Rainer Christlein: Ausgrabungen Des Frühmittelalterlichen Ortsgräber- Feldes Von Pleidelsheim, Kreis Ludwigsburg
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Rainer Christlein: Ausgrabungen des frühmittelalterlichen Ortsgräber- feldes von Pleidelsheim, Kreis Ludwigsburg Rainer Christlein leitete in den Jahien 1969 bis 1972 die Ausgrabungen der fiühalamannischen Höhenbmg auf dem Runden Berg bei Urach (Kreis Reutlingen). In mehreren Publikationen setzte er sich eingehend insbesondere mit chronologischen und soziologischen Problemen der Frühgeschichte unseres Landes auseinander. Zu den Material- komplexen dieser Zeit, deren wissenschaftliche Bearbeitung er übernahm, gehört das Gräberfeld von Pleidelsheim. Ein Reihengräberfeld auszugraben — also den Friedhof bracht hatte. So kommt es dazu, daß noch kein Grä- einer Siedlung aus der Zeit, als das Haus der Merowin- berfeld ausgegraben ist, von dem wir sagen könnten: ger über die Franken herrschte —, ist heute eine An- Das ist schon einmal in dieser Form erforscht worden, gelegenheit von mehreren Monaten Dauer, von be- das ist nicht neu. Noch bringt ein jeder Friedhof des trächtlichem personellem und finanziellem Aufwand frühen Mittelalters Uberraschendes und bislang Unbe- und in der Regel von geringem rasch verfügbarem kanntes. Und alle diese archäologischen Befunde sind, historischem Nutzwert, zumindest was das erste Jahr- mit den Methoden unserer Zeit angegangen, abfrag- zehnt nach der Ausgrabung anbetrifft. Der Bodendenk- bar: nach dem Entstehungsdatum der zugehörigen malpfleger, der die Ausgrabung eines Reihengräber- Siedlung, nach deren bevölkerungsmäßiger Zusammen- feldes veranlaßt, muß sich daher heute die Frage ge- setzung, nach den Veränderungen dieser Siedlungsge- fallen lassen, ob sein Tun in einer vertretbaren Rela- meinschaft in den ersten Generationen ihres Bestehens tion zum Fortschritt historischer Erkenntnis steht. Er und nach dem Standort der bestatteten Bevölkerungs- wird hingewiesen werden auf die riesige Zahl ergrabe- gruppe in der umgebenden politischen und kulturellen ner frühmittelalterlicher Grabfunde — es mögen längst Landschaft. Die alamannischen Friedhöfe geben hier- über zehntausend sein — und der tiefen Skepsis begeg- auf stets Antwort. Diese fällt um so vollständiger und nen, ob die Ausgrabung weiterer zwei-, dreihundert erschöpfender aus, je umfassender das angetroffene Bestattungen der Forschung wirklich etwas Neues er- Reihengräberfeld untersucht werden konnte. Im gün- bringe. Solche Fragen wurzeln in Vorstellungen, welche stigsten Falle liegt das soziale Gefüge einer frühmittel- die merowingerzeitlichen Reihengräber und ihren ma- alterlichen Siedlung bis in alle Einzelheiten seiner Ent- teriellen Inhalt als schier unversiegbaren Quell mehr stehung und seiner Veränderungen wie ein aufgeschla- oder weniger interessanter Gegenstände aus dem täg- genes Buch lesbar vor uns. Ein vollständig erfaßter lichen Leben der Alamannen betrachteten, dazu ange- Bestattungsplatz ist hierfür die Voraussetzung. Ein tan, die Vitrinen der Museen mit martialisch aussehen- Friedhof wie beispielsweise der bei Fridingen im den Waffen und mit auch heute noch kostbar erschei- Donautal ausgegrabene wird nach seiner Bearbeitung nenden