Schrifttum und ergänzende Quellen, vor allem Briefe aus der Zeit, NDB), dessen enger Mitarbeiter der Bruder Ludwig Ru­ spornten die Verfn. an , eine neue Biographie zu versuchen. dolphi war, Claudius, Schimmelmanns und vor al1em mit In der Verlagsankündigung heißt es dann: "auf vö llig der Unterstützung der Gräfin Amalia Münster-Meinhövel, neuer Quellenbasis erzählt dieses Buch die ungewöhnliche geb. von Ompteda, findet nun die Rudolphi ihre wahre Lebensgeschichte einer Frau zwischen Spätaufklärung und Bestimmung: in ihrer Obhut entfalten sich Mädchen nach Romantik." Die neuen Quellen sind die Briefe im Nachlass den seinerzeit neu esten pädagogischen Gesichtspunkten Olbers-Focke der Staats- und Universitätsbibliothek Bremen. natürlich und harmonisch in ihrer seelischen Entwicklung Doris Olbers, Tochter des Arztes Wilhelm Olbers, 1758-1840 und werden ganzheitlich gebildet. Der Kreis von Freunden [vgl. NDB) , aus Bremen, eine Schülerin der Rudolphi in und Freundinnen um die Rudolphi, die 1804 nach Hei­ Hamm, heiratete nicht den von der Rudolphi eingestellten delberg wechselt, wächst und wächst nun unaufhaltsam Lehrer Johann Friedrich Benzenberg, 1777-1846 [vgl. NDB) , und bietet ein Füllhorn an Themen aus dem Umfeld der der ihr ein Versprechen gegeben hatte, sondern den Bremer "Roma ntiker" -Biographien. Juristen Dr.jur. Christi an Focke, 1774-1852. Sie blieb mit Die eingestreuten Selbstreflexionen der Verfn. zum Gang Caroline Rudolphi, aber auch mit ihren Mitschülerinnen ihrer Forschungen stören das Bild beim Lesen eher. Stets in engstem brieflichem Kontakt und auch die Verbindung wird durch den Wechsel zwischen Zitaten aus Briefen, zu Benzenberg, der in Elberfeld 1807 Cha rlotte Platzhoff, Erzählerkommentaren, den genannten ,Arbeitsberichten' 1789-1809, heiratete, riss nicht ab. Viele Briefe aus der Zeit und dem einfachen Referieren der Biographie gewechselt, sind schon die Quellen von Rüdiger und anderen gewesen sodass letztere vor dem inneren Auge des Lesers stets - und vielfach publiziert. unruhig bleibt. Nicht al1ein die Biographie der Rudolphi Für die Ankündigung, die Biographie beruhe "auf völlig leidet darunter, auch für die weiteren Nebenfiguren ergibt neuer Quellenbasis" , ist allerdings praktisch alles an Caro­ sich nur selten ein zusammenhängenderes Bild. Vielleicht line Rudolphis Herkunft, Jugend und Ausbildung auch für hätten Kurzbiographien al1er Protagonisten auch zur frühen Gudrun Perrey recht blass geblieben. Die Rudolphi, die von Phase der Rudolphi noch mehr Licht in das Dunkel gebracht. ihren Zöglingen auch "Seile" [nach "Demoiselle") genannt Nachweise, Literaturverzeichnis und ein Namensregister wurde, emanzipierte sich aus mehr oder weniger beschei­ runden das sehr sorgfaltig und geschmackvol1 gestaltete denen Anfangen. Jedenfalls stilisierte sie in ihrer eigenen Buch ab. - Autobiographie und dem, was sie stets über diese Zeit ihres Lupold v. Lellsten Lebens mitteilte, immer eine trübe, melancholische Kindheit und Jugend in schwierigsten, dumpfesten Umständen. Ihr I:!J I Joseph Jung u. a.: Lydia Welti-Escher. Stark Vater war der Schulhalter in Magdeburg Georg Christian erweiterte Neuausgabe, hrsg. v. Joseph Jung Rudolphi [t ca. 17 63), der bald wie die