Plenarprotokoll 16/133

Deutscher

Stenografischer Bericht

133. Sitzung

Berlin, Donnerstag, den 13. Dezember 2007

Inhalt:

Glückwünsche zum Geburtstag der Abgeord- (DIE LINKE) ...... 13882 A neten Dr. und Ute Dorothee Bär (CDU/CSU) ...... 13882 B Kumpf ...... 13863 A Johann-Henrich Krummacher Erweiterung und Abwicklung der Tagesord- (CDU/CSU) ...... 13883 A nung ...... 13863 B Dr. Hakki Keskin (DIE LINKE) ...... 13884 A Absetzung des Tagesordnungspunktes 11 . . . . 13865 C Simone Violka (SPD) ...... 13884 D Nachträgliche Ausschussüberweisungen . . . . 13865 C Wolfgang Börnsen (Bönstrup) (CDU/CSU) ...... 13886 B Tagesordnungspunkt 3: Jürgen Koppelin (FDP) ...... 13886 D Bericht der Enquete-Kommission „Kultur in (Cottbus) (SPD) ...... 13888 B Deutschland“: Schlussbericht der Enquete- Kommission „Kultur in Deutschland“ (Drucksache 16/7000) ...... 13866 A Tagesordnungspunkt 4: a) Antrag der Abgeordneten , in Verbindung mit Wolfgang Zöller, Klaus Hofbauer, weite- rer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Zusatztagesordnungspunkt 2: Dr. , Waltraud Wolff (Wol- Zwischenbericht der Enquete-Kommission mirstedt), Ingrid Arndt-Brauer, weiterer „Kultur in Deutschland“: Kultur als Staats- Abgeordneter und der Fraktion der SPD: ziel Unsere Verantwortung für die ländli- (Drucksache 15/5560) ...... 13866 A chen Räume (Drucksache 16/5956) ...... 13890 A (CDU/CSU) ...... 13866 B b) Antrag der Abgeordneten Dr. Kirsten Hans-Joachim Otto (Frankfurt) Tackmann, Kornelia Möller, Werner (FDP) ...... 13869 A Dreibus, weiterer Abgeordneter und der Siegmund Ehrmann (SPD) ...... 13871 A Fraktion DIE LINKE: Arbeitgeberzu- sammenschlüsse zur Stärkung ländli- Dr. Lukrezia Jochimsen (DIE LINKE) ...... 13873 B cher Räume Undine Kurth (Quedlinburg) (Drucksache 16/4806) ...... 13890 B (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) ...... 13874 C c) Antrag der Abgeordneten Hans-Michael Dorothee Bär (CDU/CSU) ...... 13876 D Goldmann, Dr. Christel Happach-Kasan, Dr. Edmund Peter Geisen, weiterer Abge- Christoph Waitz (FDP) ...... 13878 C ordneter und der Fraktion der FDP: EU- Lydia Westrich (SPD) ...... 13880 A Arbeitnehmerfreizügigkeit im Agrarbe- II Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 133. Sitzung. , Donnerstag, den 13. Dezember 2007

reich einführen – praxisuntaugliche die Zusammenarbeit im Bereich der Si- Erntehelferregelung auslaufen lassen cherheit des Luftraums bei Bedrohun- (Drucksache 16/6643) ...... 13890 B gen durch zivile Luftfahrzeuge (Drucksache 16/7219) ...... 13909 D d) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs c) Erste Beratung des vom Bundesrat einge- eines Fleischgesetzes brachten Entwurfs eines ... Gesetzes zur (Drucksachen 16/6964, 16/7503) ...... 13890 B Änderung des Steuerberatungsgesetzes (Drucksache 16/7250) ...... 13909 D e) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Ernährung, Landwirt- d) Erste Beratung des von der Bundesregie- schaft und Verbraucherschutz rung eingebrachten Entwurfs eines Geset- zes zur Neuregelung des Grundstoff- – zu der Unterrichtung durch die Bun- überwachungsrechts desregierung: Agrarpolitischer Be- (Drucksache 16/7414) ...... 13910 A richt 2007 der Bundesregierung e) Erste Beratung des von der Bundesregie- – zu dem Entschließungsantrag der Ab- rung eingebrachten Entwurfs eines Geset- geordneten , Ulrike zes zur Änderung seeverkehrsrechtli- Höfken, Bärbel Höhn, weiterer Abge- cher, verkehrsrechtlicher und anderer ordneter und der Fraktion BÜND- Vorschriften mit Bezug zum Seerecht NIS 90/DIE GRÜNEN zu der Unter- (Drucksache 16/7415) ...... richtung durch die Bundesregierung: 13910 A Agrarpolitischer Bericht 2007 der f) Antrag der Abgeordneten Dr. Harald Bundesregierung Terpe, , Elisabeth Scharfenberg, weiterer Abgeordneter und (Drucksachen 16/4289, 16/5599, 16/6864) 13890 C der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- , Bundesminister NEN: Medizinische Verwendung von BMELV ...... 13890 D Cannabis erleichtern (Drucksache 16/7285) ...... 13910 A Dr. Christel Happach-Kasan (FDP) ...... 13892 C g) Antrag der Abgeordneten Rainder (SPD) ...... 13894 B Steenblock, Hans-Josef Fell, Sylvia Dr. (DIE LINKE) ...... 13896 B Kotting-Uhl, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Cornelia Behm (BÜNDNIS 90/ NEN: Den Ostseeraum zur Modellre- DIE GRÜNEN) ...... 13898 B gion für regionale Kooperationen aus- Franz-Josef Holzenkamp (CDU/CSU) ...... 13900 C bauen und den Baltic Sea Action Plan zum Baustein einer Europäischen Mee- Nicole Maisch (BÜNDNIS 90/ respolitik weiterentwickeln DIE GRÜNEN) ...... 13902 A (Drucksache 16/7286) ...... 13910 A Dr. Edmund Peter Geisen (FDP) ...... 13902 D Dr. Gerhard Botz (SPD) ...... 13903 D Zusatztagesordnungspunkt 3: Klaus Hofbauer (CDU/CSU) ...... 13905 A Antrag der Abgeordneten Hans-Joachim Cornelia Behm (BÜNDNIS 90/ Fuchtel, , , DIE GRÜNEN) ...... 13905 C weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Monika Waltraud Wolff (Wolmirstedt) (SPD) ...... 13907 C Griefahn, Lothar Mark, , weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD: Er- neuerbare Energien, wie Solarenergie, Geo- Tagesordnungspunkt 39: thermie, Wind- und Wasserkraft, für die a) Erste Beratung des von der Bundesregie- Energieversorgung deutscher Einrichtun- rung eingebrachten Entwurfs eines Geset- gen im Ausland einsetzen – Für Klima- zes zu dem Übereinkommen des Euro- schutz und Nachhaltigkeit parats vom 23. November 2001 über (Drucksache 16/7489) ...... 13910 B Computerkriminalität (Drucksache 16/7218) ...... 13909 C Tagesordnungspunkt 40: b) Erste Beratung des von der Bundesregie- rung eingebrachten Entwurfs eines Geset- a) Zweite und dritte Beratung des von der zes zu dem Abkommen vom Bundesregierung eingebrachten Entwurfs 24. April 2007 zwischen der Regierung eines Ersten Gesetzes zur Änderung des der Bundesrepublik Deutschland und Strahlenschutzvorsorgegesetzes dem Schweizerischen Bundesrat über (Drucksachen 16/6232, 16/7509) ...... 13910 D Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 133. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. Dezember 2007 III b) Zweite und dritte Beratung des von der f) Beschlussempfehlung und Bericht des Bundesregierung eingebrachten Entwurfs Ausschusses für Gesundheit zu der Unter- eines Gesetzes zur Änderung der Orga- richtung durch die Bundesregierung: Mit- nisation des Bundesausgleichsamtes teilung der Kommission an das Europäi- (Drucksachen 16/7079, 16/7514) ...... 13910 B sche Parlament und den Rat c) Beschlussempfehlung und Bericht des Organspende und -transplantation: Ausschusses für Verkehr, Bau und Stadt- Maßnahmen auf EU-Ebene (inkl. 9834/07 ADD 1 und ADD 2) entwicklung zu der Unterrichtung durch KOM (2007) 275 endg.; Ratsdok 9834/07 die Bundesregierung: Vorschlag für eine (Drucksachen 16/6389 Nr. 1.10, 16/7192) 13912 A Verordnung des Europäischen Parla- ments und des Rates über gemeinsame g)–o) Regeln für den grenzüberschreitenden Beschlussempfehlungen des Petitionsaus- Personenverkehr mit Kraftomnibussen schusses: Sammelübersichten 317, 318, 319, (Neufassung) 320, 321, 322, 323, 324 und 325 zu Petitio- KOM (2007) 264 endg.; Ratsdok. 10102/07 nen (Drucksachen 16/5806 Nr. 11, 16/7071) . . 13911 B (Drucksachen 16/7349, 16/7350, 16/7351, d) Beschlussempfehlung und Bericht des 16/7352, 16/7353, 16/7354, 16/7355, 16/7356, Ausschusses für Verkehr, Bau und Stadt- 16/7357) ...... 13912 A entwicklung zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung: Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parla- Zusatztagesordnungspunkt 4: ments und des Rates zur Festlegung ge- a)–k) meinsamer Regeln für die Zulassung zum Beruf des Kraftverkehrsunterneh- Beschlussempfehlungen des Petitionsaus- mers schusses: Sammelübersichten 326, 327, 328, KOM (2007) 263 endg.; Ratsdok. 10114/07 329, 330, 331, 332, 333, 334, 335 und 336 zu (Drucksachen 16/5806 Nr. 12, 16/7072) . . 13911 B Petitionen (Drucksachen 16/7492, 16/7493, 16/7494, e) Beschlussempfehlung und Bericht des 16/7495, 16/7496, 16/7497, 16/7498, 16/7499, Ausschusses für Verkehr, Bau und Stadt- 16/7500, 16/7501, 16/7502) ...... 13913 A entwicklung – zu der Unterrichtung durch die Bun- desregierung: Mitteilung der Kom- Zusatztagesordnungspunkt 5: mission an den Rat, das Europäische Wahlen zu Gremien Parlament, den Europäischen Wirt- schafts- und Sozialausschuss und a) Wahlvorschlag der Fraktion der CDU/ den Ausschuss der Regionen CSU: Wahl von Mitgliedern des Beirats bei der Bundesbeauftragten für die Un- Ein Aktionsplan für Kapazität, Effi- terlagen des Staatssicherheitsdienstes zienz und Sicherheit von Flughäfen gemäß § 39 Abs. 1 des Stasi-Unterlagen- in Europa (inkl. 5886/07 ADD 1 und Gesetzes 5886/07 ADD 2) (Drucksache 16/7474) ...... 13914 A KOM (2006) 819 endg.; Ratsdok. 5886/07 b) Wahlvorschläge der Fraktionen CDU/ CSU, SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- – zu der Unterrichtung durch die Bun- NEN: Wahl von Mitgliedern des Ver- desregierung: Vorschlag für eine waltungsrates der Kreditanstalt für Richtlinie des Europäischen Parla- Wiederaufbau gemäß § 7 Abs. 1 Nr. 4 ments und des Rates zu Flughafen- des Gesetzes über die Kreditanstalt für entgelten (inkl. 5887/07 ADD 1 und Wiederaufbau 5887/07 ADD 2) (Drucksache 16/7475) ...... 13914 A KOM (2006) 820 endg.; Ratsdok. 5887/07 c) Wahlvorschlag der Fraktion der SPD: Wahl von Mitgliedern des Gemeinsa- – zu der Unterrichtung durch die Bun- men Ausschusses gemäß Artikel 53 a desregierung: Bericht der Kommis- des Grundgesetzes sion über die Anwendung der Richt- (Drucksache 16/7476) ...... 13914 B linie 96/67/EG des Rates vom 15. Oktober 1996 d) Wahlvorschlag der Fraktion der SPD: KOM (2006) 821 endg.; Ratsdok. Wahl vom Deutschen Bundestag zu ent- 5894/07 sendender Mitglieder des Ausschusses nach Artikel 77 Abs. 2 des Grundgeset- (Drucksachen 16/4501 Nr. 2.43, 16/4501 zes (Vermittlungsausschuss) Nr. 2.44, 16/4501 Nr. 2.46, 16/7169) . . . . 13911 C (Drucksache 16/7477) ...... 13914 B IV Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 133. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. Dezember 2007 e) Wahlvorschlag der Fraktion der CDU/ NIS 90/DIE GRÜNEN: Bildungsstrategie CSU: Wahl eines vom Deutschen Bun- für mehr Chancengerechtigkeit starten destag zu entsendenden Mitglieds des (Drucksache 16/7465) ...... 13929 C Beirats für Fragen des Zugangs zur Ei- senbahninfrastruktur (Eisenbahninfra- Priska Hinz (Herborn) (BÜNDNIS 90/ strukturbeirat) DIE GRÜNEN) ...... 13929 D (Drucksache 16/7478) ...... 13914 B (CDU/CSU) ...... 13931 A f) Wahlvorschlag der Fraktion der CDU/ (FDP) ...... 13933 D CSU: Wahl eines Mitglieds des Stif- tungsrates der „Stiftung CAESAR“ (Spandau) (SPD) ...... 13934 D (Centre of Advanced European Studies Cornelia Hirsch (DIE LINKE) ...... 13937 B and Research) (Drucksache 16/7479) ...... 13914 B Marion Seib (CDU/CSU) ...... 13938 D g) Wahlvorschlag der Fraktion der CDU/ Dr. (SPD) ...... 13940 B CSU: Wahl eines Mitglieds des Verwal- (FDP) ...... 13942 C tungsrates bei der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (Drucksache 16/7480) ...... 13914 C Tagesordnungspunkt 6: h) Wahlvorschlag der Fraktion der CDU/ Beschlussempfehlung und Bericht des Aus- CSU: Wahl einer Schriftführerin gemäß schusses für Familie, Senioren, Frauen und § 3 der Geschäftsordnung Jugend (Drucksache 16/7481) ...... 13914 C – zu dem Antrag der Abgeordneten , Thomas Bareiß, Thomas Zusatztagesordnungspunkt 6: Dörflinger, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abge- Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion ordneten Marlene Rupprecht (Tuchen- BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Konsequen- bach), Ingrid Arndt-Brauer, Clemens zen der Bundesregierung aus der Studie Bollen, weiterer Abgeordneter und der über erhöhte Krebsrisiken in der Umge- Fraktion der SPD: Gesundes Aufwachsen bung von Atomanlagen ermöglichen – Kinder besser schützen – Hans-Josef Fell (BÜNDNIS 90/ Risikofamilien helfen DIE GRÜNEN) ...... 13914 D – zu dem Antrag der Abgeordneten Miriam Dr. Georg Nüßlein (CDU/CSU) ...... 13915 D Gruß, Ina Lenke, , wei- terer Abgeordneter und der Fraktion der (FDP) ...... 13917 A FDP: Schutz und Chancen für die Kin- Christoph Pries (SPD) ...... 13918 A der in Deutschland Hans-Kurt Hill (DIE LINKE) ...... 13919 B – zu dem Antrag der Abgeordneten Ekin Deligöz, Birgitt Bender, Dr. Harald Terpe, Dr. (CDU/CSU) ...... 13920 A weiterer Abgeordneter und der Fraktion Sylvia Kotting-Uhl (BÜNDNIS 90/ BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Kinder DIE GRÜNEN) ...... 13921 B entschlossen vor Vernachlässigung schüt- zen Michael Müller, Parl. Staatssekretär BMU ...... 13922 C (Drucksachen 16/4604, 16/4415, 16/3024, 16/5695) ...... 13943 C () (CDU/CSU) ...... 13924 A (CDU/CSU) ...... 13944 A Dr. Marlies Volkmer (SPD) ...... 13925 D Miriam Gruß (FDP) ...... 13945 A (CDU/CSU) ...... 13926 D Marlene Rupprecht (Tuchenbach) (SPD) ...... 13946 B Heinz Schmitt (Landau) (SPD) ...... 13927 D Diana Golze (DIE LINKE) ...... 13948 B (SPD) ...... 13928 C (SPD) ...... 13949 B Ekin Deligöz (BÜNDNIS 90/ Tagesordnungspunkt 5: DIE GRÜNEN) ...... 13949 D Antrag der Abgeordneten Priska Hinz (Her- (CDU/CSU) ...... 13950 D born), , , weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜND- Dieter Steinecke (SPD) ...... 13952 B Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 133. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. Dezember 2007 V

Tagesordnungspunkt 7: der Abgeordneten , Dr. , Dr. , weiterer Abge- Beschlussempfehlung und Bericht des Vertei- ordneter und der Fraktion der FDP: digungsausschusses zu der Unterrichtung Deutschland muss rüstungskontrollpo- durch den Wehrbeauftragten: Jahresbericht litische Glaubwürdigkeit beweisen – an- 2006 (48. Bericht) gepassten KSE-Vertrag dem Deutschen (Drucksachen 16/4700, 16/6700) ...... 13953 C Bundestag zur Abstimmung vorlegen Reinhold Robbe, Wehrbeauftragter (Drucksachen 16/6431, 16/7505) ...... 13969 B des Deutschen Bundestages ...... 13953 D c) Beschlussempfehlung und Bericht des Christian Schmidt, Parl. Staatssekretär Auswärtigen Ausschusses zu dem Antrag BMVg ...... 13956 B der Abgeordneten , , Jürgen Trittin, weiterer Elke Hoff (FDP) ...... 13957 C Abgeordneter und der Fraktion BÜND- Hedi Wegener (SPD) ...... 13958 D NIS 90/DIE GRÜNEN: Angepassten Vertrag über Konventionelle Streit- Paul Schäfer (Köln) (DIE LINKE) ...... 13960 A kräfte in Europa ratifizieren (Drucksachen 16/6605, 16/7505) ...... 13969 C Winfried Nachtwei (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) ...... 13961 B , Staatsminister AA ...... 13969 D Anita Schäfer (Saalstadt) (CDU/CSU) ...... 13962 B Elke Hoff (FDP) ...... 13970 C Maik Reichel (SPD) ...... 13963 C Hans Raidel (CDU/CSU) ...... 13971 C Paul Schäfer (Köln) (DIE LINKE) ...... 13973 A Tagesordnungspunkt 8: Winfried Nachtwei (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) ...... 13974 A Zweite und dritte Beratung des von den Abge- ordneten Dr. , Gisela Piltz, Gert Winkelmeier (fraktionslos) ...... 13974 D Dr. Karl Addicks, weiteren Abgeordneten und Dr. Rolf Mützenich (SPD) ...... 13975 B der Fraktion der FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über eine Einmalzahlung für Versorgungsempfänger im Jahr 2007 (Ver- Tagesordnungspunkt 10: sorgungsempfänger-Einmalzahlungsgesetz 2007 – VEzG 2007) a) Antrag der Abgeordneten , (Drucksachen 16/5250, 16/5925) ...... 13964 D , Dr. , weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE Günter Baumann (CDU/CSU) ...... 13965 A LINKE: Anrechnung von Sachleistun- (FDP) ...... 13966 B gen auf die Regelleistung des SGB II bei stationärem Aufenthalt ausschließen Siegmund Ehrmann (SPD) ...... 13967 B (Drucksache 16/7467) ...... 13976 C (DIE LINKE) ...... 13968 C b) Beschlussempfehlung und Bericht des (BÜNDNIS 90/ Ausschusses für Arbeit und Soziales zu DIE GRÜNEN) ...... 13968 D dem Antrag der Abgeordneten Katja Kipping, Klaus Ernst, Dr. Lothar Bisky, weiterer Abgeordneter und der Fraktion Tagesordnungspunkt 9: DIE LINKE: Einführung einer Weih- nachtsbeihilfe für Grundsicherungsbe- a) Beschlussempfehlung und Bericht des zieherinnen und Grundsicherungsbe- Auswärtigen Ausschusses zu dem Antrag zieher der Abgeordneten Dr. Karl-Theodor (Drucksachen 16/7041, 16/7511) ...... 13976 D Freiherr zu Guttenberg, Eckart von Klaeden, (Lübeck), weiterer Katja Kipping (DIE LINKE) ...... 13977 A Abgeordneter und der Fraktion der CDU/ Karl Schiewerling (CDU/CSU) ...... 13978 C CSU sowie der Abgeordneten Dr. Rolf Mützenich, (Wiesloch), Frank Spieth (DIE LINKE) ...... 13980 D , weiterer Abgeordneter und Karl Schiewerling (CDU/CSU) ...... 13981 A der Fraktion der SPD: Die Krise des KSE-Vertrages durch neue Impulse für Heinz-Peter Haustein (FDP) ...... 13981 A konventionelle Abrüstung und Rüs- Katja Kipping (DIE LINKE) ...... 13981 C tungskontrolle in Europa beenden (Drucksachen 16/6603, 16/7505) ...... 13969 B Gabriele Hiller-Ohm (SPD) ...... 13982 C b) Beschlussempfehlung und Bericht des Markus Kurth (BÜNDNIS 90/ Auswärtigen Ausschusses zu dem Antrag DIE GRÜNEN) ...... 13984 B VI Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 133. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. Dezember 2007

Namentliche Abstimmung ...... 13988 D Tagesordnungspunkt 17: a) Antrag der Abgeordneten Dirk Fischer Ergebnis ...... 13989 A (Hamburg), , Dr. Klaus W. Lippold, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abge- Tagesordnungspunkt 13: ordneten Petra Weis, Dr. h. c. , Klaas Hübner, weiterer Abgeord- Zweite und dritte Beratung des von der Bun- neter und der Fraktion der SPD: desregierung eingebrachten Entwurfs eines Wiedererrichtung des Berliner Schlos- Gesetzes zur Ergänzung des Rechts zur ses – Bau des Humboldt-Forums im Anfechtung der Vaterschaft Schlossareal Berlin – Rekonstruktion (Drucksachen 16/3291, 16/7506) ...... 13985 C der historischen Fassaden sicherstellen (Drucksache 16/7488) ...... 13999 D Tagesordnungspunkt 12: b) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Verkehr, Bau und Stadt- Antrag der Abgeordneten Silke Stokar von entwicklung zu dem Antrag der Abgeord- Neuforn, (Köln), Kai Gehring, neten , Katrin Kunert, weiterer Abgeordneter und der Fraktion Dr. Gesine Lötzsch, weiterer Abgeordne- BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Für ein ter und der Fraktion DIE LINKE: Hum- schärferes Waffengesetz boldt-Forum statt Fassadenschloss – (Drucksache 16/6961) ...... 13985 D Schlossplatz mit Zukunftsorientierung Silke Stokar von Neuforn (BÜNDNIS 90/ (Drucksachen 16/5922, 16/7366) ...... 13999 D DIE GRÜNEN) ...... 13986 A Renate Blank (CDU/CSU) ...... 14000 A (CDU/CSU) ...... 13987 A Hellmut Königshaus (FDP) ...... 14001 B Hartfrid Wolff (Rems-Murr) (FDP) ...... 13991 A Karin Roth, Parl. Staatssekretärin Silke Stokar von Neuforn (BÜNDNIS 90/ BMVBS ...... 14002 C DIE GRÜNEN) ...... 13991 D Peter Hettlich (BÜNDNIS 90/ (SPD) ...... 13992 D DIE GRÜNEN) ...... 14003 D Hellmut Königshaus (FDP) ...... 14004 B Tagesordnungspunkt 15: Petra Weis (SPD) ...... 14005 B Zweite und dritte Beratung des von der Bun- desregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Regelung des Statusrechts der Tagesordnungspunkt 16: Beamtinnen und Beamten in den Ländern Erste Beratung des von den Abgeordneten (Beamtenstatusgesetz – BeamtStG) Dr. , Monika Knoche, Hüseyin- (Drucksachen 16/4027, 16/4038, 16/7508) . . 13994 A Kenan Aydin, weiteren Abgeordneten und der Fraktion DIE LINKE eingebrachten Ent- wurfs eines … Gesetzes zur Änderung des Tagesordnungspunkt 14: Grundgesetzes Beschlussempfehlung und Bericht des Aus- (Drucksache 16/7375) ...... 14006 B schusses für Gesundheit zu dem Antrag der Abgeordneten , Hartfrid Wolff (Rems-Murr), (Münster), Tagesordnungspunkt 19: weiterer Abgeordneter und der Fraktion der a) – Zweite und dritte Beratung des von der FDP: Dem Beruf des Rettungsassistenten Bundesregierung eingebrachten Ent- eine Zukunftsperspektive geben – Das Ret- wurfs eines Gesetzes zur Änderung tungsassistentengesetz novellieren des Pflanzenschutzgesetzes und des (Drucksachen 16/3343, 16/6798) ...... 13994 C BVL-Gesetzes Dr. Hans Georg Faust (CDU/CSU) ...... 13994 D (Drucksachen 16/6736, 16/7507) . . . . 14006 C Jens Ackermann (FDP) ...... 13996 B – Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und der Dr. Margrit Spielmann (SPD) ...... 13997 A SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Pflan- Frank Spieth (DIE LINKE) ...... 13998 B zenschutzgesetzes und des BVL-Ge- Dr. Harald Terpe (BÜNDNIS 90/ setzes DIE GRÜNEN) ...... 13999 A (Drucksachen 16/6386, 16/7507) . . . . 14006 C Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 133. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. Dezember 2007 VII b) Antrag der Abgeordneten Peter Bleser, Tagesordnungspunkt 20: Julia Klöckner, Uda Carmen Freia Heller, weiterer Abgeordneter und der Fraktion Beschlussempfehlung und Bericht des Innen- der CDU/CSU sowie der Abgeordneten ausschusses zu dem Antrag der Abgeordneten , , Gudrun Kopp, Birgit Homburger, Markus Dr. Gerhard Botz, weiterer Abgeordneter Löning, weiterer Abgeordneter und der Frak- und der Fraktion der SPD: Schutz vor tion der FDP: Bürokratie abbauen – Zeit- Pflanzenschutzmittelrückständen in Le- umstellung abschaffen und Sommerzeit bensmitteln verstärken permanent einführen (Drucksache 16/6958) ...... 14006 D (Drucksachen 16/4773, 16/6699) ...... 14014 C

Tagesordnungspunkt 18: Tagesordnungspunkt 23: a) Antrag der Abgeordneten Anette a) Antrag der Abgeordneten Jürgen Trittin, Hübinger, Dr. Christian Ruck, Dr. Wolf Josef Philip Winkler, , weiterer Abgeordneter und der Fraktion Bauer, weiterer Abgeordneter und der BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Hilfe für Fraktion der CDU/CSU sowie der Abge- irakische Flüchtlinge ausweiten – Im ordneten Dr. , Gabriele Irak, in Nachbarländern und in Groneberg, Stephan Hilsberg, weiterer Deutschland Abgeordneter und der Fraktion der SPD: (Drucksache 16/7468) ...... 14007 B Entwicklungsorientierte Wirtschafts- partnerschaften zwischen der EU und b) Beschlussempfehlung und Bericht des In- den AKP-Staaten – Chance für politi- nenausschusses sche, wirtschaftliche und soziale Stabili- tät – zu dem Antrag der Abgeordneten , Petra Pau, Sevim Dağdelen, (Drucksache 16/7487) ...... 14014 A weiterer Abgeordneter und der Frak- b) Antrag der Abgeordneten Heike Hänsel, tion DIE LINKE: Irakische Flücht- Hüseyin-Kenan Aydin, Monika Knoche, linge in die EU aufnehmen – In weiterer Abgeordneter und der Fraktion Deutschland lebende Irakerinnen DIE LINKE: EU-AKP-Abkommen: und Iraker vor Abschiebung schüt- Faire Handelspolitik statt Freihandels- zen diktat – zu dem Antrag der Abgeordneten (Drucksache 16/7473) ...... 14014 A Volker Beck (Köln), (Bremen), Alexander Bonde, weiterer in Verbindung mit Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Schutz für irakische Flüchtlinge gewähr- Zusatztagesordnungspunkt 7: leisten Antrag der Abgeordneten Thilo Hoppe, Ute (Drucksachen 16/5248, 16/5414, 16/6763) 14007 C Koczy, Marieluise Beck (Bremen), weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN: Wirtschaftspartner- Tagesordnungspunkt 21: schaftsabkommen und Interimsabkom- Beschlussempfehlung und Bericht des Aus- men zwischen EU und AKP-Staaten ent- schusses für Verkehr, Bau und Stadtentwick- wicklungsfreundlich gestalten lung zu der Unterrichtung durch den Parla- (Drucksache 16/7469) ...... 14015 A mentarischen Beirat für nachhaltige Entwicklung: Bericht des Parlamentari- schen Beirats für nachhaltige Entwicklung Tagesordnungspunkt 22: „Demographischer Wandel und nachhal- Antrag der Abgeordneten Thilo Hoppe, Ute tige Infrastrukturplanung“ Koczy, Ulrike Höfken, weiterer Abgeordneter (Drucksachen 16/4900, 16/7367) ...... 14008 A und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Ernst Kranz (SPD) ...... 14008 B NEN: Für eine neue effektive und an den Bedürfnissen der Hungernden ausgerich- Patrick Döring (FDP) ...... 14009 C tete Nahrungsmittelkonvention Dr. (CDU/CSU) ...... 14010 C (Drucksache 16/7470) ...... 14015 B Lutz Heilmann (DIE LINKE) ...... 14011 C (BÜNDNIS 90/ Tagesordnungspunkt 25: DIE GRÜNEN) ...... 14012 C Erste Beratung des von der Bundesregierung Dr. Günter Krings (CDU/CSU) ...... 14013 B eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur VIII Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 133. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. Dezember 2007

Begrenzung der mit Finanzinvestitionen Bernward Müller (Gera), weiterer Ab- verbundenen Risiken (Risikobegrenzungs- geordneter und der Fraktion der CDU/ gesetz) CSU sowie der Abgeordneten Ulla (Drucksache 16/7438) ...... 14015 C Burchardt, Jörg Tauss, , weiterer Abgeordneter und der Frak- tion der SPD: Indisch-Deutschen Tagesordnungspunkt 24: Studierenden- und Wissenschaftler- austausch fördern – Mobilitätspro- Beschlussempfehlung und Bericht des Aus- gramm zum Jahr der Geisteswissen- schusses für Wirtschaft und Technologie zu schaften in Deutschland dem Antrag der Abgeordneten Dr. Christel Happach-Kasan, , Hans- – zu dem Antrag der Abgeordneten Michael Goldmann, weiterer Abgeordneter Dr. , Cornelia Hirsch, Volker und der Fraktion der FDP: Zukunftschancen Schneider (Saarbrücken), weiterer Ab- des Ostseeraums – Wirtschaft, Ökologie, geordneter und der Fraktion DIE Kultur und Tourismus LINKE: Indisch-Deutschen Studie- (Drucksachen 16/5251, 16/7048) ...... 14015 D renden- und Wissenschaftleraus- tausch fördern – Mobilitätsprogramm zum Jahr der Geisteswissenschaften Tagesordnungspunkt 27: in Deutschland a) Erste Beratung des von den Fraktionen der – zu dem Antrag der Abgeordneten CDU/CSU und der SPD eingebrachten Priska Hinz (Herborn), Kai Gehring, Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung Krista Sager, weiterer Abgeordneter des Wahl- und Abgeordnetenrechts und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE (Drucksache 16/7461) ...... 14016 A GRÜNEN: Indisch-Deutschen Stu- b) Erste Beratung des von den Fraktionen der dierenden- und Wissenschaftleraus- CDU/CSU und der SPD eingebrachten tausch fördern – Mobilitätsprogramm Entwurfs eines Achtzehnten Gesetzes zum Jahr der Geisteswissenschaften zur Änderung des Bundeswahlgesetzes in Deutschland (Drucksache 16/7462) ...... 14016 B (Drucksachen 16/6945, 16/5811, 16/5968, c) Erste Beratung des von den Fraktionen der 16/7504) ...... 14017 A CDU/CSU, der SPD und der FDP einge- brachten Entwurfs eines Gesetzes zur Än- b) Antrag der Abgeordneten Cornelia Pieper, derung des Wahlprüfungsgesetzes Patrick Meinhardt, Uwe Barth, weiterer (Drucksache 16/7463) ...... 14016 B Abgeordneter und der Fraktion der FDP: Indisch-Deutschen Studierenden- und d) Antrag der Abgeordneten Dr. Gesine Wissenschaftleraustausch fördern – Lötzsch, Petra Pau, Ulla Jelpke, weiterer Mobilitätsprogramm zum Jahr der Abgeordneter und der Fraktion DIE Geisteswissenschaften in Deutschland LINKE: Wahlmanipulationen wirksam (Drucksache 16/7262) ...... 14017 B verhindern (Drucksache 16/5810) ...... 14016 C Cornelia Pieper (FDP) ...... 14017 C

Tagesordnungspunkt 26: Tagesordnungspunkt 28: Antrag der Abgeordneten Cornelia Behm, Antrag der Abgeordneten Rainder Ulrike Höfken, Nicole Maisch, weiterer Ab- Steenblock, Jürgen Trittin, Omid Nouripour, geordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN: Bodenprivatisierung neu weiterer Abgeordneter und der Fraktion ausrichten BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Defizite bei (Drucksache 16/7135) ...... 14016 C der Umsetzung der Europa-Vereinbarung abstellen (Drucksache 16/7139) ...... 14018 C Tagesordnungspunkt 29: a) Beschlussempfehlung und Bericht des Nächste Sitzung ...... 14019 C Ausschusses für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung Anlage 1 – zu dem Antrag der Abgeordneten Marcus Weinberg, , Liste der entschuldigten Abgeordneten . . . . . 14021 A Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 133. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. Dezember 2007 IX

Anlage 2 Anlage 7 Zu Protokoll gegebene Rede zur Beratung des Mündliche Frage 26 Antrags: Für ein schärferes Waffengesetz (Ta- Hans-Kurt Hill (DIE LINKE) gesordnungspunkt 12) Haltung der Bundesregierung zu den ab- Petra Pau (DIE LINKE) ...... 14028 D sehbaren Verzögerungen beim Börsengang des weißen Bereichs der ehemaligen RAG, jetzt Evonik, aufgrund der krisenhaften Situation auf den Finanzmärkten und Fol- Anlage 8 gen für das Vermögen der RAG-Stifung (132. Sitzung, Tagesordnungspunkt 2) Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur Regelung des Antwort Statusrechts der Beamtinnen und Beamten in Dagmar Wöhrl, Parl. Staatssekretärin den Ländern (Beamtenstatusgesetz – BeamtStG) BMWi ...... 14021 C (Tagesordnungspunkt 15)

Ralf Göbel (CDU/CSU) ...... 14029 B Anlage 3 Siegmund Ehrmann (SPD) ...... 14030 D Erklärung nach § 31 GO des Abgeordneten Jörn Wunderlich (DIE LINKE) zur Abstim- Dr. Max Stadler (FDP) ...... 14031 C mung über den Antrag: Kinder entschlossen vor Vernachlässigung schützen (Tagesord- Petra Pau (DIE LINKE) ...... 14032 B nungspunkt 6) ...... 14021 D Silke Stokar von Neuforn (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) ...... 14032 D Anlage 4 Erklärung nach § 31 GO des Abgeordneten Norbert Schindler (CDU/CSU) zur Abstim- Anlage 9 mung über den Entwurf eines Gesetzes zur Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung Änderung des Pflanzenschutzgesetzes und des der Anträge: BVL-Gesetzes (Tagesordnungspunkt 19 a) . . . . 14022 A – Wiedererrichtung des Berliner Schlosses – Bau des Humboldt-Forums im Schloss- Anlage 5 areal Berlin – Rekonstruktion der histori- schen Fassaden sicherstellen Erklärung nach § 31 GO des Abgeordneten Ralf Göbel (CDU/CSU) zur Abstimmung – Humboldt-Forum statt Fassadenschloss – über den Entwurf eines Gesetzes zur Ände- Schlossplatz mit Zukunftsorientierung rung des Pflanzenschutzgesetzes und des (Tagesordnungspunkt 17 a und b) BVL-Gesetzes (Tagesordnungspunkt 19 a) . . 14022 D Heidrun Bluhm (DIE LINKE) ...... 14033 C

Anlage 6

Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung Anlage 10 des Antrags: Entwurf eines Gesetzes zur Er- gänzung des Rechts zur Anfechtung der Va- Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung terschaft (Tagesordnungspunkt 13) des Entwurfs eines … Gesetzes zur Änderung des Grundgesetzes (Tagesordnungspunkt 16) (CDU/CSU) ...... 14023 B (CDU/CSU) ...... 14034 B (SPD) ...... 14025 B Michael Roth (Heringen) Mechthild Dyckmans (FDP) ...... 14026 A (SPD) ...... 14036 D Jörn Wunderlich (DIE LINKE) ...... 14026 D (FDP) ...... 14037 C Irmingard Schewe-Gerigk (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) ...... 14027 C (DIE LINKE) ...... 14038 C Alfred Hartenbach, Parl. Staatssekretär Wolfgang Wieland (BÜNDNIS 90/ BMJ ...... 14028 A DIE GRÜNEN) ...... 14039 B X Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 133. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. Dezember 2007

Anlage 11 Anlage 14 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung: Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung der Anträge: – Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Pflanzenschutzgesetzes und des BVL-Ge- – Entwicklungsorientierte Wirtschaftspart- setzes nerschaften zwischen der EU und den – Antrag: Schutz vor Pflanzenschutzmittel- AKP-Staaten – Chance für politische, rückständen in Lebensmitteln verstärken wirtschaftliche und soziale Stabilität (Tagesordnungspunkt 19 a und b) – EU-AKP-Abkommen: Faire Handelspoli- tik statt Freihandelsdiktat Dr. (CDU/CSU) ...... 14040 A – Wirtschaftspartnerschaftsabkommen und Gustav Herzog (SPD) ...... 14041 B Interimsabkommen zwischen EU und Dr. Christel Happach-Kasan (FDP) ...... 14043 A AKP-Staaten entwicklungsfreundlich ge- stalten Dr. Kirsten Tackmann (DIE LINKE) ...... 14044 A (Tagesordnungspunkt 23 a und b und Zusatz- Cornelia Behm (BÜNDNIS 90/ tagesordnungspunkt 7) DIE GRÜNEN) ...... 14045 A Anette Hübinger (CDU/CSU) ...... 14054 A Dr. Sascha Raabe (SPD) ...... 14055 D Anlage 12 Hellmut Königshaus (FDP) ...... 14057 D Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung: Heike Hänsel (DIE LINKE) ...... 14059 B – Antrag: Hilfe für irakische Flüchtlinge ausweiten – Im Irak, in Nachbarländern Thilo Hoppe (BÜNDNIS 90/ und in Deutschland DIE GRÜNEN) ...... 14060 A – Beschlussempfehlung und Bericht zu dem Antrag: Irakische Flüchtlinge in die EU Anlage 15 aufnehmen – In Deutschland lebende Ira- kerinnen und Iraker vor Abschiebung Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung schützen des Antrags: Für eine neue effektive und an den Bedürfnissen der Hungernden ausgerich- – Beschlussempfehlung und Bericht zu dem tete Nahrungsmittelkonvention (Tagesord- Antrag: Schutz für irakische Flüchtlinge nungspunkt 22) gewährleisten Sibylle Pfeiffer (CDU/CSU) ...... 14061 A (Tagesordnungspunkt 18 a und b) Dr. Sascha Raabe (SPD) ...... Reinhard Grindel (CDU/CSU) ...... 14045 D 14062 C Rüdiger Veit (SPD) ...... 14047 A Dr. Karl Addicks (FDP) ...... 14063 D Hartfrid Wolff (Rems-Murr) (FDP) ...... 14048 B Hüseyin-Kenan Aydin (DIE LINKE) ...... 14064 D Ulla Jelpke (DIE LINKE) ...... 14049 A Thilo Hoppe (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) ...... 14065 C Josef Philip Winkler (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) ...... 14049 C Anlage 16 Anlage 13 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur Begrenzung Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung der mit Finanzinvestitionen verbundenen Ri- der Beschlussempfehlung und des Berichts: siken (Risikobegrenzungsgesetz) (Tagesord- Bürokratie abbauen – Zeitumstellung ab- nungspunkt 25) schaffen und Sommerzeit permanent einfüh- ren (Tagesordnungspunkt 20) (CDU/CSU) ...... 14066 D Hans-Werner Kammer (CDU/CSU) ...... 14050 C Nina Hauer (SPD) ...... 14068 B Maik Reichel (SPD) ...... 14051 B Dr. Hans-Ulrich Krüger (SPD) ...... 14069 B Gudrun Kopp (FDP) ...... 14051 D Frank Schäffler (FDP) ...... 14070 C Petra Pau (DIE LINKE) ...... 14052 C Dr. (DIE LINKE) ...... 14071 B Silke Stokar von Neuforn (BÜNDNIS 90/ Dr. (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) ...... 14053 B DIE GRÜNEN) ...... 14071 D Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 133. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. Dezember 2007 XI

Anlage 17 Dr. Peter Jahr (CDU/CSU) ...... 14086 C Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung Dr. Gerhard Botz (SPD) ...... 14087 C des Antrags: Zukunftschancen des Ostsee- Dr. Edmund Peter Geisen (FDP) ...... 14088 A raums – Wirtschaft, Ökologie, Kultur und Tourismus (Tagesordnungspunkt 24) Dr. Kirsten Tackmann (DIE LINKE) ...... 14089 A (CDU/CSU) ...... 14073 B Cornelia Behm (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) ...... 14090 A Andrea Wicklein (SPD) ...... 14074 D Dr. Christel Happach-Kasan (FDP) ...... 14075 B Anlage 20 Lutz Heilmann (DIE LINKE) ...... 14076 A Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung: (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) ...... 14077 A – Beschlussempfehlung und Bericht zu den Anträgen: Indisch-Deutschen Studieren- den- und Wissenschaftleraustausch för- Anlage 18 dern – Mobilitätsprogramm zum Jahr der Geisteswissenschaften in Deutschland Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung: – Antrag: Indisch-Deutschen Studierenden- – Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des und Wissenschaftleraustausch fördern – Wahl- und Abgeordnetenrechts Mobilitätsprogramm zum Jahr der Geis- – Entwurf eines Achtzehnten Gesetzes zur teswissenschaften in Deutschland Änderung des Bundeswahlgesetzes (Tagesordnungspunkt 29 a und b) – Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Marcus Weinberg (CDU/CSU) ...... 14090 D Wahlprüfungsgesetzes (SPD) ...... 14092 B – Antrag: Wahlmanipulationen wirksam verhindern Dr. Petra Sitte (DIE LINKE) ...... 14093 C (Tagesordnungspunkt 27 a bis d) Priska Hinz (Herborn) (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) ...... 14094 D (Altötting) (CDU/CSU) . . . . . 14077 D Klaus Uwe Benneter (SPD) ...... 14079 D Anlage 21 Gisela Piltz (FDP) ...... 14082 A Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung (DIE LINKE) ...... 14083 A des Antrags: Defizite bei der Umsetzung der Silke Stokar von Neuforn (BÜNDNIS 90/ Europa-Vereinbarung abstellen (Tagesord- nungspunkt 28) DIE GRÜNEN) ...... 14085 A Michael Stübgen (CDU/CSU) ...... 14095 B Gert Winkelmeier (fraktionslos) ...... 14085 D Michael Roth (Heringen) (SPD) ...... 14096 D Michael Link (Heilbronn) (FDP) ...... Anlage 19 14097 C Alexander Ulrich (DIE LINKE) ...... 14098 D Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Antrags: Bodenprivatisierung neu aus- Rainder Steenblock (BÜNDNIS 90/ richten (Tagesordnungspunkt 26) DIE GRÜNEN) ...... 14099 B

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 133. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. Dezember 2007 13863

(A) (C) Redetext

133. Sitzung

Berlin, Donnerstag, den 13. Dezember 2007

Beginn: 9.01 Uhr

Präsident Dr. : Beratung des Antrags der Abgeordneten Hans- Die Sitzung ist eröffnet. Joachim Fuchtel, Eckart von Klaeden, Norbert Barthle, weiterer Abgeordneter und der Fraktion Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich begrüße Sie alle der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Monika herzlich und wünsche uns einen guten Morgen und eine Griefahn, Lothar Mark, Dirk Becker, weiterer – wie meistens – ebenso ernsthafte wie fröhliche Bera- Abgeordneter und der Fraktion der SPD tung. Erneuerbare Energien, wie Solarenergie, Geo- Bevor wir in die Tagesordnung eintreten, darf ich thermie, Wind- und Wasserkraft, für die zwei Geburtstagsglückwünsche aussprechen. Energieversorgung deutscher Einrichtungen Der Kollege Heinz Riesenhuber hat am 1. Dezember im Ausland einsetzen – Für Klimaschutz und seinen 72. Geburtstag gefeiert. Nachhaltigkeit – Drucksache 16/7489 – (B) (Beifall) (D) Überweisungsvorschlag: Man hält es kaum für möglich, aber die Recherchen be- Auswärtiger Ausschuss (f) stätigen die Ernsthaftigkeit des vorgetragenen Befundes. Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Die Kollegin Ute Kumpf hat am 4. Dezember ihren Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und 60. Geburtstag gefeiert. Auch ihr möchte ich herzlich im Entwicklung Namen des ganzen Hauses gratulieren und alles Gute ZP 4 Weitere abschließende Beratungen ohne Aus- wünschen. sprache (Beifall) (Ergänzung zu TOP 40) Interfraktionell ist vereinbart worden, die verbundene a) Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions- Tagesordnung um die in der Zusatzpunktliste aufge- ausschusses (2. Ausschuss) führten Punkte zu erweitern: Sammelübersicht 326 zu Petitionen ZP 1 Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion DIE – Drucksache 16/7492 – LINKE: b) Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions- Haltung der Bundesregierung zur Angemes- ausschusses (2. Ausschuss) senheit von Managereinkommen in Deutsch- land Sammelübersicht 327 zu Petitionen (siehe 132. Sitzung) – Drucksache 16/7493 – ZP 2 Beratung des Zwischenberichts der Enquete- c) Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions- Kommission „Kultur in Deutschland“ ausschusses (2. Ausschuss) Kultur als Staatsziel Sammelübersicht 328 zu Petitionen – Drucksache 15/5560 – – Drucksache 16/7494 – Überweisungsvorschlag: d) Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions- Ausschuss für Kultur und Medien ausschusses (2. Ausschuss) ZP 3 Weitere Überweisungen im vereinfachten Ver- Sammelübersicht 329 zu Petitionen fahren (Ergänzung zu TOP 39) – Drucksache 16/7495 – 13864 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 133. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. Dezember 2007

Präsident Dr. Norbert Lammert (A) e) Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions- d) Wahlvorschlag der Fraktion der SPD (C) ausschusses (2. Ausschuss) Wahl vom Deutschen Bundestag zu entsenden- Sammelübersicht 330 zu Petitionen der Mitglieder des Ausschusses nach Artikel 77 – Drucksache 16/7496 – Abs. 2 des Grundgesetzes (Vermittlungsaus- schuss) f) Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions- ausschusses (2. Ausschuss) – Drucksache 16/7477 – Sammelübersicht 331 zu Petitionen e) Wahlvorschlag der Fraktion der CDU/CSU – Drucksache 16/7497 – Wahl eines vom Deutschen Bundestag zu ent- g) Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions- sendenden Mitglieds des Beirats für Fragen ausschusses (2. Ausschuss) des Zugangs zur Eisenbahninfrastruktur (Ei- senbahninfrastrukturbeirat) Sammelübersicht 332 zu Petitionen – Drucksache 16/7498 – – Drucksache 16/7478 – h) Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions- f) Wahlvorschlag der Fraktion der CDU/CSU ausschusses (2. Ausschuss) Wahl eines Mitglieds des Stiftungsrates der Sammelübersicht 333 zu Petitionen „Stiftung CAESAR“ (Centre of Advanced Eu- – Drucksache 16/7499 – ropean Studies and Research) i) Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions- – Drucksache 16/7479 – ausschusses (2. Ausschuss) g) Wahlvorschlag der Fraktion der CDU/CSU Sammelübersicht 334 zu Petitionen Wahl eines Mitglieds des Verwaltungsrates bei – Drucksache 16/7500 – der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungs- j) Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions- aufsicht ausschusses (2. Ausschuss) – Drucksache 16/7480 – Sammelübersicht 335 zu Petitionen h) Wahlvorschlag der Fraktion der CDU/CSU (B) – Drucksache 16/7501 – (D) Wahl einer Schriftführerin gemäß § 3 der Ge- k) Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions- schäftsordnung ausschusses (2. Ausschuss) Sammelübersicht 336 zu Petitionen – Drucksache 16/7481 – – Drucksache 16/7502 – ZP 6 Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: ZP 5 Wahlen zu Gremien a) Wahlvorschlag der Fraktion der CDU/CSU Konsequenzen der Bundesregierung aus der Studie über erhöhte Krebsrisiken in der Um- Wahl von Mitgliedern des Beirats bei der Bun- gebung von Atomanlagen desbeauftragten für die Unterlagen des Staats- sicherheitsdienstes gemäß § 39 Abs. 1 des Stasi- ZP 7 Beratung des Antrags der Abgeordneten Thilo Unterlagen-Gesetzes Hoppe, Ute Koczy, Marieluise Beck (Bremen), weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜND- – Drucksache 16/7474 – NIS 90/DIE GRÜNEN b) Wahlvorschläge der Fraktionen CDU/CSU, SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Wirtschaftspartnerschaftsabkommen und Inte- rimsabkommen zwischen EU und AKP-Staaten Wahl von Mitgliedern des Verwaltungsrates entwicklungsfreundlich gestalten der Kreditanstalt für Wiederaufbau gemäß § 7 Abs. 1 Nr. 4 des Gesetzes über die Kreditan- – Drucksache 16/7469 – stalt für Wiederaufbau Überweisungsvorschlag: – Drucksache 16/7475 – Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (f) c) Wahlvorschlag der Fraktion der SPD Auswärtiger Ausschuss Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Wahl von Mitgliedern des Gemeinsamen Aus- Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union schusses gemäß Artikel 53 a des Grundgeset- ZP 8 Beratung der Beschlussempfehlung und des Be- zes richts des Ausschusses für Wirtschaft und Tech- – Drucksache 16/7476 – nologie (9. Ausschuss) Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 133. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. Dezember 2007 13865

Präsident Dr. Norbert Lammert (A) – zu dem Antrag der Abgeordneten Gudrun ZP 12Beratung des Antrags der Abgeordneten (C) Kopp, Rainer Brüderle, , weiterer Dr. , Klaus Ernst, Diana Golze, Abgeordneter und der Fraktion der FDP weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Eine Chance für den Wettbewerb – Kein Monopolschutz für die Deutsche Post AG Gesundheitsförderung und Prävention als ge- samtgesellschaftliche Aufgaben stärken – Ge- – zu dem Antrag der Abgeordneten Kerstin sellschaftliche Teilhabe für alle ermöglichen Andreae, Brigitte Pothmer, Christine Scheel, weiterer Abgeordneter und der Fraktion – Drucksache 16/7471 – BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Gesundheit (f) Post braucht Wettbewerb – Wettbewerb Sportausschuss braucht faire Bedingungen Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und – Drucksachen 16/6432, 16/6631, 16/7510 – Verbraucherschutz Ausschuss für Arbeit und Soziales Berichterstattung: Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung Abgeordneter Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Ausschuss für Bildung, Forschung und ZP 9 Erste Beratung des von den Abgeordneten Volker Technikfolgenabschätzung Schneider (Saarbrücken), Klaus Ernst, Dr. Martina Bunge, weiteren Abgeordneten und der Fraktion Von der Frist für den Beginn der Beratungen soll, so- DIE LINKE eingebrachten Entwurfs eines Vier- weit erforderlich, abgewichen werden. ten Gesetzes zur Änderung des Zweiten Bu- Der Tagesordnungspunkt 11 wird abgesetzt. In der ches Sozialgesetzbuch (Rentenabschlagsver- Folge rücken die ungeraden Tagesordnungspunkte 13 bis hinderungsgesetz) 29 jeweils vor. – Drucksache 16/7459 – Schließlich mache ich auf zwei nachträgliche Aus- Überweisungsvorschlag: schussüberweisungen im Anhang zur Zusatzpunktliste Ausschuss für Arbeit und Soziales (f) aufmerksam. Innenausschuss Rechtsausschuss Der in der 126. Sitzung des Deutschen Bundestages Finanzausschuss überwiesene nachfolgende Gesetzentwurf soll zusätzlich Ausschuss für Wirtschaft und Technologie dem Ausschuss für Wirtschaft und Technologie (B) Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (9. Ausschuss) zur Mitberatung überwiesen werden. (D) Ausschuss für Gesundheit Ausschuss für Bildung, Forschung und Achter Gesetzentwurf der Bundesregierung Technikfolgenabschätzung Haushaltsausschuss gemäß § 96 GO zur Änderung des Steuerberatungsgesetzes ZP 10Beratung des Antrags der Abgeordneten – Drucksache 16/7077 – Dr. Heinrich L. Kolb, Jens Ackermann, Dr. Karl überwiesen: Addicks, weiterer Abgeordneter und der Fraktion Finanzausschuss (f) Rechtsausschuss der FDP Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Arbeit statt Frühverrentung fördern Der in der 106. Sitzung des Deutschen Bundestages – Drucksache 16/7003 – überwiesene nachfolgende Antrag soll zusätzlich dem Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Ent- Überweisungsvorschlag: wicklung (19. Ausschuss) zur Mitberatung überwiesen Ausschuss für Arbeit und Soziales (f) Ausschuss für Wirtschaft und Technologie werden. Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung Antrag der Abgeordneten Sylvia Kotting-Uhl, Cornelia Behm, Hans-Josef Fell, weiterer Ab- ZP 11 Beratung des Antrags der Abgeordneten Heinz geordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/ Lanfermann, Daniel Bahr (Münster), Dr. Konrad DIE GRÜNEN Schily, weiterer Abgeordneter und der Fraktion Mit Bioraffinerien in Deutschland die Bio- der FDP masse effizienter nutzen und zusätzliche Res- Für eine zukunftsfest und generationengerecht sourcen erschließen finanzierte, die Selbstbestimmung stärkende, – Drucksache 16/5529 – transparente und unbürokratische Pflege überwiesen: – Drucksache 16/7491 – Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (f) Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Ausschuss für Gesundheit (f) Verbraucherschutz Rechtsausschuss Ausschuss für Bildung, Forschung und Ausschuss für Arbeit und Soziales Technikfolgenabschätzung Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Haushaltsausschuss Entwicklung 13866 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 133. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. Dezember 2007

Präsident Dr. Norbert Lammert (A) Sind Sie damit einverstanden? – Das scheint der Fall Werk ist getan. Vor vier Jahren erhielten wir von Ihnen (C) zu sein. Dann ist das so beschlossen. den Auftrag, erstens die Situation von Kunst und Kultur in Deutschland zu beschreiben und zweitens Vorschläge Ich rufe den Tagesordnungspunkt 3 sowie den Zusatz- für gesetzgeberisches Handeln zu unterbreiten. Dieser punkt 2 auf: Bericht ist das Ergebnis unserer Arbeit. Wir legen Ihnen 3 Beratung des Berichts der Enquete-Kommission damit die wohl umfassendste Untersuchung der Kultur- „Kultur in Deutschland“ landschaft Deutschlands seit mehr als 30 Jahren vor. Schlussbericht der Enquete-Kommission Im Bericht finden sich 465 Handlungsempfehlungen „Kultur in Deutschland“ an Bund, Länder, Kommunen und andere Kulturadressa- – Drucksache 16/7000 – ten, von den Hochschulen bis zum Rundfunk. Sie erhal- ten einen Kulturkompass, der richtungsweisend sein Überweisungsvorschlag: kann. Er widerlegt anfängliche Zweifel; denn auch wir Ausschuss für Kultur und Medien fragten uns, ob es wirklich gelingen kann, die einzigar- ZP 2 Beratung des Zwischenberichts der Enquete- tige Kulturlandschaft in Deutschland zu beschreiben. Kommission „Kultur in Deutschland“ Unser Land bietet eine beispiellose kulturelle Viel- Kultur als Staatsziel falt, um die wir in der Welt beneidet werden. Die Zahlen – Drucksache 15/5560 – sprechen für sich: mehr als 150 Opernhäuser und Thea- ter, mehr als 6 000 Museen, unzählige Bibliotheken, Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Kultur und Medien Musikschulen, ein Netz von Kunsthochschulen, viele Millionen Bürgerinnen und Bürger, die sich in Chören, Liebe Kolleginnen und Kollegen, heute steht an pro- Kulturvereinen und Musikkapellen vor Ort und in den minenter Stelle im Zentrum der parlamentarischen Bera- Ländern engagieren. tung des Bundestages ein Thema, das es nur selten auf diese prominenten Tagesordnungsplätze schafft, was si- Ich sage bewusst: in den Ländern. Nicht nur deshalb cher auch damit zusammenhängt, dass die Bedeutung wurde mehr als einmal die kritische Frage gestellt, wa- dieses Themas nach wie vor in der Öffentlichkeit eher rum sich eine Kommission des Deutschen Bundestages unterschätzt wird. mit diesem Thema befasst. Denn immerhin wurde im Zuge der Föderalismusreform die ausschließliche Zu- (Beifall) ständigkeit der Länder auf diesem Gebiet bestätigt. Wir Tatsächlich sind für die Lebensverhältnisse einer Gesell- erkennen diese überwiegende Verantwortung für die schaft die kulturellen Bedingungen, die in einer solchen staatliche Kulturförderung an. Aber wir erkennen auch (B) Gesellschaft gelten, nicht weniger wichtig als die wirt- eine Gesamtverantwortung. Nicht nur, weil der Bund als (D) schaftlichen und sozialen Strukturen. Gesetzgeber für viele Rechtsgebiete zuständig ist, die unmittelbar Kunst- und Kulturschaffende betreffen, vom (Beifall) Urheberrecht über das Vereinsrecht bis zum Sozialversi- Dies deutlich zu machen, ist sicher eine der ganz we- cherungsrecht. sentlichen Aufgaben der Enquete-Kommission gewesen, Wir, die Mitglieder der Enquete-Kommission „Kultur deren Arbeit aus der letzten und dieser Legislaturperiode in Deutschland“, skizzieren in diesem Bericht die heute im Mittelpunkt unserer Beratungen steht. Deswe- Grundzüge einer nationalen Kulturpolitik, im Wissen gen nutze ich die Gelegenheit auch gerne, neben den an und in der Verantwortung um die Bedeutung von Kultur der Arbeit dieser Kommission in besonderer Weise be- für unsere Gesellschaft; denn Kultur ist mehr als lebens- teiligten Kolleginnen und Kollegen die Sachverständi- wert. Kultur gibt mehr als Identität. Kultur ist das, was gen zu begrüßen, die auf der Besuchertribüne Platz ge- von einer Gesellschaft bleibt. nommen haben. (Beifall bei der CDU/CSU) (Beifall) Ich danke Ihnen im Namen des ganzen Hauses herzlich Die Steuerdebatten dieser Tage werden in 50 Jahren ver- für Ihre verdienstvolle Mitarbeit in dieser Kommission. gessen sein, nicht aber die künstlerischen Leistungen dieser Zeit. Kultur ist deshalb nicht nur Ornament, son- (Beifall) dern das Fundament, auf dem unsere Gesellschaft steht Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort zu- und auf dem sie aufbaut. nächst der Vorsitzenden dieser Kommission, der Kolle- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- gin Gitta Connemann. neten der SPD, der FDP und des BÜNDNIS- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- SES 90/DIE GRÜNEN) neten der SPD und der FDP) Die Pfeiler dieses Fundaments bedürfen jedoch der Stärkung, denn sie werden nicht nur durch kleinere Be- Gitta Connemann (CDU/CSU): ben erschüttert wie die regelmäßig aufflackernde De- Verehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kol- batte über die Erhöhung des Umsatzsteuersatzes für Kul- legen! Geschätzte Sachverständigenmitglieder! Es ist turgüter, die wir ablehnen. Sondern sie werden auch vollbracht! Im Namen aller Mitglieder der Enquete- durch Unterspülungen bedroht, die durch die Not der öf- Kommission „Kultur in Deutschland“ melde ich: Das fentlichen Haushalte in den letzten Jahren ausgelöst wur- Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 133. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. Dezember 2007 13867

Gitta Connemann (A) den. Die Ausgaben für Kultur gingen deutlich zurück: (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) (C) 2001 beliefen sie sich noch auf 8,4 Milliarden Euro, 2005 nur noch auf 7,8 Milliarden Euro. Die Aufgabe der Kulturpolitik ist die Schaffung von Rahmenbedingungen zum Schutz von Kunst und Kultur. Eine Ausnahme bildet übrigens nur der Bund. Auch Ihre Aufgabe ist es nicht, selbst Kultur zu schaffen, son- dank des Einsatzes unseres Staatsministers Bernd dern für die erforderlichen Rahmenbedingungen zu sor- Neumann ist es seit 2005 gelungen, in diesem Bereich gen. Die Gestaltung von Kunst und Kultur überlässt sie die Haushaltsansätze zu erhöhen. Dafür gebührt ihm besser den Künstlern. Dank. Unseren Handlungsempfehlungen gingen intensive (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Recherchen und sorgfältige Prüfungen voraus. Von den Hans-Joachim Otto [Frankfurt] [FDP]) Kommissionsmitgliedern war ein beträchtliches Ar- beitspensum zu leisten. Pro deo, pro bono. Deshalb gilt Zwar verfügt Deutschland immer noch über eine bei- mein besonderer Dank den Sachverständigenmitgliedern spielhafte Kulturförderung – dank des Bürgers. Denn der Kommission. Mit ihrem Einsatz, ihrem Wissen, ihrer dieser ist der größte Kulturfinanzierer in Deutschland, praktischen Erfahrung haben sie erst deutlich gemacht, zunächst als Marktteilnehmer, dann als Spender und in welche Themen wir behandeln müssen. Häufig haben sie dritter Linie als Steuerzahler. Diese Steuermittel fließen die Themen aus einem anderen Blickwinkel betrachtet. zwar jetzt wieder stärker, aber in den vergangenen Jah- Deshalb danke ich namentlich Susanne Binas-Preisen- ren sind viele Theater, Orchester, Bibliotheken und Mu- dörfer, Helga Boldt, Gerd Harms, Dieter Kramer, Heinz- sikschulen den Sparzwängen geopfert worden. Wir sa- Rudolf Kunze, Bernhard Freiherr von Loeffelholz, gen: zu viele. Denn leider zählen die Ausgaben für Oliver Scheytt, Wolfgang Schneider, Thomas Sternberg, Kultur zu den sogenannten freiwilligen Leistungen. Nur Dieter Swatek, Nike Wagner, Hans Zehetmair, Olaf der Freistaat Sachsen bildet hier die rühmliche Aus- Zimmermann. nahme. In allen anderen Ländern sind diese Ausgaben auch zum Leidwesen vieler Kommunalpolitiker keine (Beifall im ganzen Hause) Pflichtaufgaben. Kann eine Kommune ihren Haushalt nicht ausgleichen, muss sie die Gemeindestraße weiter Meine Damen und Herren Sachverständigen, Sie ha- teeren, aber die Gemeindebibliothek schließen. Das ist ben sich in bester Weise bürgerschaftlich für die Kultur aus unserer Sicht die vollkommen falsche Priorität. engagiert. Gemeinsam haben wir außerhalb der Tages- politik mehr als 50 Themenfelder behandelt. Es ging um (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie Infrastruktur, Kompetenzen, rechtliche Rahmenbedin- bei Abgeordneten der LINKEN) gungen in Staat und Zivilgesellschaft, öffentliche und (D) (B) Zu einer funktionsfähigen Infrastruktur gehören nämlich private Förderung, die wirtschaftliche und soziale Lage nicht nur Verkehrswege, sondern zwingend Kultur- und der Künstlerinnen und Künstler, Kulturwirtschaft, den Bildungseinrichtungen. Die Ausgaben für Kultur sind Kulturstandort Deutschland, kulturelle Bildung, Kultur keine Subventionen, sondern Investitionen. in der Informations- und Mediengesellschaft, Kultur in Europa, Kultur im Kontext der Globalisierung, Kultur- (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und der statistik in Deutschland und der Europäischen Union. Je- FDP sowie bei Abgeordneten der LINKEN des dieser Themen verdient eine öffentliche Debatte. und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Mit der Empfehlung, Kultur als Staatsziel im Grund- Erst die Investition in kulturelle Infrastruktur eröffnet gesetz zu verankern, erregten wir sicherlich die meiste die Chance auf gleiche Teilhabe. Aufmerksamkeit. Die Kommission ist der Ansicht, dass es eines solchen Bekenntnisses zur Verantwortung des (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Staates für Schutz und Förderung von Kunst und Kultur Es wäre allerdings ein Fehler, Kulturpolitik immer in Deutschland bedarf. Dieses Staatsziel ist sozusagen nur auf finanzielle Aspekte zu reduzieren; denn damit der Überbau für alle staatlichen Ebenen. Die Verantwor- würden die Möglichkeiten verkannt, die der Gesetzgeber tung der Politik geht aber weiter. Deshalb dürfen die an- zum Schutz und zur Förderung von Kunst und Kultur deren Handlungsempfehlungen nicht übersehen werden. hat, von der Änderung des Gemeinnützigkeitsrechts bis Sie betreffen die Rahmenbedingungen von Theatern, zur Fortschreibung im Stiftungsrecht. Wir raten Bund Kulturorchestern, Opern, Museen und Ausstellungshäu- und Ländern, insoweit die Weichenstellungen auf euro- sern sowie von Bibliotheken und soziokulturellen Zen- päischer und internationaler Ebene nicht nur wachsam tren. Es werden Vorschläge für eine Stärkung der Kultur zu beobachten, sondern auf Rechtsakte wie etwa das in ländlichen Regionen, betreffend die kulturelle Tätig- GATS-Abkommen oder das europäische Vergaberecht keit der Kirchen und die Förderung des bürgerschaftli- sehr frühzeitig Einfluss zu nehmen. chen Engagements in der Kultur gemacht. (Wolfgang Börnsen [Bönstrup] [CDU/CSU]: Auf die wirtschaftliche und soziale Lage der Künst- Genau richtig!) lerinnen und Künstler haben wir zu Recht ein besonderes Augenmerk gelegt; denn ohne sie gäbe es keine Kultur Denn nur dort können und müssen Angriffe auf eine au- in Deutschland. tonome nationale Kulturpolitik abgewendet werden. Deutschland darf sich hier nicht mit einer Zuschauerrolle (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. begnügen. Jörg Tauss [SPD]) 13868 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 133. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. Dezember 2007

Gitta Connemann (A) Deshalb unterbreiten wir allein 50 Vorschläge für eine und zwar immer über Partei- und Fraktionsgrenzen hin- (C) verbesserte Aus- und Fortbildung, Änderungen im Tarif- weg. Das ist die Stärke der Kultur. und Arbeitsrecht bis hin zu Fragen der Besteuerung und (Beifall bei der CDU/CSU) der Altersvorsorge. Hinzu kommen Aussagen zur Krea- tiv- und Kulturwirtschaft, ein Bereich, der sich inzwi- Es einte uns das Ziel, die einzigartige Kulturlandschaft schen von einem Aschenbrödel zu einer durchaus an- und eine beispiellose kulturelle Vielfalt zu schützen und sehnlichen Braut entwickelt hat. zu fördern, und das mit großem Gewinn für die Sache. Angesichts des Wertes jeder Handlungsempfehlung – es Als Vorsitzende der Enquete-Kommission „Kultur in sind 465 – kann und will ich als Vorsitzende der Enquete- Deutschland“ danke ich deshalb allen Mitgliedern dieser Kommission keine einzelne hervorheben. Nur eine Aus- Kommission für ihre Kompetenz, für ihren Arbeitswil- nahme gestatte ich mir. Andere Einzelbewertungen über- len, für ihre Begeisterungsfähigkeit und für ihre Kreati- lasse ich in diesem Rahmen den nachfolgenden Kom- vität. Insbesondere danke ich den Kolleginnen und Kol- missionsmitgliedern. Ich gestatte mir das Augenmerk legen aus allen Fraktionen, die neben ihrem normalen auf die kulturelle Bildung zu richten; denn diese ist eine Abgeordnetenpensum die Kärrnerarbeit einer Enquete- der besten Investitionen in die Zukunft des Landes. Der Kommission auf sich genommen haben. Stellvertretend Wert der kulturellen Bildung scheint inzwischen glückli- möchte ich diesen Dank an die Obleute der Fraktionen richten: an Wolfgang Börnsen, an Siegmund Ehrmann, cherweise in der Öffentlichkeit erkannt zu sein. Unser der gleichzeitig stellvertretender Vorsitzender dieser Land darf sich nicht der Kreativität als unseres einzigen Kommission war, an Hans-Joachim Otto, an Undine Rohstoffs für die Zukunftsfähigkeit begeben. Bildung Kurth und an Lukrezia Jochimsen. Vielen Dank! darf nicht auf ein trostloses Lernen reduziert werden. (Beifall im ganzen Hause) (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Nicht zuletzt gilt mein Dank den Mitstreitern und Bei der kulturellen Bildung geht es um den ganzen Men- Mitstreiterinnen des Sekretariats, den Fraktionsreferen- schen, um die Bildung seiner Persönlichkeit, um Emotio- ten, den Mitarbeitern der Kommissionsmitglieder. Ohne nen und Kreativität. Ohne kulturelle Bildung – das ist ihr Engagement hätte die Kommission ihr Arbeitspen- meine feste Überzeugung – fehlt ein Schlüssel zu wahrer sum nicht leisten können. Die Bestandsaufnahme ist er- Teilhabe. Deshalb ist auf keinem Feld die Verantwortung folgt. Die Handlungsempfehlungen liegen vor. des Staates auf all seinen Ebenen größer als in diesem Und nun? Jedem Ende wohnt auch ein Anfang inne. Bereich. Dies hat auch etwas mit Teilhabe zu tun; denn Mit der Vorlage unseres Berichtes beginnt eine neue Kunst und Kultur dürfen kein Luxusgut einiger weniger Etappe. Dieser Bericht kann ein Kulturkompass sein, der Privilegierter sein. Die Teilhabe aller an Kultur muss ge- (B) richtungsweisend ist – wenn denn die Empfehlungen (D) währleistet sein; denn sie bedeutet auch Teilhabe an un- auch umgesetzt werden. Jetzt sind die Kulturpolitiker in serer Gesellschaft. allen Fraktionen, die Kulturschaffenden auf allen Ebe- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- nen gefragt, unsere Vorlage zum Wohle der Kultur zu neten der SPD) nutzen. Ich sage noch einmal: Es ist vollbracht, das Werk ist getan, und nun beginnt die Arbeit. Diese Teilhabe wird von einer Vielfalt von Trägern ge- Vielen Dank. währleistet. Kulturpolitik und öffentliche Kulturförde- rung finden in Deutschland im Wechselspiel von Staat, (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und der Wirtschaft und Zivilgesellschaft statt. Sie gemeinsam FDP sowie bei Abgeordneten der LINKEN stellen die kulturelle Infrastruktur zur Verfügung, von und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Vereinen über Kulturunternehmen, Kirchen, Glaubensge- meinschaften bis hin zu Rundfunkanstalten, Stiftungen, Präsident Dr. Norbert Lammert: Sponsoren und den Künstlern selbst. Dieser Dreiklang Liebe Frau Connemann, ich will Ihnen noch einmal in aus Politik, Wirtschaft und Zivilgesellschaft ermöglicht aller Form ganz herzlich für Ihre Arbeit als Vorsitzende ein kulturelles Leben, das keiner allein gewährleisten der Kommission danken. Dies war sicher nicht immer könnte, zuletzt der Staat. Es darf deshalb kein Unter- eine nur einfache Aufgabe; aber es war, denke ich, eine schied zwischen staatlich geförderter, guter Kultur auf gleichzeitig nicht nur besonders wichtige, sondern auch der einen Seite und der Kultur, die auf bürgerschaftliches durchaus dankbare Aufgabe. Jedenfalls schlägt sich das Engagement gegründet wird, sowie privat veranstalteter Ergebnis dieser Arbeit in einer auffälligeren Weise nie- Kultur auf der anderen Seite gemacht werden. der, als das für manch andere Aktivitäten im Deutschen (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- Bundestag gelegentlich zu beobachten ist. neten der SPD und der FDP) (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Eine solche Trennung sollte nach unserem Bericht der Ich habe vorhin in der friedlichen, adventlichen Stim- Vergangenheit angehören. mung zu Beginn der Sitzung darauf verzichtet, Ihr förm- liches Einvernehmen darüber herbeizuführen, dass diese Was bleibt? Es bleibt unser Bericht, ein leidenschaft- Debatte insgesamt zwei Stunden dauern soll. Das liches Plädoyer für die Förderung von Kunst und Kultur möchte ich gerne nachholen. – in Deutschland als eine ebenso notwendige wie lohnens- werte Investition in die Zukunft. Die zurückliegende Ar- (Dr. [FDP]: Och nein! Jetzt beit war von einem Miteinander aller Beteiligten geprägt, nicht mehr! – Heiterkeit) Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 133. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. Dezember 2007 13869

Präsident Dr. Norbert Lammert (A) Ich stelle hiermit fest, dass außer einem – nicht weiter es jetzt um die Umsetzung geht; sie muss noch in dieser (C) konkretisierten – Zögern beim Vorsitzenden der FDP- Legislaturperiode in entscheidenden Teilen vorange- Fraktion auch zu diesem Verfahrensvorschlag Einver- bracht werden. Genau das ist für uns der Schwerpunkt nehmen besteht. der Arbeit in dieser Legislaturperiode. Wir müssen so viel wie möglich von den sinnvollen Forderungen und Ich mache der guten Ordnung halber darauf aufmerk- Handlungsempfehlungen der Enquete-Kommission durch sam, dass die gerade gehaltene Rede selbstverständlich Gesetzentwürfe in das parlamentarische Leben und in die in die Berechnung der Gesamtredezeit einzubeziehen ist. politische Praxis umsetzen. Ich sage das, um voreilige Spekulationen einzudämmen. Es sind aber nicht nur die Handlungsempfehlungen zu Ich erteile nun das Wort dem Kollegen Hans-Joachim nennen, die sich im Übrigen nicht nur an den Bundestag, Otto für die FDP-Fraktion. sondern in sehr großer Zahl auch an die Länder und die (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten Kommunen richten; allein die Tatsache, dass der Bun- der SPD) destag zweimal, in der vergangenen Legislaturperiode und in dieser Legislaturperiode, eine solche Enquete- Kommission eingesetzt hat, ist ein nicht zu unterschät- Hans-Joachim Otto (Frankfurt) (FDP): zendes, ein wichtiges Signal des deutschen Parlaments Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Insbeson- zugunsten von Kultur, zugunsten von Künsten. dere heute: Liebe Gäste auf der Tribüne! Nach vier Jah- ren Arbeit sehe ich mich in der Lage, es zu beurteilen: (Beifall bei Abgeordneten der FDP, der CDU/ Das Amt der Vorsitzenden einer Enquete-Kommission CSU und der SPD) ist wohl eines der komplexesten und der anstrengendsten Die Notwendigkeit ist wirklich gegeben. Wir müssen Ämter, die ein Bundestag überhaupt vergeben kann. in aller Deutlichkeit sagen: So löblich es ist, dass die Deswegen liegt mir sehr daran – ich spreche sicherlich Bundesregierung, namentlich der Staatsminister, bei den im Namen aller Kolleginnen und Kollegen –, dir, Gitta Haushaltsberatungen auf der Bundesebene einen großen Connemann, für diese Arbeit ausdrücklich allerhöchsten Schritt nach vorn hat machen können, so klar müssen Respekt und Dank auszusprechen. wir sehen, dass auf der kommunalen Ebene und auf der (Beifall bei der FDP, der CDU/CSU und der Länderebene noch einiges zu tun ist. Dort gibt es seit SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNIS- Jahren finanzielle Kürzungen, zum Teil sogar wirklich SES 90/DIE GRÜNEN und der LINKEN) schmerzliche Verluste; Institutionen können nicht mehr fortbestehen usw. Deine Konsequenz, gelegentlich deine Härte, deine Meine Damen und Herren, insbesondere vor diesem (B) bösen Blicke, die sind schon sprichwörtlich. Auch dein (D) Charme und deine Zielstrebigkeit waren notwendig, um Hintergrund auf der Landes- und auf der kommunalen innerhalb der gesetzten Zeit dieses Werk vorzulegen. Du Ebene brauchen wir in der Tat ein Staatsziel Kultur. hast dir wirklich ganz hervorragende Verdienste darum (Beifall bei Abgeordneten der FDP, der SPD und erworben. Das soll auch an dieser Stelle gleich eingangs des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) gesagt sein. Das Staatsziel Kultur ist nicht alles – wir haben 460 For- Nach vier Jahren Arbeit ist dieser Tag ein Tag des derungen formuliert –, aber ohne ein Staatsziel Kultur ist Dankes. Ich möchte allen Kolleginnen und Kollegen alles entschieden schwieriger. und vor allen Dingen den Sachverständigen meinen Dank, meinen Respekt, meine Hochachtung für dieses Warum brauchen wir dieses Staatsziel? Wir brauchen gemeinschaftliche Werk aussprechen. ein verfassungsrechtlich eindeutiges Signal, das sagt, dass nicht nur, wie bisher, die natürlichen Lebensgrund- Sie nehmen es mir sicherlich nicht übel, wenn ich je- lagen als Staatsziel geschützt sind, sondern auch die an- manden besonders hervorhebe, mit dem ich vier Jahre dere Seite der Medaille, die geistigen Lebensgrundlagen. lang jeden Sitzungstag der Enquete-Kommission – ich Wenn wir sie nicht gleichermaßen schützen, dann gibt es hätte fast gesagt: mich herumgeschlagen habe; aber das eine Unwucht, und diese Unwucht wirkt sich in konkre- ist nicht das richtige Wort – hart zusammengearbeitet ten Entscheidungen aus: in Gerichtsentscheidungen, habe. Olaf Zimmermann, dem Geschäftsführer des Deut- aber natürlich auch in vielen Haushaltsentscheidungen. schen Kulturrats, möchte ich ganz herzlich Dank sagen, auch für die Zuarbeit, die wir vom Deutschen Kulturrat Kultur ist eine freiwillige Aufgabe. Wenn wir diese bekommen haben. Das war wirklich eine sehr große freiwillige Aufgabe, die so wichtig ist, nicht im Grund- Hilfe. gesetz verankern, dann gibt es ständig Entscheidungen gegen die Kultur, und das müssen wir verhindern. (Beifall bei der FDP, der CDU/CSU, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (Beifall bei Abgeordneten der FDP, der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Ein solches Werk ist schön, ein solches Werk macht Deswegen müssen wir die Entscheidung über das Signal stolz, aber jetzt geht es weiter. Von der Enquete-Kom- eines Staatsziels Kultur noch in dieser Legislaturperiode mission wird sozusagen das Staffelholz zur weiteren fe- treffen. derführenden Behandlung an den Ausschuss für Kultur und Medien übergeben. Wir im Kulturausschuss wis- (Beifall des Abg. Steffen Reiche [Cottbus] sen, welche Verantwortung wir haben. Wir wissen, dass [SPD]) 13870 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 133. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. Dezember 2007

Hans-Joachim Otto (Frankfurt) (A) Ich appelliere an alle Kolleginnen und Kollegen, hier Frau Connemann hat es schon gesagt: Der größte (C) mitzuwirken. Kulturfinanzierer in Deutschland ist immer noch der Bürger. Er tut das meiste, als Marktteilnehmer, als Besu- Ich muss allerdings auch ein kritisches Wort sagen. cher von Kulturinstitutionen, als Spender nicht nur von Die Tatsache, dass jetzt nicht nur das Staatsziel Kultur in Geld, sondern auch von Zeit, und – in dritter Linie – als der Diskussion ist, auf das wir uns seit Jahren vorbereitet Steuerzahler. Deswegen ist es so wichtig, dass wir hier haben – wir haben dazu Anhörungen durchgeführt; wir ein solides Fundament schaffen. haben dazu Verfassungsexperten gehört –, sondern dass es eine Vielzahl weiterer Wünsche für Staatsziele gibt, Ich möchte einen wichtigen Punkt hervorheben, bei ist nicht gerade hilfreich, wenn es darum geht, das dem wir uns ein bisschen von den anderen Fraktionen Staatsziel Kultur durchzusetzen. unterscheiden: Unser Verständnis von Kulturförderung entspricht nicht dem Leitbild eines – so heißt es im (Beifall der Abg. Gitta Connemann [CDU/ Schlussbericht –„aktivierenden Kulturstaates“. Vielmehr CSU]) treten wir für einen ermöglichenden Staat ein. Plakativ Mit Blick auch auf die Kollegen von der sozialdemo- ausgedrückt: Wir stehen nicht so sehr für den Slogan kratischen Fraktion sage ich: Sicherlich, wir alle wollen „Kultur für alle“, sondern wir wollen „Kultur von allen“. Kinder schützen; aber ob wir Kinder dadurch schützen Wir wollen Menschen ermutigen, also Rahmenbedin- können, dass wir höchst wohlfeile Erklärungen ins gungen dafür schaffen, dass sich mehr Menschen aktiv Grundgesetz hineinschreiben, beteiligen und aktiv kulturell betätigen. Wir wollen – es ist angesprochen worden – mehr kulturelle Bildung in (Dr. [CDU/CSU]: Das Glei- den Schulen. Es ist sehr wichtig, dass sich hier Entschei- che gilt für die Kultur!) dendes tut. Deswegen treten wir für den ermöglichen- werden wir noch an anderer Stelle klären müssen. Wir den Kulturstaat ein; der Begriff des aktivierenden Kulturpolitiker jedenfalls sagen: Im Hinblick auf den Kulturstaates könnte eine Schlagseite haben und sugge- Ausgleich „natürliche Lebensgrundlagen – geistige Le- rieren, es gehe um passives Aufnehmen von Kultur, bensgrundlagen“ muss zuerst das Staatsziel Kultur ver- nicht um aktives Handeln. ankert werden; dann reden wir über alle weiteren Staats- Es ist schwierig, vier Jahre Arbeit in zehn Minuten ziele. Es darf da keine Inflation geben; da bin ich mir mit darzustellen. Deswegen möchte ich an dieser Stelle nur allen anderen einig. noch eines hervorheben: Wir haben – ich schaue jetzt (Beifall bei Abgeordneten der FDP und der wirklich das gesamte Spektrum dieses Parlaments an – CDU/CSU – Widerspruch bei Abgeordneten 460 Handlungsempfehlungen verabschiedet. Weit über (B) der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE 95 Prozent aller Handlungsempfehlungen – ich habe es (D) GRÜNEN) nicht ausgerechnet; vielleicht waren es 99 Prozent – sind im Einvernehmen aller Fraktionen dieses Hauses be- Lassen Sie mich in der Kürze der Zeit noch ein schlossen worden. Davon geht ein ermutigendes Signal Thema aufgreifen, das uns sehr wichtig ist: die Rolle der für die Kultur in Deutschland aus. Wenn dieses Haus es Zivilgesellschaft. Manche haben mich gefragt, warum schafft, dass alle Fraktionen – von der Linksfraktion bis ausgerechnet die Liberalen vorne sind, wenn es darum zur CDU/CSU, von der FDP bis zur SPD – hinter den geht, das Staatsziel Kultur voranzubringen. Die Antwort Forderungen stehen – hinter zirka 99 Prozent von ist einfach: Wir können die Zivilgesellschaft – Mäzene 460 Forderungen –, dann geht davon ein Signal aus, das und Spender – nur dann aktivieren, wenn sich der Staat überhaupt nicht unterschätzt werden kann. Dieses klare nicht gleichzeitig zurückzieht. Es kann nicht angehen, Signal des Deutschen Bundestages, das von der Arbeit dass beispielsweise beim Deutschen Historischen Mu- der Enquete-Kommission ausgeht und zum Ausdruck seum, aber auch bei vielen anderen Institutionen, jede bringt, dass wir Anwälte für Kunst und Kultur sind, dass Spende, die eingeworben wird, gleich vom Haushalt ab- wir uns für einen höheren Stellenwert von Kunst und gezogen wird und sozusagen zu einer Kürzung führt. Kultur in der Gesellschaft und im Staat einsetzen, gilt es Menschen, die sich für Kultur engagieren, die Geld und jetzt in aller Konsequenz nach außen zu tragen. Wir Zeit in Kultur investieren, möchten das Geld nicht bei müssen so allen Kulturschaffenden in Deutschland, allen Herrn Steinbrück abgeben; sie möchten, dass das Geld Kulturinstitutionen und Kulturorganisierenden, klarma- ungeschmälert der Kultur zugutekommt. chen: Der Deutsche Bundestag ist ein Parlament, das sich für Kunst und Kultur ausspricht, heute und in Zu- (Beifall bei der FDP sowie des Abg. Markus kunft. Meckel [SPD]) Deswegen müssen wir das Verhältnis von Staat, Zivil- Herzlichen Dank. gesellschaft und Wirtschaft stabilisieren. Dafür ist es (Beifall im ganzen Hause) notwendig, von staatlicher Seite durch ein Staatsziel Kultur, aber auch durch eine solide Grundfinanzierung ein Signal an die Zivilgesellschaft auszusenden, welches Präsident Dr. Norbert Lammert: sie ermutigt, sich hier zu engagieren. Sie tut schon jetzt Der Kollege Siegmund Ehrmann ist der nächste Red- sehr viel; aber wir müssen das verstetigen und dafür sor- ner für die SPD-Fraktion. gen, dass sich dort auch in Zukunft Menschen verant- wortlich fühlen. (Beifall bei der SPD) Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 133. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. Dezember 2007 13871

(A) Siegmund Ehrmann (SPD): pulse für die Debatte der Zivilgesellschaft zu geben. (C) Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Deshalb geht von diesem Tag ein Angebot zu einer brei- Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Gäste! ten Diskussion an alle Akteure aus, sich in der Öffent- Mit dem heute vorgestellten Bericht der Enquete-Kom- lichkeit mit unseren Handlungsempfehlungen auseinan- mission legen wir das Ergebnis einer vierjährigen inten- derzusetzen. siven Arbeit – das wurde ja hier schon mehrfach ange- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten sprochen – vor. der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE Was war der Hintergrund des Auftrages dieser GRÜNEN) Enquete-Kommission? Ich erlaube mir, in Erinnerung zu Bevor ich auf einige Details eingehe, möchte auch ich rufen, dass die Bundeskulturpolitik nach 1998 in der da- Dank erstatten, nämlich Dank den Kolleginnen und Kol- maligen rot-grünen Koalition besonders akzentuiert legen, die als Abgeordnete und als Sachverständige mit- wurde und es insbesondere dem Engagement von Antje gewirkt haben, Dank allen Obleuten, aber auch Ihnen, Vollmer und Eckhardt Barthel zu verdanken ist, dass die Frau Connemann, meinen persönlichen Dank für die Kernfragen, die uns damals bewegt haben, so zugespitzt souveräne, hartnäckige und nachhaltige Verhandlungs- wurden, dass letztendlich in der Koalitionsvereinbarung führung. Herzlichen Dank. von 2002 die Verabredung getroffen wurde, diese Enquete-Kommission einzurichten. Deshalb noch ein- (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und der mal herzlichen Dank an die Kolleginnen und Kollegen, FDP) die das seinerzeit auf den Weg gebracht haben. Ich möchte aber auch die Arbeit derjenigen würdigen, (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ die in der letzten Wahlperiode mitgewirkt haben und DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der dann, aus welchen Gründen auch immer, nicht mehr an FDP) den Beratungen der Enquete-Kommission teilgenommen haben, weil vielleicht die Weisheit der Wähler oder eine Ich bin aber ebenso dankbar dafür, dass sich dann im persönliche Lebensentscheidung dazu geführt hat, dass Herbst 2003 alle Fraktionen dieses Hauses dem Einset- sie kein Mandat mehr für diese verantwortliche Aufgabe zungsbeschluss angeschlossen haben. Das war sicherlich hatten. Herzlichen Dank also auch an alle, die früher auch prägend für den Geist, in dem diese Enquete-Kom- diese Arbeit geleistet haben. mission ihre Arbeit geleistet hat. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie Welche Fragen bewegten die Kulturpolitik damals, bei Abgeordneten der FDP und des BÜND- aber auch noch heute? Zum Beispiel die Fragen: Wie NISSES 90/DIE GRÜNEN) (B) steht es um die öffentliche und private Kulturfinanzie- (D) rung? Kann der Staat in dem Geflecht der Verantwortung Lassen Sie mich jetzt auf einige Inhalte zu sprechen der Künstlerinnen und Künstler, der Zivilgesellschaft, kommen. Zunächst möchte ich einige grundsätzliche des Ehrenamtes und des Potenzials, das in den Märkten Anmerkungen zu den Rahmenbedingungen der Kultur- liegt, seiner eigentlichen Verantwortung, Kultur als öf- politik machen. Dann möchte ich das Thema „Rechtli- fentliches Gut zu fördern, tatsächlich gerecht werden? che und strukturelle Rahmenbedingungen der Kultur- Wie lassen sich die Bedingungen für das Engagement arbeit“ am Beispiel der öffentlichen Bibliotheken der Zivilgesellschaft verbessern? Sind die rechtlichen erläutern und einen Hinweis darauf geben, welche Weis- und organisatorischen Rahmenbedingungen, in denen heit in unseren Empfehlungen – da gibt es wahre Perlen – die Arbeit der Kulturinstitutionen erfolgt, zeitgemäß? enthalten ist. Schließlich geht es um Fragen im Zusam- Welche Wirkungen haben Impulse, die aus der interna- menhang mit dem Urhebervertragsrecht. Auch dazu er- tionalen Politik, der GATS- oder WTO-Regime, aber laube ich mir ein paar Anmerkungen. auch der Prozesse im europäischen Sektor, auf unser Handeln einströmen? Wie – auch das ist eine wichtige Zur Struktur der Kulturpolitik und zu den Entschei- Frage – ist es um die wirtschaftliche und soziale Situa- dungsprozessen in der Kulturpolitik. Folgende Fragen tion der Künstlerinnen und Künstler bestellt, nachdem sind vorrangig an uns selbst gerichtet, weil dies unser wir – das wurde schon erwähnt – 1975 mit der Kreierung Kompetenzfeld ist: Wie soll und kann eine zeitgemäße des Künstlersozialrechtes einen wichtigen Impuls ge- Kulturpolitik definiert werden? Was kann sie leisten? setzt haben? Das geschah ja damals aufgrund einer Ana- Wie effektiv sind ihre Strukturen? Wie werden kultur- lyse der wirtschaftlichen Situation der Künstlerinnen politische Ziele erarbeitet und wirksam umgesetzt? Im und Künstler. Wie ist der Status 30 Jahre danach? weitesten Sinne geht es um das Themenfeld der Kultur- verwaltungsreform oder -modernisierung. Dazu haben (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten wir wichtige Hinweise auf unseren Delegationsreisen der CDU/CSU) insbesondere in die Niederlande oder nach Großbritan- nien bekommen. Natürlich richten sich die Handlungsempfehlungen, die wir hier erarbeiten, vorrangig an den Bundesgesetz- Auch in der Kulturpolitik, so empfehlen wir, sollten geber. Ich persönlich bin allerdings sehr froh darüber, wir uns moderneren, wirksameren Entscheidungsprozes- dass wir uns in der Enquete-Kommission einig waren, sen zuwenden. Ich will jetzt nicht zu technisch werden, über Bande zu spielen, das heißt, Sachzusammenhänge aber wir plädieren dafür – das ist eine Handlungsemp- zu denken, alle staatlichen Handlungsebenen in unsere fehlung der Enquete-Kommission –, auch in der Kultur- Analysen einzubeziehen, aber und vor allem auch Im- politik in gewissen Zeitabständen Schwerpunkte zu 13872 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 133. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. Dezember 2007

Siegmund Ehrmann (A) überprüfen und gegebenenfalls neue Ziele zu formulie- gemeinsam mit den Ländern Diskussionsprozesse in (C) ren. Schließlich entwickelt sich in Kunst und Kultur per- Gang zu setzen und hoffentlich zu Ergebnissen zu kom- manent Neues. men, damit wir in der Fläche besser werden. Andere Länder zeigen uns, was wir mithilfe aktiver Bibliotheks- (Beifall bei Abgeordneten der SPD sowie der arbeit gestalten können. Abg. Gitta Connemann [CDU/CSU]) (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie Wenn es gelänge, in eine solche konzeptionelle Arbeit bei Abgeordneten der FDP und des BÜND- der Zielfindung einzutreten, könnten auf Basis solcher NISSES 90/DIE GRÜNEN) grundlegenden Entscheidungen auch Etatisierungen über mehrere Jahre planungsstabil gestaltet werden. Ein drittes Beispiel betrifft den Komplex der wirt- (Beifall bei Abgeordneten der SPD sowie der schaftlichen und sozialen Situation der Künstlerinnen Abg. Gitta Connemann [CDU/CSU]) und Künstler. Wir haben uns mit der Novelle zum Urhe- berrechtsgesetz 2002 auseinandergesetzt und mussten Ich möchte dies am Beispiel der Musikförderung er- feststellen, dass unser Anspruch, den Urhebern eine an- läutern. Im Haushalt des BKM werden in jedem Jahr gemessene Vergütung zukommen zu lassen, in weiten etwa 18,9 Millionen Euro für den Bereich der Musikför- Feldern nicht Wirklichkeit ist. Das anzugehen, empfeh- derung zur Verfügung gestellt. Die Segmente der klassi- len wir dringend. Wir haben an die Bundesregierung, schen Musik binden etwa 15,2 Millionen Euro; Seg- aber auch an uns die Forderung gerichtet, diese Situation mente der moderneren, improvisierten und populären noch einmal sorgfältig zu analysieren und Abhilfe zu Musik etwa 1,5 Millionen Euro. Das ist also deutlich schaffen. Wenn fünf Jahre nach Inkraftsetzen einer weniger als für die klassische Musik. Ich möchte das Rechtsnovelle keine Wirkungen in der Fläche zu erzie- eine nicht gegen das andere stellen. Aber manchmal len sind, ist das kein gutes Zeichen. Dort sind wir gefor- habe ich den Verdacht: einmal etatisiert, immer etatisiert. dert. So gewinnen wir keine Spielräume bei gegebener Etat- lage, neue Akzente zu setzen. Deshalb ist die Reflexion (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der über Förderentscheidungen und vor allen Dingen über CDU/CSU) Inhalte und Wirkungen, die wir damit anstreben, sehr Abschließend noch eine Bemerkung zum Thema wichtig. Es ist nicht nur ein technischer Begriff. Denn Staatsziel Kultur. In der Enquete-Kommission haben darin liegt die Chance gestaltender – Herr Otto, aktivie- wir eine sehr wichtige, grundlegende Analyse vorge- render – Kulturpolitik, die wir machen könnten. nommen; die diesbezüglich einstimmig verabschiedete (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der Empfehlung ist angesprochen worden. Wir haben dazu (B) CDU/CSU – Hans-Joachim Otto [Frankfurt] bereits im Rahmen der Vorlage des Zwischenberichtes (D) [FDP]: Danke! Sehr richtig!) eine intensive Plenardebatte geführt. Jetzt ist der Zeit- punkt gekommen, nicht nur die Lippen zu spitzen, son- Deshalb empfehlen wir dem Deutschen Bundestag – das dern auch zu pfeifen. ist ein Appell an uns –, dieses Vorgehen in bestimmten Handlungsfeldern der Kulturpolitik zu praktizieren. Wir (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Parlamentarier sind da vorrangig gefordert. Ich bin über- der CDU/CSU, der FDP und der LINKEN) zeugt, dass noch eine Menge Diskussionsstoff vor uns Wir, die SPD-Fraktion, haben dazu einen Entschei- liegt. Aber wir müssen diesen Weg gehen. dungsprozess hinter uns gebracht. Ich möchte jetzt nicht Lassen Sie mich noch ein weiteres Beispiel skizzieren. in die Debatte der Staatszielhierarchien einsteigen. Da sehe ich die Handlungsfähigkeit des kooperativen Fö- (Beifall bei der SPD) deralismus gefordert. Die öffentlichen Bibliotheken sind eine ganz wichtige Institution an der Schnittstelle von Unsere Entscheidung ist aber eindeutig: Wir fordern die Kultur- und Bildungsarbeit. Fixierung eines Staatsziels Kultur aus vielerlei Gründen; sie wurden hier schon genannt. Ich vermute, dass es (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten nicht hilfreich ist, die Diskussion zuzuspitzen. Ich der CDU/CSU und des Abg. Hans-Joachim glaube, dass es jetzt wichtig ist, sich in dem Geist, in Otto [Frankfurt] [FDP]) dem die Arbeit der Enquete-Kommission geleistet Gleichwohl ist ihre Etatsituation sehr fragil. Der Rechts- wurde, aufeinander zuzubewegen und zu sehen, was tat- charakter dieser Institutionen und die Verpflichtung des sächlich umsetzbar ist. Ich vermute, dass es Chancen Staates gegenüber ihnen sind schon angesprochen wor- gibt. An uns selbst, aber auch an den Koalitionspartner den. Es sind freiwillige Aufgaben; deshalb ist die Lage richte ich den Appell, gemeinsam zu Ergebnissen zu sehr schwierig. Deshalb fallen gerade Bibliotheken in kommen. Finanzkrisen häufig dem Rotstift zum Opfer. Institutio- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten nen werden geschlossen, oder Etats für eine zeitgemäße der CDU/CSU und des Abg. Hans-Joachim Ausstattung mit Medien werden nicht entsprechend auf- Otto [Frankfurt] [FDP]) gestellt. Auch da empfehlen wir den Ländern, Biblio- theksgesetze zu erlassen, Standards zu definieren und Mit diesem Thema will ich die anderen Aspekte nicht re- über eine etwas staatsfernere Bibliotheksentwicklungs- lativieren; sie sind ungeheuer wichtig. Andere Kollegin- agentur Prozesse zu moderieren. Hier sollte man nicht nen und Kollegen werden gleich weitere Inhaltsschwer- nur auf andere zeigen. Denn wir selbst sind gefordert, punkte darstellen. Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 133. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. Dezember 2007 13873

Siegmund Ehrmann (A) Lassen Sie mich zum Schluss einen ganz besonderen Liebe Kolleginnen und Kollegen, was wir Ihnen heute (C) Dank aussprechen. Er mag etwas ungewöhnlich erschei- vorlegen, sind keine Botschaften aus dem Elfenbein- nen; aber dies ist mir ein großes Bedürfnis. Ich möchte turm, sondern ist die Zustandsbeschreibung unseres rei- mich neben dem Sekretariat der Enquete-Kommission chen und vielfältigen Fundamentes Kultur, auf dem un- bei allen Fraktionsreferentinnen und Fraktionsreferenten sere Gesellschaft und gerade auch die Qualität unserer bedanken, Demokratie beruhen. Ich finde, das dürfen wir nie aus den Augen verlieren. Diese Zustandsbeschreibung han- (Wolfgang Börnsen [Bönstrup] [CDU/CSU]: delt von Glanz, aber gleichermaßen auch von Elend. Sehr gut!) Glanzvoll ist die Liste der Theater, Denkmäler, Biblio- insbesondere bei Dr. Ingrun Drechsler und Astrid theken, Museen, Orchester, Chöre, Tanzgruppen und der Boewen-Nitz. Tausenden Einrichtungen und Gruppierungen freien bür- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten gerlichen Engagements in Sachen Kultur. Glanzvoll ist der CDU/CSU, der FDP und des BÜNDNIS- auch das Aufkommen des Wirtschaftszweiges Kultur, ei- SES 90/DIE GRÜNEN) nes Beschäftigungssektors mit hohen Wachstumsraten und großer Zukunft. Lieber Herr Kollege Ehrmann, dass Dies tue ich an dieser Stelle auch deshalb, weil ich mir wir hier in Zukunft genauer hinschauen müssen, ist un- persönlich ernsthaft gar nicht vorstellen kann, dass bestritten. Ingrun Drechsler Ende Januar in den wohlverdienten Ruhestand geht. Elend sind hingegen die Einkommen der meisten Künstler und Kulturschaffenden in Deutschland. Im (Jörg Tauss [SPD]: Sie ist 67!) Durchschnitt verdienen sie gerade einmal 11 000 Euro Bei dem Elan, den sie hier an den Tag gelegt hat, und pro Jahr, die Mehrheit verfügt über kein regelmäßiges dem großen vermittelnden Geschick kann ich nur sagen: Einkommen, und es ist ihnen kaum möglich, eine Alters- Chapeau! Jetzt liegt der Ball in unserem Spielfeld. Wir sicherung aus ihren Einnahmen zu finanzieren. Das gilt sind in den Ausschüssen gefordert, uns mit den Hand- nach wie vor, obwohl die Umsätze und Gewinne der lungsempfehlungen auseinanderzusetzen. Branche gestiegen sind und weiter steigen. Die Kreati- ven haben aber keinen Anteil daran. Von Leistungsge- Herzlichen Dank. rechtigkeit keine Spur! (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie (Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Wolfgang bei Abgeordneten der FDP und des BÜND- Börnsen [Bönstrup] [CDU/CSU]) NISSES 90/DIE GRÜNEN) (B) Aus unserer Sicht muss der Staat an dieser Stelle ge- (D) gensteuern, und zwar mit einer Stärkung des Urheber- Präsident Dr. Norbert Lammert: rechts – das wurde bereits angesprochen –, damit die Was das Ausscheiden von Frau Drechsler betrifft, Einnahmen tatsächlich den Urhebern zugute kommen schließt sich der Präsident Ihrem begrenzten Vorstel- und die Zeit für künstlerische Arbeit in der Rentenversi- lungsvermögen ausdrücklich an. cherung flexibel angerechnet werden kann. (Heiterkeit und Beifall bei Abgeordneten der (Jörg Tauss [SPD]: Urhebervertragsrecht!) SPD) Zur elenden, ja jämmerlichen Seite der Zustandsbe- Nun hat das Wort Frau Dr. Jochimsen für die Fraktion schreibung der Kultur in Deutschland gehört zweitens, Die Linke. dass ihr Reichtum und ihre Vielfalt an etlichen Stellen (Beifall bei der LINKEN) bereits Spuren von Abbau und Rückbau aufzeigen. Ein trauriges Beispiel dafür sind die Theater in Thüringen. Das gilt aber nicht nur für sie. Deshalb ist es wichtig, Dr. Lukrezia Jochimsen (DIE LINKE): dass die Förderung von Kunst und Kultur im Bericht als Herr Präsident! Liebe Gäste! Liebe Kollegen Sach- Pflichtaufgabe des Staates herausgestellt wird. Kultur verständige! muss als Staatsziel im Grundgesetz verankert werden. ( [CDU/CSU]: Liebe Fernseh- (Beifall bei der LINKEN und dem BÜND- zuschauer!) NIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordne- Insbesondere lieber Professor Kramer als Mitstreiter! Ich ten der CDU/CSU und der SPD) kann mich dem Dank, den Herr Ehrmann gerade allen an Ich stehe auf der Seite all derer, die gesagt haben, dass es der Arbeit der Enquete-Kommission beteiligten Berei- Zeit ist, nicht länger nur die Lippen zu spitzen, sondern chen ausgesprochen hat, nur anschließen, und möchte auch zu pfeifen. Das rot-rote Berlin und das vormals rot- ihn auf unsere Fraktionsreferentin Frau Dr. Annette rote Mecklenburg-Vorpommern sind übrigens die einzi- Mühlberg ausdehnen. Auch ich hätte nicht gewusst, wie gen Bundesländer, die das bereits beschlossen haben. ich als Späteinsteiger in diese Kommission die Arbeit überhaupt hätte bewältigen können, wenn es nicht die (Volker Kauder [CDU/CSU]: Was daraus ge- Möglichkeit eines fundierten Wissens und einer Zuarbeit worden ist, sieht man an Berlin!) gegeben hätte. Aus unserer Sicht muss die Kompetenz des Bundes (Beifall bei der LINKEN) für die Kultur weiter gestärkt werden, zum Beispiel um 13874 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 133. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. Dezember 2007

Dr. Lukrezia Jochimsen (A) unsere Bibliotheken zu retten. Der Kollege Ehrmann hat darum, sie zu überwinden, sondern darum, sie als (C) das gerade vorgetragen. Der Bundespräsident hat dieses Chance zu nutzen. Elend in einer bewegenden Rede zur Wiedereröffnung der Anna-Amalia-Bibliothek in Weimar genau benannt: (Beifall bei der LINKEN) Die Chance, die beiden Schulsysteme von DDR und Noch kann man sagen: Bibliotheken bilden in Bundesrepublik in ihrer Unterschiedlichkeit zu nutzen, Deutschland ein flächendeckendes Netz. haben wir sträflich versäumt. Mit dem Erbe der beiden Er sagte aber auch: Kulturen sollten wir anders umgehen, auch und gerade nach der Veröffentlichung dieses Berichts. Auf dem Land ist das Netz öffentlicher Bibliothe- ken zum Teil ziemlich dünn – und in manchen Ge- Insgesamt halten wir den Bericht für eine notwendige genden kann man von einem regelrechten Biblio- Grundlage unserer weiteren Arbeit für die Kultur. Er ent- thekssterben sprechen. Nur etwa 15 Prozent der stand nicht im Elfenbeinturm, und er handelt nicht von Schulen Luxus, Dekoration oder Überfluss, sondern von den Überlebensnotwendigkeiten unserer Gesellschaft. – ich bitte Sie: 15 Prozent der Schulen in Deutschland – Ich danke Ihnen. verfügen über eine eigene Bibliothek … (Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Sein Fazit lautet: In Deutschland fehlt „– im Gegen- Steffen Reiche [Cottbus] [SPD]) satz zu den erfolgreichen PISA-Ländern – die strategi- sche Verankerung der Bibliotheken als Teil unserer Bil- Präsident Dr. Norbert Lammert: dungsinfrastruktur.“ Er sagt, dass diese „heute weder auf Das Wort erhält nun die Kollegin Undine Kurth, Länderebene noch in der Politik des Bundes in ausrei- Bündnis 90/Die Grünen. chendem Maße anzutreffen“ sind. „Bibliotheken gehö- ren deshalb in Deutschland auf die politische Tagesord- nung.“ Undine Kurth (Quedlinburg) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): (Beifall bei der LINKEN und dem BÜND- Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und NIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Gitta Kollegen! Liebe, verehrte Gäste! Es ist schon eine Weile Connemann [CDU/CSU]) her, da haben die Grünen die Schaffung eines Kultus- ministeriums gefordert; dass daraus nichts geworden Die Enquete-Kommission sieht das genauso. Aller- ist, wissen wir alle. Dann haben wir die Einsetzung einer dings unternimmt sie nicht den aus unserer Sicht ent- (B) Enquete-Kommission gefordert, die sich mit der Situa- (D) scheidenden Schritt. Sie fordert kein Bundesbibliotheks- tion bzw. dem Zustand der Kultur in Deutschland befas- gesetz, um den Bestand unserer Bibliotheken, die es sen sollte; dass das erfolgreich vonstatten gegangen ist, noch gibt, zu retten. Zu einer Reform der Kompetenzver- sehen wir heute. Bei dieser Einsetzung herrschte in die- teilung gehört nach unserer Vorstellung auch – es wird sem Haus große Übereinstimmung, und sie wurde von Sie vielleicht wundern, dass die Linke das fordert – die allen Fraktionen getragen. Ernennung eines Bundeskulturministers mit eigenständi- gem Ministerium, damit Kultur im Kabinett und auf eu- Ich bin der festen Überzeugung, dass die Einsetzung ropäischer Ebene gleichberechtigt vertreten ist. der Enquete-Kommission „Kultur in Deutschland“ ein echter Glücksfall für Kunst und Kultur in unserem Land (Beifall bei der LINKEN) war, Die Kommission hat umfangreich, ausführlich, prä- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – zise und konkret gearbeitet und sich dabei auf vielerlei Hans-Joachim Otto [Frankfurt] [FDP]: Ja! Nur Sachverstand gestützt. Mir erscheint es aber als ein für uns nicht!) Elend, dass die Kommission nicht bereit war, sich ange- messen mit den kulturellen Folgen der deutschen Tei- auch deshalb, weil sie von dem gemeinsamen Willen ge- lung zu befassen. Die Auseinandersetzung mit der Tat- tragen war, zu Ergebnissen zu kommen und Ressort- und sache, dass Kultur in Deutschland 40 Jahre lang in zwei Fraktionsgrenzen zu überwinden. Diese ernsthafte und Gesellschaften geschaffen, gefördert, gefeiert, kritisiert, sehr engagierte Arbeit hat letztendlich dazu geführt, dass ja, auch unterdrückt wurde, dass es zwei Kulturen gab, uns eine beeindruckende Bestandsaufnahme und eine und zwar nicht parallel nebeneinander, sondern ganz be- ebenso beeindruckende Zahl von Handlungsempfeh- wusst gegeneinander positioniert, und diese Tatsache lungen vorliegen; davon ist hier schon mehrfach gespro- Folgen hat, bis auf den heutigen Tag, und zwar ebenso chen worden. im Bewusstsein der Menschen wie für unsere kulturelle Deshalb glaube ich, dass dies die richtige Gelegenheit Infrastruktur, wäre des Schweißes der Edlen wirklich ist, all denen zu danken, die so engagiert an der Erstel- wert gewesen. lung des Berichts der Enquete-Kommission mitgewirkt (Beifall bei der LINKEN) haben. Ich möchte für meine Fraktion vor allem diejeni- gen nennen, die in der letzten Legislaturperiode daran Wir meinen, dass die bis heute festzustellenden men- mitgearbeitet haben: Ursula Sowa und . talen Unterschiede zwischen Ost und West eine Heraus- Ihnen gilt unser herzlicher Dank. Denn ohne ihre Vorar- forderung für die Kulturpolitik sind. Dabei geht es nicht beit hätten wir nicht so gut weiterarbeiten können. Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 133. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. Dezember 2007 13875

Undine Kurth (Quedlinburg) (A) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Sozialisation. Wenn wir Trainingszentren leer stehen (C) sowie des Abg. Hans-Joachim Otto [Frankfurt] lassen, dürfen wir uns nicht wundern, wenn andere sie [FDP]) besetzen. An vielen Stellen dieses Berichts wird immer wieder (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) übereinstimmend betont – diese Übereinstimmung ist Deshalb glaube ich, dass wir sehr ernsthaft darangehen übrigens nicht das Ergebnis nichtkontroverser Debatten, müssen, die Handlungsempfehlungen, die jetzt auf sondern eher das Ergebnis einer sehr gründlichen Aus- dem Tisch liegen, umzusetzen. Jede dieser Handlungs- einandersetzung –, dass Kultur einen hohen Eigenwert empfehlungen hat ihre Berechtigung und ist Ergebnis hat, dass sie Orientierung gibt, dass sie identitätsbildend langer Debatten, fundierter Überlegungen und übrigens ist und dass sie das System von Werten und Normen, das auch des Streits, der der Verständigung auf einen Kom- unsere Gesellschaft trägt, bestimmt. Kultur lebt davon, promiss vorausgegangen ist. Es ist sicher auch richtig, dass sie von Generation zu Generation in Ausdrucksfor- eine Priorisierung vorzunehmen und festzulegen, welche men weitergegeben, aber auch immer wieder infrage ge- dieser Handlungsempfehlungen wir zuerst umgesetzt se- stellt und neu definiert wird. Kultur vermittelt Heimat, hen wollen und welche uns die wichtigsten sind. Identität und vor allem Respekt vor der eigenen kulturel- len Leistung und damit die Souveränität, mit anderen Ich möchte mich auf zwei konzentrieren, weil ich Kulturen umgehen zu können. glaube, dass sie schlicht die Voraussetzung sind, alle an- deren umsetzen zu können. Das ist zum einen die Auf- Es wird immer wieder betont und übereinstimmend forderung, dass die Förderung von Kunst und Kultur festgestellt: Ohne Kultur ist unsere Gesellschaft nicht eine verpflichtende Aufgabe des Staates sein muss. Nur denkbar. Ebenso klar ist aber auch, dass die Politik nicht so können Vielfalt und Dichte des kulturellen Angebotes Kultur machen kann. Der Staat allein kann weder kultu- erhalten bleiben. Die zweite Aufforderung hebt darauf relle Vielfalt noch kulturelles Leben organisieren. ab, dass Kunst- und Kulturpolitik anderen Politikfeldern (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS- gleichgestellt werden muss. Wir müssen anerkennen, SES 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Gitta dass es eine einzigartige Vielfalt von kulturellen Einrich- Connemann [CDU/CSU]) tungen in unserem Land gibt. Die Theater, die Bibliothe- ken, die Konzerthäuser, die Museen, die Sammlungen Er kann aber Rahmenbedingungen setzen, damit Kul- und die soziokulturellen Zentren sind erwähnt worden. tur gemacht werden kann, Rahmenbedingungen, die er- All das trägt zum kulturellen Leben, das so wichtig für möglichen, dass es eine kulturelle Teilhabe für alle gibt. uns ist, bei. Wie aber werden diese Einrichtungen erhal- Es ist eine Frage der Gerechtigkeit, Rahmenbedingun- ten? Wir müssen akzeptieren, dass die Gesellschaft, dass (B) gen zu schaffen, die das wirtschaftliche Potenzial von die Politik die verpflichtende Aufgabe hat, sich um sie (D) Kunst und Kultur fördern und die soziale Lage derer, die zu kümmern. diese Vielfalt in unserem Land erarbeiten, besser im Auge hat. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Gitta Connemann [CDU/ (Beifall der Abg. Grietje Bettin [BÜNDNIS 90/ CSU]) DIE GRÜNEN]) Nur so kommen wir aus der Selbstrechtfertigung und Denn wer weiß, wie viel Schauspieler, Sänger, Maler den Debatten darüber, ob denn Kunst und Kultur über- und Grafiker verdienen, und wer bedenkt, dass die Gage haupt Geld kosten dürfen, heraus. oder das Honorar der Gegenwert bzw. die Anerkennung der Leistung ist, der muss sich schon fragen, welches Deshalb glaube ich auch, dass das Staatsziel Kultur Bild vom Wert der Arbeit von Schauspielern, Sängern, ein so wichtiges Ziel ist. Wir wissen sehr wohl, dass das Malern und Grafikern wir in diesem Lande eigentlich allein das Problem nicht lösen wird; aber es wird bei der haben. Lösung des Problems sehr hilfreich sein. So sehr wir da- rin übereinstimmen, Herr Otto, dass wir ein solches (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS- Staatsziel brauchen, so wenig ist uns geholfen, wenn wir SES 90/DIE GRÜNEN, der CDU/CSU, der Staatsziele gegeneinander ausspielen. SPD und der LINKEN) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Vor dem Hintergrund der Auseinandersetzung mit und bei der SPD) dem Rechtsextremismus ist auch wichtig, immer wieder daran zu erinnern, dass uns Kultur befähigt, Demokratie Wenn das Staatsziel den Kindern nicht nützt, dann wird zu leben, das Staatsziel auch der Kultur nicht nützen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) und bei der SPD sowie des Abg. Wolfgang Urteile zu fällen und abzuwägen. Deshalb sind Kultur Börnsen [Bönstrup] [CDU/CSU]) und kulturelle Bildung – beides gehört zusammen; wir Deshalb, so glaube ich, sollten wir nicht sagen, dass das müssen Kultur und Bildung zusammen denken – eben eine besser als das andere ist. nicht Arabeske bzw. schönes, schmückendes Beiwerk nach dem Motto: Es ist ganz nett, wenn man es hat, es ist Es liegen eine Menge Handlungsempfehlungen vor. aber auch nicht sehr dramatisch, wenn man es nicht hat. Jetzt kann wieder das Argument kommen, dass das eine Kultur ist vielmehr das Trainingszentrum für unsere Beschreibung all der Dinge ist, die wir längst kennen. 13876 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 133. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. Dezember 2007

Undine Kurth (Quedlinburg) (A) Erstens bin ich der festen Überzeugung, dass da viel be- (Beifall bei Abgeordneten der SPD sowie der Abg. (C) schrieben ist, was bisher nicht bekannt war. Die Be- Dr. Lukrezia Jochimsen [DIE LINKE]) standsaufnahmen haben durchaus vieles zutage geför- dert, was bisher nicht in der öffentlichen Debatte war. Man darf sich nicht allein dafür feiern lassen, dass man Zweitens glaube ich, dass es sehr wichtig ist, darauf hin- die Etats nicht senkt. Genau das erleben wir aber gerade zuweisen, dass Politik nicht automatisch immer nur dort in den Ländern. Dort ist man schon darüber glücklich, stattfindet, wo man Geld vergeben kann und wo man die dass die Etats der Theater, Orchester, Museen und sozio- haushaltstechnische Zuständigkeit hat. Politik hat auch kulturellen Zentren auf niedrigstem Level nicht noch die Aufgabe, wichtige gesellschaftliche Probleme in den weiter gekürzt werden. Eigentlich wäre das Gegenteil öffentlichen Diskurs zu bringen, sich mit dem Rang und notwendig. Wenn wir uns hier einig sind, dass Kultur der Wertigkeit von Problemstellungen auseinanderzuset- wichtig ist und unsere Gesellschaft trägt, dann sollten zen. Wenn man sich dann darauf einigt, dass Kultur exis- wir auch übereinstimmend der Meinung sein, dass wir tenziell für uns ist und unsere Demokratie sichert, dann dafür Geld in die Hand nehmen müssen. Sonst funktio- ist man sich sicher auch darüber einig, dass man dafür niert das nämlich nicht. ebenso wie für andere politische Bereiche Geld ausge- Wir sind – das ist schon mehrfach gesagt worden – ben darf. am Ende der Arbeit der Enquete angelangt. Das heißt (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) aber auch, dass wir am Beginn der politischen Umset- zung stehen. Denn die beste Analyse, der beste Bericht Wir erleben keine Debatte darüber, ob Infrastruktur fi- einer Enquete-Kommission als eine Art Politikberatung nanziert werden muss, und wir erleben keine Debatte wird in der Gesellschaft nicht viel verändern – gerade darüber, ob Wirtschaftsförderung wichtig ist. Warum soll dafür wurde die Enquete-Kommission „Kultur in Kulturförderung nicht ebenso wichtig sein? Deshalb Deutschland“ aber eingesetzt –, wenn wir nicht die rich- glaube ich, dass es natürlich auch um das Argument tigen Schlüsse daraus ziehen. Es sollte uns daran gelegen Geld geht. Hier, Herr Staatsminister, unseren Respekt sein, die Handlungsempfehlungen der Kommission in und unsere Anerkennung für die 400 Millionen Euro, die reale politische Veränderungen umzusetzen. zusätzlich in den Haushalt für Kultur gekommen sind. Wenn wir es mit der Verantwortung von Bund, Län- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und dern und Gemeinden für die Kultur ernst meinen, dann der SPD – Wolfgang Börnsen [Bönstrup] müssen wir beginnen, an all diesen Punkten Veränderun- [CDU/CSU]: Dreimal besser!) gen in Gang zu setzen. Zum einen können wir das hier Wir werden erst dann ganz glücklich sein, wenn wir wis- im eigenen Hause tun. Zum anderen sind aber natürlich sen, wofür dieses Geld ausgegeben wird. Trotz allem: Es auch die Länder gefragt. Diesbezüglich geht mein Ap- (B) (D) ist ein ausgesprochen gutes Zeichen. pell vor allem an die Kollegen der Großen Koalition; denn Sie haben ja im Moment noch – ich denke, das (Monika Griefahn [SPD]: Das haben wir als wird sich ändern – die beste Ausgangsposition, um poli- Parlament gemacht!) tische Veränderungen in den Ländern zu erreichen. Des- – Mit dem Parlament zusammen, jawohl. – halb mein dringender Appell an Sie: Fangen Sie damit an; unsere Unterstützung haben Sie! (Monika Griefahn [SPD]: Nur das Parlament!) Danke schön. Wenn man sich die Angaben des Statistischen Bun- desamtes genau ansieht – übrigens ist auch Rechnen eine (Beifall im ganzen Hause) Kulturtechnik –, dann kann man sehen, dass in den Län- dern genau das Gegenteil passiert. Prozentual steigen Präsident Dr. Norbert Lammert: zwar die Ausgaben – zumindest in den meisten Ländern; Ich erteile das Wort der Kollegin Dorothee Bär für die nur Mecklenburg-Vorpommern hat das nicht geschafft –, CDU/CSU-Fraktion. aber sie bewegen sich im marginalen Bereich. Die Hürde von 2 Prozent des Gesamtvolumens zu überschreiten, (Beifall bei der CDU/CSU) schaffen gerade einmal vier Länder in dieser Republik. Nominell aber sinken die Ausgaben für Kultur drastisch. Dorothee Bär (CDU/CSU): Zwischen den Jahren 2001 und 2007 sind in der Bundes- Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und republik Deutschland 600 Millionen Euro weniger für Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Sach- Kultur ausgegeben worden, weniger für die Vielfalt, we- verständige! Zunächst geht mein ganz herzlicher Dank niger für die Leistung von Kultur, die wir alle brauchen – an Sie, Herr Präsident, zum einen für Ihre Vorbemerkun- und das vor dem Hintergrund steigender Preise. Man gen heute Morgen zu Beginn der Debatte, zum anderen kann das wesentlich besser volkswirtschaftlich ausdrü- für die Ermöglichung dieser Debatte in der Kernzeit. cken: Im Jahr 2001 haben wir noch 0,4 Prozent des Brut- toinlandsprodukts für Kultur ausgegeben, jetzt geben wir (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der 0,35 Prozent des Bruttoinlandsprodukts dafür aus. SPD, der FDP und der LINKEN) Deshalb lautet meine dringende Bitte an Sie, Herr Es ist sehr schön, eine Kulturdebatte erleben zu können, Staatsminister: Sagen Sie Ihren Landeskollegen bei während es draußen noch hell ist. Das würden wir uns nächster Gelegenheit bitte, dass man auch mehr Geld für wesentlich öfter wünschen. Dafür noch einmal ganz Kultur ausgeben kann! herzlichen Dank! Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 133. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. Dezember 2007 13877

Dorothee Bär (A) Ich möchte mich auch ganz herzlich bei allen Sach- natürlich auch erschwinglich zu machen. Ich möchte (C) verständigen bedanken. Sie gestehen es mir sicherlich fünf Punkte aus dem Bericht der Enquete-Kommission zu, wenn ich unserem CSU-Sachverständigen, Hans herausgreifen: das Ehrenamt, die ländlichen Regionen, Zehetmair, besonders herzlich danke, der sich durch die Kinder – sie wurden heute leider Gottes schon in ei- seine Kompetenz und seinen Sachverstand in den letzten nem nicht so schönen Zusammenhang angesprochen, vier Jahren über alle Fraktionsgrenzen hinweg in unser Herr Kollege Otto –, aller Herzen „hineinsachverständigt“ hat. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU so- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- wie der Abg. Monika Griefahn [SPD]) neten der SPD und der FDP) die Bibliotheken und den Spracherwerb. Ich möchte an dieser Stelle aber auch noch einmal der Kommissionsvorsitzenden ganz herzlich danken. Liebe Zunächst zum Ehrenamt. Ich glaube, das Ehrenamt Gitta Connemann, Sie haben in den letzten Jahren eine ist für die Kultur in Deutschland die zentrale Stütze. Mammutaufgabe erfüllt. Es ist keine Selbstverständlich- Wenn wir uns umschauen – die meisten von uns arbeiten keit, dass eine Enquete-Kommission über zwei Legisla- ja auch in ländlich geprägten Regionen –, müssen wir turperioden besteht. Es war auch keine Selbstverständ- doch feststellen: Wenn wir das Ehrenamt, den unentgelt- lichkeit, dass diese Enquete-Kommission in dieser lichen, uneigennützigen Einsatz nicht hätten, wäre es Legislaturperiode so ohne Weiteres fortgeführt werden nicht möglich, die kulturellen Angebote, die unsere Kul- konnte. Sie haben nicht nur mit sehr vielen verschiede- turlandschaft ausmachen, so am Leben zu erhalten. nen Persönlichkeiten aus den Fraktionen sowie mit den (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie Sachverständigen zu kämpfen gehabt, sondern – das bei Abgeordneten der SPD) möchte ich an dieser Stelle noch einmal betonen – hatten auch ganz neue Herausforderungen dadurch zu bewälti- Die ländlichen Regionen werden oft übergangen, gen, dass die Regierung gewechselt hat und es in dieser wenn es um Kultur geht. Oft wird etwas spöttisch auf Legislaturperiode eine Fraktion mehr im Bundestag gibt diese Regionen geschaut, wird gedacht, die Hochkultur als in der letzten. Diese Herausforderungen haben Sie gebe es nur in Großstädten. Doch das ist mitnichten der ganz herausragend gemeistert. Dafür noch einmal ganz Fall. Die meisten Menschen leben in ländlichen Regio- herzlichen Dank, und zwar nicht nur von unserer Ge- nen. Ich komme selber aus einem sehr ländlich gepräg- samtfraktion, sondern insbesondere von der CSU. ten Bereich. Auch in meinem Heimatwahlkreis leben Künstler, die man dort nicht vermuten würde; (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) (Wolfgang Börnsen [Bönstrup] [CDU/CSU]: Das positive Signal, das davon für uns alle ausgeht, ist, (B) Sehr richtig!) (D) dass man Kultur nicht an Wahlterminen und Farbkon- stellationen ausrichten kann. Vielmehr wurde in den man denkt ja oft, die Künstler leben nur in Großstädten. letzten vier Jahren eine sehr kontinuierliche Arbeit ge- In meinem Landkreis wohnt ein weltweit bekannter leistet. Ich denke, darauf können wir alle stolz sein. Künstler: Herman de Vries. Er schätzt besonders die ländliche Ruhe, die Idylle. Wenn Ausstellungen von ihm Ich möchte mich auch bei den Mitarbeitern des Sekre- in Paris stattfinden, denkt man nicht, dass er aus einem tariats bedanken, ganz besonders bei allen, die an der Ort kommt, der nur ein paar Hundert Einwohner hat. An Endredaktion beteiligt waren. Ich glaube, dass die End- diesem Beispiel kann man sehen, was für Schätze bei redaktion mit die schwierigste Arbeit war, weil es galt, uns in den Regionen versteckt sind. alles unter einen Hut zu bekommen. Die Bestandsauf- nahme war wirklich ein Mammutprojekt. Der Bericht (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- der Enquete-Kommission umfasst mehr als 500 Seiten. neten der SPD und der FDP) Ich denke, es ist nicht übertrieben, zu sagen, dass man Ein weiteres Ziel, das uns sehr wichtig ist, besteht da- ihn mit Stolz unter den Weihnachtsbaum legen kann. rin, die Kinder für die Kultur zu gewinnen. Oder man kann ihn sich im Anschluss an diese Debatte von der Vorsitzenden signieren lassen und ihn verschen- (Beifall der Abg. Miriam Gruß [FDP]) ken. Wir haben dazu sehr viele Veranstaltungen durchgeführt. (Heiterkeit der Abg. Gitta Connemann [CDU/ Wir haben nämlich festgestellt, dass Kinder gerade im CSU] – Wolfgang Börnsen [Bönstrup] [CDU/ kulturellen Bereich begeisterungsfähig und wissbegierig CSU]: Guter Vorschlag!) sind. Ich möchte noch ein Projekt aus meiner Heimat he- rausgreifen. Dort werden Kinder-Kultur-Abos verkauft Der Schlussbericht beschränkt sich nicht auf Feststel- zu einem Preis, der unter dem von vier Kinobesuchen lungen, sondern gibt auch Empfehlungen. Da wir in ei- liegt. Unsere Bundesministerin hat nem föderalen Staat leben, richten sich diese Empfeh- dieses inzwischen bayernweite Projekt bereits ausge- lungen an viele Adressaten, auch an uns. Natürlich zeichnet. Dass der Bericht der Enquete-Kommission der müssen auch wir Bundestagsabgeordnete uns an die Bedeutung der Kinder Rechnung trägt, ist auch daran zu Empfehlungen, die wir geben, halten. Aber ebenso sind sehen, dass die Kinder 388-mal erwähnt werden. Auch die Länder und die Kommunen angesprochen. Alle ge- dafür noch einmal ganz herzlichen Dank! sellschaftlichen Bereiche in diesem Land leisten un- glaubliche Arbeit, um die Kultur in Deutschland leben- (Beifall des Abg. Wolfgang Börnsen dig zu halten, um sie für alle erlebbar und erfahrbar, aber [Bönstrup] [CDU/CSU]) 13878 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 133. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. Dezember 2007

Dorothee Bär (A) Wir haben ein besonderes Kapitel zum Thema Biblio- an diese Debatte noch gemeinsam feiern können. Nehmen (C) theken eingerichtet. Denn das Lesen gehört ja sehr stark Sie das Angebot an: Nehmen Sie den Schlussbericht mit, zu unserer Kultur. Bücher vermitteln unsere Sprache, un- und lassen Sie ihn von der Vorsitzenden signieren! Dann sere Kultur. Bibliotheken sind der zentrale Ort, um mög- haben Sie ein wunderbares Weihnachtsgeschenk für zu lichst viele Kinder und Jugendliche zu erreichen. Sie Hause. bieten Lesungen und Veranstaltungen an, die insbeson- dere die Kinder ansprechen sollen. Vielen Dank. Jetzt komme ich zu einem weiteren Schwerpunkt, der (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie eines meiner Herzensanliegen in dieser Enquete- der Abg. Lydia Westrich [SPD]) Kommission war: Auch für Migrantenkinder sind Biblio- theken eine gute Anlaufstelle, um unsere Sprache zu er- Präsident Dr. Norbert Lammert: lernen. Wie wichtig der Spracherwerb ist, wurde insbe- Bei aller Begeisterung für die Blasmusik weise ich vor- sondere in meiner Berichterstattung zu Interkultur und sichtshalber darauf hin, dass es auf Kosten der Redezeit Migrantenkultur deutlich. Sie können sich sicherlich geht, wenn jetzt Kompensationsbedarf besteht und sämtli- vorstellen, dass es nicht selbstverständlich war, dass wir che Orchestergruppen einzeln erwähnt werden müssen. bei dem Thema „Interkultur und Migrantenkultur“ zu ei- nem einstimmigen Votum kamen. Dafür, dass es den- (Heiterkeit bei Abgeordneten der CDU/CSU) noch gelungen ist, möchte ich mich an dieser Stelle bei Der nächste Redner ist der Kollege Christoph Waitz allen Mitgliedern meiner Berichterstattergruppe bedan- für die FDP-Fraktion. ken. Denn der Spracherwerb ist nun einmal zentral für eine gelungene Integration. (Beifall bei der FDP) (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie der Abg. [SPD] und Christoph Waitz (FDP): Dr. Lukrezia Jochimsen [DIE LINKE]) Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich gehöre zu denjenigen, die erst seit dieser Daraus ergibt sich auch unsere Handlungsempfeh- Legislaturperiode und somit die zweite Hälfte der Kom- lung, aus der ich kurz zitieren möchte: missionsarbeit begleiten durften. Für mich war es ein Die Enquete-Kommission empfiehlt … die Rahmen- spannender und sehr bereichernder Schnellkurs in Sa- bedingungen für das Erlernen der deutschen Sprache, chen Kulturpolitik. die zentral für eine Integration von Migranten ist, zu Aus dieser Erfahrung heraus kann ich jedem, der ei- verbessern. Sprachförderung ab dem frühen Kindes- (B) nen Einstieg in die Kulturpolitik und in die aktuellen (D) alter muss deshalb auch in Zukunft verstärkt unter- Handlungsfelder finden möchte, diesen Schlussbericht stützt werden. Dabei muss sichergestellt werden, zur Lektüre empfehlen; denn – dies gerät in unserer De- dass die ganze Familie die deutsche Sprache erler- batte ein wenig in den Hintergrund – dieser Bericht ent- nen kann. Sie empfiehlt die Förderung situationsan- hält zu einem großen Teil die Bestandsaufnahme der gemessener Formen des Sprachenerwerbs. Neben Kultur in Deutschland sowie eine Problembeschreibung, der Sprachförderung sollten auch die deutsche Ver- auf deren Basis wir die Handlungsempfehlungen, die fassung mit ihren Grundrechten und die Grundre- schon jetzt im Mittelpunkt unseres Interesses stehen, geln der Rechtsordnung vermittelt werden. entwickelt haben. Ich denke, wir konnten hier einen wirklichen Meilen- stein erreichen. Deswegen bin ich sehr dankbar und froh, Für mich als sächsischen Bundestagsabgeordneten dass wir diese Handlungsempfehlungen und diesen Be- war es bei meinen Schwerpunktsetzungen für die Arbeit richt zum Thema Sprachenerwerb interfraktionell, mit innerhalb der Enquete-Kommission ganz wichtig, he- allen Fraktionen gemeinsam, so vorlegen konnten. rauszubekommen, welche kulturpolitischen Themen für den Freistaat Sachsen von besonderer Bedeutung sind. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- Sie wissen, dass Sachsen mit dem Sächsischen Kultur- neten der SPD) raumgesetz eine Art Kulturverfassung hat, die in vieler- lei Hinsicht vorbildhaft für den Rest Deutschlands sein Zum Schluss bleibt zu sagen: Vielen herzlichen Dank könnte. für die vergangenen vier Jahre. Ich habe dem Vorsitzen- den der Blasmusik versprochen, das Wort „Blasmusik“ (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten hier zu erwähnen, damit es heute auch einmal genannt der CDU/CSU) wurde. Für Sachsen gilt aber, was letztlich auch für die ge- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – samte Bundesrepublik gilt: Die Kultur- und die Kreativ- Wolfgang Börnsen [Bönstrup] [CDU/CSU]: wirtschaft sowie der Kulturtourismus haben noch viel zu Auch das ist Kultur!) viel ungenutztes Potenzial. Nicht nur in Leipzig, das weit Da freut sich auch der direkt gewählte Abgeordnete des über die Grenzen Deutschlands hinaus als Bach-Stadt und Berchtesgadener Landes. Stadt der alten und neuen Leipziger Malerschule bekannt ist, ist die Kultur ein wichtiger Identitätsfaktor und ein Ich denke, in diesem Sinne haben wir noch sehr viel zu zentrales Element der Stadt- und Wirtschaftsentwick- tun. Ich freue mich, dass wir unsere Kultur im Anschluss lung. Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 133. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. Dezember 2007 13879

Christoph Waitz (A) Welche tatsächlichen wirtschaftlichen Effekte die Kul- Allerdings sind die Empfehlungen des Europakapitels (C) tur hat, wurde in diesem Jahr am Beispiel der Kulturförde- nicht ausnahmslos geeignet, einen hilfreichen Beitrag rung für die Wirtschaft der Stadt Dresden untersucht. Das dazu zu leisten. Ein Beispiel dafür ist die Methode der Ergebnis dieser Studie hinsichtlich der wirtschaftlichen offenen Koordinierung, über die in der Enquete-Kom- Effekte ist beeindruckend: Die Ausgaben der Besucher mission mehrfach diskutiert wurde. Ich glaube nicht, in Dresden für Hotels, Restaurants, Verkehr usw., was dass das Instrument der offenen Koordinierung in der auch zu zusätzlichen Steuereinnahmen führt, betragen Kulturpolitik tatsächlich praktikabel ist. Die Methode circa 144 Millionen Euro. Bei einer staatlichen Förde- der offenen Koordinierung ermöglicht keine ausreichend rung von circa 40 Millionen Euro ist das eine Rendite, demokratisch legitimierte Diskussion über die von der die ansonsten nur mit gewagten Finanzspekulationen er- Europäischen Kommission vorgeschlagenen Maßnah- reichbar wäre, mit dem kleinen Unterschied, dass sich men. Dies ist gerade im Hinblick auf das Subsidiaritäts- die Bedeutung der Semperoper zum Beispiel für die prinzip, welches mit der Methode der offenen Koordi- Identifikation der Stadt und des Landes als zusätzlicher nierung unterlaufen wird, von großer Bedeutung. wirtschaftlicher Effekt auswirkt. Ein weiteres Problem sehen wir bei dem UNESCO- (Jörg Tauss [SPD]: Deshalb kann man auf das Abkommen zum Schutz des immateriellen Kulturerbes. Weltkulturerbe ja verzichten!) Wir teilen im Grundsatz die Ziele des Abkommens und erkennen die Bedeutung des immateriellen Kulturerbes Dieses Beispiel, Herr Tauss, lässt sich nicht auf jedes und dessen Bewahrung ausdrücklich an. Die vorgeschla- kleine Theater übertragen. Dadurch wird aber mit dem genen Institutionen und Maßnahmen stellen aber eine verbreiteten Vorurteil aufgeräumt, dass Kultur vor allem unnötige Bürokratisierung und Konservierung des kultu- Geld kostet. Einmal abgesehen davon, dass wir es uns rellen Lebens dar, der wir eine lebendige Weiterentwick- gar nicht leisten könnten, auf die Kultur zu verzichten, lung des immateriellen Kulturerbes vorziehen. wäre eine Vernachlässigung auch unter dem wirtschaftli- chen Gesichtspunkt kontraproduktiv. Wir als FDP-Fraktion werden mit großem Engage- ment die Umsetzung der Handlungsempfehlungen for- (Beifall bei der FDP) cieren. Aber die Mehrheitsverhältnisse in diesem Hause Dies unter Beweis zu stellen und für jeden politischen sind – noch – relativ klar verteilt. Entscheidungsträger nachlesbar aufzuschreiben, war si- (Jörg Tauss [SPD]: Keine falschen Hoffnungen!) cher auch ein Anspruch der Kultur-Enquete. Neben diesen grundsätzlichen Maßnahmen zur Förderung der Kultur- – Na, wir werden schauen. Die nächsten Wahlen kom- wirtschaft, die sich in einem fraktionsübergreifenden men bestimmt. – Wir konnten gestern im Kulturaus- Antrag, den wir hier neulich verabschiedet haben, wieder- schuss deutlich erleben, dass die Koalition einem Antrag (B) finden, halte ich es für zentral, dass insbesondere Länder auch dann nicht zustimmen kann, wenn er der Regie- (D) und Kommunen Kultur in einem verstärkten Maße als Al- rungsposition eins zu eins entspricht. Das bedeutet für leinstellungsmerkmal für ihr Tourismusmarketing einset- Sie, liebe Kollegen und Kolleginnen von der Union und zen. Wir brauchen in diesem Punkt eine viel stärkere Ver- der SPD, dass es unter diesen Bedingungen Ihre Auf- netzung zwischen der Tourismus- und der Kulturbranche gabe ist, die Themenfelder vorzubereiten und auch die und den politischen Entscheidungsträgern. Mehrheiten für die Umsetzung der Ergebnisse der En- quete-Kommission durchzusetzen. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD) (Jörg Tauss [SPD]: Das ist wahr!) Eine Maßnahme, die die Kultur-Enquete vorschlägt, um Ein Thema der Enquete-Kommission steht schon jetzt den Wettbewerb zwischen den Kulturstädten Deutschlands auf der Tagesordnung des Bundestages: das Staatsziel zu befördern, ist die Ausschreibung eines Wettbewerbs un- Kultur. Die FDP-Bundestagsfraktion hat dazu Anfang ter dem Titel „Kulturstadt Deutschland“. Nach den 2006 einen Gesetzentwurf eingebracht. Nach wie vor überaus positiven Erfahrungen, die wir mit dem Wettbe- harren wir der Entscheidung. Die SPD hat dem Staats- werb um die europäische Kulturhauptstadt – und zwar ziel Kultur kürzlich zugestimmt. Jetzt fehlen noch Ihre ausdrücklich nicht nur für die Gewinner, sondern für alle Stimmen von der CDU/CSU. Beteiligten – gemacht haben, kann ein solcher nationaler Wettbewerb nur förderlich und für andere Kommunen im (Wolfgang Börnsen [Bönstrup] [CDU/CSU]: besten Sinne des Wortes beispielgebend sein. Wir werden dazu noch etwas sagen!)

