Berliner " ibiiotheK "^,•41015 F Pflichtexemplar MITTEimNGEfi^ DES VEREINS FÜR DIE GESCHICHTE GEGRÜNDET 1865

92. Jahrgang Heftl Januar 1996

„Sophia Carolina Regina Prussiae." Bildnis der Königin, Johann Georg Wolfgang nach Gedeon Romandon. Die preußische Königskrönung

Von Gerhild H. M. Komander

Mit der Eröffnung des kleinen Kronkabinetts im Schloß Charlottenburg am 18. Januar 1995, in dem die Überreste der brandenburgisch-preußischen Kroninsignien gezeigt werden, ist auch der „Krönungszug" der Öffentlichkeit wieder zugänglich: „Der Königlich-Preußischen Crö- nung Hochfeyerliche Solemnitäten auf Allergnädigsten Befehl Seiner Königl. Majestät in Preußen. In zwantzig Kupffer-Platten vorgestellet. Durch Johann Georg Wolffgang. S. Königl. Maj. in Preussen Hoff-Kupfferstecher und Mitglied der Academie der Künsten. Anno 1712. Cum Privilegio Regis." Das Stichwerk, aus Anlaß der Krönung des brandenburgischen Kurfürsten Friedrich III. zum König in Preußen am 18. Januar 1701 in Auftrag gegeben, wurde von Johann Georg Wolfgang nach Zeichnungen Johann Friedrich Wenzels auf 28 Kupferplat­ ten angefertigt.1 Das überragende Ereignis der preußischen Königskrönung hatte nach „ereig­ nislosen" und deshalb um so friedlicheren Jahren den Anstoß gegeben, Geschichte mit dem Grabstichel festzuhalten. Friedrich I. selbst gab den Auftrag und teilte seinem anläßlich der Krönung zum Oberzeremonienmeister ernannten Zeremonienmeister Johann von Besser (1654—1729) die Aufgabe zu, den Text zu dem geplanten Werk zu verfassen.2 Besser hatte bereits unter Friedrich Wilhelm gedient und in dieser Zeit — seit 1687 — das Amt des Regierungsrates im Herzogtum Magdeburg bekleidet. Friedrich I. übernahm ihn in seine Dienste, übertrug ihm anläßlich der Erbhuldigung des Herzogtums Preußen 1690 das Amt des Zeremonienmeisters und adelte ihn. Unter den zahlreichen Lob-, Leichen- und Trostschriften Bessers bleibt die Geschichte der preußischen Königskrönung die für die Nachwelt wichtigste und kann zugleich als die getreueste Erzählung des Verlaufs dieser Begebenheit gewertet wer­ den. Der Text der „Preußischen Krönung" mit dem „Anhang Enthaltend die Beschreibung der Ehren-Pforten, Illuminationen und Feuerwercke, in der Marck und zu Berlin" zeigt sich in einem sehr nüchternen Gewand. Äußerst detailliert, zumeist kommentarlos, doch Wesen und beabsichtigte Wirkung bestimmter Einzelheiten genauestens erfassend, beschreibt Besser vom Standpunkt des höfischen Dekorateurs aus nach der Dedication an den König im ersten Teil die eigentliche Krönung, läßt dieser ein Gedicht mit dem Titel „Königskrone Friderichs des dritten Churfürstens zu " folgen und zählt in einer ausführlichen Beschreibung im zwei­ ten Teil die Ehrenpforten usw. auf. Das Werk erschien in zwei Ausgaben in Kölln an der . Die erste Ausgabe 1702 war, da die Zeit nicht reichte, ohne graphischen Schmuck, nur mit einem kurzen Text Bessers gedruckt worden. Für die zweite Ausgabe hatte Friedrich I. mehrere Künstler verpflichtet, und der aufwendigen Gestaltung wegen konnte diese erst 1712 erschei­ nen. Johann Friedrich Wenzel, der 1703 eine Bestallung als Hofmaler erhalten hatte, wurde beauf­ tragt, die Zeichnungen für die Krönung anzufertigen.3 Wenzel war neben Besser vermutlich der einzige der beteiligten Künstler, der als Augenzeuge den Verlauf der Krönung hatte verfol­ gen können.4 Die Ausführung der Kupferstiche übernahm Johann Georg Wolfgang, der 1704 aus Augsburg als Hofkupferstecher an den Berliner Hof geholt worden war, eigens um das Werk Bessers nach den Zeichnungen Wenzels zu illustrieren. Dem Titelblatt folgen die Bild­ nisse des Königs und seiner Gemahlin. In großformatigen Einzelblättern erscheinen die Pro­ klamation der Krönung, die Krönung des Königs und der Königin auf einem Blatt mit der Inthronisation und der Stiftung des Schwarzen Adlerordens, die Salbung in der Schloßkirche, das Krönungsmahl, das Auswerfen der Krönungsmünzen, die Preisgabe des gebratenen Och-

2 „Königliche Pagen." Vom 2. Blatt des Krönungszuges, Johann Georg Wolfgang.

sens und der Weinbrunnen für das Volk. Der Gang des Königs zur Schloßkirche wird in einem langen Krönungszug gezeigt, in dem die Würdenträger, der Kurprinz und die Königin Fried­ rich I. begleiten.5 „Es entsprach dem Charakter Friedrichs und auch der politischen Bedeutung des Momentes, diesen Vorgang mit aller erdenklicher Pracht und dem höchsten Pompe zu umgeben und die Blicke der ganzen Welt dadurch nach jener Stadt im höchsten Norden Preu­ ßens zu lenken .. ."6 Diesem Urteil widersprechend zeigt sich die Prachtausgabe von Bessers Krönungsgeschichte nicht in eigentlich übermäßiger, sondern vielmehr standesgemäßer und zeitüblicher Aufmachung. Die den Illustrationen vorangestellte Allegorie zur preußischen Krönung personifiziert statt des Herrschers selbst das Herzogtum und nachmalige Königreich Preußen. Einer Königin gleich triumphiert „Prussia" auf ihrem von allegorischen Figuren begleiteten Thronsessel, der, auf ein Podest gehoben, von einem Baldachin bekrönt wird, die Würde des Ereignisses beto­ nend. Das aufwendig drapierte Krönungsgewand fällt dekorativ über die Stufen. Zepter und Krone durch die Haltung der Hände hervorhebend, blickt die Gekrönte erhobenen Hauptes geradewegs aus dem Bild heraus und auf den Betrachter herab. Links der Thronstufen bietet Fama dem Publikum die „Preußische Krönungsgeschichte" in Form eines Schriftbandes zur Ansicht. In ihrer linken Hand hält sie die Zugquasten des geöffneten Vorhangs, der soeben noch die thronende Prussia und das bedeutsame Ereignis der Königskrönung verdeckte: Fama zog den Vorhang aut, um der Welt das Geschehen zu enthüllen — selbst in Ehrfurcht und Erstaunen verharrend. Ihr Blick fällt auf das Wappen des neuen Königreiches mit dem schwar­ zen Adler, der fortan den roten brandenburgischen Adler ersetzen sollte. Rechts tritt aus dem Hintergrund eine weibliche Gestalt — in Vertretung des preußischen Adels —, Prussia Reichs­ apfel und Schwert auf einem Samtkissen darbietend. Zwischen Thron und Baldachin schwebt Mars über Prussia und wendet sich dem über ihn die Schwingen ausbreitenden Adler zu: mit

3 der linken Hand hält er das aufgeschlagene Buch der Geschichte und eine Fackel zur Erhellung der Schrift. Anordnung, Haltung und Gestik der Figuren vergegenwärtigen anschaulich diejenigen Ele­ mente der preußischen Königskrönung, die Friedrich I. besonders hervorgehoben wissen wollte: Prussia hält mit unmißverständlicher Geste die Krone auf ihrem Haupt fest — zum Zei­ chen der Selbstkrönung. Die Demut der sich ihr nähernden Gestalt mit den Herrscherinsignien mag als Anspielung auf die Genugtuung aufgefaßt werden, die Friedrich I. empfand, als er end­ lich die erwünschte Rangerhöhung erreichte, nachdem er die bittere Erfahrung zahlreicher Demütigungen durch den Kaiser hatte machen müssen. Das ehrfürchtige Zurückweichen Famas angesichts der Selbstkrönung Prussias erscheint stellvertretend für die Reaktion der europäischen Öffentlichkeit auf dieses historische Ereignis. Während die Allegorie die Krönung in einem Blatt zusammenfaßt, folgen die Stiche innerhalb des Textes Wort für Wort der Tradition der zeitgenössischen höfischen Illustration. Zwei Bild­ nisse stellen den König und die Königin vor. Sehr schlicht ausgeführt in einfach gerahmten Ovalmedaillons, unterscheiden sie sich von anderen Porträts nur durch das königliche Dekor: Wappen, Krone und Inschrift. Wenzel bemühte sich um eine naturalistische, nüchterne, jedoch auch charakterisierende Abbildung der königlichen Gesichter. Allein dem König und der Königin stand es zu, noch einmal für sich dargestellt zu werden. Daher vergegenwärtigen die beiden Porträtstiche über ihre Funktion als Vorstellung der königlichen Antlitze hinaus auch die königliche Würde, obwohl sie sich im eigentlichen Bildnis nicht von zeitgenössischen bür­ gerlichen Bildnissen unterscheiden. Den Krönungsfeierlichkeiten wird „Die Proclamation der Preußischen Krone" vorangestellt: Sie zeigt den Durchzug des Dragonertrupps, dem „ein doppeltes Chor von zwey paar Heer- Paucken und vier und zwantzig Trompetern / die in währenden Marsch sich immer hören lies- sen" folgt. „Darauf der erste Herold / der Cammer-Furierer Moritz Holzendorf / der die Publication verrichten solte / und hinter ihm drey andere Herolde / in gleichen blau-sammeten Wapen-Röcken nach Römischer Art.. ."7, die im Vordergrund seitlich zu dem parallel durch das Bildfeld ziehenden Trupp zu sehen sind. Jubelnde Anteilnahme der Bevölkerung veran­ schaulichen aus den Fenstern blickende Bürger und sich begeisternd gebärende Figuren im Vordergrund, etwa eine Frau mit Kind, das selbst den kleinen Arm den Soldaten hinstreckt, und eine männliche Gestalt, die bei dem Versuch, einen besseren Platz zu erringen, über eine andere Person hinwegstolpert. Die Stiftung des Schwarzen Adlerordens erscheint zusammen mit der Krönung und der Inthronisation auf einem Blatt, auf dem alle Szenen wie auf einer Bühne in bildparallelen Aufzügen dargestellt werden. Die durch Rahmenform und -Ornament aufeinander bezogenen Einzelbilder umfassen eine Vielzahl von Figuren, unter denen der König bzw. das königliche Paar als Personen nicht hervorgehoben werden, sie fügen sich in die statische Anordnung der Beteiligten ein. Diese vier Szenen geben genau den Moment der Handlung wieder, den der jeweilige Titel verkündet. „Die Krönung des Königs, wie Er Selbsten die Krön sich aufsetzet" zeigt Friedrich unter dem Baldachin, dem Betrachter zugewandt, sich die Krone aufs Haupt setzend. Die „Krönung der Königin, wie sie vom Könige gekrönet wird" stellt beide Hauptakteure einander gegenüber, und Friedrich geht gezierten Schrittes mit der Krone in der Hand auf Sophie Charlotte zu, die ihm mit demütiger Geste entgegentritt. Die „Inthronisation wie König und Königin sich auf den Thron setzen und von den Ständen gegrüßet werden" umgibt das Königspaar, das auf den Thronsesseln Platz genommen hat, mit dem gesamten Hofstaat. Überlange Gestalten mit schweren Perücken, die die gleichfalls langen Gesichter zu erdrücken drohen, stehen im Rund um den Thron, wobei der Künstler sorgsam darauf achtete, den Blick auf das Herrscherpaar

4 „Die Herren Ober-Räthe mit den Reichs Insignien" und „Seine Königliche Hoheit der Kron-Printz." 14. Blatt des Krönungszuges, Johann Georg Wolfgang.

nicht zu verstellen, so daß nicht nur den Ständen, sondern auch dem Betrachter Gelegenheit gegeben wird, das königliche Ornat, das Besser so ausführlich beschreibt, zu bewundern. Der Vergleich zwischen dem Bericht Bessers und den Stichen Wolfgangs führt den Betrachter dar­ auf hin, literarische und bildliche Schilderung nebeneinander zu benutzen, wenn er zu einer vollständigen Vorstellung des Ereignisses mit allen Details gelangen will, da beide einander ergänzen. Die Beschreibung des königlichen Ornates bei Besser läßt keine Einzelheit der Bekleidung von König und Königin aus: „Das Kleid des Königs war roter Scharlack mit einer reichen güldenen Broderie / und mit grossen diamantenen Knöpfen / . . . und der Königs-Mantel ein Purpur- Sammet / voller gestickten güldenen Kronen und Adler / mit Hermelin gefüttert / und vorn mit einer Agraffe / zwar nur von drey Diamanten zusammen gehangen / aber des werthdes von einer Tonne Goldes. Der Zepter war / über und über mit Diamanten und Rubinen / und oben an der Spitze / worauf ein gereckter Adler sich ausgebreitet / noch mit zweyen grossen Rubinen gezieret: deren der Eine / wegen seiner etwas runden Form / die Erd Kugel oder den Thron / und der andere / wegen seiner Läng und Dicke / den gantzen Leib des Adlers abbil­ det; (...) Die Kleidung der Königin bestand aus einem güldenen Brocat mit Ponso Bluhmen / und aus einem Demant-Schmucke / der alle Nähte des Kleides / und die gantze Brust zwischen den Broderien bedeckte (. ..) Auf der rechten Seite hatte sie noch einen Strauß oder Aigrette von lauter Birn-Perlen; unter denen fürnehmlich die Eine wol unvergleichlich sein muß... "8 Trotz der Ausführlichkeit kann der Kupferstich nicht alle Details aus Bessers Text aufnehmen, mangels der Möglichkeit, Farben wiederzugeben, und einem geringeren Spektrum zur Darstel­ lung der Stofflichkeit. Es gelingt Wolfgang zwar, den Unterschied schwerer und leichter Stoffe wie Brokat und Spitze anzudeuten, Metall und Stein zu unterscheiden, doch ist die Grenze zwi­ schen naturalistischer Wiedergabe eines bestimmten Materials und der hilfreichen Vorstel­ lungskraft und den Sehgewohnheiten des Betrachters, die ein aus wenigen Strichen zusammen­ gefügtes Detail mit einem bestimmten Inhalt füllen, fließend.

5 Der Inthronisation folgte der Zug des Königspaares zur Schloßkirche, wo die Salbung stattfin­ den sollte. „Gegen zehn Uhr ward durch eine auf dem Schloß-Thurm ausgesteckte Fahne, das Zeichen zum Geläut gegeben; worauf alle Glocken zu Schloß und in der Stadt zu läuten anfin­ gen, und der erste Herold die versandete Corpora, in der von Sr. Majestät selbst anbefohlenen Ordnung, ablesen muste; in welcher auch alle zur Kirche gingen."9 Der Weg vom Schloß zur Kirche quer über den Schloßhof war mit Brettern ausgelegt worden, die wiederum mit rotem Tuch beschlagen worden waren. Die Kupferstiche zu dieser Prozession lassen den Aufwand nur ahnen. Der Aufzählung Bessers entsprechend stellt Wolfgang die einzelnen Glieder des langen Krönungszuges in einer langen Reihe dar. Den Herolden, Lakaien und Pagen folgt „ein königlicher Paucker / vor welchem die silberne Heer-Paucken getragen wurden / mit den neuen gantz von Gold gewürckten Paucken-Fahnen / und dem darauf brodirten Reichs- Wapen." Ihm nach marschieren „zwölf königliche Trompeter / mit dergleichen von Gold gewürckten Fähnliens an ihren silbernen Trompeten..." jeweils zu dritt nebeneinander. Dann ziehen Hofmarschall, Oberschenk, die Collegia, Hofleute und Minister, weitere Herolde, ein Pauker und Trompeter wie die vorigen vorbei, bis eine Gruppe königlicher Bediensteter die Reichsinsignien dem König voranträgt.10 Zwischen hundert Schweizern geht auch der Kron­ prinz, neben seinem Oberhofmeister Burggraf und Graf von Dohna. „Die Suite der Königin zu führen", war der Herzog von Holstein bestimmt. „Unter einem eben dergleichen Himmel / als wie derjenige des Königes" schreitet sie neben dem Oberhofmeister von Bülau einher, gefolgt von den Schleppenträgerinnen und weiteren Mitgliedern des Hofstaates. Die Stiche Wolfgangs bilden den Krönungszug vor dem Hintergrund einer mit Tuch bespann­ ten Wand ab, der, prachtvoll geschmückt, über den wichtigsten Personen in architektonisch gerahmten Schildern deren Namen und Stellung verkündet. Allein zu dem Zweck, die einzel­ nen Personen zu bezeichnen, wurde diese Hintergrundgestaltung gewählt, die mit der wirkli­ chen Umgebung des Krönungszuges nichts gemeinsam hat. Dem Betrachter wäre sonst so manche Einzelheit entgangen, da lediglich Friedrich I. und Sophie Charlotte aufgrund einer annähernden Porträtähnlichkeit und der Würdeformel Baldachin unter den Dargestellten aus­ findig gemacht werden könnten. Die große Zahl von Nebenfiguren verleiht der Prozession Pracht und Würde. Die barocke Darstellungstradition hinsichtlich derartiger Publizitätsakte ließ auch zu Beginn des 18. Jahrhunderts noch keine neuen Bildschöpfungen zu. Aus der Sicht der absolutistischen Hofetikette gewannen staatsrechtliche Ereignisse durch die Berufung auf überkommene Darstellungsformen an Rechtskräftigkeit. Gänzlich der Tradition derartiger Figurenanreihungen verhaftet, lassen die Illustrationen zur preußischen Krönungsgeschichte jeden Bewegungsreichtum der Gestalten vermissen, ist von einem Bedürfnis des Künstlers, diese agieren zu lassen, nichts zu sehen. Wie Staffagefiguren dienen alle ohne Ausnahme der Vergegenwärtigung eines übergeordneten Ereignisses, nicht der Selbstdarstellung. Das genaue Befolgen der traditionellen Zeremonie eines Rechtsaktes unterstrich dessen Gültigkeit und artikulierte Rechtskontinuität, die in der gleichfalls traditionellen Art der Verbildlichung die­ ses Rechtsaktes ihre Fortsetzung und Entsprechung findet." Die zwiespältige Realitätsstruktur behindert diese Intention keineswegs. Obgleich dem Zeichner ein gewisses Talent, diese Menge von notwendigen Gestalten auf so engem Raum zusammenzubringen, nicht abzuspre­ chen ist, wirken alle Kupferstiche leblos und flächig.

Die Blätter „Auswerffung der Königl. Preussischen Krönungsmüntzen und Preisgebung des Stücks", dieses meint das die Bretter bedeckende Tuch, und „Der gebratene Ochse und Wein Fontainen, so bey der Königl. Preussischen Krönung Preis gegeben" zeigen lebendige, aktive Figuren, deren Gestik und Mimik zuweilen schon übertrieben scheint, aber der Vorstellung vom gemeinen Volk entsprach.12 Die Schilderungen dieser beiden dem Volk zukommenden

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„Seine Majestät der König und seine Suite." Johann Georg Wolfgang.

Veranstaltungen zeigen ein wildes, zum Teil groteskes Durcheinander einer nicht zu zählenden Masse von Menschen, derer sich mitunter die königlichen Beamten mittels ihrer Lanzen erwehren müssen. Allein der Geheimkämmerer zu Pferd überragt zum Zeichen der alles beherrschenden königlichen Würde und Macht das Getümmel und scheint unantastbar zu sein. Die Aufregung und Begeisterung des Volkes steht in krassem Gegensatz nicht nur zu die­ ser Figur, sondern zu allen Gestalten der übrigen Blätter. Bewegte Darstellungen von Figuren oder der Komposition erschienen nicht als qualitative Forderung. Im Gegenteil sollte die Kluft zwischen Volk und Hof in dieser Darstellungsform ihren Ausdruck finden. Das von Friedrich I. aus Frankreich übernommene äußerst steife Hofzeremoniell spiegelt sich in den Illustrationen wider. Die gezierte Haltung der Figuren bei gleichzeitig aufwendiger Kennzeichnung der ein­ zelnen Ränge entspricht dem ebenfalls. Das bunte Durcheinander der Kleider von Männern, Frauen und Kindern, der Volksbelustigungen und das heftige Gestikulieren drücken die Zuge­ hörigkeit dieser Menschen zu einem Stand und ebenso deren unkontrolliertes und leicht beein­ flußbares Handeln aus. Ärger noch als auf dem erstgenannten Stich gebärden sich die Men­ schen auf dem zweiten: Sie fallen über den Ochsen mit spitzen Messern her und tanzen und schlagen sich vor den Weinfontänen, deren bekrönende mächtige Adler über die Menge hin­ ausragen. Die Vorlagen Wenzels13 für die Illustrationen der „Preußischen Krönungsgeschichte" zeigen die gleichen langen und steifen Figuren, die in ihrer Gesamtansicht spitz und sehr unnatürlich wirken, wie zu lang und zu spitz geratene Holzpuppen, die man in diesem Zustand gar nicht aufstellen könnte, weil Schuh und Fuß nicht genügend Standfläche besitzen. Die Kleinheit der unzähligen Figuren muß Wonzel große Mühe bereitet haben, denn derart körperlos und flächig erscheinen die Gestalten seiner großen, heute zerstörten Fresken nicht. Die Umzeichnungen Wolfgangs geben ihnen etwas mehr Volumen, nehmen ihnen ein wenig von der steifen Puppen- haftigkeit. Eine Olskizze Wenzels zum Krönungsmahl weist ähnliches Unvermögen auf, auf

7 „Die Königl. Preussische Salbung." Gesamtdarstellung in der Schloßkirche zu Königsberg. Johann Georg Wolfgang.

kleinerem Format eine große Zahl von Figuren lebendig und interessant zu gestalten.14 Die Verteilung des Hofstaates um die königliche Tafel mag noch als gelungen gelten, doch die Gleichförmigkeit der Figuren untereinander, die formelhafte Gestik und nahezu bei jeder Figur gleichbleibende Mimik sowie die Tendenz zu einer strengen Symmetrie im Bildaufbau, deren geringfügige Auflockerungen kaum auffallen, sind weit entfernt von den vielfältigen Haltungsmotiven, Gesichtsausdrücken und Figurenzusammenstellungen, die Wenzels Fres­ ken im Berliner Schloß auszeichnen. Es bleibt zu vermuten, daß Wenzels Entwürfe hinsichtlich des Krönungszuges nur grobe Vorgaben lieferten, die eigentliche Ausgestaltung gerade der Figuren dem Stecher überlassen wurde. In ihrer Gesamtheit charakterisieren die Illustrationen zu Bessers preußischer Krönungsge­ schichte den Auftraggeber des Werkes, Friedrich III., als „typische(n) Exponent(en) des barok- ken Zeitalters, in dem die Herrschaftsform des monarchistischen Absolutismus in ganz Europa den Gipfel ihrer Machtstellung und die Monarchie von Gottes Gnaden den Höhepunkt ihres Ansehens erlangten".15 Daß Friedrich I. sein Ziel erreicht hatte, bedurfte einer der Bedeutung entsprechenden künstlerischen Wiedergabe, durch den Fürsten initiiert und gestaltet. Sein per­ sönlicher Einfluß auf die Illustrationen läßt sich durch die Bestimmung seines Zeremonienmei­ sters zum Autoren des Textes belegen. Aber auch aus den einzelnen Graphiken, die sich sehr genau an die Textvorlage halten, spricht die Auffassung des neuen Königs. Wichtig erscheint auch, daß Friedrich I. die Ereignisse während seiner Teilnahme am Spanischen Erbfolgekrieg nicht in ähnlicher Weise festhalten ließ. Zu diesen Kämpfen, mit denen er die preußische Krone gewissermaßen „erkauft" hatte, ist kein Werk bekannt, das als Auftrag des Königs gelten könnte. Dieser Mangel verwundert um so mehr, als Friedrich I. durch seinen Auftrag für die „Preußische Krönungsgeschichte" gezeigt hatte, daß er sich gezielt auch der Künste zur geisti­ gen Untermauerung und Sicherung seiner Herrschaft zu bedienen wußte.

X Anmerkungen

1 Die einzelnen Blätter wurden katalogisiert in: Gerhild H. M. Komander, Der Wandel des „Sehe- puncktes". Die Geschichte Brandenburg-Preußens in der Graphik von 1648—1810, Münster 1995. 2 Der vollständige Titel lautet: Preußische Crönungs-Geschichte, Oder Verlauf der Ceremonien, Mit welchen der Allerdurchlauchtigste, Großmächtigste Fürst und Herr, Herr Friderich der Dritte, Marggraf und Churfurst zu Brandenburg, Die Königliche Würde Des von Ihm gestiffteten Königreichs Preußen angenommen, Und Sich und Seine Gemahlin, Die Allerdurchlauchtigste Fürstin und Frau, Frau Sophie Charlotte, Aus dem Churhause Braunschweig, Den 18, Januarii des 1701. Jahres Durch die Salbung als König und Königin einweihen lassen. / Nebst allem was sich auf Ihrer Majestäten Preußischen Hin- und Her-Reise bis zu Ihrer Wiederkunfft und Einzüge in Berlin und dem darauf erfolgten Dank-Buß und Beht-Tage zugetragen: / Aufs sorgfältigste beschrieben, und der Nachwelt zur desto genauem Kundschaft, in lauter nach dem Leben gezeichneten Kupfern vorgestellet, Kölln an der Spree 1702. 3 Helmut Börsch-Supan, Die Kunst in Brandenburg-Preußen. Ihre Geschichte von der Renais­ sance bis zum Biedermeier dargestellt am Kunstbesitz der Berliner Schlösser, Berlin 1980, S. 92. Vgl.: Ekhart Berckenhagen, Zeichnungen von Augustin Terwesten, Johann Friedrich Wenzel und Johann Georg Wolffgang, in: Berliner Museen XII, Berlin 1962. 4 Paul Seidel, Die bildenden Künste unter König Friedrich I.; Teil II. Kunst und Künstler am Hofe, in: Hohenzollernjahrbuch Nr. 4, Berlin 1900, S. 264. 5 Die Reihenfolge in dem Werk Bessers ist folgende: 1. Frontispiz: Allegorie auf die Krönung, 2. Zwei Porträts, 3. Der Krönungszug auf neunzehn Platten, numeriert von 1—17,4. Die Proklama­ tion, 5. Die Inthronisation, 6. Die Salbung, 7. Die Publike Inthronisation, 8. Das Auswerfen der Krönungsmünzen, 9. Das Braten des Ochsens und die Weinfontänen. 6 Paul Seidel, Die Gründung des hohen Ordens vom Schwarzen Adler und die Königskrönung am 17. und 18. Januar 1701 in Königsberg in Ostpreußen, Hohenzollernjahrbuch Nr. 4, Berlin 1900, S. 127. Vgl.: Peter Baumgart, Die preußische Königskrönung von 1701, das Reich und die euro­ päische Politik, in: Preußen, Europa und das Reich, hg. von Oswald Hauser, Köln / Wien 1987, S.83. 7 Aus: Besser, Preußische Krönungsgeschichte, 1712 (vollständiger Titel siehe unter Anm. 2), zitiert nach: Seidel, 1900, S. 128 (s. o. Anm. 6). 8 Ebenda, S. 133. 9 Besser, Preußische Krönungsgeschichte, 1712, S. 11 (s. o. Anm. 1). 10 Wie Anm. 6, S. 135. 11 Vgl.: Frank Büttner, Die Darstellung mittelalterlicher Geschichte in der deutschen Kunst des aus­ gehenden 18. Jahrhunderts, in: Mittelalterrezeption, hg. von Peter Wapnewski, Stuttgart 1986, S. 407-434. 12 Das weltliche Ereignisbild in Berlin und Brandenburg-Preußen im 18. Jahrhundert, Ausstel­ lungskatalog, hg. von den Staatlichen Museen zu Berlin, Berlin 1987, S. 128 f., und Börsch- Supan, 1980, S. 91-92 (s. o. Anm. 3). 13 Berckenhagen, 1962, S. 14 ff. (s. o. Anm. 3). 14 , Neues Palais, Abb. il4. Abb. in: Ekhart Berckenhagen, Die Malerei in Berlin vom 13. bis zum ausgehenden 18. Jahrhundert, Berlin 1964, Nr. 100. 15 Baumgart, 1987, S. 69 (s. o. Anm. 6).

Alle Abbildungen: Stiftung Preussische Schlösser und Gärten Berlin-Brandenburg, Schloß Charlot­ tenburg. Anschrift der Verfasserin: Dr. Gerhild H. M. Komander, Gropiusstraße 6, 13357 Berlin-

9 Berliner Fragezeichen Von Arnulf Baring

Ich weiß nicht, ich weiß nicht. Alle Welt hierzulande gibt sich zuversichtlich. Man behauptet, daß die Fusion Berlins mit Brandenburg eine großartige Sache sei, ein Jahrhundert-Fortschritt mit den schönsten Perspektiven. Ist das so ? Auf lange Sicht: vielleicht. Aber was ist bis dahin? Zweifellos ist eine koordinierte Landesplanung, Verkehrsentwicklung, Industrieansiedlung der beiden Gebiete unerläßlich. Aber schon die Schlußfolgerung, die Berliner Industrie — und viele, viele neue Produktionsstätten — ließen sich im Speckgürtel nieder, häuften Reichtümer an, so daß die Fusion fiskalisch unerläßlich sei, um die fortbestehenden Zentralaufgaben Ber­ lins finanzieren zu können, kommt mir windig vor. Momentan sieht es so aus, als ob der Pseudo-Boom im Umland Berlins eher daran liegt, daß Potsdam große Mittel dorthin pumpt. Man liest, daß von 300 Verlagerungen aus Berlin in den vergangenen Jahren nur hundert in Brandenburg angekommen seien. Eine ökonomische Konkurrenz gebe es nicht zwischen Ber­ lin und Brandenburg, sondern zwischen Berlin-Brandenburg und beispielsweise Polen oder dem spanischen Katalonien. Meines Erachtens muß das Land Berlin auf längere Sicht eine Lösung wie Washington, die Hauptstadt der USA, erreichen: aus dem Bundeshaushalt finanziert werden. Wenn und Bundesregierung einmal in Berlin angekommen sind, werden sie eine finanzielle Verelen­ dung dort nicht zulassen können: Löcherige Asphaltdecken, funzelige Straßenlaternen, ausge­ leierte S-Bahnzüge. Hingegen wird sich der Bund mit Recht weigern, einer Großregion zwi­ schen dem Oderbruch und der Prignitz, zwischen Lausitz und Uckermark treusorgend unter die Arme zu greifen. Wriezen wie Treuenbrietzen werden dem Bund schnuppe sein. Die größten Probleme für einen raschen Zusammenschluß sehe ich im Psychologischen. Schon die Ost- und Westberliner haben ihre Schwierigkeiten miteinander; man braucht ja nur die far­ bigen Ergebnisse der Berliner Wahl vom 22. Oktober 1995 zu betrachten: Die Direktmandate im alten Westberlin gingen fast ausnahmslos an die CDU, im alten Ostberlin ebenso deutlich an die PDS, der schwarzrote Grenzverlauf ist identisch mit der früheren Sektorengrenze. Mehr als vierzig Jahre getrennte Entwicklung haben ihre Spuren in den Köpfen, in den Herzen hinterlas­ sen — vom Finanziellen, Organisatorischen ganz abgesehen. Kürzlich sagte ein Berliner Sena­ tor, 70 % der Energien des Senats gingen in die Anstrengung, aus dem früheren Ostsektor einen lebensfähigen, leistungsfähigen Teil der gemeinsamen Stadt zu machen. Das werde dau­ ern, wird dauern. Damit haben wir Berliner in den kommenden Jahren genug zu tun. Noch größer werden die Unterschiede, wenn man das Berliner Umland hinzunimmt, alle Berli­ ner mit den Brandenburgern in einen Topf wirft. Immer wieder stellen Westberliner unterein­ ander enttäuscht fest, wie schwierig die Verständigung mit unseren neuen Landsleuten ist. Man spricht verschiedene Sprachen. Vielleicht übertreibt man auf beiden Seiten; hier wie dort gibt es Fehleinschätzungen. Wessis erscheinen den Ossis oft sehr sonderbar, und umgekehrt. Solche verzerrten Wahrnehmungen werden jedoch erst nach vielen Jahrzehnten verschwinden. Die Zuversicht, man fördere das Zusammenwachsen, wenn man eilig die Menschen so poli­ tisch unterschiedlich geprägter Räume zusammenspanne, ist ein grotesker Irrtum. Das Gegen­ teil wird eintreten, wenn man zu früh fusioniert. Die Konflikte werden sich verschärfen. Es wird von den Fusionsbefürwortern immer so getan, als sei die Schaffung von Berlin-Bran­ denburg die natürlichste Sache der Welt, die Wiederherstellung eines bis 1945 normalen Zustandes. Das stimmt nicht. Ich bezweifle, daß sich die Berliner je als Märker, als Branden­ burger gefühlt haben. Sie waren Preußen, lebten in der Hauptstadt eines Staates, der von

10 Memel bis Aachen reichte. Berlin war ein Schmelztiegel vieler Provinzen. Die Berliner hatten immer ein ausgeprägt großstädtisches Selbstbewußtsein, ein Sonderbewußtsein. Dabei ist es auch unter veränderten Umständen geblieben. Westberlin fühlte sich — Leucht­ turm der Freiheit, Insel im roten Meer, Vorposten des Westens — natürlich als etwas Besonde­ res. Und Ostberlin blieb bekanntlich die ganze Zeit über Hauptstadt. In DDR-Zeiten sprachen daher Ostberliner oft mit Herablassung von denen „in der Zone". Dem entspricht auf Seiten der Brandenburger ein verbreitetes Minderwertigkeitsgefühl, das leicht in Arroganz umschlägt. Wie anders soll man es deuten, wenn Potsdam unter bewußter Umgehung der Ber­ liner einen Parlamentsneubau plante, obwohl doch nach der Fusion ein gemeinsames Parla­ ment dort gebildet werden soll? Zudem muß man bedenken, daß nur ein geringer Prozentsatz der heutigen Bewohner Bran­ denburgs Märker sind, aus seit langem hier ansässigen Familien stammen. Man schätzt: nur ein Viertel. Flüchtlinge und Vertriebene aus den Gebieten jenseits der Oder, Zuwanderer aus anderen Teilen der DDR haben die großen Lücken notdürftig gefüllt. Vielleicht liegt es an die­ ser Bevölkerungsumschichtung großen Stils, daß Selbstvertrauen, Schwung, Leistungsfähig­ keit, Initiative in Brandenburg weniger deutlich ausgeprägt scheinen als etwa in Sachsen oder Thüringen. Wie auch immer: Die Mark war noch nie reich. Aber darf man dann derart auf Pump leben wie Brandenburg heute? Nicht nur bei der Trunksucht nimmt Brandenburg einen Spitzenplatz ein. Zugegeben: Auch Berlin steht vor der Zahlungsunfähigkeit. Aber ist die geplante Hochzeit zweier Verarmter, Hochverschuldeter ein Argument für oder gegen die Fusion? Wer will uns glauben machen, zwei Finanzschwächlinge ergäben, vereint, einen rei­ chen Mann? Ein besonderes Kennzeichen des alten Westberlin war ein starkes Gemeinschaftsgefühl, eine bemerkenswerte Bürgergesinnung innerhalb der Mauern. Es läßt sich nicht leugnen, daß die Westberliner viereinhalb Jahrzehnte früher in einer lebendigen Demokratie zu leben lernten; das prägt natürlich. Die Bedrohung von außen führte zu Besonderheiten des Berliner Partei­ wesens: Über Jahrzehnte hinweg, lange ehe sie in der alten Bundesrepublik zur Volkspartei wurde, gelang es der SPD, über die Grenzen ihrer traditionellen Anhängerschaft hinaus weite Teile der Berliner Bevölkerung zu integrieren. Die SPD war von bis Klaus Schütz die „Berlin-Partei". In den achtziger Jahren gelang es der CDU unter Richard von Weizsäcker, die SPD in dieser Rolle abzulösen. Welche Kräfte, welche Visionen werden in den fusionierten Ländern das Sagen haben? Wo wird die Union abbleiben? Die CDU muß von allen guten Gei­ stern verlassen sein, wenn sie selbst sich auf unabsehbare Zeit zur mageren Minderheitsrolle verurteilt, aus freien Stücken im neuen Bundesland Berlin-Brandenburg auf die Oppositions­ bänke verbannt! Die politische Lage des vereinten Berlin ist labil genug. Es ist unverantwort­ lich, Berlin auch noch die Lasten der prekären politischen Kräfteverhältnisse des Umlands auf­ zubürden. Westberlin hat von der Überzeugung gelebt, eine Brücke zwischen den beiden getrennten Tei­ len des Landes zu sein. Jahre vor dem Fall der Mauer hat Peter Bender eindrucksvoll dargelegt, daß die Spaltung des Landes noch viel tiefer gewesen wäre, wenn es Westberlin nicht gegeben hätte. Wenn jetzt nach Jahrzehnten eines herausgehobenen, historisch bedeutsamen Sonder­ status das Land Berlin abgeschafft wird, Parlament und Regierung in Potsdam angesiedelt wer­ den, Berlin als kreisfreie Stadt unter einem Oberbürgermeister zurückbleibt, werden die West­ berliner diesen Statusverlust als schmerzliche Degradierung empfinden. Sie werden dann erst recht fürchten, zugunsten des Umlands geplündert zu werden — so wie jetzt in Westberlin oft die Meinung zu hören ist, man lasse die Westberliner unmäßig zugunsten des Ostteils der Stadt zur Ader.

11 Der Westen hat den Kalten Krieg gewonnen. Aber für die Westberliner sieht es anders aus: Zumal im Zeichen der Fusion mit Brandenburg fühlen sie sich vom Osten überrannt. Zwar mag die alte Bundesrepublik noch immer beruhigt in dem Gefühl leben, sie stelle die Mehrheit in Deutschland. Aber für Westberlin stellt sich die Situation umgekehrt dar: ihm droht die Ver- ostung. Bis zum heutigen Tage bleibt Westberlin das entscheidende, lebendige Zentrum der Region, ihr aktivster, kreativster Teil, der auf die umliegenden Gebiete ausstrahlt. In dem Maße, in dem sich diese Umgebung erholt und kräftigt, werden auch die mentalen Unterschiede verschwin­ den. Aber das braucht seine Zeit. Und man sollte nicht versuchen, dieses Wachstum der Gemeinsamkeiten gewaltsam zu beschleunigen und damit zu gefährden. Die Schlußfolgerung muß lauten: Laßt uns allen Zeit! Nichts überstürzen, nichts herbeizwin­ gen! Die Angleichung der Lebensverhältnisse, der Werthaltungen, der Denkgewohnheiten und Gefühle wird in ein bis zwei Jahrzehnten alles einfacher machen. Auch die Fusion. Anschrift des Verfassers: Professor Dr. Arnulf Baring, Habelschwerdter Allee 45, 14195 Berlin-Dahlem

Wo war der Nachlaß von Walther Rathenau? Die „Wanderung" von Archivalien als Spiegel europäischer Geschichte Von Christian Schölzel

Fast jedes Schulkind kennt Walther Rathenau (1867—1922), den Sohn des nachmaligen AEG- Gründers Emil Rathenau und seiner Frau Mathilde Rathenau.1 Der berühmte Elektroindu- strielle und Finanzfachmann hatte als heutzutage eher vergessener Philosoph und Publizist in seiner Zeit auch in diesem Bereich eine ebenso große wie kontroverse Wirkung und Resonanz unter seinen Zeitgenossen. Der Freund vieler Künstler, Schriftsteller und Wissenschaftler wurde im Ersten Weltkrieg, 1914/15 maßgeblicher Organisator der Umstellung der Volkswirt­ schaft auf den Kriegsbedarf. Als Leiter der Kriegsrohstoffabteilung im Preußischen Kriegsmi­ nisterium stellte er zusammen mit seiner Abteilung die gesamte Rohstoffbewirtschaftung in Deutschland unter staatliche Kontrolle. Nach dem Kriege wurde Rathenau, zunächst „Repara­ tionspolitiker ohne Portefeuille", 1921 zeitweilig zum Wiederaufbauminister ernannt. Im dar­ auffolgenden Jahr wurde er Außenminister im zweiten Kabinett Wirth. In dieser Eigenschaft schloß er mit Sowjetrußland am Rande der Finanzkonferenz von Genua den Vertrag von Rapallo (16. April 1922). Das Abkommen eröffnete den Weg zur Wiederaufnahme voller diplomatischer Beziehungen und sollte zudem als Rahmenabkommen einer künftigen wirt­ schaftlichen Kooperation beider Staaten dienen. Am 24. Juni 1922 wurde Rathenau von Attentätern der deutsch-völkischen Bewegung als Jude, als Unternehmer, als vermeintlich symbolischer Repräsentant des republikanischen Systems, aber auch als sogenannter „Verständigungspolitiker" ermordet. Hier soll die Frage interessieren, was in der Folge mit der Hinterlassenschaft dieses so vielfältig wirkungsreichen Menschen Walther Rathenau geschah.2 Nach seinem Tod wurden die vorhandenen Nachlaßpapiere in seinem einstigen Wohnhaus in der Koenigsallee 65 in Berlin-Grunewald am 23. Juni 1923 zusammen mit dem Grundstück, dem Haus, dem Inventar (Möbeln und Kunstgegenständen) sowie Teilen der Bibliothek dem

12 Bildnis Walther Rathenau. Um 1920. Fotografie (alter Abzug) 22 X 17 cm. Lilienthal, Walther Rathenau Gesamtausgabe — Hans Dieter Hellige

Deutschen Reich in Form der „Walther-Rathenau-Stiftung" unterstellt.3 Die Bestände der Stiftung wurden vom Reichsministerium des Innern (Reichsarchiv Potsdam) verwaltet. Mit der Registrierung der Akten, der zwanziger Jahre, erfolgte auch die Aufteilung in ein „offe­ nes" und ein „geheimes" Archiv.4 Dabei wirkten maßgeblich Rathenaus Mutter Mathilde Rathenau, die Schwester Rathenaus, Edith Andreae, wie auch der einstige Privatsekretär Hugo Geitner5 mit. Im Verlauf der folgenden Jahre gelang es diesem Kreis, vor allem von zahl­ reichen Briefpartnern Briefwechsel mit Walther Rathenau zu sammeln. Auch andere Unterla­ gen ergänzten den Bestand der Stiftung. In den zwanziger Jahren wurden daraufhin vor allem Korrespondenzen, daneben auch Reden Walther Rathenaus herausgegeben.6 Es ist heutzutage erstmals möglich gewesen, die Originale bzw. Abschriften vieler Briefe Rathenaus im Nachlaß in Moskau mit den gedruckten Editionen aus der Zeit der Weimarer Republik zu vergleichen. Dabei zeigte sich, daß vor allem von Seiten der Familie und der Stif­ tungsmitglieder bei der Herausgabe Textkürzungen vorgenommen wurden, die nicht immer im Druck kenntlich gemacht wurden.7 Den Bearbeitern der Brieftexte, vor allem wohl Hugo Geit­ ner8 und Edith Andreae, ging es hierbei offensichtlich darum, negative Urteile Rathenaus über einzelne Personen, Textpassagen zu Fragen des Antisemitismus als auch andere private, spe­ ziell familiäre Fragen betreffende Stellen nicht zu publizieren.9 „Was zur persönlichen Ehrung und zur Reinigung des Namens Walther Rathenaus geschehen konnte, war geschehen."10 Nach der nationalsozialistischen Machtübernahme gelang es nicht, die Stiftung länger zu erhal­ ten. Mit ihrer Auflösung am 1. September 1934 gelangten die Papiere Walther Rathenaus wie­ der in Familienbesitz.11

13 In den Akten des Reichsarchives in Potsdam findet sich ein Vermerk12, der vermutlich vom 16. August 1939 datiert und vom Generaldirektor der Staatsarchive und gleichzeitigem Direk­ tor des Reichsarchives Dr. Zipfel oder einem seiner Mitarbeiter stammen dürfte. Demnach erkundigte sich Walter Frank beim Generaldirektor der Staatsarchive am 3. April 1939 im Rahmen der Arbeit an seinem Buch über Walther Rathenau13 nach dem Verbleib des Nachlas­ ses aus der Koenigsallee. Nachforschungen im Reichsarchiv, bei der Kriegsgeschichtlichen For­ schungsanstalt des Heeres, bei Professor Rauers, dem früheren Betreuer des Rathenau-Archi- ves, wie auch beim Reichsministerium des Innern führten schließlich zu einer Anfrage bei dem Ehemann von Rathenaus Schwester Edith, dem Bankier Fritz Andreae14, am 10. Mai 1939. Sechs Tage später antwortete dieser offensichtlich ausweichend. Es stellte sich im nachhinein heraus, daß das Ehepaar Andreae sich wenige Tage vor der Flucht aus dem nationalsozialisti­ schen Deutschland in die Schweiz befand. Der Leiter des Reichsarchives bat kurz danach, am 7. Juni 1939, die Gestapo um Hilfe bei der Suche nach dem Nachlaß. Mitarbeiter der Gestapo fanden daraufhin in einem kleinen oberbayerischen Ort die in zwölf Kisten verpackten Aktenkonvolute. Hierhin hatten Familienangehörige die Dokumente Rathenaus zum Schutz vor der Beschlagnahme durch die Nationalsozialisten gebracht. Auf Antrag des Reichsarchives vereinnahmte die Gestapo München den Dokumentenfund. In der Folgezeit bemühte sich das Reichsarchiv in erfolglosen Übergabegesuchen durch die Staatspolizei-Leitstelle Berlin und das dortige Gestapo-Amt sowie über die Staatspolizeistelle München um die Archivalien. Am 20. Juli 1939 erhielt das Reichsarchiv von der Staatspolizei Berlin die telefonische Auskunft, die Staatspolizeileitstelle München habe noch einige Wochen in den Papieren zu ermitteln, das Reichsarchiv müsse sein Begehren daher zurückstellen. Ungeachtet der Tatsache, ob diese Angabe den Aufenthaltsort der Akten zu diesem Zeitpunkt wahrheitsgetreu wiedergab, läßt sich die Beschäftigung Walter Franks mit Rathenau in diesen Tagen genau bestimmen. Am 4. Juli 1939 hielt er, nach eigenem Bekunden, einen Vortrag „Höre, Israel! Walther Rathenau und die blonde Rasse." Franks Ausführungen waren zum Druck in den „Forschungen zur Judenfrage", Band 4, Hamburg 1939 vorgesehen. Bevor es hierzu jedoch kam, publizierte Frank seinen Text über Walther Rathenau zusammen mit einem Essay über Maximilian Harden und ausgewählten Quellen unter dem Titel „Höre, Israel! Harden, Rathenau und die moderne Judenfrage". Im Vorwort datierte Frank den Abschluß der Arbeit auf den 12. September 1939. Das extrem antisemitische Buch zeugt von einer vorhandenen Kenntnis gängiger Literatur über die Familie Rathenau und die AEG. Auch gedruckte Äußerungen Rathenaus werden häufig zitiert. Nirgends findet sich jedoch ein Hinweis auf die Lektüre der Nachlaßpapiere durch Frank.15 Ein weiterer Aktenvermerk in den Aufzeichnungen des Reichsarchives16 von Dr. Zipfel, ange­ legt am 3. Mai 1940, über eine Besprechung im SS-Hauptamt Berlin vom 26. April 1940 führt die Spur des Verbleibs der Nachlaßsammlung fort. An der Unterredung Ende April 1940 nahmen neben Zipfel die Staatsarchivräte von der Archiwerwaltung des preußischen Staatsministeriums Dr. Rohr17 und Dr. Frederichs sowie Obersturmführer Dr. Turowski und Dr. Löffner vom SD-Hauptamt18 teil. In der Sitzung ging es vornehmlich um Fragen der weiteren Erfassung von Archivalien jüdischer Besitzer und zur jüdischen Geschichte19 sowie um das Thema der allgemeinen Behandlung der von SD und Gestapo in Polen und anderswo erbeuteten Akten. Unter dem letztgenannten Punkt der Tagesordnung fand auch der Rathenau-Nachlaß Erwähnung. Die Papiere befänden sich, so der Bericht, im SS-Hauptamt und würden dort von Dr. Löffner20 bearbeitet. Über das weitere Schicksal der Sammlung werde Dr. Turowski bald Bericht erstat­ ten.

14 Bis zu diesem Zeitpunkt zeigte sich, daß trotz aller Anfragen Stellen der Gestapo und SS den Aktenfund nicht an das Reichsarchiv abgeben wollten. Welche außerordentlich zurückhaltende Art des Bittens dabei von Seiten des Generaldirektors Zipfel gegenüber den zuständigen Stellen eingenommen wurde, läßt der Schluß des Doku­ ments vom 3. Mai 1940 ahnen. Zipfel bot demnach für die Behandlung des Rathenau-Nachlasses nach dessen Rückführung ins Reichsarchiv an, die Archiwerwaltung werde einen derartigen Bestand der Öffentlichkeit nur nutzbar machen, sofern es der Gestapo genehm sei. Er verwies auf eine Bestimmung, der- zufolge in Preußen Archivmaterial aus der Zeit nach 1888 nur mit Genehmigung des preußi­ schen Ministerpräsidenten benutzt werden dürfe. Es gibt nach dem Frühjahr 1940 keinen Hinweis darauf, daß der Nachlaß wieder in das Reichs­ archiv gelangt wäre. Die bis zum 13. April 1945 geführten und überlieferten Zugangsbücher21 des Reichsarchives verzeichnen keine Angabe zu einer derartigen Nachlaßsammlung. In den Transportlisten der Evakuierung der Bestände des Reichsarchives seit dem 19. August 1943 bis zum Kriegsende in Bergwerksstollen bzw. in den Einlagerungsplänen der Archivalien in den verschiedenen Schächten finden sich lediglich Hinweise auf eingelagerte „Nachläs­ se".22 So deutet zunächst alles auf die These, daß der Nachlaß bis zum Kriegsende in den Händen einer SS- bzw. SD-Stelle blieb.23 Diese Vermutung wird bestätigt durch die Ausführungen bei Maksimova und Aly/Heim.24 Die Archivalien lagerten vor der Beschlagnahme durch die Rote Armee Ella Maksimovas Anga­ ben zufolge in Schloß Althorn in Niederschlesien. Dieses Material sei von einer SS-Stelle dort eingelagert worden. Hier entdeckte es die 59. sowjetische Armee. Aly/Heim rekonstruierten aus Unterlagen der SS im Zentralen Staatsarchiv (Moskau) den Verbleib der Archivalien in den letzten Kriegsjahren. Demnach wurden Akten unter der Leitung des Amtes Vll (Weltan­ schauliche Forschung und Auswertung) des Reichssicherheitshauptamtes seit den Sommer­ monaten 1943 nach Schloß Fürstenstein in Waidenburg/Niederschlesien verbracht.25 Teile des eingelagerten Aktenmaterials, nachweislich von arbeitenden SS-Stellen, wurden 1944/45 nach Schloß Wölfeisdorf im Kreis Habelschwerdt umgelagert.26 Beide Schlösser wurden von der Roten Armee zu Kriegsende eingenommen. 1945 kam u. a. so auch das biographische Material zu Walther Rathenau als Beutegut der sowjetischen Armee in ein für die Lagerung derartiger Aktenbestände speziell gegründetes Geheimarchiv, dessen Existenz sowjetischen wie auch ausländischen Historikern zunächst unbekannt blieb.27 Angaben bei Maksimova und Aly/Heim wie auch dem Verfasser anderweitig bekannt gewor­ dene Informationen belegen, daß in den Nachkriegsjahrzehnten die gesammelten Akten von Militärs bzw. Mitarbeitern des Geheimdienstes dazu verwendet wurden, sowohl ehemalige nationalsozialistische Verbrechen auf Seiten der Deutschen als auch unter Kollaborateuren auf­ zudecken wie auch das Aktenmaterial bei innersowjetischen Repressionsmaßnahmen zu ver­ wenden.28 Daneben dienten Teile der Akten Mitarbeitern des KGB als Material für „geschlos­ sene Arbeiten", d. h. wissenschaftliche Qualifikationsleistungen wie etwa eine Dissertation, deren Ergebnisse jedoch aufgrund der Geheimhaltungspflichten nur innerhalb der Behörde publik wurden.29 Die Archiv-Situation nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges stellte sich dem Rathenau-For- scher zunächst daher im wesentlichen wie folgt dar: als sogenannter „Nachlaß" oder „Nachlaß­ splitter" galt der Bestand NL 48 im Bundesarchiv Koblenz. Dieser enthielt zum Teil aus Fami­ lienbesitz, zum Teil aus Ankäufen eine willkürliche kleine Auswahl von Briefwechseln Rathe-

15 naus. Daneben existierten in Abschrift Briefe Rathenaus an Maximilian Harden, deren Benut­ zung jedoch bis 1965 offensichtlich nicht möglich war.3U Ferner ließen sich über die Aktenbestände des Politischen Archives des Auswärtigen Amtes die Tätigkeiten Rathenaus in Fühlungnahme mit dem Auswärtigen Amt (Marokko-Mission 1910) bzw. als Reparationspolitiker und als Außenminister rekonstruieren. Ahnliches galt für andere Lebensphasen Rathenaus (z. B. Reisen in die Kolonien oder die Zeit als Wiederaufbau­ minister) für die Bestände politischer Akten im Zentralen Staatsarchiv Potsdam (heute: Bun­ desarchiv, Abteilungen Potsdam) und im Zentralen Staatsarchiv Merseburg (heute: Geheimes Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz, Abteilung Merseburg; die Verlagerung der Bestände nach Berlin-Dahlem findet zur Zeit statt).31 Daneben existierten über die Welt verstreute Kon­ volute von Briefen und Unterlagen Rathenaus in „Autoren-Archiven" (z. B. dem deutschen Literaturarchiv in Marbach a. N.) oder Forschungseinrichtungen und Museen. Schließlich bleibt auf Unternehmensarchive zu verweisen, wobei die Bestände des AEG-Archives wesent­ liche Verluste durch Kriegseinwirkungen im Zweiten Weltkrieg, 1943, erlitten. Nach 1989 wurde es möglich, ungehindert auch mit Betriebsarchiven der (ehemaligen) DDR in Verbin­ dung zu treten, um dort lagernde Akten zu Walther Rathenau einsehen zu können. 1990 schließlich wurde die Existenz des „Zentralen Staatsarchives" oder „Sonderarchives", das dem KGB unterstanden hatte, bestätigt.321992 konnte der Nachlaß Rathenaus nach seiner Entdek- kung33 einer ersten und vorläufigen Sichtung durch den Historiker Wolfgang Michalka unter­ zogen werden.34 Verschiedene Historiker haben inzwischen die „historische Chance", an den wiedergefunde­ nen Akten zu arbeiten.35 Diese Papiere zeigen nicht nur etwas über Rathenau und seine Zeit, die Geschichte ihres Ver­ bleibs ist selbst zu einem Stück europäischer Historie geworden.

Anmerkungen

1 Die folgenden Ausführungen stellen die stark überarbeitete und wesentlich erweiterte Fassung von Christian Schölzel: „Von der Koenigsallee zu KGB's": die Geschichte des wieder aufgefun­ denen Rathenau-Nachlasses als Spiegel der Vergangenheit, Berliner Osteuropa-Info (1995), [voraussichtlich] Heft 5, dar. 2 Unter dem Begriff der Hinterlassenschaft wird im folgenden lediglich das archivalische Erbe sub­ sumiert. Zu Listen der Privatbibliothek Rathenaus sowie dem Umgang mit dem „archivalischen Erbe" vgl.: Bundesarchiv, Abteilungen Potsdam 15.01 Reichsministerium des Innern 25240-25246, 25250, 25254, 25258, 25259. Zum Mobiliar u. ä. vgl. an verschiedenen Stellen Ausführungen und Abbildungen, in: Wilderotter, Hans (Hrsg.): Walther Rathenau 1867—1922. Die Extreme berühren sich. Eine Ausstellung des Deutschen Historischen Museums in Zusam­ menarbeit mit dem Leo Baeck Institute, New York (Berlin 1992). Kursorisch sei hier nur auf wei­ tere Akten zur Thematik im Bestand: Zentrales Staatsarchiv (Moskau) Fonds 634 Nachlaß Walt­ her Rathenau Findbuch 1 verwiesen. Auch in den Mitteilungen des Vereins für die Geschichte Berlins wurde die Person Rathenaus bereits untersucht, vergl.: Lowenthal Ernst G.: Vor 50 Jah­ ren: Der Mord in der Koenigsallee. Im Gedenken an Walther Rathenau, in: Mitteilungen des Ver­ eins für die Geschichte Berlins 68 (1972), H. 7, S. 170 f. 3 Mit zahlreichen Details für die Zeit der Weimarer Republik zum Erbe Rathenaus, den Publikatio­ nen seiner Schriften und der Walther-Rathenau-Stiftung sowie der Walther-Rathenau-Gesell- schaft: Bundesarchiv, Abteilungen Potsdam 15.01 Reichsministerium des Innern 25240—25246, 25250, 25254, 25258, 25259. Brecht, Arnold: Aus nächster Nähe. Lebenserinnerungen 1884—1927, Stuttgart (1966), S. 388, 412; die Stiftung wurde im Reichsinnenministerium von Arnold Brecht betreut, der zusammen mit Reichskunstwart Edwin Redslob, dem früheren Sekre­ tär Rathenaus im Auswärtigen Amt und späteren deutschen Generalkonsul in Chicago, Hugo

\6 Ferdinand Simon, im Vorstand der Stiftung war. Daneben bestand eine Walther-Rathenau- Gesellschaft, die, 1928 gegründet, sich der Pflege des Andenkens an Rathenau gegenüber einer breiteren Öffentlichkeit widmete. So wurde 1932 eine Walther-Rathenau-Medaille an Gerhart Hauptmann und Harry Graf Keßler verliehen. Zudem wurden Schriften publiziert. Im Vorstand der Gesellschaft saßen neben Brecht und Redslob Rathenaus Schwester Edith Andreae sowie ihr Mann Fritz Andreae; vgl. Brecht, Arnold u. a.: Gedenken an Walther Rathenau, Dresden 1928 (= Schriften der Walther-Rathenau-Stiftung; Nr. 2); Sabrow, Martin: Mord und Nachwirkun­ gen, in: Ders. u. a. (Hrsg.): Walther Rathenau 1867-1922, Berlin 1988, S. 79-87, hier: S. 85; Brecht/Nähe, S. 388. Vgl. zur Gründung: Keßler, Harry Graf: Tagebücher 1918-1937. Heraus­ gegeben von Wolfgang Pfeiffer-Belli, a.M. 1982 (= insel Taschenbuch; Bd.659), S. 595 (= Eintrag zum 24.6.1928); vgl.: Brecht u. a./Gedenken; Gesamthochschulbibliothek Kassel Landesbibliothek und Murhardsche Bibliothek der Stadt Kassel 2° Ms. hist. litt. 38 (Rathe­ nau) Nachlaßverwaltung II Brief der Walther-Rathenau-Gesellschaft e.V. an Wilhelm Schwaner vom 8.8.1928 (= Einladung zur Gründungsversammlung); Walther-Rathenau-Gesellschaft (Hrsg.): Mitgliederverzeichnis, (Berlin o. J.) [um 1930]; Rauers, F.: Wo blieb das Rathenau- Archiv?, in: Deutsche Kommentare vom 8. 5.1950, Ausschnitt ohne Paginierung. 4 Bundesarchiv, Abteilungen Potsdam 15.01 Reichsministerium des Innern 25244/B1.50. Rauers: 1926 fing Professor Dr. Rauers mit dem Aufbau des Walther-Rathenau-Archives an, das er bis 1933 führen sollte. Er war ursprünglich Leiter der volkswirtschaftlichen Abteilung des Reichsar- chives. Mader, Ursula: Potsdamer Akten bieten Gelegenheit zum Vergleich. Die Entdeckung des Walther-Rathenau-Nachlasses in Moskau eröffnet neue Möglichkeiten für die Forschung, in: ND vom 2.10.1992, S. 14, mit weiteren Details, etwa zu den Registern zum Bestand im Bundesarchiv, Abteilungen Potsdam und weiteren Fakten zur Nachlaßgeschichte. 5 Hugo Geitner (1879—1942), Privatsekretär Rathenaus. Vergl. Geitner, Hugo, in: Einstein, Albert u. a.: In memoriam Walther Rathenau, in: Die Neue Rundschau XXXIII (1932), H. 8, S. 805—834, dieser Beitrag: S. 829—832, hier: S. 829 f,. danach lernten sich Rathenau und Geit­ ner 1894 kennen. Geitner war im Büro Rathenaus in Bitterfeld tätig und folgte ihm nach Berlin als Privatsekretär. Fürstenberg/Erinnerung, S. 378: über Geitner „Dieser wußte in allen Akten Bescheid, kannte in jeder Hinsicht die ,offizielle' Version,..."; vgl.: S. 379: durch den Einfluß Mathilde Rathenaus sei die Arbeit über Rathenau von Etta Federn-Kohlhaas: Walther Rathenau. Sein Leben und Wirken, 2. erw. Aufl., Dresden 1928 zur Apologie geraten. S. 398: aus Eifersucht auf die Liebe des Sohnes zu Lilly Deutsch habe Mathilde Rathenau den Briefwechsel ihres älteren Sohnes mit der Frau des AEG-Direktors Deutsch verbrannt. 6 Vgl. etwa nur: Walther Rathenau: Briefe, zwei Bände, Dresden 1926; Ders.: Neue Briefe, Dres­ den 1927; Ders.: Briefe. Neue Folge, Dresden 1928; Ders.: Politische Briefe, Dresden 1929; Ders.: Briefe. Neue Ausgabe in drei Bänden, Dresden 1930; Ders.: Gesammelte Reden, Berlin 1924. Vgl. zur Sammlung der Briefe z. B.: Archiv der Herrmann-Burte-Gesellschaft e.V. (Maul­ burg) Briefe Hugo Geitners an Herrmann Strübe (d. i.: Burte) von Ende Juli 1922 und vom 1.12.1925; Gesamthochschulbibliothek Kassel Landesbibliothek und Murhardsche Bibliothek der Stadt Kassel 2° Ms. hist. litt. 38 (Rathenau) Nachlaßverwaltung II Brief Hugo Geitners an Wil­ helm Schwaner vom 26.2.1927. Vergl.: Zentrales Staatsarchiv (Moskau) Fonds 634 Nachlaß Walther Rathenau Findbuch 2/28/B11.36 f. (= Brief Hugo Geitners an den S. Fischer Verlag vom 29.11.1927): nach dem Schreiben wurden verschiedene Aufsätze Rathenaus nach seinem Tode mit neuen Titeln versehen, vor allem durch Edith Andreae. In derselben Akte/Bll. 47 f. (= Briefe des Verlegers Carl Reissner an Edith Andreae vom 26. 8.1927 und an Hugo Geitner vom 22.8.1927): danach versuchte Reissner mit lockenden Angeboten den S. Fischer Verlag in „letz­ ter Minute" beim Erhalt des Auftrages zum Verlegen der nachgelassenen Schriften Walther Rathenaus auszustechen. In derselben Akte/Bl. 56: Samuel Fischer hatte 1924 schon mit Edith Andreae in einer vertraglichen Vereinbarungen auf die Herausgabe der Briefe Rathenaus ver­ zichtet. 7 Vgl. hier allerdings Stadtbibliothek München Brief Walther Rathenaus an Frank Wedekind vom 21.11.1904. Der Text wurde publiziert in: Walther Rathenau. Briefe, Bd. 1, Dresden 1926, S. 41—46. Die Druckfassung (S. 42) gibt den Brieftext (S. 3) nur unvollständig wieder. Ausgelas­ sen wurde eine Passage, in der es heißt: „Und Jesus war's [ein Furchtmensch; C. S.], das hab' ich angedeutet. Damit stimmt auch die Legende, die einzige, die ich von seinem Angesicht kenne:

17 dass er hässlich war." Die Kürzung ist ein Beleg für die Absicht der Herausgeber zur „Schönung" des Andenkens an Rathenau. Hier wurde eine Passage ausgelassen, durch die er als polemischer Gegner des Christentums interpretiert werden konnte. Die Eingriffe in die Originaltexte wurden nur zum Teil vermerkt. 8 Vgl. Zentrales Staatsarchiv (Moskau) Fond 634 Nachlaß Walther Rathenau Findbuch 2/5/B11. 1—4 (= Liste Hugo Geitners mit Reden Walther Rathenaus, wohl in Vorbereitung der Reden- Edition von 1924). 9 So auch deutlich erklärt in: Archiv der Hermann-Burte-Gesellschaft e.V. (Maulburg), Brief Hugo Geitners an Hermann Strübe (d. i.: Burte) vom 1.12.1925, Bl. 2. 10 Brecht/Nähe, S. 389. 11 Rauers: am 27.9.1933 wurde die Walther-Rathenau-Gesellschaft aufgelöst; Rauers wurde ain 22.5.1934 als Oberarchivrat des Reichsarchives abgesetzt. 12 Bundesarchiv, Abteilungen Potsdam 15.06 Reichsarchiv 5/B1.75. 13 Frank, Walter: „Höre, Israel!" Harden, Rathenau und die moderne Judenfrage, Hamburg (1939). Walter Frank (1905—1945), führender Vertreter einer nationalsozialistisch orientierten Geschichtsschreibung, nach 1935/36 Leiter resp. Präsident des Reichsinstituts für Geschichte des neuen Deutschland. 14 Aly, Götz/Heim, Susanne: Das Zentrale Staatsarchiv in Moskau („Sonderarchiv"). Rekonstruk­ tion und Bestandsverzeichnis verschollen geglaubten Schriftguts aus der NS-Zeit, (Düsseldorf 1992), S. 11, vermuten, die Einverleibung des Nachlasses von Rathenau wie auch anderer Archi­ valien in das Archiv des SD habe dem Zweck gedient, Material für eine der nationalsozialistischen Ideologie entsprechende Geschichtsschreibung zu sammeln. Verfolgt man die Kausalitätskette der näheren Umstände, die zur Beschlagnahme des Rathenau-Nachlasses führten, so ist Aly/ Heim bezogen auf den Rathenau-Nachlaß zuzustimmen. Rauers: Fritz Andreae habe ihm am 14.3.1947 geschrieben, kurz vor der Abreise in die Schweiz im Frühjahr 1939 sei die Gestapo in die Koenigsallee 65 gekommen und beschlagnahmte alle dort vorhandenen Papiere, um sie angeblich in das Reichsarchiv zu bringen. Auch bei ihm, Rauers, habe die Gestapo sich nach dem Verbleib des Nachlasses erkundigt. Zu den Vorgängen im Frühsommer 1939 in bezug auf die Andreaes mit weiteren Details der Emigration, auch: Mangoldt, Ursula von: Auf der Schwelle zwischen Gestern und Morgen. Begegnungen und Erlebnisse, Weil a. Rh. (1963), S. 38, 65. Andreae, Franz Friedrich (Fritz) (1873—1950), Bankier, seit 1902 mit Rathenaus Schwester Edith verheiratet, seit 1917 im Aufsichtsrat der AEG. 15 Zum hier Ausgeführten: Frank/ Israel, S. 5,12,109 ff. Selbst die in Teilen wiedergegebene Text­ fassung vom „Höre, Israel!" Rathenaus entspricht der gedruckten Version, nicht etwa der Kladde des Nachlasses — Zentrales Staatsarchiv (Moskau) Fond 634 Nachlaß Walther Rathenau Find­ buch 1/42/B11.1-26. 16 Bundesarchiv, Abteilungen Potsdam 15.06 Reichsarchiv 5/B11.68 f. 17 Die Person Dr. Rohr ließ sich nicht ermitteln. 18 Bei Dr. Turowski handelt es sich vermutlich um den SS-Hauptsturmführer, der im Reichssicher­ heitshauptamt (RSHA) im Amt III , Gruppe IIIC [Kultur] das Referat IIIC 1 [Wissenschaft] leitete. Angaben nach: Rürup, Reinhard (Hrsg.): Topographie des Terrors. Gestapo, SS und Reichssicherheitshauptamt auf dem „Prinz-Albrecht-Gelände". Eine Doku­ mentation (Berlin 1987), S. 76-78, 80, hier: S.-78 (= Geschäftsverteilungsplan des RSHA/ Stand: 1. 3.1941). Dr. Löffner ließ sich bislang nicht ermitteln. 19 Dieses Unterfangen seit 1937: vgl. Bundesarchiv, Abteilungen Potsdam 15.06 Reichsarchiv 5/BH. 33 ff. 20 Aus dieser Angabe ließe sich vermuten, daß Dr. Löffner Mitarbeiter im Amt VII [Weltanschauli­ che Forschung und Auswertung], Gruppe C [Archiv, Museum und wissenschaftliche Sonderauf­ träge], Referat 1 [Archiv] gewesen sein dürfte; vergl. Rürup/Topographie, S. 80. 21 Eingesehen: Bundesarchiv, Abteilungen Potsdam 15.06 Reichsarchiv 131; 139; 189; 190; 191; 192. 22 Bundesarchiv, Abteilungen Potsdam 15.06 Reichsarchiv 192/BU.102ff., 110 ff., 196 f., 208. 23 Das Vorwort im Findbuch zum Nachlaßsplitter Walther Rathenaus NL 48 im Bundesarchiv Koblenz vermerkt, es habe sich wohl um das Gestapo-Archiv in Berlin-Wilmersdorf ge­ handelt.

18 24 Hierzu: Maksimova, Ella: Streng geheim! Im Zentralen Staatlichen Sonderarchiv der UdSSR, in: Sowjetunion heute 35 (1990), Nr. 8 (August), S. 32-34; Aly/Heim/Staatsarchiv, S. 7,11, 56f. 25 Aly/Heim/Staatsarchiv, S. 57, vermuten, es handele sich hierbei um das bei Maksimova erwähnte Schloß Althorn. 26 Aly/Heim/Staatsarchiv, S. 57: die SS habe den Auslagerungsorten die Decknamen „Brabant I" und „Brabant II" gegeben. Zuständig für die Akten an Ort und Stelle waren Sturmbannführer Walter Braune, Untersturmführer Hans Hahn, die Hauptscharführer Kurt Lindemann, ? Felber und Rudolf Hlavatsch sowie der Angestellte im Reichssicherheitshauptamt Dr. Hans Riegel­ mann. In Berlin zeichnete der Obersturmbannführer Dr. Paul Dittel als zuständig. 27 Näheres etwa bei: Maksimova/Sonderarchiv; Aly/Heim/Staatsarchiv, S. 7 ff. Vgl. Rauers: das Haus Rathenaus in der Königsallee wurde mit der Besetzung des englischen Sektors von der briti­ schen Armee beschlagnahmt. 28 Mit weiteren Informationen: Maksimova/Sonderarchiv, S. 33; Aly/Heim/Staatsarchiv, S. 7,11. 29 Vgl. zu diesem Verfahren analog, die Dissertationen der Staatssicherheits-Mitarbeiter an der Juri­ stischen Hochschule Potsdam: O. A.: Dokumentation. Doktorarbeiten im Auftrag der Stasi, in: Deutschland Archiv 26 (1993), S. 1439-1459. 30 Vgl.: Young, Harry F.: Maximilian Harden. Censor Germaniae. Ein Publizist im Widerstreit von 1892 bis 1927, Münster (1971), S. 278. 31 Hans Dieter Hellige beispielsweise konnte vor 1989 Bestände dieser DDR-Archive einsehen: vgl. Hellige, Hans-Dieter (Hrsg.): Walther Rathenau. Maximilian Harden. Briefwechsel 1897—1920. Mit einer einleitenden Studie herausgegeben von Hans Dieter Hellige, München 1983 (= Walther Rathenau-Gesamtausgabe; Bd. VI), S.948f. 32 Vgl.: Maksimova, Ella: Archivnyj Detektiv [deutsch: Archiv-Detektiv], in: Izvestija vom 25.6.1989, S. 4; Dies.: Pjat'Dnej v Osobom Archive [deutsch: Fünf Tage im Sonderarchiv], [in fünf Einzelfolgen], in: Izvestija vom 17.2.1990, S.6; 18.2.1990, S.6; 19.2.1990, S.6; 20. 2.1990, S. 6; 21. 2.1990, S. 6; Dies./Sonderarchiv. Die Bezeichnung KGB (= Komitee für Staatssicherheit beim Ministerrat der Sowjetunion) war erst seit 1953 gebräuchlich, zuvor wurde die 1941 gegründete Dienststelle mit NKGB, ab 1946 MGB abgekürzt. Erst bei der Zusammen­ führung dieser Dienststelle mit dem Innenministerium entstand die Bezeichnung KGB. 33 Wegner, Bernd: Deutsche Aktenbestände im Moskauer Zentralen Staatsarchiv. Ein Erfahrungs­ bericht, in: VfZG 40 (1992), S. 311-319; vgl. auch als einen der ersten Berichte: Browder, George C.: Captured German and other Nations Documents in the Osoby (Special) Archive, Moscow, in: CEH 24 (1991), S. 424—445. Vgl.: Romeyk, Horst: Das ehemals sowjetische Son­ derarchiv in Moskau, in: Der Archivar 45 (1992), Sp. 118; O. A.: Rathenau-Nachlaß in Moskau, in: Frankfurter Rundschau vom 1.10.1992, S.4; Michalka, Wolfgang: Zum 125. Geburtstag: Rathenaus Nachlaß in Moskau entdeckt, in: Das Parlament vom 2.10.1992, S. 14; Sabrow, Mar­ tin: Nachlaß-Heimkehr zu Rathenaus Geburtstag, in: Die Welt vom 29.9.1992, S. 8; Ders.: Der Moskauer Fund. Zu Walther Rathenaus 125. Geburtstag taucht sein verschollen geglaubter Nachlaß wieder auf, in: Tagesspiegel vom 29. 9.1992, S. 16; Schulin, Ernst: Rathenau in Moskau. Zur Wiederauffindung seines Nachlasses, in: FAZ vom 29.9.1992, S. 33; Mader/Potsdamer Akten. 34 Aufstellungen der Akten bei: Browder, S. 427 ff.; Aly/Heim/Staatsarchiv; Wegner; Jena, Kai von; Lenz, Wilhelm: Die deutschen Bestände im Sonderarchiv in Moskau, in: Der Archivar 45 (1992), Sp. 457—468, Sp. 464 zum Nachlaß Rathenaus. Die österreichischen Provenienzen wer­ den von der Universität Wien registriert, zu den polnischen Akten ist keine derartiges Verfahren bekannt. Die Akten aus Frankreich wurden im Verlauf des Jahres 1992 an Les Archi ves Nationa­ les/Paris zurückgegeben. 35 Rauers: vor 1950 hat sich in Wiesbaden erneut eine Vereinigung von Rathenau-Freunden zusam­ mengeschlossen. Heute existiert eine Walther Rathenau Stifts GmbH, die sich um das Schloß­ museum zu Rathenau in Bad Freienwalde kümmert. Zudem gibt es eine Walther-Rathenau- Gesellschaft, die in die Edition von Rathenaus Gesamtwerk involviert ist.

Anschrift des Verfassers: Christian Schölzel, M. A., Müllerstraße 119, 13349 Berlin-Wedding

19 DEM DEUTSCHEN VOLKE Das Reichstagsgebäude wurde 100 Jahre alt Von Frank R. Mützel

Ein halbes Jahr, nachdem das Haus den 100. Jahrestag seiner Vollendung begangen hatte, ver­ hüllten der bulgarisch-amerikanische Künstler Christo und seine Ehefrau Jeanne-Claude das Reichstagsgebäude für vierzehn Tage. Der besondere Reiz und die Kunst der Verhüllung lag darin, daß mit dem Reichstag jenes Gebäude neu entdeckt wurde, das nach dem Umzug des Deutschen Bundestages vom Rhein an die Spree wieder der Tagungsort des deutschen Parla­ mentes sein wird. Als am 6. Dezember 1894 die 397 Abgeordneten des Reichstages in das von dem Oppenhei­ mer Baumeister Paul Wallot in zehnjähriger Bauzeit errichtete Gebäude am Königsplatz einzo­ gen, existierte das Deutsche Reich seit 23 Jahren. Heute, 100 Jahre später, gibt es den vereinten deutschen Nationalstaat erst seit vier Jahren. In diesem Zentennium war das Reichstagsge­ bäude nur 38 Jahre lang Sitz der Vertretung des deutschen Volkes. Hier entwickelte sich der deutsche Parlamentarismus in seiner demokratischen Form. 24 Jahre tagten in ihm die Abge­ ordneten des Deutschen Kaiserreiches. Am 9. November 1918 rief von einem Fenster des Reichstagsgebäudes der Sozialdemokrat Philipp Scheidemann die Republik aus. Vom 30. Sep­ tember 1919 an berieten und beschlossen in ihm 14 Jahre lang die Parlamentarier der Weimarer Republik die Gesetze. Seit dem 20. Dezember 1990 setzen in dem Gebäude die Mitglieder des Deutschen Bundesta­ ges aus den alten und neuen Bundesländern — bis heute nur in gelegentlichen Sitzungen — die demokratische Tradition der Republik von Weimar fort. Vor diesem Tag war der Wallot-Bau jedoch 57 Jahre lang ein Haus mit gar keiner oder einer sehr eingeschränkten parlamentari­ schen Funktion. Erst der Beschluß des 12. Deutschen Bundestages vom 20. Juni 1991, „Sitz des Deutschen Bundestages ist Berlin", sowie die Entscheidung seines Ältestenrates vom 30. November 1991, daß das Reichstagsgebäude auf Dauer für die Plenarsitzungen des Deut­ schen Bundestages genutzt werden soll, gaben dem Haus die Funktion zurück, die es am 27. Februar 1933 verloren hatte. Der Brand, der an jenem Abend in dem Gebäude wütete, zerstörte nicht nur dessen Herzstück, den Plenarsaal, er gab den Nationalsozialisten auch die Handhabe, die Republik, die sie immer bekämpft hatten, zu zerschlagen. Der Reichstag, der danach in dem gegenüberliegenden Kroll- Opernhaus bis Kriegsende zwanzigmal zusammenkam, zum letzten Mal am 26. April 1942, wurde eine nationalsozialistische Einparteienversammlung, deren einzige Aufgabe darin bestand, dem „Führer" zu huldigen. Das Ende des Akklamationsorgans kam am 30. April 1945: Um 20.50 Uhr dieses Montags hißten zwei Rotarmisten nach mehr als zehnstündigem Kampf auf der Ostfassade des etagenweise eroberten Gebäudes die sowjetische Fahne. Fünf Stunden zuvor, gegen 15.30 Uhr, hatte der, der den Krieg gewollt, der fremde Länder und sein eigenes Land in Schutt und Asche gelegt hatte, sich in dem Bunker der nahe gelegenen Reichs­ kanzlei durch eine Kugel der Verantwortung entzogen. Für Hitler war das Parlamentshaus ein Symbol der verhaßten Demokratie gewesen. Für Stalin war es das Wahrzeichen Berlins, nach­ dem das Gebäude durch den Reichstagsbrandprozeß 1933 stark in das Bewußtsein der sowjeti­ schen Öffentlichkeit gedrungen war. Deshalb sollte die Rote Armee es unbedingt vor dem 1. Mai, dem Feiertag der internationalen Arbeiterbewegung, erobern. 1916, mitten im Ersten Weltkrieg, als aufgrund der sich abzeichnenden militärischen Nieder­ lage die innenpolitischen Spannungen in Deutschland zugenommen hatten, hatte Kaiser Wil-

2d Das Reichtagsgebäude um 1930. Landesbildstelle. heim II. seine Bedenken gegen eine Widmung am Reichstagshaus aufgegeben und gestattet, daß die bereits für die Eröffnung 1894 vorgesehene Inschrift „Dem deutschen Volke" an der Westfassade des Wallot-Baus nunmehr angebracht wurde. Ende des Zweiten Weltkrieges waren die Widmung „Dem deutschen Volke", die Außenmauern, das Kuppelskelett und 30 000 m3 Schutt alles, was von dem Gebäude übriggeblieben war. Nach dem Krieg wurde die den Zustand Deutschlands symbolisierende Ruine zum Sinnbild des Freiheits- und Widerstandswillens der Berliner. Vor ihr trafen sie sich zu den Mai-Kundge­ bungen. Vor ihr rief Oberbürgermeister Ernst Reuter am 9. September 1948 bei der Demon­ stration gegen die Blockade der Westsektoren durch die Sowjetunion die Völker der Welt auf: „Schaut auf diese Stadt und erkennt, daß ihr diese Stadt und dieses Volk nicht preisgeben dürft und nicht preisgeben könnt!" Die Stadt widerstand. Ein Jahr später begann jedoch das, was 1961 mit dem Bau der Mauer für 28 Jahre bittere Realität wurde: die Teilung Deutschlands in zwei Staaten. Da Paul Wallot das Haus 78 cm in die Stadt Berlin hineingebaut hatte, verlief die Grenze nun mitten durch die Säu­ len, die am Ostflügel dem Reichstagsgebäude vorgebaut sind. Ein paar Meter vom Gebäude entfernt stand die Mauer, die Deutschland von Deutschland trennte. Als die Trennung begann und die Demarkationslinie auf einmal dicht am Reichstagshaus vor­ beilief, mußte geklärt werden, was aus der Ruine werde, ob sie abgerissen oder als Mahnmal der Demokratie an der Sektorengrenze stehenbleiben oder ob sie wiederaufgebaut werden sollte. Zwar hatte der Stadtrat für Bau- und Wohnungswesen im Gesamtberliner Magistrat, Hans Scharoun, 1946 bereits vorgeschlagen, das Gebäude auf die Liste der instandsetzungsfä­ higen Großbauten zu setzen. Auch der langjährige Reichstagspräsident and Alterspräsident

21 des Deutschen Bundestages, Paul Lobe, sowie der Bundesminister für gesamtdeutsche Fragen, Jakob Kaiser, setzten sich für den Wiederaufbau ein, ebenso die SPD-Politiker und . Doch erst im Oktober 1955 wurde endgültig über das Schicksal der Ruine entschieden, die inzwischen kuppellos geworden war. Ein Gutachten des Berliner Bau­ senators war im Mai 1950 zu dem Ergebnis gekommen, daß die Stahlkuppel über dem Plenar­ saal „einen erheblichen Gefahrenzustand" bilde und sie „vor dem Beginn jeglicher Abräumar­ beiten durch eine zugelassene Firma abzubrechen" sei. Am 22. November 1954 erfolgte die Sprengung. In seiner Sitzung vom 26. Oktober 1955 beschloß der Deutsche Bundestag, daß ein beschränk­ ter Architektenwettbewerb zur „Wiederherstellung des Reichstagsgebäudes" ausgeschrieben werden soll; auch wurden finanzielle Mittel im Haushaltsplan veranschlagt. Umstritten blieb die Frage der künftigen Zweckbestimmung des Hauses. Im März 1957 bereitete Bundestags­ präsident Eugen Gerstenmaier der Diskussion schließlich ein Ende, indem er sich gegen eine nichtparlamentarische Nutzung aussprach. „Der historische Bau des ersten deutschen Reichs­ tages sollte seinen ursprünglichen Zwecken entsprechend verwendet werden." Von 1957 an wurden am Gebäude Substanzerhaltungs- und Fassadenerneuerungsarbeiten vorgenommen, nachdem vorher sämtliche Trümmer sowie Munition beseitigt und auch der unterirdische Heizgang zugemauert worden waren, der Reichstagshaus und das nun im Ost­ sektor liegende Reichstagspräsidenten-Palais miteinander verband. Erste greifbare Vorschläge zur inneren Gestaltung des Gebäudes brachte der Entwurf von Paul Baumgarten. Der Berliner Architekt war am 19. Januar 1961 zum 1. Preisträger des vom Bundesschatzministerium beschränkt ausgeschriebenen Architektenwettbewerbes gewählt worden. Obwohl der Plenar­ saal ausdrücklich ausgeklammert war — bis die Frage der Wiedervereinigung einer Lösung näher gerückt sei —, hatte Paul Baumgarten ihn in seinen Entwurf mit einbezogen. Dies bedeu­ tete zwar einen Vorgriff, er zwang die Wettbewerbskommission jedoch, zu entscheiden, ob das Haus tatsächlich wieder den Charakter eines Parlaments haben sollte. Ihr Ja zum Baumgarten- Entwurf war somit auch ein Ja für den Plenarsaal. Der Bevölkerung Gesamtdeutschlands ent­ sprechend mußte der Plenarsaal 680 Abgeordneten Platz bieten können. Da ein Wiederaufbau der Kuppel nicht mehr vorgesehen war, wurde der notwendige Platz durch die Herausnahme der mächtigen Stützpfeiler gewonnen. Durch den Verzicht auf die Kuppel mußten, damit die Proportionen wieder stimmten, die vier Ecktürme, die die vier deutschen Königreiche Bayern, Sachsen, Württemberg, Preußen symbolisierten, um ein Stockwerk gekürzt werden. Am 11. November 1963 übernahm Bundestagspräsident Eugen Gerstenmaier aus der Hand des Bundesschatzministers den symbolischen goldenen Schlüssel. Fertigge­ stellt und der Bundestagsverwaltung offiziell übergeben wurde das Gebäude aber erst zehn Jahre später. 1969 fand die Wahl des Bundespräsidenten noch in den Messehallen am Berliner Funkturm statt. Das Viermächteabkommen über Berlin vom 3. September 1971 legte dann fest, daß das Parlament der Bundesrepublik Deutschland im Reichstagsgebäude nicht tagen darf, wohl aber, jedoch nie gleichzeitig, einzelne Ausschüsse des Bundesrates und des Bundes­ tages sowie einzelne Fraktionen.

19 Jahre mußten vergehen, ehe die deutsche Volksvertretung von ihrem Gebäude Besitz ergreifen konnte. Aus freien, gleichen und geheimen Wahlen in Gesamtdeutschland hervorge­ gangen, konstituierte sich am 20. Dezember 1990 im Reichstagsgebäude der 12. Deutsche Bundestag. Vom Sommer 1995 an wird das Haus für die Belange des Parlaments hergerichtet. Den Zuschlag, den Umbau vornehmen zu können, erhielt der britische Architekt Sir Norman Foster nach einem international ausgeschriebenen Architektenwettbewerb. Anliegen des briti-

22 sehen Architekten ist zu zeigen, daß sich historisch-authentische Gebäudestrukturen, z. B. die wiederentdeckten Reste der Wallotschen Innengestaltung, mit einer modernen, funktional zeitgerechten Architektursprache in Einklang bringen lassen. Bevor Norman Foster mit den Umbauarbeiten jedoch beginnen konnte, verwirklichten Christo und Jeanne-Claude vom 23. Juni bis zum 6, Juli 1995 ihr Projekt für Berlin: „Wrapped Reichstag".

Literaturhinweise: Uwe Backes/Karl-Heinz Janßen/Eckhard Jesse/Hans Mommsen/Fritz Tobias, Reichstagsbrand. Aufklärung einer historischen Legende. München: Piper, 1987. Michael S. Cullen, Der Reichstag. Geschichte eines Monuments, Stuttgart: Parkland Verlag, 1990. Michael S. Cullen/ Uwe Kieling, Der Deutsche Reichstag. Geschichte eines Parlaments, Berlin: Argon Verlag, 1992. Ernst Deuerlein, Der Reichstag. Aufsätze, Protokolle und Darstellungen zur Geschichte der parla­ mentarischen Vertretung 1871—1933. Schriftenreihe der Bundeszentrale für Heimatdienst, Heft 58, Bonn 1978. Peter Hubert, Uniformierter Reichstag. Die Geschichte der Pseudo-Volksvertretung 1933—1945, Düsseldorf: Droste Verlag, 1992. Der Kampf in Berlin 1945 in Augenzeugenberichten. Hrsg. v. Peter Gosztony, Düsseldorf: Karl Rauch Verlag, 1970. Platz der Republik. Vom Exerzier­ platz zum Regierungsviertel. Ausstellungskatalog des Landesarchivs Berlin, 1992. Heinz Raack, Das Reichstagsgebäude in Berlin, Berlin: Gebr. Mann Verlag, 1978. Jürgen Schmädeke, Der Deutsche Reichstag. Geschichte und Gegenwart eines Bauwerks, München: Piper, 1994. Vom Reichstag zum Deutschen Bundestag. 100 Jahre Reichstagsgebäude. Hrsg. v. Deutschen Bundestag, Berlin: Verlag Brandenburger Tor, 1994. Von Berlin nach Germania. Über die Zerstörungen der Reichshauptstadt durch Albert Speers Neugestaltungsplanungen, Ausstellungskatalog des Landesarchivs Berlin, 1990. Paul Wallot, Das Reichstagsgebäude in Berlin, Leipzig 1897/1913, Nachdruck: Cosmos Verlag für Kunst und Wissenschaft, 1987. Anschrift des Verfassers: Frank R. Mützel, Driesener Straße 10, 10439 Berlin-Prenzlauer Berg

Rezensionen

Der . Eine Geschichte in Wort und Bild. Mit Beiträgen von Horst Maurer, Laszlö Földeny, Ulrich Pfeiffer, Alfred Kernd'l und Thies Schröder, 2. Aufl., 158 Abbildungen, Index und Autorenverzeichnis, Berlin: Nishen Verlag 1993, 167 Seiten. Wem es immer wieder schwerfällt, sich auf dem Potsdamer Platz zurechtzufinden und sich vergeblich seine historische und architektonische Gestalt vor Augen zu führen versucht, findet in dem vorliegen­ den Band eine Hilfe. Den größten Raum nimmt der Hauptartikel ein, der die geschichtlichen Linien nachzieht. Von der uns Älteren noch erinnerten überwältigenden Fülle großstädtischen Lebens aus­ gehend, wird eine Entwicklungslinie gezogen, die über die Stationen der Torplatzsituation vor der erweiterten Friedrichstadt führt, sich weiter über die erste Ansiedlung mit Gärtnern und Beamten mit noch vorstädtischem Charakter fortsetzt und schließlich über das Geheimratsviertel im 19. Jahrhun­ dert bis hin zur Metropole der zwanziger Jahre im Zeitalter des Weltstadtverkehrs und der Finanziers reicht. Ausführlich wird die geistige Einbindung des Platzes in das nahe Regierungsviertel behandelt. Damit kontrastieren in schrecklicher Weise die Kriegszerstörungen und die Verödung in Mauerzei­ ten, wo der Platz ein Ort des Todes für West wie Ost war. Das Grauen steigt unmittelbar auf. Da sind die schönen Bilder ein Trost. Von der Pracht des Millionärsviertels zeugt die Gersonvilla an der Belle- vuestraße beim schönen Wrangelbrunnen. Sehenswert sind die vielfachen Platzansichten der Umbau­ ung des Leipziger Platzes, die Adelspalais' in der Wilhelmstraße, die alte Potsdamer Brücke aus der Fontanezeit. Bemerkenswert ist ein Foto, das fast das ganze Panorama vom Haus Vaterland bis zum Cafe Vaterland umreißt. Gezeigt werden auch die Vergnügungspaläste im Abendlicht — um nur eini­ ges zu nennen. Es sind da aber auch die Bilder vom Aufstand des 17. Juni und der Öde nach der Tren­ nung. Der zweite Teil erwägt die Chancen und Werte der Neugestaltung („Berlin vor dem Boom"). Neue Anstöße gehen von einer in diesen Ausmaßen noch schwer vorstellbaren wirtschaftlichen Entwick­ lung aus, die völlig neue Strukturen schaffen und neue Ballungsräume durch ungewohnte Liefer- und Dienstleistungsströme erzeugen wird, die nur schwer beherrschbar sein dürften. Der Platz in diesem

23 Mittelpunkt verlange nach ungewohnt neuer Architektur und ebenso ungewohnt neuer Stadtpla­ nung. Unter diesem Aspekt werden auch die verschiedenen Wettbewerbsentwürfe erörtert. Die alte Stadtgestaltung wird künftig so unkenntlich sein, daß eine historische Erinnerung fast verweht ist, es sei denn, man versucht eine solche auf den Resten des Führerbunkers auf dem alten Reichskanzlerge­ lände („Vom Barock zum Bunker"). Dies mag ein nachdenklicher Gesichtspunkt sein. Er fordert zu gründlicher Erwägung auf. Christiane Knop

Werner Mittenzwei, Der Untergang einer Akademie oder Die Mentalität der Deutschen. Der Ein­ fluß der nationalkonservativen Dichter an der Preußischen Akademie der Künste 1918—1947, Anmerkungsapparat, Personenverzeichnis und Zeittafel, Berlin, Weimar: Aufbau-Verlag 1992,580 Seiten. Das umfangreiche und ausgezeichnet recherchierte Buch ist mehr als die Untersuchung einer bestimmten literaturgeschichtlichen Fragestellung. Es ist Literaturgeschichtsschreibung, gesehen aus einer bisher wenig beachteten politischen Sicht. Sie ist dem Verfasser unter der Hand zu einem Para­ digma des Umgangs mit der nationalsozialistischen Macht geraten. Dabei hätte die Institution deut­ scher Dichter an der Preußischen Akademie durchaus eine positive Entwicklung nehmen können, wäre in ihr nicht von Anfang an ein Denk- oder Konstruktionsfehler angelegt gewesen. Dieser führte die Mehrheit in die Bewegung „des nationalen Aufbruchs", wo sie Goebbels' Machtanspruch anheimfiel. Zur „Mentalität des ewigen Deutschen", die der Verfasser — in vielfacher Bedeutung schillernd — beschreibt, gehört offenbar auch sein Verspätetsein und sein praktisch-politisches Unge­ schick innerhalb bestimmter sozialer Umstände. Nach dem Ende des Kaiserreiches schien in Berlin der Augenblick gekommen zu sein, dem Mangel an öffentlicher Repräsentanz und Teilhabe der Dichter am Staat abzuhelfen und an der sich neu zu grün• denden Sektion Dichtkunst an der Preußischen Akademie der Künste ein Instrument demokratischer Bewußtseinsbildung zu schaffen. Dichter und Weimarer Republik hätten voneinander profitieren können, und zwar abseits ministerieller Verfügungen und doch nicht gegen sie. Die Kultusminister Konrad Haenisch und Carl-Heinrich Becker schienen aufgeschlossene und kundige Protektoren einer solchen Institution zu sein. Das französische Beispiel stand wohl gedanklich im Hintergrund, und ein alter Akademie-Plan — um 1900 von Althoff schon einmal gehegt — konnte zum Leitbild wer­ den, zumal es an aktiven bedeutsamen Persönlichkeiten wie Liebermann als Präsident und Dichtern wie Thomas und Heinrich Mann, Hauptmann und Döblin nicht fehlte, die geeignet schienen, aus dem Wilhelminischen Zeitalter in eine demokratische Zukunft zu führen. Die ersten Überlegungen stan­ den noch unter dem Eindruck der politischen und militärischen Unruhen von 1919/20; erst um die Mitte des Jahrzehnts geriet man in ruhigere Fahrwasser, und so kam es 1925 unter der Ägide des Bil­ dungsministers Becker zur Gründung der Sektion Dichtkunst innerhalb der Preußischen Akademie. Sie hätte die republikanische Nation festigen können. Aber ihr Rahmen war zu eng gesteckt, denn viele ihrer Mitglieder forderten von vornherein eine deutsche statt einer preußischen Akademie. Doch hätte man mit dieser eher organisatorischen Unzulänglichkeit fertig werden können. Was sich hier aber vollzog, war die Entwicklung eines Staates im Staate zum Sieg des Ungeistes über den Geist. Im Widerstreit von Geist und Macht unterlag der demokratische Geist; als das einleuchtendste Bei­ spiel wird u. a. das Schicksal der Brüder Mann hervorgehoben. Als Staat im Staate erwies sich die Mehrheit der Akademiemitglieder, die der Verfasser als National­ konservative bezeichnet. Es sind dies die betont national empfindenen Dichter wie Beumelburg, Bin- ding, Grimm, Vesper und viele andere. Der Verfasser legt das Geflecht ihrer gegenseitigen Abhängigkeiten, Gruppierungen, Eitelkeiten und Machenschaften, aber auch ihrer literarischen Schicksale, Qualitäten und Niederlagen bloß, das ver­ wirrend vielfältig ist. Es ist der Leserschaft wenig oder nur in Teilaspekten bekannt und von der Lite­ raturgeschichtsschreibung nur am Rande behandelt worden. Der Stoff ist in seiner Fülle schon fast quälend, so daß die Darstellung, die sehr viele literarische Zeugnisse und Dokumente einbezieht, außerordentlich reichhaltig werden mußte. So hat sich der Leser das Gerüst des Ablaufes selbst zu ver­ schaffen. Als Leitfaden dient ihm das Gegensatzpaar von national—internationalistisch/europäisch. Dem zugeordnet ist die absolute Hochwertung des Völkischen und der Anspruch, deutsche Seele, deut­ sches Wesen, deutsche Schicksale gestalten zu müssen. Diesen Zielsetzungen und Wesenszügen fühl-

24 ten sich die Nationalkonservativen verpflichtet. Sie vertraten eine Philosophie des Dichterischen, die der heutige Leser, vor allem der jüngere, schwer nachvollziehen kann. Die Erörterungen, ob Dichter­ sein ein priesterliches Amt und Dichten ein mystischer Prozeß oder „nur" ein bewußt gestaltender seien, sind uns so fern. Grundsatzkämpfe darüber erscheinen uns abseitig, ebenso der Streit darüber, ob Landschaft und (deutsche) Seele das Umfassende und Ewige des Menschenlebens seien oder die moderne Großstadt der Naturalisten mit ihrer „Asphaltkultur". Der Anspruch, nur der unbewußt­ seelenvoll schaffende Dichter habe seinen Platz in der Dichterakademie, nicht aber der „Literat" oder gar Essayist, erscheint uns als Hochmut, wie denn überhaupt der Hochmut der Nationalkonservati­ ven unangenehm aufstößt. Dieser Gegensatz geht durch die tragische Geschichte der Sektion bis zu ihrem Ende 1947. Von Tra­ gik redet man zu Recht, da sich die mächtig gebärdende Fraktion der Nationalkonservativen 1925 schon leicht anachronistisch gab. Die Zeit ihrer Berühmtheit lag bei vielen dieser Dichter schon in der Kaiserzeit. Ihr jetzt heftig vertretener Beweggrund war ihre Abneigung gegen die Republik, die sie nie überwinden sollten und die sich bei ihnen als Abneigung gegen die Moderne äußerte, was sie wie­ derum mit Verflachung und Entwurzelung und jüdischer Geistigkeit und daher mit Wesensfremdheit gleichsetzten. Diese Aversion brachte sie um 1930 — ganz eingebettet in die Aufbruchstimmung der Nationalen — trotzdem zu einer fruchtbaren Schaffensperiode. Ernst Jüngers „Unter Stahlgewittern" wird zur Integrationsdichtung, der Krieg wird als inneres Erlebnis gestaltet, aus dem das Deutsche siegreich hervorgeht — Volk und Reich zu heiligen Werten gemacht. Dies alles geschah in Abkehr vom Expressionismus, dem die meisten von ihnen anfangs verbunden gewesen waren. — Der Verfasser handelt die dichterische Entwicklung vieler dieser Protagonisten ab; unter ihnen sind an hervorragen­ der Stelle Grimm, Blunck, Johst, Beumelburg, Binding und Münchhausen zu nennen sowie Schäfer und Vesper. Der heutige Leser ist erstaunt über die vielen Namen, die fast vergessen sind und die doch in der Zeit des Dritten Reiches — zumeist in Feldpostausgaben — der geistigen Aufrüstung gedient haben. Die Zeit ist — vielfach unberechtigt — über sie hinweggegangen, die Gewichte literarischer Wertung haben sich zugunsten der ungeliebten „Europäer" Döblin, der Brüder Mann, Musil, Brecht und vielleicht auch Benn verschoben. Gottfried Benns Rolle erscheint in diesem Zusammenhang besonders schmerzlich. Der Verfasser schildert ihn als „Zutreiber" zur undemokratischen „Selbstrei­ nigung" der Sektion zugunsten der Nationalsozialisten. Er ist dann selbst zum Ofer einer Bindung geworden, wo er doch Bindungslosigkeit und Unabhängigkeit vom Intellektuellentyp der Weimarer Zeit gesucht hatte — er wurde gemieden und verfiel dem Selbstekel. An dieser Stelle zeigt sich die vor­ nehme Zurückhaltung des Verfassers in seiner persönlichen Darstellung, die nicht verletzt und doch eindeutig benennt. Mit einer Erklärung des Bennschen Verhaltens tut er sich verständlicherweise schwer. Der rote Faden der Ereignisse verknüpft alles Geschehen von der Machtergreifung bis zur Auflösung des preußischen Staates und damit seiner Akademie der Künste. Die Gruppe der Nationalkonservati­ ven wurde dabei immer mehr an die Wand gedrängt, was unter dem Zeichen der Rivalität zwischen Bildungsminister Bernhard Rust und Goebbels geschah. Die Furcht, von Goebbels gänzlich entmach­ tet zu werden, bestimmte die Richtungskämpfe innerhalb der Sektion. Ferner spielten heute antiqui- tierte Elitevorstellungen hinein. Börries von Münchhausen gründete auf der Wartburg als Gegenin­ stitution den Dichterkreis der Wartburgritter. (In diesem Zusammenhang gehört auch die Rolle, die Weimar als Ort der von Goebbels propagandistisch gelenkten Dichtertreffen spielte; der braune Ein­ fluß war in Thüringen schon früh spürbar.) — Es berührt schmerzlich, daß sich alles Wehren seit etwa 1938 als ein Schattenfechten gegen Goebbels herausstellte. Er überging die Akademie schließlich zynisch, als sie ihm uninteressant wurde; denn er sah bald, daß die Nationalkonservativen sich in ihrem Zwiespalt zwischen nationalem Aufbruch und ihrer Abneigung gegen das Propagandaministe­ rium ihrer eigenen Wirkungsmöglichkeiten beraubten. Er dagegen beherrschte die deutsche Leser­ schaft durch die Reichsschrifttumskammer, die als sein Lenkungsinstrument beschrieben wird. Auch Rust hatte in dieser Phase schon verloren. Und es zeigte sich als ein weiteres Charakteristikum der Machtausübung, daß die Fraktion der Nationalkonservativen auf den Weimarer Dichtertreffen im Kriege nur noch das Reich und den Krieg zu feiern hatten, wie Goebbels es forderte. — Ein interessan­ tes Seitenlicht fällt auf die Verquickung des Dichterkreises um Münchhausen mit Franz von Papen. Mit ihm sollte nach dem Willen der Wartburgritter politische Repräsentanz im Zeichen des Antimo­ dernen hergestellt werden. Was beide verband, war die Illusion, man könne die braune Zudringlich­ keit bremsen.

25 In den beiden letzten Kriegsjahren hat keiner der Nationalkonservativen die unheilvolle Wirklichkeit mehr bewältigt — die Not der Städte erlebten sie, zurückgezogen auf das Land, kaum mit. Ihre geistige Potenz schien geschwächt, ihre Glaubwürdigkeit hatten sie durch ihr Schweigen zur Judenverfolgung verloren. So verwundert es nicht, daß auch ihr eigenes Leid im besetzten Deutschland — in Spruch­ kammerverfahren und Internierungslagern — bei ihnen keine Einsicht schuf. In den Bildungskanon der Universitäten und Schulen sind sie nicht eingedrungen. Aber der spätere Beurteiler Mittenzwei kann nur feststellen, daß das ungeliebte Weimar ihre beste Zeit gewesen war. So füllt das um große Gerechtigkeit bemühte Buch eine Lücke und verweist auf die Möglichkeit, die von den Nazis mißbrauchten Nationalkonservativen einer abgewogenen Beurteilung zuzufüh­ ren. Christiane Knop

Friedrich Winterhager, Louise Ebert (1873—1955). "Von der niedersächsischen Häuslerkate zum Präsidentenpalais in Berlin. 134 Seiten, 9 Abbildungen, Geleitwort von Klaus-Peter Schulz, Sankt Augustin: Academia Verlag 1995. Die kleine Studie wirft ihr Licht auf eine heute kaum noch beachtete Frau, Gattin des ersten republi­ kanischen Reichspräsidenten. Im Geleitwort nennt Klaus-Peter Schulz, von den Eltern her der Ebert- Familie vertraut, die eigentliche Schwierigkeit: Es sind kaum Quellen vorhanden. Louise Ebert spiegelt sich erstaunlich wenig in den Berichten der Diplomaten, Künstler, Gelehrten und Wirt­ schaftsleute, die im Präsidentenpalais verkehrten. Die wenigen Verlautbarungen aber zeigen, daß sie die große Aufgabe erkannte, die ihr an der Seite ihres Mannes zugefallen war, und daß sie ihr zu ent­ sprechen gewußt hat. Von ihrer gewerkschaftlichen Tätigkeit vor ihrer Heirat und in der ersten Zeit der Ehe ist Schriftliches nicht überliefert. Sie übte mündlichen und persönlichen Einfluß aus und erwarb sich ein erfahrenes Urteil, worin sie ihren Mann ergänzte. Darum sucht Verf. nach den wenigen Spuren dieser Frau, von der berichtet wird, daß sie aus eigener Kraft und ohne Vorbild das Leitbild einer republikanischen Ersten Dame des Staates schaffen mußte. Sie hat, und das bezeugen alle Wohlmeinenden, dies mit viel natürlicher Klugheit, angeborenem Takt, schlichter Herzlichkeit und ernster Würde getan, so daß ihr viel Respekt entgegengebracht wurde. Häme und Verleumdungen sind heute zurückgetreten. Doch haben sie das Ehepaar Ebert damals schwer belastet: Der frühe Tod des Reichspräsidenten dürfte — nach heutiger Sicht — darin seine Ursache gehabt haben. Die politischen Ereignisse treten in der Darstellung weitgehend zurück. Sie kommen aber vor allem beim Kampf um die Weimarer Verfassung und der Befriedung der Unruhen in Berlin ins helle Licht. Der etwas gewollt klingende Untertitel „Von der Häuslerkate zum Reichspräsidentenpalais" ist darin gerechtfertigt, daß wirklich von einem ungewöhnlichen Lebenslauf berichtet wird, in dem außerge­ wöhnliche Umstände der einfachen Herkunft und ein hoher Leistungsanspruch sich zum Ganzen ver­ binden. Eine zweite, recht eigenständige Lebenshälfte begann mit ihrem Witwendasein. Sie trat ein­ sichtsvoll zurück und hielt zugleich engagiert Verbindung mit politischen Freunden. Sie hat mutig und klug die NS-Herrschaft zu bestehen vermocht. Tragischerweise erkannte sie, ohne ein Echo zu haben, schon früh, daß mit den Brüningschen Notverordnungen und dem politischen Kurs jener Jahre das Erbe ihres Mannes vertan wurde. Man liest beschämt, wie klein sich Hindenburg ihrem Ersuchen ver­ schloß, im Fall ihres von den Nazis in Haft genommenen Sohnes zu intervenieren. Von der Bindung ihres zweiten Sohnes Friedrich als Oberbürgermeister von Berlin im SED-Staat hat sie sich distan­ ziert. Der Bericht erfolgt sachlich und knapp, überall aber mit einfühlsamer Wärme. Christiane Knop

Siegwart Lönnendonker, Betina Meißner, Angelika Stubert, Kaiserswerther Straße 16—18. Zum Einzug der Freien Universität in die frühere Alliierte Kommandantur. (= Dokumentationsreihe der Freien Universität Berlin, Heft 22), Berlin 1994, 28 Seiten mit 26 Abbildungen. Die Freie Universität Berlin hat den Umzug ihrer Präsidialleitung in das Haus der einstigen Alliierten Kommandantur zum Anlaß genommen, das Gebäude und seine Geschichte bzw. deren Bedeutung für die Universitätsgeschichte in einer Broschüre zu dokumentieren. Das Präsidialamt hat das frühere Verwaltungsgebäude des Verbandes der öffentlichen Feuerversiche­ rer gemietet, das 1945 von den Alliierten für ihre Kommandantur konfisziert wurde. Es liegt somit in

26 dem Dahlemer Bereich, der einst als das „deutsche Oxford" gedacht war. Die Broschüre bringt eine knappe Baugeschichte und Baubeschreibung dieses bemerkenswerten Gebäudes des Architekten Heinrich Straumer, das zu den guten Beispielen der Zwanzigerjahre-Architektur gehört. Ferner wird die Arbeit der Alliierten Kommandantur als oberster Verwaltungsbehörde der Siegermächte in ihrer Funktion und Struktur beschrieben, ihre störanfällige und spannungsreiche Arbeit bis zum Auszug der Sowjets 1948 skizziert. Danach pendelte sich eine lockere Zusammenarbeit zwischen den Alliier­ ten und dem Senat von Berlin ein, in deren Verlauf aus Besatzungsmächten befreundete Schutz­ mächte wurden. Seit der Wiedervereinigung ist ihr Einstehen für den Status Berlins hinfällig gewor­ den ; sie verließen die Stadt und ließen das Gebäude leer zurück. Wenn nun hier das Präsidialamt ein­ zieht, wird eine alte Beziehung wieder bedeutsam: Es wird in Erinnerung gerufen, daß die Sowjeti­ sche Militärverwaltung schon im Spätsommer 1945 die Frage alliierter Hoheit über alle Berliner Hochschulen mit ihren typischen taktischen Winkelzügen so lange verzögerte, bis sie selbst vollendete Tatsachen geschaffen hatte. Sie entzog die Hochschulen einer von den Amerikanern geplanten Vier­ mächtekontrolle und unterstellte die Universität der kommunistisch beeinflußten Zentralverwaltung von Groß-Berlin, Abteilung Volksbildung. Damit war die Bahn frei zur Sowjeti- sierung der Universität, was wiederum der Anstoß zur Gründung der Freien Universität im amerika­ nischen Sektor wurde. Der alte Plan eines deutschen Oxford leuchtete wieder auf. Hatten die westlichen Alliierten 1945 in der Kommandantur-Sitzung nachgegeben, kannten sie 1948 die sowjetischen Verhandlungs- und Entscheidungspraktiken und schlugen die Sowjets mit ihren eigenen Waffen. Auch hier war als ein „Geheimprojekt" die Entscheidung bereits gefallen und gründlich vorbereitet, ehe die Weisung des US-Education Branch zur Gründung einer Universität im März 1948 erfolgte. Christiane Knop

Heinz-Georg Klös, Hans Frädrich und Ursula Klös. Die Arche Noah an der Spree. ISO Jahre Zoologischer Garten Berlin. Eine tiergärtnerische Kulturgeschichte von 1844 bis 1994. Berlin: FAB Verlag 1994. 504 S., 48 DM. (Auch als Vorzugsausgabe im Schuber mit eingelegtem Plan erhältlich.) 1994 feierte der Zoologische Garten sein 150jähriges Bestehen. Die Autoren, der frühere Zoodirek­ tor Professor Dr. Dr. Klös, seine Ehefrau und der jetzige Zoodirektor Dr. Frädrich nahmen das zum Anlaß, die Geschichte des Berliner Zoos so gründlich und ausführlich wie nie zuvor darzustellen. Nur zum 75jährigen (Heilborn) und 125jährigen Jubiläum (Klös) waren bisher Jubiläumsbände erschienen, die beide als Vorarbeiten für das jetzt vorliegende umfangreiche Werk gelten dür­ fen. „Die Arche Noah an der Spree" ist chronologisch aufgebaut. Dabei beginnen die Autoren nicht mit der Gründungsgeschichte des Zoos, sondern gehen im ersten Kapitel zurück bis in das 16. Jahrhun­ dert und zeigen, daß die Tierhaltung auch in Berlin schon eine lange Tradition besitzt. Im Grunde ist der Berliner Zoo der Nachfolger der Menagerie auf der Friedrich Wilhelms IV., die bereits an bestimmten Wochentagen für das Publikum geöffnet war und somit als der erste Zoologi­ sche Garten in Berlin bezeichnet werden kann. Nach ihrer Schließung konnte der Zoo eröffnet und die Aktiengesellschaft, die noch heute den Zoo trägt, gegründet werden (in dieser Reihenfolge). Über die Schwierigkeiten und Probleme der Gründungszeit informiert das Buch ebenso wie über die anschließende Geschichte, die eine immer wieder durch schwere Krisen geschüttelte Aufwärtsbewe­ gung einschloß und schließlich zum heutigen Zoo führte. Dabei wird die Zooentwicklung vor allem aus dem Wirken der Zoodirektoren erklärt und die Entwicklung der Tierbestände und Tierhäuser beschrieben. Daß nebenbei viele kleinere und größere gesellschaftliche Ereignisse geschildert wer­ den, wie das Dreikaisertreffen im Antilopenhaus oder der Besuch von Robert Kennedey oder Willy Brandt, versteht sich von selbst, war der Zoo mit seinen Festsälen doch bis zum Zweiten Weltkrieg ein gesellschaftlicher Treffpunkt ersten Ranges. Weitergehende Untersuchungen zum Einfluß von gesell­ schaftlichen und wissenschaftlichen Strömungen auf die Zoodirektoren und die Zoogestaltung treten demgegenüber schon allein wegen der Fülle des zusammengetragenen Materials in den Hintergrund. Derartige Untersuchungen sind allerdings im deutschsprachigen Raum bisher auch nur bruchstück­ haft geleistet worden, was unter anderem damit zusammenhängt, daß durch die beiden Weltkriege und die damit zusammenhängenden Zerstörungen eine Vielzahl von Dokumenten zur Zoogeschichte einfach nicht mehr zur Verfügung steht. Das Zusammentragen der wenigen weit verstreuten Doku-

27 mente ist eine zeit- und kraftraubende Aufgabe, die für den Berliner Zoo noch lange nicht beendet ist. So fehlen noch immer die meisten Geschäftsberichte des letzten Jahrhunderts und sogar ein Teil der wissenschaftlichen Berichte von Zoodirektor Ludwig Heck, die als Ergänzung der Geschäftsberichte um die Jahrhundertwende erschienen sind. Daß die Autoren dennoch aus einer unglaublichen Fülle von Material schöpfen konnten, haben sie vor allem dem Sammeleifer von Professor Klös zu verdanken. In den mehr als fünfundreißig Jahren, die er jetzt in Berlin tätig ist, hat er als Direktor des Zoos das Archiv neu aufgebaut und ist noch immer auf der Suche nach alten Unterlagen, um die noch bestehenden Lücken zu schließen. Natürlich darf in einer Zoogeschichte auch die Geschichte des Aquariums nicht fehlen. Nachdem von 1869 bis 1910 ein von Alfred Edmund Brehm gegründetes Berliner Aquarium bestanden hatte, ließ Ludwig Heck das Aquarium im Zoo durch seinen Assistenten Oskar Heinroth planen und errichten, das nach der völligen Zerstörung im Zweiten Weltkrieg wieder aufgebaut und erweitert wurde. Die auch in ihrer Beziehung zum Zoo Berlin interessante Entwicklung des Tierparks Berlin-Friedrichs­ felde ist mit nur vier Seiten sehr kurz behandelt. Eine zusammenfassende Chronik und die Entwick­ lung des Zoos in Übersichten über den Tierbestand, die Eintrittspreise, die Besucherzahlen, die Aktienkurse und die Geländeerweiterungen und Karten zur Entwicklung des Zoogeländes runden das Buch ab. Das acht Seiten lange Personenregister zeigt, wie umfangreich nicht nur die Beziehungen des Zoos waren und sind, sondern auch welcher Fleiß und welche Kenntnis in diesem Buch stecken. Andere Register fehlen leider, waren aber wohl aus Platz- oder Kostengründen nicht unterzubringen. Harro Strehlow

Geschichtslandschaft Berlin. Orte und Ereignisse. Band 5: Kreuzberg. Hrsg.: Helmut Engel, Stefi Jersch-Wenzel und Wilhelm Treue. Mit Beiträgen von Eva Brücker, Heinrich Kaak, Stefan Kraut- schick, Agnes Lanwer, Christiane Roik-Bogner, Waltraud Schade, Gabriele Silbereisen, Hasso Spode und Armin Triebel. Berlin: Nicolaische Verlagsbuchhandlung 1994, 528 Seiten, 58 DM. Die zur 750-Jahr-Feier Berüns begonnene Schriftenreihe zur Geschichte der Berliner Bezirke hat nach Charlottenburg, Tiergarten und Zehlendorf nun mit Kreuzberg einen Bezirk mit hohem über­ regionalen Bekanntheitsgrad erreicht. Neun Wissenschaftlerinnen und deren männliche Pendants haben versucht, sich in 31 Beiträgen der Geschichte dieses Innenstadtbezirks zu nähern. Nach einem Überblick zur Sozial- und Wirtschaftsgeschichte wird topographisch auf die drei histori­ schen Stadtteile eingegangen, wobei in der Hauptsache auf die vorhandene Literatur zurückgegriffen wird. Jeder Beitrag enthält einen baugeschichtlichen Teil, an den sich die Ereignisgeschichte anschließt. In dem Kapitel über die Friedrichstadt wird u. a. auf den Anhalter Bahnhof, das Excelsior und die Hochbahnlinie 1 (Hallesches Tor) sowie das Zeitungsviertel eingegangen. Die Orte der Verfolgung (Prinz-Albrecht-, Wilhelm- und Hedemannstraße) und die Orte der Kultur (Schau­ bühne und Hebbel-Theater) runden die Darstellung ab. Bei der Geschichte der Luisenstadt kommen einige weniger bekannte Aspekte zur Sprache, so das Ursulinen-Kloster in der Lindenstraße oder der Verlag Heliokon in der Alten Jakobstraße, der hier Anfang der zwanziger Jahre russische Literatur publizierte. Der Beitrag „Kino, Bolle und Ruine" von Stefan Krautschick fällt nicht nur vom Titel her aus dem Rahmen, sondern auch vom Inhalt: In der Nacht vom 1. zum 2. Mai 1987 brannte der in dem Haus Wiener Straße 1—6 befindliche Supermarkt vollständig aus. Der Autor setzt sich mit dem Kli­ schee des „sozialen Brennpunkts" und den falschen Erklärungen der Brandursache auseinander: Es handelte sich nicht um Brandstiftung der „Autonomen", sondern es war ein offensichtlich unzurech­ nungsfähiger Serienbrandstifter, der drei Jahre später gefaßt wurde. Um diese Darstellung herum wird die Geschichte erzählt, in der z. B. auch ein in der NS-Zeit versteckter Jude eine Rolle spielt. Zur Geschichte der Tempelhofer Vorstadt gehören „natürlich" die Schultheiss-Brauerei und die Ame­ rika-Gedenkbibliothek ebenso wie die Marheineke- und Riehmers Hofgarten. Beim Lesen der Beiträge kann der Eindruck entstehen, daß — wie bei den beiden anderen Stadtteilen auch — die Auswahl eines Themas eher durch die vorhandene Literatur als durch solche Kriterien wie Relevanz eines Gebäudes oder Areals für die Bezirks- oder Berlin-Geschichte bestimmt wurde. Die Experten der Bezirksgeschichte hat man offensichtlich nicht gefragt, oder für sie war eine Stelle im Rahmen einer Arbeitsbeschaffungsmaßnahme nicht attraktiv. Positiv ist abschließend anzumerken, daß mit dem Band ein historischer Überblick über den Bezirk Kreuzberg vorliegt, der auf dem neue­ sten Stand der Literatur basiert. Kurt Schilde

28 Anthony Read und David Fisher: Der Fall von Berlin. Berlin: Aufbau-Verlag 1995, 750 Seiten, 49,90 DM. Zwei britischen Schriftstellern ist es gelungen, aus mehr als hundert — überwiegend englischsprachi­ gen — Schriften und mehr als siebzig unveröffentlichten Tagebüchern und Erinnerungsberichten ein Szenario des „Falls von Berlin" zu inszenieren. Die Übersetzung der britischen Originalfassung (1992) kam zum 50. Jahrestag des 8. Mai 1945 heraus. Beginnend mit den Olympischen Spielen 1936 wird — abwechselnd mit Zahlen und Fakten sowie Erlebnisberichten und Erinnerungen — ein leben­ diges und subjektiv gefärbtes Bild der Geschichte Berlins bis zur Kapitulation am 2. Mai 1945 gezeichnet. Zur Sprache kommen junge Deutsche ebenso wie die gegnerischen Führer Hitler und Sta­ lin. Sowjetische Generäle spielen ebenso eine Rolle; SS-Männer, ausländische Besucher und Diplo­ maten werden mit ihren Eindrücken zitiert, und verfolgte und untergetauchte Menschen werden mit ihren Ängsten geschildert. Wer das Buch in die Hand nimmt, hat die Möglichkeit, die Geschichte des Untergangs der Reichshauptstadt aus den unterschiedlichsten Empfindungen und widersprüchlichen Sichtweisen heraus nachzuempfinden. Dies ist die starke Seite der Publikation. Aus vorhandenem Material ist eine Montage entstanden, die keine wesentlich neuen Informationen zu bieten hat und deren Wahrheitsgehalt den Autoren geglaubt werden muß. Dies fällt allerdings in manchen Fällen schwer: So wird schon auf Seite 9 für das Jahr 1936 behauptet: „Niemand wurde diskriminiert wegen seiner Rasse, Religion oder Hautfarbe." Dies stimmt ebensowenig wie die These, daß es 1942 „eine in alle Einzelheiten gehende Gliederung der gesamten deutschen Widerstandsbewegung" (S. 145) gab. Die beiden Beispiele verdeutlichen, daß offenbar keine eigenständigen Recherchen stattfanden, bzw. es diese nur in begrenztem Maße gegeben haben kann. Kurt Schilde

Aus den Berliner Museen Heimatmuseum Charlottenburg: „Erinnern Sie sich ? Die 50er Jahre in Charlottenburg". In der reich mit Objekten aus der Zeit bestückten Ausstellung, die überwiegend von Charlottenburger Leihge­ bern zur Verfügung gestellt werden, sind die Spuren einer ebenso irritierenden wie faszinierenden Zeit dokumentiert. Vom 1. Februar bis zum 5. Mai 1996. Dienstag, 6. Februar 1996,19 Uhr: Vortrag „Rund ums Knie. Erinnerungen an alte Charlottenbur­ ger" von Birgit Jochens im Heimatmuseum. Sonnabend, 17. Februar 1996,14.30 Uhr: Führung über den Friedhof Heerstraße mit Birgit Jochens. Treff: Haupteingang, Trakehner Allee 1. „Osterausstellung". Vom 15. März bis zum 14. April 1996. Schloßstraße 69. Di bis Fr 10 bis 17 Uhr, So 11 bis 17 Uhr. Aufruf: Zur Vorbereitung einer Publikation und Ausstellung über die Schriftstellerin Else Ury ver­ teilt das Heimatmuseum Fragebögen, mit denen die Haltung der Leser zu ihrem Werk ermittelt wer­ den soll. Interessenten melden sich bitte: Tel. 34 30 3201. Birgit Jochens Heimatmuseum Hohenschönhausen: Pünktlich zum zehnjährigen Jubiläum Hohenschönhausens sind zwei Bücher über den Bezirk erschienen. Die Historikerin und Archivarin Dr. Anke Huschner wertet in ihrem gut recherchierten Sachbuch mit dem Titel „Hohenschönhausen" zahlreiche in Berlin zugängliche Archivalien aus und berücksichtigt dabei auch die im Heimatmuseum vorliegenden Dokumente und Zeitzeugenberichte. Das Buch erschien in der von Professor Dr. Wolfgang Ribbe herausgegebenen Reihe „Geschichte der Berliner Verwaltungsbezirke" des Stapp-Verlags. Der Schriftsteller Walter Püschel begab sich aus gleichem Anlaß weniger in Archive, sondern setzte auf Streifzüge und die Unterhaltung mit Leuten aus dem Bezirk. Die bei Haude & Spener erschiene­ nen „Spaziergänge in Hohenschönhausen" sind zum überwiegenden Teil amüsant zu lesende Geschichten, die dem Leser eine leichte Kost bescheren und ihm ganz nebenbei märkische Geschichte und Gegenwart nahebringen. U. Heimatmuseum Wedding: „Bunker Berg. Vom Flakturm zur Humboldthöhe". In vier Räumen des Museums können sich die Besucher mit den verschiedenen Aspekten der Bunkergeschichte auf unterschiedliche Weise auseinandersetzen. Bis 16. Juni 1996. Pankstraße 47. Di und Do 12 bis 18 Uhr, Mi 10 bis 16 Uhr, So 11 bis 17 Uhr. U.

29 Kunstamt Steglitz: Kinderlandverschickung. „Wen der Führer verschickt, den bringt er auch wieder gut zurück..." Die Ausstellung beschreibt die Hintergründe der KLV, ihre politischen und pädagogi­ schen Konzepte. Im Mittelpunkt stehen Steglitzer Schulen. Noch bis 26. Januar 1996. Ingeborg-Dre- witz-Bibliothek, Grunewaldstraße 3. Mo, Di, Do, Fr 12 bis 20 Uhr, Mi 11 bis 16 Uhr. U. Museum für Verkehr und Technik: Im ehemaligen Kühlhaus der Tucherbrauerei auf dem Gelände des Museums hinter dem Lokschuppen ist eine kleine Brauerei aus der Zeit der Jahrhundertwende komplett wiederaufgebaut worden. Das im Zusammenhang mit den Lokschuppen auf dem ehemali­ gen Anhalter Bahnbetriebsgelände errichtete Gebäude mit seinen bierfaßförmigen Schmuckelemen­ ten war bis vor wenigen Jahren Ruine. Es wurde behutsam restauriert, so daß der historische Charak­ ter bis auf die Fenster und den Dachgarten weitgehend gewahrt blieb. Vom Dachgarten hat man einen herrlichen Blick über das Museumsgelände und seine Umgebung bis hin zum Potsdamer Platz. Kern­ stück der historischen Brauerei ist ein Sudwerk mit Braupfanne und Läuterbottich von 1909. Es stammt aus einer kleinen Brauerei an der Friedrichshainer Landsberger Allee, die Versuchszwecken diente und 1990 stillgelegt wurde. Anhand weiterer Brautechnik aus dieser Zeit kann man über vier Etagen den Vorgang des Bierbrauens von den Rohstoffen bis zum fertigen Bier nachvollziehen. U.

Staatsbibliothek zu Berlin, Haus I (Mitte): „Heinrich Dathe — Ein Leben für die Tierwelt". Die Staatsbibliothek zu Berhn gedenkt mit dieser Ausstellung des 85. Geburtstages und des 5. Todestages von Professor Dr. Dr. Heinrich Dathe, dem langjährigen Direktor des Berliner Tierparks. Die Aus­ stellung zeigt den Lebensweg Heinrich Dathes anhand zahlreicher persönlicher Dokumente und Fotos aus dem umfangreichen Nachlaß, der sich seit 1992 in der Staatsbibliothek befindet. Heinrich Dathe war übrigens ein enger Freund Dr. Hans Pappenheims, des ehemaligen Schriftleiters unserer MITTEILUNGEN! Beide lernten sich in der Kriegsgefangenschaft 1945—47 in Italien kennen. Aus­ stellung im Vestibül. Bis 21. Januar 1996. Unter den Linden 8, Berlin-Mitte. Mo bis Fr 9 bis 21 Uhr, Sa 9 bis 17 Uhr. U. Stadtmuseum Berlin: Am 15. November 1995 wurde unser langjähriges Mitglied Professor Dr. Irm­ gard Wirth aus Anlaß ihres 80. Geburtstages im Zusammenhang mit einer Präsentation der Neuer­ werbungen im Schloß Friedrichsfelde, einem von 15 Häusern des Stadtmuseums, geehrt. Der Gene­ raldirektor des Museums, Professor Reiner Güntzer, betonte bei dieser Gelegenheit, daß das durch Professor Wirth von 1962 bis 1980 auf- und ausgebaute Berlin Museum eine der Säulen ist, auf denen das Stadtmuseum heute ruht. Märkisches Museum: „Theater als Geschäft — Berlin und seine Privattheater um die Jahrhundert­ wende". 1869 wurden die deutschen Theater von der bis dahin praktizierten strengen Reglementie­ rung befreit und zum Gewerbe wie jedes andere erklärt. In Berlin führte dies zu einer Gründungswelle privater Spielstätten: 1897 gab es in Berlin 15 private Bühnen und 12 sogenannte „Possen- und Spe­ zialitätentheater". In den dichtbesiedelten Mietskasernen-Quartieren des Berliner Nordens und Ostens existierten zahlreiche „Volksvarietes". Militärs und Studenten zog es in das „Chansonetten­ viertel" rund um Chaussee- und Friedrichstraße. Die „Internationale Concerthalle zur Lachmuskel" in der Kommandantenstraße bot dem Besucher in zwei Sälen Damenkapellen und den obligatori­ schen Tanz nach der Vorstellung. Neben der leichten Muse entwickelten sich auch anspruchsvollere Bühnen, wofür die Namen Max Reinhardt und Hans Gregor — mit seinem Opernexperiment — ste­ hen. Bis 15. Mai 1996. Am Köllnischen Park 5. Di bis So 10 bis 18 Uhr. U.

Aus der Tätigkeit des Deutschen Heimatbundes 1995 Das Jahr 1995 war vom Europarat in Straßburg zum Europäischen Naturschutzjahr ausgerufen wor­ den. In diesem Rahmen veranstaltete der Deutsche Heimatbund (DHB) zwei weithin beachtete Aktionen: „Pflanz mit!" und „Naturschutz rund ums Haus". Der in Zusammenarbeit mit anderen Verbänden und Gremien veranstaltete Foto- und Filmwettbewerb 1994/95 „Umwelt und Verkehr" war der achte Wettbewerb dieser Art. Für 1995/96 wurde der Wettbewerb unter das Motto „Umwelt und Energieverbrauch" gestellt. Mit Unterstützung des Vereins Aeternitas ist es möglich geworden, die Inventarisation der histori­ schen Friedhöfe fortzuführen und zu veröffentlichen. Zur Zeit werden die mehr als 12 000 eingegan-

30 genen Fragebogen von den ABM-Kräften im Heimatbund Thüringen ausgewertet. Darüber hinaus erfassen auch drei ABM-Kräfte des Landesvereins Sächsischer Heimatschutz die für das Land Sach­ sen eingegangenen Fragebogen. Ein erster Ausdruck soll sowohl den Kreisen und kreisfreien Städten als auch den Landesverbänden des DHB mit der Bitte um Korrekturen und Ergänzungen übersandt v/erden. Die Veröffentlichung soll nicht im Rahmen eines Druckerzeugnisses, sondern aufgrund des Umfangs in Form einer CD-Rom erfolgen. Bis zum Frühjahr 1996 soll die komplette Datenbank ste­ hen. Mit den Umwelteinflüssen auf historische Parks und Gärten und den daraus resultierenden Proble­ men befaßten sich auf einer Tagung die Mitglieder der Fachgruppe „Landschaft und Denkmal". Pro­ bleme ergeben sich vor allem aus den bislang sich verstärkenden negativen Trends wie Auflösung von Grünflächen oder Gestaltung und Unterhaltung von Gärten und Parks von fachfremden Arbeitskräf­ ten. Darüber hinaus ist ein zunehmender Mißbrauch von Gärten und Parks sowie deren Übernutzung durch die drastische Zunahme von Großveranstaltungen zu verzeichnen. Die Fachgruppe hatte anläßlich ihrer Tagung einen Kriterienkatalog bzw. eine Checkliste von Umweltbelastungen unter Berücksichtigung vorhandener Richtlinien und Regelwerke erarbeitet. Eine bemerkenswerte Tätigkeit entwickelten auch die Fachgruppen „Ländlicher Raum und Dorfer­ neuerung" und „Umwelt- und Naturschutz" sowie „Trachten und Brauchtumspflege". Der Arbeits­ kreis „Heimatzeitschriften" veranstaltete das dritte Symposium der Heimatzeitschriften am 19./ 20. Mai 1995 in der Stadt Bocholt. Der Verein für die Geschichte Berlins, gegründet 1865, nimmt für das Land Berlin die Interessen des Deutschen Heimatbundes als dessen Mitglied wahr. SchB.

Exkursion nach Görlitz vom 8. bis 10. September 1995

Seit 27 Jahren organisiert unser Schriftführer alljährlich eine dreitägige Studienfahrt in eine jeweils andere Region oder Stadt unseres Landes. So wurde auch die diesjährige Exkursion in die Oberlausitz von Dr. Schultze-Berndt perfekt vorbereitet, wenngleich eine zwischenzeitlich kurierte Erkrankung seine Teilnahme in letzter Minute verhinderte. Unter der Reiseleitung des 2. stellvertretenden Vorsit­ zenden erreichten wir pünktlich das Reiseziel, um nach dem Beziehen unserer Zimmer im Hotel „Graf Zeppelin" den ersten Programmpunkt, die Waggonbau Görlitz GmbH, anzusteuern. Dieser einstmals mehrere tausend Mitarbeiter beschäftigende Betrieb wurde kürzlich von einer amerikani­ schen Investorengruppe übernommen, die sich mit einigem Erfolg bemüht, ihn zu erhalten und kon­ kurrenzfähig zu machen. Man hat sich auf den Bau doppelstöckiger Eisenbahnwaggons spezialisiert. Von dort war es ein kurzer Weg zur Landskron-Brauerei, dem zweiten Programmpunkt des Tages. Sie ist die östlichste Privatbrauerei Deutschlands. Die ältesten Gebäude des einstmals „Görlitzer Aktien­ brauerei" genannten Betriebes stammen noch aus dem Jahre 1869. Nach der Begrüßung durch den geschäftsführenden Gesellschafter Edgar B. Scheller wurden wir in zwei Gruppen durch die selbst für Abstinenzler interessanten Anlagen geführt. Anschließend fanden wir uns wieder im noch aus der Kaiserzeit stammenden Verwaltungs- und Direktorenhaus ein, um einen interessanten Einführungs­ vortrag des Görlitzer Kunstwissenschaftlers Dipl.-Ing. Andreas Bednarek zur Geschichte seiner Hei­ matstadt zu hören. Sowohl beim Vortrag als auch anschließend bemühten sich selbst die ungeübten Biertrinker unter uns, dem Sinngehalt des programmgemäß vorgeschriebenen „Abtrunks" zu ent­ sprechen. Unterstützt wurden wir durch das sichere Gefühl, daß in einer Brauerei das Bier schließlich immer nur weniger, aber niemals alle werden kann. Ebenso verhielt es sich übrigens mit dem leckeren Büffet, das im Lauf des Nachmittags trotz redlicher Bemühungen unsererseits nur immer noch reich­ haltiger zu werden schien. Am folgenden Morgen erwartete uns A. Bednarek am Kaisertrutz, Teil der mittelalterlichen Stadtbe­ festigung, zum Altstadt-Rundgang. Wir erfuhren, daß es in der unzerstörten Stadt Görlitz nahezu 3500 denkmalgeschützte Häuser gibt und sahen ein einmaliges historisches Erbe unschätzbarer Bau­ denkmäler aus der Gotik, der Renaissance, dem Barock, der Gründerzeit und dem Jugendstil. Der­ zeit werden gewaltige Anstrengungen unternommen, um Görlitz wieder zu einem ehrenvollen Platz im Kreis der schönen alten deutschen Städte zu verhelfen. Das Rathaus und der Schönhof, Deutsch­ lands ältestes Renaissancebürgerhaus, sind eingerüstet. Auch an vielen anderen Stellen sind Hand­ werker dabei, altes Gemäuer zu restaurieren. In den letzten Jahren wurde viel erreicht. Mit etwas

31 Phantasie und den Erläuterungen unseres Begleiters vermochten wir, die einst blühende Stadt hinter Tristesse und Verfall zu erahnen. Beeindruckend ist das frischrenovierte Jugendstil-Kaufhaus (1912) am Marienplatz mit einem im Stil der Zeit gehaltenen glasgedeckten Innenhof. Während einer Kaf­ feepause besuchten die Unentwegten in Ergänzung des Programms die Dreifaltigkeitskirche, deren kostbarstes Ausstattungstück ein geschnitzter und vergoldeter Flügelaltar mit einer Marienfigur ist („Goldene Maria"). Nach dem Mittagessen in Deutschlands östlichster Gaststätte, der am Neißewehr gelegenen „Vierradenmühle", setzten wir unsere Stadtbesichtigung mit dem Bus fort, um uns die Außenbezirke, Deutschlands größtes erhaltenes Gründerzeitviertel, zeigen zu lassen. So gelangten wir schließlich zum Heiligen Grab, einer Nachbildung der heiligen Stätte in Jerusalem. In Auftrag gegeben hatte das aus drei Kapellen bestehende Ensemble der Jerusalempilger und seinerzeitige Gör­ litzer Bürgermeister Georg Emmerich (1418—1504). Nach dem umfangreichen Besichtigungspro­ gramm des Tages freuten wir uns auf den letzten Programmpunkt: Aufstieg und Abendessen auf der Landeskrone. Hierbei wollte uns der Programmgestalter offensichtlich auf die Probe stellen, denn obgleich wir fast alle einen anderen Weg auf die Bergeskuppe suchten, fand doch keiner den angekün­ digten „bequemen Fußweg". Oben angelangt, entschädigte uns der herrliche Blick auf die umlie­ gende Landschaft mit Fernsichten zum Lausitzer Bergland und zum Riesengebirge. Am anderen Morgen hieß es nun schon wieder, die Koffer einzupacken. Nach kurzer Busfahrt erreichten wir die Brücke, die Görlitz mit Zgorzelec, dem heute polnischen Teil der Stadt, verbindet. Nach der Besichtigung der alten deutschen „Ruhmeshalle" (1898/1902), heute Kulturhaus von Zgorzelec, spazierten wir zum Neißeufer, um einen — letzten — Blick auf die am anderen Ufer gele­ gene historische Altstadt genießen zu können. Unser Bus fuhr uns anschließend zum Naturschutzzen­ trum Schloß Niederspree nach Quolsdorf, wo uns dessen Geschäftsführer viel Wissenswertes über seine Arbeit berichtete. Besonderen Anklang fand die zünftige Art des Mittagessens mit unkonven­ tioneller Essensausgabe und ordentlichem Nachschlag! Ein kurzer Fußweg führte uns nach dem Essen zu den dort gelegenen Fischteichen. Dr. Engelmann erläuterte ausführlich die Probleme der dortigen Fischzucht. Die Rückfahrt wurde durch einen vom Schatzmeister zur Verfügung gestellten und im Bus während der Fahrt gezeigten Videofilm über Görlitz verkürzt, der das während der Exkursion Gesehene und Erlebte in angenehmer Weise Revue passieren ließ. Währenddessen telefonierte die Fahrtleitung mit Dr. Schultze-Berndt, um ihm den Vollzug seines Programms zu melden und die herzlichsten Grüße und Wünsche der Teilnehmer auszurichten. In alter Tradition lüftete der Schatzmeister das Geheim­ nis, wohin die für das folgende Jahr geplante Studienfahrt führt: Rostock. Manfred Uhlitz

Margarete Kühn t 12.9.1995 Die Nachkriegszeit war in Berlin länger als in Westdeutschland eine Notzeit, die den Menschen außer­ gewöhnliche moralische Leistungen abverlangte. Einige wuchsen unter dem äußeren Druck zu kolos­ saler menschlicher Größe auf, aber es gab angesichts des deutschen Versagens nach 1933 auch einen inneren Druck, ein anderes Bild vom Menschen zu verwirklichen. Margarete Kühn ist das gelungen. Sie besaß eine Art erarbeiteter Größe, die es heute, jedenfalls in den alten Bundesländern, kaum mehr gibt und geben kann, weil sich die Lebensverhältnisse so völlig verändert haben. Noch etwas anderes hat sie zu der Persönlichkeit gemacht, die sie war: die Aufgabe, das in Trümmern gesunkene Schloß Charlottenburg gegen mannigfachen Widerstand wiederaufzubauen. Der unge­ heure Schmerz, das Berliner und das Potsdamer Schloß sowie das Schloß Monbijou zuerst durch Bomben und dann durch die Abrißwut der DDR-Ideologen zerstört und abgeräumt zu sehen, erzeugte die Energie, ein Gegenbeispiel für den Umgang mit dem Scherbenhaufen der Geschichte zu liefern. Entscheidend war dabei nicht ameisenhaft geschäftige Rekonstruktion, sondern die Rettung der geistigen Substanz in einem Verhalten, das aus der Tradition das Brauchbare übernimmt. Es gab für sie keinen Konflikt zwischen Vergangenheit und Gegenwart, denn es waren ja Künstler unserer Zeit, die das Schloß wiederherstellten. Hann Triers Deckenbilder im Weißen Saal und im Treppen­ haus des Neuen Flügels sollten den Anteil der Gegenwart an der Rettung der Geschichte bezeugen. Übrigens hat sich Margarete Kühn aus Respekt vor der Geschichte immer gegen eine Rekonstruktion des Berliner Schlosses gewehrt.

32 Lange bevor die „preußischen Tugenden" wieder salonfähig wurden, hat sie diese ohne Aufhebens praktiziert. 1904 in Lütgendortmund in Westfalen geboren, war sie Preußin aufgrund einer getroffe­ nen Wahl. Sie wollte in Berlin leben, und so wurde sie nach ihrer Promotion in München 1929 wissen­ schaftliche Mitarbeiterin bei der erst drei Jahre alten Verwaltung der Staatlichen Schlösser und Gär­ ten, der die Hohenzollernschlösser von Königsberg bis Brühl unterstanden. Es ist ihr nie in den Sinn gekommen, durch geschickten Wechsel der Stellung Karriere zu machen oder sich auf irgendeine Weise zu profilieren. Was in dem weiten Bereich der preußischen Schlösser und Gärten bis zum Aus­ bruch des Zweiten Weltkrieges von dem verhältnismäßig kleinen Mitarbeiterstab unter dem renom­ mierten, die wissenschaftlichen Maßstäbe bestimmenden Ernst Gall geleistet wurde, ist wenig erforscht. Die frühen Spuren von Margarete Kuhns Wirken sind nicht leicht auszumachen. Viel unspektakuläre Kleinarbeit war zu leisten. Um so eindrucksvoller steht vor Augen, was sie nach dem Krieg geschaffen hat. In gelegentlichen Erzählungen erfuhr man, mit wieviel Mut sie im begin­ nenden kalten Krieg eine Grenzgängerin zwischen West und Ost gewesen ist, um das Schloß Charlot­ tenburg zu retten. Später, als ihre Verdienste allgemein anerkannt waren, als sie Bundesverdienstkreuz, Ernst-Reuter- Plakette und Fidicin-Medaille des Vereins für die Geschichte Berlins dafür erhalten hatte, hat sie selbst ihre Leistung gering bewertet. Als der Museumspädagogische Dienst sie vor einigen Jahren bat, vor Zuhörern über den Wiederaufbau von Schloß Charlottenburg zu berichten, hat sie weniger dar­ über gesprochen als über die kleinen Ausstellungen, die sie überragenden Geistern wie Leibniz, Vol­ taire und Alexander von Humboldt gewidmet hat. Immer orientierte sie sich in Wissenschaft und Kunst am höchsten Niveau, und daraus bezog sie die Kraft, die Niederungen des Behördenalltags und die Kleinlichkeiten in ihrem Umfeld unter sich zu lassen. Sie verkehrte mit diesen Geistern, zu denen sich von den Künstlern vor allem Schlüter und Schinkel gesellten, weniger durch strenge wissenschaft­ liche Erforschung und scharfsinnige Analyse als im Sinne einer verehrenden Nachfolge im Denken und Handeln. Das formte sie zu einer Persönlichkeit von absoluter Zuverlässigkeit und einer Geradlinigkeit, die an Härte grenzen konnte. Sie hat sie vor allem gegen sich selbst geübt. Klagen waren ihr fremd. Erholung kannte sie nicht. Anderen gegenüber verband sich ihre Kompromißlosigkeit stets mit natürlicher Lie­ benswürdigkeit. Sie gab großzügig. Bis zuletzt war sie unbeugsam, auch gegenüber dem Tod. Immer war sie Herr ihrer Empfindungen, aber sie wollte auch andere beherrschen. Die Anerkennung, die sie genoß, gründete nicht zuletzt auf ihrem starken Charakter. Nachdem sie 1969 ihr Amt als Direktorin der Schlösserverwaltung in die Hände von Martin Sperlich gelegt hatte, widmete sie sich ganz der Wissenschaft, die für sie da?. Höchste im Leben war. Hier über­ wog ihre kritische Begabung den schaffenden Impuls. Lange Zeit war sie Herausgeberin der Zeit­ schrift für Kunstgeschichte, der anspruchsvollsten deutschen Kunstzeitschrift, und des Schinkel-Wer- kes, für das sie selbst den Band über Schinkels Arbeiten im Ausland beisteuerte. Das wiederaufge­ baute Schloß Charlottenburg wird ihr Denkmal sein, solange es besteht. Helmut Börsch-Supan

Aus dem Mitgliederkreis Karl-Heinz Rose, Direktor der Volkshochschule Steglitz i. R., erhielt am 14. Juni 1995 das Bundes­ verdienstkreuz am Bande aus der Hand von Parlamentspräsidentin Dr. Laurien für „politische Bil­ dungsarbeit und stadthistorische Verdienste". Wir gratulieren herzlich zu dieser Auszeichnung. U.

Ferdinand--'on-Quast-Medaille für Pfarrer Wilfried Heidemann Für seine Verdienste um die Denkmalpflege erhielt Pfarrer Wilfried Heidemann die Ferdinand-von- Quast-Medaille 1995. Seit vielen Jahren ist er für die Restauration und Erhaltung der Kirche St. Peter und Paul auf Nikolskoe in vorbildlicher Weise eingetreten. Mit dieser Auszeichnung wird auch das langjährige Engagement Pfarrer Heidemanns gewürdigt, der Öffentlichkeit den Wert des Ensembles Nikolskoe zu vermitteln. Senator Dr. Volker Hassemer begründete die im übrigen nicht dotierte Aus­ zeichnung wie folgt: „Die amtliche Denkmalpflege braucht solche Partner, die wie Pfarrer Heide­ mann dank eigener Forschungen ihre Denkmale wirklich gut kennen" und sich für diese mit Tatkraft und Liebe einsetzen. SchB.

33 Mitteilung des Schatzmeisters Der Schatzmeister bittet, die diesem Heft beiliegende Zahlkarte zur baldigen Überweisung des Mitgliedsbeitrages für das Jahr 1996 zu nutzen, sofern Sie nicht am Ejnzugsverfahren teilnehmen. Der Mindestbeitrag ist 60 DM. Der Vorstand erbittet wegen der schwierigen finanziellen Situation des Vereins einen Beitrag von 80 DM (Ehepaare 120 DM).