meisten Stiefge­ schwister und der jüngere Bruder Fritz starb. Die Mutter, i. A. der -Stiftung, Zürich: Verlag Friederica Christina, geb. Barth, vermittelte ei nen angeblich Neue Züricher Zeitung, 2009, 576 S., reich ill., dumpfen, bildungsfeindlichen Pietismus. Dies hat die Ru­ geb., ISBN 978- 3- 03823- 557-6, 39 Euro. dolphi, die wegen ihrer wenig vorteilhaften körperlichen Nicht von ungefahr erlebt die 2007 erschienene Biogra­ Erscheinung wohl kaum Gegenstand von Heiratsplänen phie des Geschäftsführers der Alfred Escher-Stiftung, war, selbst so überliefert und die Biographin folgt ihr hierin. Prof. Dr. Joseph Jung nicht al1ein rasch weitere Auflagen, Zweifel an dieser Stilisierung äußert die Verfn. nur, wenn sondern eine grundlegende Neubearbeitung. In der ersten sie berichtet, wie der Kapellmeister Johann Friedrich Reich­ Auflage [Lydia Welti-Escher. Ein geseUschaftspolitisches ardt, 1752-1814 [vgl. NDB), in Potsdam überraschend die Drama. Selbstzeugnisse, Briefe und neue Erkenntnisse, Gedichte der Rudolphi sogar mit beachtlichem finanziellem hrsg. i. A. der Alfred Escher-Stiftung von Joseph Jung, Erfolg auf den Markt brachte. Zürich: Verlag Neue Züricher Zeitung, 2007, 454 S. , In schon hel1erem Licht erscheint die Familie des Gutsbesit­ reich iII., geb., 978-3-03823-459-3) hatte der Verf. zers Georg Christoph von Röpert in Mecklenburg, Meister bereits einen sensationellen Archivfund zum Ausgangs­ vom Stuhl der Loge Zum gekrönten, goldenen Greifin Neu­ punkt einer fundamentalen Neubearbeitung und Neube­ brandenburg, auf dessen Gut Trol1enhagen die Rudolphi urteilung des Dramas um Lydia Welti-Escher und Kar! im Frühsommer 1778 ihre Karriere als Mädchen-Erzieherin Stauffer gemacht und mit diesem Werk das Vertrauen begann. Hier kamen noch die Töchter des Apothekers in geschaffen, nun auch den bisher für all e Forschungen Neubrandenburg, Minna und Dorothea Siemerling hinzu. gesperrten Bestand des Familienarchivs der Familie Welti Die Röperts haben später in Meiningen Karriere gemacht. erstmals nutzen zu können. Doch zunächst zum Drama Auch in Anbetracht des häufigen Ehestreits der Röperts Escher-Wel ti -Stauffer. eröffnete Caroline Rudolphi mit den Röpert-Töchtern Dass die Schweiz ein für Außenstehende eher undurch­ dann ihr erstes Pensionat in Billwerder und zog bald nach dringliches Geflecht von genealogischen Verbindungen Hamm vor den Toren Hamburgs um. Hier im Umfeld des und Unternehmen untereinander und natürlich der poli­ Pädagogen Joachim Heinrich Campe, 1746-1818 [vgl. tischen Beziehungen darstellt, ist auch Nichtschweizern

AfF 1/2011 .. 35 Schri fttum bekannt. Sie bestimmen in weit höherem Maße das all­ überzusiedeln und hier Stauffer für Lyd ia ei n gigantisches gemeine Geschehen in der Schweiz als die immer wieder Kunsttempelprojekt entwarf. Welti kehrte aus vorgescho­ nur in der deutschen Presse beschriebenen Abstimmun­ benen Gründen in di e Schweiz zurück, und in Florenz bzw. gen. Seit einiger Zeit arbeitet die historische Forschung dann in Rom kommt es zum Gipfelpunkt der Beziehung und Literatur diese Verfl echtungen und Beziehungen zwischen Lydia und Stauffer und aus der schweizerischen durch beispielhafte Einblicke auf und wird dabei leicht Sicht (i . d. der