer- [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) den.

- Ja, so ist es. (Beifall bei SPD und BÜNDNIS 90/DIE Anders formuliert: Ich wünsche mir, daß wir in Sachen GRÜNEN) Biomasse wirklich weiter kommen, als wir bis jetzt gekommen sind. Ich möchte noch einmal - ich weiß, Vizepräsidentin Dr. Gabriele Kötschau: daß ich das Beispiel schon gebracht habe - mit dem Beispiel Amt Schafflund kommen, wo sich die Bauern Weitere Wortmeldungen sehe ich nicht. Ich schließe zu einer Knick-Börse zusammengeschlossen haben, die Beratung. um ihr Schreddergut nicht nach Dänemark exportieren zu müssen. Das kann es eigentlich nicht gewesen sein. Es ist beantragt worden, den Bericht der Landesregie- rung dem Umweltausschuß zu überweisen. Wird Schleswig-Holsteinischer Landtag (14. WP) - 95. Sitzung - Freitag, 17. September 1999 7197

(Vizepräsidentin Dr. Gabriele Kötschau)

Mitberatung beantragt? - Mitberatung im Agraraus- Am 9. August ließ Frau Bundesbildungsministerin schuß. Wer so beschließen will, den bitte ich um das Bulmahn im Gespräch mit der „taz“ dann die Katze Handzeichen. - Gegenstimmen! - Enthaltungen? - Das aus dem Sack - ich zitiere die „taz“ vom ist einstimmig so beschlossen. 9. August 1999 -:

Ich rufe Tagesordnungspunkt 20 auf: „’Nein, sorry, das wollten die Sozialdemo- Reform des Bundesausbildungsförderungsgesetzes kraten nicht’, rückte Bulmahn von dem soge- nannten Drei-Körbe-Modell ab, das die Län- Antrag der Fraktion der F.D.P. der-Kultusminister und das Deutsche Stu- Drucksache 14/2383 dentenwerk vorangetrieben hatten.“ Wird das Wort zur Begründung gewünscht? - Das ist (Irene Fröhlich [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- nicht der Fall. NEN]: Und Sie hatten 16 Jahre Zeit, das zu Dann eröffne ich die Aussprache. Das Wort hat Herr tun!) Abgeordneter Dr. Klug. Dies ist ein weiterer Bruch von Wahlversprechen der (Thomas Stritzl [CDU]: Sehr gut!) SPD und der Grünen.

Dr. Ekkehard Klug [F.D.P.]: (Beifall bei F.D.P. und CDU - Irene Fröhlich [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ha, ha, ein Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Als sich halbes Jahr nach Regierungsübernahme!) der Landtag zuletzt in der März-Tagung mit dem Thema BAföG-Reform befaßt hat, sind wir alle davon ausgegangen, daß die Bundesregierung noch im Laufe Es ist vor allem ein enormer bildungs- und gesell- dieses Jahres ein umfassendes Reformkonzept vorle- schaftspolitischer Schaden für die Nutzung aller Be- gen würde. „Die Landesregierung erwartet grundle- gabungspotentiale. - Frau Kollegin Fröhlich, ich messe gende BAföG-Reformen bis Ende 1999“, lautete die Sie an dem, was Sie selbst angekündigt haben, was in Überschrift der Pressemitteilung der Ministerin Erd- Ihrem Koalitionsvertrag fixiert wurde, was öffentli- siek-Rave am 25. März dieses Jahres. Diese Erwar- chen Erklärungen Ihrer Regierung entsprach und was tung, die auf öffentlich gegebenen Zusagen der rot- noch Ende März dieses Jahres von Vertretern Ihrer grünen Bundesregierung beruhte, hat sich inzwischen Fraktion auch im Landtag als Erwartung geäußert als trügerisch erwiesen. Mit den Worten „Nichts als wurde. leere Versprechungen“ hat der Präsident des Deut- schen Studentenwerks, Professor Rinkens, bereits Noch einmal zurück zu dem Problem! Jungen Män- Ende Juni die neuen Signale aus dem Bundeskabinett nern und Frauen aus Familien mit geringerem Ein- kommentiert. kommen würde - wenn es so kommt, wie es sich ab- zeichnet, daß die große BAföG-Reform verschoben Bundesfinanzminister Eichel hatte nämlich am wird - der Zugang zum Studium erheblich erschwert. 23. Juni in einer Pressemitteilung folgendes erklärt: Viele Studierende könnten ihre akademische Ausbil- dung nicht so zügig abschließen, wie dies bei einer „Über die Ausgestaltung des Familienlei- Reform der Ausbildungsförderung möglich wäre. stungsausgleich ab 2002 entscheidet die Bun- desregierung im Jahre 2001 im Zusammen- Versäumnisse in dieser Hinsicht sind - das räume ich hang mit einer Reform der Ausbildungsförde- ein - auch der alten Bundesregierung anzulasten, eben- rung.“ so freilich auch der rot-grünen Bundesratsmehrheit, Der Tabellenanhang zu dem von Herrn Eichel veröf- die ja mehrfach kleinere Reformschritte - etwa im Mai fentlichten sogenannten Zukunftsprogramm - das heißt 1998 die bayerische Bundesratsinitiative - unter Hin- zum Sparkonzept der Bundesregierung - enthält einen weis auf die höhere Priorität eines grundlegenden weiteren Hinweis. Danach schreibt der Bundesfinanz- Reformkonzepts nach dem Drei-Körbe-Modell hat minister die Einsparungen, die formal jedenfalls mit scheitern lassen. Es hat deshalb mehrere geringfügige- der Übertragung der BAföG-Zahlungen aus dem Bun- re Anpassungen im BAföG-Bereich nicht gegeben, deshaushalt an die Deutsche Ausgleichsbank verbun- weil eben diese Fundamentalopposition im Bundesrat den sind, noch bis zum Jahre 2003 fort. Kosten einer in der Vergangenheit betrieben worden ist. allfälligen BAföG-Reform hat Herr Eichel jedenfalls in dieser mittelfristigen Finanzplanung überhaupt nicht Die neue rot-grüne Koalition in Berlin hat mit der veranschlagt. 20. BAföG-Novelle, die zum Sommer/Herbst dieses 7198 Schleswig-Holsteinischer Landtag (14. WP) - 95. Sitzung - Freitag, 17. September 1999

(Dr. Ekkehard Klug)

Jahres in Kraft getreten ist, ebenso kleine Brötchen anderem auch die Studierenden treffen, ohne daß diese gebacken wie frühere Bundesregierungen. einen Ausgleich etwa aufgrund einer zügigen BAföG- Reform erhalten würden. (Irene Fröhlich [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Mit 23.000 Studierenden, die jetzt in Kollege Jürgen Weber hat in der Landtagsdebatte am den Genuß von BAföG kommen!) 25. März in diesem Parlament ausdrücklich bekräftigt, Die Verbesserungen entsprechen im wesentlichen dem, daß die Sozialdemokraten - ich setze hinzu: offenbar was bereits die alte Regierung in der 19. Novelle im in Schleswig-Holstein - an einer umfassenden BAföG- Vorjahr vorgelegt hat, und das Deutsche Studenten- Reform nach dem Drei-Körbe-Modell festhalten. Das werk hat erst kürzlich nach Rückfrage bei den Stu- können Sie so im Plenarprotokoll vom 25. März dentenwerken in den größeren Universitätsstädten nachlesen. festgestellt, daß die von Ihnen vorgelegte 20. Novelle nicht zu mehr BAföG-Anträgen geführt habe als im Ich hoffe daher auf eine breite Unterstützung unseres Vorjahr. Das ist die Aussage des Deutschen Studen- Antrags. tenwerks. (Beifall bei der F.D.P.) Damit bleibt es bei der bildungs- und gesellschaftspo- litisch unbefriedigenden Situation, daß nur acht von 100 Kindern aus einkommenschwachen Familien Vizepräsidentin Dr. Gabriele Kötschau: Hochschulen besuchen, obwohl 33 von 100 Kindern die gymnasiale Oberstufe besuchen. Das Wort hat Herr Abgeordneter Weber. Meine Damen und Herren, zu den bereits genannten Argumenten für eine zügige und grundlegende Jürgen Weber [SPD]: BAföG-Reform sind noch weitere Aspekte hinzuzufü- gen. Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wenn man sich lediglich den Text des F.D.P.-Antrags Erstens: Nach geltender Rechtslage läuft die Studien- ansieht, muß man sagen, daß er in der Formulierung in abschlußförderung am 30. September 2001 aus. Be- der Tat einer der besten ist, den wir von dieser Frakti- reits ein Jahr vorher - das heißt ab Oktober 2000, ab on in diesem Parlament bisher vorgelegt bekommen Oktober nächsten Jahres - müßte die Gewährung einer haben. Das ist auch ganz einfach zu begründen, wurde solchen bis zu zwölf Monate zu zahlenden Studienab- er doch offensichtlich mittels eines Textscanners auf schlußförderung abgelehnt werden, weil die Studieren- der Grundlage von sozialdemokratischen Beschlüssen den ihren Abschluß nicht mehr innerhalb der Gel- erstellt. tungsdauer der jetzigen Regelung erreichen könnten. Falls sich die Studienzeit durch besondere Gründe wie (Heiterkeit und Beifall bei der SPD - Wider- Krankheit, Schwangerschaft oder Kindererziehung spruch bei F.D.P. und CDU) verlängert, müßten die Betroffenen nach geltender Rechtslage sogar bereits vor Oktober 2000 damit Eine solche Form von Technologietransfer begrüßen rechnen, daß ihnen keine Studienabschlußförderung wir aufs lebhafteste und haben auch nichts dagegen, gewährt werden kann. Aber auch im Normalfall ist die wenn Sie in Zukunft häufiger davon Gebrauch ma- Unsicherheit für diejenigen, die sich bereits jetzt über chen, Herr Kollege Klug! die finanzielle Absicherung ihrer Examensphase Ge- danken machen müssen, groß. (Heiterkeit und Beifall bei der SPD) Zweiter Punkt: Wie alle Bürger sind Studierende be- reits heute von Mehrbelastungen durch Gesetzesbe- Der Landtag hat sich in den letzten zwei Jahren häufi- schlüsse der neuen Bundesregierung wie etwa die ger mit dem BAföG befaßt. Ich darf darauf hinweisen, Ökosteuer betroffen, nämlich durch höhere Energieko- daß noch ein SSW-Antrag im Ausschuß - wie man so sten, die sich daraus ergeben. Einen Ausgleich durch schön sagt - „schmort“. Deswegen lassen Sie mich ein sinkende Rentenversicherungsbeiträge - das ist es ja, paar Anmerkungen zu der aktuellen Situation machen. was zumindest Arbeitnehmer auf der Gegenseite ver- Die neue Bundesregierung hat mit der für dieses Jahr buchen können - erhalten Studenten dagegen nicht; sie gültigen Novellierung des BAföG in der Tat noch zahlen ja nicht in die Rentenversicherung ein. keinen großen Reformwurf vorgelegt, sondern zu- Weitere Stufen der Ökosteueranhebung hat die Berli- nächst einmal die Bedarfssätze um 2 % und die Frei- ner Koalition bereits angekündigt. Die damit verbun- beträge um 6 % angehoben. Das war dringend erfor- denen Belastungen werden im kommenden Jahr unter derlich. Sie hat aber auch andere Strukturverbesse- Schleswig-Holsteinischer Landtag (14. WP) - 95. Sitzung - Freitag, 17. September 1999 7199