Wir begrüßen folgende neue Vereinsmitglieder (IV/1995) Bartsch, Irma, Angestellte Jankowiak, Ilse, Dipl.-Rechtspflegerin Witzlebenstraße 41 Neuchateller Straße 20 14057 Berlin-Charlottenburg 12203 Berlin-Lichterfelde West Tel. 3 2157 97 Tel. 8 341802 (Dr. M. Uhlitz) (G. Haim) Behrendt, Susanne, Bibliothekarin Lüttke, Dr. Jürgen, Dipl.-Historiker Neue Kantstraße 25 Schwarzburger Straße 7 14057 Berlin-Charlottenburg 12678 Berlin-Marzahn Tel. 3 2164 20 Tel. 9 35 13 70 (H.-P. Freytag) Neumann, Prof. Dr. Dr. Hans-Joachim, Arzt Eberstein, Hannelore, Wilhelmstraße 91 Lehrerin i. R. 10117 Berlin-Mitte Reichsstraße 38 Tel. 2 29 23 49 14052 Berlin-Charlottenburg (Dr. M. Uhlitz) Tel. 3 0489 26 Querner, Christian, Rentner (Dr. M. Uhlitz) Meiningenallee 7 Friederici, Angelika, Historikerin 14052 Berlin-Charlottenburg Heynstraße 30 Tel. 304 3171 13187 Berlin-Pankow (Dr. H. Bunschek) Tel. 4824359 Schlüter-Hatesaul, Anneliese, (Dr. K.-R. Schütze) Dipl.-Bibliothekarin Golombek, Christa, Ordensmeisterstraße 60 Dipl.-Verwaltungswirtin 12099 Berlin-Tempelhof Imbuschweg 39 Tel. 7 514245 12353 Berlin-Buckow (Dr. M. Uhlitz) Tel. 603 24 85 Schulze, Siegfried, Dipl.-Ing. (M. Witt) Heerstraße 57 B Heinecke, Irmgard, Lehrerin a. D. 14055 Berlin-Charlottenburg Gontermannstraße 8 a Tel. 30513 02 12101 Berlin-Tempelhof Schwab, Helga, Beamtin Tel. 7 864262 Kyffhäuserstraße 3 (Dr. M. Uhlitz) 10781 Berlin-Schöneberg Hoffmann, Dr. Peter, Rentner Tel. 215 48 65 (Historiker) (K. u. R. Streu) Drosselweg 3 Sigger, Dieter, Selbst. Augenoptikermeister 16515 Nassenheide Panoramastraße 54 Tel. 0172/3 0704 29 69257 Wiesenbach (Dr. M. Uhlitz) Tel. (06223)44 70 Hoppe, Horst, Verwaltungsangestellter Stapp, Helga, Hausfrau Reinickendorfer Straße 63 Luisenstraße Ha 13347 Berlin-Wedding 12209 Berlin-Lichterfelde Ost Tel. 4 56 3048 Tel. 7 724002 (M. Witt) (W. Stapp) Janka, Barbara, Gymnasiallehrerin Zimmermann, Barbara Turnseestraße 20 Forddamm 96 79102 Freiburg 12107 Berlin-Mariendorf (Dr. M. Uhlitz) Tel. 7 414400

34 Veranstaltungen bis April 1996

1. Freitag, 5. Januar 1996, 16.30 Uhr: „Berlin-Moskau, Moskau-Berlin 1900-1950", Ausstellungsführung mit Simone Förster, Museumspädagogin der Berlinischen Galerie. Die Ausstellung ist neben der Reichstags-Verpackung das zweite große kulturelle Ereig­ nis des Jahres 1995. Berlin und Moskau sind Sinnbilder für Aufbruch und Katastrophe im 20. Jahrhundert. Wie wenige andere Städte in Europa verbindet sie eine Tradition künstlerischer und kultureller Wechselbeziehungen von faszinierender Produktivität. Eintritt: 6 DM, erm. 4 DM. Treffpunkt: rechte Garderobe im Martin-Gropius-Bau, Stresemannstraße 110, Berlin-Kreuzberg, U2 (Potsdamer Platz), S-Bahn (Anhalter Bhf.), Bus: 129, 248, 341. 2. Montag, 8. Januar 1996,19 Uhr: „Die innere Struktur der preußischen Museen in Ber­ lin in Königreich und Republik und Wilhelm von Bode", Vortrag unseres Mitglieds Professor Dr. Stephan Waetzoldt, Generaldirektor der Staatlichen Museen Preußischer Kulturbesitz i. R. Ort: Remise des Ägyptischen Museums in Berlin-Charlottenburg, Eingang Spandauer Damm 7 (neben dem Meilenstein). U 2 (Sophie-Charlotte-Platz), U 7 (Richard-Wagner-Platz), S-Bhf. Westend, Bus: 109,110,145, X 9, X 26. Gäste will­ kommen ! Im Anschluß an den Vortrag stoßen wir mit einem Glas Sekt auf das neue Jahr an! 3. Freitag, 12. Januar 1996,15.30 Uhr: „Vision einerneuen Stadt: Planungen am Potsda­ mer Platz", Vorstellung der Daimler-Benz-Projekte mit Stefan Metz, Pressereferent der Fa. debis Immobilienmanagement. Wir werden Gelegenheit haben, vom Dach des ehem. Weinhauses Huth auf das Gelände zu blicken! Treffpunkt: debis -Zentrale (= ehem. Weinhaus Huth), Zugang zur Zeit noch über Schellingstraße vom Reich- pietschufer. Parkplätze vorhanden. Sollte sich die Zugangsmöglichkeit durch den Bau­ fortschritt bis dahin ändern, bitte der neuen Ausschilderung folgen! Anschließend gemeinsamer Besuch der Info-Box. Bus: 129, 148, 348. 4. Sonntag, 25. Februar 1996, 11 Uhr: „Exkursion und Wanderung zum Landsitz des Dichters Hermann Sudermann: Schloß und Park in Blankensee" mit unserem Mitglied Wolfgang Stapp. Wir besuchen dort auch das romantische Bauern-Museum, die „Frie­ densstadt" der Johannischen Gemeinde und „kraxeln" in die Glauer Berge — sofern noch Zeit dazu ist. Mit Einkehr in Blankensee. Wanderstrecke ca. 16 km. Treffpunkt: 9 Uhr Bhf. Trebbin (Bahnverbindung: 8.16 Uhr ab Bhf. Lichtenberg; 8.34 Uhr ab Flug­ hafen Schönefeld). Rückfahrt 17.26 Uhr ab Trebbin. 5. Montag, 26. Februar 1996, 19 Uhr: „Friedrich Wilhelm IV. - Künstler und Staats­ mann", Vortrag unseres Mitglieds Karl Heinz Rose, Direktor der Volkshochschule Ste­ glitz i. R. Ort: Rathaus Charlottenburg, Saal 3(1. Etage, links durch die Glastür). U 7 (Richard-Wagner-Platz), Bus: 145, X9. 6. Donnerstag, 7. März 1996, 17 Uhr: „Städtebauliche Entwicklung der deutschen Hauptstadt und Führung im ehem. Staatsratsgebäude", Vortrag mit Lichtbildern und Diskussion am Modell mit Gerda Renatus, Referentin des Bundesministeriums für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau. Treffpunkt um 16.45 Uhr im Foyer des ehe­ maligen Staatsratsgebäudes am Schloßplatz. U 2 (Hausvogteiplatz), Bus: 100, 147. 7. Montag, 11. März 1996, 19 Uhr: „E.T.A. Hoffmann — Der Maler und Zeichner: Bil­ der, Karikaturen und Illustrationen", Vortrag mit Lichtbildern unseres Mitglieds Pro­ fessor Hans-Dieter Holzhausen, 2. Vorsitzender der ETA.-Hoffmann-Gesellschaft. Ort: Rathaus Charlottenburg, Saal 3 (1. Etage, links durch die Glastür). U 7 (Richard- Wagner-Platz), Bus: 145, X9. 8. Sonnabend, 23. März 1996, 15 bis 17 Uhr: „Rundgang durch die Villenkolonie Südende am Vorabend des 125. Gründungsjubiläums" mit unserem Mitglied Wolf­ gang Holtz. Treffpunkt: S-Bhf. Südende, Steglitzer Damm, Berlin-Steglitz. Bus: 383.

35 9. Palmsonntag, 31. März 1996,10 Uhr: „Die Friedrichstraße zwischen Weidendammer Brücke und Oranienburger Tor", Spaziergang mit Hans-Werner Klünner. Treffpunkt: U-Bhf. Oranienburger Tor, Nordausgang. Achtung: Sommerzeit! 10. Freitag, 12. April 1996, 15.30 Uhr: „Führung durch das deutsch-russische Museum Berlin-Karlshorst" mit Museumsleiter Dr. Peter Jahn (vgl. zum Museum den Beitrag von Dr. G. Camphausen im Heft 2/95 der MITTEILUNGEN, S. 386 ff.). Treffpunkt: 15 Uhr vor dem S-Bhf. Karlshorst, von wo wir gemeinsam zum Museum laufen. Auto­ fahrer können vor dem Museum in der Zwieseler Straße 4 parken. Anmeldung erbeten: SchrLt. Dr. Uhlitz, Tel. 3 05 96 00. 11. Sonnabend, 20. April 1996, 14 Uhr: „Führung durch den Bereich der Charlottenbur­ ger Schloßstraße" mit unserem Vorstandsmitglied Birgit Jochens,, Leiterin des Heimat­ museums Charlottenburg. Treffpunkt: vor dem Heimatmuseum, Schloßstraße 69 (neben dem Ägyptischen Museum). U 2 (Sophie-Charlotte-Platz), U 7 (Richard-Wag­ ner-Platz), S-Bahn Westend, Bus: 109, 110, 145, X9, X26. 12. Freitag, 26. April 1996, 16 bis 18 Uhr: „Hinter den Kulissen der Staatsbibliothek (Potsdamer Straße): Führung durch die techni>cheii.Zentralen" mit Klaus-G. Wolny, Referat Haustechnik. Treffpunkt: Haupteingang, Eingangshalle. U 1 und U 15 (Kurfür­ stenstraße), Bus: 129, 142, 341, 348. 13. Vorankündigung: Sonnabend, 8. Juni 1996, 14 bis 17 Uhr: „City-Projekte und Hauptstadtplanung", städtebauliche Busrundfahrt mit Armin Woy. Auf der dreistündigen Rundfahrt (mit kurzer Pause) werden die Neubauprojekte Berlins an Ort und Stelle vorgestellt. Die Fülle von Informationen macht die Fahrt zu einem einzigartigen Erlebnis. Kostenbeitrag: 21 DM pro Person. Die Anmeldung erfolgt durch Zusendung oder persönliche Übergabe eines Verrechnungsschecks an den SchrLt. Dr. Uhlitz, Brixplatz 4, 14052 Berlin. Treff­ punkt: Haupteingang Zoo, Löwentor, Hardenbergplatz. Bus der Fa. „Grenzenlos". Statistik: Bei den 34 Veranstaltungen des Jahres 1995 konnte ich 1480 Teilnehmer begrüßen, so daß sich eine durchschnittliche Teilnehmerzahl von 44 Personen pro Veranstaltung errech­ net. Ich schließe daraus, daß Sie Spaß und Interesse an dem Angebot hatten. Das soll auch künftig so bleiben; für Ihre Ideen und Verbesserungsvorschläge bin ich stets dankbar. Ihr Manfred Uhlitz

Bibliothek: Berliner Straße 40,10715 Berlin-Wilmersdorf, Telefon (0 30) 8 73 2612. Geöffnet: mitt­ wochs 16.00 bis 19.30 Uhr. U7 (Blissestraße), Bus 101, 104, 204, 249.

Vorsitzender: Senator und Bürgermeister von Berlin a. D. Hermann Oxfort, Breite Straße 21,13597 Berlin-Spandau, Telefon 3 33 2408. Geschäftsstelle: Ingeborg Schröter, Brauerstraße 31, 12209 Berlin-Lichterfelde/Ost, Telefon 7 72 34 35. Schriftführer: Dr. H. G. Schultze-Berndt, Artuswall 48, 13465 Berlin-Frohnau, Telefon 40142 40. Schatzmeister: Karl-Heinz Kretschmer, Greveweg 6, 12103 Berlin-Tempelhof, Telefon 7 53 42 78. Konten des Vereins: Postbank Berlin (BLZ 10010010), Kto.-Nr. 433 80-102,10559 Berlin; Berli­ ner Bank AG (BLZ 100 200 00), Kto.-Nr. 03 81801200. Die MITTEILUNGEN erscheinen vierteljährlich zum Quartalsanfang. Herausgeber: Verein für die Geschichte Berlins, gegr. 1865, Schriftleitung und Veranstaltungsorganisation: Dr. Manfred Uhlitz, Brixplatz 4, 14052 Berlin-Charlottenburg, Telefon 3 05 96 00 und 01715 2012 01, Fax 3 05 38 88; Dr. Christiane Knop, Rüdesheimer Straße 14, 13465 Berlin-Frohnau, Telefon 40143 07; Beiträge bitte an die Schriftleiter senden. Redaktionsschluß: 1. März, 1. Juni, 1. September, 15. November. Abonnementspreis ist durch den Mitgliedsbeitrag gedeckt. Bezugspreis für Nichtmitglieder: 36 DM jährlich. Neumitglieder sind herzlich willkommen! Jahresmitgliedsbeitrag z. Zt. 60DM (80 DM; Ehepaare 120 DM) inkl. Bezug der MITTEILUNGEN und des Jahrbuchs. Beitrittserklärungen bitte formlos an die Geschäftsstelle. Herstellung: Westkreuz-Druckerei Ahrens KG Berlin/Bonn, 12309 Berlin. Nachdruck, auch auszugsweise, nur mit Genehmigung der Schriftleitung.

36 Piicr.iexetnpsa* A 1015 F MITT DES VEREINS FÜR DIE GESCHlCffifefeEllLINS GEGRÜNDET 1865

92. Jahrgang Heft 2 April 1996

Abb. 1: Kronprinz Friedrich Wilhelm. Gemälde von Friedrich Wilhelm Weidemann „In tormentis pinxit" Eine medizin-historische Betrachtung über den Soldatenkönig Von Hans-Joachim Neumann

Bevor das Lebenswerk des für mich fundamentalsten und originellsten Preußenkönigs gewür­ digt werden soll, wollen wir uns seiner Krankheitsgeschichte zuwenden, deren Kenntnis für die oft unverständlichen Denk- und Handlungsweisen des Königs unerläßlich ist. Von Haus aus hatte Friedrich Wilhelm (1688 bis 1740) eine eher robuste Gesundheit, war mit­ telgroß, gut gebaut und schlank. Er hatte blaue Augen, „das schönste Haar der Welt", eine auf­ fallend wohlgeformte Nase und eine makellose Haut (Abb. 1). Seine Kindheit verlief bis auf gelegentliche Fieberattacken ohne nennenswerte Krankheiten. Auffällig allerdings waren einige Verhaltensweisen, die sich schon früh abzeichneten. Daß Kronprinz Friedrich Wilhelm ein cholerischer und jähzorniger, zugleich aber eines Tages ein äußerst willensstarker und unbeugsamer autoritärer Herrscher sein würde, ahnten alle, die seine Bekanntschaft bereits vor seiner Amtsübernahme gemacht hatten. 1707 versetzte eine schwere Krankheit Friedrich Wil­ helms den ganzen Hof in panische Angst und Schrecken, so daß sein Vater, König Friedrich 1., seinen Bischof Ursinus zu Bittgottesdiensten für die Genesung des Sohnes aufrief. Die Krank­ heit entpuppte sich als Gelbsucht, eine keineswegs harmlose Angelegenheit, aber letztlich auch nichts Lebensbedrohliches. Daß Friedrich Wilhelm die Krankheit schnell und folgenlos überstanden hatte, zeigten sein schneller Griff zum Stock wie eh und je und sein bekannter Jähzorn. In den ersten Regierungsjahren des Königs, der 1713 sein schweres Amt antrat, finden wir ihn bei bester Gesundheit. Auffällig war lediglich, daß er merklich fülliger wurde, sicherlich eine Folge seiner barocken Eß- und Trinkgewohnheiten. Der Vollständigkeit halber will ich erwäh­ nen, daß Friedrich Wilhelm 1.1719 — nach anderer Angabe 1715 — an einer Phlegmone (eitri­ gen Gewebsentzündung) erkrankte, von der ich nirgends die genaue Lokalisation finden konnte. Nach einem Gemälde seines Akademiedirektors Weidemann, von dem es mehrere Kopien gibt, muß es sich um eine Gesichtsphlegmone gehandelt haben, deren Ursache ein kranker Zahn gewesen sein kann (Abb. 2). Sein Leibchirurg Brandhorst bereitete den König behutsam auf eine chirurgische Behandlung vor, die glücklicherweise erfolgreich verlief. Als Dank kürte der König höchstpersönlich seinen Leibchirurgen vor einer Versammlung von Generälen und Ärzten zum Doktor der Medizin und hielt folgende „Laudatio" auf Brand­ horst: „Hiermit kröne ich Euch zum Doktor. Ihr seid der wahre Doktor, und Ihr seid wahre Blatterscheißer, schert Euch nach Hause." Und damit schmiß er die studierte Ärztemannschaft raus — womöglich war dies der merkwürdigste und kurioseste akademische „Festakt", den es je gegeben hat. Mit 35 Jahren brachte Friedrich Wilhelm bei einer Größe von 1,65 m bereits 2V2 Zentner auf die Waage, so daß der Griff zum Stock zwangsläufig wurde und nun nicht mehr allein zum Zweck des Prügeins. Im Winter 1726 begann die eigentliche Leidensgeschichte des Königs, und zwar mit einem Gichtanfall, den er nach einer Jagd in Pommern erlitt, und der sich 1729, ebenfalls nach einer Jagd, diesmal im Köpenicker Holz, wiederholte und ihn in Potsdam für Wochen an das Bett fesselte. Damit war es zur traurigen Gewißheit für den König geworden, daß auch er die Fami­ lienkrankheit der Hohenzollern geerbt hatte, denn nicht allein sein Vater, sondern in viel aus­ geprägterem Maße der Große Kurfürst, sein Großvater, waren bereits gichtkrank gewesen, wie

38 Abb. 2: Friedrich Wilhelm I. — Gemälde um 1720 (Friedrich Wilhelm Weidemann zugeschrieben oder Selbstbildnis des Königs?)

einige weitere brandenburgische Kurfürsten auch — allen voran Albrecht Achilles. Während seines Schmerzenslagers war Friedrich Wilhelm noch unleidlicher als sonst. Wie unerträglich diese Schmerzen für ihn waren, können wir einem Brief entnehmen, den er am 26. Februar 1729 dem Alten Dessauer, vielleicht seinem einzigen Freund, schrieb: „Denn ich in 12 dage nits als grausamme schmertzen gehat... bevor ich es wieder bekommen solte, so mache der liebe, liebe Gott ein ende mit mir. Denn sterben ist sanfft, aber dieses leiden unertreglich, aber viehisch ist" (Abb. 3). Interessant ist des Königs Malerei, die er besonders intensiv betrieb, wenn seine Krankheiten ihn ans Bett oder an den Rollstuhl fesselten. Im Hinblick auf den künstlerischen Wert seiner Bilder — überwiegend Porträts und häufig Kopien bekannter Meister — sind Zweifel niemals aufgekommen, auch wenn der König sich kollegial zwischen Cranach, Rubens und van Dyck plazierte. Seine Tochter Wilhelmine, die alles tadelte, was von dem König kam, bezeichnete die väterlichen Produktionen geringschätzig als „Sudeleien". Für den König selbst bedeutete die Malerei jedoch Ablenkung von seinen Schmerzen, von seinen Krankheiten überhaupt und hatte damit einen Behandlungswert. Bemerkenswert an seinen Bildern war das ungewöhnliche Signum, das wir seit 1734 auf den Gemälden Friedrich Wilhelms finden. Fassmann, der 1735, also noch zu Lebzeiten des Königs, eine Biographie über Friedrich Wilhelm herausgab, schrieb

39 Abb. 3: Fürst Leopold von Anhalt-Dessau (der „Alte Dessauer"). Nach einem Standbild von J. G. Schadow

über die königlichen Produktionen: „ ... so stehet unter einem jedweden (Porträt, d. A.) das Jahr und der Tag angemercket, wann es fertig worden, nebst denen Worten: Fridericus Wilhel- mus in tonnentis pinxit; das ist: Fridericus Wilhelmus hat dieses in seinen Schmerzen gemah­ let" (Abb. 4, 5 u. 6). In den Folgejahren nahm nicht nur seine Leibesfülle, sondern leider auch der königliche Jäh­ zorn ständig zu, während der Abstand der Gichtanfälle immer kürzer wurde. Hinzu gesellte sich seit Beginn der 30er Jahre die Wassersucht mit Kurzatmigkeit bis hin zu Erstickungsanfäl­ len. Aber von seiner hohen Auffassung vom Königsamt gab es keine Abstriche. Im dienstlichen Bereich war König Friedrich Wilhelm I. die Inkarnation von Disziplin, so disziplinlos dieser Mann bezüglich seiner Eß- und Trinkgewohnheiten auch sein mochte.

40 Abb. 4—6: König Friedrich Wilhelm I. als Maler

' '1

Abb. 4: Zwei streitende Juden, undatiert

Abb. 5: Bohnenkönig, 1736 Abb. 6: Selbstporträt des Königs als „Mijnheer van Hoenslardyck", 1737

41 Als Friedrich Wilhelm 1734 seine Truppen in den Rheinkrieg führte, schlief er inmitten seines Feldlagers in einem Zelt, während die Generäle des Reichsheers in den umliegenden Herren­ häusern und Schlössern Quartier bezogen. Der Krieg selbst erschöpfte sich in Besuchen und Gegenbesuchen, bis es eines Tages zu einem Aufsehen erregenden Zwischenfall kam: der Preußenkönig brach zusammen. Diesmal jedoch war es nicht allein die Gicht, die ihn nieder­ warf. Die hochgradige Wassersucht hatte seinen Leib und sein Gesicht bis zur Unkenntlichkeit entstellt, und seine Kurzatmigkeit machte jede Bewegung, ja jeden Schritt unmöglich. Das Herz war es, was zu versagen drohte, und so brachte man den todkranken König auf einem Wagen in das Schloß Moyland im Clevischen, bis seine Heimkehr nach Potsdam von seinem Leibarzt Eller verantwortet werden konnte, wo er noch monatelang das Bett hüten mußte. Viele Ärzte, unter ihnen der bekannte Friedrich Hoffmann, den der König eigens aus Halle rufen ließ und der vier Monate bei ihm blieb, bemühten sich um den schwerstkranken Patien­ ten. Eine kurative Behandlung konnte dem König selbstverständlich nicht zuteil werden, man erkannte ja nicht einmal die eigentliche Diagnose. Und so wurden allerhand symptomatische Mittel versucht wie Balsamica, Roborantia, Diaphoretica und Laxantia. Während der König überwiegend im Bett saß, denn liegend war die Atemnot zu groß, griff er allmählich wieder zum Pinsel und zur Leinwand und malte unverdrossen. Wegen der Schmerzen in den Händen ließ er sich oft von seinen Hofmalern die Konturen für seine Kompositionen vorzeichnen, die er ledig­ lich noch kolorierte. Aber ganz allmählich erholte sich der König wieder, so daß er am 21. Januar 1735 in Nachtmütze und Pelzkappe Potsdam verlassen konnte, erstmals übrigens in geschlossener Kutsche. In Eisbärfelle gehüllt traf er in Berlin ein und holte hier die ausgefallene Weihnachtsbescherung nach. Die Krankheit hatte den König offenbar geläutert, ihn mild und großherzig gestimmt. Zum erstenmal bestanden seine Weihnachtsgeschenke nicht mehr aus den ewigen blauen preußischen Tuchen, sie waren diesmal wahrhaft königlich. Der Kronprinz wurde am generösesten bedacht: ihm schenkte der Vater das Schloß Rheinsberg. Im Januar 1735 hatten die Ärzte, die den König behandelten, gemeinsam ein „Journal von Sr. Königl: Majestaet Kranckheit vom 14. September 1734 bis den 20. Januar 1735" vorgelegt, einen Abschlußbericht, der wegen seines Umfangs hier nicht wiedergegeben werden kann (Abb. 7 u. 8). Gewiß, der Zustand Friedrich Wilhelms hatte sich gebessert, aber seine Schwäche war so groß, daß er bei der Tafel plötzlich einschlief, Messer und Gabel fallen ließ und abends in seinem geliebten Tabakskollegium drei bis vier Pfeifen zerbrach, die ihm aus der Hand fielen. Was man für Schlafsucht hielt, war reine Schwäche. Abdankungsgedanken befielen ihn immer häufiger, und so traf er ernsthafte Vorbereitungen, den Rest seiner Tage als Privatmann ent­ weder in Holland oder als Gutsherr in Königs Wusterhausen, ja auch auf Kossenblatt zu ver­ bringen. An sich hatte der König wie durch ein Wunder seine schwere Krankheit von 1734 überstanden und war noch einmal in seinen gewohnten Pflichtenkreis zurückgekehrt. Ohne Schmerzen jedoch war er nun nie mehr, trotzdem nahm er seine Visitationen wieder auf und durchreiste seine Provinzen wie eh und je, wobei Ostpreußen immer eines seiner „schönsten Länder" für ihn blieb. Aus seiner für 1738 geplanten und durch seinen Hofrat und Professor Morgenstern, der auch Mitglied des königlichen Tabakskollegiums war, vorbereiteten Übersiedlung in das holländi­ sche Hoenslardyck wurde jedoch nichts mehr, denn seine Gicht und hochgradige Wassersucht fesselten den König aufs neue für Wochen an das Bett. Jetzt blieb ihm nur noch der Wechsel zwischen Bett und Rollstuhl, den er sich nach seinen eigenen Entwürfen anfertigen ließ (Abb. 9 u. 10). Der König muß in seinen letzten Monaten auf seine Mitmenschen einen bedauernswer­ ten und schlimmen Eindruck gemacht haben, den Freiherr von Bielfeld so beschrieb: „Seine

42 Abb. 8: König Friedrich Wilhelm I. von Preußen. Porträtkupfer von 1735 aus der Biographie von D. Fassmann

Augen sind zwar schön, aber sein Anblick ist fürchterlich. Die Farbe des Gesichts schattiert in Rot, Blau, Gelb und Grün. Der dicke Kopf steckt tief in den Schultern. Die ganze Figur ist kurz und gedrängt." Am 31. Mai 1740, einem Dienstag, gegen 14 Uhr starb König Friedrich Wil­ helm I. von Preußen. Er war erstickt. Friedrich Wilhelms Krankheit ist zwar damals schon zu Recht als Wassersucht beschrieben worden, sie war aber lediglich ein Symptom, der Endzustand eines erworbenen chronischen Herzleidens. Es ist nicht auszuschließen, daß seine Wassersucht zusätzlich noch durch eine gestörte Nierenfunktion verstärkt wurde, denn die Gicht und eine Arteriosklerose, die sich als Folge eines Bluthochdrucks entwickeln konnte, den der König für mich auch fraglos hatte, haben möglicherweise eine Ausscheidungsstörung der Nieren verursacht und die Wassersucht verstärkt. Spätestens seit 1734 war Friedrich Wilhelm I. ein schwerkranker Mann. Es ist erstaunlich, daß er ohne eigentliche Behandlung so lange überlebte, denn alle 1734 bereits vor­ handenen Krankheitssymptome deuteten damals schon auf ein chronisches Cor pulmonale mit „Herzasthma" hin.

43 Abb. 9: Das berühmte Tabakskollegium des Soldatenkönigs. Zeichnung von Carl Röchling

Friedrich Wilhelm I. war ohne Frage eine außergewöhnliche Persönlichkeit. Selten vereinten sich in einem Herrscher soviel Realitätssinn, Pflichtgefühl und Sendungsbewußtsein. Im Hin­ blick auf diese Eigenschaften hält kaum ein anderer Preußenkönig den Vergleich mit ihm aus. Er war kein Thronfolger im üblichen Sinne; viel eher war er ein Revolutionär, denn nichts Überkommenes hielt seiner Prüfung stand. Seine Auffassung vom Herrscheramt gründete Friedrich Wilhelm auf die pietistische Idee der Arbeit für die Gemeinschaft. Aufs Tatchristen­ tum kam es ihm an. Seine Aufgabe als König mußte ohne den Segen seines Schöpfers scheitern. „Wenn ich baue und verbessere das Land und mache keine Christen, so hilft mir alles nichts." So verstand er sein Amt und seinen Auftrag. Sein Wirken war von einer ungeheueren Durch­ schlagskraft. Kein preußischer König nach ihm, auch nicht sein großer Sohn, hat so viel bewirkt und grundlegend Neues geschaffen wie der Soldatenkönig. Als er im Jahre 1713 sein schweres Amt antrat, war Preußen dem Ruin so nahe, daß ausländische Beobachter dem Land kein Überlebensjahr mehr gaben. In seiner 27jährigen Regierungszeit gesundete das Land zum all­ gemeinen Erstaunen in solchem Maße, daß er seinem Sohn die stattliche Summe von zehn Mil­ lionen Talern hinterließ. Zur Verordnung und Durchsetzung einer Radikalkur bedurfte es genau des scharfen Arztes, der Friedrich Wilhelm war. Viele sogenannte preußische Tugenden waren Friedrich Wilhelms Eigenschaften. Militärisch war Preußen vor ihm nie gewesen. Der König aber schaffte es, sein Land aus dem ehrenrührigen Zustand einer Auxiliarmacht zu befreien. Aber er hinterließ nicht nur eine formidable Armee, sondern auch ein perfekt funk­ tionierendes Verwaltungswesen sowie rentabel arbeitende Domänengüter und Manufakturen. Erstaunlich sind die ideellen Güter, die Friedrich Wilhelm hinterlassen hat, Eigenschaften und Haltungen, die sich in Preußen bis zu seinem Ende nicht verbrauchten.

44 Ein Mangel aller Beurteilungen und Betrachtungen über König Friedrich Wilhelm I. ist die Nichtbeachtung von Krankheiten, die als mögliche geschichtsbildende Faktoren durchweg ver­ nachlässigt worden sind. Natürlich bleibt es unbestritten, daß die Betrachtung herausragender Persönlichkeiten aus medizinischer Sicht nur einen Baustein des komplizierten und schwer durchschaubaren Geschehens bilden kann, da den Verhaltensweisen der Menschen auch immer etwas Vages und Unberechenbares zugrunde liegt. Friedrich Wilhelms harsches Auftreten nicht nur gegen seinen Sohn, sein schneller Griff zum Stock sowie sein gefürchteter Jähzorn haben seinem Ruf in der Geschichte ohne Frage den schwersten Schaden zugefügt. Zunächst soll die Frage beantwortet werden, ob diese Eigen­ schaften im Lauf seines Lebens ausgeprägter wurden und ob eine Beziehung zu seinen schwe­ ren Krankheiten hergestellt werden kann. Fest steht, daß der König seit 1734 ein schwerkran­ ker Mann war. Er erholte sich zwar wieder, aber gesund sollte er nicht mehr werden. Infolge sei-

Abb. 10: Rollstuhl des Königs im Potsdamer Schloß. Historische Aufnahme.

45 ner körperlichen Hilflosigkeit und der Einsicht in seinen schlimmen Zustand reagierte der Kranke über und wurde immer reizbarer. Der Stock saß ihm noch lockerer als zuvor, und wenn es stimmt, dann griff er nun auch zu mit Salz geladenen Pistolen. Daß ständige Schmerzen bei einer emotional so unausgeglichenen Persönlichkeit zu solchen Temperamentsausbrüchen führen können, ist keineswegs ungewöhnlich. Der König war in solchen Augenblicken seinen Aggressionen voll ausgeliefert, seine Umwelt war es erst recht. In seinen „späten" Jahren, den Jahren des Siechtums, lassen Friedrich Wilhelms Verhaltensweisen paranoide Züge erkennen. Überall sah er Bedrohungen und Gefahren. Er fühlte sich angegriffen und hintergangen, meist ohne jeden realen Hintergrund, und dort, wo es ihn wirklich gab, sah er ihn nicht. Sein Miß­ trauen wurde immer unerträglicher. Dabei war er klar im Denken, wie es für die Entwicklung paranoider Störungen ganz typisch ist, für Wahnvorstellungen, die man dem König schon Ende der 20er Jahre nachgesagt hatte. Allem Anschein nach war Friedrich Wilhelm von Haus aus eine erregbare Persönlichkeit, die ihre pathologischen Temperamentsausbrüche nicht steuern konnte. Seine Impulsivität hatte dispositionsbedingt ihre Eigendynamik. Jeder geringe äußere Reiz löste bei ihm die heftigsten Aggressionen aus. Bei einer solchen emotional unausgeglichenen Persönlichkeit sind selbst Gewalttaten keine Seltenheit, und seine körperlichen Züchtigungen hatten ja durchaus etwas Gewalttätiges. Emotional unausgeglichen und explosiv trat Friedrich Wilhelm dann sein Amt als König an — nun sollte er durch wesentlich stärkere äußere Reize, die sein verantwortungs­ volles Amt zwangsläufig mit sich brachte, noch unbeherrschter und aggressiver werden, was seine Umgebung von Anfang an in voller Härte zu spüren bekam. Schon bei seinem Regie­ rungsantritt quittierten viele von sich aus ihren Dienst, und mit der von ihm durch einen Feder­ strich erledigten Hofrangordnung schickte er den Rest nach Hause. Daß seine Zornesausbrü­ che und seine pathologische Stimmungslabilität durchaus nicht den gesellschaftlichen Normen entsprachen, erkannte der König ganz klar. Er selbst hielt sich für krank und beklagte seinen Jähzorn noch in seinen Sterbestunden. Er hatte sich ja früher schon in Wusterhausen Gotthilf August Francke anvertraut, dessen Ratschläge, in solchen Fällen doch einen Arzt zu konsultie­ ren, er selbstverständlich nicht befolgte. Sein Jähzorn und die Prügelsucht, Symptome einer erregbaren Persönlichkeit, entsprangen mit hoher Wahrscheinlichkeit einer anlagebedingten Störung im psychogenen Bereich und hatten demzufolge einen Krankheitswert. Sicher kann der König nicht völlig freigesprochen werden, aber man macht es sich auf jeden Fall zu leicht, ihn wegen seines cholerischen Verhaltens rundweg zu verurteilen, da er dafür nicht verantwort­ lich zu machen war. Seine seit 1729 geäußerten Abdankungsgedanken hingen fraglos auch mit seinen organischen Erkrankungen zusammen. Das war keine Koketterie, es war ihm ernst, weil er durch seine stän­ digen Schmerzen und seine körperliche Hinfälligkeit des Regierens müde und überdrüssig geworden war. In Hoenslardyck oder auch in Kossenblatt wollte er als Privatmann ohne die Bürde eines schweren Herrscheramtes seine Erdentage beschließen. Doch es kam anders, und die Gestaltung der Zukunft lag nicht mehr in seiner Hand, denn seine Krankheiten ließen keine Spielräume und größere Entscheidungen mehr zu. Er war ja immer überzeugt davon gewesen, daß Könige mehr leiden müßten als andere Menschen — also war es von Gott gewollt, daß er seinen Auftrag bis zum Ende zu erfüllen hatte. Die Auswirkungen der organischen Krankheiten auf Friedrich Wilhelms Leben und sein Werk zeigten sich vordergründig in seiner Wesensänderung, in seiner Bereitschaft, dem Thron zu entsagen und notgedrungen abzudanken. Krankheitsfolgen mit möglichen politischen Konse­ quenzen sind vage und schwer erkennbar. Trotz Krankheit und Schmerz gab es keine Abstriche von seiner hohen Auffassung vom Königsamt. Er arbeitete selbst noch am 30. Mai, dem letzten

46 Tag vor seinem Tod. Von seinem Gott ins Königsamt berufen, hatte er Preußen so lange zu die­ nen, wie es sein Schöpfer zuließ und von ihm forderte. Seine geplante Abdankung entsprang daher einer krankheitsbedingten, ganz normalen menschlichen Reaktion, wenn ihn zusätzlich auch die politischen Zustände ringsherum „chagrin" machten. Aber gottgefällig wäre dieser eigenmächtige Schritt wohl nicht gewesen, dessen war sich der König bewußt. Eine nicht zu leugnende Konsequenz hatten seine schweren Krankheiten freilich: seinen frühen Tod. Am Ende steht ein Mann vor uns, dessen großes Werk, aber bedenkliche Verhaltensweisen sich schwer zu einem Bild verdichten lassen. Wenn Arbeit, Pflicht und Disziplin der einzige Sinn des Lebens sind und damit jegliches Verhalten rechtfertigen, dann kann man Friedrich Wilhelm I. einen großen König nennen. Wenn aber Selbstbeherrschung und menschliche Umgangskultur den Wert bestimmen, dann kommt man bei diesem König in Verlegenheit. Hier liegt wohl auch der Schlüssel für sein schwankendes Bild in der Geschichte. Legt man dagegen in der Beurtei­ lung die beschriebene Persönlichkeitsstörung des Königs zugrunde, dann muß man auch bereit sein, seine Krankheit in Rechnung zu stellen, denn ohne Frage hatten seine Verhaltensweisen Krankheitswert. Damit bleibt am Ende das, was dieser König in Wirklichkeit gewesen ist: Ein großer Mann für Preußen, der ein neues Königtum begründete und einen Staat geschaffen hat, der im Spiel der europäischen Mächte bald von sich reden machen und Jahrhunderte überdau­ ern sollte. Dieser Wertungsversuch will nicht als Rechtfertigung verstanden sein. Aber er will zur Rektifi­ zierung des Königsbildes beitragen und ganz besonders jenen Gesichtspunkt in der Beurtei­ lung herausstellen, der bislang durchweg vernachlässigt worden ist: die Krankheit nämlich.

Anschrift des Verfassers: Professor Dr. Dr. Hans-Joachim Neumann, Wilhelmstraße 91, 10117 Berlin-Mitte

Literatur: Klepper, Jochen: Der Vater. Stuttgart: Deutsche Verlags-Anstalt 1937 Neumann, Hans-Joachim: Friedrich Wilhelm I. — Leben und Leiden des Soldatenkönigs. Berlin: edition q 1993

Ein Frauenmuseum im Charlottenburg der Weimarer Zeit Von Monika von Oertzen

Als ich vor einiger Zeit verschiedene Zeitungen und Zeitschriften aus den 20er Jahren durch­ sah, fiel mir ein kurzer Aufsatz mit dem Titel „Aufgabe und Zweck eines Volksmuseums für Frauenkunde" in die Hände. Ein Frauenmuseum? Darüber wollte ich mehr erfahren. Ich begab mich auf Spurensuche und entdeckte eine bemerkenswerte frauenmedizinische Einrich­ tung aus dem Charlottenburg der Weimarer Zeit, die fast vergessen scheint. Zu Unrecht, wie ich meine. Das Volksmuseum für Frauenkunde gehörte zum Deutschen Institut für Frauenkunde, einer medizinischen Forschungseinrichtung, in der nicht nur geforscht und behandelt wurde, son­ dern auch mit dem Mittel der Ausstellung auf die besonderen sozialen und medizinischen Pro-

47 Blick in die Ausstellungsräume des Volksmuseums für Frauenkunde in Berlin. Alle Abb. dieses Auf­ satzes aus: Das Volksmuseum für Frauenkunde Berlin, hg. vom Deutschen Institut für Frauenkunde, Berlin-Charlottenburg 1929, Deutsches Hygiene-Museum, Dresden (Bibliothek).

bleme und Fragen der Frau aufmerksam gemacht wurde. Das Museum stand in der Tradition der aufklärenden und volksbildenden Ausstellungsarbeit der Weimarer Republik. Ausstellun­ gen sollten nicht mehr nur der Kunst vorbehalten sein, sondern als anschauliches Medium auch Themen des Alltags, der Gesundheit und der Hygiene behandeln. 1925 wurde das Institut vom Hauptverband der Deutschen Krankenkassen gegründet. Es war Teil des sozialhygienischen Konzeptes der Kassen, zu dem auch die zahlreichen Ambulatorien sowie die Ehe- und Sexual­ beratungsstellen gehörten, von denen es einige auch in Charlottenburg gab. Seit dem Ende des Ersten Weltkrieges nahm die Erwerbstätigkeit der Frauen zu. 1924 wurde von den Kassen die Familienversicherung eingeführt. Durch diese Faktoren stieg der Anteil der weiblichen Versi­ cherten. Das Interesse der Kassen an einer sozialorientierten Gynäkologie wuchs mit der Zunahme der weiblichen Mitglieder. Die Kassen versprachen sich von einer gesundheitlichen und hygienischen Belehrung und Aufklärung langfristig eine Abnahme des weiblichen Kran­ kenstandes — er war erheblich höher als der männliche — und damit eine Senkung ihrer Kosten. Wilhelm Liepmann (1878—1939), einer der führenden Vertreter der sich seit Beginn des 20. Jahrhunderts entwickelnden sozialen Gynäkologie, wurde der Leiter dieses einmaligen Projekts. Im Mittelpunkt der sozialen Gynäkologie, eines Zweigs der sozialen Medizin, stand eine gesellschaftsbezogene Betrachtungsweise bei der Beurteilung der Entstehung der Krank­ heiten. Untersuchungsgegenstand waren die Wechselbeziehungen zwischen den Lebensum-

4N ständen der Frauen und den Ursachen ihrer Krankheiten. Liepmann bezeichnete die soziale Gynäkologie auch als Frauenkunde. Der Begriff Frauenkunde geht auf den Münchner Gynä­ kologen Franz von Winckel zurück (1837—1919) und umfaßt nicht nur die weiblichen Krank­ heiten, sondern in einem weiteren Sinn alle Fragen, die die Frau betreffen. Liepmann, der eine Zeitlang ein Schüler Winckels war, übernahm diesen Terminus gleichsam programmatisch für das Institut und Museum. Das Institut für Frauenkunde setzte in seiner Arbeit drei Schwer­ punkte: die Bekämpfung des Abortproblems, der noch immer hohen Müttersterblichkeit und der Krebserkrankungen. Liepmann und seine Mitarbeiter stellten sich diesen Aufgaben gleich mehrgleisig: sie leisteten Forschungsarbeit im Institut, führten Heilbehandlungen in der Klinik durch, halfen den Frauen beim Gebären in der Entbindungsanstalt und betrieben hygienische Aufklärung und Gesundheitserziehung im Museum. Daß er diesen Weg ausschließlich mit männlichen Mitarbeitern bestritt, wurde zum Teil kritisch gesehen, z. B. veranlaßte dies eine Kollegin, die Ärztin Ilse Szagunn, zu der Bemerkung: „Doch scheint mir gerade hierbei die Mitarbeit des weiblichen Arztes (. . .) nicht zu entbehren zu sein."1 In vielen medizinischen Einrichtungen, die vorwiegend von Frauen besucht wurden, wie z. B. den Ehe- und Sexualbe­ ratungsstellen, arbeiteten häufig Ärztinnen. Sie verstanden die Probleme der Patientinnen bes­ ser und genossen mehr Vertrauen als ihre männlichen Kollegen. Die Ausstattung des Instituts und der Klinik galt als vorbildlich für die damalige Zeit. Die modernsten medizinischen Ver­ fahren kamen zur Anwendung. Die Inneneinrichtung der Krankenzimmer war nach neuesten psychologischen Erkenntnissen gestaltet. Jedes Zimmer hatte maximal fünf Betten, an denen sich für jede Patientin Radiokopfhörer befanden. Die Einrichtung befand sich bis zu ihrer Auf­ lösung Ende April 1933 in der Berliner Straße 137, heute Otto-Suhr-Allee 59, im sogenannten Cecilienhaus.

Schwangere Frau. Elfenbeinfigürchen aus dem 17. Jahrhundert, Ausstellungsexponat des Volksmu­ seums für Frauenkunde in Berlin.

4') Auch die Vorgeschichte dieses Hauses, benannt nach der Kronprinzessin Cecilie, ist ein Stück interessanter Bezirksgeschichte. Seit es im Jahre 1909 errichtet wurde, beherbergte es immer soziale und medizinische Einrichtungen. Das Volksmuseum für Frauenkunde war schon bei der Gründung des Instituts als erster Gedanke in Form einer Lehrsammlung für Studierende und Ärzte vorgesehen. Sehr bald jedoch bestand die Absicht, die Bevölkerung, besonders die Frauen, mit gesundheitlicher und hygienischer Aufklärung zu erreichen und Bildung und Wis­ sen möglichst breit zu vermitteln. Liepmann entwickelte die Idee eines Museums und fand beim Hauptverband der deutschen Krankenkassen ideelle und finanzielle Unterstützung. Anhand von sechs Berichten, die das Institut jährlich in einer Broschüre herausgab — der sie­ bente Bericht konnte unter der Herrschaft der Nazis nicht mehr erscheinen —, läßt sich die Ent­ stehung des Museums gut verfolgen. Im zweiten Jahresbericht schreibt Liepmann: „Wirkliche Aufklärung für weiteste Kreise und wirklicher Unterricht für Studierende, Ärzte und Hilfsper­ sonal kann nur dann Erfolg haben, wenn die Anschauungsmittel in zweckmäßiger Form zur Verfügung stehen."2 Er beschreibt das Museum in seiner ersten provisorischen Gestalt, das in einem größeren Raum mit sieben Vitrinenschränken und einem kleinen Nebenraum untergebracht war. Der Vor­ tragssaal, der in einen großen und kleinen Saal getrennt werden konnte, wurde zum Teil auch für die Sammlungen genutzt. Museum, Vortragssäle und eine umfangreiche Bibliothek bilde­ ten eine räumliche Einheit. Sie dienten den Universitätsvorlesungen — Liepmann hatte den ersten Lehrauftrag für soziale Gynäkologie an der Friedrich-Wilhelms-Universität —, der Aus­ bildung des ärztlichen Nachwuchses und des medizinischen Personals, den Konferenzaben­ den, den Vorträgen und schließlich der öffentlichen Aufklärung. Neben den Sammlungen ver­ fügte das Institut und Museum über eine Reihe von Filmen für Unterrichts- und Aufklärungs­ zwecke. Liepmann bediente sich gern der modernsten Technik und war auch dem neuen Medium Film gegenüber sehr aufgeschlossen. „Gesunde Mütter, gesundes Volk" und „Kei­ mendes Leben" waren Filme, die sich laut Liepmann großer Zustimmung erfreuten. Liepmann wollte die Wirkung des Instituts und des Museums nicht nur auf Berlin beschränkt sehen, son­ dern er wollte mit dieser Einrichtung auf dem Gebiet der Frauenkunde das erreichen, was das Kaiserin-Auguste-Viktoria-Haus in der Säuglingsfürsorge schon seit 1909 war: eine zentrale Einrichtung des ganzen Reiches, über den engen Berliner Raum hinaus, mit Wirkung auf ganz Deutschland. Auch das Kaiserin-Auguste-Viktoria-Haus besaß ein kleines Museum für Säug­ lingspflege. Immer wieder weist Liepmann auf die Notwendigkeit eines solchen Museums hin: „So vorbild­ lich und glänzend das Hygiene-Museum in Dresden ausgestattet ist, über die spezielle Einstel­ lung der Frau in den großen Gang der Hygiene, über Menstruation, über Keimentwicklung, Entwicklungsjahre, Schwangerschaft, Geburt und Wochenbett, über Wechseljahre, über die bei der Frau auftretenden Geschwülste, über all diese Fragen, die ja in erster Linie von Bedeu­ tung sind und zur Gründung des Deutschen Instituts für Frauenkunde gedrängt haben, findet man in den allgemeinen Hygiene-Ausstellungen außerordentlich wenig."3 Das Wissen um den weiblichen Körper und seine Vorgänge war in diesen Jahren bei den meisten Menschen gering. „Wir Frauenärzte müssen immer wieder die erschreckende Beobachtung machen, wie außer­ ordentlich wenig die Frauen von ihrem Körper wissen. Wie viele sind über die Vorgänge der monatlichen Blutung und notwendigen Maßnahmen während dieser Zeit nicht unterrichtet! Wie wenige Frauen, die acht Stunden täglich an der Maschine stehen, kennen die Schäden der Fabrikarbeit, besonders wenn sie noch durch Schwangerschaft, Kinderaufzucht und häusliche Arbeiten belastet werden! Tausende Frauen sterben in Deutschland jährlich am Abort, Tau­ sende am Kindbettfieber, Tausende an Krebs, der, wenn er frühzeitig erkannt und behandelt

50 Geburtsszene um 1500. Ausstellungsexponat des Volksmuseums für Frauenkunde in Berlin. wird, heilbar ist", schreibt Liepmann 1930 in der „ Gesundheit", einer Zeitschrift der Kranken­ kassen. Und er lädt die Leser und Leserinnen zu einem Besuch des Museums ein: „Jede Mut­ ter, die in sachgemäßer Weise ihre heranwachsende Tochter aufklären will, jede arbeitende Frau, die die Schäden der Berufsarbeit durch verständige Maßnahmen zu vermeiden bestrebt ist, und nicht zuletzt die Männer, die von der Wunderwelt des ersten Entstehens am wenigsten wissen — alle sind herzlichst eingeladen, diese neue Stätte der Belehrung zu besuchen."4 Schon 1928 war das Volksmuseum für Frauenkunde mit einer kleinen Ausstellung zum Thema „Mutter und Kind in der Kunst" an die Öffentlichkeit getreten. Das Thema der ersten Ausstel­ lung war programmatisch für das Museumskonzept. Entsprechend Liepmanns Frauenbild hatte die Dauerausstellung des dann 1929 eröffneten Museums vorrangig die Funktion, die Frau in ihrer Mutterrolle zu bestärken. Einige Zeitungsberichterstatter bezeichneten es darum auch als ein „Mutterschaftsmuseum". Liepmann hatte wie viele Ärzte der Weimarer Zeit tradi­ tionelle Vorstellungen von der Lebensgestaltung der Frau. Er definierte sie in erster Linie über ihre mögliche Rolle als Mutter. In seinen Schriften und Vorlesungen betonte er stark die Polari­ tät der Geschlechter. Sein auf Theorien des 19. Jahrhunderts fußender biologistischer Ansatz konstruierte einen Gegensatz der Geschlechter, der dem vernunftbetonten, produktiven Mann die vom „Mutterinstinkt"' und „Fortpflanzungstrieb"6 geleitete Frau gegenüberstellte. In einer seiner Schriften heißt es: „Das mangelnde Abstraktionsgefühl läßt die Frau niemals in der Wis­ senschaft heimisch werden; die Wissenschaft, dem Manne der Ausfluß seines zeugenden pro-

51 „Gesundheit — des Lebens höchstes Gut, Mütterlichkeit — des Lebens Krone". Wandgemälde im Vortragsraum des Volksmuseums für Frauenkunde Berlin.

duktiven Prinzips, ist ihr nur ein Surrogat für das nährende Prinzip der Mütterlichkeit, und die ganze Frau hängt den Doktorhut an den Nagel, wenn es gilt, die Wiege zu schaukeln."7 An anderer Stelle sagt er: „Der Seelentrieb der normalen Frau ist die Mütterlichkeit, die sie ebenso unbewußt zum Puppenspiele wie zum Manne treibt, bis sie schließlich im Kinde den Gipfel­ punkt ihres Seins erlebt. Die Mütterlichkeit ist der Frau, was dem Manne sein Werk."8 Die Berufstätigkeit der Frau akzeptierte Liepmann nur, wenn sie vorübergehend war, quasi als Intermezzo vor der Ehe. „Keine verheiratete Frau gehört in den Betrieb", sagte er in einer Rede zum Thema Frauenarbeit. Die Frauenarbeit koste ungeheure bevölkerungspolitische Opfer.9 Die Konzeption des Museums wollte jedoch nicht primär die Frau in ihrer Rolle als individuelle Mutter, sondern deren Funktion als Gebärerin und Erhalterin von Staat und Gesellschaft dar­ stellen. Die zahlreichen Leitsprüche des Instituts und des Museums wie „Gesunde Mütter, gesundes Volk", „Wer der Hygiene der Frau nützt, fördert Volkstum und Staat" lassen eine volkswirtschaftliche und bevölkerungspolitische Position zur Frau und Mutterschaft erkennen. In seiner Eröffnungsrede erklärt er die Frau als wichtigstes Kapital des Staates, das gesund und lebensfrisch zu erhalten Ziel des Museums sei.10 Das Museum war dienstags und freitags von 18 bis 21 Uhr und sonntags von 10 bis 13 Uhr geöffnet, der Eintritt war frei. Eine kleine Broschüre, für 20 Pfennig erhältlich, beschreibt detailliert die Ausstellung und erläutert die einzelnen Abteilungen. In einer zeitgenössischen Besprechung wurde es als „wohltuend" vermerkt, daß „beim Eintritt in das Museum das Auge nicht gleich auf medizinische Präparate und Abbildungen fällt"." Das Entree der Ausstellung war dem Thema „Mutterliebe" bei Mensch und Tier gewidmet. Künstlerische Darstellungen der Mutter-Kind-Beziehung in alten Tonreliefs stimmten die Besucher auf eine zentrale Aus­ sage der Ausstellung ein: Die eigentliche Bestimmung der Frau ist die Mutterschaft. In einem Nebenraum war „eine kuriose und abwechslungsreiche Sammlung" aufgebaut, schreibt die Dortmunder Zeitung im November 1928.12 In sieben bühnenmäßig eingerichteten und mit verschiedenen Lichteffekten versehenen Dioramen wurde die Geschichte der Geburtshilfe erzählt: Entbindungsszenen aus alter und neuer Zeit, vom alten Ägypten bis zu den 20er Jah­ ren in einer modernen Klinik. Gegenstände wie Gebärstühle aus früheren Jahrhunderten, geburtshilfliche Instrumente aus Pompeji, alte Hebammenbücher, z. B. von der Kurfürstlichen Brandenburgischen Hofwehmutter Justine Siegismundin, und verschiedene Amulette, die die Frau in der Schwangerschaft schützen sollen, vervollständigten die Abteilung. Eine Sammlung von Werken bildender Kunst thematisierte das Schönheitsideal der Frau in verschiedenen Zei-

52 Mode-Torheiten. Ausstellungsexponat des Volksmuseums für Frauenkunde in Berlin. ten und bei verschiedenen Völkern. Zeichnungen von Käthe Kollwitz zeigten die Not der Pro­ letarierfrauen und ihrer Kinder, Fotografien aus Fabriken und Werkstätten die gesundheits­ schädigende Arbeit der Frau. In einer beim Mittelalter beginnenden Sammlung von Kupfersti­ chen wurden die Frauenmode und ihre hygienischen Torheiten kritisch beleuchtet. Einen brei­ ten Raum im Museum nahmen die Schaukästen mit den Präparaten ein. Man sah die Entwick­ lung des Eies bis zum ausgereiften Embryo, zum Vergleich die Entwicklung des Schafes und des Pavians, Skelettsammlungen vom Keimling bis zum Neugeborenen und verschiedene Fehl­ entwicklungen. Außerdem wurden in dieser Abteilung die weiblichen Organe gezeigt — z. B. als historisches Ausstellungsstück in Form eines kostbaren Elfenbeinfigürchens aus dem 17. Jahrhundert oder als Wachsmodelle — und deren krankhafte Veränderungen, z. B. durch Krebs. Das brisanteste Thema der Ausstellung — fast alle zeitgenössischen Besprechungen gehen dar­ auf ein — war das Problem der Abtreibung. Hier wurden vor allem die Gefahren des künstli­ chen Aborts drastisch vor Augen geführt. Schwere Verletzungen, die bei dem Eingriff entste­ hen können, wurden den Besuchern eindringlich vor Augen geführt. Eine Journalistin bemerkte dazu sichtlich beeindruckt: „Es ist das ernsteste, das für die Frauenwelt bedeutsam­ ste Kapitel des Museums. Und wenn man bedenkt, daß bis heute Millionen von Frauen das an ihrem und mit ihrem Körper taten, daß immer noch neue Millionen von Frauen das an ihrem und mit ihrem Körper tun, daß immer noch neue Millionen es wieder tun werden, wenn man das Zahlenmaterial über Abtreibung und Fehlgeburten verfolgt, das von Ärzten und Ärztin-

53 nen sorgsam gesammelt und veröffentlicht wird, (. . .) da hat man angesichts dieser stummen Zeugen nur noch einen Gedanken: Das Wissen um diese letzten Dinge im Frauenleben sollte Gesetz sein für das weibliche Geschlecht."13 Das Problem „Abtreibung und § 218" war in der Weimarer Zeit ein häufig und heftig diskutiertes Thema. Vor dem Hintergrund sinkender Geburtenziffern und steigender Abtreibungszahlen — bis zu einer Million Abtreibungen waren die zeitgenössischen Schätzungen pro Jahr — polarisierten sich die Standpunkte. Die einen sprachen von der „Abtreibungsseuche", „einer schweren Krankheit unseres Volkskörpers"14, die anderen vom „Klassen-, Schand- oder Mordparagraphen", der zu beseitigen sei. Liepmann argumentierte gegen den künstlichen Abort vor allem mit der Gefährlichkeit des Eingriffs. In seinem 1927 erschienenen Buch „Die Abtreibung" spricht er vom „Gespenst der Abtreibung" und führt deren Gefährlichkeit auf zahlreichen Bildtafeln drastisch vor Augen.15 „Es mordet Mütter und Kinder, läßt langsam, aber unaufhaltsam in den Seelen unserer Frauen den heilig­ sten Wunsch zur Mutterschaft erlöschen, tötet um den vergänglichen Wert besseren Erdenle­ bens höchsten Zukunftsgedanken, mordet Familie und Staat."16 Liepmann vertrat die Auffas­ sung, daß auch die legale Abtreibung ein lebensbedrohlicher Eingriff sei. Um wieviel gefährli­ cher sei dann der illegale Abort. Alle schrecklichen Verletzungen, die Liepmann in seinem Buch von der Abtreibung vorführt, sind von Ärzten verursacht worden. Vermutlich wurden die Bildtafeln auch im Museum gezeigt. Liepmann hoffte wohl auf ihre abschreckende Wirkung. In die aktuelle § 218-Diskussion der 20er Jahre schaltete er sich kaum ein, wenn auch aus man­ chen seiner Äußerungen hervorgeht, daß er Strafmaßnahmen nicht für geeignete Mittel hielt, das Problem der Abtreibung zu lösen. In einem anderen Abschnitt der Ausstellung wurde die Entstehungsgeschichte des Lebens gezeigt. Liepmann, der selbst ein leidenschaftlicher Sammler war, hatte den Anspruch, das Thema Mutterschaft in einen entwicklungsgeschichtlichen Rahmen zu setzen, um das „Wun­ der des Lebens" zu vermitteln. Das Prunkstück der Sammlung war der Abdruck einer über zwei Meter großen versteinerten Ichthyosaurierin, die im Augenblick des Gebarens von Schlammassen bedeckt, luftdicht abgeschlossen und schließlich versteinert wurde. Das Museum wurde, wie die Besucherlisten zeigen, von vielen Frauengruppen besucht. Sie kamen häufig aus dem gewerkschaftlichen und sozialdemokratischen Spektrum. Es wäre sicher inter­ essant zu erfahren, wie diese Frauen die Ausstellung aufnahmen, ob sie sich in der Darstellung wiederfanden, ob ihre Interessen, Probleme, Wünsche und Hoffnungen berücksichtigt wur­ den. Das Volksmuseum für Frauenkunde präsentierte sicherlich nur einen ausschnitthaften Blick auf die Frau der Weimarer Republik. Die Emanzipationsbestrebungen der Frauen oder andere möglichen Lebensentwürfe als die der Mutterschaft wurden kaum wahrgenommen. Es war letztlich doch sehr den traditionellen Werten verhaftet. Trotzdem ist die Pionierarbeit, die das Museum auf dem Gebiet der weiblichen Gesundheitsaufklärung und Gesundheitserzie­ hung geleistet hat, zu würdigen. Im April 1933 wurden das Deutsche Institut für Frauenkunde und sein Museum aufgelöst. Wilhelm Liepmann, der Jude war, mußte emigrieren. Die Räumlichkeiten des Instituts wurden weiterhin für medizinische Zwecke benutzt. Der Verbleib der Sammlungen ist nicht geklärt. Wahrscheinlich wurden sie im November 1943 bei einem großen Bombenangriff mit einem Teil des Gebäudes vernichtet.

Anmerkungen

1 Ilse Szagunn: „Das Deutsche Institut für Frauenkunde", in: Die Frau, Heft 5/1930, S. 303. 2 2. Jahresbericht des Deutschen Instituts für Frauenkunde, Berlin-Charlottenburg 1929, S. 5.

54 3 Wilhelm Liepmann: „Aufgabe und Zweck eines Volksmuseums für Frauenkunde", in: Jahrbuch der Ambulatorien des Verbandes der Krankenkassen, Berlin 1928/29, S. 53f. 4 Ders.: „Ein Volksmuseum für Frauenkunde", in: Gesundheit, Berlin-Charlottenburg, 1/1930, S.9. 5 Ders., Psychologie der Frau, Berlin/Wien 1920, S. 128. 6 Ebd. S. 165 f. 7 Ebd. S. 217. 8 Wilhelm Liepmann/Peter Gornick, Die Gegenwartsfragen der Frauenkunde, Leipzig 1933, S. 30. 9 Rede Liepmanns auf der Jahreshauptversammlung der Deutschen Gesellschaft für Gewerbe­ hygiene, zitiert nach: Proletarische Sozialpolitik, Heft 6/1928, S. 182f. 10 4. Jahresbericht des Deutschen Instituts für Frauenkunde, Berlin-Charlottenburg 1929, S. 17. 11 Ilse Szagunn, wie Anm. 1, S. 302. 12 W. Kruse: „Gesunde Mütter, gesundes Volk", in: Dortmunder Zeitung, 19. November 1928, S.4. 13 Lina Rosenberg: „Das neue Museum der Mutterschaft", in: Schwäbischer Merkur, 21. April 1929, S. 9. 14 Sanitätsrat Vollmann, Die Fruchtabtreibung als Volkskrankheit, Leipzig 1925, S. 6. 15 Wilhelm Liepmann, Die Abtreibung, Berlin/Wien 1927, S. 1. 16 Ebd.

Anschrift der Verfasserin: Monika von Oertzen Deutsches Hygiene-Museum, Lingnerplatz 1, 01069 Dresden

Das Wilhelm-Stift in Charlottenburg, Spandauer Damm 62 Von Gisela Scholtze

Das Stift gehört zu den ältesten sozialen Einrichtungen in Charlottenburg, die bis in unsere Zeit Bestand haben. Im Oktober kann es auf 128 Jahre zurückblicken, Anlaß genug, seine Geschichte zu beschreiben und an die Person zu erinnern, auf deren Initiative die Errichtung des Wilhelm-Stifts zurückgeht. Eine junge Frau war es. In einem am 29. Oktober 1892 veröffentlichten Artikel in der Charlot­ tenburger Zeitung „Schlesinger^ Neues Intelligenzblatt" heißt es über sie: „Abelone Jensen, Tochter eines Landwirts in Aarhus, wurde am 1. August 1829 geboren, ver­ lor ihre Eltern in frühester Jugend, kam dann nach Kiel zu einer wohlhabenden Tante und wurde von dieser sehr strenge erzogen. Erwachsen — übersiedelte sie zu ihrem in bei Potsdam lebenden Onkel, dem Hof­ gärtner Fintelmann, um diesem dessen gastliches Haus zu führen. Hier knüpfte sie enge Freundschaften mit hochgestellten Damen, welche ihr auch bis zu ihrem Lebensende — 5. Juli 1884 — treu und helfend zur Seite standen. (...) Früh verwaist, hatte sie insbesonders tiefes Mitleid für ältere alleinstehende Damen, und aus diesem Mitleid entsprang die Idee, für die Errichtung eines Stiftshauses zu wirken." Sie selbst besaß freilich keine Mittel, um den Gedanken in die Tat umzusetzen, aber resignie­ rend die Hände in den Schoß zu legen war ihre Sache nicht. Sie begann mit dem Vertrieb eines kleinen „Balsamine" heißenden Büchleins, das Bibelsprüche und Lieder zum Inhalt hatte.

55 Damit schaffte sie einen bescheidenen finanziellen Grundstock für ihr Vorhaben. Als ihr Onkel nach Charlottenburg versetzt wurde, zog sie mit ihm dorthin und lernte da die Königinwitwe Elisabeth (Gemahlin König Friedrich Wilhelms IV.) kennen. Sie gewann deren teilnehmendes Interesse für ihre Idee. Unter der Protektion Königin Elisabeths wurde das kleine Anfangska­ pital bei Wohltätigkeitsveranstaltungen auf 4000 Taler aufgestockt. Königin Elisabeth konnte außerdem ihren Schwager König Wilhelm, den späteren Kaiser Wilhelm I., veranlassen, einen 18 500 m2 großen zum Schloßgarten gehörenden Acker abzutreten, auf dem das Stift erbaut werden sollte. Großzügige Geldspenden machten den Beginn der Bauarbeiten bald möglich. 1865/66 waren Arbeitskräfte billig, und Fabrikbesitzer stellten Material sehr preiswert oder sogar umsonst zur Verfügung. 1866 wurde ein Kuratorium gegründet, dem u. a. der Finanzmi­ nister von der Heydt als Vorsitzender und die Ministerfrauen von Roon und Gräfin von Arnim-Boitzenburg sowie der Präsident von Dechend angehörten, und eine Satzung verfaßt. Nachdem das Stift am 28. September bezogen worden war, fand am 28. Oktober 1867 in Gegenwart des Königs die feierliche Einweihung statt. Zu seinen Ehren erhielt die Anstalt den Namen Wilhelm's Stift. Schon 1868 wurde ein zweites Haus erbaut, 1874 ein drittes, 1884 ein viertes, und zum 25jährigen Jubiläum 1892 konnte das „Haus V" bezogen werden. Nun war es 165 älteren Damen möglich, dort ihren Lebensabend zu verbringen. Wie die Damen dort leb­ ten, wird in der 1905 erschienenen „Geschichte der Stadt Charlottenburg" von Wilhelm Gund- lach folgendermaßen beschrieben: „Die Anstalt (...) bietet (. ..) jeder einzelnen Stiftsdame eine vollständig in sich abgeschlos­ sene Wohnung, bestehend aus einem Wohnzimmer, einer Schlafkammer und einer kleinen Küche, und schließt jeden Zwang zu einer Gemeinschaft des täglichen Lebens aus, fordert aber von den aufzunehmenden Damen, welche über 45 Jahre alt und mindestens fünf Jahre in der Provinz Brandenburg ansässig sein müssen, ein Eintrittsgeld von 320 Talern und den Nachweis einer gesicherten Jahreseinnahme von wenigstens 100 Talern. Am Ende des zweiten Jahres fanden sich 23 Witwen und 38 Jungfrauen im Stift, 15 im Genüsse von Freistellen, welche mit einem Gründungskapital von je 1500 Talern durch verschiedene Behörden für die Hinterbliebenen ihrer Beamten geschaffen worden sind." Ursprünglich lautete die Adresse übrigens Spandauer Straße 10 a, später 19. Das Grundstück reichte einst bis an die Straße. In dem Buch „Gesellschaft von Berlin, Hand- und Adreßbuch für die Gesellschaft von Berlin, Charlottenburg und Potsdam" (1898/90) finden sich die Namen folgender Insassinnen des Stifts: Breithaupt, A., geb. Kühn, vw. Oberstabsarzt v. Fischer-Treuenfels, I., geb. Walther, vw. Oberförster, Stiftsdame v. d. Gablenz, M., geb. Roeser, vw. Major v. Gizycki, M., geb. v. Stern-Gwiadowski, vw. Justizrat v. Glasenapp, M., geb. Schmidt, vw. Gutsbesitzer v. Mach, Clara Georgine Louise, Stiftsdame v. Schleinitz, Freiin A., geb. v. Ruedgisch, vw. Regierungsrat, Stiftsdame v. Valentini, Fräulein Es sind nur wenige Namen, aber da es kein amtliches Adreßbuch war, erfolgte die Eintragung wohl freiwillig. Bis zum Ersten Weltkrieg gab es für das Stift keine Sorgen. In der Festschrift zum 100jährigen Bestehen heißt es, daß das Wilhelm-Stift 1914 auf der Höhe seiner wirtschaftlichen Entwick­ lung stand mit seinen schuldenfreien Häusern und einem stattlichen Vermögen, von dem es das mietfreie Wohnen seiner mehr als 160 Bewohnerinnen bis zu ihrem Lebensende gewährlei­ stete. Die Hungerjahre des Krieges und die Inflationszeit wirkten sich natürlich dann katastro-

56 Wilhelm's Stift um 1900, Spandauer Straße 19. Heimatarchiv Charlottenburg.

phal aus. Das Vermögen war nicht nur dahin, es war sogar ein Fehlbetrag entstanden. Doch großzügige Spenden aus dem Inland und Ausland halfen über die schlimmsten Nöte hinweg. Nach der Einführung der Reichsmark gelang es dank der Zuwendungen des preußischen Ministeriums des Innern, der Disconto-Gesellschaft, des Reichspräsidenten von Hindenburg und der Mendelssohn-Bank, das Stift wieder auf eine solide finanzielle Grundlage zu stellen, wenn auch die Ausgaben für notwendige bauliche Reparaturen nicht von den Einnahmen gedeckt werden konnten. Sorgen gab es also noch immer. Ein Teil der Stiftsdamen verfügte nur über eine kleine Rente. Für sie wurde in der Schloßstraße ein Mittagstisch eingerichtet. Mietfrei wohnen konnten sie nach wie vor. So waren sie vor der dringendsten Not bewahrt. In der oben erwähnten Festschrift heißt es bezüglich dieser Jahre: „Alle Zuwendungen, die dem Wilhelm-Stift zuflössen, und sparsamste Wirtschaftsführung erreichten, daß sich allmählich seine Verhältnisse festigten; es behielt seine finanzielle Selb­ ständigkeit, wie es auch die seiner inneren Verwaltung unangefochten wahrte. Daran haben auch die Jahre unter der Diktatur Hitlers wohl einiges, aber nicht Einschneidendes, geändert." Doch dann kam der Zweite Weltkrieg. Im November 1943 wurden die Häuser IV und V bei einem Fliegerangriff zerstört, 1945 die Häuser I und III von den Russen niedergebrannt. Nur das schwer beschädigte Haus II blieb erhalten. Nach dem Krieg bemühten sich der Kurato­ riumsvorsitzende Dr. Georg Burghart, Vizepräsident des Evangelischen Kirchenrats, und sein Nachfolger Dr. Mendelson, Kammerdirektor a.D., um Mittel für den Wiederaufbau. So konnte 195 2 zunächst das Haus II instand gesetzt werden. In den Jahren 1954 bis 1959 entstan­ den die Häuser I, III und IV wieder. Nur auf die Wiedererrichtung des Hauses V wurde verzich­ tet. Opfer mußten erbracht werden: 1955 wurde ein etwa 1700 m2 großer, an die Straße gren-

57 zender Teil des Gartens verkauft. Die darauf entstandenen Mietshäuser versperren nun einer­ seits die Sicht zur Straße, halten aber andererseits den Straßenlärm fern. Nachzutragen ist noch, daß das Kuratorium 1949 den Anschluß an den Gesamtverband der Berliner Inneren Mission vollzog. Trotzdem blieb die Selbständigkeit des Wilhelm-Stifts gewahrt. So werden nach wie vor auch Angehörige anderer Konfessionen im Stift aufgenom­ men. Seit den 70er Jahren wurden notwendige Modernisierungen und Instandsetzungen vor­ genommen. Erforderlich war die Schaffung größerer Wohnungen mit zeitgemäßen sanitären Einrichtungen. Diese Vorhaben waren wiederum nur dank des tatkräftigen Einsatzes der Kuratoriumsmitglieder möglich. Heute verfügt das Wilhelm-Stift über insgesamt 87 Wohnun­ gen. Jede besteht aus zwei Zimmern, Küche und Bad — und ist natürlich zentralbeheizt. In fünf Wohnungen sind die Räume etwas größer. Sie sind für Ehepaare vorgesehen. In den ande­ ren Wohnungen leben alleinstehende Damen. Mietfreies Wohnen ist heute nicht mehr mög­ lich, doch ist der Mietzins niedrig. Das Stift versteht sich als Einrichtung für Menschen mit geringem Einkommen.

Anschrift der Verfasserin: Gisela Scholtze, Leiterin des Heimatarchivs Charlottenburg, Otto-Suhr-Allee 100 (Zimmer 426 f), 10585 Berlin

Ein unerwünschtes Gesundheitsamt im Berlin des Jahres 1934 Von Manfred Stürzbecher

Gleich nach der Machtergreifung durch die Nationalsozialisten im Januar 1933 versuchte — in Abwehr der einsetzenden rassistischen Verfolgungsmaßnahmen — die Jüdische Gemeinde in Berlin im Rahmen der Wohlfahrtspflege ihr Gesundheitswesen auszubauen. Die ungedruck­ ten Lebenserinnerungen von Curt Meyer (1891—1984) geben einen gewissen Einbück in diese Bestrebungen1, deren systematische Darstellung noch aussteht. Im Zuge des Ausbaues des Gesundheitswesens der Gemeinde scheint der Aufbau eines Gesundheitsamtes erfolgt zu sein, in dem der aus seinen städtischen Ämtern entlassene Dezernent für die Seuchenhygiene des Hauptgesundheitsamtes der Stadt Berlin, Erich Seligmann (1880—1954)2, eine wichtige Rolle gespielt zu haben scheint. Als im Spätsommer 1934 im Jüdischen Krankenhaus eine „Lebensmittelvergiftung" auftrat, wurden nicht nur im Laboratorium des Jüdischen Krankenhauses die mikrobiologischen Untersuchungen angestellt, sondern auch Stuhlproben an das Untersuchungsamt des Haupt­ gesundheitsamtes eingesandt. In diesem Zusammenhang entstand eine Korrespondenz zwi­ schen dem „Gesundheitsamt der jüdischen Gemeinde" mit Sitz im Jüdischen Krankenhaus in der Exerzierstraße und dem Hauptgesundheitsamt. Der ehemalige Chef des Untersuchungs­ amtes Seligmann schrieb am 21. September 1934 an seine ehemalige Dienststelle auf einem Briefbogen des „Gesundheitsamtes der jüdischen Gemeinde" unter der Journal-Nummer 7463:

58 „An das Hygienische-Bakteriologische Institut des Hauptgesundheitsamtes Berlin C.2: Fischerstraße 42. Mit Dank bestätigen wir die Einsendung der bakteriologischen Resultate bei den anläßlich einer Lebensmittelvergiftung erforderlich gewordenen Stuhl- und Urinuntersuchungen. Soweit die Befunde positiv ausgefallen sind, werden sie als Paratyphus B-Bazillen Breslau bezeichnet. Ich gestatte mir, darauf hinzuweisen, daß in den hier vorgenommenen bakteriologischen Untersu­ chungen, bei denen gleichfalls positive Befunde erhoben wurden, keine isoliert wurden, die grund­ sätzlich zwar mit den wesentlichen kulturellen und serologischen Eigenschaften des Breslau-Bazillus übereinstimmen, sich von ihm jedoch in allen Fällen durch die mangelnde Pathogenität gegenüber Mäusen unterschieden. Soweit mit den beschränkten Möglichkeiten des hiesigen pathologisch-anato­ mischen Instituts feststellbar, vermuten wir, daß es sich um den Typus Brandenburg aus der Para­ typhus B-Gruppe handelt. Es würde für uns von Interesse sein, ob die im Hygienisch-Bakteriologischen Institut des Hauptge­ sundheitsamtes isolierten Stämme im Gegensatz zu dem bei uns isolierten etwa mäusepathogen sind. Für eine gefällige Auskunft wären wir dankbar. Seligmann" Der ehemalige Mitarbeiter Seligmanns Dr. Hoppe antwortet rein fachlich:4 „An das Jüdische Krankenhaus, Berlin N 65, Exerzierstraße IIa. Auf dem von Ihnen gelegentlich der im dortigen Krankenhaus aufgetretenen Lebensmittelvergiftun­ gen nach hier eingesandten Untersuchungsmaterial wurde ein Erreger nachgewiesen, der zur Para­ typhus B-Gruppe gehörte. Die Typ-Bestimmung des Keimes machte insofern Schwierigkeiten, als er sich sowohl in seinen biochemischen Eigenschaften als auch im Mäusefütterungsversuch nicht ganz so verhielt, wie es nach seinen serologischen Eigenschaften hätte erwartet werden können. Nach seinem serologischen Verhalten muß der Keim nämlich als ,Breslau-Stamm" angesprochen werden. Der Agglutinationstiter mit typ-spezifischem Breslau-Serum war 1:3200, der mit Brandenburg-Serum nur 1:2000. Aus diesem Grunde mußte der Erreger als ,Breslau-Stamm' bezeichnet werden." Diese rein fachliche Korrespondenz wurde im Original dem Amtsnachfolger Seligmanns, Dr. Theobald Sütterlin (1893—1945 )\ zur Kenntnis gegeben. Warum dieser die rein mikrobiologi­ sche Fachkorrespondenz an den Stadtmedizinalrat Dr. med. Wilhelm Klein (1887—1948)6 weitergab, ist den Akten nicht zu entnehmen. Klein fühlte sich veranlaßt, folgendes Schreiben an den Oberbürgermeister zu richten:7 „Anliegendes Schreiben übersende ich nach seiner Bearbeitung und Erledigung, da mir der Briefkopf im höchsten Grade ungesetzlich erscheint. Es ist möglich, daß sich neben den staatlich und städtischen, mit der gesundheitlichen Betreuung der Bevölkerung beauftragten amtlichen Einrichtungen die jüdische Gemeinde ein eigenes Gesundheits­ amt schafft. Die Folgerungen, die daraus insbesondere im Auslande gezogen werden können, sind unabsehbar. Es könnte doch ohne weiteres behauptet werden, daß die zuständigen Stellen sich nicht mehr mit den gesundheitlichen Verhältnissen der in Berlin wohnenden Juden befassen; und weiterhin könnten dann allmählich auch die katholische und evangelische Gemeinde auf dieselbe Idee verfal­ len, sich ein eigenes Gesundheitsamt zu errichten. Außerdem ist meiner Ansicht nach insbesondere im dritten Reich in der Bezeichnung Gesundheits­ amt eine rein staatliche oder mit staatlichen Aufgaben betraute Behörde zu verstehen, die sich gerade in Berlin besonders auch mit der Erb- und Rassenpflege, den Ehrenpatenschaften usw. zu befassen hat. Ich bitte daher, das Schreiben über den Herrn Staatskommissar für die Hauptstadt Berlin dem Preußi­ schen Innenministerium weiterzureichen."

Damit wurde aus einer Fachfrage der Mikrobiologie ein Politikum. Zu erwähnen ist, daß kurz vor diesem Vorgang das Gesetz zur Vereinheitlichung des Gesundheitswesens vom 3. Juli 1934 erlassen worden war, in dessen Vorgeschichte und in dessen Durchführung in der Praxis die Auseinandersetzung um die Zuständigkeit für die Gesundheitsämter eine wichtige Rolle spiel­ ten.8 Der Oberbürgermeister leitete das Schreiben an den Staatskommissar — Klein war 1933 ebenfalls als Staatskommissar für das Gesundheitswesen nach Berlin berufen worden, ehe er

59 als Stadtmedizinalrat eingesetzt wurde — weiter, der in einem besonderen Anschreiben auf die politische Bedeutung des Vorgangs hinwies. Am 26. November 1934 antwortete die Gesundheitsabteilung des Reichs- und Preußischen Ministers des Innern:'' „Ich ersuche ergebenst, die Trägerin des Gesundheitsamtes der jüdischen Gemeinde in Berlin zu ver­ anlassen, den Namen ,Gesundheitsamt' aufzugeben, da gemäß dem Gesetz über die Vereinheitli­ chung des Gesundheitswesens vom 3. Juli 1934 (Reichsgesetzblatt I S 531) im ganzen Reiche Gesundheitsämter als staatliche Einrichtungen entstehen werden und diesen der Name .Gesund­ heitsamt' vorbehalten bleiben muß." Schlußgezeichnet ist dieses Schreiben von Gottfried Frey (1871—1952)"', dem ehemaligen Leiter der Gesundheitsabteilung des preußischen Innenministeriums, das dem Reichsressort eingegliedert worden war. Diese eigentlich auch bei der Stadtverwaltung bekannte Tatsache wurde nun vom Hauptgesundheitsamt dem Vorstand der Jüdischen Gemeinde zu Berlin am 4. Dezember 1934 mitgeteilt.11 Das Schreiben endet: „Ich bitte deshalb zu veranlassen, daß dieser Name künftig fortgelassen wird, und mir die Durchfüh­ rung dieser Anordnung möglichst umgehend zu bestätigen." Am 18. Dezember 1934 erklärt der Verwaltungsdirektor für den Vorstand der Jüdischen Gemeinde:12 „Wir bestätigen den Empfang des Schreibens vom 4. Dezember, eingegangen am 13. Dezember, und bestätigen Ihnen wunschgemäß, daß wir mit Rücksicht auf den von Ihnen geltend gemachten Gesichtspunkt für die Zukunft davon Abstand nehmen werden, unsere Gesundheitsverwaltung als ,Gesundheitsamt' zu bezeichnen." Obwohl in diesem Fall reine Machtfragen im Vordergrund standen, wurde das Verfahren rechtsstaatlich und bürokratisch abgewickelt. Wäre es nicht möglich gewesen, Seligmann kolle­ gial auf die seit dem 3. Juli 1934 bestehende Rechtslage hinzuweisen und die Jüdische Gemeinde zu einer Namensänderung aufzufordern? Die Jüdische Gemeinde konnte trotz der Verfolgungsmaßnahmen ihr Gesundheitswesen ausbauen, wobei das Jüdische Krankenhaus sehr zum Ärger der NS-Machthaber bis 1938 auch noch von Teilen der nichtjüdischen Bevöl­ kerung in Anspruch genommen wurde.13 Mit der Intensivierung und Brutalisierung der Verfol­ gungsmaßnahmen seit November 1938 verschlechterte sich das Angebot der medizinischen Leistungen drastisch. Die hier zitierten Schriftstücke sollen deutlich machen, wie formal kor­ rekt gegen jüdische Einrichtungen vorgegangen wurde und die Kollegialität zwischen Ärzten und Verwaltungsbeamten völlig außer Acht gelassen wurde.

Anmerkungen

1 Lebenserinnerungen von Dr. med. Curt Meyer, unveröffentlichtes Manuskript in Familienbesitz. 2 Manfred Stürzbecher: „Berliner Ärzte, Namen, die kaum noch einer nennt: Erich Seligmann (1880-1954)", Berliner Ärzteblatt, 97. Jg. 1984, S. 162-164. 3 Landesarchiv Berlin Rep. 12, Acc. 1641 Nr. 238 Bl. 7. 4 Ebd., Bl. 7 R. 5 Manfred Stürzbecher: „Theobald Sütterlin (1893—1945)", Mitteilungen des Vereins für die Geschichte Berlins, 78. Jg. 1982, S. 397-401. 6 Ders.: „Dr. med. Wilhelm Klein (1887—1948) — Staatskommissar zur Wahrnehmung der Geschäfte des Stadtmedizinalrates (1933/34) und Stadtmedizinalrat 1934—1936", Der Bär von Berlin, 40. Jg., 1991, S. 99-109. 7 Anm. 3, Bl. 6. 8 Alfons Labisch, Florian Tennstadt: Der Weg zum Gesetz über die Vereinheitlichung des Gesund­ heitswesens, Schriftenreihe der Akademie des öffentlichen Gesundheitswesens in Düsseldorf, Bd. 13, Düsseldorf 1985.

60 9 Anm. 3, Bl. 12. 10 Manfred Stürzbecher: „Zur Biographie von Gottfried Frey". Bundesgesundheitsblatt, 5. Jg., S. 125-127. 11 Anm. 3, Bl. 12 R. 12 Ebd., Bl. 13. 13 Manfred Stürzbecher: „Judenverfolgung im Berliner Gesundheitswesen. Die Vierte Verordnung zum Reichsbürgergesetz vom 25. Juli 1938", Jahrbuch für brandenburgische Landesgeschichte, 39. Jg., 1988, S. 163-178.

Anschrift des Verfassers: Dr. phil. Dr. med. Manfred Stürzbecher, Buggestraße 10b, 12163 Berlin-Steglitz

Der Bär von Georg Wrba im Tierpark Berlin-Friedrichsfelde

Ein Bildwerk mit Geschichte

Von Mario Perschke

Der Tierpark Berlin-Friedrichsfelde ist im Besitz einer reichhaltigen Sammlung von Kunstwer­ ken, die in erster Linie den Bemühungen des kunstbegeisterten ehemaligen Tierpark-Direk­ tors Professor Dr. Dr. Heinrich Dathe zu verdanken ist. Fast hundert Skulpturen, Bronzen, Terrakotten, Sandstein-, Kunststein-, Keramik- und Marmorbildnisse sowie Mosaik-, Kera­ mik-, Porzellan- und Sgraffito-Wandbilder und eine Kunststeinplatte sind ausgestellt. Hinzu kommt ein Bestand von mehr als drei Dutzend Bildwerken, die wegen Beschädigungen oder Umgestaltung des früheren Standortes wieder entfernt bzw. im Zuge des weiteren Ausbaus des Tierparks zur Aufstellung vorgesehen hinter den Kulissen eingelagert sind. Somit dürfte der Berliner Tierpark — neben dem Zoologischen Garten Berlin — auf seinem Gelände eine der umfangreichsten Kunstsammlungen in einem Tiergarten beherbergen. Das „wissenschaftliche künstlerische Doppelgesicht", wie der Zoodirektor Ludwig Heck seinerzeit die Einbeziehung der bildenden Kunst in die Tierparkgestaltung bezeichnete1, hat in Friedrichsfelde eine unübersehbare Ausprägung erfahren. Ein Großteil des künstlerischen Schmucks wurde eigens im Auftrag der damaligen Tierparkleitung angefertigt, wobei die Finanzierung durch die Ver­ fügung, 2 % der zum Auf- und Ausbau des Tierparks bereitgestellten Geldmittel für die künst­ lerische Ausgestaltung zu nutzen, ermöglicht wurde.2 Neben den bestellten, angekauften und geschenkten Bildwerken der neueren Zeit, die vorrangig von namhaften Bildhauern der da­ maligen DDR geschaffen wurden, haben hier auch einige Kunstwerke eine Bleibe gefunden, die nach 1945 — zumeist wegen Kriegszerstörungen oder baulichen bzw. auch politischen Ver­ änderungen — aus dem Stadtbild Berlins bzw. dem Brandenburger Umland verschwanden.2 ' Diese besonders wertvollen Plastiken, einige z.T. in Vergessenheit geratene Details ihrer Geschichte und den jeweiligen Künstler möchte ich — in Ergänzung der Ausführungen Hein­ rich Dathes zur bildenden Kunst im Tierpark Berlin2-3-4 — in Form einer lose folgenden Serie vorstellen.

61 Der bronzene Bär von Georg Wrba am Kinderspielplatz im Tierpark Berlin-Friedrichsfelde. Foto: Perschke

Am Rande des Kinderspielplatzes im Kinderzoo wurde 1959 die Bronzefigur eines naturge­ treu nachgebildeten Braunbären (Ursus arctos) aufgestellt, die dem Tierpark Berlin vom damaligen DDR-Ministerpräsidenten Otto Grotewohl übergeben worden war.2 Der Bär steht auf allen Vieren, hält den Kopf leicht gesenkt und macht einen friedfertigen Eindruck (wobei angemerkt werden muß, daß es bei Bären allgemein ausgesprochen schwierig ist, den jeweili­ gen Gemütszustand — vor allem aufgrund der nur wenig ausgeprägten Gesichtsmimik — zu erkennen). Auf einem 116 cm hohen Steinsockel aufgestellt, der z.T. von den Treppen zum Kinderspielplatz eingefaßt ist, hat das imposante Bildwerk einen ansprechenden und auffälli­ gen Platz gefunden. Der 120 cm X 185 cm X 64 cm messende Bronzebär wird oft von Kindern umlagert, die ihn andächtig betrachten, seine mächtigen Tatzen betasten und den Sockel oder gar den Rücken der Figur erklimmen, um das Gesicht und die schon blankgeriebenen Ohren zu streicheln. Der Name des Künstlers galt im Tierpark als „bedauerlicherweise. . . nicht bekannt geworden"2, obgleich auf der Plinthe der Plastik die Signatur „WRBA" zu finden ist. Des wei­ teren ist die Bildgießerei benannt und eingraviert: „ERZGUSS: A. MILDE u. C° DRES­ DEN". Georg Wrba schuf den Bär um 1910 für das Neue Stadthaus (seit 1937/38 heißt es das Alte Stadthaus) in Berlin-Mitte, das von 1902 bis 1911 nach den Plänen des Stadtbaurats Ludwig Hoffmann erbaut wurde.5-6 Als Sinnbild der Stadt Berlin hatte die Bärenplastik ihren Stand­ platz auf einem hohen Steinsockel in der Stadthalle, „eines Festraumes höchst merkwürdiger Art"7, der zu den drei Haupträumen dieses monumentalen Gebäudes zählte, über drei Geschosse reichte und „ernsten Feierlichkeiten" vorbehalten war.5 Die „Illustrirte Zeitung" schrieb dazu 1911: „Die neue Stadthalle mit dem feierlich vorgelagerten Vestibül soll kein Fest-

62 saal im üblichen Sinne des Wortes sein, sondern eine Halle, eine Basilika, gewissermaßen ein Profantempel, in dem der Ernst und die Würde des bürgerlichen Lebens sich majestätisch umfangen fühlen. So schreiten denn die Säulen und Pfeiler der Fassade lapidar und streng aus demselben Kalkstein in das Innere herein, stellen sich wie Riesen in Reih und Glied als Ehren­ wacht des würdig und sinnend darniederschauenden Stadtbären . . ."7 Im Zusammenhang mit der Bärenplastik bemerkte Hoffmann: „Im Sommer erhält der bronzene Bär um die Mittags­ zeit direktes Sonnenlicht" (durch die Stichkappen und Rundfenster im Bereich der Decken­ wölbung), und weiter: „Sechs ebenfalls in Bronze ausgeführte und vor den seitlichen Wänden frei aufgestellte Kandelaber lassen den Bär in der Halle nicht isoliert erscheinen."5 Berendt (1912) bemängelte in einem kritischen Artikel zur Architektur des Berliner Stadthauses die Wahl des Bildhauers für die Anfertigung des Bären: „Die dekorativen Skulpturen, die der Bildhauer Wrba modellierte, sind der ernsten Stimmung dieses Raumes würdig angepaßt. Die Bronzefigur des Bären, des Berliner Wappentieres, die in der Halle aufgestellt ist, hätte jedoch unbedingt von einem Bildhauer wie August Gaul modelliert werden müssen. Es ist unverant­ wortlich, daß auch jetzt wieder die ersehnte Gelegenheit, dem schönen Talent dieses Tierbild­ hauers eine würdige Monumentalaufgabe zu übertragen, wie sie die Stadt Berlin hier zu verge­ ben hatte, versäumt worden ist."8 Neben dem Bären schuf Wrba auch die Kandelaber und Gesichtsmasken für die Wandflächen dieser schmuckvollen Halle sowie ornamentumrahmte Inschriftentafeln aus grauem Muschel­ kalkstein. Aus demselben Material fertigte er des weiteren die, heute stark verwitterte, Kartu-

Die Bärenstatur in der Stadthalle des Alten Stadthauses. Foto: Archiv Sen Stadt Um, FAB

63 sehe (die unter anderem einen Bärenkopf aufweist), die in die Außenfassade JüdenVEcke Stralauer Straße eingefügt ist.5 Als das Alte Stadthaus Anfang der 50er Jahre Amtssitz des Ministerrates der DDR wurde, kam es in der Folgezeit vor allem im Innern des Gebäudes zu grundlegenden Veränderungen. Für die Bärenplastik fand man keine Verwendung mehr, und so wurde sie entfernt und dem Berli­ ner Tierpark überlassen, bevor 1960 auch die völlige Umgestaltung der Stadthalle begann. Der bronzene Bär ist das einzige Bildwerk aus dem Innern des Stadthauses, das noch aus der Erbau­ ungszeit nachweisbar ist.6 Mit der Neuaufstellung der Bärenskulptur im Tierpark Berlin vollzog sich nicht nur eine örtli­ che, sondern auch eine ideelle Veränderung — die Verwandlung des versinnbildlichten Wap­ pentieres Berlins in ein autonomes, nur sich selbst darstellendes Tierbildnis. Der Bildhauer Professor Dr.-Ing. h. c. Georg Wrba, Geheimer Hofrat (geboren 3. Januar 1872 in München, gestorben 9. Januar 1939 in Dresden)9, war Mitglied der Münchener Secession und des Deut­ schen Künstlerbundes.10 Er ist weniger durch Tierdarstellungen bekannt geworden als viel­ mehr durch sein Gesamtwirken bei der künstlerischen Gestaltung und Ausschmückung öffent­ licher Gebäude (Fassaden- und Portalskulpturen, Reliefs, dekorative Plastiken und Standbil­ der), vor allem in Dresden, Berlin und Leipzig. Er schuf ferner zahlreiche Brunnen (so hatte er Anteil an Details der Märchenbrunnenanlage in Berlin-Friedrichshain), Büsten bedeutender Persönlichkeiten seiner Zeit sowie Kleinplastiken, Medaillen und Plaketten.9 „Wrba ... blieb der feine Künstler, der er längst vor seiner Berühmtheit war. Mit empfindli­ chem Taktgefühl unterschied er scharf zwischen rein künstlerischen Arbeiten und solchen, die sich einem Zweck anzupassen hatten und deren Ausführung er aus praktischen Gründen nicht von sich wies."10 Der bronzere Bär mag zu diesen gehört haben.

Anmerkungen

1 Schneider, K.-M.: Vom Leipziger Zoo, Leipzig 1953. 2 Dathe, H.: Der künstlerische Schmuck des Tierparks Berlin. Berlin 1980, 27 S. 3 Dathe, H.: Künstler und ihre Werke im Tierpark Berlin I. Milu 1, Berlin 1964, S. 304-310. 4 Dathe, H.: Künstler und ihre Werke im Tierpark Berlin II. Milu 2, Berlin 1966, S. 218-226. 5 Hoffmann, L.: Neubauten der Stadt Berlin. Gesamtansichten und Einzelheiten. Neues Stadt­ haus. Zehnter Band. Berlin 1911. 6 Anomymus: Das Alte Stadthaus Berlin. Broschüre 1992, 24 S. 7 M. R.: Das Neue Berliner Stadthaus. Illustrirte Zeitung vom 9. November 1911. Nr. 3567. Leip­ zig, Berlin, S. 878/879. 8 Berendt, W. C: Das Berliner Stadthaus. Kunst und Kunstgewerbe. Jahrgang X, Heft III, 1912, S. 145-152. 9 Vollmer, H.: Wrba, Georg. Allgemeines Lexikon der bildenden Künstler des XX. Jahrhunderts. Thieme-Becker-Künstlerlexikon. Band XXXVI. Leipzig 1977, S. 272-273. 10 M. St.: Georg Wrba. Bildende Künstler. Heft 4. Wien - Leipzig 1911, S. 170-172.

Anschrift des Verfassers: Mario Perschke, Egon-Erwin-Kisch-Straße 55, 13059 Berlin-Hohenschönhausen

64 Rezensionen

Hans-Joachim Neumann, Friedrich Wilhelm der Große Kurfürst. Der Sieger von Fehrbellin, edition q. Berlin 1995, 207 Seiten, 63 Abbildungen, Personenregister, Literaturverzeichnis und Lite­ raturnachweis. [Vgl. dazu: MITTEILUNGEN, 4/1995, S. 449ff.] Aus dem Bereich der früheren sozialistischen Geschichtsschreibung kommt uns eine Biographie ins Haus, die sich ihren Weg zwischen Persönlichkeit betrachtender Darstellung und dem System des Diamat sucht, und zwar geschieht dies aus ärztlicher Sicht, da der Verfasser Chirurg an der Charite ist. Er sucht das tief Menschliche auf, von dem die kraftvolle und vielseitige Regentenarbeit des Großen Kurfürsten überall bestimmt war, gleichgültig, ob der „Patient" sein Leiden bezwang und sich darüber mit kühnen Entscheidungen erhob oder ob er, in Apathie versunken, entscheidungsscheu und geschäftsunfähig wurde. Abgesehen von dieser Sicht durchmißt der Autor, Mitglied unseres Vereins, das breite Feld der Inter­ pretationen zwischen Ost und West, in den gängigen Zügen ist er der Sicht von Oestreich und Heinrich verpflichtet. Die Darstellung gibt Kenntnis davon, wie sich im geistigen Zusammenhang mit der Wende die im Osten an den Rand gedrängte oder verurteilte Sichtweise von den Personen, die Geschichte machen, herausentwickelt hat. Verf. berichtet von früherem Boykott solcher Versuche durch östliche Verlage. Weltgeschichte als Geschichte des Leidens zu untersuchen, hat ihren Reiz und ihre hohe Berechti­ gung. Hier wird ein „Preuße" geschildert, der als Steinkranker von Galle und Niere und als Gichtkran­ ker sein Leben dem unaufhörlichen Schmerz abgerungen hat. Als Quellen, aus denen sich diese Ansichten speisen, nennt er u. a. das Sektionsprotokoll und die Beobachtungen Grumbkows aus sei­ nen letzten Jahren. Ein Heldenbild vom Großen Kurfürsten hat es — in jüngerer Zeit — bei uns wohl kaum noch gegeben; dafür trat die Kraft der inneren Staatsbildung, die die Königserhebung langsam vorbereitete, stärker in den Vordergrund. Daß die Siegerhaltung des Mannes von Fehrbellin von star­ ker Spannung durchzogen war, da er ein charakterlich, seelisch und physisch aufs äußerste angefoch­ tener Fürst und Heerführer war, liest sich aufschlußreich und ruft unsere Anteilnahme hervor. Von den Erbkrankheiten in der Hohenzollernfamilie, der Gicht und der Wassersucht, ist viel die Rede, desgleichen vom Zusammenspiel unsicherer Entscheidungen und verzehrender Schwäche und Angst, wenn sich auch diese Aussagen wiederholen. Die „Janusköpfigkeit" dieses „Gewitterkopfes" zu beleuchten, steht uns gut an, wie man auch Angst und Leiden hohe Achtung entgegenbringt. Sehr anrührend ist die Schilderung des fürstlichen Sterbens, es erfolgte gleichsam auf einer Bühne und an einem Hofe, an dem der Tod noch öffentlich war und weil man ihm seinen hohen Rang einräumte. Verf. fühlt sich zu so breiter Ausführlichkeit angehalten, weil er die Gewichte von „Heldentum" und Leistung aus Selbstdisziplin eines kalvinistischen Christen, der sich zum Opfer verpflichtet fühlte, neu setzen will. Viel wird von der Frömmigkeit als eines Amtmannes Gottes gesprochen, wie auch ein ein­ fühlsames Seelen- und Charakterbild entworfen wird, v. a. in den Schlußbetrachtungen. Dem Unaus­ gewogenen, Unberechenbaren, Riskanten steht die Selbstüberwindung und überaus hohe Leistungs­ bereitschaft gegenüber, die bis an den Rand der Zerstörung des selbst Geschaffenen ging, aber im — scheinbaren — Scheitern Mut zum Neuanfang fand. So leitet dieses Psychogramm über zu einer Neubewertung des Sohnes, des ersten Königs in Preußen, der dem Vater ähnlicher war und bedeutsamer, als gemeinhin gesehen wurde, und dem der Vater die Mahnung auf den Weg gab: „Ich übergebe euch die Regierung, sehet euch woll vor und laßet den degen nicht auß den Händen!" (S. 177) Christiane Knop

Rolf-Herbert Krüger: Friedrich Wilhelm Diterichs. Architekt, Ingenieur und Baubeamter im Preußen des 18. Jahrhunderts. Potsdamer Verlagsbuchhandlung/Argon 1994. 298 Seiten mit zahl­ reichen Abb. Gebunden. 48 DM. Über den Berliner Barockbaumeister Friedrich Wilhelm Diterichs liegt seit kurzem eine zweite Dis­ sertation vor. Ich wurde 1950 am Kunstgeschichtlichen Institut der Humboldt-Universität zu Berlin bei Professor Dr. Richard Hamann über das Thema „Friedrich Wilhelm Diterichs und die Entwicklung des nach- schlüterschen Barock und Rokoko in Berlin" zum Dr. phil. promoviert. Rolf-Herbert Krüger promo­ vierte 1990 zum Dr.-Ing. mit der Arbeit „Friedrich Wilhelm Diterichs (1702-1782), Architekt, Inge-

65 nieur und Baubeamter in Preußen z. Z. Friedrich Wilhelms I. und Friedrichs IL", die er dem Wissen­ schaftlichen Rat der Technischen Universität Dresden vorgelegt hat. Gutachter der Dissertation waren Professor Dr. sc. Kurt Milde, Dr. phil. Ralf-Torsten Speler, Dr.-Ing. Wilfrid Wapenhans, Dipl. phil. Waltraut Volk. Meine Dissertation wurde auf Empfehlung von Richard Hamann in der Wissenschaftlichen Zeit­ schrift der Humboldt-Universität Berlin Jg. II 1952/1953 Heft 1 ungekürzt gedruckt. R.-H. Krügers Dissertation ist 1994 als Buch in der Potsdamer Verlagsbuchhandlung erschienen. Nachdem ich auf die Tendenz in R.-H. Krügers Dissertation, meine Dissertation zu negieren und meinen Text abzu­ werten, aufmerksam gemacht worden bin, habe ich mein altes Thema wieder vorgenommen und fest­ gestellt, daß ich R.-H. Krügers Dissertation nicht unwidersprochen hinnehmen kann und einiges klar­ stellen muß. Als R.-H. Krüger, angeregt durch seine Tätigkeit beim Wiederaufbau des Ephraim-Palais, 1983 bis 1987, mit großem Engagement daran ging, über Diterichs zu forschen, habe ich das zunächst begrüßt. Ich habe ihm Fotomaterial geliehen und einen Sonderdruck meiner Dissertation geschenkt. Durch den persönlichen Kontakt und durch die Fußnote auf der ersten Seite des Druckes „Inauguraldisserta­ tion; Promotion: 24. 2. 50" war ihm bekannt, daß ich über Diterichs promoviert habe. Krügers nun vorliegende Dissertation über Diterichs ist insofern wichtig, als er Archive benutzen konnte, die mir in den Jahren bis 1950 nicht zugänglich waren. Viele bisher unbekannte Archivalien, vornehmlich zu Ingenieur-, Industrie- und Staatsbauten, die Diterichs errichtete, konnte Krüger für seine Dissertation auswerten. Richard Hamann hat meine Dissertation über Diterichs gerade deshalb anerkannt, weil ich trotz der schwierigen archivalischen Studien in dem zerstörten Berlin gewagt hatte, die Bauten Diterichs und seines Kreises, von denen in den meisten Fällen — vor allem in Berlin — nur Trümmerhaufen übriggeblieben waren, zu behandeln und damit ein Beispiel zu geben, sie der Nachwelt zu erhalten. Deshalb schrieb ich in meiner Einleitung zur Klärung der Verhältnisse aus­ drücklich : „Doch ist vielleicht eine Arbeit, aufgebaut auf lückenhaftem Aktenmaterial, dadurch gerechtfertigt, daß die wahrscheinlich verlorenen Akten auch in der nächsten Zeit oder überhaupt nicht benutzbar sein werden. Es kann auch eine Arbeit aus der Nachkriegszeit Wert besitzen, wenn sie die heutigen Möglichkeiten erschöpft." Das berücksichtigt R.-H. Krüger nicht, denn seine Erwähnung meiner Arbeit über Diterichs und seine Kritik an meinem Text, die er ausschließlich in den Anmerkungen bringt, beziehen sich in eini­ gen Fällen auf die fehlenden Archivalien (z. B. zur Kirche in Klein-Beuster, Altmark). Obgleich R.-H. Krügers Arbeit ihren Wert hat, weil sie bisher unbekanntes Material über Ingenieur- und Indu­ striebauten des 18. Jahrhunderts bringt und die Geschichte der Familie Diterichs sehr ausführlich dar­ stellt, muß ich die Vorgehensweise des Verfassers auf das schärfste kritisieren. Die Arbeit scheint mir in der Kunst- und Architekturgeschichte ein einmaliges Beispiel zu sein, in dem ein Doktorand eine ältere Dissertation gleichen Themas nicht nur neu behandelt, sondern auch als eine Dissertation abwertet: Erstens verschweigt R.-H. Krüger die ihm bekannte Tatsache, daß meine Arbeit über Diterichs eine Dissertation ist. Er erwähnt an keiner Stelle, daß es bereits eine Dissertation über Diterichs gibt, und führt da, wo er kritisiert, als Quelle den erwähnten Abdruck in der Wissenschaftlichen Zeitschrift der Humboldt-Universität an. Weder im Text, noch im Literaturverzeichnis, noch in den Anmerkungen wird meine Dissertation aufgeführt, und ich muß mich fragen, ob dies eine bewußte Irreführung ist. Zweitens hat R.-H. Krüger das Vorwort und die Einleitung so abgefaßt, als gäbe es diesen Abdruck in der Wissenschaftlichen Zeitschrift nicht. Erst in der Anmerkung 42 zum Text auf S. 17 zur Bauge­ schichte des Schlosses Schwedt kommen mein Name und der Artikel über Diterichs zum erstenmal vor, übrigens mit einer mir unverständlichen Kritik, die die Bauzeit des Schlosses 1719 bis 1724 betrifft (dazu in meiner Diss. Anm. 31 zum Teil II A). R.-H. Krüger beginnt das Vorwort seiner Dissertation mit dem Satz: „Dem Leben und Werk des Architekten, Ingenieurs und Baubeamten Friedrich Wilhelm Diterichs (1702—1782) schenkte man bisher in Forschung und Literatur keine gebührende Beachtung ..." Nun, meine Dissertation ist ein kunstgeschichtlich abgehandelter Text. Er enthält stilkritische Wer­ tungen über Diterichs, seine Bauten und seine Zeit. Bei dem Vergleich der beiden Dissertationen habe ich festgestellt, daß Krügers Texte zu Diterichs' bedeutenden und bekannten Bauten, den Kir­ chen, Palais' und Wohnhäuser, die ich mit teilweise sehr ausführlichen Beschreibungen und stilkriti­ schen Sätzen gewürdigt habe, nichts wesentlich Neues bringt außer — wie begründet — Archivalien

6h und meist kurz abgefaßte Ergänzungen zu Abriß- und Baumaßnahmen aus der Zeit nach 1950. Im folgenden ein Beispiel, wie R.-H. Krüger von mir Material übernommen hat, ohne mich zu zitieren: Auch er führt, so wie ich es getan habe, die Briefe an, die Diterichs zwischen 1771 und 1778 an Fried­ rich Nicolai geschrieben hat. Diese wichtigen Quellen, in denen Diterichs selbst über sein Lebenswerk berichtet, habe ich in der Universitätsbibliothek Tübingen benutzt, wohin sie während des Zweiten Weltkrieges mit anderen Originalen aus der Preußischen Staatsbibliothek Berlin gelangt waren. Dort habe ich sie damals gelesen und konnte aus ihnen erstmalige Angaben in meiner Dissertation bringen. Zum Beispiel ist nach einem Brief vom 23. Mai 1778 endgültig erwiesen, daß Diterichs das Ephraim­ palais geschaffen hat (siehe Abdruck meiner Diss., Anm. 156, S. 81). Auch R.-H. Krüger wertet die Diterichs-Briefe in seiner Dissertation aus, jedoch ohne auf meinen Text zu verweisen. Es findet sich auch kein Verweis auf Notizen aus den Briefen, die ich über das in meiner Dissertation veröffentlichte Material hinaus noch besaß und ihm zur Verfügung stellte. Üblich ist es in solchen Fällen, einen Dank auszusprechen. Es ist ferner zu bemängeln, daß R.-H. Krüger auch ältere Veröffentlichungen zu dem Thema, auf die er übrigens nur sehr unvollständig eingeht, durch die Art seiner Beurteilung abwertet und falsche Schlußfolgerungen zieht. Schinkels Ansichten über Barockbauten, die ja bekanntermaßen nicht nur negativ, sondern aus dem veränderten Stilempfinden des Klassizismus heraus folgerichtig zu beurtei­ len sind, haben laut Krügers Kritik dazu geführt, daß kunsthistorische Arbeiten über Baumeister des Barock eine Ausnahme geblieben sind und „daß Generationen von Kunsthistorikern dem Urteil Schinkels allzu willig folgten" (S. 5/6). Über Richard Borrmann und sein auch heute noch großartiges Werk „Die Bau- und Kunstdenkmäler von Berlin, 1893" schreibt Krüger: „Es zeigt geringen histori­ schen Tiefgang...", weil Borrmann über Diterichs zum Ephraimpalais Fehler unterlaufen sind. Nach der Kritik am Kunstverständnis des 19. Jahrhunderts, die mir einseitig und oberflächlich erscheint, wäre es m. E. doch angebracht gewesen, das spätere Aufwerten des preußischen Barockstils und das für die Beurteilung Diterichs' so wichtige 1928 erschienene Buch von Rudolf Herz „Berliner Barock" wenigstens im Text kurz zu erwähnen. In dem Bemühen, den „universellen" und „hervorragenden" Diterichs zu würdigen, hat Krüger oft übertrieben; manche Sätze seines streckenweise ziemlich schlecht formulierten Textes wirken dadurch unsachlich und ohne Bezug auf Baumeister und Bauangelegenheiten der Epoche. Zum Bei­ spiel ist im Abschnitt „Weinberg und Schloß Sanssouci, Potsdam" zu lesen: „Es ist unhaltbar, an der These festzuhalten, der Preußenkönig sei der alleinige geistige Schöpfer der Terrassen mit Schloß" (S. 198). „Es ist zuviel Ehre für Diterichs, ihn allein für den Grundriß von Sanssouci verantwortlich zu halten, und den Anteil Knobelsdorffs und Friedrichs I. in Abrede stellen zu wollen, wie es sicher ebenso fehl am Platze ist, die letzteren als die alleinigen Architekten des Bauwerkes darzustellen" (S. 202). Diterichs war anfangs Bauführer und dann Direktor des Schloßbaus, verantwortlich für die Rechnungslegung und Ausarbeitung der Baurisse seit dem 10. August 1744; schon im Frühjahr 1745 fiel er in Ungnade. Ihm auch eigene Ideen an der Anlage von Weinberg und Schloß Sanssouci zuzu­ schreiben, ist unhaltbar, kann aber nach den z.T. unklaren Sätzen Krügers angenommen werden. Überhaupt hat Krüger seine Ergebnisse, was Sanssouci und das Verhalten Friedrichs II. zu den Bau­ meistern seiner Zeit betrifft, unübersichtlich dargestellt. Auch folgender Satz ist tendenziös: „ . . . daß seit 1945 mehr Gebäude von Diterichs in Berlin wieder aufgebaut wurden als z. B. von Knobelsdorff". Denn um den Vergleich exakt zu ziehen, ist zu beden­ ken : Knobelsdorff hat in Berlin (wobei Krüger offensichtlich den Ostteil der Stadt meint) überhaupt nur ein Bauwerk geschaffen, nämlich das nach den Kriegszerstörungen wiederaufgebaute Opern­ haus. Von Diterichs hingegen nachweisbar gebaut, gab es vor dem Zweiten Weltkrieg in Berlin noch fünf Gebäude, von denen zwei neu errichtet wurden: Böhmische Kirche (kriegszerstört und besei­ tigt), Schloßkirche Buch (restauriert und ohne Turmaufbau wieder hergestellt), (wiederaufgebaut als Operncafe), Gouvernements- oder Gouverneurshaus (an der jetzigen Rathaus­ straße zerstört, Mittelrisalit am Haus Unter den Linden 11 wiedererrichtet), Ephraimpalais (1936 abgetragen, wiederaufgebaut). Die letzten Sätze der Arbeit Krügers, die wohl eine abschließende kurze Wertung des Architekten Diterichs und seines Stils sein sollen, enthalten Behauptungen, die kunstwissenschaftlich falsch und geradezu unseriös formuliert sind: Diterichs ist es wert, „in einem Atemzug mit Knobelsdorff genannt zu werden". Und weiterhin: „Obwohl er den modernen Architekturströmungen jederzeit aufge­ schlossen und selbst richtungweisend war, blieb er wegen seiner charakterlichen Ausgeglichenheit

67 auch in der künstlerischen Grundhaltung dem Barock und dem Rokokostil treu" (S. 220/221). Cha­ rakterliche Ausgeglichenheit als Begründung für das Festhalten an Stilformen einer zu Ende gehen­ den Epoche anzuführen, halte ich grundsätzlich und hier nun Diterichs betreffend für nicht richtig. Dr. Renate Petras

Karl Schelfler. Berlin — ein Stadtschicksal, Nachdruck der Erstausgabe von 1910, Nachwort von Detlef Bluhm, Berlin: Fannei und Walz 1989, 222 Seiten. Was bewog hier den Verlag, Altes neu aufzulegen? Die provokatorische Lust, die Überheblichkeit und das zuweilen schwer erträgliche Selbstbewußtsein der Berliner anzukratzen? Oder der als not­ wendig erachtete Hinweis auf das ewig Werdende in allen Lebensäußerungen des Berlinischen? — Einem solchen Anstoß zu folgen ist der Berliner bereit. Aber geschieht es hier mit den angemessenen Mitteln und dem stimmigen Inhalt? Man mag es durchaus für tunlich halten, daß sich Berliner mit ihrer zuweilen lauten Art, ihrer Hervor- gewagtheit, Selbstbezogenheit, auch zuweilen Hemdsärmeligkeit kritisch auseinandersetzen und das vorliegende Buch zum Anlaß dazu nehmen sollten. Wenn der Herausgeber im Nachwort darauf ver­ weist, daß der Autor Scheffler selbst 1930 noch nichts von seiner 1910 eingenommenen Grundeinstel­ lung zurückgenommen habe, so mag dies auch heute für eine kritische Selbsteinschätzung taugen. Mißtrauen gegen das „Hauptstädtische" besteht — heute aus andern Gründen — außerhalb der Stadt noch immer. Doch trifft dies die hier vorgenommene Analyse nur teilweise. Der Berliner kann mit mancher Kritik leben, gesagt werden muß aber, mit welchem Instrument die Musik gespielt wird. Was kreidet uns der Verfasser an? Schlichtweg Unkultur. Berlin sei die tief in der Wolle eingefärbte Kolonial- und Pionierstadt am Rande des (slawischen) Ostens; es habe seine Eigenart auch in moder­ ner Gründerzeit beibehalten und fortentwickelt und sei nun, da es auf „das Reich" hinauswirke, schlichtweg ein Graus und eine Barbarei. So die Kulturkritik von 1910, dargelegt an den Phänomenen Bevölkerung, Stadtanlage und Stadtgeist, Baugeschichte, Lebensformen, Künsten und Gesellschafts­ geschichte. Die Maxime des Autors, sein Thema auf allen diesen Gebieten zwischen den Gegensatzpaaren Kolo­ nialstadt hier — gewachsene Stadt da zu behandeln, mag als Arbeitshypothese erwägenswert sein in dem Versuch, den Stoff in eine Ordnung zu bekommen. Die Ausführungen werden aber, wenn sie immerfort wieder über denselben Leisten geschlagen werden, zur „Masche". Man spürt, wie des Autors Urteile bestimmt sind von der Borniertheit eines Kulturkritikers aus „dem Reich", was den Westen und Südwesten Deutschlands meinte, dem die 1910 noch junge Reichshauptstadt suspekt erschien, vor allem unter dem Zeichen des Wilhelminismus, den er Eklektizismus nennt. (Schon hier wird deutlich, daß es kunstgeschichtliche Kategorien sind, die unkritisch auf andere Gebiete übertra­ gen werden, was den Gedankengang später schief geraten läßt.) Nun könnte man lächelnd darauf hinabblicken als auf etwas, das ein Dreivierteljahrhundert zurück­ liegt; die Zeit hat so vieles verändert, und im geteilten Berlin hat man sich anders mit der Geschichte auseinandergesetzt. Doch beansprucht der Verfasser und mit ihm vielleicht der Herausgeber, daß die geäußerte Kritik einen bleibenden Mangel hervorkehre. Berlin und Beriinertum hätten sich ihm immer noch zu stellen. Aber dies erfolgt aus dem Blickwinkel eines romantisierenden Kultur- und Volksbegriffes, der zu seiner Zeit als eine Betrachtungsweise unter anderen gültig war, sich aber als gefährlich erwies, als er sich mit dem Völkischen verband und Allgemeingültigkeit beanspruchte, wovon man auch 1930 noch wenig wußte. 1994 wissen wir es besser. Auch ohne dies ins allgemeine Bewußtsein zu rücken, muß es als schief und ungerecht wirken, wenn der Verfasser seinen Wertungen den Vergleich mit Königslandschaften und -Städten Englands und Frankreichs unterlegt. So schreibt er dem Paris Ludwigs XIV. innere Größe zu, der Residenz Friedrichs I. von Preußen dagegen bloße Repräsentationslust. Es ist erwähnenswert — was damals ungewöhnlich war —, daß der Verfasser aus dem Geist seiner Kul­ turkritik am Wilhelminismus ein neues Verhältnis zu den Hohenzollern gewinnt. Er schreibt ihnen zu, sich immer im Dienste ihres Volkes gewußt zu haben. Er findet zu einer neuen Würdigung Friedrichs des Großen, den er als Herrscher für das Volk feiert und ihn in der Zweckhaftigkeit seiner Kolonisa­ tionsabsichten einen wahren Märker nennt. Sein Dienst am Volke sei eigentlich ein bürgerlicher gewe­ sen, ausgeführt mit der „Vitalität eines Emporgekommenen". Seither sei Berlin zwar eine Residenz geworden, wurde aber ein Muster kühler Zweckmäßigkeit, zumal das Soldatische darin vorgeherrscht habe. Bei der Beschreibung von Stadtanlage und Baugeschichte Berlins wird das Konstruierte und

68 Künstliche dieser Themaführung besonders evident. Leicht variiert kehrt diese Grundaussage immer wieder, wenn er spätere Epochen abfragt. — Anders als die übrigen mittelalterlichen Städte der Mark Brandenburg, die sich im Schutze von Burgen entwickelten, blieb Berlin immer ein Ort am Spreeüber­ gang, ein nach Osten offener Handelsplatz, ein Vermittler mit oder gegen die slawische Kultur. Dar­ aus habe sich ein bestimmter Menschentypus entwickelt, den er mit Abenteurertum statt Kulturbild- nerei charakterisiert. Die Stadt Berlin sei nicht Mittelpunkt für die Bildung einer Elite gewesen. Immer sei ihr Lebenstempo Hektik statt Lebensbehagen gewesen, seien ihre künstlerischen Lebens­ äußerungen von materiellem Denken beherrscht gewesen, von Interesse und Neugier statt von Bil­ dung und Geist. Berlinische Skepsis sei parvenühaft und provinziell geblieben. „Und Kulturbildner sind solche Menschen nicht. Sie kamen als Abenteurer, Söldner und Vaganten und blieben als Koloni­ sten, als Ackerbürger, Handwerker und Krämer in Kölln und Berlin" (22). — Die Stadt sei sehr prote­ stantisch geblieben, nüchtern und zweckhaft, sie habe nie eine große Gottes- oder Staatsidee entwik- kelt, sie wurde statt dessen eine „Stadt der reinen Vernunft", darum sei Friedrich Wilhelm I. ihr bester Bürger gewesen: er vermittelte in seiner Staatsidee die bürgerliche Notwendigkeit auf märkischem Boden. Bürgersinn sei eigentlich bewahrender Sinn, die Pionierstadt aber habe immer der Fortschritt­ lichkeit gehuldigt, habe sich von soldatischen Impulsen bewegen lassen. So nüchtern wie in seiner Stadtanlage sei das Berlinische in allen seinen Lebensäußerungen gewesen; seinem „steinernen Irr­ garten" fehlte das Malerische. — In der modernen Großstadt seit der Industrialisierung findet der Ver­ fasser dies alles ins Riesenhafte gesteigert; er spricht vom „Schema amerikanischer Kolonialstädte", in denen sich kein Stadtgeist habe ausbilden können. Immer habe man es mit einer Baukunst des Wil­ lens und der Notwendigkeit zu tun gehabt. Als kurze Zeit der Ausnahme und Verheißung einer glück­ licheren Entwicklung läßt er die Schinkelzeit gelten, weil sie eine „bodenständig-märkische" war. Dem entspreche das Fehlen einer Stadtgesellschaft, d. h., bis 1800 gab in der Stadt weder eine Adels­ gesellschaft noch ein städtisches Patriziat den Ton an; Kultur existierte nur in den jüdischen Häusern des 19. Jahrhunderts. So finden sich alle Negativkategorien wie „Stadt der Halbbildung", „Demokratie" (was für ihn Gleichmacherei einschließt), „geistlose Zivilisation", „barbarisches Kolonialvolk" ihre Steigerung in der Charakterisierung der Gründerzeit. „Dem Willen zum Amerikanismus hielt die sekundäre Stadt­ kultur in keinem Punkte stand. Die alte Fürstenstadt verschwand in einer modernen Bürgerstadt und diese in der Großstadt. Berlin wurde wieder Kolonialstadt" (121). — Auch wird Berlin als Stadt der Künste, vor allem der Dichtung, einseitig gesehen. Er setzt sie als Ort der Vermarktung geistiger Pro­ dukte und der Verflachung zu bloßem Interesse herab. Eine solche Stadt könne „unmöglich eine rechte Universitätsstadt sein. Wenn Berlin aber doch Jahrzehnt auf Jahrzehnt große Scharen von Medizinern, Juristen, Philologen, Architekten, Malern und Ingnieuren, von Naturforschern und praktischen Landwirten aus seinen Hochschulen entläßt, wenn allgemach es zur Hauptversorgungs­ anstalt Deutschlands für Akademiker jeder Art wird, so hängt das mit der traurigen Industrialisierung und Materialisierung aller akademischer Berufe zusammen" (145). — Sein Fazit: das ewig werdende Berlin, das ewig unruhige, jedem Reiz nachjagende, werde keinen Stadtgeist ausbilden. Nur ein einzi­ ges Mal sei es bei sich selbst gewesen, als nämlich der Liebermannsche Impressionismus seine Seele eingefangen habe; denn Berlin sei für impressionistische Lichteffekte geschaffen. Wenn der Herausgeber zur kritischen Auseinandersetzung auffordert und das Buch für eine geeignete Grundlage zur Selbstbesinnung hält, ist das nicht von der Hand zu weisen, aber man muß um die Ein­ seitigkeit wissen und in der Analyse beweglicher sein; gegen die „Beweglichkeit, die sich für Kritik offenhält" (222), ist nichts einzuwenden. Es wird für jeden Leser eine stürmische Gegenrede sein, man widerspricht und fühlt sich im nächsten Augenblick durchschaut und erwägt die Dinge aufs neue. Christiane Knop

Bernhard Minetti, Erinnerungen eines Schauspielers, hersg. von Günther Rühle, zahlreiche Thea­ terabbildungen, Personenverzeichnis und Rollenübersicht der Aufführungen von 1937/38 bis 1984/ 85, Stuttgart: Deutsche Verlagsanstalt DVA 1985, 389 Seiten. Von vielen Memoiren hebt sich die Lebensbilanz Bernhard Minettis als Schauspieler ab. Hier wird nicht vom Theater geplaudert, sondern sehr bemüht nach der geistigen Kraft gesucht, die die Welt verwandeln soll. Um das große, schwere Bemühen eines Mannes im Jahrhundert des Chaotischen und Wiederaufbauenden geht es Rühle. Aus vielen Einzelgesprächen ist ein dicht geformter Rechen­ schaftsbericht entstanden, vielleicht verpflichtender in Sprachgebung und Darstellungskraft, als ihn

69 Minetti selbst abgegeben hätte. Man spürt in seinem Ringen um das treffende Wort den großen Minetti dahinter, weiß allerdings nicht, welche der Formulierungen authentisch sind oder der Sprach­ kunst des Verfassers entstammen; beide verschmelzen zu wesensverwandter Einheit. Am sinnfällig­ sten läßt sich Minettis Lebensleistung einspannen zwischen die Szenenfotos vom Anfang seiner Kar­ riere, wo er im „Hamlet" den Schauspieler überhaupt darstellt, und seinem Bühnenabgang als Faust, den Grüber als den ewigen Wanderer konzipiert hat als Inbegriff des Menschlichen überhaupt. — Aus vielen Facetten setzt sich das großartige, allumfassende Bild zusammen. Alle Ereignisse kreisen um den Kern: „Der geistige Kontakt zu den großen Dichtern ist eines meiner Lebenselemente." Minetti schildert, wie ihn in Jugend und früher Manneszeit die damals moderne Dichtung zur Darstellungs­ kunst „verführt" hat. Es war Sehnsucht nach höchst gesteigertem Leben und Lust am Anarchischen und Chaotischen und Lust an der Veränderung aus überschäumendem Lebenstrieb. Er beschreibt die frühen Berliner Jahre unter Jeßners Staatstheater, danach charakterisiert er unüber­ troffen genau und eindringlich jeden seiner Regisseure: Piscator, Gründgens, Fehling, Legal, später Barlog. Es war politisches Theater, und Minetti fühlte sich „unter die Großen geworfen". Unbestech­ liche Selbstkritik und ehrliche Selbsteinschätzung legt er an sich, bekennt sich zu seinen Grenzen und erwähnt dankbar die Regisseure, die alle seine Fähigkeiten weckten. Sein Berichten und Charakteri­ sieren ist tolerant, nobel, voll seelischer Eindringlichkeit, immer anerkennend, stets das Wesentliche erfassend. Später erzählt er vom Preußischen Staatstheater am unter Gründgens; er spürt, wie die heraufkommende Krise des Dritten Reiches als geheimer Riß schon durch das Thea­ ter der Weimarer Zeit hindurchgeht. Hier ist Raum, Gründgens' großartige Leistungen zu würdigen. Bemüht handelt er das Theater im Dritten Reich ab, verschweigt die eigne Lust, nur einfach Theater spielen zu wollen, nicht, die im nachhinein als Teilschuld angesehen werden kann, obwohl er dem braunen Treiben ablehnend gegenüberstand. Er unterscheidet an ihm noch haltbare künstlerische Impulse von hohlem, flachem Pathos. Er kennzeichnet das große klassische Theater als Selbstschutz: Gründgens habe die streng ausgeformte, höchst anspruchsvolle Klassizität des dramatischen Theaters als ein Höchstes gefordert und es als ein Gegengewicht gegen den Ungeist aufgebaut. Oft sei es ein Seiltanz gewesen, und die entlarvende Anspielung des Ensembles sei dem Sehenden sichtbar und dem Hörenden hörbar gewesen. Gründgens habe dies auf die Spitze getrieben, bis er im Konflikt selbst den Ausweg zum Heer gesucht habe, „bei denen, die den Krieg erleiden müssen". Auf die Frage, ob es ein „Nationalsozialistisches Theater" gegeben habe — er berichtet von reinen Ideologie- Stücken wie „Schlageter" und von Querelen unter den Schauspielern —, antwortet er, es habe ein sol­ ches Theater nicht als System gegeben, die preußische Staatsbühne war auch damals noch das wir­ kungsvollste und anspruchvollste Kulturinstitut. Vom Leser wird Kenntnis des Berliner Theaters jener Jahre erwartet, die großen Namen müssen ihm vertraut sein. — Auch vom Neuanfang nach 1945 wird gehandelt, die Namen der Alt-Neuen, die bis­ her verbannt waren, klingen auf, vor allem Zuckmayers. Minetti bekennt sich selbst zur Gestalt des „Oderbruch" aus des „Teufels General" — er war die gebrochene Gestalt jener zwielichtigen Zeit, von der er sagt, sie hätte das Spiegelbild seiner selbst sein können. — Aber wirklich neue Anverwandlung der Nachkriegssituation brachte ihm sein Engagement bei den Arbeiterfestspielen in Recklinghau­ sen. Hier wurde er der politische Schauspieler, zu dem es ihn immer gedrängt hatte, und es ist großar­ tig zu lesen, wie er sich Shakespeare aneignet, den Gestalter und Überwinder des Chaos. Einen neuen Wachstumsring setzt er mit dem Jahre 195 7 an, als ihn der Ruf aus Berlin trifft: Der Zau­ berer Barlog ermutigt ihn zu eigner höchster Verwandlungskraft und härtesten Ansprüchen an seine Kunst. Er beschreibt analysierend sein Wachsen an den großen Dramatikern und an den Neuen wie Beckett und Thomas Bernhard, Walser, Hochhuth oder Frisch. — In den 60er Jahren beginnt die Wende zur Alterskunst. Sie ist ein Rückweg zum neu gesehenen Schiller, Kleist und Goethe und zu den Regisseuren Peymann, Stein und Grüber. Minetti spricht von der „Macht der Kunst". Sie ist seine Verwandlungskunst, die er an die Stelle der Rebellion setzt. Kluges und Kritisches wird über die „Leute im Parkett" gesagt, über die Jugend und über die Rolle des Schauspielers in seiner Suche und Auflehnung; es wird dem nicht jeder zustimmen. Aber es ist Minet­ tis Bekenntnis — ein Bekenntnis ohne Selbstentblößung — voller Auskunft über sein geistiges Ringen und die Kraft, die Rolle selber zu erschaffen, notfalls gegen den Autor. Am Ende ist die Übersicht über seine Rollen und die Spielzeiten in über fünfzig Jahren gegeben, eine ungeheure Arbeitsleistung, die der Leser ehrfürchtig bestaunt. Christiane Knop

70 Reinickendorf 1945/46. Die erste Nachkriegszeit. Beiträge zur Geschichte Reinickendorfs 1. Mit Beiträgen von Ulrike Wahlich unter Mitwirkung von Klaus Goebel und Ingolf Wernicke, hersg. vom Bezirksamt Reinickendorf, Berlin 1995, Katalog zur gleichnamigen Ausstellung im Heimatmuseum Reinickendorf. Gegen Ende des Gedenkjahres an die Ereignisse von 1945 brachte das Heimatmuseum, dessen Leiter Dr. Wernicke Mitglied unseres Vereins ist, eine Präsentation, die Alltag, Arbeitswelt und erste politi­ sche Aufbauarbeit im Bezirk Reinickendorf dokumentierte. Er ist u. a. der Bezirk Franz Neumanns, mit dessen Widerstand gegen die Zwangsvereinigung zur SED sich die entscheidende politische Wei­ chenstellung im westlichen Berlin vollzog, so daß sich in dieser Ausstellung auch Gesamtberlin unter Reinickendorfer Blickwinkel darstellte. Die Grundstimmung jener Monate war bestimmt durch das Gefühl, daß der Krieg mit seiner Bedrohung endlich vorbei war, aber nun neue Entbehrungen durch ungeahnte Improvisationskunst gemeistert werden mußten. Die angesprochenen Bereiche sind die sowjetische und französische Besatzung mit Gewalt, Plünde­ rungen und Demontage der Industrie in Tegel. Gezeigt wird aber auch Essensverteilung durch Solda­ ten der Roten Armee. Einen breiten Raum nimmt die schlimme materielle Situation der Bevölkerung und der notvolle Schulalltag der Kinder ein. — Das Material lieferte außer dem Bezirksamt, dem Franz-Neumann-Archiv und der Humboldt-Bibliothek die Reinickendorfer Bevölkerung mit alten Bescheinigungen, Anträgen, Briefen, Erinnerungen und Fotos. Es beginnt mit der letzten Ausgabe des Nazi-Kampfblattes „Der Panzerbär" vom 29. April 1945, als sich die Rote Armee schon an die Innenstadt herangekämpft hatte, aber in den Außenbezirken, darunter Reinickendorf, schon eine Woche lang die Waffen schwiegen. — Die schwierigen Anfänge der französischen Besatzung werden geschildert. Es gab Antigefühle auf beiden Seiten, ehe sich erste Kontakte zögernd knüpften. Von befreundeten Schutzmächten konnte noch keine Rede sein. Ein ausführliches Kapitel ist der Herausbildung und Tätigkeit der ersten Bezirksverwaltung gewid­ met. Sie setzte sich in der Überzahl aus den von den Russen eingesetzten KP-Ortsbürgermeistern zusammen; das Gewicht verschob sich erst 1946 zugunsten der SPD. Exemplarisch ist hier ein Faksi­ mile des Protokolls der Sitzung vom Mai 46. Es zeugt von ungeahnten Schwierigkeiten des Anfangs angesichts seiner Überfülle fast unlösbarer Aufgaben: Preiswucher, Unsicherheit des wenigen Besit­ zes, Winterfestmachung der schwer angeschlagenen Wohnungen, Schulnot und Jugendkriminalität angesichts alleinerziehender Mütter. Es entsteht der Eindruck der Hilflosigkeit bei so geringen Mit­ teln und der Ungeübtheit parlamentarischer Debatten. Auch ist der Nazi-Jargon in einigen Bezeich­ nungen noch hörbar. Eine Chronik der beiden ersten Jahre schließt die Übersicht ab. Außer den schriftlichen und bild­ lichen Zeugnissen war in der Ausstellung eine typische Küche jener Jahre aufgebaut. Auch die wöchentlichen Lebensmittelrationen wurden gezeigt, die es auf „Karte 5", der „Hungerkarte", für Rentner gab. — Zum Ausgleich stürzte man sich geistig ausgehungert auf alle Angebote, den Wissens­ durst zu stillen. Ein Stundenplan der Volkshochschule zeugt von einem erstaunlich regen geistigen Leben und bietet als Dozenten so bekannte Namen wie Schottlaender für Philosophie, Roch für Lite­ ratur, Worringer für Kunstgeschichte und Vorträge des Arztes Lindenberg und eine Stellungnahme zum „Mythos des 20. Jahrhunderts". Sie sprechen vom Ringen um aufbauende Gesinnung. So ist in relativ kurzer Zeit auf begrenztem Raum eine stimmige Schau entstanden. Christiane Knop

Die Sitzungsprotokolle des Magistrats der Stadt Berlin 1945—46, Schriftenreihe des Landesarchivs Berlin, Hersg. Jürgen Wetzel, Bd. 2, Teil I, bearbeitet und eingeleitet von Dieter Hanauske, Berlin: Berlin Verlag Arno Spitz 1995, 790 Seiten. Dem Landesarchiv Berlin und seinem Direktor Dr. Jürgen Wetzel, Vorstandsmitglied unseres Ver­ eins, als Herausgeber hat sich ein lange gehegter Wunsch erfüllt; seine Verwirklichung hatte auch der Verein für die Geschichte Berlins, gegr. 1865, erwogen, es wäre ihm in dieser Ausführlichkeit aber nicht möglich gewesen. Die Veröffentlichung der Magistratsprotokolle spiegelt die Essenz der unglaublich schwierigen unmittelbaren Nachkriegszeit wider. Dem Forscher ist die präzise Beschrei­ bung der Quellenlage, ihrer Entstehung und Darbietung sehr dienlich. Die Sitzungsprotokolle müs­ sen in der Form ihrer sprachlichen Balance so gesehen werden, wie sie durch die Vorgabe der Allierten Kommandantur beeinflußt wurden, d.h., es mußte den Stadtkommandanten der gute Wille

71 deutlich werden. Man mißtraute der Verläßlichkeit einer ersten demokratischen Regierung Berlins noch sehr. Konstituierend war die Bezogenheit der Stadtverwaltung auf die Londoner Protokolle. Hier waren Tatsachen geschaffen worden, ehe in Berlin eine Viermächteaufsicht geschaffen werden konnte, so daß das östliche Demokratieverständnis die Magistratstätigkeit grundsätzlich prägte. Die Beschreibung des Bearbeiters Dieter Hanauske führt in alle diese Verästelungen hinein und kommen­ tiert die Angaben durch Zusatzdokumente aus gleichzeitigen Privatarchiven von Werner, Hermes, Scharoun, Weltlinger und Maron, ferner aus dem Zentralen Parteiarchiv der SED bzw. den Befehle­ sammlungen der Alliierten Kommandantur. Auch der Nachlaß des Pieck-Sohnes, Arthur Pieck, spielt eine Rolle. Schon dies gibt einen Hinweis darauf, daß die wissenschaftliche Aufarbeitung der Magistratstätigkeit in der Geschichtsschreibung der DDR von staatlichen Vorgaben belastet war, die man heute abstreifen konnte, um den wahreren Blick auf die erste Grundlegung einer demokratischen Ordnung zu gewinnen. Ihre einwandfreie, ungeheuer arbeitsintensive Herausarbeitung ist ein wirkli­ ches „Desiderat", wie der Herausgeber betont. Eine historische Einleitung vorauszuschicken ist nach 50 Jahren unabdingbar. Sie umreißt die Auf­ gabe, aus der völligen politischen Desorientierung eine nicht-nationalsozialistische Ordnung aufzu­ bauen und zugleich das materielle wie seelische Chaos zu meistern. Vielen Miterlebenden, damals vom Kampf ums Leben fast absorbiert und von der kommunistisch indoktrinierten Presse verunsi­ chert oder befremdet, erschien der erste Nachkriegsmagistrat unbeholfen und voreingenommen. Eine Innenansicht gewannen die wenigsten. Dem Oberbürgermeister Dr. , weithin unbekannt, hat man damals das Epitheton „blaß und nichtssagend" zugeschrieben, zu Unrecht, wie sich hier zeigt. Heute hüllt der Abstand eines halben Jahrhunderts die Dinge in ein versöhnlicheres Licht, dem die ideologischen Schärfen und der Haß genommen sind. Entstehung und Zusammenset­ zung des Magistratskollegiums, beides ausführlich beschrieben, weisen schon auf Gegensätze hin, die später kraß hervortraten. Ulbrichts Vorschlag hatte einige Personen enthalten, die parlamentarisch ungeübt waren und sich lediglich durch widerständlerische Haltung ausgezeichnet hatten. Die ihnen nachgesagte Unbeholfenheit zeigt sich hier wenig, sie schlägt nur in einigen typischen Redewendun­ gen durch, so etwa in Formulierungen wie „Villen und Schlösser der Nazi-Häuptlinge" (die konfis­ ziert werden sollten), in denen noch der alte Haß nachklingt. Aufschlußreicher und entlarvender ist die Art der Diskussionsführung. Sie hat den Kommunisten, unter ihnen vor allem Maron und Winzer, die Gelegenheit verschafft, sich zu Bewegern und Kontrolleuren der Sitzungen zu machen, getreu dem oft zitierten Ulbricht-Grundsatz, es solle alles demokratisch aussehen, die Kommunisten müßten aber die Macht ausüben. Der Bearbeiter Hanauske entfaltet die ganze Palette der personellen Beset­ zung in ihrem unterschiedlichen Charakter. Es ergab sich eine „antifaschistisch" ausgerichtete Stadt­ verwaltung, angeführt von Maron, der für die politische Herkunft der Bewerber nach Moskauer Richtlinien einstand. Wer die Tätigkeit im Lauf dieses halben Jahres verfolgt, wird feststellen, daß unter den Ressortleitern Geschke, Maron, Scharoun, Grüber und — solange er im Amt war — Hermes ein gewisses Profil entfalteten. Vom „farblosen" Oberbürgermeister Werner wird gesagt, daß er bemüht gewesen sei, der Institution Magistrat der Stadt Berlin Würde zu geben. — Die eigentlichen „Bürgerlichen" wie Scharoun, Grüber und die Professoren Sauerbruch und Gohrbandt, ferner Sozialexperten wie Schellenberg und Geschke, waren als Fachvertreter gefragt. Es wird berichtet, daß dies Gremium in nur zwei Wochen etabliert — nicht gewählt — wurde, da auf Ulbrichts Betreiben hin in Moskau die Vorarbeit geleistet worden war. Den Kern bildeten die aus dem Exil zurückkehrenden Maron, Gyptner und als Verantwortlicher für Volksbildung der Stalinist Winzer. — Dies Geschehen wird vom Bearbeiter in einem höchst ausführlichen Apparat kenntnisreich erschlossen und kommen­ tiert. Am eindringlichsten wirkt das Sozial- und Lebensbild der Berliner Bevölkerung, wie es sich auf die­ sen Magistratssitzungen darstellt. Da liest man sich fasziniert fest. Die ganze Bodenlosigkeit und das Unbeherrschbare der Berliner Situation in diesen Monaten ersteht in abgemilderter Sachlichkeit, da nur im Medium Protokoll wiedergegeben, aber doch eindringlich genug, uns anzurühren. Das voll­ ständige Bild ist hier nicht nachzuzeichnen, der Hinweis auf einige Absonderlichkeiten muß genügen. Es sind kraß hervortretende Einzelheiten, die in allgemeine Berichte dieser Zeit nicht eingegangen sind. Darunter fällt die Erwähnung, daß erst am 18. Juni die ersten Milchzüge nach Berlin gefahren sind und daß kein Bier gebraut werden konnte, weil die Russen die Vorräte an Hopfen und Gerste aus dem Oderland wegtransportiert hatten. Am unmittelbarsten sprechen die Diskussionen und Beschlüsse an, die von Versorgung der Bevölke-

72 rung mit Lebensmitteln, Brennstoffen und Transportmitteln handeln, und die Beschwörung des Man­ gels wird um so dringlicher, je näher der Winter herankommt. Dem Nacherlebenden erscheint man­ ches so absurd! — Wollte man nur die Menschen ernähren und versorgen, die zum Zeitpunkt der Kapitulation in der Stadt gewesen waren, mußte die Stadt vor weiterem Zustrom abgeschottet wer­ den, was bedeutete, die Flüchtlingsströme aus dem Osten und die ersten Heimkehrer um die Stadt herumzuleiten; ihre Aufnahme war unmöglich oder geschah illegal. In einigen Protokollen kehrt die Formulierung wieder: „Für sie ist kein Platz!" Das betraf auch heimkehrende KZ-Häftlinge. Nie­ mand konnte damals ahnen, daß sich die Heimkehr der Gefangenen aus Rußland über Jahre hinzie­ hen würde; man erwartete ihren Ansturm auf Berlin in nächster Zeit und suchte nach Auswegen, wie sie aufzunehmen und zu versorgen seien. Ihr Anwalt war der Sozialstadtrat Ottomar Geschke. Man erwog ihre Ansiedlung im ländlichen Umland, wo man auf Arbeit und bessere Ernährung für sie hoffte. Maron: „Bei der Behandlung der Kriegsgefangenen müsse man sich fest in Händen halten und sich darüber klar sein, daß jede Hilfsbereitschaft ihre Grenzen habe. Vor allem gelte es, die Kriegsge­ fangenen sofort und so schnell wie möglich nach Hause zu bringen und ihren Aufenthalt in Berlin möglichst abzukürzen. Man könne Auffanglager einrichten... Geschke ist bereit, neben dem Herzen auch den Verstand sprechen zu lassen ... Von den 170 Kriegsgefangenen, die sich gemeldet haben, waren 120 Berliner. Für die übrigen müsse der Grundsatz gelten, daß der Aufenthalt in Berlin nicht länger als zwei Tage dauern dürfe." (25. Juni 1945) — Das Auffanglager in Lichtenberg biete Raum für 10000 Menschen! Auch heimkehrenden Müttern mit ihren Kindern, die vor den Luftangriffen evakuiert worden waren, blieb zunächst der Zuzug untersagt, auch wenn sie aus ihren jetzigen Orten abgeschoben werden soll­ ten. Berlin war keine Heimat mehr, die Familien blieben noch lange getrennt. Mit dem Zustrom vieler Menschen, die lange auf der Landstraße gewesen waren, hingen die Schwie­ rigkeiten der sich im Sommer schnell ausbreitenden Seuchen zusammen, überhaupt stand das Gesundheitswesen vor unlösbaren Aufgaben, wovon die Redebeiträge und Anträge der Professoren Sauerbruch und Gohrbandt berichten. Die mittellose Stadt besaß kein Kreditinstitut, erst allmählich gründete man zur Finanzierung auf Ver­ anlassung der Alliierten eine Staatsbank, die Stadtbank, die später Berliner Stadtkontor genannt wurde. Sie sollte aus dem Staatsbankrott herausführen; der Magistrat weigerte sich, die Schulden des Dritten Reiches zu übernehmen. Der spätere Währungsverfall bereitete sich vor. Schon bald befand sich Berlin auf dem Wege zur Einheitsschule nach sowjetischem Muster; sie sollte von den nationalsozialistischen Lehrern befreit werden, neue standen aber noch nicht bereit. Die Schwierigkeiten, die Ausbildung von „antifaschistischen" Hilfskräften zu organisieren, werden erör­ tert. Schon bald soll die Universität ihre Tätigkeit aufnehmen, wie von Spranger geplant; es geschah im Oktober. Als ein Außenseiter, der jedoch kooperativ Außerordentliches geleistet hat, erwies sich Scharoun als Leiter des Bauressorts. Er begann die Organisation und Durchführung der ersten Enttrümmerung. Schon im Juli 1945 und dann immer wieder bis zum Jahresende mahnt er zur Sicherung unersetzlicher Kunstwerke in den Schlössern, verweist auf die Schlüterdecke im Stadtschloß und den Weißen Saal, fordert die Instandsetzung der Charite und des Robert-Koch-Institutes. Doch bald schon wirft ihm Maron vor, er plane zu groß. An ihm wird erkennbar, wie parteipolitische Voreingenommenheit der Argumente oder Praktiken die Diskussion bestimmen konnten und die Fachentscheidungen erschwerten. Scharoun entlarvte: Die Renovierung des Admiralspalastes (heute Metropol-Theater) als Ort der Parteiveranstaltungen der KPD und Vorzeigetheater des Intendanten Ernst Legal habe unverhältnismäßig viel Geld gekostet, weil sich Legal „beizeiten hinter die Russen" gestellt hatte. (13. August 1945) — Wichtiger wäre die Instandsetzung von Krankenhäusern gewesen. Die Forde­ rung, daß zum Winter jede Wohnung einen Ofen haben solle, sei kaum erfüllbar. „Nach vorsichtiger Schätzung brauche man 270 000 Stück. Die beiden einschlägigen Berliner Firmen können aber nur höchstens 5000 Stück herstellen." (20. August 1945) Zur dürftigsten Wohnungsreparatur wird eine Gebäudeinstandsetzungsabgabe für die Hauseigentü­ mer eingeführt, die aus dem Anteil der wegfallenden Schuldenzinsen genommen wird. Zur Versor­ gung der frierenden Menschen wird der Holzeinschlag in den Wäldern und Mecklen­ burgs erörtert; sein groteskes Ausmaß wird als Kahlschlag erkannt, und das Herangebrachte, soweit es nicht gestohlen wurde, erweist sich als bloßer Tropfen auf dem heißen Stein. Auch das Ausschlach­ ten der Ruinen von Balken und Holzteilen wird verworfen.

73 Erst im Frühherbst wird, gleichsam als ein Justizministerium im kleinen, ein Rechtsamt etabliert, das die dringendsten Aufgaben erledigen soll. Es soll zuständig sein für die Ausbildung von Juristen und die Zulassung von Rechtsanwälten bzw. das Ausschalten der Nazi-Anwälte. Es geht darum, das Recht als Basis für das Rechtsleben herzustellen und den Anspruch als Rechtsstaat zu erfüllen. Große Schwierigkeiten ergeben sich daraus, daß die Alliierten viele Gesetze des Dritten Reiches aufgehoben haben. Die Praxis zeigte aber, daß man zwölf Jahre nicht einfach überspringen kann. Die Fragen der Polizei — unter alliierter Aufsicht — werden ebenso ernsthaft erörtert wie Vorschriften über das Ausbacken von Getreide, damit das Brot nicht so schnell schimmelt. — Die Frage der Wie­ dergutmachung an Juden wird vorsichtig gestreift und recht kontrovers behandelt. Erste Ost-West- Animositäten zeigen sich im verstärkten Zuzug aus der SBZ nach West-Berlin. Man verständigt sich über die Abordnung Berliner Vertreter als Beobachter bei den Nürnberger Prozessen. Eindrucksvoll ist die Rede des Oberbürgermeisters Werner vom Jahresende, der die Horizonte der riesigen Arbeits­ felder umreißt und den Magistratsmitgliedern Mut macht. Sie ist geeignet, im nachhinein die oben erwähnte Voreingenommenheit zu revidieren. Mag man auch ein gewisses Schielen auf die machtaus­ übenden Alliierten in Rechnung stellen, stimmt man ihm doch respektvoll zu, wenn er sagt: „Das Ver­ trauen der Besatzungsmächte, insbesondere der Sowjetbehörden, durch die wir in das Amt berufen worden sind, war eine Verpflichtung für uns zu schwerer, sorgenvoller Arbeit. Wir mußten wahrhaft aus dem Nichts eine völlig neue Sozial- und Wirtschaftsordnung schaffen. Dabei befanden wir uns als erster Magistrat in der 400jährigen Geschichte Berlins in einer bisher nie dagewesenen Lage. Wir waren völlig auf uns allein angewiesen. Wenn uns auch von sehen der Besatzungsmächte hilfreiche Unterstützung zuteil geworden ist, so haben wir doch vieles, was wir geschaffen haben, unserer eige­ nen Zielstrebigkeit und Initiative zu verdanken." (30. Dezember 1945) Christiane Knop

Aus den Berliner Museen

Heimatmuseum Charlottenburg: Die im letzten Heft der MITTEILUNGEN angekündigte Ausstel­ lung über die 50er Jahre in Charlottenburg wird verschoben und findet nun voraussichtlich im Sep­ tember statt. Bis zum 12. Mai zeigt das Heimatmuseum „Charlottenburgensien", Neuzugänge aus seiner Samm­ lung. Vom 30. Mai bis zum 31. Juli wird die Ausstellung „Gruß aus Westend. Zur Geschichte von Charlot- tenburgs ,feinster Provinz'" präsentiert. Die Ausstellung gibt Einblick in die Entstehung des Charlot­ tenburger Villenviertels und in die Lebensverhältnisse seiner Bewohner von den Anfängen in den 1860er Jahren bis in die jüngste Vergangenheit. Vorgestellt wird ebenfalls die Vielzahl namhafter Per­ sönlichkeiten, die Menge der Gelehrten, Künstler oder Schriftsteller, die dort einst gewohnt haben oder noch heute dieses Viertel bevorzugen. Die Ausstellung dokumentiert aber auch einen von der Forschung bislang vernachlässigten Bereich: das jüdische Leben in Westend. Schloßstraße 69. Di bis Fr 10 bis 17 Uhr, So 11 bis 17 Uhr. Auch in diesem Jahr veranstaltet das Bezirksamt Charlottenburg mit zahlreichen hiesigen Kulturein­ richtungen ein Sommerfest mit reichhaltigem Unterhaltungsprogramm: Sonnabend, 15. Juni, 14 bis 21 Uhr (voraussichtlich) im Schloßstraßenbereich Spandauer Damm bis Stallstraße. Birgit Jochens

Museum für Verkehr und Technik: „Institut und Museum für Meereskunde im Technikmuseum". Genau 90 Jahre nach Eröffnung und 50 Jahre nach Schließung des berühmten Museums für Meeres­ kunde präsentiert das Berliner Technikmuseum die wechselvolle Geschichte des einst größten deut­ schen Schiffahrtsmuseums. Gerettete oder wieder „aufgetauchte" Objekte aus dem alten Museum wie z. B. die Cape-Cross-Säule von 1485, ein Pinnkompaß aus dem 17. Jh., eine brandenburgische Bugzier mit mecklenburgischem Wappen aus dem 18. Jh. sowie Schiffs- und Dampfmaschinenmo­ delle sind Glanzpunkte der Ausstellung. 1906 eröffnete Kaiser Wilhelm II. das 1900 gegründete Museum für Meereskunde in der Georgenstraße 34—36. Es sollte das große nationale deutsche Schiffahrtsmuseum sein und wurde darüber hinaus bald zu einem der populärsten Museen Berlins. Das Museum besaß eine Fülle von Objekten zur Ozeanographie, Meeresbiologie, Fischerei, Schif-

74 fahrts- und Marinegeschichte. 1946 mußte das durch Bombentreffer schwer beschädigte Museums­ gebäude geschlossen werden. Zahlreiche Museumsobjekte und große Teile der Bibliothek waren ent­ weder rechtzeitig im Krieg ausgelagert worden oder wurden nach Kriegsende verlagert. Etliche Objekte wurden von den Russen in das Meeres-Militärmuseum nach Leningrad abtransportiert. In der Zeit der Mangelwirtschaft wurden Anker aus Eisen eingeschmolzen, entstand aus Wachsfiguren Seife, ausgelagerte Modelle verschwanden oder wurden „verhökert". Nunmehr übertrug die Hum­ boldt-Universität als Rechtsnachfolgerin des ursprünglichen Museumsträgers die Treuhandschaft mit dem Auftrag, die Bestände so weit wie möglich und sinnvoll wieder zusammenzuführen, zu dokumen­ tieren und auszustellen. Noch bis 30. September. Trebbiner Straße 9, Di bis Fr 9 bis 17.30 Uhr, Sa und So 10 bis 18 Uhr. U.