Vater Bundesrat Em il Welti) zum Skandal zur "Skandalberichterstattung". Mit dem nun vorgelegten eines exzeptionellen Verhältnisses. Vater und Sohn Welti Buch gelingt dem Herausgeber und zugleich Hauptautor lassen Karl Stauffer wegen Vergewaltigung verhaften allerdings nach Ansicht des Rezensenten ein großer Wurf. bzw. Lydia ins Irrenhaus bringen. Zwa r erweisen sich al1e Das Schi cksal von Lydia Welti-Escher war exemplarisch: Anschuldigungen als nicht nachwe isbar, aber Stauffers nicht nur für die Schweiz in der Zei t des ausgehenden 19 . Leben wird durch den inszenierten Skandal ruiniert. Er Jahrhunderts und nicht nur für das schwierige Verhältnis stirbt bald an Medikamentenvergiftung in Florenz am von Geld, Kunst und Gesellschaft. Die Beschreibung von 24. Januar 1891. Rätselhaft wandte sich Lydia nach der drei und einigen mehr individuellen Lebensschicksalen, Verhaftung beider von ihm schroff ab, willigte in di e von die tragisch miteinander verknüpft wurden, gelingt ebenso den Weltis geforderte Scheidung ein, errichtete aus dem exemplarisch. Die Aufarbeitung in dem vorliegenden Band ihr von den Weltis gelassenen Restvermögen die Gottfried­ überzeugt voll und ganz. Kel1er-Stiftung und scheidet vollkommen einsam, "von den Friedrich (1 857-1940) war zwar der Sohn des Manen des unvergesslichen Freundes Stauffer" besessen, bekanntesten Bundesrats der Schweiz im 19. Jahrhundert, am 12. Dezember 189 1 in der Villa Ashburn in Champel Emil Welti (18 25-1899). Doch die Enge einer kleinbürger­ am Genfer See aus dem Leben. lichen Familie aus dem aargauischen Zurzach hatte auch Der Fund des zentralen Dokuments, das Joseph Jung als das politische Engagement des Vaters nicht wirklich zu Schlüssel für seine ungemein differenzierte neue Deutung überwinden vermocht. Als Verlobter der reichsten Erbtoch­ der Persönlichkeit Lydias entdeckte, war das psychiatrische ter der Schweiz in ihrer Zeit wurde Gutachten, das die italienischen Ärzte Nicola De Pedys eigentlich zum ,Shooting Star' der Schweizer Wirtschaft und Rinaldo Roseo am 27. Januar 1890 in Rom vorlegten. und Gesellschaft. Nicht zuletzt durch die Edition aller re­ In ihren Darlegungen in der Lebensgeschichte erklärt levanten ermittelten Briefe zeigt er sich allerdings diesem Lydia Welti-Escher beispielsweise: "Meine Urgrossmutter Wunsch des Vaters nicht gewachsen, vielmehr als weicher, verliebte sich in Goethe, und die bei den hatten ein Ver­ in seinen Ansprüchen und Möglichkeiten bescheidener hältnis, worauf jedoch weder Goethe ins Gefangnis kam, Charakter. Lydia Escher (1858-1891), Tochter von Alfred noch sie für verrückt erklärt wurde." (S. 28 6) Sie erzählt Escher (1819- 1882), konnte sich trotz einer glänzenden, auf hohem Reflexionsniveau über ihre Vorfahren (Eseher vielseitigen, ihre künstlerischen Ambitionen maximal vom Glas, Zollikofervon Altenklingen, Uebel - aus Stössin fördernden Ausbildung von den ri giden Prinzipien des bei Neuruppin, von Geiger) ih r Leben, ihr Schicksal, ihre be reits 1864 früh verwitweten Vaters und den auch damals seelische Entwicklung, ihr Drama. Das hier vol1ständig meist harten Normen und der Pseudomoral der Gesellschaft edi erte Gutachten wird auch aus heutiger Sicht bewertet nicht konsequent