(Jürgen Weber) rungen vorgenommen wie die Anrechnung von Aus- Leistungen nach dem BAföG haben, wieder deutlich landsaufenthalten und der Gremienarbeit von Studie- zu erhöhen, nachdem man in den letzten Jahren und renden, die in früheren Jahren abgeschafft worden Jahrzehnten auf eine kleine Restgröße zurückgegangen war. ist. Das war ein guter Start, aber ich sage auch: Nach (Günter Neugebauer [SPD]: Sehr richtig!) diesem guten Start muß die grundlegende BAföG- Reform kommen. An dieser Auffassung hält die Sozi- Es ist kein Geheimnis - und wir brauchen da gar nicht aldemokratische Fraktion dieses Landtages fest. um den heißen Brei herumzureden -, daß auch in der Bundesregierung unterschiedliche Vorstellungen von (Frauke Walhorn [SPD]: Unbedingt!) einer Reform der Ausbildungsförderung bestehen. Ich habe die „taz“ jetzt zwar nicht zur Hand, meine (Zuruf von der CDU: Das ist ja nicht neu!) mich aber zu erinnern, daß Sie das Zitat aus der „taz“ etwas unpräzise oder tendenziös vorgetragen haben, Die grüne Fraktion hat nach wie vor ihr Reformmodell Herr Kollege Klug, denn in einem weiteren Satz - im Auge, das wir als Fraktion und Partei für einen etwa zehn Zeilen weiter, wenn ich mich recht entsinne nicht sinnvollen Weg halten. Aber auch diese Dinge - sagt Frau Bulmahn ausdrücklich, daß sie keinesfalls sollen natürlich im Rahmen eines ordentlichen Diskus- von dem Drei-Körbe-Modell Abstand nehmen will, sionsprozesses abgeschichtet werden. sondern daß es ihr lediglich darum ging, die Chancen- Wie immer diese Lösung im Detail auch aussehen gleichheit als erstes Kriterium sozusagen an die Spitze wird und aussehen soll, das Prinzip der Chancen- der Gesichtspunkte für die Schaffung einer künftigen gleichheit muß genauso großes Gewicht haben wie die Strukturreform zu setzen. Das sollte man hier einmal Zügigkeit und Beschleunigung des vor uns liegenden feststellen. Verfahrens. Wer redlich über die BAföG-Struktur diskutieren will, Summa summarum sage ich zum Antrag der F.D.P.: Er muß natürlich auch die Rahmenbedingungen berück- setzt aus vordergründigem Interesse einen Termin, der sichtigen. In der Tat ist es so, daß nach der Entschei- unseres Erachtens in dieser Form für eine Beschluß- dung des Bundesverfassungsgerichts vom November fassung nicht zielführend ist. Wir werden ihm daher in 1998 auch die Berechnung der Grundlage des soge- dieser Form nicht zustimmen. Wir sind aber bereit, nannten ersten Korbs des Drei-Körbe-Modells neu über eine Qualifizierung und eine detaillierte Untersu- überdacht werden muß. Alle Fachleute sagen, daß die chung der Dinge, die dort im Detail vorgelegt und im bisher vorgesehene Ausstattung mit einem Sockelbe- Bund diskutiert werden, gemeinsam mit dem SSW- trag von 400 DM elternunabhängiger Förderung Antrag, der noch zur Beratung steht, im Bildungsaus- pro Student dem Entlastungsgebot des Verfassungsge- schuß zu beraten. richts nicht entsprechen würde. Fachleute reden von einem Betrag zwischen 460 DM und etwas über Ich sage das nicht, um etwas auf die lange Bank zu 500 DM als erstem Sockelbetrag - ein Betrag, der schieben, sondern um zeitnah qualifiziert beraten zu angesichts der Haushaltssituation des Bundes in dieser können. Wir beantragen Überweisung an den Bil- Höhe nicht realistisch ist. Deswegen muß die Frage dungsausschuß. aufgeworfen und geklärt werden, wie man das Verfas- sungsgerichtsurteil auf der einen Seite und das Modell, (Beifall bei SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- zu dem zumindest wir als Sozialdemokraten nach wie NEN und dem SSW) vor stehen, gemeinsam voranbringen will. Es ist die Aufgabe des Bundesbildungsministeriums und der Vizepräsidentin Dr. Gabriele Kötschau: Regierungsfraktionen im Bundestag, den vom Bundes- verfassungsgericht noch offengelassenen Spielraum so Das Wort hat Herr Abgeordneter de Jager. weit auszunutzen, daß wir möglichst bald und nicht erst im Jahre 2001 - das füge ich an dieser Stelle aus- Jost de Jager [CDU]: drücklich hinzu - zu einer BAföG-Strukturreform gelangen. Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Zunächst dachte ich, ich hätte ein Déjà-vu-Erlebnis, als ich den (Beifall bei der SPD und der Abgeordneten F.D.P.-Antrag gelesen habe, denn ich fühlte mich an Irene Fröhlich [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- den BAföG-Vorstoß des SSW - - NEN]) (Irene Fröhlich [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Oberste Priorität jeder Strukturreform muß es sein, den NEN]: Das hat Herr Weber als Scanner- Prozentsatz derjenigen Studierenden, die Anspruch auf Effekt bezeichnet!) 7200 Schleswig-Holsteinischer Landtag (14. WP) - 95. Sitzung - Freitag, 17. September 1999

(Jost de Jager)

- Nein, nein! Bei mir hatte das eine etwas andere Vari- aussetzungen für den Eintritt in das Bundeskabinett ante, denn ich fühlte mich an den SSW-Vorstoß vom mittlerweile offenbar der Verlust einer Landtagswahl März erinnert, von dem ich auch schon glaubte, daß er eines SPD-Ministerpräsidenten ist. Er kam, und er hat zur Unzeit gestellt war. Ich bin auch heute der Auffas- gestern im Bundestag gesagt, daß die Verdoppelung sung, daß wir als Landtag den Beratungen des Bun- der Forschungsmittel zwar kommen soll, aber nicht destages über die BAföG-Reform - zumindest zu jetzt. Nun wissen wir nicht, was wir aus diesen ver- diesem Zeitpunkt - nicht vorgreifen sollten. Ich glaube, schiedenen Signalen machen sollen. Genaugenommen wir wären besser beraten zu warten, bis die Konzepte haben wir es mit einer babylonischen Sprachrege- des Bundes auf den Tisch kommen, um dann in dem lungsverwirrung beim BAföG zu tun, denn es gibt Verfahren, an dem wir ohnehin im Bundesrat beteiligt einen Sachzusammenhang zwischen der Erhöhung der werden, zu sehen, was wir daraus machen. Mittel und einer groß angelegten BAföG-Reform. (Beifall der Abgeordneten Jürgen Weber [SPD] und Sabine Schröder [SPD]) Weil diese Mittelerhöhung nicht kommt, ist auch nicht zu erkennen, daß diese BAföG-Reform in einer groß - Ich freue mich über jeden Applaus, aber der kam von angelegten Aktion vorgelegt werden kann. Ich glaube, der falschen Seite. insofern sollten alle, die jetzt über das BAföG nach- denken, die Vorschläge zur BAföG-Reform nicht an Dann habe ich gesehen, daß wir nach diesem Antrag den eigenen Wünschen messen, sondern an der Haus- die Bundesregierung beim Wort nehmen und die ange- haltswirklichkeit, die wir in Bonn haben. kündigte BAföG-Reform in den Eckwerten bis zum Jahresende vorlegen sollen. Das macht es natürlich deutlich interessanter, weil ich ein großer Freund da- Kollege Klug, vor diesem Hintergrund glaube ich, daß von bin, die Bundesregierung beim Wort zu nehmen. man sehr ernsthaft prüfen muß, ob das Drei-Körbe- Das wird ein Unterfangen sein, das einen gewissen Modell ein Modell ist, das wir wirklich weiter verfol- Unterhaltungswert verspricht, denn ich kann nicht gen sollten, denn Berechnungen von Wirtschaftsinsti- erkennen, daß eine groß angelegte BAföG-Reform tuten - aber auch der bayerischen Staatsregierung - zumindest - oder überhaupt - in den Eckwerten bis sagen, daß das Drei-Körbe-Modell sehr viel mehr zum Jahresende der Bundesregierung vorgelegt wer- Kosten generiert, die Gefördertenquote jedoch nicht den kann. deutlich erhöhen wird. Insofern kann ich mir vorstel- len, daß man bei der jetzigen Systematik des BAföG (Irene Fröhlich [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- bleibt, diese aber gleichzeitig deutlich verbessert. NEN]: Da ist jetzt schon mehr auf den Weg Dazu gehören aus Sicht der CDU-Landtagsfraktion gebracht, als Sie es in 16 Jahren geschafft folgende Eckpunkte: Wir müssen das BAföG wieder haben!) zu einem Instrument für die wirklich BAföG- Bedürftigen machen. Vielmehr wird die Bundesbildungsministerin Bulmahn ihren unglaublichen Spagat zwischen Ankündigung und Wirklichkeit erklären müssen. (Beifall bei der CDU)