Spandauer Kunstamt — Stadtgeschichtliches Museum in der Spandauer Zitadelle: „Zweirad, Vier­ rad, Allrad — Fahrzeugbau in Spandau". Die Ausstellung soll den Fahrzeugbau in Spandau von seinen Anfängen bis zum heutigen Tag zeigen. Die Entwicklung dieses Industriezweiges bewirkte eine nachhaltige Veränderung der Stadt. Die wirt­ schaftlichen und sozialen Auswirkungen dieser Entwicklung sind von historischer Tragweite. Durch die Ausstellung soll erstmals der technisch und wirtschaftlich bedeutsame Anteil Spandaus an der deutschen Automobilgeschichte in seiner Gesamtheit dargestellt werden. Im Jahre 1908 kauften die Siemens-Schuckert-Werke die Marke Protos, die 1898 gegründet worden war. Die Produktion wurde nach Spandau verlegt und in industriellem Maßstab aufgebaut. Bis 1927 wurden Protos-Wagen am Nonnendamm gebaut, die zu den bekanntesten und berühmtesten deut­ schen Automobilen gehörten. Viele wurden exportiert, vor allem nach Rußland, Mittel- und Südame­ rika. 1927 wurde Protos von der AEG übernommen. Von den weltweit letzten 16 noch existierenden Protos-Wagen sind vier Autos in der Ausstellung zu sehen, die sogar noch fahrbereit sind und auf eige­ ner Achse anreisten! In den 20er Jahren waren Motorräder als preiswerte Alternative zum Automobil sehr gefragt. Viele neue Firmen wurden gegründet, die meist nicht lange bestanden. 1920 begannen die Deutschen Industrie-Werke mit dem Motorradbau. Zwischen 1927 und 1929 konnten jährlich bis zu 20 000 D-Räder verkauft werden, was etwa 75 % aller in Deutschland gebauten Motorräder ent­ sprach. 1932 übernahm NSU die Motorradfertigung der D-Werke. Fast die gesamte Produktionspa­ lette der D-Räder ist in der Ausstellung zu sehen. 1927 entschloß sich die amerikanische Automobil­ firma Hudson Essex, eine Fabrik in Spandau zu eröffnen. 1928 folgte die zweite amerikanische Firma Durant, die allerdings schon nach etwas über einem Jahr ihr Spandauer Werk schloß. Hudson-Essex produzierte dagegen sehr erfolgreich bis 1933. Aufgrund der fortgeschrittenen Fertigungstechnik dauerte das Zusammenbauen eines Hudson-Essex in Spandau nur 1,5 Stunden. Einer der letzten noch existierenden Hudson-Wagen gehört dem Museum Spandau und wird ausgestellt. 1927 richtete Jörgen Skafte Rasmussen in Spandau ein DKW-Zweigwerk ein. Das erste in Spandau gebaute DKW- Auto war 1928 das Modell „P 15". Die selbsttragende Sperrholzkarosserie mit Kunstlederbezug wurde die erste große Serienproduktion im Spandauer Automobilbau. Bis 1940 haben ca. 34 000 DKW-Automobile das Spandauer Werk verlassen. 1965 wurde die Fabrikation im Spandauer DKW- Werk eingestellt. Aus der Modellpalette der DKW-Wagen sind insgesamt vier Fahrzeuge zu sehen, darunter ein Slaby-Behringer mit DKW-Motor, das einzige noch erhaltene Fahrzeug dieser Art! 1899 entschieden sich Benno Orenstein und Arthur Koppel, in Spandau ein Werk zu errichten. 1902 konstruierte man bei O & K am Brunsbüttler Damm den ersten Bagger und gehört damit zu den älte­ sten Fahrzeugherstellern in Spandau. Von 1951 an lieferte O & K Doppeldeckerbusse an die BVG. Bis 1976 sind bei O & K mehr als 900 Omnibusse gebaut worden. Heute werden täglich bis zu drei Gabelstapler und zehn Hydraulikbagger gefertigt. So können auf der Zitadelle verschiedene Bagger­ modelle verglichen werden. Von 1949 an verlegte die BMW AG ihre Motorradproduktion schrittweise von der Isar an die in das Werk am Zitadellenweg. Seit 1969 schließlich kommen alle BMW-Maschinen aus Spandau. Heute fertigen hier rund 1350 Mitarbeiter bis zu 240 Motorräder am Tag, alle drei Minuten rollt eine Maschine vom Band. Damit setzt das BMW-Werk die 75jährige Tradition des Spandauer Motorrad­ baus fort. Vom „R 75/5", einem der ersten Modelle, bis hin zum „R 1100 RS" dokumentieren zwölf BMW-Motorräder diese Entwicklung. Noch bis 28. April. Zitadelle Spandau, Mo bis Fr 9 bis 17 Uhr, Sa und So 10 bis 17 Uhr.

75 Spandauer Zitadelle: „Instandsetzungsarbeiten an der Zitadelle und der Burgwallschanze". 1996 wird der historische Hafen in der Zitadelle fertiggestellt sein. Erste Nutzungsideen werden zur Zeit entwickelt. Die Schuppenanbauten an der zum Festungsumfeld der Zitadelle gehörende Burgwall­ schanze werden in diesem Jahr entfernt, die Mauerdurchbrüche geschlossen. Auch hier werden der­ zeit Nutzungskonzepte fertiggestellt. Künftig werden das Fort Hahneberg, die Burgwallschanze und die Zitadelle eine historische Einheit bilden und die gesamte 400jährige Festungsgeschichte Span­ daus darstellen. Mit den fortschreitenden Instandsetzungen in der Spandauer Zitadelle sollen weitere historische Gewerke angesiedelt werden. Zu den vorhandenen Werkstätten „Klangholz", künstleri­ sche Keramik, Kerzenzieher und Zinngießer kommen demnächst eine Puppenmacher-Werkstatt mit Puppentheater und die Festungsschmiede. U.

Stadtmuseum Berlin: Zum Stadtmuseum gehören seit dem 23. Juni 1995 folgende museale Einrich­ tungen der Stadt: Berlin Museum, Domäne Dahlem, Dorfmuseum, Ephraim-Palais, Friseurmu­ seum, Grünauer Wassersportmuseum, Handwerksmuseum, Haus zum Galgen, Jüdisches Museum, Knoblauchhaus, Märkisches Museum, Modearchiv, Museumsdorf Düppel, Natuwissenschaftliche Sammlungen, Nikolaikirche, Sammlung Industrielle Gestaltung, Schloß Friedrichsfelde, Schul­ museum, Sportmuseum Berlin. Berlin Museum: Das Museumsgebäude bleibt wegen Um- und Neubau (Libeskind-Bau) bis Ende 1998 geschlossen. Domäne Dahlem: „Ländliches Spielzeug". Spielzeug aus zwei Jahrhunderten wird als neuer Teil der Dauerausstellung gezeigt: Bauernhöfe, Viehherden, Fuhrwerke, Ställe, Speicher, Dorfbewohner, Pferde, Ochsen. Als besondere Attraktion gibt es die Möglichkeit, in einem Spielzimmer selbst aktiv zu werden. Als weitere Ergänzung der Dauerausstellung wird die Schau „Von den Bienenbäumen zur Imkerei" gezeigt. Königin-Luise-Straße 49. Mi bis Mo 10 bis 18 Uhr. Dorfmuseum Berlin: „Aderlaß und Dauerwelle" (Friseurmuseum), „Von Holzwürmern, Zim­ merochsen und anderen Gewerken — Traditionelle Holzberufe stellen sich vor" (Handwerksmu­ seum). Beide Ausstellungen bis Ende 1996. Alt-Marzahn 31. Di bis So 10 bis 18 Uhr. Ephraim-Palais: Dauerausstellung „Berliner Malerei von Blechen bis Hofer" und „Stadtansichten auf Berliner Porzellan/KPM von etwa 1800 bis etwa 1900". Poststraße 16. Di bis So, 10 bis 18 Uhr. Grünauer Wassersportmuseum: Dauerausstellung „Vom Kentermaxe bis Sportdenkmal. Berliner Wassersport (1876-1945)". Regattastraße 141. Di und Mi 9 bis 12,14 bis 16.30 Uhr, Sa 14 bis 16.30 Uhr. Jüdisches Museum: „Jüdische Schulen in Berlin". Noch bis 27. Mai. Martin-Gropius-Bau, Strese- mannstraße HO. Di bis So 10 bis 20 Uhr. Knoblauchhaus: „Sie kleidet die Reichen — sie naehret die Armen. Berliner Seide und Seidenhandel (Seidenhändler in Berlin — Die Familie Keibel)". Vom 10. Mai an bis August. Poststraße 23. Di bis So 10 bis 18 Uhr. Märkisches Museum: „Ernst Litfaß (1816—1874)". Noch bis zum 8. April. Am Köllnischen Park 5. Di bis So 10 bis 18 Uhr. Museumsdorf Düppel: Dauerausstellung „Rekonstruktion einer mittelalterlichen Siedlung". Clau- ertstraße 11. Bis 8. Oktober Do 15 bis 19 Uhr, So 10 bis 17 Uhr. Nikolaikirche: Dauerausstellung „Berliner Stadtgeschichte von den Anfängen bis 1648, Sakrale Tex­ tilien, Sakrale Plastik des 14. bis 16. Jahrhunderts aus der Mark Brandenburg". Nikolaikirchplatz. Di bis So 10 bis 18 Uhr. Schloß Friedrichsfelde: „Bildende und angewandte Kunst des 17. und 18. Jahrhunderts". Bis Ende 1996. Am Tierpark 125. Di bis Sa 10 bis 18 Uhr, So 13 bis 18 Uhr. Schulmuseum: „Hätf ich drei Wünsche frei..." Noch bis 26. April. Wallstraße 32. Di, Do, Fr 9 bis 16 Uhr, Mi 9 bis 18 Uhr. Sportmuseum Berlin: „Faszination Olympia". Ausstellung aus Anlaß des Jubiläums „100 Jahre Olympische Spiele der Neuzeit". 6. April bis 30. Mai. Ort: Postmuseum, An der Urania 15. Mo bis Do 9 bis 17 Uhr, Sa und So 10 bis 17 Uhr. Theater und dokumenta artistica: „Der Friedrichstadtpalast", 17. Mai bis 21. Juli. Ort: Panoptikum, Kurfürstendamm/Ecke Joachimsthaler Straße. Tägl. 10 bis 23 Uhr. U.

76 Es stellt sich vor:

Förderverein Alter Berliner Garnisonfriedhof e.V.

Ein Kleinod der Berliner Kulturgeschichte hat sich über die Brüche und Zäsuren der Zeitgeschichte hinweg inmitten Berlins erhalten: der Alte Berliner Garnisonfriedhof in der Spandauer Vorstadt, genauer in der Kleinen Rosenthaler Straße 3. Obgleich seit den Nachkriegsjahren als Begräbnisplatz geschlossen, in den 70er Jahren dem Zug der Zeit folgend in eine Parkanlage umgewandelt, dauert seine Geschichte fort. Und dies verdankt er vor­ nehmlich dem hohen kunstgeschichtlichen Wert seiner Grabmale. Insonderheit sind es die Grabmale aus der Schule des Berliner Eisenkunstgusses, geformt nach Entwürfen von Karl Friedrich Schinkel, Friedrich Tieck, Ludwig Wichmann u. a. Bei den Eingriffen der Vergangenheit sind die Gräberreihen stark gelichtet worden, dennoch erinnern nach wie vor Namen wie Friedrich de la Motte Fouque, Adolph von Lützow und v. d. Knesebeck an preußische und Berliner Geschichte. Die Grabdenkmale von Offizieren der Befreiungskriege, von Stadtkommandanten und Gouverneuren Berlins finden sich hier ebenso wie Massengräber aus dem Zweiten Weltkrieg — ein Spiegelbild deutscher Geschichte. Aber auch der Schöpfer des „Strahlower Fischzuges", Julius von Voß, hatte hier seine letzte Ruhe­ stätte. Währen denkmalpflegerische Bemühungen um die Erhaltung der wertvollen Grabdenkmale auch schon seit mehr als 15 Jahren, konnten sie doch nicht mit dem Nagen des vielzitierten Zahnes der Zeit Schritt halten; die Korrosion der Eisengrabmale schreitet fort, leider auch gefördert durch manche Unachtsamkeit. Dem zu wehren, die Denkmalpflege fordernd zu fördern, sie durch eigene Leistun­ gen, durch eine entsprechende Öffentlichkeitsarbeit sowie mit daraus hoffentlich erwachsenden finanziellen Mitteln zu unterstützen — dies ist das Anliegen des Fördervereins Alter Berliner Garni­ sonfriedhof e.V. In ihm haben sich im Oktober 1993 interessierte und engagierte Bürger zusammen­ geschlossen. Sie wollen dazu beitragen, das Wissen um diesen Friedhof und seine Denkmalschätze im öffentlichen Bewußtsein der Stadt, im Gedächtnis der Berliner und Berlinbesucher zu bewahren. In Zusammenarbeit mit dem Verein Stiftung Scheunenviertel e.V., der sich vornehmlich der Geschichte dieses benachbarten Urgesteins Berliner Kulturgeschichte verpflichtet fühlt, ist im ehemaligen Ver­ waltungsgebäude des Friedhofes seit mehr als zwei Jahren eine Ausstellung zur Geschichte der Berli­ ner Garnisongemeinde und ihres Friedhofes gestaltet worden. In regelmäßigen Fachvorträgen wer­ den Fragen der preußischen und Berliner Militärgeschichte, vor allem aber kunstgeschichtliche Aspekte der Grabdenkmalpflege behandelt. Die Ergebnisse dieser Vorträge und Gespräche sollen fortan in einer Schriftenreihe festgehalten und veröffentlicht werden. Bereits drei Hefte sind erschie­ nen: Heft 1: Zur Geschichte der Alten Berliner Garnisonfriedhöfe Heft 2: Das Scheunenviertel — Städtisches Umfeld der Alten Berliner Garnisonfriedhöfe Heft 3: Zur Geschichte des brandenburgisch-berlinischen Garnisonwesens im 18. Jahrhundert Mit den Einnahmen aus diesen Publikationen will der Förderverein die denkmalpflegerischen Arbei­ ten auf diesem Friedhof finanziell unterstützen, in enger Zusammenarbeit mit der zuständigen Senatsverwaltung, Referat Gartendenkmalpflege, und dem Bezirksamt Mitte. Die Mitarbeit weiterer Interessierter ist immer willkommen. Zu erreichen ist der Förderverein unter folgender Anschrift: Förderverein Alter Berliner Garnisonfriedhof e.V. Kleine Rosenthaler Straße 3 10119 Berlin Heinz Berg

Unser Verein wird am 19. Juni 1996 von Dr. Horst Helas über den Alten Berliner Garnisonfriedhof geführt (vgl. Veranstaltungsprogramm, S. 83).

77 „Denkmaltag" in Berlin-Friedrichshain am 9. und 10. Mai 1996

Nachdem der Verein für die Geschichte Berlins, gegr. 1865, im vergangenen Jahr zwei Veranstaltun­ gen in Friedrichshain durchführte, lädt nun das Landesdenkmalamt Berlin zum 10. Denkmaltag in diesen sehenswerten Bezirk ein. Durch die Veranstaltung „Bauten von Hoffmann und Messel im Bezirk Friedrichshain" und die „Park-Führung im Friedrichshain" wollte ich seinerzeit das Vorurteil korrigieren, Friedrichshain sei ein denkmalarmer Arbeiter- und Industriebezirk. Diese Initiative wird nun vom Landesdenkmalamt durch Vorträge und Führungen fortgesetzt. Der Architekt Olaf Gibbins stellt die Sanierung der Karl-Marx-Allee mit Innenbesichtigungen vor. Professor Dr. Ludwig Deiters erläutert vor Ort die erst kürzlich rekonstruierte Oberbaumbrücke. Sie ist ein hervorragendes Beispiel der Industrie- und Technikdenkmale, die dieser Bezirk in großer Zahl aufzuweisen hat. Auch weniger bekannte Details werden gezeigt: So kann man — in kleinen Gruppen — die unterirdische Technik des Märchenbrunnens besichtigen, die uns im vergangenen Jahr nicht zugänglich war. Einen inhaltlichen Schwerpunkt bildet die Frage, wie Denkmale durch eine zeitgemäße Nutzung in ihrem Bestand gesi­ chert werden können. Dazu äußern sich Denkmalpfleger, Investoren und Politiker. Bei den geplanten Gesprächsrunden stehen das Narva-Industriegelände, der Osthafen und die zahlreichen Kirchen des 19. und 20. Jahrhunderts im Mittelpunkt. Alle Veranstaltungen sind kostenfrei. Ein Programm kann beim Landesdenkmalamt, Lindenstraße 20—25, 10958 Berlin, angefordert werden. Weitere Rück­ fragen werden dort gerne von Dr. Christine Wolf, Mitglied unseres Vereins, beantwortet. U.

Dr. agr. Hans Günter Schultze-Berndt f 5.10.1927 - 23.2.1996

So freundlich-liebenswürdig wie auf dem Bild haben wir ihn in der Vergangenheit oft erlebt, und so wollen wir ihn auch in Erinnerung behalten. Hans Günter Schultze-Berndt ist nach kur­ zer, schwerer Krankheit, erst 68 Jahre alt, verstorben. Dieser jähe Tod trifft uns hart und wird eine Zäsur auf unserem Weg sein. Über mehr als ein Vierteljahrhundert hinweg hat Hans Gün­ ter Schultze-Berndt dem Verein für die Geschichte Berlins, gegr. 1865, seinen Stempel aufzu­ drücken vermocht und mitgeholfen, ihm den respektablen Stellenwert wiederzugeben, den er sich vom Gründungsjahr 1865 an bis in die Zeit des Zweiten Weltkriegs im kulturellen Leben der Hauptstadt hatte erwerben können. Hat den Unermüdlichen schon sein Beruf als Ge­ schäftsführer der Versuchs- und Lehranstalt für Brauerei am Schreibtisch und auf zahlreichen Vortragsreisen im In- und Ausland beansprucht, blieb es ihm ein Herzensanliegen, einen ach­ tunggebietenden Teil seiner Freizeit dem Verein zu schenken, den Blick in die Vergangenheit Berlins zurückzuwenden und über Historie als Erlebnis nachzudenken. Faszinierte ihn doch, wie gewichtig Gewesenes und Versunkenes unsere Gegenwart und Zukunft unabdingbar mit­ bestimmen. Aber ungeachtet aller den Lauf der Zeiten wieder und wieder verdüsternden Schatten blieb sein Weltbild optimistisch, er ein gläubiger Christ und fröhlicher Mensch, der sein Leben so gemessen zu nehmen verstand, wie immer es kam. Er war mehr als der Schriftführer oder Protokollant des Vereins, als Autor der Tätigkeitsbe­ richte in den Jahrbüchern gemahnte sein Tun an einen Chronisten. Er bemühte sich mit um den Aufbau der Bibliothek, machte in seinen Rezensionen die Leser der „Mitteilungen" mit den neu erworbenen Büchern bekannt und lieh mit seinen praktikablen Hinweisen und Vorschlä-

78 gen auf Vortragsthemen und Führungen den dafür Verantwortlichen im Vorstand willkom­ mene Unterstützung. Hans Günter Schultze-Berndt ließ, meist von seiner Gattin begleitet, kaum j e die persönliche Teilnahme an einer Veranstaltung aus, mochte deren Stunde selbst ein­ mal ungelegen scheinen oder das Wetter wenig einladend sein: Ein Engagement, wahrlich der Bewunderung würdig. Um Land und Leute kennenzulernen und die Geselligkeit unter den Vereinsmitgliedern zu entwickeln, nahm er mit Wochenendreisen, zunächst in den deutschen Westen, dann auch in die neuen Bundesländer, einen bewährten Brauch aus früheren Jahr­ zehnten wieder auf: Geschichtsträchtige Ziele wurden wohl überlegt ausgewählt, die Fahrten sorgfältig organisiert und durchgeführt. Die Teilnehmer durften sich mit Wohlgefallen der gemeinsamen Stunden erinnern. Unvergessen bleibe seine Originalität, gesellige Beisammen­ sein — und nicht nur diese, auch Sitzungen und Besprechungen — aufzulockern durch Scherze und Anekdoten, über die er in unerschöpflicher Fülle verfügte und die auch manches Mal über stockende Diskussionen hinwegtragen und atmosphärisch wohltuend sein konnten. Obgleich seine Lebensbahn sich dem Ende des siebenten Jahrzehnts zuneigte, stand der Rast­ lose noch mitten im Wirken, auch mit einer Reihe geplanter Vorträge über seinen alten Berufs­ bereich, das Brauwesen, und als Autor — gleich als wäre er eine Generation jünger. Wir werden des Lateinerwortes vom Unvorhergesehenen wieder inne „Media in vita morte sumus". In den Annalen des jetzt hundertdreißigjährigen Geschichtsvereins wird unser Freund als nobler Diener an einer schönen Sache seinen Platz finden. Gerhard Kutzsch

74 Bücherspende

Herzlichen Dank unserem Mitglied Ernst Kluge! Unsere 15 000 Bände umfassende Vereinsbiblio­ thek (ohne Etat) erfuhr eine willkommene Bereicherung durch das hochlobenswerte Geschenk an Büchern, Broschüren und Stadtplänen zur Historie Berlins. Im Frühjahr und Herbst letzten Jahres durften wir den Bestand von ca. 700 Bänden, Heften und Plänen in die Bibliothek übernehmen. Auf­ grund dieser großen Anzahl bedarf es noch einer geraumen Zeit der Einordnung und Katalogisie­ rung, bis dieser Neueingang den Besuchern zur Verfügung steht. Einige Nicht-Berolinensien dürfen von den Mitgliedern im Tausch gegen Berlin-Bände erworben werden. Wir wünschen unserem Mit­ glied Ernst Kluge alles Gute für seinen weiteren Lebensweg! Karlheinz Grave, Bibliothek

Restbestände der „Mitteilungen " und der Jahrbücher

Die in unserer Vereinsbibliothek aufbewahrten Restbestände früherer Ausgaben der „Mitteilungen" und der Jahrbücher können von unseren Mitgliedern und Freunden gegen eine kleine Geldspende oder im Austausch mit anderer Berlin-Literatur erworben werden. Karlheinz Grave, Bibliothek

Wir begrüßen folgende neue Vereinsmitglieder (1/96):

BEWAG AG, Vorstandsbüro Caspers, Regina, Museumspädagogin Stauffenbergstraße 26, Ringeinatzstraße 31A 10785 Berlin-Tiergarten 12305 Berlin-Lichtenrade Tel. 267-0 (Dr. M. Uhlitz) Tel. 7 46 6419 (Dr. M. Uhlitz) Bloomquist, Stephanie, Dittrich, Norbert, Kaufmann Übersetzerin / Fremdenführerin Grimmeishausenstraße 19, Xantener Straße 5, 14089 Berlin-Kladow 10707 Berlin-Wilmersdorf Tel. 3654368 (D. Zins) Tel. 8811281 (Dr. M. Uhlitz) Eudner, Gisela, Rentnerin Böse, Heinz, Architekt Päwesiner Weg 14, Senftenberger Ring 73, 13581 Berlin-Spandau 13435 Berlin-Wittenau Tel. 3 3145 75 (Dr. M. Uhlitz) Tel. 4031859 Globig, Anneliese, Dipl.-Phil., Brozat, Klaus-Peter, Bankkaufmann Reiseleiterin Semmelländerweg 18, 13593 Berlin-Spandau Zillertalstraße 35, Tel. 3636417 13187 Berlin-Pankow Budich, Margrit Tel. 4 72 37 04 (Dr. M. Uhlitz) Kyllmannstraße 22 c, Grabowski, Dr. Jörn, Historiker 12203 Berlin-Lichterfelde West Greifswalder Straße 26, Tel. 8335478 (D. Klatt) 10405 Berlin-Prenzlauer Berg Budich, Professor Dr. Werner, Ing. Groß, Reinhard, Bauhistoriker Kyllmannstraße 22 c, Dieffenbachstraße 35, 12203 Berlin-Lichterfelde West 10967 Berlin-Kreuzberg Tel. 8335478 (D. Klatt) Tel. 6940409

80 Hadamczik, Anne-Yvonne, Rabbach, Axel, MdA Borkumer Straße 40, Westendallee 76, 14199 Berlin-Schmargendorf 14052 Berlin-Charlottenburg (Dr. M. Uhlitz) Tel. 3 04 37 43 (Dr. M. Uhlitz) Hennemann, Professor Dr. Heinz Harald, Renatus, Gerda, Dipl.-Ing. Päd./Beamtin Arzt An der Kolonnade 10, 10117 Berlin-Mitte Schwanenstraße 2 d, 68259 Mannheim Tel. 2 29 7173 (Dr. M. Uhlitz) Tel.(0621)793272 Rohrlach, Dr. Peter, Herder, Hans-Joachim, Verwaltungsjurist Stellv. Direktor d. Berliner Stadtbibliothek Reilstraße 12, 06114 Halle/Saale Wodanstraße 2/3 ,12623 Berlin-Mahlsdorf Tel. (03 45) 2 20-29 27 (J. Schröter) Tel. 5125737 (Dr. H. G. Schultze-Berndt) Hoppe, Carola, Hausfrau Scholtes, Anke, Technikerin u. Stadtführerin Sophie-Charlotte-Straße 32 a Bernadottestraße 40 14169 Berlin-Zehlendorf 14195 Berlin-Dahlem Hörne, Christel, Stadtführerin Tel. 8 2318 52 (Dr. M. Uhlitz) Quarzweg 64, 12349 Berlin-Buckow Seehagen, Ursel Tel. 7 4123 74 (Dr. M. Uhlitz) Leonberger Ring 48, 12349 Berlin-Buckow Kettler, Patricia, Stadtführerin Tel. 6 041315 (Dr. M. Uhlitz) Württembergallee 26/27 Spengler, Hans, Postoberamtsrat 14052 Berlin-Charlottenburg Hohenzollerndamm 117, Tel. 3 04 86 26 (Dr. M. Uhlitz) 14199 Berlin-Schmargendorf Köhn, Professor Dr. Kurt, Arzt Tel. 8266393 Danckelmannstraße 32, Thielcke, Ingrid, Fremdenführerin 14059 Berlin-Charlottenburg Zabel-Krüger-Damm 158, Tel. 3 2192 29 (Dr. M. Uhlitz) 13469 Berlin-Lübars Lockenvitz, Christa, Stadtführerin Tel. 4028789 (Dr. M. Uhlitz) Salvatore-Allende-Straße 45, Tschöpe, Frauke, Apothekerin/Stadtführerin 12559 Berlin-Köpenick Franzensbader Straße 37 Tel. 6 54 45 81 (Dr. M. Uhlitz) 14193 Berlin-Grunewald Mann, Heribert, Dipl.-Ing., Tel. 8 25 88 37 (Dr. M. Uhlitz) Augsburger Allee 53 Ulbrich, Gisela, Bibliothekarin i. R. 14055 Berlin-Charlottenburg Treptower Straße 86, Tel. 3 05 68 26 (Dr. M. Uhlitz) 12059 Berlin-Neukölln Mathot, Koen, Fremdenführer Voeste, Frida, Taunusstraße 8, 12161 Berlin-Friedenau Jenaer Straße 14, 10717 Berlin-Wilmersdorf Tel 8222041 (Dr. M. Uhlitz) Tel. 8541368 (G.Bangen) Mörth, Constanze, Studentin Walter, Helga, Bilanzbuchhalterin Humboldtstraße 23 Jugendweg 3, 13629 Berlin-Siemensstadt 13403 Berlin-Reinickendorf Winkler, Manuela, Stadtführerin Tel. 4967738 Pritzwalker Straße 16, Nagel, Anneliese, Rentnerin 10559 Berlin-Tiergarten (Dr. M. Uhlitz) Otto-Suhr-Allee 58, Zeidler, Irene, Apothekerin 10585 Berlin-Charlottenburg Sachsenwaldstraße 7, 12157 Berlin-Steglitz Tel. 3 4166 95 (Dr. M. Uhlitz) Tel. 8559734 (G.Bangen) Nause, Hennig, Gebietsverkaufsleiter i. R. Zillmann, Hildegard Lichterfelder Ring 103 Landhausstraße 6, 12279 Berlin-Marienfelde 10717 Berlin-Wilmersdorf (Dr. J. Welz) Tel. 7115806 Züchner, Günter, Beamter Ohm, Barbara, wissenschaftl. Dokumentarin Feigentreustraße 55 Walsroder Straße 22, 12169 Berlin-Steglitz 12249 Berlin-Lankwitz Tel. 7 95 84 04 (Dr. M. Uhlitz) Tel. 7 75 29 20 (B. Cronenberg/ R. Link) Piontek, Kerstin, Dipl.-Ing. Züchner, Monika, Med.-Techn. Assistentin Scheiblerstraße 26, Felgentreustraße 55 12437 Berlin-Baumschulenweg 12249 Berlin-Lankwitz Tel. 5 32 66 44 (Dr. M. Uhlitz) Tel. 7752920 (B. Cronenberg/R. Link)

81 Einzugsermächtigung

Die Berliner Bank teilt mit, daß sie von sofort an keinen Bankeinzug mehr durchführt. Alle Mit­ glieder, die den Jahresbeitrag bisher im Lastschriftverfahren von ihrem Konto abbuchen ließen, sind daher schon jetzt gebeten, den Beitrag im kommenden Jahr mit einem üblichen Überweisungs­ formular zu begleichen. Karl-Heinz Kretschmer, Schatzmeister

Veranstaltungen im 2. Quartal 1996

10. Freitag, 12. April 1996, 15.30 Uhr: „Führung durch das deutsch-russische Museum Berlin-Karlshorst" mit Museumsleiter Dr. Peter Jahn (vgl. zum Museum den Beitrag von Dr. G. Camphausen im Heft 2/95 der MITTEILUNGEN, S. 386 ff.). Treffpunkt: 15 Uhr vor dem S-Bhf. Karlshorst, von wo wir gemeinsam zum Museum laufen. Auto­ fahrer können vor dem Museum in der Zwieseler Straße 4 parken. Anmeldung erbeten: SchrLt. Dr. Uhlitz, Tel. 3 05 96 00. 11. Sonnabend, 20. April 1996,14 Uhr: „Führung durch den Bereich der Charlottenbur­ ger Schloßstraße" mit unserem Vorstandsmitglied Birgit Jochens,, Leiterin des Heimat­ museums Charlottenburg. Treffpunkt: vor dem Heimatmuseum, Schloßstraße 69 (neben dem Ägyptischen Museum). U 2 (Sophie-Charlotte-Platz), U 7 (Richard-Wag­ ner-Platz), S-Bahn Westend, Bus: 109, HO, 145. 12. Freitag, 26. April 1996, 16 bis 18 Uhr: „Hinter den Kulissen der Staatsbibliothek (Potsdamer Straße): Führung durch die technischen Zentralen" mit Klaus-G. Wolny, Referat Haustechnik. Treffpunkt: Haupteingang, Eingangshalle. U 1 und U 15 (Kurfür­ stenstraße), Bus: 129, 142, 341, 348. 13. Freitag, 3. Mai 1996, 16 bis 18 Uhr: „Führung im ältesten Haus Charlottenburgs: Sclmsiehrusstraße 13 — Museum für AUtagskultur" mit Silke Hellmuth, Kunsthistori­ kerin. Da maximal 12 Personen gleichzeitig in das Haus dürfen, werden wir mehrere halbstündige Führungen durchführen. Eine verbindliche Anmeldung ist daher erforder­ lich: SchrLt. Dr. Uhlitz, Tel. 3 05 81 23. Das Haus befindet sich zwischen Gierkeplatz und Wilmersdorfer Straße unweit der Otto-Suhr-Allee. U 7 (Richard-Wagner-Platz), Bus:X9, 109, 145. 14. Freitag, 10. Mai 1996, 16 Uhr: „Besichtigung des Libeskind-Erweiterungsbaus mit Jüdischem Museum". Nach der Begrüßung durch Professor Reiner Güntzer, General­ direktor des Stadtmuseums, führt uns Helmuth Braun, Jüdisches Museum. Das Ge­ bäude des Architekten Daniel Libeskind ist im Werden und eindrucksvoll zu besichtigen in seinem rohen Zustand. Lindenstraße 14. Eingang: Baustelleneinfahrt rechts vom Neubau. U 1, 6, 15 (Hallesches Tor), Bus: 129, 141, 240, 341. 15. Sonntag (Muttertag), 12. Mai 1996: „Exkursion zum Schloß Reckahn und Besichti­ gung des Schulmuseums der ersten mehrklassigen Volksschule Preußens" mit unse­ rem Mitglied Wolfgang Stapp. Mit Mittagspause. Treffpunkt: 9.45 Uhr vor dem Bahn­ hofin Krahne. Um 8.38 Uhr fährt der Regionalexpreß vom Bhf. Zoo nach Brandenburg mit unmittelbarem Anschluß nach Krahne (2 Stationen). Von Krahne führt ein sehr schöner Weg entlang von Fischteichen nach Reckahn (3 km). Nachmittags können wir auf diesem Weg zurückkehren oder ca. 8 km nach Brandenburg wandern. 16. Mittwoch, 15. Mai 1996,18.30 Uhr bis 19.30 Uhr: Jahreshauptversammlung. Ort: Ber­ liner Rathaus, Ferdinand-Friedensburg-Saal/Raum 338. Tagesordnung nebenstehend. Anschließend um 19.30 Uhr: „Das Berliner Rathaus", Vortrag unseres 1. stellv. Vorsit­ zenden Hans-Werner Klünner.

82 17. Pfingstsonntag, 26. Mai 1996: „Wanderung von Fürstenberg/Havel über Himmelpfort nach Lychen" mit unserem Mitglied Dieter Klatt. Wanderstrecke ca. 16 km. Begrenzte Teilnehmerzahl. Auskünfte und Anmeldung unter 3 05 3515. 18. Dienstag, 4. Juni 1996,19 Uhr: „Die Poststraße Berlin—Dresden", Lichtbilder-Vortrag unseres Mitglieds Wolf gang Holtz, der die Strecke für uns zu Fuß abgelaufen ist! Pom­ mern-Saal, Rathaus Charlottenburg. U7 (Richard-Wagner-Platz), Bus: 145. 19. Sonnabend, 8. Juni 1996, 14 bis 17 Uhr: „City-Projekte und Hauptstadtplanung4', städtebauliche Busrundfahrt mit Armin Woy. Auf der dreistündigen Rundfahrt (mit kurzer Pause) werden die Neubauprojekte Berlins an Ort und Stelle vorgestellt. Die Fülle von Informationen macht die Fahrt zu einem einzigartigen Erlebnis. Kostenbeitrag: 21 DM pro Person. Die Anmeldung erfolgt durch Zusendung oder persönliche Übergabe eines Verrechnungsschecks an den SchrLt. Dr. Uhlitz, Brixplatz 4, 14052 Berlin. Treff­ punkt: Haupteingang Zoo, Löwentor, Hardenbergplatz. Bus der Fa. „Grenzenlos". 20. Mittwoch, 12. Juni 1996, 18 Uhr: „Stadtteilwanderung durch Lichterfelde West" mit unserem Mitglied Wolfgang Stapp. Wir sehen u. a. das Wohnhaus Gustav Lilienthals. Dauer: ca. 2'/2 Stunden. Treffpunkt vor dem S-Bhf. Lichterfelde West. 21. Mittwoch, 19. Juni 1996, 16 bis 18 Uhr: „Führung im Scheunenviertel und über den Alten Berliner Garnisonfriedhof" mit Dr. Horst Helas, Förderverein Alter Berliner Garnisonfriedhof e.V. Vgl. dazu S. 77 in diesem Heft. Teilnahmegebühr: 5 DM pro Per­ son. Treffpunkt: vor der Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz. U2 (Rosa-Luxem­ burg-Platz), Bus: 100, 157, 340. 22. Sonntag, 30. Juni 1996, 20 Uhr: „Sommernachtsbowle auf dem Glockenturm am Olympia-Stadion" mit den aus der Waldbühne emporsteigenden Klängen des Philhar­ monischen Orchesters unter der Leitung von Claudio Abbado. Freier Eintritt. Wer möchte, kann sich mit einer Flasche Sekt (Lutter & Wegner) an der Bowle beteiligen. Unsere Feier findet in luftiger Höhe statt: Bitte denken Sie an wärmere Bekleidung. Für uns reservierte, kostenlose Parkplätze vor dem Glockenturm. Berlin-Charlottenburg, U2 (Olympia-Stadion) — von dort fahren Sonderbusse zur Waldbühne; Bus 149 mit 700 m Fußweg.

Sommerpause 23. Sonnabend, 24. August 1996, 7.30 Uhr: „Exkursion nach Wittenberg und in den Hohen Fläming" mit unserem Mitglied Wolfgang Holtz. Wir besichtigen während unse­ res Stadtrundgangs u. a. die Schloßkirche mit der Thesentür, die Stadtkirche und das Lutherhaus. Nach einem gemeinsamen Mittagessen fahren wir in die schöne Umgebung und machen dort einen bequemen Spaziergang durch eine „Rummel" sowie ein Kaffee- Picknick. Kosten: 70 DM einschl. Eintrittsgebühren, Mittagessen und Picknick. Rück­ kehr: ca. 19.30 Uhr. Abfahrtsort: Rathaus Charlottenburg, U7 (Richard-Wagner- Platz), Bus: 145. Anmeldung (bitte schriftlich): SchrLt. Dr. Uhlitz, Brixplatz 4, 14052 Berlin. 24. Vorankündigung: Fast drei Jahrzehnte organisierte Dr. Hans Günter Schultze-Berndt unsere Jahresexkursionen. Für dieses Jahr plante er die „Studienfahrt des Vereins für die Geschichte Berlins nach Rostock". So wollen wir seine letzte Veranstaltung vom 13. bis zum 15. September durchführen. Das Programm wird in gewohnter Weise reichhaltig sein, Einzelheiten können derzeit noch nicht angekündigt werden. Die Kosten werden vermutlich denen der letzten Exkursion entsprechen: ca. 150 DM pro Person. In Rostock wohnen wir im Hotel Steigenberger Intercity (DZ: 155 DM, EZ: 120 DM inkl. Früh­ stück). Unverbindliche Anmeldung (bitte schriftlich): SchrLt. Dr. Uhlitz, Brix­ platz 4, 14052 Berlin. Ostergeschenke: Unser Mitglied Wolfgang Heinrich gestaltete außerordentlich geschmack­ volle Geschenk-Urkunden zum Verschenken einer Jahresmitgliedschaft im Verein für die Geschichte Berlins, gegr. 1865. Wenn Sie ein originelles Geschenk suchen, erhalten Sie diese Geschenk-Urkunden beim SchrLt. Dr. Uhlitz. Ordentliche Mitgliederversammlung am Mittwoch, 15. Mai 1996 , 18.30 Uhr im Uerliner Rathaus, Ferdinand- Friedensburg-Saal, Raum 338, 3. Geschoß, Haupteingang Rathaus- Straße. Tagesordnung 1. Entgegennahme a) des Tätigkeitsberichts b) des Kassenberichts c) des Bibliotheksberichts 2. Bericht a) der Kassenprüfer b) der Bibliotheksprüfer 3. Aussprache 4. Entlastung des Vorstands 5. Beitragserhöhung 6. Verschiedenes Anschließend Vortrag Anträge sind der Geschäftsstelle bis spätestens 30 April 1996 einzureichen.

Dank einer freundlichen Spende unserer Druckerei konnten wir Ihnen hiermit die mit 48 Seiten bislang umfangreichste Ausgabe der neuen Folge unserer MITTEIL UNGEN vorlegen. Wir verbinden unseren Dank mit herzlichen Grüßen an die Familie A hrens und die Mitarbeiter der Westkreuz-Druckerei Christiane Knop und Manfred Uhlitz

Bibliothek: Berliner Straße 40, 10715 Berlin-Wilmersdorf, Telefon (030) 8 73 2612. Geöffnet: mittwochs 15.30 bis 19.00 Uhr. U7 (Blissestraße), Bus 101, 104, 204, 249.

Vorsitzender: Senator und Bürgermeister von Berlin a. D. Hermann Oxfort, Breite Straße 21,13597 Berlin-Spandau, Telefon 3 33 2408. Geschäftsstelle: Ingeborg Schröter, Brauerstraße 31, 12209 Berlin-Lichterfelde/Ost, Telefon 77234 35. Schatzmeister: Karl-Heinz Kretschmer, Greveweg 6, 12103 Berlin-Tempelhof, Telefon 7 53 42 78. Konten des Vereins: Postbank Berlin (BLZ 10010010), Kto.-Nr. 433 80-102,10559 Berlin; Berli­ ner Bank AG (BLZ 100 200 00), Kto.-Nr. 03 81801200. Die MITTEILUNGEN erscheinen vierteljährlich zum Quartalsanfang. Herausgeber: Verein für die Geschichte Berlins, gegr. 1865, Schriftleitung und Veranstaltungsorganisation: Dr. Manfred Uhlitz, Brixplatz 4, 14052 Berlin-Charlottenburg, Telefon 3 05 96 00 und 01715 2012 01, Fax 3 05 38 88; Dr. Christiane Knop, Rüdesheimer Straße 14, 13465 Berlin-Frohnau, Telefon 4 0143 07; Beiträge bitte an die Schriftleiter senden. Redaktionsschluß: 1. März, 1. Juni, 1. September, 15. November. Abonnementspreis ist durch den Mitgliedsbeitrag gedeckt. Bezugspreis für Nichtmitglieder: 36 DM jährlich. Neumitglieder sind herzlich willkommen! Jahresmitgliedsbeitrag z. Zt. 60 DM (80 DM; Ehepaare 120 DM) inkl. Bezug der MITTEILUNGEN und des Jahrbuchs. Beitrittserklärungen bitte formlos an die Geschäftsstelle. Herstellung: Westkreuz-Druckerei Ahrens KG Berlin/Bonn, 12309 Berlin. Nachdruck, auch auszugsweise, nur mit Genehmigung der Schriftleitung.

92. Jahrgang Heft 3 Juli 1996

Tempelhof. Dorfkirche von Süden, um 1840. Tasse der Kgl. Porzellan-Manufaktur Berlin (Märkisches Museum) Das Manteltuch des Tempelritters Textilfragmente aus einer Berliner Dorfkirche Von Annelies Goldmann

Im heutigen Berlin gibt es noch 34 Dorfkirchen mittelalterlichen Ursprungs. Diese ältesten steinernen Bauwerke der Stadt sind Zeugen der deutschen Ostsiedlung des Mittelalters. Unter ihnen nimmt die Kirche von Tempelhof eine Sonderstellung ein: Neben den übrigen einfachen, rechteckigen Saalkirchen verfügt sie als einzige über eine Apsis und ist mit 235 m2 Innenfläche die geräumigste. Aus sorgfältig behauenen Feldsteinen errichtet, steht sie nicht inmitten des Dorfes auf dem Anger, sondern abseits auf einem Hügel. Sie gehörte zur Komturei des Temp­ lerordens, der hier einen Stützpunkt als Brücke zu seinen weiter östlich gelegenen Besitzungen gegründet hatte. Im Sommer 1952 unternahm Professor Ernst Heinrich von der Technischen Universität Berlin vor der Wiederherstellung der im Zweiten Weltkrieg zerstörten Kirche eine baugeschichtliche Untersuchung mit dem Ziel, unter dem jüngsten Fußboden eventuell Reste aus der wenig bekannten Frühzeit der Komturei Tempelhof zu finden. Die Ausgrabung erbrachte den Beweis für die Existenz eines wahrscheinlich Anfang des 13. Jahrhunderts errichteten älteren Kirchen­ baus (Heinrich 1954, S. 45—88). Der Innenraum der Kirche war dicht mit Gräbern belegt. Bei einer älteren Grablegung konnten hier die ersten mittelalterlichen Gewebestückchen aus Berli­ ner Boden geborgen werden. Es handelt sich um eine Bestattung ohne Sarg und Totenbett. Der 1,80 m große Mann lag auf dem Bauch und war nach Beobachtung des Zahnbestandes nicht mehr jung. Unter dem Schädel fanden sich Gewebereste in Zusammenhang mit kleinen, grün patinierten Metallröhrchen, Lehm, Holz und Pflanzenteilen. Grüne Verfärbungen und Röhr­ chen waren auch unter der Wirbelsäule bis in den Beckenbereich zu sehen, auch braune Ver­ färbungen im Boden, die auf vermoderte Gewebe schließen lassen. Im Grabungstagebuch wird die Vermutung geäußert, ein Gewand mit Stickerei auf der Vorderseite vorliegen zu haben. Professor Irmingard Fuhrmann-Altner hat damals 14 kleine Fundteile herauspräpariert. Mit ihrer Zustimmung stelle ich heute das für den Standort Berlin nicht unbedeutende Material erneut vor. Nach 40 Jahren Lagerung haben sich einige Veränderungen ergeben, Randfäden sind zerbröselt, und Bronzeröhrchen, die auf alten Fotos noch unmittelbar am Stoff hängen, haben sich gelöst. Die Fundteile sind jetzt von 1 bis 14 durchnumeriert und nach Tränken in Aceton und Toluol mit einem acetonlöslichen Kleber auf Plexiglas befestigt. Es lassen sich drei wollene Gewebesorten unterscheiden: ein lichter, lockerer Köper 2/ 2, ein feiner dichter Köper 2/2 und mehrere Fragmente in gewalkter Tuchbindung. Das größte gewalkte Stückchen zeigt drei Nählöcher im Abstand von 0,5 cm, die eventuell vom Annähen der Bronzeröhrchen her­ rühren. Kette und Schuß liegen etwa bei 11 zu 10 Fäden pro cm und sind in verschiedener Rich­ tung gesponnen. Das sind die besten Voraussetzungen zum Walken, wie auch unsere prakti­ sche Arbeit im Museumsdorf Düppel gezeigt hat (Abb. 1). Der lichte Köper ist sechsmal, der feine Köper fünfmal innerhalb der 14 Fundteilchen vertre­ ten. Kette und Schuß der Köper sind Z-gesponnen, die Fadenstärken beider Stoffe sind ein­ ander ähnlich. Unter dem Mikroskop lassen sich 25/25 bzw. 13/22 Fäden auf einen cm aus­ zählen. Fadenuntersuchungen ergaben als Rohstoffmaterial für alle Gewebe sehr feine Schaf- Wollhaare ohne Markkanal. Am interessantesten sind die Positionen 6 und 6 b. Bei 6 ist das lockere Gewebe in Gleichgratköper zu erkennen und darüber- oder daruntergenäht und sauber nach innen übereck umgeschlagen der feine Köper. Ich sehe drei Überfang-Stiche mit

Rh Abb. 1: Gewalkte Tuchbindung mit drei Nählöchern. Mikroskopvergrößerung 3,2fach, Foto: Heidemarie Farke. einem glatten Nähfaden, ohne viel Drehung gesponnen und mit einem Durchmesser von 0,5 mm. Es handelt sich um einen lockeren S-Draht-Zwirn (Abb. 2). Am meisten sieht man an der 5 zu 4 cm großen Stoffecke 6b: Deutlich wird hier, wie beide Köperstoffe mit Saumum­ schlag nach innen zusammengefügt worden sind (Abb. 3). Durch eine Lupe mit zehnfacher Vergrößerung habe ich an der oberen ausgefransten Schicht des lichten Köperstoffes leuchtend rote Farbspuren erkannt. Durch die freundliche Unterstützung von Heidemarie Farke, die Mikroaufnahmen in Schwarz­ weiß und Farbe und die Fadenuntersuchungen machte, erfuhr ich noch folgende Details: Der seidene Nähfaden (Bombix mori) ist am Rand in zwei Reihen sichtbar und zeigt durch einen offenliegenden Schlingknoten deutlich die Innenseite des Fragments an. Er taucht in einfachen Vorstichen auf beiden Seiten in Abständen von 0,5 cm auf und läuft dazwischen in der Mitte schräge weiter. So nähen gute Schneider auch heute Stoffe zusammen, die sich nicht gegenein­ ander verschieben dürfen (Abb. 4). Der dichte Köper zeigt an der eingefalteten Ecke eine sau­ bere Schnittkante und an der gegenüberliegenden Seite eine Gewebeseitenkante mit Nähfaden darauf und Resten des Schleierköpers. Dieser ragt über die Webekante hinaus und verdünnt sich zur Spitze hin (Abb. 5). Auf dem ausgefransten Schleierstoff liegt ein winziges, stark ver­ gangenes Geweberestchen. Eine feste Verbindung zu diesem ist nicht nachzuweisen. Irmingard Fuhrmann sah 1954 diesen Geweberest noch etwas größer mit dem Abdruck einer ursprüng­ lich aufgenähten Bronzeröhre (Fuhrmann 1954, S. 72 und 74). Auffallend sind noch ein kreis­ rundes Loch von etwa 3 mm Durchmesser an diesem Stück sowie mehrere Nählöcher.

S7 Abb. 2: Detail von Stoffecke 6, dichter Köper und zwei Nähfäden über tiefer liegendem lockerem Körper. Mikroskopvergröperung 3,2fach, Foto: Heidemarie Farke.

Die Fundstücke 10,14 und 7 zeigen die grün patinierten Bronzeröhrchen. Sie sind zwischen 1,4 und 1,7 cm lang bei einem Durchmesser von 2 mm. Sie haben eine gerade Nahtstelle vom Zusammenbiegen des Bronzebleches. In dem Übersichtswerk „Bronzebuckelchen als Tracht­ zier" von Zaiga Blumbergs (Blumbergs 1982, S. 20) gehören sie zur Gruppe IVA, sind die ganze vorgeschichtliche Zeit in Gebrauch gewesen, als Zierat auf gewisse Trachtteile aufgezo­ gen oder gelegentlich als Abschluß schnurverzierter Kleidungsstücke frei herabhängend. Was läßt sich nun nach der Beschreibung der Einzelelemente mit Sicherheit beobachten? Wir haben Reste eines hochwertigen, aufwendig geschneiderten Kleidungsstückes vor uns. Feingewebte Stoffe wurden sauber zu einem doppelseitigen Gewandteil vernäht und mit einer Randkantenverzierung aus Bronzeröhrchen versehen. Die vom Hals bis zum Becken aufgefun­ denen Röhrchen deuten auf einen Umhang oder Mantel von mittlerer Länge hin. Die Frage, welcher Stoff außen lag, muß zugunsten des rotschimmernden lichten Köpers entschieden wer­ den. Wegen der bewußt beim Weben vor dem Anschlagen des Schusses gelassenen Zwischen­ räume kann dieses Gewebe als Schleierköper angesehen werden. Wie wollener Schleierstoff aussieht, belegen Beispiele aus der bronzezeitlichen Hügelgräberkultur aus Schwarza in Thü­ ringen. Sie sind allerdings in Tuchbindung hergestellt (Schlabow 1958, S. 32; Farke 1992, S. 209). Der strapazierfähige feste Köper, von dem massenmäßig am meisten erhalten ist, bil­ dete das braune Mantelfutter. Die unter dem Kopf gefundenen, leicht unregelmäßigen Ecken 6 und 6 b können Eckpunkte eines Halsausschnitts oder Enden eines den Hals einrahmenden Kragens sein. Damit würde

88 auch die Gewebeseitenkante des Futterköpers von 6 b ihre Berechtigung finden. Vorstellbar ist ein Kragen aus Schleierstoff, der teilweise unterlegt wurde, um besser zu liegen und um eine Unterlage zum Annähen von Bronzezierat zu haben. Mißt man die Zwischenräume der Nählö­ cher, so könnten hier zwei der beiliegenden Röhrchen angenäht gewesen sein. Die gewalkten Stofffragmente in Tuchbindung mit Nählöchern könnten auch als Verstärkung in die Mitte zwi­ schen beide Köperstoffe passen. Aber sie liegen losgelöst daneben und müssen wohl als Röll­ chenunterlage ausfallen, ebenso das dem Schleierköper aufliegende Köperrestchen. Dieses kann zu einer Unterlage gehören, auf die der auf dem Bauch liegende Tote gebettet war (Abb. 6). Da 1953 außer den Stückchen 6 und 6 b noch mindestens zwei weitere Zusammenballungen der zwei Köperstoffe mit Bronzeröhrchen vorhanden waren, die jetzt in Einzelteile zerfallen sind, muß Irmingrad Fuhrmanns Theorie eines doppelseitigen Mantels mit Metallrandkanten­ verzierung nicht unbedingt verworfen werden. Es handelt sich in Tempelhof wahrscheinlich um einen roten Schleierumhang mit Kragen und dichtem Köperfutter oder zumindest mit einer randversteifenden Futterunterlage oder nur einem Untertritt an der Vorderfront (Abb. 7). Da die gefundenen Eckstücke auf verschiedene Art genäht sind, können sie auch verschiedene Funktionen gehabt haben. Bei Stück 6 b ergibt sich zwischen der Seitenkante und dem Rand ein etwa 4 cm breiter Streifen Futterstoff, den man sich beliebig verlängert vorstellen kann. Vielleicht deutet das Loch an der Spitze auch auf einen Verschluß in Halsnähe hin.

Abb. 3: Detail von Stoffecke 6 b, Bruchkanten von Schleier- und Köpergewebe. Mikroskopvergrößerung fünffach, Foto: Heidemarie Farke.

89 Abb. 4: Verlauf des Nähfadens, Zeichnung: Nora Torlop.

Abb. 5: Vorder- und Rückansicht der doppelseitigen Stoffecke 6 b mit Schnittkante, Webekante, Nählöchern und Nähfäden. Zeichnung: Nora Torlop.

90 Schmuck aus einfachen Metallhülsen führt seinen Ursprung auf Zierat aus Röhrenknochen zurück und ist im Wolga-Kama-Gebiet, in Nordgriechenland und in dänischen Baumsärgen nachgewiesen (Blumbergs, 1982, S. 23). Den einzigen Hinweis auf ein größeres Kleidungs­ stück mit einfachen Bronzeblechröhrchen als Randverzierung bietet eine bronzezeitliche Bestattung im schweizerischen Sion — Petit Chasseur. Hier enthält der Schmuck auch die häufi­ ger aufgetretenen Spiralröllchen aus dünnem gewickeltem Bronzedraht, Gruppe IV B bei Zaiga Blumbergs (Blumbergs, 1982, S. 20; Dunning und Rast-Eicher, 1992, S. 74/75). Im Nationalmuseum Helsinki sind parallel zum Rand einer Schulterdecke einer nach Funden von Kaukola-Kekomäki rekonstruierten karelischen Frauentracht von 1200 n. Chr. Spiralröll­ chen aufgenäht. So ähnlich kann es auch beim Tempelhofer Tuch gewesen sein. Die Spiralröll­ chen können auch außen am Saum befestigt sein als Kantenschutz wie an der Schürze der Tracht von Luistari Eura aus Finnland aus dem 11. Jahrhundert (Lehtosalo-Hilander, 1984, S. 41,42 und 50) und vielen anderen finnischen Kleidungsstücken. Auch in Lettland waren im Mittelalter reichverzierte Manteltücher üblich, z. B. in Laukskola bei den Liven oder in Skil- benu, Danilovka bei den Lettgallen (Zarina, 1970, S. 135; 1988, Taf. XIV). Hier handelt es sich um Buckelchen oder Stäbchen mit Befestigungslaschen oder -stiften am Rand. Dieser Metall­ zierat kann in den Stoff gesteckt und muß nicht aufgenäht werden (Blumbergs, 1982, S. 19). Wie das Tuch aus Tempelhof sind die lettischen Umhänge aus Wolle in vierbindigem Köper gewebt. Frauentücher sind in den Maßen 70 bis 90 zu 1,50 bis 1,60 cm nachgewiesen (Zarina 1988, S. 101). „Als Zubehör der Festkleidung gehörte das Manteltuch, dessen Ausschmük- kung vom materiellen Wohlstand der Familie abhängig war, auch zum Leichengewand" (Zarina 1970, S. 22).

Abb. 6: Detail von Stoffecke 6 b mit Schnittkante, Webekante und Nähstichlöchern, Schleier- und Köpergewebe und winzigem Geweberestchen. Mikroskopvergrößerung 2,8fach, Foto: Heidemarie Farke.

91 Abb. 7: Mögliche Halsausschnittvariationen, Zeichnung: Nora Torlop.

Bei der Abbildung der rekonstruierten Kleider von Skilbenu Danilovka glaubte ich zunächst, ein echtes Vergleichsstück zu Tempelhof vor mir zu haben — doppelseitige Tücher mit Karofut­ ter. Aber es handelt sich hier um zwei übereinander gelegte einzelne Tücher, die über der Brust mit einer gemeinsamen Fibel gehalten werden. Die gleiche Abbildung zeigt auch prächtige metallverzierte Stirnbänder mit herabhängenden Ketten. Bei der Tragweise dieser rechtecki­ gen baltischen Tücher befinden sich niemals Ecken in Halsnähe. Bei einer Bestattung auf dem Bauch könnte das Tuch allerdings über den Kopf gezogen und unter das Gesicht gelegt worden sein. In diesem Fall sind Eckstücke möglich. Wie aus dem mehrbändigen Kostümwerk: „Trachten des christlichen Mittelalters" aus dem vorigen Jahrhundert hervorgeht, waren Manteltücher mit metallverzierten Randkanten nicht nur im Nordosten Berlins beliebt (Hefner-Alteneck 1840—54 und 1879—86). In Mitteleuropa sind diese Kanten oft mit Metallfäden gewebte Borten. Die Form des Tempelhofer Umhangs muß nicht rechteckig oder quadratisch gewesen sein. Es kommt auch ein halbkreisförmiger Schnitt in Frage wie bei dem schwarz gefütterten bunten Mantel (Pluviale) der Königin Agnes aus dem 13. Jahrhundert, der in der Abegg-Stiftung restauriert wurde (Schmedding 1978, S. 121 ff.). Dieser Mantel hat ein Schließband mit Gold­ fäden und einen angedeuteten Halsausschnitt. Bei diesem Schnitt befinden sich stumpfe Ecken am Hals. Mäntel mit kragenähnlichem Überschlag und scharfen Ecken sind im 13. Jahrhundert verbrei­ tet, z. B. auf dem Grabmahl des Wipert von Groitzsch in der Klosterkirche Pegnau (v. Boehn 1963, S. 49) ist ein Pelzkragen abgebildet. Die Statuen des 1264 verstorbenen Grafen Ernst von Gleichen und seiner Frauen im Dom von Erfurt zeigen doppelseitige Mäntel mit gewebten Goldborten und Kragen. Eine der beiden Frauen trägt einen Tasselmantel (Hefner-Alteneck 1881, Taf. 129). „Ein Tasselmantel wurde durch eine Schnur zusammengehalten, welche an zwei Plättchen (Tassel) befestigt war. An der einen Seite war diese Schnur an die Tassel ange­ näht oder angeknüpft, an der anderen Seite hatte sie eine Schleife usw. und wurde an der zwei-

92 ten Tassel festgemacht" (Schultz 1991, S. 208). Der Mantel der 1281 gestorbenen Kaiserin Anna auf dem Grabmahl im Dom von ist außen blau und innen weiß, trägt Goldborten und Tasselverschluß (Hefner-Alteneck 1881, Taf. 135). In diesen Zusammenhang paßt auch der weiße Mantel der Ordenstracht der Deutschherren des 1241 gestorbenen Konrad von Thü­ ringen. Zwei viereckige Goldagraffen bilden die Tasselplättchen, und eine rote Schnur hängt bei vorn geschlossenem Umhang herab (Hefner-Alteneck 1881, Taf. 115). So wäre es auch in Tempelhof denkbar. Bei den letztgenannten Beispielen handelt es sich in allen Fällen um adlige Personen, die sich Kleidung guter Qualität, auch aus Seide, leisten konnten. Die wahrscheinlich schon auf Tritt­ webstühlen gearbeiteten kostbaren Köper aus Tempelhof haben auch stoffliche Parallelen aus dem Mittelalter: Wollgewebe in K 2/2 und K 1/2 ähnlicher Güte und Fadenstärke mit in Z gesponnenen Kett- und Schußfäden sind in der Latrinengrube des Augustinerklosters in Frei­ burg i. Br. nach 1278 und aus der Sepultur des Bamberger Domkapitels nachgewiesen (Blanck 1991, S. 595 und 601; und Tidow 1987, S. 95). Beide Fundstellen enthalten auch Schleierge­ webe, allerdings in Tuchbindung. Der an exponierter Stelle in der Dorf kirche Tempelhof bestattete Mann kann ein Ordensange­ höriger der Templer gewesen sein, ein Geistlicher oder Ritter. Vielleicht ist das ihm ins Grab mitgegebene „doppelseitige" Tuch mit Bronzeröhrchenverzierung auch schon vor 1200 gear­ beitet und war ein liebgewordenes, wertvolles Erbstück. Umhänge mit metallglänzendem Rand sind natürlich schon früher bildlich belegt. So wird z. B. der Evangelist Lucas in der aus dem 9. Jahrhundert datierten Handschrift des Samuhel-Evangeliars aus dem gerade von Ame­ rika nach Deutschland zurückgekehrten Quedlinburger Domschatz in einem ähnlichen Gewand abgebildet (Kötzsche 1992, Kat. Nr. 4, fol. 102).

Literatur

Banck, J., 1991: Mittelalterliche Textilfunde aus der Latrinengrube des Augustinerklosters in Frei­ burg i. Br., Fundberichte aus Baden-Württemberg, Band 16, S. 593 ff. Beck, A., 1992: Der Untergang der Templer, Freiburg. Blumbergs, Z., 1982: Bronzebuckelchen als Trachtzier, Stockholm. Boehn, Max von, 1963: Die Mode, Bd. 1, München. Dunning, C, und Rast-Eicher, A., 1992: Le vetement dans le prehistoire in helvetia archaeologica, Basel, S. 71-80. Farke, H., 1992: Zur Präparation und Rekonstruktion Archäologischer Textilfunde aus dem Thürin­ ger Raum. In: L. Bender Jorgensen & Munksgaard (edd.), Tidens Tand Nr. 5, S. 208—217. Feustel, F., 1958: Bronzezeitliche Hügelgräberkultur im Gebiet von Schwarza, Weimar. Fuhrmann-Altner, I., 1954: In: Heinrich 1954, S. 72-75. Hefner-Alteneck, J. H, 1840-1854: Trachten des Christlichen Mittelalters, Frankfurt/Main. 1879-1889: Trachten, Kunstwerke und Gerätschaften vom frühen Mittelalter bis zum Ende des 18. Jahrhunderts, Frankfurt. Heinrich, E., 1954: Die Dorfkirche in Tempelhof. In: Der Bär von Berlin, Berlin, S. 45-88. Kötzsche, D., u. Bierbrauer, K, 1992: „Samuhel-Evangeliar". In: Der Quedlinburger Schatz, Berlin, S. 44-51. Lehtosalo-Hilander, P.-L., 1984: Ancient Finnish Costumes, Vammala. Pomplun, K, 1967: Berlins alte Dorfkirchen, Berlin. Schlabow, K, 1958: Textilien und Leder. In: Feustel, 1958, S. 28-36. Schmedding, B., 1978: Mittelalterliche Textilien in Kirchen und Klöstern der Schweiz, Bern. Schultz, A., 1991: Das höfische Leben z. Z. der Minnesinger II, Kettwig.

93 Schultze, J., 1954: Das Alter des Tempelhofs. In: Der Bär von Berlin, Berlin, S. 89-99. Tidow, K., 1987: Gewebefunde aus Ausgrabungen in mittelalterlichen Siedlungen und Kirchen - ein Vergleich der Webtechniken einfacher Gewebe. Textile Grabfunde aus der Sepultur des Bamberger Domkapitels. Bayerisches Landesamt für Denkmalpflege, Arbeitsheft 33, S. 91 ff. Zarina, A., 1970: Seno Latgalu Apgerbs 7.-13. gs. Riga -, 1988: Libiesu Apgerbs 10.-13. gs. Riga. Die Grabungsunterlagen habe ich beim Archäologischen Landesamt für Denkmalpflege Berlin, Schloß Charlottenburg/Langhansbau, eingesehen. Anschrift der Verfasserin: Annelies Goldmann, Museumsdorf Düppel, Clauertstraße 11, 14163 Berlin-Zehlendorf

Mythos Reichstag Von Gabriele Camphausen

„Erinnert Euch an die vier Kriegssommer und die vier Kriegswinter.. . Erinnert Euch! Und jetzt sehen wir das Ende des Krieges. Bis zum vollständigen Sieg muß nur noch ein Platz ( der Königsplatz, G. C.) überschritten und ein Gebäude erobert werden — der Reichstag. Das ist alles. Sieg!"1 Der Kampf um den Reichstag stellt in der sowjetischen Memoirenliteratur eines der meist beschriebenen Details aus der Geschichte des Zweiten Weltkrieges dar. In unzähligen Darstel­ lungen erfährt der Sturm auf den Reichstag eingehende Berücksichtigung, die hier stattgefun­ denen Kampfhandlungen sind in allen Einzelheiten minutiös festgehalten. Die ca. 40 Stunden dauernden Kämpfe werden in ihren verschiedenen Phasen Schritt um Schritt, Raum um Raum, Stockwerk um Stockwerk dargelegt, Stunden und Minuten bestimmter Kampfhandlungen genannt, Gedanken und Hoffnungen der an den Kämpfen beteiligten Soldaten beschrieben.2 Mögen die Aufzeichnungen auch voneinander abweichen, gemeinsam ist ihnen die Stilisierung der Reichstagseroberung zum eigentlichen Schlußpunkt des Krieges, zur endgültigen Nieder­ lage des nationalsozialistischen Deutschland — gleichwohl die Kämpfe in der Stadt weitergin­ gen und die Berliner Kapitulation erst am Mittag des 2. Mai in Kraft trat. Die Erstürmung des Reichstags wird hier zu einem konstant überhöhten und kultisch verehrten Ereignis, ja sogar zu einer Zäsur von epochaler Bedeutung: „Dort vor Euch ist der Reichstag", berichtete ein Polit- offizier seinen Soldaten, „vor mir aber war damals am 24. Oktober 1917 das Winterpalais, noch größer war es, ja noch schöner... Und es mußte gestürmt werden... Zweifel hatten wir keine, alle wußten, daß das Winterpalais das unsrige sein mußte, so wie auch Ihr jetzt keine Zweifel habt ... "3 Und Obersergeant Sjanow schrieb, daß er vor Beginn des Angriffs das Gefühl gehabt habe, „als ob Genosse Stalin selbst auf uns schaue."4 Im Mittelpunkt des literarischen, künstlerischen wie zeremoniellen Gedenkens steht die His­ sung des sog. Siegesbanners auf dem Reichstagsgebäude in der Nacht zum 1. Mai 1945. Der Überlieferung nach wurde am 22. April 1945, d. h. am 75. Geburtstag Lenins, auf Beschluß des Militärrates der 3. Stoßarmee an die neun Schützendivisionen, die an der Eroberung Ber­ lins teilnahmen, jeweils eine Fahne ausgeteilt - mit dem Auftrag, diese auf dem Reichstag zu hissen.5 Die Fahnen waren von Mitarbeitern der Armee, einem sog. Kollektiv des Hauses der Roten Armee, nach dem Vorbild der Staatsflagge speziell angefertigt und von 1 bis 9 numeriert worden.6 Die Fahne mit der Nummer 5, die der 150. Schützendivision unter General Schatilow überreicht wurde, ging als die erste sowjetische Fahne auf dem Reichstag, als das sog. Sie-

94 gesbanner, in die Geschichte ein — ungeachtet der zahlreichen, selbsthergestellten roten Tücher und Fahnen, die vorher und nachher von anderen Soldaten auf dem Reichstag ange­ bracht wurden. Die Fahne Nr. 5 wurde gefeiert als diejenige, „die auf ewig das Siegesbanner des sowjetischen Volkes über den dunklen Kräften des Faschismus wurde".7 Die Vollbringer der Flaggenhissung, Jegorow und Kantarija vom 756. Regiment der 150. Schützendivision, wurden zu den Haupthelden des Sturms deklariert. Die bemerkenswerte Popularität manife­ stiert sich über die literarische und publizistische Dokumentation hinaus in der künstlerischen Verarbeitung (in Gemälden und insbesondere Dioramen) sowie in zeremoniellen Veranstal­ tungen anläßlich bestimmter Gedenktage. Nicht zu vergessen sind zudem die unzähligen Erin­ nerungsfotos von Kriegsteilnehmern vor dem Reichstag und die Namenszüge sowjetischer Sol­ daten auf den Mauern des Gebäudes, die sog. Autographen. Hier wurde dem Sturm auf den Reichstag ein Stellenwert zuerkannt, den beispielsweise die Eroberung der Neuen Reichskanz­ lei, immerhin der Regierungssitz im nationalsozialistischen Deutschland, in der Gedenktradi­ tion nie aufweisen konnte. Das Siegesbanner behielt auch nach Ende des Krieges einen außergewöhnlichen Stellenwert und fand als Reliquie des siegreichen Kampfes einen festen Platz. So fand am 20. Mai 1945 vor dem Reichstag eine Parade der 5. Stoßarmee statt, in deren Verlauf das Siegesbanner feierlich an den sowjetischen Stadtkommandanten Berlins, Generaloberst Bersarin, übergeben wurde. Einen Monat später erhielt Sjanow, Kompanieführer in den Kämpfen um den Reichstag, ein Telegramm, in dem er angewiesen wurde, „das Siegesbanner, welches über Berlin gehißt wurde, nach Moskau zu bringen. Dauer der Dienstreise 12 Tage."8 Das Banner wurde darauf­ hin mit besonderen militärischen Ehren in einem Flugzeug des Typs LI-2 nach Moskau trans­ portiert. Dort wurde es am Tag der Siegesparade, dem 24. Juni 1945, in einem besonders dafür ausgerüsteten offenen Wagen durch die Stadt gefahren und anschließend dem Zentralen Museum der sowjetischen Streitkräfte übergeben.91970, zum 25. Jahrestag des Kriegsendes, brachte man das Siegesbanner nochmals nach (Ost-)Berlin, wo es gleichfalls in einem offenen Wagen durch die Stadt gefahren wurde. Eine FDJ-Delegation grüßte das Banner auf dem damaligen Leninplatz.10 Andere Formen der Traditionspflege begegneten in Komsomol- Ehrenwachen vor dem Banner des Sieges im Streitkräftemuseum, in Fotowettbewerben zum Thema Siegesbanner, in öffentlichen Auftritten von Jegorow und Kantarija und natürlich in dem feierlichen Tragen des Siegesbanners auf Paraden sowjetischer Veteranen auf dem Roten Platz.'' Einen wichtigen Bestandteil der Überlieferung bildete auch lange Zeit die als vermeint­ lich authentisches Dokument, als Ikone gehandelte Fotografie der Fahnenaktion.12 Woher aber resultiert diese Traditionspflege, worin liegt die Mythologisierung der Reichstags­ kämpfe begründet? Wie kommt es, daß der Reichstag und nicht die Reichskanzlei, der Regie­ rungssitz Hitlers, zu dem Sinnbild der NS-Herrschaft wurde? Diese Frage ist nicht monokausal zu beantworten, vielmehr ist die Symbol Wirkung des Reichstags auf mehrere Faktoren zurück­ zuführen, die in ihrer Gewichtigkeit unterschiedlich waren, die aber erst durch ihr Zusammen­ spiel den Mythos Reichstag hervorbrachten. Von eher untergeordneter, dennoch zu benennen­ der Bedeutung waren die militärstrategische Lage des Reichstages, die Dauer und Schwere der Kämpfe um das Gebäude und auch das nah, ja unmittelbar bevorstehende siegreiche Ende des Krieges.13 Diese Faktoren verliehen den Reichstagskämpfen eine besondere Relevanz. Wichtiger für die Legendenbildung aber war die Identifizierung des Reichstages mit dem histo­ rischen Sitz der deutschen Regierung. Der Reichstag wurde als „das Symbol deutscher Staat­ lichkeit. Auch während des Faschismus" angesehen, er galt als „die historische Form des deut­ schen Staates".14 Mit Hilfe dieser Gleichsetzung wurde die Nichtnutzung des Reichstags wäh­ rend der NS-Zeit nahtlos in das Deutungsmuster integriert. So antwortete Politoffizier Prelow

95 Der Reichstag, 1945. Foto: Timofej Melnik, Museum Berlin-Karlshorst

auf Fragen seiner Soldaten, warum die Eroberung des Reichstages so wichtig sei, obwohl der Reichstag als Institution im nationalsozialistischen Deutschland keine Rolle mehr gespielt habe: „Von hier aus (dem Reichstag, G. C.) haben 1933 die Faschisten vor den Augen der gan­ zen Welt ihren blutigen Feldzug gegen den Kommunismus begonnen. Hier müssen wir auch seinen Untergang besiegeln. Da habt ihr seine militärische und seine politische Bedeutung."15 Der hier genannte Reichstagsbrand und die danach einsetzende Verfolgung von Regimegeg­ nern durch die Nationalsozialisten bilden in der Wirkungsgeschichte des Reichstagsmythos die zentrale Konstituante. Die inhaltliche Verbindung zwischen dem Reichstag, der Brandstiftung und der anschließenden NS-Repressionspolitik, die sich insbesondere gegen die Kommunisten richtete, bedingte eine kontinuierlich negative Akzentuierung des Reichstages. Zwar war der Reichstag erwiesenermaßen nicht der Sitz des NS-Regimes, aber er wurde zum Ausgangspunkt des NS-Terrors bestimmt und auf diesem Umweg zum architektonischen Hauptsymbol der NS-Herrschaft stilisiert. Der Kriegskorrespondent Mednikow schreibt hierzu in seinen Erinne­ rungen: „Mit dem Reichstagsbrand und seinem Machtantritt am 30. Januar 1933 begann für Hitler ,das Dritte Reich'. Mit dem Reichstagsbrand im Mai 1945 hörte dieses Nazi-Reich auf zu existieren! Das ist wirklich symbolisch."16 Diese symbolische Vorbelastung machte den Reichstag zu einem willkommenen Anknüp­ fungspunkt für die sowjetische Militärpropaganda. Aufbauend auf der dargelegten Vorprä­ gung des Reichstagsbegriffes instrumentalisierte die Politpropaganda den Reichstag und seine Eroberung zu einer zentralen Losung ihrer Durchhalte- und Siegesappelle. In dieser Verbin­ dung findet sich die zweite grundlegende Konstituante des Reichstagskultes, die der Legen­ denbildung einen zusätzlichen entscheidenden Impuls gab. Ohne Symbole, ohne „die Erinne­ rung an diese verlieren wir unser Seelenheil und unseren Optimismus", schrieb der Journalist

Vh Paschajew in der russischen Militärzeitschrift „Krasnaja swesda", und er appellierte an seine Leser: „Erinnert Euch, wie es bei Majakowski heißt: ,Herzen, die nicht von uns eingenommen sind, wird der Feind in Besitz nehmen'."17 Der ehemalige Politoffizier Dolmatowskij setzte diese hohe Bedeutung von Symbolen in direkte Beziehung zur Eroberung des Reichstages: „In den Höhepunkten der Geschichte besitzen Symbole eine außerordentliche Bedeutung... Als ein solches Symbol erwies sich der Reichstag, und die 50 oder 60 Stunden Kampf um ihn wur­ den zum bedeutenden und abschließenden Punkt des Großen Vaterländischen Krieges."18 Es will so scheinen, daß der Mythos Reichstag bis in unsere heutige Zeit seine Lebensfähigkeit beweist. Die symbolische Überhöhung des Reichstages und der Kämpfe ist dabei keineswegs auf die sowjetische oder russischsprachige Literatur begrenzt. Auch in Deutschland ist ein gewisses „Reichstagsfieber" unverkennbar, das sich in einer leidenschaftlichen Detailsuche offenbart — besonders im Zusammenhang mit der Reichstagseroberung 1945. Die Wahr­ scheinlichkeit, im Zuge dieser Symboljagd Opfer des Symbols zu werden, ist sicherlich nicht gering: Die kultische Verklärung des Reichstages und die Auflösung von Tatsachen in symboli­ schen Gesten und Worten der Erinnerung dürften eine realitätsgetreue Festlegung im nachhin­ ein nahezu unmöglich machen. Bereits der sowjetische Frontkorrespondent Subbotin bemerkte mit Blick auf die Zeitzeugenberichte zu den Reichstagskämpfen: „Es ist interessant zu hören, wie verschiedene Leute von ein und demselben sprechen .. .".w

Anmerkungen

1 So lauten, der Überlieferung zufolge, die Worte des Politoffiziers Hauptmann Matwejew an die Soldaten seiner Einheit kurz vor Beginn des Sturms am 30. April 1945. Vgl. die Erinnerungen des Prawda-Korrespondenten M. Mershanow, Tak eto bylo, Moskwa 1983, S. 128 (im folgenden zitiert als: Mershanow). 2 Hier eine kleine Auswahl: G.K. Shukow, Wospominanija i rasmyschlenija, Bd. 2, Moskwa- Minsk 1978, S. 310—313; die Sonderbeiträge zum Thema „Wsjatije Rejchstaga" in dem 1955 publizierten Sammelband Berlinskoje srashenije, S. 383—425; F. M. Sintschenko, Geroi schturma Rejchstaga, Moskwa 1983, S. 123—191; F.D. Worowjow u.a. Posledni schturm, Moskwa 1970, S. 356-367; Ja. Makarenko, Belyje flagi nad Berlinom, Moskwa 1976, S. 43-47; W. J. Subbotin, Wir stürmten den Reichstag, Berlin (DDR) 1969 (im folgenden zitiert als: Subbo­ tin). Weitere Literaturhinweise s. im folgenden. 3 Vgl. Anm. 1. 4 J. Sjanow, Kak my schturmowali Rejchstag, in: Berlinskoje srashenije, S. 407. 5 Zurückgeführt wird diese Entscheidung auf einen Befehl Stalins, die „Fahne des Sieges" über Berlin zu hissen. In diesem Befehl aber war kein bestimmtes Gebäude benannt worden, auch wenn der Befehl in den Erinnerungen der Teilnehmer auf den Reichstag eingeengt wurde. Vgl. F. E. Bokow, Westna pobedy, Moskwa 1980, 187 f. 6 Vgl. I. F. Klotschkow, Rejchstag, Leningrad 1986, S. 103 (im folgenden zitiert als: Klotschkow); W. M. Schatilow, Snamja had Rejchstagom, Moskwa 1975, S. 304—326. Zu den Vorbereitungen im einzelnen Ju. Sacharow, Wsjatije Rejchstaga, in: Pobednyj 45, Moskwa 1985, S. 283 f. (im fol­ genden zitiert als: Sacharow). Das „Haus der Roten Armee" war eine Art mobiler Veranstal­ tungsort bei den einzelnen Armee-Einheiten. 7 Sacharow, S. 291. Unter der Bezeichnung „Siegesbanner" auch in Nachschlagewerken aufge­ führt, vgl. z. B. Welikaja Otetschestwennaja Wojna 1941-1945, Moskwa 1988, S. 198. 8 Sacharow, S. 291. 9 Vgl. Ausführungen des ehemaligen Politoffiziers der 3. Stoßarmee, Generalleutnant Lissipyn, in der Krasnaja Swesda vom 23. November 1994. 10 Vgl. hierzu die Bilddokumentation Mit der Sowjetunion fest verbunden, Berlin 1985, S. 291. 11 Vgl. z. B. Klotschkow, S. 172 ff.; Mershanow, S. 157.

97 12 Die Fahne wurde am späten Abend des 30. April 1945, um 22.50 Uhr, gehißt, das Foto hingegen erst später am hellichten Tage aufgenommen. Vgl. hierzu Je. Chaldej, Von Moskau nach Berlin, Berlin 1994, S. 64-70. 13 Die strategische Bedeutung des Gebäudes findet nur äußerst selten Erwähnung in den schriftli­ chen Darstellungen. Eines der wenigen Beispiele in Posledni schturm. Berlinskaja operaizija 1945, Moskwa 1970, S. 356. 14 W. M. Schatilow in der Zeitung Krasnaja Swesda vom 23. November 1994; Sintschenko, S. 125. 15 F. M. Sentschenko, in: Geroi schturma rejchstaga, S. 124 f. 16 A. Mednikow, Berlinskaja tetrad', Moskwa 1964, S. 206. Ähnliche Verbindungslinien zog das führende KPO-Mitglied E. Fischer in seinem 1946 veröffentlichten Buch „Das Fanal". Fischer sah im Reichstagsbrand den Kern zum „Weltkriegsbrand" und bemerkte: „ 1945 wurde der Welt­ kriegsbrand zum Inhalt eines Gerichtsverfahrens, 1933 war es der Reichstagsbrand, der einen Gerichtshof beschäftigte." Vgl. auch Sintschenko, in: Geroi schturma rejchstaga, S. 123. Vgl. auch die 1933 in Moskau zum Reichtagsbrandprozeß erschienene Broschüre „O podshoge rejchstaga" sowie die deutschsprachige Publikation Dimitroff, Moskau—Leningrad 1935. 17 Vgl. den Beitrag „Enzyklopädie des Sieges" in der Krasnaja Swesda vom 23. November 1994. 18 E. Dolmatowskij, Awtografy pobedy. 19 Subbotin, S. 91. Zur weiteren Beschäftigung mit dem Reichstagskomplex sei auf die kürzlich erschienene Sammlung sowjetischer Dokumente verwiesen: Russki Archiw, t. 15,4 (5), Moskwa 1995, S. 120—146. Die hier abgedruckten Originalberichte von Ende April/Anfang Mai 1945 unterstreichen allerdings den Legendencharakter noch (vgl. Dok. 76, S. 118), da manche Aussage propagandistisch und nicht wahrheitsgetreu ist (so wurde z. B. gemeldet, daß die Flaggenhissung am 30. April um 14.25 Uhr stattgefunden habe — in Wirklichkeit aber war der sowjetische Vor­ stoß abgewehrt worden und mußte um 18 Uhr wiederholt werden).

Anschrift der Verfasserin: Dr. Gabriele Camphausen, Leiterin der Gedenkstätte Berlin-Hohenschönhausen Genslerstraße 66, 13055 Berlin-Hohenschönhausen

Sonnabend oder Samstag? Von Hans Walther

Sonnabend und Samstag — beide Ausdrücke für den Tag vor dem Sonntag sind hochsprachlich. Je nach Region wird der eine oder andere bevorzugt. Durch Jahrhunderte blieben diese Regio­ nen nahezu unverändert. Die abgebildete Karte zeigt die Großgebiete mit ihren mundartlichen Wurzeln. Erst der Zweite Weltkrieg brachte wesentliche Veränderungen durch Flucht und Vertreibung. Hiervon waren vor allem Sonnabend-Bereiche im Nordosten und Osten betroffen. Menschen aus diesen Gebieten fanden an ihren Zufluchtsorten nur noch teilweise den vertrauten Aus­ druck „Sonnabend" vor. Im Süden oder im rheinischen Westen paßten sie sich meist dem dorti­ gen Sprachgebrauch „Samstag" an. Die vorwiegend in Samstag-Bereichen liegenden Funk- und Fernsehsender brachten zusätzlich den „Samstag" akustisch nach Osten und Norden. Berlin lag und liegt eindeutig im Sonnabend-Bereich. Die großen Berliner Tageszeitungen ver­ wenden bei der Datumsangabe noch immer den Begriff Sonnabend. Für viele Berliner, wie überhaupt für viele Bewohner Nord-, Ost- und Mitteldeutschlands, bedeutet der Ausdruck „Sonnabend" heimadiche Geborgenheit. Dies unterstreicht ein Beispiel aus dem Jahre 1987, erschienen unter der fast täglichen Rubrik „Menschlich gesehen" einer : Ein gebürtiger Thüringer, der zwei Wochen zuvor nach Berlin gekommen war, sagte: „Ich fühle m ennoaweno

Die Bezeichnungen für Sonnabend/Samstag in den Mundarten des ehem. dt. Sprachgebiets; aus: dtv-Atlas zur deutschen Sprache, München 1978, S. 186. mich hier in Berlin schon jetzt heimischer als in Köln. Das beginnt schon mit der Sprache. Hier sagen die Leute .Sonnabend' und nicht ,Samstag'." Seither sind einige Jahre ins Land gegangen, und die meisten Leute sagen noch immer „Sonn­ abend", aber seit die Bundespost (West) 1972 an alle West-Berliner Briefkästen und Postamts­ türen den „Samstag" als Dienstgebrauchspflichtausdruck anbrachte und die Bundesbahn nachzog, gibt es Anpasser und Nachplapperer. Auch die Kalendermacher nahmen die Chance zur Vereinfachung zumeist wahr. Junge Bundesrepublikaner, die in den Mauerjahren gern nach Berlin (West) gingen, brauchten — falls sie aus Samstag-Bereichen stammten — nicht ein­ mal umzudenken; einige hielten, darauf angesprochen, den „Sonnabend" gar für eine Dialekt- Unart der Berliner. Im dtv-Atlas zur deutschen Sprache von 1978, dem auch die nebenstehende Karte entnommen ist, heißt es klar und richtig: „Diese beiden Ausdrücke sind gleichermaßen hochsprachlich, je nach Region wird einem von ihnen der Vorrang gegeben." Aber die Bundespost (West) scherte sich nicht darum, sie monopolisierte den „Samstag" noch vor der Berliner Änderung z. B. auch für Hamburg und Bremen. Als ich mich 1972 bei der Landespostdirektion Berlin beschwerte, hieß es in der Antwort: „Auch in Hamburg, Hannover und Bremen steht (schon seit Jahren) an den Briefkästen .Sams­ tag'. Es hat dem dortigen Sprachgebrauch gewiß nicht geschadet." Der Antwortende irrte sich, denn die in Hamburg erscheinenden großen Fernseh- und Funkzeitungen kennen inzwischen keinen „Sonnabend" mehr. Dies hätte einen so sprachbewußten Schriftsteller wie Thomas Mann sehr bekümmert. In München, im kalifornischen Exil und nach der Rückkehr in die Schweiz gebrauchte er zeitlebens in seinen Tagebüchern den Ausdruck „ Sonnabend" seiner Heimat Lübeck. Muß nun auch Fontane umgeschrieben werden oder kommenden Generatio­ nen in Fußnoten erklärt werden, daß der Sonnabend ein veralteter Ausdruck für den Tag vor dem Sonntag ist? Man hätte hoffen können oder gar annehmen müssen, daß die Vereinigung der alten Bundesre­ publik mit weiten Bereichen, die fast ausschließlich seit Jahrhunderten den „Sonnabend" ken­ nen, zu einer Lockerung der sturen Versamstagung führt. Leider ist das Gegenteil der Fall. Mit welcher Geschwindigkeit im Ostteil Berlins und in Städten und Dörfern der Mark Branden­ burg der „Samstag" auf den Briefkästen erschien, war ebenso erstaunlich wie skandalös! Soll diese sprachliche Verarmung ein Zeichen für das Zusammenwachsen sein? Wohl kaum! Ich meine, im regionalen Gebrauch sollten die Eigenheiten gewahrt bleiben. Es darf auch nicht die heutzutage so beliebte Sparsamkeitskeule geschwungen werden. Man bedenke, was die kleine Schweiz und das kleine Belgien für sprachliche Besonderheiten aufwenden müssen. Auch das Argument der leichten Verwechselbarkeit von Sonnabend und Sonntag ist ein Fehlargument. Ich zitiere einen Leserbriefschreiber von 1972: „Wer kann denn diese beiden Bezeichnungen nicht unterscheiden? Niemand ist bisher auf diesen geradezu albernen Einfall gekommen." Ich behaupte darüber hinaus, handgeschriebener Samstag ähnelt dem Sonntag viel mehr. Das betrüblichste Argument ist jedoch das resignative: „Der Samstag bürgert sich eben immer mehr ein." Dagegen können und sollten alle sprach- und geschichtsbewußten Berlinerinnen und Berliner einiges tun, auch dadurch, daß sie „Sonnabend" sagen und schreiben, hier und anderswo.

Anschrift des Verfassers: Hans Walther, Cauerstraße 2, 10587 Berlin-Charlottenburg

Rezensionen

Ingo Materna und Wolfgang Ribbe (Hrsg.): Brandenburgische Geschichte. Berlin: Akademie Ver­ lag 1995, 891 Seiten, 58 DM. Die brandenburgische Geschichte dürfte durch die geplante Fusion mit Berlin auf mehr Interesse sto­ ßen, als ihr ohnehin entgegengebracht wird. Da es bisher keine umfassende historische Gesamtdar­ stellung gibt, bestand ein weiterer Grund, einen Bogen von der Ur- zur Zeitgeschichte zu schlagen. Dieses Werk war seit dem Ende der achtziger Jahre von Historikerinnen und Historikern aus Ost und West geplant, und nun liegt ein voluminöses Buch mit 15 Beiträgen vor, die bei allen historisch Interes­ sierten Aufmerksamkeit finden können. Das „Gebiet der großen Täler und Platten" entstand in der Eiszeit, allerdings ist die Entstehung der Mark Brandenburg jüngeren Datums, als im 10. Jahrhundert eine Schutzzone gegenüber den westsla­ wischen Völkern — Grenzmark genannt — gebildet wurde. Erst zwei Jahrhunderte später entstand das durch die askanische Herrschaft forcierte brandenburgische Städtenetz: Überliefert ist die erste Nachricht für Stendal, wo im 12. Jahrhundert ein Markt gegründet wurde und daraus die gleich­ namige Stadt entstand. Kirchlich unterstanden die brandenburgischen Gebiete damals überwiegend dem Bistum Branden­ burg, vereinzelt dem Bistum Havelberg. Der Christianisierung setzte das Volk — im Gegensatz zur bereits vorhandenen christlichen Gesinnung der Oberschicht — Widerstand entgegen, den dieselben Askanier teilweise blutig unterdrückten. Zu den positiven und bedeutenden Hinterlassenschaften zählen sicher die berühmten Zisterzienser-Klöster in Lehnin und Chorin, heute noch ein beliebtes Ausflugsziel. Für das 20. Jahrhundert informiert der Band über die Revolution 1918/19, während der zum Beispiel in Trebbin eine Maschinengewehrabteilung gemeutert hatte oder in Perleberg ein

100 Arbeiter- und Soldatenrat die „militärische und örtliche Verwaltung" der Kreise West- und Ostprig- nitz übernahm, nachdem der Landrat seines Amtes enthoben war. In Hennigsdorf legten die AEG-Arbeiter die Arbeit nieder. In diesem Ort — so ein Aufsatz über die NS-Zeit — existierte eine kleine jüdische Gemeinschaft mit neun Angehörigen. Insgesamt waren Mitte der dreißiger Jahre 0,28 % der brandenburgischen Bevölkerung jüdischen Glaubens, die 90 %ige Mehrheit war evangelisch. Die NS-Herrschaft hatte verheerende Folgen hinterlassen, zu erinnern ist insbesondere an die schrecklichen Bilder bei der Befreiung der Konzentrationslager Ravensbrück und Sachsenhausen, die sich gerade zum 50. Male jährte. Die Zeit der sowjetischen Besatzung wird nur in der Art einer „Vorstudie" behandelt, der Mitherausgeber Ribbe hat eine umfassende Monographie in Angriff genommen. Er versucht, die einseitige DDR-Geschichts­ schreibung zu korrigieren und zu ergänzen. Mit dem Jahre 1952 „verschwanden" das Land Branden­ burg und die Reste des Föderalismus, es wurden die Bezirke Potsdam, Frankfurt (Oder) und Cottbus gebildet. Diese wiederum sind seit der Neubildung des Bundeslandes Brandenburg im Zuge der „Wende" aufgelöst, und in einem Ausblick wird die brandenburgische Geschichte bis 1993 fortge­ schrieben. Die Benutzung des lesenswerten Geschichtsbuches wird erleichtert durch die einführenden Bemer­ kungen zu den geographischen Grundlagen und die historisch-politische Gliederung sowie die abschließenden Texte über die Quellenlage und ausführliche Literaturhinweise. Selbstverständlich enthält der Band ein Personen- und Ortsregister. Kurt Schilde

Andreas Malycha (Hrsg.), Auf dem Weg zur SED. Die Sozialdemokratie und die Bildung einer Einheitspartei in den Ländern der SBZ. Eine Quellenedition (= Archiv für Sozialgeschichte, Beiheft 16), Bonn: J.H.W. Dietz Nachfolger 1995, 485 Seiten, 120 DM. Die kontroverse Debatte, ob die nach dem Ende des NS-Regimes 1945/46 erfolgte „Vereinigung" von SPD und KPD in der sowjetischen Besatzungszone (und im Ost-Sektor von Berlin) erzwungen oder freiwillig geschah, kann mit Hilfe einer neuen Quellenedition fundierter als bisher geführt wer­ den. Der aus dem Gebiet der ehemaligen DDR stammende Herausgeber Andreas Malycha hat — im wesentlichen — in den Parteiarchiven der SED eine Fülle an Dokumenten zum Thema gefunden, allerdings auch Überlieferungslücken feststellen müssen: „Die 1947 einsetzenden Repressalien gegen ehemalige Sozialdemokraten in der SED ließen es seinerzeit ratsam erscheinen, mögliches Belastungsmaterial aus den Jahren 1945/46 zu vernichten." Auf den ersten hundert Seiten gibt Maly­ cha einen sehr informativen Überblick über den Forschungsstand zur Haltung von SPD-Mitgliedern zur Kommunistischen Partei, geht ausführlich auf den Prozeß der Entstehung der SED ein und beleuchtet die Rolle der Besatzungsmacht. Deren Bedeutung veranschaulicht eines der 178 wiederge­ gebenen Dokumente über ein Ereignis aus Glienicke bei Berlin: In einem Schreiben vom August 1945 der SPD-Ortsgruppe an den Zentralausschuß der Partei in Berlin wird ausgeführt, daß der Bür­ germeister die Anmeldung der Ortsgruppe ablehnte. Der örtliche KPD-Führer „legte uns nahe, die Anmeldung der SPD doch zu unterlassen, da die KPD sehr stark sei und außerdem die Rote Armee hinter sich habe". Aufschlußreich ist, daß es durchaus kämpferische und zuversichtliche Sozialdemo­ kraten gab, so z. B. in einer früheren Hochburg der Arbeiterbewegung. In einem Rundschreiben des SPD-Landesverbandes Thüringen vom November 1945 ist die Rede von der bemerkenswerten „Tat­ sache, daß die Massen der klassenbewußten Arbeiter und Angestellten nicht der KPD, sondern der SPD zuströmen". Mit dem Vertrauen auf die eigene Kraft hofften viele Sozialdemokraten später, die SED entscheidend mitgestalten zu können. Dies sollte sich als Irrtum erweisen, denn die Kommuni­ sten und vor allem natürlich die Sowjets stellten die Bedingungen. So wich die anfängliche Bereit­ schaft zur Kooperation bald einer verbreiteten Ernüchterung und Desillusionierung. Chronologisch gegliedert gehen die Archivalien auf den Aufbau der SPD, die ersten Erfahrungen mit Kommunisten, Reaktionen auf die KPD-Kampagne zur Bildung der Einheitspartei und die letzte Phase der „Verschmelzung" ein. Die vorliegende Edition, die neben einem Dokumentenverzeichnis zur Arbeitserleichterung ein Personen- und Ortsregister enthält, schließt Informationslücken. Mit dem voluminösen Band kann endlich eine präzise Einschätzung der damaligen Ereignisse vorgenom­ men werden. Angesichts der sich zwischen Widerstand und Anpassung bewegenden Haltungen muß

101 die Bewertung über das Begriffspaar „Zwangsvereinigung" und „Verschmelzungsprozeß" hinausge­ hen. Die Reaktionen von sozialdemokratischer Seite bewegten sich zwischen strikter Ablehnung, gleichgültiger Duldung bis zur hoffnungsvollen Unterstützung. Da sich die SPD in einer Zwangslage ohne Alternative befand, trifft wohl doch eher der Begriff „Zwangsvereinigung" zu. Ist er durch die „politisierte Forschung" (Malycha) zu belastet und ein neuer zu finden? Kurt Schilde

Berlin zwischen Residenz und Metropole. Photographien von Hermann Rückwardt 1871—1916. Mit Texten von Michael Neumann und Janos Frecot, einem Vorwort von Renate Altner und Bild­ erläuterungen von Heia Zetler und Jost Hansen, hersg. vom Märkischen Museum, Berlin: Nicolai­ sche Verlagsbuchhandl. 1994, 120 Seiten, 136 Abbildungen. Hier liegt ein sehr schönes Buch vor, das unsere Bedürfnisse, Vorlieben, Hoffnungen und Sehnsüch­ ten nach bildhaftem Genuß des Vergangenen befriedigt. — Bei unserer Besichtigung der Kayser-Aus­ stellung in der Staatsbibliothek klang der Name Rückwardt als Architekturphotograph öfter auf; er hat viele Bauten der Firma Kayser- von Großheim aufgenommen. Auch hörten wir den Hinweis, daß das Märkische Museum den Schatz dieser Photos und Lichtdrucke besitzt und verwaltet, die uns heute entzücken. Anlaß für die Aufnahmen war der schon in den Gründerjahren drohende Abriß und Umbau der alten preußischen Residenzstadt zugunsten der neuen Reichshauptstadt. Vor allem fürch­ tete man um den Bestand vieler Häuser aus dem 17. und 18. Jahrhundert. Das historische dokumenta­ rische Interesse war damals vor allem angestoßen worden vom Verein für die Geschichte Berlins und von besonderen Persönlichkeiten wie dem Oberbürgermeister von Forckenbeck, den Stadtbauräten Blankenstein und Hobrecht und von Wilhelm von Bode. Das Durchblättern des Bandes ist eine reine Augenfreude, weil in den Bildern ein hoher ästhetischer Ausdruckswert enthalten ist. Doch ist mit den wissenschaftlichen Texten von Janos Frecot und Michael Neumann die Handreichung zur Einordnung der Bilder gegeben. Sie charakterisieren Rück­ wardt als Architekturphotographen „vom Fach"; er hat sein photographisches Handwerk während seiner Ausbildung an der Königlichen Gewerbeschule gelernt und es später in diesem Sinne weiter ausgeübt. — Leben und Werk werden von Neumann ausführlich geschildert. Wichtig ist die Besinnung auf die Funktion der Architekturphotographie im Unterschied zur quasi impressionistischen Stadt- photographie. Rückwardts Bedeutung, der hier neu aufgewertet wird, nachdem er lange hinter Schwanz, Missmann oder Titzenthaler zurückgetreten war, liegt in der detailgetreuen, fachkundigen und „gestandenen" Abbildung. Seine Photographien seien, heißt es, auf „Ansicht" spezialisiert. — Ein weiteres Kapitel ist seiner verlegerischen Tätigkeit als Anfertiger von Sammelmappen und Photobänden für Touristen gewidmet. Man muß um den Markt solcher Erzeugnisse und ihrer Käufer wissen. — Lesenswert ist femer die Beschreibung seines mobilen Ateüers („Rückwardts Reisewagen — ein Photolabor auf Rädern"). — Femer kam ihm der Lichtdruck entgegen, der die Bilder schneller und billiger herstellbar machte. Die Reihenfolge der Abbildungen beschreibt einen zeitlichen Gang vom Hackeschen Markt mit sei­ nem ursprünglichen Vorstadtcharakter über das gewerbliche Berlin zur Industriegesellschaft mit ihren Verkehrswegen, Kanälen, Bahnen, Brücken und Bahnhöfen bis zur Errichtung des Reichstags­ gebäudes. Bahnbrechend — auch hiervon ist eine Probe enthalten — war seine Dokumentation des Kaiserschlosses und seiner Innenräume. Historismus wird schaubar an Villen, Geschäftshäusern und öffentlichen Bauten, so dem Magistratssitzungssaal im Berliner Rathaus und dem Sitzungssaal im Reichstag. Es entsteht ein Eindruck des Könnens namhafter Architekten des Wilhelminischen Deutschlands: Grisebach, Kayser, Messel, Ende und Böckmann, um nur einige zu nennen. Einzelne Bilder hervorzuheben ist schon eine Ungerechtigkeit, jede Auswahl muß subjektiv ausfallen und rührt jeden Betrachter anders an. — Bezaubernd sind die vielen schönen Brücken über Spree, Luisenstädtischen Kanal und Landwehrkanal. Hier erschließt sich der ganze Reiz der Stadt vom Was­ ser her. Aber auch die Brücken über die Eisenbahnwege sind von hohem poetischen Reiz. — Rezen­ sentin verweist femer auf den alten Hackeschen Markt von 1871, die Spittelkirche, das Innere der Schloßkapelle, das Schloß Monbijou, die Villa Kamecke und das Krosigksche Palais wie die Palais in der Wilhelmstraße, das Graue Kloster, den Kupfergraben mit dem Packhof und den Lehrter Bahnhof — alles Zeugen verschwundener Pracht.

102 Unser Miglied Hans-Werner Klünner hat den Bilderläuterungen von Heia Zetler und Jost Hansen zu ihrer Verläßlichkeit verholten. Am Ende findet sich ein Publikationsverzeichnis, das ein Licht auf die Fülle Rückwardtscher Ver­ legertätigkeit wirft, und eine Auswahlbibliographie. Christiane Knop

Ursula Fuhrich-Grabert, Hugenotten unter dem Hakenkreuz. Studien zur Geschichte der Franzö­ sischen Kirche zu Berlin 1933—1945, Veröffentlichungen der Historischen Kommission zu Berlin, Bd. 85, Berlin — New York: de Gruyter 1994, 645 Seiten. Mit einem Geleitwort von Ilja Mieck, Namen- und Sachregister, Quellen- und Literaturverzeichnis, Diagrammen und Kurzbiographien im Anhang. Gewöhnlich hat man ein positives Bild von den preußischen Hugenotten; sie stützen vor allem das Statement vom toleranten Brandenburg-Preußen. Für das Ausmaß ihrer Anpassung wird immer wie­ der das Bismarck-Wort von den Hugenotten als den treuesten Preußen zitiert. Die Verfasserin der umfangreichen Studie, die sich vor allem auf die Berliner Französische Kirche bezieht, hat diesen Lack angekratzt, wenn sie fragt, wie sie es im Kirchenkampf mit den deutschen Christen und dem NS-Staat gehalten habe. Weil die Arbeit als ein grundlegendes Werk konzipiert wurde, ist sie infolge der ausführlichen Quellenauswertung sehr stoffreich geraten. Man liest sich schwer durch und findet die Grundlinien nur mit Mühe. Will der Leser die Dinge knapper und bündiger erfahren, bleiben ihm das Kapitel „Die Berliner Französische Kirche und der Evangelische Kirchenkampf' und das Schluß­ kapitel. Es ist durchaus nötig, Genaues über die presbyteriale Organisation und Arbeit der Berliner Französi­ schen Kirche mit ihren drei Parochien der Friedrichstadt (am Gendarmenmarkt), der Klosterparochie (Parochialkirche in der Klosterstraße) und der Luisenstadtparochie und ihren Anteil an der franzö- sisch-reformierten Kirche in Deutschland zu erfahren. Für Vfn. wird dies relevant, weil sie fragt, wo die Möglichkeit gelegen haben könnte, Opposition zu äußern und bekennerische kirchenpolitische Entscheidungen zu fällen. Nach solchen Möglichkeiten zu fragen war 1933 noch kaum gegeben, weil es der Stolz der Hugenotten war, ihre deutsche Staatstreue als besondere Zöglinge der Hohenzollern zu betonen. In den beiden nationalen Kriegen von 1870/71 und im Ersten Weltkrieg betonten sie dies vorrangig vor ihrer französischen Herkunft und Neigung. Bestandgebend für einen eventuellen Kirchenkampf war ihre Konsistorialverfassung, der zufolge die Entscheidungen im Gemeindeleben von diesem Leitungsgremium aus Laien und Pfarrern ausgehen. Interessant ist ferner die soziologische Untersuchung der sozialen und personellen Struktur der Ber­ liner Französischen Kirche in den 20er und 30er Jahren. Wichtig für eine solche Struktur ist die Erkenntnis, daß der Altersanteil in ihr recht hoch war, so daß sie Mühe hatte, aus eigener Kraft zu überleben. Vfn. fragt nach Herkunft, sozialer Schichtung und Traditionsbewußtsein, nach dem Festhalten an französischen Namen, den innergemeindlichen Organisationen und Aktivitäten, der Jugend- und Frauenarbeit und dem besonderen Ausdruck ihrer Identität in der „Fete du Refuge". Entscheidend ist das Mittwochskonsistorium (Consistoire) als Leitungsgremium und Ort der Übereinkunft zwischen Pfarrer und Gemeinde. Diese Gemeindeorganisationen vertieften das Traditionsbewußtsein auch in der Zeit des beginnen­ den Kirchenkampfes, füllten es mit Stoff durch Vorträge und Predigten wie etwa der über den „Erwählungsgedanken unserer Väter". Vfn. urteilt: die Chance, darin Einfluß auf kirchenpolitische Entscheidungen zu nehmen, war gering. Sie schildert den Kurs von Pfarrern und Gemeindevertretung als vorsichtig neutral und angepaßt. Danach wird breit (und eigentlich verwirrender, als wir ihn aus sonstigen Darstellungen kennen) der Kirchenkampf innerhalb der Deutschen Evangelischen Kirche ausgeführt. Es gab darin für die Fran­ zösische Kirche mancherlei Berührungspunkte, hergestellt v. a. durch namhafte Geistliche wie Pfarrer Chambon, aber auch Divergenzen und Entfremdungen. Der Konfliktstoff um die Zustimmung zum geforderten Treueeid auf Hitler und zu Karl Barths Bekenntnis näherte sie der Deutschen Evangeli­ schen Kirche an. In den beiden Anfangsjahren war die Kirchenpolitik des Consistoire ein Lavieren. Höher als der geistliche Konfliktstoff war für sie die Wahrung des französisch-reformierten Glaubens­ bekenntnisses und der eigenen unabhängigen Kirchenverfassung. Aus diesem Grunde rückte sie von der Kirchenpolitik des Reichsbischofs Müller ab, hielt sich aber der kämpferischen Bekennenden Kir­ che gegenüber bedeckt und betonte nur ihre Sympathie.

103 So wird das folgende Kapitel das wichtigste: Die Französische Kirche im Evangelischen Kirchen­ kampf. 1933 ist das Interesse der Hugenotten noch auf ihre Sonderbelange gerichtet, politischer Ein­ fluß wird abgelehnt. Aber schon im Sommer 1934 hätte aus der Sympathie mit den Kräften der Bekennenden Kirche Ernst gemacht werden müssen. Man vermied dies, weil man sich raushalten wollte. Dennoch ist die Polarisierung innerhalb der Berliner Französischen Kirche nicht aufzuhalten gewesen. Am Ende konstatiert Vfn., es habe keinen spezifisch hugenottischen Widerstand gegeben, der sich aus den Wurzeln des französisch-reformierten Glaubensbekenntnisses herleitete und als des­ sen Kernsatz es das Widerstandsrecht gegen den König gegeben hatte. Man hielt vorsichtig Kurs auf Neutralität und schob die hugenottische Tradition vor. Das wahre Erbe des Refuge hätte zu Wider­ stand führen müssen. So blieb es, wie das Geschichtsbild des 19. Jahrhunderts die Hugenotten gese­ hen hatte. Echten Widerstand aus reformierter Tradition sieht Vfn. nur in dem Handeln der französi­ schen Resistance im besetzten Frankreich. Diese Reformierten hätten seit dem 18. Jahrhundert als „Kirche in der Wüste" gelebt. Entsetzt und heute schon fast kopfschüttelnd über solche Absurdität liest man die Ausführungen dar­ über, wie die NS-Ideologie Rosenbergs und Günthers (Rasseforschung) die „nordische Qualität" der Refugies interpretierte. In den Schulungsheften des Rasse-Hauptamtes galt das Refuge als ein „gigan­ tisches Ringen aus geistig-seelischen Voraussetzungen nordischen Blutes". Man betrachtete die Hugenotten dem Wesen nach als deutschblütig, die „eingevolkt" (!) werden konnten, wo sie dann im besetzten Frankreich nach dem Friedensschluß eine beherrschende Rolle spielen sollten. So ist dies ein Beitrag zu einem differenzierteren Hugenottenbild, das wohl nicht unumstritten ist. Die wesentlichen kirchenpolitischen Entscheidungen gingen von Berlin aus, nachdem das Projekt der Zusammenfassung aller reformierten Kräfte in Deutschland, der deutschen und der französischen, nicht realisiert werden konnte. Hier hätte sich vielleicht ein Widerstandspotential entfalten können. Christiane Knop

Louis Lewin (1850—1929). Leben — Werk — Wirken. Vorträge eines Symposiums vom Oktober 1992 im Kulturforum Hellersdorf, Hellersdorfer Heimathefte III, Berlin: Braek 1993, 55 Seiten, 16 Abbildungen, Vorwort von Bezirksbürgermeister B. Mahlke. Zum Zwecke der Traditionspflege und Identitätsfindung hat das Hellersdorfer Heimatmuseum den Arzt und Forscher Louis Lewin in den Mittelpunkt eines Symposiums gestellt. Mit seinen beiden Anliegen, einen hervorragenden Vertreter der deutsch-jüdischen Kulturlandschaft in Berlin hervor­ zuheben, um damit ein Zeichen gegen Antisemitismus zu setzen und gleichzeitig das Gefährdungs­ potential der Suchtgefahr in dem sozial brisanten Bezirk Hellersdorf anzusprechen, hat das kleine Heft seinen aktuellen Bezug. Brigitte Hoppe berichtet vom Leben des heute weithin Unbekannten, der zu seiner Zeit Aufsehen erregte. Er kam mit seinen Eltern aus armem osteuropäischem Milieu ins Berliner Scheunenviertel, brachte sich in mühevollem Selbststudium durch seine Schulzeit am Friedrichswerderschen Gymna­ sium und an der Berliner Universität und verlegte sich früh auf die Erforschung der Gifte, untersuchte vor allem ihre Bedeutung und Auswirkung im gewerblichen Bereich und befruchtete die Suche nach wirksamer Suchttherapie. Man verehrte ihn als anregenden, vielfältigen und begeisternden akademi­ schen Lehrer auf den damals noch abgelegenen Gebieten. — 1881 habilitierte er sich für Arzneimittel­ lehre, Toxikologie und Hygiene und wurde 1893 Professor in Berlin. Er unterhielt ein eigenes Labora­ torium neben der Charite in der Ziegelstraße 3. Doch er war lange als Privatdozent tätig, ehe ihm, dem Juden, die offizielle Anerkennung zuteil wurde; 1922 erteilte ihm die Berliner Universität den Lehr­ auftrag. — Als den tieferen Grund seines Forschens nannte er seinen Gottesglauben als eine wirkende Kraft in der Natur, die es nachzuvollziehen galt. — Ergänzt wird dieser Lebensabriß durch die Erinne­ rungen seiner Enkelin, die ihn — auch in ihrer Exilzeit in den USA — als Familienpatriarchen inmitten einer kultivierten, orthodox jüdischen Familie im Gedächtnis behielt. Was seine wissenschaftliche Laufbahn betrifft, so wollen die Beiträge von Professor Holmstedt und Professor Lohs über die Rauschgifte und die Gewerbetoxologie und ihre Bedeutung für die Entwick­ lung auf die Psychotherapie aufmerksam machen. Sie wollen etwas in seinem Entstehen vergegen­ wärtigen, was uns heute selbstverständlich erscheint und doch damals einer unbeirrbaren Entdecker­ persönlichkeit bedurfte. Das Symposium beschreibt dies Spektrum vieler Interessenlagen und Diszi­ plinen, die auf ihn zurückführen. Wie heute auf dem sich langsam entfaltenden Gebiet der Umwelt­ medizin kann auch hier die Wissenschaft den Faktor einer langen Erfahrung nutzen. Christiane Knop

104 Hsi — Huey Liang, Die Berliner Polizei in der Weimarer Republik, Veröffentlichungen der Histori­ schen Kommission zu Berlin, Bd. 47. Aus dem Amerikanischen übersetzt von Brigitte und Wolfgang Behn, Berlin — New York: de Gruyter 1977, 235 Seiten. Anhang mit Namen- und Sachregister, Bibliographie und Verzeichnis der Interviewpartner. Die Rezensentin hat das fast 20 Jahre alte Buch erst jetzt in die Hand bekommen und findet es durch­ aus lohnenswert, dieses Kernproblem der Weimarer Republik in aktueller Situation zu betrachten. Selbst wenn inzwischen viel neues Wissen hinzugekommen ist, bleibt das hier Gesagte doch erwä­ genswert. — Im Vorwort zur deutschen Übersetzung erläutert der Verfasser Anlaß und Absicht seiner Studie. Er versuchte — aus eigener Zeitzeugenschaft jener Jahre — amerikanische Studenten über All­ tag und konkrete Wirklichkeit im Vorfeld der nationalsozialistischen Machtergreifung aufzuklären. Wer Geschichtsunterricht an dortigen Colleges kennt, weiß um die amerikanischen Schwierigkeiten, sich in solche Zeitumstände zu versetzen. — Aber auch für deutsche Studierende füllt sie eine Lücke; auch sie kennen die Innenansicht der Preußischen Polizei zu Berlin nicht. Die Hauptfrage, ob die Ber­ liner Polizei beim sogenannten „Preußen-Schlag" Papens 1932 hätte Widerstand leisten können, ist noch immer unbefriedigend beantwortet, zumal hier stärker die Politologie als die engere historische Wissenschaft gefragt ist. Diese Frage, um deretwillen Vf. seine Recherchen anstellte, ob die Republik hätte gerettet werden können, wird letztlich theoretisch bleiben. Auch die weitreichende Stoffülle und die subtilen Fragestellungen führen nicht zur Gewißheit. Es wird viel vom Vakuum geredet, in das die alte Polizei der Königlichen Schutzmannschaft 1918 bis 1920 durch den Zusammenbruch des Kaiser­ reiches hineingezogen wurde. Über die Fragen nach dem Widerstand im Dritten Reich ist dieser Bereich in den Hintergrund geraten. Als eine Andeutung, wie groß das Dilemma war, sei Vf. zitiert: „Das Geschichtsbewußtsein der Schutzmannschaft ist wohl am besten durch ihre Erfahrungen im Herbst und Winter 1918 zu erklären. Nach dem plötzlichen Sturz der Monarchie stand sie einer Bevöl­ kerung gegenüber, die allen Vertretern des ehemaligen Regimes zutiefst mißtrauisch gegenüberstand. Politische Unruhen vertieften die Unsicherheit der Polizei, die genau wußte, daß die alten Dienstvor­ schriften überholt waren, sich jedoch auf die Anweisungen der Arbeiter- und Soldatenräte nicht ver­ lassen wollte. Um ihre Autorität zu wahren —ja um sich gegenüber den Machtansprüchen von revolu­ tionären und reaktionären Rivalen zu behaupten —, konnte die Polizei weder Gewalt anwenden, noch politischen Einfluß geltend machen. Sie konnte höchstens versuchen, die Öffentlichkeit für sich zu gewinnen." (S. 20) Vf. schildert das Fortwirken des alten Polizeigedankens und der alten Polizeiethik, wie er sie nennt, aus dem 19. Jahrhundert, sich speisend aus dem Staat des 18. Jahrhunderts. Er schildert ferner die Modernisierung in Ausrüstung und Personal, die politische Gliederung in Polizeiverbände und beschreibt Ausbildung und Bildungsstand der Polizeianwärter auf den Polizeischulen in Brandenburg und Eiche. Er beleuchtet das gute Image ihrer Versorgung und Struktur, das sie bei den Bewerbern hatte. Er skizziert fortdauernde Rivalitäten zwischen einzelnen Abteilungen und Vorurteile — etwa zwischen den Angehörigen des Innen- und des Außendienstes — aber auch auswärtige Ressentiments gegen die preußische Polizei der Kaiserzeit. Ein auführliches Kapitel wird dem Versuch der „Demo­ kratisierung" gewidmet. Es wird das Miteinander und Gegeneinander der verschiedenen Polizeibe­ amtenverbände (u. a. Verband der Preußischen Polizeibeamten, Allgemeiner Preußischer Polizeibe­ amtenverband, Vereinigung Preußischer Polizeioffiziere) und ihrer parteipolitischen Affinitäten zu Gewerkschaften, Parteien oder zur Reichswehr verfolgt. Wichtig für ihre Rolle erscheint die soziale Herkunft der neuen Anwärter, die vielfach aus dem ländlichen Bereich kamen. Durchaus stabilisie­ rend wirkte die gute Versorgung der Beamten, die in dieser Zeit hoher Arbeitslosigkeit und wirt­ schaftlicher Rezession dem Staatsdienst zugeneigt waren. Sie achteten den Rechtsstaat. Der Weg zur allmählichen Herstellung einer staatstragenden Rolle — und darauf kommt es Vf. vor­ rangig an — gliedert sich in drei Etappen: Die Jahre anfänglicher Konsolidierung bis 1925, die Zeit überbordender Gewalt der Straße bis 1929 und schließlich den Kampf „gegen die Rote Front", der im Mai 1930 eskalierte und die Ordnungskräfte immer mehr überforderte. Auf den Charakter dieser Spannungen wird ausführlich eingegangen. Hier zeigt sich der Vorzug der Interviews, die Vf. mit den seinerzeit noch lebenden Zeitzeugen machte — quer durch die Inspektionen und Reviere in Groß- Berlin. Er befragte Entscheidungsträger wie Carl Severing, den Preußischen Innenminister, Albert Grzesinski, den Polizeipräsidenten, „Isidor" Weiß, seinen Stellvertreter (auf den sich Goebbels' Haß besonders eingeschossen hatte), und Johannes Stumm, den späteren Polizeipräsidenten von Berlin (West), aber auch Polizeiangehörige der mittleren Ebene und Wachleute. Inhalte und Ergebnisse die-

105 ser Befragungen listet er im Anhang gründlich auf. Ins Bild treten vorrangig die Abteilungen Schupo, Sipo und Kripo, weil sie im Blickfeld der Bürger standen. Namen und Ereignisse jener Jahre treten in reicher Fülle auf. Viel ist von der Rolle der Kripo die Rede, deren besondere Schwierigkeit es war, daß sich politische und kriminelle Verbrechen oft schwer voneinander trennen ließen. — Wenn Vf. zum Problem des Schutzes des preußischen Rechtsstaates durch seine Polizei hier ein abschließendes Urteil fällt, ruft er Severing zum Zeugen auf, der 1950 im Rückblick bekannte: 1930 war die Preußi­ sche Polizei zu Berlin verschlissen; sie stand mit letzter Kraft und zunehmender Resignation vor der Überfülle unlösbarer Aufgaben der Aufrechterhaltung innerer Sicherheit und Ordnung. — Zu ihrer intellektuellen Bewältigung blieben ihr nur gute zehn Jahre Zeit. Für das Jahr 1932 charakterisiert Vf. das Heranreifen einer Krise durch extrem rechtsgerichtete Kräfte. Die Argumente, die Polizei habe bei der Wahrung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung versagt, ihre Führung sei schwach gewesen und sie habe das Vertrauen der Bevölkerung verloren, nahm Reichskanzler von Papen zum Vorwand, den Ausnahmezustand zu verhängen, mit der Folge, Preußen und damit die Weimarer Republik entscheidend zu schwächen. Damit wird Severings Urteil bestätigt, der 1929 sagte: „Die Geschichte der Republik ist untrennbar mit der Geschichte der Polizei verbunden." (S. 6) Er stand darin mit Friedensburg im Einklang. Dem allen ist zuzustimmen. Doch es wird bei der Erörterung aller Polizeifragen viel von dem „demokratischen Behandeln" der Unruhen als dem Hauptanliegen gesprochen. Am Ende wird nicht recht faßbar, wie das hätte aus­ sehen sollen. Die Arbeiterschaft steht bei allen Erwägungen — in der Haupt- und Industriestadt Berlin! — im Vor­ dergrund, und so beschreibt Vf. ausführlich die Probleme bei den entsprechenden Revieren der Arbeiterviertel von Wedding und Mitte. Er beschreibt das Scheunenviertel als Brennpunkt der Ereig­ nisse. So werden die Morde an Lenk und Anlauf und der an Wessel beschrieben. Er unterscheidet mit bedachtsamen Aussagen sorgfältig zwischen der traditionell sozialdemokratisch verfaßen Arbeiter­ schaft und den Massen, die von den Nazis in eine andere innere Verfassung und Rolle verdreht wur­ den. Wenn dennoch seine Schlußurteile nicht so evident sind, wie man sich das wünschte, so liegt das an der chaotischen Situation von 1929/30, die sich in ihrer Unüberschaubarkeit und Verdrossenheit dem rationalen Erfassen entzieht und als Rest unerklärbar bleibt. Mehr Aufschluß böte vielleicht — in Ergänzung der Interviews — der Versuch, nach dem Selbstverständnis zu suchen, das in den Verbän­ den artikuliert wurde; ihre bloße Affinität, etwa zu Gewerkschaften, zu nennen genügt wohl nicht, vor allem nicht bei der Vereinigung der Polizeioffiziere. Hier hatte man es mit der Generation der Älteren zu tun: sie waren großenteils Einsichtige, die dem „Reich" auch noch in seiner Form der ungeliebten Republik guten Willens und pflichttreu gedient haben. Was die Weimarer Republik ihnen war, wurde ihnen erst später bewußt, als in vielen Bereichen — z. B. dem der inneren Verwaltung — der Bruch sichtbar wurde, der zunächst in seinem Übergangscharakter nicht so deutlich als Schlag gegen den Rechtsstaat gesehen worden war. Als man beim Röhm-Putsch die Brutalität erkannte, war alles schon irreparabel. Ergänzend wird auch der Hinweis des Vf.'s relevant, daß die Extremen von rechts und links in jeweils anderer Weise die Polizei als ihren schlimmsten Feind ansahen. Für die Kommunisten war sie schlichtweg der fehlgeleitete Klassenfeind. Die Nazis hofften auf ihre Schwäche in einer kri­ senhaften Situation, in der sie das Vertrauen der Bevölkerung verloren hätte. Sie wäre dann als Kata­ lysator einer braunen Machtergreifung zu benutzen gewesen. — Die Rechnung ging auf. In allen Interviews spiegelt sich Severings Honorigkeit wider. Er war eine überzeugende Gestalt, die noch dem alten Preußen entstammte. Er wurde zur Integrationsfigur in einem neuen Preußen und gab das Maß ab, wie sehr einst kaiserliche Beamte in der Polizeiführung und -fürsorge durch ihn von der Republik überzeugt wurden und wie er ihnen die SPD achtbar machte. Es wird von hier aus erklär­ lich, warum die Polizeiangehörigen der mittleren Ränge, als sie das Heraufkommen des Unrechts- staates spürten, der sie zunehmend in Frage stellte, durchgreifenden Widerstand „vom Militär" erwarteten. In den 20 Jahren seit dem ersten Erscheinen des Buches ist die Preußen-Frage wissenschaftlich vielfäl­ tig weiter erörtert worden. Das Problem der „rettenden" Funktion der republikanischen Polizei in Berlin führt auf die politologische Grundfrage nach legaler Durchsetzung der Macht zurück und auf das Dilemma mißbrauchter Freiheit, vor der keine Demokratie sicher ist. Was noch fehlt — eine Studie kann nicht alles leisten —, ergänzt das Literaturverzeichnis mit Hinwei­ sen auf die allgemeinen Zustände Berlins in den umstrittenen Zwanzigern und auf einzelne Gestalten wie Johannes Stumm und Arthur Nebe. Christiane Knop

106 Aus den Berliner Museen

Akademie der Künste: „Die Kunst hat nie ein Mensch allein besessen. Kulturhistorische Ausstellung zur 300-Jahr-Feier der Akademie der Künste und der Hochschule der Künste". Die große Jubiläums­ ausstellung der Akademie gibt einen Rückblick auf ihre dreihundertjährige Geschichte und gewährt damit zugleich einen Überblick über die Geschichte der Künste in Preußen und Deutschland. Aus­ gehend von einem nachgebauten Aktzeichensaal wird der Besucher von den schönen zu den angewandten Künsten geführt: In der KPM wurden bedeutende Kleinplastiken geschaffen. Chodowiecki und Schadow verhalfen nach der Reform von 1786 aufklärerischen und klassizistischen Ideen zum Durchbruch. In der Mitte des letzten Jahrhunderts wurde die Landschaftsmalerei salon­ fähig, wovon zahlreiche Werke Blechens Zeugnis ablegen. Die sich um 1900 abzeichnende Zeiten­ wende wird durch Begas versinnbildlicht, dessen „Gefesselter Prometheus", die Resignation des Künstlers ausdrückend, den Umschlag des Sommerprogramms der Akademie schmückt. Unter der Präsidentschaft Liebermanns war die Kunstförderung eine wichtige Aufgabe der Akademie, während die nachfolgenden Jahre von der Gleichschaltungspolitik des NS-Staates überschattet wurden. Die Akademie fiel in die Bedeutungslosigkeit. Das Schicksal ausgeschlossener, verfolgter und vertriebe­ ner Mitglieder wird in der Ausstellung ausführlich dargestellt. Der in unserer Lebensspanne ausgetra­ gene Streit zwischen abstrakten und figurativen Malern genießt nur noch ein historisches Interesse, scheint aber im Rückblick mehr politisch motiviert gewesen zu sein als bisher wahrgenommen wurde. Die Ausstellung endet mit einem Überblick auf die nach Himmelsrichtungen getrennte jüngste Geschichte der Akademie, deren 1993 vollzogene Vereinigung das Vorhaben erst ermöglichte. Noch bis 15. September. Hanseatenweg 10. Di bis So 10 bis 20 Uhr (Mi bis 22 Uhr). U.

Heimatmuseum Charlottenburg: „Gruß aus Westend. Über Charlottenburgs ,feinste Provinz'". Die Ausstellung gibt Einblick in die Entstehung des Charlottenburger Villenviertels und die Lebensver­ hältnisse seiner Bewohner von den Anfängen in den 1860er Jahren bis in die jüngste Vergangenheit. Vorgestellt wird ebenfalls die Vielfalt namhafter Persönlichkeiten, die Menge der Gelehrten, Künstler oder Schriftsteller, die dort einst gewohnt haben oder noch heute dieses Viertel bevorzugen. Die Aus­ stellung dokumentiert aber auch einen von der Forschung bislang vernachlässigten Bereich: das jüdi­ sche Leben in Westend. Zahlreiche Führungen durch Westend ergänzen die Ausstellung (Termine: Tel. 34 30 32 01). Noch bis 18. August. Schloßstraße 69. Di bis Fr 10 bis 17 Uhr, So 11 bis 17 Uhr. Birgit Jochens

Heimatmuseum Friedrichshain: „Raub und Mord im Kiez — Historische Friedrichshainer Kriminal­ fälle". In den historischen Kriminalfällen im Stadtbezirk Friedrichshain spiegelt sich die soziale und politische Geschichte dieses Bezirks wider. Hier im Berliner Osten lebten vor allem die einfachen Leute: Arbeiter, kleine Angestellte und Beamte. Hier gärten soziale Unruhen, und speziell die Gegend um den Schlesischen Bahnhof zählte zu den Bereichen der höchsten Kriminalität in Berlin. Hier blühten Prostitution, Bauernfängerei und Straßenraub. Hier trafen sich auch in den 20er Jahren die Ringvereine, die Berliner Unterweltorganisation in ihren „Verkehrslokalen". Hier fand 1928 die bis dahin größte Gangsterschlacht Berlins zwischen dem Ringverein IMMERTREU und Hamburger Zimmerleuten statt. Auf den Straßen und Plätzen ringsum suchte sich die„Bestie vom Schlesischen Bahnhof", der Massenmörder Karl Großmann, unter Dirnen und stellungslosen Dienstmädchen seine Opfer, deren zerlegte Leichenteile dann auf Parkbänken und in Kanälen dieser Gegend gefun­ den wurden. In diesem „roten" Bezirk kulminierten auch in dieser Zeit die Kämpfe zwischen dem Rotfrontkämpferbund, Polizei und SA in Fällen wie dem Mord am Oberwachtmeister Kuhfeldt 1931 oder dem Tod Horst Wessels, dessen Märtyrerkult unter der Herrschaft des Nationalsozialismus dem ganzen Bezirk seinen Namen gab. Die meisten Fälle der Polizeiakten berichten jedoch von der alltäg­ lichen Welt der kleinen Leute und ihrem düsteren Schicksal, z. B. Charlotte Jünemann, die 1935 ihre drei Kinder verhungern ließ, um ihrem Geliebten deren Existenz zu verheimlichen; Rudolf Helfen­ stein, der 1930 seinen trunksüchtigen Stiefvater erschlug, um seine Mutter vor Mißhandlungen zu schützen; die beiden entflohenen 14jährigen Fürsorgezöglinge Nowak und Schimmelpfennig, die 1942 eine Rentnerin in ihrer Wohnung umbrachten, um an die lebensnotwendigen Lebensmittelkar­ ten zu kommen. Die Festnahme der beiden wohl berühmtesten „einheimischen" Verbrecher — des

107 Hauptmanns von Köpenick, Wilhelm Voigt, 1906 und des Chefs der berüchtigsten Gangsterbande im Nachkriegsberlin, Werner Gladow, 1949 — grenzen jene Zeitepoche ein, die in der Ausstellung doku­ mentiert werden soll. In historischen Tatortfotografien und Täterporträts, in Dokumenten und Sachzeugen jener Zeit wer­ den dreizehn Kriminalfälle dargestellt, berühmte und unbekannte, die alle unverwechselbar zum Gesicht des alten „Berliner Ostens" gehören. Bis Ende 1996. Lichtenberger Straße 41. Di + Do 11 bis 18 Uhr, Sa 13 bis 18 Uhr. Heike Naumann

Heimatmuseum Hohenschönhausen: „... ne scheene Jejend is det hier! — Zur Geschichte einer Kulturlandschaft am Oranke- und Obersee". Noch bis 27. Februar 1997. Lindenweg 7. Di, Do 9 bis 12 und 14 bis 17 Uhr, So 11 bis 16 Uhr. IL

Institut für Orgel- und Kantoreiforschung e.V.: Unser Mitglied Dr.-Ing. Dagobert Liers, Leiter des renommierten Instituts, lädt zur „Orgel und Harmonium-Ausstellung" in die Friedrichhainer Zwingli-Kirche, Rudolfstraße 14, ein. Die sehenswerte Ausstellung ist sonnabends von 15 bis 18 Uhr geöffnet. Wir werden diesen befreundeten Verein und seine wichtige Arbeit zu einem späteren Zeitpunkt näher vorstellen und ihn dann auch in der Zwingli-Kirche besuchen. U.

Käthe-Kollwitz-Museum: Am 31. Mai 1996 blickte das Käthe-Kollwitz-Museum auf 10 Jahre seines Bestehens zurück. Aus diesem Anlaß fand am 30. Mai eine Jubiläums-Feier im Kuppelsaal des Museums statt. Unser Mitglied , Regierender Bürgermeister, erinnerte in einer Ansprache an die Schwierigkeiten, die der Museumsgründung vorausgingen, und lobte vor allem das private Engagement, das diese Einrichtung erst ermöglichte und ihr zur Blüte verhalf. Zur Feier­ stunde waren gleichfalls unsere Mitglieder Professor Dr. Klaus Finkeinburg, Präsident des Berliner Verfassungsgerichts, Monika Wissel, Bürgermeisterin Charlottenburgs, und — stellvertretend für den Vorstand — Dr. Manfred Uhlitz erschienen. Sozusagen „von Amts wegen" war natürlich auch unser Mitglied Regina Caspers anwesend, die als Museumspädagogin des Hauses im vergangenen Jahr zweimal Gruppen unseres Vereins durch Sonderausstellungen des Museums („Schmerz und Schuld" und „Lesser Ury") führte. Das 1871 für den geh. Kommerzienrat Schirmer errichtete und 1896 umgestaltete Gebäude — 1978 noch für abbruchreif erklärt — wurde in den achtziger Jahren aufwendig restauriert und vom Landes­ konservator, unserem Mitglied Professor Engel, unter Denkmalschutz gestellt. Die Deutsche Bank, gleichfalls Mitglied unseres Vereins, erwarb das Haus und stellte es einem Kreis von Kollwitz-Vereh­ rern um den 1993 verstorbenen Kunsthändler Hans Pels-Leusden zur Verfügung. Ruhe und Besinn­ lichkeit werden von Besuchern immer wieder als wohltuende Qualitäten des Museums genannt, und diese Atmosphäre verdankt es natürlich nicht allein der Örtlichkeit, sondern vor allem den ausgestell­ ten Arbeiten einer Künstlerin, die mit großer Beharrlichkeit zu ihrer Zeit ein Werk schuf, das von eigenwilligem Können ebenso geprägt ist wie von sozialer Verantwortung. U.

Kunstgewerbemuseum: „Glück, Leidenschaft, Verantwortung. Privatsammler und das Kunstgewer­ bemuseum". Die Ausstellung stellt acht private Sammlungen vor, die im 19. und 20. Jahrhundert in das Kunstgewerbemuseum gelangten. Zwei heutige Privatsammlungen runden die Ausstellung ab. Die Beziehungen der acht Sammlerinnen und Sammler zu Berlin sind unterschiedlich. Karl Ferdi­ nand Nagler, Hermine Feist und Aloys Lautenschläger lebten in Berlin. Nagler, Schöpfer des moder­ nen preußischen Postwesens, stammte eigentlich aus Ansbach. Seine Sammlung zählt zu den frühen Berliner Kunstgewerbesammlungen und wurde noch zu seinen Lebzeiten 1835 für die Kunstkammer erworben. Hermine Feist war gebürtige Berlinerin und lebte in einem eigens für ihr Porzellan umge­ bauten Landhaus am Wannsee. Lautenschläger, erfolgreicher Hals-, Nasen-, Ohrenarzt, kam aus Aschaffenburg, ließ sich 1899 in Berlin nieder und vermachte seine Sammlung 1943 dem — damals ausgelagerten und geschlossenen — Museum. Zwei der Sammler hatten ihre Lehr- oder Studienjahre in Berlin verbracht. Alexander von Minutoli hatte hier Jura studiert, wurde jedoch Regierungsrat in Liegnitz (Schlesien). Dort trug er auch seine Sammlung zusammen, die der Staat in zwei Schritten, 1859 und 1869, von ihm erwarb. Wolters besuchte in Berlin die Artillerie- und Ingenieurschule, wurde Offner, Leiter der Henckels-Werke in

108 Solingen und begann im Alter eine Sammlung von preußischem Eisenkunstguß, die er 1934 dem Kunstgewerbemuseum vermachte. Zwei Sammler schließlich hatten nie in Berlin gelebt oder gearbeitet, standen aber in engem persön­ lichen Kontakt mit Berliner Museumsleuten: Alexander Schnütgen mit Julius Lessing, dem damali­ gen Direktor des Kunstgewerbemuseums, und Albert Figdor mit Wilhelm Bode, dem Generaldirek­ tor der Berliner Museen. Teile ihrer Sammlungen gelangten 1878 bis 1905 bzw. 1930 bis 1935 nach Berlin. Jede(r) der acht vertritt einen anderen Ansatz oder ein anderes Sammelgebiet. Die Ausstellung ver­ sucht, ihre Sammlungen in ausgewählten, erhaltenen Objekten vor Augen zu führen und ihre Persön­ lichkeiten nachzuzeichnen. Ihre Schätze, die sie mit Glück und Leidenschaft zusammenbrachten, sind heute Bestandteil des Kunstgewerbemuseums, das ihnen dafür Dank schuldet. Vom 15. August an. Matthäikirchplatz 10. Di bis Fr 9 bis 17 Uhr, Sa + So 10 bis 17 Uhr. Dr. Peter Keller Museum für Verkehr und Technik: „Berliner ,Rosinenbomber' werden restauriert". Die beiden „Rosinenbomber" des Technikmuseums C47 „Skytrain" und C54 „Skymaster" sind wohl die popu­ lärsten Flugzeuge Berlins. Sie symbolisieren eine der schwierigsten Epochen der Berliner Nachkriegs­ geschichte und des kalten Krieges. Im Rahmen einer Arbeitsbeschaffungsmaßnahme werden die Maschinen auch im Hinblick auf das Luftbrückenjahr 1998 restauriert. Die Finanzierung erfolgt durch Spenden, woran die Berliner Bevölkerung einen nicht unerheblichen Anteil hat. Die C47, das „Arbeitspferd" der US Air Force und der Alliierten, hatte in den 30er Jahren den Luft­ verkehr aufgrund wichtiger technischer Neuerungen revolutioniert. Insgesamt wurden 14000 Maschinen dieses Typs hergestellt, davon 10123 als Militärvarianten. Die britische Royal Air Force flog 2000 Maschinen unter dem Namen Dakota. Die C 54 „Skymaster" war eine Ableitung der eben­ falls sehr erfolgreichen DC 4, deren erster Entwurf von 1935 stammt und 1942 verfeinert wurde. Von 1942 an wurden 1100 Maschinen vom amerikanischen Lufttransportkommando geflogen. Beide Flugzeuge hat das Technikmuseum als Dauerleihgabe des US-Luftwaffenmuseums in Dayton/Ohio übernommen. Die C47 wird bis zur Fertigstellung des Museums-Erweiterungsbaus in der Trebbiner Straße zu sehen sein, die C54 auf dem Tempelhofer Flughafengelände am Columbiadamm. U. Stadtmuseum Berlin: Ephraim-Palais: „Die Olympiade unter der Diktatur" Rekonstruktion der Kunstausstellung, die 1936 in Amsterdam als Gegenveranstaltung zum offiziellen NS-Begleitprogramm der Olympischen Spiele in Berlin präsentiert wurde. 1. August bis 30. September. Poststraße 16. Sammlung industrielle Gestaltung: „Dieses Museum muß verhindert werden. Stadtdesign und Zensur". Zwischen den Macht-, Bürokratie- und Kontrollstrukturen des Bauwesens und der Wirt­ schaft markierte in der DDR das Stadtdesign eine merkwürdige Leerstelle, einen Freiraum, der von Designern, Architekten und Publizisten sozialverantwortlich und mit List besetzt wurde. Noch bis 21. Juli. Knaackstraße 97. Mi bis Fr. 15 bis 21 Uhr, Sa + So 14 bis 21 Uhr. Nikolaikirche: „Paul Gerhard — Zum 320.Todestag". Ausstellung bis Ende September. U. Stiftung Topographie des Terrors: „1936 — Die Olympischen Spiele und der Nationalsozialismus". Als Ergänzung unseres diesjährigen Sommernachtsfestes auf dem Glockenturm des Olympia-Sta­ dions empfiehlt sich ein Rundgang durch die an der Gedächtniskirche in den Räumen der ehemaligen Kunsthalle gezeigte Ausstellung. Die Ausstellungsmacher förderten aus annähernd 150 deutschen und ausländischen Archiven zwar keine Informationen hervor, die eine ganz neue Sicht der Olym­ piade von 1936 erforderlich machen würde. Aber es gelang, zahlreiche sich um die Spiele rankende Legenden zu durchstoßen, allen voran die Ansicht, daß es 1936 auf mysteriöse Weise gelungen sei, Sport und Politik vollständig zu trennen. So werden die Spiele von Garmisch-Partenkirchen und Berlin eingebettet in die Geschichte des Nationalsozialismus wie auch des deutschen und internatio­ nalen Sports dargestellt. Auch die Protest- und Boykottbewegung gegen die Durchführung der Olym­ piade im nationalsozialistischen Deutschland sowie der Mediencharakter der Spiele werden ausführ­ lich behandelt. Zu bemängeln ist, daß in der Ausstellung — wie leider oft üblich — nur „Flachware" gezeigt wird. Der eilige Interessent kann daher auf den kostenlosen und täglich bis zum 18. August möglichen Besuch der Ausstellung verzichten, wenn er sich den für 25 DM wohlfeilen, reich bebilder­ ten und sehr informativen Ausstellungskatalog am Eingang kauft. Budapester Straße Nr. 42. Täglich 10 bis 20 Uhr. U.

109 Die Epiphanienkirche vor 1930. Foto: Epiphaniengemeinde

Es stellt sich vor: Der Förderverein für das Kirchen-Musikzentrum Epiphanien, Berlin-Charlottenburg

Kaiserin Auguste Viktoria suchte für sie den Namen aus, Prinz Eitel Friedrich weihte sie im April 1906 ein: Die Epiphanienkirche in der Charlottenburger Knobelsdorffstraße wurde in diesem Jahr 90 Jahre alt. Von dem ursprünglichen Kirchengebäude sind nach der Zerstörung durch Brandbomben am 1. Mai 1945 nur noch Teile erhalten. Der Wiederaufbau zog sich über 15 Jahre hin. 1960 wurde ein behutsam modernisierter Kirchenraum eingeweiht, mit einer Dachkonstruktion aus Aluminiumpyramiden, die allerdings seinerzeit wegen ihrer Neuartigkeit für Aufsehen sorgte. Der Kirchturm mit seinem Satteldach grüßt als Wahrzeichen von Charlottenburg alle, die auf der Stadtautobahn vorbeifahren. Aufsehen erregte auch immer wieder die Orgel. Nachdem man sich jahrelang mit Notlösungen behol- fen hatte, wurde 1970 der Beschluß gefaßt, bei dem bekannten Orgelneuerer Herbert Schulze einen Entwurf für ein neues Instrument in Auftrag zu geben. Das Ergebnis war von den klanglichen Qualitä­ ten her revolutionär. Gemeinsam mit dem Physiker Karl Theodor Kühn gelang es Schulze, die Wind­ führung in den Orgelpfeifen so zu gestalten, daß sich die Töne klar voneinander trennen, statt des sogenannten Orgelschwalls entstand ein transparentes Klangbild. Dennoch konnte das 1975 erstellte Instrument mit 15 Registern nur als Torso gelten. Man mußte — unter Berücksichtigung der zur Verfü­ gung stehenden Geldmittel — so planen, daß einerseits das Besondere der Orgelentwürfe erkennbar wurde, andererseits die Notwendigkeit einer späteren Erweiterung manifest blieb. Kenner sprachen schon damals von einer Orgel, die in ihren Qualitäten weit über Berlin hinausreichte. Für Kirchenmu­ siker Gottfried Matthaei begann ein 20 Jahre währender Kampf um die Erweiterung der Orgel auf die ursprünglich geplanten 45 Register. Kollekten, Benefizkonzerte, Spenden erbrachten so viel Geld, daß schließlich das Zahlenlotto 480000 DM zuschoß und der Kirchenkreis Charlottenburg mit 250 000 DM für den Rest der benötigten Million sorgte. Im Dezember 1995 konnte die vollendete Orgel eingeweiht werden. Sie ist das Instrument, das in rein­ ster Form die Intentionen der Orgelarchitekten Schulze/Kühn darstellt — von etwa 20 gemeinsamen Projekten. Dr. Kühn erhielt im Mai dieses Jahres das Bundesverdienstkreuz für seine Verdienste

110 um den Orgelbau. Eine Orgel mit den Klangqualitäten der Epiphanienorgel verlangt geradezu auch nach einer konzertanten Nutzung. Aber dies kostet Geld (Honorare und Lizenzgebühren etwa für Chorkonzerte, Kosten für Veranstaltungen wie die jährlich stattfindenden Orgeltage). Da aber auch bei der Kirche die Mittel knapper werden, besann man sich auf eine alte Tugend: Eigeninitiative. Im März 1996 wurde der Förderverein Kirchenmusikzentrum Epiphanien gegründet. In ihm schlössen sich musikinteressierte Berlinerinnen und Berliner zusammen, um Projekte rund um die Orgel zu unterstützen: Seminare, Nachwuchsförderung, Konzertreihen und Kulturaustausch. Der Veranstal­ tungsplan für die zweite Jahreshälfte 1996 ist gut gefüllt: Für August stehen an jedem Freitag (22 Uhr) Sommernachtskonzerte auf dem Programm, an jedem ersten Sonntag im Monat findet ein Orgelkon­ zert statt (20 Uhr), und an jedem zweiten Freitag wird eine Orgelandacht veranstaltet. Im Oktober kommt der Rigaer Domknabenchor in die Charlottenburger Gemeinde, und die Epiphanienkantorei wird in der Weihnachtszeit mehrere Konzerte geben. Der Förderverein ist zu erreichen über die Epiphaniengemeinde, Knobelsdorffstraße 72/74,14059 Berlin-Charlottenburg. Telefon 301169-0, Telefax 3 0218 98. Gesine von Leers Unser Verein besucht am 21. September 1996 ein Orgelkonzert in der Epiphanienkirche (vgl. Veran­ staltungsprogramm)

Mitgliederversammlung am 15. Mai 1996

Traditionsgemäß fand in diesem Jahr die Ordentliche Mitgliederversammlung wieder im Ferdinand- Friedensburg-Saal des Berliner Rathauses statt. Der Vorsitzende, Bürgermeister von Berlin und Senator a. D. Hermann Oxfort, hieß die sechzig anwesenden Mitglieder willkommen und eröffnete die Sitzung. Bei der Ehrung der verstorbenen Vereinsmitglieder wies er besonders auf die großen Ver­ dienste des Schriftführers Dr. Hans Günther Schultze-Berndt hin, dessen Engagement für den Verein vorbildlich gewesen sei. Mit seiner Inspiration und Tatkraft sei er über zweieinhalb Jahrzehnte die Seele des Vereins gewesen. Nach der Totenehrung wandte sich Herr Oxfort der Tagesordnung zu. Da der Tätigkeitsbericht des stellvertretenden Schriftführers vervielfältigt vorlag, wurde auf den mündlichen Vortrag verzichtet. In Ergänzung zum Tätigkeitsbericht gab der Vorsitzende bekannt, daß der Verein dank großzügiger Spenden der Berliner Sparkasse die Bibliotheksräume in der Berliner Straße nutzen könne. Diese Mittel seien aber nur mit der Aussicht zur Verfügung gestellt worden, daß der Verein baldmöglichst die für ihn vorgesehenen Räume im Libeskind-Bau der Stiftung Stadtmuseum Berlin beziehe. Hierfür liege seit 1989 eine Zusage des Senats vor. Bei der Besichtigung des Rohbaues in der Lindenstraße am 10. Mai d. J. seien jedoch Zweifel aufgetaucht, ob die Leitung der Stiftung sich an diese Zusage gebun­ den fühle. Herr Oxfort habe dem Generaldirektor erklärt, daß der Verein auf die Zusage des Senats pochen und sich in dieser Angelegenheit auch an den Regierenden Bürgermeister wenden werde. Unter dem Beifall der Mitglieder dankte der Vorsitzende Herrn Dr. Manfred Uhlitz, durch dessen Aktivitäten zahlreiche neue Mitglieder gewonnen werden konnten. Die „Mitteilungen" seien attrak­ tiver geworden, und es konnten mehr Veranstaltungen durchgeführt werden. Dadurch sei insgesamt das Interesse am Verein gestiegen. Auch das Jahrbuch, das von Frau Professor Dr. Sibylle Einholz und Herrn Dr. Jürgen Wetzel im Auftrag des Vereins herausgegeben werde, habe wieder eine gute Resonanz gefunden. Herr Oxfort kündigte ferner einen neuen Tagesordnungspunkt „4 a — Nachwahlen zum Vorstand" für die Positionen an, die durch Tod bzw. durch Rücktritt frei geworden sind. Ferner wies er auf die schwierige Finanzlage des Vereins hin. Die vielfältigen Aktivitäten wie Exkursionen, Veranstaltun­ gen und Publikationen könnten nicht mehr durch die Mitgliederbeiträge gedeckt werden. Eine Erhö­ hung des Jahresbeitrages sei deshalb unumgänglich. Danach erstattete der Schatzmeister Karl-Heinz Kretschmer, der den Jahresabschluß 1995 sowie den Voranschlag 1996 vorgelegt hat, seinen Kassenbericht. Es folgte der Bibliotheksbericht des Vor­ standsmitgliedes Karlheinz Grave, dem zu entnehmen war, daß die Bibliothek von 147 Lesern aufge­ sucht wurde und daß der Bestand durch Neuzugänge um 452 Titel auf 15 469 Bände gewachsen ist. Den Damen Hentschel und Meyer-Luyken, den Herren Doege, Mende und Siewert galt der Dank für ihr Engagement in der Bibliothek und im Vereinsarchiv.

