Deutschland

Vergangene Woche war die Verwirrung um die Nachfolge Wolfgang Schäubles CDU komplett. Der profilierungssüchtige CDU- peinlich darauf geachtet, nicht als „Ost- Bundestagsabgeordnete , ver- Tante“ zu gelten. Doch mit ihrem Aufstieg Angst teidigungspolitischer Sprecher der Union, bekamen auch die neuen Länder plötzlich lancierte im Handstreich sein eigenes Dos- größere Bedeutung. Fest steht, dass sich sier über die Zukunft der Bundeswehr an unter einer CDU-Chefin Merkel das Ver- vor Angela die Journalisten, während Merkel neben hältnis zur PDS entspannen wird. ihm das Konzept der CDU zur Armee- Dass die Fraktionsmitglieder bei der Nach ihrer Nominierung zur reform zu erläutern versuchte. Wahl ihrer Spitze Günter Nooke dem we- Niemand wusste, welche Position die sentlich bekannteren Sachsen Arnold Parteichefin begann Union nun hat. Die CSU fühlte sich über- Vaatz vorzogen, war eine Richtungsent- mit einem unglücklichen Auftritt. gangen. Dass sie sich überhaupt gleich nach scheidung. Zwar stammen beide aus der Doch im Osten ist sie eine ernste ihrer Nominierung zum Parteivorsitz auf Bürgerrechtsbewegung der DDR. Doch öf- Herausforderung für SPD und PDS. das verminte Gelände Bundeswehrreform fentlich profilierte sich der leicht choleri- wagte, hielten Parteifreunde für einen Feh- sche Kohlianer Vaatz mit dem Kampf ge- eim Umgang mit Deutschlands ler. Ex-Verteidigungsminister Volker Rühe gen die „SED-Erben“. Das Arbeitstier Osten war Angela Merkel immer et- nahm das Laienspiel auf seinem Fachgebiet Nooke hingegen setzt auf Sachpolitik. Bwas anders. Schon 1995, als Unions- gelassen zur Kenntnis. Ein zweites Signal waren die Auftritte vize, kritisierte sie die Ausgrenzung der Eigentlich muss Merkel sich um Wichti- Lothar de Maizières im und in PDS nach dem Motto „Ignorieren, verteu- geres kümmern. Bis Dienstag nächster Wo- der CDU-Fraktion. Der letzte DDR-Pre- feln, Panik“. Doch West-Unionisten wie che will sie sich einen Generalsekretär aus- mier saß bei der Gedenkstunde zur Erin- hörten nicht auf das suchen. In dieser Woche beginnt sie mit der nerung an die einzig freie DDR-Wahl in „Mädchen“, wie Helmut Kohl sie nannte. Arbeit an ihrer Parteitagsrede. In Essen der ersten Reihe des deutschen Bundes- Im Jahr zehn der Einheit, mit Merkel als muss sie den Vorwurf ausräumen, sie ver- tags – noch vor Wochen unvorstellbar. Parteichefin und dem einstigen Bürger- füge über kein inhaltliches Profil. Auch wenn, wie CDU-Mann Bergner rechtler Günter Nooke als Fraktionsvize im Um ein Thema kommt sie nicht herum, freimütig einräumt, hinter diesen Signalen Bundestag, ist eine sensiblere Tonart drin- den Aufbau-Ost. Zwar hat sie im Kampf noch kein strategisches Konzept stehe, glau- gend nötig. Ein Boom im Osten, ben Ost-Kenner wie der Berliner Sozial- wo Gerhard Schröder 1998 starke wissenschaftler Rolf Reißig, dass die CDU Stimmengewinne gelangen, könnte mit dem früheren Mitglied der DDR-Ju- den Konservativen im Bund neuen gendorganisation FDJ Merkel an der Spitze Schub geben. Frau Merkel, meint verlorenes Terrain zurückgewinnen könnte: , einst erfolgloser Wenn sie „Ost-Themen als Reformthemen Unionsvize unter Patriarch Kohl, für Gesamtdeutschland aufnimmt“, so sei eine „Identitätsfigur“. Mit ihr Reißig, könnte die CDU beim pragmati- könne die Union im Osten „ver- schen Ost-Wähler wieder ankommen. stärkt verankert werden“. PDS-Bundesgeschäftsführer Dietmar Doch Angela Merkel gibt sich Bartsch sieht seine Partei durch Merkel vor beim Thema Ostdeutschland un- einer „neuen Herausforderung“ – nun wird auffällig bedeckt – wie auf anderen es um Programme und Positionen gehen. gefährlichen Politikfeldern auch. „Wenn die CDU unter Angela Merkel sich mit uns inhaltlich auseinander setzen will“, * Rechts: bei der Pressekonferenz zur Zukunft sorgt er sich, „ist das für viele bei uns eine der Bundeswehr am vergangenen Dienstag in

Berlin; unten: am 8. März im mecklenburgi- M. SCHREIBER komplett neue Situation.“ schen Stavenhagen. CDU-Politiker Merkel, Breuer*: Vermintes Gelände Die Sozialdemokraten geben sich derweil demonstrativ gelassen. „Ostdeutsche an der Spitze“, tönt SPD-Landeschef mit Blick auf Manfred Stolpe und , „das haben wir seit Jahren.“ Doch neue Gesichter an der Spit- ze, neben der blassen Familienministerin Christine Bergmann und dem allzu zurück- haltenden Staatsminister , tä- ten der Ost-SPD gut, wenn sie gegen Merkel antreten muss. Matthias Platzeck halten ein- flussreiche Ost-Sozis für kabinettsreif. „Der sollte sich“, fordert Mathias Schubert, Ost- Vormann der Bundestags-SPD, „stärker in die Bundespolitik einmischen.“ Derzeit ist Sachsen-Anhalts Ministerprä- sident Reinhard Höppner die Leitfigur der Ost-SPD. „Ich nehme die Herausforderung, die Angela Merkel darstellt, gerne an“, begrüßt er die Konkurrentin, aber mit ei- nem spitzzüngigen Warnhinweis: „Es wäre ein übles Spiel, wenn die Männer in der Union sie nur benutzen, um nach zwei Jah-

L. CHAPERON ren zu zeigen, dass die Ossis es doch nicht Künftige CDU-Chefin Merkel, Parteifreunde*: Im Osten verankert können.“ Stefan Berg, Tina Hildebrandt

38 der spiegel 13/2000