Daß aus der groß angekündigten Reform im ersten Das bedeutet, daß wir - auch aus sozialen Gesichts- Schritt eine Anpassung geworden ist, haben wir sei- punkten heraus - die Gefördertenquote deutlich erhö- nerzeit schon kritisiert. Das wollen wir aber nachse- hen müssen. Dabei peilen wir 25 bis 30 % an. Das hen. Gravierender wirkt die Ankündigung, die Bundes- wäre auch ein Weg, um das Mittelstandsloch, das wir regierung werde die Forschungsmittel verdoppeln. derzeit haben, tatsächlich zu beseitigen. Wir müssen Das direkte Ergebnis dieser Ankündigung ist eine über eine Erhöhung der Freibeträge nachdenken. Da Kürzung dieser Mittel in dem Etat, der in diesen Tagen gibt es verschieden Modelle, die wir im Bildungsaus- vorgelegt wurde, um 350 Millionen DM. schuß bereden können. (Thomas Stritzl [CDU]: Hört, hört!) Lassen Sie mich zum Schluß eines festhalten: Die Das paßt nicht zusammen. CDU-Landtagsfraktion ist der Auffassung, daß wir das (Beifall bei der CDU) BAföG nicht von dem Einkommen der Eltern entkop- peln sollen. Ich glaube, daß das nach wie vor eine Nun konnte Frau Bulmahn - als sie diese Ankündigung richtige Position ist. Frau Fröhlich, Sie hatten mir in machte - natürlich nicht wissen, daß ihr Herr Eichel der März-Debatte etwas vorgeworfen, nämlich, daß dazwischenkommt. Genaugenommen konnte keiner man - wenn man davon spricht, daß die Förderung der wissen, daß Herr Eichel kommt, denn es ist für uns Kinder nicht von dem Einkommen der Eltern entkop- alle überraschend festzustellen, daß die Eingangsvor- pelt werden soll - beachten muß, daß man es Schleswig-Holsteinischer Landtag (14. WP) - 95. Sitzung - Freitag, 17. September 1999 7201

(Jost de Jager) nicht mit Kindern, sondern mit Erwachsenen zu tun dierenden Kindern konnte bei der Gesetzeslage, die bis hat. Das ist richtig. Ich möchte jedoch mit dem Aus- Ende März 1999 galt, nur dann eine Vollförderung spruch eines ehemaligen bildungspolitischen Sprechers erhalten, wenn ihr monatliches Bruttoeinkommen der CDU-Bundestagsfraktion enden. Er sagte: „Das ist 2.985 DM unterschritt. sicherlich alles richtig, nur keiner wird leugnen, daß die Kinder immer noch mit ihren Eltern verwandt Deshalb hat die rot-grüne Mehrheit im Bundestag im sind.“ März mit dem 20. BAföG-Änderungsgesetz eine sogenannte Reparaturnovelle beschlossen, um wenig- (Beifall bei der CDU) stens das Schlimmste abzuwenden. Diesem Ände- rungsgesetz hat nun auch dankenswerterweise die Vizepräsidentin Dr. Gabriele Kötschau: CDU zugestimmt, die F.D.P. jedoch nicht, weil sie ein Das Wort hat Frau Abgeordnete Fröhlich. halbes Jahr nach dem Regierungswechsel plötzlich eine umfassende Strukturreform des BAföG gefordert hat. Irene Fröhlich [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es geht deutlich aufs (Zuruf des Abgeordneten Dr. Ekkehard Klug Ende zu. Mein Kollege Martin Hentschel hat heute [F.D.P.]) wegweisendes zum Thema Heiligenschein gesagt. Ich möchte gern über Scheinheiligkeit sprechen. Vielleicht Dazu hat sie allerdings 16 Jahre Zeit gehabt. Die Grü- erinnert sich noch jemand, was vor dem 27. September nen haben genügend Initiativen gebracht, auf die die vorigen Jahres los war. Da wurde dieses Land 16 Jah- damals mitregierende F.D.P. hätte aufspringen können. re lang von Konservativen und Liberalen regiert, die Jetzt erwartet sie das von uns. ständig das BAföG dezimiert und Ich zitiere die wichtigsten Neuerungen nach der (Meinhard Füllner [CDU]: Da sehnen sich „Sozialpolitischen Umschau“ des Bundespresse- und viele zurück!) Informationsamtes: „Die Bedarfssätze werden um 2 % und die Freibeträge um 6 % angehoben.“ Das wurde dafür gesorgt haben, daß schließlich nur noch 15 % hier schon gesagt. Damit steigt der Höchstfördersatz der Studierenden in den Genuß einer Studienfinanzie- im Westen von 1.010 DM auf 1.030 DM an und im rung kamen. Das nur, damit man das nicht vergißt! Osten von 1.000 DM auf 1.020 DM. Das ist nicht viel, Ich will in kurzen Stichworten darauf eingehen, da ich aber es ist ein bißchen. - anders als der Kollege Weber - den Antrag der F.D.P. mit vier minus und im Stil ungenügend bewerte; Die Strukturmerkmale sind beinahe wichtiger. denn er verarbeitet die neuen Erkenntnisse, die zur Künftig bleibt ein Auslandsaufenthalt bis zu einem Zeit vorliegen, überhaupt nicht. Jahr wieder bei der Förderungshöchstdauer unberück- sichtigt. Ebenso werden Studienzeitverlängerungen (Martin Kayenburg [CDU]: Wir wußten, Sie wegen Gremienarbeit und Arbeit in der studentischen verstehen davon nichts!) Selbstverwaltung beim BAföG wieder angemessen berücksichtigt, was mir persönlich besonders wichtig Die Koalitionspartner im Bund haben sich darauf ver- ist. Wenn - viertens - ein wichtiger Grund vorliegt, ständigt, bis Ende 1999 ein Konzept für eine grundle- kann bis zum Beginn des vierten Fachsemesters die gende Reform des Ausbildungsförderungsgesetzes Fachrichtung gewechselt werden. Letztens: Die Studi- vorzulegen. Das werden BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- enabschlußförderung wird um weitere zwei Jahre NEN und die SPD einhalten. Dazu bedarf es keiner verlängert. Aufforderung durch den Schleswig-Holsteinischen Landtag und schon gar nicht einer Initiative von dieser Das sind Strukturmerkmale bei der sogenannten Repa- Seite des Hauses. raturnovelle, die möglicherweise noch mehr ins Ge- (Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN wicht fallen als die tatsächliche Aufstockung. und der Abgeordneten Sabine Schröder [SPD] - Martin Kayenburg [CDU]: Da na- Die rot-grüne Koalition verfolgt eine Strukturreform geln wir Sie fest!) mit folgenden Elementen: Familienlastenausgleich, elternunabhängiges Ausbildungsgeld für alle, ausrei- In der Zeit von 1993 bis 1997, also in der Zeit, in der chende soziale Grundförderung mit Refinanzierungs- F.D.P. und CDU im Bund die Verantwortung hatten, komponenten nach gelungenem Studium - das ist das, hat das BAföG eine traurige Talfahrt erlebt. Die Zahl was aus dem Fondsmodell mit hineingenommen wor- der Geförderten ist von 408.000 auf 238.000 gesun- den ist -, eine Aufbaufinanzierung für alle diejenigen, ken; das entspricht 45 %. Eine Familie mit zwei stu- die aus einem einkommensschwachen Elternhaus 7202 Schleswig-Holsteinischer Landtag (14. WP) - 95. Sitzung - Freitag, 17. September 1999