Einen weiteren Themenkomplex möchte ich noch Präsident Dr. Norbert Lammert: ganz kurz anreißen, weil er einen wichtigen Bereich be- Herr Kollege. handelt und weil es in ihm einige Empfehlungen der En- quete-Kommission gibt, die sicherlich gut gemeint, aber nicht wirklich förderlich sind. Es geht um das Kapitel Christoph Waitz (FDP): „Kultur in Europa – Kultur im Kontext der Globalisie- Liebe Kolleginnen und Kollegen von der CDU/CSU- rung“. Die europäische Perspektive unseres nationalen Fraktion, zeigen Sie, dass Sie es ernst meinen mit der Handelns steht hier außer Frage und ist ohne Alternative. Kulturförderung, Das Zusammenwachsen Europas wird in zunehmendem (Wolfgang Börnsen [Bönstrup] [CDU/CSU]: Maße zu einer europäischen Identität führen, die die na- Immer!) tionale Identität jedoch nicht ersetzt, sondern ergänzt und erweitert. und stimmen Sie dem Staatsziel Kultur zu! 13880 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 133. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. Dezember 2007

Christoph Waitz (A) Vielen Dank. kommt. Bis das Arbeitslosengeld II dann wieder fließt, (C) vergeht einige Zeit, in der sie kein Einkommen hat. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD und der Abg. Gitta Connemann Vor allem darstellende Künstler – die im Filmbereich [CDU/CSU]) tätigen Kulturschaffenden, Kameraleute usw. – haben zunehmend mit der Existenzsicherung zu kämpfen. Aus Kostengründen beschränken die Unternehmen der Film- Präsident Dr. Norbert Lammert: wirtschaft, aber auch die Theater die Produktionszeiten Ich erteile das Wort der Kollegin Lydia Westrich für auf das unumgängliche Maß. Die Beschäftigungszeiten die SPD-Fraktion. werden auf wenige Drehtage mit immensen Überstunden (Beifall bei der SPD) begrenzt. Die Arbeitgeber sparen dadurch Beiträge zur Sozialversicherung. Lydia Westrich (SPD): Zunächst hat auch der Künstler kurzfristig Vorteile Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Her- wegen seines Spitzenverdienstes in diesen wenigen Ta- ren! Als Finanzpolitikerin in eine Enquete-Kommission gen, und er bemerkt zu spät, dass ihm Sozialversiche- zu kommen, ist erst einmal ein Kulturschock, besonders rungstage fehlen. Durch die Verkürzung der Rahmenfrist wenn diese Kommission „Kultur in Deutschland“ heißt. in der Arbeitslosenversicherung von drei auf zwei Jahre, Ich bin gewöhnt, an Paragrafen und Details zu feilen. innerhalb derer zwölf Monate versicherungspflichtige Bei den Finanzpolitikern entscheidet im Endeffekt meis- Zeiten als Voraussetzung für einen Anspruch auf Ar- tens nur ein kleines Wort in einem Halbsatz eines Absat- beitslosengeld erbracht werden müssen, können immer zes irgendeines Paragrafen in einem einzigen Gesetz weniger Schauspieler, Kameraleute, Toningenieure und über das Wohlergehen der Bürger unseres Staates. Dann Produzenten diesem Anspruch gerecht werden. kam die Enquete-Kommission Deshalb verlangt die Enquete-Kommission, eine Lö- (Heiterkeit – Wolfgang Börnsen [Bönstrup] sung für die Betroffenen zu finden. [CDU/CSU]: So schlimm war es auch wieder (Beifall bei der SPD sowie der Abg. nicht!) Dr. Lukrezia Jochimsen [DIE LINKE] – Wolfgang Börnsen [Bönstrup] [CDU/CSU]: mit Sachverständigen, die reden und reden, die nicht nur Mit Recht!) ein Mitspracherecht, sondern auch ein Stimmrecht ha- ben. Sie haben Ideen, die in der Paragrafenwelt nicht Wir sind sehr zuversichtlich, bald zu einer Lösung zu fassbar sind. Wo aber bleiben bei den vielen Reden die kommen, seit auch unser Finanzminister Peer Steinbrück (B) Fakten? und unser SPD-Bundesvorsitzender dieses (D) Problem aufgegriffen haben. Kunst heißt, wie mir ein Künstlerfreund gesagt hat, loszulassen und sich hinzugeben, sich auf Unbekanntes (Beifall bei Abgeordneten der SPD – einzulassen. Da ich keine Künstlerin bin, habe ich zu- Wolfgang Börnsen [Bönstrup] [CDU/CSU]: mindest versucht, mich auf das Thema „Kultur in Die Union aber auch!) Deutschland“ einzulassen, das mich als Bundes- und Kommunalpolitikerin brennend interessiert. Kaum war Der Druck der Enquete-Kommission hat schon mehr- die innere Bereitschaft da, zeigten sich die Fakten. fach gegriffen, zum Beispiel beim Erhalt der ZBF, der zentralen Vermittlungsstelle für Bühnen- und Filmschaf- Aus den Reden ergaben sich Streitgespräche, Anhö- fende, die der Bundesagentur für Arbeit angegliedert ist. rungen der Betroffenen und Gutachten über viele Teilbe- Der Bundesrechnungshof, der diese Stelle kritisiert hat, reiche der immensen Schatzkiste, die wir in Deutschland hat genauso wenig wie viele andere begriffen, dass sich haben. Was fangen wir bei immer knapper werdenden die Situation von Künstlerinnen und Künstlern durch ih- Kassen mit diesem Schatz an? Das herauszufinden, war ren Tätigkeitswechsel von selbstständiger zu nichtselbst- unsere Aufgabe. Der großen Herausforderung, den ständiger Tätigkeit und von unständiger zu kurzfristiger Schatz zu mehren und ihn für künftige Generationen Beschäftigung von anderen in hohem Maße unterscheidet. weiterzuentwickeln, statt ihn auszugeben, haben wir uns (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten – jeder in seinem Bereich – gestellt. Das hat Spaß ge- der CDU/CSU und der Abg. Dr. Lukrezia macht. Jochimsen [DIE LINKE]) Mein Bereich war die wirtschaftliche und soziale Lage Versuchen Sie zum Beispiel einmal, einen Tänzer zu von Künstlerinnen und Künstlern. Für Eingeweihte wird vermitteln: Er hat keinen anerkannten Ausbildungsberuf es weniger erstaunlich sein als für mich, dass ich jenseits und ist mit 30 Jahren gesundheitlich ruiniert. Seine Aus- des roten Teppichs, des Glitzerns und des Glamours der bildung war lang und teuer. Nun bleibt an der Jobbörse Feste schnell in sehr ernüchternde Lebensbiografien vor- nur das Repertoire der Hilfsarbeiten für ihn übrig. Die gestoßen bin. So ist die Hauptdarstellerin einer Soap, die Mitglieder der Enquete-Kommission werden auch da- täglich durch die Wohnzimmer flimmert, als alleinerzie- rauf drängen, den Tanz als Ausbildungsberuf einzustu- hende Mutter arbeitslos geworden, und sie muss immer fen und die Gründung einer Tanzstiftung zu forcieren. wieder um ihr Arbeitslosengeld II kämpfen, weil ein Sachbearbeiter die Wiederholung eines ihrer Auftritte im (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der Fernsehen gesehen hat, für die sie jedoch kein Geld be- CDU/CSU) Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 133. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. Dezember 2007 13881

Lydia Westrich (A) Die zentrale Vermittlungsstelle für die Künstlerinnen lungen, die noch längst nicht Eingang in die Gesetzge- (C) und Künstler bleibt aber trotz der Rüge des Rechnungs- bungsmaschinerie gefunden haben. hofs erhalten, da ihr Spezialwissen und ihre Verbindun- gen natürlich nicht in jeder Agentur für Arbeit vorgehal- Unser verstorbener Bundespräsident ten werden können. hat die Kunst als Lebensmittel bezeichnet. Dementspre- chend werden Kunstwerke wie Lebensmittel bei der Arbeitslosengeld II, Arbeitsgelegenheiten, keine Aus- Umsatzsteuer nur mit dem ermäßigten Steuersatz verse- bildung – das sind Worte, auf die wir im Zusammenhang hen. Das muss nach dem Willen der Enquete-Kommis- mit Künstlerinnen und Künstlern normalerweise nicht sion trotz immer wieder aufkommender Debatten auch kommen. Aber ich habe gelernt, dass gerade im Kultur- weiter so bleiben. bereich die Einkommensentwicklung besorgniserre- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten gend ist. Da die wirtschaftliche und soziale Lage der der CDU/CSU) Künstler und Kulturschaffenden häufig von der wirt- schaftlichen Situation des öffentlichen Kulturbetriebs Zusätzlich wollen wir den Zweig der längst etablier- abhängt, unterliegen sie in schwierigen Zeiten immer als ten Kunstfotografie in den Katalog der ermäßigten Steu- erste dem öffentlichen Sparzwang. Das gilt für Theater, ersätze mit aufnehmen. Frau Bundeskanzlerin Merkel Opern, Orchester, Museen, Bibliotheken, Musikschulen, und Herrn Finanzminister Steinbrück sei gesagt: Was sozio-kulturelle Zentren, den Film- und Medienbereich den Bergbahnen billig ist, das ist der Kunstfotografie und viele andere. Die oft projektbefristete Anstellung ist schon lange recht. Darauf werden wir drängen. leider die Regel. Schlecht bezahlte Volontäre ersetzen Museumspädagogen oder Bibliotheksmitarbeiter. Mu- (Beifall bei der SPD) siklehrer in die Selbständigkeit zu entlassen, ist bei vielen Zur Künstlersozialversicherung muss ich noch ein Kommunen leider gang und gäbe. Die Künstlersozialver- paar Worte sagen, Herr Präsident. Dieses von Sozialde- sicherung errechnet für ihre selbständigen Mitglieder mokraten initiierte Sozialversicherungssystem, das im Durchschnittsjahreseinkommen von 11 000 Euro. Da künstlerischen Bereich die Lebensrisiken wie Krankheit, könnten wir glatt in eine Mindestlohndebatte einsteigen. Alter und Pflege auffangen soll, ist weiterhin Gott sei (Beifall bei der SPD und der LINKEN) Dank in voller Blüte. Der Drang in diese Versicherung ist ungebrochen. Wir Mitglieder der Enquete-Kommis- Das Problem ist, dass Kunst und Finanzen häufig sion werden uns dafür einsetzen, dass der Bundeszu- nicht zusammenhängend betrachtet werden, weder von schuss zur Künstlersozialversicherung weiterhin stabil den Schöpfern der Kunstwerke noch von uns. Umso gehalten wird – wichtiger ist die Empfehlung der Enquete-Kommission, (B) schon bei der Ausbildung die Vermittlung von betriebs- (Beifall bei Abgeordneten der SPD) (D) wirtschaftlichen Fähigkeiten einzubinden. Existenzgrün- dung und erfolgreiche Betriebsführung müssen selbst- Präsident Dr. Norbert Lammert: verständlicher Teil des Studiums sein wie alle anderen Frau Kollegin! Fertigkeiten. Das ist der richtige Weg bei der Ausbil- dung. Lydia Westrich (SPD): (Beifall der Abg. Gitta Connemann [CDU/ – und dass wir mehr Vertragsgesellschaften zu Ein- CSU]) zahlungen heranziehen. Aber auch die Wirtschaftsförderung muss sich auf Dieses Thema, Herr Präsident, ist unerschöpflich, die Bedürfnisse der Kulturschaffenden besser einstellen. meine Redezeit leider nicht. Eines ist klar: Ohne Künst- Mit den Mikrokrediten haben wir einen Anfang ge- lerinnen und Künstler, ohne Kulturschaffende bräuchten macht. Dennoch sind die Bedürfnisse der Künstler für wir das Thema Kultur gar nicht anzugehen. Deshalb darf die meisten Wirtschaftsförderungsgesellschaften Fremd- der Spar- und Optimierungszwang, den ich auf allen land, obwohl die künstlerische Arbeit, wie es Frau Bär Ebenen gar nicht abstreite, nicht alleine auf dem Rücken beschrieben hat, als weicher Standortfaktor gerne mit der Kulturschaffenden ausgetragen werden. Prestigegewinnen vermarktet wird. Es ist von uns, von (Beifall bei der SPD) der Enquete-Kommission, nicht zu viel verlangt, dass sich diese Wirtschaftsförderungsgesellschaften für diese Alleine für diese Erkenntnis hat sich für mich die Einset- Klientel passgenau einsetzen. zung der Enquete-Kommission gelohnt. (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und der Vielen Dank. FDP) (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie Als Steuerpolitikerin war ich natürlich auch für die bei Abgeordneten der FDP) steuerrechtliche Behandlung der Künstler- und Kultur- berufe zuständig. Hierüber könnte ich eine Menge erzäh- Präsident Dr. Norbert Lammert: len. Unser allgemeines Steuerrecht enthält bereits Rege- Das Wort erhält nun der Kollege Roland Claus, Frak- lungen, die die besondere Situation von Künstlern tion Die Linke. berücksichtigt und die der Förderung von Kunst und Kultur dienen. Doch gibt es immer wieder Fortentwick- (Beifall bei der LINKEN) 13882 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 133. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. Dezember 2007

(A) Roland Claus (DIE LINKE): mich mit Ihrem Bericht befasse. Sie sollten sich das auch (C) Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und wünschen. Herren! Auch ich schätze die Weisheit des Berichtes als (Beifall bei der LINKEN) einen Kulturkompass, wie Sie es genannt haben, Frau Vorsitzende. Ich finde, das ist ein schönes Wort. Leider Wenn sich Ihre Logik darin erschöpfte, dass nur diejeni- versagt das große Werk aber völlig, wo es um die Be- gen über den Schlussbericht der Enquete-Kommission wertung von 40 Jahren deutscher Teilung geht. reden dürften, die ihr auch angehörten, stellten Sie sich kulturell ein Armutszeugnis aus. (Beifall bei der LINKEN) (Beifall bei der LINKEN – Volker Kauder Der Ansatz, Kulturgeschichte in die Kategorien Diktatur [CDU/CSU]: Das heißt, Sie waren nicht da einerseits und Widerstand andererseits einzuteilen, geht und haben Ihre Aufgabe nicht gemacht! – fehl. Sprache ist verräterisch. Sie nennen diesen Ab- Dorothee Bär [CDU/CSU]: Sie missbrauchen schnitt Nachwirkungen der deutschen Teilung. Nach- das Parlament!) wirkungen! Warum tun Sie das, obwohl Sie wissen, dass Sie damit vor allem im Osten der Republik an Zustim- Was ich in der Sache darlegen und ausführen will, hat mung verlieren? Auch Sie haben erkannt, dass die Ost- mit der Würdigung dessen zu tun, was an kulturellen deutschen nach über zehn Jahren ihr Selbstbewusstsein Gemeinsamkeiten und Unterschieden in 40 Jahren wiedergewonnen haben und deutlich artikulieren. Sie er- deutscher Teilung zu besprechen ist. Ich will Ihnen ein zählen ganz entspannt über ihre Biografien, über ihr Le- Beispiel nennen. Die kleine, so subversive DDR hat es ben in der DDR. Ihre Antwort, die Antwort der hier sogar geschafft, mehr Heinrich-Böll- und Siegfried- dominierenden Politik, ist eine politisch-kulturelle Dis- Lenz-Bücher zu verkaufen als die Bundesrepublik Bü- kriminierung und Delegitimierung der DDR. Das muss cher von und Christa Wolf. Ich glaube, das hier so deutlich festgestellt werden. hatte auch etwas mit den Preisen zu tun. (Beifall bei der LINKEN – Widerspruch bei Sie müssen keine Sorge haben. Ich habe zu viele per- der CDU/CSU) sönliche Freunde aus Kultur und Kunst an den Westen verloren, um mir die DDR schönzureden. Aber ich be- Die deutsche Kulturgeschichte von 1949 bis 1989 ist haupte: Der kulturelle Lebensalltag in der DDR war dem aber ein Abschnitt gemeinsamer deutscher Geschichte, kulturellen Lebensalltag Österreichs ähnlicher als dem trotz oder gerade wegen der Gegensätze. Beide deutsche kulturellen Lebensalltag Rumäniens. Die DDR hat 1990 Staaten haben sich bekanntlich politisch-kulturell in er- kulturell vieles in die Einheit eingebracht – die Zahlen in heblichem Maße über ihre jeweilige Gegensätzlichkeit Ihrem Bericht belegen das –, vor allem das Selbstver- (B) definiert. Beide waren mit Blick auf den anderen der ständnis, Kultur und Bildung sozial nicht zu teilen; sie (D) Geist, der stets verneint. Damit waren die Wechselwir- sollen allen zugänglich sein. Ich finde, dass diese Ost- kungen aufeinander immer riesengroß, und das selbst in erfahrungen, insbesondere Erfahrungen aus der DDR, den eisigsten Zeiten des Kalten Krieges. aber auch Erfahrungen mit gesellschaftlicher Transfor- mation gegenwärtig brachliegen und nicht von dieser Präsident Dr. Norbert Lammert: Gesellschaft genutzt werden. Herr Kollege Claus, gestatten Sie eine Zwischenfrage (Beifall bei der LINKEN – Jörg van Essen der Kollegin Bär? [FDP]: Die DDR zeichnete sich nicht durch besondere Zugänglichkeit aus!) Roland Claus (DIE LINKE): Deutschsprachige Rockmusik war eher und mehr Ja, gerne. ost- als westdeutsch. Ich sage das trotz oder wegen gro- ßer Zuneigung zu Heinz Rudolf Kunze, Nena, Klaus Präsident Dr. Norbert Lammert: Lage und anderen. Dass viele Ostrocker in den Westen Bitte, Frau Bär. gingen, lag nicht daran, dass sie den Westen so toll fan- den, sondern daran, dass sie nicht aushalten konnten, wie wir in der DDR den Sozialismus vergeigt haben. Dorothee Bär (CDU/CSU): Herr Kollege, finden Sie es gerechtfertigt, hier zu Anna Seghers, Erwin Strittmatter, Willi Sitte, Konrad sprechen, obwohl Sie kein einziges Mal in der Enquete- Wolf, Hermann Kant haben Millionen fasziniert. Ihre Kommission anwesend waren, geschweige denn sich je- Verbundenheit mit der DDR genügt heute aber, sie kul- mals mit diesem Thema befasst haben? Finden Sie es ge- turhistorisch zu verbannen. rechtfertigt, Ihre heutige Redezeit als kommunistische In Deutschland ist der Zugang zu Bildung und Kultur Plattform zu missbrauchen? heute in zunehmendem Maße von sozialen Unterschie- den beeinflusst. Das nenne ich kulturfeindlich. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Lachen bei der LINKEN) (Beifall bei der LINKEN – Hans-Joachim Otto [Frankfurt] [FDP]: Oh, mein Lieber!) Roland Claus (DIE LINKE): Wo gesellschaftlicher Reichtum und – noch schneller – Ich beantworte Ihre beiden Fragen jeweils mit Ja. die Kinderarmut größer werden, ist kultureller Notstand Selbstverständlich finde ich es gerechtfertigt, dass ich nicht weit. Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 133. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. Dezember 2007 13883

Roland Claus (A) Noch immer sind Zeit und Chance zur Umkehr. Mit Dabei fangen wir nicht bei null an. Mit Staatsminister (C) historischem Abstand wächst zuweilen die Souveränität, haben wir auf Bundesebene einen enga- mit Geschichte umzugehen. Deshalb fordere ich noch gierten Fürsprecher und Motor für kulturelle Belange. einmal dazu auf, kulturelle, mentale Unterschiede zwi- schen Ost und West als Herausforderung für die Kultur- (Beifall bei der CDU/CSU) politik zu begreifen und sie nicht schlechthin zu über- Im Bundesministerium für Bildung und Forschung ist winden. Diese Unterschiede sollten wir als Chance die Kultur ebenfalls präsent, von der Förderung der begreifen. Geisteswissenschaften bis hin zur Grundlagenforschung. Auch sonst hat die Bundesregierung stets bewiesen, dass (Beifall bei der LINKEN) die Kultur bei ihr in guten Händen ist. Nein, wir fangen wirklich nicht bei null an. Aber gerade deswegen kom- Präsident Dr. Norbert Lammert: men wir gemeinsam und auf der Grundlage des Berichts Jo Krummacher ist der nächste Redner für die CDU/ der Enquete-Kommission noch viel weiter. CSU-Fraktion. Aus Sicht der Union war von Anfang an wichtig, der Breite des kulturellen Spektrums gerecht zu werden und (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) gleichzeitig auf die entsprechende Schärfentiefe zu ach- ten. Johann-Henrich Krummacher (CDU/CSU): Kulturelle Bildung muss insbesondere für öffentlich Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! geförderte Kultureinrichtungen eine Kernaufgabe sein. Sehr geehrte Gäste! Zweifelsfrei ist Kultur eine jener elementaren Kohäsionskräfte, die gesellschaftliches Le- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und ben und ein Dasein im Miteinander überhaupt erst er- der FDP) möglichen. Insofern ist Kultur wie das täglich Brot oder Kultur macht nicht an Grenzpfählen halt, und darum be- die Luft, die wir atmen. treffen die empfohlenen Weichenstellungen auch die eu- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- ropäische und die internationale Ebene. Genauso richtet neten der SPD) sich der Blick auf die gesellschaftlichen und lokalen Wurzeln der Kultur. Alle kulturschaffenden, alle kultur- Denn was wäre dieses Land ohne die Sprache der fördernden und alle kulturtragenden Kräfte sollen sich Lutherbibel, ohne Beethovens Neunte, ohne Schillers möglichst frei entfalten können. Räuber, ohne die Bilderwelt von Lucas Cranach oder (B) Georg Baselitz? Was wäre es ohne die Berliner Muse- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und (D) umsinsel oder ohne einen Film wie Das Leben der Ande- der FDP) ren? Was ohne die Gedichte eines Friedrich Hölderlin Bürgerschaftliches und ehrenamtliches Engagement oder eines Heinrich Heine? Was ohne die vielen Musik- sind tragende Pfeiler der Kultur in Deutschland, und vereine und Theatergruppen? Was ohne das Engagement viele Empfehlungen setzen zu Recht genau hier an. Neue der Kirchen, vom Mittelalter über die Neuzeit bis hin zur Formen der Zusammenarbeit zwischen der öffentlichen Gegenwart? Hand und den Privaten – aber ebenso zwischen Bund, Ländern und Kommunen – sind geeignet, auch in Zu- Nebenbei bemerkt: Die Enquete-Kommission konnte kunft eine kulturelle Infrastruktur auf höchstem Niveau feststellen, dass die beiden großen christlichen Kirchen zu gewährleisten. in unserem Land mehr für die Kulturförderung ausgeben als die öffentliche Hand. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und Kurz: Die Faktoren gegenwärtiger Kulturpolitik wur- der FDP) den präzise erfasst und die Perspektiven der zukünftigen Kulturpolitik ebenso plausibel wie vielversprechend Was also wäre dieses Land ohne seine kulturelle Viel- skizziert. Jetzt haben wir eine klare Vorstellung, und gut falt? Folgerichtig hat die Arbeit der Enquete-Kommis- vorbereitet gehen wir an die Umsetzung. sion dazu beigetragen, den Reichtum unserer Kultur- landschaft zu erfassen. Aus der Mitte des Bundestages, Die Zahlen sind genannt worden, aber die Wiederho- unter Mitwirkung namhafter Sachverständiger und na- lung des Bedeutsamen hilft der Wahrnehmung: vier türlich auch unter Einbeziehung der Länder ist eine Jahre Arbeit, über 400 Handlungsempfehlungen, einge- umfassende Bestandsaufnahme gelungen, die die Kul- bettet in 1 200 Seiten Bestandsaufnahme. Das ist der Be- tur noch stärker in das Zentrum des politischen Bewusst- richt der Enquete-Kommission, mit dem sich auch der seins rückt. Bund als Akteur der Kulturpolitik zu Wort meldet, nicht als föderaler Besserwisser im bestehenden Gefüge, son- Neben dieser umfassenden und deutlichen Bestands- dern als echter Partner. Insofern gleicht der Bericht der aufnahme ist der Bericht der Enquete-Kommission aber Enquete-Kommission einer Partitur, durch die das kultu- auch mit konkreten Empfehlungen verbunden: mit kla- relle Geschehen überschaubar wird. Das zu spielende ren Aufforderungen an alle staatlichen und gesellschaft- Werk richtet sich nicht an einen Solisten, sondern zielt lichen Akteure, Kultur quasi immer mitzudenken und in auf ein harmonisches Ineinandergreifen der verschiede- das Alltagshandeln zu integrieren. nen Akteure. 13884 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 133. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. Dezember 2007

Johann-Henrich Krummacher (A) Wir haben die Chance auf ein neues, prosperierendes der Migrantenkinder zu diesen Bildungsansätzen. Wis- (C) kulturelles Miteinander. Wenn wir alle die Bewahrung, senschaftlich wurde bewiesen: Wer seine Muttersprache Weitergabe und Förderung der Kultur weiterhin als et- gut beherrscht, kann auch die deutsche Sprache leichter was Essenzielles begreifen, dann wird sich auch der zu- erlernen. Aus dieser Tatsache müssen die notwendigen künftige Einsatz wirklich lohnen. Konsequenzen gezogen werden. (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und der (Beifall bei der LINKEN) FDP) Der überparteiliche Konsens, der sich im Bereich der Kulturpolitik erfreulicherweise herstellen ließ, sollte An- Präsident Dr. Norbert Lammert: reiz und Ermutigung auch für andere Politikbereiche Der Kollege Keskin ist der nächste Redner für die sein. Fraktion Die Linke. Es ist nicht nur im Hinblick auf die Integration erfor- (Beifall bei der LINKEN – Hans-Joachim Otto derlich, sondern auch ein Gebot der Demokratie, Men- [Frankfurt] [FDP]: Aber jetzt ein bisschen bes- schen, die seit Jahrzehnten in Deutschland leben oder so- ser als Herr Claus! – Dorothee Bär [CDU/ gar hier geboren und aufgewachsen sind, die vollen CSU]: Er kann das nur besser machen!) bürgerlichen Rechte zu gewähren.

Dr. Hakki Keskin (DIE LINKE): (Beifall bei der LINKEN) Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Her- Daher fordert die Linke, dass der Erwerb der deutschen ren! Mit sehr viel Sachverstand und Engagement konnte Staatsbürgerschaft auch unter Beibehaltung der alten die Enquete-Kommission zur Migrantenkultur/Interkul- Staatsangehörigkeit erleichtert wird. tur eine sehr gelungene Arbeit leisten. Der Bericht wurde von allen Fraktionen gemeinsam beschlossen. Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit. Auch ich möchte mich ganz herzlich bei allen Beteilig- (Beifall bei der LINKEN) ten bedanken.

Die kulturelle Vielfalt Deutschlands wird von der Präsident Dr. Norbert Lammert: Kommission als eine Realität, als Fakt anerkannt, und Die Kollegin Simone Violka ist für die SPD-Fraktion zwar von allen Fraktionen, auch von der Union. Das ist die nächste Rednerin. ein Novum. Ich begrüße diesen Fortschritt. Bekanntlich haben wir über die Tatsache, dass Deutschland längst (Beifall bei der SPD) (B) eine multikulturelle Gesellschaft geworden ist, jahr- (D) zehntelang kontrovers diskutiert. Nunmehr musste diese Simone Violka (SPD): Erkenntnis als gemeinsame Position auch von der Union öffentlich mitgetragen werden. Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren Sachverstän- Die Kommission kommt einstimmig zu der Feststel- dige! Wenn wir über Kultur in Deutschland sprechen, lung, dass die Kulturen der Migrantinnen und Migranten dann dürfen wir die Auswirkungen des demografischen als Bestandteil der Kultur in Deutschland und als Berei- Wandels auch auf den kulturellen Bereich nicht außer cherung für Deutschland zu bewerten sind. Ausdrücklich Acht lassen. Deshalb stand für uns, die Mitglieder der wird diese kulturelle Vielfalt bejaht und begrüßt. Die En- Enquete-Kommission, nie zur Debatte, wie viel Kultur quete-Kommission stellt weiterhin fest, dass es gerade wir uns in Zukunft noch leisten können; vielmehr ging die kulturelle Vielfalt ist, die den Reichtum der Kultur in es um die Frage, welche Herausforderungen unsere Ge- Deutschland ausmacht. Es wird daher unterstrichen, dass sellschaft bewältigen muss, damit die Kulturlandschaft die unterschiedlichen Kulturen in Deutschland gleichbe- in Deutschland nicht nur erhalten wird, sondern sich rechtigt gefördert werden müssen. auch weiterhin mannigfaltig entwickeln kann. Die Integration funktioniert nicht von selbst. Der Da sich der demografische Wandel in den Regionen Staat und die Mehrheitsgesellschaft sind hier gefordert, unterschiedlich vollzieht, gibt es bisher noch keine flä- aktiv tätig zu werden. chendeckenden politischen Lösungsansätze für die per- spektivische Lösung dieses Problems. Es gibt Regionen, (Beifall bei der LINKEN) viele davon im Osten Deutschlands, die sich schon seit Rechts- und Sozialstaat, Geschichte und Sprache müssen Jahren in einem solch enormen Strukturwandel befinden, aktiv und wechselseitig vermittelt werden. Auch in der dass dort auf politischer Ebene und auf der Ebene der Bildungspolitik muss eine Kehrtwende vollzogen wer- Kulturschaffenden bereits reagiert wird bzw. reagiert den, damit die Menschen von den Chancen der kulturel- werden musste. Auf den dortigen Erkenntnissen kann len Vielfalt profitieren können: Interkulturelle Bildung man deutschlandweit aufbauen. und Erziehung müssen so ausgerichtet werden, dass die Ressourcen der Menschen in vielfältiger Weise zur Gel- Die neuen Länder haben eine alte, vielfältige Kultur- tung kommen können. landschaft in das vereinigte Deutschland eingebracht. Ich würde mich freuen, wenn auch Dresden seiner Ver- Selbstverständlich gehört neben dem Erlernen der antwortung gerecht würde und ein Weltkulturerbe nicht deutschen Sprache auch das Erlernen der Muttersprache weniger schätzte als eine Brücke. Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 133. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. Dezember 2007 13885

Simone Violka (A) (Beifall bei der SPD sowie der Abg. Undine und Künstlern liegt. Dabei sind auch Laienkultur und (C) Kurth [Quedlinburg] [BÜNDNIS 90/DIE Brauchtum ein selbstverständlicher und unverzichtbarer GRÜNEN]) Bestandteil der Kulturlandschaft. Deutschland wäre ein kulturell armes Land ohne die Tausenden Orchester, Die Erhaltung des Kulturguts und die Förderung kultu- Chöre, Theater- und Tanzgruppen und Kulturvereine. reller Infrastruktur in den neuen Ländern liegen trotz un- Deshalb ist es notwendig, die Rahmenbedingungen für terschiedlicher gesellschaftlicher Rahmenbedingungen diese Gruppe zu garantieren und auch zu verbessern. in gesamtdeutscher Verantwortung. Da hierfür Geld be- nötigt wird, empfiehlt die Enquete-Kommission Bund Dank eines ausgeprägten Engagements von Künstle- und Ländern, die Verwendung von 2 Prozent der in rinnen und Künstlern, aber auch von Kunst- und Kultur- Korb II bis 2019 als zweckgebundene Zuweisungen des interessierten finden wir auch in ländlichen Regionen ein Bundes zur Verfügung stehenden Mittel für die Kultur in vielseitiges Kulturangebot vor. Dieses Angebot zu erhal- den neuen Ländern verbindlich festzuschreiben. ten, ist eine Herausforderung in Zeiten, in denen die Gel- der für kulturelle Angebote in den Haushalten immer (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der knapper werden. Das größte Problem hierbei ist aber oft CDU/CSU) nicht zu wenig Geld, sondern eine zu unstete Förderung, Das sogenannte Leuchtturmprogramm hat sich als die oftmals von Jahr zu Jahr völlig offenlässt, ob über- Erfolg erwiesen. Deshalb empfehlen wir, das in den haupt weiter gefördert wird und, wenn ja, in welcher neuen Ländern bewährte Programm auf den gesamten Höhe. Als Schirmherrin eines solchen Festivals, nämlich Staat auszudehnen. des von Wustrau, weiß ich, wovon ich rede. Trotz un- glaublichen Engagements und – das ist in Kulturkreisen (Beifall bei Abgeordneten der SPD) leider oft der Fall – einer unglaublichen Bereitschaft zur Selbstausbeutung bei den Künstlerinnen und Künstlern Aufgrund der gesellschaftlichen Umstrukturierung stehen wir leider Jahr für Jahr vor der Frage, wie lange sind vor allem ländliche Regionen einer enormen Be- wir das durchhalten. Das könnte durch eine langfristige völkerungsausdünnung ausgesetzt, die die Gefahr mit Planung bei den einzelnen Engagements verhindert wer- sich bringt, dass es dort kein flächendeckendes kulturel- den. Wenn dann gleichzeitig noch alle Ressourcen aus- les Angebot mehr gibt. Das bedeutet für die Menschen, geschöpft würden, könnte auch eine möglichst hohe fi- die dort leben, nicht nur lange Wege zur Kultur, sondern nanzielle Unabhängigkeit erreicht werden. auch, dass ihre Regionen zunehmend an Attraktivität verlieren, was dann häufig noch mehr Ausdünnung nach Einen Ausgleich über Sponsoring oder Mitgliedsbei- sich zieht und damit ein immer geringeres Angebot an träge zu erreichen, ist vor allem in ländlichen Regionen (B) Arbeitsplätzen zur Folge hat. kaum möglich, weil viele bereits in mehreren Vereinen (D) (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der engagiert und am Ende ihrer finanziellen Möglichkeiten CDU/CSU) sind. Für überregional agierende Firmen und Konzerne ist der ländliche Raum für Sponsoring meist unattraktiv, Gleichzeitig müssen aber viele Steuergelder aufgewen- weil zu wenige erreicht werden und es kein überregiona- det werden, um für die immer geringer werdende Zahl les mediales Interesse gibt. Um solche Lücken zu schlie- von Menschen lebensnotwendige Infrastrukturen zu er- ßen, müssen öffentliche Gelder so effektiv wie möglich halten. eingesetzt werden. Nun könnte man ja auf den Gedanken kommen, dass, Eine Lösung sehen wir in der Enquete-Kommission wenn es weniger Menschen gibt, auch weniger Kultur in der Schaffung einer Kulturentwicklungsplanung; benötigt würde. Das ist meiner Meinung nach der fal- dieser muss aber eine genaue Bedarfsanalyse vorausge- sche Ansatz; denn es ist festzustellen, dass sich nur ein hen, in der es an erster Stelle nicht um Mitteleinsparung, bestimmter Prozentsatz der Bevölkerung als Kulturkon- sondern um Erhalt durch Anpassung und Veränderung sument sieht. Dieser Anteil ist in den vergangenen Jah- geht. Solch eine Kulturentwicklungsplanung kann aber ren fast gleich geblieben. Hier muss angesetzt werden; auch nur dann ein wirklicher Erfolg werden, wenn kultu- denn hier liegt ein enormes Potenzial für die Kultur relle Institutionen stärker kommunen- und gegebenen- brach. Das kann aber nur über ein ansprechendes und falls auch länderübergreifend genutzt werden. Auch der vor allem nahes kulturelles Angebot und – das darf in Zusammenschluss und die Mehrfachnutzung von spar- diesem Zusammenhang auch nicht vergessen werden – tenübergreifenden Kulturstätten kann eine Möglichkeit eine bessere kulturelle Bildung genutzt werden. Diese zur Lösung der anstehenden Probleme darstellen. stellt nämlich eine Grundlage für wachsendes Interesse an Kultur dar. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der LINKEN) (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Doch das setzt voraus, dass zum Beispiel vorhandene Konkurrenzsituationen zwischen Städten und ländli- Bei der Kultur im ländlichen Raum spielt das bürger- chem Raum ebenso überwunden werden müssen wie die schaftliche Engagement eine besonders große Rolle. Es zwischen öffentlich finanzierten Einrichtungen und Pro- gibt bereits Regionen, in denen das kulturelle Angebot grammen. ausschließlich auf den Schultern von engagierten Bürge- rinnen und Bürgern und dort lebenden Künstlerinnen (Gitta Connemann [CDU/CSU]: Sehr richtig!) 13886 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 133. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. Dezember 2007

Simone Violka (A) Deshalb sollte sich eine effektive Kulturentwicklungs- turschaffenden, Künstlern, von Professionellen und (C) planung nicht nur an den Einrichtungen, sondern auch an Laien, von Vereinen und Verbänden, von den Kirchen den Nutzern ausrichten. und Tausenden von Bürgerinitiativen. Sie sind das Salz in unserem Kulturstaat. Wichtig ist hierbei auch eine langfristige Sicht. Mo- mentan gibt die ältere Generation, deren Anteil an der (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- Gesamtgesellschaft immer größer wird, überdurch- neten der SPD und der FDP) schnittlich viel Geld für Kultur aus. Doch es wäre kurz- sichtig, nur darauf zu setzen. Denn wenn das so bleiben Ich komme, wie auch du, Grietje, aus dem Wahlkreis 1, soll, muss auch die jüngere Generation sie ansprechende Flensburg-Schleswig, ganz oben im Norden der Republik, kulturelle Angebote erhalten. Wer als junger Mensch südlich von Kopenhagen. Am zweiten Adventssonntag keinen Zugang zur Kultur findet, wird diesen im Alter nahm ich an einem Chorkonzert in meiner Heimatkirche nicht automatisch von selbst finden. teil. Allein an diesem Tag konnte ich zwischen 80 ver- schiedenen Angeboten auswählen: Da gab es Orgel- und (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Orchesterkonzerte, Rock, Pop, Jazz zum Advent und Abgeordneten der FDP und der LINKEN) viel Chorgesang. Kulturverantwortliche gehen davon Dabei ist die Förderung der kulturellen Bildung uner- aus, dass pro Veranstaltung mit etwa 100 Besuchern zu lässlich, wobei allerdings keine Verteilungskonflikte rechnen ist. Das heißt, 8 000 Bürgerinnen und Bürger zwischen den Generationen geschaffen werden sollten. zwischen Schlei und Förde haben an diesem Sonntag Nur so bedeuten sinkende Bevölkerungszahlen nicht Kultur genossen. So war es an diesem Tag auch in Gör- gleichzeitig auch eine geringere Nachfrage nach kulturel- litz, in Greifswald, in Goslar, in Rottweil-Tuttlingen, in len Angeboten. Deshalb ist ein demografischer Wandel Leer und in vielen anderen Teilen unserer Republik. kein unwiderlegbares Argument für den Rückbau kultu- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – reller Infrastruktur, sondern stellt eine lösbare gesamt- Hans-Joachim Otto [Frankfurt] [FDP]: Auch gesellschaftliche Aufgabe dar, zu deren Bewältigung ich in Frankfurt! – Christian Lange [Backnang] hiermit alle aufrufe. [SPD]: In Backnang!) Vielen Dank. Hochgerechnet waren an diesem Sonntag bundesweit (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und der FDP über 2 Millionen Menschen in unserem Land kulturaktiv. sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: Präsident Dr. Norbert Lammert: Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des (B) Nun erhält der Kollege Wolfgang Börnsen für die Kollegen Koppelin? (D) CDU/CSU-Fraktion das Wort. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Wolfgang Börnsen (Bönstrup) (CDU/CSU): Gerne. Er ist auch ein Schleswig-Holsteiner. Wolfgang Börnsen (Bönstrup) (CDU/CSU): (Hans-Joachim Otto [Frankfurt] [FDP]: Das ist Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Solidarität!) Bei einer Parlamentsdebatte über Kultur ist es beruhigend, einen Parlamentspräsidenten im Nacken zu wissen, Jürgen Koppelin (FDP): (Hans-Joachim Otto [Frankfurt] [FDP]: Im Lieber Wolfgang Börnsen, du hast deinen Wahlkreis Nacken? Im Rücken!) Flensburg-Schleswig und die vielen Veranstaltungen der ein großes Herz für die Kultur hat. dort erwähnt. Das gibt mir Veranlassung, direkt hierzu eine Frage zu stellen: Kannst du mir erklären, warum es (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- notwendig ist, dass dänische Künstler, wenn sie bei der neten der SPD und der FDP) dänischen Minderheit auftreten, in die Künstlersozial- versicherung einzahlen müssen? Präsident Dr. Norbert Lammert: Ich bedanke mich sehr, weise aber darauf hin, dass Wolfgang Börnsen (Bönstrup) (CDU/CSU): dies die Redezeit nicht verlängert. Es gibt ein gemeinsames Abkommen zwischen der (Heiterkeit) Bundesrepublik Deutschland und dem Königreich Däne- mark, in dem das so festgelegt ist. Es wird aber zu einer Wolfgang Börnsen (Bönstrup) (CDU/CSU): Überarbeitung kommen. Das haben wir auch in den En- Deutschland ist ein Kulturstaat; wir sind ein Kultur- quete-Bericht aufgenommen. Denn wir glauben, dass staat. Unsere Kulturlandschaft gehört zu einer der viel- wir in Europa grenzübergreifend zu einheitlichen und fältigsten und einzigartigsten in der Welt. Wir sind reich verbesserten Maßstäben kommen müssen, was die an Kultur, und wir wollen das auch bleiben. Künstlerförderung angeht. Diese besondere Kulturqualität beruht auf der Kreati- (Jürgen Koppelin [FDP]: Wir wollen uns da- vität, dem Einsatz, dem Ideenreichtum, dem Fleiß und rum kümmern! – Hans-Joachim Otto [Frank- der Mitverantwortung von Hunderttausenden von Kul- furt] [FDP]: Packen wir es an!) Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 133. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. Dezember 2007 13887

Wolfgang Börnsen (Bönstrup) (A) Ich möchte mit meiner Rede fortfahren. Auch wenn ren Staatszielforderungen in Bezug auf den Sport, den (C) Sport und Freizeit in unserem Land Spitzenplätze ein- Schutz der Kinder, die Generationengerechtigkeit, die nehmen, ist doch der aktive Kulturbezug in unserem Anerkennung autochthoner Minderheiten und viele Be- Land unübersehbar. Keine Bundesliga hat bisher die Be- reiche mehr. Unser Grundgesetz ist jedoch kein Waren- sucherrekorde in unseren Museen schlagen können. So hauskatalog. soll es auch bleiben. Beides bereitet Vergnügen, wenn die Qualität stimmt. (Beifall bei der CDU/CSU) Ich bleibe beim Beispiel Musik. Um zu verdeutli- Seine Qualität, seine Autorität, seine Zeitlosigkeit beru- chen, welche Kulturkraft es in unserem Land gibt, will hen auf der Konzentration auf Kernaussagen. Eine Ver- ich darauf aufmerksam machen, dass über 5 Millionen vielfachung der Staatsziele lehnen wir ab. Kultur ja! Menschen in unserem Land aktiv Musik betreiben: in Eine Alibifunktion der Kultur ist jedoch nicht vertretbar. über 50 000 Chören, in 750 Sinfonie- und Staatsorches- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) tern – nirgendwo in Europa gibt es mehr – und in fast 50 000 Rock-, Pop- und Jazzbands. Wir haben eine groß- Mir ist eine Taube in der Hand lieber als ein Kulturspatz artige Kulturszene in Deutschland. auf dem Dach. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- Gut 90 Prozent der Kulturverantwortung liegt bei den neten der SPD und der FDP) Ländern, Städten und Gemeinden. In 15 Landesverfas- sungen ist die Kultur eine fundamentale Aufgabe des Allein in diesem Bereich befinden wir uns in einem Staates und hat den Anspruch, gefördert zu werden. Dies blühenden, lebendigen Kulturgarten, der aber gepflegt, wird auch ganz deutlich umgesetzt. gefördert und beachtet gehört. Dafür tragen alle staatli- chen Ebenen eine Mitverantwortung, aber auch wir Bür- Wir selber im Deutschen Bundestag haben 1990 die ger selbst. Deutschland ist ein Kulturstaat. Wer sich als Kultur zur Staatsaufgabe gemacht; daran muss erinnert solcher versteht, hat daraus Konsequenzen zu ziehen, werden. Das war an dem Tag, als das Parlament dem Ei- mahnt die Enquete-Kommission und erinnert daran, nigungsvertrag zugestimmt hat. Dort heißt es in Art. 35 2 Prozent aller Ausgaben, wie im Freistaat Sachsen wörtlich: praktiziert, für die Kultur bereitzustellen. Überall in In den Jahren der Teilung waren Kunst und Kultur Deutschland sollte eine solche Selbstverpflichtung – trotz unterschiedlicher Entwicklung der beiden Schule machen. Staaten in Deutschland – eine Grundlage der fortbe- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der stehenden Einheit der deutschen Nation. Sie leisten SPD und der FDP) im Prozeß der staatlichen Einheit der Deutschen auf (B) dem Weg zur europäischen Einigung einen eigen- (D) Im Großraum Essen ist vorgesehen, dass jeder Ju- ständigen und unverzichtbaren Beitrag. gendliche, jeder Schüler ein Instrument erhält. Auch das sollte bundesweit praktiziert werden. Es heißt weiter: (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der Stellung und Ansehen eines vereinten Deutschlands SPD, der FDP und der LINKEN) in der Welt hängen außer von seinem politischen Gewicht und seiner wirtschaftlichen Leistungskraft Die kulturelle Bildung zur Kernaufgabe in den Schulen ebenso von seiner Bedeutung als Kulturstaat ab. zu machen, ist selbstverständlich. Die soziale Lage der Künstler und Kulturschaffenden grundsätzlich zu ver- Dieser Dreiklang ist gemeint: Politik, Wirtschaft und bessern, tut weiterhin not. Kultur. Kultur ist auf Augenhöhe zu sehen. (Beifall der Abg. Renate Gradistanac [SPD]) Der Bezugspunkt für den Begriff „Kulturstaat“ ist in ei- nem Urteil des Bundesverfassungsgerichtes vom 5. März Der Laienkultur den gleichen Stellenwert einzuräumen 1974 festgelegt worden. Darin ist, ausgehend von Art. 5 wie der Spitzenkultur, ist richtig. Beide sind bedeutsam; des Grundgesetzes, die Freiheit der Kunst als normative beide gehören gefördert. Wertentscheidung ausgelegt worden. Im Hinblick auf (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) den Begriff „Kulturstaat“ ist damit eine ungeschriebene Staatszielzuordnung vorgenommen worden. Die Mehr- Die Kreativ- und Kulturwirtschaft – mit 800 000 Ar- zahl der Rechtsexperten in unserem Land bestreitet die beitsplätzen ein Jobmotor in unserem Land – weiterhin verfassungsähnliche Bedeutung des Einigungsvertrages zu forcieren, auch das ist notwendig. Und: Die Bedeu- trotz seiner Endlichkeit nicht. Die Kultur in Deutschland tung und den Wert der deutschen Sprache mehr bewusst hat also eine eindeutige Rechtsgrundlage. Kulturstaat zu zu machen, auch das haben wir in Zukunft zu tun. sein, schließt den Anspruch auf Förderung ein. Kultur- (Beifall der Abg. Gitta Connemann staat zu sein, bedeutet, dass der rechtliche Rahmen von [CDU/CSU]) uns entsprechend gesetzt werden muss. Das tun wir. Die- ses Prinzip hat die Enquete-Kommission geleitet, als sie Nun wird eingewandt, diese und die weiteren beschlossen hat, den Rechtsanspruch der Kultur heraus- 455 Empfehlungen der Enquete-Kommission könnten zustellen. nur ernsthaft umgesetzt werden, wenn die Kultur zum Staatsziel erhoben wird – zu einem Ziel ohne rechtliche Für uns als Christdemokraten gelten weiterhin die Konsequenzen. Derzeit konkurriert die Kultur mit weite- vier Prinzipien Dezentralität, Subsidiarität, Pluralität und 13888 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 133. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. Dezember 2007

Wolfgang Börnsen (Bönstrup) (A) Partizipation. Wir sagen: Kultur und Kunst haben einen von Menschheitsgeschichte, Würde und, ja, wieder (C) Anspruch auf Freiheit, aber auch einen Anspruch auf dieses Wort: der Kultur. Förderung. Sie haben einen Anspruch darauf, dass wir als politisch Verantwortliche an ihrer Seite stehen. Europa hat eine Seele, oh ja, die muss man unserem Kontinent nicht erst geben. Die hat er schon. Das ist (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- nicht seine Politik und nicht seine Wirtschaft. Das neten der SPD) ist in erster Linie seine Kultur. (Beifall der Abg. Undine Kurth [Quedlinburg] Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Herr Kollege, ich muss Sie im Sinne des Herrn Präsi- denten nun doch mahnen, Ihre Redezeit einzuhalten. Wir können und wollen Europa mit der Kultur eine Seele geben. Es gibt ein wunderbares Bonmot von Jean Monnet. Er hat gesagt, wenn er Europa noch einmal be- Wolfgang Börnsen (Bönstrup) (CDU/CSU): gründen könnte, würde er mit der Kultur beginnen. Wir Ich komme zum Schluss. Wir alle haben eine Auf- können das zwar nicht, aber wir können der Kultur bei gabe. Wir wissen: Wer die Kultur fördert, fördert starke der Weiterentwicklung Europas eine größere Bedeutung Persönlichkeiten, fördert Kritik, Courage und Selbstbe- beimessen als bisher. Europa lebt von der Vielfalt der wusstsein. Wer solche Persönlichkeiten fördert, fördert Kulturen. Europa lebt von seiner Kultur und durch seine und stärkt die Demokratie. Das heißt, Kulturförderung Kultur. Europa ist räumlich winzig, aber kulturell ein ist auch Demokratieförderung. Riese. Die europäische Kultur ist ein Quartett: Die lokale Herzlichen Dank. Ebene, die regionale Ebene, die nationale Ebene und die kontinentale Ebene haben etwas beizutragen. Die Ge- (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie wichtung der einzelnen Ebenen ist zwar unterschiedlich, bei Abgeordneten der FDP und der Abg. aber sie nehmen sich gegenseitig nichts weg. Bis vor kur- Undine Kurth [Quedlinburg] [BÜNDNIS 90/ zem wurde noch gesagt: Europäische Kulturpolitik DIE GRÜNEN]) kann es nicht geben. Weil es europäische Kultur gibt, kann, darf und muss es aber auch europäische Kulturpo- Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: litik geben. Letzter Redner in dieser Debatte ist der Kollege (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Steffen Reiche, SPD-Fraktion. der CDU/CSU und der LINKEN) (Beifall bei der SPD) Wir haben in den letzten Jahren das Wachsen einer (B) nationalen Kulturpolitik erlebt. Das war zwar ein schwe- (D) Steffen Reiche (Cottbus) (SPD): rer Kampf, aber den Ländern ist nichts genommen wor- Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! den. Heute erleben wir das Entstehen einer europäischen In genau 20 Minuten unterschreiben die 27 Staats- und Kulturpolitik. Sie nimmt den Nationen nichts, will nicht Regierungschefs in Lissabon den Reformvertrag. Europa an die Stelle der Nationen treten, sondern will der Welt schafft sich mit dem Vertrag von Lissabon eine neue, Europa zeigen und Europa erlebbar machen. Deshalb bessere Grundlage. Europa bewegt sich. Europa bleibt fordern wir: Deutschland muss aus dem Bremserhaus interessant. heraus, muss nach vorn, in die Lokomotive, und mitbe- stimmen, wie wir europäische Kulturpolitik definieren Deshalb bin ich dankbar, dass der Bericht der En- und was auf die europäische Kulturagenda gehört. quete-Kommission ein eigenes Kapitel zur politischen Behandlung der Kultur in Europa enthält. Das ist eine (Beifall bei Abgeordneten der SPD, der CDU/ wesentliche Entscheidung. Es ist mehr gelungen als er- CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜ- wartet. Für den europäischen Traum, für das europäische NEN sowie der Abg. Dr. Lukrezia Jochimsen Projekt brauchen wir etwas, was die Herzen der Men- [DIE LINKE]) schen bewegt. Kultur bewegt die Menschen. Wir haben Deshalb, liebe Kollegen von der FDP – das sei aber eine europäische Kultur. Das Problem ist aber, dass wir auch den Ländern gesagt –, brauchen wir eine offene sie oft nicht sehen, wenn wir in Deutschland oder Frank- Koordinierung. Im Bildungsbereich haben wir doch ge- reich sind. Wim Wenders hat das neulich in Berlin auf sehen, was dadurch gelungen ist. Es ist ein gemeinsamer eindrucksvolle Weise formuliert. Er hat gesagt: europäischer Hochschulraum geschaffen worden. Das ist Hier, in Berlin, bin ich Deutscher, inzwischen von gut für Europa, und das ist gut für die Nationen. ganzem Herzen. Aber kaum ist man in Amerika, (Beifall bei Abgeordneten der SPD – Hans- sagt man nicht mehr, man sei aus Deutschland, Joachim Otto [Frankfurt] [FDP]: Ein bisschen Frankreich oder woher auch immer. Man kommt Debatte muss es ja wohl noch geben!) aus „Europa“ oder kehrt dorthin zurück. Für die Amerikaner ist das der Inbegriff von Kultur … Das Insofern denke ich, dass wir die Bedenken des Bundes- Einzige, was ihnen einen Minderwertigkeitskom- rates gemeinsam überwinden sollten. plex einjagt. Und zwar einen permanenten. Traurig ist aber, dass die Länder, die die Kulturhoheit Und auch aus Asien oder gar anderen Teilen der für sich beanspruchen, hier und heute nur durch zwei Welt aus gesehen erscheint Europa wie eine Bastion Mitarbeiter vertreten sind und dass die Kultusminister Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 133. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. Dezember 2007 13889

Steffen Reiche (Cottbus) (A) bzw. die Ministerpräsidenten der Länder bei dieser wich- ropäische Kultur- und Geschichtslandschaft gewachsen (C) tigen Debatte über die Kultur in Deutschland keine Prä- ist. So kann man Europa verstehen. Deshalb brauchen senz zeigen und sich nicht daran beteiligen. wir im Grunde auch eine europäische Kulturstiftung. (Beifall bei Abgeordneten der SPD sowie der Abg. Europa ist unsere Antwort auf die Globalisierung. Dr. Lukrezia Jochimsen [DIE LINKE]) Deshalb müssen wir uns im Rahmen der Europäischen Union stärker in die Erarbeitung von UNESCO-Konven- Wir brauchen mehr Mittel für die Kultur. Deshalb tionen einbringen. Deutschland hat bisher drei Konven- denke ich, dass in den künftigen europäischen Haushal- tionen ratifiziert. Wir müssen aber auch die vier anderen ten umgeschichtet werden muss: von der Agrikultur zur möglichst bald ratifizieren. Aller guten Dinge sind zwar Kultur. drei, Herr Neumann. Ich denke aber, nachdem wir bisher (Hans-Joachim Otto [Frankfurt] [FDP]: Das ist drei UNESCO-Konventionen ratifiziert haben, wäre es ein gute Idee!) gut – das fordern wir zumindest –, auch die Konvention zur Bewahrung des immateriellen Kulturerbes zu ratifi- Unsere Geschichte, unsere Werte, unsere Erinnerungsar- zieren. beit und die Menschenrechtsbildung, die in Deutschland und in Europa gewachsen sind, sind für internationale (Beifall der Abg. Gitta Connemann [CDU/ Gespräche und für Begegnungen der Kulturen der Welt CSU]) wichtig. Deshalb haben wir die große Bedeutung dessen, Bildung ist die wichtigste Investition in die Zukunft. was in der DDR gewachsen ist, in unserem Abschlussbe- Die großen Untersuchungen wie PISA, IGLU und an- richt, der 1 200 Seiten umfasst, immer wieder betont – dere zeigen, wo wir stehen. In Deutschland wurde darauf nicht nur an einer Stelle, Herr Tauss, sondern querbeet. reagiert, indem wir Anstrengungen unternommen haben. (Beifall bei Abgeordneten der SPD, der CDU/ Aber mit der Kultur verhält es sich nach einem Diktum CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜ- von wie mit dem Frieden: Kultur ist nicht NEN) alles, aber ohne Kultur ist alles nichts. – Deshalb müssen wir kulturelle Bildung stärker als gesellschaftlichen Die DDR kommt dort nicht etwa zu kurz, sondern ihr Auftrag, die Ganztagsschulen als Chance für kulturelle kulturelles Erbe wird erwähnt und soll bewahrt werden. Bildung begreifen. (Gitta Connemann [CDU/CSU]: Sehr richtig!) (Beifall bei der SPD sowie der Abg. Dr. Lukrezia Wir brauchen eine gemeinsame europäische Kultur- Jochimsen [DIE LINKE]) politik, die die einzelnen Länder gemeinsam mit dem Eine Bundeszentrale für kulturelle Bildung soll und Kulturrat entwickeln wollen. Einen europäischen Film- (B) muss gegründet werden, um dies besser zu koordinieren. (D) preis gibt es schon. Wir müssen aber auch regelmäßig Was wir dringend brauchen, sind, nachdem wir für Ma- – jährlich oder alle zwei Jahre – gemeinsam beschrei- the, für Lesen, für Deutsch, für die erste Fremdsprache ben: Was ist europäische Kunst: in der Literatur, in der und für die Naturwissenschaften nationale Bildungsstan- Poesie, beim Theater, beim Tanz und an vielen anderen dards definiert haben, solche Standards auch für die kul- Stellen? Es gibt eine nationale Akademie der Künste. turelle Bildung. Wir fordern, dass die nationalen Akademien ein Netz- werk bilden, aus dem sich perspektivisch eine europäi- (Beifall bei der SPD sowie der Abg. Dr. Lukrezia sche Akademie entwickeln kann. Jochimsen [DIE LINKE]) (Beifall bei Abgeordneten der SPD sowie des Hier ist die KMK in der Pflicht, hier ist die Bundesbil- Abg. Volker Kauder [CDU/CSU]) dungsministerin in der Pflicht, aber auch der Deutsche Kulturrat, die sich an einem solchen Gespräch beteiligen Wir wollen, dass Europa mit einer Stimme spricht; müssen. zurzeit herrscht ein Wettbewerb zwischen CNN, al- Dschasira, der Deutschen Welle, der BBC und dem fran- Wir verstehen Kultur als Lebensmittel, aber Kultur ist zösischen Sender. Die drei europäischen Länder haben und bleibt auch Teil der Schülerspeisung. Deshalb brau- zusammen aber einen kleineren Etat für ihren internatio- chen wir engere Kooperationen von Theater und Schule. nalen Rundfunk als CNN oder al-Dschasira allein. Europa Medienkompetenz zu vermitteln, ist Auftrag der Schule. braucht eine gemeinsame Stimme, und wir brauchen eu- Schulunterricht mit Künstlern und Kultureinrichtungen ropäische Medien. muss in den Schulen auf die Tagesordnung gesetzt wer- den. Die Enquete-Kommission bittet deshalb die Länder Es gibt eine Gemeinsame Außen- und Sicherheitspo- um Kooperation, aber wir bieten auch Kooperation. Die litik und eine gemeinsame Präsenz außerhalb Europas. Enquete-Kommission will nicht über Zuständigkeiten Deshalb brauchen wir auch europäische Kulturinstitute streiten, sondern mit allen Zuständigen die kulturelle unter einem Dach. In einem ERASMUS-Institut bei- Bildung in Deutschland stärken und die europäische spielsweise könnten wir künftig außerhalb Europas zei- Kultur durch die Vielfalt der Kulturen voranbringen. gen: Was ist europäische Kultur, und was sind europäi- sche Werte? Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. Den Franzosen ist es mit den Lieux de mémoire ge- (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und dem lungen, zu zeigen: Was sind die Kultur und die Ge- BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Ab- schichte Frankreichs? Wir brauchen in und für Europa geordneten der LINKEN und des Abg. Hans- etwas Vergleichbares, damit man sehen kann, wie die eu- Joachim Otto [Frankfurt] [FDP]) 13890 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 133. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. Dezember 2007

(A) Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus- (C) Ich schließe die Aussprache. ses für Ernährung, Landwirtschaft und Verbrau- cherschutz (10. Ausschuss) Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf den Drucksachen 15/5560 und 16/7000 an den Aus- – Drucksache 16/7503 – schuss für Kultur und Medien vorgeschlagen. Sind Sie Berichterstattung: damit einverstanden? – Das ist der Fall. Dann sind die Abgeordnete Franz-Josef Holzenkamp Überweisungen so beschlossen. Dr. Wilhelm Priesmeier Ich rufe die Tagesordnungspunkte 4 a bis 4 e auf: Hans-Michael Goldmann Dr. Kirsten Tackmann a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Peter Cornelia Behm Bleser, Wolfgang Zöller, Klaus Hofbauer, weite- rer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU e) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be- sowie der Abgeordneten Dr. Gerhard Botz, richts des Ausschusses für Ernährung, Landwirt- Waltraud Wolff (Wolmirstedt), Ingrid Arndt- schaft und Verbraucherschutz (10. Ausschuss) Brauer, weiterer Abgeordneter und der Fraktion – zu der Unterrichtung durch die Bundesregie- der SPD rung Unsere Verantwortung für die ländlichen Agrarpolitischer Bericht 2007 der Bundesre- Räume gierung – Drucksache 16/5956 – – zu dem Entschließungsantrag der Abgeordne- Überweisungsvorschlag: ten Cornelia Behm, Ulrike Höfken, Bärbel Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Höhn, weiterer Abgeordneter und der Fraktion Verbraucherschutz (f) Finanzausschuss BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN zu der Unter- Ausschuss für Wirtschaft und Technologie richtung durch die Bundesregierung Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung Agrarpolitischer Bericht 2007 der Bundesre- Ausschuss für Bildung, Forschung und gierung Technikfolgenabschätzung Ausschuss für Tourismus – Drucksachen 16/4289, 16/5599, 16/6864 – Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union Berichterstattung: b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Abgeordnete Peter Bleser (B) Dr. Kirsten Tackmann, Kornelia Möller, Werner Waltraud Wolff (Wolmirstedt) (D) Dreibus, weiterer Abgeordneter und der Fraktion Hans-Michael Goldmann DIE LINKE Dr. Kirsten Tackmann Arbeitgeberzusammenschlüsse zur Stärkung Cornelia Behm ländlicher Räume Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für – Drucksache 16/4806 – die Aussprache eineinhalb Stunden vorgesehen. – Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Wirtschaft und Technologie (f) Ich eröffne die Aussprache. Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz (Unruhe) Ausschuss für Arbeit und Soziales Ausschuss für Tourismus – Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich würde gerne dem Herrn Minister Horst Seehofer das Wort geben. c) Beratung des Antrags der Abgeordneten Hans- Michael Goldmann, Dr. Christel Happach-Kasan, (Peter Bleser [CDU/CSU]: Tun Sie es doch!) Dr. Edmund Peter Geisen, weiterer Abgeordne- Herr Minister, Sie haben das Wort. ter und der Fraktion der FDP

EU-Arbeitnehmerfreizügigkeit im Agrarbe- Horst Seehofer, Bundesminister für Ernährung, reich einführen – praxisuntaugliche Erntehel- Landwirtschaft und Verbraucherschutz: ferregelung auslaufen lassen Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kol- – Drucksache 16/6643 – legen! Wir diskutieren über einen Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und der SPD mit dem Titel „Unsere Ver- Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Arbeit und Soziales (f) antwortung für die ländlichen Räume“. Ich bin beiden Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Fraktionen sehr dankbar, dass dieses Thema noch in die- Verbraucherschutz sem Jahr in die öffentliche Debatte eingeführt wird; denn d) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesre- nach wie vor leben in den ländlichen Räumen Deutsch- gierung eingebrachten Entwurfs eines Fleischge- lands die meisten Menschen. Die Umbrüche, die infolge setzes der Globalisierung und des demografischen Wandels überall stattfinden, haben besondere Auswirkungen auf – Drucksache 16/6964 – den ländlichen Raum, wie wir wissen. Ich denke, diese Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 133. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. Dezember 2007 13891

Bundesminister Horst Seehofer (A) Debatte macht deutlich, dass die Politik die Menschen deutschen Landwirtschaft keine Zukunftsperspektive (C) im ländlichen Raum nicht alleine lässt, sondern dass wir hat. alles unternehmen, damit aus diesen Umbrüchen im (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- ländlichen Raum ein Aufbruch für die Menschen im neten der SPD) ländlichen Raum wird. Deshalb ist es die Politik der Bundesregierung, alles (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) dazu beizutragen, dass die deutsche Landwirtschaft Die Bundesregierung hat seit über einem Jahr in ganz eine gute Zukunftsperspektive hat. Ohne dass wir uns zu Deutschland Diskussionen zu allen Facetten und Proble- sehr selbst loben wollen, denke ich, für die Koalition sa- men des ländlichen Raums durchgeführt. Wir werden gen zu können, dass uns das in den letzten 24 Monaten das Ergebnis nicht nur in dieser Debatte, sondern auch gelungen ist. auf der Grünen Woche im Januar des nächsten Jahres ge- Es gibt eine Aufbruch- und Investitionsstimmung in bündelt vorstellen. Ich möchte für die Bundesregierung der Landwirtschaft. Wir befinden uns mitten in der zwei- drei Schwerpunktbemerkungen machen, die als roter Fa- ten „grünen Revolution“. Die Landwirte haben heute so den, als Leitplanken für die weitere Diskussion zu die- viele Funktionen – man kann sogar von Multifunktion sem Thema geeignet sind. sprechen – zu erfüllen wie nie zuvor in der landwirt- Der erste Punkt. Es gibt die sogenannte Berliner Stu- schaftlichen Geschichte. Diese reichen von der Nah- die, die für den Landtag in erstellt wurde. rungsmittelproduktion über Dienstleistungen – ich In den neuen Ländern sind die Auswirkungen des demo- denke, lieber Tourismusbeauftragter Ernst Hinsken, an grafischen Wandels und der Globalisierung auf den länd- Freizeit, Erholung, Tourismus und Urlaub auf dem Bau- lichen Raum schon heute zu registrieren. Diese Berliner ernhof – bis hin zur Funktion als Energie- und Rohstoff- Studie, die insgesamt sehr gut ist, hat als Reaktion auf wirt. Diese Multifunktion zusammen mit dem Multita- die Veränderung im ländlichen Raum einen Vorschlag lent Landwirt beschreiben wir als zweite „grüne gemacht, nämlich ob man zur Vermeidung von Doppel- Revolution“. investitionen nicht den Menschen, die in peripheren ländlichen Gebieten leben, eine Prämie dafür zahlen Als eine Maßnahme zur Stärkung des ländlichen sollte, dass sie in städtische Gebiete umsiedeln. Denn da- Raums werden die Bundesregierung und die Koalition mit würde man vermeiden, zweifach Infrastrukturmaß- deshalb die Unterstützung der deutschen Landwirtschaft nahmen finanzieren zu müssen, die dann möglicher- weiter betreiben. Gerade aufgrund der Erfahrungen der weise nicht ausgelastet sind. aktuellen Energiepolitik – dazu gehören Energiesicher- heit, Energiepreise und Klimaschutzziele – sollten wir (Peter Bleser [CDU/CSU]: Alle in ein Hoch- den Ehrgeiz entwickeln, uns nicht auch noch in der Nah- (B) (D) haus!) rungsmittelproduktion in größerem Umfange von Im- porten abhängig zu machen. Wir sollten vielmehr dafür Deshalb ist es mir wichtig, dass wir als Bundesregie- sorgen, dass die Landwirtschaft in Deutschland und Eu- rung nicht für eine solche – wie wir sie nennen – ropa die Nahrungsmittelproduktion so gewährleistet, „Fluchtprämie“ sind, sondern am verfassungsrechtlichen dass wir diesbezüglich nicht im gleichen Maße vom Gebot einer gleichgewichtigen Entwicklung in Deutsch- Ausland abhängig werden wie bei der Energieversor- land festhalten. Das heißt, dass wir für alle Teilräume in gung. Deutschland Chancen eröffnen wollen, sodass die Men- schen dort leben und arbeiten können, und Stadt und (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD – Peter Land nicht gegeneinander ausspielen. Bleser [CDU/CSU]: Ganz richtig!) (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Ich möchte in diesem Zusammenhang auf einen Punkt eingehen, der in der aktuellen Diskussion immer Es gilt für uns weiterhin das Gebot des Grundgeset- wieder angeführt wird: Ist es auf Dauer möglich, dass zes, gleichgewichtige Chancen für alle Teilräume die Bauern auf unseren Ackerflächen nicht nur Nah- Deutschlands zu eröffnen. Der alte Satz aus dem Volks- rungsmittel produzieren, sondern auch Energie? Ich habe mund „Stadt und Land – Hand in Hand“ ist auch im Zeit- mir einmal die Zahlen heraussuchen lassen, wie viel Flä- alter der Globalisierung richtig. Das Schöne an der Dis- che wir in Deutschland außerhalb der Landwirtschaft kussion der letzten Monate ist, dass niemand den täglich für Infrastrukturmaßnahmen und als ökologische Versuch unternommen hat, Stadt und Land gegeneinan- Ausgleichsflächen für größere Infrastrukturmaßnahmen der auszuspielen, sondern dass es einen allgemeinen verbrauchen. Es sind das 110 Hektar täglich. Im Rahmen Konsens gibt, dass nur im vernünftigen Zusammenwir- unserer Nachhaltigkeitsinitiative haben wir als Bundes- ken von Städten und ländlichen Räumen für beide eine regierung das Ziel, diese 110 Hektar im Jahre 2020 auf gute Entwicklung gewährleistet werden kann. 30 Hektar zu reduzieren. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Ich nenne Ihnen diese Zahl aus folgendem Grund: Der zweite Punkt. Naturgemäß ist die Landwirtschaft Wenn wir über Flächenkonkurrenz in Deutschland dis- – nicht nur, aber vor allem – im ländlichen Raum zu kutieren, dann sind wir meiner Meinung nach gut bera- Hause. Die Bedeutung des ländlichen Raums erschöpft ten, zuallererst diesen Flächenverbrauch von 110 Hektar sich natürlich nicht in der Landwirtschaft. Aber ich zurückzudrängen und den Bauern nicht einzureden, dass möchte festhalten, dass der ländliche Raum ohne eine unsere Flächen nicht für Nahrungsmittelproduktion und positive, dynamische und innovative Entwicklung der Energieproduktion ausreichen würden. 13892 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 133. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. Dezember 2007

Bundesminister Horst Seehofer (A) (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) den Tag für Schlagzeilen gut ist, aber für die betroffenen (C) Menschen von ungeheurer Bedeutung ist, in dieser Form Die Zurückdrängung des Flächenverbrauchs ist daher in die öffentliche Debatte eingeführt haben. eine viel größere Aufgabe für die weitere Politik. Herzlichen Dank. Der dritte Punkt – auch da ist die Studie des Berlin- Instituts, das im Auftrag des Landtags Brandenburg die (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Folgen des demografischen Wandels untersucht hat, le- senswert –: Wir dürfen die Politik für den ländlichen Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: Raum nicht auf eine sektorale Betrachtung reduzieren. Es Nächste Rednerin ist die Kollegin Dr. Christel wird das wunderschöne Beispiel angeführt, dass manche Happach-Kasan, FDP-Fraktion. Kommunen geglaubt haben, eine Schule aus Kostengrün- den stilllegen zu müssen. Die Stilllegung der Schule hat (Beifall bei der FDP) jedoch dazu geführt, dass die Kinder über weite Strecken in die nächste Schule zu befördern waren, und früher oder Dr. Christel Happach-Kasan (FDP): später sind auch die Eltern aus dem ländlichen Raum Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und weggezogen. Diese Stilllegung war also im Ergebnis Kollegen! Sehr verehrter Herr Minister, ich bedanke kontraproduktiv für die Zukunft des ländlichen Raumes. mich zunächst einmal, dass Sie, anders als bei der Haus- Deshalb ist der bemerkenswerte Satz formuliert worden: haltsdebatte, bei diesem Tagesordnungspunkt als Erster Wer Bildungseinrichtungen aus dem ländlichen Raum gesprochen haben, sodass ich Ihnen antworten kann. abzieht, leitet den Tod der Fläche ein. Ich freue mich, dass Sie ein integriertes Konzept für (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und der den ländlichen Raum vorlegen wollen; ich warte ge- LINKEN) spannt darauf. Ich teile Ihre Auffassung, dass Bildung Jenseits aller Zuständigkeiten – die natürlich nicht alle für den ländlichen Raum ein ganz wichtiges Thema ist. bei unserem Ministerium liegen, oft nicht einmal beim Ich darf aber auch sagen: Das ist Ländersache. Insofern Bund liegen – müssen wir auf ein integriertes Konzept würde ich meine Rede gerne auf die Themen fokussie- für den ländlichen Raum hinwirken. Dieses Konzept ren, die tatsächlich die Themen Ihres Hauses sind. darf nicht nur Landwirtschaft und Förderung des ländli- (Beifall bei der FDP) chen Raumes beinhalten, es muss von der medizinischen Versorgung über die Bildungseinrichtungen bis hin zum Die Produktion von Nahrungsmitteln, die Bereitstel- bürgerschaftlichen Engagement alles umfassen. lung von Energie, die Pflege der Kulturlandschaft, der (B) Klimaschutz, das sind vier Tätigkeitsfelder der Land- und (D) (Peter Bleser [CDU/CSU]: Sehr richtig!) Forstwirtschaft, die für unsere Gesellschaft absolut un- Wir fördern – darauf werden meine Kolleginnen und verzichtbar sind. Verschiedene Regionen in Deutschland Kollegen noch eingehen – in verstärktem Maße die sind besonders durch die ländlichen Räume geprägt; das Wertschöpfung im ländlichen Raum. Wir haben die sind unsere Urlaubsregionen: Schleswig-Holstein, Meck- Mittel für die Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der lenburg-Vorpommern und natürlich auch Bayern. Agrarstruktur“ erhöht. Aber auch die Energieleitungen (Zuruf von der CDU/CSU: Thüringen!) im ländlichen Raum und der schnelle Internetanschluss sind wichtige Voraussetzungen, um dem ländlichen Wir können uns inzwischen – das wird vielfach er- Raum Perspektiven zu eröffnen. wähnt – über gerechtere Preise für landwirtschaftliche Produkte freuen. Aber, liebe Kolleginnen und Kollegen, (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- es darf nicht außer Acht gelassen werden, dass das mo- neten der SPD) natliche Einkommen je Familienarbeitskraft in der Ich möchte noch darauf hinweisen, dass wir uns ent- Landwirtschaft im Schnitt noch immer unter dem Ver- schlossen haben, ab Januar des nächsten Jahres auf jeder gleichslohn in der gewerblichen Wirtschaft liegt. Auch Grünen Woche in Berlin das Thema „ländlicher Raum“ das ist eine Schwäche der ländlichen Räume. Wir müs- im Rahmen einer ständigen Konferenz mit allen Betei- sen daran arbeiten, dass dies besser wird. ligten in Deutschland zu diskutieren und die Ansätze Starke landwirtschaftliche Unternehmen erwirtschaf- weiterzuentwickeln; diese Konferenz wird eine ständige ten zurzeit höhere Einkommen. Der weltweit gestiege- Einrichtung werden. nen Nachfrage sei es gedankt. Ich darf aber auch sagen: Die Reform der Forschungseinrichtungen in meinem Ein insgesamt schwacher Minister fällt da nicht mehr Ressort, die ja Gott sei Dank mit Ihrer Unterstützung ab- weiter ins Gewicht. geschlossen ist, wird auch den Schwerpunkt haben, Ent- (Zurufe von der CDU/CSU: Oh!) wicklungslinien für den ländlichen Raum aufzuzeigen. Ich denke, dass wir uns hier nicht auf Stimmungen und Ein Sprichwort besagt: Wo viel Licht ist, ist auch viel vage Gerüchte verlassen sollten, sondern die Zukunft Schatten. – Sie, Herr Minister, schaffen es, mit ganz we- des ländlichen Raums auf wissenschaftlicher Basis ge- nig Licht jede Menge Schatten zu produzieren. Das ist stalten sollten. Ihr Geheimrezept. Ich bin sehr dankbar, dass die beiden Koalitionsfrak- (Beifall bei der FDP – Peter Bleser [CDU/CSU]: tionen das Thema „ländlicher Raum“, das zwar nicht je- Hohe Bäume fangen viel Wind! – Bartholomäus Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 133. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. Dezember 2007 13893

Dr. Christel Happach-Kasan (A) Kalb [CDU/CSU]: Sie sind doch normalerweise bestimmten Verbänden immer wieder thematisierten ge- (C) viel netter!) fühlten Risiken. Ich nenne Pflanzenschutzmittelrück- stände und Grüne Gentechnik. Durch die günstige Weltkonjunktur wird die schlechte Bilanz verschleiert. 75 Prozent der deutschen Landwirte Das Auftreten der Vogelgrippe Anfang des Monats in erzielen ihr Einkommen über die Veredelung. 60 Prozent Polen – 4 000 Puten wurden getötet – zeigt, dass wir na- des Einkommens in der Landwirtschaft stammen aus der hezu jederzeit mit dem Auftreten des Virus rechnen müs- Veredelung. Kreise mit starker Veredelungswirtschaft sen. Die Tötungspolitik zur Eindämmung von Tierseu- haben Vollbeschäftigung. Das zeigt, dass die Verede- chen ist angesichts regional hoher Bestandsdichten eine lungswirtschaft die besondere Zuwendung einer dem Politik des vergangenen Jahrhunderts. Wir brauchen die ländlichen Raum verpflichteten Agrarpolitik braucht. Abkehr der EU von der Nichtimpfpolitik. Das dient dem Liebe Kolleginnen und Kollegen von der CDU/CSU und Tierschutz. von der SPD, in Ihrem Antrag kommt das allerdings re- lativ wenig zur Geltung. (Beifall bei der FDP) (Beifall bei der FDP – Peter Bleser [CDU/ Die Blauzungenkrankheit hat sich in Deutschland CSU]: Das ist so banal! Das muss man gar erschreckend schnell ausgebreitet. Die Einschätzung der nicht aufschreiben!) Bundesregierung, durch den Winter würde das Problem beseitigt werden, war falsch. Es ist dadurch zu spät mit Die Agrarwirtschaft und insbesondere die Verede- der Entwicklung eines Impfstoffes begonnen worden. lungswirtschaft brauchen verlässliche politische Rah- menbedingungen. Dazu gehört die klare Festlegung, In dem gestern im Ausschuss beratenen Fleischgesetz dass die Milchquote im Frühjahr 2015 ausläuft. – das ist nur ein Beispiel – werden die Interessen der Produzenten, sprich: der Landwirte, nicht ausreichend (Peter Bleser [CDU/CSU]: Das wissen wir berücksichtigt. Der Wert eines Schlachtkörpers muss mit doch!) geeichtem Gerät bestimmt werden. Jede Apotheker- – Kollege Bleser, ich freue mich, dass du das weißt. Mi- waage ist geeicht. Warum nicht auch die Geräte für die nister Seehofer scheint das aber nicht zu wissen. – Es ist Bestimmung des Schlachtkörpergewichtes? Weiter fehlt verantwortungslos, die Transparenz. (Beifall bei der FDP) Weitere Bürokratie und Wettbewerbsnachteile bringt der sogenannte Tierschutz-TÜV. Die Schweinehalter, den Menschen das Wissen, dass die Quote ausläuft, zu die Sie durch die Schweinehaltungsverordnung schon verweigern. Es gibt in der EU keine Mehrheit für die Bei- über Gebühr mit Kosten belastet haben, sollen gleich (B) behaltung der Milchquote. Der Deutsche Bauernverband (D) zweimal bezahlen: zum einen aufgrund des Fleischgesetzes und der Milchindustrie-Verband haben sich für die Ab- und zum anderen aufgrund des Tierschutz-TÜV. Das ist schaffung der Quote ausgesprochen. Die Abschaffung ist inakzeptabel. überfällig, weil durch die Quote unternehmerische Ent- scheidungen behindert und die deutschen Landwirte (Beifall bei der FDP) vom wachsenden Weltmarkt abgeschnitten werden. Wir wollen, dass die Landwirte ihr Einkommen am Markt Die steigenden Futtermittelpreise – der Sojapreis ist mit guten Preisen erwirtschaften. um fast 50 Prozent höher als im vergangenen Jahr – belas- ten die Veredelung und die Schweinehaltung. Es besteht Herr Minister Seehofer, Sie haben in der FA Z vom regional eine Nutzungskonkurrenz. Herr Minister, ich 27. September 2006 gesagt: stimme Ihnen zu, dass wir die Versiegelung von Flächen Ich beobachte in Bayern pausenlos, wie Gelder zurückdrängen müssen. Das hilft uns bei der Thematik ohne Sinn und Verstand verteilt werden. Nutzungskonkurrenz aber nur wenig. Es ist gut, dass es inzwischen keine Flächenstilllegungen mehr gibt. Gleichzeitig wird in Punkt 4 des Antrages gefordert, Bei der Novellierung des EEG muss berücksichtigt ... sich auch zukünftig im Rahmen der Weiterent- werden, dass ein hoher Nawarobonus verhindert, dass wicklung der bewährten EU-Förderpolitiken für die Reststoffe aus der Ernährungsindustrie und der Land- Stärkung der ländlichen Räume einzusetzen. wirtschaft energetisch in Biogasanlagen genutzt werden. Zur Veredelungswirtschaft sagen Sie allerdings kein Dadurch verstärken Sie die Nutzungskonkurrenzen. Wort. Dort nehmen Sie den Landwirten ihre Möglichkei- Deswegen haben Sie mit dem EEG in der jetzt vorlie- ten, sich ein Einkommen am Markt zu erwirtschaften. genden Fassung eine falsche Weichenstellung vorge- Das ist für den ländlichen Raum eine schlechte Politik. nommen. Das ist agrar- und energiepolitisch falsch; denn es müssen energiereiche Substrate in der Biogasanlage (Beifall bei der FDP – Ernst Hinsken [CDU/CSU]: landen. Das ist aber auch umweltpolitisch falsch; denn Das haben Sie nicht ganz verstanden!) wir wollen, dass die Gülle in der Biogasanlage landet. Die Veredelungswirtschaft braucht eine aktive Politik (Beifall bei der FDP) für die Tiergesundheit. Das ist Voraussetzung für die Ge- währleistung einer hohen Lebensmittelsicherheit. Die Er- Die CDU/CSU hat den Kampf um die Aussetzung der krankungen an Zoonosen bedeuten ein sehr viel höheres nächsten Steuerstufe für den Biodiesel aufgegeben. Sie Risiko als die in der Öffentlichkeit diskutierten und von ist wieder einmal eingeknickt. Auf der Konferenz 13894 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 133. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. Dezember 2007

Dr. Christel Happach-Kasan (A) „Kraftstoffe der Zukunft 2007“ im November dieses Ziele definieren. Der ländliche Raum muss ein attrakti- (C) Jahres klang das anders. ver Standort zum Leben und zum Arbeiten bleiben. (Christian Lange [Backnang] [SPD]: Jetzt müssen (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der Sie mal zum Schluss kommen hier!) CDU/CSU) Die Aussage von Minister Seehofer vor drei Wochen, er Es geht um die Umgebung und die Wirtschaftskraft vor werde für die Aussetzung der Steuererhöhung kämpfen, Ort. Wir müssen bei all den Herausforderungen, die wir hat sich als Muster ohne Wert erwiesen. Die Politik der dort vorfinden, die örtliche Versorgung und die benötigte Großen Koalition ist nicht verlässlich. Infrastruktur stärken und erhalten. Letzter, aber nicht un- wichtiger Punkt: Das, was der ländliche Raum an Heimat (Beifall bei der FDP – Christian Lange [Back- und Tradition beiträgt, muss gewährleistet und erhalten nang] [SPD]: Daran glauben aber nur drei!) bleiben. Das Pflanzenschutzgesetz wäre noch anzusprechen. Wir stoßen auf eine ganze Menge an Herausforderun- Auch da ist die CDU/CSU eingeknickt. Die Reform der gen und Chancen für den ländlichen Raum. Ja, er ist durch Erbschaftsteuer wäre noch anzusprechen. Auch da haben den demografischen Wandel, durch den Verlust an Bevöl- sich die CDU/CSU-Minister mit einer Protokollnotiz be- kerung besonders betroffen. Das macht es teilweise noch gnügt; auch das war nichts. Ein weiteres Stichwort wäre schwieriger als in der Vergangenheit, die Infrastruktur das Gentechnikgesetz. aufrechtzuerhalten. Wir treffen auf Probleme mit Schu- (Abg. Ernst Hinsken [CDU/CSU] meldet sich len und Hochschulen; ich habe das gehört, Herr Minister. zu einer Zwischenfrage) Auch ich glaube, dass der Rückzug der Schulen aus dem ländlichen Raum ein großer Fehler ist. Deshalb muss Ich bin mir ganz sicher: Für eine solche Politik der hier ein klarer Appell an die Landesregierungen erfolgen. Unzuverlässigkeit, der Willkür und der Missachtung Was in Niedersachsen und in Nordrhein-Westfalen im existenzieller Interessen der Landwirtschaft, wie sie die Augenblick passiert, ist ein großer Fehler und bedeutet schwarz-rote Koalition hier an den Tag legt, wäre jede an- eine große Gefahr für den ländlichen Raum. dere Koalition, liebe Kolleginnen und Kollegen von der CDU/CSU, in den schrillsten Tönen gegeißelt worden. (Beifall bei der SPD) (Beifall bei der FDP – Waltraud Wolff [Wol- Wie gewährleisten wir in Zukunft die medizinische mirstedt] [SPD]: Das hätten Sie über Rot-Grün Versorgung, den öffentlichen Nahverkehr und die Versor- genauso gesagt!) gung mit modernen Medien? Genau das sind die Heraus- forderungen im ländlichen Raum, die besonders schwie- (B) (D) Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: rig sind. Aber wir haben auch besondere Chancen. Wir Herr Kollege Hinsken, ich konnte Ihre Zwischenfrage haben dort eine attraktive Kulturlandschaft. Kollege nicht mehr zulassen, weil die Kollegin ihre Redezeit Hinsken, die attraktive Kulturlandschaft ist natürlich die schon überschritten hatte. Nummer eins für den Tourismus in dieser Region. Ich bitte aber alle, diese Kulturlandschaft nicht immer wie- der durch Widerstand in Sachen Naturschutz infrage zu Dr. Christel Happach-Kasan (FDP): stellen und, wie im Augenblick insbesondere Kollege Es tut mir leid, Herr Kollege, ich hätte Ihre Frage gern Koch, mit dem Rücken zur Wand einen Wahlkampf gegen beantwortet. Naturschutz in Deutschland zu machen. Nur mit Natur- (Beifall bei der FDP – Dr. Norbert Röttgen [CDU/ schutz gibt es auch attraktive Kulturlandschaften in diesem CSU]: Wir hätten die Frage gern gehört!) Land. (Beifall bei der SPD) Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: Der breit aufgestellte Mittelstand ist ein weiteres Pfund, Nächster Redner ist der Kollege Ulrich Kelber, SPD- mit dem der ländliche Raum wuchern kann. Der Mittel- Fraktion. stand gewährleistet mit den vielen Dienstleistungen der (Beifall bei der SPD) Zukunft verstärkte wirtschaftliche Möglichkeiten. Die Stabilisierung der Landwirtschaft in den letzten Jahren, Ulrich Kelber (SPD): ausgelöst durch verschiedene Politikinitiativen und durch Veränderungen auf dem Weltmarkt, ist eine weitere Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich werde Chance. Ein Beispiel dafür ist die Veränderung bei den versuchen, nach der Schwarz-Weiß-Malerei von eben nachwachsenden Rohstoffen. Der ländliche Raum wird ein etwas differenzierteres Bild der Agrarpolitik in als Ideenschmiede – nicht nur als Lieferant – für die Nut- Deutschland zu zeichnen. Ich glaube auch, dass die zung von erneuerbaren Energien und von nachwachsen- Menschen die Rituale, zu sagen, der politische Gegner den Rohstoffen in der stofflichen Verwertung gesehen. mache grundsätzlich alles falsch, leid sind, Frau Damit sind neue Produkte und Dienstleistungen verbun- Dr. Happach-Kasan. den. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Aus der Debatte entwickeln sich Beispiele dafür, wo Wenn wir über Verantwortung und Politik für die Politik initiativ werden kann. Wir sind nicht allmächtig, ländlichen Räume sprechen, müssen wir natürlich die wir können nicht alle globalen Trends aufhalten oder ge- Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 133. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. Dezember 2007 13895

Ulrich Kelber (A) stalten. Aber wir können versuchen, Beiträge zu liefern. Umstellungshilfen radikal gekürzt haben, sodass heute (C) Ein Beispiel ist das, was wir im Bereich der erneuerbaren ein Landwirt in Deutschland bei der Umstellung weniger Energien in den letzten sieben, acht Jahren erreicht ha- Geld bekommt als in den osteuropäischen Niedriglohn- ben. Das war der Auftakt zu einer verbesserten Einnah- ländern, dann machen wir einen Fehler. Wir versäumen mesituation für die Bevölkerung im ländlichen Raum, einen Milliardenmarkt, der vor allem den ländlichen insbesondere in der Landwirtschaft, Räumen zugute kommen könnte. Hier muss dringend umgesteuert werden. Es ist ein gutes Zeichen, dass auf (Beifall des Abg. Hans-Josef Fell [BÜND- Initiative der SPD zumindest im Bundeshaushalt ent- NIS 90/DIE GRÜNEN]) sprechende Mittel zur Verfügung gestellt werden. aber auch für diejenigen, die außerhalb der Landwirt- (Beifall bei der SPD) schaft in der Nutzung erneuerbarer Energien und zuneh- mend auch erneuerbarer Rohstoffe tätig werden. Hier Was die Einnahmesituation in der Landwirtschaft an- müssen wir weiter ansetzen und unsere Bemühungen geht, sind die Erzeugerpreise in der Tat in vielen Berei- verstärken. chen gestiegen. Wir wissen aber auch, dass die Land- wirte an vielen Stellen – für Energie, Pestizide und Wir müssen in der Tat dafür sorgen, mit neuen Model- Dünger – höhere Kosten zu tragen haben. Auch hier ist len und Breitbandnutzung Infrastruktur zu ermöglichen. die Umstellung auf eine ökologische Landwirtschaft Beides bedingt sich. Deswegen muss die Politik einfor- hilfreich, weil der Bedarf an den teurer werdenden Gü- dern, dass über die verschiedenen Modelle des Breit- tern sinkt. Insofern hat die Unterstützung bei den Kosten bandzugangs auch jede Privatperson wenigstens im einen Doppeleffekt: Sie trägt zum Klimaschutz und Megabitbereich Zugang erhält, und zwar in beide Rich- gleichzeitig zur Nutzung eines Milliardenmarktes bei, tungen: Download und Upload. der in Deutschland auch 2007 wieder um einen zweistel- (Beifall bei der SPD) ligen Prozentsatz wachsen wird. Dies fordern wir dort ein, wo die Versorgung nicht über Ich freue mich über die Ankündigung von Minister Kabel gewährleistet werden kann, sei es über Funk oder Seehofer, die Konferenz über die Zukunft ländlicher über Satellit. Darauf müssen dann auch bestimmte Ent- Räume regelmäßig durchzuführen. Ich glaube trotzdem, scheidungen ausgerichtet werden. Das heißt, wenn wir dass wir ergänzend dazu den SPD-Vorschlag verwirkli- durch die Digitalisierung Rundfunkfrequenzen gewin- chen sollten, innerhalb der Bundesregierung einen Rat nen, dann müssen wir uns darum bemühen, diese digitale für ländliche Räume zu schaffen, in dem all die Res- Dividende dafür zu nutzen, im ländlichen Raum einen sorts, deren Arbeit die ländlichen Räume tangiert, ihre kostengünstigen Zugang zu Breitband zu schaffen; denn Politik aufeinander abstimmen, sodass in den Verord- (B) wir werden das – egal wie viel Geld wir einsetzen – nungen und Gesetzentwürfen von vornherein die Be- (D) nicht über die normale Verkabelung schaffen. dürfnisse der Dörfer und Städte im ländlichen Raum be- rücksichtigt werden. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) (Beifall bei Abgeordneten der SPD sowie der Abg. Der Megabitbereich für den Privatanschluss ist das Dr. Christel Happach-Kasan [FDP]) eine. Das andere ist die Frage, was die Dienstleister brauchen und was an Telemedizinversorgung notwendig Ich möchte einen letzten Punkt ansprechen, nämlich ist, wenn wir Spezialisten im ländlichen Raum halten die Frage der Finanzierung. Die Große Koalition hat ge- wollen. Was ist an Telelearning für eine gute Schul- und meinsam einiges für die ländlichen Räume erreicht, und Hochschulversorgung an solchen Standorten notwendig? sie hat noch einiges vor. Wir müssen aber auch wissen: Dafür müssen wir in den zweistelligen Megabitbereich Wer der Politik mehr Aufgaben zuordnet, der braucht da- eintreten. Hierzu braucht es weitere Lösungen, die wir für auch mehr Geld. Es ist gut, dass die Mittel für die im Konsens mit der zur Verfügung stellenden Industrie Gemeinschaftsaufgabe im Haushalt 2008 von 615 Mil- erreichen müssen, weil wir in diesem Bereich sicherlich lionen Euro auf 660 Millionen Euro anwachsen. Nach kein Staatsbreitband einführen wollen. Deswegen ist es vielen Jahren gibt es endlich wieder einen Aufwuchs. Im richtig, dass wir mit den Geldern zuerst dafür sorgen, Vergleich zu den Mitteln, die dem ländlichen Raum ver- dass solche Modelle aufgebaut werden. Auf Dauer kann loren gegangen sind, ist dies aber nicht ausreichend. Wir es nicht die Aufgabe des Staates sein, so etwas zu finan- haben durch den 2005 von Bundeskanzlerin Angela zieren und zu subventionieren. Merkel ausgehandelten Kompromiss über die EU-Finan- zierung in der sogenannten zweiten Säule der Agrarpoli- Ich nenne noch zwei weitere Beispiele. Wir müssen tik – in diesem Bereich werden die Maßnahmen zur Stei- uns auf die Frage konzentrieren, wie wir den Ausbau der gerung der Wertschöpfung im ländlichen Raum wie die ökologischen Landwirtschaft vorantreiben können. Förderung der wirtschaftlichen Infrastruktur und Ähnli- Wenn auf der gleichen Fläche durch Umstellung auf ches finanziert – einen Verlust von durchschnittlich über ökologische Landwirtschaft ein Drittel mehr Beschäfti- 300 Millionen Euro im Jahr zu verzeichnen. Also müs- gung möglich ist und wenn selbst bei Produkten, die in sen wir uns darüber unterhalten, wie man diesen Verlust unserem Land wachsen – ich spreche nicht von exoti- ausgleicht in einem Bereich, dem sogar mehr Aufgaben schen Früchten, die auch in Bioqualität nach Deutsch- zugeordnet werden als 2005. Denn es ist eine einfache land kommen –, mehr als die Hälfte des Bedarfs impor- Rechnung: Ein Verlust von 300 Millionen Euro kann tiert werden muss, weil Deutschland die Umstellung auf nicht durch eine Aufstockung der Mittel in Höhe von ökologische Landwirtschaft versäumt und die Länder die 45 Millionen Euro ausgeglichen werden. 13896 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 133. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. 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Ulrich Kelber (A) Das ist der Grund – darüber werden wir uns in der In zweimal 45 Minuten war zu erleben, was die Worte (C) Großen Koalition ausführlich unterhalten müssen –, wa- „Die ländlichen Räume stehen auf der Kippe“ wirklich rum wir gesagt haben, dass wir die Situation höherer Er- bedeuten. Das war nämlich in etwa die Aussage der Stu- zeugerpreise nutzen müssen, um bei den Direktzahlun- die des Berlin-Instituts für den Brandenburger Landtag gen, also dem, was man im Volksmund „Agrar- aus dem Sommer, die Minister Seehofer zitiert hat. An- subventionen“ nennt, Geld einzusammeln und es in die gesichts dieser Situation darf sich Agrarpolitik nicht auf Förderung der ländlichen Räume zu investieren. Wir ha- Landwirtschaftspolitik reduzieren, sie muss Strukturpo- ben den Vorschlag unterbreitet, 8 Prozent davon zu neh- litik für die ländlichen Räume sein. men; das wären weitere 375 Millionen Euro im Jahr. Da- mit wären die Verluste mehr als überkompensiert, und (Beifall bei der LINKEN) wir hätten die Chance, das Geld für die ländlichen Die Studie des Berlin-Instituts spricht von zwei Ent- Räume effektiv zu nutzen. scheidungsoptionen, die die Politik nach Ansicht der (Beifall bei der SPD) Wissenschaftler zeitnah hat. Erste Option, Herr Seehofer: sofortiges Umsteuern, kein Weitermachen. Im Wenn wir diese Chance nicht jetzt ergreifen, in einer Gutachten werden Beispiele genannt, wie man vorgehen Zeit, in der die Landwirtschaft boomt und die Europäi- könnte. Es gibt zum Beispiel selbstverwaltete Zwergen- sche Union ähnliche Vorschläge macht, dann werden wir schulen in Schweden, Polikliniken in Lappland – die gab am Ende erleben, dass in Brüssel vor allem bei den es also nicht nur in der DDR –, selbstverwaltete Mikro- Agrarsubventionen, also der ersten Säule, gekürzt wird regionen in Mexiko, Zukunftsräte in der Schweiz, Dorf- und die Mittel nicht den Regionen zur Verfügung stehen, mobil-Projekte in Österreich. Was diesen Projekten zu- in denen wir sie einsetzen wollen, um die Wirtschafts- grunde liegt, ist ein völlig anderes Denken des kraft und die Attraktivität dieser Regionen zu steigern. ländlichen Raums. In Schweden ist es zum Beispiel poli- Wir sollten also mit einer positiven Verhandlungseinstel- tisches Ziel, die Besiedlung der Inseln vor Stockholm zu lung dort hineingehen und uns nicht auf den Status quo erhalten. Natürlich weiß auch die schwedische Regie- berufen. Das wäre der beste Rat, den man Deutschland rung, dass dazu gehört, dass man dort die öffentliche Da- an dieser Stelle geben kann. seinsvorsorge sichert. So etwas geht, wenn man die Inte- ressen der Menschen höher bewertet und nicht immer (Beifall bei der SPD) nur über Kosten diskutiert. Zudem müssen wir uns – hier treffen sich FDP- und Wenn in der Bundespolitik dieses Umdenken nicht SPD-Position – über den Inhalt der zweiten Säule und endlich einsetzt, dann, so das Berlin-Institut weiter, der Gemeinschaftsaufgabe unterhalten. In der Vergan- bleibt nur eine zweite Option – diese hat Minister (B) genheit ist in vielen Bereichen Geld verplempert wor- Seehofer schon genannt –, die gezielte Entsiedlung, (D) den. Das muss geändert werden. Wenn wir dieses Geld zum Beispiel mit einer Wegzugsprämie. Die Branden- besser ausgeben, dann habe ich um die Zukunft der länd- burger Landesregierung hat ähnlich wie Minister lichen Räume keinerlei Angst. Seehofer aufs Schärfste protestiert. Das ist aber ange- Vielen Dank. sichts der tatsächlichen Politik der Bundes- und Landes- regierung scheinheilig. (Beifall bei der SPD) (Beifall bei der LINKEN) Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: Warum ziehen denn die Menschen aus den ländlichen Ich gebe das Wort der Kollegin Dr. Kirsten Regionen weg? – Sie tun es, weil sie meistens mit den Tackmann, Fraktion Die Linke. Problemen alleine gelassen werden. Fatalerweise erfolgt der Wegzug eben nicht ganz allgemein, sondern sozial- (Beifall bei der LINKEN) und geschlechtsselektiv. Es gehen vor allen Dingen junge, kluge Frauen, weil sich gerade ihre Lebensbedin- Dr. Kirsten Tackmann (DIE LINKE): gungen in den Dörfern deutlich verschlechtern. Das Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und zeigt auch die aktuelle Studie „Gleichstellung im ländli- Kollegen! Liebe Gäste! Vor zwei Wochen sendete der chen Raum“, die im Auftrag meiner Fraktion gerade er- Rundfunk Berlin-Brandenburg eine Dokumentation, die stellt wurde. viel Staub aufgewirbelt hat: Einmal Westen und zurück. Natürlich ist es gut, wenn die Jugend in die Welt hi- Sie wurde auch in der Prignitz gedreht, wo ich seit mehr nauszieht; das hat noch niemandem geschadet. Schlimm als 20 Jahren in einem kleinen Dorf mit etwa 80 Ein- ist nur, dass viele junge Leute selbst dann nicht zurück- wohnern lebe. Ich weiß also, wie schwer das Leben in kommen können, wenn sie es wollen. Woran liegt das? den Dörfern unterdessen geworden ist. Deswegen hat Es fehlen Ausbildungsplätze, Bus- und Bahnverbindun- mich die rbb-Dokumentation nicht erschreckt. Ich kenne gen, Sparkassen- und Postfilialen, Fachärzte sowie so- die Realität. ziale und kulturelle Bildungsangebote. Selbst Behörden- Ja, man kann natürlich darüber streiten, ob die Situa- gänge werden zu Tagesreisen. Kurz: Die Organisation tion wirklich so dramatisch ist, wie dort dargestellt. Aber des Alltags ist in den ländlichen Räumen unterdessen wir sollten aufhören, diese Probleme kleinzureden. sehr schwierig geworden, vor allen Dingen für Ältere und Alleinerziehende. Klar, die Finanzierung der öffent- (Beifall bei der LINKEN) lichen Daseinsvorsorge überfordert die ohnehin über- Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 133. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. Dezember 2007 13897

Dr. Kirsten Tackmann (A) schuldeten Haushalte in den ländlichen Gemeinden. Da- Bahnen sollten auf jeden Fall regional erzeugte Bio- (C) her muss es aus meiner Sicht einen Solidarausgleich kraftstoffe steuerfrei tanken können. zwischen Stadt und Land geben. Das ist sozial gerecht; (Beifall bei der LINKEN) denn die Städter und Städterinnen nutzen den ländlichen Raum durchaus als Erholungsraum. Wir brauchen öffentlich geförderte Beschäftigung. In Berlin schafft der rot-rote Senat damit gerade 10 000 Ar- Es bröckelt aber nicht nur die Infrastruktur. Am drin- beitsplätze. Wir brauchen einen gesetzlichen Mindest- gendsten fehlt in den ländlichen Räumen existenzsi- lohn von 8,44 Euro. Auch das stärkt die regionale Nach- chernde, bezahlte Arbeit. Das hat auch mit politischen frage. Fehlentscheidungen zu tun, auch auf Bundesebene. Wer das Bombodrom in der Kyritz-Ruppiner Heide nutzen (Beifall bei der LINKEN) will, zerstört 15 000 bis 18 000 Arbeitsplätze in dieser Region und dazu alle Zukunftspotenziale, die sie hat. Es gibt zwei akute Bedrohungen für die ostdeutsche Landwirtschaft. Die erste Bedrohung ist die geplante (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten Streichung von mehreren 100 Millionen Euro aus Brüs- des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) sel. Betroffen wären mehr als 5 000 Agarbetriebe, davon über 90 Prozent in Ostdeutschland. Das muss verhindert Wer bei den kleinen Biokraftstofferzeugern mit Straf- werden. Die zweite Bedrohung sind Bodenspekulatio- steuern Gewinne abschöpfen will, die es gar nicht gibt, nen, auch durch die Verkaufspraxis der BVVG. Hier vernichtet Arbeitsplätze im ländlichen Raum. muss dringend eingegriffen werden, und zwar durch die (Beifall der Abg. Dr. Christel Happach-Kasan konsequente Anwendung des Grundstückverkehrsgeset- [FDP]) zes und durch Überprüfung der Vergabepraxis der BVVG. Wer die Mehrwertsteuer um 3 Prozentpunkte erhöht, entzieht Kaufkraft, die zum Beispiel den regionalen Alles das wären aus unserer Sicht erste wichtige Dienstleistungsanbietern fehlt. Im Landkreis Prignitz, in Schritte hin zu Dörfern mit Zukunft. Meine Fraktion be- dem ich wohne, lag die Kaufkraft 2005 mit rund teiligt sich an dem Kreativwettbewerb um die besten 6 000 Euro deutlich unter dem bundesweiten Durch- Ideen mit einem eigenen Antrag. Wir greifen darin ein schnitt von rund 8 500 Euro. Das war Platz 428 von bun- sehr wichtiges Thema auf, nämlich die Tendenz, dass in desweit 439 Landkreisen. Wer Regionalisierungsmittel den Dörfern immer häufiger Arbeit nur zeitweise oder kürzt, ist mitverantwortlich für die Stilllegung von saisonal verfügbar ist. Die Linke will, dass die Arbeit so Bahnlinien. Wer eine Steuerpolitik im Interesse des organisiert wird, dass daraus existenzsichernde Arbeits- Großkapitals und der Reichen macht, ist mitverantwort- plätze werden. (B) lich für die desolaten Kommunalhaushalte, also auch für (D) (Beifall bei der LINKEN) den Ausfall der Kommunen als Arbeit- oder Auftragge- ber. Frankreich hat hier gute Vorarbeit geleistet. In sogenann- (Beifall bei der LINKEN) ten Arbeitgeberzusammenschlüssen bilden verschie- dene Betriebe gemeinsame Pools an qualifizierten Wer die Telekommunikation privatisiert, ist mitverant- Arbeitskräften. Die Angestellten des Arbeitgeberzusam- wortlich für die mangelnde Versorgung mit Breitbandan- menschlusses wechseln dann je nach Bedarf von einem schlüssen. Gesellschaftliche Interessen und Gewinnma- Betrieb zum nächsten. Das funktioniert ähnlich einem ximierung sind heute oft nicht miteinander zu Maschinenring: Dort nutzen Bauern gemeinsam einen vereinbaren. Dabei bleiben auch Einkommenschancen Traktor. Das geht auch beim Personal, wie das Beispiel gerade für Frauen in den ländlichen Räumen auf der Frankreich zeigt. Aktuell gibt es in Frankreich 4 100 Ar- Strecke. Norwegen hat übrigens zum Jahresende eine beitgeberzusammenschlüsse, in denen ungefähr flächendeckende Breitbandversorgung bis zum Polar- 40 000 Menschen Lohn und Brot finden. kreis angekündigt. Die Vorteile für die Mitgliedsbetriebe sind vielfäl- (Ulrich Kelber [SPD]: Woraus finanzieren die tig: Sie können über ein flexibles, bedarfsorientiertes, das?) erfahrenes und qualifiziertes Personal verfügen – das ist angesichts des drohenden Fachkräftemangels ein Gerade weil es auch politische Gründe für die schwie- schwerwiegender Vorteil –; das professionelle Personal- rige Situation in den Dörfern gibt, sagt die Linke: Das management spart Geld; durch Aus- und Fortbildung sowie muss nicht so bleiben. Das darf auch nicht so bleiben. Qualifizierung können arbeitsarme Zeiten überbrückt (Beifall bei der LINKEN) werden. Auch das organisiert der Arbeitgeberzusam- menschluss. Weder Bevölkerungsschwund noch Verarmungstendenzen sind Naturgesetze. Beides sind Folgen falscher Politik. Die Was haben die Beschäftigten davon? Ihre Vorteile sind Linke schlägt zum Beispiel seit Jahren eine Ausbildungs- auch ganz klar: Im Gegensatz zu Saisonarbeitskräften sind platzabgabe vor. Gerade der Ausbildungsplatzmangel sie ganzjährig und vor allen Dingen sozialversicherungs- treibt junge Leute aus den ländlichen Räumen. Wir strei- pflichtig beschäftigt. Sie haben eine abwechslungsreiche ten für kluge Konzepte für einen bürgernahen und be- Tätigkeit. Die integrierte Qualifizierung verbessert ihre zahlbaren öffentlichen Personennahverkehr. Wir wollen Arbeitsplatzchancen, auch außerhalb des Arbeitgeber- die Förderung einer dezentralen Biokraftstoffversorgung zusammenschlusses. Ein Arbeitgeberzusammenschluss ohne Strafsteuer und Beimischungszwang. Busse und sichert und verstetigt also unsichere Arbeitsverhältnisse. 13898 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 133. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. Dezember 2007

Dr. Kirsten Tackmann (A) Das unterscheidet ihn ganz klar von der modernen Skla- – Ja, klar. Schauen Sie in die Tagesordnung. – Dabei ha- (C) verei in vielen Leiharbeitsfirmen. ben wir über denselben Agrarbericht bereits im Juni hier im Plenum debattiert. Offensichtlich glaubt die Große (Beifall bei der LINKEN) Koalition selbst nicht an die Argumente, die sie hier vor Mehr noch: Er schafft sogar existenzsichernde Ar- fünf Wochen zum Besten gegeben hat. Oder folgen Sie beitsplätze, zum Beispiel im Pilotprojekt der Spreewald- einfach dem Prinzip, dass man die größten Abschieds- Forum GmbH. Hier sollten mit Landesförderung die feiern vor allem denjenigen angedeihen lässt, die man Übertragbarkeit der französischen Erfahrungen unter sowieso schon immer loswerden wollte? einheimischen Bedingungen geprüft und die Gründung ei- (Gustav Herzog [SPD]: Kommen Sie mal zur nes ersten Arbeitgeberzusammenschlusses begleitet wer- Sache!) den. Zunächst haben sich dort sieben Betriebe zusammen- geschlossen, vor allen Dingen Landwirtschafts- und – Jetzt komme ich zur Sache. Landschaftsbaubetriebe, aber auch eine Autoverwer- Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Preise für tung. Unterdessen sind es 15 Mitgliedsbetriebe, und Agrarprodukte steigen in einem Maße, wie es sich bis 20 Arbeitsplätze sind geschaffen worden. vor kurzem niemand vorstellen konnte, und die Agrar- In Potsdam-Mittelmark wird gerade die Gründung ei- konjunktur zieht entsprechend an. Das ist eine positive nes weiteren Arbeitgeberzusammenschlusses für März Entwicklung, die wir Grüne begrüßen. Nicht zuletzt hat vorbereitet. Hervorgegangen ist dieser übrigens – das ist die Agrarpolitik der rot-grünen Regierung maßgeblich ganz wichtig – aus einem erfolgreichen Potsdamer Be- dazu beigetragen, diese Trendwende auf den Agrarmärk- treuungsprojekt, Agrotime, für einheimische Erntehelfer. ten herbeizuführen. Unterdessen denken auch sie, dass ein Arbeitgeberzu- (Lachen bei Abgeordneten der CDU/CSU) sammenschluss ein deutlich besserer Weg ist. Ich nenne hier den Bioenergieboom, der durch die Bio- Um eines klar zu sagen: Arbeitgeberzusammenschlüsse gas- und Biokraftstoffförderung der rot-grünen Bundes- lösen keine arbeitsmarktpolitischen Probleme – zumindest regierung einen starken Schub erfahren hat. nicht vordergründig –, sondern sie lösen Probleme kleiner Unternehmen. Auf jeden Fall sind sie ein sinnvollerer (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Beitrag als die FDP-Forderung nach billigen Saison- arbeitskräften. Ich nenne auch den Bioboom, den es ohne die rot-grüne Trendwende in der Agrarpolitik in Deutschland nicht ge- (Beifall bei der LINKEN) geben hätte.

(B) Arbeitgeberzusammenschlüsse haben also viele Gewinner: (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS- (D) die Betriebe, die Beschäftigten und die Gesellschaft; SES 90/ DIE GRÜNEN und der SPD) denn dadurch können Menschen aus der Arbeitslosigkeit oder aus der Perspektivlosigkeit herausgeholt werden. Aber natürlich spielen hier auch Faktoren eine Rolle, Also, liebe Kolleginnen und Kollegen, lassen Sie uns die mit deutscher Politik nichts, aber auch gar nichts zu doch einfach einmal französisch denken. tun haben. (Zuruf von der SPD: Sondern?) Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit. Die gesamte Entwicklung des Weltmarkts hat zu höheren (Beifall bei der LINKEN) Preisen für Agrarprodukte geführt, zum Teil aufgrund der steigenden Nachfrage nach veredelten Agrarprodukten aus Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: den Schwellenländern, zum Teil aufgrund der weltweit Ich gebe das Wort der Kollegin Cornelia Behm, gestiegenen Bioenergienachfrage, und dazu kommen Bündnis 90/Die Grünen. schlechte Ernten in verschiedenen Ländern. Worin allerdings der Beitrag schwarz-roter Agrarpolitik Cornelia Behm (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): zu dem Aufschwung besteht, den wir derzeit erleben, Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich muss zugeben, dass ich über die heutige (Ulrich Kelber [SPD]: Ein langweiliges Ritual!) zweite Debatte zum Agrarbericht 2007 ziemlich über- wird wohl auf immer ein Geheimnis der Großen Koali- rascht bin. Ich erinnere daran, dass die Koalitionsfraktio- tion bleiben. Kollege Bleser nen hier vor genau fünf Wochen beschlossen haben, den jährlichen Agrarbericht abzuschaffen; Begründung: Ab- (Julia Klöckner [CDU/CSU]: Das ist ein guter bau überflüssiger Bürokratie. Wir Grüne haben damals Mann!) dagegengehalten – das machen wir noch heute – und wird zwar nicht müde, bei jeder sich bietenden Gelegen- darauf hingewiesen, wie wichtig es ist, dass die Agrar- heit vor diesem Hohen Hause zu erklären, wie stolz er politik alljährlich Bilanz zieht und dass man über diese auf die Politik ist, Bilanz debattiert. Jetzt, genau fünf Wochen später, setzen Sie nun, zur besten Debattenzeit, eine anderthalbstün- (Zuruf von der CDU/CSU: Er weiß, wovon dige Debatte zum Agrarbericht 2007 auf. er redet!) (Zuruf der Abg. Waltraud Wolff [Wolmirstedt] aber außer dem gebetsmühlenartig wiederholten Hin- [SPD]) weis darauf, man habe für bessere Stimmung unter den Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 133. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. Dezember 2007 13899

Cornelia Behm (A) Bauern gesorgt, weil wieder ein Konservativer Agrarmi- fähigen Flächen oder ein Mindestanteil an ökologischen (C) nister ist, erfahren wir nichts. Die weltweit gute Agrar- Vorrangflächen. Die könnten zwar landwirtschaftlich konjunktur ist jedenfalls nicht das Werk schwarz-roter genutzt werden, aber unter Beachtung bestimmter Natur- Agrarpolitik in Deutschland. schutzziele. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Liebe Kolleginnen und Kollegen, als ich Ihren Antrag Zuruf von der SPD: Ja, Ihre Gebetsmühle ist mit dem Titel „Unsere Verantwortung für die ländlichen besser!) Räume“ in die Hand nahm, war ich zuerst überrascht: Wow! Er enthält viele Bekenntnisse zu den ländlichen Wir Grüne freuen uns über die gute wirtschaftliche Räumen. Das bin ich – abgesehen davon, dass Sie die Lage der Bauern, und sie ist den Bauern auch von Her- Pressemitteilungen des Deutschen Bauernverbandes zen zu gönnen. Das hat nämlich viele Vorteile. Die wiederholen – von Ihnen gar nicht gewohnt. Beim näheren Subventionsabhängigkeit der Landwirtschaft wird Hinschauen zeigt sich aber, dass der Text seinen Höhe- sinken, und das ist sowohl für die Landwirtschaft als punkt schon überschritten hat, bevor der Teil mit den auch für die Steuerzahler eine gute Nachricht. Es ist Forderungen überhaupt beginnt. Anders ausgedrückt: ebenfalls eine gute Nachricht für die vielen Hundert Mil- Auch hier bleibt es ein Geheimnis, woraus Ihre Politik lionen Landwirte in den Entwicklungsländern. für die ländlichen Räume konkret besteht. Aber man darf die Augen vor den Schattenseiten die- (Beifall der Abg. Nicole Maisch [BÜND- ser Entwicklung nicht verschließen. Dazu gehören stei- NIS 90/DIE GRÜNEN]) gende Lebensmittelpreise, die die Inflation treiben und für viele ärmere Bevölkerungsschichten zum Problem Sie wollen die Rahmenbedingungen für die mittelständi- werden – nicht nur hierzulande, sondern insbesondere in sche Wirtschaft verbessern; das ist schön. Wir erfahren den Entwicklungsländern. aber nicht, wie das geschehen soll. Wir dürfen die Augen auch nicht davor verschließen, Sie wollen einwirken, unterstützen, klären und verfol- dass die gestiegene Nachfrage nach Agrarprodukten zu gen, aber wollen Sie auch konkret etwas tun? Ja, Sie einer Intensivierung der Landwirtschaft führt, die wollen weitere Straßen im ländlichen Raum bauen. viele ökologische Probleme mit sich bringt. Extensive Dabei haben wir gerade von Minister Seehofer gehört, Bewirtschaftungsformen und Vertragsnaturschutz, die dass die Flächenversiegelung unbedingt gestoppt wer- für die Erhaltung vieler Biotope und bestimmter Arten den soll. so wichtig sind, werden unattraktiv, wenn die Natur- und (Volker Kauder [CDU/CSU]: In Ballungsge- Umweltleistungen nicht angemessen entgolten und die bieten können wir Flächen freimachen!) (B) Mindereinnahmen nicht ausgeglichen werden. Deshalb (D) ist es verheerend, dass die EU, der Bund und die Länder Trotzdem habe ich in Ihrem Antrag gelesen, dass Stra- die Mittel für die Agrarumweltprogramme zusammenge- ßen gebaut werden sollen. strichen haben. (Zuruf von der SPD: Nur Radwege Der Druck zur Beseitigung von Landschaftselementen reichen nicht!) wie Hecken und Feuchtgebieten steigt, um mehr Acker- Das nenne ich innovativ. Wie viele Arbeitsplätze sind fläche zu gewinnen. Das bedeutet aber auch ein Ende der denn in den vergangenen Jahren durch den Straßenbau vor allem touristisch so attraktiven Kulturlandschaften, im ländlichen Raum entstanden? Mittlerweile weiß die der Minister gegenüber Herrn Hinsken gerade so ge- wirklich jedes Kind, dass die Wirtschaftsentwicklung in lobt hat. Deutschland durch Straßenbau nicht gefördert werden In weiten Teilen des Landes wird immer mehr wertvol- kann. les Grünland umgebrochen. Zwischen 2003 und 2006 (Volker Kauder [CDU/CSU]: Was? So ein haben beispielsweise Nordrhein-Westfalen und Mecklen- Quatsch! – Weiterer Zuruf von der CDU/CSU: burg-Vorpommern 4 Prozent ihres Grünlands verloren. In Völlig falsch!) diesem Jahr haben drei Bundesländer sogar die 5-Prozent- Hürde gerissen. Dieser Entwicklung muss die Politik drin- Jobmaschine Straßenbau: Sie glauben wohl immer noch gend etwas entgegensetzen. Die bisherigen Vorgaben und daran. Maßnahmen zur Erhaltung von extensiven Bewirtschaf- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) tungsformen, von Dauergrünland und von Landschafts- elementen reichen ganz offensichtlich nicht aus. Glauben Sie, dass das Versenken weiterer Millionen in Beton den ländlichen Räumen irgendetwas bringt? Das (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) kann doch wohl nicht Ihr Ernst sein. Auch die Stilllegungspflicht wird bald völlig wegfallen (Volker Kauder [CDU/CSU]: Die können doch – davon ist ganz fest auszugehen –; denn der ursprüngli- nicht auf dem Feldweg fahren! Einen größeren che Anlass, die Verminderung von Agrarüberschüssen, Unsinn habe ich in letzter Zeit nicht gehört! besteht nicht mehr; im Gegenteil. Allerdings waren die Kommt die überhaupt aus dem ländlichen Brachen aus der Flächenstilllegung ein Beitrag zur Er- Raum?) haltung der Artenvielfalt in der Agrarlandschaft. Hier- für muss Ersatz geschaffen werden. Denkbar wäre ein Eine zukunftsfähige Politik für den ländlichen Raum Mindestanteil an Landschaftselementen auf den beihilfe- sieht anders aus. Wir brauchen dafür erstens einen Um- 13900 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 133. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. Dezember 2007

Cornelia Behm (A) bau der europäischen Agrarpolitik, weg von pauschaler Franz-Josef Holzenkamp (CDU/CSU): (C) Subventionsvergabe, hin zu einer Vergütung gesell- Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und schaftlicher Leistungen von Landwirten, die besonders Herren! Ich komme aus dem wunderschönen, wieder er- umwelt- und klimaverträglich wirtschaften. Zweitens folgreichen Niedersachsen, einem Flächenland. müssen wir die GAK endlich zu einer Gemeinschafts- aufgabe „Entwicklung des ländlichen Raums“ umbauen. (Zuruf von der CDU/CSU: CDU-regiert!) Beides sucht man bei Ihnen allerdings vergeblich. Dabei Ein Großteil des Landes ist ländlicher Raum. Heute liegen die Vorschläge auf dem Tisch. Wir brauchen einen sprechen wir über den ländlichen Raum. Niedersachsen Umbau der ersten Säule, hin zu mehr Klimaschutz und ist ein Agrarland. Die Agrarwirtschaft ist nach der Au- zur Ökologisierung der Landbewirtschaftung. tomobilindustrie der zweitwichtigste Wirtschaftszweig. (Beifall der Abg. Nicole Maisch [BÜND- Ich persönlich komme aus dem Oldenburger NIS 90/DIE GRÜNEN]) Münsterland. Wer es nicht kennt, sollte wissen: Es ist Die europäische Landwirtschaft hat auf dem Welt- immer eine Reise wert. Vor 50 Jahren war diese Region markt nur dann eine Chance, wenn sie auf Qualität und ein Armenhaus; heute ist sie die am stärksten boomende konsequenten Umweltschutz setzt. Region in ganz Niedersachsen. Liebe Kollegin Tackmann, mit planwirtschaftlichen Mitteln haben wir (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) dies nicht erreicht. Dafür müssen wir die zweite Säule deutlich stärken. (Beifall bei der CDU/CSU – Dr. Kirsten Auch die zweite Säule – die Entwicklung des ländlichen Tackmann [DIE LINKE]: Eine sehr intelli- Raums – braucht Verlässlichkeit und Planungssicherheit, gente Argumentation!) also das, was Sie für die erste Säule – die Landwirtschaft – immer fordern. Unsere Landwirte leben eben auch von Doch immer wieder, meine Damen und Herren, ste- der zweiten Säule. hen Städte und Metropolen mit ihren Herausforderungen im Vordergrund der politischen Betrachtung, obwohl Wir Grüne wollen eine Agrarpolitik, die konsequent sich in den ländlichen Räumen ein Großteil des wirt- auf mehr Arbeitsplätze setzt; denn das Leben auf dem schaftlichen und gesellschaftlichen Lebens abspielt. Land ist für die Menschen nur dann attraktiv, wenn sie Deshalb freue ich mich heute über die überfällige De- dort auch ihr Brot verdienen können. batte zur Zukunft der ländlichen Räume. Ein paar Zahlen zur Verdeutlichung: Wir reden über etwa 65 Pro- (Volker Kauder [CDU/CSU]: Dafür brauchen zent unserer Bevölkerung. Wir reden über einen Großteil sie Straßen! – Heiterkeit bei Abgeordneten der der Wirtschaftsbetriebe, da die meisten von ihnen im (B) CDU/CSU) (D) ländlichen Raum angesiedelt sind und dort produzieren. – Quatsch! – Wir wollen eine Verbesserung der Lebens- Wir reden über einen Großteil unserer öffentlichen Infra- mittelsicherheit und der Tierseuchenbekämpfung; denn struktur. das Vertrauen der Verbraucherinnen und Verbraucher in Aber – das muss man auch sagen – ländlicher Raum Agrarprodukte aus Deutschland gewinnen wir nur, wenn ist nicht gleich ländlicher Raum. Ländlicher Raum ist wir gesündere und vor allem frischere Lebensmittel als vielfältig: Es gibt einerseits die Regionen, die nahe an unsere Nachbarn anbieten. Ballungszentren liegen, die sogenannten Speckgürtel. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Sie glänzen mit attraktiver Wohnlage, mit gutem Zugang Volker Kauder [CDU/CSU]: Wo ist denn der zu öffentlicher Infrastruktur und einer prosperierenden Tiefensee? Das ist ja eine Attacke!) Wirtschaft. Andererseits gibt es – ich glaube, deshalb unterhalten wir uns auch heute über die ländlichen Schlussendlich wollen wir eine leistungsstarke bäuerliche Räume – die Regionen, die in der Regel entfernt von den Landwirtschaft; Ballungszentren liegen, eine dünnere Besiedlung, eine geringere Bevölkerungsdichte und eine unzureichende (Volker Kauder [CDU/CSU]: Sollen die alles Infrastruktur – da sind wir gefragt! – aufweisen sowie auf einem Karren transportieren?) durch fehlende bzw. immer häufiger in Zentren abwan- denn sie erhält unsere gewachsene Natur- und Kultur- dernde Arbeitsplätze gekennzeichnet sind. Dieses wird landschaft. durch die demografische Entwicklung verstärkt; das ist schon angeklungen. Um diese Abwärtsspirale zu durch- Ich danke Ihnen für die sehr beredte Aufmerksamkeit. brechen, müssen wir den ländlichen Raum – da sind wir (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – uns, wie ich denke, einig – wieder in den Fokus nehmen. Waltraud Wolff [Wolmirstedt] [SPD]: Es war An dieser Stelle möchte ich Minister Seehofer meinen schwierig!) persönlichen Dank aussprechen: Herr Minister Seehofer, Sie haben diese Ausgangslage und die erkennbaren Ten- Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: denzen zum Anlass genommen, einen Diskussionspro- Nächster Redner ist der Kollege Franz-Josef zess zu initiieren, der ja, wie Sie es dargestellt haben, Holzenkamp, CDU/CSU-Fraktion. schon läuft. Einen festen Platz hat er ja zum Beispiel Jahr für Jahr in einer öffentlichen Veranstaltung im Rah- (Beifall bei der CDU/CSU) men der Grünen Woche. Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 133. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. Dezember 2007 13901

Franz-Josef Holzenkamp (A) Meine Damen und Herren, ländliche Räume dürfen – Ja, ich habe vier Kinder. – Das Ergebnis: wachsende (C) nicht nur als grüne Oasen, als Erholungsraum gesehen Bevölkerung und eine Arbeitslosenquote von gut 5 Pro- werden, sie sind auch ein Wirtschaftsfaktor. In den Fäl- zent. Vor 25 Jahren lag sie im Schnitt noch bei 25 Pro- len, wo sie als Wirtschaftsfaktor keine Rolle spielen, zent. Verbesserungen sind also möglich. können sie auch keine erfolgreiche Entwicklung aufwei- sen. Nur so geht es. Wie Sie sehen, ist die Agrarwirtschaft eine Wachs- tums- und Zukunftsbranche. Wenn man so will, findet (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- augenblicklich die zweite grüne Revolution statt. Die neten der SPD) Agrarwirtschaft ist innovativ, vielfältig und nachhaltig. Gott sei Dank gibt es eine Entwicklung von Überschuss- Dafür wollen wir mit unserem Antrag die richtigen An- märkten zu Nachfragemärkten. stöße geben. Um nicht falsch verstanden zu werden: Wir brauchen beides, Stadt und Land. Deshalb unterstützen Die Agrarwirtschaft übernimmt zwei zentrale Aufga- wir auch keine „Fluchtprämien“. ben. Die erste Aufgabe ist die Nahrungsmittelversor- gung für weltweit – das kann man nur global sehen – Es ist schon angeklungen: Die Agrarwirtschaft über- 6,5 Milliarden Menschen; 2050 werden es schon etwa nimmt im ländlichen Raum sowohl aus wirtschaftlicher 9,5 Milliarden Menschen sein. Das ist eine große Sicht als auch aus kulturprägender Sicht eine zentrale Herausforderung. Darin liegt aber auch ein riesiges Rolle. Dieser Bundesregierung, Frau Behm, ist es gelun- Wertschöpfungspotenzial für den ländlichen Raum. gen, die Landwirtschaft wieder in die Mitte der Gesell- schaft zu rücken. Das war vorher nicht so. Dafür möchte (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) ich Ihnen, Herr Minister, als Landwirt auch persönlich Die zweite Aufgabe ist die eines Energielieferanten. Dank sagen. Hier stehen wir selbstverständlich erst am Anfang – aber (Beifall bei der CDU/CSU) mit von uns formulierten, sehr ambitionierten Zielen. Landwirtschaft allein kann eine Region wirtschaftlich Deswegen müssen die Rahmenbedingungen passen. nicht tragen, aber eine erfolgreiche Landwirtschaft ist Verschiedene Vorredner haben schon die EU-Agrarpoli- Voraussetzung für den Erfolg der vor- und nachgelager- tik erwähnt. Wir haben gerade eine große Agrarreform ten Bereiche. Sie finden sich im ländlichen Raum in ei- hinter uns. Ich setze – die Bauern erwarten das auch – ner Vielzahl an Ausprägungen: von Futtermittel- und auf Verlässlichkeit und Berechenbarkeit. Deshalb erwar- Düngemittelproduzenten über den Anlagebau bis hin zur ten wir bis 2013 bei der ersten Säule keine Kürzung der Ernährungswirtschaft. Diese Kette bezeichnet man im Ausgleichszahlungen. Fachjargon als Agribusiness. (B) (Beifall bei der CDU/CSU) (D) (Zuruf von der CDU/CSU: Was heißt das auf Bei diesen Diskussionen muss man auch den gesell- deutsch?) schaftlichen Leistungen gerecht werden, die die Land- Auch hier zur Verdeutlichung ein paar Zahlen: Wir spre- wirtschaft tagtäglich in Deutschland und in Europa bei chen über einen Umsatz in Höhe von 550 Milliarden Einhaltung der höchsten Standards im Tierschutzbereich Euro pro Jahr. Das ist zum Beispiel doppelt so viel wie und im Umweltbereich und der Sozialstandards erbringt. in der Automobilindustrie. Wir sprechen über etwas Im Übrigen bewirken die Ausgleichzahlungen Kauf- mehr als 4,5 Millionen Arbeitsplätze im ländlichen kraft, die im ländlichen Raum bleibt und nicht in irgend- Raum – mit steigender Tendenz. Die Ernährungsbranche welchen Gutachterbüros oder an anderen Orten ver- boomt; ihr Exportanteil beträgt mittlerweile 22 Prozent. schwindet. Auch hier ist eine steigende Tendenz zu verzeichnen: Al- (Peter Bleser [CDU/CSU]: Sehr richtig!) lein in diesem Jahr konnte sie ein Plus von 10 Prozent verzeichnen. Auf nationaler Ebene sind Anpassungen notwendig. Herr Minister, ich bin sehr froh darüber, dass Sie den (Zuruf von der CDU/CSU: 14!) Flächenverbrauch – die Versiegelung beträgt etwa Meine Damen und Herren, ich habe zu Beginn aus 100 Hektar pro Tag – angesprochen haben. Wir müssen gutem Grund über meine Heimat gesprochen. Ihr Erfolg darüber reden; das kann so nicht bleiben, auch wenn es hängt nämlich sehr stark mit dem Agribusiness zusam- eine Herkulesaufgabe wird, daran etwas zu ändern. men. Wir haben bei uns einen sogenannten Cluster für In dem Zusammenhang ist auch der Naturschutz an- Agrartechnologien entwickelt: von der Landwirtschaft gesprochen worden. Naturschutz ist für die Menschen als unverzichtbarem Primärsektor – das möchte ich beto- da. Wir von der CDU/CSU-Fraktion stehen zu dem, was nen – bis hin zur Ernährungswirtschaft. Die Menschen schon jahrhundertelang gilt, nämlich „Schützen durch bei uns haben Arbeit. Sie fühlen sich wohl, sie bleiben, Nützen“ und nichts anderes. sie investieren, und sie gründen auch Familien. In mei- ner Heimat befindet sich der geburtenstärkste Landkreis (Beifall bei der CDU/CSU) in unserer gesamten Republik. Nehmen Sie sich daran ein Beispiel. Aber auch andere Dinge sind von elementarer Bedeu- tung für die Stabilität im ländlichen Raum. Ich nenne (Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU – beispielsweise die Erbschaftsteuerreform. Frau Happach- Zuruf von der CDU/CSU: Herzlichen Glück- Kasan, ich bin davon überzeugt, dass wir hier zu einem wunsch!) guten Ergebnis kommen werden. Ferner ist das Krisen- 13902 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 133. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. Dezember 2007

Franz-Josef Holzenkamp (A) management von elementarer Bedeutung. Der Minister Versorgung ist – das ist angeklungen – ein unverzichtba- (C) spricht es immer wieder an. Beim Bürokratieabbau ha- rer Standortfaktor. Wir wollen das Zusammenleben för- ben wir einiges auf den Weg gebracht. Heute wird noch dern, mehr tun für das Ehrenamt und für die Vereine als das Fleischgesetz verabschiedet. Wir haben ein 30 Jahre Garanten des sozialen Friedens im ländlichen Raum. Für altes Gesetz endlich entrümpelt und einen akzeptablen dies alles brauchen wir ein integriertes Entwicklungs- Kompromiss für die betroffenen Landwirte erzielt. konzept; das ist angesprochen worden. Das werden wir auf den Weg bringen. Unabhängig von den Bedingungen in den ländlichen Regionen gibt es überall das Problem, dass die Infra- In der Umsetzung aber bin ich, Herr Minister – ich struktur nur unzureichend entwickelt ist. Außerdem lei- glaube, da sind wir sehr beieinander –, für einen dezen- det der ländliche Raum besonders unter dem demografi- tralen Ansatz, für das sogenannte Prinzip der Subsidia- schen Wandel. Um diesen Raum zukunftssicher zu rität, weil die Menschen vor Ort einfach besser wissen, machen, stehen wir vor zusätzlichen Aufgaben. Wir wie man dort vorgehen kann. müssen zukünftig mehr für die Verkehrsinfrastruktur tun. Die Lücken bei den Autobahnen müssen endlich ge- Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: schlossen werden. Wir müssen mehr Geld in die Hand Herr Kollege! nehmen. Ich nenne in diesem Zusammenhang die Breit- band-Technologie. Man kann viel meckern. Aber man muss feststellen, dass die Bundesregierung beim Agrar- Franz-Josef Holzenkamp (CDU/CSU): haushalt viel Geld in die Hand genommen hat. Wir sind Frau Präsidentin, ich komme zum Schluss. uns alle einig, dass es im nächsten Jahr noch eine weitere Wir wollen lebendige, pulsierende ländliche Räume. Steigerung geben muss. Dafür brauchen wir bessere Rahmenbedingungen, und (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- deshalb bitte ich Sie alle, unseren Antrag zur Verantwor- neten der SPD) tung für die ländlichen Räume und die dort lebenden Menschen zu unterstützen. Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: Herzlichen Dank. Herr Kollege, die Frau Kollegin Maisch würde gerne (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- eine Zwischenfrage stellen. Würden Sie dies erlauben? neten der SPD)

Franz-Josef Holzenkamp (CDU/CSU): Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: Ja, gerne. (B) Nächster Redner ist der Kollege Dr. Edmund Peter (D) Geisen, FDP-Fraktion. Nicole Maisch (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): (Beifall bei der FDP – Julia Klöckner [CDU/ Danke, Frau Präsidentin. – Herr Holzenkamp, Sie ha- CSU]: Jetzt lob uns mal ein bisschen!) ben über den Flächenverbrauch im Kontext mit dem Na- turschutz gesprochen. Sind Sie der Meinung, dass dem Naturschutz in Deutschland zu viele Flächen zur Verfü- Dr. Edmund Peter Geisen (FDP): gung stehen, oder wie darf ich Ihre Aussage verstehen, Verehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrter Herr Minis- dass man im Zusammenhang mit der Minimierung des ter Seehofer! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Meine Flächenverbrauchs auch über den Naturschutz reden sehr geehrten Damen und Herren! Geht es der Landwirt- muss? schaft gut, geht es den ländlichen Räumen gut. Dort ste- hen meines Erachtens die Stützen unserer Gesellschaft. Franz-Josef Holzenkamp (CDU/CSU): Ich füge hinzu: Eine gute Landwirtschaft ist auch guter Klimaschutz. Ich habe zunächst über den enormen Flächenbedarf gesprochen und darüber, wie wir mit dem immer knap- (Beifall bei der FDP) per werdenden Gut Fläche umgehen. Ich habe von „Schützen durch Nützen“ gesprochen. Kaum gibt es positive Tendenzen im Agrarbereich, die durch den Weltmarkt hervorgerufen wurden, so hö- (Peter Bleser [CDU/CSU]: Das ist genau der ren die Damen und Herren von der Regierungskoalition richtige Ansatz!) nicht auf, zu frohlocken, wie gut es doch der heimischen Landwirtschaft geht. Minister Seehofer hört man nur Ich habe nicht über die Zahl der Naturschutzflächen ge- noch über seine eigene Politik jubilieren – dies zum Är- sprochen, sondern darüber, welche Bedingungen vor- ger der Landwirte und der Landbevölkerung. herrschen und wie man damit umgeht und umgehen sollte. Die Naturschutzflächen sollen nicht, zugespitzt (Beifall bei der FDP – Zuruf von der SPD: Die formuliert, für Menschen gesperrt werden, sondern für Einzige, die sich ärgert, ist die FDP!) die Menschen da sein. Davon habe ich gesprochen. Denn die Fakten sind anders: (Beifall bei der CDU/CSU – Peter Bleser [CDU/ Erstens. Die Landwirtschaft war jahrelang die Infla- CSU]: Naturschutz ist Landwirtschaft!) tionsbremse in Deutschland. Die Einkünfte lagen am Eine flächendeckende öffentliche Infrastruktur von Existenzminimum, die Arbeit wurde nicht honoriert. Es Schulen über Hochschulen bis hin zur medizinischen entstand ein riesiger Investitionsstau. Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 133. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. Dezember 2007 13903

