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gnose weniger optimistisch. In Thürin- FDP gen kommen die Freidemokraten nach einer von CDU-Ministerpräsident Bern- hard Vogel in Auftrag gegebenen Um- frage lediglich auf vier Prozent. In Sach- Kein Glanz sen schaffen sie gerade mal drei Pro- zent. Nachdem Hans-Dietrich Genscher, in der Hütte von den Ostdeutschen wegen seiner Befreiung der Prager Botschaftsflücht- Die FDP in den neuen Ländern hat linge im Herbst 1989 als Volksheld ver- den Genscher-Bonus verspielt ehrt, sich aus der Politik zurückzog, sind die Ost-Liberalen ohne Zugpferd. und steht vor dem politischen Ruin. „Wir haben hier noch kein klassisches liberales Wählerpotential wie im We- enn CDU-Fraktionschef Jürgen sten“, klagt Sachsen-Anhalts FDP-Vor- Scharf mittags in der Kantine sitzender Peter Kunert. Parteichef Wdes Magdeburger Landtags am macht den „fehlenden Stammtisch der FDP vorbeikommt, Mittelstand“ für die schlechten Umfra- vergeht ihm meist der Appetit. Mit den geergebnisse in den neuen Ländern ver- liberalen Koalitionspartnern gab es in antwortlich. der Vergangenheit nur Hickhack. Die Hauptschuld an der Misere tra- Steht ein Sozialdemokrat in der Nä- gen die Freidemokraten aus dem Osten he, zieht Scharf ihn schon mal beiseite jedoch selbst. Die Protagonisten ihrer und höhnt: „Guck sie dir genau an. Politik sind blaß. Ein Bonner Funktio- Mit dieser Partei hast du keine Freu- när bekennt: „Im Osten fehlt Glanz in de.“ der Hütte.“ Die SPD rechnet sich gute Chancen Intensives Interesse wecken führende aus, nach der kommenden Landtags- Ost-Liberale derzeit nur bei der Justiz. wahl die Regierung zu stellen. Ob die Gegen den Thüringer FDP-Fraktions- Freidemokraten als Koalitionspartner chef Andreas Kniepert ermittelt die dann überhaupt noch verfügbar sind, Staatsanwaltschaft wegen versuchter scheint äußerst ungewiß, ihr Einzug ins Nötigung, gegen Peter Kunert, FDP- Parlament ist akut gefährdet. Boß in Sachsen-Anhalt, wegen des Ver- Mit den Liberalen im Osten geht es dachts der Untreue. Kniepert soll in der – zumindest in der Landespolitik – Thüringer Raststätten-Affäre einen Be- überall bergab. Zwar verspricht die amten unter Druck gesetzt haben; Ku- neueste Emnid-Umfrage für die Bun- nert ist in undurchsichtige Immobilien- destagswahl der Ost-FDP noch immer geschäfte verwickelt. neun Prozent; aber für die fünf Län- Der einzige Ost-FDPler in der derparlamente, die in diesem Jahr Bonner Regierung, Bildungsminister ebenfalls gewählt werden, ist die Pro- Rainer Ortleb, mußte wegen Überfor-