(Irene Fröhlich) kommen, und letztens die Berücksichtigung von Teil- hier auch Probleme der Studienfinanzierung geltend zeitstudium und Modularisierung, Auslandsstudium machen, ist unzweifelhaft. und Flexibilisierung der Bildungsbiographien, also das, was in der Reparaturnovelle schon enthalten ist. In Schleswig-Holstein erhielten 1997 gerade einmal 21 % der Studierenden Ausbildungsförderung nach Das Drei-Körbe-Modell, wie es die F.D.P. vorge- dem BAföG. Das ist eindeutig zuwenig. schlagen hat, ist entweder völlig unfinanzierbar oder verfassungswidrig. Das wurde hier schon ausgeführt; (Jürgen Weber [SPD]: Hört, hört!) darum spare ich mir das. (Unruhe) Die Bundesregierung hat bei ihrem Antritt verspro- chen, daß bis zum Ende dieses Jahres ein neues Es gibt 1,8 Millionen Studierende. Ein solcher Sockel- BAföG-Konzept vorliegen soll. Das von ihr propa- betrag für jeden Studierenden oder jede Studierende ist gierte Drei-Körbe-Modell ist aber durch das Famili- unfinanzierbar. Schon ein Sockelbetrag von 350 DM enurteil des Bundesverfassungsgerichts in verfassungs- für alle würde 4,1 Milliarden DM kosten. Das wäre rechtliches Zwielicht gekommen. Das sorgt für viel aber verfassungswidrig, wenn die bisherigen Finanzie- Verunsicherung dort, wo schon Hoffnungen geweckt rungsüberlegungen beibehalten würden. Deswegen ist worden sind. Die Bundesregierung hat aber leider nur das, was Herr Klug hier vorgelegt hat, nicht klug, für lange Gesichter gesorgt, indem sie angekündigt sondern schlecht. hat, jetzt erst 2001 die BAföG-Reform in Angriff zu nehmen. Das können wir nicht akzeptieren. (Anhaltende Unruhe) Zur Zeit werden verschiedene Gutachten erstellt, und (Beifall des Abgeordneten Dr. Ekkehard Klug danach kann dann entschieden werden, wie es weiter- [F.D.P.]) gehen soll. Die Zeitplanung, bis Ende 1999 ein Kon- zept vorzulegen, bleibt bis auf weiteres bestehen. Ma- Wir können auch nicht akzeptieren, daß die BAföG- chen Sie sich darüber keine Sorgen! Novelle wie so viele andere Teile des Koalitionsver- trages jetzt im großen Regierungsordner Wir wollen das gern im Bildungsausschuß weiterdis- „Wiedervorlage später“ gelandet ist. kutieren, zumal auch der SSW-Antrag einer weiteren Bearbeitung harrt. Ich freue mich auf weitere Diskus- (Beifall des Abgeordneten Dr. Ekkehard Klug sionen. [F.D.P.])

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Wir begrüßen, daß der Kollege Klug jetzt die Bundes- und SPD) regierung daran erinnern will, daß sie dort noch eine Rechnung offen hat. Daher können wir den ersten Vizepräsidentin Dr. Gabriele Kötschau: beiden Punkten des F.D.P.-Antrages ohne weiteres Das Wort hat Frau Abgeordnete Spoorendonk. zustimmen.

Anke Spoorendonk [SSW]: Was den dritten Punkt betrifft, so können wir aller- dings nicht dem Drei-Körbe-Modell zustimmen. Es Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! gibt einige ernstzunehmende Einwände, die aus unse- Alle Fraktionen hier im Landtag haben bereits im rer Sicht gegen dieses System sprechen. Das Drei- März mit einem gemeinsamen Antrag dokumentiert, Körbe-Modell ist - wie bereits erwähnt - auch durch daß sie in bezug auf die Bundesausbildungsförderung das Familienurteil des Bundesverfassungsgerichts in Initiativen von der Bundesregierung erwarten. Die Zweifel geraten. Vor diesem Hintergrund halte ich es BAföG-Situation ist unhaltbar und gehört dringend für vorschnell, wenn der Landtag jetzt beschließen geändert. Das meinen wir alle. soll, daß wir eben dieses Modell wählen sollen. (Anhaltende Unruhe) Vor allem aber können wir auf keinen Fall die deutli- Es ist unhaltbar, wenn das Studentenwerk Schleswig- che Abhängigkeit der Förderung vom Elterneinkom- Holstein in seinem Sozialbericht auch für die Studie- men tolerieren, die immer noch den Löwenanteil des renden hierzulande feststellen kann, daß der Anteil der Drei-Körbe-Modells ausmacht. Ich bin der festen Studierenden mit einer Herkunft aus niedrigeren Sta- Überzeugung, daß sich hierdurch nicht die Probleme tusgruppen nicht nur deutlich unterproportional ist, lösen lassen, die sich zum Beispiel durch Erwerbstä- sondern daß dieser Anteil auch noch im Abnehmen tigkeit der Studierenden ergeben. Sie wissen - auch das begriffen ist. Sicherlich liegt hierin eine ebenso große ist heute schon mehrfach gesagt worden -, daß der Herausforderung der Bildungspolitik, aber daß sich SSW andere Vorstellungen hat, daß wir einen ande- Schleswig-Holsteinischer Landtag (14. WP) - 95. Sitzung - Freitag, 17. September 1999 7203

(Anke Spoorendonk) ren Antrag zum Thema BAföG eingebracht haben. - Entschuldigung, wenn Ihnen das nicht paßt, kann ich Unser Antrag hat die Elternunabhängigkeit der Förde- das zwar gut verstehen, aber ich bleibe dabei: So billig rung zum Tenor. Wir haben uns für ein Modell ent- kommen Sie dabei nicht weg, hier einfach zu fordern, schieden, das aus unserer Sicht auch nur das zweitbe- jetzt müsse alles anders werden, als hätten Sie 16 ste sein kann, die Darlehenslösung, zinsfrei und für Jahre vorher nicht bestimmte Grundlagen geschaffen. diejenigen, die dann auch in Arbeit kommen. (Beifall bei SPD und BÜNDNIS 90/DIE (Beifall der Abgeordneten Irene Fröhlich GRÜNEN) [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Das hören Sie nicht gern, aber eine Weile müssen Sie Ich weiß, daß auch das nicht unproblematisch ist, aber sich das noch gefallen lassen. es ist eine bessere Lösung, als einfach herumzu- wurschteln wie bisher. (Zurufe von der CDU) Ich bin mit der Ausschußüberweisung des Antrages Herr Dr. Klug, nun muß ich Ministerin Bulmahn ein einverstanden und hoffe, daß wir beide Anträge, unse- Stück in Schutz nehmen. Ich gebe Ihnen gleich gern ren Antrag und den F.D.P.-Antrag, im Ausschuß be- einmal das gesamte Interview der „taz“. Ich habe es raten werden und die Anträge dort nicht weiter schmo- einmal nachgelesen. Der eine Satz, den Sie zitiert ren werden. haben, ist aus dem Zusammenhang gerissen. Das ist legitim. Ich antworte Ihnen allerdings mit dem vollen (Beifall der Abgeordneten Irene Fröhlich Zitat. [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Die Ministerin ist gefragt worden:

Vizepräsidentin Dr. Gabriele Kötschau: „Sie meinen die große BAföG-Reform, daß Ich erteile Frau Ministerin Erdsiek-Rave das Wort. alle Studierenden auf einen Teil der Studien- förderung zugreifen können?“

Ute Erdsiek-Rave, Ministerin für Bildung, Wissen- Darauf antwortet sie: schaft, Forschung und Kultur: „Nein, sorry. Das wollten die Sozialdemo- Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! In der kraten nicht. Chancengleichheit heißt nicht, Opposition macht sich Opportunismus immer gut, aber daß ich reichen wie auch ärmeren Familien man muß sich dann auch gefallen lassen, daß man auf eine staatliche Unterstützung für das Studium die Fakten verwiesen wird, Herr de Jager! Ich finde es gebe. Wir geben allen Familien eine Unter- - gelinde gesagt - etwas abenteuerlich. Jeder Student stützung in Form des Kindergeldes und des und jede Studentin, die heute BAföG beziehen, bezie- Ausbildungsfreibetrages, und wir geben den hen es auf der Grundlage der alten Regelung. Wenn schlechter gestellten Familien zusätzliches Sie jetzt plötzlich das Mittelstandsloch beklagen, muß Geld in Form des BAföG.“ ich sagen: Das haben Sie spät entdeckt! Dann geht es weiter: (Vereinzelter Beifall bei SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) „Das heißt, das Drei-Körbe-Modell ist nicht das Ihre? - Ebenso fehlte in Ihrer Rede der leise Hinweis darauf, daß für das Konzept des Drei-Körbe-Modells, für Das habe ich damit nicht gesagt.“ eine völlige Neuordnung des BAföG nach dem Spruch des Bundesverfassungsgerichts, die Grundlagen andere Dann sagt sie noch: sind als vorher. Das gehört doch zu einer ehrlichen und sachlichen Darstellung der Dinge hinzu! „Das Drei-Körbe-Modell wäre am besten ge- eignet, die elternunabhängige Förderung zu (Beifall bei SPD und BÜNDNIS 90/DIE stärken. Ich möchte das, weil Studierende GRÜNEN) junge Erwachsene sind. Das heißt, sie sollten die steuerlichen Erleichterungen direkt erhal- Soviel intellektuelle, politische Redlichkeit erwarte ich ten, die der Staat sonst den Familien für Aus- in einer solchen Debatte. - Da können Sie lachen, aber bildung gibt.“ das ist wirklich so. Das ist das komplette Zitat. Da kann man der Ministe- (Zurufe von der CDU) rin wirklich nicht vorwerfen, daß sie abgerückt sei. 7204 Schleswig-Holsteinischer Landtag (14. WP) - 95. Sitzung - Freitag, 17. September 1999

(Ministerin Ute Erdsiek-Rave)