lösen. An die Stelle der einzigen wirk­ und in jeder Hinsicht vorzügli ch kommentiert. Es öffnet lichen Autoritätsperson, den Vater, mit dem sie auch eine das Verständnis fü r Lydia Welti-Escher als einer fü r ihre innige Liebe verband und dem sie als junge Frau auch in Zeit unerhört aufgeklärten, selbstbewussten j ungen Frau, seinen immensen und belastenden wirtschaftlichen und der eine Entwicklung ihrer reich angelegten und mit al1 en politischen Wirkungsfeldern beistand, ließ sie offenbar mit erdenklichen materiellen Möglichke iten ausgestatteten ihrer Zustimmung durch die übereilte Heirat schon einen Persönlichkeit durch die gesellschaftlich-politischen Ma­ Monat nach dem Tod des Vaters 188 2 Friedrich Emil Welti chenschaften einer Schwiegerfamilie verwehrt blieben. Die als Ehemann treten. Mit dem Escher-Kapital im Rücken überzeugende Darstellung und Interpretation der histori­ wurde Welti "der erste voll berufliche Verwaltungsrat der schen Zusammenhänge öffneten Joseph Jung nach dem Er­ Schweizer Wirtschaftsgeschichte". scheinen der ersten Auflage auch den Üb erlieferungsfundus Aber damit hatte Lydia offenbar in diesem einen Punkt den im Familienarchiv Welti. ln der Neubearbeitung findet sich gesellschaftlichen Zwängen zu ihrem späteren Unglück daher nun auch die Edition von 14 Briefen Lydi as an Gott­ nachgegeben. Lag doch in der Persönlichkeit der Lydia fried Ke l1er, 14 Briefen an Karl Stauffer, 6 Briefen Lydias Escher der Zug zu einem höheren Anspruch an geistiger an Max K1inger und weitere Freunde Stauffers, 2 Briefen Weite, Kunst, Kultur und Schöpferischem, als es ihr Welti an F. E. Welti, 2 Briefen Stauffers an Lydi a, 51 Briefen Em il und seine Umgebung zu geben vermochte. Das Ehepaar Weltis u. a. an den Sohn und den Schweizer Drahtzieher in Welti lernte den Maler Karl Stauffer- kennen, der Rom Simeon Bavier usw., weiter die Edition von Stauffers genau auf diesen Saiten des Lebens zu faszinieren wusste, Tagebuch und weiteren Dokumenten, al1 esamt vorzüglich und das Ehepaar Welt i-Es eher förderte ihn großzügig. eingeleitet und kommentiert. Der Einblick in den Untergang So großzügig, dass man beschloss zu dritt nach Florenz des Vermögens der Gottfried-Kel1er-Stiftung stel1t einen

36 ~ AIF 1/20 11 Schrifttum fast ultimativen Einblick in diesen vielseitigen Fall dar. Das beginnenden fin de siede des 19. Jahrdhunderts immer Buch wird jeder, der es fasziniert und gebannt liest, mit wieder auf Entdeckungen hin zu durchstöbern. Zuletzt Begeisterung weiterempfehlen . • sind aber alle diese Kommentare eine wundervoll e Ver­ Lupold v. Lehsten packung für den Einblick in die sympathische Seele eines jungen, aufgeweckten, neugierigen, erlebnishungrigen U;: l Friederike Schenck 1887. Ein Jungmäd• heranwachsenden Mädchens 1887. Dieser allein lohnt die chentagebuch - A Young Lady's Diary. Hrsg. Lektüre vielfach . • von Merck Corporate History, bearb. von Sa­ Lupo/d von Lehsten bine Bernschneider-Reif, Elisabeth Baumhauer, W I Eva Bambach- Horst, Hildegard Hogen, Katja Glock, Bodo von Eberstein, Sonja Steber! Benno Höne: Womit kann ich dienen? Der u. limo Grub er. Darmstadt: Merck Corporate Unternehmer und Stifter Kar! Kübel. Hrsg. von History, 2010, 4·quer, 461 S. der Karl