2 Hintergrund Montag, 27. Juli 2015

Der Zürcher gilt als eine der herausragendsten Persönlichkeiten der Schweiz im 19. Jahrhundert. Nun gibt eine Onlinesammlung von Briefen Einblick in das Denken und Wirken des Wirtschaftspolitikers. Viel Raum nimmt dabei der Kampf um den Eisenbahntunnel durch den Gotthard ein. Ein grosser Schweizer und seine Briefe

tatkräftiger Hilfe von Bundesrat Emil Von Karl Hotz Welti – der Aargauer Kleinbürger hatte seine Stellung nicht zuletzt Escher zu Alfred Escher aum jemand hat die Schweiz verdanken – wurde Escher 1878 wegen Zwei Schaffhauser in so kurzer Zeit so stark ver­ Finanzproblemen zum Rücktritt als ändert wie Alfred Escher: Er Verwaltungsratspräsident gedrängt. als Teil des Netzwerks Ktrieb den Bahnbau in der Weltis Intrige hatte einen persönlichen Schweiz zwischen 1850 und 1880 voran Grund: Weil er im Bundesrat über Alfred Escher schuf sich ganz gezielt wie kein anderer, ohne ihn gäbe es kei­ Jahre als Gefolgsmann Eschers für den ein Netzwerk, mit dessen Hilfe er nen Bahntunnel durch den Gotthard, er Gotthard gekämpft hatte, fürchtete er, seine Ideen vorantrieb und realisierte. gründete mit der Kreditanstalt die selber über die Finanzprobleme zu stol­ Mit dem Osterfinger Georg Stoll und erste Schweizer Universalbank, mit der pern, und opferte Escher kaltblütig. ­Johann Friedrich Peyer im Hof gehör­ Rentenanstalt die erste Lebensver­ In fast 1800 Briefen wird der Gott­ ten auch zwei Schaffhauser dazu. sicherung, und er war die wichtigste hard erwähnt. Sie geben ein ausführ­ Stoll war über Jahre die rechte Hand Kraft für die Errichtung des Poly­ liches Panoptikum über die Erfolge und Eschers. Er konnte sich auf ihn ver- technikums (der heutigen ETH), um das Scheitern Eschers. Seit den frühen lassen und auch noch auf ihn zählen, nur ­einige Punkte zu nennen. Sechzigerjahren kämpfte Escher für als er in der Nationalbahn-/Gotthard­ Kürzlich sind über 5000 Briefe im das Projekt und scheute sich dabei bahnkrise von vielen im Regen stehen Internet der Öffentlichkeit zugänglich nicht, seine Verbindungen zu nutzen. gelassen wurde. gemacht worden; 1196, die Escher ge­ So schrieb er an , der inzwi­ schrieben hat, die anderen, die von 671 schen Bundesrat geworden war, «es «Ein hülfloses Waislain» Personen, darunter nur gerade neun wäre sehr wünschbar, daß der Gesandt­ Wie sehr Escher Stoll vertraute, Frauen, an ihn geschrieben worden schaftsposten in Turin bald besetzt zeigt sich etwa daran, dass er 1878, sind. Damit ist eine Fundgrube offen, werde. Gerade die Alpenbahnfrage als die Krise um die Nordostbahn auf die über das Leben und Denken Eschers scheint mir dieß dringend zu erhei­ dem Höhepunkt war und er wegen viel Interessantes zutage fördert. Ge­ schen» (1. September 1863) einer Krankheit die Generalversamm­ leitet hat die Monsterarbeit der aus Breiten Raum nimmt dabei auch lung nicht leiten konnte, sich an Stoll Ramsen stammende Professor Joseph die Korrespondenz mit Peyer im Hof wandte. Er schrieb: «Ich muß Sie da- Jung. Natürlich kann man auf einer ein, der in den Sechzigerjahren vor her bitten, an meiner Stelle die Gene­ Zeitungsseite diese Edition nur stich­ ­allem in Deutschland und Grossbritan­ ralversammlung leiten zu wollen.» wortartig streifen. Wir versuchen es nien sehr aktiv für das Projekt war. Das Oder Ende der Sechzigerjahre, als die trotzdem. war nötig, weil die Bahn ohne Kapital ­Zürcher Demokraten aus allen Rohren aus dem Ausland nicht zu realisieren gegen Alfred Escher schossen und Das Netzwerk war. Genau lesen sollte man auch die dabei häufig unter die Gürtellinie ziel­ Escher war unter anderem deshalb Briefe von Bundesrat Welti in der Gott­ ten, schickte er Stoll am 9. Dezember so erfolgreich, weil er – wie man heute hardaffäre. So