Dr. Edmund Peter Geisen (A) (Peter Bleser [CDU/CSU]: Das haben wir ver- Beitragserhöhungen und Kostensteigerungen für Land- (C) bessert!) wirte führen. Zweitens. Jetzt gibt es seit einigen Monaten eine (Widerspruch bei der SPD) Trendwende, und man vergisst, eine ehrliche Rechnung Die landwirtschaftlichen Krankenkassen sind wiederum aufzumachen: Alle Produktionskosten, insbesondere nicht an den Bundesmitteln, zum Beispiel hinsichtlich die für Futter- und Betriebsmittel sowie die Energiekos- der kostenlosen Familienmitversicherung, beteiligt wor- ten, sind enorm gestiegen. Der Großteil der Kostensteige- den. Das führt zu großer Verunsicherung, aber auch zu rung ist hausgemacht: an erster Stelle durch die Erhöhung Wut und Ärger bei den Betroffenen. der Mehrwertsteuer um 3 Prozentpunkte – eigentlich um 4 Prozentpunkte, rechnet man die Energiepreissteigerun- (Beifall bei der FDP) gen des letzten Jahres hinzu –, an zweiter Stelle durch die Steuersätze für Agrardiesel, die im Vergleich zu anderen Bei der landwirtschaftlichen Unfallversicherung ha- ben wir eine Umstellung des Systems gefordert. Der EU-Ländern Mehrkosten von bis zu 100 Euro pro Hek- tar verursachen. Das macht für einen deutschen Durch- Bund und die BGs stecken stattdessen über 1 Milliarde schnittsbetrieb bis zu 8 000 Euro pro Jahr aus. Euro in eine nicht funktionierende Reform. Auch hier werden Beitragserhöhungen mit Sicherheit die Folge Hier hatte die FDP-Fraktion gehofft, dass Sie, Herr sein. Das sage ich Ihnen voraus. Minister Seehofer, im Rahmen der deutschen Ratspräsi- (Beifall bei der FDP) dentschaft aktiv geworden wären. Ich habe – sozusagen als Hilfestellung – einen Antrag zur Harmonisierung Schönfärberei kann Murks auf Dauer nicht verdecken. der Steuersätze für Agrardiesel in der EU eingebracht. Fehlanzeige! Meine Kolleginnen und Kollegen in der (Beifall bei der FDP) Großen Koalition haben diesen Antrag leider einstimmig Vielen Landwirten geht es noch immer nicht gut. Die abgelehnt. Strukturen der ländlichen Räume sind noch immer ge- fährdet. Sie sind nicht in Ordnung. Mit dieser Regierung (Jürgen Koppelin [FDP]: Unglaublich!) gibt es keine Verlässlichkeit und keine Planungssicher- Drittens. Ihre Erntehelferregelung führt zu höheren heit für die Landwirte und die ländlichen Räume. Die In- Bürokratie- und Arbeitskosten sowie zu Ertragsausfäl- teressen der Landwirte werden beim parteipolitischen len. Ich frage Sie, Herr Minister Seehofer: Warum hören Machtpoker leichtfertig aufs Spiel gesetzt. Sie nicht auf Ihre eigenen Leute, auf die Länderminister Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. und die Kolleginnen und Kollegen aus der eigenen Frak- (B) tion? Forderungen aus Ihren eigenen Reihen gibt es ge- (Beifall bei der FDP – Waltraud Wolff [Wolmirstedt] (D) nug. Können oder wollen Sie sich nicht bei Ihrem Koali- [SPD]: Tosender Beifall bei der FDP!) tionspartner durchsetzen? (Beifall bei der FDP) Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: Ich gebe das Wort dem Kollegen Dr. Gerhard Botz, Zur Erntehelferregelung liegt ebenfalls ein Antrag der SPD-Fraktion. FDP vor, der den Anliegen der Bauern vor Ort viel bes- ser gerecht wird als Ihre nunmehr im dritten Jahr ver- (Beifall bei der SPD) korkste Regelung. Dr. Gerhard Botz (SPD): (Beifall bei der FDP) Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrter Herr Glauben Sie mir; ich weiß, wovon ich rede. Ich habe mit Bundesminister! Werte Kolleginnen und Kollegen! Frau vielen Betroffenen vor Ort gesprochen. Es ist doch billi- Behm, ich möchte eine Vorbemerkung machen: Die Re- ger Populismus, wenn man verkündet, dass auf den dezeit kann immer knapp werden; aber ich war sehr froh, Obst- und Gemüsefeldern das Problem der Arbeitslosig- als Ihre Redezeit zu Ende ging. Ich habe befürchtet, dass keit in Deutschland gelöst wird. Wie hat es der Chefre- der eine oder andere Gast auf der Tribüne, der aus einem dakteur einer landwirtschaftlichen Fachzeitung so schön ländlichen Raum stammt, sich ängstlich in eine Zukunft formuliert? Der eigenen Klientel schaden, um in der Öf- verschlagen sieht, in der er sich mit einem Buschmesser fentlichkeit Punkte zu sammeln! zur nächsten Postdienststelle durchschlagen muss. Wir fordern, dass die Eckpunkteregelung nicht noch (Heiterkeit und Beifall bei der SPD und der einmal verlängert wird und stattdessen die volle Arbeit- CDU/CSU) nehmerfreizügigkeit gewährleistet wird. Wissen Sie ei- Ich komme zur Sache, also zu unserer Verantwortung gentlich, dass in der ganzen EU neben uns nur Österreich für ländliche Räume. Wenn ich in meinem struktur- die Grenzen bis 2009 dichtmacht? schwachen Wahlkreis zu einer öffentlichen Veranstal- (Dr. Kirsten Tackmann [DIE LINKE]: Zu den tung zu diesem Thema einlade, dann führt das immer zu Bedingungen kommt doch keiner mehr!) drei Fakten: Erstens. Der Saal ist voll. Zweitens. Selbst- verständlich sitzen die Landwirte und die Vertreter der Viertens. Auch das kürzlich verabschiedete, ver- vor- und nachgelagerten Bereiche im Saal; sie gehören korkste Gesetz zur Modernisierung des Rechts der land- da auch hin. Drittens. Zur Überraschung dieser Vertreter wirtschaftlichen Sozialversicherung wird schon bald zu stellen sie oft aber nicht die Mehrheit der Anwesenden. 13904 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 133. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. Dezember 2007

Dr. Gerhard Botz (A) Uns als Experten überrascht das nicht. Ich zähle diese an- chen. Ich habe großes Verständnis dafür, dass wir und (C) deren einmal kurz auf: die Kommunalpolitiker, Vertreter vor allen Dingen die Medien immer ein Gipfelthema der Krankenhäuser, der Katastrophenschutzorganisationen, brauchen, an dem wir etwas fast symbolisch festmachen. der Naturschutzverbände und Vertreter der Organisationen, Das ist nicht schlecht. Um nicht falsch verstanden zu die die Kinderbetreuung und vieles mehr in den ländli- werden, sage ich aber: Das ist nur ein Gipfelthema. Da- chen Regionen in der Hand haben. hinter versteckt sich nicht nur der Wunsch, sondern auch die berechtigte Erwartung, dass auch die anderen Struk- Das macht Folgendes klar – das muss klar gesagt wer- turelemente stabilisiert werden. den; das lenkt unser Handeln; das dürfen wir nicht verges- sen –: Unsere Bürger in den ländlichen Räumen haben Frau Behm, ich sage Ihnen: Nicht nur in dem Teil nicht nur bezogen auf die Landwirtschaft eine Erwar- Deutschlands, aus dem ich komme, sondern auch in dem tungshaltung. Wenn es aber um die strukturschwachen Teil, der den anderen seit inzwischen fast zwei Jahrzehn- Räume geht – ich beziehe mich in meiner Rede heute et- ten maßgeblich unterstützt, werden in Zukunft Straßen was stärker auf diese Räume –, dann sind und bleiben gebaut werden müssen; auch das muss man in einem sol- Landwirtschaft und Forstwirtschaft entscheidende chen Zusammenhang einmal sagen. Teile der Wirtschaft. Diese Branchen bieten den Bürgern Erwerbsmöglichkeiten. Hier können sie ihr Einkommen (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) erzielen. Sie sind der Grund für den Verbleib der Bürger in Ich möchte Ihnen an dieser Stelle noch zwei Dinge diesen ländlichen Räumen. Meiner Meinung nach muss sagen. Die Zeit geht wie immer zu schnell zu Ende. das die entscheidende politische Zielstellung bleiben. (Heiterkeit) (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Erstens. Ich bin nicht bereit – ich hoffe, Ihnen geht es Die Erwartungen, die die Bürger, die in diesen Regionen genauso –, mir von Wissenschaftlern empfehlen zu lassen: leben, an uns haben, wachsen; das spüren wir doch alle. Investiert die verbleibenden Fördermittel, die es mit hoher Dabei geht es aber nicht um irgendwelche überzogenen Wahrscheinlichkeit nur noch bis dann und dann gibt, in Horrorbilder oder Ähnliches. Vielmehr wird die Frage die Leuchttürme und die Ballungszentren. Dann geht in an uns gerichtet: Was könnt ihr konkret tun? Ich sage Ih- Wartehaltung, und hofft, dass das geschieht, was wir euch nen eines: Ich bin sehr zufrieden und dankbar, Herr Bun- prophezeien, nämlich dass irgendwann die Ausstrahlungs- desminister – das, was ich jetzt sage, richtet sich an die kraft dieser Mittel, wenn ihr Glück habt, ausreicht, den ei- gesamte Bundesregierung –, dass das im Nationalen nen oder anderen ländlichen Raum zu erleuchten. – Das Strategieplan für die Entwicklung ländlicher Räume reicht den Menschen nicht. 2007 bis 2013 aufgegriffen wurde; denn es war höchste (B) Zeit, dass das geschieht. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU – Volker (D) Kauder [CDU/CSU]: Schon wieder nicht?) Ich hoffe – Herr Minister, Sie wissen ja, wie das ist; denn Sie sind sehr erfahren –, dass dieser Plan nicht ir- Zweitens. Wir brauchen Netzwerke, minimale Kno- gendwann irgendwo verstaubt, sondern dass er in jeder tenpunkte, in die Geld gehen muss. Verehrte Kollegen Abteilung Ihres Hauses immer ganz oben auf dem Tisch von der konservativen Seite, liegt. Da das für alle Häuser gilt, bin ich dankbar, dass (Zurufe von der CDU/CSU: Oh!) auch Vertreter der anderen Ministerien hier anwesend sind. Es handelt sich nämlich um den Nationalen Strategieplan auch deshalb ergibt es einen Sinn, rechtzeitig von der der Bundesregierung für die Jahre 2007 bis 2013. Dieser ersten Säule in die zweite Säule zu wechseln und, bevor Plan ist ein Fortschritt, und dieser Fortschritt ist ein Ver- sie uns endgültig verloren geht, das Geld in landwirt- dienst der Großen Koalition. schaftsnah zu definierende Elemente zu investieren. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) (Beifall bei der SPD – Peter Bleser [CDU/ CSU]: Tun wir doch schon alles!) Zum Schwerpunkt meines Beitrags. Herr Minister, in Punkt eins unseres Papiers, um das wir miteinander ge- Abschließend muss ich sagen – da muss ich hier Ver- rungen haben, ist die Verpflichtung zur Koordinierung schiedene anschauen –: Ich bin enttäuscht. aus Ihrem Haus heraus festgehalten. Wichtig ist, dass dann, wenn es um die Notwendigkeit von Veränderungen (Volker Kauder [CDU/CSU]: Das müssen Sie der Arbeiten oder um die Umgestaltung und Weiterent- nicht sein!) wicklung der GAK geht, die Stimme von außen – ich er- Ich glaube, dass wir in der Mitte richtig liegen. innere nur an den OECD-Prüfbericht vom März 2007 – und die Stimme der Fachleute in unserem Land, zum (Volker Kauder [CDU/CSU]: Die Mitte sind Beispiel der Fachleute, die Ihrem Haus die Ergebnisse wir, nicht Sie!) des Bundesprogramms „Regionen aktiv“ geliefert ha- Wir sollten auch als Politiker – das mag als Schwäche ben, fast identisch sind. Das, also die GAK, ist sicherlich definiert werden – ab und zu mit einem Schuss Emotion nach wie vor ein wichtiges Werkzeug. Aber so, wie es derzeit ist, reicht es nicht mehr aus, um den Bedürfnissen (Heiterkeit und Beifall bei der SPD und der des ländlichen Raumes gerecht zu werden. CDU/CSU) Werte Kolleginnen und Kollegen, viele von Ihnen ha- – diese Freiheit habe ich mir heute genommen – die ben bereits das Thema Breitbandversorgung angespro- Menschen daran erinnern, dass Fördergelder richtig sind, Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 133. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. Dezember 2007 13905

Dr. Gerhard Botz (A) dass sich die Menschen aber immer wieder in benachtei- (Beifall bei der CDU/CSU – Abg. Cornelia (C) ligten Behm [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] meldet sich zu einer Zwischenfrage) (Volker Kauder [CDU/CSU]: Gebieten!) – Darf ich, liebe Frau Kollegin Behm, noch eine zweite ländlichen Gebieten auf sich selber besonnen haben, Bemerkung machen? Vielleicht können Sie diese in Ihre Selbstvertrauen und Kraft geschöpft haben, nach vorne Zwischenfrage einbeziehen. geschaut Frau Kollegin Behm, Sie haben die Verkehrspolitik (Volker Kauder [CDU/CSU]: Und Gottver- und die Infrastrukturpolitik hier negativ angespro- trauen haben!) chen. Es ist meine feste Überzeugung, dass eine intakte Infrastruktur die beste Förderung für den ländlichen und gesagt haben: Hier ist eine Krise, aber diese Krise Raum ist. Ohne eine intakte Infrastruktur gibt es keine bietet auch Chancen. Wir packen es an, wir gehen da Entwicklung des ländlichen Raums. Deswegen brauchen durch und erarbeiten uns eine gemeinsame vernünftige wir gute Straßen und eine insgesamt intakte Infrastruktur Zukunft. im ländlichen Raum. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU – (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Volker Kauder [CDU/CSU]: Ein bisschen Gottvertrauen, Herr Kollege!) Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: Kollegin Behm? Ich gebe das Wort dem Kollegen Klaus Hofbauer, CDU/CSU-Fraktion. Klaus Hofbauer (CDU/CSU): (Beifall bei der CDU/CSU – Hartmut Koschyk Selbstverständlich. [CDU/CSU]: Jetzt spricht der Vater dieses An- (Hartmut Koschyk [CDU/CSU]: Das ist halt trags!) der Charme! – Peter Bleser [CDU/CSU]: Sie ist ja auch nett!) Klaus Hofbauer (CDU/CSU): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine lieben Kolle- Cornelia Behm (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): ginnen und Kollegen! Erlauben Sie mir, Frau Geschätzter Kollege, ich muss jetzt doch einmal an Dr. Happach-Kasan, eine Bemerkung. Sie haben zu unsere Reise nach Ostbayern erinnern. (B) Beginn Kritik an unserem Minister geübt. Ich möchte (D) Ihnen sagen, dass Sie mit dieser Kritik völlig daneben- (Zurufe von der CDU/CSU und von der SPD: gelegen haben. Oh!) (Beifall des Abg. Hartmut Koschyk [CDU/ – Nein, es war keineswegs eine private Reise, die wir da CSU]) unternommen haben. Ich spreche von der Delegations- reise des Unterausschusses „Regionale Wirtschaftspoli- Unser Minister Horst Seehofer leistet für die Landwirte tik“. Wir besuchten drei Landkreise, und auf zwei davon und für den ländlichen Raum eine hervorragende Arbeit. möchte ich zu sprechen kommen: den Landkreis Cham Die Menschen des ländlichen Raums, insbesondere die und den Landkreis Hof. Wir haben gesehen, dass die Bauern, haben Vertrauen in die Politik von Horst Wirtschaftsentwicklung dort sehr unterschiedlich ver- Seehofer. läuft. (Beifall bei der CDU/CSU) Haben Sie sich einmal damit auseinandergesetzt, wie die Wirtschaftsentwicklung dieser beiden Kreise sich zu Liebe Frau Kollegin Behm, wir arbeiten im Unteraus- ihrer Infrastrukturausstattung verhält? Sollten Sie das schuss Strukturfragen sehr eng zusammen, und ich noch nicht getan haben, kann ich Ihnen eine Untersu- schätze Ihre Arbeit. Erlauben Sie mir aber, eine Feststel- chung meines Kollegen empfehlen, der lung zu machen: Ich bin den Verantwortlichen der Koali- sich dieses Problems angenommen hat. Haben Sie Inte- tionsfraktionen sehr dankbar, dass dieses Thema zu einer resse daran? Möchten Sie diese Studie vielleicht zugelei- solch guten Zeit diskutiert und beraten wird. Damit wird tet bekommen? das Thema Landwirtschaft und ländlicher Raum wirk- lich einmal in den Mittelpunkt unserer Arbeit gestellt. (Waltraud Wolff [Wolmirstedt] [SPD]: Nein! Herzlichen Dank dafür, dass wir diese gute Zeit bekom- Weg! – Zuruf von der CDU/CSU: Jetzt aber men haben. nichts Schlechtes über Hof!) (Beifall bei der CDU/CSU – Peter Bleser [CDU/CSU]: Auch unser Fraktionsvorsitzen- Klaus Hofbauer (CDU/CSU): der ist da!) Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich kenne diese Studie, weil der Kollege Hofreiter sie uns im Ver- – Und unser Fraktionsvorsitzender ist da. Er verfolgt die kehrsausschuss zur Verfügung gestellt hat. Ich bitte um Situation sehr genau, und er hat uns in der Fraktion ganz Verständnis dafür, dass ich mit dieser Studie inhaltlich gewaltig bei der Erarbeitung dieses Antrags unterstützt. nicht ganz einverstanden bin, weil die Verkehrspolitik 13906 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 133. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. Dezember 2007

Klaus Hofbauer (A) darin unserer Meinung nach völlig falsch dargestellt Das heißt aber nicht, dass wir die Probleme unter den (C) wird. Wir brauchen eine gute Infrastruktur, weil wir an- Teppich kehren wollen. Deshalb halte ich es für richtig, sonsten insbesondere die strukturschwachen Gebiete und dass wir gemeinsam mit den Ministern Horst Seehofer die ländlichen Räume nicht erschließen können. und ministerienübergreifend integrierte nachhaltige Konzepte für den ländlichen Raum erarbei- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie ten. Die Arbeit für den ländlichen Raum ist eine Quer- bei Abgeordneten der SPD) schnittsaufgabe. Wir müssen – da spielt auch die Kultur- Frau Kollegin Behm, ich bin Ihnen dankbar, dass Sie politik eine Rolle, auch wenn das Länderaufgabe ist – meinen Heimatlandkreis Cham angesprochen haben. In die Verbände einbeziehen. Ich glaube, dies ist von ent- diesem Landkreis, in dem ich früher einmal kommunaler scheidender Bedeutung. Wirtschaftsreferent sein durfte, haben wir bereits vor Ich möchte mich ausdrücklich bedanken für die Pro- 20 Jahren den „Aktionskreis Lebens- und Wirtschafts- gramme zur finanziellen Förderung der ländlichen raum“ gegründet. Darin haben wir Wirtschaft – ein- Räume, zum Beispiel für die GAK, aber auch für die GA schließlich der Landwirtschaft –, Kultur, Schulen usw. im Allgemeinen. Dies sind ganz wichtige Säulen für die einbezogen, um eine Region gemeinsam zu entwickeln. strukturschwachen Gebiete. Herr Kelber, ich vertrete Die Entwicklung sieht folgendermaßen aus: Im Jahr hier eine andere Auffassung als Sie: Wir wollen nicht, 1983 hatten wir im damaligen Landkreis Kötzting, ei- dass das, was unsere Landwirte an Mehreinnahmen ha- nem Teil meines Wahlkreises, im Winter eine Arbeitslo- ben, abgezogen und in andere Programme gesteckt wird. senquote von 48,3 Prozent. Jetzt haben wir eine Arbeits- Seien wir froh, dass unsere Bäuerinnen und Bauern losenquote von 3,5 Prozent. Mehreinnahmen haben! Das muss bei den Bauern blei- ben. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- neten der SPD) (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Das ist die Entwicklung aufgrund einer guten Infrastruk- Ich möchte nicht verhehlen, dass wir uns mit den Pro- turpolitik. grammen intensiv auseinandersetzen müssen. Im Mo- ment läuft auf europäischer Ebene die Finanzierungspe- Meine Damen und Herren, mit dem gemeinsamen riode 2007 bis 2013. In dieser Periode sind die Weichen Antrag der beiden Koalitionsfraktionen wollten wir ei- für den ländlichen Raum im Großen und Ganzen richtig nes erreichen: Der ländliche Raum soll nicht zum An- gestellt. Jetzt müssen wir die Programme vor Ort mit hängsel der Ballungsräume – allein wichtig in den Berei- sinnvollen Projekten umsetzen. Dafür brauchen wir re- chen Naturschutz und Erholung – degradiert werden. gionale Organisationen. Es ist aber auch die Aufgabe des (B) Vielmehr wollen wir mit diesem Antrag klarstellen, dass Parlaments, gemeinsam mit dem Minister bereits an die (D) Ballungsräume und der ländliche Raum gleichwertige nächste Finanzierungsperiode zu denken. Die Weichen und gleichberechtigte Partner sind, die auf gleicher Au- für die Finanzierungsperiode ab 2013 werden im Jahre genhöhe miteinander kommunizieren müssen. 2008 gestellt; schon 2008 werden auf europäischer (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Ebene die ersten Punkte festgelegt. Es wird entscheidend darauf ankommen, dass wir diesen Prozess für die länd- Mir ist es ein Anliegen – wie Sie, Herr Kollege lichen Räume gestalten. Kelber, es bereits gemacht haben –, die Stärken des Erlauben Sie mir, die Versorgung mit Breitbandan- ländlichen Raumes zu unterstreichen. Als Vertreter des schlüssen anzusprechen. Herr Minister, wir sind Ihnen ländlichen Raumes sollten wir von dieser Jammertal- sehr dankbar, dass Sie sich dieses Themas gemeinsam mentalität wegkommen. Wir sollten die Stärken des mit Michael Glos angenommen haben. Wir sind uns ei- ländlichen Raumes herausstellen und den ländlichen nig in der Auffassung, dass die Breitbandvernetzung Raum selbstbewusst erläutern. keine Sache der nächsten 20 Jahre ist, sondern in den Auf einer Veranstaltung des Kollegen Koschyk mit nächsten zwei, drei Jahren geregelt werden muss. Kommunalpolitikern und der CSU-Landesgruppe ist (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und der kürzlich bei der Diskussion über den ländlichen Raum FDP) ein junger Mann aufgestanden und hat sehr selbstbe- wusst gesagt, dass wir als Bewohner des ländlichen Ich bin davon überzeugt, dass schon heute viele Ansied- Raums ganz anders auftreten sollten, weil es bei uns lungsentscheidungen – ob einer ein Haus bauen will; ob Qualitäten gibt einer eine Existenz gründen will; ob einer einen mittel- ständischen Betrieb erweitern will – davon abhängen, ob (Volker Kauder [CDU/CSU]: Sehr richtig!) Breitbandanschlüsse verfügbar sind. Deswegen ist es gut, dass unser Minister die Weichen gestellt hat, ge- wie die, dass man sich ein Häuschen bauen kann, gute meinsam mit den Ländern entscheidende Schritte zu ma- Arbeitsplätze findet, eine hohe Lebensqualität hat, die chen. Natur vor der Haustür ist und es ein gutes kulturelles Angebot gibt. Diese Stärken des ländlichen Raumes soll- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) ten wir wieder herausstellen; denn das ist meiner Mei- nung nach die beste Werbung für den ländlichen Raum. Auch die regenerativen Energien sind für den länd- lichen Raum von entscheidender Bedeutung. Meine For- (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) derung im Hinblick auf die regenerativen Energien ist, Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 133. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. Dezember 2007 13907

Klaus Hofbauer (A) dass die Wertschöpfung bei den Bauern, im ländlichen (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten (C) Raum bleibt. der CDU/CSU) (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Waltraud Wolff (Wolmirstedt) (SPD): Es darf nicht sein, dass die Wertschöpfung bei den rege- Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und nerativen Energien an Konzerne geht, die jetzt ganz groß Kollegen! Meine Damen und Herren! Unsere Verant- in diesen Bereich einsteigen. Wir müssen die Vorausset- wortung für die ländlichen Räume: Wo stehen wir dabei zungen schaffen, dass die Wertschöpfung bei den Erzeu- in Deutschland, und was ist zu tun? gern bleibt. Die Produktion der Rohstoffe muss im Mit- telpunkt stehen. Wir müssen uns Gedanken machen, wie Lassen Sie mich einen Prüfbericht der OECD an den die Genossenschaftsidee, die im ländlichen Raum in den Anfang meiner Rede stellen. Die OECD hat die deutsche letzten Jahrzehnten von großer Bedeutung war, mit Politik für die ländlichen Räume geprüft. Wir müssen neuem Leben erfüllt werden kann. das hier so konstatieren: Das Ergebnis ist nicht gerade rühmlich. Sie zeigt nämlich auf, dass wir in Deutschland (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie unsere Chancen und Möglichkeiten noch nicht genutzt bei Abgeordneten der LINKEN – Volker haben. Kauder [CDU/CSU]: Das ist die einzig gute Genossenschaft! – Hartmut Koschyk [CDU/ Die OECD kommt zu dem Ergebnis, dass unsere Poli- CSU]: Vor allen Dingen sind das schwarze Ge- tik für ländliche Räume im Wesentlichen aus der Ergän- nossen! – Heiterkeit bei Abgeordneten der zung der EU-Agrarpolitik besteht und dass wir struktu- CDU/CSU – Gegenruf des Abg. Ulrich Kelber rell noch nicht neu aufgestellt sind. [SPD]: Das kann man nicht differenzieren! (Cornelia Behm [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Genossenschaft ist immer gut!) NEN]: Hört! Hört!) Die Bauern müssen bei diesen Dingen als Unterneh- Das betrifft auf der einen Seite die Gemeinschaftsauf- mer dabei sein; das halte ich für ganz zentral. – Lieber gabe „Verbesserung der Agrarstruktur und des Küsten- Herr Vorsitzender der Unionsfraktion, ich meine schon schutzes“ und auf der anderen Seite genauso die Ge- die richtige Genossenschaft. – Deswegen sind wir dank- meinschaftsaufgabe „Verbesserung der regionalen bar, dass sich die Ministerien von Horst Seehofer und Wirtschaftsstruktur“, mit der in erster Linie die struktu- Michael Glos des Themas Energie und insbesondere der rellen Unterschiede kompensiert werden sollen. Ziel ei- Förderung von Wärme- und Biogasleitungen angenom- ner Politik für die ländlichen Räume ist die Steigerung men haben. Wir werden das jetzt umsetzen, weil wir ins- der Wettbewerbsfähigkeit sowie der Erhalt und Ausbau (B) besondere in der Diskussion über das EEG darauf achten von Wirtschaftskraft. Das hat die Debatte hier ganz ein- (D) müssen, dass die Effizienz gesteigert wird. Und die Effi- deutig gezeigt. zienz im ländlichen Raum wird nur dann gesteigert, wenn auch die Wärme dieser Anlagen genutzt wird und Die Mehrheit der Menschen in Deutschland lebt nicht man sie nicht entweichen lässt. Herzlichen Dank für in Großstädten, sondern in ländlichen Regionen, die diese Initiative! ganz unterschiedlich sind. Auf der einen Seite gibt es blühende Regionen, nämlich wenn sie sich in der Nähe (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- von Ballungsgebieten befinden. Auf der anderen Seite neten der SPD) gibt es aber auch Regionen mit schrumpfender Entwick- Meine sehr geehrten Damen und Herren, es gäbe noch lung. Ich komme aus Sachsen-Anhalt. Für den Norden viele Aspekte anzusprechen: Verkehrsanbindung, öffent- von Sachsen-Anhalt muss man das so konstatieren. licher Personennahverkehr, öffentliche Daseinsvor- Durch unser Grundgesetz wird uns ein ganz klarer sorge, Tourismus. Der liebe Kollege Ernst Hinsken hat Auftrag gegeben. Herr Minister Seehofer hat das vorhin den Tourismus ja schon wiederholt angesprochen. Das einleitend auch schon gesagt. Wir als Parlament sind sind wichtige Punkte. nämlich dafür zuständig, dass es für die Bürgerinnen und Mit unserem Antrag haben wir das Thema ländlicher Bürger in Deutschland gleichwertige Lebensbedingun- Raum nicht neu erfunden, aber wir wollten gemeinsam gen gibt. Das ist eine Aufgabe, die wir annehmen und mit den Ministerien einen Akzent setzen. Das Thema auch anpacken müssen. ländlicher Raum als Lebens-, Wirtschafts- und Kultur- Meine Damen und Herren, im Haushalt 2008 haben raum wird uns noch gewaltig beschäftigen. Hier liegen wir die Mittel für die Gemeinschaftsaufgabe „Verbesse- große Chancen. Nutzen wir gemeinsam mit den Bürge- rung der Agrarstruktur und des Küstenschutzes“ erhöht. rinnen und Bürgern diese Chancen. Ich glaube nämlich, Wir haben hier auch Projekte für die Breitbandförde- dass der ländliche Raum eine Zukunft hat. rung im ländlichen Raum aufgenommen. Jeder hat das Herzlichen Dank. hier wohlwollend getan und gesagt: Wir haben in der GAK etwas installiert, wofür unsere Förderung in der (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Zukunft weitergehen muss. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: Letzte Rednerin in dieser Debatte ist die Kollegin Herr Seehofer, Sie haben in Ihrer Halbzeitbilanz an- Waltraud Wolff, SPD-Fraktion. gekündigt, eine weitere Modernisierung und Stärkung 13908 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 133. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. Dezember 2007

Waltraud Wolff (Wolmirstedt) (A) der GAK anzustreben. Wir als SPD haben das gerne auf- Damit ist es uns ganz ernst: Lebensmittel dürfen nicht (C) genommen. Aufgrund der ELER-Verordnung, die wir verramscht werden. Sie haben ihren Preis. Wenn jetzt aus der EU bekommen haben, gilt es, besonders für die kurz vor Inkrafttreten der Gesetzesänderung die Butter Entwicklung der ländlichen Räume neue Wege zu be- fast billiger als die Milch verkauft wird, dann muss ich schreiten. Hier soll und muss es zu einer Öffnung kom- sagen: Das ist ein echter Affront. men, sodass möglichst auch Kleinstunternehmen – ich sage das für die Zuschauerinnen und Zuschauer: Das (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten sind Unternehmen, die weniger als zehn Beschäftigte ha- der CDU/CSU) ben – gefördert werden können. Diese Öffnung geht Wir alle wollen gute Lebensmittel. Dafür sollen die Bau- über die Landwirtschaft hinaus. ern anständige Preise verlangen dürfen. Hier gilt es auch, die GAK in Deutschland zu ändern. Jetzt muss ich ein wenig von meiner Rede weglassen, Wir müssen ganz eindeutig neue Schritte gehen. Aus weil mir meine Redezeit davonläuft. Sicht der SPD ist Ihnen hier noch einmal ganz deutlich zu sagen: Wir unterstützen Sie, wenn es um eine Ände- (Beifall des Abg. Jürgen Koppelin [FDP]) rung der GAK geht. Ich habe es vorhin schon gesagt: Die Entwicklung der (Beifall bei der SPD) Landwirtschaft profitiert. Gleichzeitig wissen wir, dass wir die Förderung der ländlichen Räume deutlich ver- Wir haben in der heutigen Debatte aber auch schon ge- bessern müssen. Ein Schwerpunkt kann hier nur die hört, dass die Fraktion der CDU/CSU, unser Koalitions- integrierte ländliche Entwicklung sein. Das ist auf- partner, in dieser Diskussion noch nicht so weit fortge- wendig, aber es lohnt sich. Wir haben die Ergebnisse des schritten ist. Ich möchte Ihnen noch einmal versichern: Wettbewerbs „Regionen aktiv“ vor Augen. Wir haben Es ist gut, wenn wir unseren Koalitionspartner dabei darüber diskutiert. Alle 18 Modellprojekte haben davon auch auf der parlamentarischen Seite ins Boot bekom- profitiert. Wichtig war, dass die einzelnen Regionen selber men. Träger gewesen sind. Die Region selbst konnte festlegen, konnte schauen, wo die Defizite sind, wo die bestehenden (Dr. Kirsten Tackmann [DIE LINKE]: Die hö- Potenziale sind und was genutzt werden kann. Das hat ren ja nicht einmal zu!) dieses Modellprojekt ausgezeichnet. Die Konsequenz kann doch jetzt nur sein, dass wir dafür sorgen, dass dieser – Sie müssen dann das Protokoll lesen. Ansatz auch in der Regelförderung in der Zukunft mög- (Dr. Kirsten Tackmann [DIE LINKE]: Das lich wird. werden sie bestimmt tun!) (B) (Beifall bei der SPD) (D) Politik für die ländlichen Räume ist mehr als Agrar- Die Politik für ländliche Räume muss deutlich ge- politik. Das ist sicherlich richtig. Aber genauso richtig stärkt werden. Das muss sich auch im Haushalt wider- ist, dass gerade die Landwirtschaft und die Veredelungs- spiegeln. Gerade in der Gemeinsamen Agrarpolitik der wirtschaft viele ländliche Regionen prägen. Es freut Europäischen Union ist die Stärkung der zweiten Säule mich, dass der Situationsbericht des Deutschen Bauern- unumgänglich. Modulation ja, Degression nein! verbandes, der am Dienstag dieser Woche vorgestellt worden ist, diese positive Entwicklung aufnimmt. Die (Beifall bei der SPD) Landwirte können zuversichtlich sein – das sagen der Bauernverband und dessen Präsident, Herr Sonnleitner. Es geht nicht darum, ob es große oder kleine Betriebe Das kann ich von hier aus nur unterstützen. Die Einkom- sind oder ob große oder kleine Betriebe besser sind. Es men steigen, die Investitionen steigen und die Zukunfts- geht vielmehr darum, welche Leistungen ein Betrieb erwartungen sind gut. vollbringt. Es geht sehr viel mehr darum, wie viele Mit- arbeiter in einem Unternehmen angestellt und welche Die steigenden Preise für Agrarprodukte kommen bei Sozialstandards gewährleistet sind. den Bauern an. Wenn wir uns noch einmal bezüglich des (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Milchmarktes erinnern: Vor zwei Jahren war nie die Rede davon, dass es einmal einen Literpreis von 40 Cent Die Kappung der Direktzahlung betrifft vor allem geben könnte. Den haben die Milchbauern immer gefor- Betriebe in den neuen Bundesländern. Die diskutierten dert. Heute ist er Realität geworden. Dieser Aufschwung Kürzungssätze würden die deutsche Landwirtschaft mit kommt bei den Menschen an, weil er ganz deutlich zeigt: insgesamt 300 Millionen Euro belasten. Damit würden Die Agrargenossenschaften, die Betriebe vor Ort können wir knapp die Hälfte der Kürzungen in der gesamten EU ordentlich verdienen. tragen müssen. 96 Prozent von diesen 5 700 Betrieben sind in den neuen Bundesländern. Viele Arbeitsplätze in (Beifall bei der SPD) ohnehin strukturschwachen Gebieten wären gefährdet. Der Präsident des Deutschen Bauernverbandes, Gerd Es kann doch nicht sein, dass wir gerade dort die Land- Sonnleitner, hat bei der Vorstellung dieses Berichts das wirtschaft schwächen, wo der größte Bedarf für die Stär- umfassende Verbot des Verkaufs unter Einstandspreis kung der Entwicklung der ländlichen Räume besteht, was auf der Habenseite der Großen Koalition verbucht. auch von der EU in den Programmen festgeschrieben ist. Da fragt man sich, wie man auf EU-Ebene so paradox (Peter Bleser [CDU/CSU]: Richtig!) vorgehen kann. Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 133. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. Dezember 2007 13909

Waltraud Wolff (Wolmirstedt) (A) (Beifall bei Abgeordneten der SPD) tungen? – Damit ist der Gesetzentwurf in zweiter Beratung (C) angenommen bei Zustimmung durch die Koalition und die Dennoch ist das Ziel der Kommission richtig: weg von Linke und Gegenstimmen der FDP und Bündnis 90/Die der Marktintervention hin zur Stärkung der ländlichen Grünen. Räume. Landwirte wollen sich an den Märkten ausrichten. Sie wollen die Marktchancen ergreifen. Gleichzeitig Dritte Beratung müssen sie aber auch Herausforderungen wie den Klima- wandel oder den Rückgang der Artenvielfalt bewältigen. und Schlussabstimmung. Wer dem Gesetzentwurf zu- stimmen möchte, möge sich bitte erheben. – Gegenstim- Die Landwirtschaft – damit komme ich zum Schluss, men? – Enthaltungen? – Damit ist der Gesetzentwurf an- Frau Präsidentin – trägt, wie wir wissen, zum Klima- genommen bei gleichem Stimmverhältnis wie vorher. wandel bei. Gleichzeitig ist sie aber auch von den sich Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Ausschus- ändernden klimatischen Bedingungen stark betroffen. ses für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz Sie kann darüber hinaus als Rohstoffproduzent von Ener- zu dem Agrarpolitischen Bericht 2007 der Bundesregie- gie aus Biomasse einen wichtigen Anteil für die Begren- rung sowie dem Entschließungsantrag der Fraktion zung der Folgen des Klimawandels leisten. Bündnis 90/Die Grünen zu dem genannten Bericht. Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Drucksache 16/6864, den Entschließungsantrag der Frak- Kommen Sie bitte zum Ende, Frau Kollegin. tion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 16/5599 in Kenntnis der Unterrichtung durch die Bundesregierung Waltraud Wolff (Wolmirstedt) (SPD): auf Drucksache 16/4289 abzulehnen. Wer stimmt für Ich komme zum Ende. – Auf der anderen Seite trägt diese Beschlussempfehlung? – Gegenstimmen? – Enthal- eine nachhaltige und angepasste Landwirtschaft dazu tungen? – Damit ist die Beschlussempfehlung angenom- bei, dass wir auch später gerne in den ländlichen Regio- men gegen die Stimmen der antragstellenden Fraktion nen leben wollen. Bündnis 90/Die Grünen bei Zustimmung des Hauses im Übrigen. Lassen Sie uns diese Vision in die Wirklichkeit um- setzen. Ich rufe jetzt die Tagesordnungspunkte 39 a bis 39 g sowie Zusatzpunkt 3 auf: Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: 39 a) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein- Frau Kollegin. gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Übereinkommen des Europarats vom 23. No- (B) (D) Waltraud Wolff (Wolmirstedt) (SPD): vember 2001 über Computerkriminalität Folgen Sie unserem Antrag! Lassen Sie uns prospe- – Drucksache 16/7218 – rierende Wirtschaftsbereiche in den ländlichen Räumen Überweisungsvorschlag: etablieren. Rechtsausschuss (f) Innenausschuss Vielen Dank. Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Ausschuss für Kultur und Medien der CDU/CSU) b) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein- gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Ab- Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: kommen vom 24. April 2007 zwischen der Re- Ich schließe die Aussprache. gierung der Bundesrepublik Deutschland und Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf dem Schweizerischen Bundesrat über die Zu- den Drucksachen 16/5956, 16/4806 und 16/6643 an die sammenarbeit im Bereich der Sicherheit des Ausschüsse vorgeschlagen, die in der Tagesordnung auf- Luftraums bei Bedrohungen durch zivile Luft- geführt sind, wobei die Vorlage auf Drucksache 16/4806 fahrzeuge federführend im Ausschuss für Wirtschaft und Techno- – Drucksache 16/7219 – logie und die Vorlage auf Drucksache 16/6643 feder- führend im Ausschuss für Arbeit und Soziales beraten Überweisungsvorschlag: Verteidigungsausschuss (f) werden sollen. Sind Sie damit einverstanden? – Das ist Innenausschuss der Fall. Dann ist so beschlossen. Rechtsausschuss Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung Wir kommen jetzt zur Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Fleisch- c) Erste Beratung des vom Bundesrat eingebrachten gesetzes. Der Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft Entwurfs eines … Gesetzes zur Änderung des und Verbraucherschutz empfiehlt in seiner Beschluss- Steuerberatungsgesetzes empfehlung auf Drucksache 16/7503, den Gesetzentwurf – Drucksache 16/7250 – der Bundesregierung auf Drucksache 16/6964 in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die Überweisungsvorschlag: Finanzausschuss (f) dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen Rechtsausschuss wollen, um ihr Handzeichen. – Gegenstimmen? – Enthal- Ausschuss für Wirtschaft und Technologie 13910 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 133. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. Dezember 2007

Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt (A) d) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein- Überweisungsvorschlag: (C) gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Neure- Auswärtiger Ausschuss (f) Ausschuss für Wirtschaft und Technologie gelung des Grundstoffüberwachungsrechts Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und – Drucksache 16/7414 – Entwicklung Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Gesundheit (f) Es handelt sich um Überweisungen im vereinfach- Innenausschuss ten Verfahren ohne Debatte. Rechtsausschuss Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Vorlagen an e) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein- die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Ände- überweisen. Sind sie damit einverstanden? – Dann ist so rung seeverkehrsrechtlicher, verkehrsrechtli- beschlossen. cher und anderer Vorschriften mit Bezug zum Seerecht Ich rufe die Tagesordnungspunkte 40 a bis 40 o so- wie Zusatzpunkte 4 a bis k auf. Es handelt sich um die – Drucksache 16/7415 – Beschlussfassung zu Vorlagen, zu denen keine Aus- Überweisungsvorschlag: sprache vorgesehen ist. Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung (f) Innenausschuss Tagesordnungspunkt 40 a: Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Zweite und dritte Beratung des von der Bundesre- f) Beratung des Antrags der Abgeordneten gierung eingebrachten Entwurfs eines Ersten Dr. Harald Terpe, Birgitt Bender, Elisabeth Gesetzes zur Änderung des Strahlenschutzvor- Scharfenberg, weiterer Abgeordneter und der sorgegesetzes Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Drucksache 16/6232 – Medizinische Verwendung von Cannabis er- leichtern Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus- ses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicher- – Drucksache 16/7285 – heit (16. Ausschuss) Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Gesundheit (f) – Drucksache 16/7509 – Rechtsausschuss Berichterstattung: g) Beratung des Antrags der Abgeordneten Rainder (B) Abgeordnete (D) Steenblock, Hans-Josef Fell, Sylvia Kotting-Uhl, Detlef Müller (Chemnitz) weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜND- Horst Meierhofer NIS 90/DIE GRÜNEN Hans-Kurt Hill Sylvia Kotting-Uhl Den Ostseeraum zur Modellregion für regio- nale Kooperationen ausbauen und den Baltic Der Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktor- Sea Action Plan zum Baustein einer Europäi- sicherheit empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf schen Meerespolitik weiterentwikkeln Drucksache 16/7509, den Gesetzentwurf der Bundes- regierung auf Drucksache 16/6232 in der Ausschuss- – Drucksache 16/7286 – fassung anzunehmen. Diejenigen, die dem Gesetzent- Überweisungsvorschlag: wurf zustimmen wollen, heben bitte ihre Hand. – Die Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung (f) Auswärtiger Ausschuss Gegenstimmen! – Die Enthaltungen! – Damit ist der Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Gesetzentwurf in zweiter Beratung bei Zustimmung Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und durch die Koalitionsfraktionen und die FDP ohne Verbraucherschutz Gegenstimmen bei Enthaltung durch die Fraktionen Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Bündnis 90/Die Grünen und Die Linke angenommen. Ausschuss für Tourismus Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union Wir kommen zur ZP 3 Beratung des Antrags der Abgeordneten Hans- dritten Beratung Joachim Fuchtel, Eckart von Klaeden, Norbert Barthle, weiterer Abgeordneter und der Fraktion und Schlussabstimmung. Diejenigen, die dem Gesetz- der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Monika entwurf zustimmen wollen, mögen sich bitte erheben. – Griefahn, Lothar Mark, Dirk Becker, weiterer Die Gegenstimmen! – Die Enthaltungen! – Damit ist der Abgeordneter und der Fraktion der SPD Gesetzentwurf in dritter Beratung mit dem gleichen Er- gebnis wie vorher angenommen. Erneuerbare Energien, wie Solarenergie, Geo- thermie, Wind- und Wasserkraft, für die Tagesordnungspunkt 40 b: Energieversorgung deutscher Einrichtungen im Ausland einsetzen – Für Klimaschutz und Zweite und dritte Beratung des von der Bundes- Nachhaltigkeit regierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung der Organisation des Bundes- – Drucksache 16/7489 – ausgleichsamtes Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 133. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. Dezember 2007 13911

Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt (A) – Drucksache 16/7079 – zum Beruf des Kraftverkehrsunternehmers (C) KOM (2007) 263 endg.; Ratsdok. 10114/07 Beschlussempfehlung und Bericht des Haushalts- ausschusses (8. Ausschuss) – Drucksachen 16/5806 Nr. 12, 16/7072 – – Drucksache 16/7514 – Berichterstattung: Abgeordneter Patrick Döring Berichterstattung: Abgeordnete Jochen-Konrad Fromme Der Ausschuss empfiehlt, in Kenntnis der Unterrich- (Hildesheim) tung eine Entschließung anzunehmen. Wer stimmt für Ulrike Flach diese Beschlussempfehlung? – Die Gegenstimmen! – Roland Claus Die Enthaltungen! – Damit ist die Beschlussempfehlung bei Zustimmung durch die Koalition ohne Gegenstim- men bei Stimmenthaltung durch die Opposition ange- Der Haushaltsausschuss empfiehlt in seiner Be- nommen. schlussempfehlung auf Drucksache 16/7514, den Gesetz- entwurf der Bundesregierung auf Drucksache 16/7079 Tagesordnungspunkt 40 e: anzunehmen. Diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustim- men wollen, mögen bitte die Hand heben. – Die Gegen- Beratung der Beschlussempfehlung und des Be- stimmen! – Die Enthaltungen! – Damit ist der Gesetzent- richts des Ausschusses für Verkehr, Bau und wurf in zweiter Beratung einstimmig angenommen. Stadtentwicklung (15. Ausschuss) Wir kommen zur – zu der Unterrichtung durch die Bundesregie- rung dritten Beratung Mitteilung der Kommission an den Rat, das und Schlussabstimmung. Wer zustimmen will, der möge Europäische Parlament, den Europäischen sich bitte erheben. – Die Gegenstimmen! – Die Enthaltun- Wirtschafts- und Sozialausschuss und den gen! – Damit ist der Gesetzentwurf in dritter Beratung mit Ausschuss der Regionen dem gleichen Ergebnis wie vorher angenommen. Ein Aktionsplan für Kapazität, Effizienz und Sicherheit von Flughäfen in Europa Tagesordnungspunkt 40 c: (inkl. 5886/07 ADD 1 und 5886/07 ADD 2) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be- KOM (2006) 819 endg.; Ratsdok. 5886/07 richts des Ausschusses für Verkehr, Bau und – zu der Unterrichtung durch die Bundesregie- (B) Stadtentwicklung (15. Ausschuss) zu der Unter- (D) rung richtung durch die Bundesregierung Vorschlag für eine Verordnung des Europäi- Vorschlag für eine Richtlinie des Europäi- schen Parlaments und des Rates über gemein- schen Parlaments und des Rates zu Flugha- same Regeln für den grenzüberschreitenden fenentgelten (inkl. 5887/07 ADD 1 und 5887/ Personenverkehr mit Kraftomnibussen (Neufas- 07 ADD 2) sung) KOM (2006) 820 endg.; Ratsdok. 5887/07 KOM (2007) 264 endg.; Ratsdok. 10102/07 – zu der Unterrichtung durch die Bundesregie- – Drucksachen 16/5806 Nr. 11, 16/7071 – rung Berichterstattung: Bericht der Kommission über die Anwen- Abgeordneter Patrick Döring dung der Richtlinie 96/67/EG des Rates vom 15. Oktober 1996 Der Ausschuss empfiehlt, in Kenntnis der Unterrich- KOM (2006) 821 endg.; Ratsdok. 5894/07 tung eine Entschließung anzunehmen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Die Gegenprobe! – Die – Drucksachen 16/4501 Nr. 2.43, 16/4501 Nr. 2.44, Enthaltungen! – Damit ist die Beschlussempfehlung bei 16/4501 Nr. 2.46, 16/7169 – Zustimmung durch Koalition, Bündnis 90/Die Grünen Berichterstattung: und Linke ohne Gegenstimmen bei Stimmenthaltung der Abgeordnete (Berlin) FDP-Fraktion angenommen. Rainer Fornahl Tagesordnungspunkt 40 d: Winfried Hermann Beratung der Beschlussempfehlung und des Be- Der Ausschuss empfiehlt, in Kenntnis der Unterrich- richts des Ausschusses für Verkehr, Bau und tung eine Entschließung anzunehmen. Wer ist für diese Stadtentwicklung (15. Ausschuss) zu der Unter- Beschlussempfehlung? – Die Gegenstimmen! – Die Ent- richtung durch die Bundesregierung haltungen! – Diese Beschlussempfehlung ist bei Zustim- mung durch die Koalition im Großen und Ganzen bei Vorschlag für eine Verordnung des Europäi- Gegenstimmen durch die Fraktionen Die Linke und schen Parlaments und des Rates zur Festle- Bündnis 90/Die Grünen und bei Stimmenthaltung durch gung gemeinsamer Regeln für die Zulassung die FDP-Fraktion angenommen. 13912 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 133. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. Dezember 2007

Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt (A) Tagesordnungspunkt 40 f: Tagesordnungspunkt 40 j: (C) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be- Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions- richts des Ausschusses für Gesundheit (14. Aus- ausschusses (2. Ausschuss) schuss) zu der Unterrichtung durch die Bundesre- Sammelübersicht 320 zu Petitionen gierung – Drucksache 16/7352 – Mitteilung der Kommission an das Europäi- sche Parlament und den Rat Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Enthal- Organspende und -transplantation: Maßnah- tungen? – Die Sammelübersicht ist bei Zustimmung der men auf EU-Ebene (inkl. 9834/07 ADD 1 und Fraktionen von CDU/CSU, SPD, FDP und Bündnis 90/ ADD 2) Die Grünen und Gegenstimmen der Fraktion Die Linke KOM (2007) 275 endg.; Ratsdok 9834/07 und ohne Enthaltungen angenommen. Tagesordnungspunkt 40 k: – Drucksachen 16/6389 Nr. 1.10, 16/7192 – Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions- Berichterstattung: ausschusses (2. Ausschuss) Abgeordneter Dr. Sammelübersicht 321 zu Petitionen Der Ausschuss empfiehlt, in Kenntnis der Unterrich- – Drucksache 16/7353 – tung eine Entschließung anzunehmen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Gegenstimmen? – Ent- Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Enthal- haltungen? – Die Beschlussempfehlung ist einstimmig tungen? – Die Sammelübersicht ist bei Zustimmung der angenommen. Fraktionen von CDU/CSU, SPD, Linke und Bündnis 90/ Die Grünen und Gegenstimmen der Fraktion der FDP Wir kommen nun zu den Beschlussempfehlungen des und ohne Enthaltungen angenommen. Petitionsausschusses. Tagesordnungspunkt 40 l: Tagesordnungspunkt 40 g: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions- Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions- ausschusses (2. Ausschuss) ausschusses (2. Ausschuss) Sammelübersicht 322 zu Petitionen (B) Sammelübersicht 317 zu Petitionen – Drucksache 16/7354 – (D) – Drucksache 16/7349 – Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Enthal- tungen? – Die Sammelübersicht ist bei Zustimmung von Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Enthal- CDU/CSU, SPD und FDP und Gegenstimmen von tungen? – Die Sammelübersicht ist einstimmig ange- Bündnis 90/Die Grünen und Linke und ohne Enthaltun- nommen. gen angenommen. Tagesordnungspunkt 40 h: Tagesordnungspunkt 40 m: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions- Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions- ausschusses (2. Ausschuss) ausschusses (2. Ausschuss) Sammelübersicht 323 zu Petitionen Sammelübersicht 318 zu Petitionen – Drucksache 16/7355 – – Drucksache 16/7350 – Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Enthal- Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Enthal- tungen? – Die Sammelübersicht ist bei Zustimmung von tungen? – Die Sammelübersicht ist mit den Stimmen von CDU/CSU, SPD und Bündnis 90/Die Grünen und Ge- CDU/CSU, SPD und FDP bei Enthaltung von Bünd- genstimmen von FDP und Linke angenommen. nis 90/Die Grünen und Linke angenommen. Tagesordnungspunkt 40 n: Tagesordnungspunkt 40 i: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions- Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions- ausschusses (2. Ausschuss) ausschusses (2. Ausschuss) Sammelübersicht 324 zu Petitionen Sammelübersicht 319 zu Petitionen – Drucksache 16/7356 – – Drucksache 16/7351 – Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Enthal- tungen? – Die Sammelübersicht ist bei Zustimmung von Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Enthal- CDU/CSU und SPD und Gegenstimmen von Bünd- tungen? – Die Sammelübersicht ist einstimmig ange- nis 90/Die Grünen und Linke und Enthaltung der FDP nommen. angenommen. Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 133. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. Dezember 2007 13913

Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt (A) Tagesordnungspunkt 40 o: Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Enthal- (C) tungen? – Die Sammelübersicht ist bei Zustimmung von Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions- CDU/CSU, SPD, FDP und Linke und Gegenstimmen ausschusses (2. Ausschuss) von Bündnis 90/Die Grünen angenommen. Sammelübersicht 325 zu Petitionen Zusatzpunkt 4 f: – Drucksache 16/7357 – Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions- Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Enthal- ausschusses (2. Ausschuss) tungen? – Die Sammelübersicht ist bei Zustimmung der Sammelübersicht 331 zu Petitionen Koalition und Ablehnung der Opposition angenommen. – Drucksache 167497 – Zusatzpunkt 4 a: Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Enthal- Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions- tungen? – Die Sammelübersicht ist bei Zustimmung von ausschusses (2. Ausschuss) CDU/CSU, SPD, FDP und Bündnis 90/Die Grünen und Sammelübersicht 326 zu Petitionen Gegenstimmen der Fraktion Die Linke und ohne Enthal- tungen angenommen. – Drucksache 16/7492 – Zusatzpunkt 4 g: Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Enthal- tungen? – Die Sammelübersicht ist einstimmig ange- Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions- nommen. ausschusses (2. Ausschuss) Zusatzpunkt 4 b: Sammelübersicht 332 zu Petitionen Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions- – Drucksache 16/7498 – ausschusses (2. Ausschuss) Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Enthal- Sammelübersicht 327 zu Petitionen tungen? – Die Sammelübersicht ist bei Zustimmung durch CDU/CSU, SPD, Linke, Bündnis 90/Die Grünen – Drucksache 167493 – und Gegenstimmen der Fraktion der FDP angenommen. Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Enthal- Zusatzpunkt 4 h: tungen? – Die Sammelübersicht ist einstimmig ange- nommen. Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions- (B) ausschusses (2. Ausschuss) (D) Zusatzpunkt 4 c: Sammelübersicht 333 zu Petitionen Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions- ausschusses (2. Ausschuss) – Drucksache 16/7499 – Sammelübersicht 328 zu Petitionen Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Enthal- tungen? – Die Sammelübersicht ist bei Zustimmung – Drucksache 167494 – durch die CDU/CSU, SPD und FDP, bei Gegenstimmen Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Enthal- der Fraktion Die Linke und bei Enthaltung von Bünd- tungen? – Die Sammelübersicht ist bei Zustimmung der nis 90/Die Grünen angenommen. Koalition und der FDP und Gegenstimmen der Fraktion Zusatzpunkt 4 i: Die Linke und Enthaltung von Bündnis 90/Die Grünen angenommen. Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions- ausschusses (2. Ausschuss) Zusatzpunkt 4 d: Sammelübersicht 334 zu Petitionen Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions- ausschusses (2. Ausschuss) – Drucksache 16/7500 – Sammelübersicht 329 zu Petitionen Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Enthal- tungen? – Die Sammelübersicht ist bei Zustimmung – Drucksache 167495 – durch CDU/CSU, SPD und FDP und bei Gegenstimmen von Bündnis 90/Die Grünen und Linken angenommen. Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Enthal- tungen? – Die Sammelübersicht ist einstimmig ange- Zusatzpunkt 4 j: nommen. Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions- Zusatzpunkt 4 e: ausschusses (2. Ausschuss) Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions- Sammelübersicht 335 zu Petitionen ausschusses (2. Ausschuss) – Drucksache 16/7501 – Sammelübersicht 330 zu Petitionen Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Enthal- – Drucksache 167496 – tungen? – Die Sammelübersicht ist bei Zustimmung 13914 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 133. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. Dezember 2007

Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt (A) durch CDU/CSU, SPD und Bündnis 90/Die Grünen und g) Wahlvorschlag der Fraktion der CDU/CSU (C) bei Gegenstimmen von FDP und Linken angenommen. Wahl eines Mitglieds des Verwaltungsrates bei Zusatzpunkt 4 k: der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungs- Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions- aufsicht ausschusses (2. Ausschuss) – Drucksache 16/7480 – Sammelübersicht 336 zu Petitionen h) Wahlvorschlag der Fraktion der CDU/CSU – Drucksache 16/7502 – Wahl einer Schriftführerin gemäß § 3 der Ge- Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Enthal- schäftsordnung tungen? – Die Sammelübersicht ist bei Zustimmung – Drucksache 16/7481 – durch CDU/CSU und SPD und bei Gegenstimmen von FDP, Bündnis 90/Die Grünen und Linksfraktion ange- Es handelt sich um Wahlvorschläge zur Nachbeset- nommen. zung von Gremien. Ich rufe jetzt die Zusatzpunkte 5 a bis 5 h auf: Sind Sie damit einverstanden, dass wir darüber im Wahlen zu Gremien Block abstimmen? – Das ist der Fall. a) Wahlvorschlag der Fraktion der CDU/CSU Wer stimmt für die Wahlvorschläge? – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Damit sind die Wahlvor- Wahl von Mitgliedern des Beirats bei der Bun- schläge einstimmig angenommen. desbeauftragten für die Unterlagen des Staats- sicherheitsdienstes gemäß § 39 Abs. 1 des Stasi- Jetzt rufe ich den Zusatzpunkt 6 auf: Unterlagen-Gesetzes Aktuelle Stunde – Drucksache 16/7474 – auf Verlangen der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN b) Wahlvorschläge der Fraktionen CDU/CSU, SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Konsequenzen der Bundesregierung aus der Wahl von Mitgliedern des Verwaltungsrates Studie über erhöhte Krebsrisiken in der Um- der Kreditanstalt für Wiederaufbau gemäß § 7 gebung von Atomanlagen Abs. 1 Nr. 4 des Gesetzes über die Kreditan- Ich eröffne die Aussprache und gebe das Wort dem (B) stalt für Wiederaufbau Kollegen Hans-Josef Fell für Bündnis 90/Die Grünen. (D) – Drucksache 16/7475 – c) Wahlvorschlag der Fraktion der SPD Hans-Josef Fell (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Kolleginnen Wahl von Mitgliedern des Gemeinsamen Aus- und Kollegen! Ärzte, die in der Umgebung von Kern- schusses gemäß Artikel 53 a des Grundgeset- reaktoren praktizieren, geben schon seit Jahrzehnten zes Hinweise darauf, dass es einen Zusammenhang zwi- – Drucksache 16/7476 – schen Radioaktivität und Zunahmen von Erkrankungen geben könnte. Es ist andererseits eindeutige Erkenntnis d) Wahlvorschlag der Fraktion der SPD der Wissenschaft, dass Radioaktivität bereits vorgeburt- lich Missbildungen und Krebs auslösen kann, Letzteres Wahl vom Deutschen Bundestag zu entsen- auch im frühkindlichen Stadium. dender Mitglieder des Ausschusses nach Arti- kel 77 Abs. 2 des Grundgesetzes (Vermitt- Seit Jahrzehnten streiten sich Wissenschaftler da- lungsausschuss) rüber, wie hoch die Gefahr für eine Erkrankung beson- – Drucksache 16/7477 – ders im Bereich der niedrigen radioaktiven Strahlung ist. Tatsache ist, dass die radioaktive Belastung in der e) Wahlvorschlag der Fraktion der CDU/CSU Umgebung von Kernreaktoren geringfügig höher ist als die natürliche radioaktive Strahlung. Zudem ist die Art Wahl eines vom Deutschen Bundestag zu ent- der radioaktiven Strahlung, die aus den Schornsteinen sendenden Mitglieds des Beirats für Fragen der Kernreaktoren kommt, eine ganz andere als die der des Zugangs zur Eisenbahninfrastruktur (Ei- natürlichen. Aus Atomkraftwerken entweichen gasför- senbahninfrastrukturbeirat) mige Radionuklide. Darunter befinden sich auch die – Drucksache 16/7478 – besonders gefährlichen Spaltprodukte aus der Kern- spaltung und deren Zerfallsprodukte, die übrigens auch f) Wahlvorschlag der Fraktion der CDU/CSU über Abwasserrohre in die Gewässer gelangen. Wahl eines Mitglieds des Stiftungsrates der „Stiftung CAESAR“ (Centre of Advanced Eu- Ich weiß genau, worüber ich hier spreche: Mir wurde ropean Studies and Research) dieser Sachverhalt innerhalb meines Physikstudiums und in meiner Ausbildung als Strahlenschutzexperte bei der – Drucksache 16/7479 – Gesellschaft für Strahlenforschung in München gelehrt. Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 133. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. Dezember 2007 13915

Hans-Josef Fell (A) (Heinz Schmitt [Landau] [SPD]: Ach so, der Drittens. Ein vorsorgender Gesundheitsschutz erfor- (C) Fell hat studiert!) dert auch entsprechendes Handeln. Die nachgewiesenen erhöhten Krebsraten in der Umgebung von Kernreakto- Mit jedem Regen werden diese aus den Schornsteinen ren müssen vorsorglich dazu führen, dass die Emission der Atomkraftwerke kommenden Radionuklide als soge- von Spaltprodukten und anderer Radioaktivität aus den nannter Fallout ausgewaschen. Sie erhöhen damit die laufenden Kernreaktoren beendet wird. Strahlung in der Umgebung. Ich persönlich messe dies kontinuierlich mit meiner privaten Radioaktivitätsmess- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN station in der Nähe des Kernkraftwerks Grafenrheinfeld. und bei der SPD) Über die Atmung und über die Nahrung werden die Wollen die Betreiber von Kernreaktoren diese weiterbe- radioaktiven Partikel in den Körper aufgenommen, wo treiben, dann müssen sie Wege finden, die radioaktiven sie ihre gesundheitsgefährdende Wirkung entfalten kön- Emissionen aus den Schornsteinen ihrer Kernreaktoren nen. Über den exakten Wirkungsmechanismus dieser in- vollständig zu stoppen. korporierten, höchst unterschiedlichen radioaktiven Viertens. Da die Atomenergie eine Fülle weiterer Ge- Spaltprodukte weiß die Wissenschaft zu wenig. Kriti- fahren wie erhöhte Terroranfälligkeit, Sicherheitspro- sche Wissenschaftler warnen seit Jahrzehnten, dass die bleme und anderes birgt, müssen zunächst die störanfäl- krankmachenden Wirkungen wesentlich höher sind, als ligen älteren Reaktoren stillgelegt werden. nach den radiologischen Lehrbüchern zu erwarten wäre. Nun hat die vorliegende Leukämiestudie erstmals zwei- Fünftens. Im Sinne des Verursacherprinzips müssen felsfrei nachgewiesen, dass für Kinder unter fünf Jahren, die Reaktorbetreiber nachweisen, dass die nachgewie- die in der Nähe von Kernreaktoren aufwachsen, das Ri- sene erhöhte Zahl von Krebsfällen nicht durch den lau- siko, an Leukämie zu erkranken, wesentlich höher ist als fenden Betrieb der Kernreaktoren verursacht wird. Soll- bisher angenommen. ten sie diesen Nachweis nicht erbringen, müssen sie aufgefordert werden, die Kernreaktoren stillzulegen; Die besondere und wissenschaftlich bisher einzigar- eine Stromversorgung aus erneuerbaren Energien – diese tige Qualität dieser Studie ist, dass alle anderen bekann- sind radioaktivitätsfrei – wird als Ersatz leicht möglich ten Leukämierisiken ausgeschlossen werden können. sein. Diese nachgewiesenen Risiken sind nicht unerheblich. In einem Radius von bis zu 5 Kilometern um die Kernre- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) aktoren gibt es 19 Leukämiefälle mehr, als im statisti- Die Gesundheit unserer Kinder sollte uns dies alles schen Mittel ohne Kernreaktoren zu erwarten gewesen wirklich wert sein. wären. (B) Ich danke Ihnen. (D) (Dr. Georg Nüßlein [CDU/CSU]: In 24 Jahren!) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD) Die Datenlage der Studie weist im 50-Kilometer-Radius sogar bis zu 275 zusätzliche Krebsneuerkrankungen aus – Hunderte von Einzelschicksalen, die in jeder betroffenen Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Familie eine Tragödie auslösen. Der Kollege Dr. Georg Nüßlein hat jetzt das Wort für die CDU/CSU-Fraktion. Falsch ist die Interpretation, es gebe keinen Zusam- menhang zwischen kindlicher Leukämie und der Radio- (Beifall bei der CDU/CSU) aktivität in der Umgebung von Kernreaktoren. Nur der Wirkungszusammenhang ist nicht ausreichend bekannt. Dr. Georg Nüßlein (CDU/CSU): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen! Meine (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Herren! Jedes Kind, das an Krebs erkrankt, ist ein Kind zu viel. Niemand kann und darf darum ein Interesse ha- Genau dies muss aber nun Gegenstand weiterer Untersu- ben, die Studie, über die wir hier diskutieren, zu relati- chungen sein. vieren; im Gegenteil: Offene Fragen sind zu klären. Die Ergebnisse der Studie müssen zu Konsequenzen In der Tat liefert die Studie ein Ergebnis, aber, Herr führen: Kollege Fell, keine Erklärung dazu. Das Ergebnis lautet – ich sage es jetzt präziser, als Sie als Physiklehrer das Erstens. Der bisher in der Wissenschaft angenommene getan haben –: In einer 5-Kilometer-Zone um Kernkraft- Wirkungszusammenhang zwischen niedriger radioaktiver werke erkranken pro Jahr bundesweit durchschnittlich Strahlung und Krebserkrankungen muss wissenschaftlich 1,2 Kinder unter fünf Jahren mehr an Krebs als in einer neu bewertet und an die Erkenntnisse dieser Studie ange- zufällig ausgewählten Kontrollgruppe. Das ist das prä- passt werden. zise statistische Ergebnis dieser Studie. Zweitens. Hinweise von Medizinern und Wissen- (Sylvia Kotting-Uhl [BÜNDNIS 90/DIE schaftlern zeigen, dass auch eine erhöhte Missbildungs- GRÜNEN]: Das reicht doch!) rate sowie erhöhte Krebsgefahren bei Erwachsenen, die in der Umgebung von Kraftwerken leben, vorhanden Die Einzelschicksale, die dahinterstehen – circa ein sein dürften. Dies muss in neuen Studien genauer er- erkranktes Kind pro Jahr im Bundesgebiet –, halten mich forscht werden. davon ab, von statistischem Grundrauschen zu sprechen. 13916 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 133. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. Dezember 2007

Dr. Georg Nüßlein (A) Außerdem will ich, wie gesagt, nicht das Ergebnis relati- Drittens. Es soll immunologische Faktoren geben, die (C) vieren. Die Studie ist hinsichtlich der Modellannahmen eine Rolle spielen. in keiner Weise statistisch in Zweifel zu ziehen. Das Er- gebnis ist statistisch signifikant; das heißt, der Zusam- Viertens. Es könnte auch andere Zusammenhänge ge- menhang ist mit einer Irrtumswahrscheinlichkeit von ben, die gerade an Kernkraftstandorten eine Rolle spie- weniger als 5 Prozent richtig. len und die man vielleicht anhand eines Vergleichs mit anderen Clustern identifizieren kann. Die Art und Weise, wie Herr Fell gerade die Debatte eröffnet hat, ist ein weiterer Beleg dafür, dass sich viele Jedenfalls herrscht hier Klärungsbedarf. Darüber hinaus mühen, politische Schlussfolgerungen aus dieser Studie taugt der Zwischenbericht – Herr Fell, ich sage Ihnen das zu ziehen. Das in seriöser Weise zu tun, ist zumindest ausdrücklich – nicht für Politik. Ich sage das an die Adresse zum jetzigen Zeitpunkt nicht möglich. Die Studie belegt der Grünen und gehe dabei nicht einmal so weit wie Herr nämlich – auch wenn Sie, Herr Fell, etwas anderes be- Jung vom Bundesamt für Strahlenschutz – ich habe ihn ge- haupten – überhaupt keine Ursachen. rade zitiert –, der meint, im Straßenverkehr oder durch das Passivrauchen seien Kinder ungleich größeren Risiken aus- (Dr. Thea Dückert [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- gesetzt. NEN]: Aber Tatsachen belegt sie schon!) (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Dazu die KiKK-Studie wörtlich: NEN]: Ja, deswegen haben wir den Nichtrau- Obwohl frühere Ergebnisse mit der aktuellen Studie cherschutz!) reproduziert werden konnten, kann aufgrund des Die Union macht jedenfalls keine Politik mit den aktuellen strahlenbiologischen und -epidemiologi- Ängsten von Eltern. schen Wissens die von deutschen Kernkraftwerken im Normalbetrieb emittierte ionisierende Strahlung (Beifall bei der CDU/CSU – Renate Künast grundsätzlich nicht als Ursache interpretiert wer- [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie machen den. nur mit den Ängsten von Vorstandsvorsitzen- den vor Gehaltskürzungen Politik!) (Hans-Josef Fell [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Und das ist strittig!) Deshalb kann ich mir eine Anmerkung an dieser Stelle – bei aller Sachlichkeit – beim besten Willen nicht ver- Soweit die zusammenfassende Schlussfolgerung. Im kneifen. Meine Damen und Herren von den Grünen, Sie nächsten Satz wird sogar darauf hingewiesen, dass Zu- waren sieben Jahre in der Regierung. Wenn Sie schon fall bei dem beobachteten Abstandstrend eine Rolle spie- immer mehr als die Wissenschaft gewusst haben – Herr (B) len könnte. Fell hat gerade wieder gezeigt, dass er mehr als die Wis- (D) Das Deutsche Kinderkrebsregister verlautbart in einer senschaft weiß –, wenn die Risiken aus Ihrer Sicht wirk- Presseerklärung vom 12. Dezember 2007 entsprechend: lich so enorm und so unverantwortbar sind, warum ha- ben Sie dann in sieben Jahren Regierungszeit den immer So kommt nach dem heutigen Wissensstand Strah- propagierten sofortigen Ausstieg aus der Kernenergie lung, die von Kernkraftwerken im Normalbetrieb nicht durchgesetzt? ausgeht, als Ursache für die beobachtete Risikoer- höhung nicht in Betracht. Denkbar wäre, dass bis (Zurufe vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: jetzt noch unbekannte Faktoren beteiligt sind oder Ah!) dass es sich doch um Zufall handelt. Warum haben Sie den Atomausstieg aufgegeben? Das So sieht das übrigens auch der zuständige Abteilungs- sollte der nächste Redner aus Ihren Reihen einmal be- leiter beim Bundesamt für Strahlenschutz, Thomas Jung, gründen. während sich sein Chef Wolfram König – er ist hier im (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Hause bekannt – NEN]: Mehr fällt Ihnen dazu nicht ein?) (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist nämlich für uns eine politisch hochspannende Was soll das denn jetzt wieder heißen?) Frage. alle Mühe gibt, einen anderen Eindruck zu erwecken. Er ( [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: wird folgendermaßen zitiert: „Es gibt Hinweise, aber Wir saßen doch in den Startlöchern!) keine Beweise.“ Vielen herzlichen Dank. Ich sage: Es gibt Forschungsbedarf, sonst gar nichts. Wie ich in meinen Gesprächen mit Experten erfahren (Beifall bei der CDU/CSU – Renate Künast habe, sollte man im Zusammenhang mit Leukämie Fol- [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das war jetzt gendes beachten: sehr niveauvoll!) Erstens. Es gibt andere Leukämie-Cluster, das heißt regional-zeitliche Häufungen von Leukämien an Orten Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: ohne Kernkraftwerke. Die Kollegin Angelika Brunkhorst spricht jetzt für die FDP-Fraktion. Zweitens. In der Wissenschaft wird über demografi- sche Einflussfaktoren geforscht. (Beifall bei der FDP) Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 133. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. Dezember 2007 13917

(A) Angelika Brunkhorst (FDP): Schließlich möchte ich an dieser Stelle noch auf ein (C) Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! weiteres aktuelles Ereignis hinweisen. In der Berliner Wenn ein Kind an Krebs erkrankt, dann ist das immer eine Morgenpost von heute steht, dass die Leiterin der Unter- Katastrophe, für das Kind selbst, für die Familie, das Um- suchungskommission vom BfS noch nicht einmal einge- feld und die Freunde. Umso mehr freue ich mich, dass die laden wurde, als die Studie veröffentlicht wurde. Krebsforschung in Deutschland und weltweit sehr große (Carl-Ludwig Thiele [FDP]: Das ist ja interes- wissenschaftliche Fortschritte gemacht hat und dass es sant! – Zuruf von der CDU/CSU: Ungeheuer- insbesondere bei Leukämie bei Kindern mittlerweile sehr lich!) gute Heilungschancen gibt. Da gibt es scheinbar irgendwelche Dissonanzen. Ich Den Heilungschancen stehen natürlich die vielen of- kann es mir nicht anders erklären. Oder sind die Ergeb- fenen Fragen bei der Ursachenforschung gegenüber. Die nisse nicht so, wie man sie sich vorgestellt hat? britische Forscherin Claire Gilham veröffentlichte 2005 zu diesem Thema eine Studie, aus der hervorging, dass Die Studie an sich weist also mehrere Schwierigkei- Kinder, die bereits in den ersten Lebensmonaten Kinder- ten auf: tagesstätten besuchten oder häufig andere Kontakte so- Die geringe Fallzahl hatte ich eben schon genannt. zialer Art hatten, seltener an Leukämie erkrankten. An- Die Autoren der KiKK-Studie sagen in Bezug darauf, dere Theorien gehen davon aus, dass genetische dass die daraus überhaupt abzuleitenden Risikobewer- Ursachen für das Vorkommen von Leukämie mit eine tungen mit sehr großen Unsicherheiten behaftet sind, Rolle spielen könnten, oder sie führen diese Erkrankun- und das nicht nur an einer Stelle; an vielen Stellen wer- gen auf virale Infektionen zurück. Immerhin ist es heute den hierfür unterschiedlich hergeleitete Begründungen bei 85 Prozent der Fälle nicht möglich, die wirklichen geliefert. Allein dann, wenn man die Zusammenfassung Ursachen einer Leukämie festzustellen. So viel erst ein- liest, fällt einem das auf. mal vorab. Jeder, der sich schon einmal mit empirischer Sozial- Hingegen kommt – das haben die Verfasser der forschung befasst hat, weiß, dass Studien mit einer rela- KiKK-Studie ganz deutlich gesagt – nach heutigem Wis- tiv kleinen mathematischen Zahlenbasis immer sehr sensstand nicht allein die Strahlung von Kernkraftwer- große Ungewissheiten hervorrufen. Es stellt sich zum ei- ken im Normalbetrieb als Ursache für die beobachtete nen die Frage, ob die Ergebnisse überhaupt auf kausale erhöhte Erkrankungszahl im 5-Kilometer-Umkreis in- Zusammenhänge zurückzuführen sind, zum anderen, ob frage. die wissenschaftlichen mathematischen Methoden nicht (B) (Monika Griefahn [SPD]: Das sagt die Studie an ihre Grenzen stoßen, wenn man es mit ganz kleinen (D) nicht! Sie sagt nicht, dass es so ist; sie sagt Fallzahlen zu tun hat. aber auch nicht, dass es nicht so ist!) Ich glaube, bei allem, was die Studie ergeben hat oder auch nicht, ist es jetzt entscheidend, den Blick nach An Standorten, an denen man zum Beispiel Kernkraft- vorne zu werfen. Der Vorsitzende der Strahlenschutz- werke geplant, sie aber letztendlich doch nicht gebaut kommission, Professor Dr. Wolfgang-Ulrich Müller, hat hat, gibt es genauso viele Erkrankungen wie an Standor- darauf hingewiesen, dass die dokumentierten Leukämie- ten, an denen heute Kernkraftwerke in Betrieb sind. fälle sicherlich weitere Ursachen haben als nur die Strah- (Carl-Ludwig Thiele [FDP]: Aha!) lung. Man darf also nicht allein bei der Strahlung mono- kausal eine Erklärung für die Leukämiefälle suchen. Ich Die Wissenschaftler, die am Deutschen Krebsregister denke, wir müssen – das hat auch der Vorredner schon tätig sind, rufen meinen großen Respekt hervor. Wir gesagt – anstreben, dass weitergehende Untersuchungen müssen ihnen ihre Arbeit hoch anrechnen, insbesondere vorgenommen werden, die auch andere mögliche Umge- vor dem Hintergrund, dass sie bei der Erstellung dieser bungsursachen in den Blick nehmen. Studie mit gravierenden Schwierigkeiten zu kämpfen Zum Schluss möchte ich an meine Kolleginnen und hatten. Zunächst einmal war die Bereitschaft von Fa- Kollegen von den Grünen appellieren: Sind Sie eigent- milien, die innerhalb des 5-Kilometer-Umkreises von lich im Bilde, dass diese Debatte – ich denke nur an Ihre Kernkraftwerken wohnen, nicht besonders hoch, über- Bestürzungsreaktionen, Herr Fell – so kurz vor Weih- haupt die Fragebögen auszufüllen und Interviews zu füh- nachten bei vielen Familien ein starkes Unwohlsein her- ren. Also war die Fallzahl sehr gering. Dann mussten vorrufen wird? sich die Forscher bei der Erarbeitung der Studienkonzep- tion mit einem sogenannten Expertengremium des BfS (Beifall bei Abgeordneten der FDP – Wider- auseinandersetzen, welches vorrangig mit Vertretern spruch beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN so- atomkritischer NGOs besetzt war. Für eine wissenschaft- wie bei Abgeordneten der SPD – Renate liche Studie ist das eine ungewöhnlich einseitige Kon- Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Erst stellation. Das möchte ich hier auf jeden Fall einmal Atomkraft wollen und sich dann vor der De- feststellen. batte drücken!) (Beifall bei der FDP – Hans-Josef Fell – Frau Künast, seien Sie bitte einmal ganz ruhig! – Ich [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ausgewo- unterstelle Ihnen in der Tat, dass es Ihnen darum ging, gen!) die Atomdebatte möglichst lange am Kochen zu halten. 13918 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 133. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. Dezember 2007

Angelika Brunkhorst (A) In der Studie werden keine sofortigen Handlungen ge- Kommen wir zu den Grünen. Der Kollege Fell titelte (C) fordert. bereits vor der offiziellen Veröffentlichung der Studie: „Atomenergie gefährdet Kindergesundheit“. Weiter (Widerspruch beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- heißt es, Atomkraftwerke seien verantwortlich für das NEN) Leid vieler Kinder. Lieber Kollege Fell, hätten Sie die- Darüber hätten wir mit der nötigen Sorgfalt gut und sen Satz im Zusammenhang mit der Reaktorkatastrophe gerne auch im nächsten Jahr debattieren können. von Tschernobyl geschrieben, würde ich Ihnen zustim- men. Aber im Zusammenhang mit der vorliegenden Stu- (Zuruf von der SPD: Aber nicht vor Ostern! – die zu diesem Vokabular zu greifen, finde ich einfach Gegenruf der Abg. Renate Künast [BÜND- abenteuerlich. Hysterie, Herr Fell, bringt uns keinen NIS 90/DIE GRÜNEN]: Chanukka ist auch Millimeter weiter. noch! Und dann noch Ramadan!) (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der Es wäre auf jeden Fall sozialverträglicher gewesen. CDU/CSU – Renate Künast [BÜNDNIS 90/ Schönen Dank. DIE GRÜNEN]: Euch muss man immer trei- ben!) (Beifall bei der FDP) Was uns vorliegt, ist eine wissenschaftliche Untersu- chung mit einem Ergebnis, aber ohne eine Erklärung. Wir Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: haben ein statistisches Ergebnis. Es besagt, dass die Wahr- Der Kollege Christoph Pries spricht jetzt für die SPD- scheinlichkeit von Krebserkrankungen bei Kleinkindern, Fraktion. die im Umkreis von 5 Kilometern von Atomkraftwerken le- (Beifall bei der SPD – Jörg Tauss [SPD]: Verdirb ben, signifikant erhöht ist. Das ist besorgniserregend. uns bloß nicht Weihnachten, Christoph!) Gleichzeitig wurde ein direkter Zusammenhang zwischen den Erkrankungen und der Strahlenbelastung von den Au- toren weder untersucht noch hergestellt. Einige Experten Christoph Pries (SPD): unterstützen die Meinung, es gebe keine Anzeichen für ei- Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kol- nen Zusammenhang, andere sind der Auffassung, dieser legen! Bevor ich zum Anlass der Aktuellen Stunde Zusammenhang könne nicht ausgeschlossen werden. komme, möchte ich eine persönliche Anmerkung ma- chen. Wir sprechen heute über Krebs – vor allem über Um dieses Dilemma aufzulösen, müssen wir auf der Leukämie – bei Kleinkindern. Trotz deutlich verbesser- Grundlage der vorliegenden Studie weitere Untersu- ter Heilungschancen ist diese Diagnose eine Horrorvor- chungen durchführen. Wir sind deshalb der Auffassung, (B) stellung für jeden, der selbst Kinder hat. Wir alle sollten dass die Entscheidung von Bundesumweltminister (D) dies in der Hitze der politischen Diskussion nicht verges- Gabriel richtig ist, die Studie von der Strahlenschutz- sen. Das gebietet der Respekt vor den Betroffenen. kommission umfassend bewerten zu lassen. Im Gegen- satz dazu ist es wenig hilfreich, die Untersuchung als (Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem Steinbruch zu benutzen. BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. [CDU/CSU] und Gert Ein schönes Beispiel dafür war am Dienstag in der Winkelmeier [fraktionslos]) atomkraftfreundlichen Frankfurter Allgemeinen Zeitung zu lesen. Dort wurde in einem Artikel aus der Zusammen- Als am vergangenen Samstag die ersten Informatio- fassung der Studie zitiert: Die Häufung von Leukämiefäl- nen über die Studie „Kinderkrebs in der Umgebung von len in der Region um das Atomkraftwerk Krümmel, vom Kernkraftwerken“ bekannt wurden, waren die Reaktio- Autor als Zufall dargestellt, habe die Untersuchung am nen leicht vorhersehbar: Aufschrei bei den Grünen, Ab- stärksten beeinflusst. Weggelassen hat der Redakteur al- wiegeln bei Union und FDP. Liebe Kollegin Brunkhorst, lerdings, dass im zitierten Absatz von den Wissenschaft- die Diskussion über die Ergebnisse einer soliden wissen- lern eindeutig klargestellt wird: schaftlichen Studie als irrational und schäbig zu bezeich- nen, nur weil einem diese Ergebnisse nicht passen, halte Die Auslassung jeweils einer einzelnen Kernkraft- ich für unangemessen. werksregion ergab keinen Hinweis darauf, dass das Ergebnis nur von einer einzelnen Region abhängig (Angelika Brunkhorst [FDP]: Diese Studie be- ist. sagt nichts Neues!) Dieser kleine, aber entscheidende Unterschied muss dem „Schäbig“ wäre wahrscheinlich Ihre Wortwahl. Redakteur wohl entgangen sein. Ein Schelm, wer Böses Auch der Eindruck von Kollegin Reiche, die Untersu- vermutet. chung solle Antipathien gegen die Kernenergie schüren, (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten halte ich für ziemlich deplatziert. des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – (Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem Ulrich Kelber [SPD]: Gesinnungsjournalis- BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. mus!) Gert Winkelmeier [fraktionslos]) Ich möchte abschließend zusammenfassen. Das Er- Ich habe bei der Durchsicht der Studie nicht einen Beleg gebnis der Studie gibt Anlass zur Sorge. Was wir jetzt für Ihre absurde Verschwörungstheorie gefunden. brauchen, ist eine sachliche Bewertung – insbesondere Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 133. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. Dezember 2007 13919

Christoph Pries (A) mit Blick auf den möglichen Ursachenzusammenhang die bisherigen gesetzlichen Grenzwerte noch haltbar? (C) zwischen Wohnortnähe zum Atomkraftwerk und Krebs- Welche Fakten in der Nähe von Atomkraftwerken müs- risiko. Erst nach Abschluss dieser Prüfungen kann über sen beachtet und bewertet werden? Welche Rolle spielen das weitere Vorgehen entschieden werden. niedrige Strahlenwerte über einen längeren Zeitraum? Die SPD-Bundestagsfraktion plädiert weiterhin für (Dr. Georg Nüßlein [CDU/CSU]: Sie haben eine Übertragung von Reststrommengen von älteren auf mir überhaupt nicht zugehört! Überhaupt neuere Atomkraftwerke. Die Gründe dafür sind bekannt: nicht!) Ältere Atomkraftwerke sind störanfälliger. Ältere Atom- Wurden Faktoren beim Normalbetrieb von Atomkraftwer- kraftwerke bieten weniger Schutz bei Unfällen und Ter- ken übersehen? Welche Auswirkung haben die Erkennt- roranschlägen. Ältere Atomkraftwerke sind nach unserer nisse auf die Zwischenlagerung und die geplante Endla- Auffassung trotz Nachrüstungen weniger sicher als neuere gerung hochradioaktiver Stoffe? Anlagen. Die Versorgungssicherheit würde durch eine Abschaltung der Uraltmeiler nicht gefährdet. (Zuruf von der CDU/CSU: Das ist reine Ideologie!) Liebe Kolleginnen und Kollegen, für die SPD-Bundes- tagsfraktion ist die Atomenergie eine Risikotechnologie, Ist unter diesen Umständen der Weiterbetrieb solcher die wir für nicht mehr zeitgemäß halten. Atomanlagen überhaupt noch zu verantworten? (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Ich warne an dieser Stelle allerdings vor zwei Dingen: des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Erstens. Die Leukämiekranken sind keine statisti- Die vorliegende Studie bestärkt uns in dieser Position. schen Opfer. Der Zusammenhang zwischen Atomkraft Der Atomausstieg ist und bleibt die richtige Entschei- und Krebs ist bedrückend und real. Wer die Ergebnisse dung. der Studie relativiert, nimmt die Leukämieopfer billi- gend in Kauf. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. (Dr. Georg Nüßlein [CDU/CSU]: Niemand (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten tut das!) des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Zweitens. Das Unterschreiten gesetzlicher Grenz- Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: werte kann die Gefahr nicht herabsetzen; denn die Er- Der Kollege Hans-Kurt Hill spricht jetzt für die kenntnis der Studie ist: Wir wissen immer noch viel zu Linke. wenig über die Gefährlichkeit radioaktiver Strahlung (B) insbesondere aus spaltbaren Materialien. (D) (Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert Winkelmeier [fraktionslos]) Geradezu unverantwortlich ist es, wenn jetzt behaup- tet wird, da die Grenzwerte nicht überschritten würden, gebe es keinen Zusammenhang zu den benachbarten Hans-Kurt Hill (DIE LINKE): Atomkraftwerken. Jetzt zu behaupten, die Studie liefere Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! keine neuen Erkenntnisse, wie es Frau Kollegin Reiche Kinder, die in der Nähe von Atomkraftwerken leben, er- von der CDU/CSU gleichlautend mit der Atomlobby be- kranken doppelt so häufig an Krebs wie Kinder im übri- hauptet, ist geradezu zynisch. gen Bundesgebiet. Das ist das erschreckende Ergebnis einer Studie des Bundesamtes für Strahlenschutz. Die (Angelika Brunkhorst [FDP]: Frau Reiche, Zahlen dieser Untersuchung sind außergewöhnlich gut stimmt das überhaupt?) belegt. Frau Brunkhorst und Herr Nüßlein, an dieser Er- Unsere Aufgabe ist es, den Sachverhalt ernst zu neh- kenntnis ist nicht zu rütteln. Die Untersuchung zeigt men, um jegliche Gefährdung von der Bevölkerung ab- zwar nicht direkt auf, warum das Leukämierisiko so zuwenden. hoch ist. Der Zusammenhang zwischen erhöhter Krebs- gefahr für Kinder und der Nähe des Wohnortes zu einem (Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert Atomkraftwerk ist aber methodisch nachgewiesen. Winkelmeier [fraktionslos]) (Dr. Georg Nüßlein [CDU/CSU]: Habe ich Dazu stellt die Linke drei Forderungen auf: auch nicht bestritten, wenn Sie mir zugehört Erstens. Der zuständige Umweltminister Gabriel wird haben!) gebeten, in der ersten Januarsitzung des Umweltaus- Daraus ergeben sich zwei Schlussfolgerungen, Herr schusses eine umfassende Erklärung darüber abzugeben, Nüßlein: Erstens. Dies ist ein Zufall – was wohl kaum welche Konsequenzen die Bundesregierung aus den Er- anzunehmen ist. Zweitens. Das Wohnen in der Nähe von kenntnissen ziehen wird und was die nächsten Schritte Atommeilern verursacht ein erhöhtes Krebsrisiko. sind. (Dr. Maria Flachsbarth [CDU/CSU]: Aber Zweitens. Besorgte Anwohnerinnen und Anwohner warum?) von Atomanlagen müssen detailliert über die Situation informiert werden. Deshalb ist es jetzt unsere Aufgabe, die Aufgabe ver- antwortlicher Politiker, umgehend Konsequenzen zu zie- (Dr. Georg Nüßlein [CDU/CSU]: Aber bitte hen. Wir müssen folgende Fragen neu bewerten: Sind nicht von Ihnen!) 13920 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 133. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. Dezember 2007

Hans-Kurt Hill (A) Sie müssen die Möglichkeit erhalten, Daten über ihren Die Direktorin des Instituts für Medizinische Biometrie, (C) individuellen Strahlenwert zu bekommen. Es ist heute Epidemiologie und Informatik an der Universität Mainz, ohne Probleme möglich, Privatpersonen mit einem per- Professor Maria Blettner, stellt als Mitautorin der KiKK- sönlichen Strahlenmessgerät auszustatten. Studie fest – ich zitiere –: (Dr. Georg Nüßlein [CDU/CSU]: Herr Fell Leider erlaubt die KiKK-Studie keine Aussage da- hat das!) rüber, wodurch sich die beobachtete Erhöhung der Anzahl von Kinderkrebsfällen in der Umgebung Für jede Person, die das möchte, könnte ein elektroni- deutscher Kernkraftwerke erklären lässt. Denkbar sches Strahlenregister geführt werden. Herr Fell hat das wäre, dass bis jetzt noch unbekannte Faktoren be- eben schon ausgeführt. teiligt sind oder dass es sich doch um einen Zufall handelt. Drittens und letztens: Die Atomanlagen müssen ihren Betrieb in Deutschland schnellstmöglich einstellen. Das Auch Bundesumweltminister Gabriel betont, dass die verlangen das Vorsorgeprinzip und das Prinzip der Ge- Strahlenbelastung der Bevölkerung in der Umgebung fahrenabwehr. von Kernkraftwerken durch den Betrieb um mindestens das Tausendfache erhöht sein müsste, um strahlenbiolo- Vielen Dank. gisch den Anstieg des Krebsrisikos erklären zu können. (Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert Die Unionsfraktion im Deutschen Bundestag unter- Winkelmeier [fraktionslos]) stützt das Vorgehen des Bundesumweltministers, der die Strahlenschutzkommission, SSK, mit der Bewertung der Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Ergebnisse und der Behandlung der Frage eines mögli- chen Ursachenzusammenhangs beauftragt hat; denn Poli- Die Kollegin Dr. Maria Flachsbarth spricht jetzt für tik muss die Ängste der Bevölkerung, insbesondere der die CDU/CSU-Fraktion. Eltern, ernst nehmen. Deshalb müssen wir die Ergebnisse (Beifall bei der CDU/CSU) dieser Studie fundiert beleuchten. (Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg. Ina Dr. Maria Flachsbarth (CDU/CSU): Lenke [FDP]) Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In Der Hinweis von Professor Wolfgang-Ulrich Müller den vergangenen Jahren wurde immer wieder der Verdacht vom Institut für Medizinische Strahlenbiologie des Essener geäußert, dass Kinder, die in der Nähe von Kernkraftwer- Universitätsklinikums, der zugleich Vorsitzender der SSK (B) ken leben, häufiger an Krebs erkranken. Deshalb hat das ist, dass auch noch andere Ursachen als die Strahlung (D) Bundesumweltministerium über das Bundesamt für vor dem Hintergrund der KiKK-Studie zu untersuchen Strahlenschutz die sogenannte KiKK-Studie, die Epide- sind, ist sicher richtig. Denn noch immer ist die Entste- miologische Studie zu Kinderkrebs in der Umgebung hung von Leukämie, die inzwischen Gott sei Dank in von Kernkraftwerken, beim Deutschen Kinderkrebs- vielen Fällen heilbar ist, überhaupt noch nicht klar. Mög- register an der Universität Mainz in Auftrag gegeben. licherweise spielen neben einer genetischen Disposition Die Wissenschaftler verglichen Daten von an Krebs er- auch noch andere Umweltbelastungen eine Rolle. For- krankten Kindern unter fünf Jahren aus dem Zeitraum schungen in dieser Richtung sind wichtig, um das Krebs- 1980 bis 2003, die zum Zeitpunkt ihrer Erkrankung in risiko von Kindern generell zu senken. einem Umkreis von maximal 5 Kilometern zu einem von 16 Kernkraftwerken lebten, mit den Daten ihrer gesun- Die Unionsfraktion begrüßt ferner, dass auch die den Altersgenossen aus derselben Region. Bundesländer, in denen Kernkraftwerke betrieben wer- den, wie mein Heimatland Niedersachsen, unmittelbar Die KiKK-Studie hat gezeigt, dass es zwischen der nach Bekanntgabe der Studie die sorgfältige Prüfung der Nähe der Wohnung zu einem Kernkraftwerk und der Ergebnisse zugesagt haben. Das Niedersächsische Lan- Häufigkeit, mit der Kinder vor ihrem fünften Geburtstag desgesundheitsamt wird dabei vom Radiologischen an Krebs, insbesondere an Leukämie, erkranken, einen Lagezentrum des Niedersächsischen Landesbetriebes für Zusammenhang gibt. Für den Untersuchungszeitraum Wasserwirtschaft, Küsten- und Naturschutz unterstützt, wurde ermittelt, dass 37 Kinder neu an Leukämie erkrankt das das Expertenwissen für Strahlenschutz mit einer sind, obwohl statistisch nur 17 Neuerkrankungen zu er- gerade erst verbreiterten Personalbasis zusammenfasst. warten gewesen wären. Die Forscher betonen allerdings, Herr Fell, dabei wird man auch auf Messergebnisse des dass Strahlung von Kernkraftwerken im Normalbetrieb Reaktorfernüberwachungssystems zurückgreifen können. nach heutigem Wissen als Ursache für die beobachtete Ri- Das ist ein wichtiges Instrument zur kontinuierlichen sikoerhöhung nicht in Betracht kommt. Es handelt sich Kontrolle der Radioaktivität in der Umwelt. vielmehr um eine rein mathematisch-statistische Erhe- bung, die im Ergebnis leider keine Erkenntnisse über die Unverantwortlich ist es aber, die Ängste der Men- Ursache der Krebserkrankung bei Kindern liefert. Diese schen für eigene politische Zwecke zu missbrauchen. Fragestellung ist im Forschungsauftrag des BMU, das (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) damals unter der Leitung von Jürgen Trittin stand, nicht enthalten. Wenn sich der Spitzenkandidat der niedersächsischen SPD im Landtagswahlkampf die populistische Forderung (Zuruf von der CDU/CSU: Hört! Hört!) der Linken, alle Kernkraftwerke in Deutschland sofort Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 133. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. Dezember 2007 13921

Dr. Maria Flachsbarth (A) abzuschalten, zu eigen macht, dann ist das höchst verant- Diese Studie ist aussagekräftig. Ihre Aussage ist, dass (C) wortungslos und zudem billigste Polemik. es einen Zusammenhang zwischen der Nähe einer Woh- nung zu einem AKW und dem Risiko eines Kindes, an (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Krebs zu erkranken, gibt Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Die wollen die Kernkraftwerke doch (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) gar nicht abschalten! Die wollen bloß sozialis- und dass dieses Risiko steigt, je größer die Nähe des Le- tische Kernkraftwerke!) bensraums des Kindes zum AKW ist. Meine Damen und Wer die Ergebnisse einer solchen Studie für Wahlkampf- Herren, das ist die dramatische Erkenntnis dieser Studie, zwecke instrumentalisiert, der geht zynisch mit der auch wenn wir nicht wissen, warum dieser Zusammen- Angst von Eltern um und disqualifiziert sich selbst für hang besteht. jegliche höheren Ämter. Der Auftrag dieser Studie war im Übrigen nichts an- Als ehemaliger Landesumweltminister weiß Herr deres, als diesen Zusammenhang, der im Rahmen der Jüttner natürlich, was seine Forderung nach sofortiger früheren Michaelis-Studie einmal signifikant und einmal Abschaltung aller Kernkraftwerke zur Folge hätte: Sein nicht signifikant festgestellt wurde, endgültig zu belegen Parteifreund , der Bundesumweltminister, oder zu entkräften. Ihr Auftrag war nicht, die Ursachen müsste umgehend die Betriebsgenehmigung aller Kern- zu erforschen. Das Ergebnis ist aber ganz offensichtlich kraftwerke in Deutschland widerrufen. Aus Gründen der beunruhigend genug, um zur Nebelkerzenwerferei zu Rechtsstaatlichkeit tut Minister Gabriel das natürlich verführen. nicht, sondern er mahnt stattdessen zu Besonnenheit. Er Um vom Ergebnis und von der Frage nach möglichen hat zugesagt, das BMU werde nach Vorliegen der Ergeb- Konsequenzen abzulenken, wird der Präsident des BfS dif- nisse der Prüfung der SSK über das weitere Vorgehen famiert – dieses Spielchen hatten wir schon einmal –, und entscheiden. die Mitglieder des Expertengremiums, die diese Studie be- Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich fordere Sie ein- wertet haben, werden kurzerhand zu Atomkraftgegnern dringlich auf, diese Haltung des Bundesumweltministers erklärt, mit der Implikation, sie würden die Ergebnisse in zu unterstützen und in dieser schwierigen Frage mit der eine gewünschte Richtung interpretieren. Der traurige notwendigen Ernsthaftigkeit zu agieren. Witz ist, dass es genau umgekehrt ist: Frau Blettner und andere interpretieren in diese Studie etwas hinein, was Vielen Dank. sie nicht besagt. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Wie kann man erklären, die radioaktive Strahlung (B) scheide als Ursache der höheren Krebsrate aus, weil die (D) Kausalität nicht nachzuweisen sei? Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Jetzt spricht die Kollegin Sylvia Kotting-Uhl für (Monika Griefahn [SPD]: Das kann man eben Bündnis 90/Die Grünen. nicht sagen; das ist genau der Punkt!) (Dr. Georg Nüßlein [CDU/CSU]: Sagen Sie Wenn Sie nicht wissen, warum die Bremsen Ihres Autos uns jetzt etwas zum sofortigen Ausstieg?) versagen, fahren Sie dann ruhig weiter? Wenn Sie nicht wissen, warum Ihr Haus brennt, bleiben Sie dann ruhig darin sitzen? Sie machen das Blinde-Kuh-Spiel zum Er- Sylvia Kotting-Uhl (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): kennungsprinzip! Wir wissen so gut wie nichts über die – Nein, lieber Herr Nüßlein. Wirkung der Niedrigstrahlung auf Kleinkinder. Wir wissen nicht, ob die Alphastrahlung im Hinblick auf das Ergebnis (Dr. Georg Nüßlein [CDU/CSU]: Schade! Das der Studie eine Rolle spielen könnte. Unser derzeitiger hätte ich mir nämlich gewünscht!) Wissensstand ist hier am Ende. Liebe Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Was ist das für eine Arroganz, unseren derzeitigen Kollegen! Das Ergebnis der Studie, über die wir heute re- Wissensstand, mit dem wir ganz offensichtlich in Erklä- den, kann kurz zusammengefasst werden: Es gibt einen rungsnot geraten, als letzte Instanz zu setzen? Zusammenhang zwischen der Nähe einer Wohnung zu einem AKW und dem Risiko von Kindern im Alter von (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN bis zu fünf Jahren, an Krebs bzw. Leukämie zu erkran- sowie bei Abgeordneten der SPD) ken. Warum das so ist, können die Autoren nicht sagen. Damit sagen Sie: Das, was sich nach unserem Wissens- Was heißt das für die Politik, die mit den Ergebnissen stand nicht erklären lässt, kann nicht wahr sein. dieser Studie anders umgehen muss als die Wissenschaft, (Dr. Georg Nüßlein [CDU/CSU]: Erklären Sie weil sie sich dazu verhalten muss? Es heißt ganz sicher uns doch einmal den Verzicht auf den soforti- nicht – das höre ich allerdings aus dieser Debatte und aus gen Ausstieg! Sie sind doch in Erklärungsnot! der Berichterstattung in der Presse zum Teil heraus –: In Das hat man bei den Grünen schon damals ge- der Studie konnte zur Kausalität der Erkrankungen keine sehen, als sie noch in der Regierung waren!) Aussage getroffen werden; also ist sie nicht aussagekräf- tig. Wir legen sie zur Seite und bedauern, dass wir für so Wer das ernst meint, der steckt in Zeiten, als der Wider- viel Geld nur so wenige Ergebnisse bekommen haben. stand noch sagen musste: „Und sie bewegt sich doch!“ 13922 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 133. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. Dezember 2007

Sylvia Kotting-Uhl (A) Aufgabe der Politik und einer Gesellschaft, die es mit CSU]: Sieben Jahre Zeit gehabt! – Gegenruf (C) dem Schutz ihrer Mitglieder, vor allem ihrer schwächs- der Abg. Sylvia Kotting-Uhl [BÜNDNIS 90/ ten Mitglieder, ernst meint, ist sicherlich nicht, die Über- DIE GRÜNEN]: Und jetzt das Ergebnis der bringer unangenehmer Wahrheiten mit Arrest oder Studie!) Schlimmerem zu bestrafen oder sie wie heute zu diffa- mieren. Die Aufgabe ist, die Ursache für den eklatanten Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Zusammenhang von AKW-Nähe und Kinderkrebsrisiko Das Wort hat jetzt der Parlamentarische Staatssekretär zu erforschen. Diese Absicht unterstelle ich einmal hoff- Michael Müller für die Bundesregierung. nungsvoll dem Schreiben des Bundesumweltministers. Aber was geschieht, wenn keine Antwort gefunden Michael Müller, Parl. Staatssekretär beim Bundesmi- wird, wenn, wie so oft bei Umwelterkrankungen, weiter- nister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit: hin keine Kausalität nachgewiesen werden kann, weil Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Das die Faktoren, die als Auslöser infrage kommen, zu kom- Bundesamt für Strahlenschutz hat am Montag die Studie plex sind und wir ihre Wirkungs- und Wechselmechanis- über Kinderkrebs im Umkreis von Kernkraftwerken ins men untereinander nicht entschlüsseln können? Auch Netz gestellt. Diese Studie hat eine intensive Diskussion dann muss gehandelt werden. Man kann es bei einer sol- ausgelöst, im Übrigen nicht nur in der Bundesrepublik, chen Situation nicht einfach mit der Begründung bewen- sondern auch im Ausland. Das sollten wir schon beach- den lassen, man könne sie sich nun einmal nicht erklä- ten. Diese Studie wird zu Recht als die bisher aufwen- ren. Der Komplex „Umwelt und Gesundheit“ leidet digste und sorgfältigste Studie über diesen Zusammen- traditionell daran, dass sich Zusammenhänge zwischen hang bezeichnet und hat deshalb in der Zwischenzeit Umweltrisiken und Erkrankungen nur selten – und auch in vielen anderen Ländern große Beachtung gefun- wenn, dann nur in langwierigen Prozessen – beweisen den, weshalb die Debatte, die wir jetzt beginnen, nicht lassen. Erinnern Sie sich an Asbest! Die Schädlichkeit nur eine Debatte für die Bundesrepublik ist. Wir sollten war klar, aber die Kausalität war lange nicht zu bewei- das beachten. Sie hat auch international eine hohe Be- sen, wobei die Worte „Umweltschädigung“ oder „Um- deutung. welterkrankung“ viel zu wenig klarmachen, dass es hier im Allgemeinen um nicht von der Natur, sondern von Die Fakten sind eindeutig. Im unmittelbaren Umkreis uns Menschen hervorgerufene Schädigungen geht. Ob von Atomkraftwerken von bis zu 5 Kilometern ist bei Chemikalien oder Radioaktivität, es sind unsere Ein- Kindern unter 5 Jahren das Krebsrisiko 60 Prozent und griffe, keine Naturgewalten, und wir haben die Macht, speziell bei Leukämie etwa um 120 Prozent erhöht. diese Eingriffe bei entsprechenden Hinweisen auf Ge- Diese Fakten stehen fest, und wir sollten sie überhaupt nicht bezweifeln. Jetzt geht es darum, wie wir mit diesen (B) fährlichkeit zu überdenken und zu reduzieren. (D) Fakten umgehen. Das ist natürlich vor dem Hintergrund (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN der aufgeladenen Debatte über die Atomkraft nicht so sowie bei Abgeordneten der SPD) einfach, vor allem wenn man sieht, dass das eine kontro- verse Debatte ist, die bereits über 30 Jahre anhält. Der Staat hat die Aufgabe, seine Bürger zu schützen, vor allem die Schutzbedürftigsten, die Kinder. Es scheint Trotzdem will ich sagen: Frau Brunkhorst, wenn Sie mir an der Zeit, der Erfüllung des Vorsorgeprinzips et- hier Behauptungen aufstellen, dann sollten Sie sich vor- was näher zu kommen. Sich verdichtende Hinweise, ein her besser informieren. Das muss ich Ihnen schon sagen. starker Verdacht, das Fehlen einer anderen, mindestens Dafür ist die Debatte einfach zu wichtig. genauso wahrscheinlichen Erklärung müssen als Hand- lungsauftrag an den Staat ausreichen. Hier kann es nicht (Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem länger nach dem Prinzip gehen: Im Zweifel für die An- BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) geklagten. – Es muss heißen: Im Zweifel für die Opfer. – Ich will das an zwei Punkten festmachen. Erstens. Frau Blettner war schriftlich zur Pressekonferenz eingeladen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Sie können gerne die Unterlage haben. Zweitens. Die und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der Expertenkommission als einseitig atomkritisch zu be- LINKEN und des Abg. Gert Winkelmeier zeichnen, ist schlicht falsch. [fraktionslos]) (Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem Wenn es nach weiteren Untersuchungen dabei bleibt, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) dass es keine nachweisbaren Gründe oder keine Erklä- rung für die Steigerung der Kinderkrebsraten gibt, dann Es ist gerade der qualitative Unterschied zu früher, dass müssen die deutlichen Hinweise auf den Zusammenhang wir eine plurale Zusammensetzung wollen. mit der Nähe zu AKWs ausreichen. Dann ist es in der Tat an der Zeit, den Atomausstieg, so, wie er beschlos- (Carl-Ludwig Thiele [FDP]: Frau Blettner sagt das Gegenteil!) sen ist, infrage zu stellen; aber umgekehrt, wie es heute hier so häufig passiert, nämlich mit der Forderung nach Es ist eine gesellschaftliche Debatte, und die muss man einer deutlichen Beschleunigung. mit allen Strömungen der Gesellschaft führen. Ich halte das für richtig; denn wir können in diesen Fragen nicht Vielen Dank. mit knappen Mehrheiten agieren. Wir brauchen große (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Mehrheiten, weil es hier um einen in der Tat fundamen- und bei der SPD – Dr. Georg Nüßlein [CDU/ talen Einschnitt geht. Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 133. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. Dezember 2007 13923

Parl. Staatssekretär Michael Müller (A) Genauso wenig kann man es akzeptieren, wenn diese – wie übrigens auch Frau Blettner – am wenigsten. Denn (C) Debatte als von den Atomkraftgegnern als hysterisch wenn man die am meisten gefährdete, von Leukämie am aufgeladen abgetan wird. Es mag die eine oder andere stärksten bedrohte Region in der Elbmarsch bei der Stu- Übertreibung geben – übrigens auf beiden Seiten. Aber die außer Betracht lässt, ist das Ergebnis trotzdem nicht es geht hier darum, dass Kinder im Vorschulalter in gro- anders. Das ist ein interessanter Punkt. Das widerspricht ßer Zahl Opfer sind. Mit diesem Tatbestand müssen wir der Annahme, dass das Ergebnis möglicherweise nur ein sorgfältig und seriös umgehen. Zufall ist. (Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem Die dritte Möglichkeit ist – es ist völlig legitim, das BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Dr. Maria zu sagen –, dass wir einfach viel zu wenig über die Wir- Flachsbarth [CDU/CSU]: Das hat auch nie- kungen von niedrigsten Strahlenbelastungen wissen und mand bestritten!) viel genauer erforschen müssen, ob sie im Zusammen- hang mit anderen Faktoren bestimmte Wirkungen insbe- Alles andere ist aus meiner Sicht schlicht falsch. Dafür sondere bei Kleinkindern hervorrufen. Das ist meiner ist das Thema zu ernst. Meinung nach eine völlig berechtigte Aussage. Wir kommen einfach nicht an der Bewertung folgen- Für nicht berechtigt halte ich es, wenn man gleich der Punkte vorbei: In dieser Studie hat man insgesamt sagt: Der Zusammenhang existiert nicht. 1 600 erkrankte Kinder mit der ungefähr dreifachen Zahl gesunder Kindern verglichen. Daraus ergeben sich die (Zuruf von der CDU/CSU: Oder hat nichts mit von der Kollegin Flachsbarth zitierten Zahlen. Diese Strahlung zu tun!) Zahlen sind vom Deutschen Kinderkrebsregister an der Universität Mainz in 41 Landkreisen sehr sorgfältig er- Das darf man gerade vor dem Hintergrund des Auftrags hoben worden. der Studie – denn sie sollte eine epidemiologische Erhe- bung, keine Ursachenerforschung sein – nicht sagen. Das Fazit ist eindeutig: Es gibt deutlich mehr Das ist aus meiner Sicht eine falsche Darstellung. Ich Krebserkrankungen in der Nähe von Atomkraftwerken. glaube, dass die Interpretation von Frau Blettner im Soweit ist das eindeutig. Der Streit beginnt, weil die Rheinischen Merkur die richtige ist. Kausalität nicht so einfach nachzuweisen ist. Das ist der entscheidende Punkt. Weil es nicht einfach ist, bei den (Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem biologischen Wirkungen von Strahlungen Kausalitäten BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) zu benennen, müssen wir uns sowieso im Klaren darüber Aus meiner Sicht muss man das auch vor dem Hinter- sein, dass wir es immer mit einer in hohem Maße wert- grund anderer Aspekte sagen. Sie wissen, dass wir bei- (B) orientierten Debatte und mit einer Vorsorgedebatte zu spielsweise bei der Frage des Strahlenschutzes seit Jah- (D) tun haben. ren eine kritische Diskussion darüber haben, ob die alten (Beifall der Abg. Monika Griefahn [SPD]) Zahlen, die teilweise auf die 60er- und 50er-Jahre zu- rückgehen, heute noch zeitgemäß sind. Wir haben einen Ich will nur ein Beispiel nennen: Einer der größten Grenzwert von 0,3 Millisievert für Abwasser und Einschnitte in der Umweltdebatte war die Erfahrung von 0,3 Millisievert für die Luft. Viele sagen, schon das sei Rachel Carson aus dem Jahr 1968, dass man am Nordpol eine zu hohe Belastung. An dem Punkt kommen wir Dioxin gefunden hat. Das macht deutlich, dass die einfa- nicht vorbei. chen Ursache-Wirkung-Ketten, von denen wir sonst in der Regel ausgehen, in bestimmten Bereichen nicht vor- Es gibt auch andere Hinweise, die wir sehr ernst neh- handen sind. men müssen, zum Beispiel ob das Zusammenwirken mehrerer Ursachen gerade bei Kleinkindern verstärkend Umso wichtiger ist es, eine ernsthafte und wertorien- wirkt. Darüber wissen wir nicht genug. Ein einheitlicher tierte Bewertung vorzunehmen. Meiner Meinung nach Wert ist damit möglicherweise nicht adäquat, um bei- sollten einfache Entweder-oder-Debatten diesbezüglich spielsweise unterschiedliche gesellschaftliche Gruppen nicht stattfinden. Wir müssen uns darüber klar werden, damit zu bewerten oder Vorsorge für sie zu treffen. ob wir vor dem Hintergrund der Gesundheitsgefährdung nicht sehr viel mehr in Richtung Vorsorge unternehmen Meine Damen und Herren, es ist für uns ganz wichtig, müssen. Das ist der Punkt, um den es geht. dass wir Klarheit schaffen. Ich finde, wir müssen jetzt unsere Anstrengungen, die Zusammenhänge zu klären, (Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem verstärken. Wir müssen mehr Ursachenforschung betrei- BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) ben. Zu den Stellen, an denen ich einen Widerspruch in (Beifall bei Abgeordneten der SPD) den Aussagen der Studie sehe, möchte ich Folgendes sa- gen: Aus meiner Sicht hat Frau Professor Blettner im Dazu will ich drei Punkte nennen: Erster Punkt. Wir ha- Rheinischen Merkur völlig zu Recht gesagt, dass es drei ben der Strahlenschutzkommission den Auftrag erteilt, Möglichkeiten zur Erklärung des Tatbestandes gibt. Die diese Studie zu bewerten und mögliche Schlussfolgerun- erste ist, dass es in der Tat einen Zusammenhang zwi- gen für die Politik zu benennen. Ich halte das für eine schen der Strahlung und der Erkrankung gibt. Arbeit, die in etwa sechs bis neun Monaten geleistet wird; dann müssen wir hier erneut darüber reden, welche Die zweite ist, dass es Zufall ist, dass gerade dieses Konsequenzen daraus zu ziehen sind und welche Ergebnis herausgekommen ist. Daran glaube ich aber Schritte wir unternehmen. 13924 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 133. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. Dezember 2007

Parl. Staatssekretär Michael Müller (A) Zweiter Punkt. Wir müssen darüber reden, ob die (Dr. Thea Dückert [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- (C) Grenzwerte, die heute in der Strahlenschutzverordnung NEN]: Können Sie das ausschließen? – Renate stehen, ausreichend sind. Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sagen Sie es hier fürs Protokoll!) (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE Die Formulierung, die er gewählt hat, ist bewusst vor- GRÜNEN) sichtig; doch er widerspricht seinem Minister und den Wissenschaftlern, die diese Studie zu verantworten ha- Es gibt nämlich viele Hinweise, dass die Zusammen- ben. Man kann jetzt die Argumente hin und her wälzen, hänge so einfach, wie bisher angenommen wird, nicht wir können jeder unsere eigene Interpretation machen. sind. (Hans-Josef Fell [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Dritter Punkt. Wir müssen mehr forschen, welche bio- NEN]: Jeder weiß, dass Strahlung Krebs er- logischen Wirkungen Strahlung hat; darüber wissen wir zeugt!) zu wenig. Eine persönliche Anmerkung dazu: Im Zwei- felsfall muss der Vorsorge Vorrang gegeben werden, zu- Besser ist, die Interviews der Wissenschaftler selbst mal wir Alternativen haben: Wir sind ja beispielsweise zu lesen. In dem Interview, das am 11. Dezember im mit dem Erneuerbare-Energien-Gesetz auf einem guten Tagesspiegel erschienen ist, wurde Maria Blettner vor- Weg. gehalten: Vielen Dank. Trotzdem sagt Wolfram König, Präsident des Bun- desamts für Strahlenschutz, dass Strahlung als Ur- (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ sache nicht auszuschließen ist. DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) (Zuruf vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Ja!) Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Maria Blettners Antwort – ich bitte Sie, zuzuhören –: Für die CDU/CSU-Fraktion spricht jetzt die Kollegin Katherina Reiche. Wenn er darauf Hinweise hat, dann weiß er mehr als wir. (Beifall bei der CDU/CSU) Weiterhin sagt sie: Katherina Reiche (Potsdam) (CDU/CSU): Ja, es existieren ähnliche Untersuchungen, die stets Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! zitiert werden. (B) (D) Es ist das gute parlamentarische Recht der Opposition, Sie meint damit: ähnlich kritische Untersuchungen in an- eine Aktuelle Stunde zu beantragen. deren Teilen der Welt. Blettner weiter: (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Das sind natürlich die auffälligen Studien. Doch es NEN]: Wie großzügig! – Dr. Thea Dückert gibt natürlich genauso viele, die nicht auffällig sind. [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Danke!) Auf die Frage, ob das Ergebnis Zufall sein könnte, ant- Es hat sich allerdings schnell gezeigt, wie durchsichtig wortet sie: Ihr Vorhaben ist: dass es eigentlich um Ihre Unverbes- serlichkeit in Bezug auf die Nutzung der Kernenergie Es könnte auch Zufall sein. geht. Deshalb glaube ich, meine lieben Kolleginnen und Kol- Die am Samstag vorgelegte Studie zur Krebserkran- legen, dass wir aufpassen müssen, kung von Kindern in der Umgebung von deutschen (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Atomkraftwerken, kurz KiKK-Studie genannt, hat be- NEN]: Sie müssen aufpassen, dass Sie die züglich der Ursachen für die statistisch höhere Anzahl Kinder in diesem Lande nicht verkaufen!) von Leukämiefällen keine Aussagekraft. In der KiKK- Studie ging es – das ist schon ausführlich dargelegt wor- dass wir in die Studie nichts hineininterpretieren, bei den – um den statistischen Zusammenhang zwischen dem die Wissenschaftler selbst sehr zurückhaltend sind. dem Risiko eines Kindes, an Krebs zu erkranken, und (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) der Entfernung zwischen seinem Wohnort und dem nächstgelegenen Kernkraftwerk. Zu den Ursachen er- Ich habe das Gefühl, dass sich die Wissenschaftler der- höhter Krebsraten enthält die Studie keine Aussagen. zeit hintergangen fühlen, zumindest aber fehlinterpre- tiert. Bundesminister Gabriel – das hat der Herr Staatsse- kretär eben gesagt – hat erklärt, dass nach derzeitigem (Renate Künast (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- wissenschaftlichen Kenntnisstand der beobachtete An- NEN): Es gibt keine Forschung in diesem stieg der Anzahl der Erkrankungen nicht mit Strahlenbe- Lande, was das mit dem Körper der kleinen lastungen in der Umgebung eines Kernkraftwerkes er- Kinder macht! Weder da noch bei Chemika- klärt werden kann. Trotzdem behauptet der Präsident des lien! Sie versündigen sich, und das als angebli- Bundesamtes für Strahlenschutz, Wolfram König, das che Christin! Das ist die gleiche Debatte wie Gegenteil: dass Strahlung als Ursache für die erhöhte damals, als es um die Chemikalien ging! Sie Krebsrate nicht auszuschließen ist. kümmern sich nicht um die Kinder!) Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 133. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. Dezember 2007 13925

Katherina Reiche (Potsdam) (A) Es muss der Frage nachgegangen werden, Frau Künast, fünf Jahren betrifft und bei deren Therapie es enorme (C) wie die statistischen Abweichungen zustande kamen. Fortschritte gegeben hat. Aber es muss in objektiver, in seriöser Weise geschehen. (Jörn Wunderlich [DIE LINKE]: Das ist jetzt Es ist Grundlagenforschung notwendig. Wir erleben zur- aber wirklich zynisch!) zeit das Gegenteil: altbewährte Stimmungsmache gegen die Kernkraft. Das erinnert mich an den bewährten – Herr Kollege, ich zitiere die Wissenschaftlerin. Spruch: Komm mir bloß nicht mit Argumenten – ich (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- fühle, dass es so ist! NEN]: Für die Auswahl der Zitate ist man Wir haben im Bundesamt für Strahlenschutz angeru- auch verantwortlich!) fen, weil wir die Einzeldaten für jeden Standort haben Also, keine Panik: Wir wissen nicht, ob die Kernkraft- wollten. Uns wurde gesagt, das könnten sie nicht heraus- werke tatsächlich die Verursacher sind. Wir reden nicht geben; denn sie hätten viel zu wenige Daten, diese seien über die Kausalität, wir reden über eine statistische Kor- nicht aussagekräftig. – Wenn der Präsident des Bundes- relation. amtes für Strahlenschutz Eltern mit Halbwahrheiten in Panik versetzt, dann handelt er unverantwortlich. Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Frau Kollegin, kommen Sie bitte zum Ende. Hans-Josef Fell [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Oh Gott! – Renate Künast [BÜND- NEN]: Am Ende ist sie schon!) NIS 90/DIE GRÜNEN]: Man muss einmal den katholischen Bischof fragen, wie er das sieht!) Katherina Reiche (Potsdam) (CDU/CSU): Ich komme zum Schluss. – Ich möchte mit einem Zi- Jedes Elternteil ist um die Kinder besorgt. Wer wäre tat aus der Information des Deutschen Kinderkrebsregis- das nicht? Jedes kranke Kind ist eines zu viel. Deshalb ters enden: können wir froh sein, dass wir in Deutschland so viel in Kann man aus den Ergebnissen der KIKK-Studie Forschung investieren und auch hier – gerade bei der schließen, dass aus Kernkraftwerken Strahlung ent- Leukämie im Kindesalter – enorme Fortschritte errei- weicht und bei Kindern Krebs und speziell Leukämie chen konnten. verursacht? Kurz gesagt: nein. (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- (Beifall bei der CDU/CSU – Zuruf von der NEN]: Sie sollen verhindern und nicht hinter- SPD: Unglaublich!) (B) herrennen!) (D) Frau Künast, die Wahrheit ist doch, dass interessierte Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Kreise die vermeintliche Sorge um die Gesundheit von Jetzt spricht Marlies Volkmer für die SPD-Fraktion. Kindern bzw. das Schicksal und den Kummer betroffe- (Beifall bei der SPD) ner Eltern in unverantwortlicher Weise politisch instru- mentalisieren. Dagegen sprechen wir uns aus. Dr. Marlies Volkmer (SPD): (Beifall bei der CDU/CSU) Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte zunächst einmal feststellen, worüber wir uns Wichtige Tatsachen, dass nämlich zum Beispiel die bei der Bewertung der Studie einig sind: Wir sind uns ei- Ursachen für Krebs, darunter auch Leukämie, egal ob nig, dass ausgesagt wird, dass Kinder bis zu fünf Jahren, genetisch oder durch Umwelteinflüsse bedingt, bedauer- die in der Nähe von Kernkraftwerken leben, deutlich licherweise noch nicht ausreichend aufgeklärt sind und häufiger als ihre Altersgenossen an Krebs erkranken und dass die Strahlung aus kerntechnischen Anlagen um das dass es im Umkreis von fünf Kilometern um ein Kern- 1 000- bis 100 000-Fache geringer als die natürliche kraftwerk mehr als doppelt so viele Fälle von Leukämie Strahlung ist, werden vernachlässigt. Nach Aussage der gibt, als nach dem statistischen Durchschnitt zu erwarten Leiterin der Untersuchung kann das Ergebnis – das habe gewesen wäre. ich zitiert – Zufall sein. So wurde geprüft, ob an anderen Standorten, an denen kerntechnische Anlagen geplant, Entscheidend ist, dass das Atomkraftwerk in der Stu- aber nie gebaut wurden, ähnliche Effekte zu sehen sind. die geradezu als Punktquelle ausgemacht wird und dass Dies war tatsächlich der Fall. das Risiko, an Leukämie zu erkranken, mit zunehmen- dem Abstand abnimmt. Das ist in einer solchen Studie Auf die Frage, was sie von der Reaktion einiger Poli- zum ersten Mal festgestellt worden. Das ist statistisch si- tiker hält, die nun ein sofortiges Abschalten der Meiler gnifikant und kein Zufall. fordern, antwortete die Autorin der Studie: Vielleicht Weniger eindeutig ist tatsächlich die Erklärung der sind wir ein bisschen selbst daran schuld, weil wir die Ursache. Was ist die Ursache dafür? Was steckt dahin- Studie gemacht und veröffentlicht haben. Man darf jetzt ter? Das konnte durch die Studie nicht geklärt werden, aber keine Panik machen, vor allem bei den Eltern nicht, weil sie auch gar nicht darauf angelegt war. die in der Nähe eines Kernkraftwerkes wohnen. So tra- gisch die Leukämie für die Betroffenen ist: Wir sprechen (Sylvia Kotting-Uhl [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- über eine Krankheit, die fünf von 100 000 Kinder unter NEN]: Ja, das sollte sie auch gar nicht!) 13926 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 133. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. Dezember 2007

Dr. Marlies Volkmer (A) – Eben. Das sollte sie nicht. Es war eine epidemiologi- Abg. Carl-Ludwig Thiele [FDP]: Was wollen (C) sche Studie. Sie nur?) Wir haben heute ja bereits mehrfach die Aussage der Wissen Sie, Leukämie ist keine Erkrankung wie Rin- Autorin der Studie vernommen, wonach die Strahlenbe- gelröteln oder Husten und Schnupfen. Es ist immer eine lastung in der Umgebung der Reaktoren nicht ausrei- langwierige Chemotherapie erforderlich, die entschei- chend sei, um die erhöhte Zahl der Krebserkrankungen dend in das Leben der Familien eingreift. zu erklären. (Carl-Ludwig Thiele [FDP]: Genau das hat Dabei wird aber verschwiegen, dass die Autoren nur Frau Brunkhorst erläutert!) vor dem Hintergrund des aktuellen strahlenbiologischen Aus diesem Grund ist der Staat verpflichtet, diese Ergeb- und strahlenepidemiologischen Wissens argumentieren. nisse im Interesse des Schutzes der Bevölkerung und Wie ist es um dieses Wissen bestellt? Wie wirkt Strah- insbesondere der Vorsorge der Bevölkerung ernst zu lung, vor allem niedrig dosierte Strahlung, insbesondere nehmen. Aus diesem Grund ist es auch notwendig, dass auf den Organismus von kleinen Kindern? Welche Be- die Emissionen aus den Kraftwerken verhindert werden. sonderheiten gibt es bei Heranwachsenden? Tatsächlich Das ist Aufgabe der Betreiber. sind diese Punkte nicht abschließend geklärt. Vor diesem Hintergrund ist es mir unverständlich und ich finde es (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ unverantwortlich, wie viele schon wieder die Interpreta- DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der tion parat haben, dass die Strahlenbelastung in der Um- LINKEN – Carl-Ludwig Thiele [FDP]: Wer gebung der Kernkraftwerke keine Ursache für Krebser- führt die Aufsicht, wenn das so gefährlich ist?) krankungen sein kann. Ich schließe mich meinen Vorrednern nun hinsichtlich (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ der Forderung an, dass die Studie zügig und umfassend DIE GRÜNEN) geprüft werden muss. Der Vorsitzende der Strahlen- schutzkommission hat unter anderem darauf hingewie- Das erinnert mich an die ganz fatale Diskussion, die sen, dass einige Faktoren in der Untersuchung nicht be- wir bezüglich der Klimaerwärmung hatten. Da war es rücksichtigt wurden, zum Beispiel die Dosis der auch so. Auch da gab es Wissenschaftler, die immer ge- Strahlung. Mindestens genauso wichtig ist es, Studien zu sagt haben, das alles sei nicht bewiesen, das habe es alles fördern, die das strahlenbiologische Wissen erweitern. schon gegeben, es habe schon Zeiten gegeben, in denen Ich denke hier zum Beispiel an die Beteiligung des Lan- es so warm war. Bis zum letzten Beweis kann man des Schleswig-Holstein an einem Projekt der Universi- manchmal nicht warten. Dann ist es nämlich zu spät. tätsklinik Hamburg-Eppendorf, das Leukämieentstehung Jetzt redet jeder über die Klimakatastrophe. (B) im Kindesalter untersucht. (D) (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ Durch die Studie ist aber auch klargeworden, dass es DIE GRÜNEN) keine Entwarnung vor den Risiken der Kernkraft geben Die Mitglieder der Expertenkommission, die die Stu- kann und dass der schnelle Ausstieg aus dieser Hoch- die von Anfang an wissenschaftlich begleitet haben, technologie unbestritten richtig und wichtig ist. kommen zu dem Schluss: Aufgrund des besonders ho- (Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem hen Strahlenrisikos für Kleinkinder und des unzurei- BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. chenden Wissens über die Wirkung der in den Körper Gert Winkelmeier [fraktionslos]) aufgenommenen Strahlung könne die Strahlung keines- wegs als Ursache ausgeschlossen werden. – Das schreibt der zwölfköpfige Expertenrat, der übrigens einstimmig Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: zu dieser Aussage gekommen ist. Jetzt spricht der Kollege Jens Koeppen für die CDU/ CSU-Fraktion. Frau Brunkhorst und Frau Reiche, als Ärztin bin ich entsetzt über den Zynismus, mit dem Sie hier argumen- (Beifall bei der CDU/CSU) tieren. (Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem Jens Koeppen (CDU/CSU): BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kolle- gen! Es ist gar keine Frage: Krebs ist die Geißel der Es kann einfach nicht sein, dass Sie die unbestrittenen Menschheit. Oft findet die Medizin noch keine ausrei- Erfolge in der Krebstherapie und insbesondere in der chenden Antworten. Viele Menschen sind dem Schicksal Therapie der Leukämie hier quasi als Alibi benutzen, um hilflos ausgeliefert. Besonders wenn Kinder von der nichts tun zu müssen. Krankheit betroffen sind, ist das so ziemlich das (Angelika Brunkhorst [FDP]: Das hat über- Schlimmste, was passieren kann. Darin sind wir uns alle haupt niemand gesagt!) einig. – Ja, so kommt es aber an. Deswegen ist die Studie zu Krebsfällen bei Kindern im Umfeld von Kernkraftwerken ein zwingender Anlass, (Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem sich damit auseinanderzusetzen, und zwar auf der einen BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Seite ohne Verharmlosung, aber auf der anderen Seite Gert Winkelmeier [fraktionslos] – Zuruf des auch ohne Hysterie. Man muss sich vielmehr mit Augen- Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 133. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. Dezember 2007 13927

Jens Koeppen (A) maß, Sachverstand und der gebotenen Professionalität Wir wollen keine Hysterie; wir wollen vielmehr Ant- (C) mit der Studie auseinandersetzen. worten geben. Wir wollen Lösungen statt Aktionismus. Das ist der richtige Weg. Ich hoffe, dass sich die Kollegen (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- von der SPD jetzt nicht treiben lassen, sondern verant- neten der SPD) wortungsvoll an die Auswertung der Studie herangehen Denn angesichts der betroffenen Kinder und der unvor- und diese ernst nehmen, wie es unser Umweltminister stellbaren Sorgen der Eltern verbieten sich praktisch jede vorgeschlagen hat. Parteitaktik und jedes Wahlkampfgetöse. Wir alle nehmen die Studie ernst. Wer jetzt bewusst mit den Ängsten der Menschen spielt, um ideologische und parteistrategische Vorteile (Hans-Josef Fell [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- zu erhaschen, Herr Kelber, und vermeintliche Siege da- NEN]: Da habe ich aber Zweifel!) vonzutragen, kann in dieser Debatte nicht ernst genom- Sie stellt einen Zusammenhang zwischen der Nähe zu ei- men werden. nem Atommeiler und dem Risiko, an Leukämie zu er- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) kranken, fest, der 0,8 Fällen pro Jahr entspricht. Das ist zwar ernst zu nehmen, aber die Studie trifft keine Aussa- Mit den Ängsten der Menschen zu spielen, ist höchst gen über die Ursache. Die Strahlung müsste nach bishe- verwerflich. rigen Erkenntnissen 1 000- bis 10 000-fach höher sein, (Carl-Ludwig Thiele [FDP]: Sehr richtig! – um diesen Effekt zu bewirken. An dieser Stelle muss an- Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- gesetzt werden, Herr Hill, und zwar wissenschaftlich NEN]: Holen Sie doch nicht immer Ihr Zeug korrekt. Dafür ist entsprechende Forschung notwendig. aus der Mottenkiste!) Wenn die Ursachen wasserdicht erforscht sind und – Erwartungsgemäß kommen nämlich die üblichen Re- die Kausalität hergestellt ist, dann muss gehandelt wer- flexe von den Grünen, den Linken und von einigen den – das ist völlig klar –, aber schnell, unbürokratisch NGOs, Frau Künast. und ohne Ideologie, Parteitaktik und vor allen Dingen ohne Schaum vor dem Mund. (Carl-Ludwig Thiele [FDP]: Und von der SPD!) Vielen Dank. Es stimmen alle in den Chor ein: Als Erstes wird der so- (Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg. fortige Ausstieg aus der Kernenergie gefordert und als Angelika Brunkhorst [FDP]) Zweites die gesamte Atomtechnologie verteufelt. (B) Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: (D) (Carl-Ludwig Thiele [FDP]: Als Drittes auch noch die Kohlekraftwerke!) Heinz Schmitt spricht jetzt für die SPD-Fraktion.