Schmuckstücken zu füllen. Die Vitrinen aber Ergebnisse bringen, welche mittels historischer Quel- sind längst gefüllt, ein neuerlicher Zuwachs bedarf an- len nie zu erlangen gewesen wären. derer Motivation. Wenn das so ist, könnte man fragen, warum be- Diese wurde in Württemberg schon recht früh vorge- schränkt man sich dann nicht auf die Ausgrabung tragen. Bereits Walther Veeck begriff im Verlaufe sei- kompletter Gräberfelder und verzichtet auf die oft ner großangelegten Sammlung alamannischer Boden- mühsame Bergung einzelner Grabfunde und kleinerer funde ein Grab als das Behältnis einer rechtlich um- Gräberfeldfragmente? Dieser gerade heute aktuellen schreibbaren Persönlichkeit, die Grabbeigaben als Forderung nach größtmöglicher Effizienz in Ausgra- Schlüssel zur soziologischen Beurteilung des Bestatte- bung und Forschung ist entgegenzuhalten, daß der ge- ten und die Summe aller Gräber eines Friedhofs als genwärtige Stand der Geschichtswissenschaft sich be- Abbild einer alamannischen Dorfgemeinschaft. Seine reits nicht mehr damit zufrieden geben kann, ein früh- Betrachtungsweise führte also schon entschieden weg alamannisches Gräberfeld und damit die zugehörige von den rein kunsthistorischen oder volkskundlichen Siedlung als isoliertes Phänomen zu betrachten. Wir Aspekten der alamannischen Grabbeigaben. Veeck — wissen um die Dynamik in den Siedlungsvorgängen und seine Nachfolger — sahen allerdings eine solche gerade jener entscheidenden Jahrhunderte zwischen Dorfgemeinschaft noch als etwas in sich Ruhendes und 400 und 700, und die Fragestellungen, welche daraus kaum Veränderungen Unterworfenes an. In den seit- erwachsen, können fast nur noch mit archäologischen her vergangenen vierzig Jahren hat sich jedoch her- Quellen und nur dadurch gelöst werden, daß man die ausgestellt, daß jener Zeitraum, in welchem die Ge- Friedhöfe ganzer Siedlungslandschaften zu erforschen schichte der dörflichen Siedlungen allein durch die sucht. Erst wenn man sich dessen bewußt wird, wie Reihengräberfelder tradiert wird, sozialgeschichtliche sehr ein jeder Siedlungsplatz dieser Zeit in die Mecha- Vorgänge von außerordentlicher Vielfalt mit sich ge- nik des frühmittelalterlichen Landausbaues eingebun- 101 hi 0 - — Grabtmgsqrcfizc den ist, wird man die Forderung nach der Erfassung einem Neubaugebiet immer mehr diesem Gräberfeld. möglichst aller Bestattungsplätze nicht mehr für über- War das erste Grab des Friedhofs 1951 noch bei Feld- spitzt und utopisch halten. Es mag in diesem Zusam- wegarbeiten zum Vorschein gekommen, so stammen menhang zu denken geben, daß man schon nicht mehr die Einzel- und Grabfunde der folgenden Jahre durch- unüberprüft annehmen darf, in einem jeden Reihen- wegs bereits aus Baugruben, so die Goldscheibenfibel gräberfeld liege die Bevölkerung der ganzen zugehöri- des Titelblatts aus der 1958 ausgehobenen Baugrube gen Siedlung. Stets ist damit zu rechnen, daß Perso- des Hauses Im Vogelsang 12, der Rest eines reichen nenkreise an beiden Enden der sozialen Rangskala Männergrabes aus dem Jahre 1964 von den Baustellen nicht auf dem allgemeinen Ortsgräberfeld bestatten Mörikestraße 30/32. Im gleichen Jahr wurden in der durften bzw. bestatten wollten. Alle diese Fragen sind Baugrube zum Haus Mörikestraße 17 