Sie hat allerdings bestimmte Fakten, die hier schon Holstein, wenn wir auch nicht unmittelbar zuständig genannt worden sind, zur Kenntnis zu nehmen. Ich sind, intensiv begleiten, denn die Studierenden fragen halte es für richtig, daß sie vor diesem Hintergrund uns danach. Meine Unterstützung soll in dieser Dis- sagt: Wir müssen eine komplette neue Beratung haben, kussion und in der Sache bleiben. wie der erste Korb vor dem Hintergrund des Bundes- verfassungsgerichtsurteils gestaltet werden kann. (Beifall bei SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN, F.D.P. und SSW) Natürlich müssen sich auch die Koalitionspartner noch verständigen. Es ist doch nicht ungewöhnlich, daß zwei Koalitionspartner zum Teil abweichende Vor- Vizepräsidentin Dr. Gabriele Kötschau: stellungen haben! Das war bei F.D.P. und CDU auch immer so. Weitere Wortmeldungen liegen mir nicht vor. Ich schließe die Beratung. (Dr. Ekkehard Klug [F.D.P.]: Den Termin für die Vorlage eines Konzepts!) Es ist beantragt worden, den Antrag dem Bildungsaus- schuß zu überweisen. Wer so beschließen will, den - Ja, Moment. Auch das können Sie nachlesen. Ich bitte ich um das Handzeichen - Gegenstimmen! - Ent- geben Ihnen gern die gesammelten Presseartikel dazu, haltungen? - Dies ist einstimmig so beschlossen. wenn Sie sie nicht haben. Die Bundesbildungsministe- rin hat angekündigt, daß sich die Koalitionsparteien im Meine Damen und Herren, ich rufe den letzten Punkt September verständigen werden und sie bis zum Jah- dieser Tagung, den Tagesordnungspunkt 22, auf: resende ein umfassendes Konzept vorlegen wird. Durchführung des Bildungsfreistellungs- und Qua- Das war auch die Antwort, die wir bekommen haben. lifizierungsgesetzes (BFQG) Nachdem wir uns erkundigt haben, steht diese Ankün- digung bis zum Jahresende. Bericht der Landesregierung (Zuruf des Abgeordneten Dr. Ekkehard Klug Drucksache 14/2119 [F.D.P.]) Ich erteile dem Minister für Wirtschaft, Technologie - Sie wissen doch, wie es in einer Regierung ist. Wenn und Verkehr, Herrn Bülck, das Wort. eine Bildungsministerin ankündigt, sie wolle ein Kon- zept vorlegen, kann man sie darin doch nur unterstüt- zen. Horst Günter Bülck, Minister für Wirtschaft, Tech- nologie und Verkehr: (Vereinzelter Beifall bei der SPD) Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der Diese Unterstützung - wenn sie denn ehrlich gemeint vorliegende Bericht für den Zeitraum 1996 bis Ende war, Herr Dr. Klug - möchte ich gern akzeptieren. Da 1998 ist der dritte Bericht, der nach dem Inkrafttreten sind wir uns alle einig. Was die CDU will, ist jedoch des Bildungsfreistellungs- und Qualifizierungsge- etwas anderes. Das höre ich heraus, wenn ich die setzes im Juni 1990 vorgelegt wird. Das Gesetz bein- Stellungnahmen von der Bundesebene lese. Kollegen haltet wichtige ordnungs-, orientierungs- und ent- von Ihnen aus der Bundestagsfraktion sagen - das kann wicklungspolitische Regelungen für die Weiterbildung ich Ihnen gern zitieren -, das sei sowieso Unsinn und im Land. Es ist fast eine Binsenweisheit, daß Weiter- nicht bezahlbar, und rekurrieren wieder auf Studien- bildung und lebenslanges Lernen heute wichtiger denn gebühren und ähnliches. Wir haben da grundsätzlich je sind. andere Vorstellungen. Ich glaube aber, es gibt eine breite Mehrheit hier im Hause, die eine Neuordnung Wissen ist ausschlaggebend für attraktive Produkte des BAföG in dem Sinne unterstützt, wie es angedacht und Dienstleistungen, für Wirtschaftlichkeit und Effi- war - mit den Modifikationen, die aufgrund des Urteils zienz, für Erfolg im Wettbewerb und neue Arbeits- des Bundesverfassungsgerichts notwendig sind. plätze ebenso wie für eine Teilhabe an unserer Gesell- (Beifall der Abgeordneten Sabine Schröder schaft. [SPD]) (Beifall der Abgeordneten Sabine Schröder Lassen Sie uns darüber im einzelnen nicht beschließen [SPD], Wolfgang Baasch [SPD] und Klaus- - auch nicht über die Höhe, über die heute zu be- Peter Puls [SPD]) schließen ohnehin unsinnig wäre, die aber in Ihrem Antrag in Zahlen genannt wird. Ich bin sehr dafür, daß Kritiker des Gesetzes bleiben die Erklärung schuldig, wir die Diskussion über das BAföG hier in Schleswig- was sie gegen Weiterbildung von Beschäftigten Schleswig-Holsteinischer Landtag (14. WP) - 95. Sitzung - Freitag, 17. September 1999 7205

(Minister Horst Günter Bülck) einzuwenden haben. Das Gesetz in Schleswig- (Beifall bei SPD und BÜNDNIS 90/DIE Holstein regelt die Qualitätssicherung, den Teilneh- GRÜNEN) merschutz und die Kooperation und Koordination von Fragen der Weiterbildung. Es setzt auf Beteiligung, Vizepräsidentin Dr. Gabriele Kötschau: Konsens und respektiert die pluralen Strukturen der Weiterbildung. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat Frau Abge- ordnete Röper. Das staatliche Anerkennungsverfahren für die Träger und Einrichtungen ist bereits ein breit akzeptiertes Ursula Röper [CDU]: Instrument. Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Immer (Beifall der Abgeordneten Sabine Schröder mehr Erwerbstätige erkennen den Wert der Weiter- [SPD]) bildung für ihre persönliche Entwicklung und für die Ende 1998 konnten 40 Träger und 33 Einrichtungen Sicherung ihres Arbeitsplatzes. Daher geben deutsche neben ihrem Namen mit dem Gütesiegel der staatli- Unternehmen jährlich etwa 34 Milliarden DM für die chen Anerkennung werben. Weiterbildung ihrer Mitarbeiter aus. Jeder zweite Erwerbstätige qualifiziert sich mindestens einmal im (Ursula Röper [CDU]: Was hat das ge- Jahr weiter. In den Umfragen wird aber auch deutlich, bracht?) daß die Freistellung für Qualifizierungsmaßnahmen - Viel. Einige Leute haben sich weitergebildet. Sie angesichts des Kostendrucks, der kürzeren Arbeits- hatten schon neun Jahre Zeit, das auch einmal zu ge- zeiten und der reduzierten Belegschaften schwieriger nießen. wird mit der Folge, daß Weiterbildung immer häufiger in der Freizeit stattfindet. (Heiterkeit bei SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Diese Tendenz ist auch dem Bericht der Landesregie- rung zur Durchführung des Bildungsfreistellungs- und Den an der Weiterbildung Interessierten gibt das Gü- Qualifizierungsgesetzes zu entnehmen, denn immer tesiegel eine Qualitätsorientierung. Das staatliche weniger Teilnehmer nehmen ihren Anspruch auf Bil- Gütesiegel dient den Teilnehmern offenbar nicht nur dungsfreistellung wahr. Dieser Bericht, der von der zur Auswahl der Bildungsinstitutionen, sondern auch Landesregierung alle zwei Jahre vorzulegen ist, war zur Auswahl der einzelnen Weiterbildungsveranstal- schon in seiner letzten Ausgabe im Dezember 1995 tungen. überaus defizitär und gab keine seriöse Grundlage. Indikatoren dafür sind die gestiegene Zahl der Anträge Der uns heute vorliegende Bericht - Herr Minister, Sie auf Anerkennung als Bildungsfreistellungsveranstal- können nun nichts dafür - übertrifft den vorhergehen- tung und gestiegene Teilnehmerzahlen. Insgesamt den noch an schwammigen Aussagen, fehlenden An- haben in den Jahren 1996 und 1997 145.000 Personen gaben sowie unkonkreten Daten und nicht vorhande- an diesen Bildungsfreistellungsveranstaltungen teilge- nen Schlußfolgerungen. nommen. Man möge sie fragen, was das gebracht hat. Nach einer vorläufigen Erhebung haben 1998 77.000 Ich habe den Eindruck, daß der kontinuierliche Rück- Personen teilgenommen. gang der Inanspruchnahme von Freistellung nach dem BFQG die Motivation weitgehend reduziert hat, sich Die Beschäftigten wissen, Bildungsfreistellungsveran- ernsthaft mit Entwicklungen und Problemen der Ak- staltungen sind staatlich geprüft und erfüllen damit zeptanz auseinanderzusetzen. einen Mindeststandard. Dies ist wichtig angesichts einer zum Teil sehr pauschalen Kritik. Zu betonen ist: (Beifall bei der CDU) Es dürfen und werden Maßnahmen der privaten Le- Während der letzte Bericht die statistischen Daten nur bensführung, der Freizeitgestaltung oder Maßnahmen, bis zum Jahr 1994 lieferte, fiel das Jahr 1995 in der die der Erholung dienen, nicht anerkannt. Die Teil- Analyse völlig unter den Tisch. Der uns jetzt vorlie- nehmer gehen sehr bewußt und umsichtig mit ihrem gende Bericht führt die Jahre 1996 und 1997 auf, aber Recht um. Die Veranstaltungen vermitteln vorwiegend Angaben über 1998 sind nicht enthalten, obwohl die berufliche Kenntnisse. Um den immer differenzierter Jahre 1996 bis 1998 abgedeckt werden sollen. Inso- werdenden Anforderungen der Berufswelt gerecht zu fern erwarten wir den Nachtrag für 1998. werden, brauchen wir eine lernende Gesellschaft. Die- sen Prozeß müssen wir unterstützen. Das Gesetz bietet (Beifall des Abgeordneten Thomas Stritzl daher ungenutzte Chancen und Möglichkeiten, das [CDU]) Lernen in dieser Gesellschaft noch intensiver zu ver- Sie nannten eben bereits einige Zahlen. Vielleicht zahnen. können wir diese noch erhalten. 7206 Schleswig-Holsteinischer Landtag (14. WP) - 95. Sitzung - Freitag, 17. September 1999

(Ursula Röper)