Kübel Stiftung für Kind und Familie. Georg Schenck (1834-1909) stammte aus der bekannten Bensheim: Verlag der Kar! Kübel Stiftung für Darmstädter Familie und wurde Kaufmann in Antwerpen, Kind und Familie, 2009, 255 S" geb, wo er Maria Joanna Huybrecbts 1865 geheiratet hatte. Sieben Kinder kamen in Antwerpen 1866 bis 1880 zur Mit Karl Kübel verstarb im hohen Alter von 96 Jahren einer Welt. Die Älteste war Friederike, die am 1. November 1866 der profiliertesten Stifter Deutschlands. Sein Lebensweg geboren wurde und erst 1943 in West-Orange im Staat ist von wunderbarem Vorbildcharakter, hoffentlich für New York verstarb. Friederike hatte 1893 den Darmstädter viele. Am 6. September 1909 wurde er in Duisburg als Fabrikantensohn Georg Merck geheiratet, der für seine achtes von neun Kindern des Schreinermeisters Karl Kü• Familie der Leiter der nordamerikanischen Tochterfirma bel und der Landwirtstochter Maria Kireher geboren. Die wurde. Allerdings erzwangen die Amerikaner im Rahmen Religiosität seiner Eltern, die stets mit tatkräftiger Hilfe des Ersten Weltkriegs die Trennung und Verselbständigung für notleidende Menschen gepaart war, hat ihn geprägt. der Tochterfirma. Daher wurden Georg und Friederike die 23-jährig machte sich der Kaufmann Karl Kübel mit ei­ Stammeltern der zahlreichen Mitgesellschafter der noch nem Anfangskapital von 5000 Reichsmark selbständig. bestehenden amerikanischen Merck EI Co., [ne. Zunächst vertrieb er Beschläge, später Holz, Sperrholz [m Merck'schen Familienbesitz hat sich ein Jahreska­ und Fourniere. In der Wirtschaftskrise nahm er Möbel in lender/Notizbuch der Friederike Schenck erhalten, ein Zahlung, die er dann weiter verkaufte. Der Erfolg hier­ Geschenk von ihrer Tante OIga zur Konfirmation. Ein­ bei ließ ihn mit fünf Mitarbeitern 1935 in Worms einen geschrieben hat Friederike in das Büchlein meist im eigenen Möbel-Produktionsbetrieb gründen. Schon auf Jahre 1887. In diesem Jahr lebte sie bei den Darmstädter der Leipziger Messe 1937 gelang ihm der Durchbruch als Verwandten, erteilt Kindergottesdienst, bildete sich lite­ Möbelproduzent, den Zubehörhandel stellte er ein. 1938 rarisch, musikalisch, reiste nach München und Wien zu erwarb er in Kahl am Main ein Werk, in dem bald 120 Mit­ der befreundeten Familie des bekannten Hofbaumeisters arbeiter beschäftigt wurden. Im Krieg wurde das Wormser Heinrich Hügel (1828-1899), weiter mit der Familie Becker Werk vollständig zerstört, der Wiederaufbau war in der nach Baden-Baden, und machte auch von Darmstadt aus Französischen Zone besonders schwierig. Daher wurde häufig Besuche an der Bergstraße und in Lindenfels. In erst in Biblis ein Möbelwerk im Fliegerheim eingerichtet. dem Büchlein tritt uns durch die Eintragungen die Welt Sein Erfolgsgeheimnis war die stetige Suche nach neuen, der gebil deten, großbürgerlichen Familien um den Darm­ besseren Materialien und rationelleren Arbeitsmethoden. städter Hof entgegen, die als Beamte, Abgeordnete, Kunst­ So begann er früh, die Spanplatte einzusetzen. 1954 liebhaber (Musik!), Unternehmer oder Archi tekten (Hügel, wurde in Worms das Rhenospan-Werk eingerichtet. 