Ich finde das unglaubwürdig und zutiefst unseriös. Heinz Schmitt (Landau) (SPD): (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen NEN]: Dann ziehen Sie doch nach Tscherno- und Herren! Die sogenannte KiKK-Studie hat kurz vor byl! – Gegenruf von der CDU/CSU: Das ist Weihnachten für einen kräftigen Kick beim Pro und zynisch, Frau Künast!) Kontra zur Atomkraft geführt. Die wichtigsten Ergeb- nisse wurden heute schon in zahlreichen Beiträgen ge- Ich hoffe nicht, dass das zutrifft, aber ich glaube nannt: Kinder unter fünf Jahre tragen ein höheres Risiko, manchmal, dass Ihnen ein Störfall im Kernkraftwerk ge- an Krebs zu erkranken, je näher sie an einem Atomreak- rade recht kommt. Mal ist es der Wechselrichtereffekt in tor leben. Das ist das nüchternde Ergebnis der Untersu- Forsmark in Schweden, mal ein defekter Dübel in chung. Deutschland. Mal ist es die eine Studie und dann wieder eine andere. Schon wird – wie gestern – im Ausschuss Andere Schlussfolgerungen sind umstritten. Auch das wieder der alte, verstaubte Antrag vorgelegt, in dem der wurde heute schon festgestellt. Bei so viel Unklarheit hat sofortige Ausstieg gefordert wird. unser Umweltminister Sigmar Gabriel das einzig Ver- nünftige getan: Er hat mit der Strahlenkommission unab- (Hans-Josef Fell [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- hängige Experten beauftragt, die Studie zu bewerten. NEN]: Der ist nicht verstaubt, sondern hoch- aktuell!) Für andere Leser der Studie und auch für heutige Rednerinnen scheint das Ergebnis erstaunlich eindeutig Ich finde das unseriös; das ist nicht in Ordnung. zu sein. Frau Brunkhorst, Sie sagten, man dürfe die Stu- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – die nicht dazu nutzen, die Debatte über Atomkraft in Ulrich Kelber [SPD]: Wie Frau Reiche!) schäbiger Weise anzuheizen. Sie schaffen schließlich auch nicht die Autos ab, weil So habe ich es gelesen. Auch Frau Reiche – das hat 130 Kinder im Jahr im Straßenverkehr sterben. Sie sie heute wiederholt – hat den Eindruck, dass die Studie schaffen auch nicht die Autos ab, weil 34 000 Kinder die Antipathien gegen Kernkraft schüren soll. Herr verletzt werden. Wenn Menschen durch Rußpartikel an Nüßlein, Sie sagen: Es gibt Handlungsbedarf, sonst gar Lungenkrebs erkranken, dann schaffen wir ebenfalls nichts. – Mir sind all diese Betrachtungen, die auch mit nicht die Autos ab, sondern bauen Rußpartikelfilter ein. Zahlen, Statistiken, Wahrscheinlichkeiten unterlegt wer- 13928 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 133. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. Dezember 2007

Heinz Schmitt (Landau) (A) den, ein Stück zu nüchtern, zu bürokratisch, zu tech- Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: (C) nisch. Niemand kann – so war mein Eindruck von vielen Monika Griefahn spricht jetzt für die SPD-Fraktion. Reden – sich in die Lage von Familien versetzen, die krebskranke Kinder, an Leukämie erkrankte Kinder ha- (Beifall bei der SPD) ben. Mir fehlt bei dieser Debatte das Mitgefühl mit Men- schen, die einen Kampf auf Leben und Tod führen müs- Monika Griefahn (SPD): sen. Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Bereits Anfang der 90er-Jahre kam mein Landtagskollege Uwe (Beifall bei der SPD sowie der Abg. Hans- Harden von der Bürgerinitiative aus der Elbmarsch bei Josef Fell [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] und Hamburg zu mir, um auf das Problem von leukämiekran- Gert Winkelmeier [fraktionslos]) ken Kindern in der Region aufmerksam zu machen. Ich Das kommt mir in der Debatte viel zu kurz. war damals Umweltministerin in Niedersachsen. Schon zum damaligen Zeitpunkt war die Zahl der erkrankten Ich sage nicht: Wir müssen Atomkraftwerke sofort Kinder in der Nähe des Atomkraftwerks Krümmel und abschalten; wir müssen den sofortigen Ausstieg vollzie- des GKSS-Forschungszentrums wesentlich höher als in hen. – Es gibt viele andere, triftigere Gründe, die dafür anderen Gebieten. Wir, also die Landesregierung in Nieder- sprechen, dass wir den Atomausstieg weiter vorantreiben sachsen, setzten damals eine Expertenkommission ein, die und uns an die beschlossenen Vereinbarungen halten. über Jahre hinweg alle möglichen infrage kommenden Für mich stellen Namen wie Sellafield, Harrisburg, auch Ursachen für diese auffällige Häufung von Leukämie bei Forsmark, Brunsbüttel und Krümmel, ebenso das Endlager Kindern suchte. Wir suchten im Staub, auf Dachböden, Asse triftige Gründe dar, um deutlich zu machen, wie es bei defekten Röntgengeräten. Die Expertenkommission um die Sicherheit von Kernkraftwerken bestellt ist. Wem untersuchte Bodenproben und einiges mehr, eben alles, diese Beispiele für die Unsicherheit von Atomkraftwer- was man sich als potenzielle Ursachenfaktoren vorstellen ken nicht ausreichen, der kann heute, 21 Jahre nach der konnte. Aber so sehr alle suchten, später auch noch eine Havarie eines Reaktors in Tschernobyl, besichtigen, Kommission des Landes Schleswig-Holstein, sie konn- welch grausige Folgen ein einziger Unfall in einem ten bis heute keine eindeutigen Ursachen finden. Atomkraftwerk hat. Die Folgen der Reaktorkatastrophe für die Menschen in den betroffenen Gebieten sind immer Heute gibt es 16 krebskranke Kinder und Jugendliche noch erschütternd. Mit Überwachung, Bedrohung und in der Region. Nach einem ZDF-Bericht ist das der staatlichen Repressalien werden Aufklärung und huma- höchste Leukämiecluster weltweit. Zu erwarten gewesen nitäre Hilfe gar noch behindert. wären nach einem Berechnungsschlüssel ungefähr fünf Fälle. Diese Feststellungen geben Anlass zur Sorge, vor Meine Damen und Herren, Kernkraft war und ist (B) allem vor dem Hintergrund, dass wir dieses schon so (D) nicht beherrschbar. Die endgültige Lagerung von strah- lange wissen und es eben nicht ausschalten können. lendem Müll ist und bleibt ungelöst. Atomkraft ist daher Dankenswerterweise hat Frau Klug, Parlamentarische ein Auslaufmodell ohne Zukunft. Die große Mehrheit Staatssekretärin beim Bundesumweltminister, weitere der Menschen in diesem Land lehnt die Atomkraft ab. Hilfen zugesagt, um die Ursachen für diesen Cluster zu Deshalb haben wir mit unserem früheren Koalitionspartner finden. So soll bis Ende des Jahres vom Bundesamt für den Ausstieg aus der Atomenergie beschlossen. Wir haben Strahlenschutz gemeinsam mit dem Land Niedersachsen auf sichere Alternativen gesetzt. Genau das steht in un- ein Fragebogen erarbeitet werden, um weitere Fachge- serem jetzigen Koalitionsvertrag. spräche über die Ursachen vorbereiten zu können. (Beifall bei der SPD) Das ist der aktuelle Stand der Dinge, was die Untersu- Auch die Kanzlerin hat ja in Meseberg die Alternativen chung in der Elbmarsch betrifft. zur Atomkraft, zum Beispiel die erneuerbaren Energien, schätzen gelernt. In dieser Phase erscheint die KiKK-Studie insofern sehr verdienstvoll, als sie für die 16 deutschen Atomkraft- Deutschland hat eine neue Dimension beim Klima- werke nachweist, dass die Zahl krebskranker Kinder schutz, bei der Energieeffizienz und bei erneuerbaren steigt, je näher ihr Wohnort am AKW-Standort liegt. Da Energien erreicht. Wir haben weltweit eine Vorreiter- liegt doch eine gewisse Kausalität nahe, dass Atomkraft- funktion, wie dies auch auf der Konferenz in Bali deut- werke auch im Normalbetrieb Auswirkungen auf die Ge- lich zutage tritt. sundheit haben. Die Wissenschaft mag sich zu dieser Aussage noch nicht hinreißen lassen. Daher möchte ich Wir sind also auf dem richtigen Weg. Die SPD wird auf eine Studie verweisen, die schon etwas älter ist, die beim Ausstieg aus der Atomkraft wie auch bei der Lö- aber auch sehr überzeugende Hinweise gibt. Es ist die sung der drängenden Aufgaben, die uns mit dem Klima- langjährige Untersuchung von Alice Stewart und Rosalie wandel gestellt werden, Kurs halten. Es gibt keine Pole- Bertell, die über 30 Jahre medizinische Fälle von Men- mik, keine kurz entschlossenen Forderungen, sondern schen begleitet und ausgewertet haben, die niedrigstrah- ein langfristiges Setzen auf sinnvolle, verträgliche Alter- liger Radioaktivität ausgesetzt waren. Sie wiesen nativen. Wir sollten die Bewertung dieser Studie abwar- Zusammenhänge mit den Erkrankungen der Menschen ten und dann die richtigen Schlüsse ziehen. nach. Lange Zeit sind sie nicht ernst genommen worden. (Beifall bei der SPD sowie der Abg. Uwe Aber schließlich hat sich die Erkenntnis durchgesetzt, Schummer [CDU/CSU] und Gert Winkelmeier dass jede Strahlung bei bestimmten Isotopen ein Pro- [fraktionslos]) blem sein kann. So sagen uns Ärzte, dass auch das erste Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 133. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. Dezember 2007 13929

Monika Griefahn (A) Isotop einer inkorporierten Alphastrahlung den Zelltei- der Welt. Viele weitere Gründe gegen den Einsatz der (C) lungsprozess verändern und somit Krebs fördern kann. Atomkraft gibt es. Die Studie hat uns einen weiteren wichtigen aufgezeigt: Wir dürfen die Gesundheit der Was wird denn an den AKWs gemessen? Bei der Um- Bürger nicht leichtfertig gefährden. Lassen Sie uns also gebungsüberwachung am AKW Krümmel gibt es eine diesen Spuk möglichst schnell beenden und weitere Leu- Messung der Emission im Abluftkamin. Dabei handelt kämiefälle verhindern! es sich vorwiegend um Gammastrahlung. Es gibt dort drei Messpunkte für Immissionen für Alpha- und Beta- Danke schön. strahlung. Drei Punkte sind zu wenig, um zu belastbaren Erkenntnissen zu kommen. Darüber hinaus orientieren (Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem sich die Grenzwerte in der Regel – darauf hat Herr Staats- BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) sekretär Müller dankenswerterweise hingewiesen – an MAK-Werten, also an der maximalen Arbeitsplatzkon- Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: zentration bei acht Stunden für einen 70 Kilogramm Ich schließe die Aussprache. schweren Mann. Bei einem Kleinkind wird das mit dem Die Aktuelle Stunde ist hiermit beendet. Faktor 1,2 multipliziert. Unter dem Aspekt der Körper- größe und der völlig anders anzusetzenden Zeit – wenn Ich rufe den Tagesordnungspunkt 5 auf: jemand in der Nähe eines Atomkraftwerkes wohnt – ist das als Vergleichsmaßstab überhaupt nicht ausreichend, Beratung des Antrags der Abgeordneten Priska um daraus Grenzwerte abzuleiten. Hinz (Herborn), Kai Gehring, Krista Sager, weite- rer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/ (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN DIE GRÜNEN) Bildungsstrategie für mehr Chancengerechtig- Außerdem sind nicht nur der Kamin, sondern auch die keit starten Sicherheitsgefäße interessant. Dort aber gibt es keine Emissionsuntersuchungen. – Drucksache 16/7465 – Überweisungsvorschlag: Es kann also sein, dass die Wissenschaft mit den Mes- Ausschuss für Bildung, Forschung und sungen, die gemacht werden, und den Berechnungsgrund- Technikfolgenabschätzung (f) lagen, die gelten, zu dem Schluss kommt, eine eindeutige Innenausschuss Ursachenzuordnung nicht leisten zu können. Deswegen Ausschuss für Arbeit und Soziales kann man aber die Ergebnisse der jetzigen KiKK-Studie Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend nicht beiseiteschieben. Wir als Politiker mit Verantwor- Es ist verabredet, hierzu eine Stunde zu debattieren. – (B) (D) tung für die Gesellschaft und die Gesundheit in dieser Dazu höre ich keinen Widerspruch. Dann ist das so be- Gesellschaft können doch nicht sagen: Solange eine schlossen. Kausalität von Atomkraftwerken und Leukämie nicht bewiesen ist, machen wir weiter wie bisher. Wir müssen Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort der doch sagen: Solange die Möglichkeit besteht, dass es da Kollegin Priska Hinz für Bündnis 90/Die Grünen. einen Zusammenhang gibt, müssen wir Vorsorge treffen und uns von dieser Technologie verabschieden. Priska Hinz (Herborn) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN): (Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kolle- BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) gen! In den letzten Wochen gab es mit IGLU und PISA Wenn dann noch nicht einmal ausgeschlossen werden zwei Schulleistungsstudien, die uns wieder einmal deut- kann, dass Risiken im ganz normalen Betrieb bestehen, lich gemacht haben, dass Deutschland spitze ist, nämlich dann ist es doch umso wichtiger, der Atomkraft ein Ende im Vergeuden von Talenten. Sicher: Die Schülerinnen zu machen, und zwar nicht nur bei uns, sondern auch bei und Schüler sind in den Naturwissenschaften ein biss- anderen. Wir müssen über den Tellerrand hinausschauen. chen besser geworden. Aber machen wir uns nichts vor: Mir macht es Sorge und Angst – das muss ich deutlich Im Lesen und in der Mathematik sind die deutschen sagen –, wenn Herr Gaddafi mit einem Atomkraftwerk Schülerinnen und Schüler nach wie vor Mittelmaß. aus Paris nach Hause geht Unser größtes Problem ist und bleibt die Ungerechtig- (Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem keit im Bildungssystem. Es ist ein Skandal, dass in BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Deutschland Arbeiterkinder bei gleicher Leistung eine fast dreimal geringere Chance haben, ein Gymnasium zu und wenn China AKWs als Heilmittel für den Klima- besuchen, als Akademikerkinder. schutz anpreist. Ich denke, das kann nicht die Zukunft sein. Wir müssen dort gleich andere Lösungen realisieren. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN sowie der Abg. Ulla Christopher Weeramantry vom Internationalen Ge- Burchardt [SPD]) richtshof, der in diesem Jahr den Alternativen Nobelpreis bekommen hat, hat bei seinem Besuch hier in Berlin be- Es ist ein Skandal, dass immer noch 20 Prozent der Ju- sorgt darauf hingewiesen, dass, wer ein AKW hat, auch gendlichen die Schule als funktionale Analphabeten das Material besitzt, eine Bombe zu bauen. Vagabundie- verlassen, und es ist ein Skandal, dass Migrantenkinder rendes Material aus Atomkraftwerken gibt es genug auf in ihren Leistungen um zweieinhalb Schuljahre gegen- 13930 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 133. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. Dezember 2007

Priska Hinz (Herborn) (A) über ihren deutschen Mitschülerinnen und Mitschülern schlossen. Was fehlt, sind die Umsetzungsschritte; da ist (C) zurückliegen. Deswegen fordern wir Grünen eine Bil- bislang nichts passiert. dungsstrategie für mehr Chancengerechtigkeit. Wir wen- Die Ministerin kündigt in dieser Haushaltsdebatte den uns hier ausdrücklich an die Bundesregierung. Da großspurig eine Qualifizierungsoffensive für Erzieherin- darf sich der Bund nicht heraushalten – Föderalismus hin nen an. Auf Nachfrage stellt sich heraus: Das wird ein oder her –, weil es hierbei um die Chancen aller Kinder Weiterbildungsportal im Internet. – Ja, bravo!, kann ich in Deutschland, um den sozialen Zusammenhalt unserer da nur sagen. Das ist eine echte Qualitätsrevolution im Gesellschaft und um die Entwicklung unserer Volkswirt- frühkindlichen Bereich. schaft geht. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Ein weiterer Schuss in den Ofen und äußerst kontra- Gerade in der aktuellen Debatte über den Fachkräfteman- produktiv ist das Betreuungsgeld. Es wird nicht nur von gel muss sich die Regierung fragen lassen: Wie wollen Sie der OECD als desaströs bezeichnet. Wer hat denn den dem eigentlich begegnen, wenn Sie weiter zulassen, dass größten Anreiz, für 150 Euro zu Hause zu bleiben? – so viele junge Menschen ihrer Chancen beraubt werden? Das sind gerade die Familien, deren Kinder die Förde- Es ist eine unbequeme Tatsache, dass der Bildungs- rung am nötigsten haben, nämlich solche, die bildungs- erfolg in Deutschland quasi vererbt wird und dass dies fern sind und in einem sozial benachteiligten Umfeld eine direkte Folge unseres gegliederten Schulsystems ist, leben. Das kann man doch wirklich nicht als Strategie ei- in dem die Kinder nach unten durchgereicht werden, an- ner Bundesregierung bezeichnen, die sich auf die Fah- statt ernsthaft und mit Ausdauer individuell gefördert zu nen geschrieben hat, beim Thema Fachkräftemangel vor werden. Der Vergleich der Ergebnisse von IGLU und allen Dingen die Ausbildung in den Vordergrund zu rü- PISA bestätigt genau das. In der Grundschule können cken. Das müssen Sie in Ihren Köpfen doch einmal ir- die Kinder noch auf hohem Niveau gut lesen, ohne dass gendwie zusammenbringen, vor allen Dingen Sie, meine es eine große Spreizung gibt. Mit der Gliederung des Damen und Herren von der CDU/CSU. Schulsystems ab Sekundarstufe I endet diese Förderung. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Die Kinder werden einsortiert, und die Chancen werden ungleich verteilt, unabhängig davon, welche Talente die Aber auch in Sachen Ausbildung ist von Bildungsge- Kinder haben. rechtigkeit wenig zu sehen. Eine halbe Million Jugendli- che – trotz positiver Zahlen bei den neuen Ausbildungs- Damit sich die Unterrichtskultur in Deutschland än- verträgen – befinden sich in Warteschleifen, die weder dert, damit sich das Schulsystem verbessert, müssen wir zu einem anerkannten Abschluss führen noch auf die (B) auf Dauer die Schulstruktur verändern. Ich finde, dass nachfolgende Ausbildung anrechenbar sind. Anstatt hier (D) sich die Bundesbildungsministerin in diese Debatte und Strukturen zu reformieren, experimentiert die Koalition nicht in die Debatte um das Zentralabitur einmischen mit fragwürdigen Qualifizierungs-Kombilöhnen. sollte. Sich in diese Debatte einzumischen, ist nämlich Bei der Weiterbildung hat die Regierung zwei Rote bedeutend wichtiger. Karten bekommen: eine vom Haushaltsausschuss des (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Deutschen Bundestages – sie soll endlich eine Strategie und bei der LINKEN) vorlegen – sowie eine von der EU, die in ihrem Fort- schrittsbericht analysiert hat, dass wir in Deutschland Die Bundesregierung hat das Thema Schule mit der Qualifizierung zu wenig voranbringen. Wie viele Rote Föderalismusreform erst einmal beiseitegelegt; sie hat Karten brauchen Sie denn noch, um endlich eine Weiter- erklärt, sie sei dafür nicht mehr zuständig. bildungsstrategie vorzulegen und in Sachen Weiterbil- dung zu Potte zu kommen?, fragen wir uns. (Zuruf des Abg. Marcus Weinberg [CDU/CSU]) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) – Das hat diese Bundesregierung zusammen mit der Koali- Wir Grünen haben die Föderalismusreform immer tion aber leider aktiv betrieben. – Nach zwei Jahren hat die schon als großen Fehler betrachtet. Es gibt zurzeit leider Bundesregierung mittlerweile aber gemerkt: Das Thema keine Mehrheit dafür, das zurückzudrehen. Aber es meh- ist doch wichtig; die Bevölkerung verlangt Antworten, und ren sich die Stimmen, selbst bei der CDU/CSU, die sa- das nicht nur von den Kultusministern der Länder. Deswe- gen, dass man die Bildung zum nationalen Thema ma- gen gibt es jetzt eine nationale Qualifizierungsinitiative der chen muss. Die Kanzlerin soll einen Bildungsgipfel Bundesbildungsministerin. Aber erarbeiten Sie bitte auch veranstalten. Frau Schavan mischt sich zunehmend in eine richtig gute Strategie für mehr Bildungsgerechtigkeit Bildungsdebatten ein. Herr Röttgen hat auf einmal ge- und speisen Sie uns nicht wieder mit ollen Kamellen oder fordert, „dass Bildung jenseits der föderalen Zuständig- mit heißer Luft ab! keiten zu einem großen Projekt in der zweiten Halbzeit der Großen Koalition“ zu machen sei. Bitte tun Sie das! (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Sie haben unsere Unterstützung dafür. Die Qualifizierungsinitiative sieht zum Beispiel vor, Wir fordern Sie auf: Legen Sie gemeinsam mit den dass die Zahl der Schulabbrecher halbiert werden soll. – Ländern eine Bildungsstrategie vor, die das Stückwerk Guten Morgen, meine Damen und Herren! Das hat die der föderalen Zuständigkeiten überwindet – mit Prioritä- EU mit den Stimmen Deutschlands schon mehrfach be- ten bei der frühkindlichen Förderung, bei der Bildung Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 133. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. Dezember 2007 13931

Priska Hinz (Herborn) (A) von Migranten, beim längeren gemeinsamen Lernen, bei Herr Tauss, wir beide wissen: Viel wichtiger ist es, dass (C) der Lehrerausbildung und bei der zweiten Chance in wir es geschafft haben, ein halbes Schuljahr aufzuholen. Aus- und Weiterbildung! Dieses Ergebnis ist wichtig für die Schülerinnen und Schüler. Wir nehmen auch gern den Bundesfinanzminister beim Wort, der gefordert hat, „vor allem in Bildung, Bil- Frau Hinz, ich muss Ihnen widersprechen: Auch im dung, Bildung“ zu investieren. Auch das unterstützen Bereich der Lesekompetenz gab es Verbesserungen. wir. (Priska Hinz [Herborn] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nein, das stimmt doch nicht! Sta- Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: tistisch überhaupt nicht signifikant!) Frau Kollegin. Sowohl Leistungsschwächere als auch Leistungsstärkere Priska Hinz (Herborn) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- haben sich verbessert. Bei 13 von 24 OECD-Staaten NEN): stagnierten die Ergebnisse, bei sieben waren sie sogar Der letzte Satz. schlechter als 2000; die deutschen Kinder haben sich verbessert. Wenn bei der Föderalismusreform II etwas für die Bildung herumkommt, können wir die genannten Maß- Im Übrigen wurde auch die Erkenntnis gewonnen, nahmen auch finanzieren und sind gemeinsam auf dem dass in Deutschland wieder mehr Kinder zum Vergnügen Weg, den Skandal der Bildungsbenachteiligung in lesen. Das erachte ich als positiv. Die Abhängigkeit der Deutschland zu beseitigen. Lesekompetenz von der sozialen Herkunft – sie ist nach wie vor viel zu hoch; da sind wir einer Meinung – ist zu- Danke schön. rückgegangen. Auch diese Entwicklung ist wichtig. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Die Ergebnisse von PISA werden immer wieder rela- tiviert. Ich möchte einige Sätze zu den Relativierungsbe- Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: mühungen gewisser Wissenschaftler in den letzten Wo- Der Kollege Marcus Weinberg spricht jetzt für die chen und Monaten sagen. Ich finde es immer schlecht, CDU/CSU-Fraktion. wenn sich die Politik in die Wissenschaft einmischt, wenn sie versucht, Daten zu korrigieren, indem sie die methodische Herleitung bezweifelt. Das macht man Marcus Weinberg (CDU/CSU): nicht. Ich finde es aber auch schwierig, wenn Wissen- Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe schaftler versuchen, wissenschaftliche Daten rein poli- Frau Hinz, bei allem Respekt – ich habe Ihnen sieben (B) tisch zu interpretieren, möglicherweise sogar ideologie- (D) Minuten zugehört, habe das nicht ganz so gern getan, bedingt. Das, was wir in den letzten Monaten zu den aber sei’s drum –: PISA-Ergebnissen gehört haben, auch von Verantwortli- (Dr. Axel Troost [DIE LINKE]: Das gibt es chen aufseiten der OECD, finde ich nicht akzeptabel. Ich doch wohl nicht!) finde es nicht akzeptabel, dass Professor Schleicher die besseren Ergebnisse – auch wenn sie nur leicht besser Dass Sie nach den IGLU- und PISA-Ergebnissen hier ei- sind – zu relativieren versucht. Dazu zitiere ich Herrn nen einzigen positiven Satz zustande bringen, um die Professor Prenzel: deutschen Schülerinnen und Schüler und auch die Lehrer einmal zu loben, ist, finde ich, einfach zu wenig. Die Ergebnisse von PISA 2006 sind sehr wohl mit denen von 2003 vergleichbar, da die Rahmenkon- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) zeption für PISA 2006 die vorausgegangenen Kon- Bei aller Kritik an den Ergebnissen sollte man beden- zeptionen aufgegriffen und fortentwickelt hat. ken: Als wir aus dem Bildungsbereich damals, nach den Hinzu gekommen sind lediglich Einstellungsfragen, ersten PISA-Ergebnissen, zusammenkamen, wurden beispielsweise zum Verantwortungsgefühl für die zwei Dinge gefordert. Umwelt, die aber gerade nicht Gegenstand der Tests zur Wissensüberprüfung waren … Erstens: Reformen im Bereich des Bildungssystems. Das heißt im Ergebnis: Wir sollten uns nicht in den Zweitens: Zeit. Es war und ist wichtig, den Schulen, Streit der Wissenschaft einmischen; aber ein paar mah- Pädagogen und Schülern Zeit zu geben, sich zu verän- nende Worte auch in die Richtung von Herrn Professor dern und die Reformen durchzuführen. Schleicher sind angebracht. Wir sollten das Ergebnis, Ich finde, dass die PISA-Ergebnisse gut sind. Im Be- dass wir uns verbessert haben, optimistisch wahrnehmen reich der Naturwissenschaften ist Deutschland auf und dementsprechend bewerten und nicht in der Bil- Platz acht der OECD-Staaten. Das ist überdurchschnitt- dungspolitik alles ins Negative wandeln. lich. Entscheidend ist dabei die Verbesserung: von (Priska Hinz [Herborn] [BÜNDNIS 90/DIE Platz 18 auf Platz 13. Das signalisiert, dass wir im deut- GRÜNEN]: Sie haben doch gesagt, Sie wollen schen Bildungssystem Reformen umgesetzt haben, all- sich nicht einmischen! Dann reden Sie nicht mählich, aber kontinuierlich. darüber! Dann reden Sie doch lieber darüber, (Jörg Tauss [SPD]: Im Fußball sind wir oben wo das Problem ist und wie das Problem ge- mit dabei!) löst werden kann! Das ist unsere Aufgabe!) 13932 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 133. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. Dezember 2007

Marcus Weinberg (A) Sie haben die Probleme angesprochen, und Sie haben – Moment mal, Frau Hinz! Erst einmal kurz zuhören! – (C) angesprochen, was die Bundesregierung aus Ihrer Sicht Das haben Sie übrigens in Ihrem Antrag mit dem Defi- alles nicht tut. Ich möchte drei Punkte herausgreifen. zit, das im Bereich „Soziale Herkunft – Bildungserfolg“ besteht, zusammengebracht. Sie sagen also: „Die Bun- Völlig richtig ist: Es ist schlecht, dass die soziale Her- desregierung tut nichts“ kunft und der Migrationshintergrund den Bildungserfolg von Kindern definieren. (Cornelia Hirsch [DIE LINKE]: Ja! Richtig!) (Beifall des Abg. Jörg Tauss [SPD]) und werfen ihr vor, sie habe zwei Jahre abgewartet. Dazu kann ich nur sagen: Schauen Sie sich einmal die Das ist in Deutschland extrem. Deutschland ist aber Biografie der heute 15-Jährigen an. Sie wurden 1997 nicht mit Kanada oder Finnland vergleichbar, weil die eingeschult, sie sind in der Regel 2001 in die Sekundar- soziale, die kulturelle Entwicklung eine andere ist. Sie stufe gekommen und überprüft wurden sie 2006. Man schauen jetzt so kritisch. Schauen Sie sich einmal das könnte auch sagen: Die gesamte Bildungsbiografie die- kanadische Zuwanderungssystem an! ser Kinder bildet eine Zeit ab, in der Rot-Grün die Re- gierungsmehrheit stellte. Da frage ich mich: Was haben (Priska Hinz [Herborn] [BÜNDNIS 90/DIE Sie denn damals gemacht? Sie haben gar nichts gemacht. GRÜNEN]: Kanada ist ein Einwanderungs- Wir haben mittlerweile eine Qualifizierungsoffensive land!) eingeleitet und den Nationalen Integrationsplan sowie weitere Lösungsansätze entwickelt. – Frau Hinz, entschuldigen Sie. Ich glaube, Sie wissen nicht, welche Maßnahmen bei der Integration von Mi- (Priska Hinz [Herborn] [BÜNDNIS 90/DIE granten in Kanada und Finnland ergriffen werden. Der GRÜNEN]: Ganztagsschulprogramm! – Zu- Anteil der Kinder mit Migrationshintergrund ist bei uns ruf des Abg. Jörg Tauss [SPD]) viermal so hoch. Sie können nicht Südlappland mit Hamburg oder Dortmund vergleichen. – 4 Milliarden Euro für das Ganztagsschulprogramm, das ist richtig. Ich hätte mir gewünscht, dass es – das hat, (Priska Hinz [Herborn] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- wie ich glaube, auch der Kollege Schummer damals in NEN]: Ich rede ja auch über Kanada!) seiner Rede gesagt – enger mit den Ländervertretern ab- gestimmt worden wäre. Sie müssen auch die kulturellen und sozialen Vorgänge in Ihre Bewertung einbeziehen. (Zuruf der Abg. Priska Hinz [Herborn] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) (Priska Hinz [Herborn] [BÜNDNIS 90/DIE (B) GRÜNEN]: Kanada ist ein Einwanderungs- Ich will nun auf einen anderen Bereich zu sprechen (D) land! – Gegenruf der Abg. Marion Seib [CDU/ kommen. Es geht – das geht uns auch nach der Födera- CSU]: Wir reden jetzt über Deutschland!) lismusreform noch etwas an – um den wichtigen Bereich der Bildungsforschung. Für die empirische Bildungsfor- Kanada definiert sich als Zuwanderungsland; aber die schung haben wir 120 Millionen Euro vorgesehen, da- Zuwanderung ist wesentlich geringer als in Deutschland. von 56 Millionen Euro für ein nationales Bildungspanel. Hätte damals die CDU/CSU jene Maßnahmen und Re- Damit haben wir die Möglichkeit, endlich dauerhaft Bio- striktionen gefordert, die dort ergriffen werden, dann grafien von Schülerinnen und Schülern zu verfolgen und hätten Sie aufgeschrien. Das ist die Realität in Kanada. festzustellen, wie welche Bildungsimplikationen wirken. Deswegen kommen dort solche Probleme nicht auf. ( [CDU/CSU]: Genauso Die Bundesregierung hat den Nationalen Integra- ist es!) tionsplan beschlossen. Ich glaube, es ist gut, dass man Dieses Programm zur Bildungsforschung wird in den erstmals die Maßnahmen und Möglichkeiten sowie den nächsten Jahren eine tragende Stütze für die Reformen Bedarf im Bereich der Integration bündelt. Ich finde es sein, die auf Länderebene, aber teilweise auch im Bund richtig, dass die Kompetenzzuweisung die Federführung auf den Weg gebracht werden. des Bundes vorsieht. Es geht hier um Fragen der Sprach- förderung, der Integrationskurse und der Maßnahmen im (Beifall bei der CDU/CSU) beruflichen Bereich. Der Bund hat das richtigerweise Über einen Punkt, Frau Hinz, müssen wir noch ein- zum ersten Mal in seiner Geschichte aufgegriffen. mal sprechen. Ich möchte hierzu von Ihnen gerne noch Ein weiterer Punkt, den Sie angesprochen haben, ist einmal eine Antwort. Sie haben wieder einmal das ge- die Qualifizierungsoffensive. Ich stimme Ihnen zu, dass gliederte Schulsystem kritisiert. die Frage der Durchlässigkeit wichtig ist. Man muss fra- (Cornelia Hirsch [DIE LINKE] und Kai gen, wie es um die Bildungswege steht. In Ihrem Antrag Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Zu sprechen Sie kritisch an: Erst zwei Jahre nachdem die Recht!) Bundesregierung ins Amt gekommen sei, leite man die Qualifizierungsoffensive ein. Sie haben Gott sei Dank nicht den Vergleich mit Finn- land gebracht, sonst müssten wir hier einmal einen Ver- (Priska Hinz [Herborn] [BÜNDNIS 90/DIE gleich mit Frankreich oder Schweden anstellen. Diese GRÜNEN]: Initiative! Es ist nicht einmal eine haben nämlich bei PISA abgebaut, obwohl sie ein inte- Offensive! Es ist eine Initiative!) griertes System haben. Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 133. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. Dezember 2007 13933

Marcus Weinberg (A) (Priska Hinz [Herborn] [BÜNDNIS 90/DIE Bei Reformen in diesem Bereich müssen wir uns über (C) GRÜNEN]: Wir können auch über Kanada Reformen bei der Lehrerausbildung, über Qualitätsent- und Großbritannien reden!) wicklung und über die Erhöhung der Autonomie der Schulen, sprich der Selbstständigkeit, unterhalten. Es Mir reicht es nicht, wenn Sie hier nur eine Kritik am ge- geht um die Frage, was man mit Blick auf Bildung im gliederten Schulsystem vortragen. Sie müssen auch ein- frühkindlichen bzw. vorschulischen Bereich tun kann. In mal sagen, was Sie wollen. Wollen Sie die Einheits- der Debatte geht es dann sicherlich auch um die Frage schule? Wollen Sie die Gymnasien abschaffen? der Schulstruktur. Aber die Frage der Schulstruktur an (Cornelia Hirsch [DIE LINKE]: Ja!) die erste Stelle zu setzen, ist ein methodischer Fehler. Den haben Sie wiederum in Ihrem Antrag und in Ihrer Diesbezügliche Äußerungen habe ich von Ihnen noch Rede gemacht. Es reicht nicht aus, das gegliederte nicht gehört. Bei der nächsten Ausschusssitzung hätten Schulsystem einfach nur zu kritisieren. Mit der Födera- Sie die Gelegenheit, uns einmal vorzustellen, wie Ihr lismusreform haben wir den Ländern die Verantwortung Konzept zu dieser Frage aussieht. zugewiesen, jeweils nach ihren Bedürfnissen zu reagie- (Priska Hinz [Herborn] [BÜNDNIS 90/DIE ren. Wir in Hamburg wollen das zweigliedrige Schulsys- GRÜNEN]: Das machen wir gerne! Wenn Sie tem. In Bayern wird man das dreigliedrige Schulsystem das wirklich wissen wollen, machen wir das! – noch länger behalten. Jedes Land soll hier selber ent- Krista Sager [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: scheiden. Wichtig ist nur eines: Bildungsvielfalt. Das Machen wir gerne!) heißt keine Einheitsschule, keine Gleichmacherei auf niedrigem Niveau. Da müssen sich die Grünen und ei- – Frau Sager, bei Ihnen weiß ich das nicht. Ich erlebe ge- nige andere klar äußern. Wir werden diese Debatte wie- rade in Hamburg, wie Ihre Partei die Einheitsschule der der führen müssen. Bildungsvielfalt vorzieht. (Priska Hinz [Herborn] [BÜNDNIS 90/DIE (Zurufe von der SPD) GRÜNEN]: Sie können ganz beruhigt sein! Wir von der CDU/CSU haben in der Frage eine klare Wir wollen auch keine Einheitsschule und Position. Wir sagen, das, was in Thüringen, Sachsen, keine Gleichmacherei! Da sind wir uns einig!) Bayern und Baden-Württemberg gut ist, kann nicht Ich halte es für richtig – damit komme ich zum schlecht sein. Schluss, Frau Hinz –, dass jeder für sich entscheidet, ob (Jörg Tauss [SPD]: Na, na, na!) das Glas halbvoll oder halbleer war. Wichtig ist, festzu- halten: Die kleinschrittigen Reformen haben, auch wenn (B) Ob die Systeme zwei- oder dreigliedrig sind, ist eine es sehr mühevolle Reformen waren, gewirkt. Das haben (D) Frage, die die Verantwortlichen auf Länderebene ent- PISA und IGLU bewiesen. Wir müssen trotzdem weiter- scheiden sollen. Mir ist es nur wichtig, dass wir die Bil- arbeiten. Jetzt geht es aber um die Fragen, die ich gerade dungsvielfalt behalten. Da haben wir von der CDU/CSU angesprochen habe. Es erscheint mir wichtiger, über die eine ganz klare Position: Bildungsvielfalt statt Einheits- Lehrerfortbildung zu diskutieren, als nur und allein über schule. Wir könnten jetzt lange die Situation innerhalb die Schulstruktur. Deutschlands und zwischen Deutschland und Europa vergleichen. Ich möchte nur von denjenigen, die heute Ich glaube, dass wir auf dem richtigen Weg sind, und das gegliederte Schulsystem im engeren Sinne kritisie- hoffe, dass die Ergebnisse aus der nächsten PISA-Studie, ren, wissen, welche Alternativen sie vorschlagen und ob die wir in drei Jahren bekommen werden, das bezeugen sie die Einheitsschule wollen. werden. Insoweit freue ich mich auf weitere interessante Diskussionen, auch mit Ihnen. Von Ihnen möchte ich (Swen Schulz [Spandau] [SPD]: Gemein- dann gerne hören, was Sie sich genau unter der Einheits- schaftsschule!) schule vorstellen und ob Sie tatsächlich die Bildungs- Das frage ich auch vor dem Hintergrund, dass die Ab- vielfalt abschaffen wollen. schaffung der Gymnasien 86 Prozent der Anhänger der In dem Sinne: Vielen Dank. Linken abgelehnt haben. (Beifall bei der CDU/CSU – Cornelia Hirsch (Lachen der Abg. Cornelia Hirsch [DIE [DIE LINKE]: Schlecht, schlecht! – Zuruf der LINKE] – Cornelia Hirsch [DIE LINKE]: Wo- Abg. Krista Sager [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- her haben Sie das denn?) NEN]) – Das ist Ihre Abteilung. – Bei der SPD waren es 88 Prozent. Insgesamt haben sich nur 29 Prozent für die Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Einführung einer Einheitsschule ausgesprochen. Das Wort hat jetzt die Kollegin Cornelia Pieper für (Priska Hinz [Herborn] [BÜNDNIS 90/DIE die FDP-Fraktion. GRÜNEN]: Das wundert einen nicht! Ich wollte heute auch keine Einheitsschule!) Cornelia Pieper (FDP): Das ist eine zentrale Schlussfolgerung, die, wie ich Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich habe glaube, auch aus den PISA-Studien gezogen werden die große Bitte an alle Abgeordneten im Deutschen Bun- kann. destag, aber auch in den Landtagen, endlich die ideologi- 13934 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 133. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. Dezember 2007

Cornelia Pieper (A) schen Scheuklappen abzulegen, wenn wir über Bil- Es geht aber um mehr. Wir haben noch weitere große (C) dungspolitik in Deutschland diskutieren. Sorgen in diesem Land, was das Bildungssystem anbe- langt. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD) (Carl-Ludwig Thiele [FDP]: Oh ja!) Für die Liberalen ist die größte sozialpolitische He- Wir ignorieren nicht die rund 24 Prozent junger Men- rausforderung des 21. Jahrhunderts, unseren Kindern schen, die ihre Berufsausbildung abbrechen. Wir igno- und Jugendlichen eine gute Bildung zu ermöglichen. Der rieren nicht die 8 bis 9 Prozent Schülerinnen und Schüler ehemalige Bundespräsident hat vor rund pro Jahrgang, die noch nicht einmal ihren Hauptschulab- zehn Jahren in seiner berühmten „Ruck-Rede“ erklärt, schluss schaffen. Bildung müsse in unserem Land zu einem Megathema (Jörg Tauss [SPD]: Auch in Bayern!) werden, wenn wir uns in der Wissensgesellschaft des nächsten Jahrhunderts behaupten wollen. Recht hat er Jedes Schicksal, jedes Kind ist uns wichtig. Alle Kinder, gehabt. Zehn Jahre sind inzwischen ins Land gegangen, gerade die aus einkommensschwachen Elternhäusern, und wir sind ein Stück vorangekommen. Ich behaupte müssen eine Chance auf bessere Bildung bekommen. aber, das reicht noch nicht. Bildung muss das zentrale Deswegen meinen wir: Der Schlüssel zum Erfolg, was Zukunftsthema für Deutschland werden. die chancengerechte Bildung angeht, ist mehr frühkind- liche Bildung. (Beifall bei der FDP) (Beifall bei der FDP) Unter diesem Gesichtspunkt stimme ich zumindest Diese frühkindliche Bildung muss eine intensive Sprach- dem Titel des Antrages von Bündnis 90/Die Grünen förderung beinhalten, gerade für Kinder mit Migrations- „Bildungsstrategie für mehr Chancengerechtigkeit star- hintergrund. Auch die Mütter dieser Kinder müssen bei ten“ zu. Die Frage ist nur, wie wir das in Deutschland der Förderung einbezogen werden. umsetzen. Wir brauchen bessere Bildungseinrichtungen und bes- (Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: sere Kindergärten, die auch Bildung vermitteln. Deswe- Sicher nicht mit Studiengebühren!) gen sind bundesweite Bildungsstandards, mit denen die Aus der teilweise richtigen, aber nicht ganz vollständi- Qualität von Kindergärten beschrieben werden kann, gen Analyse im Antrag zieht die Fraktion Bündnis 90/ vonnöten. Die Grünen aus meiner Sicht falsche, nämlich rein ideo- (René Röspel [SPD]: Warum haben Sie das da- logische Schlussfolgerungen. (B) mals nicht gemacht?) (D) (Beifall bei der FDP) Wir brauchen eine bessere Qualifizierung von Erziehe- rinnen und Erziehern; da gebe ich den Grünen recht. Wir Ich will noch einmal die Fakten nennen. Nach den wollen, dass zumindest die Kindergartenleiterinnen ei- letzten internationalen Studien ist es so, dass Deutsch- nen Fachhochschulabschluss haben. land zu den elf IGLU-Teilnehmerstaaten gehört, in de- nen 2006 signifikant bessere Leseleistungen erzielt wur- Wir wollen mehr Qualität in der Bildung und eine indi- den als 2001. Deutschland liegt erstmals über dem viduellere Förderung von Kindern. Das ist der Schlüssel OECD-Durchschnitt. Beim Schwerpunkt Naturwissen- zu mehr Chancengerechtigkeit und zu mehr Qualität in schaften erreicht Deutschland Platz 13 von 57 Nationen. unserem Bildungssystem. So werden wir im internationa- Schauen Sie sich in diesem Zusammenhang einmal die len Wettbewerb besser bestehen können. Rangfolge der Bundesländer an: Auf Platz 1 liegt Bay- Vielen Dank. ern, auf Platz 2 Baden-Württemberg, auf Platz 3 Sachsen und auf Platz 4 Thüringen. Danach folgen Hessen und (Beifall bei der FDP) Sachsen-Anhalt. Soweit ich mich erinnere, regiert in kei- nem dieser Bundesländer Rot-Grün. Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: (Beifall bei der FDP) Das Wort hat nun Kollege Swen Schulz, SPD-Frak- tion. Man muss den Schwarz-Weiß-Diskussionen mit Vor- sicht begegnen. Deswegen will ich sie nicht fortsetzen. (Beifall bei der SPD) Wir sehen keinen kausalen Zusammenhang zwischen so- zialer Selektion, also den schlechteren Chancen von Swen Schulz (Spandau) (SPD): Kindern aus bildungsfernen Schichten, und einem ge- Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! gliederten Schulsystem. Nicht nur wir, sondern auch der Meine sehr verehrten Damen und Herren! Um es vor- Bildungsexperte Professor Dr. Prenzel meint: wegzusagen: Der Antrag der Grünen geht in die richtige Richtung. Wer nur die Schulstruktur ändert, wird auf die Nase fallen. (Beifall des Abg. Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD]) Recht hat er. Allerdings gibt es an dem Antrag etwas, was mich auf (Beifall bei der FDP) den ersten Blick gestört hat, nämlich der Titel. Die Grü- Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 133. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. Dezember 2007 13935

Swen Schulz (Spandau) (A) nen wollen „mehr Chancengerechtigkeit“ und nicht Wird dieses Geld von den Eltern dafür genutzt, die Kin- (C) Chancengleichheit. der auch tatsächlich zu fördern? (Beifall bei der SPD sowie der Abg. Cornelia (Jörg Tauss [SPD]: Nein!) Hirsch [DIE LINKE]) Werden pädagogisch sinnvolle Spiele gekauft und dann Ich möchte zwar nicht kleinlich erscheinen, aber wir auch gemeinsam gespielt? müssen bei den Begrifflichkeiten aufpassen. (Jörg Tauss [SPD]: Nein!) Gerechtigkeit ist eine Kategorie, mit der etwas, was Werden Ausstellungen besucht, Ausflüge organisiert, ungleich ist, legitimiert wird. Sprachförderung gemacht? (Zuruf der Abg. Priska Hinz [Herborn] (Marion Seib [CDU/CSU]: Herr Kollege, ge- [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) hen Sie mit den gutmeinenden Eltern nicht so – Hören Sie mir doch zu, Frau Hinz! – Der Grundsatz schlecht um!) zum Beispiel, dass jemand, der mehr leistet, auch mehr Es wird sicherlich die eine oder andere Familie aus die- bekommen soll, beschreibt dies. Doch um Gerechtigkeit sem problematischen Bereich geben, die das macht. zu organisieren, müssen die Chancen gleich sein. Unser Ziel für das Bildungswesen ist, Chancengleichheit zu er- (Marion Seib [CDU/CSU]: Allerdings!) reichen. Das ist Voraussetzung für Gerechtigkeit. Aber ich denke, in der Regel wird das nicht so sein. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Wir brauchen alle Kraft und alle Mittel für die Ein- der FDP und der LINKEN) richtungen, für deren Ausstattung und deren Personal so- Das muss von Anfang an organisiert werden. Viele wie für die Gebührenfreiheit. Gehen Sie einmal in eine Kinder haben aufgrund ihrer Herkunft, aufgrund ihrer Kita und sprechen Sie dort mit den Erzieherinnen, die sozialen oder familiären Situation schlechte Startbedin- sich jeden Tag für die Kinder einsetzen, die Probleme gungen. Darum ist es so notwendig, dass wir die Krippen beheben und die Integration fördern. Sprechen Sie ein- und Kitas als Bildungseinrichtungen begreifen, in denen mal mit ihnen über das Erziehungsgeld. Ich glaube, da die Kinder gefördert werden. werden Sie nicht gut landen. Das ist ein wirklich falscher Weg. Bitte lassen Sie das sein! (Beifall bei der SPD sowie der Abg. Dr. Petra Sitte [DIE LINKE]) (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Es ist ein großer Schritt, wenn wir den Rechtsanspruch (B) auf vorschulische Bildung und Betreuung ab dem ersten Liebe Kolleginnen und Kollegen, Bildung braucht (D) Geburtstag festschreiben, das Angebot ausbauen und die Zeit. Chancengleichheit kann es nicht geben, wenn die Qualität verbessern. Ich begrüße ausdrücklich, dass un- Schule mittags vorbei ist und die Kinder danach auf sich ser Koalitionspartner in dieser Hinsicht hinzugelernt hat allein gestellt sind. Das Lernen ist ja mit dem Schul- schluss nicht vorbei. Es müssen Hausaufgaben gemacht (Beifall bei der SPD) werden, oder es muss für die Arbeit am nächsten Tag ge- und inzwischen das, was Rot-Grün unter Familienminis- lernt werden. Es ist ganz offensichtlich: Kinder, die in terin forciert hat, akzeptiert. der Familie unterstützt werden, haben dann gute Karten. Aber das ist nicht überall so. Es ist aber nicht zu verschweigen, dass wir innerhalb der Koalition noch einen Konflikt haben. Teile der CDU/ Besonders klar werden die Probleme, wenn man sich CSU fordern die Einführung eines Erziehungsgeldes. verdeutlicht, dass Nachhilfe inzwischen ein milliarden- Die Familien, die ihre Kinder nicht in die Krippe oder schwerer Markt ist. Das zeigt, wie ungleich die Chancen die Kita geben möchten, sollen vom Staat Geld erhalten verteilt sind. Denn wer kann oder will sich das leisten – gewissermaßen als Ausgleich, weil sie die staatlich fi- und wer nicht? Wir müssen aber allen den gleichen Zu- nanzierte Einrichtung nicht in Anspruch nehmen. gang zu Bildung ermöglichen, egal wie viel Geld die El- tern haben. (Jörg Tauss [SPD]: Grober Unfug! – Marion Seib [CDU/CSU]: Aber mitfinanzieren!) (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Ich habe die wirklich herzliche Bitte: Lassen Sie diese Idee in der Mottenkiste verschwinden. Darum ist es für die Förderung aller – übrigens auch für die der starken Schülerinnen und Schüler – so wichtig, (Beifall bei der SPD – Marion Seib [CDU/ dass wir flächendeckend Ganztagsschulen einrichten. CSU]: Nein, kommt nicht infrage!) (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ Denn was würde in der Realität passieren? Familien, de- DIE GRÜNEN – Cornelia Pieper [FDP]: Rich- ren Kinder eine besondere Förderung benötigen, weil tig!) sich die Eltern nicht kümmern können oder wollen, wer- den ihre Kinder sehr häufig zu Hause behalten; denn das Auch das ist übrigens ein Punkt, den Rot-Grün mit Bil- ist bares Geld für die Eltern. dungsministerin Bulmahn forciert hat (Marcus Weinberg [CDU/CSU]: Aber Ihr El- (Cornelia Pieper [FDP]: Gab es aber schon ternbild ist auch sehr einseitig!) vorher in einigen Ländern!) 13936 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 133. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. Dezember 2007

Swen Schulz (Spandau) (A) und der inzwischen von der CDU/CSU unterstützt wird. dere sein, um eine Gymnasialempfehlung zu erhalten. (C) Wir begrüßen das. Das ist nicht tragbar. Das muss anders laufen. (Beifall bei der SPD) (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Die Einführung von Ganztagsschulen ist natürlich Auf- gabe der Bundesländer. Ich sage das nicht, weil ich hier ir- Ich bin sicher, dass die Einführung der Gemein- gendetwas wegschieben will – ganz und gar nicht. Im Ge- schaftsschule hierbei ein notwendiger Schritt ist. Natür- genteil: Gerade die SPD hat sich im Deutschen Bundestag lich weiß ich, dass das nicht das Allheilmittel ist. Das al- im Rahmen der Debatte um die Föderalismusreform I da- lein wird es nicht bringen. Es geht vor allem um die für eingesetzt, dass der Bund den Ländern im Bereich der Inhalte, die Lehrerausbildung und die pädagogischen Schulen helfen darf. Konzepte. Es ist aber offensichtlich, dass das gegliederte Schulsystem, die frühe Aufteilung der Schüler auf ver- (Beifall bei Abgeordneten der SPD) schiedene Schularten, ein großes Problem ist. Die Länder haben aber darauf bestanden, dass sie ganz (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ allein für die Schulen zuständig sind. DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der (Priska Hinz [Herborn] [BÜNDNIS 90/DIE LINKEN – Marcus Weinberg [CDU/CSU]: GRÜNEN]: Sie hätten ja nicht nachgeben Wollen Sie die Gymnasien abschaffen?) müssen! Also bitte!) Grundidee des gegliederten Schulsystems ist, dass ho- Ich bin mir nicht sicher, ob alle Ländervertreter begriffen mogene Gruppen besser lernen. Ich kann die Befürch- haben, dass diese Kompetenz auch eine entsprechende tung von Eltern verstehen, dass ihr talentiertes Kind im Verantwortung nach sich zieht, der sie gerecht werden Schulalltag durch schwächere Schüler möglicherweise müssen. am Lernen gehindert wird. Es gibt auch Fälle, wo das heute so ist. Darum muss nicht nur die Form, sondern Im Rahmen der Diskussion über die Föderalismusre- auch der Inhalt der Schule besser werden. Es geht um form II werden wir diesbezüglich wohl keine grundle- eine Schule neuen, modernen Typs, wie sie in vielen gend neue Weichenstellung hinbekommen. In einem Staaten erfolgreich ist, in denen die Starken und die Punkt sollten wir aber Einigkeit herstellen können: Der Schwachen optimal gefördert werden. alte Investitionsbegriff, der Ausgaben für Beton erleich- tert und Ausgaben für Bildung erschwert, gehört raus (Beifall bei der SPD sowie der Abg. Krista Sager aus den Verfassungen von Bund und Ländern. Das ist ein [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Relikt des Wiederaufbaus. Heute müssen wir vor allem (B) Wenn die Logik des gegliederten Schulsystems stim- (D) in die Köpfe investieren. men würde, müssten unsere Abiturienten ja die besten (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ der Welt sein. Das ist aber nicht der Fall. DIE GRÜNEN) (Marcus Weinberg [CDU/CSU]: Aber es gibt Jetzt nähere ich mich dem Diskussionsthema, das von auch die Zweigliedrigkeit!) meinen Vorrednern schon genannt wurde. Erst wenn eine moderne Pädagogik etabliert wird, wer- (Marion Seib [CDU/CSU]: Neun Minuten sind den alle Schüler besser. Finnland und Kanada zeigen, lang, gell?) wie es geht. Herr Weinberg, ich bitte Sie, noch einmal genau in die PISA-Studie zu schauen. Neulich erzählte mir ein Freund arabischer Herkunft, dass seine Brüder und er am Ende ihrer Grundschulzeit (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten nicht etwa eine Gymnasial- oder Realschulempfehlung, des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – sondern eine Hauptschulempfehlung bekommen haben, Marcus Weinberg [CDU/CSU]: Frankreich obwohl die Leistungen sehr gut waren. Sie hatten richtig und Schweden! Schauen Sie sich das einmal ordentliche Noten. Heute sind sie Bauingenieur, Bioche- an!) miker und Herzchirurg. Herr Weinberg, auch Ihnen muss es doch zu denken geben, dass die deutschen Grundschulen, die ja praktisch (Marion Seib [CDU/CSU]: Das ist doch wun- Gemeinschaftsschulen sind – dort lernen alle gemeinsam –, derbar!) im internationalen Vergleich besser abschneiden als die Wie viele Eltern haben aus welchen Gründen auch Oberschulen. immer nicht die Kraft wie diese Familie, das Beste für (Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: ihre Kinder durchzusetzen? Wie viele Talente haben wir Sehr richtig!) schon „vergeudet“? Herr Weinberg, vielleicht überzeugt Sie die folgende (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ Tatsache: Den deutschen Schulpreis 2007 hat eine Ge- DIE GRÜNEN) samtschule gewonnen. Herr Weinberg, die PISA-Studie hat sehr deutlich ge- (Beifall bei der SPD) zeigt, dass die Abhängigkeit des Bildungserfolgs vom sozialen und familiären Hintergrund eklatant ist. Kinder Die weiteren Preisträger sind ein integriertes Förderzen- ausländischer Herkunft müssen wesentlich besser als an- trum, eine weitere integrierte Gesamtschule, eine Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 133. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. Dezember 2007 13937

Swen Schulz (Spandau) (A) Montessori-Gemeinschaftsschule und – immerhin – ein (Marcus Weinberg [CDU/CSU]: Nein! Das ist (C) Gymnasium. Das ist übrigens eine bessere Quote als falsch!) 2006. Damals war überhaupt kein Gymnasium unter den Preisträgern. dass sich die soziale Ungleichheit sogar weiter ver- schärft hat. (Marcus Weinberg [CDU/CSU]: Wollen Sie die Gymnasien abschaffen? Sagen Sie das (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- doch einmal!) neten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Marion Seib [CDU/CSU]: Sie sind doch des Herr Köhler hat vor wenigen Tagen gesagt: Schon Lesens mächtig! Lesen Sie das lieber noch ein- heute ist zu beobachten, dass dort, wo die Schulinfra- mal genau nach!) struktur aufgrund sinkender Kinderzahlen ausdünnt, die Bereitschaft zu pragmatischen Lösungsansätzen wächst. Genau diese Kritik wird im Antrag von Bündnis 90/ Wo zugunsten der Kinder und damit der Zukunft gehan- Die Grünen aufgegriffen. Deshalb begrüßt ihn die Linke delt werden muss, sollten ideologische Vorbehalte – etwa ausdrücklich. Wir halten es auch für richtig, dass dieser über Schulstrukturen oder den jahrgangsübergreifenden Antrag in den Bundestag eingebracht wurde. Wenn uns Unterricht – an Bedeutung verlieren. auch vonseiten der Bundesbildungsministerin immer wieder erzählt wird, man könne im Bildungsbereich (Beifall bei Abgeordneten der SPD, des eigentlich gar nichts machen, weil die Länder hierfür BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der verantwortlich seien, stehen wir vor ganz konkreten CDU/CSU) Herausforderungen, die dringend angegangen werden müssen. Für die Linke möchte ich vier Punkte nennen, Der Bundespräsident hat recht. Ich kann nur alle auf- die wir in diese Debatte einbringen möchten. fordern, aus ihren ideologischen Schützengräben heraus- zuklettern. Das Bildungssystem bestimmt unsere Zu- Der erste Punkt – er ist schon angesprochen worden – kunft. Deswegen müssen wir es immer wieder auf den betrifft den Föderalismus. Als Vernor Muñoz, der UN- Prüfstand stellen. Das gegliederte Schulsystem stammt Sonderberichterstatter, in seinem Bericht festgestellt hat, nun einmal aus der Kaiserzeit. Es ist von ständischem dass das Recht auf Bildung in Deutschland missachtet Denken geprägt. Es wird modernen Erfordernissen nicht wird, hat uns die Bundesbildungsministerin sinngemäß mehr gerecht. gesagt, das täte ihr leid, sie würde es nicht gut finden, aber sie könne daran wenig ändern, da für den Bildungs- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten bereich in diesem Land hauptsächlich die Länder zustän- des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) dig seien. (B) (D) Wir dürfen niemanden zurücklassen, und wir wollen auf (Marion Seib [CDU/CSU]: Allerdings! Gott kein Talent verzichten. Darum brauchen wir die Ge- sei Dank ist das so!) meinschaftsschule. Ich setze darauf, dass diejenigen, die bei der vorschulischen Bildung und bei der Ganztags- Liebe Kolleginnen und Kollegen, angesichts einer schule hinzugelernt haben, dies auch in diesem Punkt solchen Aussage müsste langsam wirklich allen Beteilig- tun. ten klar werden, dass die derzeitige Kompetenzvertei- lung zwischen Bund und Ländern keinen Sinn macht Herzlichen Dank. und dass wir, nachdem Sie die Föderalismusreform I be- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten reits vergeigt haben, dafür sorgen müssen, dass wir nicht des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) auch noch die Föderalismusreform II vergeigen. (Beifall bei der LINKEN) Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Obwohl es bei der Föderalismusreform I im Bildungs- Das Wort hat nun Kollegin Cornelia Hirsch, Fraktion ausschuss eine breite Mehrheit dafür gab, mehr Kompe- Die Linke. tenzen des Bundes im Bildungsbereich zu fordern, um auch in Zukunft Programme wie das Ganztagsschulpro- Cornelia Hirsch (DIE LINKE): gramm initiieren zu können, hat sich Bundesbildungs- Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der ministerin hier absolut beratungsresis- PISA-Schock aus dem Jahre 2001 war vor allen Dingen tent gezeigt und sogar noch Kompetenzen an die Länder deshalb ein so großer Schock, weil damals ganz klar abgegeben. Dieser Fehler darf im Rahmen der Föderalis- schwarz auf weiß festgestellt und endlich einer breiten musreform II nicht wiederholt werden. Öffentlichkeit bekannt wurde, was der große Skandal Die Linke hat Vorschläge vorgelegt, wie man bei- des deutschen Bildungssystems ist: dass diejenigen, die spielsweise die Bildungsfinanzierung zu einer Gemein- aus Familien mit wenig Geld kommen, herausgekickt schaftsaufgabe von Bund und Ländern machen könnte; werden und ohne Perspektive auf der Straße stehen blei- das wäre ein Schritt in die richtige Richtung. ben. Dass das so ist, finden wir falsch. Wenn wir uns die Ergebnisse von IGLU und PISA, die in diesem Jahr er- (Dr. [FDP]: Wenn Sie das mittelt wurden, ansehen, dann müssen wir feststellen wirklich wollen, dann können Sie uns doch in – Herr Weinberg, das gilt auch für Sie –, dass sich an Berlin schon einmal vormachen, wie gut das diesem Skandal nicht das Geringste geändert hat, funktioniert! Warum machen Sie das nicht?) 13938 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 133. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. Dezember 2007

Cornelia Hirsch (A) Ich lade Sie ganz herzlich ein, mit uns gemeinsam über sind somit mit dafür verantwortlich, dass es Kinder und (C) weitere Schritte in diese Richtung zu diskutieren. Jugendliche gibt, die kein Geld für Schulbücher, für das Mittagessen in der Schule oder für anständige Kleidung Zweiter Punkt. Wenn wir die jetzige Kompetenzver- haben, weil sie das Geld sparen müssen, da es sonst teilung zwischen Bund und Ländern zugrunde legen und nicht für die Fahrkarte zur Schule reicht. Dafür sind Sie überlegen, was getan werden könnte, muss man feststel- hier alle mitverantwortlich. Mit Ihrer Sozialpolitik tra- len, dass Sie noch nicht einmal die Möglichkeiten, die gen Sie zu Bildungsarmut und Bildungsausgrenzung bei. jetzt vorhanden sind, nutzen. Was hindert Sie beispiels- weise daran, den Rechtsanspruch auf einen Kitaplatz ge- Ich nenne noch zwei weitere Punkte. Erstens. Wenn setzlich zu verankern? Sie schockiert darüber sind, dass Migrantinnen und Mi- (Cornelia Pieper [FDP]: Das gibt es doch granten im Bildungssystem durchgereicht werden, dann schon!) müssen Sie sich auch die Frage stellen, wer die Gesetze macht, die dazu führen, dass immer noch nicht alle Men- Das wäre ein richtiger Schritt. Dadurch könnte man da- schen, die in diesem Land leben, die gleichen sozialen für sorgen, dass auch Kinder aus Hartz-IV-Familien und politischen Rechte haben. Zweitens. Schauen Sie nicht ausgegrenzt werden, weil sie zu Hause bleiben, sich an, wie die Schulen und Hochschulen ausfinanziert und von den Angeboten frühkindlicher Bildung profitie- sind. Auch da muss man sich die Frage stellen: Wer ren. macht denn die Steuergesetze, die dafür verantwortlich sind, wie viel Geld in den öffentlichen Kassen vorhan- Was hindert Sie daran, eine gesetzliche Ausbildungs- den ist? Wenn durch die Steuer- und Finanzpolitik Gel- platzumlage auf den Weg zu bringen, damit nicht jedes der an diejenigen verteilt werden, die ohnehin schon viel Jahr Tausende von Jugendlichen ohne Ausbildungsplatz haben, und die öffentlichen Kassen leer geräumt werden, auf der Straße stehen und noch während ihrer Schulzeit dann braucht man sich nicht zu wundern, wenn man sagen müssen: Ich habe ohnehin keine Perspektive, ich keine gute Bildung hat. Die Linke spricht sich für Um- kann nichts Sinnvolles machen? verteilung, und zwar von oben nach unten, und mehr Was hindert Sie daran, das Thema Weiterbildung Geld für die öffentlichen Kassen aus, damit man eine nicht so anzugehen, dass Sie auf das Bildungssparen set- gute Bildung finanzieren kann. zen und somit diejenigen fördern, die ohnehin viel ha- ben? Warum nehmen Sie nicht die Weiterbildung als (Beifall bei der LINKEN) eine der wichtigsten Herausforderungen in den Blick Vierter Punkt. Herr Präsident, damit komme ich zum und versuchen nicht, diejenigen, die bisher aus dem Bil- Schluss. Es muss Schluss sein mit der Tabuisierung der dungssystem herausgekickt wurden, ganz gezielt zu för- Schulstruktur. Die Linke fordert eine Schule für alle (B) dern und zu unterstützen, um ihnen im Rahmen der Wei- Kinder. Das können Sie, jedenfalls nach der aktuellen (D) terbildung eine Perspektive zu geben, damit sie sich Kompetenzverteilung zwischen Bund und Ländern, hier selbstbestimmt in die Gesellschaft einbringen können? nicht beschließen, aber Sie könnten endlich damit aufhö- (Beifall bei der LINKEN) ren, falsche Behauptungen aufzustellen, die es den Län- dern erschweren, eine Schule für alle Kinder durchzuset- Niemand hindert Sie daran, das zu tun, nur Sie selbst. zen. Es ist Ihre politische Entscheidung, solche Punkte nicht anzugehen. Die Linke hat hierzu Anträge eingebracht. Besten Dank. Ich kann Sie nur dazu auffordern, die entscheidenden (Beifall bei der LINKEN) Schritte zu machen. Sie sind möglich, und sie wären wichtig für ein besseres Bildungssystem in diesem Land. Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: (Beifall bei der LINKEN) Ich erteile nun das Wort Kollegin Marion Seib, CDU/ Dritter Punkt. Bildungspolitik ist natürlich kein iso- CSU-Fraktion. liertes Themenfeld. Sie alle wissen – das ist bekannt und (Beifall bei der CDU/CSU – Jörg Tauss [SPD]: nachgewiesen –, dass in diesem Land laut offiziellen Jetzt aber keinen bayrischen Werbeblock!) Angaben weit über 2 Millionen Kinder und Jugendliche in Armut leben. Das ist die offizielle Zahl, die Dunkel- ziffer liegt noch bedeutend höher. Aber selbst diese offi- Marion Seib (CDU/CSU): zielle Zahl ist mehr als doppelt so hoch wie die vor der Herr Kollege, wir machen hier Bundespolitik. Einführung von Hartz IV. Sie alle, liebe Kolleginnen und (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Kollegen, haben diese Hartz-Gesetze beschlossen. Ihre Beschlüsse haben mit dazu geführt, dass es so viele Kin- Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen der und Jugendliche gibt, die in diesem reichen Land in und Kollegen! Nach dem Durchlesen des Antrags der Armut leben. Grünen „Bildungsstrategie für mehr Chancengerechtig- keit starten“ habe ich richtig aufgeatmet, und zwar aus (Jörg Tauss [SPD]: Wissen Sie, wie viele Ein- zwei Gründen. Erstens haben Sie sich nicht an die gliederungsmaßnahmen wir für Jugendliche in Grundorientierung Ihrer Politik in der Wissensgesell- diesem Land gemacht haben?) schaft gehalten. In Ihrem Grundsatzprogramm in dem – Herr Tauss, das werden Sie sich schon anhören müs- Kapitel „Aufbruch in die Wissensgesellschaft“ haben sen. Auch Sie haben für diese Gesetze gestimmt. – Sie Sie unter der Überschrift „Grundorientierung unserer Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 133. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. Dezember 2007 13939

Marion Seib (A) Politik in der Wissensgesellschaft“ Folgendes festgehal- (Swen Schulz [Spandau] [SPD]: Das muss (C) ten – das ist interessant –: noch mehr werden! – Priska Hinz [Herborn] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja, Internet- In der Wissensgesellschaft wird experimentelles, ri- portal! Das habe ich doch vorhin gesagt!) sikoreiches, fehlerfreundliches Denken und Han- deln zentrale Schlüsselqualifikation für die Bürge- Zweitens investieren wir auch in den Ausbau von rinnen und Bürger. Ihre Chancen liegen darin, dass Ganztagsschulen. Die Zahl der Ganztagsschulen in sie Verfahren entwickeln, aus Erfahrungen zu ler- Deutschland steigt, und zwar kontinuierlich. Sie schaf- nen. fen Zeit und Raum für Bildung und Erziehung. Sie gehen also offenbar davon aus, dass jeder bildungs- Drittens: individuelle Förderung. In meinem Heimat- willige Bürger jeden Tag das Rad neu erfinden muss. land Bayern wurde Anfang November eine zweite Aus- Aber gerade das Aufbauen auf vorhandenem Wissen ist bildungsstätte für Förderlehrer eröffnet. Förderlehrer der Schlüssel für Erfolg, und zwar für generationenüber- gibt es bisher nur in Bayern. greifenden Erfolg. Dies ist Ihnen offensichtlich suspekt. (Ute Kumpf [SPD]: Ja, weil wir es nötig Das zweite Mal habe ich aufgeatmet, als ich Ihren haben! Das ist das Traurige!) Hilferuf nach Vorgaben durch die Bundesregierung für eine durchdachte Bildungspolitik gelesen habe. Offen- Viertens: Integration von Kindern mit Migrationshin- sichtlich sind Sie beratungsfähig; das beruhigt. Ihre Ein- tergrund. Das Bundesbildungsministerium fördert For- schätzung der Lage erbringt allerdings den Beweis, dass schung zur Verbesserung von Sprachtests und unterstützt Sie in Ihrer Fraktion und Partei Vorurteile gegenüber der gemeinsam mit den Ländern die gezielte Sprachförde- föderalistischen Struktur unseres Landes regelrecht pfle- rung von Migranten. gen, immer nach dem Motto: Draußen hängt die Welt in Fünftens: Erhöhung der Durchlässigkeit des Schulwe- Fetzen, lasst uns drinnen Speck ansetzen. – Nur ist es in sens. Das ist ein sehr wichtiger Punkt. Nach unserem diesem Fall ideologischer, zentralistischer Speck, der im Verständnis soll es künftig keinen Abschluss ohne An- Übrigen so veraltet ist, dass Sie sich garantiert den Ma- schluss geben. Dies ist ein enorm wichtiger Schritt in die gen daran verderben. Zukunft. Dabei haben Sie offensichtlich die Entwicklungen in Sechstens müssen wir die Schulen bei ihrer Erzie- den Ländern verschlafen. Die Internationale Grund- hungsarbeit unterstützen. Dabei haben wir von der schul-Lese-Untersuchung, IGLU, ist Ihnen durch die Union natürlich alle im Blick, nicht nur die Akademiker- Lappen gegangen. Sie beweist, dass unsere Grundschü- kinder, sondern auch die Arbeiterkinder, ler bei der Lesekompetenz heute im europäischen Spit- (B) (D) zenfeld liegen. (Priska Hinz [Herborn] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Und das in Bayern! Da haben die (Priska Hinz [Herborn] [BÜNDNIS 90/DIE Arbeiterkinder die geringsten Chancen, auf GRÜNEN]: Gemeinschaftsschule!) das Gymnasium zu kommen!) Bei der internationalen Vergleichsstudie PISA 2006 die Kinder aus bürgerlichen Familien, Kinder von Hand- wurde bei den Naturwissenschaften eine signifikante werkern, Landwirten, Beamten, Geschäftsleuten, Händ- Leistungssteigerung erreicht. Bei der Lesekompetenz lern, Angestellten und Freiberuflern. Es muss einmal in und in der Mathematik gibt es kontinuierliche Verbesse- aller Deutlichkeit gesagt werden: Wir spielen weder die rungen. So weit zu den Fakten. Kinder und Jugendlichen noch die Eltern gegeneinander Wenn es aber ein unbezweifelbares Ergebnis aller in- aus. ternationalen Vergleichsstudien gibt, dann dieses: Aus Wir wollen nicht – wie vorhin geschehen, Herr Kol- ihnen ist keine allein selig machende Schulstruktur abzu- lege –, dass alle Eltern als erziehungsunfähig hingestellt lesen. Die Fortschritte bei IGLU und PISA zeigen, dass werden. sich der Bildungsföderalismus und die Bildungsvielfalt in Deutschland bewährt haben. (Swen Schulz [Spandau] [SPD]: Das habe ich nicht gesagt! Hören Sie mal richtig zu! Das ist (Jörg Tauss [SPD]: Wo stand das?) doch Quatsch!) Deshalb können wir auch die Ergebnisse der Länderaus- Dagegen verwahren wir von der Union uns ganz ener- wertung mit Spannung und vor allem mit Zuversicht er- gisch. Wir pflegen nicht die Unterschiede. Wir wollen warten. Aber ich sage Ihnen auch: Es muss ein Födera- alle Talente fördern. lismus im Rahmen bundesweiter Verbindlichkeiten und Vereinbarungen sein. (Swen Schulz [Spandau] [SPD]: Dann machen Sie es doch!) Trotz allem gibt sich niemand mit dem zufrieden, was erreicht wurde. Deshalb setzen insbesondere die unions- Alle sollen ihr Potenzial ausschöpfen können. Deshalb regierten Länder auf folgende sechs Punkte. gibt es bei uns keinen Einheitsbrei, sondern Vielfalt. Erstens: Verstärkung der vorschulischen Förderung. Die 15 Einzelforderungen in Ihrem Antrag, Frau Kol- Wir unterstützen die frühkindliche Bildung, indem wir legin, sind in weiten Teilen überholt oder von anderen 80 000 Erzieherinnen Weiterqualifizierungsmaßnahmen abgekupfert. In den Ziffern eins bis sechs verteilen Sie ermöglichen. weiße Salbe für Strukturveränderer. In Ziffer sieben be- 13940 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 133. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. Dezember 2007

Marion Seib (A) stätigen Sie Ihre eigene Schlafmützigkeit; denn die Na- Wir finden, PISA ist ein gutes Instrument, und es ist (C) tionale Qualifizierungsinitiative liegt seit August 2007 auch in Ordnung, wie mit diesem Instrument umgegan- vor. gen worden ist. (Priska Hinz [Herborn] [BÜNDNIS 90/DIE Es freut uns, dass das, was Frau Wolff oder Herr Rau GRÜNEN]: Sie muss im Kabinett aber erst oder Herr Busemann einmal gegen PISA sagen wollten, noch beschlossen werden!) am Ende einer nüchternen und anerkennenden Betrach- tung, bis ins konservative Lager hinein, gewichen ist. Unter Ziffer 8 bis 10 verbreiten Sie ziemlich lauwarme Frau Sommer und auch andere sagen, dass es gut ist, Luft und schwülstige Wort- und Satzgebilde mit den dass wir diesen Blick über die Grenzen unseres Landes Hauptinhalten: sollten, könnten, müssten. Schön, dass hinaus haben. Wenn wir ihn nicht hätten, könnten wir Sie sich wenigstens unter Ziffer 11 der Forderung nach jetzt keine objektive Bewertung vornehmen. Bei dieser der Durchsetzung des Bildungssparens anschließen; dies Bewertung muss man einen Mittelweg gehen. Die Panik, wird von den christlichen Arbeitnehmerverbänden CDA die dabei war, als Sie, Frau Hirsch, die Ergebnisse von und CSA seit vielen Jahren gefordert. IGLU bis PISA angesprochen haben, ist nicht ange- bracht; aber es ist auch noch nicht an der Zeit, sich auf (Priska Hinz [Herborn] [BÜNDNIS 90/DIE die Schulter zu klopfen. GRÜNEN]: Es passiert doch seit zwei Jahren nichts!) Wir haben bei IGLU tatsächlich gute Ergebnisse er- reicht. Die kleine Bemerkung sei gestattet: Die Grund- Unter Ziffer 12 geben Sie immerhin zu, dass Ihnen die zahl- schule ist eine Gemeinschaftsschule. reichen öffentlich finanzierten Projekte bekannt sind – um dann unter Ziffer 14 und Ziffer 15 anzudrohen, dass Sie (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten sich gerne hinter irgendwelchen Gutachten verstecken des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) würden, um Ihrer Verantwortung für die individuellen Die Grundschule ist eine Einrichtung, in der alle Kinder, Bildungsbedürfnisse der Menschen zu entkommen. unabhängig von den sogenannten Begabungen und Vor- (Zuruf von der SPD: Na, geht’s auch sachlicher?) aussetzungen, die sie mitbringen, gemeinsam, im binnen- differenzierten Unterricht, in einer Klasse, unterrichtet In einem Punkt, der Ziffer 13 Ihres Forderungskata- werden. Grundschulpädagogen sind große Künstler, logs, haben Sie in der Tat recht: Es ist unabdingbar, die großartige Pädagogen, dass sie es schaffen, ein solches Länder und Kommunen finanziell und organisatorisch in Leistungsvermögen, in der Breite, bei allen Kindern, die Lage zu versetzen, den neuen und vielfältigen Bil- aufzubauen. Die IGLU-Ergebnisse sind toll. (B) dungsaufgaben in Gegenwart und Zukunft nachzukom- Die PISA-Ergebnisse sind zwar besser geworden, (D) men. Lassen Sie uns alles tun, damit wir unser aller Ziel aber noch nicht gut genug. Wenn die grüne Fraktion un- erreichen: die bestmögliche Förderung aller kindlichen, seren Blick darauf lenkt, dass die Grundkritik, das jugendlichen und auch erwachsenen Talente. Grunderschrecken, das wir bei PISA hatten und nach (Zuruf vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: wie vor haben, zur Folge haben muss, dass wir PISA als Was schlagen Sie dazu vor?) Herausforderung begreifen, dann ist das richtig. Anders als andere Länder haben wir es noch nicht erreicht, dass bei Ihr Antrag, verehrte Kollegen von den Grünen, ist dazu uns alle – und nicht 20 Prozent nicht! – eine ausreichende nicht die richtige Wahl. Grundfertigkeit, Grundfähigkeit in Lesekompetenz, in mathematischem Verständnis, in naturwissenschaftlichem Besten Dank. Verständnis haben. Anders als in anderen Ländern gibt (Beifall bei der CDU/CSU) es bei uns nach wie vor einen engen Zusammenhang zwischen sozialer Herkunft und Bildungsverwirkli- chung. Andere Länder machen uns auch vor, wie man Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: zugewanderte Kinder und Jugendliche besser fördern Das Wort hat nun Kollege Ernst Dieter Rossmann, kann. SPD-Fraktion. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) (Beifall bei der SPD) Wenn wir darin übereinstimmen, dann müssen wir auch darin übereinstimmen, dass die gemeinsame He- Dr. Ernst Dieter Rossmann (SPD): rausforderung so auf den Punkt gebracht werden kann: Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir müssen uns in Deutschland nachhaltig mit dem Pro- Weil der Ausgangspunkt für die begrüßenswerte Vorlage blem der Bildungsarmut auseinandersetzen. der Grünen die PISA-Studien sind, möchte ich für die Dazu möchte ich drei Anmerkungen machen, mit denen Sozialdemokratie noch einmal ausdrücklich sagen: Alle ich vertiefen will, was Kollege Schulz schon angesprochen Kritik, die ja von verschiedenen Kultusministern am Ins- hat: eine Anmerkung zur Bewusstseinsfrage, eine An- titut PISA und an dem, was die OECD beispielhaft für merkung zur Strukturfrage und eine zur Strategiefrage. viele Länder geäußert hat, geübt worden ist, weisen wir zurück. Was die Bewusstseinsfrage angeht: Wir können im- mer alles von der Politik aus betrachten. Ich möchte aber (Beifall bei der SPD) einen anderen Blickwinkel wählen: den von Lehrern, Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 133. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. Dezember 2007 13941

Dr. Ernst Dieter Rossmann (A) von Eltern und von Schülern. Bei der Lektüre der IGLU- Dies müssen wir gemeinsam aufnehmen und auch (C) Studie, bei der wir ja gute Ergebnisse erreicht haben, ist verstehen. Dann wird man auch für ein gemeinsames mir aufgefallen, dass ein Ergebnis höchst bedenklich ist: längeres Lernen eintreten können. das Ergebnis, dass Lehrer, obwohl sie so gute Grund- (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ schullehrer sind, Kinder offensichtlich umso eher für DIE GRÜNEN) eine weiterführende Bildungseinrichtung vorschlagen, je höher der Sozialstatus ist, den diese von den Eltern mit- Die einen haben hierbei die Vorstellung einer gemein- bringen. Es ist ein Problem, dass jemand 100 Punkte samen Schule. Diese ist im Rahmen des Deutschen weniger haben muss, falls er aus einem Haushalt mit Schulpreises 2007 mit den besagten Gesamtschulen an- Höchstqualifizierten kommt, während jemand 100 Punkte gesprochen worden. Bei diesem Wettbewerb ist aber mehr haben muss, wenn er aus einer Landarbeiterfamilie auch ein Gymnasium ausgezeichnet worden, nämlich kommt. das Friedrich-Schiller-Gymnasium aus Marbach. Der Schulleiter hat in der Rückerinnerung gesagt: Wir ma- (Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE chen in unserem Friedrich-Schiller-Gymnasium in Mar- GRÜNEN und der LINKEN) bach das, was gute Gesamtschulen schon immer getan haben. Wir fördern alle Kinder individuell. Wir fördern Woher kommt dieses Problem? Kommt es daher, dass sie in einer gemeinschaftlichen Aktion, indem wir uns es dort noch eine gedankliche Assoziation gibt und dass team- und lehrerübergreifend für sie einsetzen. man die Diagnostik und das Umgehen damit nicht ge- Sie stellen immer die Rückfrage, was wir denn mit lernt hat? Kommt es vielleicht auch durch die stille und den Gymnasien machen. Die Schulstruktur kann doch nicht ausgesprochene Erwartung hinsichtlich dessen, nur das Vehikel sein, aus dem man die kulturelle Frage, wie es einem solchen Kind in der weiterführenden Bil- also die Frage, wie die Schulkultur aussieht, entwickelt. dungseinrichtung im gegliederten Schulsystem ergehen würde, sodass man von daher schon glaubt, dass ein (Beifall bei der SPD) Kind aus diesem oder jenem Milieu mehr in diese oder Auch Gymnasien können sich in Verantwortung für alle jene Bildungseinrichtung passt? Schüler kulturell ganz anders entwickeln, als sie sich vielfach leider entwickelt haben. Neben der Lehrerseite gibt es auch noch die Seite der Eltern, wo es ähnlich ist. Auch hier wird uns durch die Ich wollte versuchen, Ihnen dies nahezubringen, Ergebnisse gezeigt, dass Familien, die wir eher als bil- Herrn Weinberg und anderen, weil die KMK zu Recht dungsfern beschreiben würden, ihre Kinder nur dann für sechs, sieben Punkte angegangen ist, die gut sind: von der frühkindlichen Bildung bis zur Ganztagsschule. Sie (B) weiterführende Schulen empfehlen, wenn die Kinder (D) deutlich besser sind und ganz gewaltig gute Leistungen werden uns erlauben, dass wir hinsichtlich der Ganztags- erbringen, sodass den Kindern die Normalchancen, die schule immer noch richtig stolz sind, sie haben müssten, in diesen Familien nicht zugestanden (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ werden. DIE GRÜNEN) Das Bittere ist: Das, was Lehrer und Eltern hier realisie- wenn wir uns daran erinnern, wie andere hier zu anderer ren, ist bei den Kindern schon so früh angekommen, dass Gelegenheit darüber gesprochen haben. es sich nur ein ganz geringer Prozentsatz der Arbeiter- Wenn es um die Strukturfrage geht, dann geht es nicht kinder vorstellen kann, jemals ein Abitur machen oder nur um die Schule, sondern auch um die frühkindliche studieren zu können. Ein Akademikerkind kann sich Bildung, die Eltern-Kind-Zentren, die Ganztagsschulen dagegen natürlich fast in jedem Fall vorstellen, zu stu- bis hin zu einer Schulheimat, in die auch das Umfeld und dieren und eine gute Bildungslaufbahn zu absolvieren. der Stadtteil mit einbezogen werden, das längere ge- meinsame Lernen – durchaus auch in Verschiedenheit –, Angesichts dieses Ausgangspunkts der Analyse die Ausbildung für alle und schließlich auch um das möchte ich jetzt noch einmal dafür werben, dass wir uns lebenslange und lebensbegleitende Lernen. Wenn es die Gemeinschaftsschule und das gegliederte Schulwesen nicht möglich ist, dass alle im dualen System eine Aus- nicht immer wieder strukturell um die Ohren hauen, son- bildung erhalten, dann muss man das duale System dern uns fragen, was die Chance eines längeren gemein- durch ein anderes System ergänzen, nämlich das der samen Lernens sein könnte. Eine Chance könnte sein, überbetrieblichen oder schulischen Ausbildung, damit dass die Lehrer von schwierigen und falschen Entschei- alle eine Ausbildung erhalten. Wir sind dort nicht dog- dungen entlastet würden, weil sich das richtige Bild im matisch festgelegt. Wir sollten uns aber darauf festlegen, Bildungsvollzug zeigt. Für die Familie könnte die dass alle eine Ausbildung erhalten. Chance bestehen, dass sie sich in einer durchgängigen Bildungseinrichtung befindet und dort einen längeren (Beifall bei Abgeordneten der SPD) gesicherten Bildungsweg beschreiten kann. Für die Kin- Eine Ergänzung möchte ich schon noch machen: Bei der besteht die Chance, dass sie nicht mehr das Gefühl Förderungen von Kindern und Jugendlichen wird in haben, dass sie ab einem bestimmten Punkt nicht mehr Kategorien von Stipendien, Stiftungen und anderem als Kind betrachtet werden, das Entwicklungsmöglich- gedacht. Wir glauben, dass das Bildungsrecht ein Recht keiten hat, sondern als Kind, das eine Sortierung durch- ist, das man – auch bezüglich der Förderung – einklagen laufen muss. können muss. Deshalb waren wir im Unterschied zu an- 13942 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 133. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. Dezember 2007

Dr. Ernst Dieter Rossmann (A) deren beim BAföG so sehr dafür. Wir sind auch sehr für werden wir hoffentlich in späteren Studien im internatio- (C) ein Bildungssparen und dafür, dass es beim Aufstiegs- nalen Vergleich wiederfinden. Damit es dazu kommt, ausbildungsförderungsgesetz Rechtsansprüche geben wird, gilt auch für Politiker, dass wir uns anstrengen müssen. die man erweitern kann, auch mit der Perspektive auf ein Erwachsenenbildungsförderungsgesetz. Es ist vielleicht Danke. die Zeit, zu sagen: Wir müssen über das Schüler-BAföG (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten neu nachdenken. Die SPD will das jedenfalls tun, weil der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE wir glauben, dass das Schüler-BAföG ein kritischer GRÜNEN) Punkt ist. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: der LINKEN) Das Wort hat nun Uwe Barth, FDP-Fraktion. Denn manche verabschieden sich davon, alle Bil- (Beifall bei Abgeordneten der FDP) dungschancen ihrer Kinder mitzurealisieren, weil sie eine materielle Ungleichheit und Unsicherheit für sich Uwe Barth (FDP): sehen. Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Nach den Strukturfragen jetzt zur Strategiefrage. Es Es ist um die zwar wenigen, aber immerhin vorhandenen ist gut, dass es jetzt einen Bildungsgipfel geben soll. Es positiven Ansätze in dem Antrag sehr schade, weil sie ist gut, wenn wir dort viel Gemeinsamkeit haben. Aber unter einem ganzen Berg von falschen Behauptungen, es wirkt auch klärend, wenn wir uns den Streit nicht selektiv und tendenziell verwendeten Fakten und fal- ersparen. Streit sollten wir uns nicht ersparen, weil aus schen Schlussfolgerungen verschüttet sind. der Differenz neue Ideen entstehen können. Wir Sozial- (Beifall bei der FDP) demokraten sehen in Bezug auf diesen Bildungsgipfel, dass die Bundesregierung die Stärkung der Alphabetisie- Jawohl, unser Bildungssystem wirkt leider immer rung und Grundbildung aufgenommen hat. Das kann noch selektiv. Jawohl, das ist nicht gut, das müssen wir man ausbauen. Da ist sehr viel passiert. ändern. Jawohl, dazu muss auch Politik beitragen. Aber nein, es ist nicht allein Aufgabe von Politik. Nein, das ist 80 000 Kindertagesstättenkräfte und ein Internetportal nicht die Folge von quasi böswilligen Handlungen von können noch nicht alles sein. Wir haben a) wesentlich Politikern oder gar irgendwelchen Lehrern. Nein, es ist mehr Erzieherinnen und Erzieher, und b) ist das Internet- keine zwangsläufige Folge von Strukturen. portal allein noch nicht die ganze Lösung. Da müssen (B) Bund und Länder zusammenkommen. (Zuruf vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: (D) Aber auch!) In Bezug auf Schulen müssen wir uns überlegen, wie wir die ureigenste Länderaufgabe, die Lehrerausbildung, Nein, liebe Kollegen von den Grünen, Gleichmacherei endlich als den zentralen Punkt festlegen können. Das ist ist kein hehrer Grundsatz, sondern ein grundfalscher An- fast der Restant aus den sieben Punkten, die die Kultus- satz. ministerkonferenz 2001 mitbeschlossen hat. Vielleicht (Beifall bei der FDP – Swen Schulz [Spandau] kann der Bund mithelfen – von Bildungsforschung über [SPD]: Das ist einfach ein grundfalsches Ver- strukturelle Unterstützung –, damit die Lehrerausbildung ständnis! Sie wollen einfach nur an dem Irrtum eine Einheitlichkeit, aber auch eine andere Qualität be- festhalten!) kommt. Soziale Selektivität ist ein Phänomen, zu dem viele Wir sehen sicherlich, dass wir auch in Bezug auf unterschiedliche Faktoren beitragen. Ich will ein paar Fachkräfte eine wirkliche Bildungsoffensive starten nennen, die in dem Antrag völlig verschwiegen werden. müssen. Dabei gibt es für uns ein Anliegen: Es darf nicht nur ein Fachkräftegipfel, sondern muss ein Bildungsgipfel (Ute Kumpf [SPD]: Wo waren Sie, als Kollege werden. Rossmann gesprochen hat?) (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Die Erkenntnis, dass Bildung einen Wert an sich hat und der CDU/CSU) dass sie Voraussetzungen für das ganze Leben schafft, ist in unserer Gesellschaft nicht gleichmäßig verteilt. Der Das sind wir den Analysen von IGLU und PISA schuldig; Satz, den auch meine Oma mir immer wieder gesagt hat: denn das ist eine lebensbegleitende, sich aufbauende „Lerne ordentlich, damit später einmal etwas aus dir Struktur. Man kann es nicht reduzieren; denn dort müs- wird“, wird in bildungsnahen und bildungsfernen Eltern- sen der humanistische und der bildungsökonomische Im- häusern sicherlich ganz unterschiedlich weitergegeben. puls zusammenkommen. Schauen wir, wo unter den Weihnachtsbäumen Bücher liegen und in welchen Elternhäusern Kinder dazu ange- Ich möchte gern noch einmal auf den Blickwinkel der halten werden, diese Bücher zu lesen. Kinder zurückkommen. Wir in Deutschland sollten es schaffen, dass mehr Kinder in dem Bewusstsein leben: Schließlich stellt sich die Frage, welche Eltern es Ich habe alle Chancen, die will ich nutzen, und ich sind, die durch Druck auf die Lehrer dafür sorgen, dass bekomme immer wieder Chancen, für die ich mich ihre Kinder eine Gymnasialempfehlung bekommen, ob- anstrengen will. Dieses Gefühl und seine Auswirkungen wohl sie von ihren Leistungen her nicht geeignet sind, Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 133. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. Dezember 2007 13943

Uwe Barth (A) (Priska Hinz [Herborn] [BÜNDNIS 90/DIE tungen und die Verbesserung der Lehreraus- und -weiter- (C) GRÜNEN]: Aber der umgekehrte Fall ist doch bildung. Es geht auch darum, von den Besten zu lernen, viel häufiger!) und vor allem um eines, nämlich die Anerkennung von erbrachten Leistungen und erzielten Verbesserungen. und welchen Elternhäusern das eher egal ist. Wir alle kennen die Antworten. All dies trägt mit dazu bei, dass (Beifall bei der FDP) sich die soziale Selektion als objektiv wahrnehmbare Realität in den Statistiken niederschlägt. Das nämlich motiviert Menschen, und Motivation ist eine der wichtigsten Triebfedern, die alle am Bildungs- Die Korrelation zwischen sozialer Herkunft und system Beteiligten für ihren persönlichen Erfolg brau- Gymnasialempfehlung hat übrigens entgegen den Be- chen. hauptungen in Ihrem Antrag in den letzten Jahren deut- Herzlichen Dank. lich abgenommen. Zugegeben, das ist kein Grund zum Ausruhen, aber es ist immerhin ein Fakt, den man auch (Beifall bei der FDP) zur Kenntnis nehmen muss. (Beifall bei der FDP) Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Ich schließe die Aussprache. Wir wissen zwar, dass es Schülerinnen und Schüler mit Migrationshintergrund im Bildungssystem nicht Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf leicht haben. Zur Wahrheit gehört aber auch, dass bei- Drucksache 16/7465 an die in der Tagesordnung aufge- spielsweise Kinder von Migranten aus Vietnam ihre führten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit ein- deutschen Mitschüler bei den Noten in den Schatten stel- verstanden? – Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung len. so beschlossen. (Marion Seib [CDU/CSU]: Auch das ist rich- Ich rufe nun den Tagesordnungspunkt 6 auf: tig!) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts Das hat möglicherweise mit der Wertschätzung der Bil- des Ausschusses für Familie, Senioren, Frauen und dung zu tun, die in der jeweiligen Kultur bzw. in den El- Jugend (13. Ausschuss) ternhäusern vermittelt wird. Eine Folge oder gar der Be- – zu dem Antrag der Abgeordneten Antje weis einer gezielten Benachteiligung ist dies bestimmt Blumenthal, Thomas Bareiß, Thomas Dörflinger, nicht. weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Marlene (B) (Beifall bei der FDP – Widerspruch bei Abge- (D) ordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/ Rupprecht (Tuchenbach), Ingrid Arndt-Brauer, DIE GRÜNEN – Swen Schulz [Spandau] , weiterer Abgeordneter und der [SPD]: Deswegen müssen doch die anderen Fraktion der SPD unterstützt werden!) Gesundes Aufwachsen ermöglichen – Kinder Die Strukturdebatte, die Sie beginnen, liebe Kollegin- besser schützen – Risikofamilien helfen nen und Kollegen, ist weder zweckdienlich noch in ir- – zu dem Antrag der Abgeordneten Miriam Gruß, gendeiner Form begründet. Als Rot-Grün in Nordrhein- Ina Lenke, Sibylle Laurischk, weiterer Abgeord- Westfalen regiert hat, gehörten die nordrhein-westfäli- neter und der Fraktion der FDP schen Kinder im bundesweiten Bildungsvergleich zu den Verlierern. Schutz und Chancen für die Kinder in Deutschland (René Röspel [SPD]: Was? Dort gibt es die meisten Schulabschlüsse und die meisten Stu- – zu dem Antrag der Abgeordneten Ekin Deligöz, denten!) Birgitt Bender, Dr. Harald Terpe, weiterer Abge- ordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE Die Bildungsdurchlässigkeit ist im strikt dreigliedrigen GRÜNEN System Baden-Württembergs besonders hoch, und die Lebensperspektiven für Kinder aus sozial benachteilig- Kinder entschlossen vor Vernachlässigung ten Elternhäusern stellen sich in Bayern am günstigsten schützen dar. Zwar ist auch dort nicht alles Gold, was glänzt, aber – Drucksachen 16/4604, 16/4415, 16/3024, 16/5695 – IGLU und PISA zeigen, dass es Lichtblicke gibt. Deut- sche Kinder sind besser geworden. Die Konzepte der in- Berichterstattung: dividuellen Förderung, der schulischen Eigenständig- Abgeordnete Antje Blumenthal keit und eines neuen Bewusstseins unter den Pädagogen Marlene Rupprecht (Tuchenbach) beginnen zu greifen. Miriam Gruß Diana Golze Es gibt noch mehr, was die Politik tun kann, damit Ekin Deligöz sich unser Bildungssystem weiter verbessert. Dazu ge- hören die Voraussetzungen für eine bessere vorschuli- Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die sche Bildung, mehr Eigenständigkeit für die Schulen, die Aussprache eine Dreiviertelstunde vorgesehen. – Ich verbesserte Überprüfung der schulischen Bildungsleis- höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen. 13944 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 133. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. Dezember 2007

Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse (A) Ich eröffne die Aussprache und erteile dem Kollegen (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der (C) Johannes Singhammer, CDU/CSU-Fraktion, das Wort. SPD und der FDP) (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Überforderte Familien in finanziellen Notlagen, Fami- lien, bei denen der innere Zusammenhalt nicht mehr ge- Johannes Singhammer (CDU/CSU): geben ist, brauchen Einzelunterstützung, aber auch die Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her- richtigen Rahmenbedingungen. Deshalb sieht unser ren! Fürchterliche Tragödien um vernachlässigte, miss- Maßnahmenkatalog unter anderem vor: Maßnahmen zur handelte und getötete Kinder haben in den vergangenen Stärkung der Elternkompetenz, passgenaue Hilfen für Tagen und Wochen die Menschen in Deutschland er- Familien in besonderen Belastungssituationen, eine schüttert. Ich denke dabei an den Mord an fünf Kindern frühzeitige, verlässliche und genau abgestimmte ver- in Darry durch eine offensichtlich psychisch gestörte netzte Unterstützung der Familien durch Kinderärzte, Mutter. In Plauen fanden Polizisten die Leichen von drei Krankenhäuser, Erzieherinnen, Kindergärten, Polizei, Kindern. In den letzten Monaten vergingen kaum vier Gesundheits- und Jugendämter. Wochen, in denen nicht grauenvolle Schicksale von Kin- Die Vorsorgeuntersuchungen wollen wir zu einem dern bekannt wurden. maßgeschneiderten Konzept der Früherkennung aus- Als einen besonders abscheulichen Fall beschreibt bauen, und zwar durch eine Überarbeitung der Untersu- das Magazin Focus die Misshandlung des kleinen chungsverfahren, um zielgenau Kindesvernachlässigun- Simon, ein Jahr und neun Monate alt: gen frühzeitig zu erkennen, durch eine Verdichtung der Intervalle bei den Vorsorgeuntersuchungen und durch Simon verstummte mit einem Schlag. Eine gezielte Bonusprogramme, Anreize, um möglichst alle Eltern zu Gerade vom Freund der Mutter. Das Kind fiel ins überzeugen, ihre Kinder an den kostenlosen Vorsorgeun- Koma. Zu Hause war endlich Ruhe. tersuchungen teilnehmen zu lassen. Als der Täter von der Polizei vernommen wurde, er- Ich kann mir auch gut vorstellen, dass das geplante klärte er: Betreuungsgeld nur dann vollständig ausgezahlt wird, Vom Gefühl her hänge ich mehr an meinem Hund. wenn die Eltern einen lückenlosen Nachweis der Teil- nahme an Vorsorgeuntersuchungen vorlegen. Das sind völlig unterschiedliche Sachverhalte, aber es gibt stets ein Opfer: die Kinder. Deshalb hat eine Politik (Widerspruch bei der SPD und dem BÜND- die Bringschuld, alles zu tun und nichts zu unterlassen, NIS 90/DIE GRÜNEN) um die Schwächsten, die Kleinsten, die Hilflosesten, die Ich freue mich, dass eine ganze Reihe von Bundeslän- (B) Unschuldigsten in unserem Land zu schützen. dern die Verpflichtungen und Anreizsysteme bereits (D) (Beifall bei der CDU/CSU) kombinieren, zum Beispiel Bayern. Kompetenzgerangel und unterschiedliche Zuständigkei- Mein Dank gilt an dieser Stelle der Bundeskanzlerin ten dürfen keinesfalls wichtiger sein als der Schutz unse- dafür, dass sie in der kommenden Woche im Gespräch rer Kinder. mit den Ministerpräsidenten den Kinderschutz zur Chef- sache erklären und die Abstimmung mit den Ländern Wir haben in den vergangenen Monaten in der Gro- durchführen wird. ßen Koalition ein 37-Punkte-Programm erarbeitet mit der Überschrift „Gesundes Aufwachsen ermöglichen (Beifall bei der CDU/CSU) – Kinder besser schützen – Risikofamilien helfen“, das Meine sehr verehrten Damen und Herren, zur Ehrlich- durch die schlimmen Ereignisse der letzten Tage eine keit und Wahrheit gehört aber auch, dass bei allen be- traurige Aktualität erhalten hat. Ziel ist es, zum Schutz schlossenen Maßnahmen und Programmen kein Garan- der Kinder ein Netz mit einem ganz klaren Grundkon- tiezertifikat ausgestellt werden kann, das besagt, dass es zept zu weben: Prävention, Vorbeugung, Früherkennung. in Zukunft in Deutschland keinen einzigen Fall mehr Aber lassen Sie mich in diesem Zusammenhang eines von Kindesmisshandlung oder gar Kindestötung gibt. ganz klar feststellen: Wir wollen nicht Eltern und Fami- Lassen Sie mich in diesem Zusammenhang bezüglich lien unter Generalverdacht stellen. Die allermeisten El- der Diskussion um die Frage Kinderrechte, Kinderschutz tern in Deutschland kümmern sich liebevoll um ihre in die Verfassung klar sagen: Die Erfahrung zeigt leider, Kinder und tun alles für sie. dass die Eltern, die uns in der Vergangenheit mit ihrem Verhalten besonders erschüttert haben, nicht ins Grund- (Zuruf von der FDP: Wir wollen doch die er- gesetz geschaut haben. kennen, die es nicht machen!) (Zuruf von der FDP: So ein Schmarren! Was Diese Familien haben unseren Dank, unseren Respekt sagt die Ministerin dazu?) und auch unsere Unterstützung verdient. Starke und in- Ich bitte deshalb, diesem Antrag mit einer sehr um- takte Familien fangreichen Konzeption, mit einem dicht geknüpften (Zuruf von der FDP: Aber was ist mit dem Netz für mehr Kinderschutz zuzustimmen, weil wir da- Rest?) mit das politisch Mögliche auf den Weg bringen. sind die beste Voraussetzung für ein glückliches Auf- (Zuruf von der SPD: Es wäre ein wichtiges wachsen von Kindern. Signal!) Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 133. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. Dezember 2007 13945

Johannes Singhammer (A) Ich füge an dieser Stelle hinzu: Neben allen Program- Namen auch verdient und nicht mit vier Mitarbeitern in (C) men, Paragraphen und Gesetzesbestimmungen, die wir einem Baucontainer arbeiten muss. noch formen werden, brauchen wir in Deutschland vor (Beifall bei der FDP) allem ein Klima der Kinderfreundlichkeit. Dazu kann es dienen, wenn sich gelegentlich der eine oder andere Er- Wir brauchen eine frühe Identifikation und eine engma- wachsene auf die Augenhöhe von Kindern, also auf schige Betreuung, um Überforderungssituationen in den 80 Zentimeter, hinabbewegt. Das muss nicht zur Ver- Griff zu bekommen. Die aufsuchende Hilfe muss durch zwergung – auch nicht in der Politik – führen, sondern besonders qualifizierte Familienhebammen, Familien- kann ein neuer Schritt hin zu mehr Menschlichkeit sein. fürsorgerinnen und Kinderkrankenschwestern verstärkt werden. Früher kannten die Mitarbeiterinnen und Mitar- Danke schön. beiter ihre Leute. Die Bürgerinnen und Bürger konnten (Beifall bei der CDU/CSU) sich ohne Scham an sie wenden. Die Hürde, Hilfe in An- spruch zu nehmen, ist groß. Jeder hier im Raum und alle, Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: die uns zusehen, dürften wissen, wie schwer es ist, fremde Hilfe anzunehmen. Das ist vom faden Beige- Das Wort hat nun Miriam Gruß, FDP-Fraktion. schmack des Scheiterns und des Versagens begleitet. (Beifall bei der FDP) Doch wer selbst Hilfe aufsucht, hat den größten Teil der Arbeit schon erledigt. Die Diagnose, selber nicht zu- Miriam Gruß (FDP): rechtzukommen, ist bereits erfolgt. Deshalb brauchen Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen wir verstärkt niedrigschwellige aufsuchende Angebote. und Herren! Die Debatte über den heutigen Tagesord- Wir brauchen darüber hinaus Erwachsenenbildungskon- nungspunkt haben wir im März dieses Jahres zum ersten zepte und Angebote, die die Elternkompetenz stärken. Mal geführt. Das Traurige ist: Wir sind heute keinen Nur wenn wir starke Eltern haben, haben wir starke Kin- Schritt weiter. Damals erschütterte uns der Fall Kevin der. und der eines Mädchens, das aus dem zehnten Stock ge- (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten worfen wurde. Heute sind es der Fall Lea-Sophie und die der CDU/CSU und der SPD) Vorkommnisse in Darry oder Plauen. Für all diese Kin- der kommt die heutige Diskussion in diesem Plenum viel Drittens. Betrachten wir den Haushalt, das Geld. Ohne zu spät. Jeden Tag, jede Stunde, vielleicht gerade in die- Mehrausgaben und eine Neustrukturierung unserer Aus- ser Minute, gibt es zig Kinder in unserem Land, die un- gaben werden wir nicht weit kommen. Die Ausgaben für sere Hilfe bräuchten, die von uns aus dem Bundestag, die Kinder- und Jugendhilfe stagnieren in diesem Jahr. 21 Milliarden Euro sind zwar vermeintlich viel Geld. (B) aus der Politik von Bund, Ländern und Kommunen, aber (D) natürlich auch aus der Gesellschaft, von Nachbarn und Aber dieses Geld kommt in struktureller Hinsicht offenbar Menschen in der Umgebung, in der Nähe. Wir alle, Poli- nicht an. Allein die Stagnation dieser Ausgaben zeigt, tik und Gesellschaft, müssen uns heute eingestehen: Es welchen Stellenwert Kinder und Familien in unserer Ge- ist nicht fünf vor zwölf, sondern fünf nach zwölf. Erhe- sellschaft momentan haben. Erschreckend in diesem Zu- bungen des Bundeskriminalamtes zeigen zwar, dass die sammenhang sind Pressemeldungen aus Halle oder Bay- Zahl der Kindstötungen nicht steigt. Aber ganz ehrlich: ern – ich will das nur kurz erwähnen, weil es mich Wer weiß schon, wie hoch die Dunkelziffer ist? Jedes besonders erschüttert hat –, wonach Kinder aus Heimen in vernachlässigte, misshandelte oder tote Kind, egal ob ihre Familien zurückgeführt werden sollen. In Halle geht von einer Statistik erfasst oder nicht, ist eine Niederlage. es um 314 Kinder. In Bayern ist sogar von allen Kindern die Rede, die auf lange Sicht nicht mehr in Heimen unter- (Beifall bei der FDP, der CDU/CSU und dem gebracht werden sollen. Der Grund ist klar: Eine Heimun- BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) terbringung kostet pro Kind rund 80 000 Euro im Jahr. Hier gilt wohl: Lieber ist der Haushalt gesichert als das Wir müssen jetzt endlich anfangen, aus unseren Fehlern Wohl des Kindes. Das darf nicht sein. zu lernen. Nehmen wir die Diskussion um die Verankerung der Erstens. Betrachten wir die Kinder- und Jugendhilfe. Kinderrechte im Grundgesetz: Natürlich müssen wir zu- Schon hier fehlt es an allen Ecken und Enden. Wir brau- sätzlich konkrete Hilfen anbieten. Papier allein schützt chen mehr Personal. Wenn ein Mitarbeiter des Jugend- kein Leben. Die Aufnahme der Kinderrechte in das amtes 200 Fälle zu betreuen hat, wie soll er dann Zeit Grundgesetz würde aber Signale setzen. Wir würden da- haben, ein Kind in Augenschein zu nehmen und zu er- mit zeigen, welchen Wert unsere Kinder in dieser Gesell- kennen, wie es dem Kind geht? Den Jugendämtern müs- schaft haben. Das Kindeswohl und damit die Kinder sen als Schnittstelle zu den Familien verlässliche perso- würden an oberster Stelle stehen, und wir würden da- nelle und sachliche Ressourcen zur Verfügung gestellt durch eine Kettenreaktion auslösen, die bis jetzt noch werden. Ebenso muss in die Aus-, Fort- und Weiterbil- nicht vorhanden ist. dung der Mitarbeiter der Jugendämter investiert werden, damit deren Diagnosekompetenz gestärkt wird. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN) Zweitens, was die Familien betrifft: Wir brauchen ein breitgefächertes Angebot der aufsuchenden Hilfe, die Ich kann Ihnen sagen: Aus der FDP kommen positive bereits während der Schwangerschaft einsetzt. Wir brau- Signale. Die SPD, die Linke und die Grünen sprechen chen ein Nationales Zentrum „Frühe Hilfen“, das diesen sich bereits dafür aus. Jetzt ist es an Ihnen, der Union, 13946 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 133. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. Dezember 2007

Miriam Gruß (A) den hohen Stellenwert, den Sie Kindern in diesem Land rangehen. Es geht um die Analyse: Was ist die Ursache? (C) einräumen, unter Beweis zu stellen und nicht zum Ver- Was hat nicht funktioniert? Es geht um die Handlungs- weigerer der Kinderrechte zu werden. ebene: Was kann der Bundestag tun? Was müssen andere Ebenen tun? Ich glaube, eine Behandlung dieses Themas (Beifall bei der FDP, der SPD, dem BÜNDNIS 90/ ist erst dann zielführend, wenn diese Fragen beantwortet DIE GRÜNEN und der LINKEN) sind. Alles andere ist Aktionismus. Er beruhigt unser Herr Singhammer, stattdessen verwirren Sie uns schlechtes Gewissen. Wenn es schwierig ist, neigen wir heute in Pressemitteilungen mit der Forderung nach ver- dazu, nach dem Reiz-Reaktion-System „Oben tut man pflichtenden Pflichtvorsorgeuntersuchungen und ver- etwas hinein, und unten kommt eine Lösung heraus“ zu bindlichen Untersuchungen zur Pflichtvorsorge. Abgese- verfahren. Im Leben haben Probleme meistens nicht nur hen davon, dass ich nicht weiß, was genau Sie damit eine Ursache. Deshalb würde ich gern auf einige As- gemeint haben, haben Sie uns noch nicht erklärt, wie die pekte eingehen. Ärzte das konkret leisten sollen. Sie wissen selbst: Es Tödliche Verletzungen von Kindern gehen zu über gibt hier noch keine einheitlichen Standards. Es darf 50 Prozent auf Unfälle durch Stürze zurück. Die Mehr- auch nicht sein, dass es Unterschiede in der Behandlung zahl der tödlichen Verletzungen von Kindern unter ei- eines Kindes in Berchtesgaden und in Bremen gibt. nem Jahr lässt sich auf Misshandlungen durch Schütteln Außerdem haben Sie heute so schön formuliert, es sei zurückführen. Schauen wir uns an, welche anderen For- wichtig, dass wir die Eltern ertüchtigen. Abgesehen da- men von Misshandlungen es noch gibt: Vernachlässi- von, dass das Wort „ertüchtigen“ von anno dazumal ist: gung, seelische und emotionale Misshandlung – sie ist Sie glauben doch nicht wirklich, dass Sie die Probleme äußerlich vielleicht nicht sichtbar – und sexueller Miss- hiermit lösen. brauch. Ich glaube, wir brauchen dringend eine klare Unterscheidung. Wenn wir uns dies sowie die Anzahl Last, but not least verkaufen Sie uns heute ein der Todesfälle und der Misshandlungen anschauen, 37-Punkte-Programm, das nichts anderes enthält als Ihr kommen wir zu folgendem Schluss: Wir müssen dort an- alter Antrag – alter Wein in neuen Schläuchen. Es hilft setzen, wo Kinder leben, nämlich in ihrer Lebenswelt – trotzdem nichts. das ist vor Ort in den Kommunen. Dort muss gehandelt Ich fasse zusammen: Was wir wirklich brauchen, ist werden, und dort wird gehandelt. eine umfassende Vernetzung aller am Aufwachsen (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie Beteiligten, einen regen Erfahrungsaustausch und ein- bei Abgeordneten der LINKEN) heitliche Qualitätsstandards. Wir müssen die Prozesse evaluieren und ständig nach dem Prinzip leben: Lieber Ich will an dieser Stelle für diejenigen sprechen, die (B) verbessern als verharren. Kinder werden bei uns leider tagtäglich in den Jugendämtern gute Arbeit leisten. (D) immer erst dann vermisst, wenn sie tot sind; so steht es (Christel Humme [SPD]: So ist es!) heute sehr aufrüttelnd in der Zeit. Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir Erwachsenen in der Politik und Man muss sich die Zahlen einmal anschauen: 30 Sorge- in der Gesellschaft sind es, die für unsere Kinder verant- rechtsentzüge pro Tag, 725 Inobhutnahmen. Das sind wortlich sind. Wir dürfen uns in 20 Jahren nicht vorwer- massive Eingriffe. Da müssen die Beschäftigten ent- fen lassen, die Kinder im Stich gelassen zu haben. scheiden: Breche ich die Tür auf? Befindet sich dahinter ein misshandeltes Kind? Ist die Familie einfach in den (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten Urlaub gefahren, obwohl Schulzeit ist? – Immer in der SPD) Grenzregionen zu arbeiten, erfordert ein hohes Maß an Professionalität und Unterstützung. Das sollte man hier Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: einmal aussprechen. Das Wort hat nun Marlene Rupprecht, SPD-Fraktion. (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der (Beifall bei Abgeordneten der SPD) CDU/CSU) Ich möchte nicht Beschäftigte in einem Jugendamt sein Marlene Rupprecht (Tuchenbach) (SPD): und ständig hören müssen, ich hätte zu früh eingegriffen Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich und hätte Kinder zu früh aus der Familie genommen, will hier keine Fälle schildern. Ich glaube, dieses Thema oder ich hätte zu spät eingegriffen. sitzt genügend in unseren Emotionen. Was uns in vie- lem, was wir sagen, anheizt, ist eigentlich unsere Hilflo- (Beifall der Abg. Christel Humme [SPD] sowie der sigkeit: Wir müssen Fällen begegnen, in denen wir nicht Abg. Renate Gradistanac [SPD]) gehandelt haben oder nicht handeln konnten und in de- Eine Untersuchung in Bayern, die die Fachhoch- nen alle Mechanismen versagt haben, die wir haben. schule Coburg erst jetzt veröffentlicht hat, befasste sich Gerade weil wir emotional so stark angesprochen mit unserer letzten Reform des Kinder- und Jugendhilfe- sind, sollten wir dringend etwas beachten. Ein Arzt, der gesetzes, des KJHGs. Die Antworten der Jugendämter in einen Schwerverletzten oder einen Unfallverletzten am- Bayern – ich achte diese Ämter sehr, ich arbeite mit ih- bulant zu behandeln hat, kann nicht anfangen, zu wei- nen und weiß, dass dort Profis sitzen – haben eindeutig nen, sondern muss eine Diagnose stellen, und dann han- ergeben: Wir können nicht immer nur Personal abbauen delt er. Egal wie betroffen er ist: Er versucht, analytisch und Finanzen reduzieren. Wir brauchen gut ausgebildete vorzugehen. Genau so sollten wir an diese Thematik he- Kräfte, und zwar eine ausreichende Zahl an Kräften. Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 133. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. Dezember 2007 13947

Marlene Rupprecht (Tuchenbach) (A) (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und der LIN- den dürfen: bei akuter Seuchengefahr. Ansonsten ist kein (C) KEN sowie der Abg. Miriam Gruß [FDP]) Eingriff möglich, schon gar nicht über ein Leistungsge- setz, das solidarisch finanziert wird. Was kann man tun, außer zu lamentieren? Die Ju- gendämter sagen: Wir haben keine standardisierten Ver- Das öffentliche Gesundheitswesen ist nach der Ver- fahren. Jeder macht, so gut er kann, aber niemand sagt fassung auf Länderebene angesiedelt. Deshalb begrüße einmal, wie es eigentlich richtig geht. – Deshalb brau- ich, wenn sich die Länder eine gemeinsame Antwort auf chen wir die Landesjugendämter dringend weiter und die Frage überlegen – damit wir keinen Flickenteppich eben nicht den Abbau der Landesjugendämter, der durch aus 16 verschiedenen Länderregelungen bekommen –, die Verfassungsreform ermöglicht wurde. wie man die Eltern dazu motivieren kann – manche Krankenkassen tun das –, ihre Kinder regelmäßiger dem (Beifall bei der SPD, der FDP, der LINKEN Arzt vorzustellen. Das halte ich für wichtig. und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Dort können standardisierte Verfahren entwickelt wer- Insgesamt ist es wichtig, das Aufwachsen der Kinder den. Dabei geht es um Fragen der Art: Wie erkenne ich genauer zu betrachten. Ich möchte kein totes Kind gegen eine Kindeswohlgefährdung? Wie greife ich ein? Wie ein anderes ausspielen; aber 10 Prozent der Todesfälle viel Personal brauche ich dazu? – Die Bandbreite von Kindern ereignen sich infolge von Verletzungen und schwankte von zwei Fachkräften bis zu fünf oder sechs Unfällen, während sich knapp 2 Prozent infolge von Fachkräften, die an einem Fall beteiligt sind. Auch da Misshandlungen ereignen. Wir sollten deshalb die Frage brauchen sie Unterstützung. in den Blick nehmen, was wir tun können, um Verletzun- gen und Unfälle zu vermeiden, zum Beispiel durch die Ein weiterer Mangel. Zwei Drittel sagen: Wir koope- Installation von Rauchmeldern – dafür sind die Länder rieren bereits vor Ort, aber nicht in allen Bundesländern zuständig – oder durch die Einführung einer Helmpflicht gibt es standardisierte Verfahren für die Kooperation. – für Radfahrer – der Verkehrsminister ist heute nicht da –, Unter anderem geht es darum: Meldet das Gericht, wenn um schwere Kopfverletzungen zu verhindern. Wir soll- jemand vorbestraft ist? Bei mir vor Ort gab es zum Bei- ten solche Maßnahmen genau unter die Lupe nehmen. spiel den Fall, dass der Freund einer Mutter wegen Ge- walttaten und Körperverletzung vorbestraft war, das Wenn uns – unabhängig von öffentlichen Diskussio- Gericht das aber nicht gemeldet hat. Da kann die Ge- nen – wirklich wichtig ist, was aus Kindern wird, dann sundheitsbehörde wunderbare Verträge mit dem Jugend- müssen wir Aktionismus vermeiden und das Problem in amt und der Polizei gemacht haben – wenn vom Gericht seiner Gesamtheit betrachten, dann müssen wir endlich die Meldung nicht kommt, nützt das alles nichts. Das kapieren, dass man in der Kinder- und Jugendpolitik heißt, alle Beteiligten müssen melden und Informationen nicht nur Schlaglöcher ausbessern darf – ich vergleiche (B) (D) zusammenführen. Dafür ist ein gut ausgestattetes Ju- das immer mit den Maßnahmen bei der Verkehrsinfra- gendamt vor Ort notwendig. struktur –, sondern Verkehrswege planen muss. Für die Kinder- und Jugendhilfepolitik heißt das: Wir brauchen Noch etwas Wichtiges haben die Jugendämter heraus- einen Strukturplan, der dafür sorgt, dass Kinder gut auf- gefunden. Sie müssen mit den Gerichten und Staats- wachsen. anwälten viel früher kooperieren. Auch wenn ein Sorge- rechtsentzug – das ist ein starker Eingriff in ein (Beifall bei der SPD) Verfassungsrecht – abgelehnt wird, müssen sie kooperie- Ich sage Ihnen noch etwas – Herr Präsident, ich be- ren. Wenn das Gericht der Ansicht ist, es sei noch nicht mühe mich, ganz schnell zu sein –: Der Verkehrsminister so weit gewesen, einen solchen Eingriff vorzunehmen, baut nicht für Herrn Grübel eine Extrastraße, wenn er ir- muss langfristig beobachtet werden: Verschlechtert sich gendwo hinfahren möchte. Er nimmt an, dass Herr die Situation? Grübel durch Mobilität teilhaben möchte. Deswegen ist Diese Forderungen der Jugendämter würde ich gern von vornherein eine Straße vorhanden. Anders verhält es hier hineintransportieren und an die Kanzlerin weiterge- sich mit einem Schwertransport: Dann gibt es eine Son- ben. Wenn sie mit den Ministerpräsidenten redet, sollte derbehandlung; in außerordentlichen Fällen, wenn ein sie wirklich mit Bedacht an die Aufgabe herangehen, besonders großes Schwergewicht transportiert werden nicht mit großen Forderungen und einer Lösung kom- soll, wird eine Brücke verstärkt. Ich wünsche mir, dass men, so wie das im Moment in den Medien geschieht. dieses Vorgehen der Verkehrspolitik bei der Verkehrswe- geplanung auf die Jugend- und Sozialpolitik vor Ort Ich komme zu der einen Lösung, die immer wieder übertragen wird: vorausschauend planen. Das hilft allen, gefordert wird. Ich finde es vernünftig, wenn Eltern ihre ohne dass der Staat eingreift. Kinder untersuchen lassen. Ich halte es für richtig und wichtig, dafür zu sorgen, dass Kinder gesund aufwach- Wir sind nicht die besseren Erzieher. Wir alle können sen. Ich möchte aber dem Parlament sagen: Wir sind der teilhaben, und zwar in Freiheit. Diese Teilhabe wünsche Gesetzgeber; wir müssen wissen, wofür wir zuständig ich mir. Ich möchte keinen Aktionismus. sind und wofür nicht. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten (Beifall bei Abgeordneten der SPD) der LINKEN) Wir sind auf Bundesebene für ein Leistungsrecht zustän- Mein großer Wunsch ist – ich danke dafür, dass die Kin- dig, das in sich keinen Zwang kennt. Wir kennen nach derkommission in diesem Punkt zusammensteht –, dass der Verfassung nur einen Fall, in dem wir Zwang anwen- wir dies zum Ausdruck bringen, indem wir sagen: Kin- 13948 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 133. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. Dezember 2007

Marlene Rupprecht (Tuchenbach) (A) der sind natürlich Menschen – das Bundesverfassungs- zum Beispiel an die Forderung nach Kindergeldkürzun- (C) gericht hat 1968 Rechte der Kinder anerkannt –, aber sie gen für die Eltern, die mit ihren Kindern nicht an Vorsor- sind Menschen mit besonderen Bedürfnissen und An- geuntersuchungen teilnehmen. Hier stellt sich wirklich sprüchen. Deshalb sollten wir die Kinder als Subjekte er- die Frage, nach welchem Motto verfahren werden soll. kennbar in die Verfassung aufnehmen, um ihnen beson- Den Kindern würde es ja auf keinen Fall besser gehen. deren Schutz, besondere Förderung und kindgerechte Dass diese Forderung nun nicht mehr erhoben wurde, Lebensverhältnisse zu garantieren. darüber freue ich mich sehr. (Beifall bei der SPD und der LINKEN sowie In diesem Antrag sind aber auch Punkte enthalten, die der Abg. Miriam Gruß [FDP]) ich nicht ganz teilen kann. Ich habe zum Beispiel ein Problem mit dem in Ihrem Antrag vorgeschlagenen Aus- Wir haben mit der Unterzeichnung der UN-Kinder- tausch von sensiblen Daten. Da werden ganz viele Stel- rechtsresolution den Kindern besondere Rechte zuge- len aufgezählt, die diese Daten untereinander abgleichen standen. Ich bitte Sie, das anzunehmen, was die Kinder- sollen. Aus meiner Erfahrung als Sozialpädagogin be- kommission für sich in Anspruch nimmt – ich bin fürchte ich, dass hierdurch das Vertrauensverhältnis zwi- dankbar dafür, dass es diese Kommission gibt –: Kinder schen den Sozialarbeitern des Jugendamtes und den Fa- müssen ernst genommen, als Rechtssubjekte und als ei- milien zerstört würde. Wir müssen aufpassen, dass das genständige Persönlichkeiten gesehen werden. Ich hoffe, nicht geschieht. dass Sie mit uns gemeinsam marschieren und Ihr Nein zur Aufnahme von Kinderrechten in die Verfassung noch (Beifall bei der LINKEN) einmal überdenken. Die Grundgesetzänderung ist drin- gend notwendig. Es wäre ein Highlight, wenn wir die Das bedeutet auch, dass die Jugendamtsmitarbeiter die Bedeutung der Kinder für die Gesellschaft in der Verfas- Hauptbezugspersonen für die entsprechenden Familien sung zum Ausdruck bringen würden. sein müssen. Da dürfen nicht zu viele ins Handwerk pfu- schen. Es darf nicht plötzlich die Polizei als Erste vor der Ich danke Ihnen. Tür stehen, vielmehr müssen das die Mitarbeiter des Ju- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten gendamtes sein. der CDU/CSU und der LINKEN) Ihrer Forderung, dass wir die Kinder- und Jugendhil- felandschaft stärken müssen, stimme ich voll und ganz Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: zu. Dies ist aber nicht nur Aufgabe der Länder und Kom- Ich erteile das Wort Kollegin Diana Golze, Fraktion munen, auch der Bund trägt hierfür Verantwortung. Ich Die Linke. hoffe, dass wir diese Verantwortung auch im Zusam- (B) menhang mit der Föderalismusreform II wahrnehmen (D) (Beifall bei der LINKEN) und dem Vorschlag des Bundesrechnungshofes, den Kin- der- und Jugendhilfeplan des Bundes einzusparen, nicht Diana Golze (DIE LINKE): Folge leisten. Das stellt keine Lösung dar; das dürfen wir Sehr geehrter Herr Präsident! Werte Kolleginnen und nicht mittragen. Kollegen! Ich denke, man muss nicht betonen, dass das (Beifall bei der LINKEN) Thema dieser Debatte uns alle betroffen macht. Jeder Fall von Kindesmissbrauch ist ein Fall zu viel. Wir alle Auch an die Adresse der Union möchte ich ein Wort hoffen, dass wir geeignete Maßnahmen treffen, um die richten. Herr Singhammer, die Begründung, die Sie ge- Zahl der Fälle zu beschränken. Wir alle wissen aber gen die Aufnahme von Kinderrechten in das Grundge- auch, dass wir nie absolute Sicherheit werden erreichen setz angeführt haben, könnte man auch dazu verwenden, können. das gesamte Strafgesetzbuch abzuschaffen. Kein Dieb und kein Gewalttäter schaut vorher in das Strafgesetz- Neben den aktuellen Fällen macht es mich betroffen, buch und überlegt sich dann, ob er die Tat begeht oder wie die Diskussion darüber geführt wird: sehr aktionis- nicht. Das, was Sie gesagt haben, ist für mich also kein tisch, sehr überstürzt, stark beeinflusst von dem Druck, Grund gegen die Aufnahme von Kinderrechten ins den die Medien auch auf uns, die Bundespolitiker, aus- Grundgesetz. Herr Singhammer, liebe Kolleginnen und üben. Kollegen von der Union, wer Kinderschutz ernst nimmt, Viel zu leicht kommt man in die Versuchung, sich von der muss auch die Rechte der Kinder ernst nehmen. Sie diesem Druck beeinflussen zu lassen und Schnellschüsse sollten da festgeschrieben werden, wohin sie gehören, zu machen, bei denen sich dann herausstellt, dass sie nämlich ins Grundgesetz. doch nicht dem Wohl der Kinder dienen. Deshalb bin ich (Beifall bei der LINKEN und dem BÜND- froh über die Diskussion, die wir heute hier zum wieder- NIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordne- holten Male führen. ten der SPD und der FDP) Ich möchte nun einige Ausführungen zu den Anträ- gen machen, die dazu vorliegen. Ich bitte aber auch die Kolleginnen und Kollegen der SPD, einmal darüber nachzudenken, dass Kinderschutz Zum Antrag der Koalitionsfraktionen. Ich habe mich kein Thema ist, um sich persönlich zu profilieren. Ein sehr darüber gefreut – das habe ich auch schon im Aus- solcher Profilierungsversuch scheint mir die in der heuti- schuss gesagt –, dass er nicht auf Aspekte abhebt, die in gen Frankfurter Allgemeinen Zeitung erhobene Forde- den letzten Monaten im Raum standen. Ich denke da rung des Parteivorsitzenden Beck zu sein, Kinderrechte Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 133. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. Dezember 2007 13949

Diana Golze (A) als „Staatsziel“ in das Grundgesetz aufzunehmen. Ent- Bei den letzten Haushaltsberatungen haben wir einen (C) weder handelt es sich um Grundrechte, dann sollte man Sonderfonds Jugend vorgeschlagen, um die Einsparun- sie auch so nennen, oder es sind eben keine Grundrechte. gen bei der Kinder- und Jugendhilfe, die in den letzten Falls Sie es auch so sehen, dass es sich um Grundrechte Jahren vorgenommen wurden, auszugleichen. Wir müs- handelt, bitte ich doch darum, gemeinsam mit uns Sorge sen dafür sorgen, dass Mitarbeiter von Jugendämtern in dafür zu tragen, dass wir hier im Hause eine Zweidrittel- der Lage sind, in die Familien zu gehen und für sie auf mehrheit erreichen, statt im Alleingang solche Vor- verlässliche Weise da zu sein. Der sich daraus ergebende schläge wie den ebengenannten zu unterbreiten. finanzielle Bedarf kann von den Ländern und Kommu- nen alleine nicht getragen werden. (Beifall bei der LINKEN und dem BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordne- (Beifall bei der LINKEN – Frank Spieth [DIE ten der FDP – Marlene Rupprecht [Tuchen- LINKE]: Das kann man jetzt korrigieren!) bach] [SPD]: Falschmeldung!) Ich freue mich, dass die Kanzlerin den Kinderschutz zur Chefsache erklärt hat. Im Namen meiner Fraktion Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: fordere ich Sie, Frau Bundeskanzlerin, auf, im Rahmen Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage der der Ministerpräsidentenkonferenz am 19. Dezember da- Kollegin Griese? rauf hinzuwirken, dass diese Verantwortung von allen politischen Ebenen wahrgenommen wird: von Bund, Diana Golze (DIE LINKE): Ländern und Kommunen. Ich fordere Sie auf, Ihre Frak- Natürlich. tion davon zu überzeugen, nicht der Blockierer der Kin- derrechte im Grundgesetz zu sein. Wer Kinderschutz (Ute Kumpf [SPD]: Jetzt wollen Sie noch unserem wirklich will, darf sich Kinderrechten nicht verweigern. Parteivorsitzenden das Wort verbieten!) Vielen Dank. Kerstin Griese (SPD): (Beifall bei der LINKEN sowie der Abg. Marlene Liebe Frau Kollegin Golze, sind Sie bereit, zur Rupprecht [Tuchenbach] [SPD]) Kenntnis zu nehmen, dass die FAZ in diesem Falle geirrt hat und den Vorsitzenden der SPD falsch zitiert hat? Er Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: hat in der Tat den gleichen Vorschlag gemacht, den auch Das Wort hat nun Ekin Deligöz für die Fraktion schon die SPD-Bundestagsfraktion unterbreitet hat, Bündnis 90/Die Grünen. nämlich die Kinderrechte in Art. 6 des Grundgesetzes aufzunehmen. Das Zitat mit dem Begriff „Staatsziel“ in (B) der FAZ von heute ist falsch. Die SPD-Bundestagsfrak- Ekin Deligöz (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): (D) tion und der SPD-Parteivorstand sind mit dem SPD-Vor- Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zu sitzenden einer Meinung in dem Punkt, dass wir die Kin- Recht ist die Aufregung angesichts erneut schockieren- derrechte in Art. 6 ins Grundgesetz aufnehmen wollen. der Fälle von Kindesvernachlässigung und Kindestötung groß. Besonders erschütternd dabei ist, dass die Opfer (Beifall bei Abgeordneten der SPD) als Kinder am allermeisten schutzbedürftig und von ih- ren Eltern komplett abhängig sind. Diana Golze (DIE LINKE): Dennoch – oder gerade deswegen – ist an diesem Ich bin sehr gerne bereit, das zur Kenntnis zu neh- Punkt Besonnenheit besonders wichtig. Wir dürfen hier men, wenn es der Wirklichkeit entspricht. Ich hätte mich nicht in Aktionismus verfallen. Wir müssen vielmehr zu natürlich noch mehr gefreut, wenn er gesagt hätte, die einem effizienten Handeln im Sinne des Kinderschutzes SPD unterstützt den Vorschlag der Kinderkommission, kommen. Das Schutznetzwerk, über das wir hier reden, die Kinderrechte ins Grundgesetz aufzunehmen. ist im Prinzip vorhanden. Es muss darum gehen, dass es (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- bessere Strukturen und bessere Koordinierungsmöglich- neten der FDP und des BÜNDNISSES 90/DIE keiten erhält und dass es enger geknüpft wird. Aber es ist GRÜNEN) nicht so, dass es nichts geben würde. Das muss man ein- mal festhalten. Kurz zum Antrag der FDP. Hier kommt mir zu stark der Zusammenhang zwischen armen Kindern, Risikofa- Ein weiterer Punkt. In den vergangenen Tagen und milien und Kindesvernachlässigung zum Ausdruck. Ich Wochen ist die Jugendhilfe teilweise stark angegriffen habe damit ein Problem, weil ich glaube, dass wir auf worden. Ich finde diese Kritik nicht richtig und sehr diese Weise den Blick zu sehr auf eine bestimmte überzogen; denn gerade die Jugendhilfe in diesem Land Gruppe beschränken. Kindesvernachlässigung gibt es leistet in vielen Fällen unter schwierigsten Bedingungen aber quer durch alle Bevölkerungsgruppen. gute Arbeit. (Beifall bei der LINKEN) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LIN- Den Antrag der Grünen unterstützen wir, weil in ihm KEN) viele Forderungen enthalten sind, die wir teilen. Er ent- hält viele Appelle, aber ich finde es schade, dass er kon- Das soll keine Schönfärberei sein. Natürlich müssen wir krete Fragen zum Beispiel der Finanzierung außen vor jeden einzelnen Fall untersuchen, aufklären und analy- lässt. sieren; wir müssen erkennen, was grundsätzlich besser 13950 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 133. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. Dezember 2007

Ekin Deligöz (A) werden muss. Die Kräfte, die in der Jugendhilfe tätig schutz. Es ist die Grundlage der Kinder- und Jugend- (C) sind, haben ein offenes Ohr für die Probleme der Betrof- hilfe, der Gesundheits- und Sozialdienste. Wir müssen fenen. Sie wären die letzten, die nicht bereit wären, die die ganze Breite der Arbeit der Jugend- und Sozial- Strukturen zu verbessern. Im Gegenteil: Sie sind bereit, dienste sehen. Sie fängt bei der Bildung an und reicht alles dafür zu tun. Wir dürfen ihnen an diesem Punkt von der Betreuung, der Elternbildung, den Jugendpro- kein Unrecht tun. grammen und Erziehungshilfen bis hin zur Abwehr von massiven Kindeswohlgefährdungen. Wenn wir dies auch (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN in Zukunft gewährleistet wissen wollen, müssen wir da- sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der für Geld und Personal bereitstellen. SPD und der LINKEN) Schaut man sich die Zahlen des Statistischen Bundes- Erfolgreicher Kinderschutz setzt natürlich die Kennt- amtes aus dem Jahre 2006 an, sieht man, dass die Mittel nis von Risikolagen voraus. Der Anteil der gefährdeten gerade für diesen Bereich bedauerlicherweise nicht Kinder beträgt 3 bis 4 Prozent, bei weiterer Definition gleich geblieben sind – das wäre angesichts der ver- vielleicht 10 Prozent. Diese Fälle können durch Vorsor- schärften Problemlagen an sich schon eine Kürzung –, geuntersuchungen aufgedeckt werden. Aber diese Vor- sondern dass sie um bis zu 900 Millionen Euro gekürzt sorgeuntersuchungen sind nur ein Baustein unter vielen wurden. Wenn Sie uns Grüne fragen, woher wir die Mit- anderen – nicht mehr und nicht weniger. tel nehmen, dann kann ich nur sagen: Schauen Sie sich (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN die Beschlüsse des Parteitags von Nürnberg an. In unse- und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der rem Leitantrag haben wir vonseiten der Grünen sehr CDU/CSU, der FDP und der LINKEN) wohl Vorschläge gemacht, wie man Mittel einsparen und sie im Rahmen einer sinnvollen Infrastruktur umleiten Herr Singhammer, Sie reden von Sanktionen. Wir kann. Eine Umsetzung dieser Vorschläge ist möglich. Grünen lehnen Sanktionen wie Kindergeldkürzungen oder Führerscheinentzug ab. Wenn Sie polemisch sagen, Eine letzte Anmerkung zur Stärkung der Kinderrechte diese Menschen würden nicht in die Verfassung schauen, und der Aufnahme dieses Prinzips in das Grundgesetz. dann muss ich Ihnen entgegnen, dass Eltern, die in der Polemik bringt uns hier nichts. Die Argumente, die Sie Gefahr stehen, ihre Kinder zu vernachlässigen und im dagegen vorbringen, zählen nicht. Sie haben keinen In- schlimmsten Fall sogar umzubringen, Probleme haben halt. Hören Sie endlich mit der Blockadehaltung im und unter Störungen leiden. Glauben Sie, dass Menschen Bundestag auf! sich von einem Führerscheinentzug oder von einer Kür- (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS- zung des Kindergeldes um 50 oder 100 Euro beeindru- SES 90/DIE GRÜNEN) cken lassen und sich davon abbringen lassen, schwere (B) (D) Delikte zu begehen? Die Kanzlerin ist für eine Stärkung der Kinderrechte, die Ministerin ist für eine Stärkung der Kinderrechte, Herr (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Herzog ist für eine Stärkung der Kinderrechte. Nur Sie und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der weigern sich immer noch, dieser Tatsache ins Gesicht zu FDP und der LINKEN) schauen. Wir müssen an diesem Punkt Signale setzen. Glauben Sie wirklich, dass Sie mit diesen Strafen irgend- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei etwas erreichen können? Das ist zu kurz gesprungen. der SPD, der FDP und der LINKEN) Solche Maßnahmen greifen nicht. Wir müssen uns dazu bekennen. Es darf nicht sein, dass Und zu was führt denn eine zwangsweise Vorführung Kinderrechte unsere Sonntagsreden schmücken und dass beim Kinderarzt, die auch vorgeschlagen wird? Sie führt wir dann, wenn es darum geht, dass dieser Bundestag dazu, dass das Vertrauen zu den Ärzten verloren geht. endlich handelt, sagen: Wir sind dafür nicht zuständig. – Davor warnen die Kinderärzte selber. Wir brauchen ein Das sind wir alle sehr wohl. Daran ändern auch die bes- verbindliches Einladungswesen. Da gebe ich der Bun- ten Wörter nichts. Lassen Sie uns endlich handeln! desfamilienministerin recht. Wir brauchen ferner ein Screening nach Risikofällen. Ein unterlassener Besuch (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN beim Arzt kann – muss aber nicht – ein Hinweis sein. sowie bei Abgeordneten der SPD) Die Jugendhilfe und Gesundheitsdienste müssen dann in der Lage sein, einzugreifen, den richtigen Weg zu finden Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: und eine Klärung Schritt für Schritt herbeizuführen. Das Wort hat nun Katharina Landgraf für die CDU/ Gerade im Hinblick auf die Säuglinge möchte ich die CSU-Fraktion. Bedeutung der Familienhebammen ganz besonders beto- (Beifall bei der CDU/CSU) nen. (Beifall im ganzen Hause) Katharina Landgraf (CDU/CSU): Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Her- Familienhebammen leisten eine richtig gute Arbeit. Es ren! Die Eltern tragen allein die volle Verantwortung für ist an uns, ihre Arbeit zu stärken, damit ein Zugang zu das Aufwachsen ihrer Kinder. Die Gesellschaft, wir alle jungen Familien möglich ist. müssen sie dabei unterstützen. Die Eltern sollen und dür- Geld ist kein Allheilmittel; aber es ist eine unersetzli- fen nicht aus der Pflicht entlassen werden. Die Gesell- che Grundlage für die Arbeit in Bezug auf den Kinder- schaft, die Politik und der Staat sollen für sie Partner Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 133. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. Dezember 2007 13951

Katharina Landgraf (A) sein. Denn wir dürfen nicht vergessen – Kollege regelmäßige Kontakte und einen Datenabgleich bezüg- (C) Singhammer sagte es schon –: 90 Prozent der Eltern lich schwieriger Familien geben. meistern ihre Aufgaben gut, ja hervorragend. (Ina Lenke [FDP]: Wo sind denn da die (Ina Lenke [FDP]: Um die geht es doch gar Schwierigkeiten?) nicht!) Dafür brauchen wir keine neuen Regelungen. Sie kümmern sich engagiert um ihren Nachwuchs. Also (Ina Lenke [FDP]: Doch!) gibt es überhaupt keinen Anlass, Eltern verstärkt mit ei- nem grundlegenden Misstrauen zu begegnen. Tun wir – Hören Sie mir bitte zu, Frau Lenke. – Gemäß § 8 a das aber, geraten sie unter einen ständigen Rechtferti- SGB VIII sind die einzelnen Behörden zur Zusammen- gungsdruck. arbeit angehalten. Das muss nur konsequent und vor al- Stattdessen muss die elterliche Erziehungsleistung len Dingen mit qualifizierten Mitarbeitern umgesetzt noch besser als bisher anerkannt und unterstützt werden. werden. (Beifall bei der CDU/CSU) An dieser Stelle setzt das kürzlich ins Leben gerufene Nationale Zentrum Frühe Hilfen an. Es hat die Aufgabe, Das sollte zum Beispiel durch kostenlose Eltern- und Fa- regionale und kommunale Netzwerke, in denen die Ar- milienbildung geschehen. Auf diese Weise ist eine Teil- beit von Ärzten und Hebammen auf der einen Seite und nahme wirklich allen Familien möglich. Das wäre ein der Kinder- und Jugendhilfe auf der anderen Seite ver- erster Pfeiler einer Brücke zum Kindeswohl. knüpft wird, zu fördern. Dazu gibt es in fast allen Bun- desländern Modellprojekte. Von Geburt an gehen Fami- Es ist natürlich nicht so, dass es Vernachlässigung nur lienhebammen regelmäßig in die Familien. in armen Familien gibt. Es ist aber traurige Realität, dass in Deutschland über 2 Millionen Kinder und deren El- In meinem Wahlkreis, im Muldentalkreis, gibt es zum tern in materieller Armut leben. Armutsbekämpfung Beispiel das Projekt „Netzwerke für Kinderschutz in kommt den Schutzbefohlenen zugute. Das ist ein weite- Sachsen“. Es hat eine doppelte Aufgabenstellung: Unter- rer Pfeiler der Brücke zum Kindeswohl. Darin sehe ich stützung der Eltern bei der Wahrnehmung ihrer Erzie- ein wichtiges Ziel unseres Handelns. hungsverantwortung und Sicherstellung des Kinder- schutzes in Risikosituationen durch klare Hilfe- und In den Fällen, in denen Eltern ihrer Verantwortung Kontrollstrategien. nicht gerecht werden, muss schnell und unbürokratisch gehandelt werden. Es geht vor allem darum, rechtzeitig Das andere Modellprojekt „Pro Kind“ ist ein Hausbe- zu erkennen, in welchen Familien die Kinder nicht aus- suchsprogramm für erstgebärende Schwangere in (B) reichend versorgt oder gar misshandelt werden. Dazu ha- schwierigen Lebenslagen. Die Begleitung der Frauen be- (D) ben in den vergangenen Monaten zahlreiche Bundeslän- ginnt bereits in der Schwangerschaft und wird bis acht der ordentlich Fahrt aufgenommen. Das geschieht Wochen nach der Geburt durch eine Hebamme geleistet. beispielsweise mit verpflichtenden Vorsorgeuntersu- Danach erfolgen die Hausbesuche bis zum zweiten Le- chungen oder Netzwerken für einen besseren Kinder- bensjahr des Kindes durch eine Sozialpädagogin. Das ist schutz. Bei Nichtteilnahme und fehlender Reaktion auf das sogenannte Tandemmodell. Die Themen und Inhalte Mahnungen der Kinderärzte kommen Mitarbeiter des Ju- der Hausbesuche sind den Phasen der Schwangerschaft gendamtes in die Familie. bzw. der kindlichen Entwicklung angepasst. Sie umfas- (Ina Lenke [FDP]: Was wollen Sie?) sen Bereiche wie gesunde Ernährung für Mutter und Kind, Gesundheitsvorsorge und psychosoziale Entwick- Das finde ich gut. lung. Dadurch wird Eltern und Kind ein positiver Start ins Familienleben ermöglicht. Von den meisten Eltern werden die Vorsorgeuntersu- chungen übrigens nicht als Kontrolle oder Überwa- Es sollte für Eltern selbstverständlich sein, in der Zeit chung, sondern als Bestätigung und Bestärkung ihrer gu- nach der Geburt regelmäßig besucht und informiert zu ten Betreuungsleistung gesehen. werden. Das ist kein Zeichen für Schwäche oder man- gelnde Kompetenz. Ich will mich klar ausdrücken: Das (Beifall bei der CDU/CSU) Gesundheitssystem bildet einen weiteren Brückenpfeiler Das ist gerade in den ersten Lebensmonaten des Kindes eines effektiven Kinderschutzes. eine wichtige Hilfe und somit ein weiterer Pfeiler meiner Eines möchte ich hier noch anmerken: Neugeborene Brücke zum Kindeswohl. und ihre Eltern stecken von der ersten Sekunde ihres Ein dichtes Netz von Hilfen für Familien in schwieri- neuen Status im Dschungel der deutschen Bürokratie. gen Problemsituationen sollte die Vorsorgeuntersuchun- Allein die Prozedur der Anmeldung von Babys ist echt gen ergänzen, und zwar von Geburt an. Die Akteure in nervig für die jungen Eltern. Unsere geschätzte Kollegin meinem Wahlkreis praktizieren eine enge Kooperation Marie-Luise Dött hat dazu ein Beweispapier vorgelegt. zwischen Jugendämtern, Polizei und Gesundheitshilfe. Am Schluss wird darauf verwiesen, dass man das in Irland ganz anders macht: Dort kommt ein Staatsbeamter (Ina Lenke [FDP]: Und was ist mit dem Daten- in die Klinik, nimmt die Daten auf und kümmert sich um schutz?) den Gesamtprozess. Das ist letztlich auch eine Vernet- Dieser Aufwand lohnt sich immer, wenn wir Kindern da- zung und eine Erleichterung für Mütter und Familien. durch helfen und sie schützen können. Zudem muss es Wir wollen die Behörden vor Ort, also in den Städten 13952 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 133. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. Dezember 2007