Der Bericht, der übrigens ein Jahr zu spät kommt, überwinden? Aussagen fehlen auch bezüglich des enthält keine Aussagen über die Beteiligung der ver- „Versuchs“ von 1995, die Verzeichnisse der aner- schiedenen Berufsgruppen am Bildungsurlaub. Erfah- kannten Veranstaltungen an Bildungsfreistellungen im ren möchte ich zum Beispiel, wie hoch der Anteil der Zeitschriftenhandel für 2 DM zu verkaufen, um an- Mitarbeiter im öffentlichen Dienst ist, wie viele un- geblich mehr Interessierte zu erreichen. Er scheint kündbare Arbeitnehmer den Bildungsurlaub wahrneh- völlig fehlgeschlagen zu sein, denn diese Verzeichnis- men, welche anderen Berufsgruppen vertreten sind und se sind überhaupt gar nicht am Markt, wie eine Tele- welche benachteiligten Zielgruppen einbezogen wer- fonumfrage bei Buchhandlungen, im Kieler Rathaus den. und an weiteren Stellen ergab. Notwendig wäre eine konkretere Aufschlüsselung nach Themenbereichen und den jeweils beteiligten Männern Wie aber sollen potentielle Interessenten jetzt noch und Frauen an den verschiedenen Angeboten gewesen, erreicht werden? Die Abrufmöglichkeit im Internet, um Defizite zu erkennen, zumal Frauen 1997 seltener wie gerade eingestellt, ist sicher eine Möglichkeit für an Veranstaltungen der Bildungsfreistellung teilge- Bildungsgewohnte. Aber die Zielgruppen, die bil- nommen haben. Im Gegensatz zu den letzten Berichten dungsfern sind und die an Bildungsprozesse herange- fehlt eine vergleichende Länderstatistik mit den ande- führt werden sollen, werden mit Sicherheit dadurch ren Bundesländern. Es werden auch keine Aussagen nicht erreicht, zumal diese Personengruppe zu Hause darüber gemacht, wie viele anerkannte Anträge auf in der Regel überhaupt keinen Internetzugang hat. - Schleswig-Holstein und wie viele auf das übrige Bun- Fragen über Fragen, die deutlich machen, wie lücken- desgebiet oder auf das europäische und außereuropäi- haft hier gearbeitet wurde! sche Ausland entfielen. (Vereinzelter Beifall bei der CDU) Mit Interesse habe ich zur Kenntnis genommen, daß die Landesregierung zum ersten Mal eine neue bezie- Ich möchte noch einmal daran erinnern, daß das sei- hungsweise eine zusätzliche gesetzliche Regelung zur nerzeit formulierte Ziel zur Beteiligung am Bildungs- Förderung der Weiterbildung nicht für erforderlich urlaub in Schleswig-Holstein 4 bis 5 % betrug. 1996 hält. Damit nimmt sie Abschied von der Koalitions- lag die Beteiligung bei 0,96 % und 1997 bei 0,90 %. vereinbarung über die Schaffung eines Weiterbil- Sie ist also von Beginn an kontinuierlich zurückgegan- dungsgesetzes. Statt dessen soll nun ein offenes, qua- gen. litätsorientiertes Weiterbildungskonzept erarbeitet werden. Diese Aussagen hat die CDU bereits seit fünf Ursachenforschung wird offensichtlich nicht betrieben. Jahren formuliert, und ich erinnere mich noch gut an Als Erklärungen werden zwei Kritikpunkte an der etliche Podiumsdiskussionen zu diesem Thema, weil Bildungsfreistellung angeführt. Zum einen heißt es, es auch - ehrlich gesagt - seit langem deutlich ist, daß ein werde behauptet, Bildungsfreistellung sei zu teuer. Weiterbildungsgesetz als Leistungsgesetz zur Zeit Wer dies behauptet, welche Wirtschafts- und Arbeits- nicht zu finanzieren ist. bereiche möglicherweise besondere Akzeptanzpro- bleme haben, entzieht sich unserer Kenntnis. Außerdem sollte man auch die staatlichen Steue- Der zweite Punkt sagt aus, daß unterstellt würde, daß rungsmöglichkeiten nicht überschätzen. Die Dynamik Bildungsfreistellungsveranstaltungen nicht wirklich und Sachgerechtigkeit der Weiterbildung lebt ja gera- der Weiterbildung dienten, sondern oftmals der Frei- de von der Vielfalt der Träger und einer großen Offen- zeitgestaltung oder der Erholung. Ich frage: In wel- heit in den Gestaltungsmöglichkeiten. Verbesserungen chen Bereichen wird diese Kritik laut? Bezieht sie sich sind dennoch anzustreben, um zum Beispiel regional auf die berufliche, allgemeine oder politische Bildung? ausgewogene Angebote zu gewährleisten oder um Und bei welchen Maßnahmen oder Teilnehmergruppen bisher in der Weiterbildung unterrepräsentierte soziale wird sie besonders oft geäußert? Welche Ursachen Gruppen zu aktivieren. Jedoch bedarf es dazu einer sind maßgebend für die offensichtlichen Akzeptanz- sehr verbesserten Bedarfsanalyse, um Lücken und probleme? Gab es vielleicht doch mehr Mißbrauch als Schwächen im Angebot zu identifizieren. im Bericht angeführt? Interessieren würde mich dar- über hinaus auch, wie sich die Konzeptionen integrati- ver Bildungsveranstaltungen entwickelt haben. Kein (Beifall bei CDU und F.D.P.) Wort liest man dazu im Bericht. Mitte dieses Jahres wurde eine Dissertation zur Um- (Beifall bei der F.D.P.) setzung des BFQG in Schleswig-Holstein veröffent- Wie ist die Landesregierung ihrem Ziel nähergekom- licht. Ich möchte nur einen Passus daraus zitieren, der men, die Trennung der Weiterbildungsbereiche zu die ganze Misere deutlich macht: Schleswig-Holsteinischer Landtag (14. WP) - 95. Sitzung - Freitag, 17. September 1999 7207

(Ursula Röper)

„Insbesondere die Streichung der Mittel für Menschen in Schleswig-Holstein als auch in der Be- Maßnahmen nach den §§ 17 und 18 kommt richterstattung. Aber noch immer ist es keine Selbst- einem politischen Offenbarungseid gleich. verständlichkeit, wie sich an der Gesamtzahl der Teil- Denn gerade mit diesen Geldern sollten inno- nehmerinnen und Teilnehmer an den Bildungsmaß- vative Ansätze und zielgruppenspezifische nahmen zeigt. Die jährliche Zahl schwankt seit 1989 Angebote für bisher Benachteiligte eingesetzt zwischen 60.000 und 80.000. Wir haben gerade ge- werden. Durch diese Entscheidung der Lan- hört, daß es 77.000 im Jahre 1998 waren. Das ist desregierung wird ihre weiterbildungspoliti- insgesamt zu niedrig, das muß man sagen. sche Zielsetzung ad absurdum geführt.“ Nun muß ich aber der Opposition entgegenhalten: Die (Beifall bei der CDU) Befürchtungen von damals, daß es mit diesem Gesetz quasi einen Zusammenbruch der Wirtschaft geben Vor diesem Hintergrund kann ich auch verstehen, daß würde, weil Heerscharen von Arbeitnehmern davon mehrmals von der SPD der Versuch gemacht wurde, Gebrauch machen würden, hat sich nicht bestätigt. diesen peinlichen Bericht ohne Aussprache dem Bil- dungsausschuß zu überweisen. Wir erwarten also zu (Beifall bei der SPD) dem jetzt vorliegenden Bericht umfassende zusätzliche Ergänzungen, um wirklich auch sachgerecht im Bil- Im Gegenteil, die Quote derjenigen, die eine Freistel- dungsausschuß darüber diskutieren zu können. lung nach dem Gesetz in Anspruch genommen haben, ist unter 1 % aller Beschäftigten gefallen. Sie haben es (Beifall bei CDU und F.D.P.) erwähnt, und das ist eigentlich eine traurige Tatsache. Dies ist allerdings nicht nur eine Tatsache, die in Vizepräsidentin Dr. Gabriele Kötschau: Schleswig-Holstein zu beobachten ist, sondern die Das Wort hat Herr Abgeordneter Benker. bundesweit festzustellen ist. Das läßt auch einen Rückschluß zu auf die Befürchtungen der Arbeitneh- mer, daß sie bei Inanspruchnahme des Bildungsurlaubs Hermann Benker [SPD]: mit Nachteilen zu rechnen haben. Frau Röper, ich teile viele Ihrer Bemerkungen, das muß ich voranstellen, (Martin Kayenburg [CDU]: Das ist doch Quatsch!) (Beifall bei der CDU) - Doch, doch! wenn auch nicht alle. Zu den Bemerkungen, bei denen ich Ihnen zustimme, gehören: der Kostendruck, daß die Das läßt sich noch mit einer anderen Tatsache belegen: Freistellung schwieriger ist und daß immer weniger Während 1996 von insgesamt 61.000 teilnehmenden von der Weiterbildung Gebrauch machen. Ich habe in Personen nur 8.000 ihren Anspruch geltend gemacht gleicher Weise wie Sie die Lücke zwischen 1995 und haben - das entspricht 13,4 % -, haben im Jahre 1997 1998 bemerkt, und ich vermisse wie Sie die verglei- von 83.000 Teilnehmern nur noch 7.600 Personen chende Darstellung der Berufe. Bildungsfreistellung beantragt. (Vereinzelter Beifall bei der CDU) (Martin Kayenburg [CDU]: Was soll das heißen?) Aber auch das Parlament muß sich natürlich fragen, ob Berichtsforderungen, die im Gesetz verankert sind, Das entspricht einer Quote von 9,2 %. Das heißt, die nicht dann ad absurdum geführt werden, wenn seit Mai überwiegende Mehrheit der Teilnehmerinnen und dieser Bericht immer wieder vertagt und jetzt auf den Teilnehmer hat die Veranstaltungen im Rahmen der letzten Tagesordnungspunkt verschoben wird. Freizeit und im Rahmen anderer betrieblicher Frei- (Beifall der Abgeordneten Irene Fröhlich stellungen besucht. Das ist der entscheidende Punkt, [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) und das zeigt die Angst der Mitarbeiterinnen und Mit- arbeiter, die dieses Gesetz in Anspruch nehmen wol- Das ist eine Frage, die an uns alle geht. Insofern kann len, daß sie sich nicht trauen oder eher zurückstecken man nicht nur von der Regierung fordern, solche Be- und Urlaub dafür verwenden. richte zu erstellen, sondern dann muß das Parlament sie auch würdigen und werten. (Vereinzelter Beifall bei der SPD)