1962 Ferstel usw.) ein ungewöhnliches - auch genealogisches begann ein Team mit der Entwicklung synthetischer Mö• - Geflecht bilden. In dem umfangreichen Namensregister bel oberflächen. Bald war Rhenodur ein Schrittmacher auf wird die durch die Wien und Münchenreise ungewöhnlich diesem Gebiet. Zu Wohn- und Büromöbeln kamen 1966 weite Welt der Friederike exzellent erschlossen. Und fast Küchenmöbel in Deisburg, Niedersachsen. 1968 hatte das jede Person wurde in Bild und biographischer Notiz in Unternehmen 2600 Mitarbeiter und einen Umsatz von 150 den zahllosen Kommentaren vorgestellt. Das Notizbuch Mill. DM. Zu diesem Zeitpunkt hatte sich Karl Kübel schon selbst ist vollständig faksimiliert, transkribiert und ins ein Jahr in den Aufsichtsrat seiner Firma zurückgezogen. Englische vorzüglich übersetzt. Noch bemerkenswerter ist Als er nun das große zweite Thema seines Lebens anstieß, aber der ,Kommentar' zu allen Themen, Orten, berührten konnte niemand die Tragweite erahnen. 1954 hatte er Saehfragen, bis zu genannten Speisen, gesellschaftlichen in Worms die gemeinnützige Siedlungsgesellschaft "Das Ereignissen oder dem Shopping und Opern besuch in Wien. familiengerechte Heim" (dfh) gegründet. In mehreren Hier ist es eine Lust, dieses Lese- und Bilderbuch des Bundesländern errang diese Gesellschaft Anerkennung

AfF 1/2011 ... 37 Schrifttum für vorbildliches Bauen (bis 1980 für 3639 Familien). t;;;;D 1 Friedrieh Bauer: Botschafter in zwei deut­ 1967 rief Karl Kübel die Karl Kübel Stiftung ins Leben, sehen Staaten. Die DDR zwischen Anerkennung die den Gedanken der Hilfe zur Selbsthilfe in Deutschland und Auflösung (1973-1990). Die aktive öster• aber auch in Entwicklungsländern förderte. 1968 kaufte reichische Neutralitätspolitik. Eigenverlag Dr. Karl Kübel auf der Tromm im Dorf Kocherbach bei Wald­ Friedrich Bauer, 2006, ISBN 3-200-00441-X. Michelbach ein Anwesen, welches Kristallisationspunkt einer weitreichenden Entwicklung wurde. Karl Kübel ließ Friedrich Bauers Dienstzeit für das Auswärtige Amt der in seine Stiftung Ideale seiner Erfahrungen der Jungendbe­ Republik Österreich fiel in jene Zeitenwende unserer Gene­ wegung und der katholischen Soziallehre einfließen. "Seine ration, die für alle überraschend kam. Als Leiter des Wiener politische Grundüberzeugung entsprach der christlichen Büros für Internationale Konferenzen und Organisationen, Verantwortung des Einzelnen." (Eva Bambaeh-Horst, Hil­ als Botschafter in Ostberlin (1973-77) und als Leiter der Po­ degard Hogen, Benno Höne, Womit kann ich dienen? Der litischen Sektion des Wiener Außenministeriums, dann als Unternehmer und Stifter Karl Kübel, S. 184.) Immer stärker Botschafter in Bonn (1986-1990) und schließlich als Bot­ trat jedoch die Förderung kinderreicher und notleidender schafter in Moskau (1990-1995) war er direkt mit Kaltem Familien im Programm der Stiftung hervor. 1972 gründete Krieg, Entspannungspolitik, Nachrüstungspolitik, Aufstand Karl Kübel den Kreis der Kübel-Senioren e.V. in Worms und und Umbruch in der DDR und deutscher Wiedervereinigung war bis zu seinem Tod dessen Ehrenvorstand. 