Katharina Landgraf (A) und Gemeinden, zur rechtsstaatlichen Kooperation im ständlich klargestellt werden, dass Kinder Menschen mit (C) Interesse des gesunden Aufwachsens der Kinder ermuti- eigenen Rechten sind. Allgemein und abstrakt formu- gen und gewinnen. liert: Kinder haben das Recht, im Wohlergehen aufzu- wachsen, und Staat und Gesellschaft müssen dies ge- In dieser Woche erreichte mich eine dringende Bitte währleisten. aus einem Jugendamt in meinem Wahlkreis. Wir sollten junge Leute bereits im Schulalter langfristig auf ihre spä- Es geht nicht darum, in die Familien hineinzuregie- tere Elternschaft vorbereiten, also eine Art Führerschein ren. Die bestehenden und noch zu schaffenden Hilfs- für Eltern einführen. Auf diese Weise könnten neue El- und Beratungsangebote sollen gerade jene erreichen, die ternbiografien entstehen, in denen Gewalt und Vernach- sie brauchen. Daher halte ich übrigens auch nichts von lässigung keine Rolle mehr spielen. Das wäre der dem Gedanken, Eltern, die ihre Rolle nicht ausfüllen Schlussstein meiner Brücke für einen wirksameren Kin- können, mit Leistungsentzug wie einer Kürzung des derschutz. So könnten wir ein gesundes Aufwachsen der Kindergeldes oder des Betreuungsgeldes zu bestrafen. Kinder ermöglichen. Das schadet mehr, als es nutzt. Am Potsdamer Platz steht ein großes Plakat mit der (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Aufschrift „Nichts ist erledigt“. Wir haben angefangen, wir müssen aber weiter daran arbeiten. Nichts ist für un- So schockierend sie auch sein mögen, es sind nicht al- sere Kinder erledigt, mit den Modellprojekten haben wir lein die aus den Medien bekannten Gewaltexzesse gegen aber einen ersten, guten Schritt unternommen. Dafür Kinder, denen unser Augenmerk gelten muss; wir kön- möchte ich dem Ministerium danken. nen nicht all diese Taten auf legislativem Wege verhin- dern, so sehr wir das auch bedauern. Es ist nämlich auch Vielen Dank. ein zunehmender Trend zur Verwahrlosung zu verzeich- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- nen, dem die Gesellschaft und damit auch die Politik be- neten der SPD) gegnen müssen. Die Verwahrlosung, von der ich spre- che, ist übrigens kein Phänomen, das sich am Rande unserer Gesellschaft abspielt. Wir finden sie mittlerweile Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: in allen Schichten vor – wenn wir sie denn finden. Als letztem Redner zu diesem Tagesordnungspunkt erteile ich dem Kollegen Dieter Steinecke, SPD-Frak- Genau hier liegt nach meinem Ermessen das größte tion, das Wort. Problem: Nach dem SGB VIII müssen Jugendämter tätig werden, wenn ihnen – ich zitiere (Beifall bei der SPD) gewichtige Anhaltspunkte für die Gefährdung des (B) Wohls eines Kindes oder Jugendlichen bekannt (D) Dieter Steinecke (SPD): Verehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und werden. Doch leider bleiben viele, viel zu viele Fälle un- Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich will jetzt entdeckt. Kindern, die im Verborgenen leiden, und Fa- nicht all das wiederholen, was schon gesagt worden ist; milien, die sich ihre Überforderung nicht eingestehen das schaffe ich in meinen fünf Minuten Redezeit auch oder aus Scham nicht um Rat und Hilfe bitten, kann nicht. Einiges möchte ich aber aufgreifen. Ich greife den nicht geholfen werden. Redebeitrag meiner Fraktionskollegin Marlene Rupprecht auf und stelle erneut klar: Die Rechte der Wir brauchen ein ganzes Bündel von Maßnahmen; Kinder in unserem Land müssen im Grundgesetz veran- darüber ist heute schon oft gesprochen worden. Eine kert werden. Schlüsselrolle kommt in diesem Zusammenhang meiner Ansicht nach dem Öffentlichen Gesundheitsdienst zu. (Beifall bei der SPD, der FDP, der LINKEN Durch regelmäßige und verbindliche Untersuchungen in und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) den Schulen könnten wir fast alle Kinder erreichen. So könnten Anzeichen von Verwahrlosung, Vernachlässi- Es kann doch nicht angehen, dass unsere Verfassung die gung, Gewalt und Missbrauch festgestellt werden – si- berechtigten Interessen der Tiere schützt, dass wir in die- cherlich nicht alle, aber auf jeden Fall mehr als heute. sem Hause aber immer noch darüber diskutieren, ob die Kinderrechte in die Verfassung gehören. Die Kinder im Vorschulalter sind nicht so einfach zu (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten erreichen. Gerade diejenigen, die in schwierigen familiä- der FDP und der LINKEN) ren Verhältnissen leben und unsere besondere Fürsorge brauchen, besuchen häufig keine Krippe oder Tages- Dabei möchte ich Folgendes klarstellen: Es geht mir stätte, in der sie regelmäßig untersucht werden könnten. nicht darum, die Eltern in unserem Land unter einen Ge- Diesem Problem ist man in einigen Bundesländern, wie neralverdacht zu stellen und sie in ihren verfassungsmä- ich finde, vorbildlich begegnet – im ist das be- ßigen Rechten einzuschränken. Fast alle von ihnen sind reits Realität, und in Hessen, Schleswig-Holstein und in der Lage, ihre Kinder angemessen zu versorgen und Rheinland-Pfalz wird es ab dem kommenden Jahr so ihnen liebevolle Zuwendung zu geben. In den Fällen, in sein –: Dort gibt es ein umfassendes Einladungs- und denen sie das nicht können, bedarf es aber der staatli- Meldewesen für die krankengesetzlich verankerten chen Gewährleistung der Rechte der Kinder. Bislang Früherkennungsuntersuchungen. Eltern erhalten für jede sind diese auf der Ebene des Grundgesetzes nur Objekte Vorsorgeuntersuchung eine Einladung. Wenn man zu bzw. Gegenstände der Erziehung. Es muss unmissver- den Untersuchungen trotz Erinnerung nicht erscheint, Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 133. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. Dezember 2007 13953

Dieter Steinecke (A) werden die Behörden tätig, suchen die betroffenen Haus- Unter Nr. 2 empfiehlt der Ausschuss die Ablehnung (C) halte auf und machen, wo dies nötig und sinnvoll ist, auf des Antrags der Fraktion der FDP auf Drucksache 16/4415 Beratungs- und Hilfsangebote aufmerksam. mit dem Titel „Schutz und Chancen für die Kinder in Deutschland“. Wer stimmt für diese Beschlussempfeh- Es ist anzustreben, dass es solche oder vergleichbare lung? – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Die Be- verpflichtende Regelungen möglichst bald in ganz schlussempfehlung ist mit den Stimmen von CDU/CSU, Deutschland gibt. SPD und Bündnis 90/Die Grünen gegen die Stimmen der (Beifall bei Abgeordneten der SPD) FDP bei Enthaltung der Fraktion Die Linke angenom- men. Notfalls muss die Verpflichtung zur aufsuchenden Ju- gendhilfe nach dem SGB VIII verstärkt werden. Denn es Schließlich empfiehlt der Ausschuss unter Nr. 3 darf nicht sein, dass ein Kind Glück hat, wenn es in seiner Beschlussempfehlung die Ablehnung des Antrags St. Ingbert, Marburg, Lübeck oder Worms aufwächst, der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Druck- aber Pech hat, wenn es in meinem Heimatland Nieder- sache 16/3024 mit dem Titel „Kinder entschlossen vor sachsen lebt. Dort nämlich hat die demnächst zur Ab- Vernachlässigung schützen“. Hierzu liegt eine persönli- wahl stehende Landesregierung beim Kinder- und Ju- che Erklärung des Abgeordneten Jörn Wunderlich1) vor. gendschutz unverantwortliche Kürzungen vorgenommen Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer und bewährte Institutionen wie das Landesjugendamt stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Die Beschlussemp- zerschlagen. fehlung ist mit den Stimmen von CDU/CSU und SPD ge- gen die Stimmen der Fraktion der Fraktion Bündnis 90/ (Beifall bei der SPD) Die Grünen und der Fraktion Die Linke bei Enthaltung Ich sage es noch einmal deutlich: Wir brauchen bundes- der Fraktion der FDP und des Kollegen Wunderlich ange- weit einheitlich hohe Standards für die jüngste Genera- nommen. tion. Wenn es um das Wohl der Kinder und um eines ih- Ich rufe den Tagesordnungspunkt 7 auf: rer elementaren Rechte geht, darf sich niemand ins föderale Unterholz schlagen. Deshalb bekräftige ich un- Beratung der Beschlussempfehlung und des Be- sere Forderung: Kinderrechte müssen in die Verfassung. richts des Verteidigungsausschusses (12. Aus- Gleichzeitig geht der Auftrag an alle, an Bund, Länder schuss) zu der Unterrichtung durch den Wehrbe- und Kommunen, diese Rechte durch Handeln zu ge- auftragten währleisten. Jahresbericht 2006 (48. Bericht) (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten – Drucksachen 16/4700, 16/6700 – der LINKEN) (B) Berichterstattung: (D) Mit großer Freude habe ich vernommen, dass sich Abgeordnete Anita Schäfer (Saalstadt) auch die Bundesfamilienministerin dafür ausspricht, die Hedi Wegener Rechte der Kinder ausdrücklich im Grundgesetz zu ver- Elke Hoff ankern. Oder muss ich schon sagen: ausgesprochen hat? Paul Schäfer (Köln) Sehr enttäuscht bin ich hingegen von der Kanzlerin, die Winfried Nachtwei in dieser Hinsicht innerhalb ihrer Partei und ihrer Bun- destagsfraktion noch nicht aktiv geworden ist oder sich Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die noch nicht wirkungsvoll Gehör verschaffen konnte. Da- Aussprache eine Dreiviertelstunde vorgesehen. – Ich her appelliere ich an Frau Merkel: Machen Sie den Kin- höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen. Be- derschutz zur Chefinsache! Lassen Sie den Worten bitte vor ich dem Wehrbeauftragten des Deutschen Bundesta- Taten folgen, für unsere Kinder, für unsere Zukunft! ges, Reinhold Robbe, das Wort erteile, bitte ich die Kol- legen, entweder den Saal zu verlassen oder Platz zu Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit. nehmen, damit die Debatte in aller Ruhe fortgeführt wer- (Beifall bei der SPD) den kann. Nun hat Reinhold Robbe, der Wehrbeauftragte des Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Deutschen Bundestages, das Wort. Ich schließe die Aussprache. Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Aus- Reinhold Robbe, Wehrbeauftragter des Deutschen schusses für Familie, Senioren, Frauen und Jugend auf Bundestages: Drucksache 16/5695. Der Ausschuss empfiehlt unter Lieber Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen Nr. 1 seiner Beschlussempfehlung die Annahme des An- und Herren! In dieser letzten Sitzungswoche vor dem trags der Fraktionen der CDU/CSU und der SPD auf Weihnachtsfest liegt dem Deutschen Bundestag mein Drucksache 16/4604 mit dem Titel „Gesundes Aufwach- Jahresbericht 2006, also der aus dem letzten Jahr, zur ab- sen ermöglichen – Kinder besser schützen – Risikofami- schließenden Beratung vor. Bevor ich gleich darauf ein- lien helfen“. Wer stimmt für diese Beschlussempfeh- gehe, möchte ich die Gelegenheit nutzen, schon von die- lung? – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Die ser Stelle aus einen Gruß an alle deutschen Soldatinnen Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der beiden und Soldaten überall in ihren Einsatzgebieten zu richten. Regierungsfraktionen bei Enthaltung der Oppositions- fraktionen angenommen. 1) Anlage 3 13954 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 133. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. Dezember 2007

Wehrbeauftragter Reinhold Robbe (A) Natürlich grüße ich damit auch alle Soldatinnen und Sol- An diesem Zustand hat sich bis heute noch nicht sehr (C) daten in den Heimatstandorten. viel geändert. Wie könnte es auch anders sein? – Denn zwischen der Vorstellung meines Berichts und heute Unsere Soldatinnen und Soldaten leisten ihren an- liegt nur knapp ein dreiviertel Jahr. Allerdings sind nicht spruchsvollen, gefährlichen Dienst für die Sicherheit zuletzt aufgrund meines Berichtes erste wichtige Maß- und Freiheit unseres Landes, der Bundesrepublik nahmen eingeleitet worden. Ich bin – das will ich hier Deutschland. Dafür gebührt ihnen – ich glaube, ich darf ausdrücklich feststellen – dem Bundesverteidigungsmi- das im Namen aller Anwesenden hier im Hohen Haus nister, aber auch der zuständigen Abteilungsleiterin, sagen – unser aller Dank und unsere volle Anerkennung. Alice Greyer-Wieninger, außerordentlich dankbar, weil (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU, der FDP dieses Problem jetzt offensichtlich zur Chefsache erklärt und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) wurde. Ich hoffe und wünsche, dass auch sie trotz aller Ge- Das in diesem Zusammenhang neu aufgelegte Son- fahren vor Ort ein ruhiges und friedvolles Weihnachts- derprogramm „Sanierung Kasernen West“ stellt für die fest verbringen können und dass sie vor allem sicher und Jahre 2008 bis 2011 über den bisherigen Haushaltsansatz wohlbehalten am Ende des Einsatzes oder am Ende des hinaus zusätzliche 645 Millionen Euro zur Verbesserung Kontingents zu ihren Lieben, zu ihren Familien zurück- der Kaserneninfrastruktur in den alten Bundesländern kehren können. zur Verfügung. Gerade in den vergangenen Wochen und Monaten ist (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten mehr denn je darum gerungen worden, ob und wie der CDU/CSU) Deutschland sich an internationalen Einsätzen beteiligt. Ich erinnere nur an die Diskussionen und die Debatten Dieses Programm kann allerdings erst ab 2009 zu einer über den Einsatz deutscher Tornado-Aufklärungsflug- signifikanten Erhöhung der bereitgestellten Mittel füh- zeuge in Afghanistan, die Verlängerung der Mandate ren. Doch insgesamt wird auch das leider nicht ausrei- OEF und ISAF oder auch im Zusammenhang mit dem chen. Der seit langem auf das lediglich unbedingt erfor- Einzelplan 14 während der Haushaltsdebatte. derliche Maß beschränkte Bauunterhalt hat zu einem Nicht nur die Medien, sondern gerade auch die Solda- derartigen Investitionsstau geführt, dass hier, kurzfristig tinnen und Soldaten unserer Bundeswehr verfolgen diese wie langfristig, noch weit mehr Finanzmittel erforderlich Debatten mit allergrößtem Interesse. Denn dabei wird sind. deutlich, welche außen- und sicherheitspolitischen Ziele Angesichts der Dringlichkeit dieses Problems habe die Regierung entwickelt und wie sich die Opposition zu ich Anfang November mit Fachleuten aus dem Verteidi- (B) diesen einzelnen Themen positioniert. (D) gungsministerium und der Wehrbereichsverwaltung den Unabhängig davon bleiben Regierung und Parlament Sanierungsbedarf sowie Möglichkeiten zur Beschleuni- aufgefordert, der Bundeswehr die finanziellen und mate- gung der Verfahrensabläufe erörtert. Dabei zeichneten riellen Mittel zur Verfügung zu stellen, die vor allem sich zwei Problemfelder aus, die in einer zweiten Unter- zum Schutz der Soldatinnen und Soldaten sowie zur Er- redung im Grunde bestätigt wurden, die im Ministerium füllung ihres Auftrages erforderlich sind. Woran es in selber stattfand: Im Zuge der Umsetzung des neuen Sta- diesem Zusammenhang fehlt, ist in meinem Bericht, tionierungskonzeptes wurde die Belegung in den ver- denke ich, ausführlich dargestellt worden. bliebenen Kasernen so weit verdichtet, dass es an Aus- weichmöglichkeiten fehlt, wenn Unterkunftsgebäude Im Fokus des Berichtes für das Jahr 2006 standen wegen der notwendigen Grundsanierung für längere Zeit aber nicht nur die Einsätze. Besonders das Thema Infra- geräumt werden müssen. struktur – also der seit Jahren aus meiner Sicht unbefrie- digende, ja teilweise katastrophale Zustand vor allem Hier entsteht eine weitere Schwierigkeit: In der der- westdeutscher Kasernen – war ein Schwerpunkt. Meine zeitigen Belegungsplanung werden nur die unterkunfts- Kritik fand sehr große Resonanz und erhielt zustim- pflichtigen Soldaten bis zum 25. Lebensjahr berücksich- mende Reaktionen innerhalb, aber gerade auch außer- tigt. Alle anderen müssen ihre Unterkünfte in den halb des Bundestages. Kasernen wegen anderweitigen Bedarfs räumen. Das Als ich diesen Kernpunkt bei der Vorstellung meines trifft vor allem die große Zahl der Pendler, die unter der Jahresberichts im März 2007 aufgriff, habe ich, ehrlich Woche auf eine kostengünstige dienstnahe Unterbrin- gesagt, auf eine solche Resonanz gehofft. Denn die Be- gung in der Kaserne angewiesen sind. Betroffen sind dingungen, unter denen unsere Soldatinnen und Soldaten insbesondere Unteroffiziere, die sich mit Blick auf ihre in vielen Kasernen heute leben und arbeiten müssen, Besoldung die Anmietung einer zusätzlichen Wohnung sind in der Tat zumindest teilweise unbeschreiblich. Ich am Dienstort in der Regel nicht leisten können. Wie ich glaube, viele von Ihnen haben das in den eigenen Wahl- bereits in früheren Jahresberichten gefordert habe, muss kreisen nachvollziehen können, wenn Sie Kasernen be- der Dienstherr dieser geänderten Lebenswirklichkeit sucht haben und sich die Soldatenstuben, die Mann- Rechnung tragen und bald nach Möglichkeiten zur Un- schaftsunterkünfte sowie die Sanitärbereiche vor Ort terstützung der betroffenen Soldatinnen und Soldaten su- angeschaut haben. Ich glaube, es ist nicht übertrieben, chen. Somit ist es gut, dass im Zuge der Erarbeitung ei- wenn ich das trotz der mir nachgesagten zurückhalten- nes neuen Betreuungskonzeptes auch der Gesichtspunkt den norddeutschen Art so deutlich dargestellt habe. „Unterkünfte für Pendler“ berücksichtigt werden soll. Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 133. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. Dezember 2007 13955

Wehrbeauftragter Reinhold Robbe (A) Der Ansatz, hierbei privatwirtschaftliche Erfahrungen fizite im Führungsverhalten. Das war ein äußerst wichti- (C) und Kapital für die Bundeswehr im Rahmen einer öf- ger Punkt. Sie können sich vorstellen, dass mich das sehr fentlich-privaten Partnerschaft nutzbar zu machen, er- beschäftigt. Darunter befanden sich auch Vorgänge, über scheint mir persönlich außerordentlich sinnvoll. Entspre- die in den Medien ausführlich berichtet wurde. Ich chende Maßnahmen dürfen aber nicht Jahre auf sich nenne nur die Stichworte Coesfeld, Bückeburg, Zwei- warten lassen; sie müssen unverzüglich und unbürokra- brücken und Wittmund. All diese Standorte stehen für tisch kommen, wenn sie in der von mir beschriebenen ein derartiges Fehlverhalten. Situation wirksam werden sollen. In all diesen Fällen haben Vorgesetzte im Kernbereich (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ ihrer Verantwortung für die ihnen unterstellten Soldaten DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der eklatant versagt. Wir haben es hier nahezu ausnahmslos CDU/CSU) mit einem mangelnden Wertebewusstsein und mit Defi- ziten in der Menschenführung zu tun. Den Ursachen Bei meinen Truppenbesuchen habe ich immer wieder muss über die Bewertung des Einzelfalles hinaus drin- festgestellt, dass im Zuge der Sanierung der Liegen- gend nachgegangen werden. schaften die Unterbringungsstandards deutlich verbes- sert werden müssen. Es fehlt an Gemeinschaftsräumen. Es geht aber nicht nur um diese spektakulären Fälle. Viele Unterkünfte sind nicht einmal mit Fernseh- oder Unter den Gesichtspunkten Vorbildfunktion, Vertrauens- mit Internetanschlüssen ausgestattet. Darüber hinaus verlust und Schwächung in der Ausübung der Diszipli- herrscht akuter Platzmangel in den Unterkunfts- und Ar- narbefugnis habe ich versucht, generelle Mängel und beitsbereichen. Oftmals wird die vorgesehene Stubenbe- Defizite im Führungsverhalten aufzuzeigen. Diesen legung deutlich überschritten: Vier-Mann-Stuben sind muss meines Erachtens im Rahmen von Ausbildung und nicht nur bei Mannschaften, sondern häufig auch bei Un- Dienstaufsicht stärker entgegengewirkt werden. Im teroffizieren mit sechs oder sogar acht Soldaten belegt. kommenden Jahresbericht werde ich darauf leider erneut Darüber hinaus fehlen Funktions- und Betreuungsräume eingehen müssen. in den Gebäuden. Angesichts dieses Befundes zeichnet Lassen Sie mich zum Abschluss noch ein Thema an- sich aus meiner Sicht nicht nur ein Sanierungs-, sondern sprechen, das für die Zukunft der Bundeswehr eine auch ein Flächenmehrbedarf ab, der bei den geplanten grundsätzliche Bedeutung hat. Ich meine die Attraktivi- Maßnahmen unbedingt einfließen muss. tät des Soldatenberufes. In meinem letzten Bericht habe Das zweite grundsätzliche Problem im Zusammen- ich an vielen Beispielen deutlich gemacht, wie die Ein- hang mit der Sanierung der Kasernenanlagen liegt mei- kommensstruktur der Bundeswehrangehörigen aussieht. nes Erachtens in den Verfahrensabläufen. Sie müssen Zwei Drittel der Soldatinnen und Soldaten gehören näm- (B) deutlich gestrafft, entbürokratisiert und beschleunigt lich zu den unteren Einkommensgruppen in unserer Ge- (D) werden. Dies gilt sowohl für die Bedarfsfeststellung und sellschaft. Das weiß in unserer Gesellschaft kaum je- Bauplanung als auch für die Bauausführung und Bau- mand. Unabhängig davon sind aber gerade auch die überwachung, insbesondere im Hinblick auf die erfor- Spezialisten unterbezahlt, die durch die Einsätze beson- derliche enge Zusammenarbeit mit den zuständigen Lan- ders belastet sind. Beispielhaft nenne ich die Angehöri- desbauverwaltungen; das ist also nicht nur eine Sache gen des Kommandos Spezialkräfte. Aber auch die Ärzte des Bundes und der jeweils tangierten Ministerien, son- im Sanitätsdienst, die Soldaten beim fliegenden Perso- dern auch der Bundesländer. nal, im Fernmeldebereich und auch bei den Pionieren sind im Vergleich zur zivilen Wirtschaft deutlich unter- Das ist keine einfache Aufgabe; darüber bin ich mir bezahlt. im Klaren. Denn auch die Wehrverwaltung wird derzeit, wie Sie wissen, umstrukturiert. Allein im Bereich der Die Notwendigkeit der Attraktivitätssteigerung wird Liegenschaftsverwaltung ist ein Personalabbau von im Grunde genommen von niemandem bestritten. Wenn 40 Prozent vorgesehen, und das in einer Zeit, in der die es aber darum geht, Geld für unsere Soldatinnen und Arbeit deutlich zugenommen hat. Hinzu kommt ein wei- Soldaten bereitzustellen, dann bleibt es oftmals bei Lip- terer Unsicherheitsfaktor: Nach derzeitigem Planungs- penbekenntnissen. stand sollen alle Liegenschaften der Bundeswehr bis Zum Schluss – jetzt kommt wirklich der Schluss – zum Jahre 2012 in das Eigentum und die Verwaltung der richte ich meinen Dank für das ausgezeichnete Zusam- Bundesanstalt für Immobilienaufgaben übergehen. Zur- menwirken eigentlich an das gesamte Parlament. Insbe- zeit gelten für die Bundeswehr noch entsprechende Son- sondere – das mag man mir nachsehen – richte ich ihn derregelungen. Diese drohen dann verlorenzugehen. aber selbstverständlich an alle Mitglieder des Verteidi- Auch darüber muss schnell nachgedacht werden. gungsausschusses und auch an diejenigen, die im Haus- Es gibt im wahrsten Sinne des Wortes viele offene haltsausschuss Verantwortung haben. Baustellen. Somit wird das Thema Kasernensanierung Ich richte meinen Dank natürlich auch an das gesamte auch in Zukunft sicher ein Schwerpunkt meiner Arbeit Präsidium des Deutschen Bundestages, und zwar nicht bleiben. nur dafür, dass der Wehrbeauftragte hier zwei Minuten Herr Präsident, ich komme gleich zum Schluss. Ich überziehen durfte, bitte Sie, mir noch eine Minute einzuräumen. (Winfried Nachtwei [BÜNDNIS 90/DIE Ein ganz anderes, aber mindestens ebenso wichtiges GRÜNEN]: Das darfst du nicht sagen! Präze- Thema im vergangenen Jahr waren einmal mehr die De- denzfall!) 13956 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 133. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. Dezember 2007

Wehrbeauftragter Reinhold Robbe (A) sondern – ganz im Ernst – insbesondere auch für das zeichnet sind. Der Dienst in der Bundeswehr ist fordernd (C) gute Zusammenwirken. Ich bin in meiner Funktion – in den Auslandseinsätzen, aber genauso bei uns zu Hilfsorgan des Deutschen Bundestages. Dabei ist es Hause. Der Einsatz, der Leistungswille und die Leistun- wichtig, dass auch das Verhältnis zur Spitze – auch zum gen unserer Soldaten sind vorbildlich. Es sei mir gestat- Bundestagspräsidenten Dr. Lammert – in Ordnung ist. tet, dass ich dem Wehrbeauftragten auch für seine Das kann ich in jeder Hinsicht nur feststellen. Das gilt freundlichen und guten Worte für unsere Soldatinnen ebenso für das Verhältnis zur Verwaltung. und Soldaten sehr herzlich danke und mich ihnen an- schließe. Ich danke aber auch der Bundesregierung – insbeson- dere dem Bundesminister der Verteidigung – sowie na- Einen ganz entscheidenden Anteil an dieser Leis- türlich der gesamten Spitze des Hauses und den nachge- tungsbereitschaft hat auch die Innere Führung, zu deren ordneten Dienststellen. Recht herzlich danke ich auch Erfolg der Wehrbeauftragte beiträgt. Er gehört zum Mo- allen Vertrauensleuten in der Bundeswehr für deren dell der Inneren Führung. Sie ist ein zentrales Element wichtige Arbeit. Das sind für mich wichtige Ansprech- für den inneren Zusammenhalt der Streitkräfte und trägt partner. ganz entscheidend dazu bei, Missständen vorzubeugen. Schließlich – das mag man mir nachsehen – danke ich Übrigens, Missständen vorzubeugen heißt, sie zu redu- selbstverständlich auch meinen Mitarbeiterinnen und zieren; man kann sie natürlich nie hundertprozentig aus- Mitarbeitern für die tolle Unterstützung. schließen. (Winfried Nachtwei [BÜNDNIS 90/DIE In dem Zusammenhang war ich sehr dankbar, als ich GRÜNEN]: Wir aber auch!) vor einiger Zeit in einer Diskussion von einem Wissen- schaftler den Hinweis bekommen habe, dass die soge- – Ich höre gerade eine entsprechende Resonanz aus dem nannte Drop-out-Rate, also die Rate derer, die auffällig Parlament. Das kann nur gut sein. werden, eine sehr gute ist, wie man beispielsweise beim Meine sehr verehrten Damen und Herren, Ihnen wün- Vergleich der über 200 000 Soldatinnen und Soldaten, sche ich auf jeden Fall ein frohes und besinnliches Weih- die im Auslandseinsatz sind, mit Betrieben in der freien nachtsfest, alles Gute für das neue Jahr – Gesundheit Wirtschaft feststellt. Es gibt nur wenige Fälle, über die vorneweg – und das, was wir uns am allermeisten wün- manchmal nach meiner Ansicht in der Relation nicht schen, nämlich Frieden in der Welt und Gottes Segen. passend berichtet wird; ich will sie aber nicht kleinreden. Die Bundeswehr ist gut aufgestellt, und die Soldatinnen Vielen Dank. und Soldaten lassen solche Missstände im weit überwie- (Beifall im ganzen Hause) genden Maße gar nicht entstehen. (B) (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- (D) Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: neten der SPD) Lieber Herr Wehrbeauftragter, wenn Sie ein Minister wären, dann hätte ich Ihnen schon längst das Wort entzo- Dass die Innere Führung eine dynamische Konzep- gen; denn Sie haben fünf Minuten überzogen. tion ist, die sich mit den Veränderungen auseinanderset- zen muss, wissen wir spätestens seit den Auslandseinsät- (Heiterkeit bei Abgeordneten der CDU/CSU, zen. Ich bedanke mich in diesem Zusammenhang auch der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE für die Begleitung des Deutschen Bundestages und des GRÜNEN) Verteidigungsausschusses, der sich mit diesen Fragen Nun erteile ich dem Parlamentarischen Staatssekretär seit Jahren konsequent auseinandersetzt; wenn ich mich Christian Schmidt das Wort, der nicht so viel überziehen recht entsinne, Herr Wehrbeauftragter, sogar unter Ihrer darf. Führung, als Sie dem Deutschen Bundestag angehört und Vorsitzender des Ausschusses waren. (Dr. Werner Hoyer [FDP]: Er spart das wieder ein!) Es ist konsequent, dass wir deswegen die Zentrale Dienstvorschrift zur Inneren Führung erneut an die He- rausforderungen unserer Zeit anpassen. Wir werden nach Christian Schmidt, Parl. Staatssekretär beim Bun- gegenwärtigem Stand die – für Kenner – ZDv 10/1 in der desminister der Verteidigung: ersten Sitzung des Verteidigungsausschusses im neuen Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen Jahr parlamentarisch behandeln; anschließend wird sie und Kollegen! Herr Wehrbeauftragter, ich danke Ihnen – durch den Bundesminister der Verteidigung schlussge- nicht fürs Überziehen Ihrer Redezeit, sondern für die zeichnet. Mithilfe der neugefassten Dienstvorschrift deutliche Darstellung, den Hinweis auf Schwierigkeiten kann die Bundeswehr ihre menschenorientierte, mo- und vor allem für Ihren beharrlichen Einsatz für die Bun- derne Führungskultur gestalten und dem fortlaufenden deswehr im Dienst des Deutschen Bundestages. Ihr Amt Verbesserungs- und Nachsteuerungsbedarf in diesem bringt es mit sich, dass in Ihrem Bericht vor allem die Bereich gerecht werden. Wir nehmen das sehr ernst. Sorgen geschildert werden und die Grundhaltung des Berichts eher kritisch ist. Wir nehmen diese Kritik ernst. Dies gilt auch für einen weiteren Punkt, nämlich die Natürlich dürfen wir bei aller berechtigten Kritik nicht Transformation. Wir müssen die Einsatzfähigkeit der übersehen, dass die Herausforderungen an die Bundes- Streitkräfte weiter verbessern. Da ist bereits sehr viel wehr unbestritten hoch und seit Jahren durch die Gleich- passiert. Die Zahl der geschützten Fahrzeuge zeigt, dass zeitigkeit von Einsätzen und Transformation gekenn- die Weisung des Ministers, dass sich niemand dort, wo Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 133. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. Dezember 2007 13957

Parl. Staatssekretär Christian Schmidt (A) Gefahren bestehen, in ungeschützten Fahrzeugen im Vizepräsident Dr. : (C) Einsatz bewegen muss, heute faktisch umgesetzt ist. Wir Das Wort hat jetzt die Kollegin Elke Hoff von der konnten die finanzielle Ausstattung der Bundeswehr ver- FDP-Fraktion. bessern. Wir bedanken uns dafür auch beim Haushalts- ausschuss des Deutschen Bundestages. Im Haushalt (Beifall bei der FDP) 2008 sind erste deutliche Erfolge sichtbar. Elke Hoff (FDP): Es ist schwer, die Infrastrukturprobleme besonders im Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Westen der Bundesrepublik Deutschland, auf die der Liebe Kollegen! Sehr geehrter Herr Wehrbeauftragter, Wehrbeauftragte zu Recht hingewiesen hat, kurzfristig auch ich darf Ihnen im Namen der FDP-Fraktion vorab zu beheben. herzlich für Ihre Arbeit und die Arbeit Ihrer ausgezeich- neten Mitarbeiter danken. Sie haben mit Ihrer Bilanz, die Wir sprechen jetzt über den Jahresbericht 2006. Gerade Sie heute in längerer Fassung vorgelegt haben, bewie- wurde ich gefragt, ob wir damit nicht etwas hinterherhin- sen, dass das, was Sie gemeinsam mit Ihren Mitarbeitern ken. Das trifft aber nicht zu. Der Jahresbericht 2007 – der erarbeiten, tatsächlich Früchte tragen kann. Dafür ein Wehrbeauftragte hat es angekündigt – zeichnet sich be- herzliches Dankeschön! reits ab. Wir müssen allerdings festhalten, dass die Ursa- chen für die Schwierigkeiten, über die wir reden, noch (Beifall bei der FDP, der CDU/CSU, der SPD weiter zurückliegen als 2006. Man kann eine jahrelange und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Vernachlässigung nicht in einem Jahr korrigieren. Ich bin sehr dankbar: Als unser Minister Ende 2005 erstmals eine Ich möchte auch den Soldatinnen und Soldaten, die Truppe in der Kaserne besucht hat – ich entsinne mich überall, ob zu Hause oder vor Ort, im Einsatz sind, herz- noch sehr gut –, hat er uns gesagt, dass er nicht bereit sei, lich danken. Ich hoffe, dass sich diejenigen, die das die sanitären Bedingungen und die Unterbringungssitua- Weihnachtsfest nicht zu Hause verbringen können, be- tion zu akzeptieren, und uns angespornt, alles dafür zu wusst sind, dass wir in Gedanken bei unseren Soldatin- tun, um gemeinsam mit dem Parlament Lösungen zu fin- nen und Soldaten vor Ort sind und auch in Zukunft ge- den. meinsam alles versuchen werden, um zu ermöglichen, dass sie ihren Dienst weiterhin in einem sicheren und gut Zur Verbesserung der Truppenunterkünfte in west- ausgestatteten Umfeld leisten können. deutschen Kasernen können wir nun – ich bedanke mich (Beifall bei der FDP, der CDU/CSU, der SPD in diesem Zusammenhang sehr für die deutliche Unter- und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) stützung durch den Wehrbeauftragten – das Programm (B) des Bundesministers der Verteidigung „Sanierung Ka- Der Wehrbeauftragte hat im Jahresbericht 2006 klare (D) sernen West“ umsetzen. Wir werden dieses Programm Schwerpunkte gesetzt und den Zustand der Kasernen, absolut vorrangig vorantreiben. Wir haben über die Missstände im Sanitätsdienst und die Ausrüstungs- 800 investive Baumaßnahmen mit einem Gesamtvolu- und Ausbildungsdefizite in den Mittelpunkt seines Be- men von circa 1,1 Milliarden Euro identifiziert. richtes gestellt. Das hat für große Aufmerksamkeit ge- sorgt und zumindest für die sanierungsbedürftigen Ka- Das Ergebnis der Erfassung bildete die Grundlage für sernen zu spürbaren Ergebnissen geführt. die mittelfristige Bauplanung. Das wurde bereits ange- sprochen. Wir haben im Jahr 2007 bereits 124 laufende Der Wehrbeauftragte hat eben darauf hingewiesen, investive Maßnahmen mit einem Volumen von über wie wichtig es ist, PPP-Projekte auf den Weg zu bringen. 50 Millionen Euro auf den Weg gebracht. Für die Jahre Ich habe mit großem Vergnügen zur Kenntnis genom- 2008 bis 2011 sind über 645 Millionen Euro in diesem men, dass gerade die Kolleginnen und Kollegen der Gro- Bereich vorgesehen. ßen Koalition Beifall gespendet haben. Wir hätten uns diese Zustimmung gewünscht, als wir vonseiten der Kasernen und Ausrüstung sind ein sehr wichtiger FDP-Fraktion im Ausschuss Anträge vorgelegt haben, in Teil der Fürsorgepflicht. Der Einsatz darf nicht von der denen wir genau das gefordert haben – nämlich verstärkt materiellen Ausstattung abhängen. Die gute materielle in diesem Bereich tätig zu werden –, um damit Zeit zu Ausstattung, die wir den Soldatinnen und Soldaten als gewinnen. Leider Gottes sind diese Anträge abgelehnt Handwerkszeug mitgeben, zeigt, dass das kreative Zu- worden. Es ist, meine lieben Kollegen, ein Widerspruch sammenwirken – ich sage das bewusst – der kritischen in dem Verhalten. Betrachtung durch den Wehrbeauftragten und der Auf- (Beifall bei der FDP) nahme dieser Hinweise durch den Deutschen Bundes- tag bzw. den Verteidigungsausschuss unseren Soldatin- Wir konnten durch den großen parlamentarischen nen und Soldaten das Gefühl gibt, durch das Druck immerhin erreichen, dass das Sonderprogramm Bundesministerium der Verteidigung in der richtigen allein bis 2011 Baumaßnahmen mit einem Volumen Weise unterstützt zu werden. Wenn Sie so wollen, ist von 645 Millionen Euro umsetzt; denn die Schaffung der Wehrbeauftragte eine Art natürlicher Verbündeter menschenwürdiger Unterkünfte ist eine Daueraufgabe des Bundesministers der Verteidigung. für die Zukunft. Herzlichen Dank. Eine ähnliche Lösung der Probleme liegt für den Sa- nitätsdienst sowie die Ausrüstungs- und Ausbildungsde- (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) fizite der Bundeswehr leider immer noch in weiter 13958 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 133. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. Dezember 2007

Elke Hoff (A) Ferne. Die Probleme im Sanitätsdienst werden in den wird. Herr Minister, damit meine ich nicht nur die not- (C) Berichten der Bundesregierung schöngefärbt. In den Be- wendige Ausbildung und Ausrüstung, sondern insbeson- richten werden Worte wie „Antrittsstärke“ bewusst ge- dere die Schaffung belastbarer rechtlicher Rahmenbe- mieden, weil sonst klar würde, dass nur etwas über die dingungen für unsere Soldaten im Einsatz. Der Soldat, Hälfte der Sanitätsoffiziere für ihre eigentliche Aufgabe der im Einsatz seinen Auftrag erfüllt, muss sich darauf zur Verfügung stehen können. Der Unmut über die verlassen können, dass die gesamte Bundesregierung Dienstbedingungen im Sanitätsbereich ist zu Recht sehr dies für rechtmäßig hält und er sich nicht der Gefahr der hoch. Strafbarkeit aussetzt. Statt weitere Zerrbilder von unse- ren Auslandseinsätzen zu zeichnen, sollten wir alle ge- Dies gilt auch für andere Bereiche der Bundeswehr. meinsam und die Bundesregierung an erster Stelle lieber Ohne attraktivere Rahmenbedingungen und strukturelle um die Unterstützung dafür werben, indem sie die Be- Reformen wird die Bundeswehr die demografischen He- völkerung, die Bundeswehr und den Deutschen Bundes- rausforderungen in den nächsten Jahren nicht bewältigen tag vom Sinn und Zweck der eingegangenen Verpflich- können. Die Bundeswehr der Zukunft muss in einem tungen überzeugt und die notwendigen Konsequenzen Maße attraktiv werden, dass sich gerade die leistungs- daraus zieht. starken jungen Menschen in ausreichender Zahl freiwil- lig für den Dienst in den Streitkräften entscheiden kön- ( [SPD]: Das größte Zerrbild nen. Dazu bedarf es eines Besoldungsrechtes, das eine zeichnen Sie!) spürbare Verbesserung für die Soldaten bedeutet. Aber Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich habe meine Attraktivität wird man nicht alleine durch eine bessere Rede mit dem Dank an den Wehrbeauftragten und seine Bezahlung erreichen können. Bessere Arbeitsbedingun- Mitarbeiter begonnen. An dieser Stelle möchte ich mich gen wie Unterkünfte, moderne Ausrüstung, qualitative auch ganz herzlich bei den Kolleginnen und Kollegen Ausbildung und ein nachvollziehbarer Auftrag sind die des Verteidigungsausschusses für die gute und kollegiale Grundvoraussetzungen. Hier fehlt es bis heute leider an Zusammenarbeit bedanken. Ich freue mich auf eine Fort- einem weitsichtigen Zukunftskonzept der Bundesregie- setzung mit Ihnen im neuen Jahr. rung. Vielen Dank. Sie haben es bis heute nicht geschafft, die Bundes- wehr für die Erfordernisse im Auslandseinsatz angemes- (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten sen auszustatten und auszubilden. Obwohl ISAF noch der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/ über Jahre hinweg die wichtigste und anspruchsvollste DIE GRÜNEN) Auslandsmission der Bundeswehr sein wird, ist nicht er- (B) kennbar, dass eine Anpassung der Rüstungsplanung an Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: (D) die Einsatzrealitäten erfolgt. Jeder, der in der Bundes- Das Wort hat die Kollegin Hedi Wegener von der wehr mit Ausrüstungs- und Einsatzplanung beschäftigt SPD-Fraktion. ist, weiß, dass die Bundeswehr in Afghanistan neben ei- ner effektiven Schutzausrüstung vor allem moderne Auf- Hedi Wegener (SPD): klärungs- und Lufttransportkapazitäten benötigt. Warum Guten Tag, Herr Präsident! Meine Herren und Damen dann aber gerade diese Vorhaben immer wieder zusam- Kollegen! Liebe Besucher, vor allen Dingen liebe Ju- mengestrichen und gestreckt werden, versteht kein gendliche auf der Tribüne! Auch von mir, Herr Robbe, Mensch. Viele direkt Betroffene in der Bundeswehr fra- recht herzlichen Dank für den vorliegenden Bericht und gen sich zu Recht: Wieso wird keine Triebwerksanpas- vor allem für die Arbeit. sung für den alten CH-53 vorgenommen, obwohl ein Nachfolgemodell noch lange nicht in Sicht ist? Wieso Vor ein paar Tagen haben wir einen Bericht des Sozial- wird ein Selbstschutzsystem für den A400M erst ab dem wissenschaftlichen Instituts, SOWI, über die interessanten Jahre 2014 eingeführt? Wieso wird die Beschaffung von Ergebnisse der Bevölkerungsbefragung in Deutschland Feldlagerschutzsystemen für Einsatzkontingente derart 2007 in unseren Fächern vorgefunden. Danach ist das gestreckt und verzögert? Wie kann es sein, dass sich im Vertrauen in die Bundeswehr 2007 ungebrochen. Obwohl Jahre 2007 weniger geschützte Fahrzeuge im Einsatz be- nur wenige Bundesbürger über ein detailliertes sicher- finden als im vergangenen Jahr? heits- und verteidigungspolitisches Wissen verfügen, ist das Bild von den Auslandseinsätzen positiv. Humanitäre (Zuruf von der FDP: Haarsträubend! Unglaub- Einsätze werden uneingeschränkt, militärische Einsätze lich!) eher vorsichtig befürwortet, heißt es dort. Die Artikel, die wir in der Presse über Afghanistan lesen, lassen uns aller- Herr Minister, je länger und häufiger sich unsere Sol- dings erschauern. Sie berichten über Anschläge sowie datinnen und Soldaten solche Fragen stellen müssen, über tote und verletzte Deutsche und Afghanen, ISAF- desto mehr leidet die Motivation darunter. Sie können und OEF-Soldaten. diese Zahlen in unserer Kleinen Anfrage, die wir an die Bundesregierung gestellt haben, nachvollziehen. Sie Das Thema Auslandseinsätze nimmt auch im Jahres- wissen, dass in den nächsten Monaten weitere Aufgaben bericht des Wehrbeauftragten einen breiten Raum ein. auf uns zukommen können, die eine neue Qualität haben Fragen nach Sinn und Zweck der Einsätze, der Ausrüs- werden. Ich hoffe für unsere Soldatinnen und Soldaten, tung und der eigenen Führung überwiegen. Diese Fragen dass die politische Führung des Ministeriums die not- sind berechtigt. Ich begrüße, dass wir verstärkt auf das wendige Vorsorge für diese Herausforderungen treffen sogenannte afghanische Gesicht der Einsätze achten. Es Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 133. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. Dezember 2007 13959

Hedi Wegener (A) ist essenziell, dass der afghanischen Bevölkerung auch Ausschuss vorgestellt. Das Einsatzführungskommando (C) faktisch klar wird, dass die ausländischen Truppen und in Potsdam bleibt natürlich erhalten. Da kann ich nur sa- Helfer dazu da sind, sie selbst in die Lage zu versetzen, gen: Wir sind einmal gespannt, ob dabei wirklich etwas für Frieden und Sicherheit zu sorgen. Dieser Ansatz ist herauskommt. für die SPD nicht neu. Wir hatten eine Taskforce zu Af- Ich kann mir gut vorstellen, dass sich die Verantwort- ghanistan. So begrüße ich es ausdrücklich, dass wir die lichen in der Bundeswehr und im BMVg manchmal die Mittel für Ausbau und Ausbildung der afghanischen Po- Haare raufen ob der Vorfälle und Beschwerden in der lizei in den Bereinigungsgesprächen über den Bundes- Truppe. In der Dienstvorschrift gibt es einen klugen und haushalt auf 35,7 Millionen Euro erhöhen konnten. Wir wahren Satz: Die Menschen der Bundeswehr sind Teil hatten gestern im Ausschuss eine neue Vorlage dazu. der Gesellschaft mit ihrer Vielfalt und ihren Konflikten. Aber wir wollen keine Cowboys ausbilden. Davon gibt es genug auf der Welt. Wir wollen Polizisten, die etwas Um es einmal ganz milde auszudrücken: Es gibt wirk- von ihrem Beruf verstehen. Aus diesem Grunde weise lich wunderliche Soldaten. Die neueste Meldung berich- ich die Kritik des amerikanischen Verteidigungsminis- tet vom Stabsoffizier mit der Peitsche. Natürlich bin ich ters zurück. mir im Klaren darüber, dass das ein krasser Ausreißer ist, durch den die vielen Vorgesetzten, die wirklich or- Wir haben unser Konzept für Afghanistan der Situa- dentlich führen und sich um ihre Soldaten kümmern, in tion angepasst. Das muss auch Auswirkungen auf die Verruf geraten. Solche Vorfälle werfen aber erneut Fra- dort stationierten Soldaten haben. gen auf: Wird das richtige Führungspersonal ausge- (Beifall der Abg. Petra Heß [SPD]) wählt? Ist das ein Anzeichen für psychische Überforde- rung im Auslandseinsatz? Warum ist das eigentlich erst Durch die negativen Berichte aus Afghanistan verstärkt jetzt bekannt geworden? Wurde Druck ausgeübt? Oder sich das Unwohlsein der Soldatinnen und Soldaten vor ist der Vorfall gar nicht so ernst zu nehmen? einem Einsatz in Afghanistan. Es wäre daher wün- schenswert, dass die zum Teil großen Erfolge beim Wie- Die vielen Tausend Eingaben an den Wehrbeauftrag- deraufbau in den Vordergrund rücken; denn der Ein- ten in diesem Jahr zeigen, dass er großes Vertrauen in druck, dass nichts vorangeht, ist falsch. Wenn dieser der Truppe genießt. Um ein uneingeschränktes Bild von Eindruck schon in den Medien nicht korrigiert wird, der Realität zu bekommen, hat sich der Wehrbeauftragte wäre es motivierend, wenn die Vorgesetzten regelmäßig entschlossen, so weit wie möglich unangemeldet aufzu- ihre Soldatinnen und Soldaten darüber in Kenntnis setz- tauchen. Herzlichen Glückwunsch dazu! Das ist tatsäch- ten. lich eine gute Methode, um einen ungeschönten Ein- druck zu bekommen. Ich kann nur immer wieder darauf Die neue Zentrale Dienstvorschrift, gestern im Aus- (B) hinweisen, wie wertvoll ungeschminkte Eindrücke auch (D) schuss vorgestellt, enthält in 577 Leitsätzen viel Wichti- für uns Abgeordnete sind. Unsere Gesprächspartner sind ges, unter anderem für Vorgesetzte und zur Menschen- in der Regel ausgesucht, sie sind fit und der Bundeswehr führung: Wer Menschen führen will, muss Menschen gegenüber äußerst loyal. mögen. Vorgesetzte müssen Zeit für die ihnen Anver- trauten haben. Vorgesetzte beeinflussen entscheidend Ein Thema will ich nicht vertiefen, obwohl es sehr das zwischenmenschliche Klima und damit Zufrieden- wichtig ist. Vor kurzem sagte ein Kollege – ich glaube, heit und Einsatzbereitschaft. Herr Stinner, Sie waren es –, die Bundeswehr möge das Wort „Bürokratieabbau“ nie mehr in den Mund nehmen. (Beifall des Abg. Ernst-Reinhard Beck [Reut- Mir sagte kürzlich eine Soldatin, dass sie sich von der lingen] [CDU/CSU]) Politik eine bessere Einsatzausstattung wünsche – nicht Wohl wahr! Alles theoretisch, alles bekannt, alles selbst- jede Batterie müsse olivgrün sein; so dauere es unter verständlich. Woran liegt es also, dass das oft nicht funk- Umständen Wochen, bis man sie bekomme. Herr Staats- tioniert? Zum Beispiel an der Vor- und Nachbereitung sekretär Kossendey hat auf eine Frage von Frau der Auslandseinsätze, sagen die Soldaten. Das ist ein Homburger zu diesem Thema sehr ausführlich geant- weiteres Thema des Berichtes des Wehrbeauftragten. wortet. Meine Herren und Damen, das spricht ein zwei- Hier wird bemängelt, dass die politische Bildung aus un- faches Problem an: terschiedlichsten Gründen fast ein Fremdwort ist. Die Erstens. Klar, wir sind für das Budget der Bundes- neue Zentrale Dienstvorschrift 12/1 „Politische Bildung wehr verantwortlich. Nicht zuletzt aus diesem Grund ha- in der Bundeswehr“ verspricht hier deutliche Verbesse- ben wir auch den Bundeswehretat erhöht. rungen. So liest man, dass politische Bildung eine we- sentliche Voraussetzung für die Einsatzbereitschaft ist. Das zweite Problem liegt im Internen von Bundes- Daher lautet mein dringender Appell an die Führung der wehr und Verteidigungsministerium: Muss es wirklich Bundeswehr: Setzen Sie diesen Gedanken auch um! immer eine olivgrüne Batterie sein? Im Bericht des Wehrbeauftragten werden solche Absurditäten, die das Apropos Auslandseinsatz: Herr Minister, ich hoffe, es alltägliche Leben im Einsatz deutlich erschweren, ange- geht nicht nach der Devise „Wenn ich nicht mehr weiter- sprochen. Ich bin der Ansicht, dass dies ein ausgezeich- weiß, gründe ich einen Arbeitskreis“. Ab 1. Juli 2008 neter Ansatz für gelebten Bürokratieabbau sein könnte. soll es in Berlin einen Einsatzführungsstab für Auslands- einsätze geben, dem Generalinspekteur direkt unterstellt, Im Bericht des Bundesrechnungshofs gibt es immer mit erst 90 und dann 340 Dienstposten. Es soll effektiver wieder Hinweise darauf, wo wir eigentlich Geld einspa- ausgeplant werden. – So haben Sie uns das gestern im ren könnten. Das gehört dazu. Ich bin es eigentlich leid, 13960 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 133. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. Dezember 2007

Hedi Wegener (A) für Dinge verantwortlich gemacht zu werden, für die wir übt werden und ob die Soldatinnen und Soldaten sich (C) Politiker wirklich nicht verantwortlich sind. In jedem ausreichend Gehör verschaffen können, wenn sie ihre In- Fall gibt es viele Dinge im Bericht des Wehrbeauftrag- teressen und Belange vertreten. Das ist ein kritischer ten, die auch für uns eine Menge Hausaufgaben beinhal- Hinweis in Ihrem Bericht, dem wir nachgehen sollten: ten. Dies betrifft aber auch das Verteidigungsministe- Was ist mit den Mitbestimmungsrechten der Soldatinnen rium und die Bundeswehr. und Soldaten? Werden sie in der Truppe ausreichend und gebührend berücksichtigt? Zum Schluss möchte ich Ihnen, Herr Robbe, und auch Ihren sehr zahlreich erschienenen Mitarbeitern – daran Zweitens. Wir müssen einfach auf die Grundlagen zu- erkennt man die große Solidarität mit Ihrem Amt – ganz rückgehen. Der Wehrbeauftragte ist vom Grundgesetz herzlich danksagen. Ich wünsche Ihnen ein schönes zum Schutz der Grundrechte eingesetzt. Das ist so auch Weihnachtsfest. Vor allem den Soldaten wünsche ich ein in § 1 des Gesetzes niedergelegt. Sie sagen selbst, dass friedliches Weihnachtsfest. Sie mögen ganz fröhlich ins das die Grundlage für Ihre Truppenbesuche ist; es geht neue Jahr kommen, auch Sie, Herr Minister, die Staats- darum, die Lage in der Truppe kritisch zu untersuchen. sekretäre und meine Kollegen. Alles Gute und weiterhin eine gute Zusammenarbeit im Ausschuss! Es entspricht durchaus unserem Grundverständnis, soziale Grundrechte und politische Grundrechte zusam- Danke. men zu denken. Deshalb ist es auch richtig, dass Sie al- (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie les, vom Auslandsverwendungszuschlag bis zur Unter- bei Abgeordneten der FDP) bringung in Kasernen, auf Ihre Agenda nehmen. Der Punkt „politische Grundrechte und Freiheiten“ ist Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: für mich der entscheidende. Mit Blick auf die Vorfälle in Das Wort hat jetzt der Kollege Paul Schäfer von der Coesfeld oder in Zweibrücken – neue Vorwürfe stehen in Fraktion Die Linke. Afghanistan im Raum; sie müssen genauer untersucht werden – sagen Sie in Ihrem Bericht selbst – das finde (Beifall bei der LINKEN) ich sehr wichtig –: Wir müssen den Blick verstärkt auch wieder auf den Kernbereich der Inneren Führung, den Paul Schäfer (Köln) (DIE LINKE): Schutz der Rechte der Soldaten und eine zeitgemäße Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist an Menschenführung richten. dieser Stelle schon oft gesagt worden: Der Wehrbeauf- tragte versieht ein sehr wichtiges Amt im Auftrag des Das darf bei der Vielzahl von Aufgaben, die Sie ha- Parlaments, und der Kollege Robbe tut dies sehr enga- ben, die Sie sich selbst zuschreiben, nicht ins Hintertref- (B) giert. Deshalb möchte ich auch im Namen meiner Frak- fen geraten, weil das der Punkt ist, der uns Sorgen ma- (D) tion Ihnen, lieber Kollege Robbe, und Ihren Mitarbeitern chen muss, nicht nur deshalb, weil es die Vorfälle gibt, für Ihre Arbeit herzlichen Dank sagen. sondern auch deshalb, weil sie oft erst durch Zufall ans Tageslicht kommen, verspätet gemeldet werden und bei Sie haben zu Recht an die Spitze Ihres Berichts ge- vielen überhaupt kein Unrechtsbewusstsein vorhanden stellt, dass Sie es waren, der auf den maroden Zustand zu sein scheint. Da ist natürlich die Frage: Wie ist das vieler Kasernen in den alten Bundesländern aufmerksam Klima innerhalb der Bundeswehr, und was wird über gemacht hat. Sie haben an der Stelle tatsächlich etwas in Vorgesetzte an Bewusstsein von Menschenwürde und Bewegung gesetzt. Ob die Ausstattung des Sonderpro- Rechten der Soldaten vermittelt, wenn es solche Verhält- gramms ausreicht, werden wir sehen. Aber immerhin: nisse gibt? Sie haben etwas bewegt, auch im Interesse der Soldatin- nen und Soldaten. Ich finde es gut, dass Sie mit unangemeldeten Trup- penbesuchen versuchen, den Dingen auf den Grund zu Sie schreiben sich in Ihrem Bericht die Rolle des Sor- gehen. Es kann für uns keine Lösung sein, solche Dinge genonkels, des Kummerkastens, des Sprachrohrs der immer nur im Nachhinein zu bearbeiten. Wir müssen al- Soldaten zu und sagen: Diese Sprachrohrfunktion wird les tun, um solche Fälle auf ein Minimum zu reduzieren. eine immer größere Rolle spielen. – In der Tat ist das die Dabei geht es um Ausbildung, um politische Bildung – das Rolle, die Ihnen, dem Wehrbeauftragten, im Laufe der ist schon gesagt worden –, um Personalauswahl, also Be- Jahre zugewachsen ist. Ich will das gar nicht kritisieren, urteilungskriterien und Beförderungskriterien, sowie um schon gar nicht pauschal. Ich will nur die Gelegenheit die Ausgestaltung des soldatischen Alltags. nutzen, auf zwei Probleme hinzuweisen: Erstens. Sie sagen, die Soldaten wendeten sich gerne (Beifall bei der LINKEN) an Sie, weil Sie nicht in militärische Abhängigkeiten Uns liegt inzwischen eine neue Fassung der Zentralen eingebunden seien. Darin steckt aber ein Problem: Wenn Dienstvorschrift zur Inneren Führung vor. Sie enthält sich die Soldaten immer an den Wehrbeauftragten wen- viel Richtiges. Auch insofern haben Sie recht: Mit der den, obwohl wir innerhalb der militärischen Strukturen Vorschrift allein ist es nicht getan; auf die Umsetzung Interessenvertretungen und Vertrauensleute haben, die kommt es an. Hier sind wir am Zug. bestimmte Mitbestimmungs- und Mitspracherechte ha- ben, dann ist zumindest die Frage zu stellen – der müs- Ich will am Schluss nur noch einen Punkt ansprechen. sen wir nachgehen –, ob diese Mitbestimmungs- und Sie haben an mehreren Stellen gezeigt, dass Sie den Din- Mitspracherechte adäquat angenommen werden, ausge- gen auch sehr unkonventionell auf den Grund gehen und Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 133. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. Dezember 2007 13961

Paul Schäfer (Köln) (A) sich für die Soldatinnen und Soldaten einsetzen. Das war wurden inzwischen freigesprochen, drei wurden verur- (C) im Fall der Sanitätssoldatin Zettl so. teilt, zwei Verfahren wurden eingestellt. Ich will aber noch einen anderen Punkt ansprechen. Was kaum bekannt wurde – wir haben es im Aus- Auch darum haben Sie sich gekümmert. Es gibt einen schuss erfahren –: Die militärische Führung hat sehr aktuellen Fall von Totalverweigerung: Moritz schnell und sehr umfassend auf diese Vorfälle reagiert. Kagelmann. Er hat fast 60 Tage in Einzelhaft gesessen. Man hat also offensichtlich erkannt, dass es hier zwar Sein Kontakt zur Außenwelt wurde erheblich einge- Gott sei Dank nicht um die Spitze eines Eisbergs ging schränkt. Obwohl den Totalverweigerern ein ordentli- – das war auch unsere Auffassung –, es aber auch nicht ches Gerichtsverfahren droht, scheinen es Disziplinar- als Einzelfall abgetan werden konnte, der sowieso nie vorgesetzte immer wieder darauf anzulegen, durch ganz zu verhindern ist. Nein, es handelte sich um ein Abschreckung ein Exempel zu statuieren. Abgesehen Gruppenphänomen von erheblicher Bedeutung. Deswe- davon, dass ich es nicht für rechtskonform halte: Es er- gen wurde eine Fülle von Maßnahmen auf verschiede- gibt doch überhaupt keinen Sinn, solche jungen Leute nen Führungsebenen sehr schnell auf die Wege gebracht, brechen zu wollen. um die Innere Führung in der Ausbildung und vor Ort zu stärken. (Winfried Nachtwei [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Richtig!) Inzwischen hat der Unterausschuss „Weiterentwick- lung der Inneren Führung“ des Verteidigungsausschus- Meine Bitte: Schauen Sie sich solche Fälle genauer an. ses einen Bericht vorgelegt, der in Kürze hier im Plenum Wir müssen uns überlegen, wie man künftig mit Total- debattiert wird. Außerdem wurde nun – das ist schon verweigerung umgeht. Ich halte einen solchen Umgang mehrfach angesprochen worden – der Entwurf einer mit jungen Menschen für völlig unadäquat. Zentralen Dienstvorschrift „Innere Führung“ vom Mi- (Beifall bei der LINKEN) nisterium vorgelegt. Innere Führung soll – so ist es auch dieser Zentralen Dienstvorschrift zu entnehmen – ein Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Höchstmaß an militärischer Leistungsfähigkeit mit ei- nem Höchstmaß an Freiheit und Rechten der Soldatin- Herr Schäfer, kommen Sie bitte zum Schluss. nen und Soldaten miteinander verbinden, also beides ga- rantieren. Paul Schäfer (Köln) (DIE LINKE): Jawohl. – Ich möchte mich an dieser Stelle bedanken, Wenn man sich die Zentrale Dienstvorschrift an- zum einen nochmals bei Ihnen, Herr Robbe, zum ande- schaut, erkennt man: Sie enthält enorme Anforderungen. ren bei Ihnen allen für die Aufmerksamkeit. Ich wüsste keinen anderen Beruf, bei dem solche Anfor- (B) derungen gestellt werden. Die Umsetzung ist angesichts (D) (Beifall bei der LINKEN) der enormen Regelungs- und Auftragsdichte in der Bun- deswehr schon schwer genug; sie darf nicht zusätzlich Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: erschwert werden, die Betroffenen dürfen nicht entmu- Das Wort hat der Kollege Winfried Nachtwei vom tigt werden. Bündnis 90/Die Grünen. Ich nenne ein Beispiel aus dem Bereich der politi- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) schen Bildung, bei der es sich heutzutage nicht um einen Nebenaspekt handelt, sondern die im Zusammenhang mit multinationalen Friedenseinsätzen von besonderer Winfried Nachtwei (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Bedeutung ist. Es kam über die Süddeutsche Zeitung im Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Juli dieses Jahres an die Öffentlichkeit. Peter Sehr geehrter Herr Wehrbeauftragter, lieber Reinhold Blechschmidt berichtete, was dem Chefredakteur von Robbe! Der Wehrbeauftragte kontrolliert im Auftrag des aktuell – Zeitung für die Bundeswehr passiert war. Nach- Bundestages die Einhaltung der Grundrechte und die dem dieser einmal in einem Kommentar etwas Kriti- Umsetzung der Inneren Führung in der Bundeswehr. sches in Richtung Katholische Kirche gesagt hat, indem Vor drei Jahren schlugen bestimmte Vorfälle in der er bestimmte offene Fragen angesprochen hatte, hat es Bundeswehr erhebliche Wellen. Es wurden Vorkomm- offensichtlich im Auftrag des bekannten Militärbischofs nisse aus einer Ausbildungskompanie im westfälischen Mixa eine Intervention gegeben. Am Ende der ganzen Coesfeld bekannt. Zur Erinnerung: Damals kam es bei Geschichte fand sich dieser Chefredakteur in Mecklen- vier Geländeübungen, an denen über 160 Rekruten be- burg-Vorpommern wieder. teiligt waren, zu entwürdigenden Vorkommnissen und ( [CDU/CSU]: Zur Missionie- zu Misshandlung. Besonders irritierend war, dass den rung wahrscheinlich! – Weiterer Zuruf von der meisten Beteiligten – den Ausbildern, aber auch sehr CDU/CSU: Schönes Land!) vielen betroffenen Rekruten – dabei nicht klar war, dass die Grenzen der Menschenwürde durch die Art und Ich meine, wenn so mit einer – in Anführungsstrichen – Weise der Übungen eindeutig überschritten wurden. etwas anstößigen Meinung umgegangen wird, dann geht davon ein ausgesprochen schlechtes Signal aus. So et- Die strafrechtliche Aufarbeitung findet seit vielen was fördert Meinungskonformismus in der Bundeswehr. Monaten vor dem Landgericht Münster statt. Von 18 An- geklagten stehen zurzeit noch zehn vor Gericht; zwei (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) 13962 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 133. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. Dezember 2007

Winfried Nachtwei (A) Bundespräsident Köhler sagte in seiner Rede anläss- über die Ausrichtung, die Ausstattung und die Einsätze (C) lich des 50-jährigen Bestehens der Führungsakademie der Truppe sind wir auf diese Rückkopplung angewie- der Bundeswehr zum Führen von Bürgern in Uniform: sen. Wir müssen wissen, wie sich unsere Entscheidun- gen auf die Soldaten auswirken, und wir müssen wissen, Die Soldatinnen und Soldaten erwarten von ihren wo Handlungsbedarf besteht. Schließlich ist die Bundes- militärischen Führern auch Klartext nach „oben“ wehr eine Parlamentsarmee. So sollte es auch bleiben. und „außen“: hin zu den außen- und verteidigungs- politisch Verantwortlichen, hin zur Öffentlichkeit. Ich möchte allerdings noch einmal darauf hinweisen, Nach meiner Erfahrung habe ich keine Befürchtung, dass Sie Ihre Berichte und Erfahrungen aus den Trup- dass die Offiziere bzw. die Generale der Bundeswehr penbesuchen zunächst an uns, die Parlamentarier des den Primat der zivilen Politik missachten würden. Nach Deutschen Bundestages, übermitteln sollten. Erst danach meiner Erfahrung kann ich das allerdings um die Aus- sollte dann die Öffentlichkeit dieses Bild aus der Truppe sage ergänzen: Es wäre gar nicht schlecht, wenn von die- erhalten. Das ist ebenfalls wichtig; denn die Bundeswehr ser Ebene der militärischen Führung der Bundeswehr ab ist eine Armee, die fest in unsere Gesellschaftsordnung und zu auch etwas mehr an Zivilcourage zu erleben eingebunden ist. Unsere Soldaten sind Staatsbürger in wäre. Diesen Wunsch möchte ich ihnen mit ins neue Jahr Uniform. Dafür steht unter anderem die Wehrpflicht, die geben. wir zielstrebig für die sicherheitspolitischen Herausfor- derungen unserer Zeit weiterentwickeln müssen. Für (Beifall des Abg. Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/ eine umfassende Sicherheitsvorsorge bleibt sie auch in DIE GRÜNEN]) Zukunft notwendig. Deswegen war es ein gutes Signal, dass das Kabinett am Dienstag die Erhöhung des Wehr- Herr Kollege Robbe, Ihre Vorgängerin Claire solds zum 1. Januar 2008 gebilligt hat. Marienfeld hat einmal vor einigen Jahren in ihrem Jah- resbericht einen Extraabschnitt zur Zivilcourage in der Meine Damen und Herren, wir alle sind uns bewusst, Bundeswehr aufgenommen. Vielleicht wäre es eine An- dass der Bericht des Wehrbeauftragten immer nur die ne- regung für den kommenden Jahresbericht, einige Punkte gative Seite zeigt. Nur die klare Benennung von Proble- auch einmal unter diesem Aspekt zu beleuchten. Das men schafft die Voraussetzung zu ihrer Beseitigung. Ich wäre für die Umsetzung des Prinzips der Inneren Füh- erinnere als Beispiel an die Klagen über den baulichen rung in der Bundeswehr, für die Umsetzung der Grund- Zustand von Bundeswehrkasernen besonders in den al- rechte von entscheidender Bedeutung. ten Bundesländern im Jahresbericht 2006. Ich bin sehr Ansonsten schließe ich mich allen Dankesworten an. froh, Herr Minister Jung, dass Ihr Haus hier schnell re- Ich möchte sie nicht wiederholen. Ich ergänze sie aber agiert hat und nochmals über 60 Millionen Euro zusätz- (B) um ein weiteres Dankeswort: Neben dem völlig berech- lich für die Sanierung von West-Kasernen in den Vertei- (D) tigten Dank an alle Soldatinnen und Soldaten sollten wir digungshaushalt für 2008 eingestellt hat. Allerdings ist insbesondere diejenigen nicht vergessen, die zurzeit für klar, dass die Behebung aller Mängel einen längeren den Friedensauftrag des Grundgesetzes im Ausland für Atem erfordern wird. Es ist angekündigt, die notwendi- uns tätig sind. gen Baumaßnahmen bis zum Jahr 2014 umzusetzen. Wir werden dies als Abgeordnete aufmerksam verfolgen und Danke schön. – wo immer notwendig – auch aktiv unterstützen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Ein wichtiger Bereich, dem wir ebenfalls weiterhin sowie bei Abgeordneten der SPD und des Abg. unsere Aufmerksamkeit widmen müssen, ist der Sani- Manfred Grund [CDU/CSU]) tätsdienst. Unsere Soldaten haben Anspruch auf die best- mögliche medizinische Versorgung – in den Auslands- Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: einsätzen wie im Inland. Der Bericht des Wehrbeauftrag- Das Wort hat jetzt die Kollegin Anita Schäfer von der ten hat hier auf Probleme bei der Personallage an den CDU/CSU-Fraktion. Bundeswehrkrankenhäusern und in der truppenärztli- chen Versorgung hingewiesen. Das Sanitätspersonal gehört zu den durch Auslandseinsätze besonders stark Anita Schäfer (Saalstadt) (CDU/CSU): belasteten Truppengattungen. Das Verteidigungsministe- Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Her- rium hat erklärt, auch hier durch angepasste Personal- ren! Zunächst möchte ich die Gelegenheit nutzen, dem strukturen langfristig Abhilfe schaffen zu wollen. Für Wehrbeauftragten und seinen Mitarbeitern auch im Na- die umfassende Ausbildung des Sanitätspersonals müs- men der CDU/CSU-Fraktion noch einmal ganz herzlich sen zudem alle notwendigen Mittel zur Verfügung ste- für ihre Arbeit zu danken. hen. Hier werden wir die Bemühungen ebenfalls mit ak- (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie tivem Interesse begleiten, wie wir das gestern im des Abg. Winfried Nachtwei [BÜNDNIS 90/ Verteidigungsausschuss vereinbart haben. DIE GRÜNEN]) Die Bundeswehr ist eine Armee im Einsatz. Der Be- Lieber Herr Robbe, als Wehrbeauftragter des Deut- richt des Wehrbeauftragten für das Jahr 2006 hat wieder schen Bundestages erfüllen Sie eine wichtige, eine un- eingehend auf die besonderen Belastungen hingewiesen, verzichtbare Funktion. Sie übermitteln ein ungefiltertes denen unsere Soldaten in den Auslandseinsätzen unter- Bild von der Stimmung unter den Soldaten, von ihren liegen. Sie leisten einen häufig gefährlichen Dienst für Sorgen und Problemen. Bei unseren Entscheidungen die Bewahrung des Friedens in Afghanistan, in Bosnien- Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 133. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. Dezember 2007 13963

Anita Schäfer (Saalstadt) (A) Herzegowina und im . Die Menschen in diesen ihren Angehörigen im Namen der Unionsfraktion bereits (C) Ländern wissen die Arbeit unserer Soldaten zu schätzen, jetzt eine gesegnete Weihnacht und einen guten Start ins wie etwa gerade wieder in Afghanistan landesweite Um- neue Jahr. Insbesondere wünsche ich ihnen Glück und fragen gezeigt haben. eine gesunde Heimkehr. Unsere Marine ist zudem am Horn von Afrika und im Danke. Mittelmeerraum engagiert. Auch im Südsudan, an der (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und der Grenze zwischen Äthiopien und Eritrea und in Georgien FDP) sind Angehörige der Bundeswehr im Einsatz. An all die- sen Orten erfüllen sie ihren Auftrag zur Sicherung des internationalen Friedens. Das bedeutet sowohl Sicher- Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: heit für die Menschen vor Ort als auch Sicherheit für Als letzter Redner zu diesem Tagesordnungspunkt hat uns. Sie erfüllen diese Aufgabe gut. das Wort der Kollege Maik Reichel von der SPD-Frak- tion. Für diesen Dienst brauchen unsere Soldaten die not- wendige Ausrüstung und Ausbildung. Der Bericht des (Beifall bei der SPD) Wehrbeauftragten hat wieder Beispiele für Defizite ge- nannt. In einigen Fällen – beispielsweise bei der Ausstat- Maik Reichel (SPD): tung mit geschützten Fahrzeugen – können wir eine fort- Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und laufende Verbesserung feststellen. Dagegen ist die Kollegen! Sehr geehrter Herr Wehrbeauftragter! Im Situation bei den Lufttransportkapazitäten nach wie vor 48. Bericht des Wehrbeauftragten werden wieder viele sehr angespannt. Insbesondere werden wir uns weiterhin Problemfelder in unserer Bundeswehr aufgezeigt. Nicht genau mit der Material- und Personallage bei den Hee- wenige davon werden zum wiederholten Male angespro- resfliegern befassen müssen. Keinesfalls wiederholen chen. Am Beispiel des Sanitätsdienstes lässt sich das er- dürfen sich Zustände wie bei der Unterbringung der kennen. EUFOR-Truppen während der Kongo-Mission. Neben manchen Einzelproblemen, die hoffentlich eine Das Ausgliedern von Dienstleistungen an zivile An- Ausnahme bleiben werden, werden im Bericht die Perso- bieter darf sich nicht nachteilig auf die Truppe auswir- nalengpässe im Bereich der Bundeswehrkrankenhäuser, ken, wie dies bei den Feldlagern im Kongo und in Gabun die Defizite bei der truppenärztlichen Versorgung und die der Fall war. Hier fordern wir die Bundesregierung auf, schon angesprochene, sicherlich nicht zufriedenstellende die Aufrechterhaltung nationaler Standards bei künftigen Tagesantrittsstärke genannt. Diese Punkte sind teilweise EU-Missionen so weit wie möglich sicherzustellen. durchaus als bedenklich anzusehen. Dennoch kann der (B) Frage – ich zitiere aus Ihrem Bericht –, „wie unter diesen (D) Unsere Soldaten brauchen den Rückhalt des Parla- Bedingungen die sanitätsdienstliche Versorgung langfris- ments, das die Mandate für ihre Einsätze erteilt. Vor al- tig gesichert und die Attraktivität des Sanitätsdienstes auf lem aber brauchen sie Anerkennung. Als Gesellschaft Dauer erhalten werden kann“, mehreres entgegengehal- befassen wir uns immer noch zu wenig mit der alltägli- ten werden. chen Situation unserer Soldaten in den Einsätzen. Die Männer und Frauen der Bundeswehr sind unsere Mitbür- Ich will es gleich vorweg sagen: Der Sanitätsdienst ist gerinnen und Mitbürger. So wichtig der Bericht des besser als sein Ruf. Wehrbeauftragten ist: Als Mitbürger sollten unsere Sol- daten es uns wert sein, uns mehr als einmal im Jahr ein (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Bild von ihnen zu machen. Das haben einzelne, interne Befragungen belegt. Ich muss hier nicht detailliert auf die hervorragende ärztli- Eine Gruppe, die sich ständig mit der Lage in der che Versorgung in den Einsatzgebieten verweisen. Der Bundeswehr befassen muss, sind die Angehörigen der Anspruch an die Soldaten ist sehr hoch. Eine hervorra- Soldaten, insbesondere derjenigen im Einsatz. Tausende gende Versorgung soll gewährleistet sein. Wir leisten von Soldaten werden Weihnachten und das Neujahrsfest dort Vorbildliches. An dieser Stelle gilt mein herzlicher fern von zu Hause in den Einsatzgebieten verbringen. Dank den Soldatinnen und Soldaten im Sanitätsdienst, Ihre Familien werden ohne den Vater oder die Mutter aber auch allen anderen, die jetzt im Einsatz sind, sowie feiern müssen. Der Bericht des Wehrbeauftragten hat allen, die ihren Dienst schon geleistet haben oder noch dankenswerterweise wiederum lobend auf die Soldaten- leisten werden. und Familienbetreuung durch die Bundeswehr sowie die Katholische und Evangelische Arbeitsgemeinschaft für (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Soldatenbetreuung hingewiesen. Gerade jetzt am Jahres- der CDU/CSU) ende wird hier unverzichtbare Arbeit geleistet, um die Trennung wenigstens ein kleines bisschen leichter zu Natürlich hat das Auswirkungen auf das Inland. Auf machen. den Sanitätsdienst, der den sehr hohen Anforderungen, die an ihn gestellt werden, gerecht wird und seine Auf- Vielleicht denken wir als Mitbürger, wenn wir den gaben erfüllt, werden natürlich zusätzliche Aufgaben zu- Weihnachtsgottesdienst besuchen oder uns ein frohes kommen. Im letzten Jahr – Herr Wehrbeauftragter, Sie neues Jahr wünschen, einmal kurz an die Männer und haben das erwähnt – haben wir die Fußballweltmeister- Frauen im Einsatz und ihre Familien. Ich wünsche allen schaft ausgerichtet. Der Sanitätsdienst war aber auch an Soldatinnen und Soldaten, den zivilen Mitarbeitern und der Bekämpfung der Vogelgrippe beteiligt. Herr Wehr- 13964 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 133. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. Dezember 2007

Maik Reichel (A) beauftragter, Sie halten Ihren Finger richtigerweise in dungsgruppe A 9 stattfindet und dass im darauffolgen- (C) die Wunde. den Jahr auch in den höheren Besoldungsgruppen eine Angleichung erfolgen wird. Auch wenn durch die Umsetzung von Personal aus aufzulösenden Bundeswehrkrankenhäusern nicht alle Herr Wehrbeauftragter, Sie haben angesprochen – ich Personalengpässe ausgeglichen werden konnten, ist die weiß, dass Ihnen dieses Thema sehr am Herzen liegt –, Umstrukturierung in diesem Bereich auf einem guten, dass der Wehrsold im nächsten Jahr um 2 Euro erhöht wenn auch sicher nicht immer befriedigenden Weg. Die wird. Dem werden wir alle zustimmen; denn das ist eine Krankenhäuser in Hamburg, Berlin und Ulm sind in die Initiative aus diesem Haus. Ich denke, das ist im Sinne jeweilige Landesbettenplanung aufgenommen. Koblenz aller. Ich bedanke mich recht herzlich bei Ihnen, Herr wird sicherlich bald folgen. 1 811 Betten werden dann in Wehrbeauftragter, und vor allen Dingen bei Ihrem Bundeswehrkrankenhäusern zur Verfügung stehen. Ges- Hause. Ich hoffe, dass die Soldatinnen und Soldaten wei- tern haben wir vom Inspekteur des Sanitätsdienstes Ak- terhin Gebrauch davon machen, Sie als Ansprechpartner tuelles dazu gehört. zu nutzen. Sie sollten dabei nicht zögern. Die immer wieder angesprochenen posttraumatischen Vielen Dank. Belastungsstörungen werden nicht nur von uns Parla- mentariern, sondern auch vom Sanitätsdienst sehr ernst (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten genommen. 10 Prozent der erwähnten Betten werden für der CDU/CSU und des Abg. Winfried psychiatrische Behandlungen vorgehalten. 200 neue Nachtwei [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Dienstposten wurden dem Sanitätsdienst zugeordnet. Das wird sicherlich nicht für eine optimale Versorgung Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: in allen Bereichen ausreichen. Ich schließe die Aussprache. Die Tagesantrittsstärke, die von Kollegin Hoff ange- Wir kommen jetzt zur Beschlussempfehlung des Ver- sprochen wurde, liegt derzeit bei über 60 Prozent, Ten- teidigungsausschusses zum Jahresbericht 2006 des denz steigend. In den letzten Jahren gab es hier eine Ver- Wehrbeauftragten, Drucksachen 16/4700 und 16/6700. besserung. Eine Quote von 75 Prozent werden wir bis Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Gegen- 2010 erreicht haben. Wir haben einen hohen Anspruch. stimmen? – Enthaltungen? – Die Beschlussempfehlung Wir haben im Sanitätsdienst einen hohen Frauenan- ist einstimmig angenommen. teil. 40 Prozent sind es derzeit, 50 Prozent sollen es wer- (Beifall des Abg. Manfred Grund [CDU/ den. Der Anteil der Frauen ist im Sanitätsdienst also CSU]) deutlich höher als in der Bundeswehr insgesamt. Das (B) (D) bringt sicherlich auch einige Probleme mit sich. Wir sind Ich rufe den Tagesordnungspunkt 8 auf: aber froh über jedes Kind, das geboren wird, auch wenn Zweite und dritte Beratung des von den Abgeord- das die Konsequenz hat, dass ein Dienstposten zeitweise neten Dr. Max Stadler, Gisela Piltz, Dr. Karl nicht besetzt werden kann. Dieser Situation müssen wir Addicks, weiteren Abgeordneten und der Fraktion begegnen, um die truppenärztliche Versorgung auch im der FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes Inland – das ist ganz wichtig – weiterhin zu gewährleis- über eine Einmalzahlung für Versorgungsemp- ten. Die unentgeltliche truppenärztliche Versorgung darf fänger im Jahr 2007 (Versorgungsempfänger- darunter nicht leiden. Einmalzahlungsgesetz 2007 – VEzG 2007) Die Aspekte, die ich jetzt angesprochen habe, sind – Drucksache 16/5250 – mir natürlich nicht erst bekannt, seitdem ich vor wenigen Wochen Mitglied des Verteidigungsausschusses wurde. Beschlussempfehlung und Bericht des Innenaus- Ich komme aus einem Wahlkreis, in dem sich ein Sani- schusses (4. Ausschuss) tätsstandort befindet, nämlich aus Weißenfels. Seitdem er vor sechs Jahren aufgebaut wurde, war ich dort sehr – Drucksache 16/5925 – häufig zugegen, nicht in meiner Funktion als Mitglied Berichterstattung: dieses Hauses, sondern als jemand, der sich dort mit dem Abgeordnete Ralf Göbel Kommandeur, dem stellvertretenden Kommandeur und Siegmund Ehrmann der Truppe engagiert. Dr. Max Stadler Ich denke, dass der Ruf des Sanitätsdienstes besser Petra Pau ist, als manche glauben. Meine Bewertung fällt positiver Silke Stokar von Neuforn aus, als das, was wir auch hier manchmal hören, vermu- Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die ten lässt. Ich hoffe, dass Probleme in Einzelfällen, die Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. Gibt es Wi- leider teilweise zu beklagen sind, durch pragmatisches derspruch? – Das ist nicht der Fall. Dann ist das so be- Handeln vor Ort gelöst werden können, ohne dass wir schlossen. eingreifen müssen. Ich eröffne die Aussprache und erteile als erstem Red- Lassen Sie mich zum Schluss – leider ist meine Rede- ner dem Kollegen Günter Baumann von der CDU/CSU- zeit schon zu Ende – noch eines ansprechen: Ich freue Fraktion das Wort. mich, dass im nächsten Jahr die Angleichung der Höhe der Ostbesoldung an das Westniveau bis zur Besol- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 133. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. Dezember 2007 13965

(A) Günter Baumann (CDU/CSU): Zunächst ist festzustellen, dass uns diese Entschei- (C) Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und dung natürlich nicht leichtgefallen ist. Auch wir wissen, Kollegen! Gegenwärtig werden im Beamten- und Ver- dass es eine große Zumutung für die Betroffenen ist, sorgungsrecht größere Veränderungen vorgenommen. dass wir diese Regelung nicht übernommen haben. Im Mit der Kompetenzverlagerung im Zuge der Föderalis- Sinne einer nachhaltigen und strukturellen Haushalts- musreform haben wir einige Bereiche des Besoldungs- konsolidierung sind jedoch bestimmte Einsparungen in und Versorgungsrechts auf die Länder übertragen. Diese unterschiedlichen Bereichen nicht vermeidbar. Forderung der Bundesländer haben wir als Innenpoliti- (Zuruf von der CDU/CSU: Sehr richtig!) ker des Bundes nicht immer positiv gesehen. Da die Länder aber darauf bestanden haben, haben wir das so Alle vorgetragenen Aspekte haben wir ausführlich bera- vollzogen. ten und abzuwägen versucht. Der Gesetzentwurf der FDP-Fraktion, diese Regelung für 2007 für die Pensio- Die Entwicklungen in den Ländern in Fragen, die die näre des Bundes, der Post und der Bahn zu übernehmen, Beamten betreffen, sind als Folge sehr unterschiedlich. würde 150 Millionen Euro kosten und somit den Haus- Gegenwärtig stellen wir dies an verschiedenen Punkten halt belasten. Dies kann nicht im Sinne einer ausgewo- fest. So lässt zum Beispiel der Freistaat Sachsen seinen genen Haushaltskonsolidierung sein. Im Gegenteil: Da- Beamten für das Jahr 2007 eine Einmalzahlung in Höhe mit wäre der Beitrag, den der öffentliche Dienst des von 500 Euro zukommen, während das Land Berlin an- Bundes zur Sanierung des Haushalts zu leisten hat, we- gekündigt hat, in den nächsten Jahren gar keine Einmal- sentlich geschmälert. Wir haben bereits mit der Erhö- zahlung vornehmen zu können. hung der Wochenarbeitszeit für aktive Beamte von 40 auf 41 Stunden ohne Besoldungsausgleich und mit der (Silke Stokar von Neuforn [BÜNDNIS 90/ Halbierung des Weihnachtsgeldes von diesen einen be- DIE GRÜNEN]: Ja, genau! – Jürgen Trittin stimmten Beitrag gefordert und damit zur Konsolidie- [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wo ist die rung des Haushalts beigetragen. Mit der im März be- Linkspartei? – Gegenruf des Abg. Clemens schlossenen Einmalzahlung sind wir davon in gewisser Binninger [CDU/CSU]: Ja! Sehr gute Frage, Weise abgewichen, was wir aber vertreten können. Herr Kollege!) Auch die Regelungen zur Rente mit 67 werden stu- – Das habe ich aber nicht gesagt. fenweise auf Beamte übertragen. Hier wird konsequent das nachgezeichnet, was wir für die gesetzliche Renten- Gegenwärtig modernisieren wir das gesamte öffentli- versicherung beschlossen haben. Mit der Sanierung der che Dienstrecht. Das ist ein Entwicklungsprozess, der in öffentlichen Haushalte kann die Altersversorgung der (B) der vergangenen Legislaturperiode mit dem Eckpunkte- Bundesbeamten auf eine sichere Grundlage gestellt wer- (D) papier „Neue Wege im öffentlichen Dienst“ begann. Mit den. Diese Maßnahmen sind unabwendbar, um die ver- dem Dienstrechtsneuordnungsgesetz gewährleisten wir schiedenen Alterssicherungssysteme unseres Landes an die Leistungsbezogenheit des Dienstrechts, einen flexi- die Herausforderungen, die wir heute haben, entspre- blen Personaleinsatz und ein individuelles Besoldungs- chend anzupassen. recht. Letztlich soll das Beamtenversorgungsgesetz dem Anspruch an eine wirkungsgleiche Übertragung der (Beifall bei der CDU/CSU) Maßnahmen in der gesetzlichen Rentenversicherung Immer weniger Beitrags- und Steuerzahler müssen die Rechnung tragen. Mittel, die wir für Renten und Pensionen brauchen, auf- Mit dem Beamtenstatusgesetz, das wir noch heute bringen. Das ist für den Bund, aber auch für die Länder Abend in zweiter und dritter Lesung beschließen wer- und Kommunen auf Dauer nicht finanzierbar, meines Er- den, werden die Statusrechte und -pflichten der Angehö- achtens auch nicht gerecht gegenüber den nachfolgenden rigen des öffentlichen Dienstes der Länder, der Gemein- Generationen. den und anderer Körperschaften des öffentlichen Rechts Der Tarifabschluss für den öffentlichen Dienst sah einheitlich geregelt. Dieser Gesetzentwurf nutzt die keine Einmalzahlung für Rentnerinnen und Rentner vor. durch die Föderalismusreform gewonnene Kompetenz Bei Wirkungsgleichheit für Beamtinnen und Beamte des des Bundes und regelt die Statusrechte einheitlich. Bundes können für Versorgungsempfänger keine ande- ren Regelungen getroffen werden. Auch gehören Ein- Nun zum Gesetzentwurf der FDP-Fraktion. Der Ge- malzahlungen rein rechtlich gesehen nicht zur Besoldung setzentwurf fordert, den Versorgungsempfängerinnen und und wirken sich somit auch nicht auf die Versorgungsbe- Versorgungsempfängern des Bundes eine Einmalzahlung züge aus. Vor diesem Hintergrund ist es aus meiner Sicht für 2007 zu gewähren. In Anlehnung an das Tarifergeb- derzeit nicht möglich, die Versorgungsempfänger in die nis vom 9. Februar 2005 für den öffentlichen Dienst ha- Regelung zur Einmalzahlung für das Jahr 2007 einzube- ben wir im März dieses Jahres ein Gesetz verabschiedet, ziehen. das den Empfängerinnen und Empfängern von Dienst- und Amtsbezügen des Bundes für die Jahre 2005, 2006 In den vergangenen Jahren wurden zahlreiche Maß- und 2007 Einmalzahlungen in Höhe von jeweils nahmen zur Gewährleistung einer stabilen und nachhalti- 300 Euro gewährleistet. In diese Regelung sind die Ver- gen wirtschaftlichen Entwicklung eingeleitet. Dazu gehö- sorgungsempfängerinnen und Versorgungsempfänger im ren, wie wir alle wissen, zum großen Teil die Reformen Bereich des Bundes nicht einbezogen. Dies fordert nun im Bereich der gesetzlichen Rentenversicherung. Die gerade die FDP mit ihrem Gesetzentwurf. Rentnerinnen und Rentner haben wegen der allgemeinen 13966 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 133. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. Dezember 2007

Günter Baumann (A) Lohnentwicklung und des demografischen Wandels meh- Deshalb wende ich mich an die Kolleginnen und Kol- (C) rere Jahre keine Rentenerhöhung erhalten. Erst am legen von der Großen Koalition: Sie sollten den Mut ha- 1. Juli 2007 haben wir nach drei Nullrunden eine Erhö- ben, das tatsächlich zu korrigieren; denn es war eine fal- hung in Höhe von 0,54 Prozent erreicht. Diese positive sche Entscheidung, die Sie da getroffen haben. Entwicklung im Rentenbereich wird bei künftigen Ent- scheidungen zur allgemeinen Anpassung der Versor- (Beifall bei der FDP) gungsbezüge natürlich zu berücksichtigen sein. Es gilt, Es geht nicht um die Verteilung von Wohltaten, und das Ziel umzusetzen, die Beamtenversorgung und die es geht auch nicht um Weihnachtsgeschenke. Vielmehr Rentenversicherung künftig wirkungsgleich zu entwi- geht es schlicht und einfach um einen Akt politischer ckeln und dabei die Systemunterschiede zu berücksichti- Fairness. Es ist einfach nicht in Ordnung, dem Tarifper- gen. Um die Versorgungsempfänger nicht besser, aber sonal, den aktiven Beamtinnen und Beamten Einmalzah- auch nicht schlechter zu stellen als die Rentner, strebt die lungen zuzugestehen, die Pensionäre aber gleichzeitig Große Koalition gegenwärtig an, im Versorgungsrecht vollkommen leer ausgehen zu lassen. Das ist nicht in eine Evaluierungsklausel einzuführen, mit der die jewei- Ordnung, und ich glaube, das wissen Sie auch. lige Entwicklung in der Rentenversicherung besser nach- gezeichnet werden kann. (Carl-Ludwig Thiele [FDP]: Sehr richtig!) Mit der Nichtberücksichtigung leisten die Pensionäre Nach dem Beamtenversorgungsgesetz haben auch und Hinterbliebenen – das möchte ich ausdrücklich hier Versorgungsempfänger einen Anspruch auf Teilhabe an betonen – einen weiteren wichtigen Beitrag zur Sanie- der Entwicklung der allgemeinen wirtschaftlichen und rung der Staatsfinanzen. Ich möchte ausdrücklich her- finanziellen Verhältnisse. So entsprach es in der Vergan- vorheben und anerkennen, dass dies ein wichtiger Bei- genheit immer guter Übung, diesen Personenkreis an trag ist. Einmalzahlungen zu beteiligen. Diese Tradition sollte fortgesetzt werden, und hierzu laden wir mit unserem (Beifall bei der CDU/CSU) Gesetzentwurf ein. Angesichts der angespannten Lage der Haushalte gibt es Der Gesetzentwurf selbst ist sehr maßvoll abgefasst. gegenwärtig leider keinen anderen Weg. Er sieht eine Beteiligung der Versorgungsempfänger le- diglich für das Jahr 2007 und auch nur in Höhe des indi- Liebe Kolleginnen und Kollegen von der FDP, auf viduell maßgebenden Ruhegehaltssatzes vor. fast allen Gebieten durchaus berechtigte finanzielle For- derungen für unsere Bürgerinnen und Bürger aufzustel- ( [CDU/CSU]: Das ist doch len, ist populistisch und kommt bei den Bürgern gut an. keine Weichenstellung!) (B) (D) (Reinhard Grindel [CDU/CSU]: Sehr richtig!) Er enthält also bereits einen Kompromiss, der eigentlich auch Ihnen, Herr Kollege Binninger, die Zustimmung Aber wir müssen eine realistische Politik für unser möglich machen sollte. Wir haben ja bewusst etwas ge- Land im Blick haben und die Grundsatzfrage für die Zu- fordert, von dem wir der festen Überzeugung sind, dass kunft – die Handlungsfähigkeit im Hinblick auf den es die Zustimmung aller finden könne. Bundeshaushalt – in den Mittelpunkt stellen. Aus dem Grund können wir Ihrem Antrag gegenwärtig leider Auch die dadurch entstehenden Mehrkosten halten sich in Grenzen. Sie gefährden, lieber Kollege Baumann, nicht zustimmen. das Ziel der Haushaltskonsolidierung überhaupt nicht. Danke. Auch da sollte man jetzt keinen Popanz aufbauen. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- (Carl-Ludwig Thiele [FDP]: Man kann ja auch mal neten der SPD) die Entwicklungshilfe für China streichen!) Für den einzelnen Versorgungsempfänger allerdings Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: geht es schon um mehr. Seine Versorgungsbezüge liegen Das Wort hat der Kollege Ernst Burgbacher von der heute nach mehreren Minusrunden unter dem Betrag des FDP-Fraktion. Jahres 2002. Das unterscheidet die Pensionäre übrigens auch von den Rentnern. Sie haben ja selbst über die Er- (Beifall bei der FDP) höhung der Renten gesprochen. Das Ganze hat auch einen sozialpolitischen Aspekt; Ernst Burgbacher (FDP): denn beim Bund werden von der Einmalzahlung insbe- Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und liebe Kolle- sondere Angehörige des einfachen und mittleren Dienstes gen! Lieber Herr Kollege Baumann, Populismus ist et- profitieren. In diesen Laufbahngruppen sind die meisten was völlig anderes. Es geht hier um eine falsche beam- Versorgungsempfänger zu finden. Hinzu kommt, dass die tenpolitische Weichenstellung, und Sie haben in dieser Versorgungsempfänger die Einmalzahlung unabhängig Sitzung kurz vor Weihnachten noch die Gelegenheit, von ihrer Besoldungsgruppe erhalten sollen. Hierin steckt diese zu korrigieren. Teilweise haben Sie die Begrün- ein zusätzliches soziales Moment, weil dadurch Pensio- dung, warum unser Gesetzentwurf richtig ist, gerade näre mit geringerer Versorgung relativ stärker begünstigt selbst geliefert. werden. (Carl-Ludwig Thiele [FDP]: Sehr richtig!) (Carl-Ludwig Thiele [FDP]: Sehr richtig!) Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 133. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. Dezember 2007 13967

Ernst Burgbacher (A) Warum Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen von der 300 Euro vereinbart haben. Um dieses Tarifergebnis auf die (C) SPD und der CDU/CSU, die Sie das Schild des Sozialen Beamtinnen und Beamten zu übertragen, wurde zusätzlich im Augenblick derart vor sich hertragen, gerade diesen zu dem Entwurf des Gesetzes über Einmalzahlungen für Personenkreis im Stich lassen, leuchtet uns wirklich die Jahre 2005, 2006 und 2007 noch im Frühjahr 2005 der nicht ein. Eine Erklärung dafür haben Sie bis zum heuti- Entwurf eines Versorgungsnachhaltigkeitsgesetzes auf den gen Tage auch nicht wirklich geliefert. Im Innenaus- Weg gebracht. Im Juli 2005 erhielten die Bundesbeamten schuss haben Sie sich auf – ich zitiere wörtlich – „kom- im Vorgriff auf die gesetzliche Regelung einen ersten Teil- plexe Abwägungsprozesse“ berufen, betrag, gewissermaßen als Abschlag, in Höhe von 100 Euro. Nachdem der Gesetzentwurf aufgrund der dama- (Carl-Ludwig Thiele [FDP]: Aha!) ligen politischen Mehrheitsverhältnisse insbesondere auf die Grundlage der Beschlussfassung über die Einmal- Intervention unseres heutigen Koalitionspartners nicht vor zahlung gewesen sein sollen. Dass Abwägungen nicht der Sommerpause 2005 im Bundestag verabschiedet wer- immer einfach sind, ist das Wesen der Politik; sich damit den konnte, ging er – Stichwort Diskontinuität – mit der herauszureden, ist schon schwach. Neuwahl des Bundestages unter. (Beifall bei der FDP) (Clemens Binninger [CDU/CSU]: Für die Ich bitte deshalb die Innenpolitiker der Großen Koali- Neuwahl können wir nichts!) tion, sich in dieser Frage gegen die Haushälter durchzu- – Nein, die geht nicht auf Ihre Kappe. setzen. Denn wir wissen ja, dass die Innenpolitiker das eigentlich wollten, sich aber nicht durchsetzen konnten. In der laufenden Wahlperiode war zunächst geplant, Sie sollten sich das wirklich noch einmal überlegen! Es die Einmalzahlungen erst im Zusammenhang mit der wäre ja nicht schlecht, die Innenpolitik der Großen Ko- strukturellen Besoldungsreform zu regeln, weil im Tarif- alition hätte einmal einen Erfolg vorzuweisen. Hier hät- bereich ebenso verfahren worden war. Um den Bundes- ten Sie eine Gelegenheit dazu. beamten allerdings die Einmalzahlung nicht länger vor- zuenthalten, hat die Bundesregierung auf Drängen der (Beifall bei Abgeordneten der FDP – Zurufe Koalitionsfraktionen Anfang November 2006 den sei- von der CDU/CSU: Oh! – Kleines Karo!) nerzeitigen Entwurf im Wesentlichen inhaltsgleich in Ich fordere Sie auf: Packen wir das endlich an! Machen das Gesetzgebungsverfahren eingebracht. Dementspre- wir es Ländern wie Baden-Württemberg und Nordrhein- chend sind weitere 500 Euro ausgezahlt worden. Die Westfalen nach! Machen wir gemeinsam den Weg frei, restlichen 300 Euro wurden in Teilbeträgen von jeweils damit die Pensionäre des Bundes nicht noch weiter von 150 Euro in den Monaten April und Juli 2007 ausge- der allgemeinen wirtschaftlichen Entwicklung abge- zahlt. (B) (D) hängt werden! Ich fordere die Innenpolitiker der Großen Nun zum Punkt. Wie bei den früheren Einmalzahlun- Koalition – die hier anwesend sind – auf: Stimmen Sie gen konnten die Versorgungsempfänger nicht berück- unserem Gesetzentwurf zu! sichtigt werden. Schon bei der ursprünglichen Einbrin- Herzlichen Dank. gung des Gesetzentwurfes, im Jahre 2005, war davon auszugehen, dass auch den Rentnerinnen und Rentnern (Beifall bei der FDP) keine Rentenerhöhung zugebilligt werden konnte. Dies hat sich bestätigt; die seinerzeitige Prognose ist eingetre- Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: ten. Das Wort hat der Kollege Siegmund Ehrmann von der SPD-Fraktion. Allerdings haben die Versorgungsempfänger hinneh- men müssen, dass die jährliche Sonderzahlung, das so- (Beifall bei Abgeordneten der SPD) genannte Weihnachtsgeld, für die Jahre 2006 bis 2010 gekürzt und das Jahreseinkommen vorübergehend um Siegmund Ehrmann (SPD): circa 2 Prozent vermindert wird. Dies wiederum war un- Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! vermeidlich, weil die Versorgung an die Besoldung an- Meine Damen und Herren! Abwägungsprozesse haben knüpft, die sogar um 2,5 Prozent ermäßigt worden ist. in der Tat Komplexitäten, Herr Burgbacher. Deshalb Dabei ist nicht berücksichtigt – auch darauf hat Herr sollten wir die Kraft aufbringen, die Argumente anzuhö- Kollege Baumann schon hingewiesen –, dass die Ar- ren, damit sich uns die Zusammenhänge erschließen. beitszeit der aktiven Bundesbeamten ohne finanziellen Das, was Sie mit Ihrer Gesetzesinitiative fordern, ist uns Ausgleich um circa 6,5 Prozent erhöht wurde. ja vor nicht allzu langer Zeit schon einmal begegnet. Sie In diesem Zusammenhang eine Anmerkung, die in fordern, die Einmalzahlung des Bundes für das Jahr der Diskussion auch schon eine Rolle spielte: Um die 2007 auch den Versorgungsempfängern zukommen zu Versorgungsempfänger nicht besser, aber auch nicht lassen. Das war schon bei der Verabschiedung des Ge- schlechter zu stellen – ich sage in Parenthese: Die De- setzes über Einmalzahlungen für die Jahre 2005, 2006 batte darüber, inwieweit sich das in den Systemen sorg- und 2007 Bestandteil Ihrer Forderungen. fältig nachzeichnen lässt, verfolgt uns ja schon eine ge- Ich rufe in diesem Zusammenhang in Erinnerung, dass raume Zeit – und das objektiver und nachvollziehbarer für den beschriebenen Zeitraum die Tarifparteien für die zu gestalten, wird im Dienstrechtsreformgesetz eine so- Tarifbeschäftigten des Bundes anstelle einer prozentualen genannte Evaluationsklausel im Bereich des Versor- Erhöhung der Vergütung jährliche Einmalzahlungen von gungsrechts eingeführt, damit die jeweilige Entwicklung 13968 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 133. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. Dezember 2007

Siegmund Ehrmann (A) in der Rentenversicherung sorgfältiger und genauer Petra Pau (DIE LINKE): (C) nachgezeichnet werden kann. Damit werden wir den An- Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich satz weiterverfolgen, dass die Veränderungen in der kann es kurz machen: Aktive Beamtinnen und Beamte Rentenversicherung – tatsächlich und deutlicher nach- erhalten eine Einmalzahlung in Höhe von 300 Euro. Das vollziehbar – wirkungsgleich übertragen werden; denn hat der Bundestag am 23. Februar dieses Jahres be- es muss ausgeschlossen werden, dass die Regelungsme- schlossen. Von diesem Beschluss ausgenommen waren chanismen, die strukturbedingt unterschiedlich sind, zu die nicht mehr aktiven Beamtinnen und Beamten, also einem Auseinanderlaufen der Entwicklungen in beiden die Versorgungsempfängerinnen und -empfänger. Be- Altersversicherungssystemen führen. gründet wurde diese Ausnahme – wir haben es heute wieder gehört – mit dem Verweis auf die allgemeine Ent- Nicht zuletzt war bei der Abwägung zu berücksichti- wicklung der Renten. Die Linke hielt das schon damals gen: Es gibt auf der einen Seite das Alimentationsprinzip für falsch. Kollege Ehrmann, Kollege Burgbacher hat Ih- und das Prinzip, Strukturen, die bei den aktiven und auch nen erklärt, wie sich die Versorgungsbezüge entwickelt bei den passiven Beschäftigten gegeben sind, zu übertra- haben bzw. dass sie gleich geblieben sind und dass man gen. Ich habe gerade versucht, diesen Aspekt, der unsere das eine mit dem anderen nicht eins zu eins vergleichen Überlegungen geleitet hat, zu verdeutlichen. Auf der an- kann. deren Seite gibt es natürlich die finanzwirtschaftlichen Belastungen. Nunmehr sollen auf Antrag der FDP auch die Versor- gungsempfängerinnen und -empfänger einmalig eine Wenn wir das seinerzeit für den Dreijahreszeitraum Zahlung erhalten. Dem stimmt die Linke selbstverständ- 2005 bis 2007 gemacht hätten, hätten wir eine Haushalts- lich zu. belastung von etwa 400 Millionen Euro zu verzeichnen gehabt. Jetzt ist das naturgemäß ein deutlich geringerer Danke. Betrag, nämlich etwa 140 bis 150 Millionen Euro, weil (Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert sich das nur auf ein Jahr bezieht. Diesen Aspekt können Winkelmeier [fraktionslos]) wir nicht negieren. Das Leitmotiv unserer Koalitionspoli- tik heißt ja: Reformieren, Sanieren, Konsolidieren. Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: (Ernst Burgbacher [FDP]: Abkassieren!) Das Wort hat die Kollegin Silke Stokar von Neuforn von Bündnis 90/Die Grünen. – „Abkassieren“ ist Ihre Formulierung, der ich natürlich nicht zustimmen kann. Ich weise sie sogar mit Abscheu Silke Stokar von Neuforn (BÜNDNIS 90/DIE zurück. GRÜNEN): (B) (D) Nun aber zur Zukunft. Wie sieht es aus? Wie geht es Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich freue weiter? Ich gehe davon aus, dass im kommenden Jahr mich, dass Bundesinnenminister a. D. dieser auf der Bundesebene natürlich auch im Bereich der Be- Debatte über Pensionäre beiwohnt. Vielleicht ist das ein soldung und Versorgung günstigere Entwicklungen zu Zeichen für das Jahr 2008. verzeichnen sein werden. Ein Parameter ist das, was (Heiterkeit und Beifall beim BÜNDNIS 90/ sich im Tarifbereich auf der Bundesebene abzeichnet. DIE GRÜNEN) Dort ist zu erwarten, dass die Tarifsteigerungen bei 2,9 Prozent liegen werden. Natürlich wird sich das Ansonsten habe auch ich nicht vor, nachdem hier auch im Bereich der Besoldung und Versorgung wider- wortreich die Feinheiten des Beamtenrechtes erläutert spiegeln, sodass sich die Dinge im Bereich der Beam- worden sind, eine lange Rede zu halten. Es ist – in einfa- tenversorgung so weiterentwickeln, wie das im Renten- chen Worten – deutlich geworden: Die Große Koalition sektor zu verzeichnen ist, was deutlich gerechtfertigt verzichtet in diesem Jahr gänzlich auf Weihnachtsge- ist. schenke, obwohl, wie wir hier in Reden gehört haben, der Steuersack voll ist, die eigenen Taschen gefüllt wur- Im Ergebnis stelle ich für meine Fraktion und auch den und der Aufschwung offensichtlich da ist. Vom für unseren Koalitionspartner fest, dass wir auch mit den Weihnachtsengel Angie wurde verkündet: Wir haben Interessen der Versorgungsempfängerinnen und -emp- eine gute Zeit. Der Aufschwung ist da. – Aber für die fänger sehr sorgfältig umgegangen sind. Das ist kein an- Pensionäre wird es nichts geben. Bei den Armen wird genehmes Geschäft, sondern eine schwierige Diskus- nichts ankommen. Das ist die Botschaft der Großen Ko- sion, der wir uns stellen. Folglich werden wir Ihrem alition. Gesetzentwurf nicht zustimmen. (Hartwig Fischer [Göttingen] [CDU/CSU]: So Schönen Dank. ein Quatsch!) (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Wir sind der Meinung, dass der Antrag der FDP ein feines, gerechtes und auch finanzierbares Weihnachtsge- schenk ist. Wir wollen diese gute Tat hier gemeinsam Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: mit der FDP beschließen. Das Wort hat die Kollegin Petra Pau von der Fraktion Die Linke. Ein letzter Appell an die Große Koalition: Überlegen Sie es sich noch einmal! Es wäre ein faires und gerechtes (Beifall bei der LINKEN) Zeichen, nachdem wir die Einmalzahlung für die Beam- Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 133. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. Dezember 2007 13969

Silke Stokar von Neuforn (A) tinnen und Beamten beschlossen haben, diese Einmal- Hoff, Dr. Werner Hoyer, Dr. Karl Addicks, weite- (C) zahlung auch den Pensionären für ein Jahr zuzugestehen. rer Abgeordneter und der Fraktion der FDP Ich denke, das wird den Bundeshaushalt nicht sprengen. Deutschland muss rüstungskontrollpolitische (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Glaubwürdigkeit beweisen – angepassten KSE- Vertrag dem Deutschen Bundestag zur Abstim- Ich habe noch einen kleinen Vorschlag für die Finan- mung vorlegen zierung. Wir könnten ja die zu zahlenden Strafgelder für die Nichtveröffentlichung von Nebeneinkünften als – Drucksachen 16/6431, 16/7505 – Grundstock der Finanzierung für die Einmalzahlung der Berichterstattung: Pensionäre nehmen. Abgeordnete Dr. Karl-Theodor Freiherr zu (Heiterkeit und Beifall bei Abgeordneten des Guttenberg BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Dr. Rolf Mützenich Dr. Werner Hoyer Dann wäre es für alle nicht so schwer. Geben Sie sich Dr. also einen Ruck! Setzen Sie ein vorweihnachtliches Zei- Jürgen Trittin chen und stimmen Sie dem Antrag zu! c) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be- Danke schön. richts des Auswärtigen Ausschusses (3. Aus- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) schuss) zu dem Antrag der Abgeordneten Winfried Nachtwei, Alexander Bonde, Jürgen Trittin, weiterer Abgeordneter und der Fraktion Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Ich schließe die Aussprache. Angepassten Vertrag über Konventionelle Wir kommen zur Abstimmung über den Gesetzent- Streitkräfte in Europa ratifizieren wurf der Fraktion der FDP über eine Einmalzahlung für Versorgungsempfänger im Jahre 2007. Der Innenaus- – Drucksachen 16/6605, 16/7505 – schuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Berichterstattung: Drucksache 16/5925, den Gesetzentwurf der Fraktion Abgeordnete Dr. Karl-Theodor Freiherr zu der FDP auf Drucksache 16/5250 abzulehnen. Ich bitte Guttenberg diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, Dr. Rolf Mützenich um das Handzeichen. – Gegenstimmen? – Enthaltun- Dr. Werner Hoyer (B) gen? – Der Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung abge- Dr. Norman Paech (D) lehnt mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen Jürgen Trittin die Stimmen der Oppositionsfraktionen. Damit entfällt nach unserer Geschäftsordnung die weitere Beratung. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. – Wider- Ich rufe die Tagesordnungspunkte 9 a bis 9 c auf: spruch ist nicht zu sehen. Dann ist das so beschlossen. a) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be- Ich eröffne die Aussprache und erteile als erstem Red- richts des Auswärtigen Ausschusses (3. Aus- ner das Wort dem Staatsminister Gernot Erler. schuss) zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Karl-Theodor Freiherr zu Guttenberg, Eckart von Klaeden, Anke Eymer (Lübeck), weiterer Gernot Erler, Staatsminister im Auswärtigen Amt: Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU so- Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der wie der Abgeordneten Dr. Rolf Mützenich, Gert spanische Außenminister und OSZE-Vorsitzende Miguel Weisskirchen (Wiesloch), Niels Annen, weiterer Ángel Moratinos hat heute erklärt, dass der KSE-Vertrag Abgeordneter und der Fraktion der SPD seit 15 Jahren ein Eckpfeiler der Sicherheit in Europa sei und dies auch bleiben solle. Er hat wörtlich hinzugefügt: Die Krise des KSE-Vertrages durch neue Im- pulse für konventionelle Abrüstung und Rüs- Der KSE-Vertrag hat Europa ein nie zuvor gekann- tungskontrolle in Europa beenden tes Maß an Transparenz, Stabilität und Sicherheit garantiert und für einen bedeutenden Abbau kon- – Drucksachen 16/6603, 16/7505 – ventioneller Waffen gesorgt. Berichterstattung: Diese Auffassung teilt auch die Bundesregierung. Au- Abgeordnete Dr. Karl-Theodor Freiherr zu ßenminister Steinmeier hat sich in der Vergangenheit im- Guttenberg mer wieder bemüht, zu zeigen, dass wir eher mehr Be- Dr. Rolf Mützenich darf an Rüstungskontrolle und Abrüstung haben als Dr. Werner Hoyer weniger. Dr. Norman Paech Jürgen Trittin Seit gestern ist nun leider der KSE-Vertrag durch die russische Seite ausgesetzt. Die Bundesregierung bedau- b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be- ert das ausdrücklich. Damit hat Russland seine Ankündi- richts des Auswärtigen Ausschusses (3. Aus- gung wahrgemacht, dieses zum 12. Dezember zu voll- schuss) zu dem Antrag der Abgeordneten Elke ziehen, mit der Begründung, dass der angepasste KSE- 13970 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 133. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. Dezember 2007

Staatsminister Gernot Erler (A) Vertrag von der westlichen Staatengruppe nicht ratifi- (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) (C) ziert wurde. Wir alle kennen den inhaltlichen Kontext: Es sind die sogenannten Istanbul-Verpflichtungen zum Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Abzug von russischen bewaffneten Kräften aus Geor- Das Wort hat die Kollegin Elke Hoff von der FDP- gien und Transnistrien mitsamt der Munition. Dass dies Fraktion. noch nicht erfolgt ist, ist Hintergrund der Nichtratifizie- rung. (Beifall bei der FDP) (Winfried Nachtwei [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber weitestgehend!) Elke Hoff (FDP): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Wie ist die Lage jetzt? Wir haben es nach russischen Liebe Kollegen! Zunächst einmal freue ich mich, dass es Aussagen mit einer Aussetzung des Inspektions-, Infor- uns gelungen ist, schon heute, also einen Tag nachdem mations- und Begrenzungsregimes des KSE-Vertrages der KSE-Vertrag ausgesetzt worden ist, die Debatte im zu tun. Nach jetzigem Stand werden auf russischem Ter- Deutschen Bundestag zu führen. Weniger erfreulich ist ritorium keine KSE-Inspektionen zugelassen. Auch es, dass es uns nicht gelungen ist, einen gemeinsamen Russland selber wird keine mehr durchführen und seinen Antrag zu diesem wichtigen Thema zu formulieren. Verpflichtungen, was Informationsaustausch über Be- Aber so ist die Welt. stände an schweren Waffen und deren Änderung angeht, nicht mehr nachkommen. Dagegen beabsichtigt die Rus- (Winfried Nachtwei [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- sische Föderation nicht – so lauten jedenfalls die aktuel- NEN]: Das wäre möglich gewesen!) len Aussagen aus Moskau –, den Umfang der KSE-rele- Es wäre vor allen Dingen auch gut gewesen, weil das, vanten Waffensysteme zu erhöhen. was eben Herr Staatssekretär Erler vorgetragen hat, sich in wesentlichen Ansätzen im Antrag der FDP-Fraktion Für die Bundesregierung ist das ein Anlass, unsere wiederfindet. Ich werde versuchen, dies in meinen Aus- Bemühungen aus der Vergangenheit fortzusetzen, um führungen zu verdeutlichen. den Erhalt des KSE-Regimes und eine schnelle Ratifi- zierung des angepassten KSE-Vertrages zu erreichen. Wir wissen, dass seit gestern die russische Ausset- Wir haben das schon 2006 im Kontext der Dritten KSE- zung des Vertrages über die konventionellen Streitkräfte Überprüfungskonferenz und bei der außerordentlichen in Europa, eines der wichtigsten Abkommen der interna- KSE-Konferenz, die Russland einberufen hat, versucht, tionalen Rüstungskontrolle, wirksam ist. Ich bedaure und wir halten auch jetzt noch eine Lösung auf einer dies sehr; denn der KSE-Vertrag ist einer der wichtigsten Kompromissbasis für möglich. Unser Engagement ist Eckpfeiler der europäischen Sicherheitsarchitektur. Er (B) auch bei dem informellen KSE-Treffen in Bad Saarow ist ein Symbol der Vertrauensbildung nach dem Kalten (D) im Oktober sichtbar geworden. Das hat im November in Krieg. Aber spätestens seit Inkrafttreten von Putins Mo- Paris und auch am Rande des OSZE-Ministerrates in ratorium wankt dieser tragende Pfeiler. Für Deutschland Madrid auf eine deutsch-spanische Initiative hin seine und die anderen NATO-Staaten muss die Rettung des Fortsetzung gefunden. KSE-Regimes deswegen oberste Priorität haben. In Zei- ten neuerlich wachsenden Misstrauens und politischer Die inhaltlichen Grundlagen für unser Bemühen kann Meinungsverschiedenheiten mit dem Kreml sind die ver- man als Parallelansatz bezeichnen. Wir glauben, dass trauensbildenden Strukturen des KSE-Vertrages unver- man Zug um Zug mit der Ratifizierung des KSE-Anpas- zichtbar. sungsabkommens auf der einen Seite parallel zur Umset- zung der Istanbul-Verpflichtungen auf der anderen Seite (Dr. Werner Hoyer [FDP]: So ist es!) vorankommen kann. Das ist auch Inhalt des sogenannten Ich hätte mir deshalb von der Bundesregierung im Parallel Action Plan der Vereinigten Staaten. Vorfeld mehr Initiative und rüstungskontrollpolitische Wir setzen – damit komme ich zum Schluss – auf Glaubwürdigkeit gewünscht. Der Beginn des Ratifizie- Nachrichten aus Moskau darüber, dass die Tür zum rungsprozesses für das Anpassungsabkommen des KSE- KSE-Vertrag nicht endgültig geschlossen wurde. Wir Vertrages innerhalb der NATO-Staaten hätte diese tiefe hoffen auf eine flexible Haltung in Moskau. Was Krise der konventionellen Rüstungskontrolle vielleicht Deutschland angeht, versichern wir, dass wir unsere Ver- doch noch abwenden und ein belastbares und vertrauens- pflichtungen aus dem KSE-Vertrag auch gegenüber der bildendes Signal sein können. Russischen Föderation bis auf Weiteres erfüllen werden. (Beifall bei der FDP sowie des Abg. Winfried Wir stehen zu der Inkraftsetzung des angepassten Nachtwei [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) KSE-Abkommens und glauben, dass dieser Vertrag un- Die nun im Antrag der Regierungsfraktionen beab- verzichtbar ist. Zusammengefasst kann man feststellen: sichtigte und in den Verhandlungen mit Russland ange- Wir brauchen nicht weniger, sondern mehr KSE. botene Schritt-für-Schritt-Ratifizierung hat nach unserer (Winfried Nachtwei [BÜNDNIS 90/DIE Auffassung nie richtig funktioniert und wird es auch in GRÜNEN]: Richtig!) Zukunft nicht tun. Dafür hat sich Russland auch selbst schon zu weit vom KSE-Konsens entfernt. Dafür werden wir uns auch weiterhin einsetzen. Wladimir Putin hat bei seiner Entscheidung zur Aus- Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. setzung des KSE-Vertrages mehrfach auf die andauernde Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 133. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. Dezember 2007 13971

Elke Hoff (A) Debatte um die Stationierung des US-Raketenabwehr- (Winfried Nachtwei [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- (C) systems auf europäischem Boden verwiesen. Die russi- NEN]: Hals über Kopf nach 15 Jahren?) sche Kritik an der US-Raketenabwehr ist in diesem Fall Die Forderung der FDP-Bundestagsfraktion berück- aber nur ein willkommener Anlass für den Kreml, um sichtigt und bewahrt zum einen den NATO-Kompromiss ein weiteres Instrument der internationalen Rüstungs- und sendet zum anderen ein weiterreichendes Signal an kontrolle infrage zu stellen sowie den Umbau und die die Moskauer Führung, als es der Koalitionsantrag sel- Modernisierung der eigenen Streitkräfte voranzutreiben. ber vorschlägt. Die FDP-Bundestagsfraktion fordert die (Dr. Werner Hoyer [FDP]: Das ist leider Bundesregierung deshalb auf, schnellstmöglich den Ra- wahr!) tifizierungsprozess einzuleiten, das Anpassungsüberein- kommen für den KSE-Vertrag dem Deutschen Bundes- Eine solche Vermischung ist unredlich. Der KSE-Vertrag tag zur Abstimmung vorzulegen und innerhalb der wird so zu einem Spielball der nationalen Interessen NATO-Staaten für ein solches Vorgehen zu werben. Es Moskaus. Das ist aus unserer Sicht nicht akzeptabel. ist vielleicht die letzte Chance zur Rettung des KSE-Ver- trages. Sie muss im sicherheitspolitischen Interesse aller Die russische Aussetzung der Verifikations- und In- Mitglieder nachhaltig genutzt werden. formationspflichten des KSE-Vertrages droht nun das gesamte KSE-Regime aufs Spiel zu setzen. Ein endgülti- Danke für Ihre Aufmerksamkeit. ger Zusammenbruch würde aber den sicherheitspoliti- (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten schen Interessen keines einzigen Mitgliedstaates dienen, der SPD) auch nicht den russischen. Der ehemalige russische Au- ßenminister Iwanow hat dies auf der letzten Sicherheits- Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: konferenz in München noch einmal sehr deutlich betont. Das Wort hat jetzt der Kollege Hans Raidel von der Ziel aller Vertragsparteien sollte es deshalb sein, doch CDU/CSU-Fraktion. noch eine Lösung zur Bewältigung dieser Krise bei der (Beifall bei der CDU/CSU) konventionellen Rüstungskontrolle zu finden. Hierfür müssen aber alle Seiten Positionen überprüfen und Be- Hans Raidel (CDU/CSU): weglichkeit zeigen. Dann besteht noch ein gewisser An- Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und lass zur Hoffnung, dass eine Rettung des KSE-Regimes Herren! Mit der heutigen Debatte und unserem frak- möglich ist. Denn die russische Aussetzung des KSE- tionsübergreifenden Antrag ermuntern und bitten wir die Vertrages ist ausdrücklich keine endgültige Kündigung. Bundesregierung, durch neue Impulse die konventio- Der russische Präsident hat erst in der vergangenen Wo- (B) nelle Abrüstung in Europa zu stärken. Verehrte Frau (D) che betont, dass eine Rückkehr seines Landes in den Kollegin Hoff und verehrte Kollegen von den Grünen, Vertrag durchaus möglich sei. Zuvor werden aber auch Sie hätten nur bei uns mitmachen müssen. die NATO-Staaten deutlich machen müssen, dass sie im- mer noch am KSE-Vertrag festhalten, ohne den russi- (Elke Hoff [FDP]: Oder ihr bei uns!) schen Muskelspielen dabei allerdings zu sehr entgegen- Dann hätten wir einen gemeinsamen Antrag formulieren zukommen. können. Aber Sie haben sich ein bisschen außerhalb des Russland hat die Istanbuler Verpflichtungen noch Themas gestellt. Nun beklagen Sie Ihre eigene Unfähig- nicht gänzlich erfüllt. Der Abzug der letzten russischen keit, kompromissbereit zu sein. Truppen aus Georgien im vergangenen Monat hat im- Der Verbund aller internationalen Abrüstungs- und merhin ein ganzes Jahr vor dem geplanten Abzug statt- Rüstungskontrollverträge und -abkommen bildet ein si- gefunden. Dies nährt auf unserer Seite die Hoffnung, cherheitspolitisches Netzwerk. Jeder gescheiterte oder dass sich Moskau an seine Verpflichtungen gebunden nicht implementierte Vertrag ist eine Lücke in diesem fühlt. Vor diesem Hintergrund wäre aus unserer Sicht Regime und kann somit zu einer Gefährdung der interna- richtig, dass die NATO-Staaten mit dem Ratifizierungs- tionalen Sicherheit führen; darüber sind wir uns alle ei- prozess beginnen. Die Ratifizierungsurkunden sollten nig. Man geht beim KSE-Vertrag davon aus, dass es eine aber erst dann endgültig hinterlegt und Verhandlungen Reduzierung der Verteidigungsfähigkeit auf möglichst über eine Reform des KSE-Vertrages in Aussicht gestellt niedrigem Niveau geben soll. Dabei sind nicht nur die werden, wenn dies alles gesichert ist. Denn eine solche KSE, sondern alle abrüstungspolitischen Regime zu be- Ratifizierung des KSE-Vertrages durch die NATO-Staa- rücksichtigen. Wir alle sind uns darüber einig, dass das ten, wie sie im Antrag der Kollegen von Bündnis 90/Die eine gewaltige, immer fortbestehende Aufgabe ist. Nun Grünen vorgeschlagen ist, ist mit dem Inkrafttreten des müssen wir feststellen: Deutschland ist Partner, aber russischen Moratoriums nach unserer Auffassung ein nicht Key-Player. Das sind die USA und Russland. Un- falsches Signal. Deutschland und die NATO-Staaten sere Aufgabe besteht darin, positiv zu beeinflussen, da- müssen mit einer weitestgehenden Vorbereitung der Ra- mit die Abrüstungsregime weiter in unserem Sinne ver- tifizierung einen nachhaltigen Anreiz setzen, um den vollständigt werden können. Kreml zu einer Wiederaufnahme der Erfüllung seiner (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Vertragspflichten zu bewegen. Man darf Moskau jetzt nicht durch eine Hals-über-Kopf-Ratifizierung bedin- Der KSE-Vertrag einschließlich des Wiener Doku- gungslos in die Hände spielen. mentes und Open Skies hat eine Vorbildfunktion. Es ist 13972 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 133. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. Dezember 2007

Hans Raidel (A) gelungen, praktische Abrüstungsschritte, zum Beispiel Ich bin der Auffassung, dass gerade Deutschland ein (C) Obergrenzen bei Material und Personal, zu fördern. Wir großer Nutznießer des KSE-Vertrags war und ist. Erin- alle sind uns darüber einig, dass dieser Vertrag einen nern wir uns: Ohne die Arbeit innerhalb dieses Vertrags- grundlegenden Beitrag zu einem sicheren Europa leistet regimes wäre die Wiedervereinigung in dieser Form und ein zentrales Instrument der konventionellen Rüs- wohl nicht möglich gewesen. tungskontrolle ist. Nun hat Russland diesen Vertrag in- frage gestellt. Nichtanwendung, Aussetzung und Annul- (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. lierung sind die Schlagworte. Die Russen begründen das Winfried Nachtwei [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- damit, dass sie sich durch die NATO, insbesondere durch NEN] und des Abg. Gert Winkelmeier [frak- die USA, eingekreist fühlen. Insbesondere die Raketen- tionslos]) abwehrfrage ist ihnen ein Dorn im Auge. Sie wollen re- Ich glaube, dass wir davon in besonderer Weise profitiert spektiert werden. Die verbale Kraftmeierei treibt hier haben. Deswegen müssen wir weiter dafür werben, dass – das wurde bereits richtig beschrieben – erstaunliche nicht nur dieser Vertrag bestehen bleibt, sondern dass Blüten. Ich persönlich gehe davon aus, dass erst nach der auch alle anderen abrüstungspolitischen Regime im po- Präsidentschaftswahl im Frühjahr 2008 ein bisschen sitivsten Sinne aufrechterhalten werden und dass vor al- Normalität einkehren wird und dass dann wieder über lem Vertragskündigungen – von welcher Seite auch im- Modalitäten ordentlich geredet und der ursprüngliche mer – überprüft und zurückgenommen werden. Zustand wiederhergestellt werden kann. Technische Anpassungen sollten ausschließlich sachbe- (Winfried Nachtwei [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- zogen behandelt werden. NEN]: Aber dann kann der Zug auch abgefah- ren sein!) Nach meiner Auffassung muss die europäische Karte verstärkt ins Spiel gebracht werden. Die europäische – Ich persönlich glaube nicht daran; denn nach wie vor Abrüstung und die europäische Rüstungskontrolle müs- bestehen Arbeitsgruppen, in denen vernünftig über prak- sen eigentlich eine Säule unserer Sicherheitspolitik wer- tische Fragen geredet wird. Ich glaube, dass die Einsicht den. Derzeit gibt es in Europa noch keine arbeitsfähigen in den Nutzen des Vertrages obsiegen wird. Ich bin ganz Rüstungskontrollelemente, durch die genau diese Fragen sicher, dass die Russen eher an der Fortsetzung des Ver- in höherem Maße europäisiert werden könnten, als dies trages als an seiner Annullierung interessiert sind. Aller- durch die Erklärung von 2003 geschehen ist. dings besteht die Gefahr – das will niemand ausschlie- ßen – nach wie vor. Vorhin ist die deutsche Politik ein bisschen kritisiert worden. Ich möchte feststellen, dass gerade unsere Ab- Wir dürfen selbstverständlich nicht zulassen, dass die rüstungspolitik immer sehr zielführend und auch erfolg- (B) europäische Sicherheitsarchitektur geschwächt wird, reich war. Viele Fortschritte in den einzelnen Regimen (D) dass das Sicherheitshaus Europa negativ verändert wird. basieren auf deutschen Ideen und auf deutschen Vor- Darüber sind wir uns alle selbstverständlich einig. Wir schlägen. Wir haben in Begleitung mancher Länder hier müssen aber auch die Kehrseite berücksichtigen. Ich gute Schrittmacherdienste geleistet. Ich bin der Meinung stelle nicht nur die russische Position infrage. Ich glaube, – da stimmen Sie mir sicherlich alle zu –, dass wir in der wir sollten durchaus auch unseren amerikanischen Abrüstungspolitik weiterhin Motor sein sollten. Wir alle Freunden ab und zu sagen, dass sie bei der Wahrung be- wissen: Das bedeutet das Bohren dicker Bretter, und es rechtigter Sicherheitsinteressen der USA, der NATO, bedarf eines langen Atems. Deswegen möchte ich mich Europas – letztlich geht es um den Weltfrieden – an Ak- bei Ihnen, Herr Minister, und vor allem bei Ihren Mitar- zeptanz und Durchsetzungskraft verlieren, wenn sie sich beitern, allen voran bei Botschafter Gröning, der in unse- im verminten Feld der Diplomatie mit russischen Proble- rem Namen eine ausgezeichnete Arbeit geleistet hat, men, Ängsten und Nöten manchmal etwas unbekümmert sehr herzlich bedanken. auseinandersetzen. Auch das muss in diesem Zusam- menhang erwähnt werden. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE Jeder weiß, dass wir alle in einem Boot sitzen und GRÜNEN) dass wir gemeinsam sehr viel tun können, wenn wir uns einig sind. Wir vertreten die Auffassung, dass wir ge- Wir sollten diese Arbeit parlamentarisch nach Kräften meinsam mit unseren Partnern, mit der NATO und mit fördern. allen Interessierten alles tun müssen, damit dieses Ich bin sicher, dass der Anlass dieser Debatte uns alle Thema aktuell bleibt und der KSE-Vertrag nicht von der beflügeln sollte, zu versuchen, dass wir vielleicht in ei- Tagesordnung verschwindet. Herr Minister, dieses nem Jahr etwas mehr Licht im Dunkel haben. Wir wis- Thema muss zur richtigen Zeit wieder auf die Tagesord- sen, dass der KSE-Vertrag im Moment etwas in Schwie- nung gesetzt werden. Die anstehende Sicherheitskonfe- rigkeiten – manche sagen sogar: ins Zwielicht – gebracht renz in München kann hier erste Hinweise liefern. Ich worden ist, aber gemeinsam können wir diesen Zug wie- persönlich bin der Meinung, dass der KSE-Vertrag auf der aufs richtige Gleis setzen. Im Sinne unserer Sicher- der NATO-Konferenz in Bukarest im Februar 2008 an- heit wünschen wir uns das alle. gesprochen werden könnte und sollte. Dort sollen wei- tere Möglichkeiten der Zusammenarbeit ausgelotet wer- Herzlichen Dank. den. Soweit ich weiß, steht dieses Thema auf der Tagesordnung. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 133. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. Dezember 2007 13973

(A) Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Bulgarien und Rumänien. Das ist genau der Grund dafür, (C) Das Wort hat der Kollege Paul Schäfer von der Frak- dass wir sagen: Jetzt gilt es, innezuhalten. tion Die Linke. (Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert (Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert Winkelmeier [fraktionslos]) Winkelmeier [fraktionslos]) Jetzt muss verhindert werden, dass wir sozusagen in ei- nen neuen Aufrüstungskreislauf und in eine Spirale Paul Schäfer (Köln) (DIE LINKE): wechselseitiger Drohpolitiken kommen. Das heißt, Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Deutschland muss alles tun, was notwendig ist, um sich Spätestens jetzt wissen wir: Rüstungskontrolle und Ab- an den bestehenden KSE-Vertrag zu halten. Die Regie- rüstung in Europa befinden sich in der Krise. Die einsei- rung muss dem Bundestag den angepassten KSE-Vertrag tige Aussetzung des KSE-Vertrages durch Russland ist zuleiten und gegenüber den USA darauf hinwirken, dass nicht positiv zu bewerten. Es ist eine bedauerliche Reak- die US-Pläne für ein Raketenabwehrsystem zumindest tion, die auch aus veraltetem militärischem Gleichge- auf Eis gelegt werden. wichtsdenken gespeist ist; aber es ist eine nachvollzieh- bare Reaktion. (Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert Winkelmeier [fraktionslos]) Wenn jetzt die NATO diesen Schritt beklagt und ver- urteilt, dann gehört dazu eine gehörige Portion Chuzpe Der KSE-Vertrag schafft in der Tat weltweit einma- und Scheinheiligkeit; lige Transparenz, und er sichert eine ganze Reihe von vertrauensbildenden Maßnahmen. Deshalb ist es wich- (Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert tig, dass der Schalter wieder umgelegt wird. Aber der Winkelmeier [fraktionslos]) Vertrag sollte auch nicht mystifiziert werden. Die seiner- denn die NATO-Mitgliedstaaten haben sich bis heute ge- zeit vereinbarten Waffenobergrenzen sind längst obsolet weigert, den KSE-Vertrag zu ratifizieren. Dies hat unter geworden. Die damalige Flankenregelung greift nicht anderem die Konsequenz, dass die neuen NATO-Mit- mehr. Daher brauchen wir jetzt dringend ein Startsignal gliedstaaten im Baltikum keinerlei Beschränkungen un- für neue Verhandlungen über konventionelle Abrüstung terworfen sind. Russland hat ratifiziert. im OSZE-Rahmen. Das heißt, wir müssen weit darüber hinausgehen. Das ist jetzt die Aufgabe. Ohne die Einlei- Sie verweisen auf die Istanbul-Verpflichtung Russ- tung neuer Abrüstungsschritte wird der KSE-Vertrag lands. Ich möchte Ihnen einmal vorlesen, was die dama- nach meiner Überzeugung rasant an Bedeutung verlie- lige Bundesregierung im Jahresabrüstungsbericht 2002 ren. Die jetzige Krise muss als Chance genutzt werden, geschrieben hat. Ich zitiere: um die Debatte darüber einzuleiten, wie man die immer (B) (D) noch völlig überdimensionierten Streitkräfte in Europa Einige Staaten beharren aber auf der Erfüllung auch jetzt reduzieren kann. dieser nicht KSE-relevanten Verpflichtungen aus der Schlussakte von Istanbul durch Russland. Da- Im ersten Schritt sollte es zum Beispiel darum gehen, mit würde die Ratifikation des Anpassungsüberein- den Iststand als Höchstgrenze festzulegen. Zum Zweiten kommens von der Lösung eher untergeordneter könnte man über eine Reduzierung der Waffenarsenale Fragen abhängig gemacht, und es bestünde die Ge- im OSZE-Rahmen um ein Drittel reden. Das würde im- fahr, dass das Inkrafttreten des für die Sicherheit mer noch bedeuten, dass in diesem Raum über 66 000 und Stabilität des gesamten europäischen Konti- schwere Waffensysteme und weit über 2 Millionen Sol- nents so elementaren Rüstungskontrollabkommens daten stationiert sind. auf die lange Bank geschoben oder gar unmöglich wird. Ich könnte Ihnen jetzt im Einzelnen vorrechnen, was das für die Waffenkategorien bedeutet. Wenn wir die Das hat die damalige Bundesregierung gesagt. Waffenarsenale nur um ein Drittel reduzierten, dann reichten die restlichen Waffenarsenale allemal, um allen (Winfried Nachtwei [BÜNDNIS 90/DIE Sicherheitsbelangen gerecht zu werden. Drittens brau- GRÜNEN]: Das war sehr richtig!) chen wir einen neuen, tragfähigen Ansatz in der Abrüs- Das war eine sehr saubere und gute Begründung dafür, tungs- und Rüstungskontrollpolitik, der die qualitative dass es dieses Junktim nicht geben darf. Nur, gemacht Dimension berücksichtigt. Das heißt, bei neuen Rüs- hat man nichts, sondern im NATO-Schlepptau hat man tungstechnologien und -entwicklungen müsste über Mo- die Sache eben auf die lange Bank geschoben. ratorien gesprochen werden. Aber es geht nicht nur um die Nichtratifizierung des Zum Schluss. Wir reden in diesen Tagen viel von angepassten KSE-Vertrags. Wir reden hier über eine Frieden auf Erden. Nach meiner Überzeugung können ganz Palette von Maßnahmen, die Russland herausgefor- wir das nur erreichen, wenn wir uns dafür einsetzen, dass dert haben und die zugleich das Gegenteil von Vertrau- es weniger Waffen und weniger Soldaten in Europa ge- ensbildung sind. Wir reden über die geplante Stationie- ben wird. In diesem Sinne darf ich uns allen ein frohes rung von US-Raketenabwehrsystemen in Tschechien Fest und einen guten Start ins Jahr 2008 wünschen. und Polen, wir reden über die bisherigen NATO-Erwei- Danke. terungsrunden und die geplanten neuen Erweiterungs- runden mit Georgien sowie der Ukraine, und wir reden (Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert über die geplante Einrichtung von US-Stützpunkten in Winkelmeier [fraktionslos]) 13974 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 133. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. Dezember 2007