Aber das Gesetz insgesamt und der Bericht zeigen Vizepräsidentin Dr. Gabriele Kötschau: deutlich, daß die Bildungsfreistellung heute zur Rou- tine in Schleswig-Holstein geworden ist, Routine so- Her Abgeordneter Benker, gestatten Sie eine Zwi- wohl in der Wahrnehmung der Angebote durch die schenfrage? 7208 Schleswig-Holsteinischer Landtag (14. WP) - 95. Sitzung - Freitag, 17. September 1999

Hermann Benker [SPD]: Irene Fröhlich [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ich möchte Ihnen gern eine Drei-Minuten-Passage geben, sonst reicht meine Redezeit nicht aus. Ich gehe Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und dann darauf ein. Kollegen! Durchhalten, durchhalten, durchhalten! Wir Erfreulich ist, daß sich die Qualitätsstandards der haben es jetzt wenigstens geschafft, diesen Bericht zu Bildungseinrichtungen in Schleswig-Holstein gehalten diskutieren, nachdem er uns seit Mai vorliegt. Das ist haben. Denn von den 73 Einrichtungen und Trägern, nicht gerade ein Ruhmesblatt. Das muß man auch die wir in Schleswig-Holstein haben, ist nur einer im einmal selbstkritisch sagen. Das müssen wir alle mit- Berichtszeitraum abgelehnt worden, und ein Antrag ist einander einräumen. zurückgezogen worden. Erfreulich ist auch, daß inzwischen der Zugriff über Ich möchte noch eine zweite Eingangsbemerkung ma- Internet erfolgen kann. Aber ich teile auch hier Ihre chen. Als dieser Bereich der Weiterbildung nach der Auffassung: Das reicht nicht aus, um alle Bildungs- Regierungsbildung im April 1996 zum Wirtschafts- willigen zu erreichen. ministerium überwechselte, hat es einen ziemlichen Eine fast gleichbleibende Teilnehmerzahl über Jahre Sturm der Entrüstung gegeben. Ich glaube, daß sich hinweg macht Schluß mit dem Vorurteil auch der Op- durch das Bemühen des Wirtschaftsministeriums, zu position, daß hier nur Freizeitgestaltung betrieben Verbünden zu kommen, Handwerksbetriebe, Wirt- wird. Wenn dennoch eine Reihe von Einrichtungen mit schaftsbetriebe, und Regionen einzubeziehen, eine Freizeit und guter Lage wirbt, ist das durchaus legitim; Entwicklung fortgesetzt wurde, die zwar schon in denn die Einrichtungen stehen in Konkurrenz zueinan- Gang war, die aber insgesamt dem ganzen Konzept der, und da gehört eben Werbung zum Geschäft. Aber und dem Thema Weiterbildung sehr gut gerecht ge- es ist nicht ausschließliches Ziel, damit zu arbeiten. worden ist, obwohl die Ausstattung mit Mitteln - das gebe ich zu - zu wünschen übrig läßt. Ich möchte mit einer weiteren unsinnigen Parole auf- räumen, nämlich die Kosten der Weiterbildung seien zu hoch. Die Kosten für die Weiterbildung werden Das Bildungsfreistellungs- und Qualifizierungsgesetz ausschließlich von den Teilnehmern getragen. Der hat wichtige qualitätssichernde Aspekte. Darum ginge Arbeitgeber hat allerdings bei denen, die von ihrem es dann auch - zum Teil jedenfalls - in einem Weiter- Freistellungsanspruch Gebrauch machen, die Lohn- bildungsgesetz, zum Beispiel für die Volkshochschu- fortzahlung zu tragen. Dies ist insofern auch gerecht- len. Das ist hier ganz gut geregelt. Es regelt nämlich fertigt, als aus der Darstellung der anerkannten Veran- die staatliche Anerkennung von Trägern und Einrich- staltungen deutlich wird, daß der weitaus größte Teil tungen der Weiterbildung. Angesichts eines sich aus- dazu dient, berufliche Kenntnisse zu erweitern und zu weitenden Marktes für Weiterbildung ist ein solches vertiefen. Obwohl mit dem Gesetz ursprünglich einmal Gütesiegel der staatlichen Anerkennung sehr wichtig, beabsichtigt war, sich insbesondere auch politisch weil es Mindeststandards festlegt. Wer in diesen fortbilden zu können, liegt die Mehrzahl der Angebote Einrichtungen weitergebildet wird, kann sich sicher im wesentlichen im sachlich-fachlichen Bereich, was sein, daß unter dem Label „Weiterbildung“ kein zum Beispiel die Schwerpunktbereiche Fremdsprachen Schund abgeliefert wird. mit 19,2 % und EDV mit 10,6 % zeigen. Lebenslanges Lernen und die zunehmende Bedeutung Weiterbildung - so wird aus dem Bericht deutlich - von Weiterbildung machen es erforderlich, daß wir dient für den weitaus größten Teil der Menschen dazu, nicht nur diesem Gesetz und dem Bericht dazu Auf- berufliches Wissen zu verbessern und zu steigern. Der merksamkeit zollen, sondern auch das darin angekün- Bericht betont, daß dies dementsprechend kein Luxus, digte Weiterbildungskonzept der Landesregierung sondern in Phasen von Arbeitslosigkeit ein absolutes positiv begleiten. Die Bildungsfreistellung kann dabei Muß ist und in das hineingehört, was wir als lebens- zu einem konstanten Faktor der Weiterbildung in langes Lernen bezeichnen. Schleswig-Holstein werden, und Weiterbildung wollen wir in Schleswig-Holstein auch weiterhin fördern. Bildungsurlaub hat ein Negativimage als Luxus, als (Beifall bei der SPD) überflüssig oder was auch immer - aber zu Unrecht! Ich weise besonders darauf hin, daß Auslandsveran- Vizepräsidentin Dr. Gabriele Kötschau: staltungen, was Sprachen anbetrifft, ausgesprochen Das Wort hat Frau Abgeordnete Fröhlich. zielführend sind, weil die Sprache, die man gern lernen möchte, im Ausland besser zu sprechen und zu Schleswig-Holsteinischer Landtag (14. WP) - 95. Sitzung - Freitag, 17. September 1999 7209

(Irene Fröhlich) lernen ist als in dem Land, in dem man auf die Sprache dungsfreistellungs- und Qualifizierungsgesetzes ist in nicht dringend angewiesen ist. der Tat ausgesprochen inhaltsleer und wenig aussage- kräftig - insbesondere, wenn man diesen mit früheren Festzustellen ist, daß die Zahl der Veranstaltungen Berichten, über die wir beispielsweise in der letzten gestiegen ist, aber die Zahl der Teilnehmerinnen und Legislaturperiode debattiert haben, vergleicht. Teilnehmer gesunken. Das ist ein bundesweiter Trend und sicherlich - mein Vorredner hat das schon gesagt - (Vereinzelter Beifall bei der CDU) durch die Konkurrenz auf dem Arbeitsmarkt zu erklä- ren. Wer seinen Job behalten will, beantragt offenbar Frau Kollegin Röper hat in ihrem Redebeitrag sehr lieber keinen Bildungsurlaub. Das deutet daraufhin, kenntnisreich und detailliert auf die Defizite in diesem daß an dieser Stelle das Ministerium aufgefordert ist, heute vorliegenden, zu diskutierenden Bericht hinge- vielleicht bei den Betrieben ein wenig mehr zu tun, um wiesen. Das brauche ich nicht zu wiederholen. zu schauen, wie man die Akzeptanz für solche Wei- (Beifall des Abgeordneten Thomas Stritzl terbildung, die einem Betrieb zugute käme, weiter [CDU]) steigern kann. Ich gestatte mir zwei Anmerkungen. Die erste Anmer- Notwendig wäre - ich sagte es bereits - ein Weiterbil- kung zu Seite fünf: Da wird als Reaktion auf Kritik am dungsgesetz, das auch ein Leistungsgesetz ist. Das Bildungsfreistellungsgesetz ausgesagt, es werde be- aber haben wir trotz Koalitionsvertrag nicht geschafft. hauptet, daß die Bildungsfreistellung zu teuer sei. Das Ich weiß mir im Moment auch keinen Rat. Das müßte wird mit zwei Aussagen widerlegt, nämlich erstens, dringend passieren. Aber - Frau Röper hat das gesagt - daß die Teilnehmer die Kosten für die Maßnahmen das kann ich nur hinnehmen. Man kann manchmal sowie die Reisekosten selber trügen und zweitens die nicht alles schaffen, was man sich vorgenommen hat, Lohnfortzahlung vom Arbeitgeber getragen werde. so traurig das auch ist. Wir haben das im Rahmen der Das scheint eine Aussage nach dem Prinzip zu sein: vorherigen Debatte zu der schwarz-gelben Koalition in „Es kostet nichts, wenn jemand anders die Kosten Bonn auch gesehen; insofern befinden wir uns da in trägt.“ guter Gesellschaft. Wenn man daran denkt, daß ein überwiegender Teil - Letztlich ist es immerhin gelungen - ich sagte das vor- das jedenfalls war die Aussage früherer Berichte, die hin schon -, die Weiterbildungsinfrastruktur im Land etwas detailreicher waren - der Teilnehmer aus dem durch 10 regionale Weiterbildungsverbünde in öffentlichen Dienst kommt, stellt man fest, daß das Schleswig-Holstein deutlich zu verbessern. Ich sage es Kosten sind, die die öffentliche Hand, also der Steuer- einmal mit einem kleinen Spruch: Kleinvieh macht zahler, zu finanzieren hat. Das möchte ich zumindest auch Mist, und Mist düngt bekanntlich. - Damit will als Entgegnung auf diese Aussage im Bericht anmer- ich zum Ausdruck bringen, daß, wenn man dieses Netz ken. verbessert, verbreitert, intensiviert, möglicherweise mehr dabei herauskommt, Die zweite Anmerkung: Auf der gleichen Seite wird festgestellt, daß die Kritiker, die sagten, manche Bil- (Beifall der Abgeordneten Monika Heinold dungsfreistellungsveranstaltungen dienten eigentlich [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) mehr der Freizeitgestaltung, nicht Recht hätten. Es besonders was die Akzeptanz des Themas Weiterbil- mag sein, daß das nur in Einzelfällen ein Vorwurf ist, dung anbetrifft. Das wünschen wir uns für unser Land der gerechtfertigt ist, aber es gibt solche Fälle. Ich dringend. habe in den „Kieler Nachrichten“ vom 24. Januar 1998 eine Anzeige gefunden; das ist ein Zeitpunkt (Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) innerhalb des Berichtszeitraums. Da steht in der An- zeige unter der Überschrift „New York, New York“: Vizepräsidentin Dr. Gabriele Kötschau: „Natur und Beton, Lebensqualität und Ge- Das Wort hat Herr Abgeordneter Dr. Klug. waltvorbeugung, Emanzipation und Sexis- (Monika Heinold [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- mus, Rassismus und Toleranz, New York“ NEN]: Bei der F.D.P. ist niemand mehr zum (Zuruf von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Klatschen da! - Holger Astrup [SPD]: Wo Das hat schon Frank Sinatra gesungen!) sind die denn?) „und seine faszinierenden Gegensätze. Bil- Dr. Ekkehard Klug [F.D.P.]: dungsurlaub vom 7. bis 16.5.1998.“ Frau Präsidentin! Meine geehrten Damen und Herren! Ich will nicht bestreiten, daß eine Reise nach New Der vorliegende Bericht zur Durchführung des Bil- York bilden mag und interessant ist, aber ob das eine 7210 Schleswig-Holsteinischer Landtag (14. WP) - 95. Sitzung - Freitag, 17. September 1999