FDP-Sympathieträger Genscher (1992 in Halle): Tingeltour durch den Osten

DER SPIEGEL 17/1994 43 DEUTSCHLAND

schäftigt“. Dem Landesvorsitzenden Liberale im Landtag Detlev Paepke werfen Parteimitglieder Wahlergebnisse der FDP 1990 vor, er kümmere sich mehr um seine in den neuen Bundesländern Firma als um den Landesverband. Angaben in Prozent In Mecklenburg-Vorpommern ver- kündet die FDP, die das Land gemein- sam mit der CDU regiert, tapfer, sie sei Sachsen 5,3 auch künftig ein „verläßlicher Partner“ Fünf-Prozent-Hürde – die Partei weiß nur noch nicht, für Mecklenburg- wen. Fraktionschef Walter Goldbeck, Vorpommern 5,5 dem die Schweriner Volkszeitung eine „relative Unbekanntheit“ bescheinigt, würde die Liaison mit den Christdemo- Brandenburg 6,6 kraten gern fortsetzen. Doch deren Wahlsieg ist nach der derzeitigen Stim- mungslage beim Wähler fraglich. Thüringen 9,3 Das Organisationsnetz der Liberalen hat im Osten, vor allem auf dem Lande, Sachsen- Löcher. In vielen Städten und Dörfern Anhalt 13,5 Vorpommerns „findet die FDP nicht statt“, klagt Goldbeck. Die Freidemokraten leiden zudem an derung im vergangenen Februar abtre- Überalterung: Die Nachwuchsorganisa- ten. tion Junge Liberale hat in den neuen Dabei hatte es bei der Vereinigung Bundesländern nur wenige hundert akti- für die Liberalen gut begonnen. Durch ve Mitglieder. In Brandenburg sind es geschicktes Management gelang es ih- nur ein paar Dutzend. nen, gleich zwei Blockparteien zu über- Der größte Absturz droht den Libera- nehmen: die Liberal-Demokratische len in Sachsen-Anhalt, wo die FDP bei Partei Deutschlands und die 1948 als der Landtagswahl 1990 dank des gebür- Auffangbecken für alte Nazis von der tigen Hallensers Genscher 13,5 Prozent SED gegründete National-Demokrati- der Stimmen bekam. Den Genscher-Bo- sche Partei Deutschlands (NDPD). nus haben seine Epigonen längst leicht- Nach der Wende zählte die Ost-FDP fertig verspielt. rund 170 000 Mitglieder. Doch von de- Seit Monaten tobt zwischen Saale und nen kehrten 140 000 der Partei ent- Elbe ein erbitterter Kampf um Posten täuscht den Rücken. und Pfründen. Mit Ach und Krach hat Nicht einmal in der Wirtschaftspoli- sich Peter Kunert auf dem Landespar- tik, einer klassischen FDP-Domäne, ha- teitag im März auf Platz eins der Lan- ben die Liberalen in den neuen Ländern desliste für die kommende Landtags- Profil gewonnen. In Thüringen geriet wahl gekämpft. Viele Freidemokraten der liberale Wirtschaftsminister Jürgen verübeln ihm seine Rolle nach der Mag- Bohn vor allem wegen seiner Untätig- deburger Gehälteraffäre. Kunert hatte keit bei der Krise des Kalibergwerks Bi- damals gegen den Willen der FDP- schofferode unter Beschuß. Gewerk- Landtagsfraktion Neuwahlen gefordert. schaften und Arbeitgeberverbände be- Kaum war der Parteitag vorbei, zwei- scheinigten dem FDP-Mann gleicherma- felten FDP-Mitglieder die Rechtmäßig- ßen Unfähigkeit. keit der Kandidatenaufstellung an. Der In Sachsen suchen die Liberalen, mit Landeswahlleiter hat bereits öffentlich acht Abgeordneten neben SPD, PDS Bedenken angemeldet, die Partei zur und Grünen die kleinste Oppositions- Wahl am 26. Juni zuzulassen. fraktion, durch einen stramm konserva- Kunerts Gegenspieler, Umweltmini- tiven Kurs aufzufallen. Gern greift ster Wolfgang Rauls, ist in der FDP- Fraktionschef Ludwig Martin Rade Spitze unten durch, seit Details aus sei- Linksliberale aus der eigenen Partei an, ner Vergangenheit als Mitglied der Be- etwa Sabine Leutheusser-Schnarrenber- zirkskontrollkommission der NDPD be- ger, weil die Bonner Justizministerin die kannt geworden sind. Vor allem der Abschiebung von Kurden ablehnt. Hallenser Genscher reagiert sauer. Rade würde am liebsten unter Mini- Beim Landesparteitag verbreitete sterpräsident mitregie- Parteichef Kunert trotz allem heftigen ren, doch der Christdemokrat hält sich Optimismus. Den 300 Delegierten bleu- bedeckt. Auch die Bündnisgrünen bie- te er ein, die Partei sei „stärker als je zu- ten sich als Partner an, falls die CDU vor“. Dann versprach er ihnen ein bei der Landtagswahl im September die „zweistelliges Ergebnis“. absolute Mehrheit verfehlt. Der letzte Hoffnungsträger der Ost- In Brandenburg steht die Partei treu, Liberalen bleibt Hans-Dietrich Gen- aber lustlos, zum Ministerpräsidenten scher. Der Held von Prag hat sich, wenn Manfred Stolpe. Die FDP, kritisiert Ma- auch widerwillig, bereit erklärt, noch rio Quast, Landeschef der Jungen Libe- einmal für die Seinen durch die neuen ralen, sei „zu sehr mit sich selbst be- Länder zu tingeln. Y

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