111 Für die verstorbene Frau Siddikah Eggert übernahm Herr Fußangel kommissarisch die Kassenprü­ fung. Gemeinsam für ihn und für sich bestätigte Herr Hans-Dieter Degenhardt die ordnungsgemäße Führung der Kassengeschäfte. Der Vorsitzende verlas darauf einen Brief von Frau Dr. Erika Schachinger, in dem sie auf die beson­ dere Tüchtigkeit von Herrn Manfred Funke verwies, der die Hauptlast der Bibliotheksprüfung trug. Herr Funke hat in dem anschließenden Bericht auch im Namen von Frau Schachinger das große Engagement der Bibliotheksmitarbeiter und die intensive Betreuung der Benutzer hervorgehoben. Der Vorsitzende dankte allen ehrenamtlich wirkenden Mitgliedern für ihre Tätigkeit. Nach einer kurzen Aussprache über den Tätigkeitsbericht, die zur Klärung einiger Fragen beitrug, wurde auf Antrag der Vorstand einstimmig entlastet. Es folgten die Nachwahlen zum Vorstand. Nachdem die Kandidaten sich kurz vorgestellt hatten, wur­ den Herr Dipl.-Brauwirt Joachim Strunkeit als Schriftführer, Herr Wolfgang Holtz als Beisitzer und Herr Klaus Fußangel als Kassenprüfer gewählt. Herr Oxfort gratulierte ihnen zur Wahl und drückte die Hoffnung auf gute Zusammenarbeit aus. Anschließend stimmte die Mitgliederversammlung dem Antrag des Vorstandes auf Erhöhung des Jahresbeitrages vom kommenden Jahr an für Einzelpersonen auf 80 DM und für Ehepaare auf 120 DM bei einer Gegenstimme und zwei Enthaltungen zu. Darauf schloß der Vorsitzende den offiziellen Teil der Veranstaltung und gab Herrn Hans-Werner Klünner das Wort, der einen mit viel Beifall aufgenommenen Vortrag über „Das Berliner Rathaus" hielt. Dr. Jürgen Wetzel

Wanderung am Pfingstsonntag, dem 26. Mai 1996, von Fürstenberg (Havel) über Himmelpfort nach Lychen

Die Wanderung begann nach gemeinsamer Anreise mit der Regionalbahn von Oranienburg mit einem Stadtrundgang in Fürstenberg, das landschaftlich sehr reizvoll zwischen dem Röblinsee im Westen und dem Baalensee im Südosten sowie dem Schwedtsee im Nordosten gelegen ist. Nach einem kurzen Überblick über die Geschichte Fürstenbergs, das 1278 erstmals erwähnt wird, passierten wir den alten Friedhof, auf dem sich einige Grabmale aus früheren Zeiten erhalten haben. Erwähnenswert ist das der Familie Probsthan. Adam Probsthan war Jäger im Lützowschen Reiter­ regiment und kämpfte an der Seite von Theodor Körner für die Befreiung von der Napoleonischen Fremdherrschaft. Heute wird der alte Friedhof von einer Gedenkstätte für sowjetische Soldaten beherrscht, die im Zweiten Weltkrieg im Kampf gegen die Nazi-Diktatur gefallen sind. Der Markt wird von dem stattlichen gelben Backsteinbau der Stadtpfarrkirche beherrscht, der an die Stelle der mittelalterlichen Feldsteinkirche trat, die vollständig abgerissen wurde. Die Kirche wurde 1845 bis 1848 in italienisierendem Stil der Schinkelnachfolge von Friedrich Wilhelm Büttel in Kreuzform errichtet. In der Hauptstraße erinnert eine Gedenktafel am Haus Nr. 46 an den bedeutenden Alter­ tumsforscher und Ausgräber Trojas Heinrich Schliemann, der in diesem Haus von 1836 bis 1841 eine Kaufmannslehre absolvierte. Das ehemalige Schloß wurde 1741 bis 1752 von Christoph Julius Löwe erbaut und diente ursprüng­ lich der Herzogin Dorothea Sophia, der Frau des Herzogs Adolf Friedrich III. von Mecklenburg-Stre- litz, als Witwensitz. Die Dreiflügelanlage auf dem inselförmigen Mühlenkamp gruppiert sich in U-Form um einen etwa 20 X 30 m großen Innenhof. Beim Umbau zum Krankenhaus im Jahre 1913 durch Heinrich Brandes aus Hannover wurde das reiche Stuckdekor in barockisierenden Formen an den Risaliten und Kopibauten angebracht, gleichzeitig wurden die Schweifgiebel verändert. Aus der Parkanlage gegenüber dem Schloß blickten wir über den Schwedtsee und sahen in der Ferne das Hauptmonument der Mahn- und Gedenkstätte Ravensbrück, eine Frauengruppe aus Bronze von dem Bildhauer Will Lammert 1954 bis 1959 gestaltet, nach dessen Tod von Fritz Cremer vollendet. An der Zufahrtsstraße zum ehemaligen Konzentrationslager befindet sich eine Bronzeplastik, die Müttergruppe, von Fritz Cremer 1959 bis 1961 geschaffen. Auf der rechten Seite sahen wir das ehe­ malige Lagergelände, das nach dem Kriege bis 1993 von der Roten Armee genutzt wurde. Auf der linken Seite waren ebenfalls Einrichtungen der sowjetischen Streitkräfte untergebracht, ferner Wohn­ gebäude, die inzwischen abgerissen wurden. Das Gelände soll zu einem Gewerbepark hergerichtet werden.

112 Bald lag das unheimliche Areal hinter uns. Auf schattigen Waldwegen wanderten wir in Richtung Himmelpfort. Nach einer Weile schimmerte der Sidowsee durch die Bäume. Kurz darauf erreichten wir Himmelpfort und nahmen dort im Landgasthof Hasenheide unser Mittagessen ein. Nach dieser Stärkung waren wir auch wieder aufnahmefähig für geschichtliche Daten. Das ehemalige Zisterzienserkloster Himmelpfort ist am 25. November 1299 von Markgraf Albrecht III. von Brandenburg als seine Grablege gestiftet und mit zahlreichen Dörfern aus seinem Umkreis ausgestattet worden. Himmelpfort wurde von Lehnin aus besiedelt; es ist die letzte Tochtergründung des Klosters Lehnin. Einrichtung und Aufbau wurden mit Nachdruck betrieben. Dennoch war der Aufbau erst um 1309 abgeschlossen, so daß dann der bereits im Jahre 1300 verstorbene Stifter von Lehnin nach Himmelpfort überführt und dort bestattet werden konnte. Im Vergleich zu anderen Zisterzienserbauten in der Mark Brandenburg war Himmelpfort karg, teil­ weise sogar primitiv gebaut worden. Nach dem Aussterben der Askanier verödeten die Klosterdörfer teilweise, so daß die Äbte des Klosters auch nach dem Ende der mecklenburgischen Herrschaft im Jahre 1440 im Gegensatz zu den Äbten von Zinna und Lehnin keine Rolle am Hof der brandenburgi­ schen Kurfürsten spielen konnten. 1541 wurde Himmelpfort säkularisiert und der Klosterschatz beschlagnahmt. Bis 1551 besaß der uckermärkische Landvogt Hans von Arnim zu Boitzenburg Him­ melpfort mit Zubehör als Pfandbesitz. Danach erhielt Adam von Trott zu Badingen den Besitzkom­ plex als kurfürstliches Lehen. Nach dem Aussterben dieser Familie (1727) blieb Himmelpfort bei dem Domänenamt Badingen. Nach der Besichtigung Himmelpforts wanderten wir am Haussee, am Moderfitzsee und am Piansee entlang in Richtung Lychen. Auf schönen Waldwegen erreichten wir den Großen Lychensee etwa in Höhe der Einmündung der Woblitz, die diesen See mit dem Haussee verbindet. Durch die Bäume schimmerte auf der linken Seite der Kleine Lychensee. Weiter ging es am Ufer des Großen Lychensees entlang. Über den See grüßte der Kirchturm von St. Johannis in Lychen. Dann erreichten wir den Bahnhof Lychen. Dort mußten wir zu unserer Überraschung einem Aushang entnehmen, daß der Zugverkehr auf der Strecke Templin—Fürstenberg bereits vor dem Fahrplan wechsel am 2. Juni einge­ stellt worden war. Trotz ungenügender Hinweise gelang es uns, den als Ersatz verkehrenden Bus nach Fürstenberg zu erreichen, so daß die Rückfahrt dann wie vorgesehen verlief. Dieter Klau

Wir begrüßen folgende neue Vereinsmitglieder (11/96):

Behr, Dr. Werner, Arzt Nause, Renate Meiningenallee 17, Lichterfelder Ring 103 14052 Berlin-Charlottenburg 12279 Berlin-Marienfelde Tel. 3 04 42 77 (Dr. M. Uhlitz) Tel. 7115806 Behr, Margot Scholtze, Gisela, pens. Lehrerin Meiningenallee 17, Brandenburgische Straße 69 14052 Berlin-Charlottenburg 10713 Berlin-Wilmersdorf Tel. 3044277 (Dr. M. Uhlitz) Tel. 8 6178 51 (Dr. M. Uhlitz) Einholz, Evelyn, Japanologin Praetorius, Michael, Studiendirektor Berchtesgadener Straße 26, Hans-Böhm-Zeile 33, 10825 Berlin-Schöneberg 14165 Berlin-Zehlendorf (Prof. Dr. S. Einholz) Tel. 8157662 Kippe, Horst, Bundesbeamter Wissel, Monika, Dipl.-Bibliothekarin Düsseldorfer Straße 17/18 Behaimstraße 11, 10707 Berlin-Wilmersdorf 10585Berlin-Charlottenburg Tel. 8 83 66 09 (Dr. M. Uhlitz) Tel. 3429250 (Dr. M. Uhlitz) Kronenburger, Goetz, Journalist Wirth, Dr. Roland, Dipl.-Päd. Fritschestraße 65, Mommsenstraße 51, 10585 Berlin-Charlottenburg 10629 Berlin-Charlottenburg Mehring-Mösche, Marie Luise, Krankenschw. Tel. 3 24 27 25 (Dr. M. Uhlitz) Gardeschützen weg 11 12203 Berlin-Lichterfelde Tel. 8338542

113 Studienfahrt nach Rostock vom 13. bis 15. September 1996

In den „Mitteilungen" Nr. 2/1996 war die Vorankündigung für die diesjährige Exkursion in die alte See- und Hansestadt Rostock veröffenlicht worden. Daraufhin haben sich bislang 53 Teilnehmer unverbindlich angemeldet, der Reisebus faßt 49 Personen. Weitere Anmeldungen werden gern ent­ gegengenommen. Hier folgt nun das Programm, das in seinen Grundzügen in dieser Form durch­ geführt werden soll. Freitag, 13. September 1996 7.30 Uhr Abfahrt vom Rathaus Charlottenburg, Otto-Suhr-Allee 100 11.30 Uhr Besichtigung des Überseehafens mit Helmut Martin 13.00 Uhr Mittagessen; anschließend Beziehen der Zimmer im „InterCity Hotel" 17.00 Uhr Besichtigung der Rostocker Brauerei und Vortrag zur Geschichte der Stadt Rostock von Helmut Aude 19.30 Uhr Abtrunk und Abendessen im „Braukeller" Sonnabend, 14. September 1996 9.00 Uhr Stadtrundgang, Leitung: Selma Kleinfeldt 11.00 Uhr Besichtigung des Kulturhistorischen Museums und Begrüßung durch Museumsleiter Dr. Thomas Schwark 13.00 Uhr Mittagessen im Ratskeller mit anschließender Kutterfahrt und Besichtigung Warnemündes 20.00 Uhr Abendprogramm (Volkstheater Rostock) Sonntag, IS. September 1996 8.30 Uhr Abfahrt vom Hotel über die Bäderstraße zum einstigen Elite-Seebad Heiligendamm 10.30 Uhr Weiterfahrt zum Ostseebad Kühlungsborn mit Gelegenheit zum Strandspaziergang 12.00 Uhr Mittagessen im Hotel Arendsee, Ostseebad Kühlungsborn 13.39 Uhr Fahrt mit der Schmalspurbahn „Molli" nach Bad Doberan und 14.30 Uhr Führung im Bad Doberaner Münster 15.30 Uhr Kaffee-Pause 16.00 Uhr Rückfahrt nach Berlin 18.30 Uhr Heimkehr (angestrebt) Änderungen vorbehalten Die Unterbringung aller Teilnehmer ist im Hotel „InterCity", Herweghstraße 51, 18055 Rostock, Telefon (03 81) 49 50-0, Telefax (03 81) 49 50-9 99, gesichert. Das Einzelzimmer kostet je Nacht 120 DM, das Doppelzimmer 155 DM. Im Hotelpreis ist ein reichhaltiges Frühstücksbuffet enthalten. Mit dem Hotelausweis kann man die öffentlichen Nahverkehrsmittel von Warnemünde bis zum Überseehafen kostenfrei nutzen. Das „InterCityHotel", ein Haus der Steigenberger-Gruppe, wurde im Jahre 1994 eröffnet. Der Teilnehmerbeitrag beläuft sich auf 148 DM. Er schließt die Busfahrt sowie alle Führungen, Honorare, Eintrittsgelder usw. ein. Er sollte spätestens bis Ende August auf das Konto des Veranstal­ tungsleiters Dr. M. Uhlitz bei der Postbank Berlin, Nr. 47 73 52-100 (BLZ 10010010), überwiesen werden. Die Interessenten werden mit einem Antwortbogen über ihre Anmeldung verständigt. Diese müßte zur Bestätigung bis zum 3. August 1996 an Dr. M. Uhlitz, Brixplatz 4,14052 Berlin, zurückgereicht werden. In gleicher Weise können weitere Anmeldungen an diese Anschrift gerichtet werden. Rostock, die etwa eine Viertelmillion Einwohner zahlende und damit größte Stadt im Land Mecklen­ burg-Vorpommern, ganz abgesehen von ihrer 180 km2 umfassenden Fläche, ist für Urlauber und Touristen immer wieder anziehend. Der alte Stadtkern besitzt trotz zahlreicher Blessuren durch Brände, Kriege und Verfall viele sehenswerte, ehrwürdige Kirchen und Klosteranlagen, Bürgerhäu­ ser und Speicher, Tore und Türme. Diese steinernen Denkmale, im wesentlichen von den Stilformen der norddeutschen Backsteingotik geprägt, aber auch von denen der Renaissance, des Barock sowie des Klassizismus bereichert, erinnern uns sehr augenfällig daran, daß wir es hier mit einer alten See- und Hansestadt zu tun haben, deren Geschichte in das 12. Jahrhundert zurückreicht. U.

114 Veranstaltungen im III. Quartal 1996 23. Freitag, 9. August 1996, 18 Uhr: „Kunst und Macht im Europa der Diktatoren 1930 bis 1945". Wir besichtigen in gemeinsamer Führung die 23. Kunstausstellung des Euro­ parates während ihrer einzigen Station in Deutschland. Die spanische, italienische, sowjetische und deutsche Kunst- und Architekturgeschichte von 1930 bis 1945 wird mit mehr als 500 Ausstellungsstücken aus den Bereichen Malerei, Plastik und Film sowie mit Dokumenten, Architekturentwürfen und -modeilen reflektiert. Wir bilden Gruppen mit jeweils 25 Personen, Anmeldung daher erforderlich: SchrLt. Dr. Uhlitz, Tel. 3 05 8123. Teilnahme kostenlos. Treff: Bücherstand im Deutschen Historischen Museum, Zeug­ haus, Unter den Linden. 24. Sonntag, 18. August 1996, 10 Uhr: „Zu den Resten des alten Colin in der Brüder­ straße und der Breiten Straße", stadtgeschichtlicher Spaziergang mit Hans-Werner Klünner. Treff: U-Bahnhof Spittelmarkt, Westausgang. 25. Donnerstag, 22. August 1996, 15 Uhr: „Lovis Corinth", Ausstellungsführung mit Dr. Andrea Bärnreuther, der für die Ausstellung zuständigen Kustodin. Die von der Natio­ nalgalerie und dem Haus der Kunst gemeinsam konzipierte Schau war bereits ein großer Erfolg in München und ist zweifellos ein Kultur-Höhepunkt dieses Sommers. Treff: Altes Museum, Eingang. 26. Sonnabend, 24. August 1996,7.30 Uhr: „Luther-Jahr 1996 - Exkursion nach Witten­ berg und in den Hohen Fläming" mit unserem Vorstandsmitglied Wolfgang Holtz. Wir besichtigen während unseres Stadtrundgangs u. a. die Schloßkirche mit der Thesentür, die Stadtkirche und das Lutherhaus. Nach einem gemeinsamen Mittagessen fahren wir in die schöne Umgebung und machen dort einen bequemen Spaziergang durch einen „Rummel" sowie ein Kaffee-Picknick. Kosten: 70 DM einschl. Eintrittsgebühren und Picknick — bei ausgebuchtem Bus auch einschl. Mittagessen. Rückkehr: ca. 19.30 Uhr. Abfahrtsort: Rathaus Charlottenburg, U7 (Richard-Wagner-Platz), Bus: 145. Bisher liegen 32 Anmeldungen vor, der Bus faßt 49 Personen. Alle Anmeldungen wer­ den hiermit bestätigt. Überweisung des Teilnehmerbetrags bitte bald auf das Konto Dr. M. Uhlitz bei der Postbank Berlin Nr. 477352-100 (BLZ 10010010). 27. Sonntag, 1. September, 10.30 Uhr: „Höfisches Wohnen im Schloß ". Wir erwarten Sie zu einer interessanten Führung mit Margrit Christine Schulze, M.A., Kunsthistorikerin, durch das kronprinzliche Privatissimum. Anschließend sehen wir auch den Saal der Potsdamer Konferenz sowie die Arbeits- und Empfangszimmer der „Großen Drei". Eintrittsgebühr: 8 DM pro Person. Treffpunkt: Eingang Schloß Ceci­ lienhof, Neuer Garten, Potsdam. S-Bahn Potsdam Stadt, Bus 695. 28. Donnerstag, 5. September 1996, 17 Uhr: „Besichtigung der neuen jüdischen Grund­ schule des Architekten Zvi Hecker (Heinz-Galinski-Schule)" mit Norma Drimmer, Schuldezernentin und Vorstandsmitglied der Jüdischen Gemeinde, Waldschulallee Nr. 73/75, Berlin-Charlottenburg. Bus: 149 (bis Bhf. Heerstraße) mit 700 m Fußweg. 29. Freitag, 13. September 1996: „Studienfahrt des Vereins für die Geschichte Berlins nach Rostock". Programm nebestehend. 30. Sonnabend, 21. September 1996, 20 Uhr: Orgelkonzert aus Anlaß der 46. Berliner Festwochen mit dem Thema „Von Frankreich und Deutschland' und Orgelvorführung in der Charlottenburger Epiphanienkirche" mit Gottfried Matthaei (vgl. S. 110 f.). Gespielt werden Werke von J. S. Bach, Andre Raison, Max Reger, Camille Saint-Saens, Ernst Pepping, Olivier Messiaen. Im Anschluß, ca. 21 Uhr, ist eine Orgelvorführung exklusiv für die Mitglieder unseres Vereins vorgesehen. Kartenreservierung: SchrLt. Dr. Uhlitz, Tel. 305 8123. Ermäßigter Teilnehmerbeitrag: 12 DM. Veranstaltungsort: Epi­ phanienkirche, Knobelsdorffstraße 72/74, Berlin-Charlottenburg, U2 (Kaiserdamm); Bus 204. 31. Sonntag, 6. Oktober 1996 (Erntedankfest), 11 Uhr: Parkfriedhof Lichterfelde", Fried­ hofsführung mit Dr. Uta Lehnert, Autorin des neuerschienenen Buches: „Den Toten eine Stimme — Der Parkfriedhof Lichterfelde". Als erster parkartig angelegter Friedhof

115 Berlins avancierte der Parkfriedhof wegen seiner gepflegten gärtnerischen Anlagen und der künstlerisch gestalteten Grabmäler bald zu einem der schönsten und beliebtesten Berliner Friedhöfe. Thuner Platz 2/4. Busse: 110, 112, 185, 283. 32. Sonntag, 13. Oktober 1996, 7.30 Uhr: Schlösser, Parks und Gärten in Brandenburg". Vergnügliche Tagesfahrt zu ausgewählten Schlössern und Gutshäusern mit Besichtigun­ gen und Führungen sowie Begegnungen mit Eigentümern, Besitzern und Nutzern. Mit Dr. Gerd-H. Zuchold, Präsident des Landesheimatverbandes Brandenburg e.V. Abfahrt und Ende: Rathaus Charlottenburg, Otto-Suhr-Allee 100; Bus der Firma ,Pivotti VIP Bus Service'. Teilnehmerpreis: 68 DM pro Person, bitte per Scheck an: SchrLt. Dr. Uhlitz, Brixplatz 4, 14052 Berlin. Wir bitten um umgehende Anmeldung. 33. Freitag, 18. Oktober 1996, 17 Uhr: „Führung im Abgeordnetenhaus von Berlin (,Preußischer Landtag') „mit Hendrik Kubier, Protokoll des Abgeordnetenhauses. U- und S-Bahn Potsdamer Platz, Bus: 129, 142, 248, 341, 348. 34. Vorankündigung: Sonnabend, 9. November 1996, 13 Uhr: „Ortsteilrundfahrt Froh­ nau" mit unserem Vorstandsmitglied Dr. Christiane Knop. Man muß die überaus inter­ essante Fahrt miterlebt haben, um zu glauben, daß man tatsächlich eine dreistündige Busfahrt machen muß, um Frohnau kennenzulernen! Mit vielen Haltepausen und Über­ raschungen lernen wie diesen Villenvorort im goldenen Herbstkleid kennen. Treff: vor dem S-Bahnhof Frohnau, Bus der Firma ,Pivotti VIP Bus Service'. Teilnehmerpreis: 20 DM pro Person, bitte per Scheck an: SchrLt. Dr. Uhlitz, Brixplatz 4, 14052 Berlin, Anmeldung von sofort an.

Bibliothek: Berliner Straße 40, 10715 Berlin-Wilmersdorf, Telefon (030) 8 73 26 12. Geöffnet: mittwochs 15.30 bis 19.00 Uhr. U7 (Blissestraße), Bus 101, 104, 204, 249.

Vorsitzender: Senator und Bürgermeister von Berlin a. D. Hermann Oxfort, Breite Straße 21,13597 Berlin-Spandau, Telefon 3 33 2408. Geschäftsstelle: Ingeborg Schröter, Brauerstraße 31, 12209 Berlin-Lichterfelde/Ost, Telefon 7 7234 35. Schriftführer: Joachim Strünken, Roedernstraße 48, 13467 Berlin-Reinickendorf, Telefon 4041449. Schatzmeister: Karl-Heinz Kretschmer, Greveweg 6,12103 Berlin-Tempelhof, Telefon 7 53 42 78. Konten des Vereins: Postbank Berlin (BLZ 100 100 10), Kto.-Nr. 433 80-102,10559 Berlin; Berli­ ner Bank AG (BLZ 10020000), Kto.-Nr. 03 81801 200. Die MITTEILUNGEN erscheinen vierteljährlich zum Quartalsanfang. Herausgeber: Verein für die Geschichte Berlins, gegr. 1865, Schriftleitung und Veranstaltungsorganisation: Dr. Manfred Uhlitz, Brixplatz 4,14052 Berlin-Charlottenburg, Telefon 3 05 96 00 und 0 17 15 20 12 01, Fax 3 05 38 88; Dr. Christiane Knop, Rüdesheimer Straße 14, 13465 Berlin-Frohnau, Telefon 4 0143 07; Beiträge bitte an die Schriftleiter senden. Redaktionsschluß: 1. März, 1. Juni, 1. September, 15. November. Abonnementspreis ist durch den Mitgliedsbeitrag gedeckt. Bezugspreis für Nichtmitglieder: 36 DM jährlich. Neumitglieder sind herzlich willkommen! Jahresmitgliedsbeitrag 80 DM; Ehepaare 120 DM inkl. Bezug der MITTEILUNGEN und des Jahrbuchs. Beitrittserklärungen bitte formlos an die Geschäftsstelle. Herstellung: Westkreuz-Druckerei Ahrens KG Berlin/Bonn, 12309 Berlin. Nachdruck, auch auszugsweise, nur mit Genehmigung der Schriftleitung.

116 ItttiifeT Skdtbibtiofe* A 1015 F MITffirtUNGEN DES VEREINS FÜR DIE GESCHICHTE BERLINS GEGRÜNDET 1865

92. Jahrgang Heft 4 Oktober 1996

August Wilhelm Iffland. Ziviles Altersporträt, das den Künstler mit dem Roten Adlerorden III. Klasse zeigt, der ihm am 18. Januar 1810 vom preußischen König verliehen worden war. Kreide- Lithographie von Friedrich Lortzing. Theaterwissenschaftliche Sammlung der Universität zu Köln, Sammlung Niessen, lnv.-Nr. 13 911. Vor 200 Jahren wurde A. W. Iffland Direktor des Berliner Nationaltheaters: Nationaltheater contra Hoftheater Zu August Wilhelm Ifflands Direktionstätigkeit am Königlichen Nationaltheater in Berlin (1796-1814) Von Harald Zielske

Eine neuere Studie zum Nationaltheatergedanken und seiner Umsetzung in Deutschland im späten 18. Jahrhundert hat zeigen können, wie die Realisierung dieser Idee in erheblichem Maße umgeschlagen ist in die Einrichtung von höfisch strukturierten Theaterbetrieben.' Was die Studie unerwähnt läßt, ist, daß damit in der deutschen Theatergeschichte eine Entwicklung eingeleitet worden war, die konsequent zum Typus des öffentlichen Hoftheaters des 19. Jahr­ hunderts hinführte. Daß diese Entwicklung allerdings keineswegs reibungslos verlief und widerstandslos hingenommen wurde, daß vielmehr das deutsche Theater als kulturelle und künstlerische Einrichtung sich dieser Entwicklung entgegenzustellen wußte, und zwar durch­ aus um der Theaterkunst willen, zeigen die Verhältnisse am Berliner Nationaltheater unter der Direktion August Wilhelm Ifflands an der Wende vom 18. zum 19. Jahrhundert. Diese Verhält­ nisse werden in der folgenden Darstellung auch deswegen vorgeführt, weil ein sachlicheres und gerechteres Persönlichkeitsbild Ifflands herzustellen ist, als es in der genannten Studie gezeich­ net wurde, in der Iffland ziemlich einseitig als fürstentreuer Untertan abqualifiziert erscheint. Iffland war fraglos gegenüber dem eigentlichen Herrn des Berliner Nationaltheaters, dem preußischen König, loyal, aber er war noch lange kein Royalist und ließ sich keineswegs bloß aus Loyalitätsgründen dazu verleiten, elementare Interessen der Theaterkunst zurückzustellen oder gar zu opfern. Der während seiner Direktionstätigkeit geführte Kampf um die Wahrung gerade seiner künstlerischen Unabhängigkeit und um die Verhinderung der Einsetzung einer königlichen Hoftheaterintendanz für das Nationaltheater läßt das zweifelsfrei erkennen. Die Ifflandsche Direktionsperiode am Königlichen Nationaltheater in Berlin (1796—1814) gehört merkwürdigerweise zu den bisher am wenigsten erforschten Abschnitten der Berliner Theatergeschichte. Wohl gibt es einige ältere Darstellungen noch aus der Mitte und vom Ende des 19. Jahrhunderts, aber sie beruhen trotz der Verwendung von mancherlei Originalquellen nicht auf systematischer Quellensammlung und -durcharbeitung und tragen ein weit verstreu­ tes Material eher mosaikartig zusammen, ohne dabei eine heutigen theaterwissenschaftlichen Ansprüchen genügende Betrachtungsweise an ihren Gegenstand zu wenden und sie konse­ quent zu verfolgen.2 Hier klafft eine theaterhistorische Forschungslücke, und es muß inzwi­ schen als fraglich erscheinen, ob sie heute überhaupt noch zu schließen ist. Das aus dieser Zeit am umfänglichsten überlieferte Quellenmaterial stellen Ifflands Briefe dar, die in größerer Zahl bereits durch frühere Publikation zugänglich gemacht wurden.3 Diese einseitige Quellen­ lage kann immerhin etwas Symptomatisches an Ifflands Berliner Theaterleitung verdeutlichen, nämlich das Abgestelltsein des gesamten Nationaltheater-Betriebs auf seine Direktionsfüh­ rung, die er gleichsam als absolutistisch regierender Theaterfürst ausübte. Der Umfang des Schriftwechsels, die Ausführlichkeit seiner Korrespondenz macht zugleich aber auch das Aus­ maß seiner Arbeitsleistung deutlich. Iffland erweist sich in diesen Briefen als außerordentlich beredt, fast redselig, wenn auch nicht schwatzhaft. Er weiß sich doch aber immer wieder aus­ führlich mitzuteilen und gewinnt durch einen bestimmten Ton in seinen Anordnungen ein gewisses Profil, das seine Persönlichkeit plastisch hervortreten läßt. Zu bedenken ist bei der Einschätzung der Briefe zudem auch, daß man in Iffland nicht einen Verwaltungsfachmann,

118 einen Beamten vor sich hat, sondern den Schriftsteller und Erfolgsdramatiker, den Schauspie­ ler und Bühnenkünstler. In allen diesen Funktionen war er neben seiner Direktionstätigkeit am Berliner Nationaltheater aktiv. Schon darin wird eine Sonderstellung deutlich. In dieser Vielfalt der Aufgaben hat es später kaum mehr einen Hoftheater-Leiter gegeben, auch unter den künst­ lerisch tätigen Intendanten nicht.4 Um so größer muß der Respekt vor der bloßen Quantität des Ifflandschen Arbeitseinsatzes sein, ganz abgesehen von seinem Erfolg. Kaum verwunderlich ist es also, daß Iffland schließlich verbraucht erscheint und schon mit 55 Jahren 1814 nach län­ gerer Krankheit gestorben ist. Ifflands Berliner Engagement erfolgte im Spätherbst 1796, war aber nur der Abschluß einer ganzen Reihe von Versuchen, den Künstler nach Berlin zu ziehen und damit gleichzeitig die Direktions- und Führungsverhältnisse des Königlichen Nationaltheaters neu zu ordnen. Hin­ ter diesen Versuchen sind gewisse ehrgeizige Pläne des preußischen Königs Friedrich Wilhelm II. anzunehmen, die erstmals 1790 nachweisbar sind. Damals wurden sie angeblich durch Hof­ kreise, insbesondere die Mätresse des Königs, die Gräfin Lichtenau, durchkreuzt, aber Iffland war wohl auch noch zu eng an Mannheim und Dalberg gebunden. Erfolgversprechender konn­ ten schon die Berliner Bemühungen um Iffland einige Jahre später aussehen, als in Mannheim 1794 das dortige Nationaltheater vorübergehend geschlossen worden war. Es bedurfte damals aller Anstrengungen Dalbergs, Iffland in Mannheim zu halten, u. a. eine persönliche Bürg­ schaft Dalbergs für eine lebenslange Anstellung Ifflands bzw. seine Versorgung im Alter.51796 war dann auch ein so weitreichender Einsatz Dalbergs nicht mehr ausreichend. Iffland war bei einer abermaligen Schließung des Mannheimer Theaters zu einer Gastspielreise u.a. bei Schröder in Hamburg und am Weimarer Hoftheater unter Goethe aufgebrochen und hatte offensichtlich die Absicht, einem Rückruf Dalbergs bei Wiedereröffnung des Mannheimer Theaters, zu dem es dann auch sehr bald kam, nicht mehr zu folgen. In Berlin hielt sich Iffland ab Mitte Oktober 1796 auf. Er spielte mehrere Gastrollen und erhielt abermals sehr dringlich ein überaus günstiges Angebot des preußischen Hofes, die Leitung des Nationaltheaters zu übernehmen. Er erhielt nicht nur 3000 Taler Jahresgage, sondern auch die Übernahme eines erheblichen Schuldenbetrags in Mannheim durch den Berliner Hof zugesagt. Am 14. Novem­ ber schließlich erfolgte seine Ernennung zum Direktor des Nationaltheaters. Iffland wurde dadurch kontraktbrüchig gegenüber Mannheim und Dalberg. Er ist deswegen nachher vielfach verurteilt, aber auch verteidigt worden und hat sich selbst in seiner 1798 erschienenen Autobio­ graphie Meine theatralische Laufbahn zu rechtfertigen versucht. Zu den unterschiedlichen Motiven für sein umstrittenes Handeln, die von Iffland selbst und in der Iffland-Literatur genannt werden, wäre hier vermutungsweise noch ein weiteres hinzuzufügen. Man muß sich bei diesem Wechsel in der Direktionsführung des Berliner Nationaltheaters immer auch vor Augen halten, daß hier für Iffland ein völlig neuartiger Direktionstyp einge­ führt wurde, vielleicht kaum mit bewußter Absicht, jedoch ein Typ, der einer ehrgeizigen künstlerischen Natur als außerordentlich reizvoll erscheinen mußte. Tatsächlich wurde hier ein hervorragender Künstler in einer unumschränkten Weise zum Bühnenleiter eingesetzt, wie es an den bisherigen Hoftheatern und auch vorher im absolutistischen höfischen Theaterwesen praktisch ohne Beispiel war. Auch später ist eine solche Stellung von den Hoftheaterintendan­ ten nirgends mehr erreicht worden. Die erhaltene Kabinettsordre, die Friedrich Wilhelm II. vier Wochen nach Ifflands Direktionsantritt erließ und damit die Modalitäten der Ifflandschen Direktionsführung bis in letzte Einzelheiten regelte, läßt das sehr deutlich werden: Je mehr der gebildete Geschmack in Hauptstädten ein mehr denn gewöhnliches Schauspiel zum allgemeinen Bedürfnisse macht, je bereitwilliger habe Ich jederzeit mit allem was nach und nach die Umstände gestattet, zur Auf nähme und Vervollkommnung des hiesigen National-Theaters

119 beizutragen gesucht. Die seltenste Gelegenheit hierzu bot aber Eure Erscheinung in Berlin Mir dar, und Euch ist es bereits bekannt, wie Ich die künftige Führung dieses Fachs Euren Einsich­ ten anzuvertrauen willens bin ... Überzeugt, daß jede Theilung der eigentlichen Direktion nicht anders als durch Mangel an Ein­ heit in System und Ausführung den Fortgang des Ganzen hemmen könne, vertraue ich dieselbe lediglich Euch an ... Ihr aber seyd Direktor des National-Schauspiels . .. Der Blick über das Ganze, so wie dessen Leitung, Anordnung und Bestimmung ist Eure Sache, das Detail zur Ausführung die des Regisseurs Fleck6... Die Wahl der gedruckten und Annahme der Schau­ spiele im Manuscript, die Billigung derjenigen Stücke welche die Schauspieler zu ihren Bene­ fiz-Vorstellungen wählen, die Anordnung oder Weglassung dessen, was gegen Sitten- und Staats-Verfassung läuft, die Vertheilung der Rollen in neuen Stücken — sind lediglich Eure Geschäfte, so wie Ihr allein Vorschläge zu Gehaltsverbesserungen, Annahme und Verabschie­ dung der Schauspieler zu machen habt, welche letzteren alle Gesuche deshalb schriftlich an Euch abgeben müssen, in bedeutenden Fällen vornehmlich zur schuldigen Einholung Meines Allerhöchsten Willens .. ? Die zentrale Bedeutung der hier getroffenen Regelung wird erkennbar, wenn man sich vor Augen führt, welche Aufgaben hier Iffland zufallen. Sie sind außerordentlich weitreichend, wenn man bedenkt, daß Zensuraufgaben sich nicht der Hof vorbehält, keine Staatsbeamten dafür eingesetzt werden, sondern der König hier ganz auf den künstlerischen Direktor des Theaters vertraut. Ebenso werden für Gegenverhältnisse wie überhaupt für Schauspielerenga­ gements Iffland sehr weitreichende Befugnisse zugestanden, nur für die bedeutenden Fälle behält der König sich die Genehmigungspflicht vor. Hier wird eine Sonderstellung der neuen Berliner Bühnenleitung sichtbar, die deutlich Elemente des Hoftheaterintendanten-Amtes enthält, ohne daß doch der Inhaber des Amtes Mitglied des Hofstaates oder Staatsbeamter ist, sondern gerade in der Person Ifflands durchaus der ganz vom Künstlerischen her bestimmte Direktor. Andere als künstlerische Aufgaben hatte Iffland bislang in seiner Bühnentätigkeit nicht wahrzunehmen gehabt.8 Hier ist Iffland also ein deutlicher Vertrauensvorschuß vom preußischen König gewährt worden. Daß Iffland bisher nicht als Bühnenleiter tätig gewesen war, macht vielleicht mit erklärlich, warum in der Königlichen Verordnung auch sehr ausführ­ lich und umständlich das Verfahren und Verhalten im Bereich der wirtschaftlichen Leitung des Theaters vorgeschrieben wurde, worauf an dieser Stelle nicht näher eingegangen werden kann.9 Im übrigen war Friedrich Wilhelm II. durchaus bereit, die Tatsache zu berücksichtigen, daß eine künstlerische Kapazität ersten Ranges hier an die Spitze des Berliner Nationaltheaters gesetzt wurde: Da Ihr zugleich Verfasser und Künstler seyd, und ununterbrochen Geschäfte Euch fernere Arbeiten unmöglich machen würden, so gestatte Ich Euch gnädigst die TageEures Auftretens in Berlin auf dem Repertoir selbst zu bestimmen.10 Soviel zunächst zu diesem Dokument, das in der Tat einzig dasteht, wenn man bedenkt, daß hier wesentliche Aufsichts- und Weisungsfunktionen, die sonst der Hof beansprucht hat, in die Hand des Theaterdirektors gelegt wurden und nahezu alle wichtigen Entscheidungen von ihm selbst, ohne Abstimmung mit anderen höfischen oder staatlichen Instanzen getroffen werden konnten. Der Hof begab sich also deutlich eines wesentlichen Teils seiner Einflußmöglichkei­ ten auf den Theaterbetrieb, die Institution Nationaltheater wurde in erheblichem Grad ver­ selbständigt." Hier scheint ganz eine Grundhaltung vom König und dem Hof eingenommen worden zu sein, die von einer Autonomie der Kunst ausging und damit nicht mehr unmittelba­ ren Hofinteressen dienen wollte. Ein entscheidender Schritt also weg vom höfischen Theater und hin zum Staatstheater, wobei der Staat die Aufgabe eines Wahrers und Schützers der Kunst

120 Das Nationaltheater auf dem Berliner Gendarmenmarkt. König Friedrich Wilhelm III. hatte den Bau auf Drängen Ifflands 1800 durch Karl Gotthard Langhans errichten lassen. Hauptfassade (Östliche Langseite). Kolorierte Handzeichnung. Universitätsbibliothek der Technischen Universität Berlin, Plansammlung, Inv.-Nr. 5977. innehatte, scheint hier noch von Friedrich Wilhelm II. gemacht worden zu sein, durchaus im Gegensatz zur bisherigen Praxis des Königs in der Behandlung von Theaterangelegenheiten. Wie neuartig und abweichend vom bisherigen diese Regelung der Direktionsverhältnisse des Nationaltheaters tatsächlich war, wird daraus ersichtlich, daß um die Direktionsbefugnisse Iff­ lands sofort Auseinandersetzungen mit einem bisherigen Direktionsmitglied des Theaters auf­ traten, bei denen aber Iffland — das ist kennzeichnend für seine gesamte Direktionsführung — mit äußerstem Nachdruck seine Position zu verteidigen und durchzusetzen wußte.12 Mit dieser Bestimmtheit ist die eine Seite von Ifflands Führungsstil gekennzeichnet. Eine andere wird aus zwei Dokumenten des Jahres 1797 ersichtlich, die eine geradezu verblüf­ fende kaufmännische Befähigung Ifflands erkennen lassen und belegen, daß er sich in den ersten Jahren seiner Berliner Direktionsführung auch gerade der ökonomischen Seite seines neuen Tätigkeitsfeldes mit großem Erfolg angenommen hat und nicht etwa nur der künstleri­ schen. Beide Schriftstücke sind Eingabekonzepte Ifflands, das erste ist undatiert, stammt aber mit Sicherheit aus der ersten Jahreshälfte 1797, ist also wenige Monate nach Ifflands Dienstan­ tritt entstanden.13 Das zweite ist vom 22. November datiert, wurde also wenige Tage nach dem Tod Friedrich Wilhelm II. geschrieben14 und war offenbar als Vorschlag für eine Neuorganisa­ tion des ganzen Berliner Hoftheaterwesens, der Königlichen Oper und des Nationaltheaters, gedacht.15 In beiden Schriftstücken erscheint das Berliner Nationaltheater eindeutig als Hoftheater, ein im Auftrag des Hofes betriebenes Institut. Wenn man jedoch diese Konzepte Ifflands aufmerksam auf die darin mitgeteilten Etatverhältnisse betrachtet, zeigt es sich, daß die ökonomischen Bedingungen, unter denen das Nationaltheater existierte, im Grunde ganz dem eines Privat­ theaters entsprochen haben und der Hof nicht im mindesten bereit war, etwa das wirtschaftli-

121 che Risiko des Instituts zu tragen und im Betrieb auftretende finanzielle Defizite auszugleichen. Grundsätzlich zahlte man immer noch die 6000 Taler Zuschuß, die schon dem ersten Direktor des Nationaltheaters, Carl Theophilus Döbbelin, bei der Einrichtung des Theaters 1786 zuge­ standen worden waren.16 Dieser Summe ist der jährliche Ausgabenetat von 60 000 bis 70 000 Talern gegenüberzustellen, wie er bei Ifflands Dienstantritt gegeben war. Die Differenz mußte also aus den Einnahmen erwirtschaftet werden, ja es mußte sogar ein Überschuß erzielt wer­ den, um Schulden, die inzwischen auf dem Betrieb lagen, tilgen zu können. Im zweiten der angeführten Schriftstücke schrieb Iffland: Die jetzige Direktion machte es sich zum Grundsatz, ein Kapital zu erwerben, was in seiner Ausdrucksweise nichts anderes heißt, als daß ein Über­ schuß zu erwirtschaften war, also Gewinne mit dem Betrieb des Nationaltheaters zu erzielen waren. Es dürfte Iffland mit Stolz erfüllt haben, als er weiter schreiben konnte, daß jetzt, genau ein Jahr nach seinem Direktionsantritt, schon ein sehr deutlicher Überschuß in der Theater­ kasse festzustellen war. Es spricht dann weiter für den „Geschäftsmann Iffland", daß er sofort eine Reihe von Vorschlägen machte und die Gunst der Stunde, d. h. den Regierungswechsel, auszunutzen suchte, um weitere Verbesserungen der ökonomischen Lage des von ihm geleite­ ten Theaters zu erzielen. An erster Stelle stand dabei die Bitte an den neuen preußischen König Friedrich Wilhelm III., für das Nationaltheater in Berlin einen neuen Theaterbau zu errichten, der ausdrücklich auch dafür bestimmt sein sollte, die Einnahmen der Theaterkasse zu verbes­ sern. Im Konzept dieser Denkschrift folgen eine ganze Reihe von Vorschlägen Ifflands wie insbeson­ dere das Verhältnis des Nationaltheaters zur Königlichen Oper neuzugestalten wäre, die ja immer noch bestand, ganz vom Hof unterhalten wurde und erhebliche Summen verschlang. Iffland versuchte hier deutlich, sich einer unliebsamen Konkurrenz zu erwehren, zugleich aber auch, was die Oper an künstlerischem Potential zu bieten hatte, möglichst unauffällig für das Nationaltheater nutzbar zu machen. Das kann hier im einzelnen nicht weiter verfolgt werden. Von Interesse ist aber auf jeden Fall die Wendung, die Iffland der ganzen Denkschrift am Ende gab. Er rechnete offenbar nicht mit sofortiger Erfüllung seiner Vorschläge, war aber sichtlich darum bemüht, ganz bestimmte Einrichtungen auf jeden Fall vom Nationaltheater fernzuhal­ ten. Dazu gehörte bezeichnenderweise das Intendanzsystem, das für die Hofoper von Beginn an und auch jetzt noch praktiziert wurde, das Iffland aber offensichtlich als nachteilig für die weitere Entwicklung sowohl der künstlerischen wie auch — das läßt sich jetzt mit Sicherheit sagen — der ökonomischen Seite des Bühneninstituts Nationaltheater ansah. Man darf nach dem Studium dieser Dokumente vielleicht sogar noch einen Schritt weiter gehen: Es läßt sich sagen, daß die besondere Entwicklung des Berliner Theaterwesens, die Tatsache, daß ein Hof­ theater mit dem Intendanzsystem erst relativ spät, nämlich 1815 eingerichtet wurde, ausdrück­ lich auf die geschickte Theaterpolitik zurückzuführen ist, die Iffland von Beginn seiner Direk­ tion an verfolgte. Ein eindeutiger Beleg dafür ergibt sich aus dem Konzept der zweiten Denk­ schrift des Jahres 1797. In einer rhetorisch geschickten Wendung, mit der er den Adressaten dieser Denkschrift, den neuen preußischen König, gewissermaßen moralisch unter Druck setzte, entwickelte Iffland eine Sicht der tatsächlich zu erwartenden, aber als schädlich erkann­ ten Berliner Theaterverhältnisse, die er unter allen Umständen verhindern wollte. Nachdem er zunächst unter der Überschrift: Theater, was es werden sollte, eine Art Idealplan aufgestellt hatte, setzte er die Denkschrift unter dem resignierend klingenden Titel: Theater, wie es werden wird, fort: Die Erbauung des neuen Schauspielhauses wird sich verzögern.. . Man wird geneigt sein, alle Kunstverbindung zwischen der großen Oper, dem Ballet und dem National- Theater zu befördern, aber man wird Oper und Ballet ausschließlich unter einer adli-

122 chen Hof-Charge lassen. Daraus entsteht, daß die bisherigen Collisionen vermindert werden, aber aufgehoben werden sie nicht. Diese kleinen Schwierigkeiten werden, da sie nach Gewohn­ heit und theils aus Nothwendigkeit unmittelbar an den König gehen, S. Majestät bald ermüden. Um nicht mehr mit Berichten über Dinge, die freilich gegen das große Staatsgeschäft gerechnet, die unerheblichsten Kleinigkeiten sind, behelligt zu werden, wird sehr bald das Ganze einer Intendanz übergeben werden. Diesen Weg zeigt die zeitherige Führung der Hofschauspiele an... Wenn diese ... Punkte nach meiner Befürchtung eintreten sollten, so ist es natürlich für das Beßte des National-Theaters zu wünschen, daß es ohne Berührung, ohne mit anderen Verhält­ nissen auf irgend eine Art vermischt zu werden, so bleibe, wie es jetzt ist. — Wie fehlerhaft es auch ist, so hat es doch eine gewisse Rundung, eine Art von System, die nur um eines unwider­ stehlich erreichbaren, vorteilhaften Zweckes willen zu erschüttern gewagt werden sollte.17 Und nach diesem geradezu beschwörend vorgetragenen „Negativ-Vorschlag" für eine Verbin­ dung beider Berliner Hofbühnen, Oper und Nationaltheater, lieferte Iffland den entscheiden­ den Grund für seine so nachdrückliche Ablehung dieser Reform, den er in der Unvereinbarkeit von künstlerischem Genie und Intendanzsystem erkannte: Meine Befürchtungen sind weder von Zweiffeisucht, Eigensinn, noch weniger aus Arbeitsscheu entstanden. Zwei Künstler können zu einem Zweck mit Einheit des Willens und Einheit in der Ausführung arbeiten. — Ein Künstler und eine adliche Charge können friedlich nebeneinander gehen. Aber der Künstler wird den Frieden durch eine Zahmheit erkaufen, die sein Genie ent­ kräftet.'8 Iffland lehnte hier also die höfische Intendanz ganz und gar ab und begründete das mit künstle­ rischen Erwägungen. Auf der anderen Seite hat Iffland seine geschäftlichen oder ökonomi­ schen Interessen als Theaterleiter mit Nachdruck und großem Geschick weiterverfolgt. Dabei ist festzuhalten, daß Iffland keinerlei persönlichen Vorteil von all diesen Maßnahmen hatte oder erwarten konnte, wenn wohl auch indirekt ein Zuwachs an künstlerischem und persönli­ chem Ansehen durchaus gegeben war. Trotz der nachdrücklichen und geschickten, manchmal schon allzu geschickt erscheinenden Vorstellung Ifflands erfolgte die Entscheidung des Königs über einen neuen Theaterbau erst eineinhalb Jahre später, Anfang des Jahres 1800. In einer Kabinettsordre vom 16. Januar 1800, die die Ausführung des neuen Theatergebäudes befahl und den Auftrag dazu dem Geheimen Baurat Karl Gotthard Langhans übertrug, ist gleichwohl erkennbar, wie zögernd sich Friedrich Wilhelm III. in die Rolle des Bauherrn eines solchen neuen öffentlichen Bauwerks für die Resi­ denzstadt Berlin hineinfand.19 Gleichzeitig läßt sich aber nicht übersehen, daß damit doch unbeabsichtigt der erste Schritt getan war, das Berliner Nationaltheater zu einem Hoftheater neuen Typs umzubilden. Freilich war das nur ein allererster Anfang. Nach wie vor besaß das Nationaltheater noch einen besonderen Status, den besonderen und nur in Berlin anzutreffen­ den Charakter einer Mischung aus Hof- und Privattheater, und solange Iffland an der Spitze des Instituts stand, hat es diesen Charakter auch nicht ganz verloren. Zum eigentlichen Hof­ theater ist es erst 1815 geworden, nachdem ein Hofbeamter die Leitung der Königlichen Schauspiele übernommen hatte. Daß die Entwicklung allerdings unaufhaltsam auf eine solche Lösung hindrängte, war spätestens 1811 deutlich erkennbar, als durch die Zusammenlegung von Nationaltheater und ehemaliger höfischer Oper und Ernennung Ifflands zum General­ direktor der so gebildeten Königlichen Schauspiele — die Bezeichnung war von Iffland selbst gefunden und vorgeschlagen worden — der bisherige Direktor des Berliner Nationaltheaters zum Herrscher über einen weit verzweigten Bühnenbetrieb mit zwei repräsentativen Spielstät­ ten auf dem Gendarmenmarkt und Unter den Linden gemacht wurde.

123 Diese Entwicklung wurde bereits 1802 mit der Inbetriebnahme des neuen Hauses auf dem Gendarmenmarkt deutlich eingeleitet, und zwar nicht nur dadurch, daß der König hier Iffland einen eigenen, repräsentativen Bau zur Verfügung stellte, ein Bau, der dem König gehörte und nicht aus der Theaterkasse finanziert war. Auch Folgeerscheinungen bewirkten diese weiter­ führende Entwicklung zum neuen Hoftheater. Ein größeres Haus mit einer größeren Bühne verlangte aufwendigere Inszenierungen, das Publikum forderte sie. Damit aber wurden die finanziellen Erfordernisse des Theaterbetriebs immer größer, das Unternehmen geriet in eine Zwangslage, die nicht mehr in einer freien unternehmerischen Entscheidung abzufangen war und schließlich folgerichtig zu einer endgültigen Abhängigkeit von den Hof- und Staatsfinan­ zen führen mußte. Zunächst allerdings konnte Iffland sich noch seine weitgehend unabhängige Stellung in der Bühnenleitung bewahren und damit den eigenartigen Sonderstatus des Berliner Nationalthea­ ters, der als kennzeichnend für die Übergangsphase zum Hoftheatertyp des 19. Jahrhunderts anzusehen ist, aufrechterhalten. Weiterhin war zwar der preußische Hof so etwas wie der Rechtsträger des Nationaltheaters und kontrollierte es auch formal. Praktisch war Iffland jedoch der nahezu unumschränkt herrschende Leiter der Bühne. Wenn man einen Vergleich mit den gleichzeitigen Verhältnissen am Weimarer Hoftheater vornehmen will, das seit 1791 von Goethe geleitet wurde, kann man in der Einschätzung von Ifflands Stellung in Berlin sogar noch weitergehen. Auch in Weimar war Goethe weitgehend selbständig, der absolut befeh­ lende Bühnenleiter vor allem im künstlerischen Bereich.20 Aber Goethe war „nur" Dramati­ ker, Ästhetiker — Iffland dagegen gleichzeitig aktiver Schauspieler, Spitzenmitglied des von ihm geleiteten Ensembles. So hatte seine Bühnenleitung im Grunde noch viel von der natür­ lichen Patriarchalität der früheren Wandertruppenprinzipalschaft bewahrt, wenn auch der innere Zusammenhalt der Künstlergemeinschaft nicht mehr so elementar war wie früher, da sich die Existenzbedingungen des Berufsstandes der Bühnenkünstler in vieler Hinsicht doch erheblich geändert hatten. Als dann 1811 die Neuorganisation des ganzen Berliner Theaterwesens vorgenommen und damit der eigentlich entscheidende Schritt hin auf eine Hoftheaterverfassung getan wurde, konnte gerade die dabei sich ergebende finanzielle und wirtschaftliche Abhängigkeit des Thea­ ters vom Hof und die daraus resultierende Unselbständigkeit, die mit dem großen Theaterge­ bäude von 1802 begonnen hatte, aufgrund der ganzen Zeitumstände von Iffland auch durch noch so großes kaufmännisches Geschick, wie er es in seinen ersten Berliner Direktionsjahren gezeigt hatte, nicht mehr abgewendet werden. Die Zwangsläufigkeit der Entwicklung auf den neuen Hoftheatertypus hin war unumkehrbar geworden. Diese Neuordnung war in gewissem Sinne überfällig und wohl auch nur aufgrund der ungünstigen Zeitverhältnisse so lange aufge­ schoben worden.2' Es ist nicht klar, wann auf der Seite des preußischen Hofes die Einsicht aufkam, daß im Bezug auf das Berliner Theaterwesen eine akute Reformaufgabe gestellt war. Es muß fraglich erschei­ nen, ob tatsächlich erst nach dem gravierenden Einschnitt in das preußische Staatsschicksal diese Einsicht aufkeimte.22 Praktisch in Angriff genommen wurde diese Reformaufgabe aller­ dings erst in der ersten Jahreshälfte 1809. Aus dieser Zeit ist eine Reihe von Denkschriften zu diesem Problem überliefert, die zunächst alle um die Frage der Regulierung des Verhältnisses von Hofoper oder dem, was davon noch übrig war, und Nationaltheater kreisen.23 Überprüft man das in diesen Dokumenten Gesagte, so fällt auf, daß nahezu alle Gutachter dafür eintra­ ten, wieder eine vom Nationaltheater getrennte, dem Hof direkt unterstehende Hof oper einzu­ richten, die nun freilich nicht mehr dem höfischen Theater absolutistischer Prägung, wie es die 1806 aufgelöste Königliche Oper gewesen war, sondern einem neuen, öffentlichen Hoftheater-

124 typus entsprechen sollte. Iffland allerdings war bezeichnenderweise der einzige, der zunächst gegen eine solche Wiederbelebung der höfischen Oper, jetzt in der Form einer öffentlichen Hofoper, Stellung nahm.24 Die Gründe sind leicht einzusehen, die Iffland zu diesem Vorschlag geführt haben. Er mußte unbedingt verhindern, daß seinem Theater, dem Nationaltheater, erneut ein Konkurrent in der Form eines zweiten ständigen Theaterinstituts in Berlin entstand. Dieses war um so dringlicher, als das Nationaltheater keineswegs mehr wie noch vor gut einem Jahrzehnt ein ökonomisch einträgliches Institut, sondern mit erheblichen Schulden belastet war, die Iffland König Friedrich Wilhelm III. genau vorrechnete und auch die Gründe dafür angab. Dabei verwies er bezeichnenderweise auf die Folgeerscheinungen des Theaterneubaus von 1802, daß nämlich dadurch die Notwendigkeit nach den Forderungen des Zeitgeistes und des Publikums, größere und kostbarere Vorstellungen zu geben25, entstanden sei, andererseits aber der königliche Zuschuß nach wie vor seit 1794 unverändert nur 5400 Taler betragen hätte. Die Schuldensumme beliefe sich jetzt aber auf rund 83 500 Taler. Iffland mußte deshalb offen und dringend bitten, daß der König die Schuldenlast übernahm, die Zuschüsse für den aufwen­ diger gewordenen Betrieb des Theaters erhöhte, wofür natürlich ein zweites vom Hof abhängi­ ges Theater die Chancen erheblich mindern würde. Hier, in dieser ökonomisch kritischen Situation des Berliner Nationaltheaters, ist schon ganz deutlich der Keim gelegt für eine end­ gültige Regelung der Verhältnisse im Sinn einer neuen Hoftheaterverfassung, die Iffland nicht mehr verhindern, vielleicht nur noch hinauszögern konnte. Iffland trat deshalb zunächst dafür ein, das künstlerische Personal der bisherigen höfischen Oper mit dem des Nationaltheaters zu vereinen, insgesamt aber zu reduzieren. Hier hat Iffland offensichtlich einen extremen Standpunkt eingenommen. Wie erwähnt, ist in keinem anderen Reorganisationsvorschlag derartiges enthalten. Iffland ist dann wohl auch gedrängt worden, seinen extremen Standpunkt zu revidieren. Vom 5. April 1810 ist ein weite­ res Promemoria Ifflands mit einem modifizierten Lösungsvorschlag überliefert. Anscheinend hatte man Iffland klargemacht, daß sich die Musiker der ehemaligen italienischen Oper weigern würden, mit dem Orchester des Nationaltheaters unter Ifflands Direktion ver­ einigt zu werden, denn er schrieb in dem Promemoria: . . . daß es schwer halten würde, die Mitglieder der Kapelle zu der bei dem Theater erforderlichen Ordnung und anhaltenden Arbeit zu gewöhnen; auch müßte das Verhältniß der Kapellmeister zu der Theater-Direction genau bestimmt werden, eine Doppelführung der Direction würde sehr unzweckmäßig sein.26 Abgesehen davon, daß Iffland hier offenbar wieder auf die unumschränkte Herrschaft als Direktor über alle Sparten des Theaterbetriebs bedacht war, wie zu Beginn seiner Berliner Direktionszeit, wird auch erkennbar, daß bei diesem Problem offensichtlich berufsständische Prestigedifferenzen eine erhebliche Rolle spielten. Iffland wollte schließlich ebensowenig ein einziges Theaterinstitut in Berlin wie alle übrigen Reorganisatoren. Nur daß ihm dabei natür­ lich die Förderung des Nationaltheaters besonders am Herzen lag. Um so erstaunlicher ist dann die Lösung, die von Friedrich Wilhelm III. befohlen wurde, aller­ dings erst ein gutes Jahr später, nämlich am 18. Juni 1811. In der an diesem Tag erlassenen, an Iffland gerichteten königlichen Ordre wird in mehrfacher Hinsicht die Entwicklung der Ange­ legenheiten auf den neuen Hoftheatertyp sichtbar, wenn es darin heißt: .. .übertrage Ich Ihnen nunmer als einen Beweis.. . Meines Vertrauens, Meiner früheren Inten­ tion gemäß, die Direction jener Schauspiele und zugleich der Kapelle und Musik, des Ballets und aller hiezu gehörigen Gegenstände als Generaldirector, welchem nach Sie über das Opernhaus mit allem Zubehör, sowohl als über das Nationaltheater disponiren können, und Ihnen auch das gesamte. . . Personalohne Ausnahme subordinirt sein soll. Meine Absicht ist aber nicht, daßita-

125 lienische Opern gegeben werden sollen, da es an deutschen Prachtschauspielen nicht fehlt, die an deren Stelle treten können.27 Dieses sich über alle Gutachten und Vorschläge Hinwegsetzen, der unmißverständliche Ein­ griffin die Repertoirebildung: — deutsche Opern statt italienischer sind zu spielen — macht die ganze Abhängigkeit des Instituts, die in der neuen Regelung enthalten ist, deutlich. Diese Abhängigkeit wurde auch dadurch nicht mehr aufgehoben oder wenigstens gemildert, daß Iff- land in seiner herausragenden Position als Generaldirektor bestätigt und noch kein Intendant, kein Hofbeamter ihm vorgeschaltet wurde. Noch deutlicher wird diese Abhängigkeit und zugleich die Integration des neu gegründeten umfassenden Theaterbetriebs der Königlichen Schauspiele — von jetzt ab war dies die amtliche Bezeichnung des Berliner Hoftheater s bis 1918 — in das Staatswesen dadurch, daß nicht nur die bestehenden Schulden des Nationaltheaters auf die Staatskasse übernommen wurden, der Staat sich also in dieser einen ökonomischen Hinsicht mit dem Theater identifizierte, sondern er auch den genau berechneten Ausgaben­ etat, der jetzt in jedem Jahr vorzulegen war und jedesmal anders aussah, übernahm, damit also jeden Verlust, jede Finanzlücke ausgleichen, m. a. W. das volle finanzielle Risiko auf sich neh­ men sollte. Damit waren die Berliner Königlichen Schauspiele zum neuen Typ des Hoftheaters geworden. Der einzige Unterschied zu den späteren Verhältnissen, hier in Berlin und anderswo bei Hoftheatern, bestand tatsächlich nur noch darin, daß hier die Bühnenleitung vorerst noch anders organisiert blieb. Mit Iffland als Generaldirektor stand immer noch ein ausübender, hervorragender Bühnenkünstler an der Spitze des Theaters, von dem in der Literatur zu Recht gesagt wird, daß es einfach unbegreiflich ist, woher er die Zeit und die Kräfte nahm, alle diese Aufgaben gewissenhaft zu erfüllen. Aber dieser vielseitige, hervorragende und fleißige Künst­ ler hatte seine Selbständigkeit und seine Unabhängigkeit im Prinzip bereits verloren, selbst wenn man ihn das nicht immer spüren ließ. Iffland mußte seine veränderte Lage als Bühnenleiter dennoch immer wieder zur Kenntnis nehmen, eine sicherlich mehr als unangenehme Erfahrung, wie sie aus einem an ihn gerichteten Brief des Staatskanzlers von Hardenberg vom Juli 1813 entnehmbar ist, wobei es natürlich wie­ der um Finanzielles ging. Hardenberg ermahnte Iffland:. . .so muß ich Ihnen die höchstmögli• che Ökonomie bei den Ausgaben, die Entfernung alles entbehrlichen Personals, die sorgsamste Auswahl der zu gebenden Stücke nach dem Geschmack des Publikums und die strengste Kon­ trolle bei der Einnahme empfehlen.28 Gerade diese Ermahnungen, die im Grunde keine Empfehlung, sondern eine Weisung dar­ stellten, haben Iffland außerordentlich erregt. Es existiert eine leidenschaftliche und ausführ­ liche Gegendarstellung Ifflands zu diesem Brief Hardenbergs. Ihr Anlaß war dabei sicherlich nicht nur, daß Iffland sich hier gegenüber falschen Anschuldigungen verteidigen mußte, son­ dern gerade auch die Tatsache, daß er hier seine nicht mehr vorhandene Unabhängigkeit als Bühnenleiter deutlich nachgewiesen erhielt. Sein quasi „freies Unternehmertum", mit dem er seine Berliner Theaterdirektion 1796 begonnen hatte, war endgültig durch weitestgehende Staatskontrollen aufgehoben. Es wurde oben gesagt, daß mit Ifflands Berliner Theaterdirektion und dem besonderen Status seiner Stellung noch so etwas wie die alte Prinzipalschaft des Wandertruppenwesens des 18. Jahrhunderts lebendig geblieben war. Zwar hatte Iffland nie mehr einer Wandertruppe angehört, aber durch seine Lehrzeit bei Ekhof in Gotha war er doch noch mit dieser Tradition in enger Berührung gewesen. Hier, am Schluß von Ifflands Berliner Direktionszeit, zeigt sich, daß diese Elemente restlos getilgt waren, die Verplanung, Verbürokratisierung und Verbeam- tung, der Einbezug des Theaters und vor allem der Theaterleitung in den Verwaltungs- und Aufsichtsapparat des Staates war vollständig vollzogen. Ein letzter, eigentlich nur mehr forma-

126 ler Schritt dabei war, nachdem Iffland am 22. September 1814 gestorben war, die Wiederein­ richtung der Intendantencharge, so wie sie am preußischen Hof für die höfisch-absolutistische italienische Oper von Anfang an bestanden hatte, nun aber für die Leitung der Königlichen Schauspiele, mit der im Januar 1815 Moritz Graf von Brühl betraut wurde.

Anmerkungen

1 Reinhart Meyer: Das Nationaltheater in Deutschland als höfisches Institut. Versuch einer Begriffs- und Funktionsbestimmung. —In: Roger Bauer und Jürgen Wertheimer (Hrsgg.): Das Ende des Stegreifspiels — Die Geburt des Nationaltheaters. Ein Wendepunkt in der Geschichte des europäischen Dramas. —München 1983, S. 124—152. 2 Vgl. Louis Schneider: Iffland als Direktor des Berliner Nationaltheaters. — In: Almanach für Freunde der Schauspielkunst 16 (1852), S. 76-109; fortgesetzt in: Ebda. 17 (1853), S. 71-110; fortgesetzt in: Deutscher Bühnen-Almanach 18 (1854), S. 126—178; ferner: Rudolph Genee: Ifflands Berliner Theaterleitung 1796-1814. -Berlin 1896. 3 Eine Sammelausgabe der weit verstreut überlieferten Briefe Ifflands fehlt. Die in Anm. 2 genannte frühere Darstellung Louis Schneiders enthält eine Reihe von Briefen Ifflands. Wichtige Iffland-Briefe finden sich abgedruckt in Johann Valentin Teichmann: Literarischer Nachlaß, hrsg. Franz Dingelstedt. — Stuttgart 1863, dort im Kapitel: Briefwechsel klassischer Dichter und Schriftsteller mit der königlichen Hoftheaterverwaltung in Berlin, S. 197—346. Spätere Briefedi­ tionen veranstalteten u. a. Ludwig Geiger (zwei Bände, Berlin 1904/5), Curt Müller (Leipzig 1910; weitestgehend ein kommentierter Wiederabdruck der schon bei Teichmann enthaltenen Briefe) und zuletzt Oscar Fambach: Briefe Ifflands. —In: Zeitschrift für deutsche Philologie91 (1972), S. 181-206. 4 Eduard Devrient (1801—1877) mag man hier vielleicht als Ausnahme anführen, aber er hat doch auch nicht das Format Ifflands erreicht. 5 Vgl. dazu Anton Pichler: Chronik des herzoglichen Hof- und Nationaltheaters in Mannheim. — Mannheim 1879, S. 141-143. 6 Johann Friedrich Ferdinand Fleck (1757—1801), Heldendarsteller und Berliner Publikumslieb­ ling, wurde von Friedrich Wilhelm II. an späterer Stelle in diesem Dekret gegen mögliche exten­ sive Rollenansprüche Ifflands, die bei den ihm erteilten weitreichenden Direktionsbefugnissen durchaus zu befürchten sein mochten, ausdrücklich in Schutz genommen: Nur in der Wahl der Rollen werdet Ihr zweifelsohne diejenige Rücksicht brauchen, welche Ihr einem neben Euch ste­ henden Verdienst (Fleck) sicher nie versagen möchtet. 7 Abgedruckt von Louis Schneider in : Almanach für Freunde der Schauspielkunst 16 (1852), S. 79 f. Hervorhebungen H. Z. 8 Das gilt auch für Ifflands Regietätigkeit am Mannheimer Nationaltheater, mit der ihn Dalberg 1791 betraut hatte. 9 Vgl. Abdruck des Dekrets durch Louis Schneider in: Almanach für Freunde der Schauspielkunst 16 (1852), S. 79-82, bs. S. 80-82. 10 Ebd., S. 82. 11 Lediglich im Finanziellen blieb eine Kontrolle bestehen, deren Einflußmöglichkeiten auf den künstlerischen Betrieb des Theaters aber ausdrücklich ausgeschlossen wurde. In dem in Anm. 9 genannten königlichen Dekret heißt es dazu: Die Monita der Oberrechen-Cammer können nur den Calculator, nicht den Inhalt der Euch anvertrauten Kunstführung angehen und habet Ihr diese keineswegs dort zu verantworten. 12 Es handelt sich um einen Kompetenzstreit mit dem Geheimen Rat v. Warsing, dem die Finanzver­ waltung am Nationaltheater oblag. An ihn schrieb Iffland am 16. Dezember 1796 u. a.: Als Frem­ derauf den der König Vertrauen setzt. .., dem die Königl. Ordre sagt: Ihr allein seyd Direktor! —

127 als solcher muß ich es nicht nur allein seyn wollen, sondern auch allein seyn. Ich erkenne jede bei dem Theater angestellte Verwaltung als respective der Direktion untergeordnet. Ich erkenne keine Mitdirektion, keine Oekonomie-Direktion, noch Direktor. Alle Ressorts vereinigen sich in meiner Führung zum ehrlichen Zweck des zu hebenden Ganzen. Vgl. A Imanach für Freunde der Schauspielkunst 16 (1852), S. 84 f. 13 Es ist nicht klar, ob beide Konzepte ausgeführt und weitergereicht wurden. Dies ist kennzeichnend für die Unsicherheit der Quellenlage zu Ifflands Theaterdirektion. 14 Der König war am 16. November gestorben. 15 Die beiden Aktenstücke wurden wiederum von Louis Schneider abgedruckt in: Almanach für Freunde der Schauspielkunst 17 (1853), S. 73—90. 16 Nach Döbbelins Tod (1794) hatte man diesen Zuschuß sogar noch aufgrund von Pensionsver­ pflichtungen gegenüber Döbbelins Familie auf 5400 Taler reduziert! 17 Wie Anm. 15, S. 88-90. 18 Ebd. Hervorhebungen H. Z. 19 Vgl. den Abdruck der Kabinettsordre durch Louis Schneider in: Deutscher Bühnen- A Imanach 18 (1854), S. 135—137. — Der von Langhans auf dem Gendarmenmarkt errichtete Theaterbau, wegen seiner eigentümlich gewölbten Dachform im Berliner Volksmund Der Kofferodet der Sarg genannt, stand am Anfang einer ganzen Reihe von Hoftheaterbauten in den Residenzen deut­ scher Fürstentümer, mit denen die Bauaufgabe Theater als eine öffentliche, zugleich das Ansehen des regierenden Herrscherhauses repräsentierende Angelegenheit aufgefaßt und entsprechend architekturästhetisch ausgestaltet wurde. Der Langhans-Bau brannte 1817 ab und wurde durch das 1821 eröffnete Schauspielhaus Karl Friedrich Schinkels ersetzt. Vgl. auch: Günter Schulz: Langhans' Pläne zum Nationaltheater auf dem Gendarmenmarkt. In: Theater im alten Berlin. — Berlin 1954 (=Kleine Schriften der Gesellschaft für Theatergeschichte, Heft 12), S. 15—21. 20 Vgl. dazu jetzt die Arbeit von Jutta Lindner: Ästhetische Erziehung. Goethe und das Weimarer Hoftheater. -Bonn 1990. 21 In das knappe Jahrzehnt zwischen 1802 und 1811 fällt ja nichts weniger als der totale Zusammen­ bruch des preußischen Staates unter dem Ansturm der Heere Napoleons im Jahre 1806, das mehrjährige „Exil" des preußischen Hofes in Ostpreußen und die Besetzung Berlins durch fran­ zösische Truppen 1806—1808. 22 Ein Reformbewußtsein im Hinblick auf das preußische Staatswesen hatte sich ja ebenfalls schon vor 1806 bemerkbar gemacht. — Reformkonzepte für die Berliner Theater hatte um 1804 schon der spätere Intendant der Königlichen Schauspiele Moritz Graf von Brühl entwickelt. Vgl. Hans von Krosigk: Karl Graf von Brühl und seine Eltern. —Berlin 1910, S. 263 f. 23 Die Königliche Oper war offiziell 1806 aufgelöst worden, aber sowohl Opernhaus, Fundus und z. T auch das Personal (aufgrund lebenslänglicher Anstellungskontrakte) waren ja immer noch vorhanden. — Zur Neuordnung des Berliner Theaterwesens von 1811 und deren Vorbereitung vgl. Teichmann (s. Anm. 3). Darin das Kapitel: Hundert Jahre aus der Geschichte des königlichen Theaters in Berlin 1740-1840, S. 3-194, bs. S. 89-97. 24 Von ihm liegen zwei Denkschriften vom Januar 1810 vor, bei Teichmann (s. Anm. 3), S. 92 f., nicht im vollen Wortlaut, aber dem Inhalt nach mitgeteilt. 25 Teichmann (s. Anm. 3), S. 93. 26 Ebd. 27 Teichmann (s. Anm. 3), S. 95, Hervorhebung H. Z. 28 Zitiert nach Wilhelm Altmann: Ifflands Rechtfertigung seiner Theaterverwaltung vom 27. Juli 1813. -In: Archiv für Theatergeschichte 1 (1904), S. 86-94, Zitat: S. 87.

Anschrift des Verfassers: Professor Dr. Harald Zielske, Institut für Theaterwissenschaft/FU Berlin, Mecklenburgische Straße 56, 14197 Berlin-Wilmersdorf

128 Restaurant Spandauer Bock. Postkarte von 1900. Heimatarchiv Charlottenburg

Der „Spandauer Bock" Von Gisela Scholtze

Nur der Name einer Kleingartenkolonie erinnert heute noch an das, was einstmals an dem Ort los war, wo der Spandauer Damm, die Reichsstraße und der Ruhwaldweg einen spitzen Winkel bilden. Wenn man den alten Berichten glauben darf, dann war an dieser heute eher langweili­ gen Ecke vor hundert und mehr Jahren sogar eine Menge los. Dazu muß man wissen, daß Char­ lottenburg viele Jahrzehnte lang ein sehr beliebtes Ausflugsziel für die Berliner war. So waren schon früh pfiffige Charlottenburger auf die Idee gekommen, Gartenlokale zu betreiben. Allein in der Berliner Straße zwischen dem heutigen Bhf. Tiergarten und dem Schloß Charlot­ tenburg (Straße des 17. Juni und Otto-Suhr-Allee heißt dieser Straßenzug in unserer Zeit) gab es siebzehn solcher Gaststätten. „Janz weit draußen" (oder/off we de), wie der Berliner sagt, hatte 1842 der Bierbrauer Conrad Bechmann, ein gebürtiger Bayer, eine Waldparzelle südlich der Spandauer Chaussee (des Spandauer Dammes) gekauft, um dort einen Ausschank für sein Bockbier zu betreiben, das er in seiner 1840 erworbenen Spandauer Brauerei braute. Die Eröffnung des Ausschanks stieß allerdings zunächst auf Widerstand bei der Konkurrenz. Es bedurfte der Fürsprache der Köni­ gin Elisabeth, der aus Bayern stammenden Gemahlin König Friedrich Wilhelms IV., bis Bech­ mann auf seiner Parzelle einen Lager- und Eiskeller anlegen und dort in jedem Frühjahr sein dunkles Bockbier ausschenken konnte. Dieses Bier trug seinem Lokal prompt den Namen „Spandauer Bock" ein und wurde zu einem beliebten Ziel der Ausflügler. Der Betrieb erfuhr

129 »MMHBHK. jap: ;

Restaurant Zibbe. Postkarte von 1898 — mit Blick in das Spreetal. Heimatarchiv Charlottenburg

eine Unterbrechung, als am 15. März 1874 alle Gebäude einem Brand zum Opfer fielen. Doch der Wiederaufbau begann schon im gleichen Sommer, und nach dem Bau des Wohnhauses und der Errichtung des sehr aufwendigen Saalbaues konnte das Lokal schon am 17. August 1875 wieder eröffnet werden. Das Unternehmen erfreute sich außerordentlicher Beliebtheit. Zwei zeitgenössische Berichte belegen das sehr anschaulich. Kein Geringerer als Fontane schreibt 1894 in einem „Führer durch die Umgebung Berlins", daß „in der Zeit des Bockbierausschanks der Andrang der dur­ stigen Scharen aus Berlin, Spandau und Charlottenburg so groß ist, daß wegen Überfüllung der Lokale Tausende Besucher sich um die Büffets unter den Bäumen des angrenzenden Grune­ walds lagern müssen." Zur Zeit dieses Berichts war Bechmann schon nicht mehr der Eigentü­ mer des Etablissements. Es war 1885 an die „Spandauer Bergbrauerei AG" übergegangen. Diese Gesellschaft hatte auf dem 18 Morgen großen Gelände weitere Baulichkeiten errichtet. Aus dem Jahre 1900 stammt folgende Beschreibung: „Außer dem Saal gewähren gedeckte Hallen einigen tausend Personen Unterstand. Im ganzen finden auf dem ,Bock' an 6000 Perso­ nen gleichzeitig Gelegenheit, sich an Tischen niederzulassen. Für Volksbelustigungen aller Art ist durch Schießbuden, Karussells und ähnliche Veranstaltungen ausreichend Sorge getragen. Deshalb gibt der sogenannte kleine Mann gewöhnlich dem ,Bock' den Vorzug vor der ,Zibbe'." 1904 bis 1905 entstanden weitere Büffets, zehn Spielbuden, eine Kasperlebude, eine neue Schießhalle, ein fotografisches Atelier, ein Karussell, eine offene Halle sowie eine Restaura­ tionshalle mit Küchenausgabe. Wen wundert bei einem solchen Angebot die Anziehungskraft, die dieses Unternehmen auf die Menschen ausübte?

130 Etwas kritischer äußerte sich allerdings die „Buchholzen" in Julius Stindes Roman „Die Fami­ lie Buchholz", der es 1884 erschien und es innerhalb eines Jahres auf achtzehn Auflagen brachte (heute bei arani). Die Familie, in der Landsberger Straße in Berlin zu Hause, unter­ nimmt eines Tages einen Ausflug zum „Bock". Wilhelmine Buchholz schreibt: „Am anderen Abend turnten wir also nach dem Bock. — Ein Glück, daß ich nicht nervös bin! Denken Sie sich zwei große Hallen, die wie ein Winkelmaß aufeinanderpassen. Diese Hallen sind blitzblau von Tabaksqualm, oben voll von Gaskronen, unten voll von Menschen, also oben hell, in der Mitte grau­ blau und unten schwarz. Aus jeder Halle dringt ein Getöse auf den ahnungslosen Ankömmling ein, und zwar soviel Lärm, als zwei Musikchöre und eine tobende Menschheit zusammen vollführen kön­ nen. Die einen singen, andere klopfen mit den Seideln, wieder andere schlagen mit den Spazierstök- ken auf den Tisch, welche schreien, aber still ist keiner. Es ist, als wäre die Hölle losgelassen. O du Grundgütiger, dachte ich, wärst du hier nur wieder fort. Nun hieß es Krauses suchen. Onkel Fritz fand sie gleich, und wir schlängelten uns an ihren Tisch heran. Plötzlich brüllte mich irgendein Pachulke an: ,Wo ist Nauke?' und ließ dicht vor meinem Gesicht eine Puppe auf und nieder tanzen, die sie ,Nauke' nennen und die man dort kaufen kann. Ich durfte nichts sagen, weil auf dem Bock nichts übelgenommen wird, sondern alles Brüderlichkeit und Schwesterlichkeit ist." Soweit also die Buchholzen. Was aber war die „Zibbe", von der in dem Bericht von 1900 die Rede war? Schon 1847 hatte sich Bechmann auch auf der Nordseite der Spandauer Chaussee niedergelassen und einen Ausschank betrieben. Dieses Lokal wurde vom Berliner Volksmund „Zibbe" (= Ziege, eigentlich weibliches Schaf) genannt, wohl als Pendant zum gegenüberlie­ genden (Ziegen-)„Bock". 1885 wurde auf diesem 1500 m2 großen Gelände ein neues Saalge­ bäude errichtet. Um den 40 X 20 m großen Saal gruppierten sich die Küchen und Restaurants. An der Westseite befand sich eine Orchesternische, und die gegenüberliegende Wand war von einem 5 X 10 m großen Gemälde bedeckt, einen Bacchus als Biertrinker darstellend, der auf

Restaurant Zibbe. Foto um 1900. Heimatarchiv Charlottenburg

131 einer von Böcken gezogenen Tonne saß. Vor dem Saal gab es einen acht Morgen großen Gar­ ten. Auch die „Zibbe" bot Unterhaltungen verschiedenster Art: pyrotechnische Schaustellun­ gen, künstliche Felsgebilde mit abendlichen Vorführungen und Alpenglühen. Man hatte das Plateau des Berges sogar erweitern müssen, um diese Anlage unterzubringen, zu denen auch Wasserkünste mit einer Farbenspielfontäne, eine Kegelbahn, eine carmera obscura und drei Ausschänke in Gestalt von Bierfässern gehörten. Als besonders reizvoll wurde aber die Aus­ sicht auf das Spreetal gerühmt, die man von der „Zibbe" zu jeder Jahreszeit genießen konnte. Auf dieses nördliche Gelände hatte Bechmann 1854 auch die Brauerei verlegt und in den Jah­ ren von 1869 bis 1885 durch viele Bauten verschiedenster Art erweitert. Ende 1885 ging, wie bereits erwähnt, alles in den Besitz der „Spandauer Bergbrauerei AG" über, die sowohl den „Bock" als auch die „Zibbe" weiter betrieb, ja sogar noch erweiterte. 1914 hatte das Unterneh­ men seine größte Ausdehnung und mit 125 000 Hektolitern Bier seine größte Kapazität. Nach dem Ersten Weltkrieg wurde Schultheiss neuer Eigentümer, doch die Gaststätten verloren immer mehr an Bedeutung und gingen schließlich Mitte der dreißiger Jahre ganz ein. Im Zwei­ ten Weltkrieg wurden die Gebäude zerstört und die Ruinen 1957 beseitigt. Wie schon eingangs gesagt: Nur der Name einer Kleingartenkolonie erinnert heute noch daran, was einstmals an diesem Ort los war. Anschrift der Verfasserin: Gisela Scholtze, Leiterin des Heimatarchivs Charlottenburg Otto-Suhr-Allee 100, Zimmer 426 f, 10585 Berün

Die französischen Alliierten in Berlin Die ersten Besatzungsjahre 1945—1948 Von Ulrike Wahlich

Am 12. August 1945 übernahmen die Franzosen als letzte der vier Besatzungsmächte ihren Sektor mit den beiden Berliner Bezirken Reinickendorf und Wedding. In die Europäische Alli­ ierte Kommission, die schon lange vor der deutschen Kapitulationserklärung über eine mögli­ che Verwaltung und Regierbarkeit des besiegten und zerstörten Deutschlands Entscheidungen getroffen hatte, war Frankreich erst in letzter Minute aufgenommen worden, so daß auch bei der Beratung über die Sektorenaufteilung Berlins die Gebietsansprüche der anderen Alliierten längst angemeldet waren. Die französische Abordnung mußte sich folglich mit Zubilligungen zufriedengeben. Der am 12. August 1945 schließlich realisierte Kompromiß war allerdings eine von den Franzosen ungeliebte Lösung, eine französische Option vom 22. März 1945 hatte beispielsweise die Bezirke Zehlendorf, Wilmersdorf, Charlottenburg und Tiergarten favori­ siert. Die ersten französischen Vorausabteilungen erreichten Berlin im Juli 1945. Erst jedoch mit der Übergabe der beiden bis dahin von den Briten besetzten Bezirke Wedding und Reinickendorf waren die Franzosen auch offiziell an den Sitzungen der Alliierten Kommandantur beteiligt. Sofort nach der Besetzung ihres Sektors gaben die Franzosen eine Verordnung bekannt, die wesentliche Inhalte und Hintergründe ihrer Besatzungspolitik offenlegte. In dieser vom ersten französischen Stadtkommandanten General de Beauchesne unterzeichneten Erklärung hieß

132 Mittagspause beim Bau des Flughafens Tegel, Sommer 1948. Landesbildstelle es unter anderem, daß folgende Ziele vorrangig verfolgt würden: Die Aufrechterhaltung der strengsten Ordnung, die Ausübung der vollsten Gerechtigkeit sowie die Gewährung der weit­ möglichsten und unentbehrlichsten Hilfe für die Bevölkerung. Der weitere Text erinnerte an die von den Deutschen verursachten Leiden der Französischen Bevölkerung, an Hunderttau­ sende von Deportierten, Verschleppten und Ermordeten. In den folgenden Monaten gestaltete sich die Zusammenarbeit zwischen der französischen Militärregierung und der deutschen Bezirksverwaltung entsprechend: So wurden Klagen oder Beschwerden des Bezirksamtes Rei­ nickendorf im Zusammenhang mit der französischen Besatzungspolitik meist mit dem Hinweis abgewiesen, daß die Deutschen in Frankreich weitaus rücksichtsloser und brutaler vorgegan­ gen seien oder daß die Versorgungslage in Frankreich aufgrund der deutschen Besatzungspoli­ tik mindestens ebenso katastrophal sei wie in Berlin. Das beidseitige Verhältnis war von Miß­ trauen bestimmt. Das Verhalten der Franzosen war der Maxime verschrieben, jedweden deut­ schen Alleingang zu unterbinden oder doch zumindest unter Kontrolle zu halten. — Die Angst vor einem wiedererstarkenden Deutschland sollte noch über einige Jahre hinaus die französi­ sche Besatzungspolitik beeinflussen. So blieben die Franzosen auch gegenüber den Bestrebun­ gen der Bezirksämter und des Magistrats, Eigenständigkeiten zu und eigene Verant­ wortlichkeiten zu übernehmen, relativ reserviert. In einigen Fällen zeigten die rigiden Besat­ zungsmaßnahmen der Franzosen sogar Verhaltensformen, die von Willkür und Arroganz geprägt waren. Regelmäßig mußten Vertreter des Bezirksamtes bei der französischen Militär­ regierung vorsprechen und detailliert über die augenblicklich anstehenden Tagesordnungs­ punkte berichten. Nicht selten wurden bei diesen Treffen zur Vorlage gebrachte Anfragen von

133 französischer Seite ohne Grund negativ entschieden, Genehmigungen wurden nicht erteilt und Bemühungen um den bezirklichen Wiederaufbau wurden unterbunden. Im Gegensatz zu den Amerikanern und den Briten hatte sich Frankreich außerdem nicht der Zentralen Versor­ gungsverwaltung angeschlossen, so daß die Bevölkerung des französischen Sektors oftmals berechtigte Klagen über die mangelnde Versorgung anstimmte. Zusätzlich war das Miteinan­ der durch die ständigen Beschlagnahmungen der Franzosen erheblich beeinträchtigt. Auch hier standen sich beide Seiten in harter Konfrontation gegenüber: Vor allem die Bewohner von Frohnau, Hermsdorf, Waidmannslust und Tegel interpretierten die Requirierungen als maß­ lose Plünderei, die Franzosen wiederum sahen ihren Handlungsspielraum durchaus noch im Rahmen der alliierten Besatzungsrechte. Selbstverständlich gab es auch in diesen ersten Jahren freundschaftliche Bindungen und positive Erfahrungen, in der Regel blieb jedoch das Verhält­ nis zwischen Franzosen und Deutschen zunächst unterkühlt und voller gegensätzlicher Interes­ sen. Die entscheidende Veränderung zeichnete sich im Frühjahr 1948 ab. Frankreichs außenpoliti­ sche Position erfuhr einen generellen Wandel, als dessen Folge auch die Beziehungen zu Deutschland neu geordnet werden mußten. Bis 1948 waren die französischen Vorstellungen davon ausgegangen, sich von westlichen Allianzen ebenso wie von sowjetischen Vereinnah­ mungen distanzieren zu können. Frankreich wollte eine Mittlerfunktion zwischen Ost und West ausfüllen, die Sowjetunion wurde als möglicher Partner in punktuellen Fragen nicht aus­ geschlossen. Der seit 1944 bestehende Bündnis- und Beistandspakt zwischen Frankreich und der Sowjetunion war ein Bestandteil dieses geplanten französischen Modells. Erste Schwan­ kungen der Pariser Ostpolitik waren bereits im Frühjahr 1947 spürbar, als sich auf der Mos­ kauer Außenministerkonferenz die Unvereinbarkeit der jeweiligen Verhandlungsstandpunkte offenbarte. Ein endgültiger Umschwung wurde jedoch im März 1948 mit der kommunistischen Machtergreifung in der Tschechoslowakei deutlich. Die Tschechische Republik war für viele französische Sozialisten vorbildlich gewesen, da hier die Idee einer Brücke zwischen Ost und West verwirklichbar zu sein schien. Entsprechend groß war der Schock über die Prager Ereig­ nisse, über den zwangsweisen Rücktritt des Staatspräsidenten Benesch und den Selbstmord des Außenministers Jan Masaryk. Frankreich hielt es im Zuge der Ereignisse für geboten, sich nun endgültig dem westlichen Lager anzuschließen, die Politik Frankreichs war vom Frühsom­ mer 1948 an eindeutig auf ein westalliiertes Bündnis festgelegt. Die Angst vor Expansionsan­ sprüchen der Sowjetunion bestimmte fortan die französische Haltung. Die Vorbehalte gegen­ über Deutschland waren damit zwar nicht ausgeräumt, wurden aber in den Hintergrund gedrängt. Unter diesen veränderten Vorzeichen beteiligten sich die französischen Alliierten an der Berliner Luftbrücke. Ihre Stellung innerhalb der vier Besatzungsmächte unterschied sich nun nicht mehr wesentlich von ihren britischen oder amerikanischen Verbündeten. Die Berliner Blockade dauerte vom 24. Juni 1948 bis zum 12. Mai 1949, wobei bereits in den Anfangsmonaten des Jahres 1948 der Transportverkehr nach Berlin erheblichen Einschrän­ kungen unterlag. Die Versorgung der Berliner Bevölkerung über den Luftweg begann im Juni 1948, nachdem die Sowjetunion sämtliche Zufahrtswege zu Lande und zu Wasser nach Berlin hatte sperren lassen. Die französischen Alliierten beteiligten sich an den eigentlichen Luftbrückenaktionen kaum, da sie über zu wenig einsatzbereite Flugzeuge verfügten. Ihr sichtbarstes Engagement war auf den Ausbau eines dritten Luftbrückenstützpunktes gerichtet, nachdem sehr rasch deutlich geworden war, daß Tempelhof und Gatow als Lande- und Startstationen bei weitem nicht aus­ reichten. Als möglicher Flugplatz für den französischen Sektor war 1945 das Stolper Feld vorgesehen gewesen, kurzfristig hatte man deshalb dieses Gebiet sogar der französischen Ver-

134 waltung überlassen, obwohl es eigentlich bereits zum sowjetischen Bereich gehört hätte. Unter dem gebotenen Zeitdruck entschied man sich nun aber doch gegen Stolpe, da es strategisch ungünstiger lag, und der ehemalige Schießplatz in Tegel wurde als neuer Standort bestimmt. Die Bauarbeiten begannen im August 1948, Mitte November wurde die erste Landebahn in Tegel feierlich ihrer Bestimmung übergeben. Diese unglaublich kurze Bauzeit war natürlich nicht allein von den französischen Alliierten zu leisten. Das Gelände war hügelig und erfor­ derte umfangreiche Planierungsarbeiten. Hier halfen beispielsweise die Amerikaner, indem sie die nötigen Baumaschinen in Einzelteile zerlegt über die Luftbrücke einflogen. Die 10 000 Fäs­ ser Asphalt für die Landebahn wurden ebenfalls von den Amerikanern auf dem Luftwege besorgt. Den größten Einsatz leisteten jedoch die rund 19 000 Zivilpersonen, die in Tag- und Nachtschichten beim Bau des Flughafens eingesetzt waren — fast die Hälfte davon waren Frauen. Der französische Einsatz bei der gesamten Luftbrückenaktion war nicht spektakulär — sieht man von der eigenmächtigen Sprengung der Sendemasten des Ostberliner Rundfunks auf dem Tegeler Flughafengelände ab. Insgesamt war der Positionswechsel der französischen Alliierten aber ein entscheidender Einschnitt. Das Verhältnis zur Berliner Bevölkerung entspannte sich, die Franzosen wurden fortan als gleichwertige Schutzmacht geachtet, und der Weg zu weiteren bilateralen Einigungen war vorbereitet. In der folgenden Zeit beanspruchte die Partnerschaft zwischen den beiden Nachbarstaaten einen besonderen Platz innerhalb der deutsch-alliierten Beziehungen. Dieser Platz blieb ebenfalls immer für Berlin mit seiner speziellen Problematik reserviert. Die Entscheidung für Deutschland und für Berlin war den Franzosen nicht leichtge­ fallen. Das in den folgenden Jahren erbaute Gerüst von gegenseitigen Verträgen und Abkom­ men und der beiderseitige Austausch sollten sich allerdings um so stabiler erweisen.

Anschrift der Verfasserin: Ulrike Wahlich, Heimatmuseum Reinickendorf, Alt-Hermsdorf 35, 13456 Berlin. Das Heimatmuseum Reinickendorf zeigt vom 9. Oktober bis zum 17. November 1996 eine Aus­ stellung mit dem Titel„ Die Franzosen in Berlin. Besatzungsmacht — Schutzmacht — Partner in Europa". Heimatmuseum Reinickendorf, Alt-Hermsdorf 35, 13456 Berlin, Mi. bis So. 10 bis 18 Uhr. Im Berliner Jaron Verlag ist im September ebenfalls ein Buch mit gleichlautendem Titel erschie­ nen. Es ist vom Bezirksamt Reinickendorf herausgegeben, Text und Konzeption stammen von Ulrike Wahlich. Das Buch umfaßt 192 Seiten, hat circa 150 Abbildungen, davon 16 Farbseiten. Es kostet 24,80 DM. U.

Rezensionen Heinz Berggruen: Hauprweg und Nebenwege. Erinnerungen eines Kunstsammlers. Berlin: Nico­ laische Verlagsbuchhandlung 1996, 256 Seiten, 39,80 DM. Das schöne Gemälde von Paul Klee mit dem Titel „Hauptweg und Nebenwege" wählt Heinz Berg­ gruen als Chiffre für sein Erinnerungsbuch, in dem er vom Hauptweg berichtet, der ihn während sechs Jahrzehnten mit zahlreichen Um- und Nebenwegen zur Zusammenstellung einer Bildergalerie mit einigen der herrlichsten Werke der modernen Kunst geführt hat. In Wilmersdorf wurde Heinz Berggruen 1914 geboren, wo seine aus Westpreußen stammenden Eltern ein Schreibwarengeschäft betrieben. Sein Elternhaus bezeichnet er als weder groß- noch klein­ bürgerlich, sondern „irgendwo dazwischen einzuordnen", ohne hohen kulturellen Anspruch. Es gab dort praktisch nichts, was ihn zur bildenden Kunst hätte führen können. Die Jugendzeit verbrachte er abgeschirmt von den politischen Unruhen in der behüteten, nahezu dörflichen Umgebung seines

135 Viertels. Die Familie fühlte sich integriert und sicher; sie verstanden sich als „jüdische Deutsche", die an Feiertagen auf dem Balkon die schwarz-rot-goldene Fahne hißten. Nach dem Abitur 1932 stu­ dierte Berggruen in Grenoble und Toulouse Literatur und Kunstgeschichte. Er kehrte 1935 nach Ber­ lin zurück und schrieb für die Frankfurter ZeitungEssays und Rezensionen, die er jedoch nicht mit sei­ nem vollen Namen zeichnen durfte. Durch Episoden wie diese drang die politische Realität allmählich in sein Bewußtsein. Er sah für sich keine Zukunftschancen in Deutschland, beschaffte sich ein Stipen­ dium und reiste 1936 nach San Francisco. Dort fand er eine Stelle am San Francisco Museum of Art und sah zum erstenmal Bilder von Paul Klee, die ihn mit ihrer Sensitivität und Poesie sofort in ihren Bann zogen. Er erwarb 1940 das Klee-Aquarell Perspektive Spuk („mein ständiger Begleiter, mein Beschützer, mein Talisman") und legte damit den Grundstein zu seiner Sammlung. Die Mentalität der Amerika­ ner blieb ihm allerdings fremd. Er heiratete eine Amerikanerin, schaffte es aber nicht, sich in das Leben dort einzufügen, es hatte für ihn nicht genug Nuancen und erschien ihm hohl und unbefriedi­ gend. Die Bekanntschaft mit der surrealistischen Malerin Frida Kahlo beeinflußte nachhaltig sein Verhältnis zur Kunst und ließ ihn seine Distanz zur Atmosphäre des Kunstbetriebes in Amerika deut­ lich empfinden. Er hatte schließlich nur noch den Wunsch, wieder in Europa zu leben und kehrte 1944 als amerikanischer Soldat nach Deutschland zurück. Für zwei Jahre gab er die Zeitschrift „Heute" in München mit heraus, wobei er sich als Autor bemühte, die als entartet verteufelte Malerei Max Beckmanns den Deutschen vertraut zu machen. Zugleich spürte er die Unsicherheit und Verkrampfung, mit der man in Deutschland versuchte, nach all den Jahren der Zerstörung der Moderne nun den Anschluß zu finden, und so karikierte er in seinen Essays auch den fliegenden Wechsel von diffamierender Unterdrückung zu plötzlicher Begeisterung für abstrakte Malerei als opportunistisch und ambivalent. Von München aus begann er mit ersten priva­ ten Vermittlerdiensten auf dem Kunstmarkt, die ihm ein Gefühl für die Sache gaben und auch einen Eindruck vermittelten von dem Potential auf diesem Gebiet. Seine Chance erkannte er darin, daß er einen guten Kontakt zu vielen Künstlern entwickelte, weil er ein ernsthaftes und leidenschaftliches Interesse an ihren Arbeiten besaß. So sah Heinz Berggruen seinen Hauptweg schon vor sich, die Nebenwege brachten ihn immer wieder zur Kunst zurück. Zunächst nahm er jedoch ein Angebot der UNESCO an, als Kulturbeamter nach Paris zu gehen, wo ihn ein Klima intellektueller Offenheit emp­ fing, das den zwischen Deutschland und Amerika heimatlos Gewordenen sehr anzog. So entschloß er sich dort im Alter von 33 Jahren, Kunsthändler zu werden: mit Enthusiasmus und dem Vertrauen auf die Solidität seines Ansatzes als einziger Geschäftsgrundlage. Zielstrebig ging er dem nach, was ihm wichtig und von bleibendem Wert erschien. Die Galerie auf der Ile de la Cite bestand zunächst aus zwei kleinen Zimmern; er überwand die schwierige Anfangszeit und hatte das Glück als zufälliger Nachbar von Yves Montand, Simone Signoret und Ida Chagall Zugang zu kunstinteressierten Kreisen zu finden. Später zog er um in die Rue de l'Universite 70, wo der Handel mit Graphik, besonders mit Originalli­ thographien und Radierungen von Chagall, Miro und Picasso die materielle Grundlage der Galerie wurde. Bald befand sich hier die erste Adresse für die Rückkehr des Poetischen nach dem Zweiten Weltkrieg. Mit Paul Klee und Joan Miro wandte sich Berggruen einer lyrischen Kurzschrift der Welt zu, die von allem wie in einem Spiel erzählen konnte. Klee blieb auch der Hauptweg des Kunstsamm­ lers Berggruen, obwohl sich da noch eine Steigerung fand: Picasso, der „wie kein anderer das Lebens­ gefühl eines ganzen Jahrhunderts in sich trug". Über den Dichter Tristan Tzara lernte Berggruen Picasso persönlich kennen, der ihn von den späten sechziger Jahren bis zu seinem Tod zum Vertrieb von 30 Prozent seiner graphischen Produkte autorisierte. Sie gewannen ein freundschaftliches Ver­ hältnis zueinander; die außergewöhnliche Verbindung von Kraft und Sensibilität, die Picassos Wer­ ken so besondere Anziehung verleiht, drückte sich für Berggruen in dessen ganzer Erscheinung aus. Jeden einzelnen seiner regelmäßigen Besuche bei Picasso empfand Berggruen als unendlich anregend und bereichernd und bezeichnete sie als Höhepunkte seiner Tätigkeit als Händler und Sammler. In seiner Galerie stellte Berggruen als erster die Scherenschnitte von Matisse aus (1953), brachte den Dadaisten Kurt Schwitters (1954) und den abstrakten Expressionisten Robert Motherwell (1961) nach Paris. Er wurde auch verlegerisch tätig, gab unabhängig von den Ausstellungskatalogen Skizzen­ bücher von Matisse, Leger und Cezanne heraus, ein Album von Klee-Aquarellen und vier Picasso- Bücher. Prominente Besucher wie Greta Garbo kamen in seine Galerie, er begegnete Gertrude Stein, Peggy Guggenheim, Wols, Man Ray, Nina Kandinsky, er lernte seine zweite Frau Bettina kennen.

136 Nach fünfunddreißigjähriger Tätigkeit als Kunsthändler übergab er die Galerie 1980 einem Nachfol­ ger, um sich ausschließlich seiner Sammlung zu widmen. Doch während sich Berggruen als Händler auf viele „Nebenwege" wagte, blieb er als Sammler auf einem sicheren „Hauptweg". Große Entschiedenheit verrät das Profil seiner Sammlung: Cezanne, van Gogh, Seurat, Klee, Picasso, Braque, Giacometti. Sein Sammlungskonzept hielt fest am genialen Künstlertum und der Suche nach Pionieren. Cezanne stand für ihn an erster Stelle, weil weder der Kubismus noch die Wege zur Abstraktion ohne ihn vorstellbar sind. Ähnliches gilt für van Gogh und seinen Einfluß auf Fauvismus und deutschen Expressionismus. So tauschte Berggruen „in schwerem Entschluß" seinen gesamten Bestand von Matisse ein, um ein wichtiges Bild von van Gogh zu erhal­ ten. Berggruen beschreibt die Sammelleidenschaft als eine zuerst egoistische, höchst private Besessenheit, erklärt dann aber seine Überzeugung, daß „Bilder nach mehr verlangen, als in unterirdischen Bank­ verliesen an ihrer eigenen Schönheit zu sterben, sie wollen betrachtet, sie wollen genossen werden, sie wollen Anlaß sein zur Meditation und zur Steigerung des Lebensgefühls". Er war sich bewußt, wie Kommunikation das Kunsterlebnis intensiviert und den Gebrauchswert steigert. So begann er 1983 mit der Schenkung seiner Klee-Sammlung an das Metropolitan Museum in New York, ein breites Publikum am Dialog mit seinen Bildern zu beteiligen. Den Schritt, nach Berlin zurückzukehren, wo seine Wege begonnen haben, und seine Sammlung in Charlottenburg im Stülerbau zu zeigen, der eigens dafür sehr ansprechend hergerichtet wurde, versteht Berggruen auch als Zeichen der Versöh­ nung, als einen Beitrag zur Anerkennung und Bestätigung eines wieder in die Völkergemeinschaft integrierten, friedfertigen und demokratischen Staates. Die Autobiographie des Kunstsammlers Heinz Berggruen bietet nicht nur dem Kunstfreund, sondern auch dem zeitgeschichtlich interessierten Leser kurzweilige und sehr aufschlußreiche Lektüre. Dr. Jeannette Malin-Berdel

Wegen des derzeit hohen Besucherandrangs wird der Verein für die Geschichte Berlins, gegr. 1865, die Sammlung erst im nächsten Quartal (8. Februar 1997, 14 Uhr) besuchen. U.

Dana Schultze und Karin Manke: Streifzüge durch Treptow — einen Bezirk Berlins. Berlin: Stapp Verlag 1996, 130 Seiten, 29,80 DM. Über den Bezirk Treptow im Süden Berlins hat es in den zurückliegenden Jahren kaum Publikationen gegeben. Das war Anlaß genug für die Autorinnen, sich dieses Themas anzunehmen und sich für „ihren" Bezirk zu engagieren. Die „Streifzüge" wollen vor allem anregen, durch Treptow zu spazieren und seine sieben Ortsteile Adlershof, Altglienicke, Alt-Treptow, Baumschulenweg, Bohnsdorf, Johannisthai und Niederschöneweide näher kennenzulernen. Sie führen zu mancherlei Sehenswer­ tem — zur Sternwarte und zur Abtei-Insel, zum Eierhäuschen und zum Ehrenmal im Treptower Park oder zum Arboretum und der Gartenstadt Falkenberg. Auch Kommunalbauten sowie zahlreiche Wohn- und Industriegebäude, an denen man oft achtlos vorübergeht, werden beschrieben. Ebenso finden heute nicht mehr bestehende Treptower Attraktionen wie die Tunnelbahn oder der Flugplatz Johannisthai mit seiner spannenden Historie eine ausführliche Würdigung. Informieren sowohl das Vorwort als auch geschichtliche Hintergründe und Daten in jedem Kapitel umfassend über die Ent­ stehungsgeschichte Treptows, so lassen ausgewählte Erinnerungen von Zeitzeugen die Vergangen­ heit auf einer zweiten Ebene wieder lebendig werden. Diese Zitate und die in den Text einfließenden Episoden und Anekdoten erinnern anschaulich an eine Zeit, als sich am Treptower Ufer der Spree noch Gartenlokal an Gartenlokal reihte und das Feuerwerk bei Zenner und der Brauch „Hier können Familien Kaffee kochen" die Berliner scharenweise hinaus nach Treptow lockten. Auch die fast voll­ ständig aus historischen Postkarten bestehende Illustration des Buches läßt diese Zeit wieder aufle­ ben. Liegt der Schwerpunkt des Buches im geschichtlichen Teil, so beschreibt ein Exkurs die neuesten Entwicklungen in Treptow und spannt auf diese Weise den Bogen zur Gegenwart. Weiterführende Literatur- und Quellenhinweise sowie ein Verzeichnis aller Treptower Gedenktafeln runden das Buch ab. Dieses, mit seinen 130 Seiten eher kleine Buch ist lesenswert, denn es vermag Anstoß zu geben, sich näher mit diesem Berliner Bezirk zu beschäftigen. Der Verein für die Geschichte Berlins, gegr. 1865, wird am 20. Oktober 1996 sachkundig von der erstgenannten Verfasserin im Treptower Park geführt. Erika Fröhlich

137 Uta Lehnert, Den Toten eine Stimme — Der Parkfriedhof Lichterfelde, Berlin: Edition Hentrich 1996, 230 Seiten, 123 Abbildungen, 36 DM. Dies Buch hat eine andere Qualität und einen weit umfassenderen Inhalt, als man zunächst von einem „Firedhofsführer" erwartet. Man ist überrascht, fasziniert, liest sich fest. In mehr als 150 ausgewählten Lebensbildern ist, wie in einem Mikrokosmos, die Gesellschaft des Berliner Südens und dann — über­ greifend nach ganz Berlin — auch die großstädtische Prominenz dargestellt. Man spürt die Begeiste­ rung, mit der die Verfasserin in jahrelanger Recherche den einzelnen Spuren nachgegangen ist. Mit unendlicher Mühe und Akribie hat sie die Viten und das Lebensumfeld der Dargestellten herausge­ sucht und -gefunden: aus Friedhofsakten, Archiven, Biographien und Sammelwerken, alten Zeitun­ gen, privaten Aufzeichnungen, Gesprächen, Nachrufen usw. So ist der Titel des Buches durchaus berechtigt — hier wird den Toten wahrhaft eine Stimme gegeben. Mehr als 120 Abbildungen von Por­ träts, Grabsteinen, Architekturen, Kunstwerken und anderem mehr lassen die geschilderten Perso­ nen und ihre Welt lebendig werden. Dr. Uta Lehnert, Kunsthistorikerin, macht es dem Leser leicht, sich dem Friedhof mit seiner Vielzahl von Namen zu nähern. Zunächst stellt sie die Entstehungsge­ schichte des Friedhofs dar, der von Beginn an als parkartige Anlage geplant war und im Lauf der Jahr­ zehnte zu einer eindrucksvollen, ja, romantischen Park-Kulturlandschaft heranwuchs, in die sich Wege und Grabanlagen harmonisch einfügen (inzwischen ist der Parkfriedhof Lichterfelde als Gar­ tendenkmal in die Denkmalliste eingetragen). In dem Abschnitt „Besondere Personengruppen'" stellt die Autorin wichtige soziale Gruppen des alten Lichterfelder Bürgertums vor, die dem Friedhof sein besonderes Gepräge geben, wobei jedoch zu bedenken ist, daß der Friedhof von 1925 an allen Berlinern zur Verfügung stand. Hier findet man zahlreiche Wissenschaftler und Gelehrte, Vertreter des Wirtschaftslebens, bildende Künstler, die ehe­ maligen Kadetten und ihre für das Entstehen Lichterfeldes so wichtige Hauptkadettenanstalt, Litera­ ten und Musiker. Auch die Wohlfahrtspflege, u. a. vertreten durch drei Schwesternschaften, die Flug­ geschichte und das Schulwesen werden erwähnt. Das Kapitel über Grabmalkunst und -künstler gibt Einblicke in die Grabmalreformbewegung und behandelt die auf dem Friedhof vertretenen Bild­ hauer. Auch hier braucht der bislang recht unbekannte Lichterfelder Friedhof die Konkurrenz mit weitaus bekannteren Begräbnisstätten nicht zu scheuen. Im „Katalogteil" sind auf mehr als 170 Seiten in alphabetischer Folge Leben und Wirken der einzelnen Verstorbenen nachgezeichnet und gewür­ digt. Aber auch auf Grabmalkunst und -Symbolik geht die Autorin ein und antwortet auf Fragen, die sich mancher interessierte Friedhofsbesucher sicher selber schon gestellt hat. Zitate aus Nachrufen, vor allem aber die vielen Literaturhinweise, regen zu eigenen Nachforschungen an. Beim alphabeti­ schen Weiterlesen bleibt der Leser oft bei „Nie-Gehörtem" hängen, entdeckt Bezüge und Zusam­ menhänge zwischen bislang Unbekannten und gerät in ein „Netzwerk" der bürgerlichen Gesellschaft zu Beginn dieses Jahrhunderts, das noch bis in die Gegenwart wirkt. So stößt man z. B. nach dem zu Recht ausführlich geschilderten Lebenslauf des Kadetten und „Fliegers von Tsingtau", Günther Plü- schow, auf den Namen Posener und gelangt damit zu dem 1996 verstorbenen Architekturkritiker Julius Posener. Wer sich von einer Kossatz-Karikatur einfangen läßt, wird dabei auf den Regisseur Boleslaw Barlog verwiesen — und gelangt unmittelbar danach zu der Schulgründerin Adelheid Krah- mer. Auf die so dramatisch endende Vita des Reichskanzlers Kurt von Schleicher folgt die unspekta­ kuläre des Dichters und Journalisten Otto Schlotke, die jedoch Anlaß dafür ist, von der Geschichte der Linotype-Setzmaschine zu berichten. Hervorzuheben ist die sachlich-differenzierende Sprache der Verfasserin, die Klischees meidet — gerade auch dort, wo politisch kontroverse Fakten und Verhaltensweisen zu schildern sind. Sehr zu begrüßen ist auch, daß die Autorin ihre Leser mit den Begriffen der Sepulkralkultur nicht sich selbst überläßt, sondern in einem „Service-Teil" als Anhang eine sehr hilfreiche Erklärung von Fachaus­ drücken beifügt. Ein Abkürzungsverzeichnis (auch der gekürzt zitierten Literatur), ferner eine Liste der Ehrengräber und ein Bildnachweis vervollständigen diese Hilfen. Das ausführliche Personenregi­ ster — von Armand Leon Baron von Ardenne (Vorbild einer Hauptfigur in Fontanes Roman „Effi Bliest") bis Heinrich Zille — ist eine wahre Fundgrube und ein unentbehrlicher Begleiter auf der Suche nach den Spuren der Toten — ebenso wie die Pläne auf den Innenseiten der Buchdeckel. Der Friedhofs-Wanderer ist mit diesem Werk vortrefflich ausgerüstet für eigenes Forschen, Beurteilen und Erleben. Wer aber in die ruhige Würde, die Harmonie und Schönheit dieser Kulturlandschaft hineingeleitet werden möchte, dem sei die Führung durch dies „Gesamtkunstwerk" empfohlen, die von der Verfasserin am 6. Oktober 1996 für unseren Verein durchgeführt wird. Walther Lux

138 Joachim Seyppel, Die Mauer oder Das Cafe am Hackeschen Markt. Roman, Limes Verlag 1981, 319 Seiten." Die im Roman eindringlich beschriebenen Orte — der Hackesche Markt im Mittelpunkt — sind nicht als historische Ortsbeschreibungen gedacht. Sie werden im Rückblick des Erzählers und im Lauf der Handlung zu tragischen Schicksalsorten, an denen sich exemplarisch deut­ sches Geschehen von der Weimarer Republik bis in die letzte Mauerzeit entfaltet. Es endet schließ­ lich in bodenloser Bösartigkeit. Die Mauersituation in ihrer Unwahrhaftigkeit und mörderischen Ge­ fährlichkeit ist für den Erzähler in der deutschen Befindlichkeit schon seit den zwanziger Jahren ange­ legt. Sein erzählendes Ich springt in der Zeit vor und zurück, beleuchtet von der Gegenwart her erinnerte Orte und Begebenheiten im Scheunenviertel aus der sich immer mehr entwirrenden Schicksalser­ kenntnis. Die Besinnung wird „gegen den Strich zurückgeführt", will sagen, das scheinbar Nostalgi­ sche erweist sich als heillos. Die Verstricktheit in das absolut Böse der Mauersituation wird allgegen­ wärtig, das erzählende und handelnde Ich endet in einem Fluchttunnel unter dem Französischen Friedhof an der Liesenstraße — nahe beim Fontanegrab. Ein absurdes Sinnbild! Im Mittelpunkt steht der Kommunist Niemzek, einst um die Jahrhundertwende Neubürger aus schle- sischem Landproletariat. Der Erzähler verurteilt sein „Pförtnerbewußtsein" (aus dem Liebknecht­ haus am Bülowplatz); denn es lebt aus dumpfem Haß und uneingestandenem Drang nach oben, mit welchen Mitteln auch immer. Mehr durch diesen dumpfen Drang als durch Mördergesinnung erschießt er bei einer verbotenen Demonstration 1930 am Bülowplatz den rechten Polizeihaupt­ mann; die Parallele zum Mielke-Mord ist gewollt. Seither wächst sich das Böse mit fast antikischer Unbedingtheit zum Bösen schlechthin aus. Niemzek räumt jeden aus dem Weg, der ihn hindern könnte. Er endet als Prominenter auf der Ehrentribüne im Honecker-Staat. Seine Stasimacht ist allge­ genwärtig, sie erdrückt alle und alles. — Er hätte nicht aufsteigen können, so wird dem entlarvenden Erzähler klar, ohne die allgemeine Lebenslüge, aus der das Kleinbürgertum und die Bourgeoisie in der Weimarer Republik lebte. An seiner zähen Klebrigkeit, deren geistiger und sozialer Ort das Cafe am Hackeschen Markt ist und die alles Leben durchdringt, erweist sich die philosophische Sinndeu­ tung von der „geistigen Situation der Zeit" — damals unter den Gebildeten populär, als Vorwand und Farce. Alles Bildungsstreben des Erzählers erscheint, nachdem er dies erkannt hat, als Lüge und Schein, als Welt des Kinos, in dem „die Leute sich halb totlachen". So läßt die rationalisierende Selbst­ erfahrung des erzählenden Ichs auch alles Berlinische der Mauersituation als ruinös erscheinen; dar­ unter schiebt sich faulig das Zwielichtige der Nazizeit. Die Ereignisse führen zu dem Punkt, wo der Erzähler und Wanderer zwischen Ost und West 1981 an der Mauer entweder selbst als ein Verfolgter getötet wird oder selbst tötet. Als letzte Möglichkeit bleibt die Flucht, die auch nicht befreit, weil sie nichts entscheidet. Am Ende steht echte Ratlosigkeit, weil keiner dem Bösen in den Arm fiel und alle unehrlich waren in der schillernden Welt des unbürgerlichen Bürgerlichen. Diese Lügenhaftigkeit findet ihre Verdich­ tung in dem Cafe am Hackeschen Markt, von dem der Erzähler sagt: „Scheunenviertel, Sophienkir­ che, Monbijou, Museumsinsel, Börse: zwischen Lastern, Geschäften, Perfidien, Traditionen, Mani­ pulationen, Korruption, Haß, Unter- und Oberwelt, Zuhältertum, Business, anrüchig, verderbt, ach, so herrlich heruntergekommen, ,asoziar und wunderbar morbid! . . . Nimmt man dazu Charite, Haupttelegrafenamt, Synagoge, Alten Judenfriedhof (Moses Mendelssohn ruht hier), nimmt man dazu Gestank, Düfte, Moder, Kontrabande, Schmuggel, weiße Sklaven, Kuriere, Hehler, Umstürz- lertum, hat man diesen Hackeschen Markt, Bowery und Haymarket zusammen, das warme, ver­ steckte Nest im Geäst von Spreearmen als Brutstätte aller komischen Vögel der Jazz-Ära..." — Das Ganze endet so absurd wie folgerichtig: Der Erzähler tötet auf seiner Flucht über den Französischen Friedhof zwei Grenzer. Er wiederholt — gedoppelt! — und stellvertretend sühnend den Mord, den er verfolgte. Geschah dies Auge um Auge, Zahn um Zahn? „Wir haben viele Mauern gebaut, zwischen Protestanten und Katholiken, die Mauer des Glaubens. Wir haben Todesstreifen gezogen zwischen Ost und West, die Mauer der Abgrenzung. Wir haben uns eingekapselt, die Mauer des Denkens, jeder eine Monade — welch eine teutsche Philosophie! Und wir haben den Kreidestrich gezogen zwischen Frau Welt und Freund Hein, die Mauer der Angst." (S. 309) Ob diese Erkenntnis den doppelt schuldig Gewordenen befreit, steht dahin. Es kann kaum einen Auf­ bruch geben „aus einer Zeit, in der Aufklärung zu Rechthaberei, Vernunft in Dogma, Verteidi-

139 gung zu Mord wurde, wo eine Zukunft verheißen wurde". — Das gilt für beide Seiten hinter der Mauer. Die Dinge seien vertauschbar. Die literarische Darstellung erfolgte in Anlehnung an Döblin, erreicht aber dessen hohe Kraft der Vergegenwärtigung des transzendent Seienden nicht, das eigentlich die Vorgänge steuert. Christiane Knop

Das Nikolaiviertel. Text: Günter Stahn, Farbtotos: Manfred Paul, 2. Aufl., Berlin: Verlag für Bau­ wesen 1991, 143 Seiten, viele Abbildungen in Farbe, alte Pläne. Das Buch bringt der ersten Auflage gegenüber („Das Nikolaiviertel am Marx-Engels-Forum. Ursprung, Gründungsort und Stadtkern Berlins. Ein Beitrag zur Stadtentwicklung", Berlin [Ost]: VEB Verlag für Bauwesen 1985) eine abgewandelte architektonische Beschreibung und Deutung der Nikolaiviertelkonzeption. Sie wirkt nun ärgerlich, da die anfängliche Darstellung trotz ihrer Ein- gebundenheit in die staatlichen Vorgaben des Entwerfers dennoch aufschlußreicher war, worauf auch der ursprünglich konkreter gefaßte Titel hinweist. Was 1985/86 nur in der Planung ein Ganzes, in der Ausführung aber noch unvollendet war, wird hier wieder aufgenommen. Wollte Verf. nun dessen Bedeutung unter veränderten Umständen ermessen, wäre es besser gewesen zu betonen, daß das ganze Konzept ein Versuch war, geboren aus dem Dilemma, an die Stelle des Nichts verspätet ein Etwas zu setzen, das den historischen Ort ins Bewußt­ sein bringen will, und dies zu einem Zeitpunkt, als überall im Lande das bloße Rekonstruieren suspekt geworden war. Bei einer solchen Verlegenheitslösung, zumal unter divergierenden Erwartungen der staatlichen Auftraggeber, war es ein mutiger Wurf, der um die Unausweichlichkeit wußte, daß ihm widersprochen werde. — Die zweite Auflage ist anstelle der möglich gewesenen Besinnung zur ideolo­ gischen Propaganda geraten. Man hätte nicht in eine gesellschaftspolitische Konstruktion zu steigen brauchen, um ein dem Bürgertum nachempfundenes Stadtbild herzustellen. Daß Straßen und Plätze des Viertels von Menschen angenommen worden sind, weist auf eine gesellschaftliche Wirklichkeit hin, die man nicht hochtrabend zu hinterfragen braucht. Auf der Suche nach den historischen Wurzeln des Gründungsortes Berlin hebt die Darstellung auf den Ort mittelalterlichen Bürgertums als der progressiven Klasse ihrer Zeit ab, wie das in der soziali­ stischen Geschichtsauffassung gesehen wurde. Sie nennt den Westriegel der Kirche in ihrer wehrhaf­ ten romanischen Erscheinungsform die Dominante, berücksichtigt aber auch den spätgotischen Hal­ lenumgangschor mit seiner Nähe zu Parier und sieht darin ein Abbild der hierarchisch abgestuften Gesellschaft des Mittelalters. — Als zweiter Gestaltungskern ist das Knoblauchhaus angeführt wor­ den, das im 18. und 19. Jahrhundert ein Mittelpunkt bürgerlich-geistigen Lebens war. — Das Ephraimpalais wird beschrieben, wie es sich in den Stadtraum einfügte. Ferner wird die Gerichtslaube als das Sinnbild der Stadtgerechtigkeit angeführt. — Auch die Bürgerhäuser in der Probststraße wer­ den daraufhin betrachtet, wie sie Maßstäbe setzen und eine räumliche Leitfunktion einnehmen. Aber dann beginnt das Ideologische. Statt die Durchbildung der Fassaden zu charakterisieren, wird das „Humanistische" gepriesen, eine Zutat, die nie fehlen durfte. Es folgen undifferenzierte Schlag­ worte, die nichts besagen. Ein Beispiel sei gegeben: „Diese Gebäudeanlagen mit Haus, Hof und Nebengelaß in ihrer typischen Erscheinungsform, ihrer Größe und ihrem Anblick, der räumlichen Gliederung und dekorativen Gestaltung vermitteln anschaulich die soziale Stellung des Bürgers im städtischen Gemeinwesen. Das bürgerliche Wohnhaus bildet den maßstabformenden Grundbaustein der lebendigen städtebaulichen Raumfolge mit ihren Straßen und Plätzen — zweifelsfrei eine schöpfe­ rische Leistung, die nach den Zerstörungen des Zweiten Weltkrieges besonders an Wert gewinnt als Brücke zu einer eigenständigen, anspruchsvollen Baukultur." (S. 55) Das umschreibt auch Quaken­ brück und besagt nichts über das beanspruchte Einmalige des erneuerten Nikolaiviertels in Berlin. So auch bei den Bildunterschriften: „Architektur muß wieder lesbar, deutbar und anspielend sein." (S. 73) — Was sollte sie sonst sein? Dabei hätte der Vorteil genutzt werden können, daß statt der Modelle-Abbildungen in der 1. Auflage nun Fotos vom Bestehenden den Text illustrieren. Aber auch sie wirken gestelzt und werden von Leer­ formeln begleitet. Eine gute Gelegenheit, daß der Entwerfer mit den Betrachtern ins Gespräch kommen kann, ist ver­ schenkt worden. Christiane Knop

140 Regina Stürickow, Der Insulaner verliert die Ruhe nicht. Günter Neumanns Kabarett zwischen Kaltem Krieg und Wirtschaftswunder. Berlin: arani-Verlag 1993, 212 Seiten, 39,80 DM. Wer kennt ihn nicht, den Refrain von „Der Insulaner verliert die Ruhe nicht" ? Er erklang zuerst 1948 und avancierte zur Erkennungsmelodie einer der populärsten Rundfunksendungen des leider nicht mehr bestehenden Senders RIAS Berlin. Das Funkkabarett von Günter Neumann „Die Insulaner" war Bestandteil eines lokalpatriotischen Antikommunismus, wie er wohl nur in der Zeit des Kalten Krieges entstehen konnte. Das Programm setzte sich aus Scherz, Satire und Ironie sowie einer Portion Ernsthaftigkeit zusammen und war verbunden mit dem Namen von Günter Neumann. Die Karriere des gebürtigen Berliners war sehr bewegt, hingewiesen sei nur auf zwei Schlaglichter: Als 17jähriger hatte er sein erstes Kabarett gegründet und ist dafür durch das Abitur gefallen. Seine späteren Revuen fanden im nationalsozialistischen Deutschland keine Gnade und hatten eine mehrmalige Verhaftung zur Folge. Der Soldat Neumann hatte das „Glück", in der Truppenbetreuung eingesetzt zu werden und in amerikanische Kriegsgefangenschaft zu geraten. Während der Blockade 1948 fand die Geburt des „Insulaners" statt, mit dem eine moralische Unterstützung der Bevölkerung organisiert wurde. Neumann war ein Humorist, der es verstand, „dem Volk aufs Maul zu schauen" und den Zeitge­ schmack zu treffen, oder mit den Worten der Verfasserin ausgedrückt: „Neumann hat die Zuhörer diesseits und jenseits des Eisernen Vorhangs über Dinge lachen lassen, die eher zum Weinen waren." Nach dem Bau der Mauer ließ das Interesse an der Insulaner-Sendung mehr und mehr nach, und sie wurde ein Opfer der Entspannungspolitik. Aber die Melodie lebt weiter. Kurt Schilde

Carsten Wurm, Jeden Tag ein Buch. 50 Jahre Aufbau-Verlag 1945—1995, Berlin: Aufbau-Verlag 1995, 157 Seiten, 62 Abbildungen, Anhang mit Autoren, Werken und Verlagsgeschichte im Über­ blick, 25 DM. Von der Freude und den Schwierigkeiten des Büchermachens in der einstigen DDR handelt dieses äußerlich knappe, doch inhalts- und aufschlußreiche Buch. Ob man die Formulierung „Jeden Tag ein Buch" als Aufforderung, täglich ein gutes Buch aus dem Aufbau-Verlag zu lesen, oder als Genug­ tuung, seine Produktion habe täglich ein Buch beschert, verstehen soll, in beidem spricht sich der Stolz auf eine respektable Leistung aus. Die dahinter verborgenen existentiellen Schwierigkeiten für Auto­ ren, Lektoren und Verlagsleiter waren groß. Hier wird ebenfalls der ehemalige West-Berliner ange­ sprochen, der die östliche Buchproduktion interessiert verfolgte, sobald er erkannt hatte, wie anre­ gend z. B. die Begegnung mit der sorgfältig vermittelten Klassik war. Von den Restriktionen und ideo­ logischen Vorgaben erfährt er durch die vorliegende Darstellung erst jetzt. Die Verlagsgeschichte von 1945 bis 1995 wird in fünf Kapiteln abgehandelt, wovon der Beginn in der Trümmersituation des Kriegsendes und das Sich-Vortasten zur Öffnung nach dem Westen in den 60er Jahren und unmittelbar vor der Wendezeit („Zwischen Goethehaus und Elephant") am eindrucks­ vollsten zu lesen sind. Der schnelle Aufstieg aus dem Nichts ist fast ebenso erstaunlich wie das spätere Ins-Abseits-Geraten und doch Sich-über-Wasser-Halten zwischen den kulturpolitischen Direktiven des Politbüros seit Biermanns Ausbürgerung. Dies ist wirklich ein entscheidendes Datum. Danach ist nichts mehr so wie zu Beginn, obwohl das mutige Aufstehen einiger Verlags-Autoren für einen Ver­ femten den Verlag in schwere Wasser brachte. Die geistige Verhärtung blieb unumkehrbar und immer schwerer angehbar. Dennoch oder gerade deshalb nahm die Buchproduktion eine höchst achtens­ werte Qualität an, die auch über die DDR weit hinauswirkte. Seine literarischen Publikationen wur­ den unter anderem zur Grundlage in bundesdeutschen Seminaren. Die Berichterstattung über die politischen Restriktionen erfolgt recht sachlich, fast unterkühlt, und sie hält die Mitte zwischen Anklage der Umstände und Selbstbewußtsein im Dennoch. Gut nachvollziehbar ist das Einströmen erster Anregungen in das geistige Vakuum, welches das Dritte Reich hinterlassen hatte. Aber die Ver­ lagsgründer Kurt Wilhelm, Heinz Willmann, Klaus Gysi und Otto Schiele konnten auf die fast unbän­ dige Lesewut der Trümmerjahre setzen. In dieses Nichts hinein wirkte zunächst die Exilliteratur, sowohl die der inneren Emigration — genannt werden u. a. Carossa und Wiechert—wie die der eigent-

141 liehen Emigranten. Vom „Brückenkopf für die Exilliteratur" ist die Rede, die z. B. Bloch und den Brüdern Mann „den Boden in Deutschland bereitete". Doch schon bald geriet man durch das Sich- Festigen der Zentralverwaltung für Volksbildung (seit 1947) in eine Polarisierung, die die Gemäßig­ ten an den Rand drängte, doch den Aufbau-Verlag in seine besondere Rolle schob. Er wurde zum „Staatsverlag für schöne Literatur", wie Thomas Mann ihn nannte. Das hieß, die Programmgestal­ tung erfolgte im Rahmen der Richtlinien von SED und Sowjetischer Militärmacht. Die Zeitschrift „Aufbau", später „Sinn und Form" unter Peter Huchel, hatte den Boden bereitet, dann bündelten sich alle gutwilligen Kräfte in der Herstellung und Herausgabe klassischer Dichtung, darunter so weniger bekannter wie Grabbe und Bräker. Doch in dem Maße, in dem der Kulturbund zur demokratischen Erneuerung Deutschlands unter seinem ersten Präsidenten Johannes R. Becher das kulturelle Leben bestimmte, nahmen die Restriktionen zu, gab es ein Hin und Her zwischen Lockerungen, Verdikten und schließlich ein gewisses Ausweichen in die Romane Jüngerer oder die Erzähler des 19. Jahrhun­ derts. Verf. berichtet von einer Zeit der Sammlung, in der auch die Dichtung von vorwiegend links­ bürgerlichen Erzählern der zwanziger Jahre wiederentdeckt wurde. Noch setzte Heinrich Mann, lin­ ker Exilant und nun Präsident des Kulturbundes, die Maßstäbe, und 1950 konnte der Verlag auf ein solides Programm und einen expansiven Vertrieb zurückblicken. — Während die Älteren vom verord­ neten Programm der „landwirtschaftlichen Dichtung" abrückten, wurde Platz für Jüngere wie Günter Kunert. Brecht nahm die erste Fühlung auf, aber das Verhältnis zur DDR und zu Aufbau gestaltete sicherst 1951 erfolgreicher. Der junge Uwe Johnson allerdings wurde als Pazifist abgelehnt. Aber als neu und verdienstvoll gilt die Publikation wohlfeiler Klassikerausgaben, mit denen sich Arbeiter eine eigne Bibliothek aufbauen sollten. Man begann mit Heine und Lessings „Nathan" und griff dann zu den Romanen der Weltliteratur, Den Schwenks der Kulturpolitik wird nachgegangen, Namen wie Walter Janka, Wolfgang Harich, Hans Mayer und Gotthard Erler bekommen Profil und ergänzen, was der westliche Beobachter damals nur lückenhaft verfolgte. Andererseits wußte er wenig vom Einfallsreichtum und der Einsatz­ freude und dem Verantwortungsbewußtsein der Verlagsleiter, Lektoren und Redakteure. Wolfgang Harich war seit 1954 mit großem Ernst Stellvertretender Cheflektor für Klassisches Erbe und Philoso­ phie. In kurzer Zeit und unter schwierigen Bedingungen war der Aufbau-Verlag zum klassischen Verlag für klassisches Schrifttum geworden und zeugte vom Bildungseifer der Besten. Er kann es sich zum Ver­ dienst anrechnen, immer um geistige Öffnung — auch zum Blick über die Mauer—bemüht gewesen zu sein und sich dem Anspruch hoher Literatur verpflichtet gefühlt zu haben. So wird weiterhin von einem vielseitigen und guten Buchprogramm berichtet. Es folgt die Rechenschaft über das ganze Spektrum der verschiedenen Reihen wie Taschenbücher, den Bänden für den Aufbau einer eignen schönen Bibliothek, für die Prägung eines fundierten Bildes von der griechischen und römischen Antike durch musterhafte moderne und dichterisch ansprechende Übersetzungen, für die Vermitt­ lung von Weltliteratur, darunter der Adaption südamerikanischer Dichtung, die so erst den westli­ chen Lesern bekannt wurde. Die Hereinnahme bundesdeutscher Autoren erfolgte zögernd, u. a. von einer Filiale in Hamburg. So verhalf die Breite des Angebotes zum Überleben und Standhalten gegen ideologischen Druck. Mit Recht wird das Anspruchsvolle und Verantwortungsbereite hervorgehoben. Das herausragende Beispiel ist die 40bändige Berliner Goethe-Ausgabe, der Hamburger gleichwertig. Als ein wirkliches literarisches Institut und von wissenschaftlichen Betrieben in Ost und West favorisiert, bestachen die Studienausgaben durch einen gründlich erarbeiteten Text, ausführliche Angaben über Entstehungs­ geschichte, fundierte Kommentierung und einen Überblick über die Wirkungsgeschichte. Die Her­ ausgeber Hans Mayer, Peter Goldammer und Gotthard Erler setzten darin weltweit anerkannte Maß­ stäbe. — Von der „enthusiastisch vorangetriebenen" Fontane-Ausgabe ist die Rede, die zu einer Neu­ bewertung des Dichters führte, noch ehe man sich im Vorfeld der Wende im Westen neu seiner bemächtigte. Die als „Renaissance" bezeichnete Zukunft, auf die man hofft, ist ungewiß und von innerer Unsicher­ heit begleitet, doch der Stolz auf die Leistung bleibt als Grundlage des Fortschritts und läßt den Verlag und die Leser hoffen. Im Anhang wird die „Verlagsgeschichte im Überblick" gegeben, aufgeschlüsselt nach den jährlichen Bucherscheinungen. So kann der Leser die Entwicklung sich nach seinen persönlichen Erfahrungen und Interessen selbst herstellen. Christiane Knop

142 Es stellt sich vor: Deutsche Stiftung Denkmalschutz

„Damit Vergangenheit Zukunft hat" — unter diesem Motto wurde 1985 die Deutsche Stiftung Denkmalschutz unter der Schirmherrschaft des Bundespräsidenten gegründet. Erklärtes Ziel dieser privaten Stiftung ist seither, sich „unkonventionell und rasch handelnd da einzusetzen, wo die anderen Wege nicht zum Erfolg führen", wenn es darum geht, historisch oder kulturell besonders wichtige Baudenkmale zu erhalten. Wenige Jahre nach ihrer Gründung sah sich die Stiftung durch die Öffnung der Grenzen und die folgende Wiedervereinigung einer ungeahn­ ten Herausforderung gegenüber. Die über Jahrzehnte vernachlässigte Bausubstanz der Kultur­ landschaften zwischen Ostsee und Erzgebirge, Harz und Oderbruch drohte verlorenzugehen. Schnelle Hilfe war — und ist! — gefordert. Seit 1990 liegt daher der Förderungsschwerpunkt der Stiftung im Osten Deutschlands. Die Palette der 1991 bis 1994 geförderten 589 Förderpro­ jekte reicht dabei von der imposanten Georgenkirche in Wismar bis hin zu der kleinen, barok- ken Dorfkirche in Plänitz, von den feudalen Herrensitzen in Brandenburg bis hin zur Arbeiter­ siedlung in Wittenberg-Piesteritz, vom Renaissance-Friedhof in Halle bis hin zum Schiffshebe­ werk in Niederfinow. Dabei will die Stiftung nicht die öffentliche Hand — Bund, Länder und Gemeinden — aus ihrer Verantwortung für den Denkmalschutz entlassen. Sie will vielmehr dort Anstöße geben, wo andere Fördermittel nicht oder nur dann zur Verfügung stehen, wenn durch den Eigentümer ein Eigenanteil erbracht wird. Hier kann die Stiftung durch ihre Förde­ rung oft zusätzliche Mittel für das bedrohte Bauwerk erwirken. Die Vielfalt der bedrohten Denkmale läßt sich an den Förderprojekten der Deutschen Stiftung Denkmalschutz in Berlin erläutern. Zu den Projekten der Stiftung gehören Bauten wie die Zionskirche, die im öffentlichen, kirchlichen und kulturellen Leben der Stadt fest eingebunden sind. Ebenso aber auch die Ruine der Elisabethkirche, die vor weiterem Verfall gesichert wer­ den mußte. Oft können an öffentlichen Bauten wie etwa dem Maxim-Gorki-Theater oder der Kirche des Griesinger-Krankenhauses die Fördermitttel der Stiftung als Anstoß oder zusätzli­ che Ergänzung anderer Mittel buchstäblich die „Not wenden". Daß Denkmalschutz nicht nur etwas mit dem berühmten Blattgold an der Fassade zu tun hat, zeigen zwei weitere Projekte der Stiftung in Berlin besonders deutlich: die Taut-Siedlung in der Trierer Straße und die Carl- Legien-Siedlung. Die vorbildlichen Siedlungsbauten der 20er Jahre konnten mit Hilfe der Stif­ tung saniert werden und zeigen heute wieder das Erscheinungsbild, das sie in ihrer Entste­ hungszeit zu den hochgelobten neuen Alternativen zu den Mietskasernen und Hinterhöfen Berlins gemacht hat. Mit verschiedenen Sonderprogrammen versucht die Deutsche Stiftung Denkmalschutz, spe­ ziellen Denkmalgruppen oder für bestimmte Landstriche typischen Bauformen gerecht zu werden. So hat sie speziell für die Vielzahl der landschaftsprägenden Dorfkirchen gemeinsam mit den Landeskirchen und den Landesdenkmalämtern ein Dorfkirchen-Programm aufgelegt. Verschiedene Bürgerhaus-Programme in einzelnen Städten helfen, Einzelelemente wie Fen­ ster, Türen, Fassadengestaltung und Dachgauben, die den Straßenraum prägen, denkmalge­ recht zu erhalten. In Sachsen entstand ein Umgebindehaus-Programm, in Quedlinburg wurde ein Fachwerkhaus-Programm ins Leben gerufen. In Berlin wurde mit dem Landesdenkmalamt ein spezielles Programm für die Förderung von Treppenhäusern abgesprochen. Seit 1995 steht mit der Sanierung des Denkmals Friedrichs II. Unter den Linden ein ganz besonders promi­ nentes Zeugnis der Vergangenheit auf der Projektliste der Stiftung. Die Stiftung hat in den letzten Jahren die erfreuliche Erfahrung machen können, daß im Enga­ gement für das bedrohte Kulturerbe das Gefühl der Bürger für die gemeinsame Verantwortung

143 stark ist. Diese Erfahrung könnte wegweisend für andere Bereiche sein, in denen nach der Wie­ dervereinigung dieses gemeinsame Verantwortungsgefühl noch entwickelt wird. Gemeinsam mit inzwischen rd. 50 000 Förderern wird die Deutsche Stiftung Denkmalschutz ihren Beitrag dazu leisten, der nächsten Generation das reiche und vielfältige Erbe an Zeugnissen der wech­ selvollen Geschichte zu hinterlassen. Denn aus diesen Wurzeln kann die Kraft und das Wissen für eine verantwortungsbewußt gestaltete Zukunft genommen werden. Professor Dr. Gottfried Kiesow Vorstandsvorsitzender der Deutschen Stiftung Denkmalschutz, Koblenzer Straße 75, 53177 Bonn

Aus den Berliner Museen

Altes Museum — Alte Nationalgalerie: „Corinth". Ein Höhepunkt unseres diesjährigen Veranstal­ tungsprogramms war die Führung durch die große Corinth-Retrospektive mit der Kustodin Dr. Andrea Bärnreuther am 22. August 1996. Die Ausstellung ist das Ergebnis einer internationalen kunstwissenschaftlichen Zusammenarbeit, deren Anspruch es war, das spröde und heterogene Werk des Malers in seinem ganzen Umfang einem ebenso internationalen Publikum näher vor Augen zu führen. Corinth, 1858 in Tapiau/Ostpreußen geboren, studierte in Königsberg, München, Antwer­ pen und Paris, um dann von 1901 an in Berlin zu leben und zu arbeiten, wo er 1915 Präsident der Sezession wurde. Er starb 1925 in Zandvoort. Sein Werk umfaßt Ölgemälde, Aquarelle und Zeich­ nungen, Radierungen und Lithographien sowie Buchillustrationen. Dem realistischen Stil der frühen Jahre folgt die impressionistische Phase, dieser der expressionistische, drastische Naturalismus im Spätwerk. Bis 20. Oktober 1996, Di. bis So. 9 bis 17 Uhr. GerhildKomander

„Manet bis Van Gogh, Hugo von Tschudi und der Kampf um die Moderne". Das Sammeln moderner französischer Kunst im Wilhelminischen Kaiserreich, die führende Rolle der deutschen Museen beim Erwerb von Werken der Impressionisten, allen voran die der Nationalgalerie unter Hugo von Tschudi, das ist das Thema dieser großen Ausstellung in der Alten Nationalgalerie. Tschudis Ankäufe, seine Freunde und seine Gegner sind Gegenstand dieser Ausstellung aus Anlaß seines Amtsantritts vor 100 Jahren. Im Zentrum der Ausstellung stehen die Meisterwerke der modernen französischen Kunst, die damals von Museen und Sammlern in Deutschland erworben wurden. Außer Hugo von Tschudi für die Berli­ ner Nationalgalerie sind dies die Erwerbungen Alfred Lichtwarcks für die Hamburger Kunsthalle, Gustav Paulis für die Kunsthalle Bremen, Carl Ernst Osthaus' für das Museum Folkwang, Georg Swarzenskis für das Städelsches Kunstinstitut Frankfurt a. M., Georg Treu für die Dresdener Skulptu­ rensammlung, Friedrich Lippmann und Max Lehrs für das Kupferstichkabinett Berlin. Tschudis Sammlerfreunde gehörten meist zum jüdischen Großbürgertum Berlins. In ihren Sammlun­ gen, etwa bei den Bernsteins und bei Eduard Arnhold in Berlin, ist Tschudi erstmals der modernen französischen Kunst begegnet. Die Person Hugo von Tschudis, seine geistige Herkunft aus dem Marees-Kreis und seine Leistung für die Revision der deutschen Kunst des 19. Jahrhunderts bildet den dritten thematischen Schwerpunkt dieser Ausstellung. Es ist somit eine Ausstellung über die Meisterwerke des französischen Impressionismus in Deutsch­ land und zugleich eine Ausstellung über die Entwicklung Berlins zur Metropole der Moderne unter dem Einfluß einer von der zeitgenössischen Kunst leidenschaftlich inspirierten Elite. Tschudis sensa­ tionelle Ankäufe brachten ihn in Bedrängnis mit der kaiserlichen Kunstpolitik. 1909 wurde er Gene­ raldirektor der Bayerischen Staatsgemäldesammlung in München, wo er seine Sammeltätigkeit der modernen französischen Kunst — ebenfalls gegen große Widerstände — fortsetzte. Bis 6. Januar 1997, Di. bis So. 9 bis 20 Uhr.

144 Arbeitskreis Berliner Regionalmuseen: „Wir sichern Ihre Vergangenheit. Aus den Sammlungen der 23 Berliner Heimatmuseen". Die diesjährige Gemeinschaftsausstellung des ABR versteht sich als Informations- und Leistungsschau und soll die thematische Bandbreite der Museen dokumentieren. Im Rahmen einer Gesamtschau lassen sich auch die besonderen Arbeitsschwerpunkte der jeweiligen Häuser erkennen. Denn jedes der 23 Heimatmuseen geht eigene Wege bei der Erforschung, Darstel­ lung und Vermittlung lokaler Geschichte. Ribbeck-Haus, Breite Straße 36. Bis 10. November, Mo. bis Fr. 10 bis 19 Uhr. U.

Brücke-Museum: „Max Pechstein — Sein malerisches Werk". Retrospektive. Max Pechstein (1881 bis 1955) gilt als einer der „Klassiker" des Expressionismus. In den Jahren vor dem Ersten Weltkrieg gehörte er zur Avantgarde und hat mit revolutionierenden Stilmitteln der deutschen Kunst neue Wege gewiesen. In den 20er Jahren war er einer der erfolgreichsten Vertreter der Moderne. Nach 1945, nach der Zeit der Diffamierung durch das Dritte Reich, bildete sein expressiver Realismus einen wichtigen Gegenpol zu Informel und Abstraktion. Bussardsteig 9. Bis 1. Januar 1997, Mi. bis Mo. 11 bis 17 Uhr. U. Heimatmuseum Köpenick: Anläßlich des 90. Jubiläums der sogenannten „Köpenickiade" am 16. Oktober 1996 hat sich Museumsleiter Claus-Dieter Sprink, den wir bei unseren beiden Köpenick- Führungen im vergangenen Jahr als rührigen Kulturmanager kennenlernten, mehrere Überraschun­ gen ausgedacht: Am 15. Oktober best unser Vorstandsmitglied Dr. Winfried Löschburg im Rathaus aus seinem jüngsten Buch die Geschichte des „Hauptmanns von Köpenick" vor. Am 16. Oktober wird um 15.30 Uhr an gleicher Stelle die Ausstellung „Unterordnen? Gewiß?! Aber unter wat drun­ ter?! — Vom Schuster Wilhelm Voigt zum ,Hauptmann von Köpenick'" eröffnet. Anschließend wird ein Denkmal für den berühmten „Offizier" eingeweiht (16.30 Uhr). U. Heimatmuseum Wedding: „Schulen im Wedding". Unsere Bibliothek wurde um eine umfangreiche Materialsammlung zur Schulgeschichte des Bezirks Wedding bereichert. Wer schon immer wissen wollte, wie viele Mädchenklassen die 1877 in der Freienwalder Straße 39 gegründete und 1905 in die Christianstraße 4—6 verlegte 97. Gemeindeschule unter dem Rektor Ernst Wienecke im Jahre 1911 hatte, wird nun endlich aufgeklärt: Die richtige Zahl heißt 19. Was sich hier auf den ersten Blick als klassische Arbeitsbeschaffungsmaßnahme, die sie tatsächlich auch war, präsentiert, ist bei näherer Betrachtung doch ein wichtiger Beitrag zur Lokalgeschichte. Die Recherchen beginnen im Jahre 1821 und enden in der Gegenwart. Mehr als 100 Namen und Bezeichnungen hatten die Weddinger Schulen in den letzten 175 Jahren. Wir lernen, daß in den alten Schulgebäuden, die für jeden ehemaligen Schü­ ler einzigartige Erinnerungen bergen, oftmals innerhalb weniger Jahrzehnte die Schulen wechselten. Raumnot und Schulneugründungen führten bereits zur Jahrhundertwende zu häufigen Umzügen. Auch damals verschlang der Schulhausbau gewaltige Summen. Von 1872 an werden die Schülerzah­ len aufgeführt, so daß Rückschlüsse auf die Bevölkerungsentwicklung möglich sind. Ein weiteres Ergebnis dieser Sisyphusarbeit ist, daß Wedding aufgrund seiner gut besuchten privaten Höheren Mädchenschulen keineswegs ein reiner Arbeiterbezirk gewesen sein kann, als der er meist gesehen wird. Fotos von heute nicht mehr stehenden Gebäuden — wie zum Beispiel der ersten Schule in der Schulstraße — lassen Stadtgeschichte lebendig werden. Das Heimatmuseum Wedding und die Auto­ rin Marion Melk-Koch leisteten auf diese Weise Grundlagenforschung, die Rückschlüsse auf allge­ meine Lebensbedingungen erst ermöglicht. Gerade hier zeigt sich die Bedeutung und Berechtigung unserer bezirklichen Heimatmuseen. U.

Kunstforum in der Grundkreditbank: Die Kunstbibliothek SMB PK zeigt bis zum 20. Oktober 1996 in den Räumen des Kunstforums in der Grundkreditbank die Zeichnungen Karl Friedrich Schinkels zur Bauakademie, dazu Terrakotten und Baufragmente des 1962 abgerissenen Gebäudes. Auch die im 19. Jahrhundert entfernten Fresken sind zu sehen. Für einen weiteren Teil der Ausstellung wurde die Nutzungsgeschichte der Bauakademie bearbeitet, die zunächst erfolgte Rekonstruktion der Nach­ kriegszeit und der spätere Abriß dokumentiert, sowie ein Blick auf die Planungen zum Wiederaufbau geworfen. Dieser zweite Abschnitt der Ausstellung wird vom 1. November bis zum 26. Dezember 1996 am gleichen Ort zu sehen sein. Kunstforum in der Grundkreditbank, Budapester Straße 35, Mo bis So 10 bis 18 Uhr. Gerhild Komander

145 Sammlung Berggruen: Berlin ist um eine Kunstsammlung reicher geworden! Seit dem 6. September wird im westlichen Stüler-Bau in Charlottenburg die Ausstellung „Picasso und seine Zeit — die Sammlung Berggruen" für zehn Jahre als Leihgabe gezeigt. Der eigens dafür innenarchitektonisch umgestaltete und renovierte Bau präsentiert dem Berliner Publikum Bilder und Skulpturen Pablo Picassos, Gemälde und Papierarbeiten von George Braque, Paul Cezanne, Vincent van Gogh, Paul Klee und George Seurat, Plastiken von Alberto Giacometti und Henri Laurens sowie eine Auswahl afrikanischer Stammeskunst. Die Sammlung des 1914 in Berlin geborenen Heinz Berggruen entstand aus ganz persönlichen künstlerischen Vorlieben, zu deren Zentrum früh schon das Werk Picassos wurde. Als Sohn einer jüdischen Kaufmannsfamilie mußte Berggruen, der neben dem Literatur- und Sprachenstudium für die Frankfurter Zeitung journalistisch tätig gewesen war, Deutschland 1936 verlassen, studierte in Berkeley, Kalifornien, kehrte als amerikanischer Ziviloffizier 1944 nach Europa zurück und wurde 1947 nach einer Tätigkeit bei der UNESCO in Paris zum Kunsthändler. Die großzügige Leihgabe Heinz Berggruens beschert der Stadt Berlin für ein Jahrzehnt den einzigen van Gogh, den die Stadt seit der Plünderung durch die Nationalsozialisten beherbergen darf, dazu einen Reigen von Kostbarkeiten an Bildern und Skulpturen um einen repräsentativen Ausschnitt aus dem Werk Picassos, wie er bislang hier nicht zu sehen war. Unser Verein wird am 8. Februar 1997, 14 Uhr, von Silke Hellmuth M. A. durch die Sammlung geführt (vgl. Veranstaltungsprogramm). GerhildKomander

Wir begrüßen folgende neue Vereinsmitglieder (111/96):

Camphausen, Dr. Gabriele, Historikerin Matzner, Dr. Joachim, Rentner Oldenburger Straße 23 (ehem. Leiter d. Abt. „Ernste Musik" im 10551 Berlin-Tiergarten Bayer. Rundfunk) Telefon 3 95 73 85 (Dr. M. Uhlitz) Humboldtstraße 25 Kroschinski, Kurt 15732 Eichwalde Georgenstraße 19 Telefon 6 75 58 35 (Dr. M. Uhlitz) 12209 Berlin-Lichterfelde Pawlik, Eva-Maria, Diplom-Bibliothekarin Telefon 71154 76 (Dr. M. Uhlitz) Altdammer Weg 12 Kruschke, Hans-Dieter, Beamter 13503 Berlin-Heiligensee Huttenstraße 8 Telefon 4 3187 40 (S. Behrendt) 13465 Berlin-Frohnau Schulze, Erich, Rechtsanwalt u. Notar Landsberg, Kurt-Christoph, Rechtsanwalt Klausener Platz 14 Breisgauer Straße 24 14059 Berlin-Charlottenburg (D. Zöbl) 14129 Berlin-Schlachtensee

Veranstaltungen im IV. Quartal 1996

31. Sonntag, 6. Oktober 1996 (Erntedankfest), 11 Uhr: „Parkfriedhof Lichterfelde", Friedhofsführung mit Dr. Uta Lehnert, Autorin des neuerschienenen Buches „Den Toten eine Stimme — Der Parkfriedhof Lichterfelde". Vgl. die Rezension in diesem Heft. Thuner Platz 2-4. Busse: 110, 112, 185, 283. 32. Sonntag, 13. Oktober 1996, 7.30 Uhr: „Schlösser, Parks und Gärten in Brandenburg: Baruth, Golssen, Lübbenau, Stechau, Lebusa, Dahme", mit Dr. Gerd-H. Zuchold, Präsident des Landesheimatverbands Brandenburg e.V. Abfahrt und Ende: Rathaus Charlottenburg, Otto-Suhr-Allee 100; Bus der Fa. „Pivotti VIP Bus Service". Die Fahrt ist ausgebucht. 33. Freitag, 18. Oktober 1996, 17 Uhr: „Führung im Abgeordnetenhaus von Berlin (.Preußischer Landtag')" mit Hendrik Kühler, Protokoll des Abgeordnetenhauses. U- und S-Bahn Potsdamer Platz; Busse: 129, 142, 248, 341, 348.