(Dr. Ekkehard Klug)

Sache ist, für die Bildungsurlaub gewährt werden (Ursula Röper [CDU]: So ist es!) sollte, da habe ich - ehrlich gesagt - doch gewisse Zweifel. Die im Bericht vage formulierte Absichtserklärung, daß der Konsens zwischen den Sozialpartnern und (Beifall bei F.D.P. und CDU) dem Land in Fragen der Weiterbildung weiterhin ge- pflegt werden soll, reicht heute nicht mehr aus. Vizepräsidentin Dr. Gabriele Kötschau: Das Wort hat die Frau Abgeordnete Spoorendonk. Fragen, die man beantworten müßte, lauten zum Bei- spiel: Wie sieht die soziale und auf Berufsgruppen (Holger Astrup [SPD]: Nun wirb du für eine bezogene Verteilung beim bezahlten Bildungsurlaub Reise nach Dänemark!) eigentlich aus? Sind es vornehmlich gehobene Berufs- gruppen, die Bildungsurlaub nehmen? Was hat das für Anke Spoorendonk [SSW]: Auswirkungen für das Image dieser Maßnahmen? Was erhoffen sich Teilnehmer von Weiterbildungsveran- Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! staltungen? Was wissen Arbeitgeber und Arbeitneh- Angesichts des wenig mitreißenden Berichts der Lan- mer über ihre diesbezüglichen Rechte und Pflichten? desregierung zur Durchführung des Bildungsfreistel- Wie denken Arbeitergeber über Weiterbildung? lungs- und Qualifizierungsgesetzes muß ich mich fra- gen - genau wie die Kollegin Röper -, ob wir es hier Sicherlich kann nicht alles davon in den zukünftigen nicht nur mit einer Pflichtübung zu tun haben. Berichten Platz finden, aber wenigstens etwas. Der erste Bericht zu diesem Thema aus dem Jahr 1993 war noch in Ansätzen schwungvoll. 1995 bestand der (Beifall der Abgeordneten Irene Fröhlich Bericht aus nur noch wenigen Seiten. 1997 wurde er [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] und Monika anscheinend verschlafen, wie unsere Nachfragen im Heinold [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Ministerium belegen. Wir brauchen unbedingt ein differenzierteres Bild. (Ursula Röper [CDU]: Das nächste Mal ha- ben wir nur noch eine DIN-A 4-Seite!) Wenn man bedenkt, daß ein Großteil der in Weiterbil- dungsmaßnahmen erworbenen Fähigkeiten vornehm- Es ist wohl eine Überlegung wert, ob man auf dieser lich oder zumindest teilweise dem Arbeitgeber zugute Art der periodisch wiederkehrenden Berichte nicht kommt, kann man kaum verstehen, warum es unter doch lieber verzichten sollte. Damit meine ich, daß wir vielen Arbeitgebern noch immer Vorbehalte gegen die uns vielleicht überlegen sollten, den Berichtsauftrag Maßnahmen gibt. Auch da muß Imagewerbung betrie- zu ändern, um Antwort auf die Fragen zu bekommen, ben werden. die für uns in Sachen Weiterbildung von Bedeutung sind. So vermissen wir in dem Bericht unter anderem, Der SSW wünscht sich aus einer nordischen Bil- daß so wenig darüber gesagt wird, was die Landere- dungstradition heraus, daß nicht nur Qualifizierung, gierung in Zukunft konkret unternehmen will, um die sondern insgesamt Weiterbildung gestärkt werden. Akzeptanz von Bildungsurlaub bei Arbeitgebern wie Unser Motto ist immer noch: Bildung fürs Leben und Arbeitnehmern weiter zu verbessern. nicht nur fürs Berufsleben!

Insgesamt wirft der Bericht mehr Fragen auf, als er Weiter möchte ich daran erinnern, daß Schleswig- beantwortet. Der Landesverband der Volkshochschu- Holstein neben Sachsen das einzige Flächenland ist, len hat uns mitgeteilt, daß viele Teilnehmerinnen und das noch kein Weiterbildungsgesetz hat. Teilnehmer ihrer Kompaktkurse zur Weiterbildung keinen Bildungsurlaub, sondern regulären Urlaub Mich machte natürlich auch das stutzig, was ich im nehmen. Andererseits entsenden manche Betriebe ihre Bericht las; denn da steht - ich zitiere das gern noch Mitarbeiter inzwischen zu Fortbildungskursen der einmal -: Volkshochschulen - als bezahlte Arbeitszeit. Alles das beispielsweise taucht im Bericht nicht auf und ist auch „Die Landesregierung hält eine neue bezie- nicht unbedingt negativ zu bewerten. hungsweise eine zusätzliche gesetzliche Re- gelung zur Förderung der Weiterbildung nicht Dennoch: Wenn man Akzeptanz und Image von be- für erforderlich, weil Schleswig-Holstein mit zahltem Bildungsurlaub ernsthaft verbessern will, dem Bildungsfreistellungs- und Qualifizie- benötigt man zunächst mehr Wissen darüber, woran es rungsgesetz ein Gesetz hat, das in weiten bisher hapert. Teilen den Weiterbildungsgesetzen anderer Länder entspricht.“ Schleswig-Holsteinischer Landtag (14. WP) - 95. Sitzung - Freitag, 17. September 1999 7211

(Anke Spoorendonk)

Aber genau da muß ich auch der Landesregierung (Martin Kayenburg [CDU]: Nein!) widersprechen: Wir brauchen ein echtes und ganzes - Nein? - Das galt also einer Zwischenfrage. Ich hatte Weiterbildungsgesetz und nicht nur ein halbes. es als Wortmeldung für einen Drei-Minuten-Beitrag Ich meine, daß wir gerade zu diesem Punkt auch im aufgefaßt. Ausschuß noch einmal einige Antworten von seiten des Ministeriums, von seiten der Landesregierung benöti- Gut, dann liegen mir keine weiteren Wortmeldungen gen. vor. Ich schließe damit die Beratung. (Beifall bei der Abgeordneten Monika Es ist beantragt worden, den Bericht der Landesregie- Heinold [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) rung federführend dem Wirtschaftsausschuß und mit- beratend dem Bildungsausschuß zu überweisen. Als wir im Landtag das Gesetz zur Bildungsfreistel- lung und Qualifizierung bekamen, sagten wir vom (Holger Astrup [SPD]: Zur abschließenden SSW, es sei ein erster Schritt, den wir auch begrüßen. Beratung!) Aber es ist eben nur ein erster Schritt. Der zweite - Zur abschließenden Beratung; jawohl! Wer so be- Schritt, der ganze Schritt muß heißen, daß wir auch in schließen will, den bitte ich um das Handzeichen. - unserem Land ein Gesetz zur Weiterbildung bekom- Gegenstimmen! - Enthaltungen? - Dies ist einstimmig men. so beschlossen. Das ist ein gutes Ende. (Beifall bei SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Meine Damen und Herren, ich schließe damit die heu- NEN und der Abgeordneten Dr. Adelheid tige Sitzung und diese Tagung. Die nächste Tagung, Winking-Nikolay [fraktionslos]) die 38., beginnt am 13. Oktober 1999.

Vizepräsidentin Dr. Gabriele Kötschau: Ich wünsche Ihnen ein schönes Wochenende. Einen Kurzbeitrag nach § 56 Abs. 4 der Geschäftsord- Die Sitzung ist geschlossen. nung hat der Herr Oppositionsführer angemeldet. Schluß: 17:53 Uhr

Herausgegeben vom Präsidenten des Schleswig-Holsteinischen Landtags - Stenographischer Dienst und Ausschußdienst