(A) Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: sollte man den angepassten KSE-Vertrag ohne weiteres (C) Das Wort hat jetzt der Kollege Winfried Nachtwei Hin und Her so schnell wie möglich ratifizieren. vom Bündnis 90/Die Grünen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Winfried Nachtwei (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Ich glaube, der Vorschlag, das Zug um Zug zu machen, Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! kommt zu spät. Man muss jetzt einen deutlichen Schritt Nach mehreren Warnungen hat Russland gestern, am machen. 12. Dezember, den Vertrag über Konventionelle Streit- Es gelten die Worte des internationalen Appells, der kräfte in Europa außer Kraft gesetzt. Nach dem heutigen ja auch von erfahrenen und bewährten KSE-Diplomaten Medienecho könnte man meinen: keine besonderen Vor- unterzeichnet wurde. Hier heißt es: kommnisse. Das ist allerdings eine große Täuschung. Alle Staaten und Völker Europas werden verlieren, Zur Erinnerung: Der KSE-Vertrag, der 1992 in Kraft wenn das KSE-Regime, ein beispielloses Instru- trat, setzte nicht nur den Rahmen für eine beispiellose ment für die Bewahrung des Friedens und von friedliche Abrüstung von mehr als 60 000 Großwaffen- höchster Bedeutung für die Zukunft Europas, jetzt systemen, sondern unterband darüber hinaus auch die zerstört werden sollte. vorherige Fähigkeit beider Seiten – vor allem der östli- Gerade an diesem Ort, der sich ja in der Nähe der frühe- chen Seite –, raumgreifende Offensiven oder Über- raschungsangriffe zu starten. Diese Fähigkeit wurde mit ren Mauer befindet, sollten wir uns bewusst sein, wie dem KSE-Vertrag beseitigt. Der Vertrag trug dadurch enorm wertvoll dieses KSE-Regime war und weiterhin ist. Deshalb sollten Sie sich von den Koalitionsfraktio- handfest zur Überwindung des Kalten Krieges und zur friedlichen Transformation mitteleuropäischer Staaten nen, auch wenn Sie die Oppositionsanträge ablehnen bei. Vielleicht meint man: Wozu braucht man Informa- – das werden Sie natürlich jetzt tun –, entsprechend an- ders verhalten. Ich vertraue da vor allem auf die bewähr- tionsaustausch und Inspektionen vor Ort? Dahinter steht ten Abrüstungspolitiker, die ich in den Reihen der Koali- folgender Grundsatz: Sicherheit soll durch Vertrauens- bildung und Offenheit geschaffen werden, nicht durch tion sehe, nämlich Gernot Erler, und Rolf Mützenich. Ich hoffe, lieber Rolf, die Rede, die du gleich Misstrauen, Konkurrenz und Geheimhaltung. Das ist ein halten wirst, geht auch in diese Richtung. ganz anderes Prinzip. Danke. 1999 wurde der KSE-Vertrag an die Struktur nach Auflösung des Ostblocks anpasst und später nur von we- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN nigen Staaten – Russland, Weißrussland, Ukraine usw. – sowie bei Abgeordneten der SPD) (B) ratifiziert. Damals waren – das wurde hier mehrfach an- (D) gesprochen – die Istanbul-Verpflichtungen, der Abzug Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: aus Georgien und Moldawien, ein Ratifizierungshinder- Aber zunächst hat der Kollege Gert Winkelmeier das nis. Was damals berechtigt war, ist unserer Auffassung Wort. nach heute nicht mehr berechtigt. Das Ratifizierungshin- dernis ist hinfällig, und zwar aus zwei Gründen: erstens, weil die Istanbul-Verpflichtungen weitestgehend umge- Gert Winkelmeier (fraktionslos): setzt sind – es sind nur noch Reste übrig –, und zweitens, Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! weil sich das Kräfteverhältnis – es gibt immer noch mili- Liest man den Koalitionsantrag, dann könnte es einem tärische Kräfteverhältnisse, und zwar, was die Potenziale so erscheinen, als ob sich der KSE-Vertrag deshalb in angeht – mit der weiteren NATO-Osterweiterung im Jahr der Krise befindet, weil Russlands Präsident vor zehn 2004 nochmals deutlich zugunsten der NATO verändert Monaten anlässlich der Münchner Sicherheitskonferenz hat. Das sind die entscheidenden Gründe dafür, dass wir ankündigte, den Vertrag auszusetzen. Dies hat er per De- meinen: Die Ratifizierungshindernisse waren früher be- kret am 14. Juli mit einer Frist von 150 Tagen auch ge- rechtigt, heute aber sind sie hinfällig. tan; seit gestern ist der KSE-Vertrag aus russischer Sicht nicht mehr bindend. Die Koalition verwechselt aber in Wir müssen uns darüber im Klaren sein – das haben ihrem Antrag Ursache mit Wirkung. Anlass der russi- eigentlich alle gesagt –: Der KSE-Vertrag ist ein Eck- schen Reaktion war die Ankündigung der USA, neue pfeiler kooperativer Sicherheit in Europa; aber nicht nur Raketen in Polen zu stationieren und eine Radaranlage in das. Er ist zugleich ein Modell für andere Regionen der Tschechien aufzubauen. Von beidem fühlt sich Russland Welt, um dort endlich zu Rüstungskontrolle und Abrüs- bedroht. tung zu kommen. Hieran hat jede Bundesregierung seit den frühen 90er-Jahren ein erhebliches Interesse gehabt. Die Ursache für die Krise des angepassten KSE-Ver- Gerade die Bundesregierungen – ich sage das ausdrück- trages liegt aber wohl darin, dass die NATO-Staaten nie lich im Plural – haben sich in diesem Bereich immer be- wirklich vorhatten, den angepassten Vertrag von 1999 zu sonders eingesetzt. Wir haben keinen Zweifel daran, ratifizieren. Zeugnis dafür ist, dass sie im Jahre 2000 in dass auch diese Bundesregierung ein ehrliches Interesse Florenz neue Ratifizierungsbedingungen nachgeschoben daran hat. haben. Das nenne ich vorsätzlich unfaires Verhandeln. Überhaupt muss man der deutschen Außenpolitik in die- Nach der russischen Suspendierung – sie ist ohne ser Sache vorwerfen, in den letzten acht Jahren keine ei- Zweifel deutlich zu kritisieren – geht es um nicht weni- genständigen Initiativen für die Ratifizierung ergriffen ger als die Rettung dieses Vertragssystems. Deshalb zu haben. Sie hätten doch den Prozess längst einleiten Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 133. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. Dezember 2007 13975

Gert Winkelmeier (A) können. Das wäre der deutschen Außenpolitik angemes- vonseiten der USA und an die Erosion des Atomwaffen- (C) sen gewesen. sperrvertrages. Dadurch haben sich Fehlentwicklungen in diesem Bereich leider verstetigt. Für die Aufrechterhaltung der von den Bundesregie- rungen vielbeschworenen strategischen Partnerschaft Die Rüstungskontrolle als Instrument für Stabilität mit Russland reicht es eben nicht, nur der amerikani- und Kooperation gerät in Gefahr: in Europa und insbe- schen Politik hinterherzulaufen. Welche Signale hat sondere in den Regionen, die Abrüstung und Rüstungs- Russland denn durch die Politik der USA und der NATO kontrolle brauchen. Weil die betreffenden Länder eigent- empfangen? Die einseitige Kündigung des ABM-Vertra- lich von Europa lernen könnten, ist dies gestern kein ges im Jahre 2002 durch die USA, die Dauerblockade gutes Signal gewesen. gegen eine multilaterale Kontrolle der Biowaffenkon- vention durch die USA, die Raketenabwehrstationie- Hier ist schon daran erinnert worden, dass es mit dem rungspläne und nicht zuletzt die zweimalige NATO- KSE-Vertrag möglich wurde, 60 000 konventionelle Osterweiterung. Also beklagen Sie als Bundesregierung Großwaffensysteme zu beseitigen. In diesem Vertrag doch nicht die Krise der Rüstungskontrolle, die Sie wurde eigentlich eine Utopie der 70er-Jahre, insbeson- selbst mit herbeigeführt haben. dere verbreitet von , aufgenommen, nämlich die Herstellung der Angriffsunfähigkeit in Europa, so- Deutschland hat mehr als alle anderen europäischen dass man zu einer Offensive nicht mehr in der Lage ist. Staaten vom KSZE-Prozess und den Abrüstungs- und Deswegen war und ist dieser Vertrag so wichtig. Rüstungskontrollmaßnahmen profitiert. Daraus ist aber auch eine Verpflichtung entstanden, nämlich die Ver- Man muss sagen, dass die Suspendierung des Vertra- pflichtung, sich für weitere Abrüstung einzusetzen. Die- ges durch Russland falsch war; es war ein falsches Si- ser Verpflichtung kommen die Bundesregierungen seit gnal zur falschen Zeit. Jahren immer weniger nach. Ihnen ist die Hochrüstung (Beifall bei der SPD und der FDP sowie bei der Bundeswehr für die globale Machtprojektion offen- Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜ- sichtlich wichtiger. NEN) Gegen Ende des Kalten Krieges hatten alle Beteilig- Man muss dies an dieser Stelle so deutlich sagen, weil ten eine wichtige Lektion gelernt: Sicherheit ist nur mit- dadurch die Bemühungen der Bundesregierung er- einander, nicht aber gegeneinander zu haben. Das schwert werden. Es war nämlich die Bundesregierung, scheint in Teilen der politischen Klasse unseres Landes die in Bad Saarow die ersten Gespräche innerhalb des in Vergessenheit geraten zu sein. Die Ratifizierung des NATO-Rahmens mit anderen Partnern geführt hat. Lei- AKSE-Vertrages liegt zutiefst im europäischen und im der muss ich sagen, dass auch mein Besuch vor 14 Tagen (B) deutschen Interesse, allerdings weniger wegen der ver- in Moskau, bei dem ich ein Gespräch mit dem Vorsitzen- (D) einbarten Obergrenzen; denn diese werden inzwischen den des Außenpolitischen Ausschusses, Kossatschow, durch neue strategische Konzeptionen unterlaufen, siehe geführt habe, nicht das Ergebnis gebracht hat, das ich zum Beispiel die US-Stationierungsabkommen mit Bul- mir gewünscht habe, nämlich dass die Suspendierung garien und Rumänien. Vielmehr käme mit der Ratifizie- noch einmal überdacht wird. rung neuer Schwung in die Abrüstungsbemühungen, weil verlorenes Vertrauen wiedergewonnen würde. Die- Das Problem hat – ich glaube, es ist von den Vorred- ser Schwung muss dann auch gegen den Widerstand nerinnen und Vorrednern richtig beschrieben worden – wichtiger Bündnispartner genutzt werden, damit dem zwei Seiten einer Medaille. Es steht für mich außer Thema Rüstungskontrolle wieder der ihm gebührende Frage, dass russische Interessen missachtet oder zumin- Platz bei der Friedenserhaltung zugewiesen werden dest gering geschätzt worden sind. Wir müssen uns die- kann. ser Einschätzung vorurteilsfrei stellen. Der entschei- dende Punkt an dieser Stelle ist, dass Russland mit der Vielen Dank. Suspendierung den KSE-Vertrag instrumentalisiert hat, (Beifall bei der LINKEN) was sich irgendwann gegen das Land selbst richten wird. Dieses Problem müssen wir den russischen Akteuren Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: deutlich machen. Als letzter Redner zu diesem Tagesordnungspunkt hat (Beifall bei der SPD) jetzt der Kollege Dr. Rolf Mützenich von der SPD-Frak- tion das Wort. Entscheidend ist aus meiner Sicht, dass der russische Präsident – möglicherweise der neue russische Präsident – (Beifall bei der SPD) ohne die Duma die Möglichkeit hat, diesen Vertrag wie- der in Kraft zu setzen. Dies wäre ein wichtiges Signal. Dr. Rolf Mützenich (SPD): Wir müssen die dann möglicherweise neue politische Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Führung in Moskau davon überzeugen, von diesem In- Gestern war kein guter Tag für die Rüstungskontrolle. strument Gebrauch zu machen. Wir bedauern dies und hoffen, dass das Jahr 2008 grö- (Beifall bei der SPD) ßere Fortschritte bringt. Die Suspendierung des KSE- Vertrages durch Russland hat die Krise der Rüstungs- Wir Sozialdemokraten sind bereit zu einer Ratifizie- kontrolle nur noch verstärkt. Ich erinnere in diesem Zu- rung des AKSE; dies haben wir immer deutlich gesagt. sammenhang an die Kündigung des ABM-Vertrages Ich möchte daran erinnern, dass wir bereits 2005 das da- 13976 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 133. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. Dezember 2007

Dr. Rolf Mützenich (A) mals unter einer anderen Führung stehende Auswärtige Bündnisses 90/Die Grünen bei Enthaltung der Fraktion (C) Amt gebeten haben, den Prozess einer vorläufigen Rati- Die Linke angenommen. fizierung einzuleiten. Mit Verweis auf Probleme bei den notwendigen Verfahrensschritten ist dieses Anliegen zu- Tagesordnungspunkt 9 b. Unter Nr. 2 seiner Beschluss- rückgewiesen worden. Dennoch bitten wir die Bundesre- empfehlung empfiehlt der Ausschuss die Ablehnung des gierung, erneut zu prüfen, ob mit den entsprechenden Antrages der Fraktion der FDP auf Drucksache 16/6431 Kommunikationsmöglichkeiten, die der Staatsminister mit dem Titel „Deutschland muss rüstungskontrollpoliti- angedeutet hat, dieses Verfahren durchzuführen ist. Im sche Glaubwürdigkeit beweisen – angepassten KSE-Ver- britischen Unterhaus ist dieses Verfahren gewählt wor- trag dem Deutschen Bundestag zur Abstimmung vorle- den, ebenso in anderen Parlamenten. Ich glaube, wir tä- gen“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – ten gut daran, wenn wir entsprechende Schritte zumin- Wer ist gegen die Beschlussempfehlung? – Enthaltun- dest prüfen würden. gen? – Damit ist die Beschlussempfehlung mit den Stim- men der Koalitionsfraktionen und der Fraktion Die (Beifall bei der SPD und der FDP sowie bei Linke gegen die Stimmen der Fraktion der FDP und bei Abgeordneten der LINKEN) Enthaltung der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen ange- nommen. Außerdem ist es notwendig, dass wir eine Debatte darüber beginnen, ob ein weiterer Vertrag über die kon- Tagesordnungspunkt 9 c. Unter Nr. 3 seiner Beschluss- ventionelle Abrüstung in Europa möglich ist. Dieses Ziel empfehlung empfiehlt der Ausschuss die Ablehnung des wird man wahrscheinlich nicht vor der endgültigen Rati- Antrages der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Druck- fizierung des AKSE umsetzen können. Auf jeden Fall sache 16/6605 mit dem Titel „Angepassten Vertrag über sollten Vorgespräche laufen. Ich glaube schon, dass das, Konventionelle Streitkräfte in Europa ratifizieren“. Wer was in Bad Saarow und in Paris diskutiert wurde und zu- stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer ist dage- künftig an anderer Stelle diskutiert wird, Anhaltspunkte gen? – Enthaltungen? – Die Beschlussempfehlung ist da- dafür liefern wird, wie wir möglicherweise zu einem mit mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die KSE-3-Vertrag kommen können. Stimmen der Fraktionen Die Linke und Bündnis 90/Die Grünen bei Enthaltung der Fraktion der FDP angenom- Der gestrige Tag war ein schlechter Tag für die Rüs- men. tungskontrolle. Ich möchte aber auch daran erinnern, dass heute der 40. Jahrestag der Vorlage des Harmel-Be- Ich rufe nun die Tagesordnungspunkte 10 a und 10 b richts ist. Der Harmel-Bericht bedeutete einen wichtigen auf: Fortschritt sowohl für die NATO als auch für Europa. In diesem Bericht wurde auf der einen Seite für Stabilität 10 a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Katja (B) plädiert, auf der anderen Seite aber auch für Rüstungs- Kipping, Klaus Ernst, Dr. Lothar Bisky, weiterer (D) kontrolle. Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Ich bin der Bundesregierung sehr dankbar dafür, dass Anrechnung von Sachleistungen auf die Regel- Frank-Walter Steinmeier zusammen mit dem norwegi- leistung des SGB II bei stationärem Aufent- schen Außenminister eine Initiative gestartet hat, die auf halt ausschließen Abrüstung innerhalb der NATO abzielt. Das ist unser – Drucksache 16/7467 – Auftrag für 2008. b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be- Vielen Dank für die Aufmerksamkeit. richts des Ausschusses für Arbeit und Soziales (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie (11. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeordneten bei Abgeordneten der FDP) Katja Kipping, Klaus Ernst, Dr. Lothar Bisky, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Vizepräsidentin : Ich schließe die Aussprache. Einführung einer Weihnachtsbeihilfe für Grundsicherungsbezieherinnen und Grundsi- Wir kommen zu den Abstimmungen zur Beschluss- cherungsbezieher empfehlung des Auswärtigen Ausschusses auf Druck- sache 16/7505. – Drucksachen 16/7041, 16/7511 – Tagesordnungspunkt 9 a. Abstimmung über den An- Berichterstattung: trag der Fraktionen der CDU/CSU und der SPD mit dem Abgeordneter Gabriele Hiller-Ohm Titel „Die Krise des KSE-Vertrages durch neue Impulse Ich weise darauf hin, dass wir über den Antrag zur für konventionelle Abrüstung und Rüstungskontrolle in Anrechnung von Sachleistungen später namentlich ab- Europa beenden“. Der Ausschuss empfiehlt unter Nr. 1 stimmen werden. seiner Beschlussempfehlung, den Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und der SPD auf Drucksache 16/6603 an- Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die zunehmen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen, wobei die Wer ist dagegen? – Enthaltungen? – Die Beschlussemp- Fraktion Die Linke fünf Minuten erhalten soll. – Ich fehlung ist damit mit den Stimmen der Koalitionsfraktio- höre dazu keinen Widerspruch. Dann werden wir so ver- nen gegen die Stimmen der Fraktionen der FDP und des fahren. Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 133. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. Dezember 2007 13977

Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt (A) Ich eröffne die Aussprache und erteile als erster Red- (Frank Spieth [DIE LINKE]: Ja, das denken (C) nerin das Wort der Kollegin Katja Kipping von der Frak- die! Die Regierung leidet doch unter Realitäts- tion Die Linke. verlust!) (Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert So gut ist das Krankenhausessen für Kassenpatienten Winkelmeier [fraktionslos]) wahrlich nicht. Außerdem müsste auch Ihnen bekannt sein, dass ein Katja Kipping (DIE LINKE): Aufenthalt im Krankenhaus mit zusätzlichen Kosten ein- Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Bun- hergeht. So ist zum Beispiel das Telefonieren im Kran- desregierung hat eine Verordnung verabschiedet, die vor- kenhaus wesentlich teurer. Nach einer schweren OP ist sieht, dass Arbeitslosengeld-II-Bezieher, die länger als man geschwächt, kann nicht mit dem Fahrrad fahren und 21 Tage in ein Krankenhaus müssen, ab dem 1. Januar muss womöglich Geld für ein Taxi bezahlen. Im Übrigen des nächsten Jahres einen um 35 Prozent gekürzten ist es sehr wahrscheinlich, dass nach einer schweren Er- Hartz-IV-Regelsatz erhalten – und das, obwohl der Re- krankung oder nach einer schweren Operation höhere gelsatz ohnehin schon viel zu niedrig ist. Kosten anfallen, zum Beispiel deshalb, weil Heilmittel (Stefan Müller [Erlangen] [CDU/CSU]: Das oder gesündere Lebensmittel erworben werden müssen. ist die Weihnachtskarte, die Sie hier verteilen, Ich meine, Arbeitslosengeld-II-Bezieher, die gerade eine oder?) schwere Krankheit durchgemacht oder eine schwere Operation hinter sich haben, sollten nicht auch noch da- Das kann unter anderem Folgendes bedeuten: Ein Ar- durch schikaniert werden, dass der Regelsatz des ALG II beitslosengeld-II-Bezieher, bei dem Krebs diagnostiziert um 35 Prozent gekürzt wird. wird, muss zu einer Chemotherapie. Eine solche Behand- lung dauert in der Regel länger als 21 Tage. Damit hat er (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- die Bagatellgrenze überschritten. Das heißt, nach einigen neten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN Wochen wird diesem Menschen das ohnehin niedrige und des Abg. Gert Winkelmeier [fraktionslos]) Arbeitslosengeld II gekürzt, und zwar um 121 Euro. In Zweitens ist Ihre Verordnung vor allen Dingen eines: einer Situation, in der es diesem Menschen schon richtig ein Bürokratievermehrungsprogramm. Herr Alt von der dreckig geht, wird also noch eins obendrauf gesetzt. Ich Bundesagentur für Arbeit hat es gestern im Sozialaus- finde, diese Verordnung muss gestoppt werden. schuss auf den Punkt gebracht, indem er sagte – ich zi- (Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert tiere erneut –: Winkelmeier [fraktionslos] – Der dadurch entstehende Aufwand ist für alle Be- (B) [SPD]: Wie kommen Sie denn auf 121 Euro?) teiligten ärgerlich. (D) – Frau Nahles, da Sie mich gerade fragen, wie ich auf Drittens. Diese Verordnung ist ein Schlag ins Gesicht 121 Euro komme, empfehle ich Ihnen, nachzulesen, wel- des Parlaments. Der Petitionsausschuss hat einstimmig che Aussagen von Mitgliedern Ihrer Regierung, zum beschlossen, dass das Arbeitslosengeld II eine pauscha- Beispiel von Klaus Brandner, getroffen wurden. lierte Leistung ist und dass das Krankenhausessen des- (Andrea Nahles [SPD]: Denken Sie daran: wegen kein Grund für eine Rückforderung sein kann. 1 Prozent Obergrenze!) (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- Diese Verordnung ist eines der ersten Produkte des neten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN unter neuer Führung stehenden Sozialministeriums. Herr und des Abg. Gert Winkelmeier [fraktionslos]) Staatssekretär Brandner und Herr Minister Scholz, ich Wir alle haben dies am 25. Oktober dieses Jahres ein- muss Ihnen sagen: Sie starten mit einer grandiosen Fehl- stimmig bestätigt. Die Bundesregierung aber ignoriert leistung, und zwar in dreifacher Hinsicht: dieses Votum des Parlaments und verabschiedet diese Erstens. Diese Verordnung ist ein Schlag ins Gesicht Verordnung einfach. Ich finde, jeder Abgeordnete, der der Betroffenen. noch einen Funken parlamentarischer Ehre im Leib hat, darf sich das nicht gefallen lassen. (Andrea Nahles [SPD]: Warum sprechen Sie denn immer von Verordnungen? Wir sind hier (Peter Weiß [Emmendingen] [CDU/CSU]: In für die Gesetze zuständig!) diese Kategorie fällt die Linkspartei mit Si- cherheit nicht! – Dr. [CDU/ Die Bundesregierung begründet ihren Schritt wie folgt CSU]: Dazu gehört ihr ja nicht!) – ich zitiere –: Wir alle sollten jetzt klar sagen: Stopp mit dieser Verord- Andernfalls würde es durch einen Aufenthalt im nung! Krankenhaus zur Einkommensverbesserung kom- men. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- neten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN (Heiterkeit bei der LINKEN) und des Abg. Gert Winkelmeier [fraktionslos]) Glauben Sie denn wirklich, die Arbeitslosengeld-II-Be- Liebe Kolleginnen und Kollegen von CDU/CSU und zieher stürmen jetzt haufenweise in das Krankenhaus, SPD, zeigen Sie, dass Sie mehr sind als die Westenta- nur weil sie dort verpflegt werden? schenreserve der Regierung! Sorgen Sie dafür, dass ein 13978 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 133. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. Dezember 2007

Katja Kipping (A) Krankenhausaufenthalt für Arbeitslosengeld-II-Bezie- Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: (C) her nicht zu einer Kürzung des Arbeitslosengeldes II Nächster Redner ist nun der Kollege Karl führt! Schiewerling für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und Winkelmeier [fraktionslos]) der SPD) Im zweiten Antrag, den die Fraktion Die Linke zur Abstimmung stellt, ist eine Weihnachtsbeihilfe in Höhe Karl Schiewerling (CDU/CSU): von 40 Euro für Asylsuchende und Arbeitslosengeld-II- Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe Beziehende vorgesehen. Kolleginnen und Kollegen! Über zwei Anträge haben wir heute zu befinden. Es ist richtig, dass der Petitionsaus- (Peter Weiß [Emmendingen] [CDU/CSU]: Wie schuss und am 25. Oktober 2007 der Deutsche Bundes- kann ein Vertreter der Linkspartei nur von tag beschlossen haben, dem Ministerium für Arbeit und Weihnachten sprechen?) Soziales eine Petition mit dem Anliegen, auf die Verrech- – Sie haben sich ja wiederholt echauffiert, dass sich aus- nung der Regelleistungen im SGB II bei einem stationä- gerechnet die Linke für Weihnachten einsetzt. ren Aufenthalt zu verzichten, zur Erwägung zu überwei- sen, auch weil eine Rechtsgrundlage dafür fehlte. (Peter Weiß [Emmendingen] [CDU/CSU]: Ja, Grundsätzlich ist jedoch die Bundesregierung, der eine klar!) Petition zur Erwägung überwiesen wurde, nicht ver- – Da Sie gerade „Ja, klar!“ rufen: Der Umgang mit pflichtet, das, was der Bundestag beschlossen hat – selbst Weihnachten war in der DDR nicht gerade unver- wenn er das einstimmig getan hat –, zu übernehmen und krampft; das kann man so sagen. das Petitum sofort umzusetzen. (Dr. Ilja Seifert [DIE LINKE]: Etwas Vernünf- (Peter Weiß [Emmendingen] [CDU/CSU]: Ich tiges zu tun, ist ja nicht verboten!) wollte ja nur einmal wissen, was Sie da eigent- lich feiern! – Weiterer Zuruf von der CDU/ Allerdings gestehe ich zu, dass es bei der Verabschie- CSU: So, so! Das ist ja interessant!) dung der Petition hier im Bundestag und der Erarbeitung der Verordnung durch das Ministerium eine Zeitüber- Das hat zum Glück aber nichts daran geändert, dass schneidung gegeben hat. Die Bundesregierung hat näm- Weihnachten auch für die meisten konfessionslosen lich am 5. Dezember 2007 eine Rechtsverordnung be- Menschen eine wichtige Familientradition ist. Im Übri- schlossen und damit das getan, was in der Petition gen finde ich, dass das, was Sie hier starten, ein ganz er- gefordert wurde: eine rechtliche Grundlage zu schaffen. (B) bärmliches Ablenkungsmanöver ist. (D) (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und (Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert der SPD – Zuruf von der LINKEN: Das darf Winkelmeier [fraktionslos]) doch wohl nicht wahr sein! – Weitere Zurufe Im Sozialausschuss hat sich eine Vierparteienkoali- von der LINKEN) tion gebildet – von der FDP über die CDU/CSU und die Damit ist geregelt, dass bis zu einer bestimmten Baga- SPD bis hin zu den Grünen –, die sich in der Ablehnung tellgrenze keine Verrechnungen erfolgen. Die Bagatell- der Einführung einer Weihnachtsbeihilfe in Höhe von grenze ist so gesetzt, dass bei einem stationären Aufent- 40 Euro einig ist. Hier muss ich insbesondere an die halt von drei Wochen keine Verrechnung erfolgt. Adresse der Christdemokraten und der Sozialdemokra- ten sagen: Die Ablehnung einer so bescheidenen Weih- (Peter Weiß [Emmendingen] [CDU/CSU]: nachtsbeihilfe von gerade einmal 40 Euro ist beschä- Aha!) mend, vor allen Dingen vor dem Hintergrund der sehr unbescheidenen Diätenerhöhung, die hier vor kurzem Bei Aufenthalten, die darüber hinausgehen und bis zu beschlossen wurde. sechs Monaten dauern, soll eine entsprechende Verrech- nung erfolgen. Zurzeit kann jedoch niemand sagen, wie (Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert viele Bezieher von SGB II davon betroffen sind oder be- Winkelmeier [fraktionslos]) troffen sein werden. Ich bin der Meinung, dass auch die Menschen, die auf (Dr. Ralf Brauksiepe [CDU/CSU]: Gut, dass den Bezug des Arbeitslosengeldes II oder auf die Ge- das mal klargestellt wird!) währung von Asyl angewiesen sind, das Recht auf ein schönes Weihnachtsfest haben. Ich gehe davon aus, dass sich die allermeisten Betroffe- nen nicht länger als drei Wochen einem Krankenhaus- (Peter Weiß [Emmendingen] [CDU/CSU]: Na- aufenthalt unterziehen müssen. Das wäre ihnen auch türlich haben sie das! Deswegen ist in der Pau- sehr zu wünschen. schale ja das Weihnachtsgeld enthalten!) (Beifall bei der CDU/CSU) Deswegen stellen wir heute die Einführung einer Weih- nachtsbeihilfe zur Abstimmung. Sollte sich dann in den nächsten Monaten herausstel- len, dass die durch die Rechtsverordnung entstehenden (Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert Verwaltungsaufwendungen zu hoch sind und in keinem Winkelmeier [fraktionslos]) Verhältnis zu dem möglichen Erfolg stehen, halte ich es Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 133. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. Dezember 2007 13979

Karl Schiewerling (A) für richtig, die Rechtsverordnung im Sinne von Entbüro- Was die betroffenen Menschen brauchen – und jetzt (C) kratisierung und Verwaltungsvereinfachung noch einmal hören Sie bitte genau zu; vielleicht können Sie das ja zu überdenken und dem Anliegen des Petitionsausschus- auch –, ses zu entsprechen. (Zuruf von der CDU/CSU: Die wollen doch gar nichts hören!) Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des ist unmittelbare, direkte Hilfe, um aus dem Leistungsbe- Kollegen Spieth? zug nach SGB II herauszukommen. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- Karl Schiewerling (CDU/CSU): neten der SPD) Ich gestatte jetzt keine Zwischenfrage. Das ist insbesondere für diejenigen Kinder notwendig, (Beifall bei der CDU/CSU – Peter Weiß [Em- die Sozialgeld beziehen und auf Unterstützung und För- mendingen] [CDU/CSU]: Die Fakten sprechen derung angewiesen sind, damit sie nicht auf Dauer – an- auch für sich!) ders als ihre Eltern – von Sozialleistungen abhängig wer- Daher lehnen wir den Antrag der Linken ab. den. Höhepunkt der zahlreichen Anträge, die die Linken (Zuruf des Abg. Dr. Ilja Seifert [DIE LINKE]) uns in diesem Jahr im Deutschen Bundestag beschert ha- Alle Anträge der Linken zielen aber darauf ab, die ben, ist aber der Antrag, der heute ebenfalls zur Abstim- Geldleistungen zu erhöhen. Nicht ein einziger Antrag mung ansteht: die Einführung eines Weihnachtsgeldes für der Linken beschäftigt sich intensiv mit der Frage, wie alle Grundsicherungsempfänger in Höhe von 40 Euro. Menschen aus dem Leistungsbezug herausgeholt werden (Beifall bei der LINKEN) können, und zwar außerhalb staatlicher Arbeitsmarkt- programme. Mit der Zusammenlegung von Arbeitslosenhilfe und So- zialhilfe wurden die einzelnen Leistungen pauschaliert. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- Daher ist der Regelsatz im SGB II auch höher als der neten der SPD – Widerspruch bei der LIN- Regelsatz nach dem alten Bundessozialhilfegesetz. Da- KEN) rin eingeschlossen sind auch sogenannte Weihnachtsbei- hilfen. Kurz vor Weihnachten geht es Ihnen weder um Weih- nachten noch um die Menschen. Es geht Ihnen aus- (Zurufe von der LINKEN – Jürgen Trittin schließlich darum, pünktlich zu Weihnachten Forderun- (B) [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Gucken Sie gen zu erheben, die ans Gemüt gehen, mit dem Ziel, hier (D) sich doch die Preise an!) im deutschen Parlament alle Parteien vorzuführen, die – Herr Trittin, auch Ihre Fraktion ist dagegen. Ich wäre gegen diese Forderungen sind und sie ablehnen. an Ihrer Stelle vorsichtig. (Zuruf von der CDU/CSU: Ja, genau! – Wider- Nun erleben wir, dass zu jeder Gelegenheit zusätzli- spruch bei der LINKEN) che Leistungen des Staates an die Empfänger von Sie wissen genau, dass alle anderen Parteien Ihren An- Grundsicherung gefordert werden. Während die einma- trag ablehnen werden. Rechtzeitig zum christlichen lige Leistung für besonderen Aufwand – das sage ich Weihnachtsfest wollen Sie gute Taten organisieren und sehr offen – bei der Einschulung von Kindern oder bei die Mitglieder aller anderen Fraktionen in diesem Hohen einer möglichen Mittagsversorgung an den Schulen für Haus als böse Menschen hinstellen, weil sie Ihren An- mich durchaus nachvollziehbare Sachleistungen wären, trag ablehnen. und zwar für die Kinder, die auf Sozialgeld angewiesen sind, kann ich weitere Zuwendungen, die über die jetzt (Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- pauschalierten Sätze hinausgehen, nicht nachvollziehen. NEN]: Die Große Koalition ist böse! Wir nicht!) Ich will Ihnen einen weiteren Gesichtspunkt nennen. Nach den Regeln des SGB II hat jede Bedarfsgemein- Dies tun sie unter anderem deswegen, weil alles vom schaft die Möglichkeit, zu dieser Grundsicherung Steuerzahler finanziert werden muss. 100 Euro im Monat ohne Abzug hinzuzuverdienen. Legt man von diesen 100 Euro jeden Monat 3,50 Euro zu- (Beifall bei der CDU/CSU) rück, kommt man auf 42 Euro, die man gut für Weih- Dieses Verhalten, das Sie an den Tag legen, ist – ich sage nachten, so wie Sie es gewünscht haben, einsetzen kann. Ihnen das in aller Deutlichkeit – heuchlerisch. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Ich bleibe dabei: Ihnen geht es nicht um die Men- Zuruf von der LINKEN: Eine Frechheit! – schen. In Marzahn-Hellersdorf hat der von Ihnen ge- Weitere Zurufe von der LINKEN) stellte Bezirksbürgermeister die finanzielle Förderung Ich bin sogar skeptisch, ob zusätzliche Barleistungen der Arche – das ist eine christliche Einrichtung, in der dort wirklich ankommen. vielen Kindern, die Sozialgeld bekommen, geholfen wird – systematisch abgeschafft. ( [DIE LINKE]: Der spinnt doch! – Weitere Zurufe von der LINKEN) (Zuruf von der CDU/CSU: So ist es!) 13980 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 133. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. Dezember 2007

Karl Schiewerling (A) Die Arche hat die jungen Menschen gefördert und ihnen Was sagen Sie den Rentnern, deren Renten nur etwas hö- (C) Perspektiven gegeben. Das passte Ihnen nicht. Deswe- her sind als die Grundsicherung im Alter? gen haben Sie der Arche Ihre Unterstützung entzogen. Wir lehnen Ihren Antrag ab. Ich bitte Sie herzlich, den (Zuruf von der CDU/CSU: Unglaublich!) Ausschuss und das Parlament mit weiteren Anträgen zu verschonen, Die Arche zeigt Perspektiven auf, wie Kinder auf Dauer ohne Sozialgeld auskommen können. Sie lehnen das ab. (Volker Schneider [Saarbrücken] [DIE LINKE]: Sie Dort, wo Sie regieren, haben Sie ein großes Interesse da- muten uns Ihre Anträge doch auch zu!) ran, dass die Menschen weiter unzufrieden bleiben. Denn unzufriedene Menschen bilden Ihr Wählerpoten- mit denen Sie nur nachforschen wollen, wie Sie an Geld zial. kommen können, mit denen Sie aber nicht aufzeigen, wie Menschen neue Perspektiven für ihr Leben gewin- (Katrin Kunert [DIE LINKE]: So ein nen können. Quatsch!) Ich danke Ihnen. Dieses Wählerpotenzial instrumentalisieren Sie für Ihre parteipolitischen Zwecke. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- neten der SPD und der FDP) (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- neten der SPD – Zuruf von der CDU/CSU: Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: Das sind die fatalen Weihnachtsgeschenke der Linken!) Bevor ich nun dem nächsten Redner das Wort erteile, will ich darauf hinweisen, dass der Kollege Leutert bei Sie verwenden in Ihrem Antrag – das will ich Ihnen den Ausführungen des Kollegen Schiewerling gerade nicht verwehren – das Wort „Weihnachtsfest“. Dann sa- zugerufen hat: „Der spinnt doch!“ gen Sie doch aber bitte in Ihrer eigentlichen Diktion, dass es Ihnen nicht um ein Weihnachtsgeld geht, sondern (Zurufe von der CDU/CSU und der FDP: Un- um eine „geflügelte Jahresendzeitprämie“. erhört!) (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- Herr Kollege Leutert, das ist nicht der Umgangston, der neten der SPD – Zuruf des Abg. Jürgen Trittin in diesem Hause gepflegt wird. Ich erteile Ihnen eine [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Rüge. Ihre eigentliche Wertschätzung für die christliche Bot- (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und der (B) schaft des Weihnachtsfestes wird daran deutlich, wie Sie FDP) (D) mit christlichen Initiativen umgehen. Nun hat das Wort zu einer Kurzintervention der Kol- Meine Damen und Herren, ich sage in aller Deutlich- lege Spieth. keit: Ich halte Ihre Argumentation hier im Parlament im Hinblick auf Ihr Verhalten dort, wo Sie regieren, für dop- Frank Spieth (DIE LINKE): pelzüngig und doppelbödig. Sie zeigen Ihr wahres Ge- Kollege Schiewerling, sind Sie erstens bereit, zuzuge- sicht außerhalb des Parlaments! ben, dass jeder Patient, der in ein Krankenhaus muss, (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- 28 Tage in einem Kalenderjahr Krankenhaustagegeld, neten der SPD) und zwar täglich 10 Euro, zahlen muss? Ich würde Ihnen dringend raten, den Menschen ein ande- Sind Sie zweitens bereit, zuzugeben, dass das Kran- res Geschenk zu machen. Das größte Geschenk, das Sie kenhaustagegeld, das die Patienten zahlen müssen, von den Betroffenen machen könnten – auch den Norbert Blüm, dem damaligen Minister der CDU/CSU, 177 000 Kindern, die in Marzahn-Hellersdorf in Be- mit der Begründung eingeführt wurde, dass die Patienten darfsgemeinschaften wohnen –, wäre es, mit aller Kraft damit einen Teil der „Hotelleistungen“ des Krankenhau- mitzuhelfen, dass diese Menschen einen Job bekommen, ses – so wurde das genannt – finanzieren sollen, das um ihren Lebensunterhalt aus eigener Kraft verdienen zu heißt, dass sie beispielsweise für Verpflegungsleistungen können. zahlen sollen? (Zuruf von der LINKEN) Sind Sie drittens bereit, zuzugeben, dass man Arbeits- losengeld-II-Empfänger, wenn man ihnen dieses Kran- Instrumentalisieren Sie nicht auch noch das Weih- kenhaustagegeld abverlangt und ihnen gleichzeitig Mit- nachtsfest – das nach Ostern höchste Fest der Christen – tel durch eine pauschale Kürzung entzieht, doppelt zur für Ihre Interessen. Wie wollen Sie eigentlich erklären, Kasse bittet, hier also, verglichen damit, wie andere Pa- dass diejenigen, die nur wenig mehr Geld verdienen, als tienten behandelt werden, eine Ungleichbehandlung vor- ALG-II-Empfänger bekommen, keinen staatlichen Zu- liegt? Sind Sie bereit, zu akzeptieren, dass dies sozial un- schuss erhalten, obwohl sie die Steuern aufbringen, mit zulässig ist und dem entschieden zu widersprechen ist? denen das Weihnachtsgeld finanziert werden soll? (Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. (Dr. Ralf Brauksiepe [CDU/CSU]: Sehr rich- Markus Kurth [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- tig!) NEN]) Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 133. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. Dezember 2007 13981

(A) Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: Heinz-Peter Haustein (FDP): (C) Herr Kollege Schiewerling, bitte. Selbstverständlich.

Karl Schiewerling (CDU/CSU): Katja Kipping (DIE LINKE): Ich bin bereit, zuzugeben, dass Empfänger von SGB-II- Lieber Kollege, Sie haben uns mit Verweis auf unse- Leistungen nach den derzeitigen Entwürfen der Bundes- ren Antrag Scheinheiligkeit vorgeworfen. regierung in den 21 Tagen, in denen sie im Krankenhaus (Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU und sind, keine Abzüge von ihren SGB-II-Leistungen be- der FDP) kommen sollen; das ist die Regel. Ich bin gerne bereit, zuzugeben, dass sich die Verord- Heinz-Peter Haustein (FDP): nung, um die es geht, in den nächsten Monaten in der Scheinheiligkeit gibt es bei Ihnen; das stimmt. Praxis bewähren muss; dann wird noch einmal eine Prü- fung erfolgen. Katja Kipping (DIE LINKE): (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Zuruf Deshalb möchte ich erstens fragen, ob es nicht schein- von der LINKEN: Bewähren? Super!) heilig ist, wenn Sie die Weihnachtsbeihilfe, die wir vor- schlagen, ablehnen und das mit Ausführungen über die Geschichte von vor mehr als 17 Jahren begründen, Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: Nun hat das Wort der Kollege Haustein für die FDP- ( [FDP]: Nein!) Fraktion. anstatt zu sagen, welche aktuellen Argumente Sie für die (Beifall bei der FDP) Ablehnung der Weihnachtsbeihilfe haben. Zweitens möchte ich Sie fragen: Sind Sie bereit, zur Heinz-Peter Haustein (FDP): Kenntnis zu nehmen, dass sich die Partei Die Linke sehr Sehr verehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten wohl kritisch mit ihrer Vergangenheit auseinandergesetzt Damen und Herren! „Oh du fröhliche, oh du selige hat, Weihnachtszeit“, so schallt es in den Kirchen und Stuben (Lachen bei der CDU/CSU – Dr. Ralf zu Weihnachten in ganz Deutschland und fast in aller Brauksiepe [CDU/CSU]: Wo denn? – Arnold Welt. Vaatz [CDU/CSU]: Sag nein!) (Peter Weiß [Emmendingen] [CDU/CSU]: dass sich in unseren Reihen viele Menschen verschiede- (B) Auch im Erzgebirge!) ner Konfessionen befinden, dass – auch wenn das viel- (D) leicht nicht in Ihr oder in das Weltbild der CDU/CSU Weihnachten ist ein schönes Fest. Die Christen gedenken passt – auch Menschen, die sich eher dem Atheismus der Geburt Jesu. In einem anderen Lied heißt es: „Gottes oder dem Laizismus verpflichtet fühlen, Weihnachten als Sohn ist Mensch geworden“. Das gibt den Menschen eine wichtige Familientradition anerkennen und prakti- Halt, innere Kraft und einen Sinn in ihrem Leben. Des- zieren halb ist es nicht in Ordnung, ist es scheinheilig, wenn die Linken die religiöse Bedeutung des Weihnachtsfestes (Dirk Niebel [FDP]: Trittbrettfahrer!) nutzen und einen Antrag auf Einführung der Zahlung ei- und dass insofern Menschen, egal ob sie einer Konfes- nes Weihnachtsgeldes stellen. Das ist Populismus! sion angehören oder konfessionslos sind, das Recht auf (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Elke ein schönes Weihnachtsfest haben? Reinke [DIE LINKE]: Sie haben den Antrag (Beifall bei der LINKEN – Dirk Niebel [FDP]: nicht gelesen!) Das waren viele Fragen! Da musst du lange Sie sind die Nachfolgerin der DDR-Partei SED, die antworten!) mit dem Weihnachtsfest doch nun wirklich nichts am Hut hatte: Man durfte nicht „Engel“ sagen; dies war tat- Heinz-Peter Haustein (FDP): sächlich eine Jahresendfigur mit Flügeln. Sie müssen Sehr verehrte Frau Kipping, ich freue mich über jeden sich vorstellen: Das Wort „Christfest“ war nicht er- Menschen, der Weihnachten feiert, wenn er es denn ehr- wünscht – es wurde gemobbt –; man musste stattdessen lich meint. „Weihnachtsfest“ sagen. Auf den Weihnachtspyramiden Sie sagen, es sei unehrlich, dass wir die Weihnachts- durfte nicht Christi Geburt dargestellt werden; stattdes- beihilfe von 40 Euro ablehnen. Dazu sage ich Ihnen: Es sen wurde der Sandmann dargestellt. Und Sie stellen gibt viele Menschen, die von früh bis spät arbeiten und hier rein polemische Anträge! noch weniger als ein ALG-II-Empfänger haben. Diese würden diese Weihnachtsbeihilfe nicht erhalten. Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage der (Widerspruch bei der LINKEN) Kollegin Kipping? Das haut also nicht hin. (Dirk Niebel [FDP]: Ja! Und schön lange ant- Wenn Sie sich mit Ihrer Vergangenheit kritisch aus- worten!) einandersetzen wollen, dann sollten Sie das offen und 13982 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 133. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. Dezember 2007

Heinz-Peter Haustein (A) ehrlich tun und Tabula rasa machen. Ich habe nämlich Ich erteile nun das Wort der Kollegin Gabriele Hiller- (C) den Eindruck, dass das in Ihrer Partei nicht der Fall ist. Ohm für die SPD-Fraktion. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Dirk (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Niebel [FDP]: Die Linke kann das ja vom DDR-Vermögen zahlen! – Dr. Karl Addicks Gabriele Hiller-Ohm (SPD): [FDP]: Die Linke sollte an das SED-Vermögen Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! herangehen!) Ich hatte eigentlich erwartet, dass die Linksfraktion ih- ren Antrag zur Einführung der Weihnachtsbeihilfe spä- Wir geben in unserem Land alles in allem testens heute zurückzieht; denn er ist irreführend, unsys- 686 Milliarden Euro für Soziales aus. Das ist eine unvor- tematisch und überflüssig. stellbare Summe. Wir geben allein 42 000-mal 1 Million Euro für das ALG-II – sprich: Hartz IV – aus. Trotzdem (Beifall bei Abgeordneten der SPD) fühlen sich Menschen ungerecht behandelt. Das ist so nicht in Ordnung. Die Weihnachtsbeihilfe für Grundsicherungsbezieher ist keineswegs ersatzlos weggefallen, wie das durch den Darüber, dass das natürlich ausgenutzt wird und dass Titel des Antrages unterstellt wird. Richtig ist, dass alle wir ihnen damit den Ball zuspielen, sollten wir einmal Beihilfen im Zuge der Sozialreformen 2003 bis 2005 in genau nachdenken. Wir müssen Hartz IV, so wie es jetzt einen erhöhten pauschalierten Regelsatz eingeflossen vorliegt, so verändern, dass man es schnell abschaffen sind. könnte. Wir brauchen ein liberales Bürgergeld, das den (Dr. [DIE LINKE]: Menschen eine Grundsicherung bietet, Milchmädchenrechnung!) (Beifall bei der FDP) Probleme gab es allerdings bei Sozialhilfeempfän- und nicht diese Bürokratie und die vielen einzelnen Leis- gern, die in Heimen leben. Nicht alle Länder und Kom- tungen bei Hartz IV. munen hatten die Weihnachtsbeihilfe nach der Reform an die Betroffenen weitergegeben. Diese Schlechterstel- Wir haben nämlich noch ein Problem: Bei den vielen lung haben wir im letzten Jahr per Gesetz beseitigt. Seit Anträgen, die die Linken hier einbringen, geht es nicht 2006 erhalten also alle Grundsicherungsbezieher wieder nur um eine Kürzung des Regelsatzes um 35 Prozent für Weihnachtsbeihilfe. das Krankenhausessen oder um ein Weihnachtsgeld von (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Peter 40 Euro. Es geht auch darum, dass von der linken Seite Weiß [Emmendingen] [CDU/CSU]) des Hauses – das meine ich ernst – immer wieder ver- (D) (B) sucht wird, den sozialen Frieden in diesem Land zu tor- Übrigens, liebe Kolleginnen und Kollegen von der pedieren und zu unterwandern. Liebe Demokraten, das Linksfraktion, Sie haben unsere Initiative für die Heim- muss uns Sorge bereiten. Wir müssen uns einmal überle- bewohner nicht unterstützt. gen, was wir hier zu tun haben; (Katja Kipping [DIE LINKE]: Heidi Knake- (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten Werner hat das in Berlin praktiziert!) der CDU/CSU) Weihnachten steht vor der Tür. Da macht es sich gut, et- denn es ist nicht gut, dass in diesen Anträgen, die hier was zu fordern, was es schon gibt. So kann man Politik vorgelegt werden, alles so dargestellt wird, als seien wir machen, muss man aber nicht. Wir haben uns unter Rot- den Menschen gegenüber unsozial, unchristlich und un- Grün ganz bewusst von den vielen Beihilfen verabschie- fair. det und mit der Pauschalierung dieser Leistungen einen längst überfälligen Systemwechsel in der Sozialhilfe (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) durchgeführt. Das ist nämlich nicht so. Bei dem Geld, das wir in die- (Beifall der Abg. Elke Ferner [SPD] und des sem Land für den sozialen Bereich ausgeben, kann man Abg. Peter Weiß [Emmendingen] [CDU/ von mehr als von sozialer Gerechtigkeit sprechen. Eine CSU]) hundertprozentige Gerechtigkeit aber werden Sie auf der Die Linksfraktion will nun zurück zu den alten Prakti- Welt nicht finden. ken. Oder ist das nur eine Politik der Beliebigkeit? Weil das Weihnachtsfest vor der Tür steht, schenke Betrachtet man den zweiten heute vorliegenden An- ich Ihnen allen etwas, und zwar eine Minute meiner Re- trag der Linksfraktion, so zeigt sich ein deutlicher Wi- dezeit und damit eine Minute Ihrer Lebenszeit. Ich wün- derspruch. Wird die Pauschalierung im Hinblick auf die sche Ihnen ein herzliches Glückauf aus dem Erzgebirge. Weihnachtsbeihilfe infrage gestellt, so wird sie bei der (Beifall bei der FDP, der CDU/CSU und der Anrechnung von Verpflegungsleistungen vehement ver- SPD) teidigt. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: der CDU/CSU) Herr Kollege, damit haben Sie sicher vielen eine Die Pauschalierung ist sicher kein Allheilmittel. Auch Freude bereitet. sie hat Schwächen, weil sie in Einzelfällen zu unflexibel Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 133. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. Dezember 2007 13983

Gabriele Hiller-Ohm (A) ist. Sie war damals eine Forderung der Sozialhilfeprakti- Für Briefdienstleistungen werden wir morgen einen gu- (C) ker, die die Pauschalierung über Jahre in landesspezifi- ten Mindestlohn auf den Weg bringen. Weitere Branchen schen Modellprojekten erprobt hatten. Es gibt gute werden folgen. Gründe für die Pauschalierung der Leistung. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Erstens wurde damit die Verwaltung vereinfacht. Vor der Reform mussten Küchengeräte, Bekleidung oder Beschäftigungsalternativen bieten! Für diejenigen, Möbel einzeln beantragt werden. Dies war nicht nur äu- die auf dem ersten Arbeitsmarkt keine Beschäftigung ßerst bürokratisch, sondern bedeutete für viele Men- finden, haben wir Alternativen geschaffen. Der Quali- schen eine wiederkehrende Demütigung. Kombi für junge Arbeitsuchende und das Programm Jobperspektive für Langzeitarbeitslose sind angelaufen. (Peter Weiß [Emmendingen] [CDU/CSU]: So ist es!) Soziale Infrastruktur stärken! Wir brauchen insbeson- dere für unsere Kinder vernünftige Infrastrukturen, die Für jede Sonderleistung mussten sie zum Amt und waren für angemessene Schulbildung, Verpflegung, Gesundheit auf das Wohlwollen ihres Sachbearbeiters angewiesen. und Schutz sorgen. Mit dem Ausbau der Kinderbetreu- (Peter Weiß [Emmendingen] [CDU/CSU]: Die ung haben wir hier bereits einen großen Schritt getan. Linken wollen die Leute demütigen! Das ist der Punkt!) (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU) Das zweite Ziel der Pauschalierung war deshalb die Schaffung einer größeren wirtschaftlichen Selbstständig- Ich komme zum zweiten Antrag. Mit drastischen keit und Eigenverantwortung. Worten verkündet der Vorsitzende der Linksfraktion jüngst in einer Pressemitteilung, die (Volker Schneider [Saarbrücken] [DIE Regierung kürze Arbeitslosengeld-II-Empfängern bei LINKE]: Bei 347 Euro! Das ist doch nicht zu Krankenhausaufenthalten den Regelsatz. Dies ist – wie fassen!) beim ersten Antrag – wieder eine effektheischende Dra- matisierung. Das ist ganz klar. Richtig ist, dass das Bun- Die Sicherung des Existenzminimums ist zu wichtig, desministerium per Verordnung eine Klarstellung des um je nach Jahreszeit neue populistische Forderungen Sachverhalts vorgenommen hat. Die Verordnung legt un- aufzustellen, die wenig durchdacht sind. ter anderem fest, wie zukünftig mit dem Anteil für Ver- (Frank Spieth [DIE LINKE]: So viel zum pflegung im Regelsatz von Arbeitslosengeld-II-Beziehern Thema links!) im Fall eines Krankenhausaufenthaltes umgegangen wer- (B) den soll. (D) Die SPD will substanzielle Verbesserungen für Sozial- hilfe- und Arbeitslosengeld-II-Bezieher. Wir wollen ein (Frank Spieth [DIE LINKE]: Das ist unglaub- Gesamtkonzept aus überarbeiteter Regelsatzbemessung, lich!) Sonderbedarfen für Kinder sowie Verbesserungen der sozialen Infrastruktur. An dieser Stelle ist eine Klarstellung dringend nötig. Bis heute bestimmen nämlich die Sozialgerichte darüber, (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der ob – und wenn ja, um wie viel – der monatliche Betrag CDU/CSU) gekürzt werden darf, wenn die Essensversorgung ander- weitig gesichert ist. Die Sozialgerichte haben diese Ich habe es in meiner Rede zur ersten Lesung des An- Frage sehr unterschiedlich mit den entsprechenden Fol- trages der Linksfraktion bereits gesagt, aber ich wieder- gen für die Betroffenen beurteilt. hole es gern: Es muss in erster Linie unser Ziel sein, dass kein Mensch auf Weihnachtsbeihilfe oder sonstige Zu- Während beispielsweise ein ALG-II-Bezieher in wendungen angewiesen ist. Schleswig seinen vollen Regelsatz behalten durfte, sah (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der es das Sozialgericht Karlsruhe als statthaft an, sogar CDU/CSU) mehr als den Essensanteil von rund 35 Prozent des Re- gelsatzes zu kürzen. Um diese Ungleichbehandlung zu Wir müssen deshalb neben angemessenen finanziellen beenden, hat das Bundesministerium für Arbeit und So- Sozialtransfers vor allem in aktivierende Maßnahmen in- ziales eine Regelung entworfen, die vorsieht, dass der vestieren. Dazu gehört, Arbeitsplätze zu schaffen. Hier bei einem Krankenhausaufenthalt gesparte Essensanteil haben wir sehr viel erreicht. Innerhalb von zwei Jahren am Regelsatz – also 35 Prozent – prinzipiell gegenge- wurde die Zahl der Arbeitslosen in Deutschland um über rechnet werden darf. Allerdings – dies unterschlagen die 1 Million Menschen gesenkt. Kolleginnen und Kollegen der Linksfraktion – wurde eine Bagatellgrenze von rund 83 Euro eingezogen. Diese (Volker Schneider [Saarbrücken] [DIE Bagatellgrenze wird die meisten Menschen vor einer LINKE]: 1,3 Millionen Aufstocker! Hervorra- Kürzung ihrer Regelleistung schützen. Selbst nach gende Arbeit!) 20 Tagen stationärer Behandlung würden sie noch ihren Mindestlöhne einführen! Der beste Schutz gegen Ar- vollen Regelsatz erhalten. mut und Sozialleistungsbezug sind vernünftige Löhne. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten (Beifall bei Abgeordneten der SPD) der CDU/CSU) 13984 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 133. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. Dezember 2007

Gabriele Hiller-Ohm (A) Die Verwaltungsverordnung wird den derzeitigen sehr Mit dem gleichen Argument könnten wir mit einer (C) unbefriedigenden Zustand deutlich verbessern und Rechtsverordnung den Obdachlosen den Regelsatz um Rechtssicherheit für die Betroffenen schaffen. den Stromkostenanteil kürzen und das damit begründen, dass sie schließlich keinen Wasserkocher, keinen Toas- Aber auch wir sehen Probleme. ter, keine Waschmaschine und dergleichen brauchen. Erstens. Das Justizministerium hat zwar grünes Licht Ich finde, man muss sich diese Verordnung grundsätz- für die Verordnung gegeben, der Petitionsausschuss des lich unter dem Aspekt der Bürokratieproduktion noch Bundestages schätzt die Gesetzeslage jedoch einstimmig einmal genauer anschauen. Die Zahl der Sozialgerichts- anders ein. Er meint, dass in diesem Punkt eine Verord- verfahren 2006 belief sich auf rund 100 000. Im ersten nung nicht ausreicht und wir eine gesetzliche Regelung Halbjahr 2007 gab es eine Steigerung um 38 Prozent. brauchen. Dieser Widerspruch muss geklärt werden. Alleine in Berlin sind im Monat Oktober 2 000 Klagen Zweitens frage ich mich, ob die Regelung tatsächlich eingegangen. Ein Drittel dieser Klagen war erfolgreich. Einsparungen erbringt. Man muss hierbei auch anfal- Was müsste also eine Bundesregierung sinnvollerweise lende Verwaltungskosten gegenrechnen. in dieser Situation tun, wenn sie eine Rechtsverordnung zu einem derart beklagten und umstrittenen Gesetz er- Drittens müssen wir uns die Frage stellen, ob im Falle lässt? Ganz einfach: Sie müsste die Rechtsanwendung eines Krankenhausaufenthaltes für die betroffenen Men- vereinfachen und die Vorschriften zur Durchführung schen Mehrkosten anfallen. Sie sparen das Geld für Ver- verständlich machen. Mit dieser neuen Arbeitslosen- pflegung, aber möglicherweise müssen entsprechende geld-II-Verordnung wird jedoch genau das Gegenteil ge- Kleidung oder Hygieneartikel besorgt werden, die dann macht. nicht über den Regelsatz abgedeckt sind. Ich möchte das einmal an einem Beispiel, das hier (Volker Schneider [Saarbrücken] [DIE LINKE]: noch nicht zur Sprache gekommen ist, nämlich am Bei- Welch unfassbare Erkenntnis!) spiel der Selbstständigen, anschaulich machen. Selbst- Eine Anrechnung der Verpflegung könnte somit dem ständige, die zeitweise auf Arbeitslosengeld-II-Leistun- Pauschalierungsgrundsatz widersprechen, der gerade da- gen angewiesen sind, sollen nach dieser Verordnung in rin besteht, dass Besonderheiten des Einzelfalles auszu- Zukunft nur noch solche Ausgaben geltend machen kön- blenden sind. nen, die den Lebensumständen eines Arbeitslosengeld-II- Beziehers angemessen sind. Was soll das heißen? Darf Auch auf unserer Seite gibt es also noch offene Fra- sich dann ein Existenzgründer noch einen neuen Laptop gen, die geklärt werden müssen. Wir lehnen den Antrag leisten, oder tut es auch ein gebrauchter? Oder ist der der Linksfraktion ab, weil wir im Frühjahr die Regel- (B) geleaste Mittelklassewagen, mit dem ein Versicherungs- (D) sätze generell auf den Prüfstand stellen werden. In die- vertreter versucht, sich selbstständig zu machen, noch an- sem Zusammenhang werden wir dann auch die Verwal- gemessen, oder sagt man: „Du brauchst nur einen ge- tungsverordnung gründlich unter die Lupe nehmen. brauchten Kleinwagen“? Fragen über Fragen! (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Meine Damen und Herren von der Koalition, was ist der CDU/CSU) der Sinn einer Rechtsverordnung? Fragen Sie sich das einmal ganz grundsätzlich. Eine Rechtsverordnung soll Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: unbestimmte Rechtsbegriffe im Gesetz konkretisieren. Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich möchte Sie bit- Sie machen genau das Gegenteil. Sie schaffen unbe- ten, die Gespräche noch ein paar Minuten einzustellen stimmte Rechtsbegriffe, wo das Gesetz eindeutig ist. Das und dem letzten Redner in der Debatte Ihre Aufmerk- ist absurd. Das ist ein Fall für den Normenkontrollrat. samkeit zu schenken. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Es spricht der Kollege Markus Kurth von der Fraktion und bei der LINKEN – Zuruf von der CDU/ Bündnis 90/Die Grünen. CSU: Furchtbar!) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Hat denn der Nationale Normenkontrollrat Ihre Verord- Zuruf von der CDU/CSU): Jetzt sind wir aber nung gesehen? sehr gespannt!) Der Vorstand der Bundesagentur hat gestern im Aus- schuss auf meine Nachfrage hin deutlich gemacht, dass Markus Kurth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): die Verwaltungsaufwendungen, die mit dieser Verord- Danke. – Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und nung verbunden sind, die Einsparungen des Arbeits- Kollegen! Frau Hiller-Ohm, ich habe Ihr Plädoyer für losengeldes II, die dort eventuell erzielt werden, über- die Pauschalierung und die Argumentation, mit der Sie steigen. Das kann man doch keinem normalen Menschen die Weihnachtsbeihilfe abgelehnt haben, sehr genau ver- außerhalb dieses Hauses mehr vermitteln. folgt. Wenn Sie aber keine zusätzlichen Leistungen wol- len, dann können Sie das Prinzip nicht nach Gutdünken (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS- durchbrechen, wo es Ihnen zum Zweck der Kürzung SES 90/DIE GRÜNEN) passt. Meine Damen und Herren, abgesehen von der recht- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie lich und sozialpolitisch fragwürdigen Anrechnung von bei Abgeordneten der LINKEN) Krankenhausverpflegung als Einkommen – es gibt ja Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 133. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. Dezember 2007 13985

Markus Kurth (A) auch anderslautende Gerichtsurteile als die, die eben hier Ich rufe nun den Tagesordnungspunkt 13 auf: (C) zitiert wurden – ist das ein Musterbeispiel für Bürokra- Zweite und dritte Beratung des von der Bundesre- tieproduktion. Ich erinnere daran: Wenn die Gerichte gierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes nicht mehr mit dem Ansturm an Verfahren zurechtkom- zur Ergänzung des Rechts zur Anfechtung der men, dann denken Sie nicht etwa daran, das Recht und Vaterschaft die Anwendung des Rechts zu vereinfachen, sondern Sie wollen im nächsten Jahr das Sozialgerichtsgesetz än- – Drucksache 16/3291 – dern. Offensichtlich denken Sie daran, das Beschreiten des Rechtswegs zu erschweren. Es ist die hehre Aufgabe Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsaus- der Opposition, diesen Mechanismus offenzulegen und schusses (6. Ausschuss) der Öffentlichkeit zuzuführen. Warten Sie nicht, Herr – Drucksache 16/7506 – Schiewerling, bis zum nächsten Jahr, um die Verwal- tungsaufwände zu analysieren. Das ist bereits jetzt ganz Berichterstattung: klar absehbar. Wir werden dem Antrag der Linken zu- Abgeordnete Dr. Jürgen Gehb stimmen, uns aber dieser komischen Arbeitslosengeld-II- Klaus Uwe Benneter Verordnung noch einmal eingehend widmen. Sabine Leutheusser-Schnarrenberger Jörn Wunderlich Vielen Dank. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Die Kolleginnen und Kollegen Ute Granold, Klaus und bei der LINKEN) Uwe Benneter, Mechthild Dyckmans, Jörn Wunderlich und Irmingard Schewe-Gerigk sowie der Parlamenta- rische Staatssekretär Alfred Hartenbach haben ihre Re- Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: den zu Protokoll gegeben.1) Ich schließe die Aussprache. Wir kommen zu den Ab- stimmungen. Wir stimmen über den von der Bundesregierung ein- gebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Ergänzung des Zunächst stimmen wir unter Tagesordnungs- Rechts zur Anfechtung der Vaterschaft ab. Der Rechts- punkt 10 a über den Antrag der Fraktion Die Linke auf ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/7467 mit dem Titel „Anrechnung von Drucksache 16/7506, den Gesetzentwurf der Bundesre- Sachleistungen auf die Regelleistung des SGB II bei sta- gierung auf Drucksache 16/3291 in der Ausschussfas- tionärem Aufenthalt ausschließen“ ab. Anders als in der sung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetz- Tagesordnung angekündigt, soll über diesen Antrag entwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um (B) heute abgestimmt werden. Die Fraktion Die Linke ver- das Handzeichen. – Gegenstimmen? – Enthaltungen? – (D) langt namentliche Abstimmung. Ich bitte nun die Dann ist der Gesetzentwurf in zweiter Beratung mit den Schriftführerinnen und Schriftführer, ihre Plätze einzu- Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen nehmen. Sind die Plätze an den Urnen besetzt? – Das ist der Oppositionsfraktionen angenommen. der Fall. Dann eröffne ich die Abstimmung. Ich mache Wir kommen zur Sie darauf aufmerksam, dass wir anschließend noch an- dere Abstimmungen haben. dritten Beratung Ist ein Mitglied des Hauses anwesend, das seine und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Stimme noch nicht abgegeben hat? – Das ist offensicht- Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – lich nicht der Fall. Dann schließe ich die Abstimmung Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Dann ist der und bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, die Gesetzentwurf mit dem gleichen Stimmenverhältnis an- Stimmen auszuzählen. Das Ergebnis der namentlichen genommen. Abstimmung wird Ihnen später bekannt gegeben. Ich rufe nun den Tagesordnungspunkt 12 auf: Wir setzen die Abstimmungen fort. Damit ich eine Beratung des Antrags der Abgeordneten Silke bessere Übersicht habe, bitte ich Sie, Platz zu nehmen. Stokar von Neuforn, Volker Beck (Köln), Kai Gehring, weiterer Abgeordneter und der Fraktion Wir kommen zur Abstimmung über Tagesordnungs- BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN punkt 10 b. Dabei geht es um die Beschlussempfehlung des Ausschusses für Arbeit und Soziales zu dem Antrag Für ein schärferes Waffengesetz der Fraktion Die Linke mit dem Titel „Einführung einer Weihnachtsbeihilfe für Grundsicherungsbezieherinnen – Drucksache 16/6961 – und Grundsicherungsbezieher“. Der Ausschuss empfiehlt Überweisungsvorschlag: Innenausschuss (f) in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/7511, Rechtsausschuss den Antrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 16/7041 Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfeh- lung? – Wer ist dagegen? – Enthaltungen? – Die Be- Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die schlussempfehlung ist damit mit den Stimmen der Koali- Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen, wobei die tionsfraktionen, der FDP-Fraktion und der Fraktion Fraktion Bündnis 90/Die Grünen fünf Minuten erhalten Bündnis 90/Die Grünen bei Gegenstimmen der Fraktion Die Linke angenommen. 1) Anlage 6 13986 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 133. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. Dezember 2007

Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt (A) soll. – Ich höre dazu keinen Widerspruch. Dann werden – dazu besteht überhaupt kein Grund –, zu erfassen, wel- (C) wir so verfahren. che Waffen es in Deutschland gibt. Hier brauchen wir Europa, um zu einer Erfassung von gefährlichen Waffen Ich eröffne die Aussprache. Als erste Rednerin hat zu kommen. Auch hier verstehe ich die Verweigerung das Wort die Kollegin Silke Stokar von Neuforn für die des Handelns nicht. Wir sind – das sage ich klar und Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. deutlich – für ein nationales Waffenregister.

Silke Stokar von Neuforn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) NEN): Der zweite Punkt, den ich hier ansprechen möchte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die und der schon oft vorgetragen wurde, zum Beispiel von Bundestagsfraktion von Bündnis 90/Die Grünen hat ei- der Gewerkschaft der Polizei – auch dort handeln Sie nur nen Antrag auf Verschärfung des Waffengesetzes einge- halbherzig –, betrifft die sogenannten Anscheinswaffen. bracht, weil uns der Entwurf der Bundesregierung, des Es ist doch nicht zu verkennen, dass wir eine Lücke im ansonsten eher als Hardliner auftretenden Bundesinnen- Waffengesetz haben. Zunehmend werden Überfälle mit ministers, nicht weit genug geht. Waffen begangen, die täuschend echt aussehen, also wie (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) richtige, schussbereite Waffen. Immer wieder passiert es, dass Polizisten, die meinen, sie seien in einer Notwehrsi- Vielleicht haben einige von Ihnen die Nachrichten tuation, selbst die Waffe ziehen, weil ihr Gegenüber mit von heute und der letzten Tage verfolgt: Die Stadt Ham- einer sogenannten Anscheinswaffe bewaffnet ist. burg hat die Reeperbahn, also die Hamburger Rotlicht- meile, mit großen Schildern umstellt. Sie hat die Reeper- Es gab heute im Düsseldorfer Landtag in NRW genau bahn zu einem gefährlichen Ort erklärt. Auf diesen zu diesem Punkt eine Debatte. Dort hat die SPD-Vertre- großen Schildern steht, dass an diesem Ort das Tragen terin aus der Opposition heraus klar gefordert, dass An- von gefährlichen Messern verboten ist. scheinswaffen in dieser Form nicht mehr auf den Markt kommen dürfen und dass sie farblich gekennzeichnet Als diese Öffnungsklausel beschlossen worden ist, sein müssen. Wir sind für diese Kennzeichnung, wir sind habe ich bereits sehr deutlich gemacht: Uns geht dieser zum Teil aber auch für ein Verbot der Herstellung dieser Ansatz nicht weit genug. Was wollen Sie eigentlich den Anscheinswaffen. Was Sie im Düsseldorfer Landtag in Eltern von Jugendlichen sagen, die, vielleicht fünf der Opposition fordern, sollten Sie hier im Bundestag Wohnblocks von der Reeperbahn entfernt, vor einer Dis- mittragen. kothek niedergestochen werden? Ganz gleich, in welche Großstadt man schaut: Die Meldungen der letzten Mo- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) nate über schwere Körperverletzungen durch gefährliche (B) Außer einem verschärften Waffengesetz brauchen wir (D) Messer, oft mit Todesfolge, dürfen uns nicht handlungs- so etwas wie eine Kampagne oder Initiative mit dem unfähig machen. Ich finde, die Initiative des Berliner Se- Motto: Wir wollen im öffentlichen Raum Waffenfreiheit. nators Körting ist genau der richtige Ansatz: Das Verbot Wir wollen nicht, dass eine Alltagskultur entsteht, in der dieser gefährlichen Messer muss ins Waffengesetz – hier junge Männer meinen, es gehöre sozusagen zur Alltags- hat der Bund die Zuständigkeit – aufgenommen werden. kultur dieses Landes, dass man mit einem Messer in der Ich kann die Haltung des Bundesinnenministers über- Tasche herumläuft und die eigene Ehre oder den eigenen haupt nicht nachvollziehen. Sonst fabuliert er gern über Stolz eventuell verteidigt, indem man dieses Messer aus innere Sicherheit und darüber, dass der Rechtsstaat keine nichtigem Anlass zieht. hinreichenden Instrumente hat, um mit den Sicherheits- Wir brauchen an dieser Stelle gemeinsam mit den Städ- risiken fertig zu werden. Aber an den ganz praktischen ten, gemeinsam mit den Kommunen, gemeinsam mit den Punkten, wo er handeln könnte – dort geht es ganz kon- Schulen und Jugendeinrichtungen ein Konzept, das deut- kret um die Sicherheit in unseren Stadtteilen und um das lich macht, dass es eben nicht Normalität ist, mit einem Leben von jungen Menschen –, handelt er nicht; dort, in Butterflymesser durch die Straßen zu laufen. Das Kon- seinem Zuständigkeitsbereich, verweigert er, die gesetz- zept brauchen wir neben den polizeilichen Konzepten. lichen Grundlagen zu schaffen, die die Polizei braucht, um diese gefährlichen Messer tatsächlich einziehen zu Aber damit solche Konzepte überhaupt greifen kön- können. nen, bedarf es eines Verbots dieser gefährlichen Gegen- stände im Waffengesetz; sonst wird es nicht möglich (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) sein, den Jugendlichen solche Messer auch präventiv Das Waffengesetz – wir werden im Innenausschuss wegzunehmen, sie ihnen also wegzunehmen, bevor da- eine umfangreiche Debatte darüber führen – hat weitere mit Körperverletzungen passieren. sehr komplizierte Bereiche. Ich möchte nur zwei anspre- Meine Damen und Herren, ich wünsche mir eine chen. spannende Debatte im Innenausschuss. Wir werden eine Für Sie vielleicht überraschend verweise ich auf die Anhörung zu diesen Themen beantragen. Es wäre schön, schon oft erhobene Forderung nach einem nationalen wenn Sie an diesem Punkt, an dem Sie handeln können, Waffenregister. Ich sage ganz klar und deutlich: Waffen Gesetze tatsächlich einmal so scharf fassen, dass sie prä- haben kein Recht auf informationelle Selbstbestimmung. ventiv wirken. Einerseits werden in einer unendlichen Datensammelwut Danke schön. alle möglichen Daten von Bürgerinnen und Bürgern er- fasst; andererseits weigert sich der Bundesinnenminister (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 133. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. Dezember 2007 13987

(A) Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: klarzumachen, dass es zum Ende des Aufenthalts führt (C) Nächster Redner ist der Kollege Reinhard Grindel für und sie abgeschoben werden, wenn sie mit Waffen Straf- die CDU/CSU-Fraktion. taten begehen. (Beifall bei der CDU/CSU) (Silke Stokar von Neuforn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Reden Sie doch über das Waffen- Reinhard Grindel (CDU/CSU): gesetz!) Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Große Koalition hat auch für diese Fälle – für ein Dem Ausgangspunkt Ihres Antrags, Frau Stokar, ist härteres Vorgehen gegen jugendliche Intensivtäter – die durchaus zuzustimmen. Weichen gestellt. (Jerzy Montag [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Wunderbar!) (Jerzy Montag [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Herr Grindel, darüber reden wir jetzt Auch ich sage: Der Bundestag ist über die Zunahme von nicht!) Gewaltdelikten in unserer Gesellschaft besorgt. Auch das ist eine Notwendigkeit, um brutaleren Verbre- (Jerzy Montag [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- chen in Deutschland entgegenzutreten. NEN]: Herr Grindel, Sie lernen!) (Beifall bei der CDU/CSU – Silke Stokar von Richtig ist ebenfalls, dass bei Straftaten immer schneller Neuforn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: zu Waffen gegriffen wird. Verbrechen in Deutschland Gleich reden wir über Deutschkurse!) werden brutaler. Alles das weisen die Kriminalitätssta- tistiken aus. Liebe Kolleginnen und Kollegen, Frau Stokar, beim Aber, liebe Kolleginnen und Kollegen, ich fürchte, Kampf gegen Waffen auf unseren Straßen und Plätzen wir springen bei weitem zu kurz, wenn wir glauben, die- müssen wir für praktikable Maßnahmen sorgen. Sie ha- ses Problem allein mit einem schärferen Waffengesetz ben die Gesetzesinitiative des Landes Berlin angespro- lösen zu können. chen; sie wird auch im Antrag der Grünen erwähnt. Da- rin wird ein Verbot des Führens von Messern gefordert. (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und der Dabei haben eine Reihe von Ländern und das BKA er- FDP – Silke Stokar von Neuforn [BÜND- hebliche Bedenken, weil sie davon ausgehen, dass es zu NIS 90/DIE GRÜNEN]: Das habe ich auch Abgrenzungsproblemen kommt: Was ist mit Messern nicht gesagt! – Jerzy Montag [BÜNDNIS 90/ von Weinrebenschneidern, Gärtnern, Jagdgehilfen und DIE GRÜNEN]: Sie haben nicht zugehört!) Tauchern, was ist mit Küchenmessern usw.? (B) (D) Die Koalition – Sie haben es angesprochen – berät ge- Etwas Entscheidendes haben Sie nicht erwähnt – das rade in diesen Wochen eine Verbesserung des Waffen- muss man deutlich sagen –: Viele Messer, Hieb- und rechts. Aber ich will deutlich machen, dass zunehmender Stichwaffen, Butterfly- und Springmesser, auch die von Brutalität gerade auch bei jüngeren Straftätern mit einer Ihnen angesprochenen szenetypischen Waffen, die vor Vielzahl von Maßnahmen begegnet werden muss, auch Diskotheken verwendet wurden, sind bereits heute ver- solchen, die die Grünen in der Vergangenheit immer ab- boten. Hier gibt es keine Defizite. gelehnt haben. Nehmen wir als Beispiel nur das Jugend- strafrecht. Es widerspricht dem Erziehungsgedanken (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) meines Erachtens überhaupt nicht, wenn wir schon bei Deshalb sind die Maßnahmen, die Sie vom Bundesin- der ersten Straftat mit einer deutlichen Sanktion des nenminister einfordern, unnötig. Staates reagieren. Wer als Jugendlicher mit Waffen han- tiert, gewalttätig wird und andere verletzt, muss eben mit Dagegen ist es in der Tat entscheidend – Sie haben es einer Kurzzeitarreststrafe belegt werden. angesprochen –, dass wir hier im Bundestag vor kurzem (Silke Stokar von Neuforn [BÜNDNIS 90/ mit einer vorgezogenen Änderung des Waffengesetzes DIE GRÜNEN]: Warum nehmen Sie ihm die den Ländern die Möglichkeit eröffnet haben, bestimmte Waffe nicht weg? – Jerzy Montag [BÜND- Orte zur waffenfreien Zone zu erklären. In der Tat hat NIS 90/DIE GRÜNEN]: Reden Sie doch mal Hamburg im Bereich der Reeperbahn davon Gebrauch zum Thema, Herr Kollege!) gemacht. Da frage ich mich natürlich: Warum macht das Berlin nicht auch? Die Strafe muss tatangemessen sein. Eine klare Reaktion des Staates, sozusagen ein Schuss vor den Bug, kann (Silke Stokar von Neuforn [BÜNDNIS 90/ dem Erziehungsgedanken des Jugendstrafrechts durch- DIE GRÜNEN]: Wo denn?) aus entsprechen. Berlin fordert Scheinlösungen. Da, wo Berlin etwas ma- (Beifall bei der CDU/CSU) chen könnte, handelt es nicht. Das ist widersprüchlich und keine gute Sicherheitspolitik. Frau Stokar, reden wir nicht drum herum – es ist wahr –: Leider ist auch bei Verdächtigen mit Migrations- (Beifall bei der CDU/CSU – Silke Stokar von hintergrund eine massive Brutalisierung bei der Bege- Neuforn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wo hung von Straftaten festzustellen. Es gehört deshalb soll Berlin die Schilder aufstellen? Wissen Sie auch zur Generalprävention, den Ausländern bei uns das auch?) 13988 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 133. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. Dezember 2007

Reinhard Grindel (A) Ich möchte deutlich machen: Das Waffenrecht kann fen angesprochen wird: Von diesen Anscheinswaffen (C) als flankierende Maßnahme die Eindämmung von Ge- geht ein Drohpotenzial aus, weil sie zu kriminellen Zwe- waltdelikten unterstützen, aber nicht die in Ihrem Antrag cken eingesetzt werden können. Hinzu kommt, dass die angesprochenen Vollzugsdefizite beseitigen. Zudem hat Polizeibeamten die täuschend echt wirkenden Nachbil- das Waffenrecht nicht die Aufgabe, das Gewaltmonopol dungen im Einsatz mit echten Schusswaffen verwech- des Staates zu sichern. seln und dann in einer vermeintlichen Notwehrsituation von der Dienstwaffe Gebrauch machen könnten – mit Beim Waffenrecht geht es um einen verhältnismäßigen verheerenden Folgen. Ausgleich zwischen den anerkannten Interessen derer, die Waffen legal besitzen, einerseits – Jäger, Schützen Deswegen sage ich Ihnen: Die Koalition wird mit der und Sammler historischer Waffen – und dem Interesse am Änderung des Waffenrechts alles rechtsstaatlich Vertret- Schutz der öffentlichen Sicherheit und Ordnung anderer- bare beschließen, damit künftig keinerlei Gefahr von An- seits. Deshalb gelten schon heute sehr strenge Regelun- scheins- und Softairwaffen ausgeht. Diese Waffen sind gen für den Erwerb und den Besitz von Waffen, die mit kein Spielzeug; sie sind gefährlich. Wir wollen, dass sie dem neuen Waffenrecht – Kollegin Fograscher, da sind möglichst aus dem öffentlichen Straßenbild verschwin- wir uns einig – nicht geändert werden sollen. den. Beispielsweise haben wir schon in der Vergangenheit (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- richtige Entscheidungen getroffen, indem wir das öffent- neten der SPD) liche Führen von Gas-, Schreckschuss- und Signalwaffen waffenscheinpflichtig gemacht haben. Das hat zu einer Liebe Kolleginnen und Kollegen, weitere Details Ih- Reduzierung der Verkaufszahlen um rund 90 Prozent ge- res Antrags werden wir in der Tat – Sie haben das ange- führt. Damit hat es sich unter Sicherheitsgesichtspunkten sprochen – im Rahmen der Waffenrechtsänderung be- bewährt. Insofern hat das Waffenrecht einen Beitrag zur handeln. Nehmen Sie als Beispiel die Regelungen für Bekämpfung der Gewaltkriminalität geleistet. Erbwaffen. Was Sie hierfür vorschlagen, ist schlicht ver- fassungswidrig und bringt auch keine Sicherheit. Lassen Sie mich mit Blick auf die Diskussion im Sommer eine Anmerkung zur Frage einer Altersgrenze (Silke Stokar von Neuforn [BÜNDNIS 90/DIE für den Waffenerwerb machen – Sie sprechen das in Ih- GRÜNEN]: Das werden wir ja sehen!) rem Antrag an –: Sie wissen ganz genau, dass der Bun- desinnenminister entschieden hat, dass wir, die Koali- Wir werden dafür sorgen, dass diese Waffen mit Blo- tion, die Altersgrenzen für den Erwerb von Waffen nicht ckiersystemen versehen werden. Das ist die gebotene ändern. Das ist klar. Gleichwohl möchte ich, auch mit Lösung, wie man dem Problem begegnen kann. (B) Blick auf die Debatte, die dazu geführt worden ist, fest- (D) halten: Ich finde es ungerecht und in der Sache nicht ge- Ein letzter Gedanke zur auch von Ihnen angesproche- rechtfertigt, Schützen und Schützenvereine unter eine nen waffenrechtlichen Einstufung von Metallrohren, Art Generalverdacht zu stellen. Um das klar zu sagen: Baseballschlägern und Motorradketten: Das Problem der Das ist nicht in Ordnung. missbräuchlichen Verwendung von Alltagsgegenständen löst man nicht mit dem Waffenrecht. Entscheidend ist et- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie was völlig anderes. Hinter jeder Waffe steckt ein Mensch, bei Abgeordneten der SPD) der sie einsetzt. Das ist das entscheidende Problem. Da müssen wir ansetzen. Mit Erziehung, mit Bildung, mit Ihre Forderung verträgt sich nicht mit den wohlfeilen Förderung einer Kultur des Hinsehens und – ja, auch das Reden, die auch viele Ihrer Kollegen halten, wenn sie zu fordere ich – einem starken Staat, der entschlossen han- den Schützenvereinen und zu den Kreisschützenver- delt. Darauf kommt es an. bandstagen gehen und dort zu Recht auf die Bedeutung der Schützenvereine für das kulturelle Leben im Dorf Herzlichen Dank. und für die Jugendarbeit hinweisen. Ich erlebe die Schüt- zenvereine in meinem Wahlkreis – ich möchte das vor (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- dem Forum des Deutschen Bundestages einmal sagen – neten der SPD – Silke Stokar von Neuforn als besonnene, umsichtige und die Sicherheit wahrende [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist Si- Institutionen. Sie sorgen insbesondere dafür, dass gerade cherheitsverweigerung, was Sie machen!) Jugendliche beim Umgang mit der Waffe Vorsicht, Kon- zentration und Respekt lernen und dann auch walten las- Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: sen. Das ist wesentlich besser, als irgendwo mit Softair- waffen herumzuballern. Bevor ich dem nächsten Redner das Wort erteile, komme ich zurück zum Tagesordnungspunkt 10 a und (Beifall bei der CDU/CSU) gebe Ihnen das von den Schriftführerinnen und Schrift- führern ermittelte Ergebnis der namentlichen Abstim- Ich möchte bei dieser Gelegenheit auch darauf hin- mung über den Antrag der Fraktion Die Linke auf weisen, dass 97 Prozent aller Straftaten, bei denen Waf- Drucksache 16/7467 mit dem Titel „Anrechnung von fen eine Rolle spielen, mit illegalen Waffen verübt wer- Sachleistungen auf die Regelleistung des SGB II bei sta- den. Insofern hat das Waffenrecht an dieser Stelle nur tionärem Aufenthalt ausschließen“ bekannt: Es wurden eine begrenzte Wirkungsmöglichkeit. 532 Stimmen abgegeben. Mit Ja haben gestimmt 96, mit Richtig ist, Frau Stokar – da stimme ich Ihnen zu –, Nein haben gestimmt 436. Damit ist der Antrag abge- wenn in dem Antrag die Problematik der Anscheinswaf- lehnt. Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 133. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. Dezember 2007 13989

Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt (A) Endgültiges Ergebnis Marieluise Beck (Bremen) Renate Blank Dr. Peter Jahr (C) Abgegebene Stimmen: 531; Volker Beck (Köln) Peter Bleser Dr. Hans-Heinrich Jordan davon Cornelia Behm Antje Blumenthal Bartholomäus Kalb Birgitt Bender Dr. Maria Böhmer Hans-Werner Kammer ja: 96 Grietje Bettin Steffen Kampeter nein: 435 Alexander Bonde Wolfgang Börnsen enthalten: 0 Ekin Deligöz (Bönstrup) Bernhard Kaster Dr. Thea Dückert Siegfried Kauder (Villingen- Ja Dr. Uschi Eid Klaus Brähmig Schwenningen) Hans-Josef Fell Michael Brand Eckart von Klaeden SPD Kai Gehring Julia Klöckner Anja Hajduk Dr. Ralf Brauksiepe Jens Koeppen Wolfgang Spanier Britta Haßelmann Monika Brüning Kristina Köhler (Wiesbaden) Bettina Herlitzius Manfred Kolbe DIE LINKE Winfried Hermann Cajus Caesar Norbert Königshofen Hüseyin-Kenan Aydin Peter Hettlich Gitta Connemann Dr. Dr. Priska Hinz (Herborn) Leo Dautzenberg Hartmut Koschyk Dr. Anton Hofreiter Thomas Kossendey Heidrun Bluhm Thilo Hoppe Dr. Martina Bunge Ute Koczy Thomas Dörflinger Dr. Günter Krings Roland Claus Sylvia Kotting-Uhl Marie-Luise Dött Dr. Martina Krogmann Dr. Diether Dehm Renate Künast Maria Eichhorn Johann-Henrich Werner Dreibus Markus Kurth Dr. Stephan Eisel Krummacher Dr. Dagmar Enkelmann Undine Kurth (Quedlinburg) Anke Eymer (Lübeck) Dr. Hermann Kues Klaus Ernst Dr. Karl A. Lamers Wolfgang Gehrcke Anna Lührmann Dr. Hans Georg Faust (Heidelberg) Diana Golze Nicole Maisch Andreas G. Lämmel Dr. Jerzy Montag Hartwig Fischer (Göttingen) Dr. Norbert Lammert Heike Hänsel Kerstin Müller (Köln) Dirk Fischer (Hamburg) Katharina Landgraf Lutz Heilmann Winfried Nachtwei Axel E. Fischer (Karlsruhe- Dr. Max Lehmer Hans-Kurt Hill Omid Nouripour Land) Cornelia Hirsch Brigitte Pothmer Dr. Maria Flachsbarth Ingbert Liebing Inge Höger (Augsburg) Klaus-Peter Flosbach Dr. Barbara Höll Krista Sager Dr. Klaus W. Lippold (B) Ulla Jelpke Elisabeth Scharfenberg Dr. Hans-Peter Friedrich (D) Dr. Lukrezia Jochimsen Christine Scheel (Hof) Dr. Michael Luther Dr. Hakki Keskin Irmingard Schewe-Gerigk Erich G. Fritz Stephan Mayer (Altötting) Katja Kipping Dr. Gerhard Schick Jochen-Konrad Fromme Wolfgang Meckelburg Jan Korte Rainder Steenblock Dr. Michael Fuchs Dr. Katrin Kunert Silke Stokar von Neuforn Hans-Joachim Fuchtel Oskar Lafontaine Dr. Harald Terpe Dr. Jürgen Gehb (Hamm) Michael Leutert Jürgen Trittin Ulla Lötzer Wolfgang Wieland Philipp Mißfelder Dr. Gesine Lötzsch Josef Philip Winkler Ralf Göbel Dr. Eva Möllring Ulrich Maurer Peter Götz Dorothée Menzner Fraktionslose Abgeordnete Dr. Wolfgang Götzer Dr. Gerd Müller Kornelia Möller Henry Nitzsche Reinhard Grindel Hildegard Müller Kersten Naumann Gert Winkelmeier Hermann Gröhe Carsten Müller Wolfgang Nešković Michael Grosse-Brömer (Braunschweig) Dr. Norman Paech Markus Grübel Stefan Müller (Erlangen) Petra Pau Nein Manfred Grund Bernward Müller (Gera) Monika Grütters Bernd Neumann (Bremen) Elke Reinke CDU/CSU Dr. Karl-Theodor Freiherr zu Dr. Georg Nüßlein Paul Schäfer (Köln) Guttenberg Franz Obermeier Volker Schneider Ilse Aigner (Saarbrücken) Gerda Hasselfeldt Dr. Herbert Schui Uda Carmen Freia Heller Rita Pawelski Dr. Ilja Seifert Dorothee Bär Ulrich Petzold Dr. Petra Sitte Thomas Bareiß Jürgen Herrmann Dr. Frank Spieth Norbert Barthle Sibylle Pfeiffer Dr. Kirsten Tackmann Dr. Ernst Hinsken Dr. Axel Troost Günter Baumann Robert Hochbaum Alexander Ulrich Ernst-Reinhard Beck Klaus Hofbauer Jörn Wunderlich (Reutlingen) Franz-Josef Holzenkamp Daniela Raab Joachim Hörster BÜNDNIS 90/ Dr. Anette Hübinger Hans Raidel DIE GRÜNEN Hubert Hüppe Dr. Peter Ramsauer Clemens Binninger Susanne Jaffke Katherina Reiche (Potsdam) 13990 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 133. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. Dezember 2007

Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt (A) Dr. Heinz Riesenhuber (Neuruppin) (Wismar) Axel Schäfer (Bochum) (C) Franz Romer Frank Hofmann (Volkach) Johannes Röring Dr. Hans-Peter Bartels Eike Hovermann Otto Schily Dr. Norbert Röttgen Klaus Barthel Klaas Hübner Dr. Frank Schmidt Dr. Christian Ruck Sabine Bätzing Christel Humme (Aachen) (Weiden) Dirk Becker Lothar Ibrügger Silvia Schmidt (Eisleben) Peter Rzepka Klaus Uwe Benneter Johannes Jung (Karlsruhe) Heinz Schmitt (Landau) Anita Schäfer (Saalstadt) Dr. (Erfurt) Hermann-Josef Scharf Johannes Kahrs Hartmut Schauerte (Heidelberg) Dr. h. c. Susanne Kastner Reinhard Schultz Dr. Annette Schavan Volker Blumentritt Ulrich Kelber (Everswinkel) Dr. Andreas Scheuer Hans-Ulrich Klose Swen Schulz (Spandau) Karl Schiewerling Clemens Bollen Astrid Klug Norbert Schindler Dr. Bärbel Kofler Dr. Angelica Schwall-Düren Georg Schirmbeck Dr. Gerhard Botz Dr. Martin Schwanholz Klaus Brandner Fritz Rudolf Körper Rita Schwarzelühr-Sutter Christian Schmidt (Fürth) Willi Brase Karin Kortmann Dr. Margrit Spielmann Andreas Schmidt (Mülheim) Bernhard Brinkmann Jörg-Otto Spiller Ingo Schmitt (Berlin) (Hildesheim) Ernst Kranz Dr. Ditmar Staffelt Dr. Nicolette Kressl Dieter Steinecke Dr. Ole Schröder Ulla Burchardt Volker Kröning Andreas Steppuhn Bernhard Schulte-Drüggelte Dr. Hans-Ulrich Krüger Dr. Michael Bürsch Angelika Krüger-Leißner Rolf Stöckel Wilhelm Josef Sebastian Jürgen Kucharczyk Christoph Strässer Kurt Segner Dr. Ute Kumpf Dr. Peter Struck Marion Seib Dr. Uwe Küster Joachim Stünker Bernd Siebert Martin Dörmann Jörg Tauss Dr. Carl-Christian Dressel Christian Lange (Backnang) Jella Teuchner Johannes Singhammer Elvira Drobinski-Weiß Waltraud Lehn Dr. h. c. Wolfgang Thierse Detlef Dzembritzki Helga Lopez Jörn Thießen Gabriele Lösekrug-Möller Franz Thönnes Christian Freiherr von Stetten Siegmund Ehrmann Dirk Manzewski Simone Violka Lothar Mark Jörg Vogelsänger Andreas Storm Gernot Erler Dr. Marlies Volkmer (B) Petra Ernstberger Hedi Wegener (D) (Heilbronn) Karin Evers-Meyer Andreas Weigel Michael Stübgen Annette Faße Markus Meckel Petra Weis Hans Peter Thul Elke Ferner Petra Merkel (Berlin) Gunter Weißgerber Antje Tillmann Gabriele Fograscher Dr. Gert Weisskirchen Dr. Hans-Peter Uhl Rainer Fornahl Ursula Mogg (Wiesloch) Gabriele Frechen Marko Mühlstein Dr. Volkmar Uwe Vogel Detlef Müller (Chemnitz) Lydia Westrich Andrea Astrid Voßhoff Peter Friedrich Michael Müller (Düsseldorf) Dr. Gerhard Wächter Gesine Multhaupt Dr. Dieter Wiefelspütz Renate Gradistanac Dr. Rolf Mützenich Engelbert Wistuba Angelika Graf (Rosenheim) Andrea Nahles Dr. Marcus Weinberg Dieter Grasedieck Waltraud Wolff Peter Weiß (Emmendingen) Monika Griefahn Heinz Paula (Wolmirstedt) Gerald Weiß (Groß-Gerau) Kerstin Griese Johannes Pflug Heidi Wright Ingo Wellenreuther Gabriele Groneberg Joachim Poß Uta Zapf Karl-Georg Wellmann Achim Großmann Christoph Pries Manfred Zöllmer Annette Widmann-Mauz Wolfgang Grotthaus Dr. Wilhelm Priesmeier Klaus-Peter Willsch Wolfgang Gunkel Willy Wimmer (Neuss) Hans-Joachim Hacker Dr. Sascha Raabe FDP Elisabeth Winkelmeier- Becker Klaus Hagemann Maik Reichel Jens Ackermann Dagmar Wöhrl Alfred Hartenbach Gerold Reichenbach Dr. Karl Addicks Wolfgang Zöller Michael Hartmann Dr. Carola Reimann Daniel Bahr (Münster) Willi Zylajew (Wackernheim) Christel Riemann- Uwe Barth Dr. Reinhold Hemker Hanewinckel Angelika Brunkhorst Rolf Hempelmann Ernst Burgbacher SPD Dr. Barbara Hendricks Sönke Rix Mechthild Dyckmans Dr. Lale Akgün Gustav Herzog René Röspel Jörg van Essen Petra Heß Dr. Ernst Dieter Rossmann Ulrike Flach Gabriele Hiller-Ohm Karin Roth (Esslingen) Niels Annen Stephan Hilsberg Paul K. Friedhoff Ingrid Arndt-Brauer (Essen) Marlene Rupprecht (Bayreuth) Rainer Arnold Gerd Höfer (Tuchenbach) Dr. Edmund Peter Geisen Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 133. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. Dezember 2007 13991

Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt (A) Miriam Gruß Jürgen Koppelin Detlef Parr Dr. Rainer Stinner (C) Joachim Günther (Plauen) Heinz Lanfermann Cornelia Pieper Carl-Ludwig Thiele Dr. Christel Happach-Kasan Harald Leibrecht Gisela Piltz Florian Toncar Heinz-Peter Haustein Ina Lenke Jörg Rohde Christoph Waitz Elke Hoff Patrick Meinhardt Frank Schäffler Dr. Guido Westerwelle Dr. Werner Hoyer Jan Mücke Dr. Konrad Schily Dr. Claudia Winterstein Dr. Heinrich L. Kolb Dirk Niebel Dr. Hellmut Königshaus Hans-Joachim Otto Dr. Hermann Otto Solms Hartfrid Wolff (Rems-Murr) Gudrun Kopp (Frankfurt) Dr. Max Stadler Martin Zeil

Nun fahren wir in der Debatte fort. Ich erteile das schärfung des Waffenrechts erheblich zu einer Stärkung Wort dem Kollegen Hartfrid Wolff von der FDP-Frak- der öffentlichen Sicherheit beitragen könne. Wenn 97 tion. oder 98 Prozent der Straftaten mit Schusswaffen bereits am Waffengesetz vorbei begangen werden, ist das He- (Beifall bei der FDP) rumdoktern am Waffengesetz nichts anderes als Aktio- nismus, also eine reine Alibihandlung. Hartfrid Wolff (Rems-Murr) (FDP): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Frau (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten Stokar hat einige bedauerliche Fälle genannt. Ich stimme der CDU/CSU) aber Herrn Grindel ausdrücklich zu: Das Waffenrecht ist Um die Sicherheit kann es den Grünen nachvollziehba- nicht das Instrument, um diesen zu begegnen. rerweise also nicht gehen. Das geltende deutsche Waffenrecht zählt zu den strengsten der Welt. Wenn die Frage gestellt wird, ob das Problemlösungen im Bereich der Kriminalität müssen bisherige Waffengesetz überhaupt geändert werden muss, nicht primär das Waffenrecht, sondern den Zusammen- dann lautet nach Meinung der FDP die Antwort primär hang zwischen Straftat und Strafe und das vernachläs- folgendermaßen: Ein triftiger Grund hierfür wäre, dass sigte Feld von Kriminalprävention in den Blick nehmen. das geltende Waffenrecht vereinfacht und verständlicher wird. Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: (Beifall bei der FDP) Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Stokar von Neuforn? (B) An der Notwendigkeit, diese Forderung zu erheben, hat (D) sich leider auch nach der letzten Waffenrechtsreform Hartfrid Wolff (Rems-Murr) (FDP): durch die rot-grüne Koalition nichts geändert. Im Ge- genteil: Von Vereinfachung, Rücknahme der Regelungs- Bitte schön. dichte, Übersichtlichkeit und Lesbarkeit kann man im Hinblick darauf wirklich nicht sprechen. Silke Stokar von Neuforn (BÜNDNIS 90/DIE (Beifall bei der FDP – Silke Stokar von GRÜNEN): Neuforn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Bü- Danke. – Herr Kollege Wolff, ist Ihnen bekannt – ich rokratieabbau bei Waffen wollten wir auch will nur eine Zahl nennen –, dass in den letzten Jahren nie!) allein in Berlin 800 Körperverletzungen, zum Teil mit Todesfolge, mit Messern verübt wurden Darüber hinaus war der ursprüngliche Inhalt des Ge- setzentwurfs eindeutig gegen die berechtigten Interessen (Reinhard Grindel [CDU/CSU]: Die sind doch von Personen, die Waffen legal besitzen, insbesondere schon jetzt verboten!) von Jägern, Sportschützen und Sammlern antiquarischer Waffen, gerichtet. und dass in den Großstädten die Anzahl der Straftaten, die mit Messern begangen wurden – das ist der Hauptansatz- (Beifall bei der FDP) punkt unseres Antrages im Bereich des Waffenrechts –, um 25 Prozent zugenommen hat? Insbesondere die Stadt- Leider knüpfen die Grünen mit ihrem vorliegenden An- staaten Berlin, Bremen und Hamburg sehen erheblichen trag in mancher Hinsicht an diese unerfreuliche Tradi- Handlungsbedarf des Bundesgesetzgebers mit Blick auf tion an. das Waffengesetz. Um es klar zu sagen: Die FDP ist bereit, ernsthaft da- rüber zu reden, wie die Sicherheit der Bürgerinnen und Hartfrid Wolff (Rems-Murr) (FDP): Bürger tatsächlich verbessert werden kann. Gewaltkri- Frau Kollegin Stokar, es ist wirklich bedauerlich, dass minalität muss wirksam begegnet werden. eine ganze Reihe von Straftaten mit diesen Waffen ver- Auf eine Kleine Anfrage der FDP-Bundestagsfraktion übt wurden. Aber ich glaube wirklich nicht, dass Sie die- hat die Bundesregierung mitgeteilt, dass nur 2 bis 3 Pro- ses Problem mit einer Verschärfung des Waffenrechts lö- zent aller im Zusammenhang mit Straftaten sicherge- sen können. Denn viele der Straftaten – auch das besagt stellten Schusswaffen aus legalem Besitz stammen. Das die Statistik – werden mit Küchenmessern – zum Teil führt die Aussage der Grünen ad absurdum, dass die Ver- auch in der Küche – begangen. 13992 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 133. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. Dezember 2007

Hartfrid Wolff (Rems-Murr) (A) (Lachen beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Es muss doch klar sein, dass es nicht darum gehen (C) Jerzy Montag [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: kann, Alltagsgegenstände allesamt zu verbieten, nur weil Das ist der beste Witz!) sie, falsch eingesetzt, gefährlich missbraucht werden können. Dieser falsche Einsatz ist bereits strafbar. Das Problem ist aber – da muss ich dem Kollegen Schauen Sie mal in § 224 StGB nach. Grindel recht geben –, dass Sie Messer nicht generell verbieten können. Denn was sollen dann Metzger und Den Grünen geht es, wenn sie Begriffe wie „verfehlte diejenigen, die Holzschnitzereien als Hobby betreiben, männliche Machokultur“ nutzen oder von der „Entwaff- machen? nung gerade von jungen Männern“ sprechen, schlicht um Klientelpflege. (Reinhard Grindel [CDU/CSU]: Die Messer, mit denen Straftaten begangen wurden, sind (Jerzy Montag [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- bereits verboten!) NEN]: Ach was!) Die gefährlichen Messer – da hat der Kollege Grindel Einen grünen Pranger für legale Waffenbesitzer, für Jä- recht – sind bereits verboten und bleiben verboten. Aber ger, Sportschützen und Sammler, lehnt die FDP eindeu- beispielsweise Küchenmesser und ähnliche Messer fal- tig ab. len aus meiner Sicht zu Recht nicht unter dieses Verbot. (Beifall bei der FDP – Jerzy Montag [BÜND- Man kann an dieser Stelle nicht nach Gegenständen dif- NIS 90/DIE GRÜNEN]: Das war jetzt martia- ferenzieren. Sie müssen sich um die Täter kümmern. Das lisch-männlich!) ist der richtige Ansatz. Die FDP erwartet von der Bundesregierung umge- (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) hend ein plausibles Konzept, wie sie den unübersichtli- Was Sie in Ihrem Antrag darstellen, ist meines Erach- chen Wust des deutschen Waffenrechts klären will. tens ein Sammelsurium von bürokratieverliebten Forde- (Silke Stokar von Neuforn [BÜNDNIS 90/DIE rungen. Das haben Sie auch gerade wieder gezeigt. Die GRÜNEN]: „Freiheit für Messerträger“ ist geforderte Verlängerung von Aufbewahrungsfristen für das, was Sie hier vortragen!) Waffenbücher – damit komme ich zu der Bürokratie, die Sie vorschlagen – oder eine weitgehende Buchführungs- Die Antwort auf zunehmende Gewaltkriminalität, die und Kennzeichnungspflicht ist eine Arbeitsbeschaf- der Rechtsstaat geben muss, muss weit über eine waffen- fungsmaßnahme für Bürokraten. Ein Sicherheitsgewinn rechtliche Problemstellung hinausgehen. ist dadurch tatsächlich nicht zu erwarten. In diesem Sinne wird die FDP die weiteren Beratun- gen der bevorstehenden Gesetzgebungsvorhaben der (B) (Beifall bei der FDP) (D) Bundesregierung zum Waffenrecht genau beobachten Forderungen wie „Konzepte zu entwickeln“, wie und kritisch begleiten. Waffenverbote durchgesetzt werden können, sind aus meiner Sicht wohlfeil. Einen konkreten Vorschlag unter- Vielen Dank. breiten Sie nicht. Die Forderung der Grünen nach einer (Beifall bei der FDP) wirksamen Verbotsregelung, die „verbesserte Eingriffs- möglichkeiten gegen öffentlich getragene Baseballschlä- Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: ger, … Motorradketten und andere gefährliche Gegen- Nächste Rednerin ist die Kollegin Gabriele stände“ schafft, wirft schon Fragen auf: Soll eine Fograscher für die SPD-Fraktion. legitime Tätigkeit wie etwa das Baseballspielen und das Motorradfahren verboten oder mit einem unerträglichen Bürokratiewust überzogen werden, um Straftäter von der Gabriele Fograscher (SPD): missbräuchlichen Verwendung beispielsweise von Mo- Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kolle- torradketten abzuhalten? Ist damit zu rechnen, dass diese gen! Die Bundesregierung und die Koalitionsfraktionen sich an das Verbot halten? Ein großer Teil der Gewalt- brauchen keine Aufforderung der Grünen, um Verschär- straftaten werden zu Hause – zum Beispiel, wie ich fungen oder Verbesserungen des bestehenden Waffen- schon sagte, mit Küchenmessern – begangen. rechts durchzusetzen. Zurück zum Thema Motorradketten. Ich stelle mir (Silke Stokar von Neuforn [BÜNDNIS 90/DIE Herrn Struck vor, wie er abends von einer Motorradtour GRÜNEN]: Die brauchten sie schon immer!) heimkommt. Ich finde, wir sollten zu dem stehen, was wir in der (Silke Stokar von Neuforn [BÜNDNIS 90/DIE letzten Legislaturperiode gemacht haben. Das Waffen- GRÜNEN]: Das ist eine unglaubliche Ver- recht ist damals neu geregelt worden. Die Systematik harmlosung!) und die Struktur sind verbessert worden, und das Gesetz ist im Interesse einer besseren Vollziehbarkeit in einigen Er nimmt dann die Motorradkette herunter, schließt sie Teilen verschärft worden. Das hat zur Stärkung der inne- über Nacht im Panzerschrank des Schützenvereins ein. ren Sicherheit geführt. Nachträglich kennzeichnet er jedes Kettenglied. Über (Beifall bei der SPD) den Ersatz eines jeden Kettengliedes führt er genau Buch. Das schlagen Sie vor. Ich glaube, das ist wirklich Tragisch war allerdings, dass der Amoklauf an der Erfur- zu viel. ter Schule an dem Tag stattfand, an dem wir im Bundes- Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 133. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. Dezember 2007 13993

Gabriele Fograscher (A) tag dieses Gesetz beraten haben. Über den Bundesrat tionen verheerende Folgen haben kann. Diese Gefahr (C) sind dann nochmals Verschärfungen des Gesetzes vorge- geht auch von Anscheinswaffen aus, die zum Beispiel in nommen worden. einem Holster getragen werden. Deshalb werden wir auch das verdeckte Führen dieser Waffen verbieten. Solch brutale Amokläufe und andere Gewalttaten – da stimme ich Ihnen zu – sind immer wieder Anlass, um (Silke Stokar von Neuforn [BÜNDNIS 90/DIE Verschärfungen des Waffenrechts zu fordern. Ich stimme GRÜNEN]: Und warum nicht den Erwerb? – den Antragstellern dahin gehend zu – das gilt im Übri- Gegenruf des Abg. Reinhard Grindel [CDU/ gen für alle hier –, dass alles getan werden muss, um die CSU]: Weil das rechtlich problematisch ist!) Zunahme von Gewaltdelikten wie „Messerattacken mit tödlichem Ausgang oder schwere Körperverletzungen“ Notwendig ist auch eine Neufassung des sogenannten einzudämmen. Dazu bedarf es vielfältiger Anstrengun- Erbenprivilegs. Kann der Erbe einer Schusswaffe ein gen in den Kommunen, in den Ländern, beim Bund, aber Bedürfnis nachweisen, ist er zuverlässig und persönlich auch in der Zivilgesellschaft. Die Forderung nach einer geeignet, so wird diese Waffe entsprechend jeder käuf- Verschärfung des Waffengesetzes kann das Problem al- lich erworbenen Waffe behandelt. Kann der Erbe dieses lein nicht lösen. Bedürfnis nicht nachweisen, muss er dafür sorgen, dass die Waffe schussunfähig gemacht wird. Dazu wird die (Hartfrid Wolff [Rems-Murr] [FDP]: Richtig!) Waffe künftig nicht mehr unumkehrbar zerstört werden Verbote bzw. schärfere Gesetze müssen auch vollzogen, müssen, sondern sie wird mithilfe eines Blockiersys- durchgesetzt und kontrolliert werden. Daran fehlt es oft. tems, das inzwischen von der Industrie entwickelt wor- den ist, schussunfähig gemacht. Damit wird die Waffe In Ihrem Antrag fordern Sie – das ist schon angespro- nicht mehr zerstört, sondern ihr Wert bleibt erhalten. chen worden –, das Tragen von Waffen, Messern, Base- ballschlägern, Metallrohren, Motorradketten und ande- Mit dem Gesetzentwurf der Bundesregierung wird, ren gefährlichen Gegenständen in der Öffentlichkeit wie von Ihnen gefordert, auch das Schusswaffenproto- grundsätzlich zu verbieten. Dieser Aufzählung müsste koll der Vereinten Nationen umgesetzt; dabei geht es man zahllose Gegenstände des Alltags, die als Waffe be- zum Beispiel um die Markierung und Nachverfolgung nutzt werden können, hinzufügen. von Schusswaffen. Weitere Forderungen Ihres Antrags werden bzw. sind schon umgesetzt. So sind bestimmte Die Polizei kann bereits heute zur Gefahrenabwehr Messertypen – auch dies wurde hier schon angesprochen – einschreiten. Für Demonstrationen, Sportstadien, Schu- und – im Antrag der Grünen fehlt das; wir werden das len und Orte mit besonderem Gefahrenpotenzial können regeln – sogenannte Taser, also Distanzelektroimpulsge- (B) Verbote erlassen werden. Das geschieht ja auch. In die- räte, verboten worden. (D) sem Jahr haben wir eine Regelung verabschiedet, die das Tragen von Waffen an Brennpunkten gewaltbereiter Sze- Ich bin sehr für ein strenges und restriktives Waffen- nen verbietet. Hamburg hat in dieser Woche als erstes gesetz und befürworte die Ächtungskampagne, die im Bundesland von dieser Regelung Gebrauch gemacht. Ich Übrigen schon seit März 2005 läuft. Ich bin aber gegen finde, man muss jetzt erst einmal abwarten, welche Er- immer neue Auflagen für den legalen Waffenbesitz. Die fahrungen mit dieser Regelung gemacht werden. Auf- große Mehrheit der Personen, die Waffen besitzt, geht grund dieser Erfahrungen kann man dann weiter ge- mit ihnen verantwortungsvoll und zuverlässig um. Das hende Regelungen beschließen. Problem sind in den meisten Fällen von Kriminalität nicht die Waffen, die legal erworben wurden und für den (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Jagd- und Schießsport benutzt werden. Sorgen machen Das gilt im Übrigen auch für Ihre Forderung nach uns die illegal erworbenen Waffen – hier ist die Dunkel- Einführung eines Waffenscheins für Gas- und Schreck- ziffer extrem hoch –, die sich in den Händen von Krimi- schusswaffen. Auch dieses Thema ist schon genannt nellen befinden. Diese Waffen werden wir auch durch worden. Die Regelung, die wir mit dem Waffengesetz noch so strenge Regelungen im Waffenrecht nicht erfas- 2003 beschlossen haben, der sogenannte kleine Waffen- sen können. schein, hat dazu geführt, dass der Verkauf dieser Waffen In allen Diskussionen über Waffenverbote und über um 90 Prozent zurückgegangen ist. Ich finde, auch diese mehr Sicherheit für die Bevölkerung sollten wir darauf Regelung hat sich bewährt. achten, dass der legale Waffenbesitz nicht kriminalisiert (Beifall bei Abgeordneten der SPD) wird. Wir sollten uns nicht immer neue Vorschriften aus- denken, die in der Realität nicht umsetzbar und nicht Regelungsbedarf sehen wir bei den Anscheinswaffen kontrollierbar sind. Solche überzogenen, unrealistischen und dem sogenannten Erbenprivileg. Bei den Anscheins- Forderungen finden sich im Antrag von Bündnis 90/Die waffen weist das geltende Recht eine Lücke auf, die aus Grünen. Gründen der inneren Sicherheit beseitigt werden muss. Das Führen von Anscheinswaffen soll grundsätzlich ver- Ein solcher Vorschlag ist, Waffen zentral in Schützen- boten werden; denn von diesen Waffen geht ein erhebli- heimen aufzubewahren. Dieser Vorschlag ist einfach un- ches Drohpotenzial aus, das zu kriminellen Zwecken be- tauglich. Die Aufbewahrung von Schusswaffen in den nutzt werden kann. Die Polizei kann diese täuschend Waffenschränken der Besitzer ist sicherer als die Aufbe- echt wirkenden Nachbildungen im Einsatz nicht von wahrung im massenhaft bestückten Waffendepot eines echten Schusswaffen unterscheiden, was in Notwehrsitua- Schützenvereins in einem Dorf. 13994 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 133. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. Dezember 2007

Gabriele Fograscher (A) Wir lehnen Ihren Antrag ab, laden Sie aber ein, sich Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der Gesetzent- (C) an den anstehenden Beratungen konstruktiv und pragma- wurf ist damit mit dem gleichen Stimmenverhältnis an- tisch zu beteiligen. genommen. Danke schön. Wir kommen zur Abstimmung über den Entschließungs- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten antrag der Fraktion der FDP auf Drucksache 16/7554. Wer der CDU/CSU) stimmt für diesen Entschließungsantrag? – Wer ist dage- gen? – Enthaltungen? – Der Entschließungsantrag ist da- mit abgelehnt mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: gegen die Stimmen der Oppositionsfraktionen. Die Kollegin Petra Pau hat ihre Rede zu Protokoll ge- geben. Damit kann ich die Aussprache schließen.1) Ich rufe nun den Tagesordnungspunkt 14 auf: Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage auf Beratung der Beschlussempfehlung und des Be- Drucksache 16/6961 an die in der Tagesordnung aufge- richts des Ausschusses für Gesundheit führten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit ein- (14. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeordne- verstanden? – Ich sehe, das ist der Fall. Dann ist die ten Jens Ackermann, Hartfrid Wolff (Rems- Überweisung so beschlossen. Murr), Daniel Bahr (Münster), weiterer Abgeord- Wir kommen zu Tagesordnungspunkt 15: neter und der Fraktion der FDP Zweite und dritte Beratung des von der Bundesre- Dem Beruf des Rettungsassistenten eine Zu- gierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes kunftsperspektive geben – Das Rettungsassis- zur Regelung des Statusrechts der Beamtinnen tentengesetz novellieren und Beamten in den Ländern (Beamtenstatus- – Drucksachen 16/3343, 16/6798 – gesetz – BeamtStG) Berichterstattung: – Drucksachen 16/4027, 16/4038 – Abgeordneter Dr. Hans Georg Faust Beschlussempfehlung und Bericht des Innenaus- schusses (4. Ausschuss) Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. – Ich höre – Drucksache 16/7508 – dazu keinen Widerspruch. Dann werden wir so verfah- Berichterstattung: ren. Abgeordnete Ralf Göbel Ich eröffne die Aussprache und erteile als erstem Red- (B) Siegmund Ehrmann ner dem Kollegen Dr. Hans Georg Faust für die CDU/ (D) Dr. Max Stadler CSU-Fraktion das Wort. Petra Pau Silke Stokar von Neuforn Dr. Hans Georg Faust (CDU/CSU): Hierzu liegt ein Entschließungsantrag der Fraktion Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! der FDP vor. Die Kolleginnen und Kollegen Ralf Göbel, Liebe Kollegen! Das Gutachten 2007 des Sachverständi- Siegmund Ehrmann, Dr. Max Stadler, Petra Pau und genrates zur Begutachtung der Entwicklung im Gesund- Silke Stokar von Neuforn haben ihre Reden zu Protokoll heitswesen befasst sich mit der Zusammenarbeit der Ge- 2) gegeben . Damit erübrigt sich eine Aussprache, und wir sundheitsberufe. In diesen Zusammenhang sind auch die können gleich über die Vorlagen abstimmen. Überlegungen zur modernen Entwicklung der nichtärzt- Wir kommen zunächst zur Abstimmung über den von lichen Gesundheitsberufe zu stellen. Dies geschieht zur- der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Geset- zeit im Pflegeweiterentwicklungsgesetz. So gesehen zes zur Regelung des Statusrechts der Beamtinnen und greift auch der FDP-Antrag ein Problem auf, das grund- Beamten in den Ländern. Der Innenausschuss empfiehlt sätzlich diskutiert und einer Lösung zugeführt werden in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/7508, muss. den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf den Druck- Der Rettungsassistent wird heute in zwei Aufgabenbe- sachen 16/4027 und 16/4038 in der Ausschussfassung reichen tätig. Er leistet Erste Hilfe am Notfallort, er muss anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzent- lebensrettende Sofortmaßnahmen durchführen – hier ist wurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um er im Wesentlichen eigenverantwortlich tätig –, und er das Handzeichen. – Wer ist dagegen? – Enthaltungen? – assistiert dem Notarzt und wird damit in einer unterstüt- Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung ange- zenden Funktion tätig. Besonders in der erstgenannten nommen mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen ge- Funktion tragen Rettungsassistenten gegenüber ihren Pa- gen die Stimmen der Oppositionsfraktionen. tienten eine große Verantwortung, da sie auf sich alleine Dritte Beratung gestellt sind. Sie müssen entscheiden, welche Maßnah- men bei Patienten mit Schock, mit starken Schmerzzu- und Schlussabstimmung. Diejenigen, die dem Gesetz- ständen oder mit Atemstörungen getroffen werden müs- entwurf zustimmen wollen, bitte ich, sich zu erheben. – sen. Häufig müssen sie auch entscheiden, ob der Notarzt zugezogen wird. Aus meiner Erfahrung als Arzt im Ret- 1) Anlage 7 tungsdienst schätze ich das sehr hoch ein und möchte 2) Anlage 8 den im Rettungsdienst tätigen Mitarbeiterinnen und Mit- Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 133. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. Dezember 2007 13995

Dr. Hans Georg Faust (A) arbeitern meine Anerkennung für die hervorragenden worden, das eine direkte Beurteilung der Fähigkeiten (C) Leistungen aussprechen. und Erfahrungen des einzelnen Rettungsassistenten im Hinblick auf die Durchführung ärztlicher Maßnahmen (Beifall im ganzen Hause) ermöglicht und damit eine qualifizierte Zuordnung von Trotz des richtigen Ansatzes, das seit 1989 geltende Aufgaben zulässt. Rettungsassistentengesetz zu novellieren, wird die CDU/ Des Weiteren möchte ich etwas zu der im Antrag ge- CSU-Bundestagsfraktion heute dem Antrag nicht zu- forderten Anerkennung als Heilberuf sagen. Nach ge- stimmen können. genwärtiger Gesetzeslage dürfen nur Ärzte, Zahnärzte (Hartfrid Wolff [Rems-Murr] [FDP]: Traurig! – und in begrenztem Maße Heilpraktiker die Heilkunde Frank Spieth [DIE LINKE]: Schade!) ausüben. Davon ist aber unberührt, dass der Begriff der Heilberufe – im Gutachten wird der ältere, traditionelle Es ist unstreitig, dass das alte Gesetz den heutigen An- Begriff „Gesundheitsberuf“ benutzt – viel weiter zu fas- sprüchen an eine fach- und sachgerechte Versorgung sen ist. Diesbezüglich hat die öffentliche Anhörung im nicht mehr genügt. Aber bei der anstehenden Novellie- Gesundheitsausschuss am 4. Juli 2007 deutlich gemacht, rung geht es nicht nur darum, den Zugang zur Ausbil- dass der Rettungsassistent schon heute zu den Fachberu- dung oder die Dauer der Ausbildung zu regeln, sondern fen im Gesundheitswesen und damit zum Kreis der Ge- auch darum, die medizinischen Fortschritte bei der Ver- sundheitsberufe zählt. sorgung von Notfall- und schwerkranken Patienten zu berücksichtigen. Aber auch die sich verändernde Kran- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) kenhauslandschaft mit sich verändernden Versorgungs- Ein weiterer wichtiger Punkt im Antrag betrifft die strukturen, die aus zunehmenden Entfernungen zwi- Finanzierung. Nach dem Urteil des Landesarbeitsge- schen den Krankenhäusern resultieren, muss eine richts Sachsen vom 30. September 2005 steht dem im besondere Beachtung finden. Das drückt sich dann auch Rettungsdienst Tätigen ein einklagbarer Anspruch auf in der Frage aus, was der neue Rettungsassistent oder eine Ausbildungsvergütung zu. In der Anhörung haben wie immer er heißen wird, können und dürfen soll: Wie wir im Interesse der Rettungsassistenten hinterfragt, wie ist es um seine Kompetenz bestellt, und wie ordnet sich die tatsächliche Situation bei der Zahlung von Ausbil- diese in einen gesundheitspolitischen Gesamtrahmen dungsvergütungen ist. Wir haben von allen Vertretern ein? der Leistungserbringer gehört, dass jeder Auszubildende Ich möchte auf drei Punkte näher eingehen, und zwar eine entsprechende Ausbildungsvergütung bekommt. zunächst auf die Übertragung von ärztlichen Kompeten- Wir wissen aber durch Nachfrage bei den Rettungsas- zen auf nichtärztliches Personal. Bisher kann das nicht- (B) sistenten, dass in der Realität ein großes Fragezeichen (D) ärztliche Personal im Rahmen der von der Ärztekammer hinter diese Aussage zu setzen ist und ein Ausbildungs- definierten sogenannten Notkompetenz ärztliche Maß- platz insbesondere dann schwer zu bekommen ist, wenn nahmen dann vornehmen, wenn ein Arzt nicht oder nicht die Befürchtung besteht, dass der Bewerber im Nachhi- rechtzeitig am Einsatzort sein kann. Vereinfacht gesagt, nein Ansprüche stellen wird. Aus meiner Sicht ist es ein ist jeder Mensch und der Rettungsassistent besonders unhaltbarer Zustand, dass junge, motivierte Menschen, dazu verpflichtet, das zur Rettung von Leben zu tun, was die später schon nur sparsam bezahlt werden, auch noch im Rahmen seiner Kenntnisse und seiner Möglichkeiten die volle Last der Ausbildungskosten tragen müssen. liegt. Es gibt hier also keinen rechtsfreien Raum, auch wenn der Antrag das sagt. Aber natürlich gibt es die Si- (Beifall bei der CDU/CSU und der LINKEN tuation, dass sich schwerkranke Menschen in einem be- sowie bei Abgeordneten des BÜNDNIS- drohlichen Zustand befinden, der durch rasches Handeln SES 90/DIE GRÜNEN) abgewendet werden könnte. Häufig sind dies aber Situa- Diesbezüglich werden wir in einem neuen Gesetz deutli- tionen, in denen die Notkompetenz noch nicht rechtlich che Veränderungen vornehmen müssen. einwandfrei vorhanden ist. Soll der Rettungsassistent jetzt tätig werden dürfen, besonders wenn es sich im Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, lieber Herr Notfall um ärztliche Tätigkeiten handeln würde? Kollege Ackermann, die Ausbildung des zukünftigen Rettungsassistenten soll den Mitarbeiterinnen und Mitar- Hier stellt sich die Frage – die stellt sich auch das beitern im Rettungsdienst die Kenntnisse, Fähigkeiten Sachverständigengutachten – zur Substitution und Dele- und Fertigkeiten vermitteln, die zur Erstversorgung le- gation von Leistungen. Substitution bedeutet die Über- bensbedrohlich verletzter und erkrankter Patienten bis gabe von bestimmten Tätigkeitsinhalten von einer Be- zur Übernahme durch den Arzt erforderlich sind, ein- rufsgruppe an eine andere. Diese Überlegung mag hier schließlich des sach- und fachgerechten Transports die- zurückstehen, da es in der Regel bei den Rettungsassis- ser Personen. tenten um Delegation von Leistungen aus dem ärztlichen Bereich geht. Hier muss geregelt werden, welche Leis- Darüber hinaus soll die Ausbildung dazu befähigen, tungen grundsätzlich delegationsfähig und welche Leis- mit anderen im Rettungsdienst tätigen Personen sowie tungen im Einzelfall delegationsfähig sind. Die Delega- Angehörigen anderer an rettungsdienstlichen Einsätzen tionsfähigkeit wird ferner von der Persönlichkeit des beteiligter Berufsgruppen – insbesondere mit den Ärz- Mitarbeiters bestimmt. Durch die Einführung des „Ärzt- ten, aber auch mit der Feuerwehr und der Polizei – zu- lichen Leiters Rettungsdienst“ in den meisten Bundes- sammenzuarbeiten und – das muss heutzutage sein – die- ländern ist ein Qualitätssicherungsmerkmal eingeführt jenigen Verwaltungsaufgaben zu erledigen, die in 13996 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 133. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. Dezember 2007

Dr. Hans Georg Faust (A) unmittelbarem Zusammenhang mit den Aufgaben im Können nicht komplett anwenden dürfen. Um Leben zu (C) Rettungsdienst stehen. retten, berufen sie sich auf eine Notkompetenz. Sie han- deln im Interesse der Patienten, ohne rechtlich abgesi- (Hartfrid Wolff [Rems-Murr] [FDP]: Und wa- chert zu sein. In einer physisch und psychisch belasten- rum lehnen Sie den Antrag jetzt ab?) den Situation die Handelnden dadurch zusätzlichem Weil sich die Notfallmedizin im stetigen Wandel be- Stress auszusetzen, ist unhaltbar. findet und als dynamischer Prozess angesehen werden (Beifall bei der FDP) muss, ist es unserer Auffassung nach nicht sinnvoll, Kompetenzen im Rettungsassistentengesetz detailliert Die Kompetenzen müssen klar geregelt werden. festzuschreiben. Stattdessen erachten wir es als besser, eine fachlich kompetente Institution mit der Zuweisung Die FDP bekennt sich zum Notarztsystem; Notärzte der Aufgaben und Befugnisse der im Rettungsdienst täti- sind ein unverzichtbarer Teil des Systems. Die Nichtbe- gen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu beauftragen. setzung von Notarztstandorten bzw. die Aushöhlung der Krankenhauslandschaft – Kollege Faust hat darauf hin- Damit diese fachlichen Aufgaben übernommen wer- gewiesen – sehen wir zunehmend als Problem. In Zu- den können, wollen wir gemeinsam mit dem Bundes- kunft wird es noch länger dauern, bis ein Arzt am Un- ministerium für Gesundheit nach sachgerechten und fallort eintrifft. Die Notärzte sind im Interesse einer nachhaltigen Lösungen suchen, welche dann im Einver- bestmöglichen Versorgung der Patienten bereit, Kompe- nehmen mit den Beteiligten umgesetzt werden. tenzen an die Rettungsassistenten abzugeben. Eine An- hörung im Gesundheitsausschuss hat dies bestätigt, und (Beifall bei der CDU/CSU) in der Praxis funktioniert es auch so. Machen wir doch Ich bin zuversichtlich, dass wir das Rettungsassisten- aus der Not eine Tugend! Durch eine Zentralisierung der tengesetz gemeinsam so gestalten werden, dass bei der Notarztstandorte kann, wenn gleichzeitig das geschulte Ausbildung der Rettungsassistenten die medizinischen und unter regelmäßiger ärztlicher Kontrolle stehende Fortschritte bei der Versorgung von Notfall- sowie Rettungsfachpersonal geregelte Kompetenzen über- schwerkranken Patienten adäquat berücksichtigt werden nimmt, die präklinische Notfallversorgung optimiert und können Geld eingespart werden. (Hartfrid Wolff [Rems-Murr] [FDP]: Wo ist (Beifall bei der FDP) der Gesetzentwurf? Bringen Sie doch einmal einen ein!) Die frei werdenden finanziellen Ressourcen können zur Finanzierung einer dreijährigen Ausbildung einge- und somit die Zukunftsfähigkeit dieses wichtigen Beru- setzt werden. Eine klassische dreijährige Berufsausbil- (B) fes im Gesundheitswesen dauerhaft sichergestellt ist. dung stellt eine Vergleichbarkeit mit anderen Medizinal- (D) fachberufen her. Hier können Synergien in der Vielen Dank fürs Zuhören. Ausbildung zu einer Kostenreduktion führen. Außerdem (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- erhalten Rettungsassistenten so die Möglichkeit, ihren neten der SPD) Berufsweg individuell zu gestalten. Der Beruf ist näm- lich so anstrengend, dass er selten bis zur Rente ausgeübt Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: wird. Schon in der Ausbildung muss daher der Grund- Nächster Redner ist der Kollege Jens Ackermann für stein dafür gelegt werden, dass später in andere Berufe die FDP-Fraktion. gewechselt werden kann. (Beifall bei der FDP) (Beifall bei der FDP) Ein Pilotprojekt in Nordrhein-Westfalen beweist, dass Jens Ackermann (FDP): das machbar ist: Die Malteser bilden seit einigen Jahren Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine werten Kolle- dreijährig aus und haben gute Erfahrungen gesammelt. ginnen und Kollegen! Zeit ist relativ – das wusste schon Wir haben unseren Antrag an den Vorschlägen der Stän- Albert Einstein. Fünf Minuten Redezeit sind relativ we- digen Konferenz für den Rettungsdienst orientiert, in der nig, um Ihnen zu erläutern, warum es notwendig ist, das alle Akteure des Rettungswesens vertreten sind. Die Rettungsassistentengesetz zu novellieren. In einem Not- Ständige Konferenz hat uns eine gute Vorlage gegeben. fall sind fünf Minuten eine Ewigkeit. Stellen Sie sich Was liegt näher, als die Praktiker vor Ort anzuhören? Ich vor, Sie müssten bei einem Herzinfarkt oder bei einem fordere die Bundesregierung auf: Schieben Sie die No- Verkehrsunfall Erste Hilfe leisten. Jeder von uns ist froh, vellierung des Rettungsassistentengesetzes nicht auf die wenn die Profis vom Rettungsdienst vor Ort sind. Diese lange Bank! Profis, diese Rettungssanitäter und Rettungsassistenten, (Beifall bei der FDP) sind sehr gut ausgebildet. Sie sind geschult in Diagnose und Therapie, und ihnen steht eine Ausrüstung zur Ver- Es geht um eine bessere Versorgung von Menschen in fügung, die sich europaweit sehen lassen kann; jeder, der Not. schon einmal in einen Rettungswagen geschaut hat, weiß Im ersten Halbjahr 2008 soll eine Expertenkommis- das. sion eingesetzt werden, die im zweiten Halbjahr 2008 Das Dilemma besteht darin, dass die Rettungsassis- Vorschläge unterbreitet. Leider, so teilte mir Staatssekre- tenten im Notfall ihr staatlich geprüftes Wissen und tär Schwanitz mit, ist es nicht vorgesehen, dass auch Par- Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 133. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. Dezember 2007 13997

Jens Ackermann (A) lamentarier dieser Expertengruppe angehören. Ich be- pertengruppe, die aus Vertretern der Fachverbände in (C) daure das sehr; denn letztendlich müssen wir im Plenum den Ländern besteht, zu beantworten und einen entspre- einer Novellierung des Rettungsassistentengesetzes zu- chenden Entwurf vorzulegen. stimmen. Ich bitte Sie, Herr Staatssekretär: Beteiligen Sie auch die Parlamentarier, um zu einem guten Rettungs- Wir lehnen den Antrag der FDP heute auch deshalb assistentengesetz zu kommen! ab, weil genau auf diese schwierigen Detailfragen, die noch beantwortet werden müssen, keine Antworten ge- (Beifall bei der FDP – Annette Widmann- geben werden. Zu diesen Fragen gehören zum Beispiel Mauz [CDU/CSU]: Das wird er tun; da bin ich auch die Gestaltung der Ausbildung – Herr Dr. Faust hat ganz sicher!) das schon genannt – und die Struktur der Ausbildung. Das Verhältnis von Unterricht und praktischer Ausbil- Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: dung hängt unter anderem ganz wesentlich von der Aus- Nun hat das Wort die Kollegin Dr. Margrit Spielmann gestaltung der fachlichen Kompetenzen ab. Eine Ausbil- für die SPD-Fraktion. dung, durch die zum Beispiel die eigenständige Notfallversorgung am Unfallort ermöglicht werden soll, (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten bedarf eines vergleichsweise umfangreichen Ausbil- der CDU/CSU) dungsanteils in den intensivmedizinischen Bereichen des Krankenhauses, damit die erforderlichen Kenntnisse und Dr. Margrit Spielmann (SPD): Fähigkeiten sicher erlernt werden können. Die Vertei- Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! lung muss sich deshalb auf der Grundlage der Ausbil- Mit dem vorliegenden Antrag der FDP werden Probleme dungsinhalte und der daraus erwachsenden Ansprüche im Bereich des Rettungsdienstes dargestellt, die sich un- an dem Umfang des Unterrichts und der praktischen ter anderem aus der derzeitigen Regelung der Ausbil- Ausbildung orientieren und sorgfältig geklärt werden. dung zum Rettungsassistenten ergeben. Zutreffend in Ih- rem Antrag, Herr Ackermann, ist, dass die derzeitige Genauso müssen die Konsequenzen einer Ausbil- Ausbildung überholt werden muss. Zutreffend ist auch, dungsverlängerung für den Bereich der Feuerwehren dass das Rettungsassistentengesetz dringend einer No- und ihre Beteiligung am Rettungsdienst unbedingt mit vellierung bedarf. den Ländern geklärt werden. Auch dies war ein wichti- ges Thema in der Anhörung. Herr Ackermann, darauf Wir wissen: Von der Arbeit der Rettungsassistenten wird in Ihrem Antrag nicht eingegangen. Wir sind der hängen oft Menschenleben ab. Sie übernehmen insbe- Meinung, dass genau diese Problematik durch die Ex- sondere in Flächenländern die erste Versorgung am Un- perten im nächsten Jahr geklärt werden muss. (B) fallort bis zum Eintreffen des Notarztes. Rettungsassis- (D) tenten sind zunehmend gefordert, längere Anfahrtszeiten Umstritten waren in der Anhörung auch die Zugangs- von Notärzten zu überbrücken. Sie assistieren dem Not- voraussetzungen für den Beruf. Die Experten äußerten arzt, sind gleichzeitig Vorgesetzte von Rettungssanitä- zwar einhellig, dass als Zugangsvoraussetzung ein tern und Rettungshelfern und sind rund um die Uhr im mittlerer Schulabschluss gelten solle, meinten aber Einsatz. gleichzeitig, dass man hierüber erst dann endgültig ent- scheiden könne, wenn aufgrund der inhaltlichen Ausge- Wer sich für diesen Beruf entscheidet, muss ständig staltung der Ausbildung die Anforderungen an die Aus- mit Extremsituationen wie Verletzungen, Schmerzen bildungsbewerber feststünden. Es bestand Einigkeit und Tod umgehen und bereit sein, Verantwortung zu darin, dass man mit 18 Jahren in die Ausbildung gehen übernehmen. Deshalb müssen die Rettungsassistenten solle. Offen bleibt dabei aber zum Beispiel, wie die Zeit mit verbessert definierten Kompetenzen ausgestattet zwischen dem Schulabschluss und der Vollendung des werden, durch die es ihnen gestattet wird, entsprechend 18. Lebensjahres überbrückt werden soll. zu handeln. All diese Fragen werden in Ihrem Antrag übrigens Es ist erfreulich, dass die Novellierung des Gesetzes nicht angesprochen. Sie müssen von der Expertengruppe von allen Beteiligten, dem Bund, den Ländern und vor ebenfalls sorgfältig beantwortet werden. allen Dingen den Fachverbänden, mehrheitlich für not- wendig erachtet wird. Das hat unter anderem – wir erin- Liebe Kolleginnen und Kollegen von der FDP, Sie sa- nern uns alle – die Anhörung im Juli dieses Jahres deut- gen auch nichts dazu, wie die Kompetenzen verteilt wer- lich gemacht. Bei bestimmten Punkten gibt es sogar den sollten. Bezüglich der Kompetenzverteilung zwi- mehrheitliche Meinungen der Experten, zum Beispiel schen Notarzt und Rettungsassistenten haben sich die hinsichtlich der Verlängerung der Ausbildung, bei der Berufsverbände der Rettungsassistenten und der Ärzte in Forderung klarer Kompetenzen und bei den Übergangs- der Anhörung übrigens gleichermaßen gegen eine Rege- vorschriften. lung zur Übertragung heilkundlicher Befugnisse ausge- sprochen. Allerdings sind für viele Fragen – Herr Dr. Faust hat diese eben aus ärztlicher Sicht sehr detailliert darge- Aber die Situation im ländlichen Raum – längere An- stellt – noch keine Antworten im Detail in Sicht. Die Lö- fahrtszeiten bei Einsätzen mit mehreren Verletzten und sung von Detailproblemen ist für die Formulierung von gleichzeitig die schwierige Verfügbarkeit des Notarztes – konkreten gesetzlichen Vorschriften aber unabdingbar, stellen diese Auffassung meiner Ansicht nach infrage. Herr Ackermann. Das Ministerium ist deshalb dabei, Hier ist zu klären, ob eine Übertragung heilkundlicher diese schwierigen Detailfragen gemeinsam mit einer Ex- Kompetenzen nicht doch sinnvoll wäre. 13998 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 133. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. Dezember 2007