146 34. Sonntag, 20. Oktober 1996,11 Uhr: „Führung im Treptower Park" — Veranstaltungs­ ort der Berliner Gewerbeausstellung 1896, beliebtes Ausflugsziel der Berliner um die Jahrhundertwende. Mit Dana Schultze, Kunsthistorikerin und Autorin des neuerschie­ nenen Buches „Streifzüge durch Treptow" (Stapp-Verlag). Vgl. Rezension in diesem Heft. Treff: S-Bahnhof Treptower Park, Ausgang Parkseite. 35. Montag, 28. Oktober 1996, 17 Uhr: „Führung in der Gedenkstätte Hohenschönhau­ sen" mit Dr. Gabriele Camphausen, wissenschaftliche Leiterin der Gedenkstätte. Die Untersuchungshaftanstalt Hohenschönhausen diente als zentrale Untersuchungshaftan­ stalt des NKWD (Volkskommissariat für Innere Angelegenheiten der UdSSR) und des Ministeriums für Staatssicherheit der ehemaligen DDR. Sie ist eine bauliche Dokumen­ tation eines vom MfS ausgehenden psychischen Terrors und zeigt die Perfektion des poli­ tischen Strafvollzugs. Ort: Genslerstraße 66. Günstige Verbindung vom U-Bahnhof Rosa-Luxemburg-Platz (U2): Dort steigen Sie aus, verlassen die Station in Fahrtrichtung, überqueren die 1. Hälfte der Straße (Tor­ straße) und nehmen die Straßenbahn 5 oder 15 (Richtung Hohenschönhausen/Zingster Straße bzw. Falkenberg) und fahren bis „Freienwalder Straße" (= 14. Haltestelle). An der Kreuzung, an der Sie aussteigen, beginnt die Freienwalder Straße, die Sie dann bis zum Ende hinunterlaufen müssen. Eine andere Möglichkeit: Straßenbahnen 6, 7,17 ab Rosenthaler Platz bis Genslerstraße. 36. Sonnabend, 9. November 1996, 13 Uhr: „Ortsteilrundfahrt Frohnau" mit unserem Vorstandsmitglied Dr. Christiane Knop. Treff: vor dem S-Bahnhof Frohnau. Die Fahrt ist ausbebucht. 37. Freitag, 15. November 1996,19 Uhr: „Das schöne und das auswechselbare Berlin. Die Hohenzollern und die Demokratie als Bauherr in Berlin". Vortrag unseres Mitglieds Karl Heinz Rose, Direktor der Volkshochschule Steglitz i. R. Ort: Rathaus Charlotten­ burg, Otto-Suhr-Allee 100, Pommernsaal. 38. Freitag, 22. November 1996,19 Uhr: „Die geschichtliche Entwicklung der Dorotheen- stadt bis zur Reichsgründung", Vortrag mit Overhead-Projektor von Dr. Volker Wag­ ner, Historiker. Ort: Rathaus Charlottenburg, Otto-Suhr-Allee 100, Pommernsaal. 39. Montag, 25. November 1996,17 Uhr: „Hinter den Kulissen der Komischen Oper Ber­ lin mit anschließendem Besuch der Vorstellung ,La Boheme' von Puccini". Führung durch das Gebäude mit Ing. oec. Hans-Joachim Schwalenberg und anschließender Ein­ führung in die Abendvorstellung. Vor Vorstellungsbeginn (19 Uhr) Gelegenheit zu einer Stärkung in der Mitarbeiter-Kantine. Teilnehmerpreis: 39,50 DM pro Person. Anmel­ dung: Überweisung von 39,50 DM an Dr. M. Uhlitz, bei der Postbank Nr. 47 73 52-100 (BLZ 100 100 10) bis zum 3. November. Treff: Komische Oper Berlin, Behrenstraße 55-57. 40. Freitag, 29. November 1996, 18 Uhr: „Marianne und Germania 1789-1889" - Frankreich und Deutschland. Zwei Welten — Eine Revue. Wir werden in kleinen Grup­ pen ä 20 Personen durch die Ausstellung der 46. Berliner Festwochen geführt. Anmel­ dung daher unbedingt erforderlich: SchrLt. Dr. Uhlitz, Tel: 3 05 96 00. Martin-Gropius- Bau, Stresemannstraße 110, am Eingang ist ein Eintrittsgeld von 8 DM (erm. 4 DM) zu zahlen. 41. Sonntag, 1. Dezember 1996, 17.30Uhr: „Weihnachtsfeier des Vereins für die Geschichte Berlins, gegr. 1865, im Raum .Berlin" des Cafes Kranzler" mit Vortrag „Weihnachtszeit im alten Berlin" unseres stellv. Vorsitzenden Hans-Werner Klünner. Festliches Abendmenü: Brokkolirahmsuppe mit Sahnehaube und Mandeln + Englische Fleischente mit Maronen, Rosenkohl und Kartoffelplätzchen + Eisbombe „Kranzler" mit Teegebäck (Sonderwünsche sind möglich). Preis des Menüs: 38 DM. Verbindliche Anmeldung bitte auf einer Postkarte bis zum 20. November an: SchrLt. Dr. Uhlitz, Brix- platz 4, 14052 Berlin. 42. Mittwoch, 11. Dezember 1996, 18 bis 19.30 Uhr: „Manet bis Van Gogh, Hugo von Tschudi und der Kampf um die Moderne". Ausstellungsführung mit Silke Hellmuth M. A., Kunsthistorikerin. Eintritt in die Ausstellung: 12 DM, ermäßigt 6 DM. Treff: Alte Nationalgalerie, Eingangshalle. (Das Haus ist bis 22 Uhr geöffnet.) Vgl. S. 144 in diesem Heft. Donnerstag, 9. Januar 1997, 18 Uhr: „Führung in der ehem. Kaiser-Wilhelm-Akade­ mie — dem künftigen 1. Dienstsitz des Bundesministers für Wirtschaft". Mit Dr. Karl- Heinz Schlesier, Referent im Bundesfinanzministerium. Treff: Haupteingang Invaliden­ straße 48—49/Scharnhorststraße 36—37. U6 (Zinnowitzer Straße), S-Bahn (Lehrter Stadtbf.), Busse 245, 340. Freitag, 17. Januar 1997,16.30 Uhr: „Führung durch die Ausstellung zum 100. Todes­ tag J. A. W. von Carstenns". Mit Armin A. Woy, Pluspunkt e.V. Die Ausstellung des Kulturamts Steglitz würdigt Leben und Werk des Begründers der Villenkolonie Lichter­ felde. Treff: Eingangshalle der Schwartzschen Villa, Grunewaldstraße 55. U 9 (Rathaus Steglitz). Montag, 20. Januar 1997, 19 Uhr: „Stand und Perspektiven der Museumsplanung in Berlin". Vortrag von Professor Dr. Günter Schade, stellv. Generaldirektor der Staat­ lichen Museen zu Berlin — Preußischer Kulturbesitz. Ort: Remise des Ägyptischen Museums Berlin-Charlottenburg, Eingang Spandauer Damm 7 (am Meilenstein). Busse: X 21, X 26, 109, 110, 145. Im Anschluß an den Vortrag lädt der Vorstand die Damen und Herren unseres Vereins zu einem Glas Sekt ein. Sonnabend, 8. Februar 1997,14 bis 15.30 Uhr: „Picasso und seine Zeit. Die Sammlung Berggruen." Ausstellungsführung mit Silke Hellmuth M. A„ Kunsthistorikerin. Eintritt in die Ausstellung: 8 DM, ermäßigt 4 DM. Treff: westlicher Stülerbau, Schloßstraße Nr. 1, Berlin-Charlottenburg. Busse: X 21, X 26, 109, 110, 145. Vgl. S. 135ff. und S. 146 in diesem Heft. Vorankündigung: Sonnabend, 22. Februar 1997, 13 Uhr: „Tatort Berlin — Kriminal­ fälle, welche die Stadt bewegten". Stadtrundfahrt mit Peter Steinmann. Auf den Spuren der unterschiedlichsten Verbrechen führt eine Rundfahrt zu den interessantesten Tator­ ten der letzten 100 Jahre. Abfahrt und Ende: Rathaus Charlottenburg, Otto-Suhr-Allee Nr. 100. Bus der Fa. „Pivotti VIP Bus Service". Anmeldung: Scheck über 23 DM an SchrLt. Dr. Uhlitz, Brixplatz 4, 14052 Berlin.

Bibliothek: Berliner Straße 40, 10715 Berlin-Wilmersdorf, Telefon (0 30) 8 73 2612. Geöffnet: mittwochs 15.30 bis 19.00 Uhr. U7 (Blissestraße), Bus 101, 104, 204, 249. Vorsitzender: Senator und Bürgermeister von Berlin a. D. Hermann Oxfort, Breite Straße 21,13597 Berlin-Spandau, Telefon 3 33 24 08. Geschäftsstelle: Ingeborg Schröter, Brauerstraße 31, 12209 Berlin-Lichterfelde/Ost, Telefon 7 72 34 35. Schriftführer: Joachim Strunkeit, Roedernstraße 48, 13467 Berlin-Reinickendorf, Telefon 4041449. Schatzmeister: Karl-Heinz Kretschmer, Greveweg 6,12103 Berlin-Tempelhof, Telefon 7 53 42 78. Konten des Vereins: Postbank Berlin (BLZ 10010010), Kto.-Nr. 433 80-102,10559 Berlin; Berli­ ner Bank AG (BLZ 100 200 00), Kto.-Nr. 03 81801200. Die MITTEILUNGEN erscheinen vierteljährlich zum Quartalsanfang. Herausgeber: Verein für die Geschichte Berlins, gegr. 1865, Schriftleitung und Veranstaltungsorganisation: Dr. Manfred Uhlitz, Brixplatz 4, 14052 Berlin-Charlottenburg, Telefon 3 05 96 00 und 01715 2012 01, Fax 3 05 38 88; Dr. Christiane Knop, Rüdesheimer Straße 14, 13465 Berlin-Frohnau, Telefon 4014307; Beiträge bitte an die Schriftleiter senden. Redaktionsschluß: 1. März, l.Juni, 1. September, 15. November. Abonnementspreis ist durch den Mitgliedsbeitrag gedeckt. Bezugspreis für Nichtmitglieder: 36 DM jährlich. Neumitglieder sind herzlich willkommen! Jahresmitgliedsbeitrag 80 DM; Ehepaare 120 DM inkl. Bezug der MITTEILUNGEN und des Jahrbuchs. Beitrittserklärungen bitte formlos an die Geschäftsstelle. Herstellung: Westkreuz-Druckerei Ahrens KG Berlin/Bonn, 12309 Berlin. Nachdruck, auch auszugsweise, nur mit Genehmigung der Schriftleitung. Beilagenhinweis: Unserer Ausgabe liegt ein Prospekt „Deutscher Heimatbund" bei. Wir bitten unsere Leser um freundliche Beachtung.

148 MITTEILUNGEN DES VEREINS FÜR DIE GESCHICHTE BERLINS GEGRÜNDET 1865

93. Jahrgang Heftl Januar 1997

Wilhelm Hensel: Alexander Mendelssohn mit seiner Familie, 1832. Staatsbibliothek zu Berlin PK, Mendelssohn-Archiv. Porträtiert ist hier Alexander mit seiner Frau Marianne und den Kindern: Marie, der ältesten Tochter (* 1822), in der Mitte mit dem Kranz, Marga­ rete (* 1823), und den vier Söhnen Herrmann (* 1824), Adolf (* 1826), Franz (* 1829) und Wilhelm (* 1831). Die Villa Oppenheim in Charlottenburg

Die wechselhafte Geschichte eines Grundstückes, seiner Nutzer und Bewohner

Von Gisela Scholtze

Der Marstall

Bis in die Anfangsjahre Charlottenburgs läßt sich die Geschichte des Grundstücks, auf dem sich heute die Villa Oppenheim, das Schulgebäude und der Schustehruspark befinden, zurückverfolgen. Da war zunächst nur das Schloß, mit dessen Bau 1695 begonnen wurde. Die­ ses zunächst sehr kleine Schloß bot nicht genügend Platz für den Hofstaat. So siedelten sich Hofbedienstete in seiner Nähe an, überwiegend im nördlichen Teil der Schloßstraße. Von einer Stadt war noch keine Rede. Lietzenburg hieß das Schloß nach dem benachbarten kleinen Dorf Lietzow (Lützow). Erst nach dem Tod der Königin Sophie Charlotte verfügte König Friedrich I. die Umbenennung zum Andenken an seine Gemahlin und die Gründung einer Stadt gleichen Namens. Die Schloßstraße hatte damals noch nicht die heutige Länge. Wie auf dem Stadtplan von 1719 sichtbar ist, verhinderte ein großer Karpfenteich ihre Weiterführung nach Süden. Dieser Teich war 1711 auf Anweisung des Königs für 1542 Taler, 16 Groschen aus dem Abfluß des Lietzensees angelegt worden. Wenige Jahre später - inzwischen hatte Friedrich Wilhelm I. den Thron bestiegen - erfolgte die erste Abfischung des Teiches. Man holte 41 Zentner Karpfen und 31/2 Zentner Hechte heraus! Gleichwohl verlandete der Teich alsbald und wurde zu einer sumpfigen Wiese. Noch heute erinnert die Bezeichnung „ Nasses Dreieck" an den alten Zustand. Für das Schloß wurde auch ein Marstall benötigt. Wilhelm Gundlach berichtet in seiner 1905 erschienenen „ Geschichte der Stadt Charlottenburg", dieser Marstall habe sich „ auf dem jetzt Oppenheimschen Gelände" im Zuge der Orangenstraße (Nithackstraße) an der Scharren­ straße (Schustehrusstraße) befunden. Charlottenburgs Chronist Dressel, der von 1778 bis 1824 Oberpfarrer der Stadt war, beschreibt den Zustand so: „Hinter dem Hause (Marstall, Verf.) war der Hof mit Drahtgitter überzogen, worinne viele ausländische Vögel von dem Menageriemeister verpflegt wurden. Die Haus war lange noch, als ich hier eingezogen war, eine Wohnung für die Kgl. Gärtnergesellen, und in dem Zwischengebäude, das niedriger im Dache ist, so wie noch jetzt, als die beiden Eckhäuser von zwei Stockwerken, wurden Lorbeer­ bäume des Königs durchwintert, darum führte es damals den Namen des Kgl. Lorbeerhauses. Auch wohnten einige Schloßknechte in dem Eckhause nach dem Mittag zu. Vielleicht nicht 10 Jahr vor meiner Zeit war gedachtes Eckhaus dem Cantor zur Wohnung zugewiesen worden, worinne lange Jahre hindurch Schule gehalten ward." Marstall - Lorbeerhaus - Schule, das waren also die ersten Nutzungen dieses Gebäudes. Ein Menageriemeister namens Friedrich Schlesing ist in der ältesten Bürgerliste von 1711 nament­ lich bezeugt. Auf den Stadtplänen von 1719 und 1724 sind zwischen Karpfenteich und Schar­ renstraße in der gedachten Verlängerung der Orangenstraße auf dem Gelände, das uns hier beschäftigt, Gebäude eingezeichnet. Dabei dürfte es sich um den Marstall und evtl. Neben­ gebäude handeln. Leider gibt es keine Abbildung davon.

150 Charlottenburg im Jahre 1824, aus Gundlach, Geschichte Charlottenburgs, 1905.

Neue Eigentümer

Nach dem Bau der Orangerie am Schloß (1788-1790) wurde das Lorbeerhaus überflüssig. König Friedrich Wilhelm II. schenkte es seinem Geheimen Kämmerer Rietz, Ehemann seiner Mätresse Wilhelmine, der späteren Gräfin Lichtenau. Rietz seinerseits schenkte das Anwesen wenig später dem englichen Arzt Brown. Dieser Arzt hatte im November 1789 den Kronprin­ zen Friedrich Wilhelm, seinen Bruder Ludwig und wohl auch Kinder der Lichtenau gegen Pocken geimpft. Das war in jener Zeit ein aufsehenerregendes Ereignis. In den Berliner Kir­ chen wurde „ ein Gebet für sämtliche inokulierte Kinder" verlesen, und nach glücklichem Ver­ lauf wurden im Dezember Dankgottesdienste abgehalten. Brown wurde zum Geheimen Rat und wirklichen Leibarzt ernannt und erhielt 10 000 Taler zum Geschenk, die er dazu verwen­ dete - so berichtet Gundlach - das alte Marstallgebäude in einen vornehmen Sommersitz zu verwandeln. Grundstück und Gebäude waren nun in privater Hand. Nach Dressel, der Zeit­ zeuge dieser Vorgänge war, logierte Brown hier einige Jahre mit seiner Familie wohl nur im Sommer, denn in Berlin sind weitere Wohnsitze nachweisbar. Später verkaufte er seine Berli­ ner und Charlottenburger Grundstücke, um nach England zurückzukehren, da er mehr und mehr von dem Arzt Hufeland verdrängt wurde. Anschließend verliert sich seine Spur.

151 Neuer Eigentümer des Charlottenburger Anwesens wurde ein Graf von Kameke. Bei Dressel liest sich das so: „ Es fand sich der alte Graf von Kameke ein, der bis in sein 50. Jahr ein Land­ wirt gewesen und seine Güter an den Baron von Eckartstein veräußert hatte, um hier sorgen­ frei zu leben. Dieser von Kameke baute noch einen Flügel von drei Sälen an, kaufte noch einen Garten hinzu und starb nach wenigen Jahren hieselbst im Jahre 1806. So ward aus einem Stall ein Schulhaus, nachher ein Lorbeer- und Gärtnerhaus, dann ein Palais, wofür es jetzt gelten kann." Dresseis „alter" Graf war Johann Hermann Friedrich Alexander von Kameke, geboren am 9. April 1743. Er war Geheimer Oberfinanz-, Kriegs- und Domänenrat und besaß Ländereien in Pommern und Brandenburg. Ob er, wie Dressel schreibt, seine Güter ganz oder nur zum Teil verkauft hat, läßt sich ebensowenig mehr feststellen, wie deren Lage. Er erzielte jedenfall bei dem Verkauf 800 000 Taler. Oberpfarrer Dressel und Graf von Kameke, von Dressel „ Prediger-Freund" genannt, kannten einander gut. Bei Gundlach, der sich auf Dresseis leider verschollene Tagebücher bezieht, steht: „Im Frühjahr 1802 war der Graf von Kameke nach Charlottenburg gezogen . .. erbaute auch ein auf Säulen ruhendes und damit umgebenes Lusthaus in den Picheisbergen - und dadurch angelockt, kamen erst die Ausflüge der Berliner durch den Grunewald - nach dem Havelufer in Aufnahme - und wurde ein hochgeschätzter Gast im Pfarrhause - mit ihm zugleich aber auch seine Freundin, welche ihm zwei Kinder gebar; und die durch eine ansehn­ liche Rente sichergestellte Dame verkehrte auch nach dem 1806 erfolgtem Tod des Grafen weiter im Predigerhause, bis sich zwischen ihr und dem zum Geistlichen bestimmten ältesten Sohn Dresseis eine Herzensneigung entwickelte; erst da schritt der Alte gegen sie ein, ,so sehr wir sie schätzten', heißt es im Tagebuch, ,und meinem Sohn Karl ihre jährlichen Revenuen von 1300 Talern sowie ihre Person gefallen mochten'." Leider erfahren wir an keiner Stelle ihren Namen. Einen legitimen Sohn hatte Graf Alexander aus seiner geschiedenen Ehe mit Marie Amalie Wilhelmine Gräfin zu Lynar. Graf Rochus kam 1769 im elterlichen Palais Unter den Linden 1 zur Welt. (Heute entsteht an dieser Stelle wieder das Hotel Adlon.) Auch die Ehe des Grafen Rochus mit der Gräfin Caroline von Truchseß-Waldburg wurde - schon zwei Jahre nach der Geburt eines Sohnes - wieder geschieden. Der „ alte" Graf enterbte seinen Sohn 1803 vermutlich wegen dessen aufwendigen Lebensstils und setzte seinen Enkel Albert Friedrich zum Erben ein. Graf Albert von Kameke, 1824 von Friedrich Wilhelm III. zum Kammerherrn ernannt, auch als Legationsrat in Turin tätig, benutzte das Haus in der Scharrenstraße vermutlich als Som­ mersitz. Charlottenburg war jahrzehntelang bevorzugter Ort für Sommerfrische und Aus­ flugsziel der Berliner. Da Graf Albert 1841 kinderlos in Berlin starb, wurde sein Vater, der ihn um sieben Jahre überlebte, doch noch Eigentümer des Charlottenburger Anwesens. Er ver­ kaufte es 1844 an den Regierungsrat Georg Heinichen in Hildesheim, von dem es wenig später in die Hände Alexander Mendelssohns kam.

Alexander Mendelssohn

In der Bauakte findet sich folgendes Schriftstück: „ Ein Königliches Wohllöbliches Polizeiamt benachrichtigen wir ergebenst, daß der Banquier Alexander Mendelssohn in Berlin das hier in der Scharrenstraße belegene, früher dem Grafen Albert Ernst Friedrich von Kameke zugehö-

152 Villa Oppenheim mit Luftaufnahme von Süd-Westen, um 1900. Familienarchiv Block

rig gewesene Grundstück mittels Kaufkontractes vom 9. März 1844 und 15. Februar 1845 erkaufte, und die Lasten und Abgaben vom 1. April 1846 ab übernommen hat. Charlotten­ burg, den 5. Februar 1847 - Königlich Preußisches Landgericht." Damit wurde der sehr zu Unrecht fast vergessene Alexander Mendelssohn Grund- und Haus­ eigentümer in Charlottenburg. Er war Enkel des berühmten Moses Mendelssohn und Sohn des Bankiers Joseph Mendelssohn. Seinen 1786 im Alter von 57 Jahren verstorbenen Großva­ ter hat er nicht mehr kennenlernen können, aber in seinem Elternhause hatte der Einfluß die­ ses großen Philosophen, der u. a. Nicolai und Lessing zu seinen Freunden zählte, fortgewirkt. Auch im Hause Joseph Mendelssohns verkehrten Größen seiner Zeit wie z. B. Hegel und Ranke; mit Alexander von Humboldt, dessen Forschungsreisen er finanziell unterstützte, war er von Jugend an befreundet. Erhielt der Sohn vielleicht diesem Freund zu Ehren seinen Vor­ namen? Am 19. September 1798 wurde Alexander Mendelssohn in Berlin geboren. Er heiratete mit 23 Jahren die um ein Jahr jüngere Marianne Seligmann. Acht Kinder wurden dem Ehepaar geboren: 1822 Marie, 1823 Margarethe, 1824 Hermann, 1826 Adolph, 1829 Franz (der spä­ ter geadelt wurde), 1831 Wilhelm, 1833 Alexandrine und 1840 Clara. Alle Kinder kamen in Berlin zur Welt. Die Wohnung der Mendelssohns befand sich in der Jägerstraße 22 unweit des Geschäftslokals Jägerstraße 51 in unmittelbarer Nachbarschaft des Gendarmenmarktes. Das alte Bankgebäude ist übrigens bis heute erhalten geblieben.

153 Charlottenburg wurde Sommersitz der Familie. Menschen unserer Tage fällt es schwer, sich die Idylle vorzustellen, die Charlottenburg zu jener Zeit war. Es war eine Kleinstadt mit Häu­ sern, die in der Regel nur über ein Erdgeschoß und allenfalls eine Mansarde verfügten und von Gärten umgeben war. Grenze der Stadt war die Wallstraße, die heutige Zillestraße. Das Grundstück der Mendelssohns grenzte unmittelbar an die Karpfenteich wiese. Die Bewohner des Hauses konnten einen weiten Ausblick in die freie Natur über Wiesen und Äcker genie­ ßen. Die neuen Besitzer gestalteten ihren Besitz vielfach um. Ältere Bauten wurden abgetra­ gen und durch ein Fachwerkhaus ersetzt. Im Laufe der Jahre kamen noch ein Orangenhaus, ein Glashaus, zwei Torhäuser, die das alte Gärtnerhaus ersetzten, und noch ein Gewächshaus dazu. Später wurde das Treibhaus vergrößert und schließlich das Wohnhaus teilweise aufge­ stockt. „ Sorgenfrei" nannten die Mendelssohns ihren Sommersitz, ein Name, der den Nach­ kommen der Familie bis in unsere Tage geläufig ist. Alexander Mendelssohn und seine Frau Marianne waren nicht nur für den eigenen Besitz tätig. Charlottenburg benötigte damals drin­ gend ein neues, größeres Krankenhaus. Der Magistrat beschloß 1864 einen Neubau. Ein zwei Morgen großer Bauplatz an der Kirch-/Ecke Wallstraße wurde für 4000 Taler gekauft. Die Hälfte des Kaufpreises steuerte Alexander Mendelssohn bei. Das Krankenhaus konnte gebaut werden. Zumindest in Teilen steht es noch heute, nur die Straßennamen haben sich geändert. Gierkezeile/Ecke Zillestraße heißt es jetzt. In den Kriegen 1866 und 1870/71 wurde Mari­ anne Mendelssohn helfend tätig. Bei Gundlach steht: „Frau Marianne Mendelssohn über­ nahm das eine Mal das Lazarett der Gardes du Corps-Schwadron für 22 Mann zu unterhalten, das andere Mal die Einrichtung des Lazaretts für 25 Krieger im ersten Stock des Krankenhau­ ses." Ihren Namen trug auch das 1870 von Alexander Mendelssohn gegründete Mariannenstift. Es befand sich unweit des eigenen Anwesens ebenfalls in der Scharrenstraße. Heute steht an der Stelle (Schustehrusstraße 14) ein modernes Haus. Das ursprüngliche Gebäude wurde vermut­ lich in den 20er Jahren abgerissen, der Nachfolgebau im Zweiten Weltkrieg zerstört. Das Mariannenstift wurde mit einem Kapital von 20 000 Talern ausgestattet und nahm ohne Unterschied des Bekenntnisses fünfzehn über 60 Jahre alte Frauen (in Ausnahmefällen auch Männer) auf, die in Carlottenburg geboren waren oder wenigstens drei Jahre hier gewohnt hatten. Sie mußten über ein monatlichen Einkommen von wenigstens zehn Talern verfügen und einen einwandfreien Lebenswandel nachweisen können. Dann wurde ihnen freie Woh­ nung und Heizung gewährt. Bevorzugt wurden ehemalige Bedienstete des Stifters oder seiner Verwandten. Charlottenburg bedankte sich, indem es Alexander Mendelssohn am 19. Juli 1871 die Ehrenbürgerwürde verlieh. Anlaß war das 50jährige Ehejubiläum, Grund „die umfangreichen der Stadt dargebrachten Wohltaten". Alexander Mendelssohn starb am 25. Oktober 1871, seine Frau Marianne am 20. Juni 1880. Ihre letzte Ruhe fanden sie auf dem jüdischen Friedhof an der Schönhauser Allee. Ihr Grab ist bis heute erhalten geblieben.

Die Oppenheims

Erbin des Charlottenburger Besitzes wurde die Zweitälteste Tochter Margarethe, die mit dem Obertribunalsrat Otto Georg Oppenheim verheiratet war. Wieder wurde gebaut. 1881/82 wurde die alte Villa abgerissen und eine größere sowie ein Stall- und Remisengebäude errich­ tet. Die Pläne dazu lieferte der Berliner Baumeister Christian Heidecke. Damit erhielt das Wohnhaus weitgehend sein heutiges Aussehen. Sieben Kinder wurden dem Ehepaar geboren:

154 Obertribunalsrat a. D. Otto Georg Oppenheim mit seinen Urenkeln Felix und Mary Enole Gilbert. Aus: F. Gilbert, Lehrjahre im alten Europa, 1989

1844 Else, 1845 Marie, 1847 Hugo Otto, 1849 Rose, 1852 Franz, 1855 Enole und 1861 Clara. Sie waren bereits erwachsen, als ihre Eltern das Charlottenburger Anwesen erbten. Man darf aber davon ausgehen, daß sie als Kinder häufig Gäste im Sommerhaus ihrer Großeltern gewe­ sen waren. Leider sind darüber keine Berichte überliefert. Margarethe starb 1890, ihr 1817 in Königsberg/Ostpreußen geborener Ehemann überlebte sie um neunzehn Jahre. Auf dem Grundstück wurden noch weitere Bauten errichtet: 1891 eine überdachte Kegel­ bahn, 1900 ein Gartensaal, zwei Treibhäuser und ein Glasvorbau am Wohnhaus. Der Haupt­ wohnsitz Otto Georg Oppenheims war Berlin. In dem Adreßbuch für die Gesellschaft von Berlin, Charlottenburg und Potdam von 1889 ist Alsenstraße 12 als Adresse angegeben. Eine Beschreibung Otto Georg Oppenheims in seinem Charlottenburger Sommersitz verdanken wir seinem Urenkel Felix Gilbert (in seinem 1989 im Siedler-Verlag erschienenen Buch „Lehrjahre im alten Europa, Erinnerungen 1905 bis 1945"). Er erinnert sich der Sommer, die er im Hause des Urgroßvaters verlebte und berichtet, was er von Angehörigen über den eigen­ willigen alten Herrn erfahren hat. Anfang unseres Jahrhunderts war Charlottenburg bereits Großstadt geworden und als Som­ mersitz eigentlich nicht mehr attraktiv, aber der alte Herr blieb seiner alten Gewohnheit treu, und aus Respekt vor dem Familienoberhaupt nahmen auch die übrigen Familienmitglieder die „ Mühe des Umzugs" auf sich. Der alte Herr konnte so die Familie in den Sommermonaten um sich versammeln. Den mittleren Teil des Hauses bewohnte er selbst, im rechten Flügel, der zwei Wohnungen umfaßte, wohnten die Großmutter und die Mutter Felix Gilberts mit ihm und seiner Schwester Mary Enole, im linken Flügel der Bankier Hugo Otto mit seiner Familie. Er war der älteste Sohn des alten Herrn. Der kleine Felix Gilbert liebte vor allem den weitläufi­ gen Garten mit seinen dunklen Ecken, den Rhododendronsträuchern und anderem Busch-

155 Kommerzienrat Hugo Otto Oppenheim und seine Frau Anna. Familienarchiv Block

werk, den schattenspendenden Bäumen, die ihm „ Gelegenheit boten, sich aufregende Aben­ teuer auszumalen". Seinen Urgroßvater sieht er so vor sich: angetan mit einem braunen Samt­ jackett, auf dem Kopf eine schwarzseidene Mütze, über den Knien eine Decke. Besonders stolz war der kleine Junge, daß er den Großvater nach dem Mittagessen auf dessen Kutsch­ fahrten durch Charlottenburg begleiten durfte, wenn er sich auch vergebens dagegen sträubte, zu diesem Unternehmen einen weißen Anzug tragen zu müssen. Über seinen Urgroßvater weiß Felix Gilbert folgendes zu berichten: Der Verpflichtung seines Reichtums sei er sich stets bewußt gewesen. So habe er Anweisung gegeben, jedem Bettler an der Haustür eine Mark zu geben. Das führte dazu, daß die Bettler vor seiner Haustür Schlange standen und die Polizei darum bat, doch andere Wege zur Unterstützung der Armen zu finden. Politisch sei er stets ein Liberaler gewesen und habe bis an sein Lebensende die Fortschrittspartei gewählt. An das Haus selbst erinnerte sich Felix Gilbert nur ungenau. Tiefen Eindruck hinterließ bei ihm aller­ ding der Tag des Abschieds vom Haus. Er schreibt: „Mein Urgroßvater war gestorben (27. November 1909, Verf.), und das Haus war verkauft worden. Die Aufteilung und der Abtransport der Möbel beschäftigten die Familie mehrere Wochen. Schließlich fuhren wir nach Charlottenburg, um einen letzten Blick auf das Haus zu werfen. Ich erinnere mich, daß

156 meine Schwester und ich auf dem Fußboden eines großen Zimmers saßen und durch ein brei­ tes, nicht sehr hohes Fenster blickten, das eigentlich zu einem großen Fenster im Saal des Erd­ geschosses gehörte und dieses halbkreisförmig abrundete. Es erlaubte einen Blick auf den ganzen Hof. Die Möbelwagen waren vollgeladen, die Pferde aus den Ställen geholt, die Kut­ schen nicht mehr da." Einem Ururenkel verdanken wir eine Serie hier zum Teil abgebildeter schöner Fotos, die Gebäude und Garten in ihrer damaligen Schönheit zeigen. Heute ist nur noch ein Teil des Haupthauses vorhanden, alle Nebengebäude sind abgetragen, der Garten teils verschwunden, teils in einen Park verwandelt. Erbe des Charlottenburger Besitzes wurde der älteste Sohn, Kommerzienrat Hugo Otto Oppenheim, der am 5. Februar 1847 in Berlin zur Welt gekommen war. Verheiratet war er mit seiner am 1. Mai 1849 in Königsberg geborenen Cousine Anna Oppenheim, die ihm sechs Kinder geschenkt hatte: 1873 Else, die den Kunstmaler Joseph Block heiratete, 1875 Luise, verheiratet mit dem Generalmajor Hans Petersen, 1877 Margarethe, deren Ehemann der Kunstmaler Charles Frederick Ulrich wurde, 1879 Anna, die ledig blieb, und 1882 Robert, der dreimal heiratete: Charlotte Simon, Marie Pinner und Ehrentraut von Ilberg, schließlich 1891 Franz, der allerdings bald nach der Geburt starb. Als Hugo Otto Oppenheim - Mitinhaber des Bankhauses Robert Warschauer & Co in Berlin und Mitbegründer des Bankhauses Hugo Oppenheim & Sohn in Berlin, Unter den Linden -

Villa Oppenheim. Interieurum 1900. Familienarchiv Block

157 Eigentümer des Anweses zwischen Scharren-, Schloß- und Hebbelstraße wurde, war Charlot­ tenburg als Sommersitz, wie bereits erwähnt, nicht mehr anziehend. Darum hatte er sich in der Neumark nordöstlich von Küsterin in Rehnitz, Kreis Soldin, ein Refugium geschaffen, wo er übrigens am 23. Januar 1921 verstarb. Hugo Oppenheim verkaufte das Grundstück 1911 für 1 500 000 Mark an die Stadt Charlot­ tenburg. Er hatte sich in dem Kaufvertrag vorbehalten, das eiserne Gittertor an der Scharren­ straße zurückkaufen zu können. In einem Brief vom 27. Mai 1913 heißt es, das Tor habe für die Familie „Affectionswert", er wolle es an anderer Stelle anbringen. Es handele sich um die beweglichen Flügel, die die Inschrift „ Sorgenfrei 1802" enthielten. Interessant ist die Jahres­ zahl 1802. Zu dieser Zeit war Graf Alexander von Kameke Eigentümer des Grundstücks. Den Namen „ Villa Sorgenfrei" haben die Mendelssohns und Oppenheims demnach vom Vor­ besitzer übernommen.

Die Schulen

Nach dem Verkauf eines Teils des Grundstücks an den Kriegerverband erwarb es die Stadt bei einer Zwangsversteigerung am 17. März 1913 wieder zurück. Man plante den Neubau einer Schule. Die Sophie-Charlotte-Schule, seit 1888 in der Rosinenstraße (Loschmidtstraße) untergebracht, brauchte dringend ein neues Schulgebäude. Außerdem sollte ihr eine soge­ nannte Frauenschule angegliedert werden. Auf dem Grundstück in der Scharrenstraße boten sich zwei Möglichkeiten an: Entweder Abriß aller dort stehenden Gebäude oder aber Beibe­ haltung und Umbau der vorhandenen. Wegen der Kostenersparnis von mindestens 250 000 Mark, entschloß man sich für die zweite Möglichkeit. Man plante, neben der Villa einen Neu­ bau zu errichten. Es wurde errechnet, daß das gesamte - für die Schule vorgesehene Gelände - rund 6450 m2 groß war, von dem 2600 m2, bebaute Fläche abzuziehen war. Das bot für etwa 1000 Schülerinnen genügend „ Bewegungsfläche, zu der der angrenzende Park noch hinzuzu­ rechnen war. Die Bausubstanz der Villa war gut, zudem verfügte sie über große und hohe Räume. So wurde der Abriß der Nebengebäude beschlossen, während das Hauptgebäude die für den Unterricht notwendigen Änderungen erfahren sollte. Zur Scharrenstraße hin sollte ein neuer Flügel angebaut werden. Diesen Plänen stimmte die Stadtverordnetenversammlung am 20. Mai 1913 zu. Die Baukosten (inkl. der Abrißkosten der Nebengebäude) schätzte man auf 1702 400 Mark. Nachdem noch Meinungsverschiedenheiten über die Größe der Amtswohnung des Schuldi­ rektors ausgeräumt waren, schien der Errichtung der Schule nichts mehr im Wege zu stehen. Die Pläne lieferte der Architeckt Hans Winterstein (1864-1946). Doch dann brach der Erste Weltkrieg aus und brachte die Vollendung des Neubaus ins Stok- ken. Wenigstens die Frauenschule konnte im Oktober 1915 in den umgestalteten Räumen der Villa Oppenheim den Unterricht mit 32 Schülerinnen aufnehmen. Die mit stetig wachsenden Schülerinnenzahlen sehr erfolgreiche Frauenschule hatte ihr Domizil gefunden, während die Sophie-Charlotten-Schule weiterhin mit ihrem alten Haus auskommen mußte, denn die Bau­ arbeiten waren während des Krieges eingestellt worden. Man hatte 1914 nur die Kellerräume fertigstellen können, und die lagen unter dem Grundwasserspiegel. Da in den Jahren nach dem Krieg Baustoffe nur schwer zu beschaffen waren, zogen sich die Bauarbeiten in die Länge, so daß das Gebäude erst 1922 fertiggestellt war. Die Schule konnte endlich umziehen. Die Geldmittel waren allerdings so knapp, daß die Schülerinnen Lernmittel und Bestände ihrer Bibliotheken einzeln hinübertragen mußten.

158 Nun war die Sophie-Charlotten-Schule endlich auch räumlich mit der Frauenschule verbun­ den, die jetzt zu einer dreijährigen Oberstufe ausgebaut werden konnte und 1932 ein Aner­ kennungsabitur durchführte. Diese Frauenschule gab der Sophie-Charlotten-Schule erst ihr eigentliches Gesicht. Dieser Zweig der Schule war einer der fruchtbarsten pädagogischen Reformversuche der 20er Jahre. Ziel war eine Art von Universalbildung, die die wissenschaft­ lichen Fächer mit Hauswerk, Nadelarbeit, Kinderpflege, Sozialwerk unter besonderer Beto­ nung des Musischen verband. Dieses neuartige Bildungsangebot brachte der Schule einen beachtlichen Zustrom von Schülerinnen aus ganz Berlin.Die Schülerinnen mußten ein Prakti­ kum in Säuglingspflege und in einer Familie absolvieren, sich zusätzlich in ihrer Freizeit um Arme, Kranke und Blinde kümmern. Fälschlicherweise wurde diese Frauenschule mit ähnli­ chen von den Nationalsozialisten geschaffenen Einrichtungen in Verbindung gebracht, was ihr Ende bedeutete. Während des Zweiten Weltkriegs mußten Schule und Villa geräumt wer­ den, um einem Seuchenlazarett Platz zu machen. Erst am 1. Juni 1945 fanden sich 24 Schüle­ rinnen und sieben Lehrerinnen wieder in der Scharrenstraße ein, um einen Neuanfang in dem zwar beschädigten, aber noch brauchbaren Gebäude zu wagen. Dazu mußten die Räume allerdings erst wieder hergerichtet werden. Das sah nach dem Bericht der ersten Nachkriegsdi­ rektorin, Frau de Weidige, so aus: „Den Leichenkeller haben wir selbst desinfiziert. Die not­ dürftig begrabenen Toten aus der Kampfzeit hat ein Bestattungsinstitut umgebettet. In die trostlos verschmutzte Aula wurden verstaubte Bücher aus dem Keller geschleppt. Zum Lohn für geleistete Auf räum ungsarbeiten gab es täglich zwei Unterrichtsstunden." Nach und nach meldeten sich weitere Schülerinnen zurück, die 1943 im Zuge der Landverschickung aus Ber­ lin weggebracht worden waren „und und auf teils abenteuerlichen Wegen heimgekehrt waren". So normalisiere sich das Schulleben allmählich wieder. Auch die 1922 mit in das Gebäude gezogene Elisabeth-Schule nahm den Unterricht an der Scharrenstraße wieder auf, darüber hinaus fand die 15. Volksschule für einige Jahre dort einen Standort. 1951 wurden der Sophie-Charlotten-Schule vier Klassen der aufgelösten Lietzensee-Schule zugewiesen. Durch diesen Zuwachs wurde die Koedukation in der bis dahin reinen Mädchenoberschule einge­ führt. Heute sind alle diese Schulen in anderen Gebäuden untergebracht. Schulhaus und Villa wur­ den Domizil der Schlesien-Schule. Auch in der Villa, die im Kriege ihr Dachgeschoß einge­ büßt hatte, wurde nach wie vor Unterricht gehalten. Darüber hinaus zog ins Erdgeschoß ein Kindergarten des Pestalozzi-Fröbel-Hauses.

Baugeschichte und Baubeschreibung

Von dem ersten Gebäude, dem Marstall, gibt es leider weder eine Abbildung noch Baupläne. Auch die Veränderungen durch den englischen Arzt und nach ihm durch den Grafen Kameke sind nicht dokumentiert. Aus der Bauakte geht lediglich hervor, daß um 1840 herum die Schadhaftigkeit des Hinterhauses bemängelt und dessen Abriß erforderlich wurde. Offenbar war das ganze Gebäude in einem schlechten Zustand, als Alexander Mendelssohn es erwarb, so daß er es abbrechen und neu bauen ließ. Der Neubau, von dem kein Gemälde überliefert ist, war ein langgestreckter Bau mit vorge­ zogenen Eckbauten, an denen es je einen Eingang mit hohem Zeltdach zur Hauptseite gab. Ein dreiteiliger Haupteingang mit Vorbau und kleiner Freitreppe befand sich vor dem neun-

159 Villa Oppenheim von Osten, um 1900. Familienarchiv Block achsigen Mitteltrakt des Hauses. Die Formen der Fenster waren schlicht. Das Haus trug ein Satteldach. Die Wohnräume im Mitteltrakt gingen in beiden Etagen von einem langen, schmalen Flur ab. Margarethe Oppenheim und ihr Mann Otto Georg entschlossen sich wiederum zu Abriß und Neubau. Den Auftrag erhielt der bereits erwähnte Berliner Baumeister Christian Heidecke. Er schuf 1881/82 einen langen, rechteckigen Hauptbau, an den sich rückseitig zwei Seitenflü­ gel anschlössen. Die rechteckigen Fenster im Erdgeschoß erhielten schlichte Sandsteinrah­ men, jene im Obergeschoß erhielten innerhalb eines rechteckigen Rahmens seitliche Pfeiler und Rundbogenabschlüsse. Das steile Walmdach hatte auf allen Seiten in der Mitte einen gro­ ßen Giebel mit Voluten und einem dreiteiligen Fenster. In den zeitgenössischen Architektur­ zeitschriften wird es nicht erwähnt. Das Haus war sehr geräumig, anscheinend von vornherein dafür vorgesehen, viele Familienmitgleider aufzunehmen. Felix Gilbert berichtet von drei Familien, die zu seiner Zeit den Sommer dort verbrachten - mit dem notwendigen Personal. Allein im Keller befanden sich insgesamt 15 Räume, darunter Küchen, Speisekammern, Waschküche und Stuben. Das Erdgeschoß verfügte über achtzehn große Zimmer und drei Balkons. Im Obergeschoß gab es siebzehn Zimmer, zwei Bäder und ebenfalls drei Balkons. Im Dachgeschoß waren - neben den eigentlichen Bodenkammern - noch acht Zimmer und eine Küche untergebracht. Von allen einst auf dem Grundstück befindlichen Gebäuden ist nur das Wohnhaus - in wesentlichen Teilen - erhalten geblieben. Der nördliche Seitenflügel des Wohnhauses fiel

160 gleichfalls der Spitzhacke zum Opfer, um das Schulhaus anbauen zu können. Das Innere des Hauses wurde völlig verändert, denn die Räume mußten den Bedürfnissen des Schulbetriebes angepaßt werden. Im Keller erhielten der Heizer und eine Wärterin je eine Wohnung, außer­ dem wurden dort einige Küchen, Waschküchen, Bäder und Aborte installiert. Im Erdgeschoß, das für den Unterricht und einen Kindergarten bestimmt war, wurde der Gartensaal zur Lehr­ küche, zwei Räume zum Handarbeitssaal bzw. Unterrichtszimmer. Der Kindergarten erhielt Spiel-, Arbeits- und Schlafräume sowie eine Milchküche, Garderobe und Aborte. Im Oberge­ schoß hatte der Direktor eine geräumige Sechszimmerwohung mit Diele, Küche, Bad und WC. Auch Amtszimmer, Konferenzraum, Bücherei, Elternsprechzimmer und der Aufent­ haltsraum des Schuldieners fanden dort Platz. Das Dachgeschoß gehörte zum Teil noch zur Wohnung des Direktors. Darüber hinaus waren dort Abstellräume geschaffen worden. Nach dem Krieg wurden die Wohnräume des Obergeschosses in Klassen- und Dienstzimmer umge­ wandelt.

Die Restaurierung der Villa

Die Villa Oppenheim, seit 1915 ständig Bestandteil der benachbarten Schule, wurde im Zweiten Weltkrieg erheblich beschädigt, das Dachgeschoß mit seinem schönen Giebel war vernichtet. Fotos aus der Nachkriegszeit zeigen, wie reizlos das Gebäude mit einem Flachdach aussah. 1984 stellte die Abteilung Volksbildung des Bezirksamts Charlottenburg den Antrag zum Umbau der Villa Oppenheim mit dem Wunsch, die einstige Dachkonstruktion wieder­ herzustellen und einen in der Nachkriegszeit angebauten WC-Block wieder abzureißen. Die Kosten wurden auf 2 000 000 DM geschätzt. 1985 wurde die Baugenehmigung erteilt, und alsbald konnten die Bauarbeiten beginnen. Das Erdgeschoß war für das bis dahin in der Heer­ straße untergebrachte Kunstamt vorgesehen, das Ausstellungs- und Verwaltungsräume erhielt. Die Kindertagesstätte des Pestalozzi-Fröbel-Hauses behielt ihre Räume. Im Obergeschoß erhielt die Schlesienschule Amtsräume. Außerdem wurde dort eine Dreizimmerwohnung für den Hausmeister eingebaut. 1987 konnte das Gebäude seiner neuen Bestimmung zugeführt werden. Man hatte neue Räume gewonnen und einem alten Haus seine Schönheit zurückge­ geben.

Der Park

An die Gebäude grenzt unmittelbar der Schustehruspark, welcher der Geschichte der Villa Oppenheim zugerechnet werden muß. Er war Teil des Gartens der Familien Mendelssohn und Oppenheim, vielleicht auch schon des Grafen Kameke. Schon Dressel berichtet von einem Garten des „alten" Grafen, der damals aber sicher kleiner war und erst im Lauf der Jahre durch Hinzukäufe vergrößert wurde. Fotos von 1901 aus dem Besitz der Familie zeigen einen Garten mit ausgedehnten Rasenflä­ chen, Blumenbeeten und herrlichem Baumbestand. Auch Felix Gilbert war der Garten in blei­ bender Erinnerung geblieben. Dieser Garten war erheblich größer als der heutige Park. Der nordwestliche Teil fiel dem Schulbau zum Opfer, ein anderer Teil verschwand unter der neuen Straße „Am Parkplatz" (Otto-Grünberg-Weg), dem auch das Haus Schloßstraße 54 - gleichfalls Besitz der Oppen-

161 Villa Oppenheim von Süden, um 1900. Familienarchiv Block

heims - weichen mußte. Das Gelände jenseits der neuen Straße und die Häuser Schloßstraße 56 bis 58 waren in Privatbesitz übergegangen. Nur der östliche Teil des Gartens sollte als öffentlicher Park erhalten werden und zusätzlich den Schülerinnen als Pausengelände zur Ver­ fügung stehen. Glücklicherweise wurde die Umgestaltung des Restgartens in einen Park in die Hände Erwin Barths gelegt. 1914 wandelte Barth den inzwischen etwas verwilderten Garten der Oppen­ heims in einen öffentlichen Park um. Er ging dabei sehr behutsam vor, um insbesondere den alten Baumbestand zu erhalten. Es gab neben Obstbäumen - 1911 waren fast 600 Pfund Obst an das städtische Bürgerhaus geliefert worden - dort folgende Baumarten: Ahorn, Akazie, Birke, Buche, Eiche, Kastanie, Linde, Lärche, Nußbaum, Pappel, Platane, Rotdorn, Rüster, Tanne und Weide. In der „ Gartenkunst" äußert sich Erwin Barth 1919: „ Bei der Erschließung des Parkes mußte auf die Notwendigkeit verschiedener Verkehrswege Rücksicht genommen werden. Diese sind so geführt, daß einmal die abgeschlossene Raumwirkung des Platzes nicht gestört ist, weshalb die Wege nicht ohne Versetzung von Straße zu Straße genau durchgeführt sind, und daß auch eine Entfernung erhaltenswerter Bäume nicht erforderlich war. Der Grundriß sieht auf den ersten Blick außerordentlich kahl und nüchtern aus, daß er es jedoch in seiner Ausführung nicht ist, zeigen die Abbildungen. In dem mit alten Bäumen bestandenen Parkteile sind Ruhe­ plätze für Erwachsene in großer Anzahl vorgesehen. Für Kinder ist ein geräumiger, von Kalk­ steinmauern und Wildrosen umgebener Spielplatz an der Hebbelstraße angeordnet. Eine der

162 umfassenden Mauern war zur Trennung der früheren Gärten bereits vorhanden. Der ganze Park kann nach Eintritt der Dunkelheit abgeschlossen werden. Das Weitere ist aus Grundplan und Abbildungen ersichtlich." Bis heute erhalten geblieben ist nicht nur der von Barth erwähnte Grundplan, auch alte Fotos sind noch vorhanden. Ein Vermessungsplan aus dem Jahre 1911 zeigt den Garten der Familie Oppenheim mit Tennisplatz, Kegelbahn und sonstigen Gebäuden. Dieser Plan zeigt sowohl den alten Zustand als auch die geplante Straßenführung und die Umrisse des zukünftigen Parks. Jeder Baum ist mit Angabe seiner Stammstärke darauf eingetragen. Die verschlunge­ nen Pfade wichen einer geraden Durchwegung, die so eine Verbindung von der Oranienstraße (Nithackstraße) zur Fritschestraße herstellte. Auf diese Weise wurde ein alter Plan verwirk­ licht: Bereits 1906 wollte die Stadtverwaltung die Fritschestraße durch den Garten der Oppenheims verlängern, was ihn vollständig zerstört hätte. Gegen dieses Ansinnen wehrte sich der alte Obertribunalsrat seinerzeit ebenso energisch wie erfolgreich. An den Kreuzungs­ punkten der neuen Wege entstanden kleine Plätze in Kreis- oder Hufeisenform mit Mosaik­ pflaster. An den Wegen wurden Nischen für Parkbänke angelegt, an mehreren Stellen gasbe­ triebene Beleuchtungskörper installiert. Die Bombenangriffe des Zweiten Weltkriegs beschä­ digten nicht nur die Villa, sondern auch den Park. Man stellte anschließend beträchtliche Schäden an den Bäumen fest. Der Park war in den letzten Kampftagen auch für Notbestattun­ gen benutzt worden, die sich heute nicht mehr lokalisieren lassen. Außerdem wurde der Park kurzzeitig als Zwischenlager für Trümmerschutt genutzt. Die Wiederherstellung des Parks wurde 1947/48 begonnen. Man versuchte bereits damals, ihn im Sinne Erwin Barths wieder­ herzustellen. Dies gelang wegen der umfangreichen Baumschäden jedoch nur teilweise. Den

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Nachkriegsaufnahme der Villa Oppenheim vor der Restaurierung, 1971. Heimatarchiv Charlottenburg

163 Kinderspielplatz benötigte man noch als Lagerplatz, weshalb man am Nordrand des Parks einen neuen einrichtete. Die eisernen Gaslaternen wurden entfernt, die alten Rankgitter und die schöne Balustrade wurden durch einfache Eisengitter ersetzt. Banknischen wurden neu angelegt und für die Schule ein Platz für Müllkästen eingerichtet. Der Park wurde in den folgenden Jahrzehnten stark beansprucht und auch von der Schule als Pausengelände genutzt. Darüber hinaus führten Unkenntnis über die gartenkünstlerische Bedeutung der Anlage, unsachgemäße Pflege und Beschädigungen zu einer Verwahrlosung des Parks. Ein 1985 angefertigter Bestandsplan des Gartenbauamtes stellte u. a. fest: „Der 1948 angelegte Spielplatz am Nordostrand war verschwunden; im östlichen Parkbereich war eine neue Banknische angelegt worden; Torpfeiler waren schadhaft, Strauchbereiche ausge­ wachsen und Eingangsbereiche zugewachsen." Im Herbst 1985 wurde mit der Wiederherstel­ lung der Anlage begonnen. Ziel war es, dem Park bis zur 750-Jahr-Feier Berlins seine einstige Schönheit zurückzugeben. Nach alten Plänen und Vorlagen wurden Pfeiler und deren Auf­ sätze, Sockel für eiserne Laternenhalterungen, Zäune und Balustraden wiederhergestellt. Nach dem Muster der alten Gaslaternen wurden solche für elektrischen Betrieb installiert. Wege und Plätze erhielten Mosaikpflasterungen, die Treppenanlagen Blockstufen aus Beton. Die Natursteinmauer am Staudengarten wurde aus Rüdersdorfer Kalkstein bis zur alten Höhe aufgemauert, die Banknischen an ihre ursprünglichen Stellen gebracht. Der Park könnte nun auch vor Erwin Barth wieder bestehen.

Quellen:

Wilhelm Gundlach, Geschichte der Stadt Charlottenburg, Berlin: Springer 1905; Dressel-Chronik, um 1815; Akten des Bauarchivs, BA Charlottenburg; Akten des Grünflächenamtes, BA Charlot­ tenburg ; Felix Gilbert, Lehrjahre im alten Europa, Berlin: Siedler 1989; Protokolle der Stadtverord­ netenversammlung 1911; Auskünfte der Fam. Block, Berlin/Hamburg; Ahnentafel der Fam. Oppenheim aus dem Besitz der Fam. Schieckel, Berlin; Ahnentafel der Fam. Mendelssohn, Staatsbi­ bliothek Berlin; Auskünfte des Geh. Staatsarchivs Berlin; Auskünfte des Familienverbandes von Kameke, Bonn; Rave/Wirth, Die Bauwerke und Kunstdenkmäler von Berlin, Stadt und Bezirk Charlottenburg, Berlin: Mann 1961.

Abbildungsnachweis:

Staatsbibliothek Berlin (Titelbild); Privatbesitz der Fam. Block; Foto aus „Lehrjahre im alten Europa", Siedler-Verlag 1989; Heimatarchiv Charlottenburg.

Mein herzlicher Dank gilt allen Personen und Institutionen, die mit Auskünften, Fotos und sonstigen Unterlagen meine Arbeit unterstützt haben. Vor allem danke ich dem Ehepaar Block und dem Ehe­ paar Schieckel. Anschrift der Verfasserin: Gisela Scholtze, Leiterin des Heimatarchivs Charlottenburg, Otto-Suhr-Allee 100 (Zimmer 426 f), 10585 Berlin

164 Elisabeth Christine, Königin von Preußen; Bock nach Graft. Stiftung Preußische Schlösser und Gärten Berlin- Brandenburg, Bildarchiv.

Zum 200. Todestag Elisabeth Christine, eine Königin in Preußen Von Gerhild H. M. Komander

Elisabeth Christine von Braunschweig-Bevern gehört zu den vielen vergessenen Frauenge­ stalten der deutschen Geschichte. Das Besondere an ihrem Schicksal aber ist, daß sich bereits zu Lebzeiten der königliche Hof, dem sie ihrer Stellung nach anzugehören gehabt hätte, ihrer nicht recht erinnerte. Sie wurde am 8. November 1715 als Tochter des Herzogs Ferdinand Albrecht II. von Braunschweig-Bevern und der Antoinette Amalie von Braunschweig-Wol- fenbüttel in Wolfenbüttel geboren. Sie wurde nach der älteren Schwester ihrer Mutter benannt, der Gemahlin Kaiser Karls VI., war kaiserliche Nichte und die Kusine Maria There­ sias. Am 12. Juni 1733 heiratete sie den preußischen Kronprinzen Friedrich. Friedrich Wil­ helm I. und der ihm nahe stehende Ferdinand Albrecht II. kamen mit dieser Übereinkunft den politischen Interessen des Kaisers entgegen. Niemandem allerdings sollte diese dynastische Verbindung etwas nutzen, denn sie hatten die Rechnung ohne Friedrich gemacht. Maria The­ resia, die ihrem Vater auf den österreichischen Thron folgte, mußte die reiche Provinz Schle-

165 sien aufgeben. Elisabeth Christine wurde, obgleich mit dem Tod Friedrich Wilhelms I. zur Königin in Preußen geworden, auf das damals außerhalb Berlins gelegene Schloß Nieder­ schönhausen verbannt. Die Tage in Rheinsberg und Neuruppin, wo das Kronprinzenpaar von 1733 bis 1740 lebte, waren heiter gewesen. „ Ich freue mich unendlich auf Rheinsberg und noch mehr auf das Ver­ gnügen, Sie zu umarmen", schrieb Friedrich seiner Frau am 27. Juli 1739.' Elisabeth Chri­ stine, weder ungebildet noch unbegabt, lebte im Kreis der Freunde Friedrichs, und nur die engsten unter ihnen ahnten möglicherweise, daß der zukünftige König seinen vor der erzwun­ genen Heirat gefaßten Vorsatz, sich der Angetrauten auf diese oder jene Weise zu entledigen, in die Tat umsetzen würde, sobald die Gelegenheit kam. Die „Gelegenheit" ergab sich mit dem Tod Friedrich Wilhelms I. am 31. Mai 1740. Es heißt, Friedrich II. habe seine Frau dem Hof sogleich als „ Ihre Königin" vorgestellt. Ob nun Anekdote oder nicht, Königin wurde Eli­ sabeth Christine nie. Der König gab ihr einen kleinen Hofstaat, Schmuck und das Schloß Nie­ derschönhausen und trennte sich von ihr. Fortan war die bescheidene Frau sich selbst überlas­ sen, die Königinmutter residierte im Schloß Monbijou als erste Dame des Hofes. Von Intrigen ist die Rede, von Seiten der königlichen Schwestern - vor allem Louise Amalies -, und der königlichen Mutter. Fest steht, daß Elisabeth Christine einzig zu einigen Festen im Berliner Schloß mit ihrem Mann und dessen Familie zusammentraf, von den familiären Ereignissen und damit verbundenen Feiern wurde sie nicht in Kenntnis gesetzt und nicht dazu eingeladen. In Schönhausen ward Friedrich II. nie gesehen, wie auch seine Frau Potsdam und die neuen Schlösser des Königs nicht betrat, ja, nicht betreten durfte. Spuren Elisabeth Christines in Berlin, in der Mark Brandenburg oder aber in der „ frideriziani- schen" Literatur aufzufinden, ist ein schwieriges Unterfangen. Die kronprinzliche Ausstat­ tung in Rheinsberg ist weitgehend verloren, die der Königin im Schloß Charlottenburg zuge­ dachten Räume sind zerstört, das ihr nach der Trennung von Friedrich II. angewiesene Schloß Niederschönhausen nicht zugänglich.2 In den übrigen Schlössern Friedrichs II. hatte sie nie gewohnt. Sie hatte das Schloß Niederschönhausen 1740 bezogen und bewohnte es bis zu ihrem Tod 1797. Im Siebenjährigen Krieg wurde es wie Schloß Charlottenburg durch die russi­ sche Armee schwer beschädigt, aber wiederhergestellt, und 1764 durch den königlichen Architekten Johann Boumann im Äußeren umgebaut. Seit 1935/36 war es in renoviertem Zustand der Öffentlichkeit zugänglich, zu DDR-Zeiten wurde es als Gästehaus der Regierung genutzt. Der Park, schon im 18. Jahrhundert in einen englischen Landschaftsgarten umgewan­ delt, wurde 1828 bis 1831 durch Lenne erneut gestaltet. Elisabeth Christine hegte eine große, jedoch einseitige Zuneigung zu ihrem Gatten. In der Lektüre von Erbauungsbüchern und in der Religion überhaupt fand sie einigen Trost über ihr unerwartetes und hartes Schicksal. Sie begann, einzelne der gelesenen Schriften ins Französi­ sche zu übersetzen. 1776 trat sie mit einem eigenen Werk hervor: „Gedanken und Betrach­ tungen zum Neuen Jahre. Über die Fürsorge, welche Gott gegen den Menschen hat über seine Wege voller Güte auf denen er sie führt." 1788 ließ sie die Übersetzung des zweiten Teiles des „ Handbuches der Religion" von J. A. Hermes in ihrer französischen Übersetzung drucken, 1789 folgten ebenso die geistlichen Oden und Lieder Gellerts. Ihr insgesamt vierzehn Titel umfassendes Werk befindet sich fast vollständig in der Bibliotheque Nationale in Paris. Die bei der Bevölkerung beliebte, zutiefst religiöse Königin gab von den ihr jährlich zur Verfü­ gung stehenden 41000 Talern jedes Jahr zwei Drittel für wohltätige Zwecke aus. Friedrich II. selbst erinnerte sich ihrer, wenn er finanzielle Engpässe anders nicht zu überbrücken wußte, und rühmte bei solcher Gelegenheit ihre unerschöpfliche Großmütigkeit. Die Biographien Friedrichs II. berühren das Thema seiner Ehe mit der Braunschweigerin wenig. Wird es

166 erwähnt, kommt die „erzwungene Ehe" zur Sprache und die Rheinsberger Zeit. Dem unge­ rechtfertigten, grausamen Verhalten des „aufgeklärten" Königs wird nicht nachgegangen. Meist geht man in hilflosen Ausflüchten beschönigend über diesen Bruch in dem Leben des Paares hinweg. Die Königin Elisabeth Christine existiert nach 1740 nicht mehr. Antoine Pesne und Anton Graff malten die Königin, letzterer als Witwe Friedrichs II. (Schloß Charlottenburg, Raum 311 und Raum 228). Elisabeth Christine starb am 13. Januar 1797 und wurde im Berliner Dom beigesetzt.

Anmerkungen:

1 Brief Friedrichs II. aus Petersdorf in Ostpreußen, in: Friedrich der Grosse, hg. von Otto Bardong (Freiherr vom Stein-Gedächtnisausgabe Band XXII), Darmstadt 1982, S. 74. 2 Trotz verschiedener Nutzungen des Schlosses nach dem Tod Elisabeth Christines blieben die Innenräume in der Dekoration des 18. Jahrhunderts bewahrt. Vgl. Helmut Börsch-Supan, Berlin. Kunstdenkmäler und Museen (Reclams Kunstführer Band VII), hg. von Eva und H. Börsch- Supan, Günther Kühne und Hella Reelfs, 3. Auflage Stuttgart 1980, S. 165.

Literatur:

Hahnke, Friedrich Wilhelm M. von, Elisabeth Christine Königin von Preußen, Gemahlin Friedrichs des Großen: Eine Biographie, Berlin 1848. Adlersfeld-Ballestrem, Eufemia, Elisabeth Christine Königin von Preußen: Das Leben einer Ver­ kannten, Berlin 1908. Joepchen, Paula, Die Gemahlin Friedrichs des Großen Elisabeth Christine als Schriftstellerin, (Diss.) Köln 1940. Rühe, Birgit, Berühmte Frauen. Kalender 1997, hg. von Luise Pusch, Frankfurt am Main 1996, 13. Januar 1997.

Anschrift der Verfasserin: Dr. Gerhild H. M. Komander, Togostraße 79, 13351 Berlin-Wedding

Zu unserer Ausstellungsführung am 14. Januar 1997 Victoria, eine englische Prinzessin in Berlin Von Barbara Ohm

„ Sie fragen mich in ihrem Briefe, was ich zu der Englischen Heirath sage... Bleibt... unsere künftige Königin auf dem preußischen Throne auch nur einigermaßen Engländerin, so sehe ich unseren Hof von Englischen Einflußbestrebungen umgeben, ohne daß wir und die man- nichfachen andern Schwiegersöhne of Her Gracious Majesty irgend welche Beachtung in England finden, außer wenn die Opposition in Presse und Parlament unsere Königsfamilie und unser Land schlecht macht."1

167 Der Brief Otto von Bismarcks an General von Gerlach vom 8. April 1858 spielt auf die Schwierigkeiten an, die die älteste Tochter Queen Victorias und Prinzgemahl Alberts als preu­ ßische Kronprinzessin am Hofe erwarten sollten und spiegelt schon früh das Verhältnis zu ihrem größten Widersacher Reichskanzler Bismarck wider. Am 25. Januar 1858 hatte die damals 17jährige Victoria, genannt „ Vicky", den preußischen Kronprinzen Friedrich Wilhelm und späteren Kaiser Friedrich III. geheiratet. Die Jungvermählten präsentierten sich kurz nach ihrer Heirat mit einem fulminanten Einzug in Berlin, den Andrew Sinclair in seiner Biographie über Victoria folgendermaßen beschreibt: „Der feierliche Einzug in Berlin glich eher einem Krieg als einem Fest.. . Die vielen Kanonen donnerten, ganze Wälder von Fahnen wehten, und die Preußische Garde stand mit glitzerndem Helm und Kürassier in dichter Reih und Glied."2 Obgleich die Heirat zwischen Vicky und Friedrich (Fritz) den ehrgeizigen Plänen der Heirats­ politik Prinz Alberts entsprungen war, galt sie stets als überaus glücklich. Der preußische Kronprinz hatte die zehnjährige Victoria auf der Londoner Weltausstellung 1851 kennengelernt und war schon damals von ihrer Intelligenz und Persönlichkeit angetan. 1855 verlobte sich Fritz in Baimoral mit der 15jährigen Vicky. In den folgenden Jahren bis zu ihrer Heirat wurde Vicky von ihrem Vater auf ihre künftige Rolle als preußische Kronprinzes­ sin vorbereitet. Sie sprach nicht nur fließend Deutsch, sondern bekam von ihrem Vater auch eine umfassende kosmopolitische Bildung vermittelt, von deren Fortschreiten sie ihm in tägli­ chen Essays berichten mußte. Als 17jährige übersetzte Vicky Droysens Abhandlung Der Her­ zog von Sachsen-Weimar und die deutsche Politik. Ihre geistigen Interessen pflegte sie zeitle­ bens. Neben Geschichte und Staatsbürgerkunde beschäftigte sie sich mit Kunst, Musik, Medi­ zin und Religion. Es ist erstaunlich, daß Prinz Albert, der die deutschen politischen Verhält­ nisse sehr gut kannte und selbst als deutscher Prinz in England erheblichen Schwierigkeiten ausgesetzt war, seiner Tochter ein so naiv-glorifizierendes Bild von Preußen vermittelte. Vic­ torias Ziel und das ihrer Eltern war die Einführung einer konstitutionellen Monarchie nach englischem Vorbild in Preußen. Der liberale Kronprinz stimmte ebenfalls dieser Staatsform zu. Die Realität sah jedoch ganz anders aus. Nach dem Tode König Friedrich Wilhelms IV. 1861 folgte sein Bruder Wilhelm I. auf den Thron, ein konservativer Monarch, der erst 1888, 91jährige, starb. Vickys Rolle und die ihres Mannes am preußischen Hof beschränkte sich auf ein langes Warten bei der Thronfolge. Als Fritz 1888 deutscher Kaiser wurde, war er bereits todkrank und starb nach 99 Tagen Regentschaft an Kehlkopfkrebs. Wie ihre Mutter, Königin Victoria, war Vicky willensstark und emotional, gepaart mit wenig diplomatischem Geschick - Eigenschaften, die es ihr nicht gerade leichtmachten, sich in ihrer neuen Heimat zurechtzufinden. Der preußische Hof war durch strenge Etikette geprägt. Bei­ spielsweise wurde das Abendessen um 17 Uhr in Abendkleid oder Uniform, hochdekoriert mit Schmuck und Orden, eingenommen. Danach folgten Empfänge, Theaterbesuche und Soi­ reen. Vicky hatte wie ihr Vater Albert keinen Spaß an gesellschaftlicher Zerstreuung, ganz im Gegensatz zu ihrer Schwiegermutter Augusta. Erschwerend kam hinzu, daß das neue Heim von Vicky und Fritz zum Zeitpunkt ihrer Heirat noch nicht fertig war und die beiden vorüber­ gehend in das Berliner Schloß zogen. Dort gab es noch nicht einmal ein Badezimmer, was ihren Ehemann, der sich nach Soldatenmanier mit kaltem Wasser wusch, nicht störte. Die Fenster wurden nur selten aufgemacht, waren mit dicken Vorhängen verhängt, und in den düsteren Gängen war es zugig. Die Prinzessin ließ keine Gelegenheit aus, ihren Wunsch nach Licht, Luft und heißem Wasser zu äußern. Sie sprach ganz offen aus, daß „ zu Hause" alles bes­ ser sei, zeigte ihre Abneigung gegen das preußische Zeremoniell und zog interessante Men­ schen den Angehörigen des Hofes vor. Vicky genoß die wenigen freien Stunden, die sie mit

168 Kronprinzessin Victoria v. Preußen (verh. mit Friedrich III.), Fotografie. DHM/Bildarchiv

ihrem Mann alleine verbringen durfte und in denen sie der rigiden preußischen Etikette ent­ fliehen konnte. Zur Stellung der Frau am preußischen Hof schrieb die Kronprinzessin an ihren Mann: „ Was man sich wünsche, sei ein williges Werkzeug in den Händen der Umgebung, eine Art Kammerfrau, die sich gut anzieht, hübsch aussieht, mit jedem ein banales Wort zu spre­ chen weiß... in ihrem eigenen Haus eine Puppe ist, niemand spricht und sieht ohne Erlaubnis der Hof-Beamten, sich gehorsam und sanft in Alles fügt, nichts sieht und hört und somit auch nicht die preußische Erziehung ihrer Kinder verdirbt ... Nach preußischen Ideen soll eine Frau nicht anders sein als eine Türkin im Harem."3 Trotz aller Frustrationen, die Vicky am preußischen Hof erlitt, an dem sie zeitlebens die Fremde, die Engländerin blieb, vergötterte sie ihren Ehemann und liebte ihr intaktes Fami­ lienleben. Sie wurde Mutter von acht Kindern. Die Frustrationen, die Vicky als Kronprinzes­ sin am preußischen Hof erlitt, kompensierte sie, indem sie sich in „philanthropische Ersatzbe­ friedigungen" stürzte wie der Gründung des Berliner Kunstgewerbemuseums, sich wohltäti­ gen Zwecken widmete sowie sich verstärkt für die Frauenbildung einsetzte. Vickys Vorstel­ lung von der unwürdigen Stellung der deutschen Frau ist sicherlich von Vorurteilen geprägt, genauso wie ihre Idealisierung der Stellung der Frau in der englischen Gesellschaft, denn Eng­ land hatte sie nur als Prinzessin und als Kind kennengelernt.

169 1866 übernahm die Kronprinzessin das Protektorat für den Letteverein, eine Einrichtung zur „Förderung der Erwerbstätigkeit der Frau". Der Gründer des Lettevereins war Wilhelm Adolf Lette (1799-1868), Jurist und liberaler Reichstagsabgeordneter, ein ehemaliges Mit­ glied der deutschen Nationalversammlung in Frankfurt. In der Wirtschaftsschule des Lette­ vereins konnten junge Frauen „aus gutem Hause" in halb- bzw. ganzjährigen Kursen Kennt­ nisse für den „ Hausfrauenberuf" oder den der „ Hausbeamtin in größeren Haushalten und Sanatorien" erwerben. Auf dem Lehrplan stand: Kochen, Einkochen, Waschen, Plätten, Hausarbeit, praktisches Handarbeiten, Maschinennähen, Schneidern, Nahrungsmittel- und Gesundheitslehre, einfache und häusliche Buchführung, Wirtschaftslehre sowie Chorgesang und Turnen. In den 70er Jahren wurde der Letteverein Schulträger: Unter anderem kamen eine Handelsschule, eine Gewerbeschule und eine Setzerinnenschule hinzu. Der Gründer des Lettevereins schrieb 1865 zu den Zielen dieses Vereins: „Was wir nicht wollen und niemals, auch nicht in so fernen Jahrhunderten, wünschen und bezwecken, ist die politische Emanzipa­ tion und Gleichberechtigung der Frauen. Der alte Satz der christlichen Kirche ,mulier taceat in ecclesia' gilt für alle Zeit, nicht bloß für die kirchliche, sondern auch für die politische Gemeinde".4 Es waren also praktische Gründe, die zur Gründung des Lettevereins führten, Emanzipation im engeren, modernen Sinne wünschte Lette nicht. Trotzdem dachte man im industrialisierten Berlin zum ersten Mal über eine nicht mit der Hochzeit endende, nur „ provi­ sorische", sondern dauerhafte Erwerbstätigkeit der Frau nach. Nach den Kriegen der 60er Jahre gab es mehr Frauen als Männer, das angestrebte Ziel einer Heirat war bei weitem nicht von allen Frauen erreichbar. Beispielsweise waren 1867 in Berlin von 1000 Frauen nur 530 verheiratet, 322 waren ledig (davon 90 ohne Beruf) und 148 verwitwet (davon 25 ohne Beruf).5 Man mußte diesen alleinstehenden Frauen, die vielleicht „keinen Mann fanden", eine sinnvolle Tätigkeit und somit eine Möglichkeit zu ihrer Selbstversorgung bieten. Neben ihren Bemühungen für den Letteverein engagierte sich Vicky für zahlreiche andere karitative Einrichtungen in Berlin, die im weitesten Sinne der Selbständigkeit der Frau dienten. Sie grün­ dete ein Heim für ausländische Gouvernanten und Erzieherinnen, ein Heimathaus für Töch­ ter höherer Stände, das unbemittelten Töchtern höherer Beamten während ihrer Berufsaus­ bildung ein Heim bot, die „Victoria-Fortbildungsschule für Mädchen" aus der arbeitenden Klasse und das „Feierabendhaus" für dienstunfähige Lehrerinnen. 1877 entstand das Pesta- lozzi-Fröbelhaus, 1877 die „Victoriaschule für Mädchen", 1884 der „Verein für die häusliche Gesundheitspflege". In der „Victoriaschule für Mädchen", einem Lyzeum unter englischer Leitung von Miss Georgina Archer, wurde der erste Turnunterricht für Mädchen eingeführt, eine Neuerung, die in Preußen als unweiblich abgetan wurde. Eine der wichtigsten Ideen, die Vicky während ihres Amtes als Kronprinzessin in Preußen durchsetzen konnte, war die Reformierung des Gesundheitswesens und die Ausbildung von Krankenschwestern. Vicky war kurz vor ihrer Hochzeit in Balmoral Florence Nightingale begegnet und sicherlich von dieser Frau beeindruckt. Queen Victoria schrieb damals in einem Brief an Königin Augusta von Preußen: „Ich habe Dir nie gesagt, daß wir in den letzten 14 Tagen die Bekanntschaft der berühmten Miss Florence Nightingale gemacht haben,... die uns außerordentlich gefällt. Sie ist eine seltene Erscheinung, sehr einfach, sehr sanft, sehr lady- like und aufs äußerste bescheiden; dabei besitzt sie einen männlichen Verstand und die größte Ruhe".6 1868 wurde mit dem Bau der ältesten städtischen Klinik in Berlin, dem Krankenhaus am Friedrichshain, begonnen, 1874 wurde der Bau vollendet. Die treibende Kraft war der Patho­ loge und Anthropologe Rudolf Virchow( 1821-1902), Mitglied des preußischen Abgeordne­ tenhauses, ein Vertrauter des Kronprinzenpaares, der ein bis zum Jahre 1878 befristetes Ver-

170 mächtnis des Berliner Bürgers Jean Jacques Fasquel von 5000 Talern als Grundstock für den Neubau verwandte. Als Kuriosum sei erwähnt, daß Fasquel zur Auflage gemacht hatte, keine Syphilitiker, Pocken- und Cholerakranke, Geisteskranke und Wöchnerinnen in die Kranken­ anstalt aufzunehmen. Die Architekten Martin Gropius und Heino Schmieden hinterließen eine Fülle von Architekturplänen, die sich nicht nur sehr ausführlich mit den architektoni­ schen Besonderheiten auseinandersetzten, sondern auch die hygienischen Erkenntnisse die­ ser Zeit miteinbezogen. Dazu gehörten eine ausreichende Belüftung der Krankenzimmer und der Einbau einer Fußbodenheizung. Der Bau mit sechs zweistöckigen Pavillons als Station für Inneres, vier einstöckige Pavillons für die Chirurgie und zwei Isoliergebäuden für ansteckende Krankheiten war jahrelang Vorbild für die nachfolgenden größeren Krankenhausanstalten in Berlin. Für das Städtische Krankenhaus am Friedrichshain und die später entstandenen Kran­ kenanstalten am Urban und in Moabit mußte geeignetes Pflegepersonal bereitgestellt werden. Zwar war 1832 eine Krankenwärterschule in der Charite eingerichtet worden, doch die abwertende Meinung der Öffentlichkeit und die ungünstigen Arbeitsbedingungen in diesem Beruf bewogen nur wenige, sich an dieser Schule zu bewerben. Zum Verständnis für die dama­ lige Situation sei daran erinnert, daß Krankenhäuser im heutigen Sinne erst in der Mitte des 19. Jahrhunderts entstanden. Zu den früheren Krankenanstalten finden sich viele Berichte von Ärzten und Verwaltern, in denen die Unsittlichkeit, Trunksucht und Dieberei der Pfleger beklagt wird. Auch noch Mitte des 19. Jahrhunderts hätte keine „anständige" Frau in solcher Gemeinschaft arbeiten wollen. Allerdings hatten etwa zu dieser Zeit die beiden christlichen Konfessionen eine lebhafte Tätigkeit in der Armenfürsorge und Krankenpflege entfaltet, zahlreiche Orden und Diakonieverbände wurden ins Leben gerufen. Die Diakonissinnen waren jedoch an einen Orden gebunden und mußten den Krankenschwesternberuf mit einer kirchlichen Einrichtung verbinden. Rudolf Virchow forderte 1869 in einer Rede vor dem Ber­ liner Frauenverein, „jedes größere Krankenhaus müsse zu einer Ausbildungsstätte für weltli­ che Krankenpflegerinnen werden".7 Beim Bau des Krankenhauses am Friedrichshain wurde dem Antrag Virchows stattgegeben und 1876 ein Pflegerinnenhaus errichtet. Ein erster Ausbildungskurs zur Qualifizierung des Personals wurde 1877 von den ärztlichen Direktoren begonnen, aber erst 1884 entsprach das Pflegepersonal den Anforderungen der Direktoren, nachdem sich der Verein Victoriahaus für Krankenpflege angeschlossen hatte. Diese Organisation war, wie ihre Vorläuferorganisation, der „ Verein für die häusliche Gesundheitspflege", von der Kronprinzessin gegründet worden. Im „ Victoriahaus für Krankenpflege" sollten - laut Satzung - gebildete Frauen und Mädchen einen geistig befriedigenden und materiell lohnenden Beruf erlernen können. Ferner sollten die künftigen Krankenschwestern ein Heim und eine Altersversorgung erhalten und gleichzei­ tig durch beste Schulung in Theorie und Praxis die Krankenpflege auf eine höhere Stufe heben, um sie zu einer anerkannten Ergänzung der ärztlichen Tätigkeit zu machen. In den ersten Jahren wurden die Victoriaschwestern in London und seit 1884 selbst vom Kranken­ haus Friedrichshain in Berlin ausgebildet. Dafür mußte der Verein die Hälfte der Schwestern dem Krankenhaus überlassen. Die Kronprinzessin sorgte persönlich für den Fortschritt und das Wohl ihrer Victoriaschwestern, indem sie beispielsweise den Wohnheimen häufige Besu­ che abstattete. Die politische Ambition, Preußen in eine konstitutionelle Monarchie umzuwandeln, konnte Vicky nie verwirklichen, da der Kronprinz bereits todkrank war, als er auf den Thron kam, und da sich zudem in der langen Zeit des Wartens die politische Situation anders entwickelt hatte. Wilhelm IL, der zeitlebens ein gespanntes Verhältnis zu seiner Mutter hatte, versuchte, die politischen Absichten seiner Mutter stets zu durchkreuzen. Als sein Vater 1888 starb, ließ er

171 das Neue Palais in Potsdam durch die Palastwache abriegeln und systematisch nach den Papie­ ren des Verstorbenen durchsuchen. Er fand nichts, da seine Mutter alle Akten vorsorglich nach Windsor hatte bringen lassen. Vicky war von dieser Aktion ihres Sohnes so enttäuscht, daß sie sich - weit weg von Preußen - ihren Alterswohnsitz in Schloß Friedrichshof im Taunus bauen ließ. Bis zu ihrem Tode im Jahre 1901 lebte sie dort zurückgezogen, das Verhältnis zu Sohn und Schwiegertochter Auguste Victoria besserte sich nie wieder. Wenn Vickys politische Einflußnahme gering war, konnte sie ihre Erziehung und Intelligenz jedoch auf anderem Gebiet beweisen. Die Frauenrechtlerin und Zeitgenossin Helene Lange beschreibt ihr Verdienst treffend: „Der Weltgeschichte, die aus Fürstengalerien mit Schlach­ tenbildern im Hintergrund besteht, wird sie nichts bedeuten. In die Kulturgeschichte aber wird sie eingehen.. .als erste Fürstin, die ihren vollen Einsatz für die Frauenbewegung einsetzte zu einer Zeit, in der die Acht weiter Kreise noch schwer auf ihr lastete."8

Anmerkungen

1 Otto von Bismarck, Gedanken und Erinnerungen. Bd. 1 S. 172. 2 Andrew Sinclair, Victoria. Kaiserin für 99 Tage. Frankfurt 1983, S. 61. 3 Kronprinzessin an Kronprinz, 21. Mai 1879 (AdHH Schloß Fasanerie), zit. n. John Röhl, Wilhelm 11. Die Jugend des Kaisers 1859-1888. München 1993, S. 104. 4 Doris Obschernitzki, Der Lette-Verein. Ein historischer Abriß anläßlich des Laborgebäudes. Berlin 1984, S. 6. 5 Ingeborg Weber-Kellermann, Frauenleben im 19. Jahrhundert. München 1983, S. 140. 6 Brief Victorias an Augusta von Preußen, 6. Oktober 1856, zit. n. Kurt Jagow (Hrsg.), Queen Vic­ toria ein Frauenleben unter der Krone. Eigenhändige Briefe und Tagebuchblätter 1834-1901. Ber­ lin 1936, S. 203. 7 100 Jahre Krankenhaus Friedrichshain. Ein geachteter Frauenberuf entsteht. Berlin 1975. S. 24. 8 Karoline Müller: „An der Spitze der Frauenbewegung". Die Zeit, Nr. 27, 2. Juli 1993, S. 62.

Anschrift der Verfasserin: Barbara Ohm M. A., Deutsches Historisches Museum, Zeughaus, Unter den Linden 2, 10117 Berlin-Mitte

Die „ Sprea" von Jeremias Christensen Von Mario Perschke

An einer kleinen Wasserschlenke, unweit des Lenne-Tempels und der zentral gelegenen Kamelwiesen des Berliner Tierparks, hat eine künstlerische Perle aus der glanzvollsten Epo­ che der Stadt Berlin ihren Standplatz - die Figurengruppe der „Sprea". Überlebensgroß thront eine nackte Frauengestalt auf einem Felsen, dessen Sitz durch ein faltig herabhängendes Fischernetz bedeckt ist. Sie wendet den Kopf gegen die rechte Schulter, mit sinnendem Blick in die Ferne. Das mehr als schulterlange Haar wird von einem Lorbeerkranz geziert. Der rechte Fuß ist sanft an das andere Bein gelegt. In der linken, seitlich herunterglei-

172 Die „ Sprea" im Tierpark Berlin-Friedrichsfelde. Foto: Günter Peters

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• • - -•• y '- - - _ - t : . SSHHHmBHHBHI^BBHI tenden Hand hält sie eine Wasserrose. Mit der anderen Hand reicht sie einem, zu ihrer Rechten aufrecht sitzenden Bären eine große, flache Muschelschale. Der im Verhältnis zur menschli­ chen Hauptfigur klein wirkende, etwas zurückgesetzte Bär lehnt in „ legerer" Haltung gegen den Felsen und stützt mit einer Vorderpfote die Muschelschale, aus der er mit tief gesenktem Kopf und herausgestreckter Zunge Wasser schlürft. Zu Füßen der „Sprea" findet sich noch weiteres, geschickt angeordnetes Beiwerk in Form von Schilfpflanzen, einem Pfahl mit Anle­ gering und einer Schnecke. Auch reicht das schon erwähnte Fischernetz bis zum Boden hinab. Diese 3 m hohe und bis zu 1,80 m breite Figurengruppe aus weißem Marmor modellierte der deutsch-dänische Bildhauer Jeremias Christensen (geb. 26. März 1859, gest. Mai 1908), des­ sen Signum an der Vorderseite der Plastik, neben dem linken Bein der weiblichen Idealfigur, zu finden ist. Nur wenige Bildwerke stehen in so unmittelbarer inhaltlicher Verbundenheit mit der Stadt Berlin, wie die „Sprea". Diese stellt die Personifizierung der Spree dar, die Berlin - versinn­ bildlicht durch den Bären - mit Wasser versorgt. Sie verkörpert die Flußgöttin und Patronin der mit dem Fluß verbundenen, seinerzeit bedeutenden Wirtschaftszweige Schiffahrt, Fische­ rei und Handel, welche durch Ankerpfahl und Fischernetz symbolisiert werden (Anonymus 1897). Allegorische Monumente erfreuten sich um die Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert

173 regen Zuspruchs und hatten an der künstlerischen Ausschmückung öffentlicher Plätze, Brük- ken und Gebäude bedeutsamen Anteil. Im September 1894 erließ der Magistrat zu Berlin eine Konkurrenz unter den Bildhauern zur Ausführung einer marmornen Statue der „ Sprea" für die Vorhalle des Magistratssitzungssaa­ les im Berliner Rathaus (Anonymus 1895 a). Hier soll sie eine Wandnische, unterhalb des von Hugo Vogel geschaffenen Gemäldes der Verherrlichung Andreas Schlüters, ausfüllen und „ dieser überaus gefälligen Loggia ... noch größeren Zauber verleihen" (Buchholz um 1897). 109 Künstler (Anonymus 1895 b), davon allein 107 Berliner Bildhauer (Anonymus 1895 c), beteiligten sich an diesem Wettbewerb, nachdem sich noch bis zum März 1895 in Künstler­ kreisen das Gerücht hartnäckig hielt, „es sei von einigen der maßgeblichen Faktoren von vornherein ein bestimmter, in akademischer Stellung befindlicher Künstler für die Herstellung der Figur in Aussicht genommen" und daher einige Bildhauer ihre Entwürfe „ von der angeb­ lich aussichtslosen Konkurrenz fernzuhalten" gedachten (Anonymus 1895 a). Im April 1895 wurden die zahlreichen „ Sprea"-Entwürfe im Festsaal des Berliner Rathauses zur Besichtigung und Prämierung ausgestellt. Die „ Berliner Zeitung" bemerkte: „ .. . wenn man sie so nacheinander betrachtet, wird man ganz irre an der Aufgabe, die hier zu lösen war" und bemängelte, daß es sich bei den meisten Entwürfen eher um „ Gruppen mit brunnenarti­ gem Charakter handelt", die für den vorgegebenen Auf Stellungsplatz „etwas sonderbar" erschienen (Anonymus 1895 b). In der „Vossischen Zeitung" hieß es: „Die Nymphe unseres lieben Spreeflusses in einer besonderen Eigenschaft desselben charakterisierenden Gestalt darzustellen, haben nur sehr wenige Bewerber versucht; und diese haben nur ein lächerliches Resultat erzielt"(Anonymus 1895 b). Vielfach vergriffen sich die Künstler auch in den Grö­ ßenverhältnissen, ließen sich verleiten, die Verkörperung der „bescheidenen Spree" so wuch­ tig darzustellen „ wie etwa den Vater Rhein" oder faßten sie als „ Heldenweib" bzw., im entge­ gengesetzten Sinne, als „ Spreewäldlerin" auf (Anonymus 1895 b). Zehn Entwürfe wurden mit jeweils 500Mark prämiert, aber „unter ihnen eine engere Wahl zu treffen, mag seine Schwierigkeiten haben" (Anonymus 1895 d). Und in der Tat wurde keine der Modellskizzen zur unmittelbaren Ausführung im Großen empfohlen, da sich die Kommission „für keinen dieser zehn erwählten genügend zu begeistern vermochte" (Anonymus 1895 d). Die Zusam­ mensetzung der zur Auswahl des technisch und künstlerisch gelungensten Entwurfs berufe­ nen Deputation war ohnehin umstritten, da sich nur ein einziger Bildhauer, Professor Schaper, darin befand (Anonymus 1895 c). Alle anderen Entscheidungsträger waren Stadträte. „Da wäre es nicht mehr als recht und billig, daß in die Jury fortan ebenso viele Bildhauer berufen werden als Laien, damit beide Parteien sich mindestens die Waage halten", mahnte das „ Berli­ ner Fremdenblatt" und stellte fest: „ Wenn ein wissenschaftlicher oder ein musikalischer Preis ausgeschrieben wird, da ist es ganz selbstverständlich, daß Fachmänner in erster Reihe das Unheil zu sprechen haben. Weshalb soll es bei Bildwerken anders sein?" (Anonymus 1895 b). Offensichtlich aus Erfahrungen früherer Wettbewerbe schrieb die „Berliner Zeitung": „Es wäre wünschenswert, daß man nun eine engere Konkurrenz der prämierten Bewerber veran­ staltete und nicht etwa, wie so oft behebt wird, nun einfach einen anderen Bildhauer mit der Ausführung betraut" (Anonymus 1895 b). Die zehn prämierten Bildhauer Edmund Gomansky, Otto Riesch, Gustav Heinrich Eberlein, Otto Stichling, Wilhelm Haverkamp, Alfred Reichel, Johannes Götz, Johannes Böse, Richard Ohmann und Jeremias Christensen (Anonymus 1895 e) nahmen dann auch offenbar Verän­ derungen an ihren Entwürfen vor. Christensen beschränkte sich dabei wohl nur auf die Umde- korierung des Beiwerks zu Füßen der Nymphe. So wurden eine auf einem Absatz des Felsens hingestreckte Putte, die das Fischernetz hinabsinken läßt, und ein Merkurstab weggelassen.

174 Die „Sprea". Aus : Illustrirte Zeitung, 27. April 1899. Staatsbibliothek zu Berlin

Z>ie Sprca, ZTlarmorg nippe tu öcr Dorb,alle Ses Xnagijrcatsfaals im berliner Halbbaufe. OTot*Uirt un& ausgeführt oou 3"cmia~ £rtrijlenfcn. Stoff; tlnci t>h«f00iepbit Den Cito Stmnifc In efrarloiicnbuta. Den Auftrag zur Ausführung der „ Sprea" erhielt Christensen schließlich im November 1895 (Anonymus 1895 f). Das Modell in Originalgröße vollendete er bis Anfang Januar 1897 (Anonymus 1897), wonach der Bildhauer Ochs (vermutlich handelt es sich um den Berliner Bildhauer Franz Ochs, geb. 18. September 1852, gest. 12. Januar 1903) das Werk in Tiroler Marmor ausführte (Anonymus 1899 a, b). Die Kosten sollen 23 000 Goldmark betragen haben (Baecker 1995). Am späten Nachmittag des 21. März 1899 wurde die monumentale Skulptur in der Vorhalle zum Sitzungssaal des Magistrats im Berliner Rathaus aufgestellt (Anonymus 1899 a, b). Es bedurfte einer Arbeit von zwei Tagen, die 140 Zentner schwere Figur an ihren zugedachten Standplatz zu bringen. Im Vestibül des Hauses wurde ein Gerüst aufgebaut, über welches man das Werk mit Flaschenzügen bis zum ersten Stockwerk hievte (Anonymus 1899 b). Diesem „Hauptstück der ganzen Ausschmückung des Raumes" wurde dann offenbar wenig später ein Brunnenbecken aus bläulichem schlesischem Gestein vorge­ legt (Fd 1899).

175 Christensen gelang es, „ den Zug der Linien seines Marmorwerkes dem Linienzug jenes Bildes (dem Vogelschen Gemälde der Verherrlichung Schlüters, d. V.) in harmonischen Einklang gebracht zu haben und dabei die Gruppe doch völlig frei und ungezwungen zu entwickeln .. .", schrieb die „Illustrirte Zeitung". Weiter hieß es: „Aber auch abgesehen von dieser fein berechneten Anpassung der ganzen Anlage an die durch den Aufenthaltsort gegebenen Bedingungen, erzielt die Gruppe an sich den glücklichsten plastischen Eindruck. In ihrem Aufbau klar und bestimmt gegliedert, läßt sie die groß und kraftvoll geformte nackte Frauen­ gestalt, ... als das ganze Bildwerk unbedingt beherrschend hervortreten." Das Beiwerk, vor allem „der wie ein treuverbundenes Hausthier" seitwärts hockende Bär, sei „nicht bloß sinn­ reich und bedeutsam" für den Beschauer, es würde, „überdies noch durch den Wechsel in der Marmorbehandlung den Eindruck der überlebensgroßen Hauptgestalt wirkungsvoll zu stei­ gern" verstehen. „ Offenbart die Auffassung und Durchbildung der letzteren eine künstleri­ sche Gesinnung, die auf die strenge und schlichte Monumentalität hinstrebt, ohne dabei auf den Reiz lebensvoller Frische zu verzichten, so bekundet sich in der Gesamterfindung der Gruppe, der es in der Thierfigur sogar an einem leisen humoristischen Anklang nicht fehlt, ein ebenso kräftiges wie gesundes Talent" (Fd 1899). Auf der Großen Berliner Kunstausstellung von 1902 präsentierte Christensen das Modell sei­ ner Schöpfung im Vestibül des Hauptgebäudes im Ausstellungspark am Lehrter Bahnhof (Anonymus 1902). Während des Zweiten Weltkriegs wurde das Berliner Rathaus schwer zerstört. Die „Sprea" überdauerte diese unheilvolle Zeit fast unversehrt in ihrer Nische, am Rande der von Bomben­ treffern gezeichneten Vorhalle. Zu Beginn des von 1951 bis 1956 dauernden Wiederaufbaus des „ Roten Rathauses" wurde die Statue entfernt und zunächst auf dem Jüdenhof gegenüber dem Alten Stadthaus abgestellt. Eine Wiederaufstellung dieses Reliktes aus der Kaiserzeit war im einst prachtvoll ausgeschmückten Berliner Rathaus nicht vorgesehen. Die Denkmalpfleger des Magistrats sahen sich glücklich, mit der Eröffnung des Tierparks Berlin 1955, eine Bleibe für die „ Sprea" gefunden zu haben. Bevor die Marmorfigur an den Tierpark gegeben wurde, unterzog sie der VEB Stuck und Naturstein einer gründlichen Restaurierung (Dathe 1980). So wurden fehlende Finger und Zehen sowie die Nase wieder ersetzt und angefügt. Zunächst fand die Skulpur einen provisorischen Standplatz südlich des heutigen Lama-Hauses I, am Rande alten Baumbestandes, über die Wiesen weithin sichtbar und mit Blickbeziehung zum Friedrichsfelder Schloß. Mit Fertigstellung der Lamawiesen im Jahre 1966 wurde die „ Sprea" an den Platz verlegt, wo sie noch heute steht (Dathe 1966). Erneut aufgetretene Schäden an den Händen und Füßen behob der Bildhauer Walter Lerche im selben Jahr (Dathe 1980). Wenn diese symbolträchtige Skulptur auch eine „ große, schöne Unbekannte" für die meisten Betrachter ist und fernab ihres alten Standplatzes und ihres Namengebers, der Spree, Aufstel­ lung gefunden hat, gibt es dennoch einen Verbindungspunkt: Die nördlich und südlich des Schlosses Friedrichsfelde in holländischem Stil angelegten Wassergräben sollten einst, im aus­ klingenden 17. Jahrhundert, bis zur fünf Kilometer entfernten Spree geführt werden, um eine beschiffbare Verbindung zu bekommen (Löschburg 1987). Immerhin, ein Hauch ideellen Ursprungs ist also, wenn man so will, auch hier im ehemaligen Schloßpark von Friedrichsfelde zu finden. Neben den barocken Permoser-Vasen aus Dresden, den vier bronzenen Löwen des Kaiser- Wilhelm-Nationaldenkmals und dem „Schlangenbeschwörer" ist die „Sprea" eine der älte­ sten im Tierpark Berlin-Friedrichsfelde aufgestellten Plastiken. 41 Jahre nach der Umsetzung des marmornen Monuments in den Tierpark scheint nun die „Gastrolle" in Friedrichsfelde dem Ende entgegenzugehen. Nach Presseberichten gibt es

176 Blick in die Vorhalle zum Magistratssitzungssaal im Berliner Rathaus, 1931. Bundesarchiv

Bestrebungen, die „Sprea" anläßlich der 800-Jahr-Feier Spandaus 1997 an die Spandauer Spreemündung (nördliches Ufer) zu versetzen (Baecker, Kahler, WR 1995). Auf einem etwa drei Meter hohen Sockel soll sie, weithin sichtbar und nach Spandau gerichtet, als „ Freiheitsstatue" des 1920 eingemeindeten Stadtteils von Berlin fungieren. Sponsoren sol­ len die Finanzierung des Transports, die Instandsetzung der Statue und die Errichtung des Sockels übernehmen. Die Idee zu diesem neuen „ Wahrzeichen" für Spandau hatten die Buch­ autoren Horst Vollrath und Bernd Lammel, denen in den Pressemeldungen die „Wiederent­ deckung" der „Sprea" im Tierpark Berlin-Friedrichsfelde zugeschrieben wird. Die „Entdek- kung" dürfte nicht schwer gewesen sein, denn auch die bislang über 81 Millionen Tierparkbe­ sucher hatten die Möglichkeit, die anmutige Frauengestalt an ihrem lauschigen, etwas ent­ rückten Platz unter alten Bäumen zu finden und zu betrachten. Der Aufstellungsort war nie ein Geheimnis gewesen. Wenn die „ Sprea" nicht an ihren ursprünglichen Standplatz im Berliner Rathaus zurückkeh­ ren soll und ihre Aufstellung im Berliner Tierpark nunmehr als nicht mehr angemessen ange­ sehen wird, warum kann sie dann nicht einen Platz im alten historischen Stadtzentrum Berlins erhalten? Krieg und städtebauliche Fehlgriffe haben viele schmucklose Plätze und Brücken hinterlassen, so auch entlang der Spree, zwischen Marstall und Reichstagsgebäude. Anbieten würden sich z. B. der Uferbereich gegenüber dem ehemaligen Palast der Republik, die Spree-

177 seite des Monbijouparks - gegenüber dem Bodemuseum, der verwaiste Platz des Reiterdenk­ mals Kaiser Friedrich III. (im Zweiten Weltkrieg entfernt und eingeschmolzen) auf der Mon- bijoubrücke oder ein Platz an der neu erstehenden Kronprinzenbrücke, unweit des Reichs­ tags. Die Marmorschönheit wäre hier, im Herzen Berlins, mit Sicherheit ein willkommener Blickfang für die Berliner und ihre Gäste und könnte ihrer Symbolkraft voll Rechnung tragen. Es bleibt allerdings die Frage, ob eine Aufstellung des empfindlichen Marmorwerks unter freiem Himmel aus konservatorischen Gründen überhaupt noch vertretbar ist. Vor allem die Witterung hat der Skulptur über die Jahre bereits deutlich zugesetzt. Eine Restaurierung und ein wirksamer Schutz vor schädigenden Umwelteinflüssen wäre unbedingt erforderlich, ganz gleich, welche Entscheidung zum Verbleib dieses Kunstwerkes letztlich getroffen wird.

Literatur

Anonymus 1895 a, Berliner Tageblatt vom 29. März 1895. Anonymus 1895 b, Berliner Zeitung vom 24. April 1895. Anonymus 1895 c, Berliner Fremdenblatt vom 11. April 1895. Anonymus 1895 d, Vossische Zeitung vom 21. April 1895. Anonymus 1895 e, Illustrirte Zeitung vom 11. Mai 1895. Anonymus 1895f, Illustrirte Zeitung vom 16. November 1895. Anonymus 1897, Illustrirte Zeitung vom 9. Januar 1897. Anonymus 1899 a, Berliner Zeitung vom 22. März 1899. Anonymus 1899 b, Berliner Neueste Nachrichten vom 22. März 1899. Anonymus 1902, Katalog Große Berliner Kunstausstellung, Berlin. Baecker, B., 1995, Göttin „ Sprea" soll am Ufer thronen. Berliner Morgenpost vom 25. Januar 1995. Buchholz, A., um 1897, Das Berliner Rathaus, Berlin. Dathe, H., 1966, Jahresbericht des Tierparks Berlin 1966, Pressemitteilung Nr. 126/66. Dathe, H., 1980, Der künstlerische Schmuck des Tierparks Berlin, Berlin 27 S. Fd, 1899, Die Sprea - Marmorgruppe von Jeremias Christensen. Illustrirte Zeitung vom 27. April 1899. Kahler, J., 1995, Marmor-Göttin soll umziehen, Berliner Zeitung vom 25. Januar 1995. Löschburg, W., 1987, Spreegöttin mit Berliner Bär - Historische Miniaturen, Berlin, S. 249-253. Vollmer, H., 1977, Christensen, Jeremias, Allgemeines Lexikon der bildenden Künstler des XX. Jahrhunderts, Thieme-Becker-Künstlerlexikon, Band VI, Leipzig, S. 538. WR, 1995, Freiheitsstatue für Spandau. Der Tagesspiegel vom 25. Januar 1995.

Für Informationen bedanke ich mich bei Horst Weiss, Inspektor für Denkmalpflege i. R. beim Magistrat von Berlin und den Tierparkmitarbeitern Gerhard Kobow, Rainer Fanke und Klaus Hubold.

Anschrift des Verfassers: Mario Perschke, Egon-Erwin-Kisch-Straße 55, 13059 Berlin-Hohenschönhausen

178 Die vierte Republik im Kaiserreich Von Wolfgang Klempin

Wieder ein 9. November - das in unserer Geschichte so häufig vorkommende Datum. Da liegt er also, der „Matrose Bruno Topff, * 2. November 1886 in Potsdam, 19. November 1920 in Sonderborg Dänemark, Präsident auf der Insel Alsen, Nordschleswig 7. bis 9. November 1918". Das Grab (Abt. 3, Reihe 13, 4 u. 5) auf dem Neuen Zwölf-Apostel-Friedhof am Werdauer Weg in Berlin-Schöneberg liegt schön, mitten im Grünen. Die Grabstelle selbst müßte gesäu­ bert - auch gepflegt - werden. Das hübsche und so blonde Mädchen - tätig in der Friedhofs­ verwaltung, mein Gott ja -, sie könnte auch aus Alsen stammen: „Das Rathaus von Sonder­ burg hat bis 1993 immer die Sommer- und Winterpflege bezahlt, nun übersenden wir Ange­ bote - aber es antwortet niemand mehr. Seien Sie daher nicht bös, das Grab wird nicht gepflegt sein." - Ich sah es dann und fand auch, daß die Schreibweise - Sonderborg - auf der schönen Grabplatte in Berlin einzigartig sein dürfte. Man sagt hier Sonderburg - ja schon auch, weil unsere letzte Kaiserin Auguste Viktoria eine geborene Sonderburg-Glücksburg war. Die Dame hatte sich damals - dachten wir - sehr verbessert durch ihre Heirat nach Berlin, im nachherein allerdings betrachtet,... nun, das führte hier doch etwas zu weit vom Thema ab. Wer war Bruno Topff? An sich war er Geselle des Schneiderhandwerks - dann auch Ober­ maat in der kaiserlichen Marine. Und krank war er, an der Lunge, 1918 lag er im Lazarett in Sonderburg - als er von der Matrosenerhebung in Kiel hörte. Krank, wie er war, stand er vom Bett auf, gründete Soldatenrat und Revolutionskomitee, erklärte Sonderburg zur Republik - und sich selbst zu ihrem Präsidenten. Das Kaiserreich hatte in seinen Grenzen eine vierte Republik - neben den Hansestädten Hamburg und Bremen und der Königin der Hanse, Lübeck. Repubük konnte man sein im Kai­ serreich: Art. 1 der kaiserlichen Reichsverfassung vom 16. April 1871 erlaubte dies. Anders geregelt wurde derartiges später: Nach Art. 28 des Grundgesetzes vom 23. Mai 1949 müssen alle Länder „Republiken" sein. Niemand kann ausscheren und sich etwa einen jungen Fritz suchen und krönen. Wir leben eben freier als damals und sind zugleich kleinlicher. Aber auch das - wo hat man nur immer seinen Kopf - führt ab vom Thema. Am 6. November 1918 wurde Sonderburg, wurde zugleich auch die Insel Alsen, Republik. Drei Tage später dankte der Kai­ ser ab (wieder ein 9. November), und wir alle wurden Republik. Die Alten erinnern sich, und ich stehe oft vor jenen Baikonen am Reichstag und am „ Staatsratsgebäude", wo Scheidemann und Liebknecht die Republik ausriefen. In Sonderburg hatte man das zu diesem Zeitpunkt schon hinter sich. Was machte Bruno Topff? Seine kurze Regierungszeit war, man muß es so sagen, unglaublich erfolgreich: Er setzte die gesamte militärische und zivile Führung auf Alsen ab. Er entmachtete buchstäblich alle, auch den Landrat, den Bürgermeister von Sonderburg und den Stadtkommandanten und den Marinebefehlshaber. Dann sperrte er die Reichsbankkassen und verbot jeden Waffenex­ port über die Insel Alsen hinaus! Die 320 km2 große Insel Alsen gehorchte voll ihrem Präsi­ denten, der den einzigen Dienstwagen des abgesetzen Landrats Schönberg requirierte. Präsi­ dent Topff ließ sich auf dem Rücksitz sitzend herumfahren - er sorgte sich persönlich um alles. Die Ernährungslage verbesserte sich auf der Insel rasch - die auch die Inselprodukte betref­ fenden Ausfuhrverbote wirkten. Unter einen per Wasserflugzeug aus Kiel gekommenen Auf­ ruf Noskes setzte Topff seinen Namen - nachdem er den von Noske gestrichen hatte. Erst

179 danach wurde der Aufruf - in 200 Exemplaren - auf seiner Insel angeschlagen. Und damit längst nicht genug, es gibt heute noch in Sonderburg eine Bruno-Topff-Gesellschaft, deren 1. Vorsitzender (Schuldirektor Kurt Philippsen, Sonderburg) das Andenken unseres Mitbür­ gers Bruno Topff pflegt. Seine Regierungszeit - von lediglich drei Tagen - brachte nur ein einziges Opfer zustande: Bruno Topff selbst, 32jährig, wurde noch kränker. Seine Kräfte hatten sich aufgezehrt. Er war deshalb zu schwach, sich seinen eigenen Soldaten wirksam entgegenzustellen. Ein Schleswiger Militärgericht urteilte und erkannte auf Freispruch, als Schneider geht Bruno Topff zurück nach Sonderburg und stirbt dort an Tuberkulose am 9. November 1920. Seine Frau kehrte nach Berlin zurück, und sie war es auch, die seine sterblichen Überreste nach Berlin überfüh­ ren ließ. So liegt er nun da - inzwischen an der Seite seiner Frau und weiterer Topffsens - und keiner geht mehr hin? Ach ja doch, ich war da - und betete für ihn ein Vaterunser - und erzählte euch nun diese Geschichte aus unserer gemeinsamen Heimat. Bruno Topff - war's damit nun aus und vorbei? Aber nein. Nachträge gibt es zu melden, und zwar auch bei uns - nicht nur im dänischen -: a) politisch und b) literarisch. Zu a) Gustav Noske - Reichstagsabgeordneter, Vorsitzender des Soldatenrates in Kiel und nach dem 5. November 1918 auch Gouverneur von Schleswig-Holstein - bestellte Topff zu sich ein. Noske schrieb später über diese Zeit (Von Kiel bis Kapp, Berlin: Verlag f. Politik und Wirtschaft, 1920) und kam auch auf Bruno Topff - Seite 32 - zu sprechen. Dabei wird Topff benutzt, denn Noske schönt in seinen Memoiren, er gibt sich bescheiden und spinnt mit der Gebärde väterlicher Güte in bezug auf Topff ein eher humoristisches Rankenwerk. Noske schildert sich als Helfer - der Gute - auch z. B. gegenüber einer preußischen Prinzessin Adel­ heid der er sicheres Geleit verschaffte. Topff nun sei von ihm in die „Obhut seiner Ehefrau" gegeben worden. Noskes Versuch zufriedener Selbstdarstellung blieb untauglich: Jeder erinnert sich bei Nen­ nung seines Namens gleich an die brutale Niederschlagung eines Aufstandes revolutionärer Arbeiter in Berlin, was ihn zu einem der verhaßtesten Politiker der Weimarer Republik machte. Zu b) In Alfred Döblins Revolutionsroman (November 1918) gibt es die skurrile Geschichte eines Schullehrers, der im November 1918 auf der Insel Alsen die Macht an sich riß und auf seiner souveränen Insel eine eigene Alsensprache entwickeln wollte. Döblin kannte beide - Topff und Noske. Was bei Noske als humoristisches Rankenwerk, gilt wird bei Döblin Kennzeichen der deut­ schen Revolution. Die Alsensche Revolution verlief für Döblin im Sande und der anderen, der großen deutschen Revolution, sollte es nach dem Willen Noskes nicht besser ergehen - so Döblin. Es wurden schließlich die Ereignisse um Bruno Topff in der Form von Döblins Alsen- schen Schullehrer zu einer Allegorie der großen deutschen Revolution.

Anschrift des Verfassers: RA und Notar a. D. Wolfgang Klempin, Ihnestraße 55, 14195 Berlin-Dahlem

180 Büroangestellter oder Apotheker? Biographische Notizen über Viktor Y. (1886-1956), zugleich Anmerkungen zur Geschichte der Berliner Gesundheitsverwaltung

Von Manfred Stürzbecher

Bei Ordnungsarbeiten in der Altregistratur einer Berliner Verwaltung kamen sogenannte unterbehördliche Personalakten des Hauptgesundheitsamtes des Berliner Magistrats zu Tage. Dies ist insofern erstaunlich, da nach der mündlichen Überlieferung beim ehemaligen Senator für Gesundheitswesen in der Invalidenstraße die Aktenregistraturen des Hauptgesundheits­ amtes in der Breiten Straße bzw. Fischerstraße im Kriege vernichtet worden sein sollen. Diese Reste von Personalakten des Hauptgesundheitsamtes sind von Bedeutung, da die Unterlagen des Hauptpersonalamtes des Berliner Magistrates im Kriege bei den Bombenschäden des Berliner Rathauses offensichtlich vernichtet wurden. Bei der Durchsicht dieser Akten wurde deutlich, daß sich anhand dieser Fragmente - offensichtlich ist nur ein Teil der alten Registra­ tur erhalten - nicht nur Aussagen über Personen machen lassen, sondern sich auch Sachberei­ che im Hauptgesundheitsamt rekonstruieren lassen. Anhand des Beispieles über die Eingrup- pierung eines Rußlanddeutschen soll versucht werden, einige Fragen aus der Geschichte des Berliner Gesundheitswesens in der Zeit zwischen 1936 und 1950 anzusprechen. Die behördliche Aufsicht über das Apothekenwesen in Berlin lag bis 1945 beim Medizinalde- zerntenen des Polizeipräsidenten in Berlin und ging nach dem Zusammenbruch an das Lan­ desgesundheitsamt des Magistrats von Groß-Berlin, Abteilung Gesundheitswesen. Über die ärztlichen Referenten1 und den Hauptsachbearbeiter2 dieses Bereiches aus den vierziger Jah­ ren wurde bereits berichtet. Unabhängig von diesen Aufgaben der staatlichen Aufsicht über das Apothekenwesen muß es im Hauptgesundheitsamt der Stadt Berlin eine Stelle gegeben haben, die sich mit pharmazeutischen Fragen beschäftigt hat. Genaueres zu den dort tätigen Personen und ihren Aufgaben ließ sich bisher nicht feststellen. Seit Mitte der dreißiger Jahre läßt sich ein Stadtapothekendirektor Fritz Reuter (1902-1945) nachweisen3, der mit zwei Dritteln seiner Dienstzeit der Leiter der Krankenhausapotheke des Stadt. Robert-Koch- Krankenhauses (Stadt. Krankenhaus Moabit)4 und mit einem Drittel im Hauptgesundheits­ amt tätig war. Offensichtlich gab es im Hauptgesundheitsamt schon seit den zwanziger Jahren eine „ Rezeptprüfstelle" mit mehreren Beschäftigten. Einzelheiten über die Aufgaben und die Anzahl und die Qualifikation der Mitarbeiter bedürfen noch der Klärung. In den erhaltenen Akten befindet sich auch ein Vorgang über die Büroangestellte Dora B. geb. W., geb. am 20. Januar 1912 in Berlin, die im Alter von 20 Jahren nach dem Vorblatt ihrer Akte am 24. November 1932 im „ Büro für Gesundheitswesen" eingetreten ist. Das Datum ist identisch mit dem Eintritt in die Berliner Verwaltung überhaupt. Ihre Eltern scheinen in Kreuzberg eine „kleine Knopflochstepperei" betrieben zu haben. Sie will ihre Eltern unterstützen und stellt daher den Antrag auf Nebentätigkeit, der genehmigt wird, „da nach Sachlage Doppelver­ dienst im Sinne der bestehenden Bestimmungen nicht vorliegt". Als sie aus dem Arbeitsver­ hältnis ausschied, wurde unter dem 26. Mai 1937 folgender Bericht über die Kanzleiange­ stellte B. angefertigt:

„Frau Dora B., geb. W., ist am 24. November 1932 als Arbeiterin bei der Rezeptprüfstelle des Hauptgesundheitsamtes eingestellt und am 21. August 1933 in das Angestelltenverhältnis überge­ führt worden. Sie scheidet wegen ihrer am 3. Mai 1937 erfolgten Verheiratung zum 1. Juni 1937 auf eigenen Wunsch aus dem städtischen Dienst.

181 Die Angestellte B. hat in der ersten Zeit ihrer Tätigkeit als Arbeiterin Karteien angelegt und Re­ zepte sortiert; im Angestelltenverhältnis ist sie dann mit Arbeiten für die rechnerische Feststel­ lung und für die Fallkostenermittlung beschäftigt worden. Seit Januar 1936 wird sie mit ver­ schiedenen Verwaltungsarbeiten und mit Arbeiten, die gewisse pharmazeutische Kenntnisse vor­ aussetzen, wie z. B. Ergänzung der Taxen, Anfertigung von Ersatzrezepten u. dgl. beschäftigt." Die Rezeptprüfstelle war dem Anschein nach eine Institution, in der eine Überwachung der Rezepturen für Wohlfahrtspatienten stattfand. Anscheinend hat es in der Rezeptprüfstelle im Sommer 1937 noch anderweitige Personalver­ änderungen gegeben, denn das Hauptpersonalamt teilt dem „ Herrn Dienststellenleiter des Hauptgesundheitsamtes" unter dem 28. Juni 1937 mit, daß nach dem Ausscheiden des Ange­ stellten R. die Stelle mit Viktor Y. besetzt wird. Weitere Angaben zur Person und zum Arbeits­ gebiet sind in der Akte nicht vorhanden. Aus einer Verfügung eines Schreibens im Zusam­ menhang mit der Dienstzeitberechnung aus dem Februar 1939 geht hervor, daß Y. um die Anrechnung der Zeit als „Strafgefangener in russischer Kriegsgefangenschaft" bittet. Aus einer Mitteilung des Landeseinwohneramtes ist zu entnehmen, daß Viktor Y. am 5. Juli 1886 in Borisiglebak in Rußland geboren war. Nach Kriegsausbruch 1939 scheint die Arbeit der Rezeptprüfstelle stark reduziert bzw. einge­ stellt worden zu sein. Unter dem 9. Oktober wurde Y. an den Verwaltungsbezirk Wilmersdorf abgeordnet. Aber bereits am 20. Oktober war er zurückversetzt. „Y. wurde beim Verwaltungsbezirk Wilmersdorf in einer Bezugscheinstelle beschäftigt. Er konnte sich, da er nur gebrochen deutsch spricht (Y. ist Deutschrusse), mit dem Publikum nicht recht verständigen." Dem Anschein nach hatte die „Ausgleichsstelle" des Hauptpersonalamtes das Bezirksamt nicht über die Sprachschwierigkeiten verständigt. Y. wurde wieder der Gesundheitsbehörde zugeteilt und mit dem Arbeitspensum eines zur Wehrmacht eingezogenen Stadtssekretärs betraut. Offensichtlich wurde er, nachdem er auch an anderen Stellen, u. a. der Zentralen Erb­ kartei, nicht mit Erfolg „ wegen seiner schlechten deutschen Aussprache und seiner mangeln­ den Bürokenntnisse" eingesetzt werden konnte, bald wieder als Rezeptprüfer beschäftigt. Aus einem Schreiben vom 4. August 1941 des HGA an das Hauptpersonalamt geht hervor: „ Er ist mit der Prüfung der Wohlfahrtsrezepte (Richtigkeit der Preise, Wirtschaftlichkeit der getrof­ fenen Verordnungen, Überwachung der Rauschgiftverordnung, evtl. Fälschungen usw.) beschäftigt." Das Hauptgesundheitsamt bescheinigt unter dem 21. März 1942 dem Büroange­ stellten Y.: „ Die ihm übertragenden Arbeiten hat er zu unserer Zufriedenheit erledigt. Führung, Fleiß und kameradschaftliches Verhalten waren einwandfrei." Schon Ende 1940 scheint man sich um den Einsatz von Y. Gedanken gemacht und sich auch mit dem zur Wehrmacht eingezogenen und im Marinelazarett Bordesholm eingesetzten Stadt­ apothekendirektor Fritz Reuter in Verbindung gesetzt zu haben. In einem Brief an den „ lieben Parteigenossen Dr. Sütterlin" vom 18. Januar 1941 setzt sich Reuter für „einen meiner Rezeptprüfer, Apotheker Y." ein. Dem Stadtmedizinalrat Sütterlin5 berichtet er: „ Y., der Deutsch-Russe ist und übrigens perfekt russisch in Wort und Schrift beherrscht, ist etwas schwerhörig und wird einen Platz in einer öffentlichen Apotheke mit Publikumsverkehr nur sehr bedingt ausfüllen; für eine Beschäftigung als Anstaltsapotheker dürfte er sich auch nur wenig eignen, da er nicht mehr jung genug ist und demzufolge nicht genügend elastisch; auch fehlt ihm jegliche Spezialerfahrung als Krankenhausapotheker." Sah Reuter, der besonders hohe Anforderungen an einen Krankenhausapotheker stellte, Y. im Januar 1941 für die Tätigkeit in einer Krankenhausapotheke als kaum geeignet an, so scheint

182 ein Jahr später die Personalnot in den Apotheken der städtischen Krankenhäuser so groß geworden zu sein, daß man nun bereit war, auch auf weniger geeignete Kräfte zurückzugrei­ fen. Erstaunlich ist, daß Reuter Y. als Apotheker bezeichnet, obwohl dieser bisher nur als Büroangestellter geführt wurde. Dem Anschein nach war Y. in Rußland als Pharmazeut aus­ gebildet, besaß aber nicht die deutsche Approbation als Apotheker. Ob dies auf die eventuell fehlende deutsche Staatsangehörigkeit oder wegen des Fehlens der vergleichbaren Anforde­ rungen an die Ausbildung zurückzuführen war, muß dahingestellt bleiben. Jedenfalls wurde in dem Büroangestellten Y. seit Anfang 1941 ein Apotheker gesehen. Vom Hauptpersonalamt erfolgte eine Anfrage, ob er „als Provisor in einer Apotheke am Wildenbruchplatz eingestellt werden möchte". Die Angelegenheit scheint aus persönlichen und formalen Gründen nicht zu einer Entscheidung gekommen zu sein. Im Dezember 1941 wurde Y. an das damalige „ Horst- Wessel-Krankenhaus" (Städt. Krankenhaus am Friedrichshain) abgeordnet. Dort scheint man mit seinen Leistungen zufrieden gewesen zu sein, denn im Februar 1942 wurde er von dort als unentbehrlich angesehen. Zur gleichen Zeit forderte der Reichsminister für die besetzten Ostgebiete mit Erlaß vom 7. Februar 1942 Y. zu einem bevorstehenden Einsatz in den besetzten Ostgebieten an. Wegen Unabkömmlichkeit in der Krankenhausapotheke des „ Horst-Wessel-Krankenhauses" wurde der Einsatz in den besetzten Ostgebieten abgelehnt. Dem Anschein nach wurde Y. vom Bezirk übernommen, denn die Eintragungen in der unter­ behördlichen Personalakte des Hauptgesundheitsamtes brechen ab, ohne daß eine formale Versetzungsverfügung überliefert ist. Über das Schicksal von Y., von dem während der ersten Jahre des Krieges der Einsatz im Luft­ schutz in Berlin - sowohl im Rahmen des Betriebsluftschutzes im Hauptgesundheitsamt als auch in der Ortsgruppe XI/156 in Wilmersdorf - aktenkundig ist, in den ersten Nachkriegs­ jahren erfahren wir durch einen Zufall. Die Ehefrau von Y. wandte sich nach der Spaltung der Stadt mit der Bitte um Unterstützung an die Bürgermeisterin . Frau Helene Y., geb. R, geb. 1. Januar 1892 in Detschwitz, berichtete, daß ihr Mann, mit langjährigem Wohnsitz in Wilmersdorf, auch nach dem Zusammenbruch als Apotheker im Krankenhaus am Friedrichshain gearbeitet habe. Ende 1945 wurde er unter Druck gesetzt, der KPD beizu­ treten, als er dies ablehnte, wurde er entlassen. Er fand aber schnell wieder eine Anstellung als „ Industrie-Apotheker" bei der chemisch-pharmazeutischen Fabrik Dr. Hugo Remmler, die ihren Sitz in Berlin-Mitte hatte. Dort hat er sich gut eingearbeitet und wohlgefühlt. Im Jahre 1948 erfolgte die Enteignung und damit im Zusammenhang ging sein Arbeitsplatz verloren. „Da mein Mann im Westen keine Stellung fand, war er wieder gezwungen, der Not gehor­ chend, im Ostsektor eine Aushilfsstelle die Woche 4 Tage anzunehmen. Jetzt ist er wieder erwerbslos. Es ist traurig, ein Stück nach dem anderen aus der Wirtschaft verkaufen zu müssen (das tut sehr weh). Gern hätte mein Mann wieder eine feste Tätigkeit in seinem Beruf." Frau Y. bat Frau Schroeder um Hilfe für einen Arbeitsplatz. Das Büro der Bürgermeisterin im Rathaus Schöneberg sandte das Schreiben zuständigkeitshalber an den Stadtrat für Gesund­ heitswesen Dr. Conrad, der es in den Geschäftsgang gab. Unter dem 13. Februar 1950 beant­ wortet der Büroleiter der Abteilung Gesundheitswesen des Magistrats: „Im Landesgesundheitsamt ist eine für Ihren Ehemann geeignete Stelle leider nicht vorhan­ den. Für Personaleinstellungen in städt. Krankenhäusern sind die einzelnen Bezirksämter zuständig, bei denen sich Ihr Ehemann bewerben müßte. Bei dem augenblicklichen Stand werden allerdings z. Z. freie Stellen kaum verfügbar sein. Bei der Versicherungsanstalt Berlin, Berlin-Wilmersdorf, Brandenburgische Straße, wer­ den Rezeptprüfer beschäftigt. Vielleicht bewirbt sich Ihr Ehemann dort um eine solche Tätigkeit. Wir stellen auch anheim, sich an den Apothekerverein Berlin-Charlottenburg,

183 Carmerstraße 3, zu wenden, der sich um Vermittlung von Stellen für Apotheker be­ müht." Durch die Büroleitung des „ Landesgesundheitsamtes" wurde das Bittgesuch von Frau Y. for­ mal korrekt behandelt. Offensichtlich wurde Y. jetzt nicht mehr als Büroangestellter, sondern als Apotheker angesehen. Seit 1945 hatten sich die Zuständigkeiten für das Apothekenwesen in Berlin geändert. Bei der Gesundheitsbehörde wurden weitgehend Ordnungsaufgaben für das Apothekenwesen wahrgenommen. Spielte in der ersten Nachkriegszeit die Arzneimittel­ bewirtschaftung auch im Landesgesundheitsamt eine Rolle, so war diese Aufgabe nach Ende der Blockade weitgehend weggefallen. Im Landesgesundheitsamt wurden auch Apotheker beschäftigt, deren Aufgabengebiet sich gegenüber der Vorkriegszeit aber gewandelt hatte. Die Planstellen waren besetzt und für diese Aufgaben wurde der über sechzigjährige Y. als nicht geeignet gehalten. Eine Personallenkung in den Apotheken der städtischen Krankenhäuser, die den Bezirken unterstanden, wie sie während der Personalnot im Kriege bestand, war nicht mehr gegeben. Die Chancen, dort eine Stelle zu finden, war für einen kurz vor der Berentung stehenden Apotheker wenig günstig. Bei der Einheitsversicherung, die nach der Spaltung der Versicherungsanstalt Berlin (VAB) zunächst auch noch für einige Zeit in West-Berlin als VAB(West) bestehen blieb, war ein Rezeptprüfdienst installiert. Wie weit Y. dort eine Beschäftigung, in einer Epoche mit hoher Arbeitslosigkeit im Westteil der Stadt, finden konnte, muß fraglich erscheinen. Schließlich verwies der Büroleiter noch an die Arbeitsver­ mittlung durch den Berliner Apothekerverein, der sich als Standesorganisation um die Belange der Berufsangehörigen kümmerte. Leider ließ sich weder beim Berliner Apotheker­ verein noch bei der - allerdings erst 1963 eingerichteten - Apothekerkammer Berlin ermit­ teln, ob Y. in der Nachkriegszeit im Besitz der Approbation als Apotheker war und damit de jure auch als Apotheker zu bezeichnen ist. Nach Mitteilung des Landeseinwohneramtes ist Viktor Y. kurz vor seinem 70. Geburtstag am 27. Februar 1956 verstorben. Ob er in den letzten Jahren vor seinem Tode noch eine Beschäf­ tigung als Apotheker oder Büroangestellter gefunden hat, ließ sich nicht ermitteln. Mit dieser Studie wurde der Versuch unternommen, einmal den beruflichen Lebenslauf eines Mitarbeiters in untergeordneter Position in der Berliner Gesundheitsverwaltung aufzuzeigen und dabei gleichzeitig deutlich zu machen, welche Probleme in der Quellenlage und welche Defizite in der Geschichte der Organisation der Berliner Verwaltung bestehen.

Anmerkungen

1 Manfred Stürzbecher: „Dr. Franz Ebner, Ministerialrat in Berlin", Pharmazeutische Zeitung, 137,1992, 2132/2133; ders. „Dr. Otto Kracht, mehr als nur ein Apothekenrevisor", Geschichte der Pharmazie, 46, 1994, Nr. 1, 17-19 (Beilage zur Deutschen Apotheker-Zeitung). 2 Ders.: „beglaubigt: Schummel", Mitteilungen des Vereins für die Geschichte Berlins, 89, 1993, 204-206. 3 Ders.: „Stadtapothekendirektor Friedrich Reuter (1904-1945)", in Vorbereitung. 4 Lothar Stark, Manfred Stürzbecher: „Aus der Geschichte der Apotheke des Städtischen Kran­ kenhauses Moabit", Deutsche Apotheker-Zeitung, 112, 1972, 716-720. 5 Manfred Stürzbecher: „Stadtmedizinalrat Dr. Theobald Sütterlin (1893-1945)", Mitteilungen des Vereins für die Geschichte Berlins, 78, 1982, 397-401.

Anschrift des Verfassers: Dr. phil. Dr. med. Manfred Stürzbecher, Buggestraße 10 b, 12163 Berlin-Steglitz

184 Rezensionen

Elfi Pracht, M. Kempinski & Co., Berlin: Nicolaische Verlagsbuchhandlung 1994, 182 Seiten, 58 DM. Am 30. Mai 1994 wurde am „Bristol Hotel Kempinski Berlin" eine Gedenktafel angebracht: „Hier stand seit 1928 ein Kempinski-Restaurant. Es war ein weltweit bekanntes Symbol Berliner Gastlich­ keit. Weil die Besitzer Juden waren, wurde diese berühmte Gaststätte 1937 ,arisiert', unter Zwang verkauft. Angehörige der Familie Kempinski wurden umgebracht, andere konnten fliehen. Das 1952 eröffnete Bristol Hotel Kempinski möchte, daß das Schicksal der Gründerfamilie nicht vergessen wird." An diesem Tag kam auch das von der Historikerin Elfi Pracht im Auftrag der jetzt leider liquidierten Historischen Kommission verfaßte Buch heraus. Es gibt nur noch wenige Firmen, bei denen auf jüdische Gründer hinzuweisen ist, dazu gehört Kem­ pinski, ein von ungefähr 50 000 bis 1933 existierenden Betrieben, die meist gezwungenermaßen ver­ kauft, „arisiert" - oder auch entschädigungslos enteignet wurden. Der Name Kempinski hat bis in die heutige Zeit einen guten Ruf, und dieser trägt zum Erfolg des jetzt den Namen tragenden Unter­ nehmens bei. So konnte dieses sich leisten, die Betriebsgeschichte - einschließlich der vergessenen dunklen Stelle - erforschen zu lassen. In dem Buch werden gleichzeitig Familien- und Firmengeschichte dargestellt, parallel zur Geschichte der deutschen Judenheit. Sie begann 1862 mit der Gründung des Familienunternehmens M. Kempinski & Co., und die Verfasserin arbeitet die Vernetzung des Unternehmens mit der deut­ schen Geschichte gut heraus. Der Zeitraum der Schilderung beginnt mit der Entstehung in Breslau und dem Umzug nach Berlin. Hier konsolidierte und expandierte das Unternehmen unter tatkräfti­ ger Beteiligung vieler direkter und angeheirateter Familienangehöriger. Als Beispiel für die Souverä­ nität des Chefs Berthold Kempinski sei an eine Episode erinnert: Ein Gast hatte einem Kellner unterstellt, eine Flasche Beaujolais mit einem falschen Etikett gebracht zu haben. Kempinski beru­ higte den Gast nach einer Probe mit den Worten: „ Sie haben recht, es ist nicht die gleiche Qualität. Ich bin erstaunt, daß Sie ein so guter Weinkenner sind, denn der Unterschied ist nur für ganz große Weinschmecker zu bemerken. Ich werde Ihnen eine andere Flasche kommen lassen." Die Kempin- ski-Geschichte wird bis zur „Arisierung" in der NS-Zeit detailreich geschildert. Bei dem Familien­ unternehmen gingen die Gästezahlen zurück, einzelne Nebenbetriebe mußten stillgelegt werden, und das Personal wurde abgebaut. 1937 wurde Kempinski formal korrekt von Aschinger übernom­ men, da es keine Aussicht auf eine positive wirtschaftliche Entwicklung gab. Nach dem Ende des „Dritten Reiches" entstand der Hotelbetrieb Kempinski am Kurfürstendamm, allerdings nur dem Namen nach. Die Erben wurden nicht gefragt. Die Materialfunde ermöglichen über das Unternehmen hinaus neue Erkenntnisse zur Wirtschafts­ und Kulturgeschichte Berlins. Dieser Aussage aus dem Geleitwort von Stefi Jersch-Wenzel kann ohne Einschränkung zugestimmt werden. Kurt Schilde

Der Alte Garnisonfriedhof im Spannungsfeld zwischen Scheunenviertel und Monbijou, hrsg. vom Förderverein Alter Garnisonfriedhof e.V., unterstützt durch die Robert Bosch Stiftung Stuttgart, Berlin: Haude & Spener 1995. Autoren: Gisela Berg, Heinz Berg, Beatrice Falk, Sigute Haase, Bär­ bel Holtz, Jörg Kuhn, Dieter Weigert, ferner unter Mitarbeit von Rosemarie Harte, Friedrich Hauer, Horst Helas, Reinhold Kirsten, Thomas Raschke, Eberhard Tauchen, 147 Seiten, viele historische Abbildungen und Skizzen. Schriften des Fördervereins Alter Garnisonfriedhof e.V.: Joachim Fait, Schinkel und die Grab­ malkunst, Mai 1995 Jörg Kuhn, Neugotik und Neubarock auf Berliner Friedhöfen, August 1995 Heinz Schmidt, Gottlob Johann Christian Kunth - ein Förderer des ökonomischen Fortschritts in Preußen, März 1996 Albert von Boguslawski, Lebensabriß des Generalmajors Carl Andreas von Boguslawski 1758- 1817, Reprint 1996

185 Die im Juni dieses Jahres durchgeführte Besichtigung des Alten Garnisonfriedhofes hat bei unseren Mitgliedern einen großen Eindruck hinterlassen. Ihn zu vertiefen liegen mehrere Schriften vor, die der Förderverein Alter Garnisonfriedhof herausgegeben hat. Sie sind gedacht, den historischen Hin­ tergrund dieser Begräbnisstätte zu beleuchten, und sie entsprechen dieser Absicht vorzüglich. Dem Besucher des Friedhofs (und der gleichzeitig stattfindenden Ausstellung über die Geschichte der Garnisonkirche) tut zunächst die Insel der Stille inmitten der hektisch gewordenen Spandauer Vor­ stadt wohl. Blickt er aber tiefer, erkennt er die sich begebende Friedhofsstille in ihrem Wortsinne, wie sie durch jahrzehntelange Mißachtung, bewußtes Vergessen oder durch halbherzige Maßnahmen entstanden ist. In dem kleinen Park zwischen hohen Scheunenviertelhäusern ist die Fülle der einsti­ gen Gräber und sind die Lebensgeschichten der hier Begrabenen kaum noch zu ahnen. Der Förder­ verein ist nach Kräften bemüht, das wenige Erhaltene vor dem restlosen Verfall und der Zerstörung zu retten. Der Leser der Schriften bemerkt dankbar, daß ihr Sich-Annähern an ein bedeutendes Stück preußischer Militär- und Gesellschaftsgeschichte in abgewogener Sprache und ohne ideologi­ sche Abwertung nach der Wende möglich geworden ist. Es sind tatsächlich, wie Dieter Weigert es formuliert, ,,Kleinod[e] der Berliner Kulturgeschichte mit [ihrem] wertvollen Grabmalbestand, ein sozial- und stadtgeschichtliches Phänomen. Es gilt heute als eines der letzten alten Wohnquartiere Berlins, in dem sich gewachsene Orte der Kunst und Kultur erhalten haben. Die,Szene' des ehemali­ gen Scheunenviertels bildete eine der oft beschriebenen Seiten der kulturellen Entwicklung der Spandauer Vorstadt." (144) Das Buch beginnt mit Vorwort (von Klaus von Krosigk, Mitglied unseres Vereins und stellvertreten­ der Landeskonservator) und Geleitwort (von Heinz Berg und Dieter Weigert) und dem Beitrag „ Residenz und Garnison - Vom Werden der Spandauer Vorstadt", der einen Abriß der Geschichte des Viertels seit 1772 bietet. Auf die Einzelheiten soll nicht eingegangen werden, relevant für das Thema ist seine kulturelle Vielfalt. Die Formulierung „ Das Vorstadtleben - ein Kosmos menschli­ chen Miteinanders und Nebeneinanders" trifft dieses Umfeld gut. Verfasser heben die Häufung mehrerer Friedhöfe auf engem Raum ins Bewußtsein, so daß die Betrachtung ihrer kunsthistorischen Grabmalformen und ihrer Vorbilder sie alle miteinander verbindet und Vergleichsmöglichkeiten abgibt. - Der zeitliche Bogen spannt sich von der Königserhebung des Kurfürsten Friedrichs III. und der von ihm vorgenommenen Grundsteinlegung der Garnisonkirche bis zu ihrer Kriegszerstörung 1944, so daß Ruhm am Anfang und Verfehlung und Sühne am Ende des Staates Preußen das Ganze einrahmen. Alles Gesagte und Geschehene leitet sich von der Gegebenheit her, daß der Große Kur­ fürst 1672 ein stehendes Heer schuf, dem folgerichtig eine Garnison (bei der Residenz) zugeordnet sein mußte. Erst der Sohn erkannte die Aufgabe, ihr eine entsprechende Kirche zu bauen. In seinem Beitrag „Zur Geschichte der evangelischen Garnisongemeinde diesseits vom Spandauer Tor" hebt Heinz Berg eine ästhetisch hervorragende, barocke und politisch bedeutsame Kirche ins Licht. Ihre damalige „ Bedeutung als Gemeinde der preußischen Militärangehörigen ist heute schwer nachzuvollziehen. Dennoch ist dieses reichhaltig gezeichnete Bild nicht im Kunsthistorischen stek- kengeblieben, sondern in wechselseitiger Erhellung verschiedener Tätigkeiten im Gemeindeleben und im Leben der Soldaten entsteht ein Bild politischer Wirklichkeit. Das Heer war staatstragend in vielerlei Hinsicht. Dies ist ein guter Ansatz, denn alle Einzelheiten fügen sich zu einem geistesge­ schichtlichen Profil. Das geistige und politische Berlin des 19. Jahrhunderts erscheint hier wie in einem gedachten Raum, den es in der Realität so nicht gab. Hier aber grüßen verwandte Geister aus Dichtung und Philosophie, Kunst und Heeresführung und Staatslenkung einander, und es finden in dem illusionären Raum Begegnungen statt, wie sie hätten stattfinden können und wie erst die Nach­ lebenden sie sinnvoll zusammenschauen können. Es folgt die Darstellung des Schicksals der Garnisonkirche (von Beatrice Falk und Bärbel Holtz): sie durchmißt die Armeegeschichte, benennt das Respektable: die Namen ihrer Offiziere und Staatsbe­ amten sind vielfach mit den Taten der Reformer verbunden. Dem Schicksal ist Dank zu sagen, daß die NS-Führung am Tage von Potsdam diese Alte Berliner Garnisonkirche nicht zu ihrer Inszenie­ rung ausersehen hatte; auch hier hätte Würde pervertiert werden können. Der Krieg hat auch sie zer­ stört wie ihre Potsdamer Schwester; geblieben ist der schöne Friedhof, zwar nicht nur zum Genuß, denn im Blick auf seine Grabmäler erkennt der Betrachter alle Sprünge und Risse der preußischen Geschichte abgebildet und stellt kritische Fragen, wie Verfasser es tun. An ihnen sind aber auch kunstgeschichtliche Formen abzulesen, wie der Beitrag „ Der alte Garnison­ friedhof und seine kunsthistorisch bedeutenden Grabmale" von Jörg Kuhn es tut. Die Grabmal-

186 kunst, seit einiger Zeit neu gesehen, ist der Berliner Bildhauerschule des 19. Jahrhunderts verpflich­ tet. Seit Peter Bloch sie in ihrer geistigen und gesellschaftlichen Verwobenheit in die Berliner Romantik und ihres patriotischen Ausdruckswertes gedeutet hat, wird dieses Phänomen auch auf den Friedhö­ fen der Spandauer Vorstadt befragt. Nach dieser Gesamtwürdigung werden einige Persönlichkeiten aufschlußreich entfaltet, die die Ver­ fasserin Gisela Berg in gründlicher Interpretationskunst „ Charaktere" nennt. Auch durch sie sind die vier Friedhöfe innerlich miteinander verbunden. - In diesem außergewöhnlichen Blickwinkel erscheint Fouque beherrschend. Im allgemeinen Bewußtsein lebt er mehr als romantischer Dichter des Undine-Märchens, darüber hinaus weiß man erst seit der Maueröffnung, die uns den Weg ins Umland freigemacht hat, mehr von seinem Wirkungskreis auf Gut Nennhausen im Havelland; dies alles wird hier aufgeblättert. Eine neue Nuance ergibt sich durch die Schilderung, wie er das altnordi­ sche Mittelalter in seinen Balladen und Sagas wiederbelebt und der frühen Germanistik entschei­ dende Anstöße gegeben hat. Er war damals der adäquateste Übersetzer des mittelhochdeutschen Nibelungenliedes und gelangte von da aus zur Übersetzung des Altnordischen (Sigute Haase). Im Zuge der Rückbesinnung auf preußische Militärgeschichte ist auch Ansehen und Werk Carl Friedrichs von dem Knesebeck bedeutend geworden. Das Schillerwort über den Wallenstein wird vom Verfasser abgewandelt in: „Sein Charakterbild schwankt allemal in der Geschichte." Fontane hat seine ehrenhafte und bemühte Existenz in der Stille von Carwe am Ruppiner See gepriesen und seinen befreienden Feldzugsplan, Napoleon in die Weiten Rußlands zu locken, als ein Humanum bezeichnet; hier wird ein ambivalenter Heerführer betrachtet, dessen militärisches Zaudern und Zweifeln seinen Ruhm etwas verdunkelt; er lenkt den Blick aber auch auf das Ehepaar von dem Knesebeck, das in Carwe Mittelpunkt eines geistigen Freundeskreises war, zu dem Heine und Fou­ que gehörten und in dem man sich kritisch mit der Französischen Revolution auseinandersetzte. Mit dem Blick auf den Freiherrn von Minutoli als Förderer und Begründer der Ägyptologie schließt der Rückblick. Es schließen sich die Einzelschriften an, die das kulturelle Netzwerk weiter erhellen wollen, aber auch die Nebenabsicht kundtun, mit ihren Beiträgen zum finanziellen Erhalt der Gräber beisteuern zu wollen. - Das Heft von Joachim Fait ist geeignet, die ganze Reihe aufzuschließen. In seinem Gei­ ste und nach seiner Betrachtungsweise haben sich die übrigen genannten Mitarbeiter dem Problem­ feld Alter Garnisonfriedhof und seinen „Bewohnern" genähert. Verfasser sollte als Mitarbeiter gewonnen werden, starb aber, ehe es dazu kommen konnte, und so hat man 1993 seine Greifswalder Universitätsrede von 1991 statt dessen aufgenommen. Er verwies darin auf zweierlei Voraussetzun­ gen, einmal auf die Tatsache, daß das Allgemeine Landrecht von 1794 die Gräber aus den Kirchen­ grüften ins Freie der Friedhöfe verwies und dadurch Denkmalstypen für dieses Freie entworfen wer­ den mußten, und zweitens, daß dieser Typus des christlichen Grabmals von Schinkel, dessen Stärke eher das Architektonische war, nun den Bildhauer in ihm forderte. Fait schildert den Weg von seinen antikischen Trauervorstellungen zur Wiederbelebung mittelalterlicher Glaubensformen in der Neu­ gotik. Das Heft von Jörg Kuhn ist inhaltlich weitgehend identisch mit seinen Ausführungen im Buch über den Garnisonfriedhof. Heinz Schmidt erforscht in Gottlob Johann Christian Kunth den Mann, der als Erzieher der Hum­ boldt-Brüder bekannt ist. Besser kennt man seinen „Chef" Peter Beuth, in dessen Licht er steht. Nicht zufällig ist zur selben Zeit das „ Feuerland", d. h. der Bereich der Eisengießereien vor dem Ora­ nienburger Tor, der räumliche und geistige Nachbarort. Schmidt beschreibt Kunths vielseitiges Leben. Seine Prägung erfuhr es in der Verflochtenheit mit den Weimarer Klassikern und ihren men­ schenbildnerischen Idealen. Die Humboldt-Brüder bildete er im Geiste Goethes, bewährte sich dann im Brennpunkt aller politischen und kulturpolitischen Bestrebungen im nachfriderizianischen Preußen und bewegte in vertrauter Fühlungsnahme mit Stein Reformerisches im „Zeitalter der Erhebung". Aufschlußreich ist ferner der Blick auf die Reihe der Garnisonprediger, unter denen Emil Frommel hervorragt, dessen Grabmal erhalten ist und fast den Mittelpunkt der jetzigen Anlage bildet. Christiane Knop

187 William Shirer, Berliner Tagebuch. Aufzeichnungen eines Auslandskorrespondenten 1934-1941. Aus dem Englischen übersetzt und hrsg. von Jürgen Schebera. Mit sechs historischen Fotos, Anmer­ kungen, Nachbemerkungen, Quellen- und Rechtenachweis, Leipzig: Reclam 1995,348 S., 25 DM. Dieses damals voller Verärgerung und Enttäuschung abgefaßte Tagebuch kommentarlos und nicht aktualisiert herauszugeben, war kein guter Entschluß. Es ist Zeugnis einer inzwischen historisch bes­ ser verarbeiteten Epoche; dieses Bild hier spiegelt aber eine unvollkommen und halbehrlich berich­ tete Vergangenheit. Spätestens mit dem Ende der 60er Jahre war der Stand der deutschen National­ sozialismusforschung differenzierter und gerechter. An ihr war der Verfasser ebenfalls beteiligt, v.a. durch sein Buch: „ The Rise and Fall of the Third Reich" von 1960. - So zufällig und einseitig wie das Umschlagbild SA-Männer auf einer Berliner Straße in einer zufälligen Momentaufnahme repräsen­ tiert, sind viele persönliche Aufzeichnungen subjektiv und aus verständlicher und aus zu respektie­ render Abneigung gegen die Deutschen gespeist. Die Verallgemeinerung trifft die historische Wahr­ heit trotz vieler Einsichten nur halb, und alle Aussagen und berichteten Zustände bedürfen deshalb der Ergänzung. Zuweilen klingt es, als habe ein Späterer in der Absicht, die Geschichte von Vor­ kriegs- und Kriegszeit vom Hörensagen zu illustrieren, dies so konstruiert. Der betroffene Deutsche von damals hat Einwände zu erheben, so z. B., wenn Verfasser den Anschluß Österreichs schildert, ferner gegen seine Anmerkungen aus den Krisentagen um das Münchener Abkommen, ferner gegen das, was er über die Einstellung der Deutschen den Polen gegenüber in der Danzig-Frage und vor Ausbruch des Krieges bzw. vom Abschluß des Hitler-Stalin-Paktes sagt. Widerspruch regt sich schon bei des Verfassers Angabe, er habe seine Aufzeichnungen im Hinblick auf eine spätere Veröffentlichung gemacht und er habe schon zu diesem Zeitpunkt der früheren 30er Jahre Europa sich auf den Weg zu Krieg und Untergang begeben sehen: „ Gegenstand dieses Buches ... ist ein Europa, das mit wachsender Faszination und mit Schrecken beobachtete, wie es in der zweiten Hälfte der dreißiger Jahre voller Wahnwitz auf die Straße geriet, die zum Weltkrieg führen sollte.Primäre Ursache war ein Mann, war ." (Vorwort, geschrieben 1941) Dies geschah auf dem Höhepunkt seiner Antipathie - zum selben Zeitpunkt, an dem sich Thomas Mann in Amerika kritisch über die Deutschen äußerte, und diese Irrungen des Dichters sind von sei­ nem Biographen Harpprecht auf 2000 Seiten kritisch durchforstet und relativiert worden. Die angebliche Beobachtung, alles sei aus „Wahnwitz" geschehen, ist zu hoch gegriffen. Das Bild von 1938 war noch zwiespältig und verwirrend, nicht jeder Deutsche konnte die Dinge so sehen, auch nicht im westlichen Ausland. Auch die Einteilung des Stoffes in „Vorspiel zum Krieg" und „Der Krieg" ist erst post factum vorgenommen. In solche ideologische Einsträngigkeit gehören Beobach­ tungen wie die, jeder Deutsche habe gewußt, daß 1939 die Danzig-Frage nur ein Vorwand gewesen sei, spricht von des Verfassers Abgehobenheit von den Alltagsereignissen jener Monate und der nationalen Stimmung bei den Deutschen, die so auf das vermeintliche Unrecht von Versailles rea­ gierte. Überhaupt läßt er die Deutschen selbst wenig zu Worte kommen. In fast oberflächlich abwer­ tender Weise werden z. B. die Ereignisse beim Einmarsch der Deutschen in Wien fixiert; die ambiva­ lenten Zustände dort kommen nicht in den Blick. Es ist leicht, die sich scheinbar erfüllenden, lange gehegten Wünsche als „Hysterie" und „Tage des Schreckens" zu kennzeichnen. Die optimistische Aufbruchsstimmung aus unbefriedigenden Zuständen wird unterschlagen. „ Habe beschrieben, wie Wien innerhalb von nur einer Woche total nazifiziert worden ist - eine erschreckende Tatsache". (S. 92). - Der wiederkehrende Vorwurf der versäumten Hilfe und Unentschlossenheit der West­ mächte und des Völkerbundes, v. a. was Polen, die CSR und Frankreich betrifft, muß überall herhal­ ten. Dennoch schlägt er zuweilen echte, sehr nachdenkliche Töne an, wenn er z. B. zu Daladiers Ver­ halten in München und Genf sagt: „Ich kann die Franzosen nicht mehr verstehen." Daß sich an das Peace in our time echte Hoffnung knüpften, bleibt unbeachtet. Es bleibt dagegen der Unterton von Kälte und Haß oder extremer Abneigung vorherrschend. Der Leser findet kein Sich-Einlassen auf die Deutschen und ihre Welt und keine Selbstprüfung, die Respekt vor dem Berichterstatter abnötigen würde, der trotz Zensur und Mißtrauens um die Wahr­ heit bemüht ist. Der betroffene Leser streitet diese Belastung auch nicht ab, aber er spürt, hier wird ein grober Klotz gehauen. - Es finden sich in der Berichterstattung und im Resümee hellsichtige Augenblicke, z. B. als Verfasser in der allgemeinen Verwirrung über den überraschenden Abschluß des Hitler-Stalin-Paktes erkennt: Stalin wolle Deutschland in einen Krieg mit dem Westen verwik- keln, der das Chaos bringen solle, aus dem die Sowjetunion und der Bolschewismus als Sieger her­ vorgehen würden (137 ff.). Oder wenn er die Frage nach der wirklichen Widerstandskraft der Deut-

18S sehen im Kriege und ihre Erkenntnisbereitschaft erörtert, heißt es: „Nein, diese Menschen werden den Krieg noch lange, lange mittragen, so sehr sie auch von der skrupellosesten Führerbande, die Europa je gesehen hat, belogen und betrogen werden. Lediglich die dämmernde Erkenntnis eines Tages, daß sie nicht gewinnen können, im Verein mit den alliierten Zusagen, daß eine Aufgabe des Kampfes nicht ihre völlige Vernichtung bedeutet, könnte diese Menschen zur Umkehr bewegen, ehe noch die eine oder die andere Seite der totalen Zerstörung anheimgefallen ist" (326, geschrieben am 1. Dezember 1940). Daß dies zu diesem Zeitpunkt gerade die Problematik der ersten Widerständler innerhalb des Militärs ist, wird weder erwähnt noch ergänzt. Er läßt sich - wie gesagt - nicht auf die Berliner in menschlicher Anteilnahme ein; sein Verhältnis wirkt wie von außen gesehen. Die Berliner erscheinen oft falsch und unwirklich, so z. B. als Jubelnde beim Einzug der siegreichen Truppen aus Frankreich durchs Brandenburger Tor (262); die dort geschilderte Szene wirkt erdacht, jede Siegermacht hat sich so verhalten. - Die ersten Luftangriffe auf die Berliner Bevölkerung beschreibt er - in der Bereitschaft, alles Erlebte als lügenhaft entlarven zu wollen - kalten Herzens, voller Verdruß, sogar mit gewisser Schadenfreude; er zieht auch aus Vor- uteilen seine Schlüsse. - Nirgends ist der bemühte Wille zu erkennen, sich mit dem Ungeliebten aus­ einandersetzen zu wollen, wie es seine Aufgabe als neutraler Beobachter gewesen wäre. Zeugnis dafür ist die entlarvende Notiz, die Deutschen könnten „ein Volk mit Mut und Charakter nicht ver­ stehen", womit Churchill und die Engländer gemeint sind. Oder wenn er notiert, jetzt, in Zürich, befinde er sich wieder „ in der Zivilisation". Am Schluß, als seine Korrespondententätigkeit beendet ist, schreibt er: „Selbst die Intelligentesten und Anständigeren unter meinen Zensoren fragen, warum ich hierbleibe. Unter diesen Umständen habe ich nicht das leiseste Interesse daran. Es war - mit meinem tiefen und brennenden Haß auf alles, wofür der Nazismus steht - für mich zu keiner Zeit sehr angenehm, hier zu arbeiten. Aber das war sekundär, solange ich eine Aufgabe zu erfüllen hatte. Das persönliche Leben des einzelnen zählt nicht mehr in Europa, und ich hatte keines mehr, seit der Krieg begann. Jetzt aber kann ich nicht einmal eine Aufgabe erfüllen - nicht mehr von hier aus." (23. Oktober 1940). Eine historisch solcherart unerschlossene Wiedergabe ist schwer zu rechtfertigen. Dieses Berliner Tagebuch ist nach mehr als 50 Jahren niemandem eine Hilfe, aber vielen ein Ärgernis, obwohl Shirer selbst inzwischen die Aufarbeitung geleistet hat, von der die Essenz wenig in diesen Text eingeflossen ist. Christiane Knop

Das Zentrum für Berlin-Studien im Ribbeck-Haus Seit dem 3. März 1996 gibt es ein drittes Haus in der Zentral- und Landesbibliothek Berlin, das Zen­ trum für Berlin-Studien im Ribbeck-Haus Als Studien- und Forschungsstätte zum Thema „Berlin" möchte sich das Zentrum für Berlin-Stu­ dien im Ribbeck-Haus in die Berliner Kulturlandschaft integrieren. Das Ribbeck-Haus, ein Kleinod Altberliner Architektur aus dem Jahre 1624, wurde am 28. März 1995 durch einen Beschluß des Berliner Abgeordneten-Hauses der Amerika-Gedenkbibliothek (AGB) und der Berliner Stadtbi­ bliothek (BStB) zur gemeinsamen Nutzung überlassen. Die Fusion dieser beiden großen Berliner Bibliotheken zur Zentral- und Landesbibliothek Berlin (ZLB) war bereits abzusehen. Beide Häuser hatten deshalb im Sommer 1994 ein gemeinsames Nutzungskonzept für das Ribbeck-Haus als „ Zen­ trum für Berlin-Studien" (ZBS) erarbeitet und vorlegt. Die Arbeit der 14 Mitarbeiter des ZBS unter­ teilt sich in fünf Komplexe: Bibliothek, Programme und Veranstaltungen, Publikationen, EDV-Pro­ jekte, Berlin-Bibliographie. 1. Bibliothek: Die Bibliothek des ZBS beinhaltet die Berlin-Sammlungen von Amerika-Gedenkbi­ bliothek und Berliner Stadtbibliothek. (Diese beiden Einrichtungen fusionierten im Oktober 1995 zur Zentral- und Landesbibliothek Berlin.) Jedermann findet im Bestand (80 000 Bände) der ZBS- Bibliothek umfangreiches Material zu verschiedenen Berliner Themen. Die Bestände zur Allgemei­ nen Ortskunde, Natur, Geschichte, Biographie, Volkskunde, Architektur und Kunst sind im Erdge­ schoß, die der Publizistik, Wissenschaft/Forschung, Erziehung/Bildung, Religion, Soziologie, Sied- lungs- und Wohnungswesen, Politik/Verwaltung, Recht, Statistik, Wirtschaft/Finanzen, Verkehr, Gesundheitswesen/Soziales, Sport, Sprache und Literatur im 2. Obergeschoß aufgestellt. Neben umfassenden Buch- und Zeitschriftenbeständen gibt es eine umfangreiche Zeitungsausschnitts­ sammlung zu Themen wie: Geschichte, Kultur, Theater, Handel, Industrie, Architektur und Persön­ lichkeiten.