schreibt er am 28. Juni 1867 den Entwurf für einen Zeitungs­ sagen würde – ein begnadeter «Netz­ 1878 seinem «hochgeehrten Herr und artikel und fügte an: «Sollten Sie übri­ werker» war. Unter anderem schrieb er Freund» nach vielen gewundenen For­ gens ebenfalls den Ton meines Artikels nach Schaffhausen, man solle ihm mulierungen über Gespräche im Bun­ zu herb finden, so ersuche ich Sie, ihn einen Verbindungsmann nennen (siehe deshaus: «Ich muss es Ihnen ohne Um­ nach Belieben zu modifiziren.» Zwei Kasten). Solche Netzwerker lieferten schweif sagen, so leid es mir auch thut, Jahre später schreibt er in einem wei­ ihm Ideen und vor allem Informationen dass eine Reihe der besten Freunde teren Brief an Stoll, der abwesend war: aus erster Hand. So schrieb ihm etwa unserer Sache das Opfer Ihres Rück­ «Im übrigen bin & bleibe ich in Ihrer Johann Friedrich Peyer im Hof am Alfred Escher war Zürcher Regierungsrat und Mitglied des 1848 gewählten ersten trittes für das Gelingen des Werkes er­ Abwesenheit ein hülfloses Waislein!» 8. Oktober 1847 einen genauen Bericht ­Nationalrates. Er gründete zudem wichtige Institutionen mit. Bilder zvg/Alfred Escher Stiftung forderlich hält.» Welti hat nicht den Zudem vertraute er seiner rechten über den Grossen Rat und die Stim­ Mut zu sagen, er finde den Rücktritt Hand immer wieder wichtige Posten mung in Schaffhausen zum Sonder­ Austeilen ohnehin wenig zimperlich. Die beiden Damen hätten, so fügte er auch die beste Lösung, sondern ver­ an: So war Stoll ab 1873 Direktor der bund. Aber immer funktionierte das So teilte er Escher am 24. September an, «liebreiche Erkundigungen über steckt sich. «Ich constatire nur die Kreditanstalt, lange Jahre Verwal­ nicht. Das zeigt ein Beispiel von 1871, 1857 mit, der Thurgauer Johanns einen gewissen Herrn aus Zürich ein­ Thatsache, dass im eigenen Lager die tungsrat der Gotthardbahn und der als Escher seinem treuen Gefolgsmann ­Kaspar Kappeler werde bestimmt zum gezogen». Meinung besteht», schreibt er. Schweizerischen Eisenbahnbank, mit Josef Zingg in Luzern mitteilte, Schaff­ Präsidenten des Eidgenössischen Escher selbst konnte recht ruppig Als Escher ein Jahr später die Wahl der Escher die Finanzkrise der Nord­ hausen zeichne nur 150 000 Franken für Schulrates gewählt. Er habe dabei ge­ sein, wenn er sich ungerecht behandelt in den Verwaltungsrat der Gotthard­ ostbahn und der Gotthardbahn löste. die Gotthardbahn: «Ich kann hierüber mischte Gefühle, denn «obwohl ich ihm fühlte. So schrieb er am 3. März 1875 an bahn verwehrt wird, setzt Welti noch nur sagen, daß ich dieses Erstaunen in Betracht seiner geistigen Fähig­ den Journalisten Abraham Roth, ­Redak- einen drauf: Er habe Escher auch nicht Anschluss an das Bahnnetz meinerseits vollkommen theile. Hiezu keiten gerne stimme, so beunruhigt tor der «Schweizer Grenzpost», zu gewählt – «selbstverständlich | nicht in Der erste Brief von Johann Fried­ bin ich um so berechtigter, weil Hr. mich doch das allgemeine | Gerücht einem Artikel: «Ihre Korrespondenz aus der Weise, dass ich irgend wie gegen rich Peyer im Hof zeigt, wie aktiv Peyer im Hof, der doch Präsident des von s. Trägheit u Nachläßigkeit in Ge­ Zürich in No 51 Ihres geschätzten Blat­ Ihre Wahl gewesen wäre, sondern weil Escher sein Netzwerk aufbaute. Er Gr. Rathes & Mitglied der betreffenden schäften.» Weiter wäre da auch ein tes enthält fast so viel thatsäch­liche Un­ ich nie daran gedacht habe, dass Sie hatte Schaffhauser angeschrieben und Großrathscommission ist, mir auf wie­ Schreiben des Solothurner Liberalen richtigkeiten als Worte!» Dabei mochte eine solche Wahl wünschen könnten», gebeten, ihm einen Kontaktmann zu derholtes Befragen erklärte, es seien fr. , der die Wahl der Bun­ er Roth eigentlich recht gut. So unter­ entschuldigt er sich am 23. Juni 1879 stellen, worauf Peyer ihm am 8. Januar 250/m im Antrage!» (250/m bedeutet desstadt nicht schlecht findet, «obwohl breitete er ihm 1852 die verblüffende mehr als fadenscheinig. 