Dr. Margrit Spielmann (A) In diesem Kontext ist auch zu bedenken, dass mit der oder Schmerzen leidet und der Rettungsassistent sich nur (C) Pflegereform – Herr Dr. Faust hat es schon angespro- dann korrekt verhält, wenn er nach den Basismaßnah- chen – entsprechende Modellklauseln zur Übertragung men 5, 10 oder 20 Minuten danebensteht und nichts tut. heilkundlicher Tätigkeiten in das Krankenpflege- und Die notwendigen – eigentlich ärztlichen – Maßnahmen das Altenpflegegesetz aufgenommen werden sollen. In müssen verbindlicher Teil der Ausbildung sein. der Anhörung wurde auch gefordert, die Durchlässigkeit für den Rettungsassistentenberuf zu verbessern und zu Im Moment dauert die Ausbildung zum Rettungsas- gestalten. Die Expertengruppe, auf die ich schon verwie- sistenten nur zwei Jahre. Bei allen anderen Ausbildungs- sen habe, wird sich auch sehr intensiv damit beschäfti- berufen dauert sie drei Jahre. Drei Jahre benötigt man gen müssen, ob die angestrebte Novellierung der Ausbil- auch in der EU. Wo liegt der tiefere Sinn, wenn ein dung eine zusätzliche Nachqualifikation, zum Beispiel Krankenpfleger eine dreijährige Ausbildung macht, der der bisherigen Rettungsassistenten, erforderlich machen Rettungsassistent aber nur eine zweijährige? Die zwei- würde, ob und wie die Anrechnung – das ist eine ganz jährige Ausbildung ist überholt. Das sahen auch nahezu schwierige Frage – der bisherigen Ausbildung auf die alle Experten in der Anhörung so. neugeregelte Ausbildung aussehen kann. (Beifall bei Abgeordneten der FDP) Also, meine Damen und Herren, liebe Kollegen der Völlig inakzeptabel findet die Linke, dass die Begeis- FDP, vor uns liegen ganz viele Fragen, die geklärt wer- terung der Auszubildenden für ihren Beruf oft ausge- den müssen. Deshalb sind wir gespannt, welche Ergeb- nutzt wird. Die angehenden Rettungsassistenten bekom- nisse uns die Expertengruppe vorlegen wird. Ich hoffe, men meist keine Ausbildungsvergütung, obwohl ein von wir alle sind im nächsten Jahr bei der ersten Lesung des Verdi erstrittenes Urteil zeigt, dass die Ausbildungsver- Entwurfs eines neuen Rettungsassistentengesetzes dabei. gütung unbedingt ins Gesetz gehört; sonst müsste jeder Vielen Dank. Einzelne klagen. Das ist aber nicht alles: Die Schüler müssen für ihre Ausbildung obendrein noch Schulgeld (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) bezahlen. Damit muss endlich Schluss sein. (Beifall bei der LINKEN) Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: Nächster Redner ist nun der Kollege Frank Spieth für Auch die Arbeitsbedingungen sind oft katastrophal: die Fraktion Die Linke. 24-Stunden-Schichten sind keine Seltenheit; 50-Stun- (Beifall bei der LINKEN) den-Wochen sind die Regel. Das widerspricht Tarifver- trägen, dem Arbeitszeitgesetz und der EU-Arbeitszeit- richtlinie. Zurzeit ist der Arbeitgeber im Nachteil, der (B) Frank Spieth (DIE LINKE): seine Angestellten und Auszubildenden gut und fair be- (D) Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Stellen handelt. Auch das muss sich ändern. Alle Arbeitgeber – ob Sie sich vor, Sie sind unterwegs in Morbach, einem Ort Rotes Kreuz, kirchliche, öffentliche oder private Anbie- mit 11 000 Einwohnern im Hunsrück in Rheinland- ter – brauchen faire Regeln, an die sich alle halten müs- Pfalz. Sie haben dort einen Autounfall und brauchen me- sen und die auch kontrolliert werden, damit die Ehrli- dizinische Hilfe. Der Rettungswagen mit dem Rettungs- chen nicht die Dummen sind. assistenten ist innerhalb weniger Minuten vor Ort. Der Notarzt braucht aber länger, bis er aus Bernkastel-Kues, (Beifall bei der LINKEN) Idar-Oberstein oder Hermeskeil angekommen ist. Er Nirgendwo in der EU werden die Rettungsassistenten braucht nicht 10, nicht 15, sondern 25 und zum Teil bis so verschlissen wie in Deutschland. Unsere Rettungsas- 35 Minuten bis nach Morbach; bei schlechtem Wetter sistenten haben das geringste Durchschnittsalter. In auch einmal länger. Ich bin mir ganz sicher: Sie würden Deutschland kann man in diesem Beruf nicht alt werden. froh sein, wenn der Rettungsassistent, der so lange allein Die Bundesregierung hat im Gesundheitsausschuss ver- für Sie verantwortlich ist, Sie medizinisch versorgen sprochen, dass im ersten Halbjahr 2008 eine Experten- kann. gruppe gebildet und im zweiten Halbjahr ein erster Ge- Morbach ist kein Einzelfall. Die Verhältnisse treffen setzentwurf eingebracht wird. Die Linke erwartet, dass auf immer mehr Regionen im ländlichen Raum zu. Die diese Zusage eingehalten wird und dass dieses Thema Zeit bis zum Eintreffen des Notarztes hat sich in nur vier nicht in dem dann beginnenden Wahlkampf untergeht. Jahren um 2,2 Minuten verlängert. Umso schwerer Wir sprechen uns für den Antrag aus, damit dem Ret- wiegt, dass gesetzlich nicht klar geregelt ist, was der tungsdienst eine Zukunftsperspektive geboten wird und Rettungsassistent in dieser Zeit darf und was nicht. Der die Bundesregierung vom Parlament einen eindeutigen Rettungsassistent kann sich nur auf die sogenannte Not- Handlungsauftrag erhält. kompetenz berufen. Er geht dabei aber auf dünnem Eis. Schönen Dank. Wenn irgendetwas schiefgeht, ist er dran. Deshalb über- legt er oft zwei- oder dreimal, ob er beispielsweise ein (Beifall bei der LINKEN) Medikament spritzen soll. Das ist ein unhaltbarer Zu- stand. Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: Die Rettungsassistenten müssen genau wissen, was Letzter Redner in dieser Debatte ist nun der Kollege sie tun dürfen. Darum müssen sie ordentlich ausgebildet Dr. Harald Terpe für die Fraktion Bündnis 90/Die Grü- werden. Es kann nicht sein, dass der Patient an Luftnot nen. Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 133. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. Dezember 2007 13999

(A) Dr. Harald Terpe (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Schulabschluss als Eingangsvoraussetzung notwendig (C) Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kollegin- ist. Eng damit verbunden ist die Klärung von Über- nen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Es ist fast gangsregelungen und Anerkennungsmodalitäten bisheri- ein Jahr her, seit der Antrag eingebracht worden ist. Bis- ger Abschlüsse. Ich plädiere für allgemein verbindliche her hat eine Anhörung stattgefunden; darüber hinaus ist Ausbildungsinhalte und die bundesweite Gleichwertig- in dem Jahr nicht viel passiert. Wir sind uns, glaube ich, keit der zukünftigen Abschlüsse. über Fraktionsgrenzen hinweg einig, dass eine zeitge- mäße Anpassung der rechtlichen Rahmenbedingungen Die Vertreterinnen und Vertreter der Großen Koali- für Rettungsassistenten notwendig ist. Auch meine Frak- tion haben zu Beginn der Beratungen angekündigt, eine tion begrüßt grundsätzlich die Initiative der FDP. Aller- baldige Novellierung des Rettungsassistentengesetzes dings steckt der Teufel wie immer im Detail. Ich glaube, vorzunehmen. Ich würde mir wünschen, dass es dazu in das hat die Anhörung im Gesundheitsausschuss deutlich dieser Legislaturperiode kommt, und die heutigen Rede- gemacht. beiträge interpretiere ich auch in dieser Richtung. Ich hoffe, dass dann die offenen Fragen zur Regelkompetenz Das Rettungswesen hat sich in den letzten Jahrzehn- ebenso geklärt werden wie zum Beispiel die nicht ganz ten erheblich gewandelt. So sind die fachlichen Anforde- unerhebliche Frage, wer künftig die Kosten der Rettungs- rungen gestiegen. Auch steht uns das Problem der demo- assistentenausbildung und der Ausbildungsvergütung grafischen Veränderungen ins Haus, was auch enorme tragen wird. Eine einseitige Kostenbelastung der Auszu- Herausforderungen für das Rettungswesen der Zukunft bildenden ist sicher der falsche Weg. bedeutet. Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit. Guten Abend. Daher ist es richtig, dass die Ausbildung der Rettungs- assistenten grundlegend reformiert und verbessert wer- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN den muss. Das betrifft sowohl die Finanzierung, die sowie bei Abgeordneten der SPD und des Abg. Struktur und die Dauer der Ausbildung als auch die Aus- Frank Spieth [DIE LINKE]) bildungsinhalte. Lassen Sie mich in Kenntnis der Anhörung einige Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: Fragen problematisieren. Erstens muss das Gesetzge- Ich schließe die Aussprache. bungsverfahren die Frage klären, welche Kompetenzen den Rettungsassistenten künftig konkret übertragen wer- Wir kommen zur Abstimmung über die Beschluss- den sollen. Rettungsassistenten sind keine Taxifahrer im empfehlung des Ausschusses für Gesundheit zu dem An- Krankentransport. Sie tragen schon heute vielfach große trag der Fraktion der FDP mit dem Titel „Dem Beruf des (B) Verantwortung. Das muss bereits bei ihrer Ausbildung Rettungsassistenten eine Zukunftsperspektive geben – (D) berücksichtigt werden. Sie sollten künftig rechtlich und Das Rettungsassistentengesetz novellieren“. Der Aus- fachlich abgesichert das tun dürfen, was sie ohnehin in schuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf der Praxis häufig tun: Basisuntersuchungen, Diagnostik Drucksache 16/6798, den Antrag der Fraktion der FDP der vitalen Funktionen und die Durchführung lebensret- auf Drucksache 16/3343 abzulehnen. Wer stimmt für tender Sofortmaßnahmen bis zum Eintreffen des Notarz- diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – tes. Enthaltungen? – Die Beschlussempfehlung ist damit mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen bei Gegenstim- Allerdings möchte ich davor warnen, die Kompetenz- men der Fraktionen der FDP und der Linken und bei abgrenzung vor allem unter dem Gesichtspunkt der Kos- Enthaltung der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen ange- tensenkung zu betrachten und deswegen Notärzte und nommen. Rettungsassistenten in dieser Frage gegeneinander aus- zuspielen Ich rufe nun die Tagesordnungspunkte 17 a und 17 b auf: (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Dr. Hans Georg Faust [CDU/ a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Dirk CSU]) Fischer (Hamburg), Renate Blank, Dr. Klaus W. Lippold, weiterer Abgeordneter und der Fraktion oder gar ganz auf Notärzte verzichten zu wollen. der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Petra Maßstab der Notfallversorgung muss in erster Linie Weis, Dr. h. c. Wolfgang Thierse, Klaas Hübner, die Qualität sein. Wer beim Rettungsdienst zulasten der weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD Qualität sparen will – ob bei den Rettungsassistenten, den Notärzten oder anderem Rettungspersonal –, der ge- Wiedererrichtung des Berliner Schlosses – fährdet die Gesundheit, ja das Leben der Patientinnen Bau des Humboldt-Forums im Schlossareal und Patienten. Rettungsdienst ist deutlich mehr als der Berlin – Rekonstruktion der historischen Fas- möglichst schnelle und billige Transport von Notfallpa- saden sicherstellen tienten und Notfallpatientinnen in das nächste Kranken- – Drucksache 16/7488 – haus. b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) richts des Ausschusses für Verkehr, Bau und Fachliche Kompetenz verlangt eine solide Ausbil- Stadtentwicklung (15. Ausschuss) zu dem Antrag dung, sodass sich zweitens die Frage stellt, welcher der Abgeordneten Heidrun Bluhm, Katrin 14000 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 133. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. Dezember 2007

Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt (A) Kunert, Dr. Gesine Lötzsch, weiterer Abgeordne- Schlosses beendet ist. Diese Zwischennutzung darf (C) ter und der Fraktion DIE LINKE keine Eigendynamik entwickeln. Humboldt-Forum statt Fassadenschloss – In den letzten Jahren ist immer vom Stadtschloss Schlossplatz mit Zukunftsorientierung oder, wie von der Linken präferiert, vom Humboldt-Fo- rum die Rede. Richtigerweise muss es heißen: Wiederer- – Drucksachen 16/5922, 16/7366 – richtung des Berliner Schlosses – Bau des Humboldt-Fo- Berichterstattung: Abgeordnete Renate Blank rums im Schlossareal Berlin. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. Sind Sie da- Das ist ein kleiner Hinweis an die Bundesregierung. mit einverstanden? – Ich sehe, das ist der Fall. Dann Während der Haushaltsberatungen haben wir das Ganze werden wir so verfahren. in die richtige Reihenfolge gebracht: zuerst die Wie- Ich eröffne die Aussprache und erteile als erster Red- dererrichtung des Berliner Schlosses, dann der Bau des nerin der Kollegin Renate Blank für die CDU/CSU- Humboldt-Forums. Fraktion das Wort. Wir wollen mit unserem vorliegenden Antrag die (Beifall bei der CDU/CSU) Bundesregierung unterstützen und weisen dabei deutlich darauf hin, dass wir am Wiederaufbau keine Abstriche Renate Blank (CDU/CSU): machen und dass sich das Parlament das Heft des Han- Frau Präsidentin! Kolleginnen und Kollegen! Im Ge- delns nicht aus der Hand nehmen lässt. Die zuständigen gensatz zu vor etwa drei Wochen, als die FDP hier die Ausschüsse sind damit zu befassen. Es gibt Personen, Debatte zum Wiederaufbau des Berliner Schlosses ange- die meinen, dass dieser Antrag unnötig sei. Wir brau- stoßen hat, ist heute die Zeit für die Diskussion im Parla- chen diesen Antrag aber deshalb, weil morgen der Aus- ment reif. Allerdings muss ich hinzufügen: Für dieses lobungstext international bekannt gegeben wird. Es gibt nationale Projekt wäre – das ist eine Bitte an die Ge- eine Änderung: Wir kommen von einem international schäftsführer – eine bessere Beratungszeit angemessen. offenen Wettbewerb hin zu einer Auslobung als begrenzt offener, anonymer Realisierungswettbewerb in zwei Be- (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem arbeitungsphasen. Das heißt, dass im Rahmen eines offe- BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Ab- nen Bewerberauswahlverfahrens 150 Bewerber von ei- geordneten der FDP) nem von der Jury des Wettbewerbs unabhängigen Auswahlgremium anhand vorab festgelegter und öffent- Das gilt vor allem, nachdem in diesem Bereich die Jour- lich bekannt gemachter Mindestanforderungen und Aus- (B) nalisten jeden Tag etwas über das Pro und Kontra des (D) wahlkriterien ausgewählt werden. In der ersten Phase Berliner Schlosses, der Kuppel und des Kellers schrei- sind von den Teilnehmern grundsätzliche Lösungsan- ben. sätze für die Wettbewerbsaufgabe zu entwickeln. Aus Kolleginnen und Kollegen, der Beschluss zum Wie- den eingereichten Beiträgen wählt das Preisgericht circa deraufbau des Berliner Schlosses ist nach langjähriger 30 bis 40 Teilnehmer für eine konkrete Bearbeitung der Diskussion endlich zustande gekommen. Ich erinnere an zweiten Phase aus. unsere Anträge aus den Jahren 2000, 2003 und 2004; Ich möchte meine ganz persönliche Meinung zu der nun liegt ein weiterer Antrag vor. Die Entscheidung zur Änderung sagen. Ich hätte mir durchaus vorstellen kön- Rekonstruktion haben wir uns alle nicht leichtgemacht, nen, dass wir bei einem international offenen Wettbe- vor allen Dingen im Hinblick auf die Nachbarschaft zur werb bleiben. Aber man beugt sich im Grunde Erkennt- Museumsinsel, einem Weltkulturerbe. Vor dem Hinter- nissen. Ich gehe davon aus, dass sich auch junge grund ist es sehr wichtig, dass mit dem Wiederaufbau Architekturbüros bewerben. Aufgrund der zwei Bearbei- sehr sensibel umgegangen wird. tungsphasen kommt dem unabhängigen Auswahlgre- Meine Damen und Herren, es wurde immer kritisiert, mium eine große Bedeutung zu. Wir haben dafür ge- dass wir unseren Architekten nicht zutrauen, etwas sorgt, dass bekannte und anerkannte Experten in diesem Neues auf diesem Platz in der Mitte zu bauen. Auswahlgremium vertreten sind. Hierzu kann ich nur sagen: Es ist kein Thema, dass wir Die Zusammenarbeit mit Berlin hat sich zu einer kon- den Architekten nichts Neues zutrauen. Aber es gibt in struktiven Mitarbeit entwickelt. Deswegen verwundert jeder Stadt Negativbeispiele, wo jedes Gebäude an sich mich Ihr Antrag, meine Damen und Herren von der sehr gut ist, wo aber das Ensemble insgesamt nicht mehr Linkspartei. Ich würde an Ihrer Stelle Abstand nehmen, wirkt. Im Hinblick darauf ist nach jahrelanger Diskus- da sich Berlin eindeutig für den Wiederaufbau des Berli- sion der Beschluss gefallen, das Berliner Schloss wieder ner Schlosses entschieden hat und nicht für Ihren Lö- aufzubauen. Es gab natürlich eine Diskussion über den sungsansatz, der das Humboldt-Forum und einen Neu- Abriss des Palastes der Republik. Wenn ich dort vorbei- bau vorsieht. fahre, freue ich mich jedes Mal, dass der Abriss voran- schreitet. Ich hoffe, dass dieses Thema bald erledigt sein Der Auslobungstext ist nun fertig. Es gab umfangrei- wird. Auf dem Gelände des zukünftigen Berliner Schlos- che Diskussionen. Die Anforderungen für die Teilnahme ses ist „White Cube“ als kulturelle Zwischennutzung – Büroumsatz, Zahl der Mitarbeiter, der Nachweis eines vorgesehen. Ich gehe davon aus, dass diese Zwischen- Projektes mit vergleichbarer Komplexität und Multi- nutzung zu Beginn des Wiederaufbaus des Berliner funktionalität – sind etwas zurückgeschraubt worden. Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 133. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. Dezember 2007 14001

Renate Blank (A) Ich betone ganz deutlich: Auch junge Architekten kön- ordneten genauso stark wie im Präsidium vertreten. Das (C) nen sich beteiligen, zum Beispiel wenn sie sich zu Büro- finde ich, offen gesagt, der Sache nicht angemessen. gemeinschaften zusammenschließen. Überhaupt finde ich den Antrag, den Sie gestellt ha- Der Wiederaufbau des Berliner Schlosses ist von na- ben, nicht angemessen. tionaler Bedeutung. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD) Sie versuchen hier schon wieder, etwas zu blockieren, was längst entschieden ist. Es geht uns heute nicht nur Das kulturelle Nutzungskonzept passt sich an die erfolg- um die Sache, sondern auch um uns, um das Parlament, reiche Entwicklung des Areals der Museumsinsel an und um unser Selbstverständnis. Wir müssen doch glaubwür- berücksichtigt auch die geforderte kommunikativ-gesell- dig bleiben. Wir dürfen unsere einmal gefassten Be- schaftliche Nutzung. Mit der Wiedererrichtung des Ber- schlüsse doch nicht immer wieder durchkauen. Wie oft liner Schlosses und damit dem Bau des Humboldt-Fo- sollen wir denn noch beschließen, dass wir das Berliner rums werden die Weltkulturen in das Zentrum der Schloss aufbauen wollen, und zwar am Platz des Stadt- deutschen Hauptstadt geholt. Auch den Dialog mit den schlosses, in der Kubatur des Stadtschlosses und mit den europäischen Kulturen auf der Museumsinsel bringen drei barocken Fassaden? wir voran. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU sowie Ich komme auf die öffentliche Aufmerksamkeit, auch bei Abgeordneten der SPD) für Kuppel und Keller, zu sprechen. Die Kuppel ist im Auslobungstext zwingend vorgesehen. Was den Keller Auch als Opposition muss man der Bundesregierung angeht, ist zunächst geplant, dass Ausgrabungen als ar- in diesem Zusammenhang einmal dafür danken, dass sie chäologisches Fenster in das Gebäude einbezogen wer- die Beschlüsse des Bundestages nun endlich realisiert. den können. Mein Dank geht natürlich auch an den Finanzminister, ohne dessen – bekanntermaßen großzügige – Unterstüt- Ich möchte dem Förderverein, insbesondere Herrn zung das nicht ginge. von Boddien, dessen Traum jetzt, nach 15 Jahren, ver- wirklicht werden wird, für das große Engagement ganz Alles hat trotzdem viel zu lang gedauert. Wir wurden herzlich danken. Wir werden das Einwerben von Spen- hier immer wieder mit irgendwelchen Scheinargumenten den unterstützen – das steht auch in unserem Antrag –: aufgehalten, und es wurden Hürden aufgestellt. Wie im- mit einer Sondermünze, eventuell mit einer Schlosslotte- mer, wenn es um die historische und die bauliche Identi- rie, mit Briefmarken usw. Dazu, wie die Zusammenar- tät der Hauptstadt ging, waren der Senat und der Regie- (B) beit zwischen Preußen und den Bayern, sprich: Mün- rende Bürgermeister leider keine Hilfe. Ganz im (D) chen, funktioniert, kann ich nur sagen, dass sich in Gegenteil: Sie waren Teil des Problems; sie haben Pro- München ebenfalls ein Förderverein zur Unterstützung bleme bereitet und haben aufgehalten. des Wiederaufbaus des Berliner Schlosses gegründet hat. (Swen Schulz [Spandau] [SPD]: Dann geh Ich hoffe, dass uns dieser Wiederaufbau, der eine einma- doch ins Abgeordnetenhaus!) lige Chance ist, in hervorragender Weise gelingen wird. Wir haben immer Probleme mit dem Bauminister; (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) aber an diesem Punkt wollen wir ihm hier wirklich ein- mal dazu gratulieren, dass er tatsächlich vollendete Tat- Vizepräsidentin Petra Pau: sachen geschaffen und entschlossen gehandelt hat. Das Wort hat der Kollege Hellmut Königshaus für die (Beifall bei Abgeordneten der FDP) FDP-Fraktion. Umso schlimmer ist allerdings, dass es in seinem (Beifall bei der FDP) Haus offenbar einen Staatssekretär gibt, der über das Ausschreibungsverfahren versucht, unsere Beschlüsse Hellmut Königshaus (FDP): hier zu unterlaufen. Deshalb ist hier noch einmal festzu- Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir un- halten: Das, was hier beschlossen worden ist, ist ernst terhalten uns hier einerseits über ein wirklich wichtiges gemeint. Noch einmal: Es ist ernst gemeint – was immer Thema, über ein Thema von nationaler Bedeutung – die der Herr Staatssekretär davon zu halten gedenkt und was Kollegin Blank hat das hier eben angesprochen –, und immer sonst jemand zu dieser Frage sagen sollte. wir unterhalten uns andererseits über einen Antrag der (Beifall bei der FDP) Linken, mit dem versucht wird, den eingeleiteten Pro- zess aufzuhalten. Dazu muss man feststellen – es ist Moderne Architektursprache hat natürlich ihre Be- wirklich bedauerlich –: Die Linke kneift; sie gibt ihren rechtigung, fast überall, aber nicht an diesem Platz, dem Redebeitrag zu Protokoll und verteidigt ihren eigenen Ursprung unserer Hauptstadt und letzten Endes auch ei- Antrag nicht. nem Kristallisationspunkt unserer Nation. (Frank Spieth [DIE LINKE]: Da haben Sie (Frank Spieth [DIE LINKE]: Der ist ganz wo- recht!) anders!) Erst seit ganz kurzer Zeit – mittlerweile sind hier zwei Dort brauchen wir ein Gebäude, das diesem Anspruch Fraktionsmitglieder anwesend – ist sie unter den Abge- auch gerecht wird. Dort können wir nicht experimentie- 14002 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 133. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. Dezember 2007

Hellmut Königshaus (A) ren. Wir wissen, dass so etwas oftmals, gerade bei mo- Willy Brandt hat einst gesagt: Berlin wird leben, und (C) derner Architektur, nach mehreren Jahren im Rückblick die Mauer wird fallen. Heute in dieser Diskussion würde wie ein Experimentieren wirkt. Wir wissen es nicht si- er sagen: Und die Stadt wird mit dem Stadtschloss ihre cher, aber wir können es nicht ausschließen. Wir haben historische Mitte wiederbekommen. es aber vor allem anders beschlossen. Deshalb muss das Stadtschloss so, wie es geplant ist, auch gebaut werden. Danke schön. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) (Beifall bei der FDP)

Die Linke will mit ihrem Antrag einen letzten ver- Vizepräsidentin Petra Pau: zweifelten Versuch unternehmen, den fahrenden Zug Das Wort hat die Parlamentarische Staatssekretärin noch aufzuhalten. Sie wird damit scheitern. Gott sei Karin Roth. Dank wird sie damit scheitern. (Beifall bei der SPD) Meine Damen und Herren, es ist doch wirklich klein- krämerisch, wenn gerade Sie, die Linken, dem Förder- Karin Roth, Parl. Staatssekretärin beim Bundesmi- verein, der sich aus bürgerschaftlichem Engagement her- nister für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung: aus bereitgefunden hat, dafür zu sorgen, dass das Geld für die Fassade aufgebracht wird – auch das wäre eigent- Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! lich eine nationale Aufgabe, die wir zu finanzieren hät- Die vorausschauenden Beschlüsse des Bundestages aus ten –, vorwerfen, er habe erst 10 Prozent aufgebracht. den Jahren 2002 und 2003 zur Wiedererrichtung des Mein Gott im Himmel, was glauben Sie denn? Das ist Schlosses und zum Bau des Humboldt-Forums können doch anzuerkennen. 10 Prozent nach einem solchen jetzt umgesetzt werden. Die längst überfällige stadt- Hickhack, räumliche Reparatur dieses zentralen Ortes der Haupt- stadt Deutschlands ist wirklich ein gutes Stück näher ge- (Frank Spieth [DIE LINKE]: Warten Sie ab, rückt. Natürlich – das ist gar keine Frage – freuen wir ob es überhaupt so viel wird!) uns alle, dass es jetzt so weit ist, dass unsere Beschlüsse wirklich umgesetzt werden können. bei dem bis zuletzt immer wieder infrage stand, ob über- haupt etwas daraus wird – machen Sie das erst einmal Die Bundesregierung hatte im Jahr 2005 Möglichkei- nach, bevor Sie hier solche Reden halten! ten zur Beteiligung privater Investoren und eine damit verbundene Ausweitung der Nutzungsmöglichkeiten im (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten Humboldt-Forum untersucht. Diese Erweiterung hätte der CDU/CSU) uns mehr finanzielle Risiken als Sicherheiten gebracht. (B) (D) Immer wieder finden sich engagierte Bürger in die- Deshalb hat sich der Minister dafür entschieden, sich sem Land, die versuchen, bauliche Sünden der Vergan- konsequent auf das öffentliche kulturelle Programm zu genheit zu bereinigen, insbesondere auch solche, bei de- konzentrieren. Ich glaube, diese Entscheidung war die nen Gebäude, die durch Kriegseinwirkung beschädigt, Voraussetzung dafür, dass wir heute so weit sind, wie wir aber wiederaufbaufähig waren, abgerissen wurden. Sie sind. Wir haben klargemacht: Wir konzentrieren uns, setzen sich dafür ein, dass solche Gebäude wiederaufge- und wir machen das Machbare möglich – ein Konzept, baut werden, damit eine städtebauliche Identifikation das am 4. Juli dieses Jahres von der Bundesregierung be- wieder möglich ist. In Dresden, in Potsdam und auch in schlossen wurde. Berlin gibt es solche Leute. Nie war die Linke auf der (Beifall bei der SPD) Seite derer, die mit bürgerschaftlichen Engagement et- was bewirken wollen. Sie war immer dagegen. Ich denke, das ist im Sinne all derjenigen, die für dieses Projekt gestimmt und sich dafür eingesetzt haben. Ich will Ihnen nicht vorwerfen, dass die Kommunis- ten in Potsdam und Berlin die Stadtschlösser, die zum Anfang November hat der Haushaltsausschuss eine Teil noch standen, zum Teil auch noch benutzt wurden, verbindliche Obergrenze der Kosten für den Bau und die ohne Not abgerissen haben. Sie haben dort Aufmarsch- Ausstattung des Projektes in Höhe von 552 Millionen plätze gebaut, um Jubelparaden abzuhalten. Euro festgelegt. Der heute vorliegende nunmehr dritte Antrag der Koalition zum Schloss und zum Humboldt- (Frank Spieth [DIE LINKE]: War der Palast Forum – wir haben uns schon mehrmals mit diesem Pro- der Republik ein Appellplatz? Das ist doch jekt beschäftigt – definiert entscheidende Anforderungen Unsinn!) und Ziele im Zusammenhang mit dem für die Hauptstadt und die deutsche Kulturlandschaft so wichtigen Projekt. Sie waren noch nicht dabei. Deshalb werfe ich Ihnen das nicht vor. Ich werfe Ihnen aber schon vor, dass Sie die- Frau Kollegin Blank, Sie haben schon darauf hinge- sen Geist heute noch weitertragen, dass Sie aus diesem wiesen: Vieles von dem, was im Antrag steht, ist schon Geist heraus hier so agieren und ausgerechnet die Kosten auf den Weg gebracht worden. Vor allem enthält der An- als Argument heranziehen. Wäre diese Barbarei damals trag konkrete Aufträge und nimmt damit die Bundesre- nicht gewesen, müssten wir uns heute nicht über solche gierung in die Pflicht. Dieser Pflicht kommen wir natür- Kosten unterhalten. Es wäre viel billiger, und im Übri- lich gerne nach. gen wäre das Bauwerk schon längst fertig. Gerne gehe ich in gebotener Kürze auf die Anforde- (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) rungen ein. Wir werden noch im Dezember Architekten Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 133. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. Dezember 2007 14003

Parl. Staatssekretärin Karin Roth (A) und Architektinnen aus aller Welt öffentlich einladen, Das, was Sie angemahnt haben, ist damit schon festge- (C) sich um die Teilnahme am internationalen Realisierungs- schrieben. wettbewerb zu bewerben. Der anschließende Realisie- rungswettbewerb ist – Sie haben darauf hingewiesen – in Vizepräsidentin Petra Pau: zwei Bearbeitungsphasen unterteilt. Frau Staatssekretärin, Sie können natürlich die ge- In der ersten Phase sollen ungefähr 150 Teilnehme- samte Redezeit Ihrer Fraktion verbrauchen. Ich mache rinnen und Teilnehmer ihre Ideen skizzieren. Davon nur Sie darauf aufmerksam, dass Sie schon Ihrer Kolle- kommen 30 bis 40 Architektinnen und Architekten in die gin die Zeit wegnehmen. Das Blinken bedeutet, dass die engere Auswahl. Sie können in der zweiten Phase ihre angezeigte Minuszeit ernst gemeint ist. Vorstellungen detaillierter darlegen. Karin Roth, Parl. Staatssekretärin beim Bundesmi- Die circa 150 Teilnehmerinnen und Teilnehmer der nister für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung: ersten Phase werden in einem international offenen Be- Dieser Hinweis ist sehr freundlich, Frau Präsidentin. werbungsverfahren ausgewählt. Das ist in diesem kon- kreten Fall der beste Weg. Frau Blank, wir haben zwar Ich komme deshalb zum Schluss. Ich freue mich sehr, lange überlegt, ob es der richtige Weg ist, aber am Ende dass bei der Sitzung des Preisgerichts am Montag dieser waren wir uns darüber einig. Nur durch die Präqualifika- Woche alles einvernehmlich geregelt worden ist und tion – circa 150 Büros werden ausgewählt – ist nämlich dass im Preisgericht die Kollegen Wolfgang Thierse und sichergestellt, dass alle teilnehmenden Architekten die Dirk Fischer sowie die Kolleginnen Renate Blank und Aufgabe fachlich bewältigen können. Darauf kommt es, Petra Weis darauf achten werden, dass alles, was im wenn auch nicht ausschließlich, letztlich an. Für die Um- Rahmen dieses Wettbewerbs geschieht, mit rechten Din- setzung einer so komplexen, anspruchsvollen Entwurfs- gen zugeht und auch die Anforderungen des Bundesta- und Bauaufgabe braucht man, glaube ich, Büros, die Er- ges erfüllt werden. fahrung mit größeren Projekten mit einem Umfang von mindestens 5 Millionen Euro haben und deren Schwer- (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie punkt bei Kulturbauten und beim Bauen im historischen des Abg. Hellmut Königshaus [FDP]) Kontext liegt. Das ist aus unserer Sicht unabdingbar. Vizepräsidentin Petra Pau: Die quantitativen Mindestanforderungen sehen vor, Den Beitrag der Kollegin Heidrun Bluhm für die dass die Bewerber einen Jahresumsatz von mindestens Fraktion Die Linke nehmen wir zu Protokoll.1) 300 000 Euro erwirtschaften oder es mindestens vier Bü- roinhaber bzw. Mitarbeiter gibt. Darüber hinaus müssen Das Wort hat der Kollege Peter Hettlich für die Frak- (B) die Büros ein Projekt mit einem Umfang von mindestens tion Bündnis 90/Die Grünen. (D) 5 Millionen Euro entweder realisiert oder in einem Ar- chitektenwettbewerb platziert haben. Diese Anforderun- Peter Hettlich (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): gen sind durchaus im Rahmen. Somit ist sichergestellt, Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und dass diejenigen, die sich bewerben, das Projekt stemmen Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Wie auch können. Ich bin mit Frau Blank einig, dass es natürlich heute fängt jede Diskussion über das Berliner Schloss auch darauf ankommt, die kreativen jungen Leute aufzu- mit der Frage an: Wie hältst du es damit? – Ich will an fordern, mitzumachen. Das, was wir formuliert haben, der Stelle ganz klar sagen: Ich hielt und halte die Idee, ist dafür kein Hindernis. das Schloss mit den barocken Fassaden wiederaufzu- Die Auswahl der Teilnehmerinnen und Teilnehmer bauen, für eine rückwärtsgewandte, altertümliche Idee. wird ausschließlich auf rein qualitativen Kriterien der ge- In diesem Zusammenhang möchte ich gerne den be- stalterischen Qualität und der Erfahrung mit Kulturbau- rühmten Architekt Daniel Libeskind zitieren, der gesagt ten sowie mit dem Bauen im Bestand und im Rahmen des hat: Denkmalschutzes beruhen. Bei einer Beschränkung auf Ich glaube nicht, dass man Architektur und Ge- circa 150 Wettbewerbsarbeiten ist sichergestellt, dass die schichte einfach zurückspulen und so tun kann, als Jury keine Qualitäten der Arbeiten übersieht. Es gibt sei nichts geschehen nämlich keinen Zeitdruck. So können die Leistungen der Büros angemessen gewürdigt werden. Der Grad der Um- (Frank Spieth [DIE LINKE]: Neofeudaler Ba- setzung der Auslobungsziele in den Arbeiten kann aus- rock!) reichend und auch ausgiebig diskutiert werden. Nicht nur ich, sondern auch viele meiner Kollegen hät- Es gehört zu den zentralen Anforderungen des Wett- ten sich, selbst 2002, lieber eine zeitgenössische archi- bewerbs – darüber haben Sie gesprochen –, dass die Re- tektonische Lösung gewünscht. konstruktion der historischen Außenfassaden im Süden, Als ich mir die Beschlüsse noch einmal anschaute, Westen und Norden und der drei historischen Barockfas- fiel mir auf, dass im Beschluss über die Wiedererrich- saden des Schlüterhofes sowie die Errichtung einer Kup- tung eines Gebäudes auf dem Schlossareal vor allen Din- pel im Bereich des ehemaligen Hauptportals in die Pläne gen der Begriff der Stereometrie im Vordergrund stand einbezogen werden. und dass dieser Beschluss mit großer Mehrheit in diesem (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) 1) Anlage 9 14004 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 133. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. Dezember 2007

Peter Hettlich (A) Hause gefasst wurde. Der Beschluss über die Wiederer- haltene Ruine, die wiederaufgebaut wurden, und zwar (C) richtung der historischen Fassaden und des Schlüterho- relativ schnell in schöner Form – ich erinnere beispiels- fes wurde dagegen hier im Jahre 2002 – da war ich noch weise an Bauwerke in Mannheim und Karlsruhe –, und nicht im Bundestag – nur sehr knapp gefasst. Insofern dass das in Berlin auch möglich gewesen wäre? Stim- plädiere ich ausdrücklich dafür, dass wir diese Diskus- men Sie mir zu auch, dass insbesondere Architektur sion etwas differenzierter führen. nicht von dem lebt, was irgendein Handwerker irgend- wann einmal aufeinander geschichtet hat, sondern von (Hellmut Königshaus [FDP]: Aber es war eine dem Geist des Architekten? Entscheidung!) (Frank Spieth [DIE LINKE]: Der Geist des – Es war eine knappe Entscheidung, lieber Kollege Architekten! Neofeudale Barockbauten! Da- Königshaus. Ich finde, wenn wir jetzt den Architekten- rum geht es euch!) wettbewerb durchführen, sollten wir ein bisschen mehr Offenheit für mögliche Ergebnisse aus dem Architekten- Der Geist hinter dieser Architektur war der Geist von wettbewerb zeigen. So viel Souveränität sollte das Parla- Herrn Schlüter. Stimmen Sie, verehrter Herr Kollege, ment doch haben. mir zu, dass es uns darum geht, im Geist von Herrn Schlüter das Stadtschloss wieder aufzubauen? (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Nun zum Antrag der Linkspartei. Wir Grünen verfah- Peter Hettlich (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): ren nicht nach dem Prinzip: rin in die Kartoffeln, raus Herr Königshaus, ich stimme Ihnen durchaus zu, dass aus den Kartoffeln. Der Beschluss des Bundestages steht es eine ganze Menge Gebäude gibt, bei denen man sich für uns. Wir halten uns auch daran, trotz meiner kriti- trefflich darüber streiten könnte. Ich als Kölner, der 1990 schen Haltung, die ich eben vorweg dargelegt habe. Da- nach Sachsen gezogen ist, habe beispielsweise die Dis- mit ist auch klar, dass wir den Antrag der Linkspartei ab- kussion um den Wiederaufbau der Frauenkirche sehr lehnen. aufmerksam verfolgt. Ich weiß auch, dass wir Intellektu- (Beifall des Abg. Hellmut Königshaus [FDP]) elle zunächst eine ganz andere Herangehensweise hat- ten, dann aber erleben mussten, wie sich die Diskussion – Aber jetzt kommt es, Kollege Königshaus: Vielem von in der Stadt emotionalisierte. In meiner Geburtsstadt dem, was Sie eben gesagt haben, kann ich nicht zustim- Köln sind ja die romanischen Kirchen, die das Stadtbild men. geprägt haben, nach dem Krieg auch wiederaufgebaut worden. Die Abwatscherei der Linken war an dieser Stelle völ- lig ungerechtfertigt. Man muss sich nur einmal an- (Zuruf von der FDP: Gott sei Dank!) (B) schauen, was in meiner Heimatstadt Köln nach dem (D) Krieg geschehen ist. Das Verbrechen, was dem zugrunde Deshalb plädiere ich immer für eine differenzierte Sicht- lag, war übrigens der Zweite Weltkrieg. Dieser wurde weise und spreche mich gegen Schwarz-Weiß-Denken von den Nationalsozialisten begonnen. Die infolge die- aus. ses Krieges passierten Zerstörungen waren die Barbarei. Zum Berliner Stadtschloss habe ich meine persönli- Die Frage, ob beispielsweise die Kölner Oper hätte ge- che Meinung, auch wenn die Planungen für den Wieder- rettet werden können oder auch viele andere Gebäude, aufbau schon sehr weit fortgeschritten sind. Mit einem kann man an anderer Stelle diskutieren. Der historisie- Wiederaufbau, der sich an der Stereometrie orientiert, rende Wiederaufbau der Stadt Hildesheim jedoch, bei also einem entsprechenden Kubus an der Stelle, hätte ich dem vor Stahlbetonkonstruktionen irgendwelche histori- mich sehr gut anfreunden können. Ich sage aber zu- sierenden Fachwerkfassaden gehängt wurden, ent- gleich: Diese Debatte ist für uns gegessen, und wir soll- spricht nicht meinem Verständnis von Denkmalschutz. ten sie heute Abend nicht wieder aufleben lassen. Ent- (Beifall der Abg. Dorothée Menzner [DIE scheidend ist, dass wir jetzt nach vorne schauen. LINKE]) (Beifall des Abg. Dr. Anton Hofreiter [BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN]) Vizepräsidentin Petra Pau: Wir werden in den nächsten Jahren noch einige Dis- Kollege Hettlich, gestatten Sie eine Zwischenfrage kussionen über das Berliner Schloss im Deutschen Bun- des Kollegen Königshaus? destag haben. Das kann ich Ihnen garantieren. Denn der Teufel steckt noch im Detail. Wir von den anderen Frak- Peter Hettlich (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): tionen werden wie die Kolleginnen Renate Blank und Gerne, bitte. Das verlängert meine Redezeit. Petra Weis das Verfahren hinsichtlich des Wettbewerbs sehr aufmerksam verfolgen. Wahrscheinlich können wir als Gäste die entsprechenden Ausführungen im Preisge- Hellmut Königshaus (FDP): richt verfolgen. Wir werden die Entwicklung genau im Dass Sie für den Beschluss einstehen, weiß ich zu Auge behalten. schätzen. Stimmen Sie mir zu, dass es eine ganze Reihe von Bauwerken gerade im süddeutschen Raum gab, die Ich habe schon dem Staatssekretär Lütke Daldrup und sich nach dem Krieg genauso wie das Schloss darstell- der Kollegin Karin Roth gesagt, dass ich, weil ich von ten, nämlich als eine vielleicht zum Teil oder gar nicht Hause aus Projektleiter bin, auch auf die Kosten schauen mehr nutzbare, aber jedenfalls in den Außenfassaden er- werde. An diesem Punkt will ich den Finger in die Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 133. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. Dezember 2007 14005

Peter Hettlich (A) Wunde legen. Wenn es heißt, der Kostenrahmen von men. 2010 soll der erste Spatenstich erfolgen. Womög- (C) 552 Millionen Euro wird überschritten – ich sage Ihnen lich können wir bereits 2013 Eröffnung feiern. Wer von ganz ehrlich, bei Projekten dieser Größenordnung kann uns hätte noch vor einem Jahr gedacht, dass ein solch das schnell passieren – und Sie daraufhin sagen, Sie wol- atemberaubendes Tempo bei einem doch so ambitionier- len einsparen, dann müssen Sie mir erklären, an welcher ten Projekt möglich ist? Stelle Sie das tun wollen. Möglicherweise werden Sie genau an den Stellen einsparen wollen, die für Sie jetzt Das Humboldt-Forum – Frau Kollegin Blank hat das besonders wichtig sind, die Sie wie ein Mantra vor sich schon ausgeführt – ist das mit Abstand bedeutendste kul- hertragen, wie zum Beispiel die Kuppel und die turelle Bauvorhaben in Deutschland. Es wird nicht nur Schlüterhöfe. Das ist genau der Knackpunkt. zur städtebaulichen Neugestaltung der Mitte Berlins bei- tragen. Mit seinem kulturellen Angebot wird es vor al- Wenn wir alle der Meinung sind, dass es so gemacht lem den Dialog von Kunst und Wissenschaft an einem werden soll, dann halte ich eine Vorfestlegung auf eine zentralen Ort befördern. bestimmte Summe für sehr riskant. Wenn der Deutsche Bundestag sagt, aufgrund eines Kostenvoranschlags Ich möchte, sicherlich auch im Namen meiner Frak- wird der Wiederaufbau garantiert nicht mehr als tion und hoffentlich im Namen vieler in diesem Hause, 600 Millionen Euro kosten, dann halte ich das für falsch. Minister ganz herzlich danken und Ich bin zwar keiner, der will, dass das Geld zum Fenster ihm dafür Anerkennung zollen, dass er in der Frage der herausgeschmissen wird. Aber ich bin der Meinung, dass Realisierung dieses Projektes die alles entscheidende man sich erst einmal das Ergebnis dieses Wettbewerbs Initiative ergriffen hat. Er hat damit der Vision, die man- anschauen, es bewerten und die Kosten berechnen sollte, che von Ihnen vielleicht für eine Utopie gehalten haben, bevor man eine Entscheidung trifft. Im Zweifelsfall eine realistische Perspektive gegeben. muss man dann mit den Haushältern in die Bütt gehen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Dieses Verfahren halte ich für sinnvoll. Insofern plädiere der CDU/CSU und der FDP) ich für eine größere Offenheit. Der Antrag der beiden Koalitionsfraktionen signali- Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit und wün- siert unmissverständlich eine Unterstützung des Weges, sche uns noch einen schönen Abend. den die Bundesregierung jetzt eingeschlagen hat. Aber (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN er bedeutet auch eine Aufforderung an sie, das Parla- und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der ment regelmäßig über den jeweils aktuellen Zwischen- CDU/CSU und der LINKEN) stand zu informieren. Das gilt insbesondere für den Ab- schluss des Realisierungswettbewerbs und die dort (B) Vizepräsidentin Petra Pau: erzielten Ergebnisse. Kollege Hettlich hat schon darauf (D) Das Wort hat die Kollegin Petra Weis für die SPD- hingewiesen: So oder so wird uns das Projekt in den Fraktion. nächsten Jahren noch weiter beschäftigen. (Beifall bei der SPD) Natürlich ist auch mir nicht verborgen geblieben, dass es nach wie vor Zweifel gibt, ob die Aufgabe im Zuge der jetzt vereinbarten Rahmenbedingungen überhaupt zu Petra Weis (SPD): erfüllen ist. Es gibt Stimmen unserer Kolleginnen und Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Kollegen von den Linken – aber auch Kollege Hettlich Jetzt muss ich aus einem zeitlichen Minus ein inhaltli- hat es vorhin eingeworfen –, die die Bundestagsbe- ches Plus machen. schlüsse vor allem in ihrer Festlegung auf die Wiederer- (Beifall bei der SPD) richtung der historischen Fassaden am liebsten unge- schehen machen möchten. Ich hoffe, dass mir das in den nächsten 3 Minuten und 55 Sekunden gelingt. Gestatten Sie mir eine persönliche Anmerkung. Nicht Noch zu Beginn dieses Jahres konnte man viele skep- nur als Anwohnerin des Schlossareals, die das jetzige tische Stimmen vernehmen, die den Wiederaufbau des und das zukünftige Bauwerk jeden Tag in Augenschein Berliner Schlosses und damit zugleich den Bau des nehmen kann, habe ich mich natürlich gefragt, ob mich Humboldt-Forums in weite Ferne gerückt sahen. Siehe nicht auch mögliche zeitgenössische Lösungen über- da, da legte Bundesminister Wolfgang Tiefensee im zeugt hätten. März dieses Jahres den sogenannten konzentrierten Ent- Allein, ich kenne eine solche Alternative nicht. Dass wurf mit dem Fokus auf die kulturelle Nutzung samt Fi- Andreas Schlüter gegebenenfalls alternativlos ist, halte nanzierungsvorschlag vor. Dieser Entwurf kam geradezu ich nicht für eine Katastrophe, im Gegenteil. Das muss einer Initialzündung für das Projekt gleich. Denn dann niemanden frustrieren. ging auf einmal alles ganz schnell. (Beifall der Abg. Heidi Wright [SPD]) Innerhalb kürzester Zeit hat das Kabinett den Entwurf verabschiedet. Mit dem Land Berlin wurde bereits eine Wenn wir das Schloss als Ort der Weltkultur wieder Vereinbarung geschlossen. Bereits in dieser Woche errichten lassen, dann können alle Bedenken in den Hin- – darauf ist schon hingewiesen worden – haben die tergrund treten, die von der Erwartung gespeist wurden, Preisrichterinnen und Preisrichter für den in Kürze star- dass es sich bei unseren Beschlüssen um pure Absichts- tenden Architektenwettbewerb ihre Arbeit aufgenom- erklärungen oder reine Symbolik handelt. 14006 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 133. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. Dezember 2007

Petra Weis (A) Es ist die inhaltliche Lösung, die mich zutiefst über- Es handelt sich um einen Gesetzentwurf zur Ände- (C) zeugt. Sie ist so überzeugend, dass ich glaube, dass es rung des Grundgesetzes zur Einführung eines Volksent- fahrlässig wäre, wenn wir die Chance, die wir jetzt haben, scheids über die Zustimmung der Bundesrepublik ungenutzt verstreichen lassen würden. Ich glaube, wir Deutschland zur Neufassung oder Änderung der vertrag- sollten diese Chance beherzt nutzen und auf die Vor- lichen Grundlagen der Europäischen Union. schläge der Architektinnen und Architekten gespannt Wir nehmen die Beiträge des Kollegen Ingo sein. Wir sollten darauf achten, dass der später auszuwäh- Wellenreuther für die Unionsfraktion, des Kollegen lende Entwurf eine überzeugende Lösung für die wahr- Michael Roth für die SPD-Fraktion, des Kollegen Florian haft große Aufgabe anbietet, die wir den Architektinnen Toncar für die FDP-Fraktion, des Kollegen Alexander und Architekten, aber auch uns selbst gestellt haben. Ulrich für die Fraktion Die Linke und des Kollegen Das Humboldt-Forum und die Museumsinsel sind der Wolfgang Wieland für die Fraktion Bündnis 90/ sinnfällige Ausdruck einer Gesellschaft wie der unsri- Die Grünen zu Protokoll1). gen, die nicht nur Bildung und Kultur, sondern auch der Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzent- Kultur des Bauens einen hohen Stellenwert einräumt. wurfs auf Drucksache 16/7375 an die in der Tagesord- Ich würde mir wünschen, dass wir dieses Projekt im nung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen, wobei der Zuge der noch folgenden Beschäftigungen mit ihm als Gesetzentwurf abweichend von der Tagesordnung feder- das ansehen, was es tatsächlich ist: ein nationales und führend beim Innenausschuss beraten werden soll. Gibt damit, wenn möglich, auch ein parteiübergreifendes Pro- es dazu anderweitige Vorschläge? – Das ist nicht der jekt. Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Meine Redezeit ist abgelaufen. Ich danke herzlich für Ich rufe die Tagesordnungspunkte 19 a und 19 b auf: die Aufmerksamkeit. a) – Zweite und dritte Beratung des von der Bundesre- (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und der gierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes FDP) zur Änderung des Pflanzenschutzgesetzes und des BVL-Gesetzes Vizepräsidentin Petra Pau: – Drucksache 16/6736 – Ich schließe die Aussprache. – Zweite und dritte Beratung des von den Fraktio- Wir kommen zur Abstimmung über den Antrag der nen der CDU/CSU und der SPD eingebrachten Fraktionen der CDU/CSU und der SPD auf Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Drucksache 16/7488 mit dem Titel „Wiedererrichtung Pflanzenschutzgesetzes und des BVL-Gesetzes (B) des Berliner Schlosses – Bau des Humboldt-Forums im (D) Schlossareal Berlin – Rekonstruktion der historischen – Drucksache 16/6386 – Fassaden sicherstellen“. Wer stimmt für diesen Antrag? – Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus- Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Antrag ses für Ernährung, Landwirtschaft und Verbrau- ist damit angenommen. cherschutz (10. Ausschuss) Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Aus- – Drucksache 16/7507 – schusses für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung zu dem Antrag der Fraktion Die Linke mit dem Titel „Humboldt- Berichterstattung: Forum statt Fassadenschloss – Schlossplatz mit Zu- Abgeordnete Dr. Peter Jahr kunftsorientierung“. Der Ausschuss empfiehlt in seiner Abgeordnete Gustav Herzog Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/7366, den An- Dr. Christel Happach-Kasan trag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 16/5922 ab- Dr. Kirsten Tackmann zulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Cornelia Behm Wer stimmt dagegen? – Gibt es Enthaltungen? – Das ist b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Peter nicht der Fall. Damit ist die Beschlussempfehlung ange- Bleser, Julia Klöckner, Uda Carmen Freia Heller, nommen. weiterer Abgeordneter und der Fraktion der Ich rufe den Tagesordnungspunkt 16 auf: CDU/CSU sowie der Abgeordneten Gustav Herzog, Volker Blumentritt, Dr. Gerhard Botz, Erste Beratung des von den Abgeordneten weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD Dr. Diether Dehm, Monika Knoche, Hüseyin- Kenan Aydin, weiteren Abgeordneten und der Schutz vor Pflanzenschutzmittelrückständen Fraktion DIE LINKE eingebrachten Entwurfs ei- in Lebensmitteln verstärken nes … Gesetzes zur Änderung des Grundgeset- – Drucksache 16/6958 – zes Überweisungsvorschlag: – Drucksache 16/7375 – Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz (f) Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Innenausschuss (f) Ausschuss für Gesundheit Ausschuss für Wahlprüfung, Immunität und Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union Geschäftsordnung Rechtsausschuss Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union 1) Anlage 10 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 133. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. Dezember 2007 14007

Vizepräsidentin Petra Pau (A) Auch hierzu nehmen wir die Debattenbeiträge zu Pro- Überweisungsvorschlag: (C) tokoll. Das betrifft die Beiträge des Kollegen Dr. Peter Auswärtiger Ausschuss (f) Innenausschuss Jahr für die Unionsfraktion, des Kollegen Gustav Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe Herzog für die SPD-Fraktion, der Kollegin Dr. Christel Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Happach-Kasan für die FDP-Fraktion, der Kollegin Entwicklung Dr. Kirsten Tackmann für die Fraktion Die Linke und Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union der Kollegin Cornelia Behm für die Fraktion b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be- Bündnis 90/Die Grünen1). richts des Innenausschusses (4. Ausschuss) Mir liegen außerdem Erklärungen nach § 31 unserer – zu dem Antrag der Abgeordneten Ulla Jelpke, Geschäftsordnung vom Kollegen Schindler und vom Petra Pau, Sevim Dağdelen, weiterer Abgeord- Kollegen Göbel vor2). neter und der Fraktion DIE LINKE Wir kommen damit zur Abstimmung über den von der Irakische Flüchtlinge in die EU aufnehmen – Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes In Deutschland lebende Irakerinnen und zur Änderung des Pflanzenschutzgesetzes und des BVL- Iraker vor Abschiebung schützen Gesetzes. Der Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz empfiehlt unter Buchstabe a sei- – zu dem Antrag der Abgeordneten Volker Beck ner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/7507, den (Köln), Marieluise Beck (Bremen), Alexander Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache Bonde, weiterer Abgeordneter und der Fraktion 16/6736 in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfas- Schutz für irakische Flüchtlinge gewährleis- sung zustimmen wollen, um das Handzeichen. – Wer ten stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetzent- wurf ist damit in zweiter Beratung angenommen. – Drucksachen 16/5248, 16/5414, 16/6763 – Dritte Beratung Berichterstattung: Abgeordnete Reinhard Grindel und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Rüdiger Veit Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – Hartfrid Wolff (Rems-Murr) Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetz- Ulla Jelpke entwurf ist damit mit den Stimmen der Unionsfraktion, Josef Philip Winkler der SPD-Fraktion und der Fraktion Die Linke gegen die (B) Stimmen der FDP-Fraktion und gegen eine Stimme aus Auch hier nehmen wir die Debattenbeiträge zu Pro- (D) der Unionsfraktion bei Enthaltung der Fraktion Bünd- tokoll. Das betrifft die Beiträge des Kollegen Reinhard nis 90/Die Grünen angenommen. Grindel für die Unionsfraktion, des Kollegen Rüdiger Veit für die SPD-Fraktion, des Kollegen Hartfrid Wolff Unter Buchstabe b empfiehlt der Ausschuss, den Ge- (Rems-Murr) für die FDP-Fraktion, der Kollegin Ulla setzentwurf der Fraktionen der CDU/CSU und der SPD Jelpke für die Fraktion Die Linke und des Kollegen Josef zur Änderung des Pflanzenschutzgesetzes und des BVL- Philip Winkler für die Fraktion Bündnis 90/Die Gesetzes auf Drucksache 16/6386 für erledigt zu erklä- Grünen3). Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage ren. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer auf Drucksache 16/7468 an die in der Tagesordnung auf- stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die Beschluss- geführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit empfehlung ist angenommen. einverstanden? – Das ist der Fall. Dann ist die Überwei- sung so beschlossen. Wir kommen damit zu Tagesordnungspunkt 19 b. In- terfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf Druck- Wir kommen nun zur Beschlussempfehlung des In- sache 16/6958 an die in der Tagesordnung aufgeführten nenausschusses auf Drucksache 16/6763. Der Ausschuss Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstan- empfiehlt unter Nr. 1 seiner Beschlussempfehlung die den? – Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung so be- Ablehnung des Antrags der Fraktion Die Linke auf schlossen. Drucksache 16/5248 mit dem Titel „Irakische Flücht- linge in die EU aufnehmen – In Deutschland lebende Ira- Ich rufe die Tagesordnungspunkte 18 a und 18 b auf: kerinnen und Iraker vor Abschiebung schützen“. Wer a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Jürgen stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt Trittin, Josef Philip Winkler, Omid Nouripour, dagegen? – Wer enthält sich? – Die Beschlussempfeh- weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜND- lung ist mit den Stimmen der Unionsfraktion und der NIS 90/DIE GRÜNEN SPD-Fraktion gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke bei Enthaltung der Fraktion der FDP und der Frak- Hilfe für irakische Flüchtlinge ausweiten – Im tion Bündnis 90/Die Grünen angenommen. Irak, in Nachbarländern und in Deutschland Unter Nr. 2 empfiehlt der Ausschuss die Ablehnung – Drucksache 16/7468 – des Antrags der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 16/5414 mit dem Titel „Schutz für irakische

1) Anlage 11 2) Anlagen 4 und 5 3) Anlage 12 14008 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 133. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. Dezember 2007

Vizepräsidentin Petra Pau (A) Flüchtlinge gewährleisten“. Wer stimmt für diese Be- und der „Raumordnungsbericht 2005“ zeigen, dass die (C) schlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Gibt es Regierung den richtigen Weg eingeschlagen hat, und Enthaltungen? – Das ist nicht der Fall. Dann ist diese zwar weg vom Wachstum und hin zur Berücksichtigung Beschlussempfehlung mit den Stimmen der Unionsfrak- des Bevölkerungsrückgangs und des zunehmenden An- tion und der SPD-Fraktion gegen die Stimmen der Op- teils älterer Menschen in unserer Gesellschaft. Der Be- positionsfraktionen angenommen. griff Infrastruktur umfasst alle staatlichen und privaten Einrichtungen, die für eine ausreichende Daseinsvor- Ich rufe den Tagesordnungspunkt 21 auf: sorge und wirtschaftliche Entwicklung erforderlich sind. Beratung der Beschlussempfehlung und des Be- Eine ausreichend vorhandene, gut organisierte und gut richts des Ausschusses für Verkehr, Bau und funktionierende Infrastruktur ist Grundvoraussetzung für Stadtentwicklung (15. Ausschuss) zu der Unter- alle Akteure in der Volkswirtschaft. Infrastruktur ist richtung durch den Parlamentarischen Beirat für hierzulande selbstverständlich geworden, zu selbstver- nachhaltige Entwicklung ständlich, wie ich finde. Man merkt erst dann, wie wich- tig Infrastruktur ist, wenn sie nicht ausreichend vorhan- Bericht des Parlamentarischen Beirats für den ist und ihre Aufgabe nicht mehr erfüllt. nachhaltige Entwicklung „Demographischer Wandel und nachhaltige Infrastruktur lässt sich in technische Infrastruktur Infrastrukturplanung“ – das sind Einrichtungen der Verkehrs- und Nachrichten- übermittlung, der Energie- und Wasserversorgung sowie – Drucksachen 16/4900, 16/7367 – der Entsorgung – und soziale Infrastruktur – das sind Berichterstattung: Schulen, Krankenhäuser, Sport- und Freizeitanlagen, Abgeordneter Dr. Andreas Scheuer Einkaufsstätten sowie kulturelle Einrichtungen – unter- teilen. Wir haben uns erst einmal schwerpunktmäßig mit Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für der technischen Infrastruktur befasst. Die soziale Infra- diese Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. – Ich struktur wird in einem nachfolgenden Bericht erörtert höre dazu keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen. werden. Die Planung, Erstellung und Instandhaltung ei- Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Kollege ner Infrastruktur ist im Normalfall die Aufgabe des Staa- Ernst Kranz für die SPD-Fraktion. tes oder ihm verbundener Organe wie öffentlich-rechtli- cher Einrichtungen oder öffentlicher Unternehmen. Im (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Zuge der Privatisierung von kommunalen und staatlichen der CDU/CSU) Betrieben und öffentlichen Aufgaben werden insbeson- dere Erstellung und Instandhaltung der Infrastruktur ver- (B) Ernst Kranz (SPD): mehrt von privaten und privatrechtlich organisierten Fir- (D) Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und men übernommen. Diese Entwicklung sollte man Kollegen! Ein erstes Thema des Parlamentarischen Bei- kritisch verfolgen. rates für nachhaltige Entwicklung in dieser Legislaturpe- Die herausragende Bedeutung des Infrastrukturrechts riode war: „Demographischer Wandel und nachhaltige beruht auf der großen Bedeutung staatlicher und kommu- Infrastrukturplanung“. Der Beirat hat hier eine Experten- naler Infrastruktur. Die Zuständigkeiten greifen wie anhörung durchgeführt und nach anschließender Bera- Zahnräder ineinander. Gerade im verabschiedeten Bun- tung und Auswertung am 25. Mai hier in diesem Plenum deshaushalt 2008 stellt der Einzelplan 12 als Haushalt für einen Bericht vorgelegt, der besprochen wurde. Inzwi- technische Infrastruktur mit rund 13 Milliarden Euro den schen ist die Beratung in den Ausschüssen abgeschlos- größten Investitionshaushalt dar. Technische Infrastruk- sen. Der Beirat hat daraufhin eine Entschließung formu- tur ist hochkomplex, und die investierten Mittel sind liert, die uns heute vorliegt. Diese wurde im langfristig angelegt. Aus diesem Grund ist eine intensive federführenden Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadt- Vorbereitung von Investitionen in die Infrastruktur not- entwicklung angenommen, und zwar einstimmig, also wendig. Vor dem Hintergrund des demografischen Wan- von allen Fraktionen. Das ist wichtig; denn konsensuales dels müssen diese Investitionen in technische Infrastruk- Vorgehen ist dem Beirat für Nachhaltigkeit sehr wichtig. Legislaturperioden sind kurz, Nachhaltigkeit aber bein- tur mehr denn je auch künftige Generationen und deren haltet vorausschauende und damit langfristige Vorge- Belange berücksichtigen. Das ist notwendig, weil die hensweisen. Es ist für den Nachhaltigkeitsbeirat deshalb technische Infrastruktur gepflegt und unterhalten werden von besonderer Bedeutung, Beschlüsse möglichst kon- muss. Nicht ausgelastete Kapazitäten der Infrastruktur sensual zu fassen. Dadurch wird der hohen Bedeutung bedeuten erhöhte Kosten für die Nutzer. Damit wir diese der Themen für die gesamte Gesellschaft Rechnung ge- Aufgabe bewältigen können, ist eine verstärkte Zusam- tragen, und die Arbeit des Beirats nachfolgender Bun- menarbeit auf allen Ebenen, das heißt auf denen des Bun- destage wird dadurch erleichtert, und zwar unabhängig des, der Länder und der Kommunen, erforderlich. Hierzu davon, ob die Mitglieder in der Regierung oder in der heißt es im „Städtebaulichen Bericht 2004“ der Bundes- Opposition sind. Das kann ja wechseln. Nicht zuletzt hat regierung: Die Schaffung und Sicherung eines stadtver- sich dieses Prinzip für eine effektive und wirksame Ar- träglichen Verkehrs mit seinen positiven Folgen für die beit in diesem Beirat bisher bewährt. städtische Umwelt und die Sicherung preiswerten Wohn- raums stellen zentrale Aufgaben der Stadtentwicklung Der Beirat erkennt in seinem Bericht die Leistung der dar. Die demografischen Wandlungsprozesse erfordern Bundesregierung an. Der „Städtebauliche Bericht 2004“ zudem Weitblick und rechtzeitige Anpassung auf allen Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 133. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. Dezember 2007 14009

Ernst Kranz (A) Feldern der Stadtentwicklung. Vor allem vor dem Hinter- Abschließend möchte ich kurz darauf hinweisen, dass (C) grund des vorhandenen hohen Investitionsbedarfs ist der am Dienstag zu genau diesem Thema ein Kongress des Bund gefordert, die Städte und Gemeinden zu unterstüt- Bundesministeriums für Verkehr, Bau und Stadtentwick- zen. Insbesondere unter dem Stichwort „Bündelung“ lung hier in Berlin stattgefunden hat. „Nachhaltiges Pla- kann es nicht nur die alleinige Aufgabe der Städte und nen, Bauen und Betreiben von Gebäuden“ war die Über- Gemeinden sein, die Probleme zu bewältigen. Daher wird schrift zu diesem Kongress. die Bundesregierung einen noch stärker integrativen An- Ich glaube, mit diesen Beispielen konnte ich gut bele- satz ihrer für die Stadtentwicklung relevanten Instru- gen, dass Nachhaltigkeit auch in unserem Ministerium mente prüfen. ihren Niederschlag findet und wir sie schon zu weiten Wer die Literatur verfolgt, wird festgestellt haben, Teilen in der Praxis umgesetzt haben. dass es gerade in dieser Woche einige sehr interessante Vielen Dank. genau dieses Thema aufgreifende Berichte gab. So war es bisher üblich, dass wir Bauwerke vor allem aufgrund (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) ihrer Statik und des Kostenfaktors beurteilt haben. Auch an dieser Stelle müssen wir umdenken. Nicht nur sicher- Vizepräsidentin Petra Pau: heitsrelevante, funktionale und ästhetische Aspekte, son- Für die FDP-Fraktion hat nun der Kollege Döring das dern die Gesamtheit eines Bauwerks ist zu betrachten. Wort. Dazu gab es einige interessante Ausführungen im De- zemberheft des Deutschen Ingenieur-Blatts unter dem Patrick Döring (FDP): Titel „Nachdenken über Nachhaltigkeit“. Darin wurde Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! auf integrierte, nachhaltige Planung eingegangen und Wir haben weite Teile dieser Diskussion im Parlamenta- hervorgehoben, dass über die Wirtschaftlichkeit und rischen Beirat für nachhaltige Entwicklung in wirklich Nachhaltigkeit des Bauens nachgedacht werden muss. angenehmer, freundschaftlicher Atmosphäre erlebt. In einer Broschüre der Bauindustrie wurde im De- Es fällt auf, dass wir über viele Jahre ausschließlich zember ein Artikel unter dem Titel „Ganzheitliches darauf fokussiert waren, welche Auswirkungen die de- Bauen – Baukompetenz nutzen, Klimaprobleme lösen“ mografische Entwicklung auf die sozialen Sicherungs- veröffentlicht. systeme hat. Daher habe ich mir spaßeshalber noch ein- mal den Bericht der Enquete-Kommission von Anfang Neben den Planern betrifft das jetzt zunehmend auch der 90er-Jahre – ich glaube, das war die Wahlperiode, die Ingenieure und Architekten. Die Deutsche Gesell- die von 1994 bis 1998 ging – angeschaut, in dem es um (B) schaft für nachhaltiges Bauen wurde initiiert. Schwer- die Folgen des demografischen Wandels ging. Damals (D) punkte ihrer Arbeit sollen umweltfreundliches Bauen, wurde der Aspekt, welche Auswirkungen der demografi- Gesundheit und Bauen, Ressourcenschonung und die sche Wandel auf unsere Infrastruktur hat, nur ganz am Wirtschaftlichkeit beim Bauen insgesamt sein. Es gibt Rande beleuchtet; man hat sich seinerzeit zu Recht da- im Hinblick auf die Nachhaltigkeit einen immer größe- rauf konzentriert, welche Auswirkungen die demografi- ren Bedarf an Beratung und Planung. Wir erhoffen uns, sche Entwicklung auf die Rentenversicherungssysteme dass damit Marktanteile in Deutschland errungen wer- und die Krankenversicherungssysteme hat. den können und dieses Wissen in Form von Planungs- Wir haben dann insbesondere im Zusammenhang mit und Beratungsbeiträgen exportiert werden kann. den baupolitischen Diskussionen angesichts der Ent- (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der wicklung der neuen Länder auch darüber sprechen müs- CDU/CSU) sen, wie wir mit sich entleerenden Räumen umgehen können. Letztendlich muss man klar sagen: An der de- Es muss eine ganzheitliche Betrachtung von Planung, mografischen Entwicklung kann man das Prinzip der Bauausführung, dem Betrieb von Gebäuden bis hin zum Nachhaltigkeit am anschaulichsten verdeutlichen. Wir Rückbau von Gebäuden sowie der Wiederverwendung haben in Deutschland seit Mitte der 70er-Jahre sinkende von Baustoffen und Bauteilen geben. Man geht davon Geburtenraten. Das wirkt jetzt doppelt hart; denn die in aus, dass sich der Energieaufwand beim Bau und Betrieb den 70er-Jahren nicht geborenen Mädchen können heute von Gebäuden durch integriertes Bauen gegenüber den keine Kinder bekommen, und die Frauen, die da sind, herkömmlichen Konzepten um bis zu 60 Prozent senken bekommen auch noch weniger Kinder als die Frauen in lässt. Die Planungs- und Baukosten dafür sind nur unwe- den 70er-Jahren. Die Spirale geht somit weiter nach un- sentlich höher. Wer nachdenkt, erkennt, dass diese sich ten. bereits innerhalb weniger Jahre amortisieren. (Irmingard Schewe-Gerigk [BÜNDNIS 90/DIE Nicht nur die Umwelt und die Energieressourcen ha- GRÜNEN]: Was ist mit den Männern?) ben etwas davon; vielmehr sparen Eigentümer und Be- – Die bekommen nun einmal keine Kinder. Ich sehe viel- treiber auch Geld. Wenn wir den Wohnungsbau betrach- leicht so aus, Frau Kollegin, aber ich habe nicht sechs ten, sehen wir, dass wir damit ein Mittel in der Hand Monate Querlage. haben, um die Betriebskosten in den Griff zu bekom- men. Auf diese Weise können wir das Ansteigen der Deshalb müssen wir uns überlegen, wie wir mit der Mieten verhindern und dafür sorgen, dass Wohnungen Infrastruktur in Deutschland umgehen, in sich entleeren- bezahlbar bleiben. den Räumen, aber auch in stark wachsenden Räumen. 14010 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 133. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. Dezember 2007

Patrick Döring (A) Ich bin dem Kollegen Kranz dankbar, dass er es ge- müssen wir gemeinsam darauf achten, dass sich auch die (C) schafft hat, ein paar Widersprüche oder Dissense aufzu- Programme des Bundes – das, was wir hier beeinflussen zeigen. Denn natürlich brauchen wir eher mehr Markt können – daran orientieren. In diesem Sinne sollten wir und eher mehr Wettbewerb und eher mehr Marktteilneh- weiter arbeiten. mer in diesem Bereich als mehr Staat. Es gibt flexible Instrumente, ich sage als Stichworte nur: rollende Super- Herzlichen Dank. märkte, rollende Buchläden, rollende Sparkassen. (Beifall bei der FDP) (Lutz Heilmann [DIE LINKE]: Rollende Bi- bliotheken!) Vizepräsidentin Petra Pau: Für die Unionsfraktion hat nun der Kollege – Rollende Bibliotheken, genau. – Damit kann man da- Dr. Andreas Scheuer das Wort. rauf reagieren, dass wir in ländlichen Räumen die Infra- struktur nicht mehr so zur Verfügung stellen können. (Beifall bei der CDU/CSU) Wir sehen dabei, dass Private solche Leistungen oft schneller und besser anbieten, als das die öffentliche Dr. Andreas Scheuer (CDU/CSU): Hand kann. Von daher darf man ihnen keine Steine in Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! den Weg legen. Weil einige Punkte von meinen Vorrednern schon ange- sprochen wurden, möchte ich noch einmal grundsätzli- (Beifall bei der FDP – Zurufe von der LIN- cher sagen, dass auch der Parlamentarische Beirat die KEN: Ja, ja!) Nachhaltigkeit im Bereich des Verkehrs und der Infra- Ich bin deshalb dankbar, dass der Bundesrat in seiner struktur nicht mehr nur unter rein umweltpolitischen Ge- letzten Sitzung dafür gesorgt hat, dass die fahrpersonal- sichtspunkten sieht. Wir haben die wirtschaftlichen, sozia- rechtlichen Vorschriften, die zum Beispiel für Fernfahrer len und ökologischen Punkte mit den anderen Themen gelten, nicht auf die ausgedehnt werden, die überwie- verzahnt, wie zum Beispiel der Infrastrukturplanung, gend in den Fahrzeugen sitzen, um Bücher oder Waren dem Bau und dem Bereich der Demografie. Ich glaube des täglichen Bedarfs auszufahren. Mit so etwas fängt es nämlich, dass Nachhaltigkeit nicht ausschließlich mit nämlich an! Umweltthemen verzahnt werden darf. Ich will ein weiteres Beispiel nennen, bei dem die Ko- Unsere Bundeskanzlerin Dr. Merkel hat die Nachhal- alition den Pfad, den wir hier gemeinsam beschreiten, tigkeit in ihrer Haushaltsrede zum Leitprinzip der deut- verlassen hat: Das war bei der Körperschaftsteuerreform. schen Politik erklärt. Ich glaube, wir haben hier als Par- lamentarischer Beirat auch eine riesige Chance. Diese (B) Es ist natürlich falsch, einerseits Sonderprogramme für (D) die Innenstadtentwicklung zu beschließen und anderer- Punkte werden der Politik immer negativ angelastet, seits bei der Körperschaftsteuerreform dafür zu sorgen, weil in der Öffentlichkeit immer gesagt wird, wir Politi- dass Einzelhandelsbetriebe, die mehr als 8 000 Euro ker würden nur bis zum nächsten Wahltag denken. Die Miete im Monat zahlen, das, was über diese 8 000 Euro kollegiale und freundschaftliche Zusammenarbeit bei im Monat hinausgeht, nicht mehr als Betriebsausgaben diesem Thema, über das wir hier debattieren, ist ein Bei- absetzen und damit ihre Steuerschuld mindern können, spiel dafür, dass wir ein Zukunftsausschuss sind und also letztendlich substanzbesteuert werden. Das trifft über den nächsten Wahltag hinaus denken. Ich glaube, nämlich die mittelständischen Facheinzelhandelsbetriebe das ist auch das Wesens- und Leitprinzip, das wir als in innerstädtischen Lagen, die wir mit den anderen Pro- Parlamentarischer Beirat haben. grammen gerade erhalten und fördern wollen. Das passt Natürlich gibt es an der einen oder anderen Stelle für nicht zusammen. jede Fraktion heilige Kühe, also Dinge, bei denen es (Beifall bei der FDP) schwierig ist, dazu überfraktionell Beschlüsse zu fassen. Trotzdem denke ich, dass wir hier ein Signal dafür ge- Darum macht man ja Parlament: damit diejenigen, die setzt haben, dass Politik über die nächsten Wahltage hi- sich einem Thema von unterschiedlichen Aspekten aus nausschaut. nähern, hier im Plenum versuchen, ihre Handlungen zu synchronisieren. Das ist bei den beiden genannten Bei- (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem spielen nicht gelungen. Wir sollten uns als Parlamentari- BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Ab- scher Beirat für nachhaltige Entwicklung auch bei Ge- geordneten der FDP) setzesverfahren, bei denen wir vielleicht nicht auf den Der drastische Rückgang der Einwohnerzahlen und ersten Blick zuständig sind, auf den zweiten aber wohl, die umfangreichen Wanderungsbewegungen, die auf ei- frühzeitig einbringen und solche Widersprüche aufde- ner Powerpoint-Präsentation dargestellt wurden, haben cken. mich schon sehr umgetrieben, weil ich denke, dass es ein (Beifall bei der FDP) zentrales Thema werden muss, wie wir mit Wirtschafts- ansiedlungen und einer Infrastrukturpolitik sich entlee- In den 80er-Jahren war der Nachhaltigkeitsbegriff ein rende Räume strukturpolitisch wieder aufwerten können. politischer Kampfbegriff. Eigentlich ist er viel älter und Ich denke, das Bundesministerium für Verkehr, Bau und enthält, wie ich meine, sehr liberale Ansätze. Wir haben Stadtentwicklung hat hier auch eine Bringschuld. Es es geschafft, diesen Gedanken im Bereich Raumord- muss für die Themen, die wir in unserer Entschließung nung, im Bereich Infrastrukturplanung einzufügen. Jetzt angesprochen haben, einen Handlungs- und Aktionsrah- Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 133. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. Dezember 2007 14011

Dr. Andreas Scheuer (A) men vorgeben – beispielsweise für die technische und Vizepräsidentin Petra Pau: (C) soziale Infrastruktur. Hier geht es wirklich um wesentli- Das Wort hat der Kollege Lutz Heilmann für die Frak- che Punkte der infrastrukturellen Daseinsvorsorge. tion Die Linke. Meine Kollegen Vorredner haben diesen Bereich der (Beifall bei der LINKEN) Raumordnungsplanung ja schon angesprochen. Die Fakten der Bevölkerungsentwicklung sind klar. Lutz Heilmann (DIE LINKE): Ich möchte aber noch ein strukturpolitisches Thema an- Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! sprechen, das vor allem im Bereich der Kommunika- Herr Scheuer, ein kritischer Seitenhieb muss heute sein. tionstechnik angesiedelt ist. Ich glaube, der Parlamenta- (Dr. Andreas Scheuer [CDU/CSU]: Das habe rische Beirat hat Anstöße dazu gegeben, über die Anträge ich von Ihnen erwartet!) hinaus nachzudenken, die wir heute Vormittag zum länd- lichen Raum debattiert haben, und darauf hingewiesen, Die Kanzlerin vergisst bei der Nachhaltigkeitsdebatte dass die technische Infrastruktur sehr wichtig ist. Hier ist leider immer die soziale Dimension der nachhaltigen nicht nur an Teer oder Beton zu denken, sondern natür- Entwicklung. Sonst würde sie nicht so um den Mindest- lich auch an das, was unter der Oberfläche liegt, nämlich lohn und andere soziale Themen feilschen und keine die Kabel und Sender – WiMAX-Systeme –, die als Umverteilungspolitik betreiben, die wenig nachhaltig ist. schnelle Datenleitungen eingebaut werden und die wir (Dr. Andreas Scheuer [CDU/CSU]: Jetzt berichtet als Chance für den ländlichen Raum brauchen. er wieder vom XII. Parteitag der SED!) Vielleicht müssen wir gerade auch bei der Wasserver- Ich finde es richtig, dass es heute die zweite Debatte sorgung und der Abwasserentsorgung ein wenig dezen- über den Bericht gibt und dass damit das zuständige Mi- traler denken. Das hat die Anhörung ja ergeben. Auch nisterium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung noch wenn ich weiß, dass vor allem die Kommunen und die einmal die Möglichkeit erhält, den vorgelegten Bericht intensiv zu prüfen und bei seiner Arbeit zu berücksichti- Länder dafür zuständig sind, sage ich als Bundespoliti- gen. Diese Bereitschaft war bislang nicht so deutlich er- ker ganz bewusst: An ganz kleinen Beispielen sieht man, kennbar. Deswegen haben wir uns im Beirat auf den ge- dass wir die interkommunale Zusammenarbeit – ich er- meinsamen Entschließungsantrag geeinigt. Wir haben wähne nur Räumdienste oder Ähnliches – unbedingt uns zusammengerauft. Ich finde es beeindruckend, dass ausbauen müssen. Wir als Bundespolitiker können ge- sich alle Fraktionen geeinigt haben. Das ist keine Selbst- rade bei der Förderung lenkend darauf hinwirken, dass verständlichkeit. Ich möchte mich bei den Kollegen der die ländlichen Räume im Vergleich zu den Städten und Koalitionsfraktionen für die gute Zusammenarbeit aus- (B) Metropolregionen ihre Infrastruktur bewahren. Das geht drücklich bedanken. (D) aber nur durch Zusammenarbeit. (Beifall bei der LINKEN und dem BÜND- (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem NIS 90/DIE GRÜNEN) BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Ab- Was bedeutet der demografische Wandel? Erstens al- geordneten der FDP) tert die Bevölkerung. Dass die Menschen immer älter werden, ist natürlich kein Problem. Im Gegenteil: Ich Kollege Ernst Kranz hat es bereits angesprochen: Die freue mich, dass meine Großmutter 86 Jahre alt ist und Arbeit im Beirat ist fraktionsübergreifend. Wir haben sich bester Gesundheit erfreut. diese Entschließung als parlamentarisches Meisterstück – so will ich einmal sagen – hinbekommen. Wir haben Zweitens geht die Bevölkerungszahl zurück, weil im- uns hier geeinigt und auch strittige Themen kollegial be- mer weniger Kinder geboren werden. Das ist ein Pro- sprochen. Von der Zielrichtung her waren wir uns grund- blem, wobei ich vor allem an die vielen Menschen sätzlich einig, und wir wollen hier gemeinsam auftreten. denke, die keinen Job haben und sich nur mühsam über Wir wollen das ganze Parlament abbilden und die The- Wasser halten können. Andere wursteln sich mit Prak- men, die wir über die nächsten Wahlen hinaus zu behan- tika und prekären Beschäftigungen durch. Wenn diese Menschen über Familienplanung nachdenken, dann über- deln haben, manifest machen und ansprechen. legen sie sich genau, ob sie Kinder bekommen. Ich möchte in dieser vorweihnachtlichen Stimmung Drittens gibt es eine Bevölkerungswanderung. Was gerne mit einem Zitat von Saint Exupéry schließen das heißt, können Sie in Ostdeutschland sehen. 20, 30 – vielleicht ist dies ein Vorsatz für 2008 –: oder sogar noch mehr Prozent der Bevölkerung sind seit der Wende aus vielen Regionen dort abgewandert. Be- Was die Zukunft anbelangt, so haben wir nicht die sonders problematisch ist, dass vor allem junge Men- Aufgabe, sie vorherzusehen, sondern sie zu ermög- schen, insbesondere junge Frauen, abwandern. Warum? lichen. Sie sehen dort keine Perspektive für sich. Das ist das große Versäumnis der Nachwendepolitik. Darauf werden Danke schön für Ihre Aufmerksamkeit. wir, Die Linke, Sie immer wieder hinweisen, auch wenn (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie Sie es nicht mehr hören wollen. Wir werden erst dann bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/ damit aufhören, wenn sich die Perspektiven in Ost- deutschland deutlich verbessert haben. DIE GRÜNEN und des Abg. Patrick Döring [FDP]) (Beifall bei der LINKEN) 14012 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 133. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. Dezember 2007

Lutz Heilmann (A) Was bedeutet ein Rückgang der Bevölkerung für die (Beifall bei der LINKEN) (C) Infrastrukturen? Lassen Sie mich dazu die Bundesver- kehrswege als Beispiel herausgreifen. Der Beirat Vizepräsidentin Petra Pau: schreibt: Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat nun der Infrastrukturvorhaben, die absehbar nicht ausgelas- Kollege Winfried Hermann das Wort. tet sein werden und nicht Teil eines regional abge- stimmten demographiewirksamen Entwicklungsplans (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) sind, müssen in ihrer Planung dem tatsächlichen Bedarf angepasst werden, … Winfried Hermann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Für nicht ausgelastete Straßen gibt es genügend Bei- Herren! Ich habe nicht nur die Freude, hier zu sprechen, spiele. Ich lade Sie einmal herzlich ein, die A 20 östlich sondern die schwierige Aufgabe, die eine oder andere von Rostock zu befahren. Dort sieht man zwar blühende Kollegin wachzurütteln, die schon einzuschlafen droht. Landschaften, insbesondere Wildwiesen auf erschlosse- nen Gewerbegebieten, aber wenig Fahrzeuge auf der (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Autobahn. Natürlich kann die Konsequenz nicht sein, sowie bei Abgeordneten der SPD) den Bau und Ausbau von Verkehrswegen im Osten ein- zustellen. Wir können aber auch nicht einfach die Land- Aber im Ernst: Einer meiner Vorredner hat darauf hin- schaft weiter mit Autobahnen zupflastern. Wo wenige gewiesen, dass wir uns schon seit Jahren, wenn nicht Menschen wohnen, reichen gut ausgebaute Bundesstra- Jahrzehnten mit dem demografischen Wandel befassen. ßen völlig aus. Auch angesichts der Geldknappheit ist es Dem muss ich entgegenhalten, dass sich die Politik sinnvoller, das Netz der Bundesstraßen auszubauen. Das lange auf den demografischen Wandel konzentriert hat, verbessert die Mobilität von wesentlich mehr Menschen, als es darum ging, was das für die sozialen Sicherungs- als wenn nur Autobahnen gebaut werden. Dass Autobah- systeme bedeutet, aber nicht bezogen auf die Frage, wie nen die Wirtschaft ankurbeln, ist nichts als ein Märchen. wir die technische Infrastruktur entwickeln sollen. Inso- fern hat der Parlamentarische Beirat das völlig ver- Andererseits geht es nicht nur um den Straßenverkehr. drängte und vernachlässigte Problem des demografi- Es geht vielmehr darum, endlich eine verkehrsträger- schen Wandels zu Recht aufgegriffen; im Bericht wird, übergreifende Planung hinzubekommen. Allen Beteue- wie ich finde, sehr differenziert und an manchen Stellen rungen der Regierung zum Trotz ist die sogenannte Bun- auch durchaus anstößig darauf eingegangen, ob wir so desverkehrswegeplanung dieses eben nicht. Sie prüft weitermachen können. einfach die Meldungen für Straßen, Schienen und Was- (B) serstraßen, und diese bekommen dann den Stempel, der (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN (D) besagt, ob sie notwendig oder nicht notwendig sind. Das sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und führte dazu, dass bisher alle Bundesverkehrswegepläne der SPD und des Abg. Patrick Döring [FDP]) unterfinanziert waren und sind und dass nebeneinander Wir haben im interfraktionellen Konsens manches Straßen, Schienen und Wasserstraßen gebaut werden. schriftlich formuliert, was in manchen Fachausschüssen Das hat auch dazu geführt, dass der aktuelle Bundesver- noch nicht möglich wäre. Ich will das am Beispiel des kehrswegeplan offiziell angibt, dass die Kohlendioxid- Bundesverkehrswegeplans deutlich machen; der Kollege emissionen, die durch den Verkehr entstehen, um 11 Pro- Heilmann hat es bereits angesprochen. Bei dieser Pla- zent ansteigen. nung wird selbstverständlich eine Prognose erstellt, die Das alles geschieht in Zeiten des Klimawandels. Zur- aber zum Beispiel in Bezug auf den Verkehr und die de- zeit finden auf Bali Klimaverhandlungen statt. Deutsch- mografische Entwicklung bei der jetzigen Planung maxi- land muss sich dort dazu verpflichten, seine Kohlendi- mal bis 2015 reicht. Die Daten stammen in der Regel aus oxidemissionen erheblich zu reduzieren. Dazu passt kein den 90er-Jahren; gedacht wird im Geiste der Jahrzehnte Bundesverkehrswegeplan, der bis 2015 11 Prozent mehr davor. Im Wesentlichen glauben wir an diese Wachs- tumssprognosen, weil es immer so war. Die Gesellschaft CO2-Emissionen zulässt. So weit müssten auch die Re- chenkünste im Verkehrsministerium reichen. und der Verkehr haben sich entsprechend entwickelt; al- les ist so weitergegangen. Vizepräsidentin Petra Pau: Die Prognosen enden maximal im Jahr 2015. Wir Kollege Heilmann, Sie müssen bitte zum Schluss bauen aber Straßen, Brücken und Tunnels, die mindes- kommen. tens bis 2050, 2070 oder 2080 halten werden, betrieben werden müssen und Kosten verursachen. All das haben Lutz Heilmann (DIE LINKE): wir bisher zweifellos zu wenig berücksichtigt, und zwar Ja, ich komme zum Schluss. – Das Ministerium muss nicht nur der Bund als für den Straßenbau zuständige In- handeln. Es müssen Umweltziele und Mobilitätsziele de- stanz, sondern auch die Länder und Kommunen. Man finiert werden. Deshalb brauchen wir eine Bundesmobi- baut sozusagen, als ginge alles immer so weiter wie bis- litätsplanung. Nehmen Sie sich den Bericht des Beirats her. Man hat in die Kosten nie wirklich die über die Jahr- zu Herzen und berücksichtigen Sie ihn in der nächsten zehnte folgenden Betriebskosten miteinbezogen. Ich Bundesverkehrswegeplanung! glaube, dass es für die Kommunen ziemlich hart werden wird, wenn sich herausstellt, was die Infrastrukturen Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit. kosten. Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 133. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. Dezember 2007 14013

Winfried Hermann (A) Insofern haben wir im Beirat festgestellt, dass es Hermann, bis wir in Deutschland das Thema „Demogra- (C) höchste Zeit ist, umzudenken und das stärker mit ins fie und Infrastruktur“ aufgegriffen haben, es hat auch Kalkül zu nehmen. Man muss bei jeder Infrastrukturent- Jahrzehnte gedauert, bis wir das Thema Demografie scheidung – sei es eine Baugebietsausweisung, eine Um- überhaupt aufgegriffen haben, viel zu lange. Alle An- gehungsstraße oder ein Tunnel – ernsthaft und gründlich strengungen im Bereich der Familienpolitik, die gut vo- fragen, ob wir uns das auch noch in 20 Jahren leisten ranschreiten, und der Integrationspolitik werden uns nicht können, ob wir es in 30 Jahren noch brauchen und wie davor bewahren, dass es ungefähr im Jahre 2050 etwa dann die Gesellschaft aussieht. 10 Millionen Menschen weniger in Deutschland gibt. Allein diese Zahl zeigt, dass auf die Infrastruktur andere Man muss auch fragen, was für Menschen dann die Herausforderungen zukommen. Abstrakt ist die Erkennt- Verkehrsinfrastruktur nutzen werden. Wollen sie alle nis da. Wenn es jedoch konkret wird, dann will jeder Porsche fahren, wenn sie älter sind, oder können sie zum Bürgermeister doch noch das letzte Neubaugebiet in sei- Beispiel die klein beschrifteten Automaten im öffentli- ner Region, seiner Heimatstadt planen und bewirtschaf- chen Verkehr nutzen? Die gesamte Infrastruktur im Ver- kehrssektor ist gar nicht auf älter werdende Menschen ten, damit er neue Einwohner bekommt. Das gilt aller- ausgerichtet. Heißt das nicht, dass man viel mehr über dings auch – diese Bemerkung gestatten Sie mir bitte – die Gestaltung und Nutzung der vorhandenen Infrastruk- für Politikbereiche, über die wir hier in Berlin entschei- tur und die Optimierung des Vorhandenen nachdenken den. Ich sage es aus meiner persönlichen Sicht: Natür- muss? lich wissen wir abstrakt, wie sich der Bevölkerungsauf- bau darstellt, aber wir sind nicht bereit, im Bereich der (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Pflegeversicherung konkrete Finanzierungsalternativen sowie des Abg. Dr. Günter Krings [CDU/ zu diskutieren und zu beschließen. CSU]) Beim Thema Infrastruktur geht es um sehr langfris- Das sind die Fragen, die wir aufgeworfen haben. Wir tige Entscheidungen, weil Infrastruktur, wie Sie, Herr bitten herzlich darum, hier im Parlament, aber auch in al- Kollege Hermann, zu Recht gesagt haben, für Jahr- len anderen Parlamenten, auf allen anderen politischen zehnte, zum Teil für Jahrhunderte gebaut wird. Wir be- Ebenen ernsthaft der Frage nachzugehen, wie verkehrli- wegen uns heute auf Straßen, deren Trassen zum großen che Infrastruktur so gebaut, angepasst und weiterentwi- Teil aus napoleonischer Zeit stammen. Auch die Eisen- ckelt werden kann, dass sie zukunftsfest und demogra- bahntrassen sind vor über 100 Jahren gebaut worden. fiefest ist in dem Sinne, dass sie auch noch in 20 und Und wie lange Flughafenplanung dauert, muss ich in 30 Jahren tauglich und bezahlbar ist. Berlin sicherlich niemandem erklären. Vielen Dank. (B) Bei Entscheidungen, die langfristige Tragweiten ha- (D) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN ben, ist Politik immer ziemlich schlecht, und zwar in al- und bei der FDP sowie bei Abgeordneten der len Bereichen: Bund, Länder und Gemeinden. Da sind CDU/CSU und der SPD und des Abg. Lutz wir wirklich nicht gut, weil wir oft in sehr kurzfristigen Heilmann [DIE LINKE]) Zeiträumen denken. Von daher ist es gut, dass der Parla- mentarische Beirat versucht, hier eine Langfristperspek- Vizepräsidentin Petra Pau: tive einzubringen. Wir versuchen das im Konsens, bisher meistens erfolgreich. Wir merken, dass es bei den The- Für die Unionsfraktion hat nun der Kollege men Finanzen und Soziales schwieriger wird. Ich habe Dr. Günter Krings das Wort. die Hoffnung, dass wir in weiten Teilen des Beirats bei (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- möglichst vielen Themen auch in Zukunft beieinander neten der SPD, der FDP und des BÜNDNIS- bleiben. Aber wir müssen ehrlich sein: Wenn wir zum SES 90/DIE GRÜNEN) Beispiel beim Thema Infrastruktur über Konsequenzen sprechen, dann bedeuten „gleichwertige Lebensverhält- Dr. Günter Krings (CDU/CSU): nisse in Deutschland“ nicht zwingend „überall gleiche Lebensverhältnisse“. Das heißt für mich: nicht weniger Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Infrastruktur in dünnbesiedelten Räumen, sondern zum Herren! Lassen Sie mich als Vorsitzender des Parlamen- Teil eine andere Infrastruktur. tarischen Beirats zu Beginn würdigend darauf hinwei- sen, dass um diese Zeit noch so viele Kollegen im Ple- Letztlich müssen wir aufpassen, dass das Thema de- num sind, ich hoffe, einige auch wegen des Themas. Es mografischer Wandel nicht nur mit negativen Begriffen sind auch viele Kollegen hier, die nicht dem Parlamenta- besetzt wird. Es gibt auch Chancen, die damit verbunden rischen Beirat angehören. sind. Beispielsweise können wir den Flächenverbrauch (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, der FDP, mindern. Schauen wir uns einmal das Ziel der Nachhal- der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE tigkeitsstrategie der Bundesregierung an! Es gibt kein GRÜNEN – Dr. Martina Krogmann [CDU/ Ziel dieser Strategie, das so krass verfehlt wird wie das CSU]: Nur deinetwegen!) Thema Flächenverbrauch. Ich finde das auch richtig, weil wir hier ein Quer- (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, der FDP schnittsthema diskutieren, das alle Fachausschüsse be- und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie trifft. Es hat nicht nur lange gedauert, Herr Kollege des Abg. Lutz Heilmann [DIE LINKE]) 14014 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 133. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. Dezember 2007

Dr. Günter Krings (A) Statt bei 30 Hektar pro Tag bewegen wir uns bei unge- Enthaltungen? – Dann ist die Beschlussempfehlung ein- (C) fähr 100 Hektar. Dieses Problem müssen wir auch im stimmig angenommen. politischen Handeln stärker aufgreifen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 20 auf: Ich meine schon, dass die Nachhaltigkeitsstrategie der Beratung der Beschlussempfehlung und des Be- Bundesregierung einen wichtigen Beitrag dazu leisten richts des Innenausschusses (4. Ausschuss) zu kann, dass wir den demografischen Wandel in Deutsch- dem Antrag der Abgeordneten Gudrun Kopp, land nicht reaktiv betrachten, sondern gestaltend damit Birgit Homburger, Markus Löning, weiterer Ab- umgehen, dass wir in den nächsten Jahrzehnten in geordneter und der Fraktion der FDP Deutschland nicht weniger, sondern mehr Lebensqualität erreichen. Voraussetzung ist allerdings, dass wir diese Bürokratie abbauen – Zeitumstellung abschaf- Nachhaltigkeitsstrategie auch in ihrer Steuerungswir- fen und Sommerzeit permanent einführen kung ernst nehmen. Das heißt, eine Nachhaltigkeitsstra- – Drucksachen 16/4773, 16/6699 – tegie, die nur neben der Ressortpolitik herläuft und nicht in einigen Bereichen zu Politikänderungen führt, kann Berichterstattung: nur wenig bringen. Die Zeit, die man sich mit ihr be- Abgeordnete Hans-Werner Kammer schäftigen würde, wäre zu schade. Das heißt, eine Nach- Maik Reichel haltigkeitsstrategie muss zumindest in Teilbereichen Dr. Max Stadler zum Umdenken und letztlich zu Politikänderungen füh- Petra Pau Silke Stokar von Neuforn ren. Der Kollege Hans-Werner Kammer für die Unions- Das Bild des guten Vorsatzes für 2008, das der Kol- fraktion, der Kollege Maik Reichel für die SPD-Frak- lege Scheuer gemalt hat, will ich gerne aufgreifen. Ich tion, die Kollegin Gudrun Kopp für die FDP-Fraktion, finde, nicht nur die Mitglieder des Parlamentarischen die Kollegin Silke Stokar von Neuforn für die Fraktion Beirates, sondern alle Abgeordneten des Deutschen Bündnis 90/Die Grünen und Petra Pau geben ihre Reden Bundestages sollten sich als guten Vorsatz für das neue zu Protokoll.1) Jahr vornehmen, unserer Nachhaltigkeitsstrategie in Teilbereichen zu mehr Biss und Durchschlagskraft zu Wir kommen zur Abstimmung über die Beschluss- verhelfen; das ist sicherlich ein schwieriges Unterfan- empfehlung des Innenausschusses zu dem Antrag der gen. Der Parlamentarische Beirat will dazu einen Beitrag Fraktion der FDP mit dem Titel „Bürokratie abbauen – leisten. Wir warten mit Spannung auf die im Fortschritts- Zeitumstellung abschaffen und Sommerzeit permanent bericht 2008 angekündigten Projekte und Maßnahmen. einführen“. Der Ausschuss empfiehlt in seiner Be- schlussempfehlung auf Drucksache 16/6699, den Antrag (B) der Fraktion der FDP auf Drucksache 16/4773 abzuleh- (D) Vizepräsidentin Petra Pau: nen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer Kollege Krings, kommen Sie bitte zum Schluss. stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die Beschluss- empfehlung ist mit den Stimmen der Unionsfraktion und Dr. Günter Krings (CDU/CSU): der SPD-Fraktion gegen die Stimmen der FDP-Fraktion Ein letzter Satz, solange ein Vertreter der Bundesre- und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen bei Enthaltung gierung da ist. – Noch spannender wird es sein, zu sehen, der Fraktion Die Linke angenommen. ob die Schlussfolgerungen des Fortschrittsberichts 2008 Ich rufe die Tagesordnungspunkte 23 a und 23 b so- in konkretes Regierungshandeln umgesetzt werden. wie den Zusatzpunkt 7 auf: Wenn die Bundesregierung das heute nicht mitbekommt, dann werden wir, der Parlamentarische Beirat, dafür sor- 23 a) Beratung des Antrages der Abgeordneten Anette gen, dass sie es dann im nächsten Jahr durch unsere Äu- Hübinger, Dr. Christian Ruck, Dr. Wolf Bauer, ßerungen mitbekommen wird. weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Dr. Sascha Herzlichen Dank. Raabe, Gabriele Groneberg, Stephan Hilsberg, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, der FDP Entwicklungsorientierte Wirtschaftspartner- und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie schaften zwischen der EU und den AKP-Staa- bei Abgeordneten der LINKEN) ten – Chance für politische, wirtschaftliche und soziale Stabilität Vizepräsidentin Petra Pau: – Drucksache 16/7487 – Ich schließe die Aussprache. Überweisungsvorschlag: Wir kommen zur Abstimmung über die Beschluss- Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und empfehlung des Ausschusses für Verkehr, Bau und Entwicklung (f) Auswärtiger Ausschuss Stadtentwicklung zu dem Bericht des Parlamentarischen Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Beirats für nachhaltige Entwicklung mit dem Titel „De- Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und mographischer Wandel und nachhaltige Infrastrukturpla- Verbraucherschutz nung“. Das sind die Drucksachen 16/4900 und 16/7367. Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe Der Ausschuss empfiehlt, in Kenntnis der Unterrichtung Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union eine Entschließung anzunehmen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Gibt es 1) Anlage 13 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 133. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. Dezember 2007 14015

Dr. Günter Krings (A) b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Heike Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und (C) Hänsel, Hüseyin-Kenan Aydin, Monika Knoche, Verbraucherschutz weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe LINKE Die Kollegin Sibylle Pfeiffer hat für die Unionsfrak- tion ihren Beitrag zu Protokoll gegeben, der Kollege EU-AKP-Abkommen: Faire Handelspolitik Dr. Sascha Raabe für die SPD-Fraktion, der Kollege statt Freihandelsdiktat Dr. Karl Addicks für die FDP-Fraktion, der Kollege – Drucksache 16/7473 – Hüseyin-Kenan Aydin für die Fraktion Die Linke und Überweisungsvorschlag: der Kollege Thilo Hoppe für die Fraktion Bündnis 90/ Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Die Grünen.2) Entwicklung (f) Auswärtiger Ausschuss Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Drucksache 16/7470 an die in der Tagesordnung aufge- Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und führten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit ein- Verbraucherschutz verstanden? – Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union so beschlossen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 25 auf: ZP 7 Beratung des Antrags der Abgeordneten Thilo Hoppe, Ute Koczy, Marieluise Beck (Bremen), Erste Beratung des von der Bundesregierung ein- weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜND- gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Begren- NIS 90/DIE GRÜNEN zung der mit Finanzinvestitionen verbundenen Risiken (Risikobegrenzungsgesetz) Wirtschaftspartnerschaftsabkommen und In- terimsabkommen zwischen EU und AKP- – Drucksache 16/7438 – Staaten entwicklungsfreundlich gestalten Überweisungsvorschlag: Finanzausschuss (f) – Drucksache 16/7469 – Rechtsausschuss Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Entwicklung (f) Verbraucherschutz Auswärtiger Ausschuss Ausschuss für Arbeit und Soziales Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Hier nehmen wir die Beiträge des Kollegen Leo Verbraucherschutz Dautzenberg für die Unionsfraktion, der Kollegin Nina (B) Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe Hauer und des Kollegen Dr. Hans-Ulrich Krüger für die (D) Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union SPD-Fraktion, des Kollegen Frank Schäffler für die Die Kollegin Anette Hübinger für die Unionsfraktion, FDP-Fraktion, des Kollegen Dr. Axel Troost für die der Kollege Dr. Sascha Raabe für die SPD-Fraktion, der Fraktion Die Linke und des Kollegen Dr. Gerhard Kollege Hellmut Königshaus für die FDP-Fraktion, die Schick für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen zu Pro- Kollegin Heike Hänsel für die Fraktion Die Linke und tokoll.3) der Kollege Thilo Hoppe für die Bündnis 90/Die Grünen Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzent- haben ihre Reden zu Protokoll gegeben.1) wurfs auf Drucksache 16/7438 an die in der Tagesord- Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf nung aufgeführten Ausschüsse und zusätzlich an den den Drucksachen 16/7487, 16/7473 und 16/7469 an die Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Verbrau- in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorge- cherschutz vorgeschlagen. Gibt es dazu anderweitige schlagen. Sind Sie damit einverstanden? – Das ist der Vorschläge? – Das ist nicht der Fall. Dann ist auch diese Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen. Überweisung so beschlossen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 24 auf: Ich rufe den Tagesordnungspunkt 22 auf: Beratung der Beschlussempfehlung und des Be- Beratung des Antrags der Abgeordneten Thilo richts des Ausschusses für Wirtschaft und Tech- Hoppe, Ute Koczy, Ulrike Höfken, weiterer Ab- nologie (9. Ausschuss) zu dem Antrag der Abge- geordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE ordneten Dr. Christel Happach-Kasan, Christian GRÜNEN Ahrendt, Hans-Michael Goldmann, weiterer Ab- Für eine neue effektive und an den Bedürfnis- geordneter und der Fraktion der FDP sen der Hungernden ausgerichtete Nahrungs- Zukunftschancen des Ostseeraums – Wirt- mittelkonvention schaft, Ökologie, Kultur und Tourismus – Drucksache 16/7470 – – Drucksachen 16/5251, 16/7048 – Überweisungsvorschlag: Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Berichterstattung: Entwicklung (f) Abgeordneter Eckhardt Rehberg Auswärtiger Ausschuss

2) Anlage 15 1) Anlage 14 3) Anlage 16 14016 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 133. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. Dezember 2007

Dr. Günter Krings (A) Auch hier nehmen wir die Reden zu Protokoll. Das Überweisungsvorschlag: (C) betrifft den Beitrag des Kollegen Eckhardt Rehberg für Innenausschuss (f) Ausschuss für Wahlprüfung, Immunität und die Unionsfraktion, der Kollegin Andrea Wicklein für Geschäftsordnung die SPD-Fraktion, der Kollegin Dr. Christel Happach- Rechtsausschuss Kasan für die FDP-Fraktion, des Kollegen Lutz Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Heilmann für die Fraktion Die Linke und der Kollegin Auch hier nehmen wir die Reden zu Protokoll. Das Bettina Herlitzius für die Fraktion Bündnis 90/Die Grü- betrifft die Beiträge des Kollegen Stephan Mayer (Altöt- nen.1) ting) für die Unionsfraktion, des Kollegen Klaus Uwe Wir kommen zur Abstimmung über die Beschluss- Benneter für die SPD-Fraktion, der Kollegin Gisela Piltz empfehlung des Ausschusses für Wirtschaft und Techno- für die FDP-Fraktion, des Kollegen Jan Korte für die logie zu dem Antrag der Fraktion der FDP mit dem Titel Fraktion Die Linke, der Kollegin Silke Stokar von „Zukunftschancen des Ostseeraums – Wirtschaft, Ökolo- Neuforn für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen und gie, Kultur und Tourismus“. Der Ausschuss empfiehlt in des fraktionslosen Kollegen Gert Winkelmeier.2) seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/7048, Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf den Antrag der FDP auf Drucksache 16/5251 abzuleh- nen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer den Drucksachen16/7461, 16/7462, 16/7463 und 16/5810 an die in der Tagesordnung aufgeführten Aus- stimmt dagegen? – Gibt es Enthaltungen? – Die Be- schüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? – schlussempfehlung ist damit gegen die Stimmen der FDP-Fraktion von den übrigen Fraktionen des Hauses Das ist der Fall. Dann sind die Überweisungen so be- schlossen. angenommen. Ich rufe die Tagesordnungspunkte 27 a bis 27 d auf: Ich rufe den Tagesordnungspunkt 26 auf: a) Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/ Beratung des Antrags der Abgeordneten Cornelia CSU und der SPD eingebrachten Entwurfs eines Behm, Ulrike Höfken, Nicole Maisch, weiterer Gesetzes zur Änderung des Wahl- und Abge- Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/ ordnetenrechts DIE GRÜNEN – Drucksache 16/7461 – Bodenprivatisierung neu ausrichten Überweisungsvorschlag: – Drucksache 16/7135 – Innenausschuss (f) Ausschuss für Wahlprüfung, Immunität und Überweisungsvorschlag: Geschäftsordnung Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und (B) Rechtsausschuss Verbraucherschutz (f) (D) Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union Finanzausschuss Haushaltsausschuss Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung b) Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/ Haushaltsausschuss CSU und der SPD eingebrachten Entwurfs eines Auch hier nehmen wir die Reden zu Protokoll. Das Achtzehnten Gesetzes zur Änderung des Bun- betrifft den Beitrag des Kollegen Dr. Peter Jahr für die deswahlgesetzes Unionsfraktion, des Kollegen Dr. Gerhard Botz für die – Drucksache 16/7462 – SPD-Fraktion, des Kollegen Dr. Edmund Peter Geisen Überweisungsvorschlag: für die FDP-Fraktion, der Kollegin Dr. Kirsten Innenausschuss (f) Tackmann für die Fraktion Die Linke und der Kollegin Rechtsausschuss Cornelia Behm für die Fraktion Bündnis 90/Die Grü- nen.3) c) Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/ CSU, der SPD und der FDP eingebrachten Ent- Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf wurfs eines Gesetzes zur Änderung des Wahl- Drucksache 16/7135 an die in der Tagesordnung aufge- prüfungsgesetzes führten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit ein- verstanden? – Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung – Drucksache 16/7463 – so beschlossen. Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Wahlprüfung, Immunität und Ich rufe die Tagesordnungspunkte 29 a und 29 b auf: Geschäftsordnung (f) Innenausschuss a) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be- Rechtsausschuss richts des Ausschusses für Bildung, Forschung d) Beratung des Antrags der Abgeordneten und Technikfolgenabschätzung (18. Ausschuss) Dr. Gesine Lötzsch, Petra Pau, Ulla Jelpke, wei- – zu dem Antrag der Abgeordneten Marcus terer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Weinberg, Ilse Aigner, Bernward Müller Wahlmanipulationen wirksam verhindern (Gera), weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Ulla – Drucksache 16/5810 –

2) Anlage 18 1) Anlage 17 3) Anlage 19 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 133. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. Dezember 2007 14017

Dr. Günter Krings (A) Burchardt, Jörg Tauss, Willi Brase, weiterer Als wir in diesem Jahr die Vorbereitungen für die (C) Abgeordneter und der Fraktion der SPD Reise der Bundeskanzlerin und von Frau Schavan nach Indien im Februar dieses Jahres getroffen haben, war uns Indisch-Deutschen Studierenden- und Wis- allen klar, dass das eine gute Maßnahme ist. Es war senschaftleraustausch fördern – Mobilitäts- wichtig, dass im Februar 2007 während der EU-Ratsprä- programm zum Jahr der Geisteswissen- sidentschaft auf Initiative Deutschlands eine Wissen- schaften in Deutschland schaftskonferenz stattgefunden hat, weil Indien als – zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Petra größte Demokratie in Südostasien eine wichtige strategi- Sitte, Cornelia Hirsch, Volker Schneider (Saar- sche Rolle im Friedensprozess spielt. brücken), weiterer Abgeordneter und der Frak- (Beifall bei der FDP) tion DIE LINKE Uns ist klar: Bildung, Wissenschaft und Forschung tra- Indisch-Deutschen Studierenden- und Wis- gen maßgeblich dazu bei, dass die Zusammenarbeit zwi- senschaftleraustausch fördern – Mobilitäts- schen beiden Staaten vertieft wird. programm zum Jahr der Geisteswissen- Wenn man weiß, dass Indien eine rasant wachsende schaften in Deutschland Wissenschafts- und Forschungslandschaft hat, dass das – zu dem Antrag der Abgeordneten Priska Hinz Wirtschaftswachstum mit 10 bis 12 Prozent enorm ist (Herborn), Kai Gehring, Krista Sager, weiterer und Indien viel schneller wächst als europäische Staaten, Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/ weil alle Anstrengungen unternommen werden, um ge- DIE GRÜNEN rade in Bildung und Forschung zu investieren, ist es wichtig, ein solches Programm vorzulegen, ein Regie- Indisch-Deutschen Studierenden- und Wis- rungsprogramm in der Zusammenarbeit auch zu ergän- senschaftleraustausch fördern – Mobilitäts- zen und gerade im Jahr der Geisteswissenschaften Ak- programm zum Jahr der Geisteswissen- zente auf die Geisteswissenschaften zu setzen. schaften in Deutschland (Beifall bei der FDP) – Drucksachen 16/6945, 16/5811, 16/5968, 16/7504 – So gut das auch ist: Ich stehe heute nicht hier, weil ich über die Richtigkeit des Inhalts reden will, was uns allen Berichterstattung: klar ist. Ich stehe heute hier, weil ich als Abgeordnete Abgeordnete Marcus Weinberg des Ausschusses wirklich empört darüber bin, wie mit Ulla Burchardt einer guten Idee interfraktionell verfahren worden ist. Cornelia Pieper (B) (Dr. Andreas Scheuer [CDU/CSU]: Wir sind vor (D) Dr. Petra Sitte Weihnachten! Das muss doch nicht sein!) Priska Hinz (Herborn) Heute liegt eine Beschlussempfehlung des Ausschus- b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Cornelia ses vor, die sich auch auf einen Antrag der Regierungs- Pieper, Patrick Meinhardt, Uwe Barth, weiterer koalitionen bezieht, den ich eigentlich mit verfasst habe, Abgeordneter und der Fraktion der FDP den ich unterstütze und den auch meine Fraktion unter- Indisch-Deutschen Studierenden- und Wissen- stützt. Deswegen werden wir für die Beschlussempfeh- schaftleraustausch fördern – Mobilitätspro- lung des Ausschusses und damit für den Antrag der Re- gramm zum Jahr der Geisteswissenschaften in gierungskoalition stimmen. Die Regierungskoalition war Deutschland aber nicht in der Lage, einen interfraktionellen Antrag auf den Weg zu bringen, aus unterschiedlichen Gründen. – Drucksache 16/7262 – Die Unionsfraktionen haben gesagt: Mit uns gibt es das nicht. Die Linke erscheint bei uns nicht als Antragsteller. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. – Ich höre (Dr. Martina Krogmann [CDU/CSU]: Sehr dazu keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen. richtig!) Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat die Kolle- Nach einem entsprechenden Vorschlag an die FDP sagte gin Cornelia Pieper für die FDP-Fraktion. die SPD: Wenn die FDP mit als Antragsteller erscheint, müssen auch die Grünen dort erscheinen. (Beifall bei der FDP – Christian Lange [Back- nang] [SPD]: Das ist ja unglaublich!) (Zuruf von der FDP: Das ist ja unerhört! Das ist ein merkwürdiges Verständnis!) Cornelia Pieper (FDP): Uns ging es immer um die Sache und nicht um eine Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! ideologische Debatte in dieser Frage. Sie werden sich vielleicht wundern, dass ich zu diesem (Beifall bei der FDP – Christian Lange [Back- Thema als Einzige, soweit mir das bekannt ist, spreche, nang] [SPD]: Das wäre ja das erste Mal!) nämlich als Vertreterin der FDP-Fraktion aus dem zu- ständigen Ausschuss für Bildung und Forschung. Aber Diese Art und Weise des Umgangs mit sachlichen Anträ- das hat auch seinen Grund. Es ist eigentlich kein Thema, gen, die auch eine außenpolitische Tragweite haben, die bei dem es sich lohnt, sich politisch und ideologisch aus- überhaupt keinen Streit in einer fachlichen oder sachli- einanderzusetzen. chen Frage hervorbringen, ist für mich unverständlich. 14018 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 133. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. Dezember 2007

Dr. Günter Krings (A) Unverständlich ist, dass man sich in dieser Frage nicht Schließlich empfiehlt der Ausschuss unter Nr. 3 sei- (C) geeinigt hat. ner Beschlussempfehlung die Ablehnung des Antrags der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Druck- (Beifall des Abg. Jan Mücke [FDP]) sache 16/5968. Wer stimmt für diese Beschlussempfeh- Wir haben deshalb einen eigenen Antrag gestellt, der lung? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – den Wortlaut des Antrags der Regierungskoalition hat. Dann ist die Beschlussempfehlung mit den Stimmen der Es ist der gleiche Antrag. Meine Fraktion ist nun wirk- Unionsfraktion und der SPD-Fraktion gegen die Stim- lich gespannt, wie sich die Regierungskoalition in der men der Fraktion Die Linke und der Fraktion Bündnis Frage verhalten wird. Ich fände es einfach absurd, wenn 90/Die Grünen bei Enthaltung der FDP-Fraktion ange- Sie vielleicht aus rein machtstrategischen Gründen einen nommen. Antrag niederstimmten, der den gleichen Inhalt hat wie der Antrag der Regierungskoalition. Wir kommen damit zur Abstimmung über den Antrag der Fraktion der FDP auf Drucksache 16/7262 zum in- (Beifall bei der FDP) disch-deutschen Studierenden- und Wissenschaftleraus- Ich werbe an dieser Stelle noch einmal – das ist mir tausch. Wer stimmt für diesen Antrag? – Wer stimmt da- die Sache wert – für den Antrag der FDP. Wir haben ver- gegen? – Gibt es Enthaltungen? – Dann ist der Antrag sucht, das in diesem Hause interfraktionell auf den Weg mit den Stimmen der Unionsfraktion und der SPD-Frak- zu bringen, weil es wichtig ist, dass wir nach außen, egal tion gegen die Stimmen der Oppositionsfraktionen abge- ob es um die europäische Politik oder um die Zusam- lehnt. menarbeit mit Indien geht, ein gemeinsames Programm Ich rufe Tagesordnungspunkt 28 auf: verkünden und geschlossen auftreten. Ich sage zur Regierungskoalition einfach: Beenden Beratung des Antrags der Abgeordneten Rainder Sie endlich diese ideologischen Debatten in dem Zusam- Steenblock, Jürgen Trittin, Omid Nouripour, wei- menhang! Wir wollen eine Politik der Vernunft, und terer Abgeordneter und der Fraktion BÜND- diese Politik der Vernunft können Sie unter Beweis stel- NIS 90/DIE GRÜNEN len, indem Sie auch dem Antrag der FDP zustimmen. Defizite bei der Umsetzung der Europa-Ver- Vielen Dank. einbarung abstellen (Beifall bei der FDP) – Drucksache 16/7139 – Überweisungsvorschlag: (B) Vizepräsidentin Petra Pau: Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union (f) (D) Auswärtiger Ausschuss Wir nehmen die Beiträge des Kollegen Marcus Innenausschuss Weinberg für die Unionsfraktion, der Kollegin Ulla Sportausschuss Burchardt für die SPD-Fraktion, der Kollegin Dr. Petra Rechtsausschuss Sitte für die Fraktion Die Linke und der Kollegin Priska Finanzausschuss Hinz (Herborn) für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen Ausschuss für Wirtschaft und Technologie zu Protokoll.1) Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz Wir kommen damit zur Beschlussempfehlung des Ausschuss für Arbeit und Soziales Verteidigungsausschuss Ausschusses für Bildung, Forschung und Technikfolgen- Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend abschätzung auf Drucksache 16/7504 zu mehreren An- Ausschuss für Gesundheit trägen zum indisch-deutschen Studierenden- und Wis- Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung senschaftleraustausch. Der Ausschuss empfiehlt unter Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Nr. 1 seiner Beschlussempfehlung die Annahme des An- Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe trags der Fraktionen der CDU/CSU und der SPD auf Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung Drucksache 16/6945. Wer stimmt für diese Beschluss- Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und empfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Gibt es Enthal- Entwicklung tungen? – Dann ist die Beschlussempfehlung einstimmig Ausschuss für Tourismus angenommen. Ausschuss für Kultur und Medien Haushaltsausschuss Unter Nr. 2 seiner Beschlussempfehlung empfiehlt der Ausschuss die Ablehnung des Antrags der Fraktion Auch die Reden zu diesem Tagesordnungspunkt neh- Die Linke auf Drucksache 16/5811. Wer stimmt für men wir zu Protokoll. Das betrifft die Beiträge des Kol- diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – legen Michael Stübgen für die Unionsfraktion, des Kol- Wer enthält sich? – Dann ist die Beschlussempfehlung legen Michael Roth (Heringen) für die SPD-Fraktion, mit den Stimmen der Unionsfraktion und der SPD-Frak- des Kollegen Michael Link (Heilbronn) für die FDP- tion gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke und der Fraktion, des Kollegen Alexander Ulrich für die Frak- Fraktion Bündnis 90/Die Grünen bei Enthaltung der tion Die Linke und des Kollegen Rainder Steenblock für FDP-Fraktion angenommen. die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.2)

1) Anlage 20 2) Anlage 21 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 133. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. Dezember 2007 14019

Dr. Günter Krings (A) Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bun- (C) Drucksache 16/7139 an die in der Tagesordnung aufge- destages auf morgen, Freitag, den 14. Dezember 2007, führten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit ein- 9 Uhr, ein. verstanden? – Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Die Sitzung ist geschlossen. Ich wünsche Ihnen noch einen schönen Abend, liebe Kolleginnen und Kollegen. Wir sind damit am Schluss unserer heutigen Tages- ordnung. (Schluss: 22.33 Uhr)

(B) (D)

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 133. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. Dezember 2007 14021

(A) Anlagen zum Stenografischen Bericht (C)

Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten

entschuldigt bis entschuldigt bis Abgeordnete(r) einschließlich Abgeordnete(r) einschließlich

Ahrendt, Christian FDP 13.12.2007 Wieczorek-Zeul, SPD 13.12.2007 Heidemarie Bismarck, Carl-Eduard CDU/CSU 13.12.2007 von Wolf (Frankfurt), BÜNDNIS 90/ 13.12.2007 Margareta DIE GRÜNEN Bülow, Marco SPD 13.12.2007 Bulling-Schröter, Eva DIE LINKE 13.12.2007 Anlage 2 Dr. Däubler-Gmelin, SPD 13.12.2007 Antwort Herta der Parl. Staatssekretärin Dagmar Wöhrl auf die Frage Dağdelen, Sevim DIE LINKE 13.12.2007 des Abgeordneten Hans-Kurt Hill (DIE LINKE) Fischbach, Ingrid CDU/CSU 13.12.2007 (132. Sitzung, Drucksache 16/7433, Frage 26): Wie beurteilt die Bundesregierung die absehbaren Verzöge- Gabriel, Sigmar SPD 13.12.2007 rungen beim Börsengang des sogenannten weißen Bereichs der ehemaligen RAG, jetzt Evonik, aufgrund der krisenhaften Situ- Göppel, Josef CDU/CSU 13.12.2007 ation auf den Finanzmärkten sowie die von Konzern und Stif- tung öffentlich diskutierte Erwägung, Aktienpakete an einzelne Granold, Ute CDU/CSU 13.12.2007 Investoren zu verkaufen, und die daraus resultierenden Folgen für das zu erwartende Vermögen der RAG-Stiftung? Höfken, Ulrike BÜNDNIS 90/ 13.12.2007 Die kohlepolitische Verständigung vom 7. Februar (B) DIE GRÜNEN 2007 und das Steinkohlefinanzierungsgesetz haben den (D) Höhn, Bärbel BÜNDNIS 90/ 13.12.2007 Weg für einen Börsengang des RAG-Beteiligungskon- DIE GRÜNEN zerns, jetzt der Evonik Industries AG, frei gemacht. Die Bundesregierung hat sich klar für einen Börsengang des Irber, Brunhilde SPD 13.12.2007 integrierten Beteiligungskonzerns und nicht für dessen Zerschlagung entschieden. Dies schließt nicht aus, dass Jung (Konstanz), CDU/CSU 13.12.2007 Anteile an der Evonik Industries AG vor einem Börsen- Andreas gang bei einem dritten Investor platziert werden. Die Durchführung des Börsengangs einschließlich der Ent- Kauch, Michael FDP 13.12.2007 scheidung über dessen Zeitpunkt und die Frage der Plat- zierung von Anteilen bei einem dritten Investor obliegen Kühn-Mengel, Helga SPD 13.12.2007 der RAG-Stiftung und der Evonik Industries AG. Mit Müller (Gera), Bernward CDU/CSU 13.12.2007 dem Vermögen der RAG-Stiftung werden die Ewigkeits- lasten des subventionierten Steinkohlenbergbaus der Müntefering, Franz SPD 13.12.2007 RAG nach dessen Beendigung gedeckt. Ziel muss es deshalb sein, einen optimalen Erlös für die im Wege des Ortel, Holger SPD 13.12.2007 Börsengangs veräußerten Anteile an der Evonik Indus- tries AG zu erreichen. Die Bundesregierung geht davon Rauen, Peter CDU/CSU 13.12.2007 aus, dass die RAG-Stiftung und die Evonik Industries AG bei ihren Planungen die Gesamtsituation an den Ak- Rehberg, Eckardt CDU/CSU 13.12.2007 tienmärkten berücksichtigen werden. Schaaf, Anton SPD 13.12.2007

Schwabe, Frank SPD 13.12.2007 Anlage 3 Ströbele, Hans-Christian BÜNDNIS 90/ 13.12.2007 Erklärung nach § 31 GO DIE GRÜNEN des Abgeordneten Jörn Wunderlich (DIE Strothmann, Lena CDU/CSU 13.12.2007 LINKE) zur Abstimmung über den Antrag: Kinder entschlossen vor Vernachlässigung Dr. Tabillion, Rainer SPD 13.12.2007 schützen (Tagesordnungspunkt 6) 14022 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 133. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. Dezember 2007

(A) Ich habe mich bei dem Antrag der Fraktion Bünd- keit gerecht zu werden. Auch die vom Normenkontroll- (C) nis 90/Die Grünen enthalten, da es aus meiner Sicht rat geschätzten jährlichen Kosten von 80 bis 120 Euro nicht ausreichend ist, Probleme ansatzweise zu benen- pro Betrieb, die laut Begründung des Gesetzentwurfes nen, zu deren Lösung aber nichts weiter beizutragen als als zumutbar gelten, halte ich für deutlich untertrieben. fromme Wünsche und Appelle an die Bundesregierung, Man sollte unseren gelernten Landwirten doch wohl auf die Länder hinzuwirken, ohne konkret zu benennen, zutrauen, dass sie, wie bei der von uns hart erkämpften wie die Lösungen umzusetzen sind. Düngemittelverordnung, im Rahmen einer Hofbilanz ei- Die Linke hat sich zum Kinderschutz deutlich positio- genverantwortlich und gewissenhaft den Pflanzenschutz niert, und die Anträge, mit denen Kinderschutz hätte ausbringen. Es kann nicht sein, dass ein ganzer Berufs- umgesetzt werden können, wurden durch die anderen stand diskreditiert und als unlauter dargestellt wird. Es Koalitionen abgelehnt. kann nicht angehen, dass die landwirtschaftlichen Be- triebe ständig fremdbestimmt mit neuen Vorschriften Sich jetzt hinzustellen und im Nachgang zu Dingen überzogen werden. aufzurufen, deren Finanzierung man zuvor abgelehnt hat, dem kann ich nach meiner Überzeugung nicht zu- Ich erkenne wohl an, dass dieser Gesetzentwurf in der stimmen. Hier handelt es sich um einen allgemein gehal- Koalition zu Auseinandersetzungen geführt hat, und be- tenen Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, wo- daure sehr, dass sich meine Kollegen nicht meinem Vo- bei Analyse und Forderungen hinter den umsetzbaren tum anschließen konnten. Auch die Agrarministerkonfe- Möglichkeiten zurückbleiben, im Ergebnis wohl nur ge- renz der Länder hat die Bedenken der Praktiker wider stellt, um der gegenwärtigen hitzigen Debatte über Kin- besseres Wissen vom Tisch gewischt. derschutz mit einem Schnellschuss nachzukommen. Eine halbherzige Protokollerklärung zur Buchfüh- rungspflicht auf einer Ausschussdrucksache, die das Gewollte noch einmal klarstellen muss, macht die be- Anlage 4 sondere handwerkliche Qualität und die Umsetzbarkeit Erklärung nach § 31 GO dieses Gesetzentwurfes deutlich. des Abgeordneten Norbert Schindler (CDU/ Abschließend möchte ich noch mal betonen, dass ich CSU) zur Abstimmung über den Entwurf eines nicht gegen eine EU-Harmonisierung im Bereich des Gesetzes zur Änderung des Pflanzenschutz- Pflanzenschutzrechts votiere, sondern lediglich die Auf- gesetzes und des BVL-Gesetzes (Tagesord- sattelung zu einem Mehr an Bürokratie missbillige und nungspunkt 19 a) deshalb diesem Gesetzentwurf nicht zustimme. (B) Ich werde dem obigen Gesetzentwurf – entgegen der (D) Meinung meiner Fraktion – nicht zustimmen. Anlage 5 Mit der Beschlussempfehlung des Ausschusses für Erklärung nach § 31 GO Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz wird entgegen unserer Aussage und unserem Anliegen, den des Abgeordneten Ralf Göbel (CDU/CSU) zur Bürokratieabbau voranzutreiben, eine EU-Vorgabe nicht Abstimmung über den Entwurf eines Gesetzes nur 1:1 umgesetzt, sondern im typisch deutschen voraus- zur Änderung des Pflanzenschutzgesetzes und eilenden Gehorsam auch noch um nationale Regelungen des BVL-Gesetzes (Tagesordnungspunkt 19 a) zur Buchführung ergänzt, die den Aufwand ins Uner- Ich werde dem obigen Gesetzentwurf – entgegen der messliche treiben. Hier wird etwas auf Gesetzesniveau Meinung meiner Fraktion – nicht zustimmen. gehievt – mit allen daraus resultierenden auch strafrecht- lichen Konsequenzen –, das eine absolute Zumutung für Mit der Beschlussempfehlung des Ausschusses für alle Betroffenen darstellt. Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz wird entgegen unserer Aussage und unserem Anliegen, den Wenn, wie in der Empfehlung argumentiert wird, ein- Bürokratieabbau voranzutreiben, eine EU-Vorgabe nicht zelne Betriebe die vom Gesetz geforderten Daten bereits nur 1:1 umgesetzt, sondern im typisch deutschen voraus- jetzt erheben, so ist dies eine freiwillige und möglicher- eilenden Gehorsam auch noch um nationale Regelungen weise für diese Betriebe auch notwendige Leistung. Da- zur Buchführung ergänzt, die den Aufwand ins Uner- raus kann man nicht schließen, dass es für andere – be- messliche treiben. Hier wird etwas auf Gesetzesniveau sonders kleinere Höfe und Sonderkulturbetriebe – ein gehievt – mit allen daraus resultierenden auch strafrecht- Leichtes wäre, den erforderlichen Verwaltungsaufwand lichen Konsequenzen –, das eine absolute Zumutung für zu erbringen. alle Betroffenen darstellt. Wenn ein Landwirt nach 12 bis 14 Stunden harter Ar- Wenn, wie in der Empfehlung argumentiert wird, ein- beit auf dem Feld endlich wieder auf dem Hof ankommt, zelne Betriebe die vom Gesetz geforderten Daten bereits muss er sofort akribisch festhalten, welche Mittel in wel- jetzt erheben, so ist dies eine freiwillige und möglicher- cher Dosierung er auf welchem Schlag ausgebracht hat. weise für diese Betriebe auch notwendige Leistung. Da- Diese Aufzeichnungen werden dann nach zwei Jahren raus kann man nicht schließen, dass es für andere – be- weggeworfen. Damit schießen wir deutlich über das EU- sonders kleinere Höfe und Sonderkulturbetriebe – ein Ziel hinaus und verletzen in gravierender Weise das Leichtes wäre, den erforderlichen Verwaltungsaufwand selbst gesetzte Ziel, dem Kriterium der Praxistauglich- zu erbringen. Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 133. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. Dezember 2007 14023

(A) Wenn ein Landwirt nach 12 bis 14 Stunden harter Ar- In den letzten Jahren wurden die neuen Möglichkei- (C) beit auf dem Feld endlich wieder auf dem Hof ankommt, ten der Vaterschaftsanerkennung leider verstärkt genutzt, muss er sofort akribisch festhalten, welche Mittel in wel- um aufenthaltsrechtliche Vorschriften zu umgehen. Der cher Dosierung er auf welchem Schlag ausgebracht hat. Evaluationsbericht des Bundesinnenministeriums zum Diese Aufzeichnungen werden dann nach zwei Jahren Zuwanderungsgesetz hat mit Blick auf diese Entwick- weggeworfen. Damit schießen wir deutlich über das EU- lung an den „dringenden gesetzgeberischen Handlungs- Ziel hinaus und verletzen in gravierender Weise das bedarf zur Bekämpfung von Scheinvaterschaften“ erin- selbst gesetzte Ziel, dem Kriterium der Praxistauglich- nert. keit gerecht zu werden. Auch die vom Normenkontroll- rat geschätzten jährlichen Kosten von 80 bis 120 Euro In der Praxis der Ausländerbehörden und Standesbe- pro Betrieb, die laut Begründung des Gesetzentwurfes amten gibt es bereits seit 2001 Erkenntnisse darüber, als zumutbar gelten, halte ich für deutlich untertrieben. dass das Rechtsinstrument der Vaterschaftsanerkennung zunehmend missbraucht wird, um Ausländerinnen und Man sollte unseren gelernten Landwirten doch wohl Ausländern ein Aufenthaltsrecht in Deutschland zu ver- zutrauen, dass sie, wie bei der von uns hart erkämpften schaffen. Wenn beispielsweise eine alleinerziehende Düngemittelverordnung, im Rahmen einer Hofbilanz ei- ausländische Mutter mit ihrem Kind in Deutschland lebt, genverantwortlich und gewissenhaft den Pflanzenschutz ihr Aufenthaltsrecht abläuft und auch, nicht verlängert ausbringen. Es kann nicht sein, dass ein ganzer Berufs- werden soll, wäre sie an sich ausreisepflichtig. Dies kann stand diskreditiert und als unlauter dargestellt wird. Es umgangen werden, wenn ein deutscher Mann gegen kann nicht angehen, dass die landwirtschaftlichen Be- Zahlung eines Geldbetrages die Vaterschaft anerkennt. triebe ständig fremdbestimmt mit neuen Vorschriften Dabei haben weder er noch die Mutter das geringste In- überzogen werden. teresse daran, dass zwischen dem „Vater“ und dem Kind Ich erkenne wohl an, dass dieser Gesetzentwurf in der jemals irgendeine soziale Beziehung zustande kommt. Koalition zu Auseinandersetzungen geführt hat, und be- Da die Männer zudem oft einkommens- und vermögens- daure sehr, dass sich meine Kollegen nicht meinem Vo- los sind, steht in diesen Fällen von vornherein fest, dass tum anschließen konnten. Auch die Agrarministerkonfe- der Mann für „sein“ Kind niemals Unterhalt zahlen wird renz der Länder hat die Bedenken der Praktiker wider und die Allgemeinheit auch hier einspringen muss. besseres Wissen vom Tisch gewischt. Die vom anerkennenden Vater abgeleitete deutsche Eine halbherzige Protokollerklärung zur Buchfüh- Staatsangehörigkeit des Kindes vermittelt der Mutter so- rungspflicht auf einer Ausschussdrucksache, die das wie etwaigen Familienangehörigen nicht nur ein eigenes Gewollte noch einmal klarstellen muss, macht die be- Aufenthaltsrecht, sondern auch die mit diesem Rechts- (B) sondere handwerkliche Qualität und die Umsetzbarkeit status verbundenen sozialen Absicherungen. (D) dieses Gesetzentwurfes deutlich. Ebenso gibt es Fälle, bei denen eine im Ausland le- Abschließend möchte ich noch einmal betonen, dass bende Mutter die Vaterschaftsanerkennung durch einen ich nicht gegen eine EU-Harmonisierung im Bereich des deutschen Mann genutzt hat, um erstmals nach Deutsch- Pflanzenschutzrechts votiere, sondern lediglich die Auf- land einreisen zu können, oder in denen ein ausländi- sattelung mit einem Mehr an Bürokratie missbillige und scher Mann die Vaterschaft für das Kind einer deutschen deshalb diesem Gesetzentwurf nicht zustimme. Mutter anerkennt, wobei der „Vater“ dann ein eigenstän- diges, vom deutschen Kind abgeleitetes Aufenthaltsrecht erhält. Anlage 6 Eine Erhebung der Bundesinnenministerkonferenz Zu Protokoll gegebene Reden hat ergeben, dass allein im Zeitraum April 2003 bis zur Beratung des Antrags: Entwurf eines März 2004 deutsche Behörden in 2 338 Fällen einer un- Gesetzes zur Ergänzung des Rechts zur Anfech- verheirateten ausländischen Mutter eines deutschen Kin- tung der Vaterschaft (Tagesordnungspunkt 13) des eine Aufenthaltserlaubnis erteilt hat. In 1 694 dieser Fälle wiederum waren die Mütter und ihre Kinder zum Ute Granold (CDU/CSU): Wir beraten heute in Zeitpunkt der Vaterschaftsanerkennung ausreisepflich- zweiter und dritter Lesung den Gesetzentwurf der Bun- tig. desregierung zur Ergänzung des Rechts der Vaterschaft. Die Erfahrungen der Behörden zeigen, dass in einem Seit der Änderung des Staatsangehörigkeitsrechts im Großteil dieser Sachverhalte zwischen dem anerkennen- Jahr 1993 vermittelt ein deutscher Vater dem Kind einer den Vater und dem Kind überhaupt keine sozial-fami- ausländischen Frau durch Anerkennung der Vaterschaft liäre Beziehung bestanden hat. In den Fällen, in denen die deutsche Staatsangehörigkeit. In Folge der Kind- auch niemals beabsichtigt war, dass der Vater Kontakt zu schaftsrechtsreform im Jahre 1998 und der damit verbun- „seinem“ Kind hat und eine echte familiäre Beziehung denen Abschaffung der Amtspflegschaft des Jugendamtes aufbaut, müssen wir von einer missbräuchlichen Vater- für nichteheliche Kinder erfordert die Anerkennung der schaftsanerkennung ausgehen, bei der es einzig darum Vaterschaft – zu Recht – nur noch die formgebundene geht, dem Kind die deutsche Staatsbürgerschaft und da- Erklärung des Mannes sowie die Zustimmung durch die mit verbunden der Mutter ein Aufenthaltsrecht sowie so- Mutter. ziale Leistungen zu verschaffen. 14024 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 133. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. Dezember 2007