189 Ein breites Spektrum neuer und alter Zeitungen (seit 1740), die in Berlin erschienen sind und erscheinen, ist im Original bzw. auf Mikrofilm archiviert. Die Berliner Adreß- und Telefonbücher sind ebenso gesammelt wie das umfangreiche Kleinschrifttum zu Verkehr, Theater, Handel usw. Eine Postkartensammlung mit mehr als 12 000 Ansichten, nach Bezirken und Straßen geordnet, und eine gut ausgebaute Sammlung von Karten und Plänen stehen ebenfalls zur Verfügung. 2. Programme und Veranstaltungen: Durch eine differenzierte, sich am Berliner kulturellen Leben orientierende Veranstaltungs- und Programmarbeit soll das Studien- und Forschungszentrum zu einem Anziehungspunkt in der Mitte Berlins werden. Unter anderem ist die Durchführung von Seminaren, Konferenzen, Forschungskolloquien und Lesungen geplant. Dazu bedarf es einer kon­ struktiven Zusammenarbeit mit Partnern, bei denen Berlin ebenso ein Bestandteil der inhaltlichen Arbeit ist, wie z. B. bei der Historischen Kommission, der Landesgeschichtlichen Vereinigung für die Mark Brandenburg (seit dem 23. März 1996 in den Räumen der ehemaligen Berlin-Bibliothek der Berliner Stadtbibliothek, im Marstallkomplex), der Landeszentrale für politische Bildung, dem Lan­ desarchiv, der Stiftung Stadtmuseum, dem Landesverband der Museen zu Berlin e.V., der Industrie- und Handelskammer, verschiedenen Wirtschaftsförderungseinrichtungen und dem Berlin-For­ schungs-Programm der Freien Universität Berlin, dem DAAD Berlin, der Berlinischen Galerie, dem Berliner Verleger- und Buchhändlerverband, der Akademie der Künste. Erste Kontakte sind geknüpft bzw. werden in den nächsten Wochen auf- und ausgebaut. Die angespannte Haushaltslage läßt keinerlei finanzielle Unterstützung durch den Berliner Senat erwarten. Somit ist auch für das ZBS das Zauberwort „ Sponsor" von großer Bedeutung. Die Gründung eines gemeinnützigen „ Ver­ eins der Förderer und Freunde des Zentrums für Berlin-Studien" ist für 1997 geplant, ein Satzungs­ entwurf liegt bereits vor. Da das ZBS seinen Sitz im Ribbeck-Haus hat, könnte sich dieser Freundes­ kreis u. a. auch mit der Geschichte des Ribbeck-Hauses beschäftigen. Eine umfangreiche Dokumen­ tation über dieses Haus, eines der wenigen Zeugnisse der Spätrenaissance in Berlin, gibt es nach unserem Wissen noch nicht. Einige Recherchen wurden von Mitarbeitern des ZBS bereits vorge­ nommen. Das Ribbeck-Haus zu erhalten, für das kulturell interessierte Publikum zu öffnen und somit einen weiteren spezifischen Ort in der Berliner Kulturlandschaft zu schaffen, liegt ganz sicher auch im öffentlichen Interesse, wie Meinungsäußerungen von Besuchern und Lesern zei­ gen. 3. Publikationen: Eine Ergänzung zu Ausstellungen und Veranstaltungen werden Veröffentlichun­ gen sein. Sie gliedern sich in Texte dazu und in eine Schriftenreihe des Zentrums für Berlin-Studien. Diese soll in unregelmäßigen Abständen erscheinen. Geplant sind eigene Texte und Beiträge von Institutionen und interessierten Persönlichkeiten zu berlinspezifischen Themen. 4. EDV-Projekte: Im Konzept des Zentrums für Berlin-Studien wurde von Anbeginn die Ausein­ andersetzung mit neuen Computertechnologien vorgesehen. Ein besonderes Augenmerk liegt dabei auf dem Umgang mit dem weltweiten Computernetzwerk Internet. Um diesem Anliegen gerecht zu werden, arbeitet das ZBS eng mit der Kulturbox Elektronische Medien GmbH zusammen. Ein erstes Produkt dieser Kooperation ist die Präsentation der Zentral- und Landesbibliothek Berlin im Inter­ net, die selbstverständlich auch Informationen zum ZBS und zum Ribbeck-Haus enthält (Internet- Adresse: http://www.kulturbox.de/berlin/zlb/zbs-d.htm). Durch die Anbindung des ZBS an das globale Computernetz können Anfragen aus aller Welt zum Thema Berlin mit Hilfe der elektroni­ schen Post schnell beantwortet werden. Neben diesen beiden Serviceleistungen liegt ein besonderes Gewicht darauf, die wertvollen, insbesondere historischen Bestände des ZBS mittels EDV-Technik immer intensiver zu erschließen und einem breiteren Benutzerkreis, der nicht mehr zwingend an den Standort Ribbeck-Haus gebunden sein muß, zugänglich zu machen. Zur Realisierung dieses Anlie­ gens wurden zwei Projekte gestartet. Zum ersten ist anläßlich des 150jährigen Jubiläums der Revolu­ tion von 1848 im Jahre 1998 eine „ Internet-Ausstellung" von Dokumenten aus der Sammlung 1848 geplant. Zu diesem Zweck werden jetzt die ersten Dokumente in einer Datenbank erfaßt und einge­ scannt. Das zweite Projekt unter dem Titel „Zeitreisen in virtuellen Online-Landschaften" befaßt sich mit der Verknüpfung von historischen Bibliotheks- und Museumsbeständen mehrerer über ganz Deutschland verteilter Einrichtungen. Es wird vom Deutschen Forschungsnetz e.V. (DFN) gefördert und über zwei Jahre hinweg durchgeführt. Um den Stand der Projektarbeit auch dem interessierten Besucher des ZBS und den Kollegen der Zentral- und Landesbibliothek zu zeigen, ist noch in die­ sem Jahr die Einrichtung eines öffentlichen Internet-Zugangs im Ribbeck-Haus geplant. Auch da­ bei wird das ZBS von der Kulturbox GmbH unterstützt. Die geplante Eröffnung eines Inter-

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J net-Cafes scheitert bis heute daran, daß das Landesverwaltungsamt keinen Pächter für das gesamte gastronomische Objekt Internet-Cafe und Ribbeck-Keller findet. Die im Seminarraum vorgesehene Veranstaltungsarbeit und die Durchführung des Internet-Schulungsprogramms für Bibliothekare müssen ebenfalls verschoben werden, da dort bis Ende 1997 die dringend notwendige Retrokonver- sion der Kataloge des ZBS durchgeführt wird. 5. Berlin-Bibliographie: Zwar ist im Berliner Pflichtexemplargesetz vom 29. November 1994 kei­ nerlei Aussage zu einer bibliographischen Verzeichnung der Pflichtstücke gemacht worden, es gehört jedoch zu den bibliothekarischen Selbstverständlichkeiten, daß man dies als Pflichtexemplar­ bibliothek tut. Regionalbibliographien verzeichnen in der Regel das selbständige und das unselb­ ständige Schrifttum, sowie es Regionalbezug hat. Die Berlin-Bibliographie wurde bislang in der Ber­ liner Stadtbibliothek erstellt und wanderte folgerichtig in das Zentrum für Berlin-Studien. Beatrice Kellner, Birgit Böhme

Aus den Berliner Museen

Bauhaus-Archiv Berlin - Museum für Gestaltung: „Das andere Bauhaus. Otto Bartning und die Bauhochschule Weimar 1926-1930." Der Architekt Otto Bartning, 1883 in geboren und 1959 in Darmstadt verstorben, war von 1926 bis 1930 Direktor der Hochschule für Handwerk und Baukunst in Weimar. 1955 bis 1959 wirkte er als städtebaulicher Beraterin Berlin, wo er an dem Auf­ bau der Wohnsiedlung Siemensstadt beteiligt war. Ein Beispiel seiner richtungweisenden neuen Ansätze im Kirchenbau in Berlin ist die Gustav-Adolf-Kirche in der Brahestraße, Charlottenburg, nahe dem S-Bahnhof Jungfernheide, die in den Jahren 1932 bis 1934 entstand. Im Krieg beschädigt, wurde die Kirche unter Bartnings Leitung wieder aufgebaut. Bis 23. Februar 1997. Klingelhöfer- straße 14. Mi. bis Mo. 10 bis 17 Uhr. G. Komander

Kupferstichkabinett: „Giovanni Battista Tiepolo (1696-1770) und sein Atelier." Zum 300. Todestag Tiepolos zeigt das Kupferstichkabinett Zeichnungen und Radierungen des Italieners, seiner Söhne Giandomenico und Lorenzo sowie weiterer Schüler aus dem eigenen, umfangreichen Bestand. Dem an graphischen Techniken interessierten Besucher bietet die Ausstellung durch die Gliederung Einsicht in die Feder-, Pinsel-, Kreide- und Rötelzeichnung sowie die Radierung. Bis 2. März 1997. Kemperplatz. Di. bis Fr. 9 bis 17 Uhr, So. 10 bis 17 Uhr. G. Komander

Stadtmuseuni Berlin - Märkisches Museum: „ Im Mittelpunkt der Mensch. DDR-Dokumentation: Berliner Werkzeugmaschinenfabrik Marzahn." Der VEB BWF hatte sich seit den 60er Jahren zu einem Musterbetrieb der DDR entwickelt. 1990 in eine GmbH umgewandelt, wurden 1991 die mei­ sten der ehemals 2650 Arbeiter entlassen. Die verbliebenen Mitarbeiter gründeten die „ Geschichts­ werkstatt BWF Marzahn" und verhinderten durch Aufbewahrung und Dokumentation historischer Gegenstände des Arbeitsalltags die völlige Vernichtung der eigenen Vergangenheit. Die Ausstellung zeigt die wertvolle Fotosammlung der Arbeiterschaft aus den 60er und 80er Jahren, Objekte der Arbeitswelt und einen Dokumentarfilm des WDR über die Fabrik. Bis Ende Februar 1997. Am Köllnischen Park 5. Di. bis So. 10 bis 18 Uhr. G. Komander

Museum für Islamische Kunst: „Das Aleppo-Zimmer und sein Umkreis." Wer über die Feiertage einen Museumsausflug in besinnlicher Umgebung machen möchte, sollte unbedingt noch einen Blick auf diese Ausstellung werfen. Das „Aleppo-Zimmer", eine bemalte Holzvertäfelung aus einem Privathaus in der syrischen Stadt Aleppo, entstand zwischen 1600/1 und 1609. Eines der wertvollsten Sammlungsstücke des Islamischen Museums ist es durch seine inschriftliche Datierung zugleich von herausragender Bedeutung für die Erforschung der orientalisch-christlichen Kunst im 16. und 17. Jahrhundert. Angekauft wurde es 1912 durch den Direktor Friedrich Sarre. Bis 12. Januar 1997. Pergamonmuseum, Bodestraße 1 -3. Di. bis So. 9 bis 17 Uhr. G. Komander

191 Der Hamburger Bahnhof - Museum für Gegenwart: Die Räume des Hamburger Bahnhofs begei­ sterten schon 1990 die Besucher der Ausstellung „Ethos und Pathos". Seit November beherbergen sie, renoviert und erweitert, das Museum für Gegenwart, dessen Sammlung sich aus dem Besitz eines Privatsammlers und dem der Nationalgalerie, des Kupferstichkabinetts, des Kunstgewerbemuseums und der Kunstbibliothek zusammensetzt. Der Name „Museum für Gegenwart" wurde gewählt, um alle uns gegenwärtigen Aspekte künstlerischen Ausdrucks und kultureller Kommunikation einzube- ziehen. Das Besondere dieses Hauses wird die gemeinsame Ausstellung von freier und angewandter Kunst sein, ebenso wird Alltagskultur vertreten sein, aber auch Lesungen, Diskussionen werden in Verbindung mit der veränderbar gedachten Präsentation der Objekte stattfinden. Der „offene Kunstbegriff" Joseph Beuys', selbst schon Geschichte und doch gegenwärtig, wird im Zentrum der wissenschaftlichen und öffentlichen Arbeit des neuen Museums stehen. Aus der bedeutenden Sammlung Marx stammen Werke von Joseph Beuys, Cy Twombly, Robert Rauschenberg, Andy Warhol und Anselm Kiefer. Invalidenstraße 50/51. Di. bis Fr. 9 bis 17 Uhr, Sa. u. So. 10 bis 17 Uhr. G. Komander

Es stellt sich vor: Das Institut für Orgel- und Kantoreiforschung e.V.

Unser Institut entwickelte sich aus einem kleinen Förderkreis kirchenmusikalisch Interessier­ ter, den der Kirchenmusiker und Psychologe Hermfried Weber um 1980 zusammen mit dem Ingenieur und Lehrer Dagobert Liers gründete. Dieser Kreis wurde 1982 im Bereich der evan­ gelischen Kirche mit Unterstützung des Konsistoriums vom Kirchenkreis Lichtenberg als „ Arbeitskreis Kirchenmusik im Kirchenkreis Berlin-Lichtenberg" kirchenauf sichtlich institu­ tionalisiert. Vom Statut her gab es drei Arbeitsschwerpunkte: Erstens und hauptsächlich wid­ mete sich der Arbeitskreis Forschungsvorhaben über Orgelbau, Orgelgeschichte und Kan­ toreiforschung. In Verbindung damit wurden Lehrveranstaltungen und Orgelexkursionen durchgeführt. Weitere Schwerpunkte waren Publikationen bzw. Darstellung unserer For­ schungsergebnisse auf internationalen Tagungen. Zweitens wurden Musikinstrumente, Noten und Archivmaterialien für Lehr- und Forschungszwecke gesammelt, insbesondere sol­ che Sachzeugen, die sonst weggeworfen worden wären. Im Lauf der Zeit entstand so eine ziemlich umfangreiche, aber leider aus Mangel an Mitteln immer noch ungeordnete Samm­ lung. Drittens machten die Mitarbeiter des Arbeitskreises Sicherungs- und Werterhaltungsar­ beiten an Orgeln, für die sich keine Reparaturfirma fand (vorwiegend kleine „romantische" Orgeln). Die gesammelten Unterlagen aus ehemaligen Orgelbaubetrieben, Werkzeuge und Maßverkörperungen, boten ein solides Fundament hierfür. Um die Wende herum wurde uns klar, daß unser Arbeitskreis künftig, rechtlich gesehen, ein nicht eingetragener Verein sein würde. Die damit verbundenen Risiken und Finanzbedingun­ gen forderten ab 1990 eine andere Rechtsform für unsere Arbeit. Daher haben wir uns als ein­ getragener Verein organisiert. Ziele des Vereins sind insbesondere - Durchführung von wissenschaftlichen oder künstlerischen Veranstaltungen mit Bildungs­ charakter, - Anregung und Förderung von Forschungen zur Orgel- und Kantoreiwissenschaft im weite­ sten Sinne, - Sammlung von Material zu Lehr- und Forschungszwecken, - publike Verwertung von Forschungsergebnissen für den Verein. Orgelpflege und -Instandsetzung werden im Gegensatz zu den Gepflogenheiten der Arbeits­ kreis-Zeit durch einen spezialisierten Betrieb außerhalb des Vereins fortgeführt. Innerhalb

192 unseres Instituts sind durch die Mitarbeiter verschiedene Fachgebiete vertreten. Wir koope­ rieren aber auch gern mit anderen Vereinen, Praxispartnern, Lehr- und Wissenschaftseinrich­ tungen, Handwerks- und Gewerbebetrieben. Daß unsere Aktivitäten den Kirchengemeinden sowie den Freunden der Kirchenmusik zugute kommen, charakterisiert unsere Arbeit. Inso­ fern verstehen wir uns als Instrument im Verkündigungsdienst der Kirche. Die Ausstellung ausgewählter Objekte in der Zwingli-Kirche (Rudolf straße, Nähe S/U-Bahnhof Warschauer Straße, geöffnet sonnabends 15 bis 18 Uhr) stellt nur ein Provisorium dar. Es ist gegenwärtig unser Bestreben, ein „richtiges" Orgelmuseum einzurichten. Dort wollen wir die umfangrei­ che Sammlung präsentieren und zugleich ein Zentrum für weitreichende Aktivitäten schaffen. Kontaktadresse: Institut für Orgel- und Kantoreiforschung e.V., Dr. D. Liers, Rupprecht- straße 15c, 10317 Berlin, Tel./Fax: 5 220462

Studienreise des Vereins für die Geschichte Berlins, gegr. 1865, nach Köln vom 8. bis 11. Mai 1997

Von der römischen Colonia zur modernen Kunst- und Medienstadt Zweitausend Jahre Kölner Geschichte und Kultur

Vorläufiges Programm

8. Mai 1997 (Himmelfahrt) • Busfahrt nach Köln (mit allgemeinen Informationen zur Kölner Geographie und Geschichte) • Hoteltransfer • Abendessen im Kölner Brauhaus (je nach Ankunftszeit vorher Altstadtspaziergang)

9. Mai 1997 • vormittags große Stadtrundfahrt • nachmittags Dombesichtigung und Walraff-Richartz-Museum (mittelalterliche Malerei) • abends Konzert- oder Theaterbesuch

10. Mai 1997 • vormittags Stadtspaziergang mit Besichtigung der romanischen Basiliken Groß St. Martin, Maria im Kapitol und St. Aposteln • Nachmittag zur freien Verfügung oder weitere Besichtigungen (z. B. Schokoladenmuseum)

11. Mai 1997 • vormittags Schiffsfahrt auf dem Rhein oder Ausflug zum Altenberger Dom • Rückfahrt nach Berlin

Leistungen: 3 Übernachtungen mit Frühstück, An- und Abreise sowie Transfer und Stadtrundfahr­ ten im modernen Reisebus, alle Führungen (einschl. Rhein-Schiffsfahrt), ausführliches Informati­ onsmaterial über Köln.

Reiseleitung: Dipl.-Päd. Wolfram Goslich, Berlin, und Dr. Mathias Kitsche, Köln

Kosten: 495 DM. EZ-Zuschlag 135 DM für 3 Nächte. Die Zahl der Teilnehmer ist auf 48 begrenzt. Schriftliche Anmeldungen bitte richten an: Dr. Volkmar Goslich, Borggrevestraße 10,13403 Berlin, Telefon (0 30) 4 96 22 52. Die Herbstreise führt uns vom 11. bis 14. September 1997 nach München. Das Programm wird im Heft 2 der „Mitteilungen" veröffentlicht.

193 Jahresbeitrag 1997 Bitte nutzen Sie den beiliegenden Übenveisungsträger für die baldige Zahlung Ihres Mit­ gliedsbeitrages von 80 DM (Ehepaare 120 DM) für das Jahr 1997. Die uns erteilten Einzugs­ ermächtigungen sind hinfällig, da unsere Bank keine Lastschriften mehr vornimmt. Daher sind auch diejenigen Mitglieder, die diese Zahlungsart bisher praktizierten, gebeten, den beiliegenden Überweisungsschein zu verwenden. (Beim Fehlen der Zahlkarte Konten des Vereins siehe Rückseite dieses Heftes.) Noch eine dringende Bitte: Im vergangenen Jahr mußten mehr als 200 Mitglieder gemahnt werden. Ersparen Sie bitte dem Schatzmeister diese - ehrenamtliche — Strafarbeit und dem Verein unnötige Portokosten! Karl-Heinz Kretschmer

Wir begrüßen folgende neue Vereinsmitglieder (IV/96):

Block, Heidi, und Küsel-Glogau, Hans-Herman, Rentner Block, Peter Grillparzerstraße 2, Katharinenstraße 21, 12157 Berlin-Steglitz 10711 Berlin-Wilmersdorf Tel. 8 2144 78 (Prof. Dr. I. Falck) Tel. 8 9194 81 (Dr. M. Uhlitz) Lütgert, Lore, Rentnerin Chrapkowski, Gerhard Schweitzerstraße la, Geschäftsführender Gesellschafter 14169 Berlin-Zehlendorf der A. Hefter GmbH & Co. KG Berlin Tel. 8 0118 75 (Dr. M. Uhlitz) Rachelstraße 15, Malin-Berdel, Dr. Jeannette, Ärztin 94315 Straubing Länderallee 13, Tel. (09421) 6544 (H.-W. Klünner) 14052 Berlin-Charlottenburg Goepel, Dr. Bernhard, Tel. 3 04 10 44 (Dr. M. Uhlitz) Facharzt für Orthopädie Müller, Dr. Heinrich-H., Universitätsdozent Hannemannstraße 52, Ulmenallee 20 A, 12347 Berlin-Britz 14050 Berlin-Westend Tel. 6 063831 Tel. 3 02 96 64 (Dr. M. Uhlitz) Groß, Felicitas, Verw.-Angest. Scheeler, Dr. Lothar, Arzt Uhlandstraße 150 a Am Ried 13 F, 10719 Berlin-Wilmersdorf 13467 Berlin-Hermsdorf Tel. 8 83 59 15 (Dr. M. Uhlitz) Tel. 4 044819 (H. Oxfort) Kessler, Gisela, Rentnerin Speckmann, Sigrun, Beamtin Ettaler Straße 3, Ostseestraße 2, 10777 Berlin-Schöneberg 45665 Recklinghausen Tel. 2 1132 16 (Dr. M. Uhlitz) Tel. 4 3440 (H. Oxfort) Koerdt, Brigitte, Bankkauffrau Steffen, Axel, Bankkaufmann Prinzregentenstraße 16, Krottnaurerstraße 28, 10717 Berlin-Wilmersdorf 14129 Berlin-Nikolassee Tel. 8 54 2146 (Dr. M. Uhlitz) Tel. 8 03 88 70 (H.Krieg)

Dank einer großzügigen Spende unserer neuen Mitglieder Heidi und Peter Block konnten wir den Umfang dieses Heftes von 32 auf 48 Seiten vermehren.

Wir wünschen allen neuen und alten Mitgliedern ein gesundes und erfolgreiches Jahr 1997 sowie erlebnisreiche und erholsame Stunden im Kreise des Vereins für die Geschichte Berlins, gegr. 1865. Christiane Knop und Manfred Uhlitz

194 Veranstaltungen im I. Quartal 1997 1. Donnerstag, 9. Januar 1997, 18 Uhr: „Führung in der ehem. Wilhelminischen Mili­ tärakademie - dem künftigen 1. Dienstsitz des Bundesministers für Wirtschaft". Mit Dr. Karl-Heinz Schlesier, Referent im Bundesbauministerium. Treff: Hauptein­ gang, Scharnhorststraße. U 6 (Zinnowitzer Straße), S-Bahn (Lehrter Stadtbahnhof), Busse: 245, 340. 2. Dienstag, 14. Januar 1997, 16 Uhr: „Führung durch die Ausstellung ,Victoria & Albert, Vicky & The Kaiser - Ein Kapitel deutsch-englischer Familiengeschichte'" mit unserem Mitglied Barbara Ohm M. A., Kunsthistorikerin und Mitgestalterin der Aus­ stellung. Deutsches Historisches Museum, Zeughaus, Unter den Linden 2, Berlin- Mitte. Vgl. S. 167 bis 172 in diesem Heft. 3. Freitag, 17.Januar 1997, 16.30 Uhr: „Führung durch die Ausstellung zum 100.Todestag J.A.W, von Carstenns". Mit Armin A. Woy, Pluspunkt e.V. Die Ausstel­ lung des Kulturamts Steglitz würdigt Leben und Werk des Begründers der Villenkolonie Lichterfelde. Treff: Eingangshalle der Schwartzschen Villa, Grunewaldstraße 55. U9 (Rathaus Steglitz). 4. Montag, 20. Januar 1997, 19 Uhr: „Stand und Perspektiven der Museumsplanung in Berlin". Vortrag von Professor Dr. Günter Schade, stellv. Generaldirektor der Staatli­ chen Museen zu Berlin - Preußischer Kulturbcsitz. Ort: Remise des Ägyptischen Muse­ ums Bcrlin-Charlottcnburg. Eingang Spandaucr Damm 7 (am Meilenstein). Busse: X21.X26, 109, 110. 145. Im Anschluß an den Vortrag lädt der Vorstand die Damen und Herren unseres Vereins zu einem Glas Sekt ein. 5. Sonnabend. 8. Februar 1997, 14 bis 15.30 Uhr: „Führung im ehem. Hamburger Bahn­ hof- Museum für Gegenwart" Treff: Eingangshalle. Eintritt: 8 DM, Schwerbeschä­ digte 4 DM. S-Bhf. Lehrter Stadtbahnhof, U-Bahn Zinnowitzer Straße; Busse 245, 248,340. (Die im vergangenen Heft für diesen Termin angekündigte Führung durch die Sammlung Berggruben muß wegen eines fortbestehenden Führungsverbotes auf einen späteren Zeitpunkt verschoben werden.) 6. Freitag, 14. Februar 1997, 19 Uhr: „Die geschichtliche Entwicklung der Dorotheen- stadt bis zur Reichsgründung", Vortrag mit Overhead-Projektor von Dr. Volker Wag­ ner, Historiker. Ort: Rathaus Charlottenburg, Otto-Suhr-Allee 100, Pommernsaal. (Dieser bereits im vergangenen Quartal angekündigte Vortrag mußte seinerzeit ausfal­ len, weil der Vortragende verhindert war. Statt dessen hielt am 22. November 1996 unser Mitglied Dorothea Zöbl einen bemerkenswerten Vortrag über ..Sophie Charlotte als Stadtgründerin".) 7. Sonnabend, 22. Februar 1997,13 Uhr: „Tatort Berlin-Kriminalfälle, welche die Stadt bewegten". Stadtrundfahrt mit Peter Steinmann. Auf den Spuren der unterschiedlich­ sten Verbrechen führt eine Rundfahrt zu den interessantesten Tatorten der letzten 100 Jahre. Abfahrt und Ende: Rathaus Charlottenburg, Otto-Suhr-Allee 100. Bus der Fa. ,Pivotti VIP Bus Service'. Anmeldung: Scheck über 23 DM an unsere neue Organisationsbeauftragte Monika Förster, Manfred-von-Richthofen-Straße 6, 12101 Berlin. Die bereits an SchrLt. Dr. Uhlitz geschickten Schecks werden hiermit bestätigt. Einlösung erfolgt im Februar. 8. Sonnabend, 8. März 1997, 9.30 Uhr: „Von der Wallstrafte zum Oranienburger Tor", dreistündige Stadtwanderung mit unserem Mitglied Wolfgang Stapp. Ein Berliner Kaleidoskop: Vom Gewerbegebiet geht es über einen vornehmen zu einem armen, einem wunderbar hergerichteten und schließlich zu einem religiös bestimmten Stadtteil. Treff: Vorderer Ausgang der U-Bahn-Station Märkisches Museum. 9. Donnerstag, 3. April 1997, 17 Uhr: „Besichtigung der Polizeihistorischen Sammlung (früher Kriminalmuseum)" mit der Leiterin Dr. Bärbel Schönefeld. Platz der Luft­ brücke 6, Berlin-Tempelhof. U-Bahn und Bus: Flugplatz Tempelhof. 10. Sonntag, 13. April 1997,8 Uhr: „Von Kunersdorfbis Friedersdorf- Entlang der Alten Oder - Sehenswertes an der B 167", Busrundfahrt mit unserem Mitglied Wolfgang Stapp. Während der zahlreichen Pausen haben wir Gelegenheit zu kurzen Spaziergän­ gen und Besichtigungen: Möglin (Albrecht-Thaer-Museum und Park), Kunersdorf (Frau v. Friedland und die Itzenplitze, auch Adalbert v. Chamisso), Neuhardenberg (Schloß, Park, Kirche), Gusow (Derfflinger-Schloß, Zinnsoldatensammlung, Mittag­ essen im Schloß), Seelower Höhen (Schlacht an der Oder 1945: Museum und Friedhof, Landschaft), Friedersdorf (Kirche, Marwitz), Küstrin (Festungs- und Schloßreste, Kronprinz Friedrich - Katte, Ausharren 1945). Abfahrtsort: Rathaus Charlottenburg, Otto-Suhr-Allee 100. Anmeldung: Scheck über 81 DM an unsere Organisationsbeauf­ tragte Monika Förster, Manfred-von-Richthofen-Straße 6, 12101 Berlin. Der Lei­ stungsumfang richtet sich - wie üblich - nach der Fahrtkasse. In der Regel sind die Ein­ trittsgebühren und das Mittagessen eingeschlossen. 11. Montag, 21. April 1997,17 Uhr: „Führung in der Gedenkstätte Hohenschönhausen" mit unserem Mitglied Dr. Gabriele Camphausen, wissenschaftliche Leiterin der Gedenkstätte, Genslerstraße 66, Berlin-Hohenschönhausen. Diese bereits für den 28. Oktober 1996 geplante hochinteressante Führung mußte seinerzeit kurzfristig abgesagt werden, weil die Gebäude aufgrund von Bauarbeiten ohne Stromversorgung waren. Fahrverbindung: Tel. 98 69 61 02 (Sekretariat der Gedenkstätte). Statistik: Bei den 40 Veranstaltungen des Jahres 1996 konnten wir 1690 Teilnehmer begrü­ ßen, so daß sich eine durchschnittliche Teilnehmerzahl von 43 Personen pro Veranstaltung errechnet (1995: 34 Veranstaltungen mit 1480 Teilnehmern). Die meistbesuchtesten Veran­ staltungen waren der Vortrag unseres Mitglieds Professor Dr. Waetzoldt mit 120 Teilneh­ mern (8. Januar 1996) und die Besichtigung des Potsdamer Platzes mit 105 Teilnehmern (12. Januar 1996). Darüber hinaus war jede unserer vierzig Veranstaltungen ein Höhe­ punkt ! Ein erlebnisreiches Jahr liegt hinter uns. Sie waren ein wundervolles Publikum! Ihr Manfred Uhlitz

Bibliothek: Berliner Straße 40, 10715 Berlin-Wilmersdorf, Telefon (0 30) 8 73 26 12. Geöffnet: mittwochs 15.30 bis 19.00 Uhr. U7 (Blissestraße), Bus 101, 104, 204, 249. Vorsitzender: Senator und Bürgermeister von Berlin a.D. Hermann Oxfort, Breite Straße 21, 13597 Berlin-Spandau, Telefon 3 33 24 08. Geschäftsstelle: Ingeborg Schröter, Brauerstraße 31, 12209 Berlin-Lichterfelde/Ost, Telefon 7 72 34 35. Schriftführer: Joachim Strunkeit, Roedernstraße 48, 13467 Berlin-Reinickendorf, Telefon 4 041449. Schatzmeister: Karl-Heinz Kretschmer, Greveweg 6,12103 Berlin-Tempelhof, Telefon 7 53 42 78. Konten des Vereins: Postbank Berlin (BLZ 100 100 10), Kto.-Nr. 433 80-102,10559 Berlin; Berli­ ner Bank AG (BLZ 100 20000), Kto.-Nr. 0381801 200. Die MITTEILUNGEN erscheinen vierteljährlich zum Quartalsanfang. Herausgeber: Verein für die Geschichte Berlins, gegr. 1865, Schriftleitung und Veranstaltungsorganisation: Dr. Manfred Uhlitz, Brixplatz 4, 14052 Berlin-Charlottenburg, Telefon 3 05 96 00, Fax 3 05 38 88; Dr. Chri­ stiane Knop, Rüdesheimer Straße 14,13465 Berlin-Frohnau, Telefon 401 43 07; Beiträge bitte an die Schriftleiter senden. Redaktionsschluß: l.März, l.Juni, 1. September, 15. November. Abonnementspreis ist durch den Mitgliedsbeitrag gedeckt. Bezugspreis für Nichtmitglieder: 36 DM jährlich. Neumitglieder sind herzlich willkommen! Jahresmitgliedsbeitrag 80 DM; Ehepaare 120 DM inkl. Bezug der MITTEILUNGEN und des Jahrbuchs. Beitrittserklärungen bitte formlos an die Geschäftsstelle. Herstellung: Westkreuz-Druckerei Ahrens KG Berlin/Bonn, 12309 Berlin. Nachdruck, auch auszugsweise, nur mit Genehmigung der Schriftleitung.

196 MITTEILUNGEN DES VEREINS FÜR DIE GESCHICHTE BERLINS GEGRÜNDET 1865

93.Jahrgang Heft 2 April 1997

„Bacchus läßt Amor Wein keltern", Christian Bernhard Rode. Schloß Charlottenburg, Plankammer. Christian Bernhard Rode - (k)ein Meister der Zeichenkunst Von Gerhild H. M. Komander

Die Plankammer im Schloß Charlottenburg bewahrt eine Reihe von Zeichnungen und Radie­ rungen des Berliner Künstlers Christian Bernhard Rode auf, die zu einem Teil ehemals der Kunstsammlung des Rathauses in Schöneberg angehörten.1 Rode war der bekannteste und beliebteste Historienmaler in Berlin in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts, gleichzeitig heftig umstritten - vor allem von Kollegen. Er lebte und arbeitete mehr als fünfzig Jahre in sei­ ner Geburtsstadt Berlin, sicherlich zur Freude seiner zahlreichen Auftraggeber, und doch scheint es heute, trotz der Bemühungen einer handvoll Unermüdlicher2, zwischen Antoine Pesne (1683-1757)3 und Karl Blechen (1798-1840)4, keinen nennenswerten Berliner Maler gegeben zu haben. Christian Bernhard Rode wurde 1725 in Berlin geboren, lernte nach einer anfänglichen Aus­ bildung bei dem Maler Müller vier Jahre bei dem Hofmaler Antoine Pesne und verbrachte Studienaufenthalte in Paris, Rom und Venedig. 1755 oder 1756 kehrte er zurück nach Berlin. Aus diesen frühen Jahren sind wenig Arbeiten des Künstlers bekannt. Rode mußte aufgrund des väterlichen Erbes nicht unter existentiellen Druck arbeiten, konnte sich statt dessen frei bewegen hinsichtlich der Themen seiner Werke, deren Techniken und Formate, und leistete sich großzügige Geschenke vor allem an ländliche Kirchen, so daß der große Teil brandenbur­ gischer Altarbilder von seiner Hand stammte. Die bekanntesten Altarbilder stellen wohl die drei der Berliner Marienkriche dar. Bereits Anfang der 50er Jahre begann Rode als Autodi­ dakt, Radierungen anzufertigen, zum Teil als Vorbereitung seiner Gemälde, viel häufiger aber als Reproduktion seines malerischen Werkes. Er verband damit weniger wirtschaftliches Interesse, indem die Graphiken die Gemälde einem großen Kundenkreis zugänglich machten, sondern verfolgte auch ein didaktisches Ziel, da die historischen und moralischen Themen, ein ungewöhnlich breites Spektrum umspannend, bewußt auf die Erziehung der Bürger im Zeit­ alter der Aufklärung gerichtet waren. 1783 wurde Rode zum Akademiedirektor berufen, ent­ täuschte aber die Hoffnungen seiner Kollegen, so daß man ihm Chodowiecki als Vizedirektor zur Seite stellte. Rode hattcdie Erwartung, mehr königliche Unterstützung für den Lehrbe­ trieb zu erwirken, trotz mehrfacher Eingabe beim König nicht erfüllen können. Er starb 1797, betrauert von den Freunden der Berliner Aufklärung, in seiner Heimatstadt. Bernhard Rodes friderizianische Historien dürften einem breiten Publikum bekannt sein.5 Sie wurden auch in der großen Jubiläumsschau der Akademie der Künste ausgestellt.6 Doch wer kennt das übrige, ungewöhnlich umfangreiche malerische und graphische Werk Rodes?7 Da Rode - mal wieder - etwas zu kurz kam, jetzt in der Akademieausstellung, werden an dieser Stelle anhand des Charlottenburger Bestandes seine Zeichnungen in einer kleinen Auswahl vorgestellt.8 Auch darin liegt ein Bezug zum großen Jubiläum: Rode war derart unzufrieden mit den Leistungen des Akademiedirektors Blaise Nicolas Le Sueur9, daß er kurzerhand in seinem Haus einen eigenen Zeichensaal einrichtete, den übrigens auch Daniel Chodowiecki regelmäßig besuchte. Die Themen der Werke Rodes, entnommen dem Alten und dem Neuen Testament, der grie­ chischen und römischen Mythologie und Dichtkunst, sowie der mittelalterlichen und neueren deutschen und brandenburgischen Geschichte und der zeitgenössischen Dichtung, setzten bei seinem Publikum einen hohen Bildungsgrad voraus. Seine Eigenart, besondere oder unge­ wöhnliche historische und literarische Themen bildlich umzusetzen, macht ihn zum bedeu­ tendsten Berliner Historienmaler des 18. Jahrhunderts. Die enge Zusammenarbeit mit dich-

198 tenden und philosophierenden Zeitgenossen, mit denen er persönlich bekannt oder befreun­ det war, floß inhaltlich in alle Bereiche seines künstlerischen Schaffens ein. Gellerts Fabeln, Ramlers Satiren und Gedichte, Geßners Idyllen und auch die königlichen „Memoires pour servir ä l'histoire de la maison de Brandenbourg" waren Gegenstand seiner Zeichnungen, Radierungen und Gemälde.10 Die Charlottenburger Sammlung umfaßt 23 Zeichnungen Rodes.11 Die oft undatierten Blät­ ter können nur im Zusammenhang mit Gemälden und Radierungen gleichen Themas zeitlich eingeordnet werden, sofern ein solcher besteht. Rode wählte verschiedene Techniken, die alle in dem hier vorgestellten Konvolut vertreten sind: Kreide-, Rötel-, Feder-, Pinselzeichnung, meist untereinander kombiniert, teilweise laviert oder mit schwarzem Stift, vermutlich Blei­ stift, vorskizziert. Einen leichten, knappen Stil führt Rode in seiner Zeichnung „Bacchus läßt Amor Wein kel­ tern" vor. Die heiter dahingeworfenen Rötelstriche, in hellbrauner Tusche laviert, lassen den Gedanken an eine spontane Bildidee Rodes aufkommen, deren sofortige Umsetzung der Dar­ stellung einen anmutigen Naturalismus verleiht. Im Schein der brennenden Fackel des Kna­ ben hockt Bacchus, etwas unbeholfen, in einem Weinkeller vor Amor, der anmutig in der Hal­ tung, ein wenig furchtsam in der Gestik, dem Treiben des römischen Weingottes zuschaut. Dieses Blatt zeigt keinerlei weitere Vorzeichnung, zum Beispiel in schwarzem Stift, wie viele der Zeichnungen Rodes. Ein Tafelbild gleichen Themas, das 1774 entstand, befand sich in der privaten Sammlung des Grafen Redern in Königsbrück in der Oberlausitz.

„ Albrecht Achilles ersteigt zuerst die Mauern von Greiffenberg", Christian Bernhard Rode. Schloß Charlottenburg, Plankammer.

199 Einige Zeichnungen zeigen Ausschnitte aus nicht identifizierbaren historischen Schlachten. Die Rötelzeichnung in Querformat, mit lebhaften Pinselstrichen rotbraun laviert, stellt eine Variation zu „Albrecht Achilles ersteigt zuerst die Mauern von Greiffenberg", einem Thema aus der brandenburgischen Geschichte, dar, das Rode den „ Memoires pour servir ä l'histoire de la maison de Brandebourg" Friedrichs II. entnahm. Da die so benannte Radierung 1783 datiert ist, wäre ein ähnlicher Entstehungszeitraum auch für die Graphik als gültig anzunehmen.12 Kompositorisch unterscheidet sich die Zeichnung von der Radierung durch eine nahezu gegensätzliche Sicht auf das Geschehen, in dem der Burggraf Albrecht Achilles noch in der Position des durch feindliche Übermacht Bedrohten erscheint - rechts im Bilde -, während sein Kontrahent im Mittelpunkt steht. Die Zeichnung ist als Studie zu der großfor­ matigen Radierung zu sehen, die zum einen sachgemäß seitenverkehrt erscheint, zum anderen auf die Mittelfigur verzichtet, und das ganze Geschehen zentriert. Die spöttische Erzählung „Kleopatra entlarvt den Betrug des Antonius beim Angeln" stellte Rode in mehreren Varianten und in verschiedenen Techniken dar. In Rötel, Feder und Pinsel, die Farbe in mehreren Tönen von Rot bis Braun abwandelnd, lenkt Rode in der Zeichnung das

„Kleopatra entlarvt den Betrug des Antonius beim Angeln", Christian Bernhard Rode. Schloß Charlottenburg, Plankammer.

200 „Apoll und Marsyas", * -.. * I ' " Christian Bernhard Rode. Schloß Charlottenburg, Plankammer. •*"*# #3 • «4\ 4f'l--\ % i /' ""*i ,/ Zc ..

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Augenmerk auf den betretenen, schmollenden Antonius, der Kleopatra betrog, indem er sich während eines Wettstreites im Angeln Fische an den Haken binden ließ, um sie zu besiegen. Sie jedoch, den Betrug entdeckend, befahl, ihm einen gebratenen Fisch an den Haken zu stek­ ken, und steht nun triumphierend hinter ihm. Die literarische Vorlage, eine Anekdote Plutarchs, reizte Rode zu zwei radierten Fassungen des Themas und zu einem Gemälde, das gemeinsam mit fünf anderen Bildern Rodes im Reichspräsidentenpalais, ehemals Sacken- sches Palais, hing.13 „Apoll und Marsyas", eine Pinselzeichnung in brauner Tusche auf hellem Papier mit einer Vorzeichnung in schwarzem Stift14, über die Anna Rosenthal leicht verärgert schrieb: „ Diese Zeichnung ist ein Zeugnis der von Rode mit großem Eifer an der Akademie betriebenen Akt­ studien, von denen man sonst kaum einen Nutzen entdecken kann. Allerdings bemerkt man auch hier die geringe Erfindungsgabe, die bei Rode schon beinahe Absicht war; erschien ihm einmal eine Gestalt gelungen, so kopierte er sie wieder und wieder."15 Der Ärger über die - meist - flüchtige Zeichnung und die ständige Wiederholung von Figuren - selbst in einem Bilde - zieht sich wie ein roter Faden durch die Sekundärliteratur zu Rode. Dem ist nichts ent­ gegenzuhalten. Er konnte, aber er wollte nicht, denn ihm ging es - fast nur - um die Verbildli­ chung der von ihm für interessant befundenen Inhalte. Ihn trieb die Flut von ideellen Einfäl­ len, so daß für korrekte Zeichnung, für die Erfindung ständig neuer Gesichter etwa nicht viel

201 Zeit blieb. So jedenfalls ehrte ihn sein Freund Karl Wilhelm Ramler in der Gedächtnisrede. Die feinsinnige Formulierung Helmut Börsch-Supans, Christian Bernhard Rode als „eine Birke im märkischen Sand" zu sehen, „die den Boden bereitete für künftige Malergeneratio­ nen", trifft nur allzusehr die Bedeutung dieses umfangreichen CEuvres.16 DieHandzeichnun- gen Rodes weisen vielleicht sogar darüber hinaus, wie der Charlottenburger Bestand andeutet.17

Anmerkungen

1 Vgl. dazu: Anna Rosenthal: „ Die Handzeichnungen Bernhard Rodes im Rathaus Schöneberg", in: Der Kunstwanderer, 9, 1927/28, S. 227-279. 2 Vgl. die Literaturangaben in den folgenden Anmerkungen: Börsch-Supan, Büttner, Jacobs, Michaelis. 3 1683 Paris - 1757 Berlin. Nach Aufenthalten in Italien, u. a. in Rom, 1710 Übersiedlung nach Berlin, hier seit 1711 erster Hofmaler König Friedrichs I. Rode vollendete sein Deckengemälde „Raub der Helena" im Marmorsaal des Neuen Palais in Potsdam. 4 1798 Cottbus - 1840 Berlin. Seit 1831 Professor für Landschaftsmalerei an der Berliner Akade­ mie. Gehört zu den bedeutendsten Malern der deutschen Romantik. 5 Ausführlich behandelt bei: „ Helmut Börsch-Supan, Vaterländische Kunst zu Beginn der Regie­ rungszeit Friedrich Wilhelms III.", in: Aurora, Jahrbuch der Eichendorff-Gesellschaft, Band 39, 1979, S. 79-100. Ebenso: Frank Büttner: „ Bernhard Rodes Geschichtsdarstellungen", in: Zeit­ schrift des deutschen Vereins für Kunstwissenschaft, Band 42, Berlin 1988, Heft 1, S. 33-47. 6 Vgl. dazu. Rainer Michaelis: „Bilder für eine preußische Identität", in: Die Kunst hat nie ein Mensch allein besessen. Katalog zur Ausstellung zum 300jährigen Bestehen der Akademie der Künste und der Hochschule der Künste, Berlin 1996, S. 150-153, 155/156, 158/159. 7 Die bisher einzige Monographie über Rodes malerisches Werk und eine vollständige Biographie gibt Anna Rosenthal: „Bernhard Rode, ein Berliner Maler des 18. Jahrhunderts", in: Mitteilun­ gen des Vereins für die Geschichte Berlins, Jahrgang 44, Bd. 1927, Heft 3, S. 81-104. Das druck­ graphische Werk behandelt, nach Themen geordnet, erstmals: Frank Büttner (und andere), Kunst im Dienste der Aufklärung. Radierungen von Bernhard Rode 1725-1797; mit einem Gesamtverzeichnis aller Radierungen des Künstlers im Besitz der Graphischen Sammlung der Kunsthalle zu Kiel, Ausstellung 17. Dezember 1986 - 18. Januar 1987, Kiel 1986. Ein Werkver­ zeichnis der Druckgraphik erstellte Renate Jacobs, Das graphische Werk Bernhard Rodes (1725-1797), Münster 1990. 8 Es werden ausschließlich diejenigen Werke berücksichtigt, die Rode in den „besseren" Jahren, sprich: nach dem Tod Friedrichs II. schuf. Der gesamte Zeitraum zwischen 1713 und 1786 und die Kunst der Akademiemitglieder vor 1786 findet wenig Beachtung. Ein eigenes Kapitel dazu gibt es nicht. 9 1716 Paris - 1783 Berlin. In Paris vermutlich Schüler von Jean-Baptiste van Loo. 1751 Lehrer an der Akademie der Künste, 1756-1783 Direktor der Akademie. Arbeitete künstlerisch vorwie­ gend als Zeichner, entwarf Kartons für die Gobelinmanufaktur de Vigne und erhielt laut Fried­ rich Nicolai den Auftrag zum Entwurf für die Wand- und Deckenmalereien im Chinesischen Haus im Park von Sanssouci. 10 Darunter befinden sich auch Buchillustrationen, deren Anteil am Gesamtwerk jedoch im Gegensatz zu denjenigen Chodowieckis oder Johann Wilhelm Meils gering ausfällt. 11 Die Sammlung enthält des weiteren 46 Radierungen auf 38 Blättern. 12 Die Zeichnung signiert unten rechts: „B. Rode". Die Radierung: Nagler-Verzeichnis Nr. 148, in: Georg Kaspar Nagler, Neues Allgemeines Künstler-Lexikon, Bd. 13, München 1843, Neu­ druck Wien 1924, S. 22-34. Vgl.: Komander, in: Büttner (und andere), Kunst im Dienste der Aufklärung, Kiel 1986, S. 50. 13 Vgl. Anna Rosenthal, Die Handzeichnungen Bernhard Rodes. S. 278. Ebenso: Renate Jacobs: Das graphische Werk Bernhard Rodes, S. 296.

202 14 Signiert unten rechts: „B. Rode". 15 Anna Rosenthal, Die Handzeichnungen Bernhard Rodes, S. 277-279. 16 In einem Vortrag, gehalten 1994 in Britz, Berlin. 17 Weitere Zeichnungen befinden sich u. a. im Besitz des Kupferstichkabinetts Berlin SMB PK und im Germanischen Nationalmuseum in Nürnberg.

Alle Abbildungen: Stiftung Preußische Schlösser und Gärten Berlin-Brandenburg, Schloß Charlot­ tenburg

Anschrift der Verfasserin: Dr. Gerhild H. M. Komander, Togostraße 79, 13351 Berlin

Die Verfasserin bittet um Hinweise auf Zeichnungen und Gemälde Bernhard Rodes in Privatbesitz, die für die Arbeit an dem Werk des Künstlers sehr wertvoll wären.

Der Fackeltanz im Berliner Schloß des 19. Jahrhunderts Von Paul Habermann

Über mehrere Jahrhunderte gehörte es am brandenburgischen und am preußischen Hof zum Hochzeitszeremoniell, daß als Abschluß der Feierlichkeiten die Neuvermählten mit einem Fackeltanz in ihr Schlafgemach geleitet wurden. Sehr anschaulich schildert ein Bericht aus dem Jahre 1827 den Tanz: „Dann verfügt sich alles (d. h. die Hofgesellschaft und die fürstli­ chen Gäste, Verf.) nach dem Weißen Saale, und hier erfolgt nun der Fackeltanz, d. h. die Braut tanzt mit sämtlichen anwesenden Prinzen, der Bräutigam ebenso mit sämtlichen anwesenden Prinzessinnen, wie sie im Range aufeinander folgen, eine Polonäse, einmal durch den Saal, und dabei wird ihnen mit großen Wachsfackeln vorgeleuchtet. Die Fackelträger sind - alle anwesenden preußischen Exzellenzen, und in der Regel wird auf dieses Vorrecht ein solcher Wert gelegt, daß selbst alte podagrische oder kranke Herren, die schon jahrelang nicht an den Hof kamen, sich bei solchen, natürlich nicht gar zu häufigen Gelegenheiten zusammenneh­ men, um - ihr Prädikat ,Exzellenz' mit der Fackel zu beleuchten."1 Wie wir im folgenden sehen werden, war diese Ehre dann doch nicht so begehrt. Die Ursprünge dieses Hochzeitsrituals gehen bis in die Antike zurück. In Athen wurden die Neuvermählten auf einem von Ochsen oder Mauleseln gezogenen Wagen am Abend zu dem Haus des Mannes gefahren. Von den zu Fuß gehenden Begleitern wurden dabei Fackeln getragen, die von den Müttern der Braut und des Bräutigams entzündet worden waren.2 Die Römer hatten ähnliche Hochzeitssitten. Und von Konstantin dem Großen wurde der hoch­ zeitliche Fackeltanz in Byzanz übernommen.3 Die Hohenzollern hielten an dem lange Zeit geübten Brauch des Fackeltanzes bei den Hoch­ zeiten weiterhin fest, als das umständliche und anstrengende Ritual im 19. Jahrhundert von den meisten Beteiligten als mehr beschwerlich als würdig erachtet wurde. Der General Eduard v. Fransecky (1807-1890) hatte als 16jähriger Kadett die Hochzeit des Kronprinzen, des spä­ teren Königs Friedrich Wilhelm IV., miterlebt. Er berichtet darüber: „ Ich erwähne von diesem Schlußakt des Festes nur das, daß die alten Exzellenzen, Minister und Generale, die als

203 Fackelträger zu zwei und zwei dem nach dem Takt der Musik ihnen folgenden, nach jedem Umgang sich halb erneuernden fürstlichen Paare voranzugehen, zuletzt auch in derselben Weise den Vortritt bis zum ,Brautgemach' zu nehmen hatten, mir mehr mitleiderregend als imponierend erschienen. Denn noch mehr abgemüdet als die fürstlichen Paare und zuletzt wirklich schweißbedeckt, verrichteten die alten Herren diesen ,Ehrendienst'."4 Der 71jährige Kabinettsrat K. F. v. Beyme (1765-1846) mußte 1836 an der Hochzeit der Prinzessin Elisa­ beth, Tochter des Prinzen Wilhelm (1783-1851), und der Prinzessin Marianne (1785-1846) teilnehmen. Er schreibt darüber seiner Tochter: „Ich muß Dir noch berichten, daß ich die Strapazen des Fackeltanzes ohne einen Nachteil für meine Gesundheit und, wie man sagte, ehrenvoll überstanden habe."5 Auch bei der Hochzeit des späteren Kaisers Wilhelm I. mit der Prinzessin Augusta von Sach­ sen-Weimar, einer Nichte seiner Schwester Charlotte, erwies sich das überkommene Ritual als unbequem: Die traditionelle Brautkrone der Hohenzollern paßte nicht zu der Frisur der Augusta.6 Als das preußische Königsschloß nach 1871 zum Sitz des Deutschen Kaisers geworden war, hatte die für ihre Berichte aus der Berliner - und der Hofgesellschaft für die Nachwelt interes­ sant gewordene Baronin von Spitzemberg über die Feierlichkeiten der Hochzeit des Prinzen Albrecht von Preußen (1837-1906) mit Prinzessin Maria von Sachsen-Altenburg (1854- 1898)am 19. April 1873 wenig Gemütvolles zu erzählen: „Der Fackeltanz der zwölf Minister, Kameke und Falk an der Spitze, Roon und Bismarck als Schluß, jeder eine große Kerze hal­ tend, war natürlich der Anlaß zu vielen Spaßen und Neckereien: etwa zweiunddreißigmal mußten die Herren rund um den freigelassenen Raum wandern, erst den von der Braut geführ­ ten Prinzen, dann den vom Bräutigam geführten Prinzessinnen voran. Kameke stampfte ordentlich im Paradeschritt, Delbrück und Camphausen lächelten zwar spöttisch, waren aber wohl innerlich entrüstet über die ihnen zugemutete Rolle, den älteren Herren standen die Schweißtropfen auf der Stirne, Eulenburg riß schlechte Witze und schäkerte im Vorbeimarsch mit den Damen, nur Bismarck und Roon marschierten würdig, ohne eine Miene zu verziehen, im Gleichschritt immer wieder vorbei. Endlich um 11 Uhr war auch diese Komödie glücklich vorüber."7 Fünf Jahre später gab es in der Hohenzollernfamilie eine Doppelhochzeit. Am 18. Februar 1878 fanden gleichzeitig die Vermählungen der Prinzessin Charlotte (1860-1919), Tochter des Kronprinzenpaares, mit dem Erbprinzen Bernhard von Sachsen-Meiningen (1851-1928) und der Prinzessin Elisabeth (1857-1898), Tochter des Prinzen Friedrich Karl und der Prin­ zessin Marie von Anhalt, mit dem Erbgroßherzog Friedrich August von Oldenburg (1852- 1931) statt. Die eine Braut war die Enkelin, die andere die Großnichte Kaiser Wilhelms I. Die zu erwartenden Festlichkeiten boten Anlaß zu allerlei Gerede in der Berliner Gesellschaft.8 Man wußte ja, es gab nur eine Krone, die eine hohenzollernsche Braut bei der Trauung zu tra­ gen hatte. Welche Braut würde sie tragen dürfen? Aber diese Frage löste sich einfach. Es wurde rechtzeitig eine gleichartige Brautkrone angefertigt. Sehr wichtig wurde es genommen, ob wohl Fürst Bismarck mit den Ministern am Fackeltanz teilnehmen würde. Der aber schützte Krankheit vor und erschien nicht. Am Tage vor der Vermählung waren die beiden Prinzen durch die Ernennung zu Majoren in die Rangklasse der Stabsoffiziere befördert wor­ den. Außerdem hatten sie die höchste preußische Auszeichnung, den schwarzen Adlerorden, erhalten. Der Erbgroßherzog von Oldenburg, bisher Rittmeister im 1. Gardedragonerregi­ ment, war Angehöriger einer besonders hervorgehobenen Truppe. Der Erbgroßherzog von Sachsen-Meiningen hatte beim Gardefüsilierregiment, den in Berlin sogenannten „Mai­ käfern", gestanden. Um ihn besonders zu ehren, wurde er zum 1. Garderegiment zu Fuß

204 Die Doppelhochzeit in der preuß. Königsfamilie am 18. Februar 1878. Holzstich nach einer Zeichnung von C. Rechlin, Sammlung Habermann.

versetzt.9 Die kirchliche Trauung nahm der Oberhofprediger Kögel in der in der Schloßkuppel befindlichen Kapelle vor. Dieser Kirchenraum bot 700 Personen Platz. Die zu farbige und unruhige Ausstattung des Raumes hatte immer viel Kritik gefunden. Der Hofmaler Anton v. Werner, der bei der Trauung anwesend war, schrieb dazu: Die Schloßkapelle „ deren überrei­ cher Bilderschmuck an Heiligen und Propheten, die gleich Spielkarten oder Visitenkarten = Photographien an den ungeeignesten Stellen des Raumes aufgehäuft, mir immer unsympa­ thisch geblieben ist, weil der Kuppelbau ohne diese Buntheit gewiß einen feierlich-mystischen Eindruck machen würde."10 Die Kapelle war dichtgefüllt mit den Angehörigen verwandter und befreundeter Fürstenhäuser, mit den Vertretern des diplomatischen Korps. Besonders auffallend war der türkische Botschafter mit seinen Sekretären und die vor kurzem zum ersten Mal in Berlin erschienene chinesische Gesandtschaft, „ den Minister Liu-hji-hung mit seinem Personal in den fremdartigen, glänzenden Mandarinenkostümen von schweren asiatischen Seidenstoffen."'' Die Damen und Herren schritten in einem feierlichen Zug an den erhöht sit­ zenden Neuvermählten zur Gratulationscour vorüber. Nach dem Festessen folgte am Abend der Fackeltanz. Der dem preußischen Hof treu ergebene Anton v. Werner sah auch hier die Schattenseiten einer überalterten Traditionspflege. „ Der am Abend folgende Ball im Weißen Saal bot mir etwas Neues in dem bei Hochzeiten am Königlichen Hofe üblichen Fackeltanz der Minister, ein Überbleibsel oder eine Übertragung der alten Sitte früherer Jahrhunderte ins Moderne, das junge Ehepaar von den nächsten und treuesten Dienern des Hauses in das Ehe­ gemach geleiten zu lassen. Die sinnige Bedeutung dieser Zeremonie, hier in die feierliche Form einer Staatsaktion gebracht, war der Glanzpunkt des Festes, aber ich kann nicht leug­ nen, daß mir der Antritt der Herren Minister in ihren zum Tanzen nichts weniger als geeigne­ ten goldstarrenden Uniformen doch einen sonderbar fremdartigen Eindruck machte, es

205 Der Fackeltanz. Holzstich nach einer Zeichnung von C. Rechlin, Sammlung Habermann. schien mir, als ob junge, lebensfrische Kavaliere hier besser am Platze wären, - vom rein male­ rischen Gesichtspunkt betrachtet." So schränkt der Hofmaler vorsichtig seine Kritik ein. Dann fährt er fort: „Den wohlbeleibten Minister Camphausen, den „Goldonkel", wie er damals hieß, den sarkastisch-witzigen Graf Fritz Eulenburg, den nüchtern-biederen Dr. Falk, der so gar nicht in die Hofgesellschaft paßte, den jovialen Kriegsminister v. Kameke, dem es schon schwer wurde, sein Gesicht bei wichtigen Angelegenheiten oder Ereignissen in ernste Falten zu legen, sie alle, jeden mit einer dicken Wachskerze in der Hand, paarweise antreten zu sehen, die Gesichter mühsam zum feierlichen Ausdruck zwingend, war ein überaus merkwürdiger Anblick! Der Umgang unter Vorantritt von Pagen in feierlich langsamen Schritte, zu einem Marsch, den Prinz Albrecht Sohn dafür geschrieben hatte, wiederholte sich unendlich oft und man hatte zuletzt innigstes Mitgefühl mit den Herren Ministern, auf deren Antlitz sich nach und nach die Ermüdung sichtlich bemerkbar machte."12 Der damals 63jährige Fürst Bismarck hatte sich der Teilnahme an den Feierlichkeiten entzogen. Als ihn Anton v. Werner später darauf ansprach, äußerte er: „ Auf der Hochzeit von Prinz Albrecht Sohn habe ich auch noch den Fackeltanz mitgemacht, aber jetzt bin ich zu alt dazu, diesen princillons etwas vorzutanzen."13 Das 19. Jahrhundert war nicht mehr die Zeit, in der ein Fürst völlig auch über die Wohlgesinn­ testen seiner Untertanen verfügen konnte. Als am 27. Februar 1881 der spätere König von Preußen und Deutsche Kaiser Wilhelm II. seine Vermählung feierte, waren es anstelle der alten Minister 24 Pagen, von denen jeder eine Fackel trug, die den feierlichen Tanz eröff­ neten.14

206 Anmerkungen

1 Berlin, wie es ist, Berlin 1827, in: G. Hermann, Das Biedermeier, Berlin-Leipzig-Wien-Stutt­ gart 1913, S. 118. 2 Hans Licht, Sittengeschichte Griechenlands, neu hrsg. u. bearb. v. H. Lewandowski, Wiesbaden o. J., S. 55. 3 „Ueber Land und Meer", Allgemeine IUustrirte Zeitung, Stuttgart 1878, S. 558. 4 Eduard v. Fransecky, Denkwürdigkeiten d. preuß. Generals d. Infanterie Eduard von Fransecky, hrsg. v. W. v. Bremen, Bielefeld u. Leipzig 1901, S. 46. 5 Hans-Joachim Schoeps, Neue Quellen zur Geschichte Preußens im 19. Jahrhundert, Berlin 1968, S. 36. 6 Franz Herre, Wilhelm I. - Der letzte Preuße, München 1983, S. 142. 7 Hildegard Frfr. v. Spitzemberg, Das Tagebuch d. Baronin Spitzemberg. Aufzeichnungen a. d. Hofgesellschaft d. Hohenzollernreiches, ausgew. u. hrsg. v. R. Vierhaus, 5. Aufl., Göttingen 1989, S. 142. 8 Catherine Prinzessin v. Radziwill, Meine Erinnerungen, aus d. Engl. v. B. v. Weinbach, 5. Aufl., Leipzig 1905, S. 111. 9 Wie Anm. 3, S. 558. 10 Anton v. Werner, Erlebnisse und Eindrücke 1870-1890, Berlin 1913, S. 209. 11 Wie Anm. 3, S. 558. 12 Wie Anm. 10, S. 209. 13 Ebd., S. 210. 14 Tyler Whittle, Kaiser Wilhelm IL, aus d. Engl. v. Chr. Burgauner, Bergisch-Gladbach 1982, S.105. Anschrift des Verfassers: Dr. med. habil. Paul Habermann, Franz-Nölken-Weg 9,59494 Soest

Zu unserer Veranstaltung am 21. April 1997: „Sperrgelände Firma Heike" Von Gabriele Camphausen

Die Geschichte des früheren Internierungs- und Haftgeländes in Berlin-Hohenschönhausen wirft noch zahlreiche ungeklärte Fragen auf. Wie Aktenfunde im Landesarchiv Berlin sowie im Bundesarchiv/Außenstelle Berlin-Lichterfelde erkennen lassen, ist dieser lückenhafte Kenntnisstand über Hohenschönhausen aber keineswegs eine Besonderheit unserer Gegen­ wart: Eine vergleichbar desolate Informationslage herrschte bereits zu einem wesentlich frü­ heren Zeitpunkt. Außerhalb eines engeren Personen- und Institutionenkreises war nach dem Zweiten Weltkrieg nur wenig über das Lager- und Haftgebiet Hohenschönhausen bekannt. Das Grundstück des Lager- und Haftgeländes in der Genslerstraße gehörte ursprünglich zum Besitz des Berliner Fabrikanten Richard Heike, der seit 1910 in der Umgebung Gensler- straße/Freienwalder Straße/Große-Leege-Straße verschiedene Betriebe aufgebaut hatte. Einige Grundstücke verpachtete er an andere Firmen, die Genslerstraße 64/65 aber (das spä­ tere Gefängnisgelände, heute Nr. 66!) verkaufte er 1938 an die Nationalsozialistische Volks­ wohlfahrt NSV. Die NSV errichtete dort im Auftrag der NSDAP-Gauleitung Berlin eine Großküche auf neuestem technischen Stand - bis zu 40 000 Essen wurden pro Tag an ver­ schiedene Verteilerstellen in der Stadt ausgeliefert.'

207 Der Grundstuckskomplex von Richard Heike sowie der NSV wurde am Ende des Zweiten Weltkrieges - auf der Grundlage alliierten Besatzungsrechts - zum Sperrgebiet erklärt. Lapi­ dar heißt es im zeitgenössischen Schriftverkehr, das Gebiet sei „ durch die Russische Militär­ polizei belegt"2 und werde „von der sowjetischen Besatzungsmacht für eigene Zwecke benutzt"3. Das gesamte Gelände und die darauf befindlichen Gebäude wurden beschlag­ nahmt. Die Eigentümer erhielten über das Amt für Kriegsschäden und Besatzungskosten eine monatliche Mietentschädigung.4 Auch die Firma „Asid Serum-Institut", die das neben der Großküche gelegene Heike-Grundstück Genslerstraße 66-68 (heute 70) gepachtet hatte, erhielt eine Entschädigungszahlung für zwei von ihr errichtete und von den Sowjets im Mai 1945 beschlagnahmte Holzbaracken.5 Anders sah es im Fall der NSV-Großküche aus: Als Besitz einer nationalsozialistischen Orga­ nisation wurde das Grundstück nach Kriegsende entschädigungslos „unter Sequestur" gestellt, d.h., es wurde von der sowjetischen Besatzung ohne finanziellen Ausgleich beschlagnahmt.6 Ein damals üblicher Vorgang, der aber leider zur Folge hat, daß in den Unter­ lagen der für die Entschädigungszahlungen zuständigen Behörde kaum Hinweise auf die Genslerstraße 64/65 (heute 66) überliefert sind. Das sowjetische Gebiet im Umkreis der Gensler-/Freienwalder Straße wurde gemeinhin als „Sperrgelände Firma Heike" oder „Heike-Lager" bezeichnet.7 Den Kern des Sperrgebietes bildete eben jenes Gelände an der Genslerstraße 64/65 (heute 66), auf dem sich die frühere Großküche der Nationalsozialistischen Volkswohlfahrt befand. Hier errichtete die sowjeti­ sche Besatzungsmacht zunächst das Sammel- und Durchgangslager „ Speziallager Nr. 3" (1945/46), nach dessen Auflösung ihr zentrales Untersuchungsgefängnis in der SBZ (1946/47-1951). Entgegen der ursprünglichen Begründung, im Sinne alliierter Entnazi­ fizierungspolitik einen Ort zur Internierung von Kriegsverbrechern und NS-Funktio- nären zu schaffen, entwickelte sich das Gelände de facto zu einer zentralen Schaltstelle politi­ scher Verfolgung in der Nachkriegszeit.8 Zahlreiche Menschen, die aufgrund von Denunzia­ tionen oder bestimmter Verdachtsmomente in den Geruch politischer Gegnerschaft ge­ rieten, mußten in der Folge das Lager bzw. spätere Gefängnis Hohenschönhausen durchlau­ fen. Was sich im einzelnen in dieser Zone abspielte, war von außen nicht erkennbar. Der politische Charakter des Sperrgebietes, speziell des Lagers, war aber grundsätzlich kein Geheimnis. Ende Juli 1945 gab das Amt für Industrie Berlin-Weißensee in einem Bericht an, daß sich in der „ehemaligen Volksküche der NSDAP ... bekanntlich ein Lager von politischen Häftlin­ gen" befände.9 Die Existenz eines solchen Lagers galt auch - zumindest inoffiziell - als Ursa­ che für den Räumungsbefehl der sowjetischen Kommandantur an die o. g. Firma Asid Serum- Institut im Frühjahr 1946. Die Firma Asid wurde damals von dem stellvertretenden Bezirks­ kommandanten Major Ragoschin aufgefordert, innerhalb von 12 Stunden (!) ihre gesamte Rest-Produktionsstätte (neben der früheren Großküche) zu räumen. Daß die Firma „im Bereiche des politischen Lagers (Heike) lag"'", konnte für die sowjetische Kommandantur auf Dauer nicht akzeptabel sein - hier war man doch auf Sicherheitsabstand bedacht. Weitere Nachrichten, die aus der Sperrzone nach außen drangen, betrafen die Todesfälle im Lager 1945/46: Leichenfunde wurden gemeldet. Tote wurden in Granattrichtern außerhalb des eigentlichen Lagergeländes abgeladen und nur notdürftig verscharrt. Bemühungen um eine Umbettung der Toten seitens des Polizei-Reviers Hohenschönhausen wurden von dem sowje­ tischen Lagerkommandanten abgeblockt. Das Auftreten deutscher Stellen war in diesem Bereich unerwünscht, seuchenpolizeiliche Befürchtungen wurden als unbegründet zurückgewiesen.'' Sowjetisches Luftbild des Sperrgebietes Hohenschönhausen, Sommer 1953. Quelle: Luftbilddatenbank Würzburg

Diese Nicht-Zugänglichkeit, die rigorose Abschottung nach außen kam auch bei einem ande­ ren Anlaß im Jahr 1948/49 zum Ausdruck. Im Dezember 1948 erteilte die sowjetische Kom­ mandantur dem Bauleiter der Abteilung Bau- und Wohnungswesen im Bezirksamt Weißen­ see den Auftrag, „größere Mengen Acetylen zu bestellen, für Instandsetzungsarbeiten, Bau- und Schweißarbeiten im Heike-Lager".12 Diese Bestellung hatte ein konkretes aktenbelegtes Nachspiel, da gänzlich unklar war, wer die Kosten in Höhe von 2033,- Mark zu übernehmen hatte. Mehrere Versuche der zuständigen Berliner Behörden (des Hauptamtes für Kriegsschä­ den und Besatzungskosten beim Magistrat Groß-Berlin und des Amtes für Kriegsschäden und Besatzungskosten im Bezirksamt Berlin-Weißensee), nähere Informationen über die Verwen­ dung des Acetylens zu erhalten, schlugen fehl. Die Ermittlungsversuche, auf welchem Grundstück die Reparaturarbeiten durchgeführt worden waren und welcher Eigentümer dementsprechend die Kosten tragen mußte, scheiterten an der praktizierten Sperrgebietspoli­ tik. Im April 1949 formulierte das Hochbauamt Weißensee seine Absicht, „das Heike-Lager zu besichtigen": „Es hat sich jedoch kein Mitarbeiter gefunden, der die Tätigkeit als Prüfer für das Heike-Lager übernehmen will." Man bemühe sich aber weiterhin, einen geeigneten Frei­ willigen zu finden sowie eine Zutrittserlaubnis zu erlangen. Daher wolle man dem Hauptamt für Kriegsschäden und Besatzungskosten in der Klosterstraße „in ca. 10 Tagen den Passier­ schein-Antragsentwurf zur Weitergabe an die Zentralkommandantur" (= SMAD) zusenden. 12 Tage später klagte das Hochbauamt erneut, daß es „zu schwierig" sei, „den gegebenen Mann, der alle Voraussetzungen auch als Techniker erfüllt" für eine Besichtigung des Heike- Lagers zu finden.

209 Die Angelegenheit verlief letztlich ergebnislos. Aktenvermerke im Abstand von einigen Wochen/Monaten bezeugen, daß eine Besichtigung (sei es aus Mangel an Freiwilligen oder Zugangsverweigerung durch die Sowjets) nicht realisiert werden konnte. Ähnliche Zutrittsprobleme erlebte zwei Jahre später die Haus- und Grundstücksverwaltung A. E. Kaiser. Kaiser war nach der Gründung der DDR durch das Amt für Grundstückskon­ trolle mit der Verwaltung des „ Vermögen(s) der Heike'schen Erben insbesondere der Vermö­ gensteile, die von der russischen Besatzungsmacht genutzt werden", beauftragt worden. Am 7. Juni 1951 erkundigt sich Kaiser in einem Schreiben an das Bezirksamt Weißensee, „in wel­ chem Umfange nunmehr die Grundstücke zur freien Verfügung stehen". Er erhalte wieder­ holt Anfragen, u.a. von der Handels-Organisation, „wegen Weiternutzung dieser Baulichkeiten".13 Hintergrund der Nachfrage war, daß die Sowjetische Kontrollkommission die von ihr beschlagnahmten Grundstücke und Gebäude im „Sperrgebiet Berlin-Hohen­ schönhausen ... mit Wirkung vom 1. März 1951... an die Regierung der Deutschen Demo­ kratischen Republik übergeben" hatte.14 Zuständig war nun das Wirtschaftsunternehmen Wohnbauten der Regierung der DDR (ab 1952 Vereinigung der Wirtschaftsbetriebe der Regierung der DDR - Wirtschaftsunternehmen Wohnbauten).15 Infolge dieser Neuordnung regte sich offenkundig das Interesse verschiedener Einrichtungen an der Nutzung der ehema­ ligen Sperrgebietsgrundstücke. Doch weder diese Interessenten noch die Verwaltung A. E. Kaiser sollten Einblick oder Zugang zu dem betreffenden Gebiet in Hohenschönhausen erhal­ ten. In einem weiteren Schreiben vom 7. September 1951 bedauert Kaiser, daß er noch immer keine Gelegenheit habe, „ das ehemalige Sperrgelände der Firma Heike zu betreten, da es von einer Volkspolizei-Sperre bewacht wird". Außerdem bittet er um Auskunft, „wem diese Grundstücke zur weiteren Nutzung angeboten wurden, da bereits umfangreiche Bauarbeiten ... durchgeführt werden."16 Obwohl Kaiser die Verwaltung der Heike-Grundstücke übertra­ gen worden war, stand er offensichtlich außerhalb jeglichen Informationsflusses. Auch die Vereinigte Grossberliner Versicherungsanstalt - sie war von dem Finanzberater der Heike- schen Erbengemeinschaft, Rechtsanwalt Lucius, wegen einer Feuerversicherung für die Hei­ ke-Gebäude angesprochen worden - bemühte sich erfolglos um Informationen oder gar Zutritt. „Infolge der Lage im Sperrgebiet und teilweiser Nutzung durch die Volkspolizei konnten unsere Beauftragten eine Besichtigung bzw. Schätzung nicht vornehmen."17 Unverkennbar: Das sowjetische Sperrgebiet hatte einen deutschen Nachfolger, die Sowjeti­ sche Kontrollkommission SKK einen deutschen Nachlaßverwalter gefunden. Handelte es sich aber bei dem Nachfolger tatsächlich, wie in den o. g. Briefen vermutet, um die Volkspolizei? Oder wurde diese lediglich kurzfristig zur Abschirmung nach außen eingesetzt, ohne selbst Hausherrenrechte zu besitzen? Eine kurze schriftliche Mitteilung an das Hauptamt Verwal­ tung der DDR vom 31. Oktober 1951 läßt den eigentlichen Drahtzieher hervortreten: das Ministerium für Staatssicherheit. Es handelt sich in den bislang durchgesehenen Beständen um den einzigen eindeutigen Hinweis auf das Involviertsein des MfS in dem betreffenden Gebiet zu diesem frühen Zeitpunkt. In dem besagten Kurzbrief äußerte der Leiter der Haupt­ abteilung Allgemeines im MfS, Borrmann, an das Hauptamt Verwaltung die Bitte, „dem Magistrat von Groß-Berlin mitzuteilen, daß Ausweise zum Betreten der genannten Sperrge­ biete für Angestellte nicht ausgestellt werden können".18 Der Chef der Verwaltung, Artur Pieck, gab diese Nachricht an die Antragsteller beim Magistrat bzw. Bezirksamt Weißensee weiter: Er habe den „ Antrag mit den zuständigen Dienststellen besprochen". Doch es sei „ lei­ der nicht möglich, die gewünschten Ausweise zum Betreten des Sperrgebietes zu erteilen". Die Mitarbeiter des Bezirksamtes, die eine Bestandsaufnahme in der ehemaligen sowjetischen Sperrzone vornehmen wollten, wurden vielmehr aufgefordert, „ die notwendigen Ermittlun-

210 Kellergefängnis der Untersuchungshaftanstalt Hohenschönhausen, das sog. U-Boot. 1946/47 im Keller der ehemaligen NSV-Großküche erbaut, bis 1960 als regulärer Haftort genutzt. 1946/47 bis März 1951 von der sowjetischen Besatzungsmacht, von März 1951 an vom MfS. Foto: Thomas Ernst

gen aus den Unterlagen unserer Verwaltungsdienststelle, des Wirtschaftsunternehmens Wohnbauten der DDR ... zu entnehmen".19 Statt des persönlichen Augenscheins, der Kon­ trolle vor Ort wurde den Bezirksamtsmitarbeitern die Selbstbeschränkung auf Akteneinsicht empfohlen. Gänzlich folgenlos blieben diese Manöver politischer Abschottung und Verweigerung natür­ lich nicht. Ein Mitarbeiter des Wohnungsamtes beim Magistrat bekundete bereits im Juni 1951 gegenüber dem „Wirtschaftsunternehmen Wohnbauten der Regierung" seine tiefe Sorge über die unzufriedene Stimmung in Hohenschönhausen. Die „ scheinbar ungeklärten Verhältnisse im ehemaligen Militärstädtchen Hohenschönhausen" stellten ein „ständiges Ärgernis" dar. Auf den „Informationsabenden für die ehrenamtlichen Helfer der Verwal­ tung" werde beharrlich die „Frage des ehemaligen Sperrgebietes angeschnitten" - ohne daß die hauptamtlichen Referenten eine Antwort geben könnten.20 Ein ähnliches Verwirrspiel um Zuständigkeiten zeigte sich im Zusammenhang mit der Reor­ ganisation des Berliner Strafvollzugs nach dem Ende des Krieges. Die Diskussion über die katastrophale Lage im Haftbereich aufgrund starker Überbelegung und gravierender bauli­ cher Mängel gewann zum damaligen Zeitpunkt immer mehr an Schärfe und Dringlichkeit. Zahlreiche Mängelberichte und Eingaben bei der Generalstaatsanwaltschaft in der Neuen Friedrichstraße wiesen mit Nachdruck auf die Unhaltbarkeit der herrschenden Zustände (ins­ besondere im Bereich der Untersuchungshaft) hin.21 In dieser Situation wurde als eine Mög­ lichkeit zur kurzfristigen Verbesserung der Name Hohenschönhausen ins Gespräch gebracht.

211 Im Februar 1949 schlug die Direktorin der Strafanstalt in der Barnimstraße, Ringk, der Gene­ ralstaatsanwaltschaft vor, „ die Besatzungsmacht zu bitten, zunächst im Lager Hohenschön­ hausen, Große Leegestraße, einige fertig eingerichtete Baracken für 500 Männer zur Verfü­ gung zu stellen", bis ein weiteres Untersuchungsgefängnis in Berlin eingerichtet sein werde.22 In Reaktion auf die alarmierenden Berichte aus den Strafanstalten sandte der Oberbürgermei­ ster von Groß-Berlin, Ebert, am 7. März 1949 eine Stellungnahme an den Generalstaatsan­ walt. Zu Hohenschönhausen hieß es hierin: Grundsätzlich begrüße der Oberbürgermeister „jede Maßnahme, die dazu führt, die unerträgliche Belastung der Gefängnisse zu vermin­ dern". Jedoch könnten Verhandlungen mit der sowjetischen Kommandantur über eine Frei­ gabe des sowjetischen Lagers Hohenschönhausen nicht vom Magistrat ausgeführt werden, da ihm die Justizverwaltung nicht unterstehe.23 Zur Klärung dieser Fragen fand schließlich im Juni eine Besprechung statt zwischen Dr. Eberlein vom Strafvollzugsamt der Berliner Justiz­ verwaltung und Oberstleutnant Paschkewitsch, dem Leiter der Rechtsabteilung in der Karls- horster Militärverwaltung. Paschkewitsch teilte mit, „daß das fragliche Barackenlager nicht der Zentralkommandantur unterstände", der Antrag auf Überlassung daher nicht von ihm bearbeitet werden könne. Er riet vielmehr, der Oberbürgermeister solle sich direkt an den sowjetischen Stadtkommandanten Kotikow wenden.24 Zur Erinnerung: Der Oberbürgermeister hatte sich bereits zuvor als nicht zuständig erklärt. Die SMAD folgte nun diesem Beispiel. Dabei liegt allerdings die Vermutung nahe, daß es sich um ein Verzögerungs- oder Vertuschungsmanöver der sowjetischen Seite handelte. Eine Überlassung von Hohenschönhausen konnte schon aufgrund seiner Bedeutung als zentrales sowjetisches Untersuchungsgefängnis gar nicht in Frage kommen. Dieser Hintergrund war offensichtlich in der Berliner Verwaltung nicht bekannt. Dr. Eberlein vom Strafvollzugsamt berichtete im Juni 1949 dem Generalstaatsanwalt, er habe Erkundigungen über Hohenschön­ hausen einziehen lassen. Das Ergebnis der Nachforschungen entspricht in seinem Inhalt jedoch nicht der Situation 1949, vielmehr derjenigen von 1946, als das Intemierungslager „Spezlager Nr. 3" noch existierte. Eberlein bemerkte, „daß das Lager in Hohenschönhausen nur noch gelegentlich als Durchgangslager für politische Häftlinge benutzt wird, die im übri­ gen nach Oranienburg verlegt sind".23 Der Informationsstand war unverkennbar dürftig und nicht aktuell: Die letzten Internierten des „ Spezlager Nr. 3" waren bereits im Oktober 1946 in das Intemierungslager Sachsenhausen bei Oranienburg verbracht worden, auch fehlte jegli­ cher Hinweis auf die Auflösung des Internierungslagers im Herbst 1946 und die anschlie­ ßende Nutzung des Geländes als sowjetische Untersuchungshaftanstalt. In Unkenntnis über die politischen Implikationen und unter dem Druck der alarmierenden Entwicklung im Berli­ ner Strafvollzug klammerte man sich in der Berliner Verwaltung weiterhin an die Hoffnung auf Entlastung, die mit Hohenschönhausen verbunden zu sein schien. Im April 1949 hatte die Leiterin der Strafanstalt in der Barnimstraße nochmals auf die Dringlichkeit einer schnellen Problemlösung hingewiesen und empfohlen, es solle „ doch noch einmal versucht werden, für ein halbes Jahr fertig eingerichtete und sofort bezugsfertige Räume für ca. 500 Personen zu erlangen. Vielleicht ist die SMA (Sowjetische Militäradministration, G. C.) doch bereit, die Baracken in Hohenschönhausen, Gr. Legestraße mit Kochanlagen für die Zwecke ein halbes Jahr zur Verfügung zu stellen."26 Dr. Eberlein vom Strafvollzugsamt plädierte dafür, „den Weg einer direkten Verhandlung mit Herrn General Kottikow (sie!) oder der entsprechenden Stelle in Karlshorst" zu suchen, um „mit Rücksicht auf die unmenschlichen Verhältnisse" in einigen Berliner Haftanstalten rasch eine Verbesserung zu erreichen.27 In einer Unterredung mit Direktor Dr. Gentz von der Deutschen Justizverwaltung (DJV) am 9. Juli 1949 über die Lage des Strafvollzugs erreichte Eberlein schließlich auch die Zusage der DJV, „die Über-

212 nähme des Barackenlagers in Hohenschönhausen durch Hinweis an ihren Verbindungsoffi­ zier in Karlshorst möglichst unterstützen zu wollen".28 Doch die Angelegenheit versandete, ohne daß greifbare Ergebnisse sichtbar wurden. Dies gilt zumindest in Hinblick auf den Straf­ vollzug im üblichen Rahmen. In anderer Richtung aber waren konkrete Folgen bemerkbar: Die Übergabe des Lager- und Haftgeländes an das Ministerium für Staatssicherheit im Früh­ jahr 1951 bedeutete de facto die Weiterführung der Einrichtung als besonderes, externes Gefängnis in einem Sperrgebiet. Eine wichtige Bemerkung noch zum Schluß. Auf dem Hintergrund der genannten Doku­ mente erscheint die bisherige Annahme, das Haftgelände sei 1950 zunächst an das Mdl gekommen und anschließend erst an das MfS (analog zu den Speziallagern Buchenwald usw.), als sehr zweifelhaft. Der jetzigen Aktenlage zufolge hat das MfS vermutlich im März 1951, als das gesamte Gebiet Hohenschönhausen an das Wirtschaftsunternehmen Wohnbauten der Regierung ging, sofort oder via diese Verwaltung - seinen Besitzanspruch geltend gemacht. Das Mdl trat dabei nicht in Erscheinung.

Anmerkungen

1 Für Angaben zur Großküche danke ich Herrn Friedrich vom Heimatmuseum Berlin-Hohen­ schönhausen. 2 Bescheinigung des Bezirksamtes Weißensee, 22.10.1946, Landesarchiv Berlin, Rep. 105, Nr. 851. 3 Rechtsanwalt Lucius an das Haushaltsamt im Bezirksamt Weißensee, 13.9.1950, in: Landes­ archiv Berlin, Rep. 105, Nr. 18135. 4 So wurde der Haus- und Grundstück-Verwaltung A. E. Kaiser, die im Auftrag der Heike-Erben­ gemeinschaft tätig war, „auf Grund der Anerkennung durch die S.K.K monatlich 20 838,45 DM" ausgezahlt (abzügl. Abgaben/Gebühren). Vgl. Verfügungen des Haushaltsamtes im Bezirksamt Weißensee, in: Landesarchiv Berlin, Rep. 105, Nr. 18135. Eine allgemeine gesetzli­ che Regelung für Kriegs- und Kriegsfolgeschäden bestand nicht. Entschieden wurde auf der Grundlage des Befehls Nr. 245. Vgl. Verwaltungsvermerk vom Januar 1951, in: Bundesarchiv- Außenstelle Berlin, DC 20, Nr. 53. 5 Vgl. Schreiben und Belege in Landesarchiv Berlin, Rep. 105, Nr. 18212, z. B. Asid Serum-Insti­ tut an das Amt für Besatzungskosten Weißensee, 28. 1.1947. Die Baracken waren 1940 errichtet und als Unterkünfte für Zwangsarbeiter, u. a. aus der UdSSR und Polen, genutzt worden. 6 Handschriftliche Vermerke zur Nr. 64/65 („früher NSV, heute Sequestur!"), der heutigen Nr. 66, sind die bislang einzigen auffindbaren Spuren in diesem Zusammenhang. 7 Vgl. z. B. Landesarchiv Berlin Rep. 105, Nr. 851, Amt für Kriegsschäden und Besatzungskosten, Vermerk, 2.4.1949; Rep. 105, Nr. 18135, Verwaltung A. E. Kaiser an Haushaltsamt KB Berlin- Weißensee, 7.9.1951. 8 Zur Zielsetzung der Alliierten in ihrer Entnazifizierungspolitik vgl. die Jalta-Deklaration (Februar 1945), Potsdamer Abkommen (Juli/ August 1945) und die Direktive Nr. 38 des Alli­ ierten Kontrollrates (Oktober 1946). Letztere sah auch ausdrücklich die Internierung von Perso­ nen vor, die den Zielen der Besatzungspolitik gefährlich werden könnten. War dabei ursprüng­ lich an NS-Epigonen wie die „ Werwolf'-Organisation gedacht, so diente sie in der SBZ weitest­ gehend zur Rechtfertigung der Verfolgung politisch Andersdenkender. 9 Tätigkeitsbericht des Amtes für Industrie, 27.7.1945, in: Landesarchiv Berlin Rep. 148/6, Nr. 1. 10 Vgl. o. g. Brief. Zitat aus einem Aktenvermerk vom 23.1.1947, Amt für Besatzungskosten Wei­ ßensee, in: Landesarchiv Berlin, Rep. 105, Nr. 18212. Die Holzbaracken hatte Asid Serum bereits im Vorjahr abtreten müssen. Die Asid Serum bemühte sich in der Folgezeit noch um Ent­ schädigungszahlungen (vgl. Briefe an das Amt für Besatzungskosten Berlin-Weißensee,

213 28.1.1947, 24. 2.1947, 28. 3.1947 in: Landesarchiv Berlin, Rep. 105, Nr. 18212). Nach der Gründung der DDR wurde die Angelegenheit der Volkseigenen Grundstücksverwaltung Heim­ stätte Berlin übertragen. Vgl. ebd., Heimstätte Berlin an Amt KB Berlin-Weißensee, 31.5.1950. 11 Vgl. Landesarchiv Berlin, Rep. 148/1 Nr. 147, Polizei-Revier 287, Berlin-Hohenschönhausen, Bericht vom 9.8.1945 und Schreiben vom 10. 8.1945. 12 Landesarchiv Berlin, Rep. 105, Nr. 851, Abt. Bau- u. Wohnungswesen an den Magistrat von Groß-Berlin, 8.11.1949. 13 Vgl. Kaiser an Haushaltsamt KB Bezirksamt Weißensee, 7.7.1951, in: Landesarchiv Berlin Rep.l05,Nr. 18135. 14 Vgl. handschriftlicher Vermerk vom 7.1.1953 auf der Rückseite eines Schreibens der Ver­ einigten Grossberliner Versicherungsanstalt, 11.12.1952, in: Landesarchiv Berlin Rep. 105, Nr. 18135. 15 Vgl. handschriftliche Aktennotiz vom 25.6.1951 auf einem Schreiben der Verwaltung Kaiser vom 7.7.1951, in: Landesarchiv Berlin Rep. 105, Nr. 18135. Von 1956 an war diese Verwaltung als „Gruppe Regierungsbetriebe in der Hauptabteilung II Verwaltungsangelegenheiten der Regierung im Büro des Präsidiums des Ministerrates" tätig. Nähere Angaben zur „Verwaltung Wirtschaftsunternehmen der Regierung" (ebd.) vgl. den Bestand DC 20 Nr. 122 (1949-1951), in: Bundesarchiv-Außenstelle Berlin. 16 Vgl. Kaiser an Haushaltsamt KB Bezirksamt Weißensee, 7.9.1951, in: Landesarchiv Berlin Rep.105, Nr. 18135. 17 Vgl. Vereinigte Grossberliner Versicherungsanstalt an das Amt für Besatzungskosten Weißen­ see, 11.12.1952, in: Landesarchiv Berlin Rep. 105, Nr. 18135. 18 Borrmann/MfS an Hauptamt Verwaltung, 31.10.1951, in: Bundesarchiv-Außenstelle Berlin, DC 20, Nr. 53. 19 Vgl. Pieck an Magistrat sowie Pieck an Bezirksamt Weißensee, 3.11.1951, in: Bundesarchiv- Außenstelle Berlin, DC 20, Nr. 53. Eine Namensliste der betreffenden Angestellten hatte die Abteilung Finanzen des Magistrats am 19.10.1951 eingereicht. Vgl. Schreiben ebd. 20 Mitteilung, Juni 1951, in ebd. 21 Vgl. beispielsweise Schreiben der Strafanstaltsdirektorin Barnimstraße, Frau Ringk, an den Generalstaatsanwalt, 18. 2.1949, in: Landesarchiv Berlin Rep. 26, Nr. 275, Bl. 83,83RS; dies., Aktenvermerk vom 26.4.1949, in: ebd., Rep. 26, Nr. 276; Mitteilung von Dr. Eberlein/Straf - vollzugsamt an Generalstaatsanwalt, 29.6.1949, in: ebd., Rep. 26, Nr. 275, Bl. 85, 85RS. Vgl. auch Bericht über die Konferenz bei Dr. Gentz am 9.6.1949, in: ebd., Rep. 26, Nr. 284, Bl. 16-18. 22 Schreiben der Strafanstaltsdirektorin Barnimstraße, Frau Ringk, an den Generalstaatsanwalt, 18. 2.1949, in: ebd., Rep. 26, Nr. 275, Bl. 83. 23 Schreiben des Oberbürgermeisters von Groß-Berlin, Ebert, an den Generalstaatsanwalt, 7. 3.1949, in: ebd., Rep. 26, Nr. 275, Bl. 84. 24 Mitteilung von Dr. Eberlein/Strafvollzugsamt, an den Generalstaatsanwalt, 29.6.1949, in: ebd., Bl. 85. 25 Ebd., Bl. 85, Bl. 85RS. 26 Aktenvermerk ders. vom 26.4.1949, in: ebd., Rep. 26, Nr. 276. 27 Mitteilung von Dr. Eberlein/Strafvollzugsamt, an den Generalstaatsanwalt, 29.6.1949, in: ebd., Bl. 85. 28 Niederschrift über die Konferenz mit Direktor Gentz, 9.7.1949, in: Landesarchiv Berlin, Rep. 26, Nr. 284, Bl. 24.

Anschrift der Verfasserin: Dr. Gabriele Camphausen, Wiss. Leiterin der Gedenkstätte Berlin-Hohenschönhausen, Genslerstraße 66, 13055 Berlin Dorothea Sophia Räntz - ,Witwe Meyer' und das Brandenburger Tor Berliner Bildhauerinnen des 18. Jahrhunderts? Von Brigitte Hüfler

Um das Ergebnis dieses Beitrags vorwegzunehmen: Bildhauerin war nur Dorothea Sophia Räntz! Das herauszufinden und zu bestätigen war mühevoll. In den Lexika zur Kunstge­ schichte ist Dorothea Sophia weder unter ihrem Mädchennamen Sprenger noch unter ihrem Ehenamen Räntz und auch nicht unter den Schreibweisen „Raentz, Rentz, Ranz" verzeichnet.' Selbst Gottfried Schadow erwähnt sie in seinen Kunstansichten nicht, und wenn schon Dorothea Sophia nicht genannt wird, so hätte er den Namen ihres Mannes Johann Chri­ stian Friedrich Räntz, der nachweislich am Brandenburger Tor tätig war, vermerken müssen. Die Brüder dieses Christian Räntz, Johann David und Johann Lorenz Wilhelm Räntz, werden von Schadow und in anderen Publikationen stets als „ Bildhauerbrüder" zitiert.2 Gleiches Ver­ säumnis finden wir bei Götz Eckardt im Personenregister seines Schadow-Buches3 wieder; und selbst in der Abhandlung zum Brandenburger Tor wird der jüngste Bruder der „ Bildhau­ erbrüder", Christian Räntz, nicht unter den „sämtlichen Herren Bildhauern", denen die Arbeit übertragen worden war, aufgezählt (S. 46). Die einzige Erklärung, warum Christian Räntz ausgeklammert blieb, könnte die große Altersdifferenz zu seinen Brüdern (22 Jahre zu Johann David - 18 Jahre zu Johann Lorenz Wilhelm) gewesen sein - und somit eine Generationsfrage.4 Aber Christian Räntz war 1792 bereits 41 Jahre alt; eigentlich kein junger zu vernachlässigender Bildhauer oder Steinmetz mehr. So widersprüchlich es vielleicht erscheint, führte gerade sein Name auf die Spur von Dorothea Sophia. Die heute noch übliche (Un-)Art, Frauen über den Ehemann zu definieren, half auch in diesem historischen Fall weiter. Dorothea Sophia Räntz ließ sich unter dem Namenseintrag ihres Mannes im Thieme-Becker wie folgt auffinden: „Auch s. Frau Dorothea Sophia, geb. Sprenger aus Hammelspring, war künstlerisch tätig." Im Akademie-Katalog 1788 ist unter „Einheimische Mitglieder der Akademie" eine „Madam Renz" mit einem in Ton kopierten Kopf des Abbe Monier und einem bossierten Kinderkopf verzeichnet.5 Ihr Mann wird als Bildhauer, Zeichner, Kupferstecher und als Schüler seines Vaters Johann Gabriel beschrie­ ben. 1777 war Christian Räntz in das Tassaertsche Bildhauer-Atelier Friedrich des Großen eingetreten und dort bis 1788 tätig. Da ihm eine Mitarbeit an den Metopen des Brandenburger Tores unter Johann Gottfried Schadow attestiert wird, könnte auch Dorothea Sophia Räntz daran beteiligt gewesen sein. Offiziell ist ihre Mitarbeit an keinem Relief belegt. Als Ehefrau, die in der Werkstatt des Mannes tätig war, wurde sie wohl in dieser Epoche nicht namentlich mit in den Vertrag aufgenommen, was als Zeit immanent verstanden werden muß. Ihrem Manne, Christian Räntz, wird in jüngster Literatur6 das Relieftondo mit der Darstellung „ Herkules tötet den Drachen Ladon und raubt die Äpfel der Hesperiden" zugeschrieben. Die in dieser Publikation gebrauchte Schreibweise des Familiennamens (Renz) ist bisher nur im Katalog der Akademie zu finden; das Künstlerlexikon Thieme-Becker belegt, daß nach urkundlichem Eintrag und Unterschriften zu Regensburg, Bayreuth und Berlin die authenti­ sche Schreibweise des Namens der Künstlerfamilie „Räntz" sei.7 Zu Dorothea Sophia Räntz haben sich bisher keine exakten Lebensdaten auffinden lassen. Sie war Künstlerin und Bild­ hauerin, was der Katalog von 1788 verifiziert. Da im Thieme-Becker ihre Biographie nicht verzeichnet ist, scheint sie nie existiert zu haben, das heißt, Dorothea Sophia galt nicht als

215 eigenständige Bildhauerin. Möglicherweise erlosch mit dem frühen Tode ihres Mannes (1794/43 Jahre alt) jegliche Kenntnis ihrer Person als Künstlerin. * Zu der zweiten - im Titel genannten - Frau, der ,Witwe Meyer', ließ sich noch weniger Mate­ rial entdecken, was zunächst verwunderte, da sie über Jahre von der Verfasserin und einer Berliner Kollegin als Bildhauerin am Brandenburger Tor vermutet wurde. Vermutet deshalb, weil sich im Kontrakt zur Ausgestaltung des Tores der Hinweis fand, daß ein Meyer junior und eine Witwe Meyer selber Arbeiten in Sandstein unter der Oberaufsicht Schadows ausgeführt haben.8 Selbst in der Schadow-Publikation von Götz Eckardt 1990 (s. Anm. 3, S. 46) liest es sich so, als sei die Witwe Meyer Bildhauerin, da auch sie unter den Bildhauernamen mit ihrem Sohn gemeinsam genannt wird. - Doch die Formulierung ist mißverständlich gewählt und for­ muliert einen anderen Inhalt: Sie war treuhänderisch tätig. Über die oben zitierte jüngste Lite­ ratur zum Brandenburger Tor9 konnte nun der Sachverhalt geklärt werden. Jene ,Witwe Mey­ er', Witwe von Wilhelm Christian Meyer (1726-1786), Modelleur der Berliner Porzellanma­ nufaktur, nahm nach dem Tode ihres Mannes die Interessen ihres - noch nicht geschäfts­ fähigen - Sohnes „ H" wahr, der mit anderen und „ unter besonderem Beistand des Herrn Schadow" an der Ausführung des Bildprogrammes mitarbeiten sollte.10 Die ,Witwe Meyer' war also keine Künstlerin, keine Bildhauerin des 18. Jahrhunderts und ist somit zu Recht in keinem Künstlerlexikon verzeichnet. Anders verhält es sich mit Dorothea Sophia Räntz! Ihre Nichtbeachtung in den renommierten Nachschlagewerken ist zu beklagen und muß in der Thieme-Becker Nachfolge, dem Allgemeinen Künstlerlexikon, nachgeholt werden. Das wird leider erst in ,2000-und' sein, da das Künstlerlexikon gerade bis zum Buch­ staben ,B' gediehen ist". Künstlerinnen in Lexika aufzunehmen und in kunsthistorischer Lite­ ratur zu behandeln, daran ist überhaupt noch sehr viel zu tun. Aber in Abwandlung zu Fon­ tane, ist das wohl noch ein weites Feld. Vielleicht sogar „ .. . ein zu weites Feld."

Anmerkungen

1 Im Thieme-Becker werden nach dem Namen „ Räntz" diese drei Schreibweisen in Klammern angegeben. Lexika: G. K. Nagler, Neues allgemeines Künstler-Lexikon, Leipzig 1852 - Fr. Müller, Die Künstler aller Zeiten und Völker oder Leben und Werke der berühmtesten Baumeister, Bildhauer, Maler, Kupferstecher, Formschneider, Lithographen etc., Leipzig 3. 1864 - Fr. Müller, Biogra­ phisches Künstler-Lexikon, Leipzig 1882 - H. W. Singer, Allgemeines Künstler-Lexikon, Leip­ zig, 4. 1901 - U. Thieme - F. Becker, Allgemeines Lexikon der bildenden Künstler von der Antike bis zur Gegenwart, Leipzig 27.1933 - E. Benezit, Dictionnaire critique etdocumentaire despeintres, sculpteurs, dessinateurs et graveurs, Paris 8. 1976. 2 Götz Eckardt (Hrsg.), Johann Gottfried Schadow. Kunstwerke und Kunstansichten, Berlin 1987,3 Bde., vgl. Bd. 3, S. 927 (Personenregister): „ Räntz, Brüder, Bildhauer, seit 1764 in Ber­ lin: Johann David Räntz d.Ä. (1729-1783), Johann Lorenz Wilhelm Räntz d.J. (1733-1776)". 3 HtK.,Johann Gottfried Schadow 1764-1850. Der Bildhauer, Leipzig 1990, S. 306 (Personen­ register), S. 46 (Abhandlung); S. 46 Zitat: „ Den «sämtlichen Herren Bildhauern, sowohl in Ber­ lin als Potsdam» sei die Arbeit übertragen worden. Es waren dies Eckstein, die Gebrüder Woh­ ler, Bettkober, Bardou, Boy, Unger, Meltzer, die Witwe Wilhelm Christian Meyers und ihr Sohn."

216 4 Johann David d. J. (1729-1783) - Johann Lorenz Wilhelm (1733-1776) - Christian (Johann Christian Friedrich) (1751-1794). Der vierte Bruder Matthäus Emanuel (1747-1801) war Maler. 5 Helmut Börsch-Supan (Hrsg.), Die Kataloge der Berliner Akademieausstellungen 1786-1850, 2 Bde. u. Registerbd., Berlin 1971; vgl. Bd. 1,1788: 374,375. Im Registerband wird der Famili­ enname mit „ Räntz, Renz" angegeben. Im Archiv der Preussischen Akademie der Künste ist Dorothea Sophia Räntz urkundlich nicht auffindbar, es existiert keine Personalakte. Auch andere Unterlagen, die ihre Mitgliedschaft bestätigten, fehlen. 6 Willmuth Arenhövel und Rolf Bothe (Hrsg.), Das Brandenburger Tor 1791-1991, Berlin 1991, S. 113,116,117 Abb. Nr. 134. Bernhard Rode vermerkt auf seinen Entwurfszeichnungen zum Schmuckprogramm Bildhauernamen: Auf der Darstellung des Raubes der Äpfel des Hesperi- den vermerkt er „ Christian Renz". Die Zeichnung (KdZ9350) befindet sich im Kupferstichkabi­ nett SMB PK. 7 Thieme-Becker 27. 1933, S. 556 belegt vor dem Namen des ersten Mitglieds der Familie „ELIAS", Hofbildhauer in Bayreuth (1649-1732) und Großvater von Christian Räntz, die Schreibweise „Räntz". 8 Freundliche Mitteilung von Professor Dr. Sibylle Einholz. 9 Vgl. Anm. 6, S. 113, 116. 10 Vgl. Anm. 6, S. 116: „Ungeklärt muß bleiben, ob Schadows «besonderer Beistand» für Meyer dazu führte, daß er ihm Modelle lieferte, etwa für den Tondo mit den Rossen des Diomedes oder für eins der eher klassizistischer Auffassung zuneigenden, von Rodes Entwurf unabhängiger scheinenden Reliefs des nördlichen Durchgangs." (Abb. 146 f.). Das Vornamenkürzel „H" ließ sich nicht klären. Es heißt wohl „Hans" und ist die Verkürzung des Vornamens Johann, der im 18. Jahrhundert gängig war. In den in Anm. 1 zitierten Künstler-Lexika ist weder unter „ Johann" noch unter „ Hans" ein Bildhauer Meyer im Berlin der Schadowzeit verzeichnet. 11 AKL. Die bildenden Künstler aller Zeiten und Völker, Leipzig 1983-1996, Bd. I-XII (BOR- DACEV).

Anschrift der Verfasserin: Dr. phil. Brigitte Hüfler, Kurfürstenstraße 115/App. 64, 10787 Berlin-Schöneberg

Rezensionen

250 Jahre Schloß Sanssouci. Ausgtabe XXVIII der Reihe DEUTSCHE GESCHICHTE (Die Reihe erscheint sechsmal jährlich in der) VGB-Verlags GmbH, 82238 Berg, 18 DM. Der 1. Mai 1997 ist der 250. Jahrestag der Einweihung von Schloß Sanssouci. Zum Jahresbeginn erschien diese historische Publikation. Sie berichtet vom Werden und Wachsen des „Versailles des Nordens" bis heute, der Bestattung Friedrichs des Großen seinem Wunsche entsprechend an der Terrasse des Schlosses. So wie das Leben Friedrich II. im Schloß geschildert wird, folgt auch das sei­ ner Nachfolger und aller erlauchten Gäste. 1945 und die Zeit bis heute ist in den Schilderungen in und um Sanssouci nicht ausgelassen. Den Abschluß bildet ein Bericht Theodor Fontanes über den Bornstedter Friedhof mit vielen Persönlichkeiten um Sanssouci. Diese Ausgabe DEUTSCHE GESCHICHTE verführt auch uns Berliner in dem Jubiläumsjahr zu einem gedankenvollen Besuch von Sanssouci, ähnlich der geschilderten Begegnung eines Zeitgenos­ sen von heute: „ Ich traf den Großen König". Karlheinz Grave

217 Juden in Kreuzberg. Fundstücke ... Fragmente ... Erinnerungen ... hrsg. von der Berliner Geschichtswerkstatt e.V., Berlin 1991 (Reihe Deutsche Vergangenheit - Stätten der Geschichte Berlins, Band 55). Die Erinnerungen zahlreicher jüdischer Opfer des Nationalsozialismus bilden die wesentliche Grundlage der Publikation: Erinnerungen an „ ihr" Kreuzberg, in dem sie bis zur Emigration, ja ver­ einzelt sogar die gesamte NS-Zeit hindurch gelebt und lange Zeit auch gearbeitet haben. Aus „ Fund­ stücken, Fragmenten, Erinnerungen" wird ein Bild jüdischen Lebens in der Vorstadt/im Bezirk zusammengesetzt, das um 1760 mit dem Münzpächter Daniel Itzig und seinem prächtigen Barock­ garten an der Köpenicker Straße beginnt und mit den letzten Deportationen im März 1945 endet. Dazwischen liegt eine Zeit, in der um die Mitte des 19. Jhs. die ebenfalls an der Köpenicker Straße gelegene Fabrik R. Goldschmidt & Söhne zu den bedeutendsten der Kattunindustrie zählte, die Lui­ senstadt um 1900 für viele zugewanderte osteuropäische Juden zur zweiten Heimat wurde, zahlrei­ che jüdische Einzelhändler und Kleingewerbler an der Skalitzer Straße „um ihr Glück kämpfen mußten" (S. 207) und Unternehmen wie „ Leiser" und „ Wertheim" die Oranienstraße zum „ Kurfür­ stendamm des Ostens" aufwerteten. 6000 Juden lebten vor 1933 im Bezirk. Ihr Leben unterschied sich - wenn überhaupt - nur in der Religionsausübung von dem nichtjüdischen Nachbarn. „Sie haben ein ganz normales Leben wie andere Familien auch geführt", schreibt Julius H. Schoeps über seine Großeltern, die in der Hasenheide wohnten. Der nationalsoz. Rassenwahn zerstörte die Nor­ malität dieses selbstverständlichen Miteinanders. Die Motorik der Unterdrückungs- und Vernich­ tungsmaschinerie und das Empfinden der betroffenen Menschen sind Hauptthema der Beiträge. Doch berichten die jüdischen Zeitzeugen auch von zahlreich praktiziertem antirassistischem Verhal­ ten in Nachbarschaft und Schule. So haben Bruno und Ruth Gumpel „mit Hilfe einiger guter Deut­ scher" im nationalsozialistischen Berlin überlebt. Ihre Erzählungen vom „Überleben im Unter­ grund" gehören zu den bewegendsten des Buches. Hätte man sich - zumal bei einem „Oral History-Projekt" - auch noch einige methodische Anmer­ kungen zur angewandten Interviewtechnik und zu den spezifischen Fragestellungen gewünscht, so ist die immense Recherchearbeit und damit die breite Quellenbasis ebenso hervorzuheben wie die präzise und anschauliche Diktion der Beiträge. Das Buch gibt nicht nur Zeugnis vom individuell erfahrenen jüdischen Leiden durch die NS-Verbrechen, die Spurensuche offenbart uns auch, daß die Juden in Kreuzberg eine Geschichte haben, sie zeigt, wie jüdisches Leben war - vor dessen Vernich­ tung. Herbert May

Renate Korinski, Die Alma Mater - ein Männerhaus? Professorinnen an der Freien Universität Berlin 1948-1994. Eine Dokumentation, hrsg. von Christina Färber. Berlin: FU Frauenbeauftragte 1995, 53 S. Als ehemaliger Assistent einer ordentlichen Professorin für germanische und mittellateinische Philo­ logie an der FU Berlin, nämlich von Ingeborg Schröbler, die zur 68er Zeit als „einziger Mann" ihrer Philosophischen Fakultät galt, wundere ich mich, sie nur im Anhang dieser Broschüre aufspüren zu können, während meine „ Magistermutter", Katharina Mommsen, habilitiert seit 1962 und seit 1968 Professorin für neuere deutsche Philologie an eben diesem Germanischen Seminar der FU, - inzwi­ schen als international angesehene Goetheforscherin in Stanford/USA tätig, - gänzlich fehlt. Unter den Philosophinnen vermisse aich außer der habilitierten Eva Cassirer, die außer an der Technischen auch an der Freien Universität las, vor allem Katharina Kanthack, deren Vorlesungen das Audito­ rium Maximum füllten, und die viele Jahre lang die meisten Lehramtskandidaten im „Philosophi- cum" geprüft haben dürfte (beargwöhnt von ihren männlichen Kollegen, die sie wohl auch heimlich um die Gebühren beneideten); ihre Habilitation vermerkt nur Christina Färbers Vorwort - im Hauptteil oder im Anhang sucht man sie vergeblich (ob denn Renate Korinski das Vorowrt gar nicht gelesen hat?). Schließlich wäre an die fehlende Althistorikerin Ruth Stiehl zu erinnern (später Mün­ ster/W.) und an andere, die es nicht verdient haben, in den Anhang verbannt zu werden. Dieser trägt 25 Namen nach, doch ist er im Verhältnis zu den 100 Kurzbiographien unverhältnismäßig groß gera­ ten, was man wieder von einigen Biographien (K. Alt, L. Ballowitz, E.-M. Czerwonka, I. Faulhaber, E. Gülich, U. Hennig, P. Kopf-Meier usw.) nicht gerade sagen kann: hier stehen nur wenige Zeilen ganzen Spalten gegenüber - kurzum das Heft ist recht ungleichmäßig geraten. Offensichtlich hat man weder alle FU-Vorlesungsverzeichnisse systematisch überprüft, noch alle Nachkriegsjahrgänge des Gelehrten-Kürschner (Verlag W. de Gruyter) durchgesehen, geschweige denn das Universitäts-

218 archiv der Freien Universität (Boltzmannstraße 20) benutzt! Dieser an sich löbliche Versuch, einmal „alle Professorinnen", die seit 1948 an der Freien Universität tätig waren - gemessen an anderen Universitäten erstaunlich viele! - namentlich zusammenzustellen, ging leider fehl. Hier wurden Mit­ tel quasi für einen „Schnellschuß" vergeudet - geeignet, antifeministische Vorurteile zu schüren. Eckart Henning

Ruth Damwerth. Arnold Munter - Jahrhundertzeuge, Edition Scheunenviertel, Verlag Neues Leben GmbH, Berlin 1994, 284 Seiten. Die Geschichte des geteilten Deutschland zu erforschen, ist eine Aufgabe, die noch Generationen beschäftigen wird. Eine ausgewogene Sicht erfordert, den Blick nicht nur auf die große Politik, son­ dern in gleichem Maße auch auf das Schicksal des einzelnen Menschen zu richten. Und in dieser Hin­ sicht ist das vorliegende Buch beachtenswert. Arnold Munter (geboren 1912) ist einen sehr widersprüchlichen Lebensweg gegangen. Im Scheu­ nenviertel, der ärmsten Gegend Berlins aufgewachsen, lernte er den Beruf eines Klempners. Von Kindheit an der Sozialdemokratie nahestehend und schon als Jugendlicher in ihr organisiert, wurde er von den Nazis als Halbjude in eine Richtung gedrängt, die ihm bisher weitgehend fremd gewesen war; nach Kriegsende aufgrund seiner Erlebnisse in Theresienstadt um enge Zusammenarbeit mit seinen Kampfkollegen aus der Illegalität und der Lagerzeit auch weiterhin bemüht, wurde er aus der SPD ausgeschlossen, die damals den Kampf gegen alle als kommunistisch eingeschätzten Tendenzen als vorrangig gegenüber der Auseinandersetzung mit faschistischen Kräften ansah. Sicherlich hat zum Beschluß der SPD-Führung auch beigetragen, daß Arnold Munter im Ostteil der Stadt wohnte. In den vierziger und fünfziger Jahren stand für ihn aufgrund seiner persönlichen Erfahrungen der Kampf gegen alle Erscheinungsformen der faschistischen Ideologie im Vordergrund. Heute wird nur zu oft unbeachtet gelassen, daß gerade in der Zeit des „ Kalten Krieges" die Kräfte der Mitte, des Ausgleichs, zwischen den Fronten zerrieben wurden, daß sie trotz aller Ablehnung des Extrems und trotz vieler Vorbehalte zur Parteinahme für die eine oder die andere Seite gezwungen wurden. Mun­ ters Biographie läßt gerade diesen Aspekt der deutschen Nachkriegsgeschichte aufleuchten. Es wird verständlich, wie dieser weltoffene, wißbegierige, hilfsbereite Mensch, der mehr für andere als für sich selber wirkte, gegen seinen Willen seiner politischen Heimat beraubt wurde, wie er auf der Suche nach neuen politischen Bindungen - da es nicht seinem Charakter entsprach, nur passiver Zuschauer zu sein - eine engere Zusammenarbeit mit der SED fand und dann zum Eintritt in diese Partei veran­ laßt wurde. Das Umschlagbild zeigt Arnold Munter, wie er als Kind in den Tagen der deutschen Novemberrevolution in einer Demonstration mitmarschierte - ein Bild, das heute in vielen Darstel­ lungen jener Zeit reproduziert wird. 1932 war er zufälliger Zeuge des Polizistenmords auf dem Bülowplatz - seine Aussage im Prozeß gegen Mielke ging durch die Presse. Das sind nur zwei spekta­ kuläre Episoden aus seinem so reichen Leben. Bis zu seiner endgültigen Pensionierung zu Beginn der achtziger Jahre übte er Funktionen in der Nationalen Front im Stadtbezirk Pankow aus, wo er stadtbekannt wurde. Und wer Arnold Munter in jener Zeit kennengelernt hatte, wird sich erinnern, wieviel er - trotz aller Widerstände vor allem auf höheren Ebenen - in seinem Kiez durchsetzen konnte. Immer suchte er zu vermitteln, suchte er den Ausgleich, suchte er zu helfen. Und so erwarb er sich selbst in Kreisen, die der DDR-Wirklichkeit ablehnend gegenüberstanden, durch sein Auftreten und seine Leistungen, durch sein undogmati­ sches Diskutieren und die Breite seines Blickfeldes allgemeine Anerkennung. Ruth Damwerth, eine junge Historikerin aus Münster/Westfalen, hat es unternommen, nach Doku­ menten, unterschiedlichen Berichten und vor allem nach den Erzählungen von Arnold Munter selbst seinen Lebensweg nachzuzeichnen. Illustrationen zum großen Teil aus dem persönlichen Besitz Arnold Munters unterstreichen die Darstellung. Es ist ein lesenswertes, fesselndes Buch entstanden, das geeignet ist, manche Klischees aus den Vorstellungen über die deutsche Geschichte unseres Jahr­ hunderts zu korrigieren. Einige sachliche Fehler stören zwar, so wurde Groß-Berlin 1920, nicht 1912 geschaffen (S. 8); Flecktyphus wird durch Läuse, nicht durch Flöhe übertragen (S. 126); der B-Stem- pel kennzeichnete die nach der Währungsunion in West-Berlin umlaufende Währung, im Osten hatte man bis zur Einführung des neuen Geldes die „Tapetenmark" - alte Rentenmarkscheine mit aufgeklebtem Kupon (S. 159). Diese und einige andere sachliche Fehler beeinträchtigen aber den Gesamteindruck nur wenig. Peter Hoffmann

219 Gabriele Spitzer:... und die Spree führt Gold. Leonhard Thurneysser zum Timm. Astrologe - Alchimist - Arzt und Drucker im Berlin des 16. Jahrhunderts. Staatsbibliothek zu Berlin, Preußi­ scher Kulturbesitz 1996. 146 Seiten, 52 DM. Die Lebensgeschichte Leonhard Thurneyssers (1531-1596), der als Leibarzt des Kurfürsten von Brandenburg und Gründer einer anspruchsvollen Druckerei im Grauen Kloster in Berlin großes Ansehen erlangt hatte, wurde 1963 im Jahrbuch unseres Vereins in einem Beitrag von Bruno Harms dargestellt und gewürdigt. In Thurneyssers Persönlichkeit vereinigten sich Wißbegier mit außerge­ wöhnlichem Geschäftssinn, Forschertrieb eines Gelehrten mit dem Unternehmergeist eines Kauf­ mannes; er galt als ein Mann von gutem Aussehen und angenehmem Umgang, er liebte exzentrische Auftritte, aufwendige Kleidung und unterhielt einen pompösen, kostspieligen Haushalt. Seine Abhandlungen schrieb er in teils schwer verständlichen Formulierungen, durchsetzt mit fremdspra­ chigen Worten unterschiedlichster Herkunft, was seine Gegner und Neider zu Fehlinterpretationen und Verleumdungen ausnutzen konnten, so daß schon zu seinen Lebzeiten auch Scharlatanerie, Quacksalberei, Goldmacherei und Wucher mit seinem Namen verbunden wurden. Die Autorin des vorliegenden Buches stützt sich in ihrer sehr klar gegliederten Untersuchung auf alte Quellen, wertet Briefe und Dokumente aus dem Nachlaß aus und kann auf diese Weise eine Reihe klischeehaft tradierter Falschaussagen und Übertreibungen korrigieren. Ihre Schlußfolgerungen belegt sie mit einem ausführlichen Literaturverzeichnis und vielen Zitaten, die in ihrer alten Sprach­ form dem Leser die damalige Zeit lebendig werden lassen. Geboren 1531 in Basel als Sohn eines Goldschmiedes lernte Thurneysser zunächst die Goldschmie­ dekunst und Metallurgie, las als Gehilfe eines Arztes die Schriften des (1493-1541) und bemühte sich von da an ständig, seine Kenntnisse in der Arzneiheilkunde zu erweitern. Er legte mit großem geschäftlichen Erfolg im Inntal eigene Berg- und Hüttenwerke an, unternahm dann ausge­ dehnte Reisen durch ganz Europa bis nach Schottland und Äthiopien und sammelte überall medizi­ nische Texte und Rezeptbücher, nach welchen er schon während der Reisen gelegentlich Behandlun­ gen durchführte. Nach seiner Rückkehr verfaßte er Schriften über die Wirkungen des Firmaments auf Körper und Handlungen der Menschen („ Archidoxa"), über die Verbindungen von Alchimie und Arzneiwissenschaft („Quintessenz"), über die deutschen Flüsse und die Zusammensetzung ihres Wassers und Bodens („Pison"). Kurfürst Joachim Friedrich ernannte Thurneysser 1572 zum Leibarzt und gab ihm Wohnung und Arbeitsräume im säkularisierten Grauen Kloster in Berlin, das bis 1539 dem Franziskanerorden gehörte. Dort gründete Thurneysser eine leistungsfähige und bald sehr anerkannte Druckerei, entwickelte eigene Schrifttypen und verdiente sehr viel Geld mit Druck und Vertrieb selbstverfaßter jährlicher Almanache, Kalender und Horoskope. Er war der erste, von dem man weiß, daß er aufklappbare anatomische Tafeln des menschlichen Körpers herausbrachte, eine anschauliche, neue Art der anatomischen Abbildung, die bald andere Verfasser nachahmten. Thurneysser schmückte seine Schriften durch viele lateinische, hebräische, auch persische Wörter, um trotz der ihm fehlenden eigentlichen gelehrten Bildung seine Stellung als Fachgelehrter zu beto­ nen. Parallel zur Druckerei erzielte er auch als Chemiker und Arzt hohe Einkünfte. Ihm wurden Harnpro­ ben aus ganz Deutschland zur Untersuchung geschickt, er stellte Diagnosen und verkaufte selbsther­ gestellte Arzneien aus kostbaren Zutaten („Perlenpulver", „Goldtinktur"). Seine medizinischen Kenntnisse wußte er geschickt anzuwenden, dabei halfen ihm sein natürliches Einfühlungsvermögen in die Krankheit und die psychologische Wirkung der anzuwendenden Mittel. Er unterrichtete Apo­ theker und Laboranten anderer Fürstenhöfe gegen Entgelt in seinen Methoden. Mit den Sammel­ stücken seiner Reisen richtete er ein erstes Naturalienkabinett in Berlin ein und legte einen botani­ schen und zoologischen Garten an. Auf diese glanzvolle Zeit folgte eine schwierige Lebensperiode mit privaten Problemen, die er nicht bewältigte. Nach dem Tod seiner zweiten Frau erlitt Thurneysser einen Schlaganfall und wollte in seine Basler Heimat zurückkehren. Durch eine erneute, unglückliche Heirat mit einem jungen Mädchen verlor er sein gesamtes Vermögen an deren Familie und sah sich in Berlin nahezu mittellos mit den Verleum­ dungen seiner Gegner konfrontiert, die ihn als Betrüger beschuldigten. Trotz der unbeirrten Gunst des Kurfürsten und des Hofes floh Thurneysser 1584 nach Rom und kehrte erste zehn Jahre später nach Deutschland zurück, wo er 1596 in Köln im Hause eines Freundes starb. Der Stadt Berlin hatte Thurneysser mit seiner Druckerei, seinen vielfältigen Kontakten und seiner Lebensweise nachhaltige geistige, kulturelle und wirtschaftliche Impulse einer neuen Zeit vermittelt. Jeannette Malin-Berdel

220 Berlin-Bibliographie 1990:1995.XVII, 247 S., 138 DM. Berlin-Bibliographie 1991:1996.XVI, 248 S., 198 DM. Hrsg. v. d. Berliner Stadtbibliothek in Zusammenarbeit mit der Senatsbibliothek Berlin. München, New Providende, London, Paris: Verlag Säur. Als Geschenk der Zentral- und Landesbibliothek Berlin/Berliner Stadtbibliothek, vermittelt durch unser Mitglied Dr. Peter P. Rohrlach, erhielt die Vereinsbibliothek jetzt diese beiden Berlinbände; unseren herzlichen Dank für diese bedeutenden Nachschlagewerke. Seit dem Erscheinen des ersten Bandes dieser Bibliographie im Jahre 1965, der retrospektiv die wichtigste Literatur zur Berliner Geschichte vom 16. Jahrhundert bis zum Jahre 1960 enthielt, sind bereits eine Reihe von Nachträgsbänden von der Senatsbibliothek und seit 1990 in Zusammenarbeit mit der Berliner Stadtbibliothek erarbeitet worden. Ziel und Aufgabe dieser Bibliographien ist es, möglichst vollständig das zum Teil verstreute Schrifttum über unsere Stadt zu erfassen, und zwar Monographien, Hochschulschriften, Zeitschriften und Jahrbücher, Amtsdrucksachen oder Karten aller Art. Die reichhaltige Literatur wird in 28 verschiedenen Sachgruppen vorgelegt. Ein Verfasser- /Titelregister sowie ein Orts-, Personen- und Sachregister erschließen die Fülle der Themen. Es ist immer wieder reizvoll, in den Bänden zu blättern, sei es im Kapitel Einzelne Wohnhäuser mit der Beer'schen Villa im Tiergarten wie dem Kavaliershaus in Pankow oder im Kapitel Geschichte einzel­ ner Theater. Das wachsende Interesse an der Geschichte und Politik der Stadt hat zu vielfältiger Beschäftigung und Bearbeitung geführt. So gestattet es die Zunahme an Monographien und Zeitschriftenaufsätzen leider nicht mehr, auch Beiträge aus Tageszeitungen zu erfassen. In dem Band 1990 sind allein 3276 Titel aus Büchern, Periodika und anderen Publikationen verzeichnet. Damit sind diese Bibliogra­ phien eine wertvolle Fundgrube, ein Hilfs- und Informationsmittel für jeden, der sich mit Berlin, sei­ ner Geschichte und seinen Lebensbereichen befaßt sowie ein unentbehrliches Auskunftsmittel für unsere Vereinsbibliothek. Durch die Wiedervereinigung der Stadt aber erringen speziell diese beiden Jahresbände besondere Aktualität. Winfried Löschburg

Aus den Berliner Museen

Altes Museum: „Adolph Menzel (1815-1905) - Das Labyrinth der Wirklichkeit". Adolph Menzel - das Panorama der deutschen Malerei des 19. Jahrhunderts wird von keinem Künstler so eindrucks­ voll überragt wie von ihm. Seine neunzig Lebensjahre brachten ihn mit sehr unterschiedlichen geisti­ gen und künstlerischen Strömungen in Berührung. Menzel neu und genauer kennen, heißt auch das 19. Jahrhundert und seine Kunst neu und besser verstehen. Darin liegt der Anspruch der ersten gro­ ßen Menzel-Retrospektive. Sie wurde gemeinsam von der Nationalgalerie und dem Kupferstichka­ binett der Staatlichen Museen zu Berlin erarbeitet und ist nunmehr - nach erfolgreichen ersten Sta­ tionen im Pariser Muse d'Orsay und in der National Gallery Washington - in Berlin im Alten Museum am Lustgarten zu sehen. Ob als wahrheits- und wirklichkeitsbesessener Beobachter der Gegenwart, ob als Gestalter der Epo­ che Friedrichs des Großen, ob als Vorläufer des Impressionismus: Adolph Menzel ist von den Zeit­ genossen wie von der Nachwelt immer anders gesehen worden und fast immer einseitig. Es ist aber an der Zeit zu erkennen, daß nicht zuletzt der innere Widerspruch den Reichtum und den geistig heraus­ fordernden Reiz seines Werkes ausmacht. Dessen durchgehendes Merkmal ist Konflikt, ist Dishar­ monie: Sie bestimmen die Wahl und Interpretation der Gegenstände, das nachdrückliche Interesse

221 für das „ Häßliche" ebenso wie die Bildform und den malerischen Vortrag. Im konsequenten Ver­ zicht auf jede Idealisierung liegt die Modernität Menzels. Die Ausstellung will ferner zeigen, wie sehr Menzel divergierende Interessen in jeder Phase seines Schaffens verfolgte. Als die malerisch frischesten und kühnsten Stadtlandschaften und Innenraum­ bilder entstanden (das Balkonzimmer, die Berlin-Potsdamer Eisenbahn), betrieb er historische Sachkunde für Illustrationen und bald auch für größere Geschichtsbilder. Neben Ballbildern im Kronleuchterlicht malte er die industrielle Arbeit. Großformate wechseln mit figurenreichen Dar­ stellungen, die von kühler Neugier geprägt sind. Am deutlichsten sind die Kontraste in dem überrei­ chen zeichnerischen Werk. In den letzten Jahren ist das Interesse für Menzel spürbar intensiver geworden, auch außerhalb Deutschlands. Der Wunsch nach einer großen Menzel-Retrospektive, gemeinsam vom Musee d'Or- say, Paris und der National Gallery Washington geäußert, entsprach einem seit der Wiedervereini­ gung von mehreren Seiten zugleich ausgesprochenen Bedürfnis des deutschen und speziell des Berli­ ner Publikums. Stehen doch jetzt ohne politische Beschränkungen um Leihverkehr die bis 1989/90 getrennten reichen Bestände der Nationalgalerie und des Kupferstichkabinettes als Grundstock zur Verfügung. Außerdem haben eine Anzahl von Museen und Privatsammlern wichtige Leihgaben überlassen. Neben den berühmten Hauptstücken sieht man auch eine Vielzahl selten gezeigter oder auch lange verschollener Arbeiten. Noch bis 11. Mai 1997. Tägl. 9 bis 17 Uhr, Mi. bis 22 Uhr. Vgl. Veranstaltungsprogramm (16. April 1997). U.

Deutsches Technikmuseum Berlin: Neueste Erwerbung des Museums ist eine Banknotensammlung zum Thema „Wissenschaft und Technik auf Banknoten". Die Sammlung umfaßt mehr als 1300 Exemplare aus aller Welt - von der ältesten noch erhaltenen gedruckten chinesischen Banknote von 1375 bis zum australischen Kunststoffschein mit Hologrammen von 1988. Die Banknoten zeigen Bildnisse berühmter Techniker und Wissenschaftler sowie wissenschaftlich-technischer Errungen­ schaften, Bauten und Einrichtungen. „Feuer und Flamme für Berlin. 170 Jahre Gas in Berlin - 150 Jahre Städtische Gaswerke". 1826 erstrahlten Unter den Linden die ersten Berliner Gaslaternen. 1847 nahmen die Städtischen Berliner Gaswerke die Produktion auf. Zu diesem 150. Geburtstag zeigt das Deutsche Technikmuseum Ber­ lin die erste große Ausstellung zur Technik- und Alltagsgeschichte des wichtigen Energieträgers Gas von der Produktion bis zur Anwendung. Noch bis Mitte Mai. Trebbiner Straße. Di. bis Fr. 9 bis 17.30 Uhr, Sa. und So. 10 bis 18 Uhr. U.

Kunstforum in der GrundkreditBank: „Unter den Linden." Zum 350. Jubiläum des Boulevards Unter der Linden zeigen die Staatlichen Museen zu Berlin, das Stadtmuseum Berlin und das Kunst­ forum in Gemälden und Graphiken die Entstehung und die Veränderungen der „Linden". Dazu gehören Ansichten von Karl Friedrich Schinkel, Eduard Gaertner und Adolph Menzel. Bis 27. April 1997. Budapester Straße 35. Mo. bis So. 10 bis 20 Uhr.

Knoblauchhaus: „Unter den Linden. Fotografien von 1855 bis 1928." Mit Fotografien namhafter und unbekannter Fotografen ergänzt diese Ausstellung die Feier des 350. Geburtstags der einstigen Prachtstraße Berlins. Bis 4. Mai 1997. Poststraße 23. Di. bis So. 10 bis 18 Uhr. GK

Brücke-Museum: „Ernst Ludwig Kirchner. Druckgraphik aus eigenen Beständen." Aus den umfangreichen Beständen des Museums sind Holzschnitte und Radierungen des Expressionisten zu sehen. Die Druckgraphik spielt im Werk Kirchners wie auch seiner Künstlerkollegen eine besondere Rolle neben den Gemälden. Bis 11. Mai 1997. Bussardsteig 9. Mi. bis Mo. 11 bis 17 Uhr. GK

Bodemuseum: „ Herren der Meere - Meister der Kunst." Gezeigt werden 110 Seestücke von fünfzig niederländischen Künstlern des 17. Jahrhunderts. Der großartige Aufschwung der Seefahrt in den Niederlanden machte die Marinemalerei zu einem besonderen Zweig der einheimischen Kunst. Bis 25. Mai 1997. Bodestraße 1-3. Di. bis So. 9 bis 17 Uhr. GK

222 Märkisches Museum: „Experimentelle Archäologie." Die Ausstellung zeigt die Vielfalt vorge­ schichtlicher bis mittelalterlicher Techniken wie beispielsweise das Töpfern, die Herstellung von Bronzegußerzeugnissen und Textilien sowie den mittelalterlichen Hausbau. Ergänzt wird die Schau durch Vorträge und Vorführungen im Museum (Tel.: 23809062). Bis 3. August 1997. Am Köllni- schen Park 5. Di. bis So. 10 bis 18 Uhr. GK

Märkisches Museum: „ Theater - Gezeichnet. Ingeborg Voss und Paul Gehring." Die Theaterabtei­ lung des Stadtmuseums Berlin ehrt die Berliner Theaterzeichnerin Ingeborg Voss (geb. 1922) zu ihrem Geburtstag mit einer Ausstellung ihres Werkes. Voss zeichnete seit 1960 anläßlich der Premie­ ren der Ost-Berliner Theater. Ihren Arbeiten wird das Werk des West-Berliner Graphikers Paul Gehring(1917-1992) gegenübergestellt, der von 1947-1982 für die Zeitschrift „Der Abend" Thea­ terzeichnungen anfertigte. Nach der Einstellung des Blattes 1982 veröffentlichte Gehring keine Zeichnungen mehr. Die Besucher werden die unterschiedliche Verarbeitung der graphischen Vorla­ gen im Ost- und Westteil der Stadt durch die Presse verfolgen können. Darüber hinaus gibt es einen historischen Rückblick über 150 Jahre gezeichnetes Theater von 1843-1993.11. April bisJuni 1997 (Eröffnung am 10. April, 17 Uhr). Am Köllnischen Park 5. Di. bis So. 10 bis 18 Uhr. GK

Kreuzberg Museum: „Viele Grüße - Kreuzberg-Ansichten auf historischen Postkarten." Das Museum hat eine heimatliche Kartenschau über das alte Kreuzberg zusammengestellt, die nicht nur für Kreuzberger interessant sein dürfte. Die Erinnerung an alte Berlin-Ansichten ist angesichts der Veränderungen in dieser Stadt sehr wichtig, auch um ein eigenes Urteil über die Planungen zu begründen. 27. April bis 15. Juni 1997. Adalbertstraße 95/96. Mi. bis So. 14 bis 18 Uhr. GK

Centrum Judaicum: Max Liebermann zum 150. Geburtstag. Im Berliner Centrum Judaicum wird der Versuch unternommen, die Liebermann-Gedächtnisausstellung von 1936 im damaligen Jüdi­ schen Museum Berlin zu rekonstruieren. Der Maler und Graphiker Max Liebermann wurde am 20. Juli 1847 in Berlin geboren und starb daselbst am 8. Februar 1935. Nach künstlerischen Anfän­ gen mit naturalistischen Bildern in der Art seiner Vorbilder Mihaly Munkäcsy, Gustave Courbet und Jean-Francois Millet stand Liebermanns Arbeit bald unter dem Einfluß seiner niederländischen Rei­ sen und der dadurch empfangenen Eindrücke. Die Anerkennung, die Liebermann über Jahrzehnte für sein Werk, seine Tätigkeit als Lehrer und als Mensch erfahren hatte, konnte ihn am Ende seines Lebens nicht vor dem Zugriff der Nationsozialisten schützen, die sein Werk für „ entartet" erklärten. 5. Mai bis 3. August 1997. Oranienburger Straße 28-30. So. bis Do. 10 bis 18 Uhr, Fr. 10 bis 14 Uhr. GK Für alle Liebermann-Verehrer und-Freunde möchte ich ausnahmsweise auf die weiteren Ausstellun­ gen zum Gedenken an Max Liebermann hinweisen: Städtische Galerie Wolfsburg: 25. Mai bis 10. August 1997. 200 Druckgrafiken des deutschen Impressionisten aus der Privatsammlung Bönsch; Niedersächsisches Landesmuseum Hannover: 20. Juni bis Herbst 1997. Rund 60 Gemälde von Liebermann, Lovis Corinth und Max Slevogt aus den Beständen des Museums, von denen einige noch nie öffentlich ausgestellt wurden; Kunsthalle Hamburg: 7. November bis 25. Januar 1998. 80 Gemälde und 40 Zeichnungen zeigen Liebermann als Realisten; Jüdisches Museum Wien: 15. November bis 31. Januar 1998. Werke aus den „Jahren der Meisterschaft" von 1900 bis 1914 werden zusammen mit seiner einstigen Privatsammlung französischer Impressionisten gezeigt.

Naturwissenschaftliche Sammlungen Berlin: „Natur aus der Sicht Berliner Künstler." Diese Aus­ stellung ist das Ergebnis einer Zusammenarbeit mit der Hochschule der Künste Berlin. Schüler der Klasse von Christiane Möbus stellen ihre Arbeiten den Präparaten und Modellen der Naturwissen­ schaftlichen Sammlung gegenüber. Schloßstraße 69 a. Von Mitte Mai 1997 an. Di. bis Fr. u. So. 10 bis 18 Uhr (Genauen Termin unter Tel. 23 80 90 62 zu erfragen). GK Martin Gropius-Bau: „Die Epoche der Moderne - Kunst im 20. Jahrhundert." 350 Arbeiten von 100 Künstlern sollen die Entwicklungen der Kunst dieses Jahrhunderts dokumentieren. 7. Mai bis 27. Juli 1997. Stresemannstraße 110. Di. bis So. 10 bis 20 Uhr. GK Das verborgene Museum: „Ilse von Heyden-Linden." Die Malerin von Heyden-Linden (1883- 1949) lebte und arbeitete auf dem elterlichen Gut bei Demmin. Um 1900 studierte sie im Verein der

223 Berliner Künstlerinnen, wo sie in den folgenden Jahren immer wieder an Ausstellungen beteiligt war und auch Auszeichnungen erhielt. 1911/12 hielt sie sich in Paris auf. Ihr Werk enthält vor allem Landschaften, dörfliche Darstellungen, auch Straßenszenen und wenige Porträts. Die Ausstellung wird am 28. 5. (19 Uhr) durch Marina Sauer eröffnet, die das Werk der Malerin bearbeitet hat. 29. Mai bis 6. Juli. Schlüterstraße 70. Di. bis Fr. 13 bis 19 Uhr. Sa. und So. 12 bis 16 Uhr. GK

Haus der Kulturen der Welt: „ Der Rest der Welt." Der Titel der Ausstellung ironisiert die egozentri­ sche Haltung der Europäer und Nordamerikaner in kultureller Hinsicht. Die Schau zeigt zeitgenössi­ sche Kunst aus Asien, Australien, Afrika und Mittel- und Südamerika von Künstlern, die über ihre Länder hinaus, aber noch lange nicht jeder(m), bekannt sind. 17. Mai bis 27. Juli 1997. John Foster Dulles-Allee 10. Di. bis So. 11 bis 18 Uhr. GK

Bröhan-Museum: „Zwischen Wien und Paris." Gläser, Porzellane, Keramiken und Silberarbeiten böhmischer Künstler und Manufakturen aus der Zeit des Jugendstils, des Art deco und des Funktio­ nalismus zeigt das Museum bis zum 25. Mai 1997. Schloßstraße 1 a. Di. bis So. 10 bis 18 Uhr. GK

Heimatmuseum Friedrichshain: „Von der Frankfurter Allee zur Stalinallee." Bis Ende 1997. Lich­ tenberger Straße 41. Di. und Do. 11 bis 18 Uhr, Sa. 13 bis 18 Uhr. GK

Heimatmuseum Tiergarten: „Kennen Sie Schomburg? Die Porzellanmanufaktur in Moabit." Bis Oktober 1997. Turmstraße 75. Mo., Di., Do., Fr. 9 bis 14 Uhr, So. 11 bis 15 Uhr.

Heimatmuseum Weißensee: „ Alles nach Weißensee zum Sternecker..." Bis 1. Juni 1997. Pistorius- straße 8. Di., Do u. So 14 bis 19 Uhr. GK

Panke Museum: „ Pankow und die >Königin von Saba<" Bis Juni 1997. Heynstraße 8. Di. u. So. 10 bis 17 Uhr. Mi. u. Do. 8 bis 12 Uhr.

Historischer Hafen Berlin: Der Historische Hafen hat seit 29. März bis September/Oktober (je nach Witterung) wieder geöffnet. Di. bis Fr. 14 bis 18 Uhr u. Sa. bis So. 11 bis 18 Uhr.

Schloß Charlottenburg: Seit Februar des Jahres sind im Nehring-Eosander-Bau die rekonstruierten Wohnräume Friedrich Wilhelms IV. zu besichtigen. Der König ließ gleich nach seiner Thronbestei­ gung 1740 für sich und seine Frau Elisabeth mehrere Räume im Obergeschoß des alten Baues umge­ stalten. Die 1943 ausgebrannten Räume wurden anhand zeitgenössischer Fotografien annähernd in ihren ursprünglichen Zustand versetzt. Von dem originalen Mobiliar sind wenige Stücke erhalten. Luisenplatz. Di. bis Fr. 9 bis 17 Uhr u. Sa. bis So. 10 bis 17 Uhr. GK

Sommerzeit" in Potsdam-Sanssouci: Am 10. Mai öffnen zur Sommersaison 1997 das Chinesische Haus, der Damenflügel im Schloß Sanssouci, das Orangerieschloß, die Römischen Bäder, Schloß Charlottenhof und das Dampfmaschinenhaus.