1845 schrieb: «So habe ich Ihnen die 250 000, die Red.). die langweiligste Stadt in Europa Idee, die Berner Zeitung «Bund» nach Anzeige zu machen, daß diese Charge Zum Teil enthalten diese Briefe ist» (4. Dezember 1848). Zürich zu übersiedeln. «Sie wissen, daß Schnuppern in der Goldgrube von meinen Freunden mir übertragen auch Mitteilungen, die man heute als Eher selten sind private Anmer­ man | sich in Zürich schon lange nach Diese wenigen Beispiele zeigen, worden ist.» Peyer wurde rasch zu Verletzung des Amtsgeheimnisses kungen, die Rückschlüsse auf Escher einem täglichen Blatte ­ungefähr von der dass Professor Joseph Jung und sein einem wichtigen Kontaktmann in qualifizieren würde. So etwa wenn Bun­ erlauben. Der spätere Bundesrat Jakob Richtung des ­‹Bundes› sehnt», gab er als Team eine eigentliche Goldgrube er­ Eisenbahnfragen und war massgeblich despräsident über einen Dubs etwa schrieb seinem Freund ein­ einen Grund dafür an. schlossen haben. Es lohnt sich, darin daran beteiligt, dass Escher die Rhein­ Postangestellten, dem er auf Bitten mal: «Um einen kleinen Katzenjammer ein wenig herumzuschnuppern. Eine fallbahn nach in kürzester Eschers nochmals eine Chance gab und herauszubringen, lief ich heute Mittags Immer wieder der Gotthard geradezu vorbildliche Benutzerfüh­ Zeit erstellte und so Schaffhausen ihn nach Schaffhausen versetzen liess, an die Neubrücke &. speiste dort ganz Grossen Raum nimmt natürlich der rung, die eine grosse Fülle von Quer­ einen Zugang zum Bahnnetz eröffnete. mitteilte: «Nun wurde dieser Peter in allein zu Mittag; neben der aufgeblüh­ Kampf um die Gotthardbahnlinie ein. verbindungen erschliesst, macht das Auch in der Kreditanstalt und der ­Ren- sehr honorabler Stellung nach Schaff­ ten Rose ist dort ein viel versprechen­ Sie wurde der grösste Erfolg Eschers sehr einfach. tenanstalt sass er im Verwaltungsrat. hausen versetzt, ich glaube als Chef des Rosenknöspchen» (11. Juli 1855). und zugleich seine Tragik, denn unter Weitere Informationen: www.briefedition.alfred-escher.ch Als es in den Sechzigerjahren dieses Bureau. Hier beging er die ­darum ging, ob der Alpendurchstich ­größten Dummheiten u Brutalitäten u am Gotthard oder in den Ostalpen erfol­ benahm sich wie der taktloseste, gen sollte, unterbreitete er Escher Vor­ ­unverschämteste Lümmel.» schläge, welche Linien man in Deutsch­ Noch extremer war eine Mitteilung land fördern solle, um damit indirekt von Bundesrat , der Escher das Gotthardprojekt zu unterstützen. mit einer kurzen Notiz direkt aus einer 1872 schliesslich wurde Peyer der Nach­ Bundesratssitzung mitteilte, wer im folger Eschers als Präsident der Nord­ Gremium wie gestimmt hatte! ostbahn. Dieser Schritt war aber auch gleich der Anfang vom Ende der Bezie­ Viel Vergnügliches hung. Peyer hatte so wenig Glück bei Natürlich dreht sich der grösste seinen Versuchen, die sich anbahnende Teil der Briefe um geschäftliche und Finanzkrise des Unternehmens in den politische Angelegenheiten. Immer Griff zu bekommen, dass er 1877 entlas­ wieder enthalten sie aber auch Anmer­ sen wurde. Da er gleichzeitig mit der kungen und Notizen, über die man Schweizerisch-Ungarischen Soda- und schmunzeln muss. Das erwähnte Bei­ Chemikalienfabrik­ sein ganzes privates spiel, in dem Furrer über den «unver­ Vermögen verlor, fand seine Karriere schämtesten Lümmel» herzieht, ist nur als Unternehmer und Bankier ein ab­ eines unter vielen. Jonas Furrer war im Professor Joseph Jung. Die schwungvolle Unterschrift Alfred Eschers. ruptes Ende. (khz)