1972 brachte befasst. Sein österreichiseher Blickwinkel gewährte gerade Karl Kübel aber auch sein gesamtes Betriebsvermögen und in dieser Zeit objektive Beobachtungen und sensible An­ den größten Teil seines Privatvermögens in die Stiftung ein, knüpfungsmöglichkeiten. Mit seinen Aufzeichnungen schuf insgesamt 72 Millionen DM. 1976 übernahm die Karl Kübel er eine Quelle, die bei der künftigen Auseinandersetzung Stiftung, die selbst traditionell stark in Indien engagiert ist, mit dieser Zeit und ihren Dokumenten nicht außer Acht die Koordination des "Bensheimer Kreises", in dem sich 29 gelassen werden sollte. Denn die Aufzeichnungen von private Institutionen der Entwicklungshilfepolitik zusam­ Friedrich Bauer erheben keinen Anspruch darauf, die erleb­ mengeschlossen hatten. 1978 gründete Mary Anne Kübel, ten Vorgänge auch bereits zu reflektieren und einzuordnen. seit 1972 Karl Kübels zweite Frau, das "Odenwald-Institut Auch werden keine Arkana der Außenpolitik enthüllt. Viel­ für personale Pädagogik" auf der Tromm. Jährlich wurden mehr liefert der Verf. eine Fülle zeittypischer Einzelheiten, hier bald hunderte an Fortbildungsseminaren angeboten. die auch für den ,nachgeborenen' Leser erklärt werden, Es Anlässlich seines 80. Geburtstages stiftete Karl Kübel den entsteht ein stark persönlich gefarhtes Mosaik. Das Buch Karl-Kübel-Preis, der seitdem jährlich private Initiativen ist klar gegliedert und in der Darstellung und Ausstattung und Leistungen zum Schutz und zur Förderung des Kindes erfreulich schlicht. Zahlreiche Abbildungen, die den Verf, im Kreis der Familie mit 100.000 DM auszeichnet. Den mit den bekannten "Volksvertretern" Europas zeigen, sind ersten Karl-Kübel-Preis überreichte 1990 der damalige beigegeben. Im Namensregister werden die Personen sorg­ Ministerpräsident von Hessen, Walter Wallmann. 1992 faltig mit ihren Ämtern verzeichnet. Allerdings ist zahlreich überreichte den Preis die damalige Bundesministerin für auch von den Ehefrauen der Botschafter und anderen Ge­ Frauen und Jugend, Dr. Angela Merke!. 1993 übernahm nannten die Rede, die dann nicht im Register aufgeführt der Bundespräsident die Schirmherrschaft. sind, wie das Register insgesamt leider unvollständig ist. Die Biographie versucht, unterbrochen von Zitaten, u. a. Durch den recht persönlichen Charakter der Darstellung zahlreichen Bildern, Dokumenten, aus mehreren großen und der Kommentare zu Personen wäre ein vollständiges Interviews von Benno Höne mit Karl Kübel, Beiträgen Register besonders wünschenswert gewesen, In dem Buch von seinen früheren Mitarbeitern, die häufig genug seiner sind kein Erscheinungsort und auch keine Bezugsadresse näheren und weiteren Familie angehörten, die innere Ent­ angegeben . • wicklung Karl Kübels nachzuzeichnen. Mit erstaunlicher Lupold v, Lehsten Offenheit gegenüber den Fährnissen des Lebens erweist sie den Stifter als einen kantigen Menschen, der in im­ mer neuen Ideen für Projekte zunächst unternehmerisch, dann aber im Sinne der Menschenliebe rastlos tätig war. Aus der Kindheitserfahrung einer großen katholischen Familie stammend, wandte er sich als Antwort auf die gesellschaftlichen Umbrüche seiner Zeit immer stärker der Förderung von Familien mit Kindern zu. Das Buch ist betont schlicht, fast puritanisch gestaltet. Eine Übersicht über die verwandten Quellen und auch ein Namensregister wären wünschenswert gewesen . • Lupold v. Lehstell

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