Museum für Post und Kommunikation Berlin: „ Erst lesen - dann einschalten! Zur Geschichte der Gebrauchsanleitung" Technik macht's nötig; und sei es bei dem alltäglichen: ein neuer Kühlschrank, Fernseher, Video-Gerät und nun auch Telefon oder Fax-Gerät. Zu allem brauchen wir heute eine Gebrauchsanleitung, wenn es funktionieren soll. Gebrauchsanleitungen gibt es nicht erst für moderne Technik. Schon Leonardo da Vinci und auch Agricola brachten Anleitungen zum Zusam­ menbau in Form technischer Zeichnungen hervor. Damit beginnt der eindrucksvolle geschichtliche Rundgang. Er führt bis in die heutige Zeit mit Elektroherd, Kühlschrank, Bügeleisen u. a., insbeson­ dere - passend zum Museum - Telefone mit Gebrauchsanleitungen von der Jahrhundertwende bis heute mit den jeweiligen Buchstabiertafeln illustriert. Eine Ausstellung in Zusammenarbeit mit Studenten des Instituts für Medienberatung der TU Berlin im Museum für Post und Kommunikation, An der Urania 15. Di bis So 9 bis 17 Uhr, bis 25. Mai 1997. Eintritt frei. Zu der Ausstellung „Erst lesen - dann einschalten!" erschien ein Begleitbuch mit 126 Seiten zum Preis von 24 DM. K. Grave

224 Berlins ältester Geschichtsverein im „Internet"

Am 3. Januar 1997 begann für unseren Verein ein wichtiger Schritt in die Zukunft: Wir sind weltweit über das Internet unter der Anschrift http://www.pinnow.com/VfdGB.htm erreichbar und danken diese Initiative unserem Mitglied Dipl.-Ing. Dirk Pinnow. Der Internet-Be­ nutzer erhält viele Informationen über unseren Verein, unsere Veranstaltungen und Publikationen. Die Darstellung soll Interesse an unseren Aktivitäten wecken und den Verein für die Geschichte Ber­ lins, gegr. 1865, weiteren Bevölkerungskreisen bekannt machen. Die Interessenten sollen nach Mög­ lichkeit direkten Kontakt zum Vereinsvorstand aufnehmen und weiteres Informationsmaterial anfordern. Durch die Rückkopplung mit Interessenten wird man die Entwicklung der Internet-Ak­ zeptanz beobachten und bewerten können. Die Internet-Darstellung soll ein ergänzendes Medium - insbesondere für das nächste Jahrtausend - sein. Es soll und kann kein Ersatz für persönliche Kon­ takte sein, sondern diese vorbereiten und fördern. Für diese - mit großem zeitlichen Aufwand verbundene - Initiative spricht der Vorstand Herrn Pin­ now Dank und Anerkennung aus. Manfred Uhlitz

Studienreise des Vereins für die Geschichte Berlins, gegr. 1865, nach München vom 11. bis 14. September 1997

Vorläufiges Programm

Donnerstag, 11. September 1997 7.00 Uhr Abfahrt Rathaus Charlottenburg 11.30 Uhr Ankunft Bayreuth, Besichtigung Brauereimuseum 13.00 Uhr Mittagessen 14.00 Uhr Weiterfahrt nach München 18.00 Uhr Eintreffen im Hotel 19.00 Uhr Abendessen im Hotel Weiterer Abend zur freien Verfügung

Freitag, 12. September 1997 9.00 Uhr Stadtrundfahrt 12.00 Uhr Weißwurstbrotzeit (Augustinerkeller?) 13.30 Uhr Besuch des Olympiaparks mit Auffahrt zum Olympiaturm 19.00 Uhr Abendessen im Hotel danach Möglichkeit zum Besuch von Schwabing

Sonnabend, 13. September 1997 9.00 Uhr Besuch des Viktualienmarkts München 10.30 Uhr Besuch der Bavaria-Filmstudios 13.00 Uhr Mittagessen Gutshof Mentaschwaige 14.30 Uhr Fahrt zum Kloster Andechs mit Besichtigung der Klosterkirche 18.00 Uhr Abendessen im Hotel Konzert- oder Opernabend nach Wunsch

Sonntag, 14. September 1997 9.00 Uhr Besuch der Pinakothek anschließend Rückfahrt nach Berlin 14.00 Uhr Mittagessen 20.00 Uhr Ankunft in Berlin

225 Reiseleitung: Dipl-Päd. Wolfram Goslich, Berlin, RA Ingrid Oxfort, München, Kosten: ca. 550 DM (EZ-Zuschlag 170 DM) Leistungen: Busreise im modernen Fernreisebus mit WC, Düsenbelüftung, Schlafsessel, Klimaanlage, Kühlbar und Videoanlage. Doppelzimmer mit Halbpension, einschließlich Stadtrundfahrt, Eintrittsgelder und Weißwurstessen Die Zahl der Teilnehmer ist auf 45 begrenzt. Anmeldungen: Schriftliche Anmeldungen bitte richten an: Dr. Volkmar Goslich, Borggrevestraße 10,13403 Berlin, Tel. (0 30) 4 96 22 52

Wir begrüßen folgende neue Vereinsmitglieder (1/97):

Berg, Günter, Ent.-Ing. Marx, Senta, Berg, Bärbel Dipl.-Bibliothekarin Heilbronner Straße 18 Promenadenstraße 18 c 10779 Berlin-Schöneberg 12207 Berlin-Lichterfelde/Ost Tel. 2 13 16 30 (R. Schelling) Tel. 7 72 2605 Berger, Ruth, Rentnerin von Oesen, Gabriele, Teltower Damm 39 B Lehrerin a. D. 14167 Berlin-Zehlendorf Corneliusstraße 18 Brinkmann, Helga, Apothekerin 12247 Berlin-Lankwitz Falkenseer Damm 4 Tel. 7 712918 (Dr. W. Behr) 13585 Berlin-Spandau (W. Ernst) Pistor, Konstanze, Referatsleiterin Brix, Dr. Johannes, Arzt i. R. Nibelungenstraße 19 Brix, Vera-Maria 14109 Berlin-Wannsee Temmeweg 24 Tel. 8 03 39 97 (H. Oxfort) 14089 Belin-Kladow Prokopetz, Dr. med. L. Düsel, Heinz Prokopetz, Marion Gotha-Allee 45 Meiningenallee 17 14052 Berlin-Charlottenburg 14052 Berlin-Charlottenburg Tel. 305 67 57 Tel. 3 05 69 03 Einsei, Reinhard, Rechtsanwalt Veit, Heinrich, Studiendirektor i. R. C.P.O.B. 900, 100-91 Tokyo/Japan Luxemburger Allee 6 Ernst, Renate, Apothekerin 60385 Frankfurt a. M. Tempelhof er Damm 82 Tel.(069)44 6842 12101 Berlin-Tempelhof Voß, Rolf, Journalist Goslich, Ruth, Rentnerin und Redakteur Borggrevestraße 10 Alt-Pichelsdorf 19 A 13403 Berlin-Reinickendorf 13595 Berlin-Spandau Haber, Ruth, Journalistin Tel. 3 6133 88 (H. Oxfort) Davoser Straße 19 Wende, Rosa, Rentnerin 14199 Berlin-Schmargendorf Beerenstraße 32/34 Klatt, Edelgard 14163 Berlin-Zehlendorf Am Rupenhorn 7 D Wiesenack, Ruth, Hausfrau 14055 Berlin-Charlottenburg Schellendorffstraße 15 Tel. 3 05 35 15 (D. Klatt) 14199 Berlin-Schmargendorf Kleine, Udo, Zahnarzt Tel. 8 23 29 25 Bayernallee 18 Wilke, Karin und 14052 Berlin-Charlottenburg Wilke, Klaus, Postdirektor Knvpp, Hans-Joachim, Rechtsanwalt Genfer Weg 5 Roscherstraße 17 12205 Berlin-Lichterfelde/West 10629 Berlin-Charlottenburg (H. Oxfort) Tel. 8 17 63 49 (S. Schulze)

226 Veranstaltungen im IL Quartal 1997 9. Donnerstag, 3. April 1997, 17 Uhr: „Besichtigung der Polizeihistorischen Sammlung (früher: Kriminalmuseum)" mit der Leiterin Dr. Bärbel Schönefeld. Platz der Luft­ brücke 6, Berlin-Tempelhof. U-Bahn und Bus: Flugplatz Tempelhof. 10. Freitag, 4. April 1997, 19 Uhr: ,Z.ur Geschichte der Stadt Köln - Informationsabend zur Studienfahrt nach Köln (8. bis 11. Mai 1997)" mit Studienreiseleiter Dr. Mathias Kitsche. Ort: Rathaus Charlottenburg, Otto-Suhr-Alle 100, Sitzungssaal 1 (neben Pommernsaal). 11. Sonntag, 13.April 1997,8 Uhr: „Von Kunersdorf bis Fredersdorf-Entlang der Alten Oder — Sehenswertes an der B 167", Busrundfahrt mit unserem Mitglied Wolfgang Stapp. Die Fahrt ist ausgebucht. Abfahrtsort: Rathaus Charlottenburg, Otto-Suhr-Al­ lee 100. 12. Mittwoch, 16. April 1997, 19.30 Uhr: „Ausstellungsführung: Adolph Menzel (1815- 1905) - Das Labyrinth der Wirklichkeit". Dritte und letzte Station - nach Paris und Washington - dieser großartigen Ausstellung. Eintritt: 6 DM, ermäßigt 3 DM. Altes Museum auf der Berliner Museumsinsel. Bis 22 Uhr geöffnet. 13. Montag, 21. April 1997, 17 Uhr: Rührung in der Gedenkstätte Hohenschönhausen" mit unserem Mitglied Dr. Gabriele Camphausen, wissenschaftliche Leiterin der Gedenkstätte. Vgl. S. 207 ff. in diesem Haft. Genseierstraße 66, Berlin-Hohenschön­ hausen. Fahrverbindungen: Tel. 98 6961 02 (Sekretariat der Gedenkstätte). 14. Sonntag, 27. April 1997, 10.30 Uhr: ..Führung im Park und Schloß anläß­ lich des 200. Geburtstags Wilhelms I." mit Dr. Gerd-H. Zuchold, Präsident des Lan- desheimatverbands Brandenburg. Treff: Greifentor/Glienicker Park. Bus 116 vom S-Bhf. Wannsee. 15. Freitag, 2. Mai 1997,19Uhr: „An der Seite des Preußischen Königs: Der braunschwei- gische Herzog Carl Wilhelm Ferdinand und die Kampagne in Frankreich", Vortrag unseres Mitglieds Gerd Biege! M. A., Ltd. Museumsdirektor am Braunschweigischen Landesmuseum. Ort: Rathaus Charlottenburg, Otto-Suhr-Allee 100, Pommern­ saal. 16. Donnerstag, 8. Mai (Christi Himmelfahrt) bis Sonntag, 11. Mai 1997: „Von der römi­ schen Colonia zur modernen Kunst- und Medienstadt — Studienreise des Vereins für die Geschichte Berlins, gegr. 1865. nach Köln". Programms. Heft 1/97. Informations­ abend am 4. April 1997 (s. o.). Auskünfte und Anmeldung bei unserem Mitglied Dr. Volkmar Goslich, Borggrevestraße 10, 13403 Berlin, Telefon 4 96 22 52. 17. Mittwoch, 14. Mai 1997, 19 Uhr: „Jahreshauptversammlung des Vereins für die Geschichte Berlins, gegr. 1865". Einladung nebenstehend. Anschließend Lichtbilder­ vortrag unseres Mitglieds Hans-Werner Klünner: „Rund um das Berliner Rathaus". Ort: Berliner Rathaus, Raum 219. 18. Donnerstag, 22. Mai 1997,14 Uhr: ,JFührung durch das Museum im Wasserwerk, Ber­ lin-Friedrichshagen" mit Museumsleiterin Jelena Butter, Dipl.-Historikerin. Treff: Auf dem Museumsgelände. Eintritt 4 DM, ermäßigt 2 DM. Verbindung: S-Bahn bis Friedrichshagen, dann mit der Tram 60 bis Endstation. 19. Sonnabend, 31. Mai 1997, 8 Uhr: ..Fahrt auf den Teltow" mit unserem Vorstandsmit­ glied Wolfgang Holtz und umfangreichem Besichtigungsprogramm: Dorfkirche Ahrensdorf, Gutshaus Märkisch-Wilmersdorf, Stadtgut Deutsch-Wusterhausen und der alten Garnison Zossen-Wünsdorf. Bei ausgebuchtem Bus einschl. Mittagessen und Kaffee-Picknick. Abfahrt und Ende: Rathaus Charlottenburg, Otto-Suhr-Allee 100. Anmeldung: Scheck über 63 DM pro Person an Frau Monika Förster, Manfred-von- Richthofen-Straße 6, 12101 Berlin. 20. Dienstag, 3. Juni 1997,19 Uhr: ..Friedrich Wilhelm II. in seiner Zeit", Vortrag von Dr. Rolf Helfert. Ort: Rathaus Charlottenburg, Otto-Suhr-Allee 100, Pommernsaal.

227 21. Sonntag, 8. Juni 1997, 10 Uhr: ..Besichtigung von Schloß und Park Glienicke" mit Kastellanin Susanne Fontaine M.A.Treff: Schloßeingang. Eintritt: 3 DM pro Person. 22. Sonnabend, 14. Juni 1997, 10.30 Uhr: „Führung im Neuen Garten anläßlich des 200. Todestags König Friedrich Wilhelms II. von Preußen" mit Dr. Gerd-H. Zuchold, Präsident des Landesheimatverbands Brandenburg. Treff: Haupteingang des Neuen Gartens. Der Besuch des Vortrags am 3. Juni 1997 wird als Vorbereitung empfohlen!

Ordentliche Mitgliederversammlung am Mittwoch, 14. Mai 1997, 19 Uhr im Berliner Rathaus, Raum 219, Haupteingang Rathausstraße

Tagesordnung 1. Entgegennahme a) des Tätigkeitsberichts b) des Kassenberichts c) des Bibliotheksberichts 2. Bericht a) der Kassenprüfer b) der Bibliotheksprüfer * 3. Aussprache 4. Entlastung des Vorstands 5. Wahl des Vorstands 6. Verschiedenes Anschließend Lichtbildervortrag. Anträge sind in der Geschäftsstelle bis spätestens 30. April 1997 einzureichen.

Bibliothek: Berliner Straße 40, 10715 Berlin-Wilmersdorf, Telefon (0 30) 8 73 2612. Geöffnet: mittwochs 15.30 bis 19.00 Uhr. U7 (Blissestraße), Bus 101, 104, 204, 249. Vorsitzender: Senator und Bürgermeister von Berlin a. D.Hermann Oxfort, Breite Straße 21,13597 Berlin-Spandau, Telefon 3 33 24 08. Geschäftsstelle: Ingeborg Schröter, Brauerstraße 31, 12209 Berlin-Lichterfelde/Ost, Telefon 7 72 34 35. Schriftführer: Joachim Strunkeit, Roedernstraße 48, 13467 Berlin-Reinickendorf, Telefon 4 04 14 49. Schatzmeister: Karl-Heinz Kretschmer, Greveweg 6,12103 Berlin-Tempelhof, Telefon 7 53 42 78. Konten des Vereins: Postbank Berlin (BLZ 100 100 10), Kto.-Nr. 433 80-102,10559 Berlin; Berli­ ner Bank AG (BLZ 100 200 00), Kto.-Nr. 03 81801 200. Die MITTEILUNGEN erscheinen vierteljährlich zum Quartalsanfang. Herausgeber: Verein für die Geschichte Berlins, gegr. 1865, Schriftleitung und Veranstaltungsorganisation: Dr. Manfred Uhlitz, Brixplatz 4, 14052 Berlin-Charlottenburg, Telefon 3 05 96 00, Fax 3 05 38 88; Dr. Chri­ stiane Knop, Rüdesheimer Straße 14, 13465 Berlin-Frohnau, Telefon 4 0143 07; Beiträge bitte an die Schriftleitersenden. Redaktionsschluß: l.März, l.Juni, 1.September, 15.November. Abonnementspreis ist durch den Mitgliedsbeitrag gedeckt. Bezugspreis für Nichtmitglieder: 36 DM jährlich. Neumitglieder sind herzlich willkommen! Jahresmitgliedsbeitrag 80 DM; Ehepaare 120 DM inkl. Bezug der MITTEILUNGEN und des Jahrbuchs. Beitrittserklärungen bitte formlos an die Geschäftsstelle. Herstellung: Westkreuz-Druckerei Ahrens KG Berlin/Bonn, 12309 Berlin. Nachdruck, auch auszugsweise, nur mit Genehmigung der Schriftleitung.

228 PFLICHTEXEMPLAR Berttn MITTEILUNGE ^ DES VEREINS FÜR DIE GESCHICHTE BERLINS GEGRÜNDET 1865

93.Jahrgang Heft 3 Juli 1997

Kronprinz Friedrich

Gemälde von Wenzeslaus Knobeisdorf „ Mir geht es auch nicht immer, wie Ich es gern haben möchte, deswegen muß Ich immer König bleiben. Rhabarber und Geduld wirken vortrefflich." Friedrich der Große - ein medizinhistorischer Beitrag über seine Krankheiten und seine Ärzte Von Hans-Joachim Neumann

Daß Kurfürsten und Könige des vormals regierenden preußischen Herrscherhauses an schwe­ ren Krankheiten zu tragen hatten, ist in den MITTEILUNGEN Heft 4/1995 und Heft 2/1996 ausführlicher dargestellt worden. Dabei wurde augenscheinlich, daß Friedrich Wilhelm I., der Soldatenkönig, zum Verwechseln ähnliche Leiden hatte wie sein gleichnamiger Großvater, der Große Kurfürst. Beide quälte die Gicht und gleichermaßen mit zunehmendem Alter eine Herzleistungsschwäche mit den typischen Folgen einer Dyspnoe (Atemnot) und Wassersucht, die schließlich bei beiden den Tod herbeiführte. Wenn der Kurfürst zusätzlich noch von Nie­ ren- und Gallenkoliken geplagt wurde, so glich der Enkel das durch andere Malaisen aus, die überwiegend im psychischen Bereich lagen und ihn, wenn auch nicht körperlich, so doch nicht minder stark belasteten. Bei dieser familiären Vorgeschichte der Hohenzollern drängt sich die Frage nach dem Gesundheitszustand Friedrichs des Großen förmlich auf, zumindest hat sie ihre Berechtigung, weil Untersuchungen dieser Art nicht nur eine Lücke schließen, sondern das Persönlichkeits­ bild des großen Königs abrunden helfen. Natürlich darf und soll hier nicht verschwiegen wer­ den, daß es gelegentlich Versuche gegeben hat, die Krankheiten des Königs zu beschreiben, die aber in ihren Aussagen teils widersprüchlich sind und, wenn der Ausdruck gestattet ist, auch vom Weglassen nicht ungern Gebrauch machten. Betrachten wir die kraftvollen Leistun­ gen dieses ungewöhnlichen Königs, der eine wirkliche Ausnahmeerscheinung war, nicht nur unter den Preußenkönigen, so drängt sich eigentlich der Schluß auf, daß Friedrich sowohl im körperlichen und geistigen als auch im seelischen Bereich nennenswerte Probleme kaum gehabt haben wird - doch das Gegenteil war der Fall. Das Leben Friedrichs des Großen ist heute noch in groben Zügen bekannt. Wir kennen seine amtlichen Eigenschaften ebenso wie seine hohe Auffassung vom Königtum. Daß er von Jugend an Ärzte brauchte, so daß er zu Recht schrieb, er habe „ seinen Kopf immer mit Ärzten voll" gehabt, ist dagegen wohl weniger bekannt. Um seine komplizierte Krankengeschichte besser verstehen und ihr zeitliches Auftreten leichter einordnen zu können, halte ich es für gerechtfertigt, das Lebensbild des Königs kurz zu skizzieren. Geboren wurde Friedrich am 24. Januar 1712 als Sohn des damaligen Kronprinzen Friedrich Wilhelm, der ein Jahr später als Friedrich Wilhelm I. den Thron bestieg. Kindheit und Jugend waren freudlos, da der Vater, vom Scheitel bis zur Sohle Soldat und ein bis zur Manie gesteigerter königlicher Haushalter, jeglichen Anflug von künstlerischer und philosophischer Neigung bei seinem Sohn im Keim ersticken wollte (Titelabb.). Für Friedrich wurde es im Lauf der Jahre immer unerträglicher, „dieses Hundeleben" länger mitzumachen. Er wollte es „auf die eine oder andere Weise" für sich zu Ende bringen und unternahm am 4. August 1730 einen Fluchtversuch, der schmählich scheiterte. Die Folgen waren fürchterlich. Sein Mitverschworener Hans Hermann von Katte wurde auf der Festung Küstrin enthauptet, der Kronprinz selbst wurde auf Befehl des Vaters arretiert und hatte hinfort als Auskultator an der Küstriner Kriegs- und Domänenkammer zu arbeiten, um das praktische Leben vor Ort kennenzulernen. Diese väterliche „Strafmaß-

230 Abb. 2: Friedrich und seine Offiziere vor der Schlacht von Leuthen am 3. Dezember 1757. Zeichnung von R. Knötel nähme" erwies sich später als segensreich, denn als Friedrich längst König war, machte ihm in Verwaltungsangelegenheiten niemand etwas vor. Die letzten vier Jahre vor seiner Amtsüber­ nahme verlebte der Thronfolger in Rheinsberg, die unbeschwerteste Zeit seines Lebens über­ haupt, in der er sich seinen musischen und philosophischen Ambitionen nach Herzenslust hin­ geben konnte, denn Potsdam war weit und der Vater fern. Am 31. Mai 1740 starb Friedrich Wilhelm I., nachdem es noch zur Aussöhnung zwischen Vater und Sohn gekommen war. Friedrich IL, dem bereits nach dem Zweiten Schlesischen Krieg wegen der gewonnenen Schlacht bei Hohenfriedberg der Ehrenname „Der Große" vom Volk verliehen wurde, regierte 46 Jahre, die längste Zeit, die einem Preußenkönig beschieden war. Genau 23 Jahre bis 1763, wenn auch mit Unterbrechungen, wurde Krieg geführt, bis Schlesien endlich sein war. Die im Siebenjährigen Krieg von 1756 bis 1763 ruhmreich gewonnenen Schlachten bei Roßbach, Leuthen und Zorndorf gegen halb Europa und die Reichsarmee - sie waren immer Preußens Stolz -, machten Friedrich über die Grenzen Deutschlands hinaus berühmt. Der König selbst wurde zu Lebzeiten schon eine Legende (Abb. 2 u. 3). Nach Beendigung des Krieges setzte er alles daran, den Wiederaufbau Preußens erfolgreich zu betreiben. Als Fried­ rich der Große 1786 starb, hinterließ er seinem Nachfolger einen gesunden schuldenfreien Staat mit einem Schatz von 50 Millionen Talern. Wegen der gebotenen Kürze muß die Erwäh­ nung der Leistungen des großen Königs, die er auf nahezu allen Gebieten aufzuweisen hatte,

231 Abb. 3: Friedrich der Große vor der Schlacht bei Liegnitz (15. August 1760). Zeichnung von C. Röchling

fragmentarisch bleiben. Daß Friedrich noch die Beinamen „ Der Philosoph von Sanssouci" und auch „Der Alte Fritz" führte, mag seine außergewöhnliche Persönlichkeit zusätzlich unterstreichen. Denn Ehrennamen lassen sich nicht zulegen, sie werden vom Volk verliehen (Abb. 4). Von der Last der Jahre gebeugt und seiner selbstgewählten Einsamkeit psychisch geprägt, von Krankheiten ausgezehrt und seiner Arbeit restlos erschöpft sowie von den Zeit­ umständen und seinen Mitmenschen enttäuscht, war Friedrich am Ende seines Lebens zu einem oft unleidlichen, reizbaren, ja auch gefürchteten und zynischen Greis geworden (Abb. 5 u. 6), so daß es nach seinem Tode bei all seiner Größe und seinem Heldentum keine Dankbar­ keit gab, schon gar keine Trauer, ja nicht einmal eine Anerkennung für seine beispielhaften Leistungen, so daß Mirabeau seinen Eindruck so wiedergab: „ . . . niemand betrübt sich, es gibt kein Gesicht, das nicht Entspannung und Hoffnung ausdrückt, nirgends gibt es ein Bedauern, einen Seufzer, ein Lob. Dahin münden alle gewonnenen Schlachten, aller Ruhm!" Wenden wir uns nun Friedrichs Krankheiten zu, die durchweg mit starken Schmerzen einher­ gingen. Haben sie den König im Lauf der Jahrzehnte verändert, ihn in seinen Entscheidungen mitbestimmt? Oder hat er sie erduldet bis hin zum Negieren der Beschwerden? Bekannt ist die stoische Deutung des Schmerzes als bloße Illusion bei Marc Aurel, den Friedrich sehr verehrte, aber auch die christliche Bejahung als Charisma der Läuterung bei Augustinus und später bei Pascal, was bei Friedrichs distanziertem Verhältnis zur Religion wohl weniger wahrscheinlich war.

232 Abb. 4: Friedrich der Große. Porträtgemälde von Anton Graff

Grundsätzlich halte ich es für sinnvoll, zwischen seinen somatischen Krankheiten und psychi­ schen Beeinträchtigungen zu unterscheiden. Die psychischen Alterationen reichten zurück in Kindheit und Jugend. Die väterlichen Forderungen nach Arbeit, Ordnung, Reinlichkeit, mili­ tärischem Gehorsam und nach religiösem Bekenntnis stießen bei dem geistig beweglichen und musisch veranlagten Kronprinzen auf Widerstand. Von seinen Neigungen und Überzeugun­ gen, von seinen Gedanken der Aufklärung konnte und wollte er nicht lassen, und so nahm er hin, daß der Vater ihn körperlich züchtigte und seelisch beugte. Was er tat, mußte er heimlich tun, und so wurde er verschwiegen, verstockt und auch verschlagen. Die frühzeitige Knickung seines Gemütslebens durch einen rücksichtslosen Vater machte ihn psychisch hart und prägte ihn für sein Leben. Gegen seine Mitmenschen stumpfte er ab. Als der Vater starb, war er geformt - richtiger gesagt verformt. Jetzt konnte er das Haupt heben - und er erhob es -, aber seine Ängste wurde er nicht los, besonders nachts nicht, weil er den Vater nicht los wurde. Noch als reifer Mann im Königsamt quälten ihn Träume, in denen er den Vater schlagend und böse vor sich sah. Sein Doppelcharakter, der sich zwangsläufig ausbilden mußte, machte ihn unberechenbar. Das spiegelte sich am deutlichsten in seiner Bündnispolitik. Aus diesem

233 Kreislauf kam er nicht mehr heraus. Die Vorzüge des Alters wie Jovialität, Milde und Weisheit wollten und konnten sich nicht einstellen. Er war verurteilt zum Menschenverächter und Zyni­ ker. Andererseits entdeckte er im Lauf der Jahre immer deutlicher, wie er und sein Vater sich auch glichen. Um so mehr verstand er ihn und um so weniger sich selbst wegen seiner Opposi­ tion gegen den König von einst. Friedrich der Große war darüber hinaus ein Leben lang von vielen schweren Krankheiten heimgesucht. Jedoch formten und bestimmten ihn seine organi­ schen Erkrankungen psychisch nicht in dem Maße wie die seelischen Grausamkeiten, die er im Elternhaus erlitten hatte. Aus diesen erwuchsen Haltungen, aus jenen kompensierbare Lebensumstände. Friedrichs Krankengeschichte füllt Seiten. Die Begegnungen und Gesprä­ che mit seinen vielen Ärzten zeigen seinen kritischen Verstand und sein tiefes Mißtrauen gegen diesen Berufsstand. Sein eigentlicher Diagnostiker und Therapeut war Friedrich selbst, auch wenn ihn Ärzte sein Leben lang umgaben, die er aber mehr wegen der Unterhaltung schätzte als wegen ihrer ärztlichen Kunst. Woran litt der große König? Am meisten spekuliert wurde über sein Geschlechtsleben, das sozusagen normwidrig gewesen sei. Schüchtern, verklemmt und umständlich ist darüber berichtet worden. Einige Autoren gingen ganz darüber hinweg oder fanden es völlig normal. Andere dagegen schlössen aus der ästhetischen Freude, die der König angeblich beim Anblick schöner Jünglinge empfand, auf Homosexualität. Eine solche Nachrede entbehrt nach meinen Studien der Realität. Viel eher liegt der Verdacht nahe, daß sie aus der Feder politischer Geg­ ner und eines zeitweilig gekränkten und rachsüchtigen Voltaires gekommen sein könnte. Selbst einen Ödipuskomplex wollten einige bei ihm festgestellt haben. Woher eigentlich?

Abb. 5: Friedrich der Große und der 85jährige Zieten im Jahre 1784. Zeichnung von C. Röchling

234 Abb. 6: Die letzten Lebenstage des Königs. Zeichnung von C. Röchling

Denn dazu fehlte ihm die Voraussetzung, nämlich eine starke Mutterbindung. Wenn die Beziehungen zur Mutter auch normal gewesen sind, so waren sie doch keineswegs abartig und zeigten keinerlei psychopathologische Züge. Als junger Mann zeigte Friedrich geradezu einen lasziven Hang zum weiblichen Geschlecht, der bald erlosch. Kurz vor seiner Vermählung soll sich der Kronprinz eine Maladie contagieuse zugezogen haben, die operativ behandelt wurde. Natürlich versuchte man die Krankheit und deren Ursache zu verbergen, besonders vor dem strengen Vater. Nach Bruno Frank habe sich Friedrich mit 21 Jahren eine venerische Erkran­ kung zugezogen, wahrscheinlich eine Gonorrhoe. Folgt man Johann Georg Zimmermann, einem seiner Ärzte, so konnte Friedrich wegen einer Jugendsünde kein normales Geschlechts­ leben mehr haben. Was blieb, waren Männerfreundschaften, ein Leben lang. Sein Freund Marschall Keith hatte treffend gesagt: „Sanssouci ist ein Kloster, und Friedrich ist der Abt." Die Frage nach einer möglichen Impotenz bei dieser Vorgeschichte drängt sich förmlich auf, auch wenn Friedrich nach Zimmermann „aber nicht verschnitten (war) und deswegen blieb, was er war". Die wohl bekannteste Krankheit des Königs war die Gicht, die nach Aussage Friedrichs bereits in seinem 34. Lebensjahr auftrat, nach seinem späteren Leibarzt Christian Gottlieb Seile bereits mit 29 Jahren. Der König befand sich während seines ersten Gichtanfalls wegen seiner Verdauungsstörungen, Appetit- und Schlaflosigkeit zur Kur in Pyrmont und schrieb am 4. Juni 1746 von dort: „ Ich habe die Gicht gehabt; und das ist so sicher, daß ich noch jetzt einen geschwollenen Fuß habe. Das ist vorzeitig." Allerdings war es das, da sich die Gicht im allge­ meinen erst um das 40. Lebensjahr herum einstellt. In einem ärztlichen Bericht von Pyrmont

235 heißt es dazu: „ . .. weil er am Fuß noch incommodieret, sei er zur Kur geritten und habe auf dem Pferd Brunnen getrunken." Friedrichs Gicht wurde zur Geißel unter allen seinen Erkran­ kungen. Es bedarf hier kaum noch der Erwähnung, daß diese Stoffwechselkrankheit erblich mitbedingt gewesen sein wird, denn über dasselbe schmerzhafte Leiden bei Friedrich Wilhelm I. und dem Großen Kurfürsten ist bereits in den MITTEILUNGEN berichtet worden. Was tat Friedrich selbst, um die Häufigkeit der äußerst schmerzhaften Anfälle in Grenzen zu halten? Er hielt es wie seine Vorgänger und dachte nicht im entferntesten daran, seine üppigen Eß- und Trinkgewohnheiten zu ändern. Den Speiseplan erstellte er selbst mit seinem Leibkoch Noel, und der sah im allgemeinen so aus: Zwischen vier und sechs Uhr morgens trank er sechs bis acht Tassen starken Kaffees, nicht selten mit Senf- und Pfefferkörnern gewürzt. Zum Früh­ stück bevorzugte der König kaltes Fleisch, Erdbeeren, Kirschen, auch Melonen und gefüllte Törtchen sowie Schokoladenplätzchen. Nachmittags nahm er schwere Speisen zu sich und favorisierte eine besondere Suppe, mit Muskat und Ingwer verschärft. Hinzu kamen in Rot­ wein oder Branntwein abgekochtes Rindfleisch, dann Nudelpastete und auch das italienische Maisgericht Polenta mit reichlich Parmesankäse, Butter und Knoblauchsaft. An Gemüse schätzte der König besonders die schwerverdaulichen harten gelben preußischen Erbsen. Aal­ pastete ergänzte den Reigen. Als Nachtisch liebte Friedrich die von Noel erfundene Bombe ä la Sardanapale, trank wiederum starken und gewürzten Kaffee und aß dazu Meringue, ein Schaumgebäck, mit saurer und verdorbener Sahne. Zum Essen trank er am liebsten prickeln­ den Wein aus Bergerac, ebenso gern auch eine Bouteille Sekt. Daß der König sich häufig übel fühlte und schon bei der Tafel erbrach, nimmt natürlich nicht wunder. Seinen Ärzten und Freunden gegenüber zerfloß er allerdings vor Selbstmitleid, wenn er sagte: „ Sie können sich nicht vorstellen, wie mäßig ich bin. Ich koste bloß meine Speisen und esse nur, um mich zu stärken." Dr. Zimmermann gegenüber äußerte er sich so: „Ich bin nur noch eine alte Karkasse (Tiergerippe), die verdient, auf den Schindanger geworfen zu wer­ den." Das war Koketterie, Selbstmitleid, vielleicht auch ein Anflug von Hypochondrie. Bei Betrachtung dieser Speisekarte war die Häufigkeit der Gichtanfälle verständlich, um nicht zu sagen vorprogrammiert. Um das Bild abzurunden und das Gichtthema damit abzuschließen, wird im folgenden der Speiseplan vom 5. August 1786 wiedergegeben, den Friedrich zwölf Tage vor seinem Tode „abarbeitete" und der immerhin noch aus elf Gängen bestand: Blumenkohlsuppe ä la Fouque paniertes Rindfleisch mit Karotten Hühnchen mit Zimt und gefüllte Gurken auf Eiweiß nach englischer Art (Friedrich setzte dafür die Koteletts in das Papier) kleine Pastetchen ä la Romaine gebratene junge Colennen Lachs ä la Dessau Geflügelfilet ä la Pompadour mit Rinderzunge und Kroketten Portugiesischer Kuchen (Friedrich setzte dafür Des Gauffres-Waffeln) grüne Erbsen frische Heringe saure Gurken. In seinem 36. Lebensjahr, also 1748, erlitt Friedrich angeblich einen leichten Schlaganfall und soll nach Dr. Seile vorübergehend halbseitengelähmt gewesen sein. Glücklicherweise war die­ ser apoplektische Insult, wenn es denn überhaupt einer gewesen ist, da nicht alle Seiles Mei­ nung teilten, flüchtiger Natur und wurde ohne Dauerschäden überstanden. Waldeyer hielt allerdings einen schweren Gichtanfall für wahrscheinlicher. 236 Nach eigenen Studien hatte Friedrich der Große mit an Sicherheit grenzender Wahrschein­ lichkeit auch eine Porphyrie, eine erblich bedingte Stoffwechselstörung des roten Blutfarb­ stoffes, die eine Reihe seiner Beschwerden und Symptome erklärt. Diese Krankheit wurde von den Weifen in das Haus Hohenzollern getragen, denn erst nach der Verheiratung Friedrichs I. mit Sophie Charlotte, Tochter des Hannoverschen Kurfürsten Ernst August, finden wir erste Hinweise auf das Vorliegen dieser Krankheit. Unter Magen-Darm-Krämpfen. Koliken, Migräne und Hämorrhoiden, die zum Bild der Porphyrie gehören, hatte schon Friedrichs Vater gelitten. Bei Friedrich selbst finden wir die Krankheit in ihrer klassischen Ausprägung. Die sogenannte echte Porphyrie, die Friedrich der Große offenbar hatte, führt zu starken Rei­ zungen des Magen-Darm-Trakts, so daß die vom König bekannten kolikartigen Leibschmer­ zen, Dickdarmspasmen und ileusartigen (Darmverschluß ähnlichen) Obstipationen erklärbar sind. Der zur Krankheit gehörende rote Urin wurde von seinen behandelnden Ärzten bereits als Hämaturie (Blutharnen) beschrieben - es gab ihn also auch. Seine Magenempfindlichkeit, seine Verdauungsstörungen und Verstopfungen, seine Hämorrhoiden und Koliken können samt und sonders auf die Porphyrie zurückgeführt werden. Sie waren nach meiner Einschät­ zung keine Symptome anderer Erkrankungen, wie oft vermutet wurde. Sieben Jahre Krieg hatten Friedrichs Gesundheit vollends ruiniert. Verwundungen waren dabei nebensächlich und für ihn bedeutungslos. Allmählich waren beunruhigende Gerüchte über seinen schlechten Gesundheitszustand in Umlauf, die mehr als ungünstig für ihn und seine Kriegsführung waren. Er selbst trachtete danach, seine Krankheiten möglichst zu ver­ bergen. Das gelang am ehesten durch Einsamkeit. Der Schlacht von Kunersdorf waren Fieber, sechs schlaflose Nächte und heftige Gichtanfälle vorausgegangen. An Voltaire schrieb Fried­ rich: „Wenn Sie mich sehen, würden Sie mich kaum wiedererkennen, ich bin alt, gebrochen, grau, runzlig, ich verliere die Zähne und die Heiterkeit." Nun wurde er der Alte Fritz: weiß­ haarig, gebeugt, hager, die Hand auf dem Krückstock. Auch nach dem Siebenjährigen Krieg war der König oft wochenlang an Händen und Füßen „ gelähmt" und häufig an das Bett gefes­ selt. Die Gicht zwang ihn, mit der linken Hand zu schreiben - ähnlich wie einst seinen Vater. Seine Schrift war wie mit dem Krückstock gehauen. Ging auch das nicht mehr, dann ersetzte er seine Marginalien durch ein besonderes Siegel mit dem geschriebenen Zusatz „ wegen Dero chiragraischen Zufalls an der rechten Hand". Seine Bücher konnte er nicht mehr halten. Sie mußten zerlegt und in handliche Exemplare umgebunden werden. Bei einer Truppenschau im Herbst 1785 in Schlesien hatte sich Friedrich stundenlang der Kälte und dem Regen ausge­ setzt. Er mußte hart zahlen dafür, denn zu den gehäuften Gichtanfällen kamen solche hoch­ gradigen Atembeschwerden hinzu, daß er seine Nächte überwiegend im Lehnstuhl zubringen mußte. Atemnot und ausgeprägte Ödeme waren Ausdruck einer Herzleistungsschwäche mit den Folgen einer Wassersucht, Symptom einer Rechtsherzinsuffizienz. Rührend besorgt um ihn war Dr. Seile, der fast täglich aus Berlin nach Potsdam kam. Ein Fremder sah den König in seinen letzten Tagen auf der Schloßterrasse, „das Gesicht bleich, durch Qualen völlig ent­ stellt."

Von Pflicht durchdrungen erledigte Friedrich der Große bis zum 15. August seine Regie­ rungsgeschäfte. Sein nahendes Ende fühlend, sagte er an diesem Tage zu seinem Minister Hertzberg: „Ich fühle, daß es zu Ende geht; bleiben Sie bei mir, um alles zu erledigen und meine Papiere zu versiegeln, wenn ich tot bin." Am 16. August vergaß er zum ersten Mal sei­ nen Dienst - für Dr. Seile das sichere Zeichen seines nahen Endes, denn „ nur sterbend konnte er fähig sein, seine Geschäfte zu vergessen". Dann wurde er somnolent und starb am 17. August 1786 um 2.20 Uhr. Dr. Zimmermann nannte als Todesursache Stickfluß (Lungen­ ödem und Bronchialkatarrh). Das Kirchenbuch der Potsdamer Garnisonskirche vermerkte

237 Abb. 7: Christian Gottlieb Seile, der letzte Leibarzt des Königs.

Wassersucht, was auch Seiles Meinung war. Daß Friedrich der Große trotz seiner vielen Krankheiten und Symptome, die nachstehend noch einmal zusammengefaßt aufgeführt wer­ den, 74 Jahre alt wurde, ist erstaunlich: Maladie contagieuse? fragliche Malaria häufig Fieber Heiserkeit, Katarrhe Husten, Bluthusten Hämorrhoiden Gicht Porphyrie mit allen Symptomen regelmäßig Nachtschweiß Verstopfungen im Wechsel mit Diarrhoe (Durchfall) Koliken Asthma cardiale Rechtsherzinsuffizienz Wassersucht Lungenödem. Die Vielzahl seiner Krankheiten macht deutlich, daß Friedrich ständig ärztlicher Hilfe bedurfte. Er unterhielt sich gern mit seinen Ärzten über Heilkunde, ihre Ratschläge aber

238 Abb. 8: Johann Georg Ritter von Zimmermann, Arzt Friedrichs des Großen in seinem letzten Lebensjahr.

waren ihm lästig, und er befolgte sie eigentlich nie. Dr. Zimmermann drückte das so aus: „Er hielt von je her unsere ganze Kunst für Quacksalberei." Sein eigentlicher Leibarzt war der König selbst. Selbstherrlich verarztete er auch andere, Soldaten, Freunde und Verwandte. Als er Voltaire ein drastisches Mittel sandte, kommentierte er seine Geschenksendung so: „ Mit den Pillen, die Sie von mir verlangen, könnte man ganz Frankreich purgieren und drei Acade- mieen umbringen." Sein Lieblingsmittel war ein Digestivpulver (Verdauungspulver), das aus Krebsaugen, Cremor tartari und Salpeter bestand. Rhabarber verordnete er unentwegt in sei­ nen Lazaretten als Abführmittel, ja selbst zur Behandlung einer Hypochondrie. Wenn einzelne Maßnahmen auch merkwürdig anmuten, so war der König auf dem Gebiet der Heilkunde doch alles andere als ein Scharlatan oder Laie. Sein Wissen war dem mancher Ärzte durchaus ebenbürtig. Wenn der König einige Therapieempfehlungen rundweg zurückwies, spricht das für seinen kritischen Verstand. So lehnte er jede Therapie ohne begründete Dia­ gnose ab, eine weitsichtige und geradezu moderne Haltung. Ironisch meinte er über seine Ärzte: „Sie müssen erst den statum morbi haben, um zu beschließen, mit welchen Mitteln sie einen vergiften sollen." Christian Andreas Cothenius, der sich besonders um das preußische Medizinalwesen verdient gemacht hatte und zeitweilig königlicher Leibarzt war, berichtete, daß nach Friedrichs Vor­ schrift bei den Soldaten festgestellt werden mußte, ob sie in ihrer Jugend Krankheiten durch­ gemacht hätten, wobei besonders auf venerische Erkrankungen zu achten sei, ob Erbkrank­ heiten vorlägen oder die Soldaten Blut speien würden. Friedrichs therapeutisches Konzept

239 bestand aus drei Säulen: Abführmittel, also Rhabarber, Bewegung und Diät. Voltaire erfuhr von ihm: „ ... so unterwerfe ich mich einer strengen Diät und habe mich bis jetzt recht wohl dabei befunden." Seine Empfehlungen jedoch schienen nur für andere gedacht zu sein, denn was den eigenen Diätfahrplan betraf, so handelte der König geradezu schulbuchwidrig. Dr. Zimmermann hat berichtet, daß der König noch kurz vor seinem Tode eine Aalpastete zu sich nahm, „die so heiß und würzhaft war, als ob sie in der Hölle gebacken schien". Selbst bei den Truppenparaden und Revuen dauerten die königlichen Tafelfreuden drei Stunden. Gelegent­ lich räumte der König seine Sünden ein und sagte: „ . . . bin ich wie die schwangern Weiber, die unordentliche Lüste haben." Ärzte, die ihn zur Umkehr mahnten oder gar den Genuß von Lieblingsspeisen untersagten, schickte er vondannen. Auch Christian Gottlieb Seile, „ der Arznei-Wissenschaft Doktor und Professor und Arzt des Charite-Hauses zu Berlin", hatte sich manche Ungerechtigkeit gefal­ len lassen müssen, die dieser allerdings mit unwandelbarer Treue erwiderte (Abb. 7). Daß sich Friedrich der Große von Dr. Johann Nathanael Lieberkühn trennte, auch wenn er ihn als Ana­ tom hochschätzte, ist nachvollziehbar. Als der König nämlich „bemerkte, daß er (Lieber­ kühn) stets die Taschen voller Därme, Mägen und Lungen hatte", gab er den Verkehr mit ihm auf. Bei allem verdammte Friedrich die ärztliche Kunst nicht vollends, sofern es um andere ging. So schrieb er an seinen vertrauten Kammerdiener Michael Gabriel Fredersdorff: „ Ich.küsse den Doctor, wann er Dihr Gesundt macht." Eine besondere Beziehung hatte der König offenbar zu „Johann Georg Ritter von Zimmer­ mann, Königlich Großbritannischer Leibarzt und Hofrath", der als internationaler Consilia- rius von sich reden gemacht hatte (Abb. 8). Der spätere Geheimrat Ernst Ludwig Heim nannte Zimmermann einen Narren und Egoisten, habgierig, geschwätzig und wichtigtuerisch. Friedrichs Kammerdiener Schöning berichtete: „ Nie war der König in medizinischen Sachen so billig und so lenksam; in seinem Leben begegnete er nie einem Arzt so höflich." Es mußte Zimmermann schmeicheln, wenn der König ihm sagte: „ Euer Mittel hat Geist, denn es weiß, wo man Übel sitzt." Freilich halfen seine Mittel nicht, und mit den Mitteln ging auch Zimmer­ mann. Seile war von schlichtem Wesen, aufrecht und ehrlich und weit weniger berühmt als der Han­ noveraner, dafür aber auch weniger umstritten. Am Ende waren sie wieder unter sich: Fried­ rich und seine preußischen Ärzte. Auf seinem letzten Gang begleitete ihn der Arzt, den auch er einst fortgeschickt hatte, der treue Dr. Seile (Abb. 9 u. 10). Da Friedrich seine Ärzte ständig wechselte, gibt es kaum längere und kontinuierliche Auf­ zeichnungen über seinen Gesundheitszustand. Überdies sind alle früheren Beschreibungen widersprüchlich, an sich kein Wunder, da die Liste von Friedrichs vielen Ärzten und Leibärz­ ten eine ganze Seite füllt. Nur zwei Ärzte bildeten eine Ausnahme: Seile und Zimmermann, die der König aber erst in seinen letzten Lebensjahren rief. Immerhin hinterließen sie uns eine Krankengeschichte seiner beiden letzten Jahre und weiter zurückreichende Aufzeichnungen, wenn auch unterschiedlich in Form und Wertung. Die meisten Ärzte standen bei dem König regelrecht unter Kuratel, besonders wenn sie Mitglieder der königlichen Familie behandelten. Regelmäßig hatten sie sich medizinischen Verhören durch den König zu unterziehen. Da Friedrichs Krankheiten nicht nur von ihm, sondern auch von seinen vielen Ärzten, von Henri de Catt und anderen bezeugt sind, sind Zweifel ausgeschlossen. Seine Badeärzte in Pyr­ mont hatten ihm ein cholerisch-melancholisches Temperament mit Neigung zur Hypochon­ drie bescheinigt - eine Beurteilung, der man sich schwerlich anschließen kann. Je härter das Leben den König forderte, desto mehr Kräfte setzte er frei. Zu Beginn des Ersten Schlesischen

240 Abb. 9: Totenmaske Friedrichs des Großen (in Wachs abgenommen am Morgen des 17. August 1786 von dem Potsdamer Bildhauer Johann Eckstein).

Krieges litt er an Fieber, angeblich an Malaria. Er aber sagte: „ Ich werde meinem Fieber den Laufpaß geben, denn ich habe meine Maschine nötig" und ritt in den Krieg. Ein geradezu klas­ sisches Beispiel für Selbstdisziplin und Überwindung war sein körperlicher Einsatz in der Schlacht von Kunersdorf, wie bereits erwähnt. Todesmutig ritt er in die Schlacht. Der König war die Inkarnation von Disziplin und Selbstbeherrschung. Er ignorierte in wichtigen Situa­ tionen den Zustand seines Körpers, egal ob dessen Funktionen intakt waren oder nicht. Seine Krankheiten hat der große König zu keiner Zeit kultiviert, er hat sie eher persifliert. Artelt meinte, daß Friedrich seinem kranken Körper mit äußerster Willenskraft alles abverlangt habe. Man kann das nicht von der Hand weisen, denn ungebrochen erledigte der König alle Staatsgeschäfte mit einer Spannkraft, die seine Offiziere, Minister, Räte und die ausländischen Gesandten in Erstaunen versetzte. Krankheit und Arbeit schlössen einander nicht aus. Seine Aufgabe stellte er über seinen Körper. Dem Schweizer Henri de Catt sagte er: „ Mein Organis­ mus muß, koste es was es wolle, funktionieren. Ich behandle ihn wie eine alte Schindmähre und gebe ihm die Sporen."

241 Abb. 10: Grabplatte des Königs auf den Schloßterrassen von Sanssouci.

Natürlich litt der König unter seinen Krankheiten, die ihn quälten und seine Schaffenskraft beeinträchtigten. Vierzigjährig schrieb er voller Resignation seinem Bruder August Wilhelm: „Ich bessere ein altes Bauwerk aus, das im Begriffe ist zusammenzubrechen. Während ich mit dem Dach beschäftigt bin, fängt das Fundament an zusammenzufallen", um an anderer Stelle fortzufahren: „Wenn ich von meinen Leiden befallen bin, verrichten meine geistigen Fähig­ keiten nicht mehr ihren Dienst mit der Leichtigkeit, die ich wünsche; eine gute oder schlechte Gesundheit bedingt unsere Ideen und alle unsere Philosophie." Und dennoch gab es arbeits­ mäßig keine Pause, keine Erholung. Sein Körper verfiel, aber sein Geist blieb hellwach - bis zuletzt. Wer war Friedrich der Große? War er vielleicht nicht doch nur ein „ Schoßkind des Glücks", wie er sich selbst bezeichnet hatte? Ist sein Ehrenname nicht einzig und allein an zufällig gewonnene Schlachten geknüpft? Friedrich trägt seinen Ehrennamen „ Der Große" zu Recht, denn allein als Feldherr erwarb er sich bis heute andauernden Ruhm. Er war groß auf dem Schlachtfeld, groß in der Arbeit, groß in Disziplin, und er war groß im Leiden wie ein Stoiker. Er lebte und diente nur einer Idee, und diese Idee hieß Preußen. Sein Leben und seine Arbeit widmete er einer Pflicht: Es war der Dienst an Preußen. Auf das Leben kam es dem König an, nicht auf eine Verklärung nach dem Tode, der für ihn etwas Endgültiges hatte. Auf ihn selbst traf der Rat zu, den er einer pommerschen Gemeinde bezüglich ihres Pfarrers gab, der nicht an die Auferstehung glaubte: „Wenn er am Jüngsten Tage nicht mit aufstehen will, so kann er ruhig liegen bleiben." Wäre Friedrich befragt worden, er würde wohl mit dem pommerschen Pfarrer liegen geblieben sein.

Anschrift des Verfassers: Professor Dr. Dr. Hans-Joachim Neumann, Wilhelmstraße 91, 10117 Berlin-Mitte

242 Literatur

Neumann, Hans-Joachim: Weltgeschichte im Spiegel von Krankheiten. München: Quintessenz Verlags-GmbH 1991. Neumann, Hans-Joachim: Friedrich Wilhelm I. - Leben und Leiden des Soldatenkönigs. Berlin: edition q Verlags-GmbH 1993. Neumann, Hans-Joachim: Erbkrankheiten in europäischen Fürstenhäusern. Berlin: edition q Ver­ lags-GmbH 1993. Neumann, Hans-Joachim: Friedrich Wilhelm der Große Kurfürst - Der Sieger von Fehrbellin. Ber­ lin: edition q Verlags-GmbH 1995.

Zu unserer Veranstaltung am 27. August 1997:

Rokokohimmel im Frühklassizismus Über die Werke Bernhard Rodes im Von Gerhild H. M. Komander

1997 jährt sich sowohl der Todestag des Berliner Historienmalers Christian Bernhard Rode als auch der des preußischen Königs Friedrich Wilhelm II. zum 200. Mal. Bernhard Rode starb am 24. Juni 1797, Friedrich Wilhelm II. am 16. November 1797. Am 20. Juli 1997 wird nach sechsjähriger Restaurierung das Marmorpalais im Neuen Garten in Potsdam dem Publikum als Schloßmuseum zugänglich gemacht werden. Die Verbindung zwischen Rode, dem König und dem Marmorpalais besteht darin, daß Friedrich Wilhelm II. Rode mit mehreren Aufträ­ gen für Deckengemälde und Reliefentwürfe an der Ausstattung des Hauses beteiligte. Grund genug, diese späten Arbeiten Rodes einmal zu betrachten. Friedrich Wilhelm II. ließ das Marmorpalais im Neuen Garten in den Jahren 1787 bis 1791 durch die Architekten (1731-1791) und - seit 1789 - Carl Gotthard Lang­ hans (1732-1808) erbauen. Die Bauausführung lag in den Händen des Gontard-Schülers Andreas Ludwig Krüger (1743-1822), von dem auch viele der Entwürfe für die Parkbauten im Neuen Garten stammen. Den Park gestaltete Johann August Eyserbeck d. J. (1762-1801) in der Art eines sentimentalen Landschaftsgartens nach englischem Vorbild. Das Marmor­ palais und der es umgebende Park markieren in der brandenburgischen Kunstlandschaft den Wendepunkt vom friderizianischen Stil zum Klassizismus. Der zweigeschossige Bau erhebt sich über einem quadratischen Grundriß. 1797 erfolgte der Anbau der Flügelbauten, die jedoch erst unter Friedrich Wilhelm IV. von 1843 bis 1845 durch Ludwig Persius (1803-1845) und Ludwig Ferdinand Hesse (1827-1895) ihre Ausstattung erhielten. Die Fassade erhielt ein rotes Ziegelmauerwerk in holländischer Art, wie es das Neue Palais in Sanssouci dreißig Jahre zuvor zum Schein, nämlich aufgemalt, erhalten hatte. Geglie­ dert wird die Fassade durch Platten von schlesischem Marmor. Der Großteil der Bauplastik wurde nach Entwürfen Rodes durch verschiedene Bildhauer ausgeführt. Die Innenausstat-

243 Abb. 1: Bernhard Rode, Iris mit Genien, Deckenmalerei im Landschaftszimmer.

tung erfolgte seit 1790 nach den Entwürfen von Langhans. Die wandfesten Malereien stam­ men von Bernhard Rode (1725-1797), Johann Christoph Frisch (1738-1815), Bartolomeo Verona (tätig ab 1771 in Berlin) und Johann Rosenberg (geb. 1737). Verona hatte u. a. bereits in Rheinsberg für den Prinzen Heinrich Wanddekorationen im klassizistischen Stil ausgeführt. Die Kabinette wurden nach englischem Vorbild mit kostbarem Mobiliar eingerichtet, darun­ ter Mahagonikommoden mit wertvollen Stein- und Marmorplatten. Obwohl Friedrich Wilhelm II. durch das Religions- und Zensuredikt (1788) die Aufklärung der friderizianischen Zeit abrupt beendete, erhielt ausgerechnet Bernhard Rode, der „ Künst­ ler der Aufklärung" aus dem Freundeskreis der Berliner Aufklärer und friderizianischen Patrioten, große Aufträge des Königs. Dabei paßten seine Rokokohimmel gar nicht mehr in die Zeit. Aus dieser Sicht ist das negative Urteil Hetzers zu verstehen, der die Malerei von Frisch den Arbeiten Rodes vorzog: „ Frisch und Rode verhalten sich zueinander wie Langhans und Gontard, mit dem Unterschiede, daß der jüngere Frisch der Fähigere ist. Während man Rode seinen Lehrer Pesne noch anmerkt, der Figuren und Gruppen wie lose Bänder und Gir­ landen durch den Raum schwingen ließ, sind bei Frisch die Figuren ruhiger und mehr zusam­ mengehalten ; die Farben erfüllen nicht mehr das ganze Bild in gleichmäßiger Stärke, sondern ziehen sich auf die Figuren zurück und werden glatter und glänzender." (Theodor Hetzer, Das Marmorpalais in Potsdam, Potsdam 1921, S. 28.) Im Grottensaal malte Rode das Deckengemälde „ Neptun und Amphitrite", im Parolezimmer „Genien bringen Schild und Helm der Minerva vom Olymp", im Schreibzimmer „Minerva zeigt einem königlichen Jüngling den Tempel der Ehre" und im Landschaftszimmer „Iris mit Genien". Themen, die im allgemeinen diesen König - und jeden anderen - verherrlichen. Denkt man zurück an die Decken, die Rode im Neuen Palais ausmalte, ist stilistisch zwischen diesen über zwanzig Jahre auseinanderliegenden Bildern kaum ein Unterschied auszuma­ chen. Während sich die Malereien Rodes im Neuen Palais in die Gesamtkonzeption der

244 Abb. 2: Bernhard Rode, Genien bringen Schild und Helm der Minerva vom Olymp, Deckenmalerei im Parolezimmer.

Stuckornamentik eines jeden Raumes einfügen, wird in den Räumen des Marmorpalais der Bruch zwischen den bewegten Figuren und der strengeren, frühklassizistischen Ornamentik sichtbar. Die kassettierten Flächen mit ihren geometrischen Rahmungen und Feldern, die die Deckengemälde umgeben, erforderten eine weit verhaltenere Ausmalung. Ganz besonders deutlich wird dies im Parolezimmer. Die heiter spielenden, pastellfarben gemalten Kinderfi­ guren stehen hier schon in großem Gegensatz zu der illusionistischen Architekturdekoration Bartolomeo Veronas, die Rodes Gemälde umgibt: Man entdeckt verwirrt einen Rokokohim­ mel in klassizistischer Umgebung. Die Relief imitierenden Felder um das Deckenbild „ Minerva zeigt einem königlichen Jüngling den Tempel der Ehre" im Schreibzimmer passen sich auf den ersten Blick besser den ästhetischen Forderungen des neuen Stils an. Die gerin­ gere Größe der Bildstreifen täuscht aber ein wenig über ihre zu lebendigen, kaum stilisierten Körper und deren Bewegungen hinweg. Daß Rode nichts mit dem Formenkanon des Klassizismus im Sinn hatte, verdeutlichen auch seine Entwürfe für die Reliefs am Außenbau des Marmorpalais. Er thematisiert die Idyllen des ländlichen Lebens, Fischerei, Weinanbau und Ackerbau. Dazu gibt es Festons mit üppigen Frucht- und Blütendarstellungen. Die tanzenden rundlichen Kindergruppen kommen über Jahrzehnte in seinen Gemälden und Graphiken vor und tauchen bei Gelegenheit in der Bau-

245 Abb. 3: Bernhard Rode, Minerva zeigt einem königlichen Jüngling den Tempel der Ehre, Decken­ malerei im Gelben Zimmer.

Abb. 4: Bernhard Rode, Entwurf für ein Fassadenrelief.

246 plastik des Deutschen Domes am Gendarmenmarkt auf. Die Kinderszenen korrespondieren bloß inhaltlich mit den jeweiligen Malereien in den Mittelräumen des Baues. Schnell wird sichtbar, daß Rokoko und Aufklärung an die Person Friedrich Wilhelm II. gebunden gewesen waren. Nicht erst nach dessen Tod galt das Rokoko - auch - in Brandenburg-Preußen als überholt.

Abbildungen aus:

Hermann Schmitz, Das Marmorpalais bei Potsdam, Berlin 1921 (1-3), und Hohenzollernjahrbuch 10, 1906 (4), Staatsbibliothek Preußischer Kulturbesitz, Berlin

Anschrift der Verfasserin: Dr. Gerhild H. M. Komander, Togostraße 79, 13351 Berlin

Zu unserer Veranstaltung am 20. September 1997:

750 Jahre Lübars Zur Geschichte des letzten erhaltenen Berliner Dorfes

In der ältesten urkundlichen Erwähnung von Lübars aus dem Jahre 1247 heißt es: „ein vor- schreibung marggraf Johansen und Orten belangt die beuth der dorffer Krummensehe und Lübars, datum 1247". Die Markgrafen Johann und Otto schenkten die „beuth", die Honig­ ernte von Lübars, dem Spandauer Benediktinerinnen-Kloster.1 Im Jahre 1270 kam das gesamte Dorf in den Besitz des Klosters. Nach der Erwähnung im Landbuch Kaiser Karls IV. von 1375, des ersten bis heute erhaltenen Dokumentes, bestand Lübars zu dieser Zeit aus 28 Hufen, von denen der Pfarrer 4 besaß. Das Dorf hatte Pacht und Bede in Naturalien und Geld an das Spandauer Nonnenkloster zu leisten. Bis zum Jahre 1451, als die Auflistung der Abga­ ben von Lübars im Landschoßregister erfolgte, vergrößerte sich die Zahl der Hufen von 28 auf 44, d. h. eine Vergrößerung der Anbaufläche von 800 Morgen, was auf Rodungen und Urbar­ machung neuen Landes zurückzuführen ist. Nachdem 1539 Lübars zum Amt Spandau gekommen war, wurden im Jahr 1590 in dem Erbregister des Amtes erstmals die Familiennamen Rathenow, Churt, Rabe u. a. erwähnt, deren Nachfahren zum Teil bis heute in Lübars ansässig sind. Aus dem Jahre 1592 stammt die erste „Gemeine Dorfordnung", in der es unter anderem heißt: „. . . Im Kruge soll keiner doppeln (würfeln) Spielen, viel weniger Hader und Zank anrichten . . . Der Krüger soll sehen, wem undt wie er seyn Bier verborget und nicht weiter trauen als er weiß, daß er kann bezahlet werden ..." oder „... Wer das Flachs aus der röthe, von der Breite oder aus dem Backofen stehlt, der soll einen Tag am Halseisen stehen undt der Herrschaft ein Schock Strafe verfallen seyn ..."

247 Nach dem Landschoßregister von 1624 lebten zehn Bauern und vier Kossäten im Dorf. Nach dem Dreißigjährigen Krieg waren lediglich zwei Bauernstellen wüst, die von den Kossäten übernommen wurden, so daß im Landreiterbericht von 1652 noch acht Bauern und vier Kos­ säten erwähnt werden. Nach dem Edikt des „ Soldatenkönigs" Friedrich Wilhelm I. von 1717 zur Förderung des Volksschulwesens in Preußen wurde in Lübars die Erziehung der Jugend bis zum Bau der ersten Dorfschule im Jahre 1820 von Familien, die zu Schulmeistern ernannt wurden, durchgeführt. Als erster Schulmeister von Lübars ist 1744 der Schneider Michael Schultze erwähnt. Während einer großen Feuersbrunst im Jahre 1790, die von der damals sich noch auf dem Dorfanger befindenden Schmiede ausging, wurden zahlreiche Gehöfte und auch die Lübarser Dorfkirche vernichtet, die 1793 neu aufgebaut wurde. Die Schmiede wurde später außerhalb des Dorfes errichtet. Im Zuge der Stein-Hardenbergschen Reformen erfolgte auch für die Lübarser Bauern im Jahre 1812 die Ablösung von den Frondiensten. In der Zeit davor mußten die Bauern und Kossäten auf dem Vorwerk Plahn im Spandauer Amt an 110 Tagen im Jahr mit ihrer eigenen Arbeitskraft und ihren Pferden Hand- und Spanndienste leisten, die insbesondere während der Erntezeit anfielen. Von Trinitatis 1812 an, dem ersten Sonntag nach Pfingsten, wurden die sechs Lübarser Bauern und fünf Kossäten gegen ein Dienstgeld von 170 Thalern an das Amt Spandau von dieser Verpflichtung auf ewige Zeiten für sich und ihre Nachkommen befreit. Völlig freie Menschen im heutigen Sinne waren die Lübarser jedoch noch nicht, denn sie muß­ ten weiterhin Dienste während der vom König veranstalteten Jagden und Hilfe bei der Vertil­ gung von Raupen in den Königlichen Forsten oder Vorspanndienste bei der Transportierung und der Bewachung von Gefangenen leisten. Auch mußten sie bei Neubauten und Reparatu­ ren der Pfarr- und Schulgebäude in Lübars mithelfen, wie z. B. bei dem 1820 auf dem Dorfan­ ger errichteten ersten Schulhaus, das 1906 durch den bis heute erhalten gebliebenen Neubau ersetzt wurde. 1838 erfolgte der Rezess in der Separationssache von Lübars, die Neuaufteilung und Zusam­ menlegung der Grundstücke und die Ausweisungen der Anteile an gemeinschaftlichen Nut­ zungen. Aus der Rezessakte erfährt man außer von den zahlreichen Teilungen und Grenzre­ gulierungen, die in der Rezesskarte von 1838 mit dem erstmals gezeichneten Lübarser Flurna­ men festgehalten sind, unter anderem auch, daß ein gemeinschaftlicher Bulle zu gleichen Tei­ len für jeden der zwölf Bauern und Kossäten angeschafft worden war und derselbe vom Lehn­ schulzen August Müller auf dessen Gut unterhalten wurde. Für jedes „von dem Bullen gefal­ lene Kalb" mußte von den Lübarsern ein Kalbgeld von 2 1/2 Silbergroschen bezahlt werden, und der Bulle erhielt auch freie Sommerweide. Zum Fischen am Mühlenfließ war jeder Lübar­ ser nach Belieben befugt. Von der Mitte des 19. Jh. an entsteht zwischen der Quickborner Straße, dem Wittenauer Weg und dem Zabel-Krüger-Damm die Siedlung Vogtland, die von Lübarser Bauernsöhnen und zugezogenen Handwerkern bewohnt wurde. Das bäuerliche Leben zu dieser Zeit unterschied sich sehr von den heutigen Lebensgewohn­ heiten. Bauer, Bäuerin, Kinder, Knechte, Mägde und das Vieh lebten unter einem Dach. In einem für das ganze Dorf gemeinsamen Backofen im Garten des alten Lehnschulzenhofes (heute: Alt-Lübars 6) wurde alle 14 Tage Brot gebacken. Die Bauern nahmen täglich sechs Mahlzeiten zu sich: morgens um 6 Uhr Kaffee und Schmalzstullen, um 9 Uhr zum Frühstück Brot mit Schmalz, Wurst und Speck, zum Mittagessen ein Eintopf aus Kartoffeln, Gemüse und Pökelfleisch, am Nachmittag wieder Kaffee und Schmalzstullen und am Abend Pellkartoffeln und Heringe, manchmal auch mit einer Speckstippe. An Sonntagen wurden vor dem Kirchgang die Kühe gefüttert und gemolken und das übrige Vieh versorgt, bevor man sich das „ Sonntagskleid" anzog. Die jährlichen Feste wie das Ernte-

248 Lübars, Dorfkirche und Schule um 1910. Heimatmuseum Reinickendorf

fest, einem Volksfest, zu dem auch Bewohner der Nachbarorte kamen, aber auch Hochzeiten wurden ausgiebig gefeiert. Geheiratet wurde immer am Donnerstag. Nach der standesamt­ lichen Trauung in Dalidorf (Wittenau) und der kirchlichen Trauung wurde nicht selten die ganze Nacht durchgetanzt, mit allen Gästen gefrühstückt und wieder getanzt, bis am Freitag­ mittag die Musik den „ Rausschmeißer" spielte. Nachdem im Jahre 1875 der Bauer Knobbe verstorben war, war seine Witwe gezwungen, 64 Morgen Waldgeländes zu verkaufen, um die Erben auszuzahlen. Der im Dienst des Hermsdorfer Gutsbesitzers Leopold Lessing stehende Gutsförster Bondick wurde mit dem Kauf dieses Grundstücks beauftragt. Er kaufte jedoch entgegen der Absprache das Gelände für sich selbst und eröffnete ein Wirtshaus, das er mit Reh- und Hirschgeweihen schmückte und Waidmannslust nannte. Die zunächst nur aus wenigen Häusern bestehende Siedlung entwickelte sich von der Sommerfrische nach 1884, als eine Haltestelle an der Nord­ bahn eingerichtet wurde, sehr schnell zu einem Villen- und Wohnvorort. Um die Mitte des 19. Jahrhunderts wurde neben der bereits existierenden Kühnschen Ziegelei am heutigen Zehntwerderweg eine große Ziegelei an der Benekendorffstraße errichtet, die bis 1924 produzierte. An sie erinnern heute noch zwei Gebäude an der Benekendorffstraße, der Lübarser Ziegelei-See (heute Freibad Lübars) und zahlreiche Straßennamen wie Tonstich-, Ziegelei- und Mergelweg. 1920 wurde Lübars Ortsteil des neu gegründeten 20. Berliner Verwaltungsbezirkes Reinik- kendorf. Ein Jahr später entstand die Kriegerheimstätten-Siedlung an der Platanenstraße (heute Zabel-Krüger-Damm, benannt nach dem Lübarser Gemeindevorsteher von 1855 bis 1894). Gegen Ende der 20er und Anfang der 30er Jahre entstanden mehrere Laubenkolonien auf Lübarser Terrain, die während der Wirtschaftskrise von zahlreichen Menschen aus Berlin

249 und Brandenburg ständig bewohnt wurden. Sie tragen Namen wie „Wiesengrund", „Froh­ sinn", „Karpfenteich" oder auch „Waldesfrieden". Nach 1933 wurden zwei Siedlungen für Arbeiter und Angestellte der AEG auf dem Gebiet von Lübars errichtet. 1934 waren fünf Lübarser Höfe vom Reichsbauernführer Darre zu Erb­ höfen ernannt worden. Die Lübarser Bauernschaft wurde wie anderswo auch von einem Orts- bauernführer geleitet. Mit der Einrichtung von Erbhöfen, für die das Anerbenrecht galt, sollte die Ernährungsgrundlage für die deutsche Bevölkerung im Kriegsfall sichergestellt werden. Die Einwohnerzahl stieg in dieser Zeit auf 5500 Menschen an, so daß 1935 die 16. Grundschule Lübars, heute Grundschule Am Vierrutenberg, errichtet wurde, da die Lübarser Dorfschule zu klein geworden war. Von 1937 an gerieten die Lübarser Grundstücke in die Planungshoheit des Generalbauinspektors für die Reichshauptstadt Albert Speer, der im Zuge der Neugestaltung Berlins bis Mitte der 40er Jahre eine Kreuzung zwischen der „Nord-Süd-Achse" und dem vierten Ring schaffen wollte, die Lübars und das Tegeler Fließ zerstört hätte. Während des Krieges waren zahlreiche französische Zwangsarbeiter bei den Bauern in der Landwirtschaft, die der staatlichen Zwangsproduktion von Lebensmitteln für die Berliner Bevölkerung unterlag, beschäftigt. Südlich der Blankenfelder Chaussee befand sich eine große Flakstellung, die gegen die Luftangriffe der alliierten Verbände auf Berlin ein­ gesetzt wurde. Während eines verheerenden Bombenangriffs am 5. Dezember 1944, der den Tegeler Borsigwerken galt, wurden zahlreiche Häuser in Lübars beschädigt und zer­ stört. Bereits elf Monate nach Kriegsende wurde in Lübars vom 10. bis 17. März die Grüne Woche, eine Geräte-, Landwirtschafts- und Kleintierschau mit einem großen Frühlingsfest, veranstal­ tet. Der Veranstalter der Grünen Woche Lübars war das Volksbildungsamt Reinickendorf, Ortsstelle Lübars. Im Jahre 1947 wurde im August die 700-Jahr-Feier des Dorfes begangen. Neben den Ausstellungen „Heimatkundliche Schau" und „Reinickendorf im Bild" wurden ein Tag der Volkskunst mit Musik- und Kabarett-Programm, Volksbelustigungen aller Art, ein Tag der Jugend und ein Tag des Sportes veranstaltet. Nach Räumung des Berliner Stadtgu­ tes in Stolpe, das bis 1948 zum französischen Sektor gehörte und in dem ein großer Milchvieh­ bestand zur Versorgung der Berliner Bevölkerung aufgebaut worden war, wurde der Haupt­ anteil der Milchkühe nach Lübars gebracht, wo die Bauern nach dem Krieg hauptsächlich Kartoffeln und Kohl anbauten. In den letzten Jahrzehnten (erstmals bereits 1941) wurden Teile des Tegeler Fließes mit seinen zahlreichen Pflanzen- und Tierarten unter Landschaftsschutz gestellt. Während der Zeit der Teilung der Stadt und der dadurch entstandenen Insellage Berlins entwickelte sich Lübars zum Freizeit- und Erholungsgebiet für die Städter. Der Bau der Mauer, die Lübars vom Hinterland abschnitt, und der Strukturwandel zum Reiterdorf ermöglichte den Erhalt der Bauernhöfe und Gehöfte sowie der dörflichen Struktur mit Familienbetrieben in Alt-Lübars bis heute. Von insgesamt acht landwirtschaftlichen Familienbetrieben leben heute sieben von der Pfer­ depensionshaltung. Heu, Hafer und Winterroggen werden als Feldfrüchte angebaut. Der Roggen selbst wird zu Mehl verarbeitet. Hafer und Heu dienen als Futter und das Stroh des Winterroggens für die Streu. Die alten Ställe der Lübarser Bauernhöfe sind zu Pferdeboxen umgebaut worden. Die landwirtschaftlichen Gehöfte haben sich seit den 70er und 80er Jahren bis heute von Produktions- und Dienstleistungsbetrieben umstrukturiert. Zu den Reiterhöfen gehören heute neben den Pferdekoppeln und Reitplätzen auch fünf neu errichtete Reithallen, die sich direkt hinter den Fassaden des unter Denkmalschutz stehenden Dorfes anschlie­ ßen.2

250 Am 6. September eröffnet das Heimatmuseum Reinickendorf am „ Tag der offenen Höfe" im Rahmen der Feierlichkeiten zum 750. Jubiläum von Lübars zusammen mit der evangelischen Kirchengemeinde Lübars im Pfarrhaus Lübars (A It-Lübars 24,13469 Berlin) die Ausstellung „Das letzte Berliner Dorf. 750 Jahre Lübars". Unter gleichem Titel wird eine Publikation mit zahlreichen Abbildungen im Jaron-Verlag erscheinen, die 128 Seiten umfaßt und für 19,80 DM in der Ausstellung und im Buchhandel erhältlich sein wird. Die Ausstellung ist vom 6. September bis 5. Oktober 1997 im Pfarrhaus Lübars zu sehen und wird vom 8. Oktoberbis 16. November 1997 im Heimatmuseum Reinickendorf (Alt-Hermsdorf 35, 13467 Berlin, Telefon 4 04 40 62) gezeigt.

Anmerkungen:

1 Die erste Urkunde von Lübars aus dem Jahre 1247 ist heute nicht mehr erhalten. Von dem Origi­ nal existierte noch zu Beginn des 20. Jh. eine Abschrift aus dem Jahre 1539, als Kurfürst Joachim II. mit der Einführung der Reformation ein Urkundenverzeichnis anlegen ließ, um sich die Rechte zu sichern, die ihm mit der Säkularisierung der Klöster zugefallen waren. Abgedruckt ist die Abschrift bei F. Curschmann: „Das Urkundeninventar des Klosters Spandau", in: Jahrbuch für brandenburgische Kirchengeschichte 1, 1904, S. 36-50. 2 Die in diesem Aufsatz angeführten Quellen und Dokumente zur Geschichte von Lübars von 1247 bis 1935 wurden erstmals veröffentlicht und kommentiert bei: Wilhelm Tessendorf/Walter Pauls (Hrsg.), Der Marsch in die Heimat, Ein Heimatbuch des Bezirks Berlin-Reinickendorf, Frankfurt 1937, S. 305-362. Für die Publikation „Das letzte Berliner Dorf. 750 Jahre Lübars" wurden Materialien aus dem Brandenburgischen Landeshauptarchiv, dem Landesarchiv Berlin, dem Archiv des Heimatmuse­ ums Reinickendorf sowie aus der bislang unveröffentlichten Schulchronik der Grundschule Am Vierrutenberg in Lübars verwendet. Es wurden alle Bau- und Grundstücksakten ausgewertet und zahlreiche Interviews mit Lübarsern geführt, die in die Publikation mit eingeflossen sind.

Anschrift des Verfassers: Dr. Ingolf Wernicke, Leiter des Heimatmuseums Reinickendorf, Alt-Hermsdorf 35, 13467 Berlin-Reinickendorf

Der Schriftsteller Ivo Andric (1892-1975) als Diplomat im nationalsozialistischen Berlin Von Christian Schölzel

„Deutsche und Deutschland! Das ist die größte Mühe meines Lebens ... die ich persönlich ertragen habe von den Deutschen und wegen der Deutschen..."' So schrieb der spätere Lite­ raturnobelpreisträger Ivo Andric rückblickend auf seine Jahre in Berlin 1939 bis 1941 als jugo­ slawischer Gesandter. Wer jedoch war dieser Mann eigentlich? Er wurde am 9. Oktober 1892 in Travnik/Bosnien in eine katholisch-kroatische Familie hin­ eingeboren. Nach dem Besuch von Schulen in Visegrad und Sarajevo veröffentlichte der eben Neunzehnjährige seine ersten literarischen Versuche. Weitere belletristische Veröffentlichun­ gen sollten folgen. 1912 nahm der junge Autor sein Universitätsstudium auf, das ihn nach Zagreb, Wien und Krakau führen sollte. Während des Ersten Weltkrieges saß Andric wegen

251 „projugoslawischer Gesinnung" längere Zeit in österreichisch-ungarischer Haft in Split, Sibe- nik und Maribor, die später in Verbannung umgewandelt wurde. Nach seiner Entlassung erlaubte der angegriffene Gesundheitszustand des Dichters keinen längeren Kriegsdienst. Seine Haltung seit der Zeit vor dem Ersten Weltkrieg bis zur Gründung des Königreiches der Serben, Kroaten und Slovenen im Jahre 1918 kennzeichnete er in einem Brief von Anfang November 1922: „Noch als Schüler in Sarajevo, vor den Balkankriegen [von 1912/13; C. S.] ... arbeitete ich dafür, daß unter der serbischen und kroatischen Jugend [in Bosnien; C. S.] die Idee der Befreiung und Vereinigung mit Serbien verbreitet und gefestigt werde."2 Im September 1919 trat er zunächst als „Sekretär III. Klasse" in die Dienste des Religionsmini­ steriums des Königreiches der Serben, Kroaten und Slowenen, was seinen Lebensunterhalt sicherte. Das neue Tätigkeitsfeld bedingte die Übersiedlung des Dichters nach Belgrad. Seine Karriere in den Folgejahren führte Andric zunächst in höhere Positionen im Ministerium. 1920 wurde er Beamter in der jugoslawischen Gesandtschaft beim Vatikan. Sein Berufsweg als Staatsdiener brachte ihn in die Vertretungen in Bukarest, Triest, Graz, Marseille, Paris, Madrid, Brüssel und Genf (Völkerbund). Während der Arbeit im königlichen Konsulat in Graz gelang es ihm, seine Dissertation in deutscher Sprache an der dortigen Universität abzule­ gen. Ihr Titel lautete: „Die Entwicklung des geistigen Lebens in Bosnien unter der Einwirkung der türkischen Herrschaft".3 Andric sprach, schrieb und las zu jener Zeit neben Serbokroa­ tisch: Französisch, Deutsch, Italienisch, Slowenisch, Rumänisch, Russisch, Polnisch und Tschechisch. Ein weiterer Bezug zum deutschsprachigen Raum ergab sich für ihn, seit er, ab März 1930 und bis März 1933, Mitglied der ständigen Delegation des Königreiches beim Völ­ kerbund in Genf war. Von der Schweiz aus konnte er Kulturreisen in das benachbarte Deutsch­ land unternehmen. Bis 1939 arbeitete er schließlich wieder im Ministerium in Belgrad, bezie­ hungsweise, seit 1937, als Berater des damaligen Regierungschefs Milan Stojadinovic. Im April des Jahres wurde Andric zum Botschafter in Berlin und gleichzeitig zum stellvertreten­ den Außenminister Jugoslawiens ernannt. Möglich wurde dieses durch einen Regierungswech­ sel in Belgrad. Der seit 1935 amtierende Gesandte in der Reichshauptstadt, Aleksander Cin- car-Markovic, wurde in der neuen Regierung unter Dragisa Cvetkovic zum neuen Außenmini­ ster bestellt. Andric konnte den frei gewordenen Posten in der Großadmiral-Prinz-Heinrich- Straße 17 antreten. Später sollte er in den vom Architekten Werner March und vom NS-Bild- hauer Arno Breker gestalteten Neubau der Jugoslawischen Gesandtschaft in der Rauchstraße 17 umziehen.4 15 Beschäftigte arbeiteten dort und in anderen Außenstellen in der Stadt mit ihm zusammen. Hier, im Tiergartenviertel, sollte Andric auch ein Jahr später die ersten Bom­ bardierungen des Zoologischen Gartens miterleben. Die außenpolitische Situation, der er sich in seinem Amt gegenübersah, war nicht einfach. Das Land, aus dem er kam, war durch ungelöste Nationalitätenkonflikte innenpolitisch stark in Anspruch genommen und besaß keine vollständig funktionierende Demokratie. Das Land, in das er sich begab, das nationalsozialistische Deutschland, drohte mit seiner Außen- und Außenhandelspolitik, den jugoslawischen Staat politisch wie militärisch einzukreisen und öko­ nomisch in eine völlige Abhängigkeit zu führen. Welche Haltung nahm Andric in dieser Posi­ tion ein? Welches waren seine Handlungsspielräume? Es läßt sich inzwischen belegen, daß Andric Formen des (italienischen) Faschismus schon in Veröffentlichungen aus den zwanziger Jahren ablehnte.5 Diente er seit dieser Zeit einerseits einem mittlerweile zur Königsdiktatur gewordenen System, das Pluralismus stark beschränkte, so setzte er sich lebenslang für kultu­ relle Vielfalt in seinem literarischen Werk ein. Einige kroatische Stimmen lehnen ihren katholi­ schen Landsmann, der sich jedoch selbst, 1955, als „katholischer Serbe aus Bosnien" bezeich­ nete, wegen seiner jugoslawischen Überzeugung sowie der überwiegenden Verwendung der

252 Ivo Andric 1892-1975

serbischen Variante des Serbokroatischen/Kroatoserbischen ab. Sie stellen ihn als Verfechter „großserbischer Eroberungspläne" in eine Kontinuitätslinie zwischen serbischem Nationalis­ mus des 19. Jahrhunderts und der Haltung Slobodan Milosevics. Fraglos ist diese Sichtweise von den gegenwärtigen Emotionen zwischen Kroaten und Serben nicht gänzlich frei. Andric verfocht eine jugoslawische Idee, der Sammlung balkanischer Völker unter serbischer Füh­ rung. Zum politischen Schutz dieser Idee und ihres Erhaltes in der Praxis erwog er zumindest auch machtstaatliche Mittel: Einerseits gegenüber außenpolitischen Bedrohungen durch die Achsenmächte, vor allem Deutschland und Italien; andererseits gegenüber den in seiner Zeit schon sichtbaren innenpolitischen Streitigkeiten der verschiedenen Völkerschaften in Jugosla­ wien. Keinesfalls jedoch ging es ihm beispielsweise um „ethnische Säuberungen" oder mit Krieg durchgesetzte geopolitische Zielsetzungen ethno-rassistischer Konzepte, wie so man­ chem Politiker oder Militärführer im jüngst beendeten Konflikt. Treffend hinsichtlich des Autors Andric formulierte es der Schriftsteller Milo Dor:

253 „Obwohl die Werke von Ivo Andric auf den ersten Blick konservativ erscheinen, gehören sie zur enga­ gierten Literatur im besten Sinn dieses Wort[es]. Es ist ein Engagement weniger in tagespolitischen Fragen als im Geiste eines echten europäischen Humanismus. Obwohl er kroatischer Herkunft und katholisch getauft war, schrieb er in Belgrad in der serbischen Variante der serbokroatischen oder kroatoserbischen Sprache. Er legte nie Wert darauf, nach irgendeiner dieser zufälligen Äußerlichkei­ ten beurteilt oder eingeordnet zu werden; das waren seine privaten Angelegenheiten. Er gehörte zu den jugoslawischen Intellektuellen, die ihre Heimat mit all ihren Ungereimtheiten und Widersprü­ chen Europa nahezubringen versuchten."6 „Der Balkan den Balkanvölkern", diese Losung bedeutete für den Politiker Ivo Andric die Selbstbestimmung der Südosteuropäer unter weitestgehender Ausschaltung der Einflüsse anderer europäischer Großmächte.7 Er trat so auf seinem Posten in Berlin für die weitestge­ hende Erhaltung des sich ihm bietenden Status quo ein. Sein Ziel war es hierbei, eine sich ver­ größernde Gefährdung des eigenen Landes durch das nationalsozialistische Deutschland zu umgehen. Bis 1939 hatte sich gezeigt, daß Jugoslawiens Versuche, die wirtschaftliche Abhän­ gigkeit von Deutschland gering zu halten, mehr oder minder gescheitert waren. So lag der deut­ sche Anteil an jugoslawischen Importen 1939 bei fast fünfzig Prozent. Mehr als dreißig Prozent aller Exporte aus dem Balkanstaat gingen in diesem Jahr an den größten Außenhandelspart­ ner, das Deutsche Reich (die Zahlenangaben in der Literatur hierzu schwanken und liegen oft­ mals eher höher).8 Die Regierung in Berlin hatte zielgerichtet versucht, mehr aus Jugoslawien zu importieren als zu exportieren. Durch die bewußt von deutscher Seite herbeigeführte Gläu­ bigerrolle Belgrads gelang es, Druck auszuüben. Nach dem sogenannten Clearingverfahren konnte das Balkanreich eine Tilgung seiner Ansprüche nur durch Einkäufe im Deutschen Reich erzielen. Die deutsche Seite achtete hierbei darauf, nur Güter zu exportieren, die dem Ausbau des Bergbausektors sowie der Landwirtschaft dienten. Das Gesamtkonzept in Berlin war es dabei, die strukturelle Gestaltung Jugoslawiens zu einem abhängigen Teil des wehrwirt­ schaftlichen „Großwirtschaftsraumes" zu erlangen. Im Kriegsfall sollte der Staat an der Adria der deutschen Kriegsökonomie als Rohstoffreservoir zur Verfügung stehen. Vergleichbares ließ sich für die Anrainerstaaten Ungarn, Rumänien und Bulgarien sagen. Mit dem Anschluß Österreichs 1938 grenzte das „Großdeutsche Reich" zudem direkt an Jugoslawien. Südwest­ lich wurde die Grenznachbarschaft durch das mit Deutschland verbundene Italien fortgesetzt. Kurzum: Jugoslawien sah sich auch geographisch deutscher Einflußnahme in einem wirt­ schaftlichen wie politischen „Gürtel" ausgesetzt. Der Schriftsteller in der Gesandtschaft bemühte sich, eine weitere Schwächung der jugoslawi­ schen Position zu verhindern. Nicht zuletzt fürchete er eine gänzliche Abhängigkeit als „Satelli­ tenstaat" oder einen militärischen Konflikt. Kurz nach seinem Amtsantritt im April besetzte das mit Deutschland verbündete Italien Albanien. Der Ring um Jugoslawien zog sich zusam­ men. Diese Bedrohung sollte sich mit den weiteren Kriegserfolgen Deutschlands in Europa verstärken. Ende des Monats besuchte Cincar-Markovic für drei Tage Berlin. Neben dem ita­ lienischen Vorstoß an der östlichen Adriaküste ging es bei den Gesprächen mit Hitler und vor allem mit Beauftragten für den Vierjahresplan und Reichsluftfahrtminister Hermann Göring um ein Rüstungsgeschäft. Das Königreich sollte Rüstungsgut im Wert von 200 Millionen Reichsmark, vor allem Flugzeuge, erhalten. Dafür war vorgesehen, auf Kreditbasis Rohstoffe aus Jugoslawien an das Deutsche Reich zu liefern. Die auch nach dem April 1939 andauernden Verhandlungen um den Anschluß dieser Handelsvereinbarung zeigen exemplarisch die Inter­ essenlage der beteiligten Parteien. Der politischen Führung, Regierung und Hof in Belgrad, vertreten durch Andric in Berlin, ging es darum, Waffen zu kaufen. Der Gegenseite in Berlin, vor allem Hermann Göring, war daran gelegen, den Abschluß dilatorisch zu behandeln, besser: den Vertragsschluß politisch zu kon-

254 ditionieren. Immer wieder wurden während des Frühjahrs und bis zum Winter 1940 neue For­ derungen gestellt, die die vollständige Lieferung aller Fluggeräte ermöglichen würden: Jugo­ slawien sollte aus dem Völkerbund austreten, Belgrad sollte dem „Stahlpakt" beitreten. Auch die vermeintlich schlechte Behandlung der deutschen Minderheit im jugoslawischen Reich versuchte in diesem Fall, das Auswärtige Amt gegenüber dem Gesandten aus Belgrad als gleichsam „klassisches" Druckmittel nationalsozialistischer „Diplomatie" auszuspielen. Das Ziel dieser Forderungen, ja des gesamten deutschen Vorgehens war klar: das Königreich auf dem Balkan sollte politisch weiter isoliert werden. Cincar-Markovic, Ende April in Berlin, zeigte sich reserviert, dem deutschen Drängen nachzugeben. Analoges galt für den Verlauf des Staatsbesuches von Prinzregent Paul, der zusammen mit seiner Frau Olga, dem Hofminister Antic, Cincar-Markovic und weiteren hohen Amtsträgern aus Belgrad am 1. Juni 1939 auf dem Lehrter Bahnhof in Berlin eingetroffen war. Weder erklärten sich die Vertreter Jugosla­ wiens, so auch Andric, in diesen und den folgenden Monaten bereit, aus dem Völkerbund voll­ ständig auszutreten, noch schloß sich die Führung in Belgrad den „Achsenmächten" Deutsch­ land, Italien und Japan an, oder verließ vertragliche Zusammenschlüsse mit anderen Balkan­ staaten, wie die Balkanentente oder die kleine Entente oder ging sonstige Verpflichtungen gegenüber den „Achsenmächten" ein. Andric war mit diesem Resultat weitestgehender Bewahrung von Neutralität zufrieden. Er wollte seinem Land gegenüber dem mächtigen Deutschen Reich und seiner Eroberungspolitik eine wenigstens teilweise Unabhängigkeit bewahren. Die Übereinstimmung der Regierung mit der inhaltlichen Position ihres diplomatischen Ver­ treters in Berlin sank jedoch mit den Monaten. Dieses zeigte letztlich schon der Abschluß eines deutsch-jugoslawischen Handelsvertrages im Jahre 1940. Unter der Überlegung, dem deut­ schen Drängen nachzugeben und einen Zugang zur Ägäis (Solun) zu erhalten, verhandelten Regierungsvertreter aus Belgrad zudem mit den Deutschen über eine weitergehende vertrag­ liche Verbindung. Der stellvertretende Außenminister des Vielvölkerstaates wurde in seinem Domizil an der Spree über diese Geheimgespräche nicht informiert. Als Andric in die peinliche Situation geraten war, durch den deutschen Diplomaten Ernst von Weizsäcker eines Tages über ein derartiges Geheimtreffen seiner politischen Führung aus Belgrad mit den Deutschen informiert worden zu sein, schrieb er seinem Minister am 26. Februar 1941: „Ich habe keinen Verdacht, daß derartige Gespräche mit der hiesigen Staatsgewalt die unmögliche Lage der hie­ sigen Königlichen Gesandtschaft erschweren. Aber es ist mehr auf der Seite des persönlichen Momentes zu bestehen, ich betrachte es als meine Pflicht zu bemerken, das ist meine Wahrneh­ mung im Laufe dieser zwei Jahre, daß sich derartige Arbeitsweisen immer als zum Vorteil der Deutschen erweisen und als Schaden des Landes, das mit ihnen so zusammenarbeitet."9 Nicht nur die persönliche Herabsetzung Andrics wird in diesen Worten deutlich. Zwischen den Zei­ len übte der Diplomat auch Kritik an der Annäherung seiner Regierung an Deutschland. Als sich derartige Vorfälle (deutsch-jugoslawische Geheimgespräche ohne sein Wissen) wieder­ holten und die Befürwortung des jugoslawischen Beitritts zu den Achsenmächten deutlich wurde, kündigte Andric am 20. März 1941 seinen Posten. Während seiner Jahre im Tiergartenviertel schrieb er das folgende unbetitehe Gedicht, das die Stimmungslage des Dichters und Diplomaten in dieser Zeit gut widerspiegelt: „Auf den Höhen, wo es frisch ist Und licht und klar und weit, Wohnen meine Gedanken, und hier Unten, wo ich diese Worte schreibe, Zieht verpestete Luft die Brust mir zusammen,

255 „Rastlos wachsam umher. Ich lebe gefesselt und atme schwer, Alles ist mir weniger, allem bin ich niedriger, Alles ist finsterer und alles schwerer. Und in mir, wie ein früherer Falke, Erhebt sich eine Melodie Über Höhen, wo es frisch ist Und licht und klar und weit. Das schreibe ich ihnen, es zu wissen, seht her Ich bin elendig sterbend am singen."I0 Die Ereignisse überschlugen sich nun. Am 25. März 1941 unterzeichnete Jugoslawien den Bei­ tritt zu den Achsenmächten. Knapp zwei Tage später kam es zu einem Staatsstreich, der durch den Vertragsschluß in wesentlichen Teilen motiviert wurde. Diese nun gesteigerte Gefährdung seiner Einflußsphäre, der südöstlichen Flanke, für den geplanten Überfall auf die Sowjetunion, veranlaßte Hitler zum „blitzkrieg-artigen" Angriff auf Jugoslawien. Am 6. April 1941 bom­ bardierten deutsche Flugzeuge Belgrad. 17 000 Menschen wurden hierbei getötet. Einen Tag später verließ Andric die deutsche Hauptstadt in einem Sonderzug. Zusammen mit jugoslawi­ schen Diplomaten und deren Familienangehörigen aus Berlin und anderen Städten in Deutschland und den von Deutschen okkupierten Territorien (zusammen mehr als 200 Perso­ nen) wurde er in Konstanz bis Ende Mai interniert. Am 1. Juni kehrte der Schriftsteller und Diplomat in das zerbombte und von den Deutschen seit Wochen besetzte Belgrad zurück. Der einstige Gesandte, der sich schon zu Beginn seiner Amtszeit in Berlin, teilweise mit Erfolg, für die Freilassung von Professoren seiner einstigen Universität Krakau aus deutschen Konzentra­ tionslagern (darunter Sachsenhausen) eingesetzt hatte, stand nun selber der Gestapo als Ver­ dächtiger gegenüber. Im Unterschied zu mehreren anderen Kollegen aus dem diplomatischen Dienst, von denen einige nach Dachau und Sachsenhausen in KZ deportiert wurden, kam er frei und lebte aber unter Hausarrest. Kurze Zeit nach diesen Ereignissen wurde er pensioniert. Nachdem Andric in Berlin nur wenig literarisch hatte arbeiten können, sollte er sich in den fol­ genden Jahren wieder vermehrt der belletristischen Arbeit zuwenden. Er verweigerte jede Kooperation mit den Okkupanten und zog sich als privater Schriftsteller zurück. In den Jahren bis zum Kriegsende entstanden so einige seiner bedeutendsten Werke, wie etwa die „Travnicka Hronika" (in deutscher Übersetzung als: „Travniker Chronik" und unter anderen Titeln als „Audienz beim Wesir" oder „Wesire und Konsuln"), „Na Drini Cuprija" (in deutscher Übersetzung: „Die Brücke über die Drina") oder „Gospodjica" (in deutscher Übersetzung: „Das Fräulein"), die nach dem Krieg erschienen.11 Andric verkör­ perte mit einer europäischen Bildung, kroatisch-katholischer Herkunft und der Zuneigung zur islamischen und serbischen, beziehungsweise orthodoxen sowie jüdischen Kultur in seiner Per­ son als Literat als auch in seinem belletristischen Werk die kulturelle Vielfalt des Balkans. Nach der Befreiung Belgrads am 20. Oktober 1944 ließ Andric sich für eine Zusammenarbeit mit den Kommunisten unter Josip Broz Tito gewinnen. Repräsentationsreisen als Vertreter der jugoslawischen Literatur, z. B. in die UdSSR, ein politisches Amt als Bundesabgeordneter von Bosnien-Herzegowina, vor allem aber ein breites öffentliches Wirken kennzeichneten nun das Leben des in Sarajevo und Belgrad wohnenden Autors. Internationale Ehrungen aus Kroatien, Bosnien-Herzegowina, Slowenien und Serbien sowie aus dem Ausland zeugten in den folgen­ den Jahren von der weltweiten Bekanntheit des inzwischen in mehr als ein Dutzend Sprachen übersetzten Schriftstellers. 1954 wurde er Mitglied der Kommunistischen Partei Jugoslawiens. Andric lehnte allerdings fürderhin jedes größere offizielle Amt ab, nimmt man seinen mehrjäh-

256 rigen Vorsitz des jugoslawischen Schriftstellerverbandes einmal aus. Reisen und Vorträge vor allem in Europa und Asien des nun wieder in der jugoslawischen Hauptstadt Lebenden steiger­ ten seine Popularität weiter. Für das Buch „Die Brücke über die Drina" erhielt er 1961 den Literaturnobelpreis in Stockholm. 1975 verstarb der Schriftsteller und ehemalige Gesandte in Belgrad. Sein Leben und Werk weisen einerseits auf die kulturelle Vielfalt und Komplexität balkani­ scher Geschichte. Stellt man beispielsweise nur die Frage, ob Andric Serbe, Bosnier, Kroate oder Jugoslawe war, fällt die Antwort schwer. Andererseits wird an dieser, heutzutage biswei­ len erörterten Problematik auch zugleich die Unsinnigkeit mancher vom Nationalismus geprägten Fragestellung deutlich, die mit starren Kategorien einer differenzierten Wirklichkeit letztlich nicht standzuhalten vermag. Nicht nur nationale Überhöhung, Religions- und Kulturhaß im exjugoslawischen Bereich tan­ gierten die Person Andric und ihren Lebensweg, sondern auch deutsche Erfahrungen mit Nationalismus und Intoleranz. Seine Jahre in Berlin verweisen hierauf. Daß er hierunter gelit­ ten haben wird, belegen nicht nur die obigen Äußerungen aus der deutschen Hauptstadt von ihm, sondern auch sein schon klassisches Diktum in der Ablehnung von Ausgrenzung, der „Brief aus dem Jahre 1920": „Wer in Sarajevo die Nacht durchwacht, kann die Stimmen der Nacht von Sarajevo hören. Schwer und sicher schlägt die Uhr an der katholischen Kathedrale: zwei nach Mitternacht. Es vergeht mehr als eine Minute (ich habe genau 75 Sekunden gezählt), und erst dann meldet sich, etwas schwächer, aber mit einem durchdringenden Laut die Stimme der orthodoxen Kirche, die nun auch ihre zwei Stunden schlägt. Etwas später schlägt mit einer heiseren und fernen Stimme die Uhr am Turm der Beg- Moschee, sie schlägt elf Uhr, elf gespenstische türkische Stunden, die nach einer seltsamen Zeitrech­ nung ferner, fremder Gegenden dieser Welt festgelegt worden sind. Die Juden haben keine Uhr, die schlägt, und Gott allein weiß, wie spät es bei ihnen ist, wie spät nach der Zeitrechnung der Sepharden und nach derjenigen der Aschkenasen. So lebt auch noch nachts, wenn alle schlafen, der Unterschied fort, im Zählen der verlorenen Stunden dieser späten Zeit. Der Unterschied, der all diese schlafenden Menschen trennt, die im Wachen sich freuen und traurig sind, Gäste empfangen und nach vier ver­ schiedenen, untereinander uneinigen Kalendern fasten und alle ihre Wünsche und Gebete nach vier verschiedenen Liturgien zum Himmel senden. Und dieser Unterschied, der manchmal sichtbar und offen ist, manchmal unsichtbar und heimtückisch, ist immer dem Haß ähnlich, sehr oft aber mit ihm identisch. — Diesen spezifisch bosnischen Haß müßte man studieren und bekämpfen wie eine gefähr­ liche und weit verbreitete Krankheit."12

Anmerkungen

1 Ivo Andric: Sveske [deutsch: Hefte] (Sarajevo 1981), Bd. 17, S. 40 f., hier zitiert nach: Zelimir Bob Juricic: Ivo Andric u Berlinu. Prevodilac Ivo Soljan [deutsch: Ivo Andric in Berlin] 1939-1941. Übersetzer Ivo Soljan, Sarajevo 1989, S. 8 Übersetzung vom Verf. Vgl. zum folgenden neben der genannten Arbeit von Juricic; Miladin Milosevic (Bearb.): Ivo Andric. Diplomatski Spisi [deutsch: Ivo Andric. Diplomatische Akten], Belgrad 1992; Radovan Popovic: Ivo Andric. Sein Leben. Übersetzung Brigitte Simic, Belgrad 1989 ;Predrag Palavestra: Andric u Berlinu [deutsch: Andric in Berlin], in: Sveske IX (1991), H. 7, S.211-215; Andrej Mitrovic: Andric kao diplomata [deutsch: Andric als Diplomat], in: Sveske IX (1991), H. 7, S. 216-221. 2 Milosevic, S. 12. Übersetzung vom Verf. 3 Das Original der Arbeit befindet sich in der Universitätsbibliothek in Graz. Ich danke Herrn Danko Alimpic für die Hilfestellung bei der Beschaffung einer serbokroatischen Fassung: Ivo Andric: Razvoj duhovnog zivota u Bosni pod uticajem turske vladavine. (Doktorska disertacija). Preveo i preredio za Stampu Zoran Konstantinovic. Pogovor Radovan Vuckovic. Redaktor

257 DanicaSteric [deutsch:.. .(Dissertation). Übersetzt und vorbereitet für den Druck.. .Nachwort . . .Redakteur.. .],Belgrado. 1(1992/93?). Zudem liegt eine englische Ausgabe (Durham u.a. 1990) vor. 4 Die Bauwerke und Kunstdenkmäler von Berlin. Bezirk Tiergarten. Einführung von Paul Ortwin Rave. Bearbeitet von Irmgard Wirth, Berlin 1955, S. 75: die Jugoslawische Gesandtschaft in der Großadmiral-Prinz-Heinrich-Straße 17 (von 1947 an Hitzigallee) wurde bis Herbst 1940 genutzt. Seit 1938 war das Gebäude im Rahmen der nationalsozialistischen Neuplanungen Berlins zum Abriß bestimmt. Ein Neubau erfolgte auf einem durch Zusammenlegung neugeschaffenen Grundstück der Rauchstraße 17/18. Die Entwürfe zur neuen Gesandtschaft wurden, in Abstim­ mung mit Belgrad, von Werner March, dem Architekten des Olympia-Stadions, ausgeführt. Die Fassadengestaltung übernahm in Teilen der „NS-Starbildhauer" Arno Breker. Vergl.: Juricic, S. 57,113. Die Adreß- und Telefonbücher von Berlin zwischen 1938 und 1941 sowie: Auswärti­ ges Amt (Hrsg.): Verzeichnis der Mitglieder des Diplomatischen Korps in Berlin 1938/39, Berlin 1939, geben zudem Auskunft über weitere Außenstellen der jugoslawischen Vertretung in Berlin. Vergl. allerdings: Juricic, S. 68: Andric verhandelte noch im Juni 1939 über den Kauf der leerste­ henden tschechoslowakischen Botschaft als jugoslawischer Gesandtschaft mit dem Auswärtigen Amt in Berün. 5 Ivo Andric: Radjanje fasizma. Eseji [deutsch: Die Geburt des Faschismus. Essays], Belgrad 1995. 6 Milo Dor: Zum hundersten Geburtstag von Ivo Andric, in: Leb wohl Jugoslawien. Protokolle eines Zerfalls, 2. Aufl., Salzburg u. a. 1993, S. 70-76, hier: S. 75. 7 Es würde den Rahmen der Darstellung sprengen, hier die Debatte um die Denkschrift von Ivo Andric vom 30. Januar 1939 zur jugoslawischen Italien- und Albanien-Politik zu diskutieren. Verwiesen sei daher nur auf den Abdruck des Textes und die Würdigung bei: Milosevic, S. 216 ff., 362 ff.; vgl. O. A.: Aide-memoire o albanskom pitanju [deutsch: Aide-memoire über die albani­ sche Frage], in: Sveske VII (1988), H. 5, S. 191—211 mit ergänzenden Quellen; m. E. gänzlich überzogen hingegen die Wertung bei: Herwig Roggemann: Krieg und Frieden auf dem Balkan. Historische Kriegsursachen. Wirtschaftliche und soziale Kriegsfolgen. Politische und rechtliche Friedensvoraussetzungen, Berlin 1993 (= Quellen zur Rechtsvergleichung aus dem Osteuropa- Institut der Freien Universität Berlin; Bd. 30), S. 94 (beide Fundstellen mit weiteren Verweisen). 8 Vergl. z. B.: Bernd-Jürgen Wendt: Großdeutschland. Außenpolitik und Kriegsvorbereitung des Hitler-Regimes (München 1987) (— dtv; 4518). Wilhelm Deist u.a.: Ursachen und Vorausset­ zungen des Zweiten Weltkrieges (Frankfurt a. M. 1989) (= Fischer TB; 4432); Milan Ristovic: Nemacki Novi Poredaki Jugoistocna Evropa 1940/41—1944/45. Planovi o buducnosti i praksa [deutsch: die deutsche „Neuordnung" und Südosteuropa 1940/41—1944/45. Zukunftspläne und die Praxis], Belgrad 1991. 9 Milosevic, S. 37. Übersetzung vom Verf. 10 Juricic, S. 120. Das Gedicht entstand 1940. Übersetzung vom Verf. 11 Die genannten Werke erschienen im serbokroatischen Original zuerst 1945. Vergl. in deutscher Übersetzung: Ivo Andric: Wesire und Konsuln (München 1964) (= dtv; Bd. 248); Ders.: Die Brücke über die Drina. Eine Wischegrader Chronik, München, 5. Aufl. (München 1962); Ders.: Das Fräulein. Mit einem Nachwort von Silvia Bitschkowski (Berlin 1991) (= Ullstein-TB; Nr. 30 267). 12 Zitiert nach: Dor, S. 70 f. Anschrift des Verfassers: Christian Schölzel M. A., Müllerstraße 119, 13349 Berlin-Wedding

Neue Bücher in der Vereinsbibliothek Michael Balfour: Der Kaiser. Wilhelm II. und seine Zeit. Berlin: Biographie Ullstein 1996, 619 S.

Christoph Stollowsky: Geheime Orte. Verwunschene Ecken, verborgene Stätten. Berlin: Argon 1996, 128 S.

258 Michael Lachmann: Winter-Spaziergänge. Ideen für die kalte Jahreszeit. Berlin: Argon 1996, 128 S.

Uwe Kieling: Architekt-Touren I und II. Wege durch die Berliner Architektur-Landschaft. Berlin: Argon 1996, 128 S. Die Ideen und Streckenführungen sind häufig nicht gar so neu oder außergewöhnlich, doch wird in ansprechender, komprimierter Form viel Wissenswertes vermittelt und in Erinnerung gerufen. Die Anregungen machen Lust auf Gänge durch die Stadt.

Michael Winteroll: Berlin vom Wasser aus. An Havel, Spree und Dahme. Berlin: Argon 1997, 127 S. Wer auf dem Wasser unterwegs ist und gerne wissen möchte: Was ist das da um Ufer?, findet in die­ sem Buch auch gleich Antwort auf die nächste Frage: Was war das mal? Die sachlichen Erläuterun­ gen werden mit Anekdoten aus der Berliner Geschichte bereichert.

Richard Schneider: Spree Spaziergänge. Neues entdecken an alten Ufern. Berlin: Argon 1997, 108 S. Der Spaziergänger von Brücke zu Brücke liest Fakten über die angrenzenden Gebäude und Viertel und läßt sich anregen zu Gedanken über diese Stadt an diesem Fluß.

Thomas Friedrich und Harry Hampel (Fotos): Wo die Mauer war. Berlin, Nicolai 1996, 125 S. Eine wichtige und schöne Fotodokumentation wird präsentiert, die sowohl die vielschichtigen Ver­ änderungen des Stadtbildes und der Atmosphäre erfaßt, als auch zu eigenen Erkundungsgängen anregt.

Sabine Huth und Cordula Rinsche: Schlösser, Parks und Gärten in Berlin und Brandenburg. Berlin: FAB 1996, 320 S. Die Autorinnen stellen über 250 Schlösser, Parks und Gärten informativ und anschaulich vor und geben entdeckenswerte Geheimtips.

Uwe Kieling: Die Berliner Sehenswürdigkeiten. Gestern und heute. Berlin: Nicolai 1996, 79 S.

Klaus Kordon: Bei uns in Charlottenburg. Geschichte in Geschichten. Berlin: Stapp 1992, 189 S. Im lockeren Plauderton erfährt man, wie der Bezirk aus kleinen Nachbarschaften entstand und wie meist anonym zitierte Charlottenburger die Zeitgeschichte gesehen und erlebt haben. Interessant ist eine Liste nicht mehr allgemein bekannter Persönlichkeiten, nach denen Straßen des Bezirks benannt sind.

Uwe Prell, Günther Schade und Heinz Werner: Museen in Berlin und Brandenburg. Berlin FAB 1996, 334 S. Der ausführliche, dennoch handliche Führer unterteilt die Sammlungen in Technik- und Naturwis­ senschaftliche Museen, Geschichts- und Kulturhistorische Museen, Kunstmuseen und Heimatmu­ seen. Es wird die Grundkonzeption jedes Museums dargestellt, ohne Auflistung oder Beschreibung einzelner Ausstellungsstücke. Dreihundert Sammlungen finden sich in der Region Berlin-Branden­ burg, darunter weniger bekannte wie das Gaslaternen-Freilichtmuseum, das Lapidarium oder das Hundemuseum.

Wolfgang Ribbe und Jürgen Schmädeke: Kleine Berlin-Geschichte. Berlin: Stapp 1994, 335 S. Ein kompakter, aber sehr gut lesbarer Abriß der Geschichte Berlins behandelt alle wesentlichen Ereignisse und Entwicklungen der Stadt und belegt sie mit ausgesuchtem Bildmaterial.

Staatliche Museen zu Berlin (Hrsg.): Die Antikensammlung im Pergamonmuseum und in Charlot­ tenburg. Mainz: Philipp v. Zabern 1992, 315 S. Der Band bietet einen Überblick über die Vielfalt der antiken Kunstwerke im Berliner Museums­ besitz. Sämtliche Objekte werden in Farbaufnahmen präsentiert.

259 Martha Huth: Berliner Lebenswelten der zwanziger Jahre. Bilder einer untergegangenen Kultur. Frankfurt/Main: Eichborn 1996, 176 S. In einer einzigartigen Fotodokumentation großbürgerlicher Wohnräume zeigen sich schöne, sehr unterschiedliche Einrichtungen im Spannungsfeld zwischen biedermeierlicher Möblierung nach dem bürgerlichen Ideal des Klassizismus und der vom Bauhaus geprägten neuen Sachlichkeit.

Fritz Mierau (Hrsg.), Russen in Berlin. Literatur. Malerei. Theater, 1918 -1933. Leipzig: Reclam 1991.

Inka Bertz: Keine Feier ohne Meyer. Die Geschichte der Firma Hermann Meyer. (= Schriftenreihe des Berlin-Museums zur Geschichte von Handel und Gewerbe in Berlin, Bd. 2) Berlin: Berlin Museum 1990, 120 S.

Adrian v. Müller: Unter dem Pflaster Berlins. Zehntausend Jahre Geschichte in Bildern. Ein archäo­ logischer Streifzug. Berlin: Argon 1995, 125 S.

Rainer Stürmer: Freiflächenpolitik in Berlin in der Weimarer Republik. Ein Beitrag zur Sozial- und Umweltschutzpolitik einer modernen Industriestadt. (= Berlin Forschung, Bd. 25). Berlin: Arno Spitz 1991, 359 S. Die Freiflächenpolitik innerhalb der Jahre 1920 bis 1932 bestand im erfolgreichen Bemühen um die Sicherung ausgedehnter Wald- und Grünflächen und um die Freihaltung von Uferwegen in der näheren Umgebung zur individuellen Erholungsnutzung durch die Bevölkerung.

Ulrich Eckhardt und Andreas Nachama: Jüdische Orte in Berlin. Berlin: Nicolai 1996, 158 S. In 360 Haus- und Ortsbeschreibungen mit Fotografien der heutigen Situation wird die Geschichte derer lebendig erzählt, die nicht mehr da sind.

Horst Bosetzky: Der letzte Askanier. Historischer Roman. Berlin: Argon 1997, 409 S. Um die rätselhafte Rückkehr des totgeglaubten Markgrafen Waldemar im Jahre 1348, die dem spä­ teren Kaiser Karl IV recht gelegen kam, entwickelt sich eine sehr spannungsreiche Kriminalge­ schichte.

Hans Werner Klünner (Hrsg.): Berliner Plätze. Photographien von Max Missmann. Berlin: Argon 1992, 140 S.

Manfred Fricke (Hrsg.): Die Sammlungen und Kunstdenkmäler der Technischen Universität Ber­ lin. Berlin: TU 1991, 192 S.

Marianne Awerbuch und Steffi Jersch-Wenzel: Bild und Selbstbild der Juden Berlins zwischen Auf­ klärung und Romantik. (Historische Kommission zu Berlin, Bd. 25), Berlin: Colloquium 1992, 246 S.

Michael S. Cullan und Uwe Kieling: Der deutsche Reichstag. Geschichte eines Parlaments. Berlin: Argon 1992, 118 S.

Stefan Engelniederhammer: Die Reichstagsverhüllung im Dialog zwischen Politik und Kunst. Ber­ lin: Berlin Verlag Arno Spitz 1995, 208 S^

Kulturamt Weißensee und Stadtgeschichtliches Museum (Hrsg.): Juden in Weißensee. „Ich hatte einst ein schönes Vaterland". Berlin: Edition Hentrich 1994, 272 S.

Götz Aly: Macht-Geist-Wahn. Kontinuitäten deutschen Denkens. Berlin: Argon 1997, 220 S.

Laurenz Demps: Berlin Wilhelmstraße. Eine Topographie preußisch-deutscher Macht. Berlin: Ch. Links 1994, 341 S.

260 Hans-Georg Rammelt: „Berlin" auf allen Meeren. Schiffe aus drei Jahrhunderten. Berlin: Branden­ burgisches Verlagshaus 1996, 136 S.

Renate Petras: Das Cafe Bauer in Berlin. Berlin: Verlag für Bauwesen 1994, 139 S.

Wilhelm Tieke: Das Ende zwischen Oder und Elbe - der Kampf um Berlin 1945. Stuttgart: Motor­ buch Verlag 1994, 516 S.

Friedrich Leyden: Groß-Berlin. Geographie der Weltstadt. Berlin: Gebrüder Mann 1995, 230 S.

Volker Hübner: Berliner Treppen. Treppen in Wohngebäuden des 17. bis 19. Jahrhunderts. Berlin: bebra 1994, 100 S.

MeikeMaver (Hrsg.): Neubeginn. Wiederaufbau des zerstörten Berlins 1945 bis 1960. Berlin: Nico­ lai 1995, 127 S.

Kurt R. Biermann: ,Ja. man muß sich an die Jugend halten!" Alexander v. Humboldt als Förderer der forschenden Jugend. Schernfeld: Süddeutsche Hochschulverlags- und Vertriebsgesellschaft 1992, 174 S.

Gunter Lange: . Im Schatten von Ernst Reuter und Willy Brandt. Biographie. Bonn: J. H. W. Dietz 1994, 239 S.

Werner Süß (Hrsg.): Hauptstadt. Berlin. Nationale Hauptstadt, europäische Metropole (Bd. 1); Berlin im vereinten Deutschland (Bd. 2). Berlin: Berlin Verlag Arno Spitz 1995,490 S. und 623 S.

Verein Enrwicklungsgemeinschaft Alexanderplatz (Hrsg.): Alexanderplatz. Städtebaulicher Ideenwettbewerb. Berlin: Ernst Sahn Verlag für Architektur und technische Wissenschaften 1994, 245 S.

Renate Steinchen: Berlin in alten Postkarten. Berlin: Argon 1995, 63 S.

Peter Schlobinski: Berliner Wörterbuch. Der aktuelle Sprachschatz des Berliners. Berlin: Arani 1993, 200 S.

Ulrich Kubisch und Peter Schwirkmann: Technik-Denkmäler in Berlin. Berlin: Elefanten Press 1993, 185 S.

Brigitta Richter: Berliner Bier. Der Brauerei- und Kneipenführer. Ein Streifzug durch die Geschichte des Berliner Biers vom Mittelalter bis zur Gegenwart. Berlin: Elefanten Press 1993, 189 S.

WühelmTreue und WolfgangKönig(Hrsg.): Berlinische Lebensbilder-Techniker. (= Einzelveröf­ fentlichungen der Historischen Kommission zu Berlin, Bd. 60), Berlin: Colloquium 1990, 389 S.

Irmgard Wirth: Berliner Malerei im 19. Jahrhundert. Von der Zeit Friedrichs des Großen bis zum Ersten Weltkrieg. Berlin: Jobst Siedler 1990, 550 S.

Willv Brandt:, was zusammengehört..." Reden zu Deutschland. Bonn: J. H. W. Dietz 1990, 158 S.

Thomas Scheck: Denkmalpflege und Diktatur. Die Erhaltung von Bau- und Kunstdenkmälern in Schleswig-Holstein und im Deutschen Reich zur Zeit des Nationalsozialismus. Berlin: Verlag für Bauwesen 1995, 284 S.

261 Heia Zettler und Horst Mauter: Berlin in frühen Photographien 1844-1900. Berlin: Argon 1994, 104 S.

Wilhelm Ermann: Erinnerungen. (= Veröffentlichungen aus den Archiven Preußischer Kultur­ besitz, Bd. 38), Köln, Weimar, Wien: Böhlau 1994, 321 S.

Egon Eiermann: Die Kaiser-Wihelm-Gedächtnis-Kirche. Bildband. Berlin: Ernst v. Sahn 1994, 72 S.

Hans-Erich Volkmann (Hrsg.): Ende des Dritten Reiches - Ende des Zweiten Weltkriegs. Eine per­ spektivische Rückschau im Auftrag des Militärgeschichtlichen Forschungsamtes. München: Piper 1995, 914 S.

Ralf Grünewald: DerTitaniapalast 1928-1966. Berliner Kino- und Kulturgeschichte. Berlin: Edi­ tion Hentrich 1992, 191 S.

Axel Fohl: Bauten der Industrie und Technik. (= Schriftenreihe des Deutschen Nationalkomitees für Denkmalschutz, Bd. 47), 165 S.

Museum für Verkehr und Technik (Hrsg.): Der Anhalter Güterbahnhof als Museumsstraße. Vision, Plan, Gestalt. (= Schriftenreihe des M. f. V. u. T. Berlin, Bd 13), Berlin: Nicoali 1992,92 S.

Elfie Pracht: M. Kempinsky & Co. Berlin: Nicolai 1994, 179 S.

Wolfgang KU: Prenzlauer Berg. Ein Bezirk zwischen Legende und Alltag. Berlin: Nicolai 1996, 100 S.

Emil Galli: Görlitzer Bahnhof. Görlitzer Park. Berlin: Support Edition Gabler und Lutz, 144 S.

Wili Karow, Renate Egdmann und Herrmann Wagner: Berliner Berufsschul-Geschichte. Von den Ursprüngen im 18. Jahrhundert bis zur Gegenwart. Berlin: Edition Hentrich 1993, 791 S.

Numismatische Gesellschaft zu Berlin 1843-1993. Festschrift zum 150-jährigen Bestehen der Gesellschaft. Berlin 1993, 198 S.

Walter Püschel: Spaziergänge in Hohenschönhausen. (= Berlinische Reminiszenzen, Bd. 73), Ber­ lin: Haude und Spener 1995, 110 S. Horst Kammrad: Spaziergänge in Zehlendorf. (= Berlinische Reminiszenzen, Bd. 74), Berlin: Haude und Spener 1996, 109 S. Jan Feustel: Spaziergänge in Lichtenberg. (= Berlinische Reminiszenzen, Bd. 75), Berlin: Haude und Spener 1996, 119 S. Kurz vor Jahresende 1996 konnte die 1614 gegründete Verlagsbuchhandlung den 75. Band der älte­ sten und populärsten Reihe zur Berliner Stadtgeschichte veröffentlichen (Band 1 erschien 1963). Waren es in den Anfangsjahren hauptsächlich Themen der Kultur- und Alltagsgeschichte Berlins, so bestimmten in den letzten Jahren vor allem die Spaziergänge durch die einzelnen Berliner Bezirke das Programm.

Akademie der Künste (Hrsg.): ..Die Kunst hat nie ein Mensch allein besessen". Ausstellungs­ katalog zur 300-Jahr-Feier. Berlin: Henschel 1996, 694 S.

Susanne Schindler-Reinisch (Hrsg.): Berlin Central- Viehhof. Eine Stadt in der Stadt. Berlin: Auf­ bau 1996, 215 S. Das Buch schildert die Geschichte des 1881 auf Initiative Rudolf Virchows eingerichteten Schlacht­ hofs, der 1990 geschlossen wurde, um die Neubebauung unter Einbezug einiger denkmalgeschützter

262 Häuser wird seither diskutiert. Eine Ausstellung, die 1995 auf dem Gelände gezeigt wurde, bildet die Grundlage des vorliegenden Buches.

Dieter Reichelt: August Friedrich Cranz. Ein kgl. preußischer Kriegsrath als Schriftsteller von Pro­ fession. (= Berlinische Denkwürdigkeiten, Bd. 1), Bargfeld: Luttertaler Händedruck 1996, 60 S. Der Verfasser ist Mitglied unseres Vereins und hat sich große Verdienste um die Erforschung der Berliner Literaturgeschichte erworben. So zeigt auch die vorliegende Schrift über einen heute verges­ senen Autor des 18. Jahrhunderts von diesem Bemühen: Eine von der Forschung bisher kaum unter­ suchte Art von Literatur , die aufklärerischen „Volksschriften", werden vorgestellt.

Klaus Härtung: Berlin zwischen den Zeiten. Mit Fotografien der Agentur Ostkreuz. Berlin: Nicolai 1996, 107 S. Ein interessanter Bildband, der die gegenwärtige Umbruchsituation der Stadt einfängt, als Geschenk für auswärtige Freunde bestens geeignet (49,80 DM).

Birgit Jochens: Deutsche Weihnacht. Ein Familienalbum 1900-1945. Berlin: Nicolai 1996,85 S. Unser Vorstandsmitglied Birgit Jochens, Leiterin des Charlottenburger Heimatmuseums, stellt ein unbekanntes Berliner Ehepaar vor, das sich über 40 Jahre hindurch fast alljährlich vor dem Weih­ nachtsbaum fotografierte. Das Ergebnis ist ein nachdenklich stimmender und anrührender Bild­ band.

Karl-Heinz Rose: Geschichts-Punkte 1645-1995. Von Preußen zur Berliner Republik. Berlin: Edition Montecuccoli 1996, 184 S. Der Autor, Mitglied unseres Vereins und ehemaliger Direktor der Steglitzer Volkshochschule, legt sein drittes Buch zu Berliner Themen vor. In seinem neuen Buch finden sich biographische und poli­ tische Beiträge zur Geschichte Deutschlands.

Gesellschaft Hackesche Höfe e.V. (Hrsg.): Die Spandauer Vorstadt. Utopien und Realitäten zwi­ schen Scheunenviertel und Friedrichstraße. Berlin: Argon 1995, 136 S. Im Herzen des historischen Berlin liegt eines der letzten fast vollständig erhaltenen Altstadtviertel der deutschen Hauptstadt, die sogenannte Spandauer Vorstadt. In rund 20 kaleidoskopartigen Bei­ trägen erfährt der Leser Historisches, Hintergründiges und Hoffnungsvolles aus der Sicht derer, die das Sanierungsgebiet in den letzten Jahren geprägt haben.

Kurt Schilde, Rolf Scholz und Svlvia Walleczek: SA-Gefängnis Papestraße. Spuren und Zeugnisse. Berlin: Overall 1996, 237 S. Der fast vergessene Kerker wurde kürzlich identifiziert und als Zeugnis nationalsozialistischer Grausamkeit der Öffentlichkeit zugänglich gemacht. Das Buch, dessen erstgenannter Autor Mit­ glied unseres Vereins ist, dokumentiert die damaligen Ereignisse und nennt Namen der Opfer und Täter.

Stiftung Stadtmuseum Berlin (Hrsg.): Unter den Linden. Historische Fotografien mit Texten von Dieter Hildebrandt, Hans-Werner Klünner, Jost Hansen. Berlin: Nicolai 1996, 135 S. Aus Anlaß des 300. Jubiläums des Berliner Boulevards erschien eine Neuauflage dieser Publikation von 1991. Sie rekonstruiert die Linden für den Zeitraum von 1855 bis 1930 aus den Fotobeständen des Stadtmuseums. Der Name unseres stellvertretenden Vorsitzenden bürgt für die qualitätsvolle Gestaltung.

Verein Stiftung Scheunen viertel (Hrsg.): Das Scheunen viertel. Spuren eines verlorenen Berlins Ber­ lin: Haude und Spener 1994, 156 S. Dieses Buch erschien als Begleitbuch zu einer Ausstellung über das Scheunenviertel im Jahre 1994. Mit zahlreichen Fotos und Dokumenten zeichnet es das Bild eines einzigartigen Stücks Berlin nach.

Picasso und seine Zeit. Die Sammlung Berggruen. Katalog. Berlin: Nicolai 1996, 332 S.

263 Jutta v. Simsen und Sibylle Badstubner-Gröger: Berlin - Mark Brandenburg. Kunstfahrten zwi­ schen Havel, Spree und Oder. München: Süddeutscher Verlag 1991, 271 S. Von Berlin ausgehend, dessen Sehenswürdigkeiten hier nur kursorisch vorgesellt werden, führen 18 Kunstfahrten in die reizvollsten Gebiete der Mark Brandenburg.

Eckart Henning (Hrsg.): Veröffentlichungen aus dem Archiv zur Geschichte der Max-Planck-Ge­ sellschaft. Bd. 5: Glenys Gill und Dagmar Keuke: Institute im Bild. Teil I, Bauten der Kaiser-Wilhelm-Gesell­ schaft zur Förderung der Wissenschaften, Berlin 1993, 143 S. Bd. 6/I-III: Petra Hauke: Bibliographie zur Geschichte der Kaiser-Wilhelm-/Max-Planck-Gesell- schaft zur Förderung der Wissenschaften (1911 - 1994), Berlin 1994, 507 S. Bd. 7: Heinrich Parthey: Bibliometrische Profile von Instituten der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaften (1923-1943), Berlin 1995, 218 S. Dahlemer Archivgespräche, Bd. 1, Berlin 1996, 159 S.

Ulrich Müller: Herzog Albrecht von Preußen und Livland (1525 - 1534). Regesten aus dem Her­ zoglichen Briefarchiv und den Ostpreußischen Folianten (= Veröffentlichungen aus den Archiven Preußischer Kulturbesitz, 41), Köln, Weimar, Wien: Böhlau 1996, 609 S. Im Mittelpunkt stehen die politischen Verhältnisse in Livland und sein Verhältnis zu Preußen in der Frühzeit der Reformation, die Anfangsjahre des Markgrafen Wilhelm von Brandenburg-Ansbach, Bruder Herzog Albrechts von Preußen, als Koadjutor des Erzbischofs von Riga sowie die Bischofs­ fehde um Ösel. Neben dem Markgrafen erscheinen der Meister in Livland, Wolter von Plettenberg sowie die Bischöfe, deren Städte und die Stände unter der Führung Rigas. Das Werk setzt die Veröf­ fentlichung von Regesten aus dem Herzoglichen Briefarchiv Albrechts von Preußen fort.

Bernward Baule (Hrsg.): Hannah Arendt und die Berliner Republik. Fragen an das vereinigte Deutschland. Berlin: Aufbau 1996, 251 S. Persönlichkeiten aus Politik und Öffentlichkeit haben sich von Gedanken der Philosophin Hannah Arendt, die 1996 neunzig Jahre alt geworden wäre, anregen lassen, um neue Zielsetzungen für die demokratische Gesellschaft im ausgehenden 20. Jahrhundert zu entwickeln.

Julius Posener: Berlin auf dem Weg zu einer neuen Architektur: Das Zeitalter Wilhelms II. Mün­ chen, New York: Prestel 1995, 644 S. mit 758 Abb. Neuauflage des 1979 erschienenen Standardwerkes der deutschen Architekturgeschichtsschreibung von Julius Posener. Zusammengestellt von Ingeborg Vorbrodt und Dr. Jeannette Malin-Berdel

Rezensionen

Klaus-Dieter Wille, Von Ort zu Ort durchs Havelland, Berlin: Stattbuch Verlag 1996,191 S., 24,80 DM. Der Autor, Mitglied unseres Vereins und durch Vorträge zur Geschichte Berlins in unserem Kreis hervorgetreten, führt den Leser kreuz und quer durch diese ebenso schöne wie kulturhistorisch bedeutende, an der westlichen Peripherie Berlins gelegene Landschaft. Es ging ihm dabei nicht darum, eine Geschichte des Havellandes zu verfassen, sondern seine bei vielen Exkursionen gewon­ nenen Eindrücke festzuhalten. Dadurch gewinnt das Büchlein nicht nur einen Wert als Fahrtbeglei­ ter und Ratgeber, sondern dokumentiert den Zustand dieser Region wenige Jahre nach dem Ende der DDR. Sozialistische Tristesse ist aber auch in den anderen Teilen Brandenburgs noch spürbar. So wird der vorliegende Reise(ver)führer, wie der Verlag seine Produkte nennt, ein über das Havelland hinausweisendes Zeitdokument und der Versuch, die gegenwärtige Atmosphäre vor ihrem histori­ schen Hintergrund einzufangen. Mehr als 200 meist schwarzweiße Amateurfotos, die nicht zu beschönigen versuchen, zeigen die Schönheit und den Verfall dessen, was Land und Leute über Jahr-

264 hunderte hervorbrachten. Die in nachvollziehbare Spazierfahrten unterteilten Beobachtungen des Autors regen zu eigenständigen Erkundigungen und vertiefender historischer Recherche an. Erschreckend ist der strukturelle Wandel auf dem Lande rings um Berlin. Während einst intakte Bauernwirtschaften einen bescheidenen Wohlstand ermöglichten, findet die heutige Landbevölke­ rung den Weg in die Marktwirtschaft nur mit Mühe. Ein geschichtliches Bewußtsein regeneriert sich langsam. Manfred Uhlitz

Dokumente gegen Legenden. Chronik und Geschichte der Abwicklung der Mitarbeiter/innen des Instituts für Geschichtswissenschaften an der Humboldt-Universität in Berlin. Unter Mitwirkung von ehemaligen und derzeitigen Historikern der Humboldt-Universität, die auch Material aus ihrem Privatbesitz zur Verfügung stellten, herausgegeben von Ingrid Matschenz, Kurt Pätzold. Erika Schwarz, Sonja Striegnitz. Berlin: MAAS Verlag 1996, 200 S. Am 3. Oktober 1990, dem Tag „Tag der Einheit", waren im Institut für Geschichtswissenschaften der Humboldt-Universität 68 Wissenschaftler (Professoren, Dozenten und wissenschaftliche Mitar­ beiter) tätig; nach fünf Jahren hatten nur noch drei von ihnen einen unbefristeten Arbeitsvertrag, weitere 13 Mitarbeiter standen in einem bis 1996 befristeten Arbeitsverhältnis (eines davon wurde verlängert). Je ein Arbeitsvertrag läuft bis 1997, bis 1998 und bis 1999, in zwei weiteren Fällen waren Kündigungen angesagt, aber noch nicht ausgesprochen worden. Diese Zahlen sprechen für sich, besonders wenn man hinzufügt, daß manche (auch der inzwischen beendeten) befristeten Arbeits­ verträge vor dem Arbeitsgericht erstritten werden mußten, weil sich ausgesprochene Entlassungen juristisch nicht begründen ließen. Es ist also durchaus naheliegend und für eine zukünftige Erfor­ schung der durch die Vereinigung bedingten Probleme im Bereich der Wissenschaften nützlich, daß die Betroffenen sich an die Öffentlichkeit wenden und in einer Publikation Dokumente über das Vorgehen der Politik und der Universitätsleitung vorlegen. Eingeleitet wird die vorliegende Veröffentlichung durch eine Chronik der Universitäts-Ereignisse von Semesterbeginn September 1989 bis März 1994 (S. 11-52). Es folgt eine Personalliste der Pro­ fessoren und wissenschaftlichen Mitarbeiter der Sektion Geschichte 1989 (S. 53-55) mit Angaben über die jeweiligen Beziehungen zur Universität bis 1996 (die Überschrift Stand: „Studienjahr 1989/90-1996" ist irreführend, da alle seit 1990 an die Universität gelangten Wissenschaftler nicht angeführt werden, also auch keine Angaben über den aktuellen Personalbestand für das Jahr 1996 gemacht werden). Das Kernstück der Publikation bilden die thematisch nach Schwerpunkten geordneten Dokumente (Verzeichnis S. 56-60; Abdruck von 44 teils mehrteiligen Schriftstücken S. 61-169). Es handelt sich um Presseveröffentlichungen, um Mitteilungen an die Universitätsmitarbeiter, um Eingaben und Gerichtsmaterialien, die von betroffenen ehemaligen Angehörigen der Universität für die Veröffent­ lichung zur Verfügung gestellt worden sind. Auf S. 170-182 wird eine umfangreiche, beeindruk- kende Publikationsliste der erfaßten Mitarbeiter für die Jahre 1990-1994 gebracht. Im Nachsatz fin­ det sich der Hinweis: „Einige Mitarbeiter wollten ungenannt bleiben oder baten später darum, ihre Angaben in der Liste nicht erscheinen zu lassen." (S. 182). Den Abschluß bildet ein ausdrücklich als „ Diskussionsbeitrag" gekennzeichneter Aufsatz von Kurt Pätzold „ Die Geschichtsschreibung in der Deutschen Demokratischen Republik in der Restrospek- tive" (S. 183-200). Er beginnt mit einem Rückblik auf Anfänge und Entwicklung der Disziplin, die schließlich - wie die DDR als Ganzes - politisch in einer „Sackgasse" endete. Und doch „lebten geradezu" - wie Pätzold erklärt - über Jahrzehnte hinweg die Diskussionen der Historiker aus Ost und West „von der Konfrontation unterschiedlicher theoretischer und methodologischer Ansätze". Von Vertretern der DDR-Forschung waren dabei nicht „nur dogmatische Borniertheiten zu hören" (S. 190f.). Pätzold hebt als Spezifik verschiedener historischer Forschungsrichtungen hervor, „daß sich die Historiker der DDR mit Problemen, Prozessen und Ereignissen der deutschen Geschichte befaßten, die von ihren Vorgängern planvoll vernachlässigt oder ignoriert wurden" (S. 192). Und gerade das „ zählte zu den Herausforderungen, die von ihr (der historischen Forschung in der DDR - P. H.) ausgingen und grenzüberschreitend wirkten". (S. 193). In diesem Zusammenhang ist die von Pätzold zitierte Äußerung des Münchener Historikers Winfried Schulze einzuordnen, daß „die Historiographie der DDR eine Herausforderung für die Geschichtsschreiber der Bundes­ republik bedeutet habe, die Auseinandersetzungen für beide Seiten fruchtbar gewesen seien." (S. 197).

265 Manche These in dem der eigenen Vergangenheit gegenüber durchaus kritisch gehaltenen Beitrag Pätzolds wird man durchdenken müssen, aber es wird zugleich deutlich, daß die zu Beginn der neun­ ziger Jahre in den alten Bundesländern verbreitete Behauptung von einer „Wissenschaftswüste DDR" ohne reale Grundlage ist. Einige Aussagen in der vorliegenden Publikation hätten exakter formuliert werden sollen. Nicht angemerkt wird beispielsweise, daß in nicht wenigen Fällen das Ausscheiden aus der Universität durch Erreichen der Altersgrenze bedingt war (in den achtziger Jahren wurde in den entsprechenden Gremien der DDR-Führung die Überalterung der wissenschaftlichen Kader diskutiert und Vor­ schläge für notwendige Maßnahmen zur Verjüngung des Lehrkörpers an den Universitäten erarbei­ tet). In einigen Fällen haben Wissenschaftler auch die Universität verlassen, weil ihnen an anderer Stelle aussichtsreiche Arbeitsmöglichkeiten geboten wurden. Diese Fälle hätte man innerhalb der allgemeinen Angaben über die „Abwicklung*' (S. 53-55) doch kennzeichnen sollen. Bei einer allsei­ tigen Einschätzung der geschilderten Vorgänge sollte auch berücksichtigt werden, daß in Einzelfäl­ len Wissenschaftler von der Universität übernommen werden konnten, die vorher in „ abgewickel­ ten" Akademie-Instituten tätig gewesen waren. Peter Hoff mann

Klaus Hammer: Historische Friedhöfe & Grabmäler in Berlin. Berlin: Stattbuch Verlag 1994,447 Seiten, 13 Farbabbildungen und 155 Schwarzweiß-Abbildungen, Künstler- und Verstorbenenregi­ ster, alphabetisches Verzeichnis der Kirchen, Friedhöfe & Grabmäler. Das Buch von Klaus Hammer, zu dem Jürgen Nagel die Fotos lieferte, bietet erstmals einen geschlos­ senen Überblick über die Berliner Friedhöfe und Grabstätten in einem einzigen Band. Insgesamt sind 139 Begräbnisstätten verzeichnet. Hierbei spielte es keine Rolle, welcher Konfession diese angehören. So sind nicht nur die jüdischen Friedhöfe an der Heerstraße und an der Schönhauser Allee zu finden, sondern auch der mohammedanische Friedhof in Neukölln und das buddhistische Haus Edelhofdamm in Reinickendorf. Neben den Gräbern auf den Friedhöfen wurden auch die Grabmäler in verschiedenen Kirchen aufgenommen, etwa die Grablege im Berliner Dom. Ferner auch Einzelgräber, wie z. B. das Kleistgrab am Kleinen Wannsee, das Mausoleum im Schloß Charlot­ tenburg, die Grabmäler im Botanischen Garten oder die jüdischen Grabsteine in der Spandauer Zitadelle. Das Sowjetische Ehrenmal im Treptower Park oder die Gedenkstätte Deutscher Wider­ stand in der Stauffenbergstraße sind ebenfalls verzeichnet. Geordnet sind die Grabstätten bzw. Friedhöfe nach Bezirken. Als sehr hilfreich erweisen sich die Pläne, die den Texten zu den größeren Friedhöfen vorgeschaltet sind. Die hier eingetragenen Nummern werden durch Legenden ergänzt, die zu den wichtigsten Grabstätten führen. Kurze Einführungen zu den jeweiligen Friedhöfen erläu­ tern den historischen Werdegang und die Entstehungsgeschichte. In einer Art Rundgang werden anschließend die bedeutendsten Gräber genannt, sei es nun wegen der Person, die hier begraben liegt, oder wegen des künstlerischen Stellenwerts der Grabanlage. Hierbei konnte selbstverständlich nur eine Auswahl getroffen werden. Ein Glossar mit den wichtigsten kunsthistorischen Begriffen und ein Anhang mit der Deutung der verbreitetsten Symbole runden das Werk ab. Daß sich bei dem Anspruch, ca. 1700 Grabstätten zu nennen und über 300 Künstlernamen zu erwähnen, so mancher Fehler eingeschlichen hat, dürfte angesichts der Fülle des Materials als vernachlässigbar erscheinen, zumal sich der Autor dessen auch bewußt ist, wie er in seinem Nachwort bemerkt. Mit dem Buch von Klaus Hammer ist jedem, der sich für Berliner Geschichte und Kunstgeschichte interessiert, ein Kompendium an die Hand gegeben, das so manchen Spaziergang auf vielfältige Weise bereichern wird. Gisela Schlemmer

Hans Mackowsky, Häuser und Menschen im alten Berlin, mit einem Nachwort zur Neuausgabe von Hans-Werner Klünner, hrsg. vom Museumspädagogischen Dienst Berlin: Mann 1996, 190 S. „Des Kunstwerks Bestimmung für die Nachwelt ist: es soll eigentlich dartun, wie man dachte und empfand. . .". Dieser Prämisse ist Hans Mackowsky mit seinem 1923 veröffentlichten Werk gefolgt. Der 1871 in Berlin geborene Kunsthistoriker, gestorben 1938 in Potsdam, war Kustos an der Natio­ nalgalerie, hielt Vorträge an der Humboldt-Universität und veröffentlichte zahlreiche Aufsätze. Die Kunst und Kultur seiner Vaterstadt Berlin beschäftigten ihn zeitlebens. Er bewunderte das vom Konstruktiven ausgehende kraftvoll erneuerte Formgefühl in den Werken Schadows und Schinkels.

266 Dekorative Entartung und verspielte Gedankenlosigkeit wurden mit der Ästhetik klassisch-klarer Formen überwunden. Es ist das Anliegen Mackowskys, die Schönheit des alten Berlins nachzuzeich­ nen und dabei auf die Menschen und ihre Kultur Bezug zu nehmen. Er zeichnete mit sechs Schwer­ punkten (Opernhaus, Friedrichsforum, Raheis Haus, Brüderstraße 29, Palais Redern, Feilner Haus) das Stadtbild seiner Zeit nach und fügt ein Kapitel mit Menzels Impressionen an. Seine kunsthistori­ schen Betrachtungen bereichert er mit Erzählungen von Bauherren und ausführenden Künstlern sowie von Menschen und deren Schicksalen, z. B. das Opernhaus mit Blick auf das Leben am Hofe Friedrichs des Großen oder das Wohnhaus der Rahel Varnhagen in der Mauerstraße mit Skizzen aus der Berliner Gesellschaft Anfang des 19. Jahrhunderts. Eine lebendige Schilderung innerer und äußerer Begebenheiten. Das Nachwort zur Neuauflage von Hans-Werner Klünner zieht Parallelen zur Gegenwart, in der „der Umbau Berlins zum Regierungssitz angeblich unabdingbare Opfer for­ dert". Heute ist man schon mit der Erhaltung des alten Stadtgrundrisses, soweit es möglich ist, zufrieden, schreibt der Autor, denn den „Verlust von Häusern mit der Qualität und Bedeutung der von Mackowsky beschriebenen haben wir heute nicht mehr zu beklagen'", weil ohnehin von Krieg und Nachkriegsplanung zerstört. Auf die gut erhaltenen Brandruinen und deren Zerstörung nach 1945 geht Klünner in seinem aktuell ergänzenden Nachwort ein, so u. a. auf die 1949 erfolgte Sprengung des Prinz-Albrecht-Palais in der Wilhelmstraße. Der Schinkel-Forscher Johannes Sievers sah darin 1954 eine Offenbarung „ menschlichen Unverstandes" und mangelnden Gefühls für den „ Eigenbe­ sitz an unwiederbringlichen Kulturwerten". Der Gipfel des „menschlichen Unverstandes" wurde indessen in Berlin ein Jahr später mit der Sprengung der Ruine des Stadtschlosses erreicht, fügt Klün­ ner an. Er schließt mit einer Würdigung des Lebenswerkes und der eigenwilligen Persönlichkeit des Autors, der inmitten des Museumsbetriebes stets eine ungewöhnliche Figur geblieben ist - was wohl auch den Reiz seiner Schilderungen im vorliegenden Werk ausmacht. Ruth Haber

Aus den Berliner Museen

Ausstellungshalle am Kulturforum: „Die Franken - Wegbereiter Europas". In deutsch-französi­ scher Zusammenarbeit entstand die Ausstellung über die Entstehungs- und Blütezeit des Franken­ reiches unter den Merowingern. Das Königsgeschlecht der salischen Franken lebte im 4. Jahrhundert im Bereich der heutigen Niederlande und breitete sich mit seinen Stammesangehörigen in der Völ­ kerwanderungszeit nach Süden hin in Europa aus. Mit den Königen Chlodio (um 425 regierend) und Merowech (um 455 regierend) erschien das Herrschergeschlecht zum ersten Mal. Nach Beseitigung der römischen Herrschaft in Gallien und der Kleinstaaterei erreichten die Franken die Alleinherr­ schaft zwischen Atlantik und Bayrischem Wald. Mit der Absetzung des letzten Fürsten Childerich III. 751 durch Pippin d. J. endete die Herrschaft der Merowinger und begann der Aufstieg der Karo­ linger. Die Ausstellung zeigt sowohl einen historischen Überblick als auch Einblicke in die Struktur dieses einzigartigen Herrschaftsgebietes. Die machtvolle, integrative Kraft des katholischen Glaubens und seiner Kirche zeigte ihre Wirkung seit der Bekehrung Chlodwigs I. (482-511) in politischer und künstlerischer Hinsicht. So spiegelt die merowingische Kunst die ethnische Auseinandersetzung zwi­ schen heidnisch-germanischer und christlich-römischer Kultur wider. Einerseits adaptierten die Franken den Formenschatz der christlichen Antike, andererseits überformten sie mit ihrer Vorliebe für Ornamente und Farbigkeit die fremden Vorbilder. Kreuze und Runen wurden bei Schmuck- und Gebrauchsgegenständen lange Zeit nebeneinander als Dekore verwandt, wie vor allem die Grab­ funde belegen. Die Lebensverhältnisse der städtischen Bevölkerung werden durch archäologische Aufnahmen aus Trier, Köln und Paris, die Schriftkultur durch fränkische Handschriften dokumen­ tiert. Materielle Funde des Alltagslebens zeigen, daß durch ein weitgespanntes Handels- und Ver­ waltungsnetz ein recht einheitlicher Stil im gesamten Frankenreich anzutreffen war: Der Warenaus­ tausch funktionierte sehr gut. Dazu werden auch die Erzeugnisse von Glasbläsern, Schmieden, Töp­ fern und Schnitzern gezeigt. Glanzpunkte der Ausstellung bilden Teile der Grabausstattung des

267 ersten namentlich bekannten Königs Childerich L, der Schmuck der Königin Arnegunde und aus den Königsgräbern in St. Denis, die Fürstengräber aus dem Kölner Dom und den Rheinlanden. 18. Juli bis 26. Oktober. Kulturforum, Matthäikirchplatz, Di. bis Fr. 9 bis 17 Uhr, Sa. u. So. 10 bis 17 Uhr. GK

Das verborgene Museum: „Das Geheimnis der blauen Balken. Die Malerin Ilse von Heyden-Lin- den." Das verborgene Museum stellt das weitgehend unbekannt gebliebene Werk der deutschen Impressionistin Heyden-Linden (1883-1949) vor. Arbeiten, die sich vor denen großer Künstlerkol­ legen nicht verstecken dürfen! Über den Kunsthandel gelangte ein Teil ihres Werkes nach Auflösung des Nachlasses 1992 in die Sammlung der Stiftung Pommern, Kiel. Daraufhin wurden Leben und Werk der Unbekannten erforscht und „ wiederentdeckt" und in drei Stationen einer Ausstellung der Öffentlichkeit übergeben. Landschaften der Heimat um Demmin in Pommern, Impressionen und Beobachtungen aus Berlin, deutschen Kleinstädten und wenige Bildnisse gilt es zu entdecken. Ein­ zigartig ist die Verwendung der immer wiederkehrenden, leuchtenden Blauvariationen, hin zum Grün, weiß gebrochen, hell und dunkel. Da sich viele Bilder in Privatbesitz befinden, lohnt ein Besuch in den verbleibenden Tagen allemal, um wenigstens einen Eindruck der anmutigen Blautöne, aber auch der kühleren Bilder späterer Jahre in sich aufzunehmen. Schlüterstraße 70. Di. bis Fr. 13 bis 19 Uhr. Sa. u. So. 12 bis 16 Uhr. GK

Deutsches Historisches Museum: „aufbau west aufbau ost. Die Planstädte Wolfsburg und Eisen­ hüttenstadt in der Nachkriegszeit." Einsichten in Reißbrettstädte und Menschenbilder in West und Ost will die Ausstellung vermitteln. Am Beispiel der niedersächsischen Stadt Wolfsburg und der brandenburgischen Stadt Eisenhüttenstadt wird die Gründung und Fortentwicklung deutscher Modellstädte unter ihren unterschiedlichen gesellschaftspolitischen Aspekten aufgezeigt. Bis 12. August. Unter den Linden 2. Do. bis Di. 10 bis 18 Uhr. GK

Deutsches Historisches Museum: „Boheme und Diktatur in der DDR: Quartiere, Gruppen und Konflikte." Entstehung, Infrastruktur und Wirkung einer kulturellen Gegenkultur in der DDR von 1970 bis 1989 mit Fotografien, Mail Art, Filmen, Comics und Dokumenten des Ministeriums für Staatssicherheit. Bis 16. September. GK

Deutsches Technikmuseum: Am 14.Mai des Jahres eröffnete das Deutsche Technikmuseum das AEG-Archiv. Damit ist eines der fünf größten Wirtschaftsarchive Deutschlands an seinen Ursprungsort zurückgekehrt und wird künftig unter der Obhut des Leiters des Historischen Archivs im DTM, Jörg Schmalfuß, der Öffentlichkeit zugänglich sein. Mit Unterstützung der AEG bzw. EHG und der Deutschen Klassenlotterie konnte das Archiv übernommen und erschlossen werden. Es befindet sich bis zur Fertigstellung des Erweiterungsbaus im Jahr 2000 im Postpakethof neben dem Technikmuseum. Das AEG-Archiv und -Museum umfaßt Akten, ein Photo- und Filmarchiv und Produkte der AEG von 1883 bis zur Gegenwart und die Sammlung derTelefunken-Produktion von etwa 1910 bis zur Gegenwart. Verträge, Vorstandsprotokolle, Patentschriften, Bücher und Zeit­ schriften, Beispiele aus der Energie- und Beleuchtungstechnik inklusive wissenschaftlicher Berichte, Prospekte und Unterlagen aus über 100 Jahren Firmengeschichte stehen nun Forschern und Interes­ sierten in Berlin zur Verfügung. Trebbiner Straße 9. Archiv: Di. u. Do. nach tel. Vereinbarung. Museum: Di. bis Fr. 9 bis 17.30 Uhr, Sa. u. So. 10 bis 18 Uhr. GK

Georg-Kolbe-Museum: „Hundert Jahre Bildgießerei Noack." Bis 31. August. Sensburger Allee 25. Di. bis So. 9 bis 17 Uhr. GK

Heimatmuseum Hohenschönhausen: „Wartenberg im Rampenlicht - Bitterfelder Wege übers Land." Bis 30. November. Lindenweg 7. Di. u. Do. 9 bis 12 u. 14 bis 17 Uhr, So. 11 bis 16 Uhr. GK

Heimatgeschichtliche Sammlung Lichtenberg: „Fabrikstadt Lichtenberg." Bis 31.März 1998. Parkaue 4. Di. u. Do. 11 bis 18 Uhr, Mi. 13 bis 19 Uhr, So. 13 bis 18 Uhr. GK

268 Heimatmuseum Neukölln: „Kringeldreher und Strampelbrüder. Radfahren in Rixdorf und Neu­ kölln." Um die Jahrhundertwende wurde der Radsport in Neukölln durch die Gründung vieler Ver­ eine zum Volkssport. Der „Arbeitersportverein Solidarität", der „Damen Radfahrclub Rixdorf" und andere zeugen von der Begeisterung für diese Bewegungsform, die nun in einer Ausstellung dokumentiert wird. Fahrradtouren und ein künstlerisches Begleitprogramm runden die Schau ab. Bis 31. August. Ganghoferstraße 3-5. Mi. 12 bis 20 Uhr, Do. bis So. 11 bis 17 Uhr. GK

Heimatmuseum Zehlendorf: „ Zehlendorfer Bauplanung zur J ahrtausendwende." Bis 31. Oktober. Clayallee 355. Mo. Do. 16 bis 19 Uhr. GK

Jagdschloß Grunewald: „Des Menschen bester Freund - Hundehalsbänder aus vier Jahrhunder­ ten." Die Ausstellung präsentiert die Sammlung von Geoffrey P. Jenkinson aus Guernsey. Bis 12. Oktober. Di. bis So. 10 bis 13 Uhr u. 13.30 bis 17 Uhr. GK

Kunstgewerbemuseum Tiergarten: „ Papiermache und Marmorstuck - Von kunstvollen Werkstof­ fen und ihren Rezepturen." Die Erfindung künstlicher Werkstoffe hat zugleich pragmatische wie auch künstlerische Ursprünge. Mit Stuck kopierte man im Barock und Rokoko Marmor, wovon ins­ besondere die Wandverkleidungen der Berliner und Potsdamer Schlösser reizvolle Beispiele geben. In der Ausstellung werden in mehreren Abteilungen Objekte aus künstlichem Werkstoff, die dazuge­ hörigen Rezepturen, die Herstellung und Verarbeitung der verschiedenen Substanzen erläutert. „Marble-Crement", wie er im Niobiden-Saal des Neuen Museums auf der Museumsinsel verwandt wurde, eine Büste aus „ Ludwigsluster Carton" und Lackarbeiten aus Braunschweig und England werden vorgestellt. Aus Papiermache (Cartapesta) wurden im Mittelalter und in der Renaissance zumeist Reliefs mit religiösen Darstellungen angefertigt. Im 17. Jahrhundert stellte man in Italien Karnevalsmasken aus diesem Material her. Auch die Scagliola-Technik wird gezeigt und gleichzeitig die dazugehörige Neuerwerbung des Kunstgewerbemuseums präsentiert. Scagliola besteht aus einer Gipsmasse, mit der die Pietra-Dura-Technik (Steinschnitt) imitiert wurde. Zwei Volutenkratere aus der Werkstatt der Gebr. Catel, Berlin, stammen aus dem Etrurischen Kabinett Friedrich Wilhelms II. im Stadtschloß Potsdam. Ähnliche Stücke, ebenfalls aus der Werkstatt Catel, standen bis zu ihrer Kriegszerstörung im Schinkel-Pavillon. Ein Paravent aus friderizianischer Zeit ist mit Vögeln und Rocaillen aus Papiermache verziert. Er stammt aus dem Besitz der Prinzessin Marianne von Preußen und befindet sich heute in Privatbesitz. Bis 31. August. Matthäikirchstraße 10. Di. bis Fr. 9 bis 17 Uhr, Sa. u. So. 10 bis 17 Uhr. GK

Museum für Vor- und Frühgeschichte Schloß Charlottenburg: „ Gaben an die Götter. Schätze der Bronzezeit." Eine Ausstellung der Freien Universität Berlin in Verbindung mit dem Museum für Vor- und Frühgeschichte im Rahmen der Kampagne des Europarates: Archäologisches Erbe: „ Die Bronzezeit - Das erste goldene Zeitalter Europas." Etwa 100 Hortfunde der Bronzezeit aus dem Berliner Museum, ergänzt durch einige Leihgaben aus Polen und Slowenien sowie anderen deut­ schen Museen, sollen die Zeit von 2300-800 v. Chr. dokumentieren. Gold und Bronze kennzeich­ nen diese Epoche, da sich Herstellung und Verarbeitung von Metall durchsetzten. Hortfunde sind keine Grabfunde. Sie werden statt dessen als der Abschluß kultischer Handlungen, als Opfer gedeu­ tet. Bis Februar 1998. Schloß Charlottenburg, Langhansbau. Di. bis Fr. 9 bis 17 Uhr, Sa. u. So. 10 bis 17 Uhr. GK

Museum Mitte von Berlin: „Berliner Straßenmöbel." Bis Anfang 1998. Palais am Festungsgraben. Mo. bis Do. 10 bis 12 u. 13 bis 17 Uhr, So. 13 bis 18 Uhr. GK

Print Box Galerie: „Vom Weltraum aus gesehen ist die Erde blau. Berliner Stadtporträts 1993- 1997." Die Galerie engagiert sich für die Arbeiten junger Berliner Photographen und Photographin- nen. In dieser dritten Ausstellung zeigt sie Photographien von Jörg Dedering, Stadtserien, die aus verschiedenen Blickwinkeln und unter verschiedenen Aspekten das Erscheinungsbild Berlins beleuchten. Eröffnung 18. Juli um 19 Uhr. 21. Juli bis 22. August. Zimmerstraße 11. Mo. bis Fr. 13 bis 19 Uhr.