etwa neun Grä- nur durch die Ausgrabung ganzer Gräberfeldensembles ber beobachtet, darunter ein Pferdegrab mit einer sil- zu lösen. Auch wenn daher die Erforschung von Fried- bertauschierten Trense des frühen 6. Jahrhunderts. hoffragmenten unter heutigen Gesichtspunkten als ein 1967 erbrachte der Bau des Hauses Mörikestraße 19 Wechsel angesehen werden mag, der in ferner Zukunft weitere vierzehn Gräber, darunter ein Frauengrab des vielleicht einmal einzulösen ist, so ist demgegenüber 5. Jahrhunderts. Alle Funde bis zu diesem Zeitpunkt eindringlich zu betonen, daß die Weichen für die verdanken ihre Erfassung und Sicherung der Initiative Ziele und Ergebnisse der Forschung an der Frühge- von Privatleuten. Als schließlich 1969 weitere Parzel- schichte Südwestdeutschlands am Ende unseres Jahr- len im Norden des Friedhofareals überbaut werden hunderts bereits heute gestellt werden. Denn eine jede sollten, sorgte das damalige Staatliche Amt für Denk- Bodenurkunde ist nach ihrer unbeobachteten Zerstö- malpflege Stuttgart für eine rechtzeitige Ausgrabung. rung in unseren Tagen für alle Zeiten vernichtet und Die annähernd 150 Gräber, welche 1969 noch aufge- durch keine noch so kluge Konjektur mehr zu rekon- funden wurden (Abbildung 1), sind nur ein geringer struieren. Ausschnitt aus dem Reihengräberfriedhof, zudem ein willkürlicher. Nur im Nordwesten scheint die Fried- Das bisher Gesagte gilt es im Auge zu behalten, wenn hofsgrenze festzustehen. Die Gesamtzahl aller Bestat- nunmehr ein frühmittelalterliches Gräberfeld vorge- tungen des Gräberfeldes kann durchaus tausend er- stellt werden soll, von dem höchstens ein Fünftel noch reicht haben, projiziert man die Belegungsdichte des erforschbar war. Es handelt sich um den zu Pleidels- planmäßig ergrabenen auf das aus den Einzelfunden heim, dem Fleim des Blidolf, gehörenden ältesten erschließbare Friedhofsareal. Die Gräber waren wie Friedhof. Er lag knapp 1000 m nördlich des heutigen — üblich nach Osten orientiert. Grabraub, ein schon da- und wohl auch des alten — Ortskernes. Der Ort Plei- mals strafwürdiges Delikt, kam gelegentlich vor. Im delsheim, im Kreise Ludwigsburg und rechts des Nek- wesentlichen hat sich jedoch alles das erhalten, was in kars gelegen, näherte sich seit etwa zwanzig Jahren mit „Blidolfsheim" zwischen der Mitte des 5. und dem 102 DAS GRÄBERFELD VON PLEIDELSHEIM. <i 1 Der Plan der ausgegrabenen Fried- hofsflädie. 2 Grab 73 bei der Auffindung. 3 Die Prunkwaffe des in Grab 71 bestatteten Mannes war eine Spatha, deren hölzerner oder elfenbeinerner Griff auf der Schauseite mit Gold- blech belegt war. Die Scheide, aus zwei fellgefütterten Holzschalen, war mit Silberbeschlägen verklammert und mit silbertausdiierten Riemendurch- zügen besetzt. 4 Außerdem besaß der Mann Sax, Lanze und Schild; die Metallteile der Waffen sind erhalten. Es handelt sich bei diesem Waffenbestand um die für eine wohlhabende Männergrabaus- stattung typische Zusammensetzung, die für zwei Jahrhunderte gültig blieb. 3 Ende des 7. Jahrhunderts an Schmuck, metallenem S-Fibelpaar fränkischer Herkunft aus Silber, einem Trachtzubehör und Bewaffnung getragen wurde und Bügelfibelpaar gleichen Materials und gleicher Her- dessen einstige Besitzer im planmäßig ergrabenen kunft, einem