269 Puppentheater-Museum Berlin: „Prinzen, Drachen, Königstöchter." Bis 15. August. Karl-Marx- Straße 135. Mo. bis Fr. 9 bis 17 Uhr, Sa. u. So. 10 bis 17 Uhr. GK

PYRAMIDE - Ausstellungszentrum Hellersdorf: „ Dorf in der Stadt - Kaulsdorf 1997." Sonder­ ausstellung zum 650. Geburtstag von Kaulsdorf. Jenaer Straße 11. Mi. bis So. 14 bis 18 Uhr. GK

Schloß Charlottenburg: „Die Königliche Porzellanmanufaktur in der Ära Friedrich Wilhelms II." 20. Juli bis 12,Oktober 1997. Di. bis Fr. 9 bis 17 Uhr, Sa. u. So. 10 bis 17 Uhr. GK

Schulmuseum Berlin: „ Denkmal für die ermordeten Juden Europas." Projektergebnisse der There- sienschule Berlin-Weißensee. Bis 1. September. Wallstraße 32. Di. bis Fr. 9 bis 17 Uhr. GK

Martin-Gropius-Bau:,. Deutschlandbilder - Kunst aus einem geteilten Land." Ausstellung der Ber­ liner Festspiele in Zusammenarbeit mit dem Museumspädagogischen Dienst Berlin. Gemälde, Objekte und Installationen von deutschen Künstlern aus der Zeit von 1933 bis 1997 sollen die Kunst­ entwicklung in der Bundesrepublik und in der DDR vor dem Hintergrund ihrer gemeinsamen Ver­ gangenheit beleuchten. Es wird ein Bogen gespannt von Künstlern im Exil über den künstlerischen Aufbruch in den 60er Jahren bis in die unmittelbare Gegenwart und unserem Umgang mit Vergan­ genheit, Schuld und Sühne. 7. September 1997 bis 11. Januar 1998. Stresemannstraße 110. Di. bis So. 10 bis 20 Uhr. GK

Aus den Potsdamer Schlössern

Marmorpalais und Orangerie. Neuer Garten in Potsdam: „Friedrich Wilhelm II. und die Künste. Preußens Weg zum Klassizismus." Der 200. Todestag Friedrich Wilhelms II. und die Wiedereröff­ nung des Marmorpalais nach Jahren der Restaurierung und Rekonstruktion geben Anlaß für diese Ausstellung. Südflügel und Hauptbau des Marmorpalais sowie die Gotische Bibliothek im Außen­ bau samt rekonstruierter Gartenpartie werden wieder zugänglich sein. 20. Juli bis 14. September 1997. Marmorpalais und Orangerie sind während der Ausstellung täglich geöffnet von 10 bis 18 Uhr, Mi. bis 20 Uhr. Vgl. auch Veranstaltungsprogramm (27. August 1997). GK

Römische Bäder: „Hedwig Bollhagen, Keramik - Ingeborg Voss, Graphik." Ausstellung zum 90. Geburtstag der Keramikerin Hedwig Bollhagen und zum 75. Geburtstag der Graphikerin Inge­ borg Voss. Bollhagen lernte 1925 an der Staatlichen keramischen Fachschule Höhr-Grenzhausen und studierte einige Semester Kunst in Kassel. 1927 wurde sie in den Steingut-Fabriken Velten-Vordamm ange­ stellt, die sie 1931 wegen Konkurs der Firma verlassen mußte. 1934 kaufte sie die Hael-Werkstätten für künstlerische Keramik in Marwitz, wurde „volkseigen" und „abgewickelt" und leitet seit 1993 die HB-Werkstätten für Keramik GmbH als künstlerische Direktorin und Mehrheitseigentümerin. Ihre Arbeiten formt Bollhagen entsprechend der Bauhaus-Idee, obwohl sie die Bauhaus-Werkstatt nie besuchte. Funktionalität und ein der Form untergeordnetes Dekor sprechen seit Jahrzehnten zahlreiche Sammler und auch Museen an. Voss studierte Graphik in Hamburg und Berlin. In den Jahren 1952 bis 1959 war sie als Theater- zeichnerin am Deutschen Theater Berlin tätig. Seit 1960 entstanden ihre Federzeichnungen in frei­ schaffender Tätigkeit für die Berliner Theater im Ostteil der Stadt. Skizzen der Premierenaufführun­ gen erschienen in den Tageszeitungen. Darüber hinaus zeichnete Voss malerische Stadt- und Land­ schaftsansichten. 3. August bis 12. Oktober. Schloßpark Sanssouci. Fr. bis Mi. 10 bis 12.30 u. 13 bis 17 Uhr. GK

Schloß Orangerie: „ Material und Möglichkeit. Zinkguß im 19. Jahrhundert in Potsdam." Die heu­ tige Verwendung von Zink ist in der Regel rein praktischer Natur. Das leicht walzbare Material wird für Bleche, Rohre und Drähte verarbeitet. Als Material für künstlerischen Guß wurde es in Preußen für Bildwerke und Bauornamente verwendet. Der Berliner Metallgießermeister Moritz Geiß präsen­ tierte 1831 dem Architekten Karl Friedrich Schinkel die ersten Zinkgußstücke. Das wandlungsfä­ hige Material wurde erfolgreich als Ersatz und Kopie vor allem für Edelmetalle, aber auch für Mar-

270 mor und Sandstein benutzt. Die Ausstellung führt beispielhaft in die Technik des Zinkgusses ein und stellt die Potsdamer Zinkgießerei Kahle dokumentarisch vor. Eröffnung 21. Juni 15 Uhr. Bis 17. August. Schloßpark Sanssouci. Fr. bis Mi. 10 bis 12.30 Uhr u. 13 bis 17 Uhr. GK

Bericht über die Studienfahrt des Vereins für die Geschichte Berlins, gegr. 1865, vom 13. bis 15. September 1996 nach Rostock

Der Verein für die die Geschichte Berlins, gegr. 1865, unternahm vom 13. bis 15. September 1996 die noch von Dr. Hans Günter Schultze-Berndt vorgedachte und weitgehend geplante Studienfahrt nach Rostock, die dritte in die neuen Bundesländer nach der Wende. Seines unerwarteten Todes wegen war manches Erleben noch schmerzlich, aber das tatkräftige Einspringen und das umsichtige Sich-Einsetzen von Dr. Manfred Uhlitz hat vieles wettgemacht und viel Freude an Menschen und Dingen aufkommen lassen; wir sind wie immer reich an Eindrücken und neuen Erkenntnissen heim­ gekommen und haben neue Freunde und Mitglieder gewonnen, müssen andere, ältere Mitglieder, die sich aufgrund ihrer Hinfälligkeit eine solche Studienfahrt nicht mehr zutrauen, mit großem Bedauern vermissen. Das Thema Hanse-Tradition in Kunst und Wirtschaft stand im Mittelpunkt. Wir sind einer Stadt und Region begegnet, die stärker als gewohnt mit den Problemen des Strukturwandels durch die Wieder­ vereinigung konfrontiert ist. Vor allem die Hafen-Besichtigung hat dies deutlich gemacht und uns eingestimmt darauf, daß sich diese Fragen durch alle Lebensäußerungen des modernen Rostock hin­ durchziehen. Es schlug sich aber auch im Stadtbild nieder, was die Stadtführung allenthalben ver­ deutlichte. Der spätsommerliche Termin erwies sich - wie immer - als förderlich, so führte uns der Bus durch die schöne mecklenburgische Landschaft mit einem Zwischenstop in Malchin, wo unser Reiseleiter für eine Kaffeepause mit hübschem Seeblick gesorgt hatte. Das Städtchen, das wir durchfuhren, hatte etwas von der Betulichkeit und Gediegenheit barlachscher Prägung. Der erste Tag hatte einen Schwerpunkt in der Hafen-Führung, beeindruckend in ihren Werft- und Fähranlagen. Es gab sehr detaillierte Auskünfte über die Umstrukturierung der Werften vom Schiffsneubau auf die Ausrüstung bestehender Schiffe mit modernster Technik. Kriegszerstörungen bei Industrie (Flugzeugbau) und Hafen, im Stadtbild und bei der Bevölkerungsentwicklung, dann forcierter Ausbau in DDR-Zeiten haben der Stadt höchst schwierige Probleme gebracht, die man aber nun zu lösen glaubt. Der zweite Schwerpunkt war der Vortrag von Helmut Aude, einem stark und eigenwillig engagierten Stadthistoriker, der aufgrund reichen historischen Bildmaterials das Bild der großartigen Hansestadt Rostock zeichnete. Der zweite Tag galt mit Stadtführung und Besuch des Kulthistorischen Museums dem historischen Stadtkern und seinen architektonischen Kostbarkeiten aus Gotik, Barock und Klassizismus; auch der Plattenbau aus DDR-Zeit erwies sich als durchaus qualitätsvoll. Auch die Begegnung zwischen Führenden und Geführten war wie stets höchst anregend und aufgeschlossen. Diesmal stand das spätmittelalterliche Bürgertum mit seinen Kirchen und Handelshäusern im Vordergrund - auch dies, so wie die Universität -, bis heute ein wirtschaftlicher und gesellschaftlicher Mittelpunkt der Stadt. Bei zwar kühlem Wind, aber bei Sonnenschein verlief die angekündigte Kutterfahrt entlang der War- now aus Mißverständnissen wohl etwas anders als gedacht, sie zeigte aber die interessante Stadtsil­ houette von See her und ließ etwas von dem biedermeierlichen Behagen des Seebades Warnemünde aufkommen. Den Abschluß des Tages bildete ein Konzert im Stadttheater. Der dritte Tag, der Sonntag, bot sehr schönes Bäder- und Strandvergnügen bei kräftigem Seegang und frischem Wind. Über die Bäderstraße durch mecklenburgische Landschaft ging es ins hübsche Heiligendamm, das schon wieder etwas von der alten Eleganz hatte. Die Schmalspurbahn brachte uns zum Entzücken aller Eisenbahnfreunde nach Kühlungsborn, wo im Hotel Arendsee das Mittag­ essen auf uns wartete. Danach ging es mit unserem Bus weiter nach Bad Doberan. Die Führung durch das Juwel zisterziensischer Baukunst des Münsters war ein schöner Abschluß. Nach kurzer Kaffee­ pause ging es heim nach Berlin durch den leicht herbstlichen Nachmittag. Christiane Knop

271 Mitgliederversammlung am 14. Mai 1997

Wie bereits in den vergangenen Jahren fand auch diesmal die Ordentliche Mitgliederversammlung wieder im Berliner Rathaus statt. Der Vorsitzende, Senator und Bürgermeister von Berlin a.D. Hermann Oxfort, begrüßte die 51 erschienenen Mitglieder und eröffnete die Sitzung. Bei der Ehrung der seit der letzten Mitgliederver­ sammlung verstorbenen Vereinsmitglieder wies er insbesondere auf Professor Dr. Margarete Kühn hin, die sich mit dem Wiederaufbau des Schlosses Charlottenburg selbst ein „ Denkmal" gesetzt habe und vom Verein mit der Verleihung der Fidicin-Medaille geehrt wurde. Herr Oxfort dankte den Mitgliedern, die sich zu Ehren der Toten von ihren Plätzen erhoben hatten, und wandte sich anschließend der Tagesordnung zu. Da der Tätigkeitsbericht des Schriftführers in vervielfältigter Form vorlag, konnte auf einen mündlichen Bericht verzichtet werden. Im Nachgang zum Tätigkeitsbericht wies der Vorsitzende auf die künftige Heimstatt des Vereins hin. Nach Aufkündigung der früheren Unterkunft im Rathaus Charlottenburg und Verhandlungen mit dem Senat von Berlin erfolgte die Zusage, dem Verein in den 90er Jahren im Erweiterungsbau des Berlin-Museums Räume zur Verfügung zu stellen. In der Zwischenzeit konnte Quartier bei der Ber­ liner Sparkasse bezogen werden, wobei großzügige Spenden des vorgenannten Instituts dieses ermöglichten. Daß nunmehr die uns zugesagten Räume in der Lindenstraße für uns nicht mehr ver­ fügbar sind, sehen wir als glatten Bruch der Vereinbarungen an. Gottlob hat uns die Stiftung Zentral- und Landesbibliothek im Bereich Marstall/Ribbeckhaus geeig­ nete Räume angeboten, in bekanntlich zentraler Lage. Der Vertrag ist am heutigen Tag unterzeichnet worden, der Umzug soll voraussichtlich Ende September d. J. erfolgen. Nach dem Dank des Vorsitzenden an alle Vorstandsmitglieder für die geleistete Arbeit erstattete der Schatzmeister Karl-Heinz Kretschmer seinen Kassenbericht, der den Jahresabschluß 1996 und den Voranschlag für das laufende Jahr beinhaltete. Er machte ferner Aussagen über die anstehende Finanzierung des bevorstehenden Bibliotheksumzuges. Der anschließende Bibliotheksbericht von Karlheinz Grave zeigte auf, daß durch die Einarbeitung der Schenkung des Mitgliedes Kluge sich der Buchbestand auf 16 383 Titel erhöht hat. Im Zusammenhang mit der Betreuung von 163 Biblio­ theksgästen galt der besondere Dank den Damen Haim und Hentschel sowie den Herren Doege, Mende und Siewert für ihr erbrachtes Engagement. Herr Grave wies ferner daraufhin, daß der geplante Bibliotheksumzug freiwillige Helfer erforderlich macht und bat interessierte Mitglieder um entsprechende Meldungen. Anstelle des verstorbenen Herrn Fußangel übernahm Frau Monika Förster kommissarisch die Buch­ prüfung. Für sie und Herrn Degenhardt bestätigte Letztgenannter die ordnungsgemäße Buchfüh­ rung. Für die Bibliotheksprüfer Dr. Erika Schachinger und Manfred Funke berichtete dieser, daß die anfallenden Arbeiten stets mit Sachkenntnis und großem Engagement durchgeführt wur­ den. Der Vorsitzende dankte allen ehrenamtlich Tätigen für ihren Einsatz zum Wohle des Ver­ eins. Herr Klünner wies unter dem Stichwort Bibliotheksumzug noch darauf hin, daß bedingt durch die Räumlichkeiten zwei weitere Mitarbeiter für die Bibliothek benötigt würden; der Vorsitzende stellte noch einmal klar, daß der Vertragsabschluß endgültig sei, die Bestände getrennt geführt werden und der Vertrag nur aus „wichtigem Grund" gekündigt werden könne. Nachfolgend erfolgte die Entlastung des Vorstandes und im Anschluß daran die einstimmige Neu­ wahl in aufgeführter Zusammensetzung:

Vorsitzender Rechtsanwalt und Notar Hermann Oxfort Erster Stellv. Vorsitzender Hans-Werner Klünner Zweiter Stellv. Vorsitzender Dr. Manfred Uhlitz Schriftführer Joachim Strünken Stellv. Schriftführer Dr. Jürgen Wetzel Schatzmeister Karl-Heinz Kretschmer Stellv. Schatzmeister Prof. Dr. Sibylle Einholz

272 Beisitzer Karlheinz Grave Wolf gang Holtz Birgit Jochens Dr. Christiane Knop Dr. Gerhild Komander Dr. Winfried Löschburg Ingeborg Schröter Hans-Wolfgang Treppe.

Die Wahl der Kassenprüfer und Bibliotheksprüfer erfolgte einstimmig in altbekannter Besetzung. Herr Oxfort gratulierte allen zur Wahl und sprach die Hoffnung auf weitere gute Zusammenarbeit innerhalb des Gremiums und mit den Mitgliedern aus. Nachdem aus Mitgliedskreisen nochmals die Einziehung der Mitgliedsbeiträge mittels Einzugser­ mächtigung angemahnt und eine erneute Überprüfung durch den Schatzmeister angekündigt wurde, schloß der Vorsitzende den offiziellen Teil der Veranstaltung. Hans-Werner Klünner hielt anschließend einen mit viel Beifall aufgenommenen Lichtbildervortrag mit Dias von Titzenthaler über das Berlin der Jahrhundertwende rund um das Berliner Rathaus. Joachim Strunkeit

Umzug unserer Vereinsbibliothek

Wie auf der letzten Jahreshauptversammlung bekanntgegeben wurde, wird unsere Vereinsbibliothek im September neue Räume im Gebäude der Berliner Stadtbibliothek beziehen. Unsere Adresse ist dann:

Breite Straße 32-36,10178 Berlin-Mitte.

Wir bedanken uns bei der Berliner Sparkasse für die großzügige und langjährige Aufnahme in ihrem Gebäude in der Berliner Straße. Die Berliner Sparkasse, heute eine Abteilung der LandesBank Berlin, hat in einer schwierigen Über­ gangszeit geholfen und sich damit große Verdienste um den Verein für die Geschichte Berlins, gegr. 1865, erworben. Die neuen Räume befinden sich im genannten Gebäude in der 2. Etage direkt über der Bibliothek der Landesgeschichtlichen Vereinigung für die Mark Bran­ denburg e.V. Wir freuen uns über die Nachbarschaft zu unserem „ Schwester-Ver­ ein" und auf eine fruchtbare Zusammenarbeit mit der Berliner Stadtbibliothek! Für einen reibungslosen Umzug benötigen wir dringend Helfer aus dem Mitglie­ derkreis. Bitte melden Sie sich bei unserem Bibliotheksleiter Karlheinz Grave, Telefon 8 54 62 60. U.

273 Studienfahrt des Vereins für die Geschichte Berlins, gegr. 1865, nach München vom 11. bis 14. September 1997. Für unsere diesjährige Studienfahrt in die bayerische Metropole sind noch Plätze frei. Interessenten melden sich bitte bei unserem Organisator Dr. Volkmar Goslich, Borg- grevestraße 10,13403 Berlin, Telefon (0 30) 4 96 22 52. Anmeldungen sind nur noch bis zum 20. Juli 1997 möglich. Das Programm der Studienfahrt wurde im letzten Heft unserer „Mitteilungen" veröffentlicht.

Mitteilung des Schatzmeisters Alljährlich müssen nahezu 200 Mitglieder daran erinnert werden, Ihren Jahresbeitrag zu entrichten. Bitte ersparen Sie die damit verbundene Arbeit und die Portokosten, indem Sie überprüfen, ob Sie versehentlich zu den säumigen Zahlern gehören. Bitte überprüfen Sie gleichfalls, ob Sie auch den nach einem Mitgliederbeschluß auf 80 DM (Ehepaare 120 DM) erhöhten neuen Mindestbeitrag überwiesen haben. Die Konten des Vereins sind auf der Rückseite dieses Heftes genannt. Karl-Heinz Kretschmer Mitteilung der Redaktion Beiliegend erhalten Sie das Inhaltsverzeichnis der „ Mitteilungen" von 1992 bis 1995. Es besteht die Möglichkeit, diese Jahrgänge preiswert binden zu lassen, wenn man die entsprechenden Hefte und das Inhaltsverzeichnis bis zum 7. August 1997 in der Bibliothek, Berliner Straße 40, abgibt und 37 DM bezahlt. Fehlende Hefte können in der Bibliothek erworben werden. U.

Aus dem Mitgliederkreis Auf der Vertreterversammlung des DEUTSCHEN HEIMATBUNDES am 24. Mai 1997 wurde unser Vorstandsmitglied Dr. Manfred Uhlitz in das Präsidium des Deutschen Heimatbundes gewählt. Ertritt dabei die Nachfolge unseres verstorbenen Schriftführers Dr. Hans Günter Schultze-Berndtan.

Wir begrüßen folgende neue Vereinsmitglieder (11/97):

Arp, Carl-Ernst, Ind.-Kaufmann Pagel, Monika Arp, Ingeborg, Hausfrau Pagel, Wolfgang, Pensionär Dessauer Straße 11, Steinäckerstraße 29 10963 Berlin-Kreuzberg 12205 Berlin-Lichterfelde Tel. 2614109 (H. Fischer) Tel. 81119 77 Hennemann, Dr. Gisela Obst, Peter, AEG-Chronist Schwanenstraße 2 d Brandtstraße 6c 68259 Mannheim 13467 Berlin-Hermsdorf Kolitsch, Rainer, Historiker Tel. 404 5093 Robert-Koch-Straße 9 Walther, Rosita, Hausfrau 16341 Zepernick Cauerstraße 2 Tel. 944 27 91 10587 Berlin-Charlottenburg Massalski, Hannelore, Hausfrau Tel. 3 412210 Massalski, Werner, Ingenieur Heilbronner Straße 9 10779 Berlin-Schöneberg Tel. 218 25 45 (Dr. M. Uhlitz)

274 Veranstaltungen im III. Quartal 1997

21. Mittwoch, 9. Juli 1997, lObis 11 Uhr: Rührung in der Bildergalerie von Sanssouci" mit einem Mitarbeiter der Stiftung Preußische Schlösser und Gärten. Eintritt: 8 DM pro Person. Treff: Kasse Bildergalerie. 22. Sonnabend, 12. Juli 1997, 14 Uhr: ,X)ie Geschichte der Sammlungen der Gemäldega­ lerie". Museumsführung mit Silke Hellmuth M. A., Kunsthistorikerin. Eintritt in das Museum: 4 DM pro Person. Treff: Kasse der Gemäldegalerie, Arnimallee, Berlin-Dah­ lem. U-Bahn Dahlem Dorf, Bus 110, 183. 23. Sonnabend, 19. Juli 1997, 15 Uhr: „Besichtigung der Orgel- und Harmoniumausstel­ lung in der Zwinglikirche" mit unserem Mitglied Dr. Dagobert Liers, Leiter des Instituts für Orgel- und Kantoreiforschung e.V. (Vgl. Heft 1/97, Seite 192 f., der „Mitteilun­ gen".) Treff: Zwinglikirche, Rudolfstraße 14. S- und U-Bahn Warschauer Straße, Bus 147. 24. Sonntag, 10. August 1997, 11.30 Uhr: „Vom Vlies bis zum Kleid im Mittelalter - Besuch im Museumsdorf Düppel zum Tag der Wolle". Einführung in die Ausstellung durch Annelies Goldmann vom Museumsdorf. (Vgl. ihren Aufsatz im Heft 3/1996 der „Mitteilungen".) Anschließend Spaziergang zu den Vorführungen: Färben, Filzen, Spinnen, Weben und Nadelbinden. In der Schänke wird uns Suppe und Brot serviert - zu einem günstigen Preis. Das Museumsdorf ist bis 17 geöffnet. Eintritt: 3 DM, ermä­ ßigt: 1,50 DM. Treff: Eingangsbereich des Museumsdorfs, Clauertstraße 11. Bus 115, 118, 211. 25. Sonntag, 17. August 1997,8 Uhr: Wegen der großen Nachfrage und des Erfolgs wieder­ holen wir unsere ^ahrt in den Oderbruch: Von Kunersdorf bis Friedersdorf- Entlang der Alten Oder" in einem bequemen Reisebus mit unserem Mitglied Wolfgang Stapp. Während der zahlreichen Pausen haben wir Gelegenheit zu kurzen Spaziergängen und Besichtigungen. Vgl. das ausführliche Programm im Heft 1/97 der „Mitteilungen" (S. 196). Da wir zur Besichtigung der Festungs- und Schloßreste Küstrins die Grenze zu Polen überqueren, bitte Ihren Ausweis nicht vergessen! Anmeldung: Scheck über 81 DM an SchrLt. Dr. M. Uhlitz, Brixplatz 4,14052 Berlin. Eintritts- und Führungsgebüh­ ren sowie ein Mittagessen im Derfflinger-Schloß Gusow und ein Kaffee-Picknick sind im Preis eingeschlossen. (Bei geringer Teilnehmerzahl muß eine Einschränkung des Lei­ stungsumfangs vorbehalten bleiben.) Nicht-Mitglieder willkommen. Abfahrt und Ende: Rathaus Charlottenburg, Otto-Suhr-Allee 100. U-Bahn Richard-Wagner-Platz. 26. Mittwoch, 27. August 1997,14 bis 16 Uhr: „Führung im Marmorpalais und im Neuen Garten" mit einem kompetenten Mitarbeiter der Stiftung Preußische Schlösser und Gärten. Eintritt: 10 DM pro Person. Anmeldung: Telefon 7 85 30 05. Treff: Kasse Mar­ morpalais. Bus 695 ab Potsdam. 27. Sonnabend, 30. August 1997, 14 Uhr: „Lankwitz-Führung - Vom Rathaus zur Aas- kute" mit Armin Woy. Treff: ehem. Rathaus Lankwitz, Leonorenstraße 70, S-Bahn Lankwitz, Bus 182, 183, 283. 28. Mittwoch, 3. oder 17. September 1997, 14.30 Uhr: „Besuch beim Bundesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen Deutschen Demokra­ tischen Republik". An beiden Tagen geben uns kompetente Mitarbeiter einen Einblick in die Arbeit der „Gauck-Behörde". Ihre verbindliche Teilnahmezusage für einen der beiden Termine ist erforderlich: Telefon 7 85 30 05. Da wir die Teilnehmer einige Tage zuvor mit den Vor- und Familiennamen anmelden müssen, verpflichtet die Anmeldung zur Teilnahme! Andere als angemeldete Teilnehmer können keinen Zutritt erhalten. Anmeldung bis zum 15. August nur für Mitglieder. Treff: Ruschestraße 103, Berlin- Lichtenberg. U-Bahn Magdalenenstraße (hinten aussteigen, Treppen hochgehen und rechts in den Toreingang). 29. Sonntag, 7. September 1997,10 Uhr: ,jGrüner Spaziergängen Lankwitz nach Lichter­ felde" mit unserem Mitglied WolfgangStapp. Dauer: ca. 2 h Stunden. Treff: ehem. Rat-

275 haus Lankwitz, Leonorenstraße 70. S-Bahn Lankwitz, Bus 182,183,283. (Ende: Ther­ mometersiedlung). 30. Donnerstag, 11. September, bis zum Sonntag, 14. September 1997: »Studienreise des Vereins für die Geschichte Berlins, gegr. 1865, nach München". Es sind noch Plätze frei! Anmeldung- auch für Nicht-Mitglieder - nur noch bis zum 20. Juli 1997 bei: Dr. Yolkmar Gosiich. Borggrevestraße 10, 13403 Berlin, Telefon 4 96 22 52. Vgl. ausführ­ liches Programm im Heft 2/97 der „Mitteilungen". 31. Mittwoch, 17. September 1997, 14.30 Uhr: siehe 3. September 1997. 32. Sonnabend, 20. September 1997, 14 bis 16 Uhr: „750 Jahre Lübars - Spaziergang durch Alt-Lübars und Ausstellungsführung im Pfarrhaus" mit unserem Mitglied Dr. Ingolf Wernicke, Leiter des Heimatmuseums Reinickendorf. Wir besichtigen auch die Dorfkirche. Anschließend Kaffeeklatsch auf dem Reiterhof Kühne. Treff: Dorfkirche. Bus 222. 33. Sonntag, 28. September 1997, 10 Uhr: ..Spaziergang um das Alte Stadthaus zwischen Jüdenstraße und Klosterstraße" mit Hans-Werner Klünner. Treff: U-Bahnhof Kloster­ straße, Südausgang (Stadthaus). 34. Sonnabend, 26. Oktober 1997, 8 Uhr (Achtung: Winterzeit!): „Herrenhäuser im Rup- piner Land: Wustrau, Radensieben, Köpernitz, Rheinsberg (Mittagessen im SchlolJ- hotel Deutsches Haus), Wildberg, Garz, Manker, Protzen, Schwante, Groß Ziethen, Vehlefanz". Vergnügliche Busfahrt mit Dr. Gerd-H. Zuchold, Präsident des Landeshei- matverbands Brandenburg. Anmeldung: Telefon 7 85 30 05 (Frau Förster) und bei Platzzusage Überweisung von 83 DM auf das Konto: SchrLt. Dr. M. Uhlitz, Postbank Berlin 62 66 28-105 (BLZ 100 100 10). Anmeldung bis zum 15. Augsut 1997 nur für Mitglieder. Im Preis ist ein vorzügliches Mittagessen mit Vor- und Nachspeise enthalten. Bitte bei der Anmeldung den Menüwunsch mitteilen: 1. Brandenburger Schweinerük- kenbraten; 2. Pochierter Rhinzander; 3. Gebratene Poulardenbrust. Abfahrt und Ende: Rathaus Charlottenburg, Otto-Suhr-Allee 100. U-Bahn Richard-Wagner-Platz.

Bibliothek: Berliner Straße 40, 10715 Berlin-Wilmersdorf, Telefon (0 30) 8 73 26 12. Geöffnet: mittwochs 15.30 bis 19.00 Uhr. U7 (Blissestraße), Bus 101, 104, 204, 249. Internet: http://www.pinnow.com/Vfd.GB.htm; Internet-Redaktion: Dipl.-Ing. Dirk Pinnow, Ullsteinstraße 192, 12105 Berlin-Tempelhof, Telefon/Fax 7 06 28 40. Vorsitzender: Senator und Bürgermeister von Berlin a. D. Hermann Oxfort, Breite Straße 21,13597 Berlin-Spandau, Telefon 3 33 24 08. Geschäftsstelle: Ingeborg Schröter, Brauerstraße 31, 12209 Berlin-Lichterfelde/Ost, Telefon 7 72 34 35. Schriftführer: Joachim Strunkeit, Roedernstraße 48, 13467 Berlin-Reinickendorf, Telefon 4 041449. Schatzmeister: Karl-Heinz Kretschmer, Greveweg 6,12103 Berlin-Tempelhof, Telefon 7 53 42 78. Kontendes Vereins: Postbank Berlin (BLZ 100 100 10), Kto.-Nr. 433 80-102,10559 Berlin; Berli­ ner Bank AG (BLZ 100 20000), Kto.-Nr. 03 81801 200. Die MITTEILUNGEN erscheinen vierteljährlich zum Quartalsanfang. Herausgeber: Verein für die Geschichte Berlins, gegr. 1865, Schriftleitung und Veranstaltungsorganisation: Dr. Manfred Uhlitz, Brixplatz 4, 14052 Berlin-Charlottenburg, Telefon 3 05 96 00, Fax 3 05 38 88; Dr. Chri­ stiane Knop, Rüdesheimer Straße 14, 13465 Berlin-Frohnau, Telefon 4 01 43 07; Beiträge bitte an die Schriftleiter senden. Redaktionsschluß: l.März, l.Juni, 1. September, 15. November. Abonnementspreis ist durch den Mitgliedsbeitrag gedeckt. Bezugspreis für Nichtmitglieder: 36 DM jährlich. Neumitglieder sind herzlich willkommen! Jahresmitgliedsbeitrag 80 DM; Ehepaare 120 DM inkl. Bezug der MITTEILUNGEN und des Jahrbuchs. Beitrittserklärungen bitte formlos an die Geschäftsstelle. Herstellung: Westkreuz-Druckerei Ahrens KG Berlin/Bonn, 12309 Berlin. Nachdruck, auch auszugsweise, nur mit Genehmigung der Schriftleitung. Dieser Ausgabe liegen zwei Beilagen zur einem Fassadenwettbewerb des Deutschen Heimatbun­ des mit der Bitte um freundliche Beachtung bei.

276 A 1015 F EILUNGEN DES VEREINS FÜR D CHICHTE BERLINS

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Johann Georg Wolfgang: Johann Jacobi. Kupferstich, 1709 (Vorlage: Gemälde von J. F. Wenzel). Aus: Weinitz, Franz, Johann Jacobi. Der Gießer des Reiterdenkmals des Großen Kurfürsten in Berlin. Sein Leben und seine Arbeiten. Berlin 1914. Die, welche das Niederreißen dieses Schlüterbaues veranlaßten, die Zerstörung einer für die Brandenburgische Geschichte hochinteressanten Stätte, waren Barbaren.1 Das Gießhaus auf dem Friedrichswerder Von Elke Bujok und Peter R. Fuchs

Das Gießhaus, eines der ältesten Manufakturgebäude Berlins, wurde bislang in der Forschung weitgehend übersehen. Hier wurden die Geschütze („ Stücke") wie Kanonen, Haubitzen und Mörser sowie Glocken und bedeutende Bildwerke gegossen. Es befand sich außerhalb der mittelalterlichen Stadtbefestigung in sicherer Entfernung von der Stadt, nördlich des später errichteten Zeughauses. Bereits auf dem frühesten Stadtplan Berlins und Colins von Johann Gregor Memhard, 1652 (Abb. 1), ist das Gießhaus verzeichnet. Auch auf den Stadtansichten Albrecht Christian Kalles von 1635 (Abb. 2) und Caspar Merians, um 1646/512, sowie auf einem Gemälde mit der Darstellung Berlins von 1646 (Abb. 3) ist das Gießhaus im Vorder­ grund zu erkennen. Die Befestigungsanlage des 17. Jahrhunderts schloß den Friedrichswerder mit ein und verlief unmittelbar hinter dem Nordflügel des Gießhauses. Um 1700 erfolgte eine Erweiterung des Gebäudes durch Andreas Schlüter. Konkreter Anlaß war der bevorstehende Guß des Reiter­ standbildes des Großen Kurfürsten im Jahr 1700, denn seinen monumentalen Ausmaßen konnten die alten Anlagen nicht mehr genügen. Das Gießhaus wurde 1871 abgerissen. Die anschließend auf dem Grundstück errichteten Gebäude dienten zunächst als Kaserne und als Diensträume der Artillerie-Prüfungskommis­ sion. 1921 wurde das Grundstück von der Preußischen Zentralgenossenschafts-Kasse zu Ber­ lin gekauft, 1934 an die Deutsche Zentralgenossenschafts-Kasse übertragen. Die heutige, um 1960 fertiggestellte Bebauung des Architekten Johannes Pässler dient als Magazingebäude des Deutschen Historischen Museums, zuvor Museum für Deutsche Geschichte. Dieser Bau genügt den Ansprüchen des Deutschen Historischen Museums nicht. An seiner Stelle wird ein Wechselausstellungsgebäude nach Plänen von I. M. Pei errichtet. Beim Abriß in den kommenden Monaten ergibt sich die letzte Gelegenheit, nach den Spuren der älteren Gießhausbauten zu suchen. Schlüter hatte beim Umbau der Anlage Teile des Vor­ gängerbaus aus dem 16. Jahrhundert miteinbezogen. So sind vor allem Fundamentreste der Gießereiinstallationen wie Gruben, Öfen, Hebewerkzeuge oder Bohrwerke zu erwarten. Aus diesem Anlaß sollen erste Untersuchungsergebnisse vorgestellt werden.

1. Frühe Besiedlung des Friedrichswerders Der Werder umfaßte ursprünglich zwei Inseln in einer natürlichen Aufweitung des westlichen Spreearmes. Auf dem Memhardschen Plan sind die so entstandenen schmalen Wasserläufe zwischen den Inseln als der spätere Mühlengraben, der Schleusengraben und der Münzkanal zu erkennen. Der Werder gehörte seit 1442 zum erweiterten Wirtschaftsbereich des kurfürstli­ chen Hofes in Colin, zu dem auch die ersten Ansiedler zählten.3 Bereits seit dem 15. Jahrhundert ist ein Reithaus überliefert. Memhard weist des weiteren ein Ballhaus, einen Jägerhof, einen Holzgarten, eine Walk- und eine Schneidemühle aus. Von besonderer Bedeu­ tung war die Schleusenanlage, für die in den Jahren 1518,1654 und 1657 größere Umbauten und Reparaturen belegt sind.

278 Abb. 1: Johann Gregor Memhard: Grundriß der Beyden Churffürstlichen] Residentz Stätte Berlin und Colin an der Spree, 1652 (Ausschnitt). Kupferstich (Reprint). Landesarchiv Berlin, Kartenabteilung.

Mit dem Ende des Dreißigjährigen Krieges begann die planmäßige Auf siedlung des Werders, der dann auch in die 1658 einsetzende, barockzeitliche Befestigung Berlins miteinbezogen wurde. 1662 erhielt die Siedlung, nun Friedrichswerder genannt, das Stadtrecht. Die Topogra­ phie des Friedrichswerders orientierte sich weitgehend an den Wassergräben, deren Regulie­ rung vor allem dem Baumeister Memhard, dem ersten Bürgermeister, zugeschrieben wird.4 Jüngste archäologische Untersuchungen im Bereich der Münze am Werderschen Markt erga­ ben, daß diese Maßnahmen bereits in der 1. Hälfte des 16. Jahrhunderts einsetzten. Dies bele­ gen dendrochronologische Untersuchungen von Hölzern aus verschiedenen nord-südlich ver­ laufenden Ufer- und Grabenrandbefestigungen. An der nördlichen Peripherie des Friedrichswerders, abgesetzt von der übrigen Bebauung, lag das Gießhaus. Seine abgeschiedene Lage ist auf die dort verrichtete, feuergefährliche Arbeit zurückzuführen.

2. Baugeschichte des Gießhauses

Als Kurfürstliche Gießerei bestand das Gebäude wahrscheinlich schon in der Mitte des 16. Jahrhunderts. In der Literatur wird dies häufig mit dem Hinweis auf den Guß des bronze­ nen Grabmals für den Kurfürsten Johann Cicero (1486-1499) durch den Gießer Matthias Dietrich im Jahr 1540 begründet."* Das Grabmal wurde jedoch von Peter und Johannes

279 Vischer in Nürnberg im Jahr 1530 fertiggestellt6, so daß es nicht als Beleg für die Berliner Gießerei gelten kann. Allerdings scheint Matthias Dietrich um 1561 als Kurfürstlicher Stück­ gießer in Berlin tätig gewesen zu sein.7 Schwebel macht in diesem Zusammenhang darauf auf­ merksam, daß Dietrich nur die Überführung des fertigen Werkes von Lehnin, dem Ort seiner ersten Aufstellung, nach Berlin geleitet habe.8 1545 wurde es unter Joachim II. im Chor der Domkirche aufgestellt. Als ebenso vage muß die Vermutung Seelmanns gelten, der 1578 zum obersten Artillerie-, Zeug- und Baumeister Brandenburgs bestallte Graf Rochus von Lynar sei der Baumeister der frühen Gießerei.9 Lynar leitete seit 1578 den Bau der Festung in Spandau und seit 1579 den Umbau des Berliner Schlosses. Eine Bautätigkeit am Gießhaus wird an keiner weiteren Stelle der Literatur oder in den Quellen erwähnt. In diesem Zusammenhang sollte der Hinweis auf frühe Berliner Gießereitätigkeit im Testa­ ment des Kurfürsten Friedrich I. vom 18. September 1440 nicht außer acht gelassen werden, in dem er die Entschädigung der Berliner Marienkirche für den Verlust ihrer Glocken zum Gie­ ßen von „Büchsen" festsetzte.10 Unklar bleibt, an welchem Ort der Guß erfolgte. Das Hand­ werk der Glocken- und Stückgießer wurde in seinen Anfängen durch wandernde Meister und Handwerker ausgeübt, die für bestimmte Arbeiten kontraktiert werden konnten. Noch bis in das 18. Jahrhundert zeichneten sich die Gießmeister durch europaweite Arbeitserfahrung aus. Sicher nachgewiesen werden kann das Gießhaus erst auf den erwähnten Stadtansichten von 1635 und 1646 (Abb. 2,3) sowie auf dem Stadtplan von Memhard, 1652 (Abb. 1). Demnach handelte es sich um ein zweistöckiges Gebäude mit einem Anbau auf T-förmigem Grundriß. Vor Errichtung der Festungsmauer war das Königliche Gießhaus von einem Wassergraben umgeben, der in einen Nebenarm der Spree mündete. Damit bestand Anschluß an das Was­ sernetz, die Geschütze wurden vermutlich direkt auf Schiffe verladen und abtransportiert. Zusätzlich bot der Wassergraben Schutz vor der Feuergefahr, die von der Arbeit im Gießhaus ausging. Kurz nach dem Baubeginn des Zeughauses, dessen Grundsteinlegung 1695 erfolgte, wurde das Gießhaus nach Entwürfen von Andreas Schlüter erweitert. Der Guß des Großen Kurfür­ sten nach seinen Entwürfen erforderte die Verbesserung und Vergrößerung der technischen Anlagen. Das Modell des Reiterstandbildes war bereits 1698 vollendet, bei seiner Ausführung durch den Gießer Johann Jacobi im Oktober 1700 wurden 17,5 Tonnen Metall in einem Guß verarbeitet.

Abb. 2: Albrecht Christian Kalle: Georg Wilhelm Kurfürst von Brandenburg mit der kurfürstlichen Residenzstadt Berlin und Colin, um 1635 (Ausschnitt). Kupferstich (verschollen). Aus: Ausstellungskatalog Berlin Museum 1987: Stadtbilder. Berlin in der Malerei vom 17. Jahr­ hundert bis zur Gegenwart. Berlin 1987: 10, Abb. 1.

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Abb. 3: Unbekannter Künstler: Das Berliner Schloß und seine Umgebung zur Zeit des Kurfürsten Friedrich Wilhelm, Kopie um 1930, Ol auf Leinwand. Aus: Ausstellungskatalog Berlin Museum 1987: Stadtbilder. Berlin in der Malerei vom 17. Jahr­ hundert bis zur Gegenwart. Berlin 1987:38, Kat. 2.

Die Erweiterung des Gebäudes erfolgte wahrscheinlich ab 1698/99 und erstreckte sich über mehrere Bauphasen, zwischen oder während denen der Gießereibetrieb weiterging. Für 1698 sind die Rechnung über einen neuen Gießofen sowie der Erwerb eines Grundstücks für den Gießhausbau belegt, von 1699 bis 1702 weitere Ausgaben für Gießöfen und Baumaßnah­ men." 1704/05 erfolgten nochmals Arbeiten am Gießhaus: Johann Jacobi wies im Septem­ ber 1704 die Zahlung für Bauholz an, im November 1705 erneut für einen zweistöckigen Anbau.12 Ladendorf erwähnt weitere Ausgaben wie Arbeitslöhne und Grundstücksankäufe für die Erweiterung des Gießhauses bis 1707 und geht von seiner Fertigstellung im Jahr 1708 aus.13 Es ist anzunehmen, daß die Endfassung des Gebäudes nicht mehr der Planung Schlüters unterlag, zumal er bereits im Oktober 1699 die Leitung für den Bau des Zeughauses an Jean de Bodt übergab. In den Erweiterungsbau wurde das alte Gebäude einbezogen und bildete wahrscheinlich den nördlichen Teil der Vierflügelanlage.14 Aus den vorhandenen Plänen und Abbildungen lassen sich dazu keine sicheren Aussagen treffen, erst die Ergebnisse der bevorstehenden archäologi­ schen Untersuchung könnten genaueren Aufschluß bieten. Unterlagen aus der Bauzeit liegen nicht vor, lediglich ein Aufriß der Hauptfassade (Abb. 4). Der Kupferstich wurde nach einem Vermerk auf dem Exemplar in der Berliner Staatsbibliothek nach Schlüters Entwurf ange­ fertigt. Auf dem Stadtplan Schmettaus von 1748 schließt der abgeschrägte Nordflügel östlich an eine Bastion der Festungsmauer an und verläuft parallel zur Kurtine in west-östlicher Richtung. Der schmale Weg dazwischen führte zur Wallbrücke. Es ist also nicht davon auszugehen, daß das Gießhaus „zum Theil in alte Ueberreste der Stadtmauer hineingebaut" B worden ist oder „in einem ehemaligen Bollwerke"16 lag. Das in westlicher Verlängerung des Südflügels ange­ baute Laboratorium ist auf früheren und späteren Plänen nicht zu erkennen. Die Straße Hinter dem Gießhaus wurde nach Abtragung des Walls in den Jahren 1752/53 bebaut, an seiner Stelle entstanden die Häuser der Bildhauer Hubert und Schiffel und des

281 Kammerdieners Donner.33 Ungefähr gleichzeitig entstand die Straße Hinter dem Zeughaus, die Nummern 1 und 2 ließ General von Linger erbauen. Als Verbindung dieser beiden Straßen wurde wenig später die Mollergasse angelegt und nach General v. Moller benannt, der 1789 das Haus Hinter dem Zeughaus 2 erwarb. Das 1863/64 zum Finanzministerium umgebaute Adelspalais am Festungsgraben 1 wurde 1751-53 errichtet. Die Singakademie, heute Maxim- Gorki-Theater, entstand 1824-27. Eine Bebauung in direkter Nähe des Gießhauses ist aber schon früher zu vermuten, wie aus dem Erwerb verschiedener Grundstücke und Häuser zur Erweiterung des Gießhauses um 1700 hervorgeht.34

3. Baubeschreibung Aus einem nicht genauer einzuordnenden Plan aus dem Deutschen Historischen Museum, datiert um 1830'7, ist der Grundriß sowie die Raumaufteilung des Königlichen Gießhauses zu entnehmen (Abb. 5). Demnach erstreckten sich die vier Flügel des Gebäudes um einen nahezu quadratischen Innenhof mit Brunnen. Der Haupteingang befand sich im Südflügel, rechts davon führte eine Treppe in das Obergeschoß. Dieses diente seit 1708 als Wohnung des Gießers, seiner Mitarbeiter und Gesellen und wurde zuerst von Johann Jacobi bezogen. Bis 1806 befand sich dort auch ein Raum für die Bibliothek, Instrumenten- und Modellsammlung der Königlichen Artillerie, danach Büroräume des Artillerie-Depots. Ein weiterer Eingang befand sich vermutlich an der Ostseite des Nordflügels. Die drei Wandvorlagen zur Sicherung der Öfen an der Nordseite des Gebäudes fehlen auf dem Grund­ riß von zirka 1830, auf der Zeichnung von Leopold Ludwig Müller aus dem Jahr 1804 (Abb. 6) und auf dem Holzschnitt, vor 1861 (Abb. 7), sind sie jedoch deutlich zu erkennen. Die meisten Räume des Nordflügels, vermutlich die der Öfen, erstreckten sich über beide Etagen.18 Der Boden des Erdgeschosses lag tiefer als das Geländeniveau. Dies geht aus der Diskussion in den 30er Jahren des 19. Jahrhunderts hervor, als die mögliche Nutzung des Gießhauses für die Aufbewahrung von Akten des Landes- und Staatsarchivs erwogen wurde. Es eigne sich dafür besonders aufgrund „seiner Größe, seiner starken Umfassungsmauern und seiner Lage" 19. Ein Problem stellte die Feuchtigkeit im Erdgeschoß dar und der Befall von „ Mauer­ fraß" - einer Art Mauerschwamm, der vorwiegend bei Kalkstein auftritt. Das Einziehen wei­ terer Geschoßdecken wurde aufgrund der zu geringen Mauerstärke abgelehnt. Schinkel lie­ ferte 1835 Entwürfe für die Haupt- und Ostfassade, nach denen das Gebäude noch aufge­ stockt werden sollte.20 Über die Ausführung des Vorhabens liegen keine Nachweise vor. Anlaß für die mögliche Umnutzung des Gebäudes war die vorgesehene Verlegung der Geschützgießerei nach Spandau. Alle Außenwände und die Innenwände des Nordflügels waren massiv, die restlichen Innen­ wände teils massiv, teils von ausgemauertem Fachwerk. Das Gebäude war unterkellert, der Nordflügel allerdings nur zum Teil.21 Dies ist auf die tiefe Lage der Gießöfen mit ihrer Fun- damentierung und der Dammgruben, in die die Gußformen eingebracht wurden, zurückzu­ führen. Da der Grundriß des Gießhauses dem der Folgebauten entspricht, ist eine Weiterverwendung der Fundamente anzunehmen. Die Fundamenttiefe des Gießhauses ist lediglich für die Wand­ vorlagen an der Nordseite bekannt. Es reichte 11 Fuß 3 Zoll unter die Straßenoberfläche, war 3 Fuß hoch im Grundwasser angelegt, darauf folgte eine 9 Fuß hohe Kalkstein-Mauer.22 Der eingezwängten Lage des Gießhauses im Schatten des mächtigen Zeughauses setzte Schlü­ ter eine eindrucksvolle Gestaltung der Hauptfassade (Abb. 4) entgegen. Nach Ladendorf

282 Abb. 4: Das Gießhaus hinter dem Zeughaus (Südfassade), um 1700. Kupferstich nach Andreas Schlüter. Staatsbibliothek Berlin PK, Kartenabteilung. bezog sich Schlüter auf Berninis Palazzo Odescalchi in Rom.23 Hier, an der Südfront zur engen Gasse Hinter dem Zeughaus, befand sich der Haupteingang. Die Fassade war dreigeteilt: zwei schlichte Seitenteile umfaßten einen fünfachsigen Mittelrisalit mit ausgeprägten Fensterver­ dachungen. Die horizontal verlaufenden Putzfugen und fehlende Fensterverdachungen der Seitenteile sowie das Zahnkranz-Hauptgesims und das Walmdach verliehen dem zweige­ schossigen Gebäude einen robusten, gedrungenen Charakter - Ausdruck der Funktion des Nutzbaus. Ladendorf beschreibt das Gebäude folgendermaßen: „Kräftige Härte und Schwere zeigen die michelangelesken Formen des Gießhauses und deuten auf die gefährliche Arbeit, die flüssiges Metall bei fliegender Hitze hier in Formen zwang" 24.

4. Reparaturarbeiten am Gießhaus Über Reparaturarbeiten am Gießhaus liegen nur wenige Nachrichten vor. Während des Sie­ benjährigen Krieges wurde bei der Besetzung Berlins 1760 durch russische Truppen die Ein­ richtung, insbesondere die Öfen, zerstört.25 Von einer anschließenden Erneuerung des Gieß­ hauses kann ausgegangen werden. 1800 erfolgte eine Reparatur im Pferdestall, die Decke mußte mit Dielen und Trägern gestützt werden. Er befand sich nach einer Grundrißskizze von 1804 (Abb. 8) links des Hauptein­ gangs, nach dem Plan von zirka 1830 (Abb. 5) im Ostflügel. Gleichzeitig wurden an einigen Stellen des Gebäudes der abgefallene Putz und das Hauptgesims erneuert sowie Blitzableiter angebracht.26 Die westliche der drei Wandvorlagen an der Nordseite sowie der dort sich befindende Gieß­ ofen mußten 1806 erneuert werden, da sich das Mauerwerk gesetzt hatte. 1786/87 war bereits eine ähnliche Ausbesserungsarbeit an derselben Stelle erfolgt. Über die Ausführung der Arbeiten gibt ein Brief des Ober-Kriegs-Kollegiums an den Hof-Bau-Inspektor Voss vom 14. Juli 1806 Auskunft: Der Maurermeister Meyer verrichte seine Arbeit „an dem abzubre-

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L A Abb. 5: Grundriß des Berliner Gießhauses, um 1830. Deutsches Historisches Museum, Hausarchiv, Rep. Z67. chenden und wieder neu aufzubauenden kleinen Gießofen nebst dem Contrefort dergestalt säumig", daß seine Entlassung erwogen wurde.27 Während der Napoleonischen Kriege wurde das Gießhaus um 1809 von französischen Trup­ pen zerstört und die Bohrmaschinen geraubt.28 Im selben Jahr wurde im Gießhaus und im Zeughaus eine Gewehr-Reparaturanstalt eingerichtet, die bis spätestens 1812 bestand.29 Aus einer Kabinettsorder Friedrich Wilhelms III. von 1810 geht hervor, daß im Gießhaus Versuche zum Gießen von Geschützen unter Leitung von Generalmajor Scharnhorst durchgeführt wer­ den sollten. Voraussetzung dafür war die „Herstellung der dortigen Stückgießerei".30 Mögli­ cherweise stammt der Plan aus dem Deutschen Historischen Museum (Abb. 5) aus dieser Zeit. Ebenfalls im Jahr 1810 wurde über die Einrichtung von Werkstätten im Gießhaus diskutiert, die wahrscheinlich für die Artillerie bestimmt waren. Dies ist einem Kostenanschlag zu entnehmen31, über die Ausführung des Vorhabens liegt allerdings kein Nachweis vor. Wahrscheinlich in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts stillgelegt, wurde das Königliche Gießhaus 1871 abgerissen. 1804 erfolgte die Gründung der Königlichen Eisengießerei vor dem Oranienburger Tor, in der von 1822 an auch Bronze gegossen wurde. Um 1842 entstand in der Münzstraße 10-12, an der Stelle der Neuen Münze von 1752, eine Bronzegießerei. Sie diente der Herstellung von größeren Bildwerken.32

284 5. Ausstattung des Königlichen Gießhauses

Das Gießhaus wird gelegentlich auch als „ Rotgießerei" erwähnt. Dies verweist auf das verar­ beitete Material und die Produkte: der Rotguß bezeichnet die Verarbeitung von Legierungen mit hohem Kupferanteil oder von Bronze, ein hoher Kupferanteil verleiht den Produkten eine rote Farbe. Er findet vorwiegend für Geschütze, Glocken und Bildwerke Anwendung. Beim Gelbguß dagegen werden Legierungen mit geringem Kupferanteil verarbeitet. Das Gießhaus verfügte über eine hoch entwickelte technische Ausstattung, die das Raumge- füge bestimmte. Im nördlichen Flügel waren vor den Wandvorlagen die Gießöfen mit den Dammgruben untergebracht, Räume für die Lagerung von Materialien sowie das Leimge­ wölbe, in dem flexible Formen auf der Grundlage tierischer Gelatine hergestellt wurden. In der Literatur ist von zwei großen und einem kleinen Ofen die Rede, entsprechend der Anzahl der Mauervorlagen. Auf dem Grundriß von zirka 1830 (Abb. 5) ist an diesen Stellen ein gro­ ßer Ofen, ein Mittelofen und ein kleiner Ofen eingezeichnet, in dem westlichen Raum des Nordflügels noch ein vierter, kleinerer Ofen. Die dortige Außenwand war nach den be­ kannten Abbildungen des Gießhauses nicht durch eine Wandvorlage verstärkt. Zwischen

Abb. 6: Leopold Ludwig Müller: Das Königliche Gießhaus (Ansicht von Norden), 1804. Kolorierte Zeichnung. Aus: Martin, Werner: Manufakturbauten im Berliner Raum seit dem ausgehenden 17. Jahrhundert. Berlin 1989: 127, Abb. 55.

285 dem mittleren und kleinen Ofen befand sich eine Schmiede, zwischen dem großen und mittleren em Kratzofen. Als Krätze wird das Material bezeichnet, das sich bei Abkühlung des Gießgutes auf der Oberfläche bildet und regelmäßig entfernt werden muß, um die Qualität des Gusses nicht zu gefährden. Je nach Zusammensetzung und Verunreinigung kann die Krätze im Kratzofen zur weiteren Verwendung wieder eingeschmolzen werden Für den Guß des Großen Kurfürsten ist in den Jahren 1698/99 die Aufstellung eines neuen großen Ofens belegt, 1702 die eines weiteren Ofens für die Anfertigung der vier Sklaven des Reiterstandbildes.35 Ein Ofenabbruch wird nicht erwähnt. Die Gießöfen waren mit Ziegel­ steinen gemauert - für den 1698/99 errichteten wurden 1000 Zentner Ton zur Herstellung von Mauersteinen geliefert.36 Bei der Erneuerung des kleinen Ofens im Jahr 1806 wurde als Mörtel Schamotte verwendet - „eine Masse so aus zerstoßenen Porcellain Kapseln u. Thon bestehet" . Sie bewirkt eine höhere Hitzebeständigkeit und gleichmäßigere Wärmespeiche- rung. r Die ausgemauerten, mit Sand oder Lehm gefüllten Dammgruben befanden sich direkt vor den Ofen in der Sohle der Hütte. Dort wurden die Formen entweder direkt gebildet, oder aber die ausgearbeiteten Formen für den Guß eingesenkt und mit Sand oder Lehm stabilisiert Über eine aus Ziegelsteinen gemauerte und mit Sand oder Lehm ausgekleidete Rinne wurde das geschmolzene Metall direkt in die Form geleitet.

Abb. 7: Das ehemalige Gießhaus in Berlin (Ansicht von Nordwesten), vor 1861. Holzschnitt Aus:Ladendorf,HeinzDerBildhauerund Baumeister Andreas Schlütek Beiträge zu sefnerSgra- phie und zur Berliner Kunstgeschichte seiner Zeit. Berlin 1935: Tafel 13 a.

286 Abb. 8: Grundriß des südöstlichen Teils des Königlichen Gießhauses, 1804. Zeichnung. GStA PK, I. HA, Rep. 36, Hofverwaltung, Nr. 2864 (M).

Die Räume für das Ausbohren der massiv gegossenen Kanonen waren im Ostflügel unterge­ bracht: mit dem von vier Pferden betriebenen Göpelwerk, dem Roßwerk, wurde das Bohr­ werk in der „Stube wo die Canons ausgearbeitet werden" (Abb. 5) angetrieben. Daneben befand sich um 1830 der Pferdestall, 1804 war er noch im Südflügel untergebracht (Abb. 8). Ob ein Bohrwerk bereits zu Schlüters Zeiten existierte, ist fraglich: Der massive Guß von Kanonen wurde erst in der Mitte des 18. Jahrhunderts eingeführt, bis dahin erfolgte er hohl über Kernstangen. Auch Zedlitz erwähnt, daß das erste, von vier Pferden betriebene Bohr­ werk 1755 eingerichtet wurde, der massive Guß sei in Berlin erstmals 1757 ausgeführt worden.38 Das Ausbohren der Kanonen hatte einerseits den Vorteil, daß der Lauf präziser angelegt werden konnte. Andererseits wurde durch die Entwicklung der massiven Gießtech­ nik eine bessere Materialkonsistenz erreicht. Bis 1804 befand sich im Berliner Gießhaus eine vertikale Bohrmaschine, sie wurde aufgrund ihres desolaten Zustands durch eine horizontale ersetzt.39 Um ihre Lage stabil zu halten, wurde sie solide fundamentiert. Sie war mit Hebezeug, Stellwerken für das Ausrichten von Geschützen und Bohrern, Drehmaschinen sowie einer Maschine zum Abschneiden des verlo­ renen Kopfes ausgestattet. Ob gleichzeitig das Roßwerk vergrößert wurde, wie in der Skizze von 1804 (Abb. 8) geplant, ist aufgrund baulicher Schwierigkeiten unklar. Nach Zedlitz wurde 1833 ein neues, von acht Pferden betriebenes Bohrwerk installiert.40 Im Westflügel wurden nach dem Plan von zirka 1830 (Abb. 5) die Formen hergestellt. In der Formstube

287 befand sich vermutlich bis spätestens 1815 eine Schmiede, die dann auf den Pontonhof verlegt wurde.41 Im Südflügel mit dem Haupteingang befanden sich noch einige Lagerräume.

Unter den zahlreichen am Berliner Gießhaus tätigen Gießern ist Johann Jacobi hervorzuhe­ ben. Als gelernter Schmied erhielt er in Paris seine Ausbildung zum Kunst- und Geschützgie­ ßer und war von 1697 bis zu seinem Tod im Jahr 1726 als Königlicher Hof- und Artillerie-Gie­ ßer am Berliner Gießhaus tätig. Er goß Schlüters monumentale Bildwerke wie das Reiter­ standbild des Großen Kurfürsten im Jahr 1700, drei Jahre zuvor bereits die Statue des Kurfür­ sten Friedrich III. Im Jahr 1704 fertigte er das 17,5 Tonnen schwere, hundertpfündige Geschütz „ Asia", das weniger dem Gebrauch als der Repräsentation des preußischen Staates diente. Friedrich I. plante zunächst, vier Geschütze - benannt nach den damals bekannten Erdteilen - gießen zu lassen und sie vor den Fassaden des Zeughauses aufzustellen. Dieser Plan scheiterte aus Kostengründen, die Asia wurde 1744 wieder eingeschmolzen. 1708 erhielt Jacobi von Friedrich I. den Auftrag, dreizehn 24-Pfunder, die „Kurfürsten-Kanonen", zu gießen: zwölf waren nach den Kurfürsten benannt, die letzte wurde als „ Der erste König in Preußen" bezeichnet. Weitere Werke von Jacobi sind die ebenfalls von Schlüter entworfenen Prunksarkophage Friedrichs I. und Sophie Charlottes aus den Jahren 1713 und 1705 sowie die Glocken für die Parochial-, Georgen-, Nicolai- und Sophienkirche. Die Monographie über Johann Jacobi von Franz Weinitz zu Beginn dieses Jahrhunderts42 bezeugt die außergewöhnliche Leistung des Gießers. Bereits zu seinen Lebzeiten wurde er mit einer Hochschätzung bedacht, die der Schlüters für das Reiterstandbild des Großen Kurfür­ sten in nichts nachstand. Die Abbildung auf der Titelseite zeigt den Gießer Johann Jacobi, er stützt sich auf die „Asia" und weist mit seiner Hand auf das Reiterstandbild des Großen Kurfürsten.

Anmerkungen

1 D., Das ehemalige Gießhaus in Berlin. In: Der Bär 8, 1882: 643-644: 644. 2 Caspar Merian, Chur-Fürstliche] Resi[denz]-St[adt]-Berlin v[nd] Colin, um 1646/51. Radie­ rung. Aus: Martin Zeiller, Topographia Electoratus Brandenburgici. Frankfurt am Main 1652. Abbildung in: Ausstellungskatalog Berlin Museum 1987: Stadtbilder. Berlin in der Malerei vom 17. Jahrhundert bis zur Gegenwart. Berlin 1987: 36, Kat. 1. 3 An wichtigster Literatur zum Friedrichswerder sei genannt: Fidicin, Ernst, Berlin, historisch und topographisch dargestellt. Berlin 1843. Michaelsen, Hedwig, Das Haus Unterwasserstraße Nr. 5 in Geschichte und Kunst. Zugleich ein Beitrag zur Entstehung des Friedrichswerders. In: Erforschtes und Erlebtes aus dem alten Berlin. Festschrift zum 50jährigen Jubiläum des Vereins für die Geschichte Berlins. Berlin 1917: 555-585. Schachinger, Erika, Die Berliner Vorstadt Friedrichswerder 1658-1708. Köln u. a. 1993. Schwebel, Oskar, Geschichte der Stadt Berlin, Bd. 2. Berlin 1888. 4 Schachinger 1993, a.a.O.: 54. 5 U.a. Seelmann, K. A., Zur Geschichte der Berliner Kunstgießereien. In: Metallwirtschaft 16, 1937: 929-933: 929 und D. 1882, a.a.O.: 644. 6 Thieme-Becker, Allgemeines Lexikon der Bildenden Künstler [...], Bd. 34. Leipzig 1940: 412 und Borrmann, Richard, Die Bau- und Kunstdenkmäler von Berlin. Berlin 1893 (1982): 164. 7 Rachel, Hugo, Das Berliner Wirtschaftsleben im Zeitalter des Frühkapitalismus. Berlin 1931: 192 f. 8 Schwebel, Bd. 1, 1888, a.a.O.: 338. 9 Seelmann 1937, a.a.O.: 929.

288 10 Caemmerer, Hermann von (Hg.), Die Testamente der Kurfürsten von Brandenburg und der bei­ den ersten Könige von Preußen (Veröffentlichung des Vereins für die Geschichte der Mark Brandenburg, Bd. 21). München, Leipzig 1915: 25. Nach: Ribbe, Wolfgang (Hg.), Geschichte Berlins, Bd. 1. Berlin 1987: 257. 11 Seidel, Paul, Das Standbild des Großen Kurfürsten von Andreas Schlüter. In: Zeitschrift für Bauwesen 43, 1893: 55-62 (Transkription von Rechnungen über das Reiterstandbild des Großen Kurfürsten). 12 GStA PK, II. HA, Forstdepartement, Tit. XXX, Nr. 13 (M), unpaginiert. 13 Ladendorf, Heinz, Der Bildhauer und Baumeister Andreas Schlüter. Beiträge zu seiner Biogra­ phie und zur Berliner Kunstgeschichte seiner Zeit. Berlin 1935: 37 und 146. 14 Vgl. Zedlitz, Leopold Freiherr von, Neuestes Conversations-Handbuch für Berlin und Potsdam [...]. Berhn 1834 (1979): 279. 15 Woltmann, Alfred, Die Baugeschichte Berlins bis auf die Gegenwart. Berlin 1872: 66. 16 Fidicin 1843, a.a.O.: 148. 17 Der Plan ist einer Akte im Archiv des Deutschen Historischen Museums beigelegt. Wahrschein­ lich aufgrund der Laufzeit der Akte 1825-1836 wurde er um 1830 datiert. Dem Plan selbst ist weder die exakte Datierung noch der Anlaß seiner Erstellung zu entnehmen. 18 LAB, Rep. 180, Acc. 750, Bd. 248, Bl. 147v. 19 GStA PK, I. HA, Rep. 120, Ministerium für Handel und Gewerbe, Abt. A.I.2., Nr. 73 (M), unpaginiert. 20 Abgebildet bei Rave, Paul Ortwin, Karl Friedrich Schinkel. Berlin, Teil 3. Berlin 1981: 174, Abb. 172. 21 LAB, Rep. 180, Acc. 750, Bd. 248, Bl. 147v. 22 GStA PK, I. HA, Rep. 36, Hofverwaltung, Nr. 2863 (M), unpaginiert. 23 Ladendorf 1935, a.a.O.: 36. Siehe auch: Martin, Werner, Manufakturbauten im Berliner Raum seit dem ausgehenden 17. Jahrhundert. Berlin 1989: 63. 24 Ladendorf, Heinz, Andreas Schlüter. Berlin 19372: 84. 25 König, Anton Balthasar, Versuch einer historischen Schilderung [...] der Residenzstadt Berlin [...], 5. Teil, Bd. 1. Berlin 1798: 233. 26 GStA PK, II. HA, Gen.-Dir. Ober-Bau-Dep., Tit. 38, Nr. 61 (M), Bl. 2v. 27 GStA PK., I. HA, Rep. 36, Hofverwaltung, Nr. 2863 (M), unpaginiert. 28 M. L., Vier Denkschriften Scharnhorsts aus dem Jahre 1810. In: Historische Zeitschrift 58, 1887: 55-105: 73. 29 Müller, Heinrich, Das Berliner Zeughaus. Vom Arsenal zum Museum. Berlin 1994: 52 f. 30 GStA PK, IV. HA, A, Preußisches Heeresarchiv und heeresgeschichtliche Sammlung, Nr. 21, Bl. 26. 31 GStA PK, 1. HA, Rep. 36, Hofverwaltung, Nr. 2989 (M), unpaginiert. 32 GStA PK, I. HA, Rep. 93D, Technische Oberbaudeputation, Nr. 287 (M), unpaginiert und Springer, Robert, Berlin. Ein Führer durch die Stadt und ihre Umgebungen. Leipzig 1861:262. 33 D. 1882, a.a.O.: 644. 34 Vgl. Ladendorf 1935, a.a.O.: 146 und Seidel 1893, a.a.O.: 55. 35 Seidel 1893, a.a.O.: 56-59. 36 Seidel 1893, a.a.O.: 56. 37 GStA PK, I. HA, Rep. 36, Hofverwaltung, Nr. 2863 (M), unpaginiert. 38 Zedlitz 1834 (1979), a.a.O.: 280. 39 GStA PK, I. HA, Rep. 36, Hofverwaltung, Nr. 2864 (M), Bl. lff. 40 Zedlitz 1834 (1979), a.a.O.: 280. 41 BLHA, Pr. Br. Rep. 30 Berlin A, Nr. 24, Bl. 4 und 9. 42 Weinitz, Franz, Johann Jacobi. Der Gießer des Reiterdenkmals des Großen Kurfürsten in Berlin. Sein Leben und seine Arbeiten. Berlin 1914.

Anschriften der Verfasser: Elke Bujok, Mittenwalder Straße 24, 10961 Berlin-Kreuzberg; Peter R. Fuchs, Landesdenkmalamt Berlin, Krausenstraße 38/39, 10117 Berlin-Mitte

289 Wilhelm IL gegen Berlin Mit spitzer Feder durch die „ Siegesallee"

Von Uta Lehnert

Berlin erlebte um 1900 eine wahre Denkmalflut. Den Höhepunkt bildeten zweifellos die 32 Gruppen brandenburgisch-preußischer Herrscher in der Siegesallee: Ein Geschenk des Kai­ sers an „Seine Haupt- und Residenzstadt" Berlin.1 Das denkmalstiftende Potential des Mon­ archen, der neben künstlerischen vor allem politische Ziele verfolgte, war aber damit noch lange nicht erschöpft. Sozusagen als Verlängerung der „ Siegesallee" setzte er 1903 seinen Eltern vor dem Brandenburger Tor je ein Denkmal, das den Siegesalleegruppen formal ver­ wandt war. 1904 folgte das Standbild „Jung Wilhelm" im Tiergarten, das den Großvater des Kaisers als jungen Offizier mit Tschako zeigt. Wenig später wurde - ebenfalls im Tiergarten - die Kurprinzengruppe enthüllt, den Großen Kurfürsten als Knaben mit Hund darstellend. Auf dem Königsplatz erhielten Roon und Moltke (1905) Denkmäler (heute am Großen Stern), vor dem Kaiser-Friedrich-Museum (heute Bodemuseum) wurde das Nationaldenk­ mal für Kaiser Friedrich III. eingeweiht, und am Großen Stern fand ein umfängliches histo­ risierendes Jagdensemble Aufstellung, das fast ausschließlich von solchen Bildhauern aus­ geführt worden war, die sich schon bei der Ausschmückung der Siegesallee im Dienste des Kaisers bewährt hatten. „Strafe muß sein", eine Karikatur des norwegischen Zeichners Olaf Gulbransson (Abb. 1), erschien 1904 im Aprilheft des „ Simplicissimus" und parodierte das schlechte Verhältnis des Kaisers zur Berliner Stadtverwaltung.2 Der unmittelbare Anlaß dürfte die für den 22. März 1904 vorgesehene Enthüllung des Denkmals „Jung Wilhelm" von Adolf Brütt gewesen sein. Dann aber verschob man das festliche Ereignis auf den 2. Mai, den Jahrestag der Schlacht von Großgörschen.3 Die Verewigung des alten Kaisers in einer Uniform aus der Zeit der Befrei­ ungskriege war eine Folgeerscheinung der „Siegesallee". Adolf Menzel hatte an der neuen Prachtstraße nämlich kritisiert, daß dort kein Tschako der Befreiungskriege zu sehen sei. Dar­ aufhin beschloß der Monarch, der den Maler sehr schätzte, diesem Mangel mit einem neuen Denkmal abzuhelfen. Daher hatte Gulbransson sicher auch die Denkmäler der Siegesallee im Visier, worauf u. a. die devote Haltung der Stadtväter hindeutet. Als Wilhelm II. an seinem 36. Geburtstag die Ausschmückung der Siegesallee mit den Stand­ bildern sämtlicher Herrscher Brandenburgs und Preußens verkünden ließ, war die Überra­ schung der Berliner perfekt. In dem Stiftungserlaß wurden die Denkmäler als Dank für die von den städtischen Behörden geleistete Arbeit deklariert. Eine solche Anerkennung traf die Stadtväter völlig unerwartet. Nach kontroverser Diskussion - vor allem in der Stadtverordne­ tenversammlung - verfaßte man eine Dankadresse, die von der kritischen Presse als Muster­ beispiel für den von einem freisinnigen Magistrat gepflegten Byzantinismus bezeichnet wurde.

Hier eine Kostprobe: Eurer Majestät Würdigung unseres Thuns bewegt uns zum ehrfurchtsvollen Danke. Dieser Dank steigert sich durch die Gründung einer Ruhmesstraße, wie Eure Majestät dieselbe aus­ zuführen beabsichtigen. Sie wird (...) künftigen Geschlechtern künden die Großthaten unserer Fürsten, das Wirken hervorragender Männer, die treue Hingabe des Volkes; wir werden von ihr lernen und der Lehre, die sie uns gibt, nachleben. Eurer Kaiserlichen und Königlichen Majestät allerunterthänigste, treugehorsamste Magistrat und Stadtverordnete zu Berlin.4

290 ADD.1: Straft mufj (ein Simplicissimus 1904/Aprilheft i

»Nein, meine Herren, solange Berlin sozialdemokratisch wählt, ist nicht daran zu denken, daß mit der Errichtung von Denkmälern innegehalten wird.«

Trotz dieser Devotions- und Dankbezeigung blieb das Verhältnis des Monarchen zu seiner Haupt- und Residenzstadt gespannt, wie folgende Episode zeigt: Als die Siegesalleedenkmä­ ler 1902 in das Eigentum der Stadt übergehen sollten, warnte der Finanzminister den Minister des Königlichen Hauses davor, zum gegenwärtigen Zeitpunkt mit der Stadt über diese Ange­ legenheit zu verhandeln. Vor allem sei es bei der Haltung, welche die Stadtverordnetenver­ sammlung in allen Fragen einnehme, die das Verhältnis der Krone zur Stadt berührten, zwei­ felhaft, ob diese Körperschaft die Angelegenheit in einer Weise behandeln werde, welche der allerhöchsten Gnadenbezeugung entspreche.5 Die „aufrührerischen Elemente" waren dem­ nach in der Stadtverordnetenversammlung zu suchen. Die dort von einigen Vertretern geäu­ ßerte Kritik an den Entscheidungen der allerhöchsten Person waren dem Kaiser ein Dorn im Auge; zur Verantwortung zog er jedoch nicht sie, sondern den Oberbürgermeister und die übrigen Magistratsmitglieder. Vor diesem Hintergrund erschließt sich der tiefere Sinn der von Gulbransson dargestellten „Strafaktion". Als Symbol für das gestörte Verhältnis des Monarchen zur Stadtverwaltung mußte auch der Roland herhalten. Er bekrönte als monumentale Granitfigur den Rolandbrunnen, der den ursprünglich als südlichen Abschluß der Siegesallee geplanten Borussiabrunnen ersetzte. Die Deutungen des längst verschwundenen alten Berliner Rolands waren unterschiedlich. Von Historikern wurde er als Symbol der Handelsfreiheit interpretiert, da er vermutlich am Molkenmarkt aufgestellt war.6 Angesichts der häufigen Eingriffe Wilhelms II. in die Selbst­ verwaltung der Stadt war die Interpretation der Figur als Symbol der Stadtfreiheit aber popu­ lärer.

291 Ein mit Illustrationen versehenes Spottgedicht in den „ Lustigen Blättern" kritisierte 1902 die devote Haltung des liberalen Oberbürgermeisters Kirschner gegenüber dem Herrscherhaus (Abb. 2). Der politische Hintergrund war die eineinhalbjährige Weigerung des Kaisers, die Wahl Kirschners zu bestätigen. Majestät waren verstimmt über die Haltung des Magistrats und der Stadtverordneten bei der Neugestaltung des Friedhofs der Märzgefallenen im Friedrichshain.7 Dabei ging es vor allem um das Portal mit einer Inschrift für die Revolutions­ opfer. Etwa gleichzeitig schwelte ein Streit zwischen Magistrat und Stadtverordnetenver­ sammlung um die künstlerische Gestaltung des Märchenbrunnens am Hauptzugang der Park­ anlage Friedrichshain. Hier unterstützte der Magistrat die Änderungswünsche des Kaisers gegen die Forderungen der Stadtverordnetenversammlung.8 Nach Erledigung der „Portal­ frage" durch eine gerichtliche Entscheidung geruhte Wilhelm II. am 23. Dezember 1899, Kirschner von seiner Bestätigung der Wahl zu informieren - bezeichnenderweise während einer Denkmalenthüllung in der Siegesallee.9

Die Bedeutung des Rolands oder Städtischer Trutz

Herr Kirschner, der Chef der Berliner Gemeinde, Der hatte Besuch, ich weiss nicht woher; Ach, Onkel Kirschner, so riefen die Freunde, Ach, zeig' uns Berlin, wir bitten Dich sehr.

Da sind sie sofort durch die Strassen geschoben, Sie kamen bei manchem Denkmal vorbei; „Da kuckt mal", erklärte Kirschner, „da oben, Das ist der Roland, der ist ganz neu."

„ Der Roland, der ist ein steinerner Riese, Der durch seine Haltung erkennen lässt, Dass, wie auch der Wind von oben bliese, Das Rückgrat der Bürgerschaft eisenfest.

„ Der Roland mahnt uns auch heutzutage, Dass jeder Bürger, wer er auch sei, Sein Haupt stets aufrecht und trutzig trage, Von höfischer Demuth und Rücksicht frei.

„ Der Roland" - er wollte noch weiter erklären, Da machte er jäh in der Rede halt Und, ohne sich viel um den Roland zu scheren, Verbeugte er sich bis auf den Asphalt.

Der Roland als Sinnbild der Bürger-Courage, Der blickte auf Kirschner herab von der Höh', Und eine leere Hofequipage Fuhr langsam hinauf in die Sieges-Allee.

292 Abb. 2: Lustige Blätter 1902/38

Eine Karikatur, die 1902 unmittelbar nach Enthüllung des Brunnens in den „Lustigen Blät­ tern" erschien, unterstellte dem Roland eine ganz andere Funktion, nämlich die des „Neuen Kommandeurs der Siegesallee"(Abb. 3). Franz Jüttner legte ihm den Befehl „Achtung! Still­ gestanden!!" in den Mund und faßte so sämtliche Kritiken zusammen, die an der monotonen Reihung der Denkmäler Anstoß nahmen und sie mit militärischen Formationen verglichen. Im Gegensatz dazu begeisterte gerade das militärische Element einen Leutnant von Versewitz1", der sich 1902 in der Münchener Zeitschrift „Jugend" ganz enthusiastisch gab:

Marmorpuppen mir sonst verhaßt - „Siegesallee" mich bezwungen: Kunst hier streng militärisch erfaßt, Bürgervolk jlücklich entrungen.

Alles hier propper in Reih und Jlied. Schneidig, symmetrisch jehalten. Links un rechts keinen Unterschied, Durchweg dieselben Jestalten.

Jetzt wahre Lust, in „Allee" zu steh'n: Schnurjerad! Nach der Stange! Könnte meinshalb bis nach Potsdam jehn. Mir noch lang nicht zu lange.

In der militärischen Variante erschöpft sich aber die Aussage der Karikatur noch nicht, denn mit der Rolandfigur und dem Bildprogramm des Brunnens hat es noch eine andere Bewandt­ nis. Der Rolandbrunnen fügte sich - chronologisch „richtig" - unmittelbar dem Denkmal Kurfürst Friedrichs II. an, also desjenigen Hohenzollern, der den Berliner Roland der Überlie-

293 Abb. 3: Lustige Blätter 1902/37

ferung nach hatte stürzen lassen. Die Entscheidung für die Rolandthematik geht auf den besonderen Wunsch des Denkmalstifters zurück, der dadurch den Einfluß der Hohenzollern auf Entwicklung und Förderung Berlins in interessanter Weise verdeutlicht sah. Die Ikonogra­ phie des Rolandbrunnens bezog sich auf die Geschichte Berlins und Colins zur Zeit ihrer Unterwerfung durch die Hohenzollern und stand im Zusammenhang mit nationalistischen Tendenzen in Deutschland, wo der Roland in modifizierter Form - z. B. als Brunnenfigur - gegen Ende des 19. Jahrhunderts in den Dienst der Reichsidee gestellt wurde. Den Arbeiten am Rolandbrunnen lagen intensive historische Forschungen zugrunde. Da der alte Roland „ ohne eine sichtbare Spur seines Daseins verschwunden" war, hatte man von Seiten des Ver­ einsfür die Geschichte Berlins versucht, ihn anhand eines Vergleichs aller erhaltenen Roland­ statuen aus der Zeit vor 1384 zu rekonstruieren.11 Das ausgeführte Modell wich jedoch in wesentlichen Teilen von der historischen Rekonstruktion ab. So wurde zum Beispiel durch die

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Abb. 4: Lustige Blätter 1902/45

294 Beigabe eines Horns, bei den norddeutschen Rolanden unbekannt, auf den Paladin Karls des Großen, den sagenhaften Helden von Roncesvalles, verwiesen. Angeblich hat man dieses Symbol zitiert, „ um den eigentlichen Roland des alten Sagenkreises mit dem uns bekannten (...) städtischen Roland zu verbinden".12 So sei ein neuer Typ des städtischen Rolands ent­ standen. Diese historisch fragwürdige Kombination geht mit großer Wahrscheinlichkeit auf Anregungen des Kaisers zurück, der auf künstlerischem Gebiet innovativ wirken wollte. Am Brunnenstock waren vier Reliefs angebracht, wobei das Relief an der Vorderseite hier von besonderem Interesse ist. Es zeigte die Schwesterstädte Berlin und Colin als zankende Frauen, denen als redende Attribute ein Hund und eine Katze beigegeben waren. Durch diese wenig schmeichelhafte Darstellung der Doppelstadt als zerstrittene Schwestern, die erst durch die Hohenzollern wieder zur Raison gebracht worden sind, wollte Wilhelm II. den aufrühreri­ schen Elementen in der Stadtverwaltung zeigen, wer der Herr ist. Deshalb könnte in dem Roland der Siegesallee auch eine Personifizierung des Kaisers gesehen werden. Eine ebenfalls 1902 in den „Lustigen Blättern" (Nr. 45) erschienene Karikatur eröffnet den Blick in die „ Bürgermeister-Allee im Friedrichshain" (Abb. 4). Hier wird auf den Streit um die Neugestaltung des Friedhofs der Märzgefallenen rekurriert, aus dem der Kaiser als Sieger hervorgegangen ist. Gegenüber dem Denkmal eines sich äußerst trutzig gebärdenden Fürsten stehen nach bekanntem Muster die Denkmalgruppen mit den Bürgermeistern, welche sich tief verbeugen. Sie werden - wie die Fürsten in der Siegesallee - von zwei Nebenfiguren flankiert, einem Bestätigten und einem Unbestätigten (Oberbürgermeister). Selbst die Bären an den Bürgermeistergruppen machen Kotau oder sind an die Kette gelegt.

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Abb. 5: Lustige Bätter 1902/45

295 Mit dem Konflikt um den Märchenbrunnen im Friedrichshain befaßte sich Otto Reutter13 in einem Couplet:

Hier eine Meldung - kam aus Berlin, 'nen Märchenbrunnen stellte man hin. Er hat nicht gefallen - an höherem Ort - Nun ward er natürlich geändert sofort. Herr Singer nur hat opponiert, Der sagte gleich: Ich könnte 'nen andern Vorschlag offerier'n: Ihr stellt' auf's Postamente Die Berolina mit dem Bär - Dann nennt Ihr dieses Pärchen Die Selbstverwaltung von Berlin. Das ist das größte Märchen.

Der Zeichner W. A. Wellner machte sich 1902 in Heft 45 der „Lustigen Blätter", das „Berlin im Jahre 2000" zum Thema hatte, ähnliche Gedanken zur städtischen Selbstverwaltung. Und zwar ließ er hoch über einem Brunnen, der dem Rolandbrunnen nachempfunden ist, die Bero­ lina auf einem Bär reiten (Abb. 5). Die (Wetter-)Fahne ihres Banners ziert ein sich verbeugen­ der Mann, das inzwischen wohlbekannte Kürzel für den devoten Berliner Magistrat. Vorn am Brunnenbecken zeigt ein Wappen den Berliner Bär, der sich auf dem Rücken des Hohenzol- lernadlers niedergelassen hat, ihn fast erdrückend. Diese Darstellung verkehrt das um 1900 bestehende Kräfteverhältnis zwischen Staat und Stadt ins Gegenteil, indem sie das von Kur­ fürst Friedrich II. nach der Unterwerfung Berlins geänderte Stadtwappen persifliert. 1450 hatte der neue Landesherr den HohenzoUemadler auf den Rücken eines Bären gesetzt, der sich bis zum Jahr 1709 in dessen Fängen befinden sollte14. Aufschlußreich an dieser Karikatur ist aus heutiger Sicht, daß man 1902 ganz selbstverständ­ lich davon ausging, die Monarchie würde - wenn auch von demokratischem Korrektiv gezü- gelt - im Jahre 2000 noch Bestand haben. Aber der Kaiser hat seinen „ Kampf gegen Berlin" bekanntlich verloren.

Anmerkungen

1 Stiftungserlaß in: Extra-Ausgabe des Deutschen Reichs-Anzeigers u. Kgl. Preuß. Staatsanzeigers v. 27. Januar 1895. 2 Uta Lehnert, Die Siegesallee. Eine Kraftprobe für die Berliner Bildhauerschule. (Phil. Diss., FU Berlin, Fachbereich Geschichtswissenschaften), Berlin 1992, Kap. 1.2.1. 3 Cornelius Steckner, Der Bildhauer Adolf Brütt, Autobiographie u. Werkverzeichnis. Heide in Holstein, 1989, S. 191. 4 Ehem. Zentrales Staatsarchiv, Dienststelle Merseburg, Geheimes Zivilkabinett (Akten jetzt im Geh. Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz, Berlin) (künftig zit: ZStA Mers.) 2.2.1., Nr. 31799, Bl. 66; Text auf Antrag d. Stadtverordnetenvslg. vereinfacht, Landesarchiv Berlin (StA), Rep. 00/1626,1. 5 ZStA Mers. 2.2.1., Nr. 31803, Bl. 312. 6 Andere Deutungen werden zurückgewiesen. Ernst Kaeber in: Bär Nr. 3/1953, 168.

296 7 Hierzu ausführlich Heike Abraham, Der Friedrichshain. Die Geschichte eines Parks von 1840 bis zur Gegenwart. Berlin 1988, S. 27 f. 8 Ebenda, S. 17 f. 9 Freisinnige Zeitung Nr. 302 v. 24. Dezember 1899. 10 D. i. Georg Bötticher, der Vater von Joachim Ringelnatz (in Heft Nr. 2). 11 Berl. Denkmäler im Anschlüsse an d. Berl. Chronik . . . , Bin o. J. (vermutl. 1888), S. 1-5. 12 E. Kühn, Der Roland v. Berlin. Festschrift zur Einweihung d. Rolandbrunnens am 25. August 1902, Bin 1902, S. 9. 13 Otto Reutter, Original-Couplets und Vorträge. Mühlhausen i.Thüringen, 1904, S. 118. 14 In dieser Form war das Stadtwappen am Becken des Rolandbrunnens angebracht.

Anschrift der Verfasserin: Dr. Uta Lehnen, Menckenstraße 20, 12157 Berlin

Rezensionen

Dieter Weigert, Der Hackesche Markt. Kulturgeschichte eines Berliner Platzes. Berlin: Haude & Spener 1997, 144 S. mit 144 Abb., Skizzen und Zeichnungen. Ehe sich die Mode der geführten Speziergänge durch die Spandauer Vorstadt ausgebreitet hat, ist hier schon unter vielen Gesichtspunkten die Vorarbeit für eine gediegene Darstellung geleistet wor­ den. Sie holt auf, was bei einigen Führungen vage oder offen bleibt. Der Leser konstatiert eine fun­ dierte und zugleich lebendig erzählte Lebens- und Sozialgeschichte des Hackeschen Marktes, wie sie uns Dieter Weigert in abgewogener Sprache und mit überall gleichartiger Zuneigung zum Gegen­ stand zubereitet hat. Sie entspricht in vollem Maße dem selbst gestellten Anspruch, „Kulturge­ schichte eines Berliner Platzes" sein zu wollen. Sich auf den Platz und seine engste Umgebung zu beschränken, erweist sich als geschickt und aufschlußreich, weil sich hier wie in einem Brennpunkt das Berlin des 18. und 19. Jahrhunderts zusammengezogen hat. Der Hackesche Markt ist das Viertel, und daß es fast wesentlich seinen Charakter erhalten hat, ruft nach einer solchen Aufgabe. Verf. nimmt die Tatsache, daß vom Markt und seiner engeren Bebauung nur wenige Häuserensembles vom Kriege verschont blieben, zum Anlaß, sich darauf zu beschränken; dies verleiht der Darstellung Reiz und Tiefe. Dem „Durchläufer" entgehen die feineren Töne leicht. Vor allem die einstige barocke Linienführung in den gerade noch erkennbaren Grundrissen übersieht man leicht. So muß vieles gedanklich, d. h. mit vielen Informationen und mit altem Bildmaterial, erschlossen werden. Außerdem wird von Person und Bedeutung des Namengebers, des Grafen von Hacke, kaum etwas oder nur wenig gewußt. Verf. bekommt also Gelegenheit, die Lücke zu füllen und lebendig und viel davon zu erzählen. Dabei bleibt als geistiger Hintergrund heranzuziehen, was der „ Verein zur Vorbe­ reitung einer Stiftung Scheunenviertel Berlin e.V." über die Garnisonkirche und ihren Friedhof publiziert hat (vgl. Rezension in den MITTEILUNGEN 1/1997). Aus ihrer Mitte heraus ist auch dieses Buch entstanden. Verf. unternimmt es, auf alten Karten, Ausrissen, Umzeichnungen, Skizzen und Übersichten und Auszügen aus Adreßbüchern eine Topographie zu entwickeln, die von der anfänglichen Besiedlung des Marktes ausgeht. Den Leser fesselt die erstaunliche Karriere des Grafen Hacke, der als Günstling Friedrich Wilhelm I. und seines Sohnes bis zum Stadtkommandanten von Berlin aufstieg und die Residenz in der Not des Zweiten Schlesischen Krieges in Verteidigungszustand versetzte. Ergänzend ist die Geschichte vom Bau des Invalidenhauses und dessen Grundsteinlegung unter Friedrich dem Großen einzubeziehen. So gewinnt Verf. den Absprung, in bestimmten markanten Zeitabständen, gleichsam in Jahresrin­ gen, von „Häusern und Straßen", von „Brücken und Bahnen", von „Handel und Wandel", von „Leben und leben und leben lassen" zu erzählen. Die anfängliche Leere des Festungsvorgeländes füllt sich zunehmend mit Leben.

297 Die Vorgeschichte der Familie von Hacke ist eine anhaltinische und sächsische des 17. Jahrhunderts; die Grafen waren Lehnsleute der Wettiner, hatten später entscheidenden Anteil an den Staßfurter Salinen, die sie reich machten, gingen dann als Militärs in preußische Dienste. Besonders entschei­ dungsfreudig macht Hans Friedrich Christoph von Hacke Karriere, zuerst im Preußen des Soldaten­ königs - er wird sein Günstling - dient im bevorzugten Königsregiment Nr. 6, gewinnt Ansehen und Vermögen durch Einheirat in die Familie des Finanziers von Creutz. Hierbei kommt die adlige Gesellschaft der Klosterstraßen-Palais ins Bild. Nach dem Tod des Königs durchläuft Hacke unter dessen Sohn und Nachfolger einen gleichgearteten Aufstieg, getragen vom besonderen Vertrauen Friedrichs I. Er steigt in alle hohen Ämter der Militär- und Zivilverwaltung auf, trifft wichtige Perso­ nalentscheidungen und übt schließlich die wichtigsten Befugnisse über eine Stadt aus, die sich in den 60er Jahren seiner Dienstzeit aufs vielfältigste verändert hat. In den folgenden Kapiteln entfaltet Verf. unter dem Stichwort „Von Häusern und Straßen" die sich verändernde Bebauung des Areals rund um den Hackeschen Markt. Anhand der Kartenausschnitte mit genauer Hausnumerierung kann der Leser dies nachvollziehen. Das Material ist reichhaltig recherchiert. Noch heute geben die Grundstückssituationen Einblicke in Orte und Höfe, wo Kauf­ leute und Gewerbetreibende der friderizianischen Zeit ihre Werkstätten und Lagerplätze, Kontore und Geschäftslokale hatten. Überall sind die Linien der Festungsanlage noch erkennbar. Mit diesen Informationen versehen und aus eigner Einbildungskraft kann sich der Betrachter das Ganze verge­ genwärtigen, so wie man es auf dem Stich von Rosenberg sehen kan (42). Darauf erkennt man die Spandauer Brücke als Mittelpunkt aller Fluchtlinien der Straßen und des Verkehrs. „ Angesichts der riesigen Baulücken und der Grünflächen kann man sich nur schwer die dichte Blockbebauung bis in die vierziger Jahre vorstellen. Und doch lebte der Platz, war er im Wortsinne ein Markt, ein Handels­ platz, ein Ort pulsierenden Lebens, das in die Nachbarstraßen hineinfloß" (45). - So zeigt ihn uns noch ein Foto von Hermann Rückwardt von 1870. - Gestützt auf weitere Fotos dieser Art und dieser Zeit begegnen wir altbekannten Namen wie Loeser und Wolff, Palm, Aschinger. Das Bild füllt sich von Seite zu Seite dichter. Vergegenwärtigt wird ferner die heute unvorstellbare Eingangssituation von Schloß Monbijou. Erklärt werden in diesem Zusammenhang Straßennamen wie z. B. der Gro­ ßen und Kleinen Präsidentenstraße nach dem Polizeipräsidenten von Kircheisen. Es wird die alte Herkulesbrücke beschrieben. Wir hören von nicht mehr existierenden Gegebenheiten wie z. B. der, daß die nahegelegenen Kasernen Offizierswohnungen erforderten mit noblen Häusern und ihren dekorativen Treppenaufgängen, von denen einige erhalten sind. Dies Ambiente machte die Gegend zur Flaniermeile auch derjüdischen Bevölkerung. In der Lebens- und Sozialgeschichte wird in einem Kapitel dem jüdischen Leben des 18. und 19. Jahrhunderts viel Aufmerksamkeit gewidmet, die das Bild lebensvoll ergänzt und ausführlicher ist als jenes, das dem Scheunenviertel der zwanziger Jahre nachgesagt wird. Man kann als lesender Betrachter davon eine Geschichte der Architektur abheben: Mit den Brücken (-Figuren) des 18. Jahrhunderts schieben sich die Namen von Unger und Gontard in die Aufmerk­ samkeit, viele Hausplastiken und Brückenfiguren sind von Langhans und Schadow entworfen wor­ den. An den barocken Häusern hatte man italienische Architekturvorstellungen realisiert. Im Zeital­ ter der Stadtbahnplanung und des modernen Verkehrs tauchen Namen wie Orth, Hitzig und Vollmer (Bahnhof Börse) auf, wir hören vom Ablauf der Wettbewerbe, ihre Ideen durchzusetzen. Hinzuwei­ sen ist auf das Palais Itzig in der Burgstraße und auf die Börse dort. Wir hören von der Vermarktung der Stadtbahnbögen, wir hören von den elektrischen Straßenbahnen und finden ihren literarischen Niederschlag bei Döblin und Joseph Roth genannt. In der Schilderung werden die vielen Kneipen, Cafes und Kinos, wird das alte Aschinger lebendig. Ebenso eindringlich ist das umfangreiche Kapitel über die Kaufhäuser Wertheim in der Rosenthaler Straße und das Kaufhaus an der Ecke der Gor­ mannstraße, die Modehäuser und die Orte der Textilherstellung. Hier bildeten sich wie in der alten Luisenstadt die typische Mischung von Wohnen und Gewerbe aus. Recht detailreich wird die Geschichte der Roten Apotheke (heute Berolina-Apotheke) an der Ecke der Neuen Schönhauser Straße erzählt. Ihre alte Einrichtung ist erhalten und entzückt uns. Sich dies alles in der bis vor kurzem noch existierenden Nachkriegsöde vorzustellen, dazu gehört viel Imaginationskraft. Der Vergleich der alten Bilder mit der heutigen Wirklichkeit ist da hilfreich, erzeugt aber immer wieder das schmerzliche Bedauern, wie sehr das alte, schlichte Geformte unwie­ derbringlich zerstört ist. Das Kapitel über die Zirkuswelt an der Burgstraße (Schuhmann und Busch) und über die Varietes

298 und Kinos bis hin zu den Hackeschen Höfen und schließlich von den kleinen Vergnügungsstätten in der Münzstraße führt uns schließlich ins Vorfeld der Gegenwart und macht uns bewußt, daß die Spandauer Vorstadt nicht nur aus den heute fein herausgeputzten Hackeschen Höfen bestand. Den „ Dichtern und Musen" sind mehrere Seiten gewidmet: Ramler, die Karschin, Gleim und Kleist, Freytag und Savigny, Fichte und die Romantiker um Arnim. Schließlich tritt die Garnisonkirche mit ihren Friedhöfen ins Blickfeld. Der Kanzlei des Rechtsanwaltes Karl Liebknecht und der Sophien­ säle und des Parteigebäudes der alten KPD wird ebenfalls gedacht. So wird dem Bedürfnis, in eine lebendige Vergangenheit abzusteigen, überall mit gleicher Eindring­ lichkeit entsprochen. Wer wie Verf. den zeitlichen und räumlichen und sozialen Bogen so weit spannt und das Netz der Ereignisse und Schicksale so dicht knüpft, schildert eine scheinbar heile Welt; es ist in ihr aber der dunkle Hintergrund nicht weggedrückt. Zwar nimmt das Zerstörerische einen maß­ vollen Raum ein, es ist aber als Geschichtsmacht doch gegenwärtig und gibt die tieferen Töne ab. Man sollte darauf hören, wenn man sich lesend darauf einläßt. Schließlich fehlt der Ausblick aufs Zukünftige nicht. Computersimulationen, Fotos, Montagen und Planskizzen projizieren das geplante moderne Bild, von dem es scheint, als füge es sich stimmig ins Gewordene ein. Vielleicht erhält der alte Hackesche Markt in dem Gegenüber von alten Hackeschen Höfen und dem Komplex der Neuen Hackeschen Höfe ein altes und gleichzeitig neues geistiges Zentrum. Christiane Knop

Selma Kleinfeldt, Rostock. Ein Stadtrundgang unter den Symbolen von Stier und Greif, Rostock: Klatschmohn 1997, 70 S., 16,80 DM. Im letzten Heft der „Mitteilungen" berichteten wir über unsere Studienfahrt des Jahres 1996 (S. 271). Quasi als Nachtrag ist zu vermelden, daß unsere damalige Stadtführerin ihr umfangreiches Wissen über die alte Hansestadt nun in schriftlicher Form vorlegt. Die Seniorin der Rostocker Stadt­ führergilde erfüllt damit gewiß einen von ihren Gästen - und seinerzeit auch von uns - oft geäußer­ ten Wunsch, die Fülle der Informationen in heimischer Ruhe nochmals Revue passieren zu lassen. Gleichzeitig regt der Führer zu eigenen, ergänzenden Erkundigungen an. Man spürt auf angenehme Weise, daß die Verfasserin Mitglied des Vereins für Rostocker Geschichte ist und souverän einen großen Wissensschatz ausbreitet, der auf einer 35jährigen Erfahrung und lebenslangem Studium beruht. Übersichtlich gegliedert, reich bebildert, mit einem Stadtplan und sogar vier Grafik-Postkar­ ten für die ersten Urlaubsgrüße ausgestattet, gelang es der Verfasserin, ein vorbildliches Beispiel eines historisch orientierten Stadtführers vorzulegen. Manfred Uhlitz

Die Franken - Wegbereiter Europas. Les Francs - Prescurseurs de l'Europe, 5. bis 8. Jahrhundert, Mainz: Philipp von Zabern 1996, 2 Bde. mit 1183 Seiten, 70 DM. In den letzten „Mitteilungen" fand sich der Hinweis auf die Frankenausstellung des Museums für Vor- und Frühgeschichte in der Ausstellungshalle am Kulturforum; sie läuft noch bis zum 28. Oktober. In der vorangegangenen Berichterstattung über die deutsch-französische Zusammen­ arbeit bei der Vorbereitung und über die schon erfolgten Präsentationen in Paris und Mannheim wurde der Eindruck ihrer Bedeutsamkeit deutlich, und diese verstärkt sich noch durch die Gruß­ worte der Schirmherren, Jacques Chirac und Dr. , des Ministerpräsidenten des Landes Baden-Württemberg und der Bürgermeister der beiden Städte Paris und Berlin. Allen gemeinsam ist ihre Einsicht, daß hier ein gemeinsames Anliegen des gegenwärtigen Europa abgehandelt wird. Die eigentliche Bedeutung ermißt der Besucher der Ausstellung, wenn er die Fülle schönster Exponate und ihre musterhaft informativen Texte gründlich studiert. Es ist die Zurschaustellung kostbarster Gegenstände und schönsten Schmuckes aus Grabfunden, Museen, Archiven und Bibliotheken, besonders in der frühmittelalterlichen Buchkultur, aber auch von Zeugnissen des Alltags. Das braucht Zeit und Kraft, wird aber durch die Freude belohnt, die der Anblick schenkt. Am besten leuchtet das Geschaute ein, nachdem der Interessierte das Katalog-Handbuch durchstudiert hat. Es verlangt mit seinem Umfang von fast 1200 Seiten und mit seiner Überfülle an Bildmaterial und durch

299 seinen wissenschaftlichen Gehalt ein wahres Studium. Durch die sehr vielen Beiträge ersetzt ihm dies Handbuch ein Kompendium des neuesten Wissens- und Forschungsstandes, wie er es in dieser Zusammenschau nirgends findet. Man ist überwältigt, wie sehr sich in der Erforschung des Frühmit­ telalters, und dafür steht das Merowingerreich, in den letzten etwa 30 Jahren ein Wandel vollzog. Zwar galt im letzten Vierteljahrhundert unangefochten die Ansicht von der Kontinuität der Kultur der ausgehenden Antike in den Staaten der Völkerwanderungszeit. Die alte These vom Verfall der Zivilisation im untergehenden Römerreich war längst überwunden. Die neue Ansicht schien schon länger aufgrund der archäologischen Funde bestätigt, aber die ganze Dichte erschließt sich erst jetzt, nachdem sich die Quellenerschließung in allen sachlichen Bereichen bis in die feinsten Verästelun­ gen verzweigt. Der relative Mangel an schriftlichen Quellen bzw. die Vieldeutigkeit ihrer Ausdeu­ tung hatten im Zusammenhang mit nationalen Voreingenommenheiten auf beiden Seiten des Rheins, vor allem im 19. Jahrhundert, ein vages Bild zurückgelassen. Hier haben die Grabungen der letzten Jahrzehnte gründlichen Wandel geschaffen. Alle Historiker, Deutsche und Franzosen, berichten von hoher Warte, und sie verweisen stolz darauf, die dark ages erhellt zu haben und bisher oft ideologisch gebrauchte Begriffe wie den Anteil der Romanitas bzw. Germanitas an der Kultur beider Völker oder die Rolle des antiken Staates und der Kirche geklärt zu haben. „ Das neue Bild der Franken als selbstbewußte Erben des spätrömischen Reiches wird in vielen Facetten deutlich" (XVIII). Dieses so benannte Bild bezieht sich auf eine differenzierte Ansicht von den Merowinger-Franken und ihre Fähigkeit, sich in das Leben der gallorömischen Bevölkerung zu integrieren. Deutsche, Franzosen und Italiener sind als Teilreiche in einem langen Prozeß aus dem fränkischen hervorge­ gangen, sie sind durch ein gemeinsames Erbe charakterisiert. Die Ausstellungskonzeption postuliert also die eine Nation der Franken und ihres Reiches und „wendet sich dabei bewußt in neuer Weise der Vorstellungswelt des Frühmittelalters zu" (12). Der Kernaufsatz (Franz Staab) trägt den Ausstellungstitel von den Franken als den Wegbereitern Europas und sagt: „Während politischer Einfluß, materielle Kultur, Fernhandel des Frankenreiches seinerzeit ganz Europa erfaßten und das wirtschaftliche Schwergewicht des alten weströmischen Rei­ ches aus dem Mittelmeer nach Norden verlagerten, etablierten sich auch die charakteristisch fränki­ schen Anfänge des Lehnswesens, aus denen im Laufe des Mittelalters eine gemeinsame europäische Ritterkultur hervorging" (22). Es geht nicht nur darum zu verfolgen, wie sich aus Kleinreichen und Teilreichen des Anfangs bis 613 ein Großreich mit besonderer Identität, vor allem gekennzeichnet durch die Namen Chlodwig und Chlotar, ausbildete, sondern zu erkennen, wie diese Staatsgründer in zwei Welten, in Antike und eig­ ner Herkunft, gelebt haben. Es geht darum zu erkennen, wie sie gleichermaßen in der Welt ihres frän­ kischen Königtums wie in die Militär- und Verwaltungsorganisation des Römerreiches eingebunden waren, die ihnen ihre neue Lebensmöglichkeit gab, die sie ergriffen, das neue Europa zu schaffen. Der Topos Wegbereiter Europas trifft die Sinnmitte durchaus. Das zuweilen zum Schlagwort gewor­ dene Wort von der Bewahrung des christlich-abendländischen Europa kann nun ganz frisch und konkret gesehen werden, weil der Leser sehr viele Informationen über die Entfaltung der theologi­ schen, philosophischen Kultur von den Quellen her, vom Rechtswesen und der staatlichen Verwal­ tung, von Schriftlichkeit und Schriftkunst erfährt. Auch das Werden und Fortsetzen von Gewerbe und Handel wird ausgebreitet. Wer von der materiellen Kultur her, die den leichteren Zugang bietet, sein Verständnis sucht, findet an Kleidung, Schmuck, Haushalt, Landwirtschaft und Ernährung volle Befriedigung. Der Stil der Beiträge ist überall schlicht gehalten und besticht durch seine Sachlichkeit. Viele Gebiete werden auf eine knappe Darstellung gebracht. Diese Feststellung ist erstaunlich angesichts der Viel­ falt der Autoren deutscher und französischer Herkunft; sie haben zu einer sprachlichen Gemeinsam­ keit gefunden, ohne doch uniform zu werden. Die redaktionelle Organisationskraft der Herausgeber ist bewundernswert. Dem fast festlich-anspruchsvollen Gegenstand ist die noble Ausstattung des Buches angemessen. Auch wer dem Stoff fernersteht, läßt sich von der ausgezeichneten Bildqualität und der Farbaufnahmen gefangennehmen. Bei einer so umfangreichen, schwergewichtigen Darstel­ lung ist es unerläßlich, auf den Inhalt in einigen Grundzügen einzugehen. Europa heißt hier das Entferntsein von einseitiger nationaler Betrachtungsweise, was für beide Völ­ ker, Deutschland und Frankreich, im Laufe der Jahrhunderte gegolten hatte. Aber die beiderseitige Verzeichnung wird überwunden zugunsten eines achtunggebietenden Staatswesens der Francia, das

300 wie frisch vor uns tritt. Die Rezensentin hat es schwer, aus der Fülle des Stoffes Prioritäten zu setzen und eine Auswahl des zu Berichtenden zu treffen. In der Mitte steht die Königsgeschichte der Mero- winger, wie sie sich in den spätantiken Staat einfügte und sich von der römischen Kirche als wesentli­ chem Träger der Verwaltung seit konstantinischer Zeit in die Lehre nehmen ließ. Voll Eindringlich­ keit betrachtet man die Entstehung der Königsstädte in Gallien, vor allem Paris, und die Residenzen Tournai und Metz. Von gleicher Bedeutsamkeit erscheint die Entwicklung des Rechtswesens und der Rechtsausübung aus doppelter Wurzel, dem antiken Recht und dem Stammesrecht der Franken, Alemannen, Goten und Baiern und Thüringer. Konkreter und einsichtiger als gewohnt ersteht vor dem Leser die Praxis der Bischöfe als Fortsetzer der provinzial-römischen Verwaltungsstrukturen in den Diözesen und die Schaffung einer tragenden Klosterkultur durch ihre Förderung. In diesem Zusammenhang erfährt er auch viel von der Schriftlichkeit, vom Schriftgebrauch, von Sprache und Buchkunst, wodurch sich die merowingische Epoche von der der Karolinger unterscheidet. Das spä­ ter so bedeutungsvoll werdende Lehnswesen wird durch die Ausführungen über Handel und Wirt­ schaft in Stadt und Land, über die ländliche Grundherrschaft der adligen Familien und die Heraus­ bildung einer abgestuften fränkischen Gesellschaft nach der Zeit der Landnahme und Ansiedlung erhellt. Als „Verteidiger und Verbündete des Römischen Reiches" wachsen die Teilstämme der Franken mit kulturschaffender Kraft zu eignem Wesen und errichten ihr eignes Großreich, für das der Topos translatio imperii der beste Leitbegriff ist. Den fränkischen Offizieren im römischen Heer fiel im Dienst des spätrömischen Befestigungssy­ stems die Sicherung der Grenze zu. Das hatte Folgen in der Struktur des römischen Heeres und soziale Veränderungen in der gallorömischen Bevölkerung. Die erste Verschmelzung begann in den Grenzkastellen am Rhein und in ihren Garnisonslagern. Aus den offenen Städten der Spätantike, die nach dem Wegzug der gallorömischen Bevölkerung schrumpften, wurden durch das fränkische Heer befestigte Siedlungen. Fränkische Verbände wurde regulär angeworben und rekrutiert, und ihre Ansiedlung erfolgte in Reichsdiensten. Aufgrund der Funde läßt sich nachvollziehen, daß Offiziere und Soldaten ihre Familien in die Garnisonen nachkommen ließen; ihnen wurden verlassene villae der Römer zum Bewirtschaften zugeteilt. So nahmen sie am Wirtschaftsleben ihrer Gastvölker teil. Sie werden hier, belegt durch reiche Funde, geschildert als „Nachfahren der Gallo-Romanen". So spricht man besser von Volkswerdung statt von bloßer fränkischer Eroberung, schon gar nicht durch „ germanische Bauernkrieger". Die Landnahme lasse sich, so heißt es, als ein bedeutsamer siedlungs­ geschichtlicher Prozeß auffassen. Er habe beiden Elementen im gallorömischen Staat neue Lebens­ möglichkeiten gegeben. So heißt es ferner, die klassische Kultur habe in den Städten besser überlebt als bisher geglaubt, und aus ihrem Überleben sei eine Mischzivilisation entstanden in einem längeren Lernprozeß, der als „Instrument der Herrschaftssicherung" apostrophiert werden könne (353). Es lesen sich die farbig beschilderten Kapitel über das Städteleben in Paris, Trier, Köln, Worms und Tournai besonders gut. Das alles sind schon die Folgen der merowingischen Königsgeschichte, an deren Beginn die Taufe Chlodwigs stand. Sie erfolgte unter dem Schutz des oströmischen Kaisers. Die Forschung nimmt ein­ deutig Stellung gegen die Ansicht früherer Zeiten, das Ende des Römischen Reiches sei von Deka­ denz geprägt gewesen. Indem Chlodwig, anders als die arianischen Goten, mit seiner Taufe die katholische Form des Christentums annahm, bedeutete dies folgerichtig Zusammenarbeit mit der ortsansässigen gallorömischen Aristokratie in Staat und Kirche, die von reichen und vermögenden Bischöfen getragen wurde. Dies hat die Verschmelzung von Gallo-Römem und Franken erleichtert und damit dem Frankenreich die Kontinuität in der Auffassung von öffentlicher Macht, von der res publica, tradiert. Deshalb war die staatsrechtliche Anerkennung durch den byzantinischen Kaiser in sich schlüssig. „Nach reiflicher Überlegung kann die Taufe Chlodwigs als Hauptereignis der Geschichte des Frühmittelalters beurteilt werden" (191). Durch alle diese Tatbestände zieht sich die Frage hindurch, wieweit die Franken integrationsfähig waren; dies beschreibt das wachsende Selbst­ verständnis der Merowinger. Immer wieder heißt es, die Finanz- und Verwaltungspraxis sei herausgewachsen aus der kirchlichen Verwaltungspraxis in den Diözesen. Die Geistlichen bedienten sich dabei des Beurkundungsbrauchs der kaiserlichen Kanzlei und bedienten sich ihrer Formulare. Interessantes wird gerade von der Adaption dieser Kanzleitradition durch die Bischöfe berichtet, desgleichen von der königlichen Schriftlichkeit, die es - im Unterschied zu den Karolingern - bei den Merowingern noch gab. Es werden bei der differenzierten Analyse der Gesellschaft des Frankenreiches viele Gestalten der

301 Geistesgeschichte charakterisiert, darunter Gregor von Tours, der oft zitiert wird, und die Missionare der iro-schottischen und angel-sächsischen Mission. Sie legten den Grund für die sakrale Überhö­ hung des Frankenreiches. Für das staatliche Selbstverständnis der Merowingerkönige gilt, daß die von ihnen geführte Bischofskirche sich zur Leitung eines Gottesvolkes der Franken berufen fühlte. Wo es um die Schriftkultur des Frankenreiches geht, müssen auch die sprachlichen Gegebenheiten wie die westgermanische Sprache und die darin enthaltenen fränkischen Eigenarten untersucht wer­ den und - als ein reizvoller Exkurs - die Entwicklung des Spätlateinischen zum Altfranzösischen. Christiane Knop

Aus den Berliner Museen

Alte Nationalgalerie: „ Max Liebermann - Jahrhundertwende." Noch eine Ehrung für Liebermann, eine glanzvolle und keine zuviel. Neben den wichtigen Gemälden aus sechzig Jahren werden Graphi­ ken des „Kaisers vom Pariser Platz" gezeigt. Die große Anzahl der ausgestellten Werke belegt ein­ drucksvoll Eindruck und Einfluß der holländischen Landschaft und Kunst, später der französischen Kunst auf Liebermann. Er malte Porträts der bekanntesten Persönlichkeiten des Deutschen Reiches. Die bekanntesten Photographen Berlins porträtierten ihn, repräsentativ, privat. Vitrinen mit Zei­ tungsartikeln, Karikaturen usw. erzählen von der Wirkung und dem Ansehen Liebermanns bei Pu­ blikum, Kollegen und Konkurrenten. Bis 26. Oktober. Bodestraße 1-3. Di. bis So. 9 bis 17 \MK

Antikensammlung: „ Alte und neue Restaurierungen antiker Statuen." Die Dokumentation in den Studiensälen erläutert an den Objekten die Restaurierung über die Jahrhunderte. Zum Beispiel anhand des „Asklepios," der, 1726-29 in Trascati geborgen, aus der Sammlung Polignac 1742 durch Kauf in den Besitz Friedrich II. gelangte. Die zerbrochene Statue wurde durch Schüler der französischen Akademie der Künste in Rom zusammengesetzt, durch Christian Daniel Rauch 1827/28 anläßlich der Übereignung an die königlichen Museen ergänzt, in jüngster Zeit durch Berli­ ner Restauratoren in ein „neues" Erscheinungsbild versetzt. Bis Dezember 1997. Bodestraße 1-3. Di. bis So. 9 bis 17 Uhr. GK

Antikensammlung: Ausstellung von Schwarzweißmosaiken im Saal römischer Baukunst. Als lang­ jährige Leihgaben werden die aus Dragoncello bei Ostia ergrabenen Mosaiken den Berlinern einen Blick in die Ausstattung römischer Gutshöfe gestatten. Die wohl gegen Ende des 2. Jahrhunderts entstandenen Werke wurden zur Konservierung aufgenommen. Bodestraße 1 -3. Di. bis So. 9 bis 17 Uhr. GK

Bauhaus-Archiv: „ Veltener Dinge." Da das Keramik-Museum Berlin noch keine eigenen Ausstel­ lungsräume besitzt, zeigt es als Gast im Bauhaus-Archiv die Ausstellung über Keramik der zwanziger Jahre aus den Steingutfabriken Veiten-Vordamm. Das Werk gehörte zu den bekanntesten seiner Art in Deutschland. Arbeiten der Bauhaus-Schüler und „ -Sympathisanten" Hedwig Bollhagen, Else Dörr, Charlotte Hartmann, Louise Harkort, Theodor Bogler, Werner Burri und vielen anderen präg­ ten Dekor und Form der Serien- und Einzelstücke. Von naiv-poetisch bebilderten Wandtellern Hart­ manns über die geometrischen Ornamente Bollhagens und Harkorts spannt sich ein dekorativer Bogen zu den zuweilen strengen Arbeiten Burris und Walter Gotheins. Die Künstler und Künstlerin• nen, zwischen 1889 und 1907 geboren, verbindet in ihren Arbeiten eine zurückhaltende Farbigkeit. Dagegen steht die Vielfalt der Formen, die nicht immer streng, aber nie verspielt sind. Bis 12. Oktober. Klingelhöferstraße 14. Mi. bis Mo. 10 bis 17 Uhr. GK

Berlinische Galerie: „ Korrespondenzen Berlin - Edinburgh." Bis 2. November. Stresemannstraße Nr. 110. Di. bis So. 10 bis 20 Uhr. GK

Berlinische Galerie: „Positionen künstlerischer Photographie in Deutschland seit 1945." Bis 11. Januar 1998. Stresemannstraße 110. Di. bis So. 10 bis 20 Uhr. GK

302 Berlinische Galerie: „ Jeanne Mammen." Retrospektive zum Werk der Berliner Künstlerin (1890- 1976). Mammen lebte und arbeitete von 1919 bis 1976 in einer Wohnung am Kurfürstendamm. Die Jugend hatte sie in Paris verbracht, da der Vater, als Mammen fünf Jahre alt war, mit der Familie in seine Heimat zurückgekehrt war. Sie studierte an der Academie Julian in Paris und an der Academie Royale des Beaux- Arts in Brüssel. Mit Ausbruch des Ersten Weltkriegs mußte ihre Familie Paris ver­ lassen, und Jeanne Mammen machte sich auf den Weg nach Berlin. Sie liebte die Stadt nie. Dennoch rang sie Berlin, seinem bunten Treiben und dem Elend der Zwischenkriegszeit ihr Werk Blatt für Blatt ab. Bevorzugte Arbeitsorte waren die Gaststätten der Arbeiter in Charlottenburg, Mitte und Wedding und die vielen Künstlerkneipen. Diesen Milieustudien angepaßt zeigt sich ihr Handwerks­ zeug: Aquarell und Kreide, die eine knappe Skizzenhaftigkeit zulassen. Erst an ihrem Lebensabend wurde das umfangreiche Werk von Jeanne Mammen „wiederentdeckt". Ihr selbst hat es keine Freude mehr gemacht. 7. November 1997 bis 4. Januar 1998. Stresemannstraße 110. Di. bis So. 10 bis 20 Uhr. GK

Botanisches Museum: „ Botanik in Thüringen - von Weimar bis Cuba." Bis Dezember 1997. Köni­ gin-Luise-Straße 6-8. Eingang: Unter den Eichen 5-10. Di. bis So. 10 bis 17 Uhr. GK

Bröhan-Museum: „ Japonismus - Ostasien in der Kunst des Jugendstils." Etwa 100 Exponate aus eigenen Beständen, Keramiken, Metallarbeiten, Textilien und Plakate werden den Einfluß der Kunst Ostasiens auf das Kunstgewerbe Europas um 1900 dokumentieren. Die Ausstellung wird im Rah­ men der „Asien-Pazifik-Wochen" gezeigt. Durch die Öffnung der japanischen Häfen 1854 ergaben sich weitreichende Handelsbeziehungen zwischen China und Japan auf der einen, Europa auf der anderen Seite. Die Europäer schätzten an der ostasiatischen Kunst die Verbindung künstlerischer Qualität und ungebrochener handwerklicher Tradition. Die Anziehungskraft ihres Naturalismus ließ Bewegungs- und Haltungsmotive in Malerei und Plakatkunst einfließen. Darunter auch Arbeiten des in Berlin arbeitenden Malers Willi Jaeckel. Fremdartige florale Motive wie Bambus und Päonie bereicherten den dekorativen Formenschatz, Baum und Meereswelle wurden als eigenständige Bild­ themen erfaßt. Das steile Hochformat japanischer Malerei fand sich in Europa wieder, Stellschirme wurden modern. Das japanische Schwertblatt regte Schmuckentwerfer zu Kollektionen von Bro­ schen an. Der Erwerb von Tausenden von Färberschablonen 1873 durch das Museum für ange­ wandte Kunst in Wien erschloß einen schier unerschöpflichen neuen Motiworrat. Auch die kunst­ vollen Keramiken und Jadegefäße des 17. und 18. Jahrhunderts, die schon die Chinamode des Barock und Rokoko inspiriert hatten, waren von großem Einfluß auf den Glaskünstler des Japonis­ mus, Emile Galle. Im Bereich des Porzellans waren zunächst die Manufakturen in Kopenhagen und Sevres führend, Berlin und Meißen schlössen sich später an. Bis 26. April 1998. Schloßstraße la. Di. bisSo.l0bisl8Uhr. GK

Deutsches Historisches Museum: „Wahlverwandtschaften - Skandinavien und Deutschland 1800-1914." Kulturhistorische Schau mit 500 Gemälden, Druckgrafiken, Zeichnungen, Skulptu­ ren, Theatermodellen, Kostümen und Dokumenten zum kulturellen Miteinander von Skandinavien und Deutschland im 19. Jahrhundert. 24. Oktober 1997 bis 6. Januar 1998. Unter den Linden 2. Do. bisDi. 10bisl8Uhr. GK

Gedenkstätte Deutscher Widerstand: „ Ich habe den Krieg verhindern wollen - Georg Iser und das Attentat vom 9. November 1939." Bis 20. Dezember. Stauffenbergstraße 13-14. Mo. bis Fr. 9 bis 18 Uhr, Sa. u. So. 9 bis 13 Uhr. GK

Georg-Kolbe-Museum: „ Rainer Maria Rilke und die bildende Kunst seiner Zeit." Der 1875 in Prag geborenen Schriftsteller Rilke (1875-1926) schrieb noch vor 1900 Kunstkritiken über Berliner Kunstausstellungen und trieb 1899 Kunststudien in Berlin, wo er Cezanne „entdeckte" und wohin ihn 1906 auch eine Vortragsreise führte. Das „ Kunstanschauen" war für ihn eine wunderbare Sache, wenn er auch nicht in die Nähe der pedantischen Kunsthistoriker gerückt werden wollte. Die Ausstel­ lung zeichnet Rilkes Begegnungen mit der Kunst nach und stellt seinen Interpretationen Gemälden, Graphiken und Skulpturen gegenüber. Die Kunstkritik stand in seinen frühen Dichterjahren seinem schriftstellerischen Werk nahezu gleichwertig gegenüber. Dabei näherte er sich allmählich der

303 Avantgarde der Zeit (Degas, Picasso, Klee usw.) und schrieb so ein wichtiges Stück Kunstgeschichte, wie es in Berlin durch Hugo von Tschudi - wohl wenig pedantisch - betrieben wurde. Bis 9. November. Sensburger Allee 25. Di. bis So. 9bis 17 Uhr. GK

Georg-Kolbe-Museum: „Georg Kolbe zum 50. Todestag." Kolbe wurde 1877 in Waldheim/Sach­ sen geboren und starb am 15. November 1947 in Berlin, wo er seit 1903 gelebt hatte. Nach Malerei­ studien in Leipzig, Dresden und München ging er 1897 nach Paris, wo ihn das Werk von August Rodin stark beeindruckte. In Rom beeinflußte ihn schließlich das Werk des Berliner Bildhauers LouisTuaillons (Meisterschüler Reinhold Begas') derart, daß er sich der Bildhauerei zuwandte. Zum ersten Mal nach Kolbes Tod werden im Kolbe-Museum viele Werke zu sehen sein, die nicht aus dem Nachlaß des Künstlers stammen, aus dem der Museumsbestand hervorging. Das Frühwerk wird eine wichtige Rolle spielen und dementsprechend die vor dem Ersten Weltkireg entstandenen Werke vor­ gestellt werden. Dazu kommen Gemälde und Zeichungen Kolbes. 16. November 1997 bis 1. Februar 1998. Sensburger Allee 25. Di. bis So. 9 bis 17 Uhr. GK

Heimatmuseum Treptow: „In Treptow brodelt es im Nudeltopp - aus der Berliner Radsportge­ schichte." Bis Ende 1998. Sterndamm 102. Do. bis So. 14 bis 18 Uhr. GK

Heimatmuseum Wedding: „Hundert Jahre Wilhelm-Hauff-Grundschule in der Gotenburger Straße." Bis 30. Oktober. Pankstraße 47. Di. u. Do. 12 bis 18 Uhr, Mi. 10 bis 16 Uhr, So. 11 bis 17 Uhr. GK

Heimatmuseum Wedding: „ Hertha BSC." Bis April 1998. Pankstraße 47. Di. u. Do. 12 bis 18 Uhr, Mi. 10 bis 16 Uhr, So. 11 bis 17 Uhr. GK

Martin-Gropius-Bau: „ Deutschlandbilder - Kunst aus einem geteilten Land." Ausstellung der Ber­ liner Festspiele in Zusammenarbeit mit dem Museumpädagogischen Dienst Berlin. Gemälde, Objekte und Installationen von deutschen Künstlern aus der Zeit von 1933 bis 1997 sollen die Kunstentwicklung in der Bundesrepublik und in der DDR vor dem Hintergrund ihrer gemeinsamen Vergangenheit beleuchten. Es wird ein Bogen gespannt von Künstlern im Exil über den künstleri­ schen Aufbruch in den 60er Jahren bis in die unmittelbare Gegenwart und Umgang mit Vergangen­ heit, Schuld und Sühne. 7. September 1997 bis 11. Januar 1998. Stresemannstraße 110. Di. bis So. 10 bis 20 Uhr. GK

Martin-Gropius-Bau: „Positionen künstlerischer Photographie in Deutschland nach 1945." Aus­ stellung der Berliner Festspiele in Zusammenarbeit mit der Berlinischen Galerie, Photographische Sammlung. 7. September 1997 bis 11. Januar 1998. GK

Münzkabinett: „Vom Modell zur Prägung - Münzen und Medaillen aus der Regierungszeit Fried­ rich Wilhelm III. (1797-1840)." Bis 30. Oktober. Monbijoubrücke, im Bodemuseum. Di. bis Fr. 9 bis 17 Uhr, Sa. u. So. 10 bis 17 Uhr. GK

Museum Mitte von Berlin: „ Berliner Straßenmöbel." Bis Anfang 1998. Palais am Festungsgraben. Mo.bisDo. 10bisl2u. 13bisl7Uhr,So. 13bisl7Uhr. GK

Neue Nationalgalerie: „Exile und Emigranten 1933-1945." 10. Oktober 1997 bis 4. Januar 1998. GK Prenzlauer-Berg-Museum: „Leben mit der Erinnerung. Jüdische Geschichte in Prenzlauer Berg." Von 18 000 jüdischen Bürgern lebten 1945 kaum hundert noch im Bezirk Prenzlauer Berg. Das Museum stellt neue Forschungsergebnisse zu diesem Thema vor. In Vorträgen des Begleitpro­ gramms wird u. a. an die Synagoge in der Rykestraße erinnert, das Profil der verschiedenen jüdischen Schulen beleuchtet und die Leiterin des Berliner Verbandes des Jüdischen Frauenbundes, Bertha Falkenberg, porträtiert. Bis 27. Januar 1998. Prenzlauer Allee 75. Di. u. Mi. 10 bis 12 u. 13 bis 17 Uhr, Do. 10 bis 12 u. 13 bis 19 Uhr, So. 13 bis 17 Uhr. GK

304 Schulmuseum Berlin: „Zusammenbruch - Befreiung - Besatzung in Berlin und Brandenburg 1945." Bis Ende Dezember. Wallstraße 32. Di. bis Fr. 9 bis 17 Uhr. GK

Stadtmuseum Berlin - Märkisches Museum: „Hommage ä Walter Stengel. Bei Abriß und Umbau gerettet, aus Trümmern geborgen." Walter Stengel (1882-1960) leitete von 1926-1952 das Märki­ sche Museum, das, als Glied der Stiftung Stadtmuseum Berlin, im August 1997 den wissenschaftli­ chen Nachlaß seines langjährigen und verdienten Leiters in die Sammlung übernehmen konnte. Besonders als Erforscher und Vermittler der brandenburgischen Kunstgeschichte tat sich Stengel in den Jahrzehnten seines Wirkens hervor. Seine Schriften zum brandenburgischen Kunstgewerbe gal­ ten als Handbücher der jeweiligen Materie und sind heute noch unverzichtbar. Er beschrieb u. a. die Fayencen des Landes (1949), die Möbel (1949) und die Wohnkultur (1958). Das Stadtmuseum ehrt seinen ehemaligen Direktor mit einer Ausstellung, die Ausstattungsstücke des Berliner Schlosses, des Reichstages, märkischer Schlösser usw. vorstellt, die auf Initiative Stengels in das Märkische Museum überführt wurden. Bis 4. Januar 1998. Am Köllnischen Park 5. Di. bis So. 10 bis 18 Uhr. GK

Stadtmuseum Berlin - Märkisches Museum: „Theater-Stücke I" stellt drei Kostüm- und Bühnen­ bildnerinnen vor, die Inszenierungen des Berliner Nachkriegstheaters gestaltet haben: Arbeiten von Eleonore Kleiber (geb. 1928), Ita Maximowna (1909-1988) und Eva Schwarz (geb. 1928) aus eige­ nen Beständen. Kleiber stattete großenteils die Aufführungen Harry Kupfers an der Komischen Oper aus. Maximowna arbeitete am Hebbel-Theater unter Karl Heinz Martin. Schwarz war Mitar­ beiterin Boleslaw Barlogs am Schiller- und Schloßpark-Theater. Bis 4. Januar 1998. Am Köllnischen Park 5. Di. bis So. lObis 18 Uhr. GK

Stadtmuseum Berlin - Märkisches Museum: „Münzen und Medaillen aus den Sammlungen der Stiftung Stadtmuseum Berlin" gewährt einen metallenen Blick auf Jahrhunderte Berlin-Branden­ burger Geschichte. Die Ausstellung wurde am 8. September 1997 anläßlich des zum ersten Mal in Deutschland tagenden Internationalen Numismatischen Kongresses eröffnet. Bis 4. Januar 1998. Am Köllnischen Park 5. Di. bis So. 10bisl8Uhr. GK

Zitadelle Spandau: „ Spandau - Aufstieg zur mittelalterlichen Stadt." Eine Ausstellung des stadtge­ schichtlichen Museums Spandau. Bis Ende 1997. Am Juliusturm. Di. bis Fr. 9 bis 17 Uhr, Sa. u. So. 10 bis 17 Uhr. GK

125 Jahre Südende

Am 23. März 1996 machte unser Verein einen Rundgang durch die Villenkolonie Südende am Vor­ abend des 125jährigen Jubiläums dieses Steglitzer Ortsteiles. Anlaß der nun stattfindenden Jubiläums-Feierlichkeiten ist der Gründungstag der Aktien-Terrain- gesellschaft Südende (26. August 1872), die das ehemalige Land zweier Mariendorfer Bauern par­ zellierte (87 ha) und zum Verkauf freigab. Die Originalkarte der Terraingesellschaft ist im Archiv des Tempelhofer Vermessungsamtes und wird erstmals (als Kopie) in einer kleinen Südende-Ausstel­ lung der Öffentlichkeit präsentiert. Die Eröffnung der Ausstellung wird am 17. Oktober 1997 um 18 Uhr in der Südender Kirchengemeinde, Ell wanger Straße 11, sein. Interessant ist, daß das erste Adreßverzeichnis von Südende auch vorliegt und mit der Parzellierungskarte verglichen werden kann; darin werden die neuen Grundstücksbesitzer mit ihren meist noch Berliner Adressen und der Parzellierungsnummer erwähnt. Bis 1920 war Südende 48 Jahre lang ein Ortsteil Mariendorfs und wurde bei der Eingemeindung Groß-Berlins dem Bezirk Steglitz zugeschlagen. Sicherlich lag der Grund darin, daß die damals etwa 4000 Einwohner mehr mit Steglitz sympathisierten als mit Mariendorf bzw. Tempelhof.

305 Die Bebauung der Villenkolonie begann westlich der Anhalter Bahn, die das Terrain fast in Nord- Süd-Richtung halbiert, also zur Steglitzer und nicht zur Mariendorfer Gemarkung hin. Im östlichen Teil ging die Besiedelung Südendes nur zögerlich vonstatten. Eine weitere Bahnlinie, die Dresdener Bahn, wurde 1875 zur Südender Ostgrenze und erhielt den Bahnhof Mariendorf, der vor einigen Jahren - leider - in Bahnhof Attilastraße umbenannt wurde. Mit dem vor 1900 errichteten Bahnhof Südende hat der Ortsteil ein Aushängeschild, das im Juni 1995 wieder zum Leben erweckt wurde, zumal der Name Südende sonst kaum noch ablesbar ist. Ein Findling mit Aufschrift vor der Leo-Bor- chard-Musikschule in der Grabertstraße 4 weist noch auf den Ortsteil hin; Der Kriegerverein Südende ließ zum 80. Geburtstag Bismarcks eine Eiche pflanzen, die spätere Kriegswirren, vor allem die verheerende Bombennacht des 23. August 1943, überstand. Mehr als 80 % des Südender Baube­ standes fielen seinerzeit in Schutt und Asche, so daß die ehemalige Villenkolonie heute kaum noch nachzuvollziehen ist. Gesichtslose Neubauten aus den 60er Jahren prägen das Bild und stehen an den Stellen einstmals repräsentativer Villen. Bankiersfamilien, Militär und Adel waren bis zum Zweiten Weltkrieg in Südende zu Hause, aber auch Persönlichkeiten wie Rosa Luxemburg, Jochen Klepper, George Grosz, Adolf Reichwein, Rudolf Otto Salvisberg und die Familien Leineweber und Bren- ningkmeier. In der Zeit des Dritten Reiches wohnten außerdem der umstrittene Wilhelm Canaris sowie Nationalsozialisten wie Reinhard Heydrich und Kurt Daluege in Südende. An vergangene Zeiten erinnert das Parkrestaurant Südende, kurz „Paresü" genannt, dessen unzu­ gängliche Reste gegenüber dem Bahnhof am Steglitzer Damm auf bessere Zeiten hoffen. Bis in den Zweiten Weltkrieg hinein war es eines der beliebtesten Gartenetablissements in Berlin, idylisch am Hambuttenpfuhl gelegen und mit Platz für 2000 Besucher. Es hatte 16 Kegelbahnen, einen Boots­ verleih und war Veranstaltungsort diverser Konzerte. Warum Südende um 1960 von der Steglitzer Bezirksverwaltung als Ortsteil gestrichen wurde, ist nicht klar. In dieser Zeit sind auch fast alle Straßen Südendes umbenannt worden, so daß es immer schwieriger wird, sich diesen Teil unserer Stadt zu vergegenwärtigen. Um so wichtiger also ist es, zum 125jährigen Jubiläum daran zu denken, daß es nicht nur ein Westend, sondern auch noch ein Südende innerhalb Berlins gibt (Nordend und Ostend sind bereits in Vergessenheit geraten). Informationen über die geplanten Veranstaltungen erhalten Sie bei: Pluspukt Weiterbildung e.V., Telefon 7 74 40 81, Fax 7 74 94 7 2. Wolf gang Holtz

Wir begrüßen folgende neue Vereinsmitglieder (111/97):

Jakob, Rainer, M. A., Schriftsteller Drübecker Weg 9 12059 Berlin-Neukölln Ludwig, Hans-Joachim, Regierungsdirektor Wiesbadener Straße 58 B 14197 Berlin-Wilmersdorf Telefon 8 24 1999 Pustelnik, Dr. Felicitas, Zahnärztin Marienfelder Allee 73 12277 Berlin-Marienfelde Telefon 7 214144 (Dr. M. Uhlitz) Rieck, Michael Waldhüterpfad 27 14169 Berlin-Zehlendorf Telefon 8 13 75 39 Zapke, Eva-Maria Kirchbachstraße 17 12307 Berlin-Lichtenrade

306 Treue Mitglieder:

1952 Hans-Werner Klünner (1. November 1952) 1957 Walter Hermann 1962 Berliner Bank, Herr Detlev Gebhard Crantz, Dr. Edna (1. Januar 1962) Dortmunder Union, Schultheiss-Brauerei AG Dr. Dr. Manfred Stürzbecher (1. Januar 1962) 1967 Dr. Gabriele Crecelius Professor Dr. Ingeborg Falk Professor Dr. Heinz Goerke Dr. Irmtraut Hoffmann-Axthelm Hans-Joachim Kubitz Kurt Mulack Harry Richter Dr. Franz Röseneder

Leider fehlt auf vielen Karteikarten das Eintrittsdatum. Wir bitten die sehr verehrten Damen und Herren unseres Vereins um Ergänzung ihrer Daten.

Abschied von unseren alten Bibliotheksräumen

29 Grad zeigte das Thermometer am Nachmittag des 3. September 1997. In unserer Bibliothek ver­ sammelten sich die Damen Schlüter-Hatesaul und Löschburg sowie die Herren Funke, Hoppe, Klatt, Mende, Nause und der Verfasser dieser Notiz, um den Umzug des Vereins vorzubereiten. Kartons und Getränke waren besorgt, der Bibliotheksleiter Karlheinz Grave hatte alles bestens organisiert. Mit viel Elan wurden 15 000 Bände sorgfältig eingepackt, eine tatkräftige Einsatzbereitschaft, die am 8. September dann abgeschlossen wurde und dem z. Z. überaus finanzknappen Verein - mit Aus­ packen - immerhin 4900 DM Umzugskosten einsparen hilft. Es war ein fleißiges, fröhliches Völk­ chen, das sich hier um Herrn Grave eingefunden hatte. Einziger Wermutstropfen: Man konnte bei dieser Arbeit in keines der vielen interessanten Bücher hineinschauen. Winfried Löschburg

Spendenaufruf

Die Kosten für den Umzug der Vereinsbibliothek (10000 DM) haben ein großes Loch in unsere Kasse gerissen, so daß ich alle Damen und Herren unseres Vereins bitte, eine kleine oder größere (steuerlich abzugsfähige) Geldspende auf eines unserer - auf der Rückseite dieses Heftes abge­ druckten - Konten zu überweisen. Gleichzeitig danke ich den fleißigen Helfern aus unserem Mit­ gliederkreis, die bei großer Hitze das Einpacken der Bücher besorgten und somit weitere Kosten ein­ sparten! Hermann Oxforl

Veranstaltungen im IV. Quartal 1997

33. Sonntag, 26. Oktober 1997, 8 Uhr (Achtung: Winterzeit!): „Herrenhäuser im Ruppi- ner Land". Vergnügliche Busfahrt mit Dr. Gerd-H. Zuchold, Präsident des Landeshei- matverbands Brandenburg. Die Fahrt ist ausgebucht. Abfahrt und Ende: Rathaus Char­ lottenburg, Otto-Suhr-Aliee 100. U 7 (Richard-Wagner-Platz), Bus 145. 34. Mittwoch, 5. November 1997, 10 Uhr: „Führung in der Staatlichen Münze Berlin und Besichtigung des Maschinenmuseums" mit Rolf Hilmer. Teilnehmerbeschränkung: 25 Personen. Anmeldung: Frau Monika Förster, Telefon 7 85 3005. Eintrittsgebühr: 3 DM pro Person. Treff: Eingang Rolandufer gegenüber Mühlendammschleuse. U 2 (Klosterstraße), Bus 142, 257.

307 35. Sonntag, 9. November 1997, 10 Uhr: „Entlang dem Teltowkanal bis Zehlendorf". Stadtwanderung mit Wolfgang Stapp. Streckenlänge: ca. 9 km. Dauer: 2 % Stunden. Treff: Ullsteinhaus. U 6 (Ullsteinstraße), Bus 174, 270. 36. Montag, 17. November 1997, 15 Uhr: „Friedrich Wilhelm II. in Charlottenburg - Besichtigung der Winterkammern und der Sommerwohnung" mit Museumsdirektor Professor Dr. Winfried Baer. Treff: Schloß Charlottenburg, Knobelsdorff-Flügel. Teil­ nehmerbegrenzung 30 Pers. Anmeldung: Frau Förster, Telefon 7 85 30 05. Die Veran­ staltung versteht sich als Ergänzung unserer Marmorpalais-Führung vom 27. August 1997. Bis zum 31. Oktober ist die Anmeldung nur für die damaligen Teilnehmer mög­ lich, die ihr Eintrittsgeld entrichteten, ohne eine Eintrittskarte für den Charlottenburger Teil der Ausstellung über Friedrich Wilhelm II. erhalten zu haben. 37. Sonnabend, 22. November 1997,14 Uhr: „Die Geschichte der Hugenotten in Berlin - Rundgang über den Französischen Friedhof" mit Silke Hellmuth M. A., Kunsthistorike­ rin. Berlin-Mitte, Chausseestraße 127. U 6 (Oranienburger Tor), Bus 245, 340. 38. Sonntag, 30. November 1997 (1. Advent), 17 Uhr: „ Weihnachtsfeier im Raum ,Berlin' des Cafes Kranzler". Hans-Werner Klünner plaudert aus der „ Vergangenheit des 1865 gegründeten Vereins für die Geschichte Berlins". Festliches Abendmenü (18.30 Uhr): Kraftbrühe mit Eierstich und Markklößchen + Fleischente mit Maronen, Rosenkohl und Kartoffelplätzchen + Eisbombe „Kranzler" mit Teegebäck. Preis des Menüs: 39 DM. Anmeldung: Überweisung des Menüpreises auf das Konto: SchrLt. Dr. M. Uhlitz, Postbank Berlin Nr. 62 66 28-105 (BLZ 100 100 10) bis zum 15. November 1997 (spä­ tere Anmeldungen sind möglich: Frau Förster, Telefon 785 3005). 39. Mittwoch, 3. Dezember 1997,15 bis 19 Uhr: „Wiedereröffnung unserer Vereinsbiblio­ thek in den neuen Räumen der Berliner Stadtbibliothek". 19 Uhr: „ Die Stadtbibliothek in der Breiten Straße und ihre Umgebung". Einführungs­ vortrag mit Lichtbildern unseres stellv. Vorsitzenden Hans-Werner Klünner. Anschlie­ ßend Vortrag des stellv. Direktors der Berliner Stadtbibliothek, unseres Mitglieds Dr. Peter Rohrlach: „ Die Berliner Stadtbibliothek und ihre Sondersammlungen". Ort: Vor­ tragssaal der Berliner Stadtbibliothek, Breite Straße 32-36, Berlin-Mitte.

Bibliothek: Breite Straße 32-36, 10178 Berlin-Mitte, Telefon (0 30) 20 28 6444. Geöffnet: mitt­ wochs 15.30 bis 19.00 Uhr. Internet: http://www.pinnow.com/Vfd.GB.htm; Internet-Redaktion: Dipl.-lng. Dirk Pinnow, Ullsteinstraße 192, 12105 Berlin-Tempelhof, Telefon/Fax 706 2840. Vorsitzender: Senator und Bürgermeister von Berlin a. D. Hermann Oxfort, Breite Straße 21,13597 Berlin-Spandau, Telefon 3 33 2408. Geschäftsstelle: Ingeborg Schröter, Brauerstraße 31, 12209 Berlin-Lichterfelde/Ost, Telefon 7 72 34 35. Schriftführer: Joachim Strunkeit, Roedernstraße 48, 13467 Berlin-Reinickendorf, Telefon 4 041449. Schatzmeister: Karl-Heinz Kretschmer, Greveweg 6, 12103 Berlin-Tempelhof, Telefon 7 5342 78. Konten des Vereins: Postbank Berlin (BLZ 10010010), Kto.-Nr. 43380-102, 10559 Berlin; Berliner Bank AG (BLZ 100 20000), Kto.-Nr. 03 81801 200. Die MITTEILUNGEN erscheinen vierteljährlich zum Quartalsanfang. Herausgeber: Verein für die Geschichte Berlins, gegr. 1865, Schriftleitung und Veranstaltungsorganisation: Dr. Manfred Uhlitz, Brixplatz 4, 14052 Berlin-Charlottenburg, Telefon 3 05 96 00, Fax 3 05 38 88; Dr. Chri­ stiane Knop, Rüdesheimer Straße 14, 13465 Berlin-Frohnau, Telefon 4 01 43 07; Beiträge bitte an die Schriftleitersenden. Redaktionsschluß: l.März, l.Juni, 1.September, 15.November. Abonnementspreis ist durch den Mitgliedsbeitrag gedeckt. Bezugspreis für Nichtmitglieder: 36 DM jährlich. Neumitglieder sind herzlich willkommen! Jahresmitgliedsbeitrag 80 DM; Ehepaare 120 DM inkl. Bezug der MITTEILUNGEN und des Jahrbuchs. Beitrittserklärungen bitte formlos an die Geschäftsstelle. Herstellung: Westkreuz-Druckerei Ahrens KG Berlin/Bonn, 12309 Berlin. Nachdruck, auch auszugsweise, nur mit Genehmigung der Schriftleitung.

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