(A) An dieser Stelle wird von Kritikern eingewendet, dass fechtung der Vaterschaft von fünf Jahren, gerechnet ab (C) es keine belastbaren Zahlen über tatsächliche Miss- Wirksamkeit der Anerkennung, festgeschrieben. Für den brauchsfälle gebe, bzw. aus der Tatsache, dass die Mütter Fall, dass die Anfechtungsklage Erfolg hat, entfällt die zum Zeitpunkt der Vaterschaftsanerkennung ausreise- Vaterschaft des Anerkennenden mit Rückwirkung auf pflichtig sind, könne nicht geschlussfolgert werden,dass den Tag der Geburt des Kindes. auch ein Missbrauch vorliege. Belastbare Zahlen über Missbrauchsfälle kann es naturgemäß noch nicht geben, Damit in der Praxis tatsächlich gewährleistet ist, dass da nach derzeitiger Rechtslage kein Gesetzesverstoß die anfechtungsberechtigte Behörde überhaupt von den vorliegt und wir ja gerade jetzt die bestehende Gesetzes- die Anfechtung begründenden Umständen Kenntnis er- lücke schließen wollen. Für den Moment müssen wir uns langt, werden die aufenthaltsrechtlichen Mitteilungs- also auf Indizien sowie die Erfahrungen der Praxis ver- pflichten ergänzt. Alle öffentlichen Stellen haben künftig lassen, und die zeigen eindeutig Anhaltspunkte für einen die Pflicht, die zuständige Ausländerbehörde zu unter- zunehmenden Missbrauch der Vaterschaftsanerkennung. richten, wenn sie von konkreten Tatsachen Kenntnis er- langen, die die Annahme rechtfertigen, dass die Voraus- Es gibt keinen Grund, an dem Urteilsvermögen und setzungen für das neue behördliche Anfechtungsrecht den Berichten der Ausländerbehörden und Standesämter vorliegen. Eine Einschränkung soll hierbei lediglich für zu zweifeln. Es sind vor allem die zuständigen Mitarbei- Jugendämter gelten. Um Konfliktsituationen zu vermei- ter vor Ort, die in ihrem Berufsalltag Entwicklungen wie den, sollen diese nur dann zur Mitteilung verpflichtet diese beobachten und aufgrund ihrer langjährigen Erfah- sein, soweit dadurch nicht die Erfüllung der eigenen rungen ein feines Gespür dafür entwickelt haben, ob hier Aufgaben gefährdet wird. jemand die Möglichkeiten des geltenden Rechts bewusst ausnutzt, um für sich rechtliche und finanzielle Vorteile Im Rahmen der Ausschussberatungen haben wir im zu erlangen, oder ob hier jemand tatsächlich die Liebe zu Vergleich zum ursprünglichen Gesetzentwurf noch zwei seinem Kind rechtlich manifestieren möchte. kleine Änderungen vorgenommen, die im Wesentlichen Rechtsänderungen geschuldet sind, die zwischenzeitlich Nicht zuletzt die Anhörung hat erneut den zunehmen- im Aufenthaltsgesetz und im Personenstandsgesetz vor- den Missbrauch bestätigt. Vor allem die Sachverständi- genommen wurden. gen, die aus der Praxis kommen und mit konkreten Fäl- len konfrontiert sind, haben die Anhaltspunkte für einen An dieser Stelle ist es mir wichtig, klar und deutlich zunehmenden Missbrauch überzeugend dargelegt. Wir festzustellen: Wir wollen mit diesem Gesetz die Er- müssen leider auch feststellen, dass sich inzwischen Ge- schleichung von Aufenthaltstiteln und den damit einher- schäftsmodelle herausgebildet haben, die Vaterschafts- gehenden Sozialmissbrauch unterbinden. In erster Linie geht es uns jedoch um die Kinder selbst. Das Recht des (B) anerkennungen durch vermögenslose deutsche Männer (D) zum Gegenstand haben, ganz nach dem Motto: Wo eine Kindes auf Kenntnis seiner Abstammung sowie auf Um- Nachfrage ist, ist auch ein Angebot. gang mit seinem tatsächlichen Vater ist verfassungs- rechtlich von überragender Bedeutung. Eine miss- Die CDU/CSU-Fraktion hat bereits in der letzten Le- bräuchliche Vaterschaftsanerkennung richtet sich gislaturperiode die Notwendigkeit eines behördlichen folglich vor allem auch gegen das Kind selbst. Dem Anfechtungsrechts gesehen und deshalb im Oktober Kind wird für immer der leibliche Vater vorenthalten. 2004 einen entsprechenden Antrag in den Deutschen Staatlich sanktioniert wird ihm die Kenntnis seiner Ab- Bundestag eingebracht. Umso mehr freuen wir uns, dass stammung und der Umgang mit seinem leiblichen Vater das Gesetz heute verabschiedet werden kann. Lassen Sie entzogen. mich kurz auf dessen wesentliche Merkmale eingehen. Dieser Verlust kann keineswegs im Interesse des Kin- Kernpunkt des Entwurfs ist die Ergänzung der Rege- des sein und wird bei Weitem auch nicht durch etwaige lungen zur Anfechtung der Vaterschaft in § 1600 BGB. materielle, mit dem Aufenthalt in Deutschland verbun- Das Gesetz sieht hierzu die Einführung eines Anfech- dene Vorteile kompensiert. So zu argumentieren wäre im tungsrechts durch eine öffentliche Stelle vor. Aus prakti- Übrigen überheblich, würde man doch unterstellen, dass schen Gründen ist es sinnvoll, dass die Länder entspre- ein Leben in Deutschland in jedem Fall einem Aufwach- chend den jeweiligen Bedürfnissen vor Ort selbst sen in der eigentlichen Heimat vorzuziehen und im Inte- bestimmen können, welche Behörde für die Anfechtung resse des Kindes sei. zuständig sein soll. Wir haben deshalb bewusst auf eine bundeseinheitliche Zuständigkeitsregelung verzichtet Das neue Anfechtungsrecht hat somit gerade die be- und überlassen diese den Ländern. troffenen Kinder im Blick und steht in der Kontinuität der Kindschaftsrechtsreform. Die Anerkennung der so- Die Anfechtung setzt voraus, dass zwischen dem zialen, das heißt rechtlichen Vaterschaft im vereinfach- Kind und dem Anerkennenden keine sozialfamiliäre Be- ten Verfahren bleibt grundsätzlich anerkannt. ziehung besteht oder im Zeitpunkt der Anerkennung be- standen hat. Daneben müssen gerade durch die Anerken- Der Gesetzgeber hat durch die Abschaffung der nung der Vaterschaft die rechtlichen Voraussetzungen Amtspflegschaft im Wege der Kindschaftsrechtsreform für die erlaubte Einreise oder den erlaubten Aufenthalt bewusst die Beziehung zwischen dem anerkennenden des Kindes oder eines Elternteils geschaffen werden. Vater und dem nicht leiblichen Kind gestärkt und die Entstehung sozial-familiärer Beziehungen der biologi- Aus Gründen des Vertrauensschutzes wird in schen Abstammung gleichgestellt. Folgerichtig setzt das § 1600 b BGB eine absolute Ausschlussfrist für die An- neue Anfechtungsrecht genau an dieser Stelle an, indem Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 133. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. Dezember 2007 14025

(A) es eine Anfechtung davon abhängig macht, dass es zwi- ben Kindern verschiedener vietnamesischer Mütter an, (C) schen dem Kind und dem Anerkennenden gerade keine und zwar in Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen, Bran- solche sozial-familiäre Beziehung besteht oder im Zeit- denburg, Sachsen-Anhalt und Sachsen. punkt der Anerkennung bestanden hat. Das neue An- fechtungsrecht stellt sich somit als konsequente Fortset- Dieser Missbrauch findet nicht nur regelmäßig, son- zung der Kindschaftsrechtsreform dar. dern mit steigender Tendenz statt! Indem wir die Vater- schaftsanerkennung erleichtert haben, haben wir auch Wir sehen bei der praktischen Anwendung des Geset- den Missbrauch dieses Instituts gefördert. Wenn wir das zes im Gegensatz zu einigen Kritikern keine Probleme; weiter zulassen, leisten wir der latent vorhandenen denn die Erfahrungen vor Ort, insbesondere in den Aus- Fremdenfeindlichkeit Vorschub. länderbehörden und Standesämtern, zeigen, dass es sehr wohl eindeutige, leicht zu erkennende und nachweisbare Deshalb haben wir jetzt gehandelt, und zwar mit Au- Anhaltspunkte gibt, die auf eine reine Scheinvaterschaft genmaß. Wir haben uns gefragt, welche Kriterien symp- hinweisen. Dabei lohnt sich ein Blick auf die positiven tomatisch für den Missbrauch stehen. Das sind: erstens Erfahrungen im Zusammenhang mit den Scheinehen. das Entstehen eines ausländerrechtlichen Vorteils durch Auch hier stehen die Behörden vor den gleichen Schwie- die Anerkennung und, zweitens das Fehlen einer sozial- rigkeiten, wenn sie eine fehlende familiäre Beziehung familiären Bindung zwischen Vater und Kind. Nur für zwischen den Eheleuten nachweisen müssen. den Fall, dass diese beiden Kriterien erfüllt sind, haben wir die behördliche Anfechtung der Vaterschaft ermög- Die Sachverständigen haben in der öffentlichen An- licht. hörung im Übrigen bestätigt, dass der Gesetzentwurf Dadurch ist auch klar: Wir rütteln nicht an Art. 6 GG. eine ausgewogene Lösung darstellt, die die Rechtsein- Auch binationale Familien stehen weiter unter dem vol- griffe so gering wie möglich hält und die Grundentschei- len Schutz des Grundgesetzes. Ich betone: Familien! Um dung der Kindschaftsrechtsreform unberührt lässt. eine Familie handelt es sich nämlich nur dann, wenn die Wir dürfen als Gesetzgeber die Augen vor Fehlent- Eltern-Kind-Gemeinschaft auch verantwortungsvoll ge- wicklungen wie die der missbräuchlichen Vaterschafts- lebt wird, wenn eine sozial-familiäre Bindung wirklich anerkennungen nicht verschließen. Es ist unsere Pflicht, vorliegt. zu reagieren, wenn der zunehmende Missbrauch einer an Der Begriff der sozial-familiären Bindung ist nicht zu sich sinnvollen gesetzlichen Möglichkeit offensichtlich unbestimmt. Mit dem Begriff orientieren wir uns eins zu wird. eins an der Rechtsprechung des Bundesverfassungsge- Ich bitte Sie daher um Ihre Zustimmung zu dem vor- richtes. Das Bundesverfassungsgericht benennt die Kri- (B) liegenden Gesetzentwurf und hoffe auf eine breite Mehr- terien zur Auslegung des Begriffes: Es muss ein persön- (D) heit. licher Kontakt zwischen dem Vater und dem Kind vorliegen. Es muss eine geistige und emotionale Ausei- nandersetzung zwischen den beiden stattfinden. Der Va- Klaus Uwe Benneter (SPD): Mit dem Entwurf ei- ter muss sich um das Kind kümmern und Verantwortung nes Gesetzes zur Ergänzung des Rechts auf Vaterschaf- übernehmen. Ein Indiz hierfür sind zum Beispiel Unter- ten stellen wir weder sämtliche alleinerziehende auslän- haltszahlungen. Wichtig ist also die Qualität der Bezie- dische Mütter unter Generalverdacht noch fallen wir mit hung, nicht die Quantität des gemeinsamen Kontakts. Es dem Gesetzentwurf hinter die Kindschaftsrechtsreform wird deshalb nicht zulässig sein, all denjenigen Bezie- zurück. Seit der Kindschaftsrechtsreform ist für das Zu- hungen, bei denen Vater und Kind nicht zusammenleben, standekommen einer wirksamen Vaterschaftsanerken- per se diese Bindung abzusprechen. nung die Zustimmung des Amtspflegers nicht mehr er- forderlich. Man braucht nur noch eine formgebundene Die Schaffung eines behördlichen Anfechtungsrech- Erklärung des Vaters und die Zustimmung der Mutter. tes ist nicht unverhältnismäßig. Was wäre denn die Al- Durch diese Reform haben wir die Elternautonomie ge- ternative gewesen? Wir hätten natürlich bestimmen stärkt und das Entstehen von Familien gefördert. Dabei können, dass die Vaterschaftsanerkennung ihre Wir- bleibt es. kung im Ausländerrecht verliert. Die Vaterschaftsaner- kennung hätte dann nicht automatisch die Erlangung Aber, nicht immer werden Vaterschaften anerkannt, eines Aufenthaltstitels zur Folge gehabt. Dann hätten um ein soziales Vater-Kind-Verhältnis aufzubauen. Dass wir aber den Ausländerbehörden das Recht auf eine ge- Vaterschaften teilweise nur anerkannt werden, um einen sonderte Prüfung geben müssen. Oder noch besser: Aufenthaltstitel zu erlangen, ist eine Tatsache. Wir haben Hätten wir vielleicht den bestehenden Automatismus zwar keine belastbaren Zahlen über die Häufigkeit die- im Staatsangehörigkeitsrecht abschaffen und den Er- ses Phänomens. Aber wir alle kennen die Fälle: Ein viet- werb der Staatsangehörigkeit von DNA-Tests abhängig namesisches Ehepaar hat drei Kinder und soll ausreisen. machen sollen? Wir sind uns ja wohl alle einig, dass Die Frau erwartet ihr viertes Kind. Kurz vor der Geburt das keine milderen, keine geeigneteren Vorschläge zur wird die Ehe plötzlich geschieden, und wie aus dem Lösung des Problems gewesen wären. Nichts taucht ein Arbeitsloser aus Sachsen auf, der die Vaterschaft des vierten Kindes anerkennt. Später räumt Zum Schluss möchte ich noch einen letzten Vorwurf der deutsche Vater ein, dass er für die Anerkennung der aus dem Weg räumen: Wir werden mit dem Gesetzent- Vaterschaft 2 600 Euro bekommen hat. Ein anderer er- wurf nicht die Jugendämter anhalten, als Spitzel der kennt zwischen 1999 und 2004 die Vaterschaft von sie- Ausländerbehörden aufzutreten. Gegen die Forderung, 14026 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 133. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. Dezember 2007

(A) Jugendämter uneingeschränkt zu verpflichten, den An- lichen Stellen die Möglichkeit haben sollten, die Ab- (C) fechtungsbehörden den Verdacht auf Vorliegen einer stammung eines Kindes infrage zu stellen. Es wurde missbräuchlichen Vaterschaftsanerkennung mitzuteilen, bewusst die Elternautonomie gestärkt. Das Zustande- haben wir uns erfolgreich zur Wehr gesetzt. Der Gesetz- kommen einer wirksamen Anerkennung wurde allein an entwurf verpflichtet Jugendämter nur dann zur Mittei- formgebundene Erklärungen des Vaters und der Mutter lung, wenn sie hierdurch die Erfüllung ihrer eigenen geknüpft. Vor der Kindschaftsrechtsreform war die An- Aufgaben nicht gefährdet sehen. Wir drängen sie also erkennung von der Zustimmung des Jugendamtes abhän- nicht in Interessenkonflikte. Jugendämter werden auch gig. weiterhin das erforderliche Vertrauensverhältnis zu den von ihnen betreuten Familien aufbauen können. Nach dem vorliegenden Gesetzentwurf setzt die be- hördliche Anfechtung voraus, dass zwischen dem Kind und dem Anerkennenden weder eine „sozial-familiäre“ Mechthild Dyckmans (FDP): „Die Gesetzespro- Beziehung noch eine leibliche Vaterschaft besteht. Um- duktion muss, ähnlich wie die Industrieproduktion, noch stände wie fehlendes Zusammenleben in häuslicher Ge- stärker als bisher einer Erforderlichkeits-, Qualitäts-, und meinschaft, Nichtzahlung von Unterhalt oder nicht re- Erfolgskontrolle unterworfen werden.“ – Diese Worte gelmäßige Betreuung und Erziehung stellen nach der unseres ehemaligen Kollegen und Justizministers Herrn Gesetzesbegründung Anknüpfungstatsachen dar, die auf Engelhard gelten auch heute noch. Wir sollten uns diese eine fehlende sozial-familiäre Beziehung schließen las- Worte immer wieder in Erinnerung rufen, wenn es da- sen. Dies gilt jedoch nur bei binationalen Partnerschaf- rum geht, neue Gesetze zu verabschieden und beste- ten und kommt damit einem Generalverdacht gegen alle hende Gesetze zu ändern. Bei dem vorliegenden Gesetz- binationalen und ausländischen Familien nah. Unverhei- entwurf zur Ergänzung des Rechts zur Anfechtung der ratete Eltern werden unnötig stigmatisiert. Vaterschaft jedenfalls scheint man diese Worte verges- sen zu haben. Wenn Frau Zypries in ihrer heutigen PI schreibt, „Va- terschaften sollen um der Kinder Willen anerkannt wer- Schon die Erforderlichkeitskontrolle zwingt dazu, den, nicht allein wegen der Papiere“, so muss dies diesen Gesetzentwurf abzulehnen. Das einzig vorlie- ebenso für die Vaterschaftsanfechtung gelten. Mit der gende Zahlenmaterial zur Problematik der Vaterschafts- Vaterschaftsanfechtung durch öffentliche Stellen wird anerkennung zum Zwecke der Erlangung eines Auf- eben nicht etwa die Familie oder das Kind geschützt. enthaltstitels bzw. der deutschen Staatsangehörigkeit Nein, Ziel des Gesetzentwurfs ist – man muss immer stammt aus einer Erhebung der Innenministerien der wieder darauf hinweisen –, das Erschleichen miss- Länder aus dem Zeitraum 2003/2004. Danach ist circa bräuchlicher Aufenthaltstitel zu verhindern und damit al- 1 700 unverheirateten ausländischen Müttern eines deut- (B) lein das Staatsinteresse. (D) schen Kindes, die im Zeitpunkt der Vaterschaftsanerken- nung ausreisepflichtig waren, ein Aufenthaltstitel erteilt Dann müssen jedoch Regelungen – wenn überhaupt – worden. Welchen Aussagewert hat diese Zahl? – Eigent- im Ausländer- und Aufenthaltsgesetz getroffen werden. lich gar keinen. Selbst in der Begründung des Gesetzent- Der völlig falsche Weg ist es, das Familien- und Ab- wurfes heißt es dazu: „Die Zahlen können ... nicht bele- stammungsrecht mit staatlichen Eingriffen zu versehen. gen, in wie vielen Fällen es sich tatsächlich um missbräuchliche Vaterschaftsanerkennungen handelt.“ Das Aufenthaltsrecht bietet schon heute mit den Auch der Rechtsausschuss des Deutschen Bundestages §§ 27, 28 Aufenthaltsgesetz in den meisten Fallkonstel- hat sich in seiner Sachverständigenanhörung mit dieser lationen eine zufriedenstellende Lösung an. Danach ist Problematik beschäftigt. Doch über die Nennung von ein Familiennachzug nicht zuzulassen, wenn das Ver- exemplarischen Einzelfällen hinaus konnte auch dort ein wandtschaftsverhältnis ausschließlich zu dem Zweck be- konkreter Handlungsbedarf nicht nachgewiesen werden. gründet wurde, dem Nachziehenden die Einreise in das Selbst bei diesen genannten Einzelfällen war nur von und den Aufenthalt im Bundesgebiet zu ermöglichen. Vermutungen und Zufallsfunden die Rede. Auf solch Auch ist dem ausländischen Elternteil eines minderjähri- eine ungesicherte Tatsachengrundlage darf kein Gesetz gen Deutschen nur zur Ausübung der Personensorge gestützt werden, das zu einer grundlegenden Änderung eine Aufenthaltserlaubnis zu erteilen. In der Rechtspre- der Vaterschaftsanfechtung im Kindschaftsrecht führt. chung gibt es schon Urteile, die Fälle des missbräuchli- chen Zusammenwirkens der Eltern über das allgemeine Denn was bewirkt dieses Gesetz? Verankert werden Rechtsinstitut des Rechtsmissbrauches regeln, und zwar soll ein Anfechtungsrecht einer öffentlichen Stelle bei völlig unabhängig von der familiengerichtlichen Wirk- vermutetem Missbrauch der Vaterschaftsanerkennung. samkeit der Anerkennung. Im Bürgerlichen Gesetzbuch soll diese Änderung erfol- gen, genau genommen im Familienrecht über die Ab- Aus allen diesen Gründen gibt es nur eine richtige stammung. Diese staatliche Einmischung in die familiä- Entscheidung: Wir lehnen den Gesetzentwurf ab. ren Beziehungen kennt das Familienrecht bisher nicht. Die derzeitigen Regeln zur Anfechtung der Vaterschaft Jörn Wunderlich (DIE LINKE): Angst geht um! Die gehen auf eine Grundentscheidung der Kindschafts- bösen Taliban, die mittels einer Vaterschaftsanerkennung rechtsreform von 1998 zurück. Damals hat sich der ins Land kommen, ja sogar kleine Talibane, die durch Deutsche Bundestag aus gutem Grund dafür ausgespro- die Erklärung deutscher Männer zu deutschen Staats- chen, dass im Interesse und zum Schutz der Intimität der angehörigen werden, werden das Land überfluten. Unser Familie nicht Jedermann und insbesondere keine öffent- Bundesinnenminister Schäuble kriegt Pickel. Wovor hat Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 133. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. Dezember 2007 14027

(A) Schäuble Angst? Vor Kindern? Vor Unbekanntem? Oder ländern dürfen dort wahrscheinlich nicht klingeln. Es (C) hat er Angst davor, dass er nicht weiß, ob es tatsächlich war und ist ein ausländerfeindliches Gesetz. so ist? Fakten dafür gibt es nicht. Meine Damen und Herren der Regierung und der ent- Schnellschüsse wie diesen Gesetzentwurf sollte sich sprechenden Koalition, warum sagen Sie nicht einfach: ein Rechtsstaat nicht leisten. Hier wird die Anfechtung „Wir wollen keine Ausländer, wir wollen keine ausländi- der Vaterschaft durch eine Behörde geregelt, aber nur schen Kinder, wir misstrauen binationalen Partnerschaf- wenn mindestens ein Elternteil Ausländer ist. ten“? Wenn sie es schon wollen und machen, dann sagen Art. 3 Abs. 1 Grundgesetz – vor dem Gesetz sind alle sie es doch auch. Aber hier Menschen unter Generalver- gleich – ist ja wohl eindeutig verletzt, da hier eine dacht zu stellen, mit Abschreckung, Verunsicherung Gruppe von Menschen unter Generalverdacht gestellt usw. zu arbeiten, kennzeichnet Ihre menschenverach- wird. Und hier werden Menschen nur wegen ihrer Hei- tende Ausländerpolitik. mat und Herkunft benachteiligt. Man stelle sich einmal Aber das sind ja auch keine Wähler, gell? vor, man würde der Behörde die Möglichkeit eröffnen, bayerische Vaterschaften anzufechten! Da wär was los Für uns Linke zählt der Mensch, und deshalb werden im Bayerischen Wald! wir diesem Gesetz nicht zustimmen. Ich frage mich ernsthaft, wozu der Bundestag Sach- verständige lädt, um von ihnen Sachverstand ins Haus zu Irmingard Schewe-Gerigk (BÜNDNIS 90/DIE holen, wenn dieser sich nirgends niederschlägt. Was ha- GRÜNEN): Seit mehr als einem Jahr liegt der Gesetzent- ben die Sachverständigen alles ausgeführt! Das Gesetz wurf der Bundesregierung für eine Ergänzung des ist verfassungswidrig, es verletzt Art. 3, möglicherweise Rechts zur Anfechtung der Vaterschaft nun vor. Vor sie- auch Art. 6; das sind alles Grundrechte. Es ist unverhält- ben Monaten fand die Anhörung im Rechtsausschuss nismäßig. Es wird mit Kanonen auf Spatzen geschossen dazu statt. Nun soll offensichtlich die vorweihnachtliche usw. Es fußt auf Annahmen. Kindeswohl spielt keine Stimmung genutzt werden, um ein Gesetz, das unnötiger Rolle. – Ist schon komisch, wie die gegenwärtige De- nicht sein könnte, zwischen Glühwein und Plätzchen batte läuft, wenn es um Kinderschutz geht! noch ganz schnell an den Abgeordneten vorbei durch Ach ja, ich vergaß fast: Hier geht es um Kinder, bei den Bundestag zu mogeln, – ein Gesetz, das einen massi- denen zumindest ein Elternteil nicht deutsch ist; da ist ven Eingriff in die Privatsphäre binationaler Familien das anscheinend egal. Wo sind sie denn, unsere Kinder- vorsieht, ein Gesetz, das einen enormen bürokratischen schützer der Koalition? Kinder sind anscheinend doch Vollzugsaufwand mit sich bringt, ein Gesetz, das die Einrichtung einer anfechtungsberechtigten Behörde und (B) nicht gleich. Oder ist einfach der Koalitionszwang wich- (D) tiger als Kindeswohl? Vor zwei Stunden wurden der die Durchführung von Anfechtungsverfahren mit nicht Kinderschutz und das Kindeswohl noch in den höchsten bezifferbaren Kosten mit sich bringt. Tönen gelobt, angepriesen und eingefordert, jeder ver- suchte den anderen zu übertreffen. Und nun? Alle weg! Und wozu das alles? Um einige wenige Missbrauchs- fälle von Vaterschaftsanerkennungen zu verhindern. Ja, Ob die Unterrichtungspflicht der Jugendämter mit der es gibt sie in der Tat. Aber was ihre Größenordnung be- Föderalismusreform in Einklang zu bringen ist, dürfte trifft, tappen wir alle im Dunkeln. Die Datenlage ist völ- auch der Überprüfung wert sein, ist aber in diesem Zu- lig unzureichend. Die Innenministerkonferenz hat ermit- sammenhang wirklich nur Nebensache. telt, dass zwischen März 2003 und März 2004 1 694 ausländische und ausreisepflichtige Mütter von einer Va- Was die Sachverständigen ausgeführt haben, findet terschaftsanerkennung theoretisch hätten profitieren sich im Gesetzentwurf nirgends wieder. Komisch? Na, können. Über die Zahl der tatsächlichen Missbräuche die Aussagen passten offensichtlich nicht zu der geisti- lässt das keine Schlüsse zu. gen Brandstiftung der Koalition, die mit diesem Gesetz vollzogen wird. Hier wird die Vaterschaft durch eine Be- Die wenigen Experten, die auf der Anhörung im ver- hörde vernichtet. gangenen Mai versuchten, reale Zahlen zu nennen, ka- Das Ganze basiert im Übrigen auf Mutmaßungen, men auf nicht mehr als einen einstelligen Prozentsatz welche durch keinerlei Zahlen belegt sind. Es wird, wie dieser Zahl. Und dafür wollen Sie nun eine Behörde be- die Sachverständigen ausgeführt haben, „mit Kanonen auftragen, in die innerfamiliären Beziehungen zwischen auf Spatzen geschossen, und der Aufwand steht in kei- Vater und Kind hineinzuschnüffeln, um herauszufinden, nerlei Verhältnis zum angeblichen Nutzen“. ob eine „sozial-familiäre Beziehung“ zwischen Vater und Kind besteht? Wie wollen Sie das bewerkstelligen? Das Gesetz strotzt nur so vor Diskriminierungen, es Wir wissen alle, wie unpräzise dieser Begriff ist. ist politisch völlig verfehlt, untragbar und gehört abge- lehnt. Es diskriminiert Kinder ausländischer Frauen ge- In der Gesetzesbegründung nennen Sie ja sehr diffe- genüber Kindern deutscher Frauen. Es diskriminiert renzierte Beispiele. Wie differenziert wird aber in so nichteheliche Kinder gegenüber ehelichen Kindern aus- manchem Bundesland die letztlich zuständige Behörde ländischer Frauen. Es diskriminiert binationale Verhält- bei der Wahrheitsfindung vorgehen, wenn sie die Fährte nisse insgesamt gegenüber nationalen Verhältnissen. einer möglichen Aufenthaltserschleichung durch miss- Wie gut, dass die Regierung eine Antidiskriminierungs- bräuchliche Vaterschaftsanerkennung erst einmal aufge- stelle eingerichtet hat. Ist schon klasse, Kinder von Aus- nommen hat? 14028 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 133. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. Dezember 2007

(A) Eine deutliche Mehrheit der Sachverständigen emp- weiterhin die für die Familie günstigen Folgen im Auf- (C) fahl in der Anhörung im Mai, von diesem Gesetz abzu- enthalts- und Staatsangehörigkeitsrecht. Auch hier bleibt sehen. Denn – um es mit den Worten des Berliner Inte- es beim geltenden Recht. grationsbeauftragten Günter Piening zu sagen – Sie schießen mit ziemlich großen Kanonen auf ziemlich Was wir mit dem Gesetz neu vorsehen, ist eine zielge- kleine Spatzen, und sind dabei noch dreist genug, in Ih- naue Missbrauchsbekämpfung, die strengen Vorausset- rem Gesetzentwurf zu behaupten, Sie würden mit der zungen unterliegt. Zukünftig wird die Vaterschaft auch staatlichen Anfechtungsmöglichkeit von Vaterschafts- von einer Behörde angefochten werden können. Die anerkennungen der Entstehung eines Generalverdachts Anfechtung hat aber nur Erfolg, wenn – erstens – zwi- gegen binationale Familien vorbeugen. Wie zynisch das schen dem Kind und dem Anerkennenden keine sozial- ist. Das Gegenteil ist natürlich der Fall: Mit dem Gesetz- familiäre Beziehung besteht oder im Zeitpunkt der Aner- entwurf schaffen sie eben gerade einen Generalverdacht. kennung bestanden hat, wenn – zweitens – die Vater- schaftsanerkennung tatsächlich ausländerrechtliche Vor- Wir alle wissen, dass jede Regelung auch Miss- teile nach sich gezogen hat und wenn – drittens – der brauchsmöglichkeiten in sich trägt. In vielen Bereichen Anerkennende nicht der biologische Vater des Kindes sind wir bereit,: das in Kauf zu nehmen. Der Gedanke ist. Ich bin überzeugt, dass es uns damit gelingt, mit gro- aber, hier könnten ein paar Migrantinnen und Migranten ßer Treffsicherheit gegen Missbrauchsfälle einzuschrei- auf dem Trittbrett mitfahren, ohne dafür bestraft zu wer- ten, und dass damit auf Dauer auch der Anreiz wegfallen den, ist für die Union natürlich unerträglich. wird, sich an irgendeiner Ecke einen Scheinvater zu su- Aber was ist mit der SPD? Sie haben doch mehrmals chen. deutlich signalisiert: Auch Sie halten das Gesetz für un- Die Neuregelung ist damit auch im Interesse der „ehr- verhältnismäßig und damit völlig unnötig. Ich bitte Sie, lichen“ binationalen Familien: In der Sachverständigen- lassen Sie sich jetzt nicht vorweihnachtlich einlullen. anhörung ist mehr als deutlich geworden: Die Miss- Wachen Sie noch einmal auf. Und heben Sie jetzt nicht brauchsproblematik belastet das Verhältnis zwischen die Hand für dieses Gesetz! diesen Familien und den Ausländerbehörden. Wenn wir für Verdachtsfälle ein geordnetes Verfahren für eine ge- Alfred Hartenbach, Parl. Staatssekretär bei der naue und nachvollziehbare Prüfung haben, dann kommt Bundesministerin für Justiz: Wir müssen bei diesem Ge- das auch den „ehrlichen“ Familien zugute. Denn nicht setzentwurf zwei Dinge auseinanderhalten: einmal den zuletzt diese Familien sind die Leidtragenden, wenn völlig legitimen Wunsch von Ausländern, in Deutsch- Missbrauchsfälle ein schlechtes Licht auf Vaterschafts- land zu bleiben und hier eine Familie zu gründen. Ich anerkennungen werfen und es keine Möglichkeit zur (B) und viele andere haben sich immer dafür eingesetzt, dass Aufklärung gibt. Dementsprechend haben sechs der (D) das Ausländer- und Staatsangehörigkeitsrecht diesem neun Sachverständigen unser Regelungskonzept im Wunsch besser Rechnung trägt. Die Rechtslage ist im- Grundsatz begrüßt. mer noch nicht optimal, aber sie ist deutlich besser als noch vor 15 Jahren. Unser Gesetz weist jetzt der Praxis einen guten Weg für ein faires Verfahren zur Trennung der „echten“ Väter Eine ganz andere Sache sind aber Vaterschaftsaner- von den „Scheinvätern“. kennungen, die nur den einen Zweck verfolgen, nämlich sich eine deutsche Staatsangehörigkeit oder einen Auf- enthaltstitel zu verschaffen. Ich nenne das „Scheinvater- Anlage 7 schaft“, weil solche Anerkennungen nichts mit der leib- lichen Abstammung zu tun haben und nichts mit der Zu Protokoll gegebene Rede Gründung einer Familie. Es geht dabei einzig und allein darum, das deutsche Ausländerrecht zu umgehen. zur Beratung des Antrags: Für ein schärferes Waffengesetz (Tagesordnungspunkt 12) Dieser Missbrauch kann auf Dauer das geltende Recht insgesamt infrage stellen und damit auch das, was wir mit der Kindschaftsrechtsreform von 1998 erreicht Petra Pau (DIE LINKE): Erstens. Die Fraktion haben: ein familienfreundliches und unbürokratisches Bündnis 90/Die Grünen will ein schärferes Waffenrecht. Verfahren zur Annerkennung von Vaterschaften. Das gilt Sie hat dies beantragt, weil Gewaltdelikte zunehmen und auch für das Ausländer und Staatsangehörigkeitsrecht. Konflikte immer häufiger mit Waffen ausgetragen wer- Eben weil es richtig war, die Tür für echte binationale den. Mit diesem Befund hat Bündnis 90/Die Grünen lei- Familien weiter zu öffnen, müssen wir dafür sorgen, der recht. Deshalb nimmt Die Linke auch das Anliegen dass diese Regelungen nicht durch Scheinvaterschaften des vorliegenden Antrags entsprechend ernst. infrage gestellt werden. Deshalb haben wir dieses Gesetz auf den Weg gebracht. Wir haben lange darüber debat- Zweitens. Bevor ich zu Details des Antrages spreche, tiert. will ich etwas Grundsätzliches anmerken. In einer Ge- sellschaft, in der das Recht des Stärkeren immer häufiger Die Neuregelung ermöglicht auch weiterhin uneinge- mehr gilt als das Solidar-Prinzip, in einer Gesellschaft, schränkt die unbürokratische Vaterschaftsanerkennung, in der Krieg wider besseren Wissens als Politik gilt, in und zwar auch für binationale Familien. Daran soll sich einer solchen Gesellschaft ist Gewalt, auch private Ge- nichts ändern. Die Anerkennung bringt grundsätzlich walt, systematisch angelegt. Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 133. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. Dezember 2007 14029

(A) Drittens. Gegen diesen Widersinn hilft auch kein und der Gemeinden, wohingegen die Länder selber die (C) schärferes Waffengesetz. Und genau das ist die Schwä- Kompetenz erhalten, den Bereich der Besoldung, Ver- che des Antrags der Grünen und ihrer Begründung. Kein sorgung und Laufbahn für ihre Beamtinnen und Beam- Messer, kein Baseballschläger und keine Kettensäge ten eigenständig zu regeln. sind a priori Totschläger oder Mörder. Ihr Verbot, sei es zu bestimmten Zeiten oder an bestimmten Orten, wird Das vorliegende Beamtenstatusgesetz stellt somit die daher das eigentliche Problem nicht lösen. dienstrechtliche Klammerfunktion für alle Beamtinnen und Beamten der Bundesrepublik Deutschland dar. Das Viertens. Die Linke lehnt die aktuellen Vorschläge der Ziel, das damit verfolgt wird, ist die Festlegung eines Grünen deshalb nicht grundsätzlich ab. Das geltende einheitlichen Dienstrechtes durch beamtenrechtliche Waffenrecht hat Lücken. Es ermöglicht zu vielen, zu ein- Grundstrukturen, die für alle Beamtinnen und Beamten fach an Schusswaffen zu gelangen. Und es ist schwer zu gleichermaßen gelten. Daneben wollen wir mit diesem verfolgen, wer wann und wozu eine Schusswaffe erwarb Gesetz sicherstellen, dass Mobilität möglich ist beim oder sich eine solche beschafft hat. Dieser Mangel birgt Wechsel des Dienstherrn, und wir wollen einen Rahmen tödliche Risiken. schaffen für ein modernes und einheitliches Personal- management in der öffentlichen Verwaltung. Das Gesetz Fünftens. Komplizierter wird es bei Gegenständen, gibt den Rahmen dafür, dass die Zukunftsfähigkeit des die nicht als Waffen gelten, aber als solche verwendet öffentlichen Dienstes sichergestellt werden kann und werden könnten und auch verwendet werden. Jüngst gab dass eine Anpassung an die sich wandelnden gesell- es in Berlin eine Schlacht, bei der Leute mit Forken und schaftlichen und wirtschaftlichen Anforderungen mög- Spaten aufeinander einhieben, wie seinerzeit im Bauern- lich ist. Krieg. Wollten wir diese „Waffen“ verbieten, müssten wir sofort alle Baumärkte schließen. Die Bundesgesetzgebungskompetenz für die Beam- Sechstens. Eine andere Überlegung zielt darauf, ge- tinnen und Beamten der Länder und der Gemeinden fährdete Orte frei von Waffen aller Art zu halten. Ham- bezieht sich auf die Festlegung der wesentlichen Grund- burg strebt das für Sankt Pauli an. Im Land Berlin wie- strukturen des Beamtenrechts. Hierzu gehören das We- derum wird überlegt, ob ein besonderes Großereignis, sen, die Voraussetzung und die Rechtsform der Begrün- wie jüngst die Fußball-WM oder demnächst die Leicht- dung des Beamtenverhältnisses, die Arten, die Dauer athletik-WM, einen solchen rechtlichen Bann rechtfer- sowie die Nichtigkeits- und Rücknahmegründe des Be- tigt. Darüber sollten wir ernsthaft diskutieren. amtenverhältnisses sowie die Voraussetzungen und For- men der Beendigung desselben. Ferner sind regelungs- Siebtens. Wir sollten es uns auch dabei nicht zu ein- bedürftig das Institut der Abordnung und Versetzung der (B) fach machen und nicht in puren Aktionismus verfallen. Beamten zwischen den Ländern und zwischen dem (D) Mein Kollege Stadler von der FDP hat im Innenaus- Bund und den Ländern sowie die Festlegung bestimmter schuss gefragt: Wie wäre das, wenn er als Baseballspie- statusrechtlicher Pflichten und die Folgen ihrer Nicht- ler durch Hamburg geht – in welcher Straße würde er ge- erfüllung. feiert und in welcher Straße würde er verhaftet? Einmal als Sportler, einmal als potenzieller Nazi? Das besondere Dienst- und Treueverhältnis, das die Beamtinnen und Beamten gegenüber ihrem Dienstherrn Achtens. Grundsätzlich bleibt aber richtig: Alles, was eingehen, fordert ferner, dass die Dienstpflichten, aber Waffen und Gewalt verherrlicht oder nur legitimiert, auch die Rechte der Beamten durch das Statusgesetz kann nicht gut sein. Wenn Bündnis 90/Die Grünen nun festgelegt werden. zu dieser Erkenntnis zurückfindet, dann wird sich Die Linke dagegen nicht sperren. Im Gegenteil: Wir nehmen Bei alledem ist zu berücksichtigen, dass die personal- den Grünen-Antrag für eine Änderung des Waffenrechts wirtschaftlichen Gestaltungsspielräume der Länder er- gerne auf und an. halten bleiben. Insoweit war es notwendig und auch sinnvoll, dass der Bundesgesetzgeber bei der Fassung dieses Gesetzes eng mit den Bundesländern zusammen- Anlage 8 gearbeitet hat. Dies ist durch diesen Gesetzentwurf ein- drucksvoll dokumentiert. Er gibt den Ländern vielfältige Zu Protokoll gegebene Reden Möglichkeiten, den vom Bundesgesetzgeber zu setzen- zur Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur den Rahmen auszufüllen. Regelung des Statusrechts der Beamtinnen und Allerdings – auch das gehört zur Wahrheit – wurden Beamten in den Ländern (Beamtenstatus- seitens der Innenpolitiker bei der Verabschiedung der gesetz – BeamtStG) (Tagesordnungspunkt 15) Föderalismusreform im vergangenen Jahr einige Beden- ken an dieser Neukonstruktion des Beamtenrechtes gel- Ralf Göbel (CDU/CSU): Nach vielfältigen und in- tend gemacht. Wir kehren zumindest in Teilen zu einem tensiven Beratungen in der Föderalismuskommission ha- Rechtszustand zurück, der vor 1971 lag und der damals ben wir im letzten Jahr die Föderalismusreform be- als unbefriedigend erachtet worden ist. Die damaligen schlossen. Einer der Bestandteile in dieser Reform war Debatten, die im Deutschen Bundestag und im Bundes- die Veränderung der Gesetzgebungszuständigkeiten im rat geführt worden sind, geben hierfür ein beredtes Bei- Beamtenrecht. Demzufolge regelt der Bund lediglich spiel. Dennoch hat die überwältigende Mehrheit dieses den Status für alle Beamtinnen und Beamten der Länder Hauses diese neue Konzeption der Verteilung der beam- 14030 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 133. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. Dezember 2007

(A) tenrechtlichen Zuständigkeiten als richtig erachtet. Glei- Versorgungslasten einig werden. Insoweit halte ich (C) ches gilt für den Bundesrat. – auch wegen der Zuständigkeit der Länder für die Ver- sorgung – eine gesetzgeberische Regelung im Beamten- In der zu dem Gesetz durchgeführten Anhörung sind statusgesetz für entbehrlich. einige Kritikpunkte vorgetragen worden, auf die ich ein- gehen will. Eine Forderung, die vielfältig an den Gesetz- Am Ende wurde kritisch die Vorschrift über die Ne- geber herangetragen worden ist, ist die Festlegung einer bentätigkeiten der Beamten betrachtet. Ich halte es für Regelaltersgrenze im Beamtenstatusgesetz. Über die grundsätzlich erforderlich, dass auch im Beamtenstatus- rechtliche Notwendigkeit der Festlegung einer solchen gesetz deutlich gemacht wird, dass es sich beim Beam- Regelaltersgrenze gibt es divergierende Auffassungen. tenverhältnis um ein Dienstverhältnis mit besonderen Im Einvernehmen mit den Ländern haben wir auf die Rechten und Pflichten handelt. Zwar ist der Gesetzestext Festlegung einer Regelaltersgrenze im Beamtenstatusge- sprachlich etwas modernisiert wurden, am Ende gilt aber setz verzichtet. Die Länder sind in Zukunft für die Ver- weiterhin, dass das Beamtenverhältnis die Beamtin oder sorgung der Beamtinnen und Beamten zuständig, und den Beamten zur vollen Hingabe an den Beruf verpflich- insoweit ist es folgerichtig, dass auch sie die Verantwor- tet. Insoweit können Nebentätigkeiten der Beamtinnen tung für die Festlegung der Altersgrenze erhalten. Die und Beamten nicht die Regel sein, sondern sie müssen konkrete Festlegung des Ruhestandsalters gehört nach als Ausnahme betrachtet werden. Wir haben deshalb ein meiner Auffassung nicht notwendigerweise zu den sta- Modell gewählt, in dem die Nebentätigkeiten als grund- tusrechtlichen Grundstrukturen und bedarf damit nicht sätzlich anzeigepflichtig angesehen werden, dem Dienst- der gesetzgeberischen Festlegung. Entscheidend ist die herrn aber vorbehalten ist, einen Erlaubnis- oder Festschreibung der Regelung über das Ausscheiden aus Verbotsvorbehalt dann auszusprechen, wenn die Neben- dem Beamtenverhältnis, und dafür genügt das „Errei- tätigkeit geeignet ist, dienstliche Interessen zu beein- chen einer Regelaltersgrenze“. Eine weitere Konkretisie- trächtigen. rung ist aus meiner Sicht nicht notwendig. Mit dieser gesetzgeberischen Regelung sind wir, so Im Übrigen verweise ich darauf, dass wir in speziel- meine ich, den Anforderungen an den Gesetzgeber ge- len Laufbahnen schon seit vielen Jahren besondere recht geworden. Wir wollten keine übermäßige Bürokra- Altersgrenzen haben, die von Land zu Land unterschied- tisierung, andererseits mussten wir aber auch sicherstel- lich festgelegt sind. Die Unterschiede gehen beispiels- len, dass Nebentätigkeiten, die geeignet sind, dienstliche weise im Polizeibereich so weit, dass mein Bundesland Interessen zu beeinträchtigen, vom Dienstherrn unter- Rheinland-Pfalz, differenziert nach Laufbahngruppen, sagt werden können. Mit der hier gefundenen Lösung die besondere Altersgrenze zwischen 62 und 65 Jahren haben wir den richtigen Ansatz gewählt. (B) festgelegt hat, wohin dagegen der Bund und andere Bun- Lassen Sie mich zusammenfassen: Mit dem Beamten- (D) desländer bei Polizeibeamten noch die Regelaltersgrenze statusgesetz haben wir einen guten Rahmen gesetzt, um von 60 sehen. Insoweit bleibt es also der jeweiligen Ver- die Fortentwicklung des Beamtenrechts in Deutschland antwortung des Landesgesetzgebers überlassen, wann er durch die Dienstherren der Länder und der Gemeinden seinen Beamtinnen und Beamten den Eintritt in den Ru- zu ermöglichen. Wir sind damit dem Auftrag aus der hestand ermöglicht. Föderalismusreform nachgekommen und haben zur Ein zweiter Kritikpunkt, dessen Bedeutung nicht Konkretisierung dieses Verfassungsauftrages einfach ge- unterschätzt werden darf, ist die Anerkennung der Lauf- setzlich einen weiten Rahmen gesetzt, indem die Bun- bahnbefähigung. Wir haben keine Regelung der gegen- desländer nun aufgefordert sind, die ihnen übertragenen seitigen Anerkennung von Laufbahnbefähigungen fest- Gesetzgebungsbefugnisse auszufüllen. Es liegt nun an gelegt. Derzeit finden in den meisten Bundesländern, den Ländern und an den Gemeinden, für ihre Beamtin- aber auch beim Bund Überlegungen zur Reform des nen und Beamten maßgeschneiderte und attraktive Re- Laufbahn- und Besoldungsrechts statt. Es ist derzeit gelungen zu entwickeln, die eine gute und erfolgreiche noch nicht konkret absehbar, wohin sich das Laufbahn- Weiterentwicklung des öffentlichen Dienstes in der Bun- recht entwickeln wird. Nach Art. 74 Abs. l Nr. 27 desrepublik Deutschland ermöglichen. Grundgesetz liegt die Gesetzgebungskompetenz hier bei Ich bedanke mich am Ende bei allen Beteiligten an den Bundesländern. Es wird genau zu beobachten sein, diesem bisweilen schwierigen Diskussionsprozess für wie sich das Laufbahnrecht entwickelt. Gegebenenfalls die konstruktiven Beiträge und Beratungen. muss hier nachgesteuert werden, um die Mobilität der Beamtinnen und Beamten innerhalb der öffentlichen Dienstherren der Bundesrepublik Deutschland zu er- Siegmund Ehrmann (SPD): Durch die Föderalis- möglichen. musreform ist die Rahmenkompetenz des Bundes zum Erlass des Beamtenrechtsrahmengesetzes (BRRG) ent- Wechselt eine Beamtin oder ein Beamter von einem fallen. Stattdessen hat der Bund jetzt nur noch eine kon- Dienstherrn zu einem anderen, müssen sich die Dienst- kurrierende Gesetzgebungsbefugnis zur Regelung der herren über die Verteilung der Versorgungslasten eini- Statusrechte und -pflichten der Angehörigen des öffent- gen. Eine gesetzliche Regelung über das Verhältnis der lichen Dienstes der Länder, Gemeinden und anderen Verteilung der Versorgungslasten zwischen dem abge- Körperschaften des öffentlichen Rechts, die in einem benden und dem aufnehmenden Dienstherrn ist aus mei- Dienst- und Treueverhältnis stehen. Die Kompetenz er- ner Sicht entbehrlich. Die Beteiligten müssen sich bei ei- streckt sich nicht auf Laufbahnen, Besoldung und Ver- nem Wechsel des Dienstherrn über die Aufteilung der sorgung. Mit dem Entwurf eines Beamtenstatusgesetzes Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 133. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. Dezember 2007 14031

(A) wird von dieser Gesetzgebungsbefugnis Gebrauch ge- setz beruht auf einer konkurrierenden Gesetzgebungsbe- (C) macht, wobei das Gesetz der Zustimmung des Bundes- fugnis des Bundes, was nichts anderes bedeutet, als dass rats bedarf. der Bund zur Gesetzgebung zwar befugt, aber nicht ver- pflichtet ist. Deshalb kann der Bund bei der Inanspruch- Vorgesehen ist eine Vereinheitlichung und Moderni- nahme der Gesetzgebungsbefugnis selbstverständlich sierung der statusrechtlichen Grundstrukturen, um die auch weniger regeln als er regeln dürfte. Wegen der Zu- Mobilität insbesondere bei einem Dienstherrnwechsel zu stimmungsbedürftigkeit bleibt ihm auch gar nichts ande- gewährleisten. Dazu gehören Wesen, Voraussetzungen, res übrig, als sich insoweit nach den mehrheitlichen Rechtsform der Begründung, Arten, Dauer sowie Nich- Wünschen der Länder zu richten. tigkeits- und Rücknahmegründe des Beamtenverhältnis- ses; Abordnungen und Versetzungen der Beamtinnen und Beamten zwischen den Ländern und zwischen dem Dr. Max Stadler (FDP): Mit dem Beamtenstatusge- Bund und den Ländern, Zuweisung einer Tätigkeit bei setz macht sich der Bundesgesetzgeber in Sachen Beam- anderen Einrichtungen und länderübergreifende Umbil- tenrecht noch kleiner, als er es nach der Föderalismusre- dung von Körperschaften; Voraussetzungen und Formen form ohnehin schon ist. Es wird nicht einmal ansatzweise der Beendigung des Beamtenverhältnisses; statusprä- der Versuch unternommen, die verbliebene Kompetenz gende Pflichten der Beamtinnen und Beamten und auszuschöpfen. Die Bundesregierung und in ihrem Folgen der Nichterfüllung; wesentliche Rechte der Be- Schlepptau die Koalitionsfraktionen drücken sich um die amtinnen und Beamten; Bestimmung der Dienstherrnfä- Beantwortung zentraler Fragen schlichtweg herum. higkeit; Spannungs- und Verteidigungsfall und Verwen- dungen im Ausland. Was ist eine in Berlin erworbene Laufbahnbefähigung in Bayern wert? Welcher Dienstherr hat in welcher Höhe Zur Berücksichtigung ihrer regionalen Besonderhei- für die Versorgung aufzukommen, wenn ein Beamter ten werden den Ländern Gestaltungsspielräume einge- von Baden-Württemberg nach Nordrhein-Westfalen räumt. wechselt? Mit diesem Gesetz, liebe Kolleginnen und Das Beamtenrechtsrahmengesetz (BRRG) wird mit Kollegen von CDU/CSU und SPD, betreiben Sie Klein- Inkrafttreten des Beamtenstatusgesetzes weitgehend auf- staaterei. Sie sind dabei, das Berufsbeamtentum zu pro- gehoben. Kapitel II und § 135 BRRG bleiben zunächst vinzialisieren. Damit machen Sie es gerade solchen Be- bestehen und gelten nach Art. 125 a GG als Bundesrecht amtinnen und Beamten schwer, die mobil sind, die bereit fort. Diese Vorschriften betreffen die einheitlich und un- sind, für eine neue berufliche Herausforderung erforder- mittelbar geltenden Regelungen des BRRG, die für die lichenfalls ihren Wohnsitz auch in ein anderes Bundes- Länder bereits weitgehend, aber noch nicht vollständig land zu verlegen, oder die einfach nur den Wunsch ha- (B) im Beamtenstatusgesetz enthalten sind und für den Bund ben, ihrem Partner an einen anderen Ort zu folgen. Für (D) bis zur Novellierung des Bundesbeamtengesetzes bzw. viele Beamtinnen und Beamte wird sich das Gesetz als für die Länder bis zum Erlass eigener Vorschriften wei- Klotz am Bein, als echtes Mobilitätshemmnis erweisen. tergelten. Ich sehe hier erheblichen gesetzgeberischen Nachbes- serungsbedarf auf den Deutschen Bundestag zukommen. Bei der Anhörung im Innenausschuss wurden von den Sachverständigen und Interessenvertretern teilweise Auch im Innenausschuss haben Sie auf die anstehen- weitergehende Regelungen des Beamtenstatusgesetzes den Fragen keine Antworten gegeben. Die Frage, wer für vorgeschlagen. Würden diese Vorschläge übernommen, die Versorgung aufkommt, soll im Einzelfall entschieden müsste damit gerechnet werden, dass der Bundesrat dem werden. Die Frage der Anerkennung von Laufbahnbefä- Gesetzentwurf nicht zustimmte, weil die Länder im Ver- higungen soll erneut aufgerufen werden, wenn die Län- lauf des Gesetzgebungsverfahrens mehrfach deutlich ge- der ihr Laufbahnrecht geregelt haben. Auf diese Weise macht haben, dass sie eine Einschränkung ihrer Gestal- lassen Sie den Langsamsten das Tempo bestimmen. Das tungsspielräume mehrheitlich nicht hinnehmen werden. kann man beim Sonntagsspaziergang machen. Das darf Der Änderungsantrag der Koalitionsfraktionen im In- aber nicht Handlungsmaxime zur Regelung des Status- nenausschuss beschränkt sich deshalb auf Regelungen, rechts der Beamtinnen und Beamten in den Ländern und die vom Bundesrat gewünscht wurden oder sonst mit Gemeinden sein. Hier kommt dem Bundesgesetzgeber mehrheitlicher Zustimmung der Länder rechnen können. die Funktion zu, gemeinsame Maßstäbe für die Zukunft des Berufsbeamtentums zu setzen. Art. 33 Abs. 5 des Der Deutsche Beamtenbund vertritt allerdings die Grundgesetzes weist dem Bundesgesetzgeber im ge- Auffassung, dass der Bund verpflichtet sei, seine Gesetz- samtstaatlichen Interesse eine vorrangige Verantwortung gebungsbefugnis weiter auszudehnen, als es in dem vor- für die Funktionsfähigkeit des Berufsbeamtentums zu. liegenden Entwurf vorgesehen sei. Dabei handelt es sich Es ist danach Aufgabe des Bundesgesetzgebers, einheit- allerdings um den untauglichen Versuch, die Kompe- liche Grundstrukturen für alle Dienstherren zu schaffen tenzvorschriften des Grundgesetzes durch eine Berufung und die verfassungsrechtlichen Vorgaben durch gesetz- auf Art. 33 Abs. 5 GG auszuhebeln. Festzuhalten bleibt, geberische Entscheidungen auszufüllen. Diesen Anfor- dass sich diese Vorschrift an Bund und Länder richtet, derungen wird das Beamtenstatusgesetz nicht annähernd die sie jeweils bei der Regelung des Beamtenrechts in ih- gerecht. rem Zuständigkeitsbereich zu beachten haben. Wer zur Gesetzgebung berufen ist, ergibt sich hingegen nicht aus Aus liberaler Sicht ist ein weiterer wichtiger Punkt dieser Vorschrift, sondern aus den kompetenzrechtlichen zu kritisieren: das Fehlen eines Leitbildes. Wie soll das Regelungen des Grundgesetzes. Das Beamtenstatusge- Berufsbeamtentum der Zukunft aussehen? In welchen 14032 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 133. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. Dezember 2007

(A) Bereichen und bei der Erledigung welcher Aufgaben Beamtinnen und Beamte. Und da ihr Status mit diesem (C) sollen auch zukünftig Beamtinnen und Beamte zum Gesetz und mit den darin enthaltenen Regelungen nicht Einsatz kommen? Was ist mit der Aufgabe des Beam- besser, sondern eher noch unsicherer und schlechter tenrechts, politisch motivierte Personalentwicklung zu wird, werden wir mit Nein stimmen. Die Linke hat im verhindern? Wie geht es weiter mit den verfassungs- Innenausschuss versucht, das vorliegende Gesetz noch rechtlichen Rahmenbedingungen im Besoldungs- und zu verbessern. Aber unser Antrag wurde abgelehnt, wie Versorgungsrecht? Hierauf gibt das Gesetz keine Ant- zu erwarten von der Unionsfraktion und von der SPD; worten. Eine Festlegung der Funktion des Berufsbeam- leider auch von der FDP, auch sie hatte die Brille der tentums unterbleibt. Eine statusrechtliche Absicherung Dienstherren auf und nicht die Beamtinnen und Beamten der Alimentation fehlt. Ebenso fehlen eine Absiche- im Blick. Wir bedauern das. rung des Anspruchs auf Teilhabe an der allgemeinen Nun will ich an zwei Beispielen illustrieren, warum Einkommensentwicklung und eine Verankerung des das Gesetz schlecht ist. Erstes Stichwort: Versorgungs- Grundsatzes, dass die Rechtsstellung der Beamtinnen bezüge. Sie werden von Land zu Land unterschiedlich und Beamten nur durch Gesetz oder aufgrund eines Ge- gehandhabt. Allein das ist problematisch. Noch proble- setzes geregelt werden kann. matischer wird es, wenn eine Beamtin oder ein Beamter Um Missverständnissen vorzubeugen: Uns geht es von einem Bundesland in ein anderes wechselt oder ver- nicht um Redundanz. Wir sehen aber die Gefahr, dass setzt wird. Wie dann mit den erworbenen Versorgungs- der hier praktizierte gesetzgeberische Minimalismus ansprüchen umgegangen wird, das muss zwischen den ganz schnell auch in einen beamtenpolitischen Relativis- einzelnen Bundesländern ausgehandelt und per Staats- mus umschlagen kann. Hierauf wurde bereits in der vertrag fixiert werden. Jedes Bundesland muss also mit Sachverständigenanhörung hingewiesen. Aus dem Ge- jedem anderen Bundesland einen entsprechenden Ver- setz wird nicht klar, warum wir überhaupt noch Beam- trag abschließen. Ich bitte allein mal den bürokratischen tinnen und Beamte brauchen. Das ist Wasser auf die Aufwand zu beachten. Wie und nach welchen Modalitä- Mühlen derer, die das Berufsbeamtentum am liebsten ten diese Staatsverträge ausgehandelt werden, das klärt gleich ganz abschaffen würden. Das ist nicht der Weg derzeit eine Kommission. In dieser Kommission sind der FDP. Wir bekennen uns zum Berufsbeamtentum und ausschließlich die sogenannten Geberländer, also die rei- wollen es durch eine Konzentration auf Kernbereiche cheren Bundesländer, vertreten. Sie sitzen damit gegen- stärken. Ein solches Bekenntnis hätten wir uns auch von über den ärmeren Ländern am längeren Hebel. Man den Koalitionsfraktionen gewünscht. Dem Statusgesetz kann sich ausrechnen, wohin das fuhrt. ist ein solches Bekenntnis nicht zu entnehmen. Auch Das 1990 im Zuge der Vereinigung eingeführte Soli- deshalb werden wir es ablehnen. darprinzip bei der Teilung der Versorgungskosten wird (B) mit diesem Gesetz wieder abgeschafft. Die Kleinstaate- (D) Petra Pau (DIE LINKE): Mit der sogenannten Föde- rei im Beamtenrecht führt noch zu weiteren Problemen. ralismusreform I wurden die Kompetenzen zwischen der Sie drohen zumindest, und sie werden durch dieses Ge- Bundesebene und den Bundesländern neu geregelt – im setz nicht gebannt. Auch sie gehen auf Kosten der Be- Wesentlichen zugunsten der Bundesländer. Das hat Fol- amtinnen und Beamten. gen, zum Beispiel auch für Beamtinnen und Beamte und Stichwort: Laufbahnbefähigung. Wer als Beamtin deren Status. Im schlimmsten Fall bekommen wir oder Beamter die Dienststelle wechselt oder wechseln 17 verschiedene Grundsatzregelungen für Beamtinnen muss, läuft nämlich Gefahr, dass seine bisher erworbene und Beamte, je nachdem ob sie beim Bund eingesetzt Befähigung und damit seine Laufbahnchancen beim sind oder in welchem der 16 Bundesländer. Die Landes- neuen Arbeitgeber nicht mehr anerkannt werden. Das regelungen wiederum können je nach politischer Cou- hätte man anders regeln können und – wie Die Linke fin- leur oder Kassenlage höchst unterschiedlich sein. Noch det – müssen. verwirrender kann es werden, wenn Beamtinnen oder Beamte ihren Dienstsitz wechseln wollen oder müssen, Stichwort: Versetzungen. Dem Gesetz liegt das er- etwa von der Bundesebene in ein Bundesland oder von klärte Ziel zugrunde, die Mobilität von Beamtinnen und einem Land in ein anderes oder von einer öffentlichen Beamten zu erhöhen. Dieses Ziel wird es auch erreichen, Einrichtung in ein privatisiertes Unternehmen. Die erste indem die Rechte der Beamtinnen und Beamten kleiner Frage, die heute per Gesetz beantwortet werden muss, ist und die Rechte der Dienststellen größer geschrieben also: Lassen sich bundeseinheitliche Regelungen finden, werden als bisher. Per Gesetz wird Mitbestimmung ab- die eine unübersichtliche Kleinstaaterei verhindern? Die gebaut; auch das kritisieren wir. zweite Frage, die jede Fraktion beantworten muss, heißt: Schließlich: Zur Kleinstaaterei gehört auch, dass je- Sind diese bundeseinheitlichen Regelungen ausreichend des Land eine unterschiedliche Altersregel einführen und gut? kann, ab wann Beamtinnen und Beamte in den Ruhe- Die Fraktion Die Linke kommt zu dem Schluss: Das stand gehen können. Auch das wird für viel Unruhe und vorliegende Gesetz ist weder ausreichend noch gut. Wir Unsicherheit sorgen. Kurzum: Die Verhältnisse für Be- werden es also ablehnen. Nun ist das – wie immer – eine amtinnen und Beamte werden mit diesem Gesetz nicht Frage der Perspektive. Die einen gucken eher durch die besser, sondern schlechter. Brille der Dienstherren oder -frauen. Die anderen fragen: Was bedeutet das Gesetz für die betroffenen Beamtinnen Silke Stokar von Neuforn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- und Beamten? Die Linke hat sich beide Fragen gestellt, NEN): Was wir heute erleben, ist die Beerdigung eines aber vorrangig natürlich die nach den Auswirkungen für großen Reformvorhabens. Das Eckpunktepapier zur Re- Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 133. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. Dezember 2007 14033

(A) form des öffentlichen Dienstrechtes ist in den Schubla- Man kann nur feststellen: Der Bund hat die Chance (C) den verschwunden, die politischen Ziele – mehr Mobili- vertan, ein Rahmengesetz vorzulegen, an dem sich die tät, mehr Leistung, mehr Durchlässigkeit – sind zu Länder orientieren können. Das Beamtenrecht bleibt Grabe getragen worden. Wieder einmal bestätigt sich: eine Baustelle, die für die Große Koalition ganz offen- Das Beamtenrecht ist in Deutschland nicht grundlegend sichtlich eine Nummer zu groß ist. reformierbar.

Die Föderalismusreform I hat die Kompetenz des Anlage 9 Bundes für die Beamten weitgehend abgeschafft und ein Loch gerissen, das die Länder bis heute nicht gestopft Zu Protokoll gegebene Rede haben. Es waren die Ministerpräsidenten und die Finanz- zur Beratung der Anträge: minister, die unbedingt die Kompetenz haben wollten. Jetzt können und wollen die Innenminister die Verant- – Wiedererrichtung des Berliner Schlosses – wortung nicht tragen, und vor wichtigen Landtagswah- Bau des Humboldt-Forums im Schlossareal len will es sich niemand mit den Beamten verderben. Berlin – Rekonstruktion der historischen Noch hat kein Bundesland ein eigenes Gesetz geschaf- Fassaden sicherstellen fen. – Humboldt-Forum statt Fassadenschloss – Der Bund ist nicht bereit, eine weitgehende Rahmen- Schlossplatz mit Zukunftsorientierung gesetzgebung vorzulegen; er beschränkt sich auf das un- (Tagesordnungspunkt 17 a und b) bedingt Erforderliche. Die ohnehin schon geringe Kom- petenz des Bundes wird nicht genutzt. In dieser Heidrun Bluhm (DIE LINKE): Mit dem von der organisierten Verantwortungslosigkeit bleiben Moderni- Fraktion Die Linke in den Bundestag eingebrachten An- tät und Reformziele zwangsläufig auf der Strecke. trag mit dem Titel „Humboldt-Forum statt Fassaden- Bei so viel Unwillen nützt auch eine Anhörung we- schloss – Schlossplatz mit Zukunftsorientierung“ wird nig. Die vielen wichtigen und produktiven Hinweise, die die Bundesregierung aufgefordert, den Architekturwett- wir in der Anhörung im März dieses Jahres gehört ha- bewerb auch für zeitgenössische bauliche Lösungen zu ben, wurden auch in den Änderungsanträgen in keiner öffnen und von der zwingenden Vorgabe einer Rekon- Weise aufgenommen. Wenn man nicht handeln will, hel- struktion des ehemaligen barocken Stadtschlosses Ab- fen die besten Anregungen nichts. stand zu nehmen. Die Entscheidungen der Föderalismusreform I haben Die Linke sieht in dem Bauvorhaben eine große (B) wir nicht begrüßt. Wir sahen den Rückfall in die Klein- Chance, das Humboldt-Forum zu einem modernen Be- (D) staaterei und sehen uns heute bestätigt. Danach haben gegnungszentrum für die Berlinerinnen und Berliner so- wir Grünen uns stets für eine starke Rahmengesetzge- wie allen in- und ausländischen Besuchern zu machen, bung, die die Mobilität der Beamten sichert, eingesetzt. in dem sich Kultur, Naturwissenschaft und ein intensiver Hierzu gehört für uns, sicherzustellen, dass bei einem Ideenaustausch zu einer kulturellen und wissenschaftli- Dienstherrenwechsel über Länder- und Kommunengren- chen Nutzung vereinen. zen hinaus eine wechselseitige Anerkennung der Zulas- Lediglich ein Museum innerhalb einer Schlossat- sung zum Vorbereitungsdienst und der Laufbahnbefähi- trappe aufzubauen, wird dem herausragenden Standort gungen erfolgt. Im Gesetz findet man hierzu nichts. im Zentrum Berlins nicht gerecht, ist einfallslos und ein- fach zu wenig in die Zukunft gewandt. Ohne ein schlüs- Wir standen und stehen auch dafür, dass der öffentli- siges Nutzungskonzept ist die Entscheidung über die che Dienst geöffnet und ein Quereinstieg erleichtert wer- Gestaltung des Humboldt-Forums einschließlich der Fi- den muss. Hierzu gehört, dass es die Möglichkeit für Be- nanzierung ohnehin unverantwortlich und ohne demo- werberinnen und Bewerber gibt, die die erforderliche kratische Legitimation. Die Linke fordert die Bundesre- Befähigung für ein Amt durch Lebens- und Berufserfah- gierung auf, ein Konzept über die zukünftige Nutzung rung außerhalb des öffentlichen Dienstes erworben ha- des Humboldt-Forums dem Bundestag vorzulegen. Die ben, in das Beamtenverhältnis aufgenommen werden zu können. Auch hierzu finden wir hier nichts im Entwurf Linke bekennt sich zum Humboldt-Forum, lehnt aber die von Schwarz-Rot. geplante Schlosskopie sehr energisch ab. Der Versuch, die Schlossfassadenkopie mit Spenden Lassen Sie mich abschließend noch einen Punkt an- zu finanzieren, ist nach wie vor als gescheitert anzuse- sprechen, der mir ganz besonders am Herzen liegt. Die hen. Damit entfällt aber auch die wesentliche Grundlage Förderung der Familie ist ein Thema, das noch nicht für die Entscheidung des Bundestages vom 4. Juli 2002. wirklich in der Union angekommen ist. Vielleicht kann In der Debatte zum Stadtschlossantrag der FDP hatte be- Frau von der Leyen dem Bundesinnenminister Schäuble reits meine Kollegin Gesine Lötzsch nachgefragt, ob je- behilflich sein, in der Realität der modernen, jungen Fa- mand wisse, dass der Verein bereits circa 14 Millionen milienwelt anzukommen. Vielleicht hätte dann die Rege- Euro Spenden gesammelt habe? Die Antwort war Nein. lung eine Chance, dass Elternteile, die sich im Mutter- Hat die Bundesregierung mittlerweile Einsicht in die Bü- schutz oder Elternzeit befinden, hierdurch nicht bei der cher des Vereins bekommen? Einstellung benachteiligt werden. Wir haben uns jeden- falls im Innenausschuss für eine solche Regelung einge- Aber natürlich gibt es schon einen Plan B: Wenn die setzt. Spenden nicht kommen, dann soll die öffentliche Hand 14034 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 133. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. Dezember 2007

(A) einspringen. Ich will noch einmal daran erinnern: Der der Europäischen Union der EU-Reformvertrag unter- (C) Haushaltsausschuss hat die Finanzplanung für das zeichnet. Dies ist ein historischer Erfolg. Die Phase der Schloss schon einmal als mangelhaft zurückgewiesen. Stagnation in Europa ist damit vorbei. Unter der deut- Das Schloss soll – nach Aussagen der Bundesregierung – schen Ratspräsidentschaft wurde ein wichtiger Schritt 480 Millionen Euro kosten. 80 Millionen Euro sollen getan, um die Europäische Union auf ein neues institutio- durch Spenden gesammelt werden. Herr Tiefensee will nelles Fundament zu stellen. nun plötzlich auch noch 72 Millionen Euro für die Erst- ausstattung des Gebäudes haben. Davon war bisher nie Dies ist ein ganz besonderes Verdienst unserer Bun- die Rede. Falls der Schlüterhof des Humboldt-Forums deskanzlerin, Frau Dr. . Zu Recht hat der überdacht werden sollte – was zunächst nicht geplant derzeitige EU-Ratspräsident, Portugals Regierungschef ist –, würden sich die Kosten sogar noch um bis zu José Sócrates, festgestellt, „dass nur wegen des Einsat- 50 Millionen Euro erhöhen. Die Gesamtkosten würden zes von Angela Merkel dieser Prozess erfolgreich war, dann sogar 600 Millionen Euro erreichen. Wir nähern die das Mandat für die Vertragsverhandlungen ausgehan- uns damit den früher einmal genannten Kosten von delt hat, ohne das alles nicht möglich gewesen wäre.“ An 670 Millionen Euro. dieser Stelle darf ich sagen, wir können stolz sein auf un- sere Bundeskanzlerin. Der Beschluss des Deutschen Bundestags vom 4. Juli 2002, die historischen Fassaden wiederherzustellen, ba- Auf Regierungskonferenzen wurden 1986 die Ein- siert auf der Zusage eines privaten Vereins, die dafür nö- heitliche Europäische Akte, 1992 der Maastricht-Ver- tigen 80 Millionen Euro durch Spenden aufzubringen. trag, 1997 der Vertrag von Amsterdam und 2001 der Dieses Versprechen wird nicht eingehalten; davon kann Vertrag von Nizza ausgearbeitet. Rein formal ist auch man mit Sicherheit ausgehen. Für die Linke ist der Be- der Vertrag von Lissabon ein solcher Änderungsvertrag. schluss des Bundestags damit ohne Grundlage und zu In der Sache wurde dadurch jedoch eine Neuausrichtung korrigieren. Die Linke lehnt die Finanzierung der Kopie und eine Neubegründung der Europäischen Union ange- der Schlossfassade aus öffentlichen Mitteln ab. Wir for- stoßen, nachdem der sogenannte Verfassungsvertrag dern die Bundesregierung auf, den Architekturwettbe- nach den Volksabstimmungen in den Niederlanden und werb für eine Untersuchung zeitgenössischer baulicher in Frankreich noch gescheitert war. Lösungen zu öffnen und von der zwingenden Vorgabe Bevor ich mich zum vorliegenden Gesetzentwurf der der Rekonstruktion der Fassaden, der Höfe und der Kup- Linken äußere, möchte ich zunächst noch fünf Punkte pel Abstand zu nehmen. Der Entwurf von David hervorheben, die deutlich machen, warum der Vertrag Chipperfield für das neue Eingangsgebäude der Mu- von Lissabon für jeden Einzelnen von uns ein Gewinn seumsinsel zeigt, zu welchen herausragenden gestalteri- ist: (B) schen Leistungen eine sensible zeitgenössische Archi- (D) tektur in der Lage ist. Erstens. Der Vertrag bringt ein Mehr an Demokratie. Einerseits werden die nationalen Parlamente früher in Die Mitglieder des Deutschen Bundestages sollten die die europäische Gesetzgebung einbezogen, andererseits Ablehnung der Bevölkerung zur Kenntnis nehmen und haben die nationalen Parlamente die Möglichkeit, die Ein- sich mehr der Zukunft, weniger der Vergangenheit zu- haltung des Subsidiaritätsprinzips zu rügen und – wenn wenden. Sie stünden an der Seite unter anderem von nötig – per Subsidiaritätsklage vom Europäischen Ge- Axel Schultes, dem Erbauer des Bandes des Bundes, richtshof überprüfen zu lassen. Auch das europäische György Konrad, Präsident der Akademie der Künste, Parlament gewinnt erheblich an Bedeutung. Das Mitent- dem sozialdemokratischen Urgestein und langjährigen scheidungsverfahren wird zum Regelfall. Europäisches Präsidenten der Bundesarchitektenkammer Peter Parlament und Rat werden damit zu weitgehend gleich- Conradi und David Chipperfield, der zur Kritik seines berechtigten Gesetzgebern. breit gerühmten Entwurfes für den Eingang zur Mu- seumsinsel sagt: „Diese Nostalgiker sehen Geschichte Zweitens. Die Zuständigkeiten der EU können über- als Hollywoodfilm und wollen eine scheinechte Wieder- sichtlicher gestaltet werden. Wie bislang auch werden herstellung – das ist heute nicht mehr glaubwürdig.“ sie in drei Kategorien eingeteilt. Zu diesen Zuständig- Wortgleich lässt sich dieses Zitat auf die Schlossfraktion keitsbereichen gibt es jeweils Zuständigkeitskataloge. In dieses Hauses beziehen. Art. 48 sieht der Vertrag erstmals ausdrücklich die Mög- lichkeit vor, Zuständigkeiten von der EU auf die Mit- gliedstaaten zurückzuübertragen. Anlage 10 Drittens. Durch das Prinzip der doppelten Mehrheit Zu Protokoll gegebene Reden werden endlich das Einstimmigkeitsprinzip auf das Not- wendige eingeschränkt und Mehrheitsentscheidungen zur Beratung des Entwurfs eines … Gesetzes begünstigt. So wird die Handlungsfähigkeit der Europäi- zur Änderung des Grundgesetzes (Tagesord- schen Union gesteigert. nungspunkt 16) Viertens. In der Gemeinsamen Außen- und Sicher- heitspolitik wird künftig die „verstärkte Zusammenar- Ingo Wellenreuther (CDU/CSU): Heute ist ein gro- beit“ einer Gruppe von Mitgliedstaaten möglich sein. ßer Tag für Deutschland, ein großer Tag für Europa und vor allem ein großer Tag für die Bürger Europas. In Lis- Fünftens. Die Einsetzung eines künftig auf zweiein- sabon wurde von den 27 Staats- und Regierungschefs halb Jahre ernannten Kommissionspräsidenten und eines Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 133. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. Dezember 2007 14035

(A) Hohen Vertreters für Außenpolitik wird mehr Kontinui- durchgeführt. Zudem wird eine Folgenabschätzung vor- (C) tät an die Spitze der Europäischen Union bringen. genommen, teilweise bewertet ein extra dafür eingerich- tetes Gremium – der Normenkontrollrat – den entstehen- All diese Veränderungen waren notwendig, um die den Zuwachs an Bürokratie. Hier zeigt sich die Europäische Union trotz massiver Veränderungen, wie institutionelle und systematische Überlegenheit der par- die Osterweiterung, funktions- und handlungsfähig zu lamentarischen Demokratie. Bei Volksentscheiden ist ein machen. solch ausgewogenes, auf Kompromissbereitschaft basie- Die Kolleginnen und Kollegen von der Fraktion Die rendes Entscheidungs- und Gesetzgebungsverfahren Linke wollen mit Ihrem Gesetzentwurf nun das Grundge- nicht möglich. setz ändern, damit per Volksentscheid über den Vertrag Bei der gestrigen Debatte hat sich einer der Vertreter von Lissabon entschieden werden kann. Was sie damit be- von der Fraktion Die Linke sogar zu der infamen Be- absichtigen, ist nur vermeintlich eine Einzelfallentschei- hauptung verstiegen, der Vertrag von Lissabon sei „hin- dung. Tatsächlich geht es hier jedoch um eine verfas- ter dem Rücken der Leute“ erstellt worden. Diese Be- sungsrechtliche und politische Grundsatzfrage, nämlich hauptung ist nicht nur sachlich falsch und geradezu ob unsere parlamentarische Demokratie in eine direkte abwegig, sondern auch bewusste Stimmungsmache. Demokratie umwandelt werden soll. Auch wenn sie Richtig ist vielmehr, dass der Vertrag von Lissabon nicht Volksentscheide nur bezüglich der vertraglichen Grund- von den Regierungen der Mitgliedstaaten in geheimen lagen der Europäischen Union einführen möchten, so Zirkeln erarbeitet wurde. Der vorliegende Reformver- hätte dies massive Auswirkungen auf die verfassungs- trag übernimmt nämlich große Teile des gescheiterten rechtliche Struktur unseres Staates. Deshalb muss diese Verfassungsvertrages. Dieser wurde in öffentlichen Sit- Frage mit großem Ernst und sachorientiert diskutiert zungen von dem Verfassungskonvent erarbeitet. Mehr- werden. Sie haben allerdings nur ein einziges Argument, heitlich war dieser Verfassungskonvent mit Vertreterin- das sie in der Sache vorbringen. Sie behaupten, dass sich nen und Vertretern der nationalen Parlamente und des eine demokratische Legitimation der EU nur dadurch Europäischen Parlaments besetzt, von denen jeder Ein- herstellen ließe, dass Bürgerinnen und Bürger durch ei- zelne demokratisch gewählt war. nen Volksentscheid über den Lissabon-Vertrag beteiligt würden. Sie sagen, dass eine Ratifikation durch den Auch im deutschen Ratifikationsverfahren wird es Bundestag, den Bundesrat und den Bundespräsidenten kein Agieren „hinter dem Rücken der Leute“ geben. nicht ausreiche. Damit fordern sie die Einführung der so- Vielmehr findet ein transparentes Verfahren im Deut- genannten direkten Demokratie. schen Bundestag statt, in dessen Rahmen zwei Lesun- gen, eine Sachverständigenanhörung und mehrere Ex- Auf den ersten Blick scheint die Forderung nach mehr pertengespräche stattfinden werden. Wie absurd die (B) (D) direkter Demokratie legitim zu sein. Befürworter von Anschuldigung ist, man wolle hinter dem Rücken der Volksentscheiden sprechen gerne von der wahren Demo- Leute agieren, zeigt sich bereits darin, dass der Vertrag kratie, unverfälscht von Parteiinteressen, Machterhalt selbst ein Mehr an Bürgerbeteiligung vorsieht. Bürger- und Lobbyismus. Diese Vorstellung kann jedoch einer nähe und Transparenz ist durch Einführung eines plebis- Überprüfung anhand von Argumenten, Fakten und Er- zitären Elementes gewährleistet. Mit einer Bürgerinitia- fahrungen nicht standhalten. Vielmehr erweist sie sich tive können Bürgerinnen und Bürger, deren Anzahl als eine – allzu romantische – Verklärung der Realität. mindestens eine Million betragen muss, die Kommission Ich sage: Die direkte Demokratie ist nicht die bessere auffordern, Vorschläge zu bestimmten Themen zu unter- Demokratie. Durch Volksabstimmungen erreichte Ent- breiten. Das Recht auf Bürgerinitiative kann auf europäi- scheidungen setzen den Willen der Bevölkerung qualita- scher Ebene konstruktiv und sinnvoll sein, wir dürfen tiv nicht besser um als Entscheidungen durch das Parla- gespannt sein, wie es sich in der Zukunft bewährt. ment. Auch bei einem Volksentscheid wird sich das Volk nie einheitlich äußern. Auch bei einem Volksentscheid Ebenso unzutreffend ist es, dass Plebiszite angeblich repräsentiert die Mehrheit das Ganze. Es gibt also auch der Europaskepsis und dem Vertrauensverlust in die Po- bei der direkten Demokratie starke Elemente der reprä- litiker entgegen wirken würden. Ich bin der festen Über- sentativen Demokratie. Die Bezeichnung der direkten zeugung, dass gerade das Gegenteil der Fall ist. Die bis- Demokratie als „wahre Demokratie“ ist verfehlt und ent- her durchgeführten Plebiszite in anderen Ländern spricht damit nicht den Tatsachen. wurden vor allem von Europagegnern für ihre Zwecke benutzt. Durch Stimmungsmache gerieten die Abstim- Außerdem ist es ein Irrglaube, dass die direkte Demo- mungen teilweise zu sogenannten Denkzetteln für die kratie zu besseren Gesetzen führt. Das Verfahren der Ge- Regierenden. Das Vertrauen in die Politik wurde da- setzgebung per Volksentscheid ist ja im Prinzip ein sehr durch mit Sicherheit nicht gestärkt. Das Vertrauen der primitives Verfahren. Der Initiator des Volksentscheides Bevölkerung können wir Politiker im Übrigen nur da- stellt eine Frage. Der Bürger hat dann lediglich die Mög- durch gewinnen, dass wir uns mehr anstrengen, besser lichkeit, mit Ja oder Nein zu antworten. Bei der parla- arbeiten und – vor allem – unsere politischen Entschei- mentarischen Demokratie ist es anders. Wir haben ein dungen besser vermitteln. Den oft bemühten Satz: „Wir „lernendes Verfahren“ – das heißt, dass grundsätzlich müssen die Menschen mitnehmen“, wollte ich eigentlich kein Gesetz den Bundestag so verlässt, wie es hineinge- nicht verwenden, im Kern drückt er aber eine der ele- gangen ist. Es gibt mehrere Lesungen, dazu kommt die mentarsten Anforderungen an politisches Handeln aus. intensive Behandlung in den Ausschüssen. Es werden Politisches Handeln muss glaubhaft, verlässlich und Sachverständigenanhörungen und Expertengespräche nachvollziehbar sein. Anders können wir der Politikver- 14036 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 133. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. Dezember 2007

(A) drossenheit nicht entgegenwirken – schon gar nicht mit europäischer Staat ein Referendum über den Reformver- (C) der Einführung von Volksentscheiden. trag durchführen. Allein aus den bisher genannten Gründen müsste dieser Das alles sind Gründe gegen eine Ausweitung der un- Gesetzentwurf abgelehnt werden. Da dieser Gesetzent- mittelbaren Demokratie und zugleich auch ein Plädoyer wurf jedoch massive Auswirkungen auf unsere verfas- für unser bewährtes parlamentarisch-repräsentatives sungsrechtliche Struktur hätte, müssen wir uns grundsätz- System. lich mit der Frage der Sinn- und Zweckmäßigkeit der Die Kolleginnen und Kollegen von der Fraktion Die Einführung von Volksentscheiden befassen. Das hat den Linke wollen eine Verfassung ändern, die über 50 Jahre Deutschen Bundestag auch schon mehrfach beschäftigt. Demokratie und Stabilität in Deutschland gewährleistet Gemeinsam ist jedoch allen bisherigen Initiativen, dass hat. Dazu sage ich Nein. Nein, weil das Grundgesetz als keine die nötige Mehrheit im Parlament gefunden hat. bewährtes Fundament unser freiheitlich-demokratischen Sie alle sind gescheitert. Gescheitert – weil zu viele gute Grundordnung nur geändert werden sollte, wenn dies Gründe gegen die Einführung von Volksentscheiden aus zwingenden Gründen unumgänglich ist. Ausdruck sprechen! Drei Gründe möchte ich nennen: dessen sind ja auch die hohen Hürden, die einer Verfas- Der erste Grund gegen Plebiszite sind die immer sungsänderung entgegenstehen. Solche zwingenden komplexer werdenden Fragestellungen unserer pluralis- Gründe kann ich aber nicht erkennen. Weder heute noch tischen Gesellschaft. Gerade der EU-Reformvertrag ist in den Debatten der vergangenen Jahre wurde überzeu- derart komplex und umfangreich, dass man wohl kaum gend dargelegt, warum wir auf Bundesebene mehr einen Bürger finden wird, der den gesamten Vertragstext Volksentscheide brauchen. gelesen hat. Die Erfahrungen aus Frankreich und den Niederlan- Der zweite Grund liegt darin, dass Plebiszite die ver- den zeigen uns nur allzu deutlich, wie leicht ein Volks- fassungsrechtlich garantierte, föderale Grundstruktur un- entscheid zum Ventil für eine bestehende allgemeine Un- seres Staates beeinträchtigen. Unser Grundgesetz ist zufriedenheit werden kann. Insbesondere Populisten keine Aneinanderreihung von einzelnen Regelungen, möchten das Plebiszit als Vehikel für ihre primitiven Pa- vielmehr ist es ein äußerst ausgeklügeltes System von rolen nutzen. Dies zeigten gestern auch die gespensti- „checks and balances“. Durch Einführung eines Volks- schen Tumulte bei der Proklamation der Grundrechte- entscheides würden vor allem die Mitentscheidungs- Charta in Straßburg. Vornehmlich Störenfriede und Ab- rechte der Länder stark eingeschränkt und unser histo- geordnete vom rechten politischen Rand störten die Ze- risch gewachsener Föderalismus beschädigt. remonie. Die Proklamation wurde durch Sprechchöre mit dem Ruf „Referendum“ übertönt. Diese Szenen erin- (B) Drittens schlägt bei Volksabstimmungen häufig die nern schmerzhaft an das Niederschreien des Parlamentes (D) Stunde der Populisten. Populisten, die bei normalen in der Endphase der Weimarer Republik. Wahlen keinerlei Chancen hätten, könnten sich profilie- ren, indem sie bestehende Ängste schüren und einfache Das Plebiszit ist eine große Bühne für einfache Bot- Lösungen anbieten. Populismus, Stimmungsmache und schaften. Den gestiegenen Anforderungen einer effekti- schlagwortartige Parolen können die Entscheidung über ven Gesetzgebung im modernen Europa des 21. Jahr- Sachfragen zum unsachlichen Abstimmungskampf de- hunderts wird es nicht gerecht! gradieren. Lassen Sie mich hier nur zwei Beispiele an- führen: Michael Roth (Heringen) (SPD): Vor mehr als zwei In Frankreich geriet bekanntermaßen die Abstim- Jahren debattierten wir im Bundestag schon einmal über mung über den Verfassungsvertrag zu einer Abstrafung die Ratifizierung des Verfassungsvertrages der EU. der Regierung Chirac. Die Franzosen machten so ihrem Auch damals gab es Forderungen, die Bürgerinnen und Unmut über die Regierungsführung Luft. Bürger direkt entscheiden zu lassen. Zwischenzeitlich liegt uns der Vertrag von Lissabon vor, der die Substanz Das Nein der Niederlande zum Verfassungsvertrag des ursprünglichen Verfassungsvertrages bewahrt. Wir war Ausdruck der Unzufriedenheit der Bevölkerung mit haben uns darüber immer wieder intensiv auch hier im der Lastenteilung innerhalb der EU sowie massiver Vor- Plenum ausgetauscht. Nichts geändert hat sich hingegen behalte gegen die EU-Erweiterung. an den Chancen, plebiszitäre Elemente in unserem Grundgesetz auszuweiten. Ich möchte es mit Pat Cox, dem ehemaligen liberalen Präsidenten des Europäischen Parlamentes, sagen: „Es Die SPD befürwortet direkte Demokratie. Dafür wer- geht bei Volksabstimmungen um alles, nur nicht um die ben wir seit vielen Jahren. Gerade bei Entscheidungen Frage, die gestellt wurde.“ Auch die Kolleginnen und über die Grundlagen unserer Demokratie und unseres Kollegen von der Fraktion Die Linke können diese Tat- Staates, bei wichtigen Sachfragen wollen wir die Bürge- sachen nicht ignorieren. Wer das Grundgesetz in dieser rinnen und Bürgern stärker beteiligen. Wir haben in vie- Richtung ändern möchte, darf die Augen nicht vor der len Ländern und auf lokaler Ebene damit durchaus gute Realität verschließen. Erfahrungen gemacht. Lassen Sie uns aus diesen gescheiterten Referenden Für die Ratifizierung völkerrechtlicher Verträge – dazu unsere Lehren ziehen. Deutschland braucht kein Refe- zählt auch der Vertrag von Lissabon – sieht das Grund- rendum über den Reformvertrag. Wir brauchen keinen gesetz ein parlamentarisches Verfahren vor. Für die An- deutschen Sonderweg. Außer Irland wird kein anderer nahme des Vertrages von Lissabon ist eine Zweidrittel- Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 133. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. Dezember 2007 14037

(A) mehrheit in Bundestag und Bundesrat notwendig. Dieses kratischen Europas haben Sie bislang einen Bärendienst (C) parlamentarische Verfahren ist Teil unserer bewährten erwiesen. Davon zeugt auch der vorliegende Antrag. Verfassungswirklichkeit und Staatspraxis. Damit sind unsere Entscheidungen nicht weniger legitimiert als Florian Toncar (FDP): Am 16. Dezember 2007 wer- durch Volksentscheide. den die Staats- und Regierungschefs der EU-Mitglied- Voraussetzung für ein Referendum auf Bundesebene staaten in Lissabon den EU-Reformvertrag feierlich un- ist nach gegenwärtiger Rechtslage eine Änderung des terzeichnen. Dieser soll bis Ende 2008 von allen Grundgesetzes. Die dafür notwendige Zweidrittelmehr- Unterzeichnerstaaten ratifiziert werden. Falls dies ge- heit ist weder im Bundestag noch im Bundesrat auf ab- lingt, kann die für das Jahr 2009 angesetzte Neuwahl sehbare Zeit in Sicht. Ich bedauere dies. Ich halte es aber zum Europäischen Parlament bereits nach den im Ver- für durchaus gerechtfertigt, über das Für und Wider von tragswerk enthaltenen neuen Regelungen erfolgen. plebiszitären Elementen im Grundgesetz zu streiten. Wir Inhaltlich bringt der EU-Reformvertrag eine Reihe sollten uns als Abgeordnete schließlich nicht den positiver Neuerungen. So wird die demokratische Legiti- Schneid abkaufen lassen. mation der EU durch eine deutliche Stärkung des Euro- päischen Parlaments verbessert. Künftig wird das Mitbe- Den vorliegenden Gesetzesentwurf der Linken lehnt stimmungsverfahren in den meisten politischen Fragen meine Fraktion ab. Und wenn die Autoren dieses Ge- zur Regel werden. Die Subsidiaritätsklausel ermöglicht setzentwurfes ehrlich wären, müssten Sie zugeben, dass es künftig den nationalen Parlamenten, bereits im Vor- es Ihnen in erster Linie gar nicht um mehr Bürgerbeteili- feld Vorbehalte gegen gesetzgeberische Vorhaben der gung geht. Im Vordergrund Ihrer Bemühungen steht der EU-Kommission zu äußern. Dies stärkt die parlamenta- Versuch, den Vertrag von Lissabon zu Fall zu bringen. rische Mitwirkung der nationalen Parlamente und somit Hierfür kämpfen Sie mit zum Teil bedenklichen Mitteln die demokratische Legitimation der EU insgesamt. Die und inakzeptablen Argumenten seit Jahren. Charta der Grundrechte wird Rechtsverbindlichkeit er- Während der gesamten Debatte über die Zukunft des langen, was die Rechte der einzelnen EU-Bürger auf Verfassungsvertrages haben Sie aus ihrer Ablehnung eine neue solide Grundlage stellt. Die außenpolitische keinen Hehl gemacht. Über manchen Punkt des neuen Handlungsfähigkeit der EU wird spürbar verbessert, in- Vertrags lässt sich trefflich streiten. Sie haben jedoch dem die Ämter des Hohen „Beauftragten“ des Rates und keine Gelegenheit versäumt, um Unwahrheiten und Ver- des Außenkommissars durch dieselbe Person wahrge- schwörungstheorien über den Verfassungsvertrag in Um- nommen werden. Die Einführung der doppelten Mehr- lauf zu bringen. Und nie haben sie auch nur ansatzweise heit trägt dafür Sorge, die Stimmgewichtung zwischen den Mitgliedstaaten auf eine Weise neu zu ordnen, die (B) einen positiven Beitrag zu der Debatte geleistet, wie wir (D) Europa sozialer, transparenter und demokratischer ge- einerseits die kleineren Staaten vor dem politischen stalten können. Übergewicht der bevölkerungsreichen Staaten schützt und andererseits die demokratische Repräsentanz in den Ihre Ablehnung basiert auf einer ganzen Reihe von größeren Staaten verbessert, indem das Stimmgewicht fatalen Irrtümern. Das gilt für die von Ihnen unterstellte der Bürger in den größeren EU-Staaten dem Stimmge- Militarisierung ebenso wie für Ihre Behauptung, der Ver- wicht der EU-Bürger in den kleineren Staaten etwas an- fassungsvertrag sei unsozial. Im Gegenteil: Mit dem genähert wurde. Hier ist ein guter Ausgleich der Interes- Vertrag von Lissabon wird die EU als Friedensmacht ge- sen gelungen. stärkt. Er umfasst mehr soziale Rechte als unser Grund- Dies sind nur einige der wichtigsten Neuerungen, die gesetz. Er bekennt sich klar und deutlich zur Solidarität. der EU-Reformvertrag mit sich bringt. Auch wenn 2005 habe ich mich für ein Referendum über den Ver- längst nicht alle politischen Wünsche erfüllt werden fassungsvertrag ausgesprochen. Auch heute noch bin ich konnten, so bedeutet der Vertrag einen Fortschritt für überzeugt: Ein Referendum wäre eine ausgezeichnete den europäischen Einigungsprozess. Er stellt sicher, dass Gelegenheit, umfassend für den neuen Vertrag zu wer- auch die zuletzt stark gewachsene EU künftig weiterhin ben und eine breite gesellschaftliche Debatte über die handlungsfähig bleibt. In der Summe steht die FDP dem europäische Integration anzustoßen. Die dafür notwen- EU-Reformvertrag daher offen und positiv gegenüber. dige Zweidrittelmehrheit ist jedoch weder im Bundestag Der von der Linksfraktion vorgelegte Antrag will so- noch im Bundesrat gegeben. Vorstöße in der vergange- wohl die Ratifikation des EU-Reformvertrags als auch nen Legislaturperiode scheiterten maßgeblich an der jede weitere EU-Vertragsänderung unter den Vorbehalt CDU/CSU. Daran wird auch Ihre fadenscheinige Initia- eines Volksentscheids in Deutschland stellen. Diesen tive nichts ändern. Ein gesetzgeberischer Schnellschuss Vorstoß lehnen wir ab. brächte uns nicht weiter. Zum einen ist es verfassungsrechtlich nicht möglich, Dennoch stehen wir in der Pflicht, im Rahmen der dass bei einem solchen Volksentscheid alle Personen ab- parlamentarischen Befassung die Öffentlichkeit umfas- stimmen dürften, die bei Wahlen zum Europäischen Par- send zu informieren und den Dialog mit den Bürgerin- lament wahlberechtigt sind, wie es die Linke fordert. nen und Bürgern zu suchen. Hier erwarte ich mir von Diese Gruppe würde auch in Deutschland lebende EU- den Kolleginnen und Kollegen der Linksfraktion sub- Ausländer umfassen. Dabei verkennt dieser Ansatz der stanziellere, kreativere und fairere Beiträge als in der Linken, dass es sich bei dem EU-Reformvertrag wie Vergangenheit. Dem Projekt eines sozialen und demo- auch bei vorangegangenen EU-Verträgen um völker- 14038 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 133. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. Dezember 2007

(A) rechtliche Akte des Nationalstaats Deutschland handelt die Schaffung einer Möglichkeit, eine destruktive Dis- (C) und nicht um die Wahl zu einer Institution der Europäi- kussion gegen den EU-Reformvertrag zu führen. So schen Union. Personen, die keine deutschen Staatsange- wollen sie antieuropäische Reflexe mit konstruierten Ar- hörigen sind, können wegen Art. 20 Abs. 2 in Verbin- gumenten bedienen. Da macht die FDP nicht mit. Wir dung mit Art. 79 III GG nicht über völkerrechtliche lehnen den vorgelegten Gesetzesentwurf daher aus ver- Rechtsakte des deutschen Nationalstaats abstimmen. fassungsrechtlichen wie politischen Gründen ab. Das ist rechtlich etwas komplett anderes als die durch Art. 19 EG-Vertrag bzw. Art. 28 GG vorgesehene Be- Alexander Ulrich (DIE LINKE): Manchmal sagen rechtigung von Unionsbürgern zur Wahl zu EG-Organen Bilder mehr als tausend Worte: Heute reiste die gesamte bzw. Körperschaften der kommunalen Selbstverwaltung. Entourage der europäischen Staats- und Regierungschefs Der Antrag der Fraktion Die Linke verstößt daher offen- nach Lissabon, um den Reformvertrag zu unterzeichnen. kundig gegen das Grundgesetz. Danach hoben sie ganz klimafreundlich, natürlich je- Eine Volksabstimmung über den EU-Reformvertrag weils in einem Flugzeug, nach Brüssel zum EU-Gipfel ist aber auch nicht angezeigt, weil es sich um einen ge- ab. wöhnlichen völkerrechtlichen Vertrag handelt, der die Stil und Inhalt der Europapolitik stimmen überein: bestehenden Verträge lediglich modifiziert. In seiner Sie haben jedes Gefühl dafür verloren, was die Men- Qualität geht er nicht über andere Änderungsverträge schen in Europa bewegt. Sie feiern sich selbst und ver- wie Maastricht, Amsterdam oder Nizza hinaus. Für die gessen darüber, was die Menschen in Europa von der EU Revision existierender Verträge sind der Deutsche Bun- erwarten. Dass wir um diese späte Uhrzeit über Volksab- destag und der Bundesrat als demokratisch legitimierte stimmungen sprechen, zeigt ihr gestörtes Verhältnis zur Gremien die richtige Instanz. Bevölkerung. Die Linke, hat an anderer Stelle bereits Die FDP hat sich 2003 für einen Volksentscheid zur darauf hingewiesen, warum wir den vorliegenden Ver- Ratifikation der europäischen Verfassung ausgespro- tragsentwurf für europafeindlich halten. Er ist militaris- chen. Diese Verfassung, so wie sie ursprünglich ange- tisch, denn der Vertrag löst die strenge Bindung an die dacht war, hätte eine neue Qualität der Souveränitäts- UN-Charta auf und gebietet die ständige Verbesserung übertragung an die Europäische Union bedeutet, die eine der militärischen Kapazitäten. breite Legitimierung durch einen Volksentscheid erfor- Der Vertrag schreibt eine gescheiterte Wirtschaftspo- dert hätte. Der jetzige EU-Reformvertrag bleibt in seiner litik fest. Preisstabilität genießt Vorrang vor Wachstum Rechtsqualität deutlich hinter der geplanten Verfassung und Beschäftigung und zementiert damit eine internatio- zurück. Er bewirkt lediglich eine Modifikation bestehen- nal unübliche Geldpolitik. Wer die Preise stabil halten der Verträge und schafft eben kein einheitliches Doku- (B) möchte, sollte eine effektive europäische Regulierungs- (D) ment mit dem Charakter einer Verfassung. Dies wird behörde schaffen und die Infrastruktur monopolistischer umso deutlicher, als die Charta der Grundrechte dem Industrien, etwa der Energienetze, in öffentliche Hand Vertrag lediglich angefügt wurde, anstatt sie dem Vertrag überführen, Der Vertrag verhindert dies mit seiner Fest- voranzustellen. Auf mit dem Begriff Verfassung verbun- legung auf einen unverfälschten Wettbewerb, der aber dene Symbole wie beispielsweise die Flagge oder die genau in diesen Bereichen nicht möglich ist. Die Da- Hymne wurde verzichtet. Der EU-Reformvertrag stellt seinsvorsorge in den Mitgliedstaaten ist auch im vorlie- also nicht den Abschluss einer Entwicklung hin zu einer genden Entwurf nicht gesichert. europäischen Verfassung dar, sondern ist nur ein weite- rer Zwischenschritt. Daher erfordert seine Ratifikation Der Vertrag bricht mit den Lehren aus der europäi- aus unserer Sicht keine Volksabstimmung. schen Geschichte. Eine Lehre aus der europäischen Ge- schichte war die Unteilbarkeit der politischen und der Ich möchte unterstreichen, dass die FDP mit dieser sozialen Rechte. Den Sozialstaat durch wettbewerbsfä- Einschätzung in Europa nicht alleine steht. Im Gegen- hige soziale Marktwirtschaft zu ersetzen, beerdigt das teil: Bisher hat nur Irland erklärt, ein Referendum abhal- europäische Wirtschafts- und Sozialmodell und ist ten zu wollen. Zahlreiche Staaten, die über die europäi- grundgesetzwidrig. Sie demonstrieren damit ein ähnli- sche Verfassung ein Referendum abgehalten haben oder ches Verhältnis zum Sozialstaat wie China zum Rechts- dies vorhatten, haben bereits erklärt, bei der Ratifikation staat. dieses EU-Reformvertrags darauf verzichten zu wollen. Dies gilt beispielsweise für Frankreich, Dänemark und Die wenigen demokratischen Fortschritte des Vertra- Großbritannien. ges werden bei weitem nicht der Bedeutung der EU ge- recht. 80 Prozent aller nationalen Gesetzesvorhaben Fest steht jedoch: Sollte es künftig einmal in der EU werden von der EU beeinflusst. Doch das Europäische einen weiteren Anlauf zur Verabschiedung einer echten Parlament kann immer noch keine eigenen Gesetzesini- europäischen Verfassung geben, wird die FDP sich auch tiativen verabschieden. Der Doppelhut des europäischen weiterhin für einen Volksentscheid einsetzen. Außenministers behindert eine demokratische Kontrolle Im Übrigen darf man an dieser Stelle nicht verschwei- der europäischen Außenpolitik. gen, was die eigentliche Absicht der Linken hinter dieser Sie beschädigen mit Ihrer Politik die europäische Initiative ist. Ihr Plan ist es, ein solches Plebiszit zu Glaubwürdigkeit. Sie ermahnen in Sonntagsreden gerne missbrauchen, um mit plumpen Parolen gegen das Ver- andere Staaten zur Einhaltung der Menschenrechte. Sie tragswerk Polemik machen zu können. Es geht ihnen beklagen zu Recht unfaire Wahlen in Russland und kriti- weniger um ein faires demokratisches Verfahren als um sieren Hugo Chavez. In Venezuela hatten die Menschen Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 133. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. Dezember 2007 14039

(A) aber Gelegenheit, über ihre Verfassung abzustimmen Minimum abgesenkt. Sie wollen ja bereits die Abstim- (C) und sie abzulehnen. mung über einen im Bundestag in jedem Fall als Zustim- mungsgesetz zu beschließenden völkerrechtlichen Ver- In Europa verweigert man den Menschen eine Verfas- trag, wie es der Reformvertrag sein wird. Warum also sung, wenn sie mit dem Inhalt nicht einverstanden sind. dieser neue Antrag? Die Antwort ist wie immer bei Ih- Man wirft alles aus dem Vertrag, was den Menschen et- nen genauso simpel wie die Frage. Sie wollen eine Ab- was bedeutet: die Hymne, die Fahne, das Wort Verfas- stimmung, um den Reformvertrag zu verhindern. Das sung. Dann packt man den Inhalt, den die Menschen ab- aber wollen wir nicht. Wir stehen zu Europa. Wir haben lehnen, wieder hinein. Zum Schluss werden die Kritik an Einzelpunkten. Darüber ist zu reden. Aber eine Menschen, außer in Irland, nicht mehr gefragt. Ist das Anti-Europa-Kampagne gibt es mit uns nicht. der Höhepunkt der europäischen Demokratie? Mit Ihrem Antrag finden sie sich wieder in einer Eine Verfassung muss offen sein für den zukünftigen Reihe mit den Populisten dieses Landes, die von Willen der Europäerinnen. Sie darf nicht das Programm Maastricht bis zum Euro gegen jede Neuerung in der EU meiner oder irgendeiner anderen Partei abbilden. Dass in den Parlamenten und vor dem Bundesverfassungsge- Sie die Menschen darüber nicht entscheiden lassen, richt gewettert haben. Die Herren Gauweiler, zeigt, dass Sie Angst vor den Menschen haben. Schachtschneider, Kirchoff werden es Ihnen danken – In noch einem Punkt stimmen Form und Inhalt über- auch die FDP, die schon einmal einen ähnlichen Vor- ein: Bis heute gibt es keinen öffentlich zugänglichen, schlag unterbreitet hat, aber unbedingt einen Außen- lesbaren Vertrag. minister Westerwelle stellen will. Herzlichen Glück- wunsch zu dieser Art von großer Opposition. Wir sind die einzige Fraktion im Deutschen Bundes- tag die an einer Verfassung für Europa festhält. Wir sind Das Ziel Ihres Antrages zeigt auch, dass sie den Sinn die einzige Fraktion, die möchte, dass die Menschen und Zweck von Plebisziten nicht verstanden haben. Die wissen, was in Europa entschieden wird. Gemeinsam mit Bürgerinnen und Bürger fragt man nicht nur dann, wenn unseren Partnern in der Europäischen Linkspartei for- es einem passt. Ein Plebiszit ist nicht nur ein anderes dern wir Volksabstimmungen über diesen Vertrag in Eu- Mittel, um fehlende parlamentarische Mehrheiten zu er- ropa. setzen. Wir wollen Plebiszite aus Überzeugung und nicht aus strategischen Gründen. Gerade haben wir in Berlin Wir laden SPD und Grüne dazu ein, gemeinsam mit einen Volksentscheid verloren. Aber das Verlierenkön- der Linken mehr Demokratie zu wagen. Wenn Sie es nen gehört zur Demokratie dazu. Wichtiger ist uns, dass ernst meinen mit Europa, stimmen Sie der notwendigen Politik wieder auf eine breite Grundlage gestellt wird. Ergänzung des Grundgesetzes und unserem Antrag zu. Sich dafür den Reformvertrag herauszusuchen, um eine (B) (D) Die Linke sagt der Bundesregierung mit den Worten große Anti-Europa-Volksfront zu schmieden, ist wie eines großen Lyrikers: Wenn der Regierung das Volk häufig bei Ihnen blanker Populismus. nicht passt, soll sie sich ein neues Volk wählen. Es ist auch nicht so, dass die Europäische Union un- demokratisch verfasst wäre, wie das in ihrem Antrag Wolfgang Wieland (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): durchschimmert. Die Europäische Union ist ein Er- Wir beraten heute erneut über das Thema der Einführung folgsprojekt, und gerade dieser Reformvertrag bringt uns von Volksentscheiden und Volksbegehren in das Grund- mit der Grundrechtecharta ein Mehr an Rechten für die gesetz. Es ist das zweite Mal in dieser Wahlperiode, und Bürgerinnen und Bürger. Er bringt auch dem Europäi- über dieses Thema muss so lange geredet werden, bis schen Parlament mehr an Kompetenzen. Umgekehrt auch die Union verstanden hat, dass man seinen Wähle- sollten Sie bei den Standards, die Sie an die Legitimation rinnen und Wählern vertrauen muss. Wir und die ande- der Europäischen Union anlegen, schwere Sorgen um ren Oppositionsparteien haben dazu Vorschläge unter- ihre eigene innerparteiliche Legitimation haben – in breitet. Die kann man nebeneinanderlegen. Da gibt es Ländern wie Hessen beispielsweise. gewisse Unterschiede etwa bei den Quoren, die für die Einleitung eines Volksentscheides und für die Festellung Haben Sie sich umgekehrt einmal überlegt, was die der Mehrheit notwendig sind. Aber in der Sache sind wir Folgen eines weiteren Rückschlages für die Europäische uns einig. Wir wollen nach den sehr guten Erfahrungen Union wäre? Meinen Sie, dass wir nach einem geschei- auf Landesebene auch im Bund die Bürgerinnen und terten Referendum einfach so in den warmen Schoß des Bürger aktiv in die Politik einbeziehen. Die Argumente, Nationalstaates zurückfallen? Es muss Ihnen doch auf- die auch heute wieder dagegen vorgetragen worden sind, gefallen sein, dass die Mitgliedstaaten der Europäischen entspringen übersteigerten Angstfantasien. Berlin ist Union beispielsweise im Bereich der inneren Sicherheit nicht Weimar. längst versuchen, an der parlamentarischen Kontrolle durch das Europäische Parlament vorbei Abkommen wie Jetzt zum Vorschlag der Linken. Sie stellen einen den Vertrag von Prüm zu schließen. Sie sollten sich be- neuen Antrag, um eine Volksabstimmung allein über den mühen, die europäische Integration zu vertiefen, statt sie EU-Reformvertrag zu ermöglichen. Das wäre nicht nötig zu torpedieren. gewesen. Ihr alter Antrag war doch schon so ein schöner, von den lobenswerten Initiativen für mehr direkte De- Ich fasse zusammen: Wir sind für Volksentscheide, mokratie abgeschriebener Best-of-Katalog. Darin haben notfalls auch über den Reformvertrag, wenn das Grund- Sie alle Beschränkungen, über die man reden muss, gesetz insgesamt geändert wird. Eine Ad-hoc-Volksab- wenn man das Instrument seriös einsetzen will, auf ein stimmung über den Reformvertrag lehnen wir aber ab. 14040 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 133. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. Dezember 2007

(A) Anlage 11 den Ankauf von Pflanzenschutzmitteln vermitteln, ein- (C) geführt wird. Zu Protokoll gegebene Reden Im Laufe des parlamentarischen Prozesses fanden zur Beratung: umfangreiche Beratungen statt. Im Rahmen dieser Ge- – Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des spräche wurden mehrere Änderungen des Entwurfes im Pflanzenschutzgesetzes und des BVL-Gesetzes Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Verbrau- cherschutz angenommen. Der Gesetzentwurf trägt dem – Antrag: Schutz vor Pflanzenschutzmittel- Urteil des EuGH Rechnung, indem die Verbote und Be- rückständen in Lebensmitteln verstärken schränkungen der Art. 12 und 13 der FFH-Richtlinie zum Schutz gefährdeter Arten nun explizit in § 6 Abs. 1 (Tagesordnungspunkt 19 a und b) des Pflanzenschutzgesetzes aufgenommen werden. In Ergänzung dazu wird § 6 Abs. 3 dahin gehend geändert, Dr. Peter Jahr (CDU/ CSU): Mit dem Entwurf eines dass es Möglichkeiten zur Erteilung von Ausnahmerege- Gesetzes zur Änderung des Pflanzenschutzgesetzes und lungen von den Geboten des § 6 Abs. 1 gibt. Mit der des BVL-Gesetzes werden diese an aktuelle Rechtspre- Formulierung des § 6, der sich eng an den Wortlaut der chungen und fachliche Erfordernisse der neueren Zeit Richtlinie anlehnt, können weitere Probleme wegen angepasst. Da die letzte Änderung des Pflanzenschutz- nicht ausreichender Umsetzung vermieden werden. gesetzes aus dem Jahre 1998 stammt und auf die Umset- zung der Richtlinie 91/414/EWG über das Inverkehr- Um die Belastungen für die Praxis in Grenzen zu hal- bringen von Pflanzenschutzmitteln zurückgeht, sind ten, werden gleichzeitig die von der Europäischen Kom- verschiedene Regeln des Gesetzes nicht mehr aktuell mission akzeptierten Interpretationsspielräume genutzt. und bedürfen der Änderung. So wird beispielsweise bei den besonders geschützten Arten auf die lokale Population abgestellt und nicht auf Im Januar 2006 hat unter anderem der Europäische das einzelne Exemplar. Gemäß. § 6 Abs. 1 Satz 4 liegt Gerichtshof in der Rechtssache C-98/03 festgestellt, dass eine erhebliche Störung nur dann vor, wenn sich der Er- die Formulierung in § 6 Abs. 1 des Pflanzenschutzgeset- haltungszustand der geschützten Art verschlechtert, also zes ergänzt werden muss, um klarzustellen, dass auch der Fortbestand der lokalen Population gefährdet ist. der Schutz der besonders geschützten Tier- und Pflan- Dies wird bei der praktischen Anwendung zu einer er- zenarten nach den Art. 12 und 13 der Richtlinie 92/43/ heblichen Erleichterung führen. EWG erfasst wird. Um die festgestellte Vertragsverlet- zung zu beheben, ist daher eine Ergänzung des § 6 Weitere Punkte im Entwurf sind die Einführung einer Abs. 1 nötig. Aus diesem Grund ist eine Beschlussfas- Entsorgungspflicht für verbotene Pflanzenschutzmittel, (B) sung des Deutschen Bundestages noch in diesem Jahr die Straffung des Zulassungsverfahrens für Pflanzen- (D) unumgänglich. schutzmittel durch die Einführung von bestimmten zeit- lichen Fristen und die Ergänzung der Regeln zu Parallel- Eine Notwendigkeit der Änderung ergibt sich auch importen zum Schutz gegen Missbrauch. Des Weiteren aus der Tatsache, dass das Pflanzenschutzgesetz keine wird der Umgang mit Saatgut, das mit Pflanzenschutz- konkreten Bestimmungen über die Aufzeichnungen der mitteln behandelt wurde, neu geregelt. Anwendung von Pflanzenschutzmitteln nach Maßgabe Ein großer Streitpunkt war allerdings die konkrete des landwirtschaftlichen Fachrechts in der Landwirtschaft Ausgestaltung von Regelungen der Aufzeichnungs- und enthält. Anderseits sieht das Bundesnaturschutzgesetz in Berichtspflichten. § 6 Abs. 4 (neu) des Gesetzentwurfes § 5 Abs. 4 eine schlagbezogene Aufzeichnungspflicht vor. sieht vor, dass künftig bei der Anwendung von Pflanzen- Dazu kommt, dass auch die Verordnungen (EG) Nr. 852/ schutzmitteln in einem Betrieb der Landwirtschaft, 2004 und (EG) Nr. 183/2005 festlegen, dass Lebens- und Forstwirtschaft und des Gartenbaus Aufzeichnungen zu Futtermittelunternehmer Buch über die Verwendung von führen sind. Dabei müssen der Name des Anwenders, Pflanzenschutzmitteln führen müssen. Um eine einheit- das Anwendungsdatum, die jeweilige Anwendungsflä- liche und kontrollierbare Regelung für alle Anwender che, das Anwendungsgebiet, das Pflanzenschutzmittel von Pflanzenschutzmitteln zu erreichen, ist die Festle- und die Aufwendungsmenge aufgezeichnet werden. Die gung von allgemeinen Regelungen über die Aufzeich- Aufbewahrungsfrist der Aufzeichnungen wird auf zwei nungspflicht in das Pflanzenschutzgesetz sinnvoll. Jahre verkürzt. Weitere Änderungen betreffen das Verfahren zur Zu- Die Umsetzung im Rahmen von Cross Compliance lassung von Pflanzenschutzmitteln und die sogenannten wird praxisorientiert erfolgen. Die derzeitigen Regelun- Vertriebserweiterungen. Im Gesetzentwurf wird ein ge- gen sollen im Jahr 2008 nicht verändert werden, um den nauer zeitlicher Ablauf für die Behörden festgelegt, die Landwirten die Möglichkeit zu geben sich auf die Anfor- an dem Verfahren der Zulassung von Pflanzenschutzmit- derungen der Aufzeichnungen einzustellen. An den Auf- teln beteiligt sind, um eine ordnungsgemäße Bear- zeichnungspflichten wird allerdings vor allem kritisiert, beitung der Verfahren zu bewerkstelligen. Vertriebs- dass sie zu doppelten Aufzeichnungspflichten führen vereinbarungen stellen Vereinbarungen zwischen einem könnten. Zulassungsinhaber und einem Dritten dar, die es diesem gestatten, ein Pflanzenschutzmittel des Zulassungsinha- Ich bin sehr dankbar dafür, dass sich die Fraktionen bers unter einer anderen Bezeichnung in Verkehr zu von CDU/CSU und SPD im Ausschuss für Ernährung, bringen. Das Ziel effizienter Kontrollen macht es not- Landwirtschaft und Verbraucherschutz auf eine Erklä- wendig, dass eine Anzeigepflicht für Unternehmer, die rung zu diesem Gesetzesentwurf einigen konnten (Aus- Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 133. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. Dezember 2007 14041

(A) schussdrucksache 16 (10) 699). Auf diese Erklärung zur richtig auch die Auflagen und Einschränkungen für die (C) Klarstellung des Gewollten möchte ich an dieser Stelle Nutzung, um den Erhaltungszustand der lokalen Popula- besonders eingehen. tion zu gewährleisten. Um den reibungslosen Betrieb der Landwirtschaft zu sichern, wurden mit vorliegendem Ge- In der Erklärung wird festgestellt, dass erstens mit setz Interpretationsspielräume mit Augenmaß genutzt, den in § 6 Abs. 4 (neu) gesetzlich verankerten Aufzeich- sodass wir Rechtssicherheit mit Schutz der Güter verbin- nungspflichten keine neue Aufzeichnungspflicht einge- den. führt wird, sondern verschiedene, bereits bestehende Rechtsvorschriften im Fachgesetz zusammengeführt und Weitere Punkte des Gesetzes sind verschiedene Vor- klar, einheitlich und abschließend geregelt werden; schriften zur Einführung von Entsorgungspflichten für zweitens mit den in § 6 Abs. 4 (neu) gesetzlich veranker- verbotene Pflanzenschutzmittel, zur Straffung des Zulas- ten Aufzeichnungspflichten kein zusätzlicher bürokrati- sungsverfahrens, Ergänzungen zur Handhabung von Par- scher Aufwand durch eine doppelte Aufzeichnungs- allelimporten. pflicht für die Landwirtschaft entsteht, da sie bereits bestehende Vorschriften mit abdecken; drittens es Wille Als wichtigen Wegbereiter für eine Anpassung der des Ausschusses ist, dass beim Vollzug des § 6 Abs. 4 Anwendungsbestimmungen geben wir der Bundesregie- (neu) im Regelfall die EU-rechtlichen Sanktionen be- rung eine Verordnungsermächtigung, die dahin gehend rücksichtigt und vernünftig und angemessen vollzogen zu nutzen ist, dass bei Erhalt des Schutzniveaus für An- werden und viertens infolgedessen die in Nr. 3 genann- wender, Verbraucher und Umwelt der Auflagendschun- ten Sanktionen erst erfolgen sollen, wenn es sich um ei- gel gelichtet wird und Vorschriften verschlankt werden. nen erheblichen oder vorsätzlichen Verstoß gegen die Wir wollen Anwendungsbestimmungen, die verstanden Aufzeichnungspflichten handelt oder wenn einer be- werden können und die aus ihrer eigenen Logik heraus hördlichen Anordnung zur Nachbesserung nicht Folge Akzeptanz beim Anwender schaffen. Als Basis hierfür geleistet wird. ist die Probabilistik eine wesentliche Grundlage, die von den Fachbehörden im Einklang mit den Wirtschaftsbe- Damit ist festzuhalten, dass keine weitere bürokrati- teiligten und unter Beteiligung der Interessenvertretun- sche Belastung für die Landwirte entsteht und somit den gen entwickelt wurde. Ich habe große Erwartungen an Bedenken der CDU/CSU- Bundestagsfraktion Rechnung die Häuser der Bundesminister Horst Seehofer und getragen worden ist. Sigmar Gabriel und ihre nachgeordneten Behörden, dass Gestatten Sie abschließend noch ein paar wenige Be- wir einen Systemwechsel bei den Anwendungsbestim- merkungen an unsere Landwirte. Ich weiß, dass viele mungen zeitnah erwarten dürfen. Nur so vermeiden wir landwirtschaftliche Unternehmen mit dem vorliegendem Unmut und damit das Gegenteil dessen, was wir anstre- ben: Pflanzen- und Umweltschutz miteinander zu ver- (B) Gesetzentwurf vor allem verschärfte bürokratische Auf- (D) lagen für ihre Unternehmen verbinden. Es wird an uns binden. liegen, meine sehr verehrten Damen und Herren, in der Nicht zuletzt möchte ich auf die Aufzeichnungs- konkreten Umsetzung des Gesetzes, im konkreten Han- pflichten eingehen, die wir mit vorliegendem Gesetz ge- deln unsere Landwirte vom Gegenteil zu überzeugen. setzlich verankern. Ich betone „gesetzlich verankern“, Ich bitte um die Annahme der Beschlussempfehlung denn untergesetzlich gibt es eine Vielfalt an Vorschrif- des Ausschusses und damit um Zustimmung zu dem vor- ten, die die schlagbezogene Aufzeichnung von Pflanzen- liegenden Gesetzesentwurf. schutzmaßnahmen bereits jetzt direkt oder indirekt ver- langen. Das Bundesnaturschutzgesetz verlangt eine schlagbezogene Aufzeichnung, das EU-Hygienepaket Gustav Herzog (SPD): Wir beraten heute abschlie- verlangt die Rückverfolgbarkeit, die gemeinsamen Re- ßend das dritte Gesetz zur Änderung des Pflanzenschutz- geln für Direktzahlungen ziehen die Richtlinie 91/414/ gesetzes und des BVL-Gesetzes sowie den Antrag der EWG heran, die die Befolgung der guten Pflanzen- Koalitionsfraktionen zur Verstärkung des Schutzes vor schutzpraxis verlangt, und nicht zuletzt ist die „Gute Rückständen von Pflanzenschutzmitteln in Lebensmit- fachliche Praxis“ unmissverständliche Grundlage und teln. Beides hängt eng miteinander zusammen. Denn Vorschrift für die Anwendung von Pflanzenschutzmit- Rückstände, unabhängig ob in Lebensmitteln, Biotopen, teln. Grund- oder Obenflächengewässern, sind Folge der Art und Weise der Handhabung durch den Anwender. Die schlagbezogene Aufzeichnung ist somit für den informierten Landwirt keine Neuerung – sollte man den- Mit dem dritten Gesetz zur Änderung des Pflanzen- ken. schutzgesetzes setzen wir insbesondere Aspekte des EuGH-Urteils zur FFH-Richtlinie um. Damit wird der Daher ist es doch höchst verwunderlich, wie massiv Schutz wild lebender Tiere der besonders geschützten Ar- gegen die Verankerung auf Gesetzesebene agiert oder ten sowie von Wildpflanzen der besonders geschützten – muss ich sagen – agitiert wurde. Die Bundesregierung Arten in Einklang mit der Landschaft nutzenden Wirt- legt ihren Gesetzentwurf vor, der Bundesrat konkretisiert schaft gebracht. Die Landwirtschaft als Hauptnutzer und und präzisiert ihn mit 16 : 0 Stimmen, und die Koali- Pfleger unserer Kulturlandschaft erhält dadurch die not- tionsfraktionen sind sich einig, dass eine schlagbezogene wendige Rechtssicherheit, um ihr allgemeines betriebli- Aufzeichnung nicht nur unumgänglich ist, sondern zu- ches Handeln auf den Flächen im Einklang mit dem dem bereits verbindlich gilt und darüber hinaus auch Naturschutz sicherzustellen. Mit zunehmender Schutz- vernünftig und folgerichtig ist. Zumal davon auszugehen würdigkeit der Tier- und Pflanzenarten wachsen folge- ist, dass bereits die allermeisten Landwirte ihren Ver- 14042 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 133. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. Dezember 2007

(A) pflichtungen längst nachkommen. Alles spricht also für Ein ebenfalls gerne verwendetes Argument war der (C) die Verankerung auf gesetzlicher Ebene, und doch war fehlende Zusatznutzen dieser Aufzeichnungen. Nun, da die Intervention vonseiten des Deutschen Bauernverban- kann ich nur darauf verweisen, dass der Landwirt zum des so stark, dass sie den Verfahrensablauf empfindlich einen bewusster entscheidet und fundierter abwägt, was unterbrochen hat. Viele von uns kennen die Protest- wann womit zu behandeln ist, wenn er schriftliche Auf- schreiben, die von „überbordender und untragbarer Bü- zeichnungen tätigt und auf diese zurückblicken kann. rokratie“ sprechen. Das kann ich nur zurückweisen, denn Zudem wissen wir alle, wie wichtig die Rückverfolgbar- wir verlangen nichts Neues, nichts Zusätzliches. Wir keit für die Eingrenzung von Schadensfällen ist, unab- verlangen nur, was wir bereits jetzt schon zum Beispiel hängig davon, ob es sich um Funde im Grundwasser vonseiten der guten fachlichen Praxis erwarten können. oder um Rückstände in Lebensmitteln handelt. So kön- Die Betriebe zeichnen also bereits jetzt schon die sechs nen wir die Ursache des Problems schnell eingrenzen Ws auf: wer, wann, wo, was, wie viel und wogegen. und die Quelle möglicher Verunreinigungen schnell be- reinigen. Qualitätssysteme wie GLOBAL-GAP oder QS führen die detaillierte Aufzeichnung insbesondere aus Gründen Dahin zielt auch unser Antrag zum Schutz vor Pflan- der Rückverfolgbarkeit als K.o.-Kriterium, Wirtschafts- zenschutzmittelrückständen in Lebensmitteln. Als Che- systeme wie der Ökolandbau oder der Integrierte Pflan- mielaborant weiß ich, dass man mit der richtigen Labor- technik die kleinsten Spuren von allen Stoffen zenschutz und jeder Vertragsanbau vom Apfel bis zur analysieren kann, die jemals mit dem Produkt in Verbin- Zuckerrübe verlangen deutlich mehr als das, was wir dung gekommen sind. Daher wundert es mich nicht, dass jetzt gesetzlich verankern. Zum Vorwurf der überborden- sich die immer weiter verfeinerte Analytik in den Rück- den Bürokratie darf ich den Normenkontrollrat zitieren: standskontrollen spiegelt. Wir suchen, und wir werden „(…) Bei der in den Gesetzentwurf neu aufgenommenen finden. Damit habe ich kein großes Problem, doch wenn Aufzeichnungspflicht über die im Betrieb angewandten wir Werte oberhalb der gesetzlichen Grenzwerte finden Pflanzenschutzmittel, bei der Kosten in Höhe von jähr- oder Mehrfachrückstände, die mit einem normalen lich 84 bis 180 Euro je betroffenen Betrieb ermittelt wur- Pflanzenschutzmanagement nicht plausibel zu erklären den, ist davon auszugehen, dass ein Großteil der betrof- sind, müssen wir handeln. fenen Betriebe eine solche Aufzeichnung bereits vornimmt. Denn sie ist zum einen durch EU-Recht seit Wir haben einen sehr hohen Sicherheits- und Quali- dem 1. Januar 2006 verbindlich vorgegeben, zum ande- tätsstandard. Das ist ein gutes Ergebnis jahrzehntelangen ren wird die Aufzeichnung seit 1998 als gute landwirt- Ineinandergreifens von Wirtschaft, Forschung und schaftliche Praxis empfohlen. Deshalb wird ein mögli- Rechtssetzung. Darauf können wir stolz sein, und doch cher Bürokratiekostenanstieg als gering eingeschätzt.“ gibt es immer wieder Grund für Verbesserungen. Grenz- (B) wertüberschreitungen sind kein Grund für unmittelbare (D) Wir haben derzeit eine scheinbar diffuse Rechtslage, und übertriebene Panikmache, da unsere Grenzwerte mit da verschiedene Regelwerke verschiedene Vorschriften vielfachen Sicherheitsfaktoren ausgestattet sind, sodass zu den Aufzeichnungspflichten verlangen. Aus diesem bei geringfügigen Überschreitungen nicht mit gesund- Grund regeln wir jetzt im zuständigen Fachrecht klar heitlichen Risiken zu rechnen ist. und abschließend, was die Landwirtschaft zu dokumen- tieren hat. Daher ist die Kritik der „praxisfernen und zu- Doch Überschreitungen sind klare Warnsignale, die sätzlichen Bürokratie“ fachlich falsch und der vonseiten wir wahrnehmen müssen und die uns zum Handeln moti- des Berufsstandes zugespitzte Konflikt überflüssig und vieren. Wir dürfen Überschreitungen und die zuneh- mende Belastung durch Mehrfachwirkstoffe nicht hin- für mich in keiner Weise nachvollziehbar. nehmen und fordern daher die Bundesregierung auf, Weitere ins Feld geführte Argumente beschreiben das gemeinsam mit den Bundesländern ihre Anstrengungen gestiegene Sanktionsrisiko für die landwirtschaftlichen zur Eindämmung zu intensivieren. Das Lebensmittelmo- Betriebe. Das ist richtig, denn wir wollen Sanktionen für nitoring ist gut, doch es soll noch besser werden. Über- Betriebe, die sich nicht an gesetzliche Vorschriften hal- schreitungen muss gerichtlich nachgegangen, und sie ten. Wir halten die Aufzeichnungen für die eingesetzten müssen sanktioniert werden. Sie sind kein Kavaliersde- Pflanzenschutzmittel für richtig und für eine wichtige likt. Eine Überschreitung von Grenzwerten ist ein recht Hilfestellung für die betrieblichen Entscheidungen im deutliches Indiz dafür, dass die Anwendungsbestimmun- Umgang mit diesen Betriebsmitteln. Sie sind eine viel- gen an mindestens einer Stelle im Herstellungsprozess fach begründbare Vorschrift, und wer diese nicht einhält, nicht eingehalten wurden. Das dürfen wir im Umgang soll einer Sanktion unterworfen werden. Damit aber im mit zum Teil hochbedenklichen Stoffen nicht akzeptie- behördlichen Vollzug die Verhältnismäßigkeit gewahrt ren. Das gilt für inländisch wie für ausländisch produ- bleibt, erachten wir es für notwendig, zu betonen, dass zierte Waren gleichermaßen. Daher müssen wir innerhalb wir als Gesetzgeber die Nutzung eines Ermessensspiel- der Gemeinschaft dafür sorgen, dass wir harmonisierte Bedingungen auf unserem hohen Niveau erreichen, und raums für Bagatellfälle erwarten. Wir wollen nicht, dass zudem auch an unseren Grenzen sicherstellen, dass Wa- kleine und unerhebliche Unregelmäßigkeiten in den ren aus Drittstaaten unseren Standards entsprechen. Aufzeichnungen direkt und in aller Strenge behördlich Auch hier müssen Missstände abgeschaltet werden. sanktioniert werden. Hierzu sind Bund und Länder be- auftragt, Lösungen zu erarbeiten, die den Vollzug einer- Abschließend möchte ich jedoch betonen, dass die seits sichern und anderseits die Belange der Praxis be- Verantwortung für die Einhaltung der Vorschriften bei rücksichtigen. den Wirtschaftsbeteiligten liegt. Es ist an ihnen, sicher- Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 133. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. Dezember 2007 14043

(A) zustellen, dass sie im Rahmen der gesetzlichen Bestim- schutzmitteln behandeltem Saat- und Pflanzgut sowie (C) mungen nur einwandfreie Ware anbieten. Kultursubstraten nur möglich sein soll, „wenn das Pflan- zenschutzmittel in Deutschland zugelassen ist oder das Liebe Kolleginnen und Kollegen, lassen Sie uns wei- Pflanzenschutzmittel im Europäischen Wirtschaftsraum ter gemeinsam daran arbeiten, dass ein moderner Pflan- zugelassen ist und wenn das Bundesamt für Verbrau- zenschutz die Pflanzenbestände schützt und unseren cherschutz und Lebensmittelsicherheit (BVL) auf An- Landwirten die Erträge sichert, dabei die Umwelt und trag festgestellt hat, dass das verwendete Pflanzen- unsere Ressourcen schont und uns Verbraucher mit gu- schutzmittel mit einem in Deutschland zugelassenem ten und gesunden Lebensmitteln versorgt. Mittel übereinstimmt“. Die FDP lehnt diesen Vorschlag ab, da dies zu erheblichen Handelshemmnissen bei der Dr. Christel Happach-Kasan (FDP): Die Pflicht Vermarktung von Saat- und Pflanzgut führen würde. zur Novellierung des Pflanzenschutzgesetzes ergibt sich Zudem gehen diese Anforderungen über das EU-Recht aus dem Urteil des EuGH vom Januar dieses Jahres, in hinaus, und eine solche Vorgehensweise würde die dem Deutschland zur Umsetzung der FFH-Richtlinie zur Landwirtschaft und den Gartenbau vor erhebliche Novellierung des Pflanzenschutzgesetzes verpflichtet Schwierigkeiten stellen. Die zusätzliche Antragstellung wird. beim BVL ist außerdem mit einem weiteren bürokrati- schen Aufwand verbunden, den die FDP ablehnt. Chemischer Pflanzenschutz ist für Landwirtschaft und Gartenbau in Deutschland unverzichtbar. In den Die Forschung im Pflanzenschutzbereich muss nach letzten Jahren ist in Deutschland ein sehr hohes Quali- Einschätzung der FDP vorangetrieben werden. In Beant- tätsniveau im Pflanzenschutzbereich erreicht worden: wortung der kleinen Anfrage der FDP-Bundestagsfrak- Die Beeinträchtigung von Natur und Umwelt durch che- tion „Ökologische und ökonomische Bedeutung von mische Pflanzenschutzmittel konnte kontinuierlich ver- Schadorganismen, Drucksache 16/7277, hat die Bundes- ringert werden. Das Lebensmittelmonitoring zeigt auf, regierung ausgeführt, dass laut einem Gutachten aus dass gerade bei in Deutschland produziertem Obst und dem Jahr 1996 in Deutschland Schäden durch Einschlep- Gemüse die Rückstände von Pflanzenschutzmitteln nur pung und Ausbreitung von Schadorganismen in Höhe in geringem Maß vorkommen. 2004 gab es bei 3,8 Pro- von 100 Millionen Euro entstehen. Der Betrag dürfte in- zent der Proben von Obst und Gemüse aus Deutschland zwischen deutlich höher sein. In diesem Jahr wurde erst- Höchstmengenüberschreitungen, bei Proben aus den üb- malig der Maiswurzelbohrer beobachtet, der sich in Ös- rigen EU-Staaten waren es 8,4 Prozent, bei Proben aus terreich und der Schweiz bereits etabliert hat. In 2006 Drittstaaten waren es 10,4 Prozent. Vor diesem Hinter- hat der Rapsglanzkäfer in Deutschland deutliche Schä- grund sind Verschärfungen des Gesetzes aus Gründen den verursacht. Er ist inzwischen gegen nahezu alle (B) des Umweltschutzes oder der Lebensmittelsicherheit Pflanzenschutzmittel – Wirkstoffklasse: Pyrethroide – (D) nicht erforderlich. Daher ist eine Eins-zu-eins-Umset- resistent. Nur zwei Präparate aus dieser Klasse wirken zung der EU-Bestimmungen gerade auch im Hinblick überhaupt noch gegen den Käfer. Die Biologische Bun- auf den Erhalt der Wettbewerbsfähigkeit unserer Be- desanstalt für Land- und Forstwirtschaft, BBA, prognos- triebe erforderlich. tiziert für 2008: „Es ist derzeit keine optimale Anti- Die im vorliegenden Gesetzentwurf zum Pflanzen- Resistenzstrategie gegen den Rapsglanzkäfer möglich. schutzgesetz geforderten erhöhten Dokumentations- Gründe hierfür sind die nicht genügend große Palette pflichten lehnt die FDP in dieser Form ab. Bereits heute verschiedener Pflanzenschutzmittel bzw. Wirkstoffe so- erstellt jeder Landwirt genaue Aufzeichnungen über die wie Einschränkungen bei der Zahl der erlaubten Anwen- im Betrieb angewandten Pflanzenschutzmittel. Alle er- dungen.“ worbenen Pflanzenschutzmittel werden per Lieferschein Wir sind weit von einer Harmonisierung der Pflan- oder Rechnung exakt dokumentiert – das reicht nach un- zenschutzmittel in der EU entfernt. Über Lebensmittel- serer Einschätzung aus. importe kommen Lebensmittel nach Deutschland, die Mit der im Gesetzentwurf angeführten, nach unserer bei uns nicht zugelassene Pflanzenschutzmittel enthal- Einschätzung völlig überzogenen Forderung für die par- ten. Es gibt zahlreiche Wirkstoffe, die in den Niederlan- zellenscharfe Dokumentation der Ausbringung von den erlaubt, in Deutschland verboten sind. Der Anbau Pflanzenschutzmitteln ist ein erheblicher bürokratischer zum Beispiel von Porree ist in einigen Regionen auf Mehraufwand ohne erkennbaren Umweltvorteil verbun- Grund von Schadinsekten wie der Thrispe nicht mög- den. Das sich in dieser Forderung ausdrückende Miss- lich. Die Thrispe hinterlässt dunkle Flecken und Streifen trauen gegenüber Land- und Forstwirten sowie gegen- auf dem Gemüse und erschwert hierdurch die Vermark- über Gärtnern und Winzern in unserem Land ist tung. Die in Deutschland gegen die Thrispe zugelasse- unbegründet. Wir können im Gegenteil feststellen, dass nen Pflanzenschutzmittel, zum Beispiel Kaliseife, wir- entsprechend dem Wasserwirtschaftsbericht der Bundes- ken nicht. Das in den Niederlanden zugelassene, in regierung im Grundwasser nur noch punktuell Pflanzen- Deutschland aber verbotene Pflanzenschutzmittel Mesu- schutzmittel gefunden werden und in der Tendenz weiter rol wirkt sehr gut gegen das Insekt. Die Folge ist: Der rückläufig sind. Die in § 40 des Gesetzentwurfes vorge- Porree aus den Niederlanden wird nach Deutschland ein- schriebene Bußgeldbewehrung sollte vollständig gestri- geführt – der deutsche Landwirt geht leer aus. Es gibt chen werden. zahlreiche weitere Beispiele. Der Gesetzentwurf sieht vor, dass zukünftig das In- Vor dem Hintergrund vieler für Landwirtschaft und verkehrbringen oder die Einfuhr von mit Pflanzen- Gartenbau ökonomisch bedeutsamer Schadorganismen 14044 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 133. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. Dezember 2007

(A) sind die Pläne der EU, etwa 90 Prozent der im Pflanzen- mechanismen zu berücksichtigen, die hinsichtlich der (C) schutz eingesetzten Wirkstoffe zu verbieten, eine Ge- ökologischen Auswirkungen aktuell nicht immer end- fährdung für Landwirtschaft und Gartenbau. Die Bun- gültig beurteilt werden können. Andererseits ist über die desregierung selbst hat das Ziel vorgegeben, das Weiterentwicklung der „guten fachlichen Praxis“ eine Auftreten der Schadorganismen mit den verfügbaren weitere Reduzierung chemischer Anwendungen auf dem pflanzenbaulichen Verfahren und dem Einsatz von Acker möglich. So werden zum Beispiel Voraussagen Pflanzenschutzmitteln unter der wirtschaftlichen Schad- der Prognosemodelle für die Entwicklung des Auftretens schwelle zu halten. Das wird, wenn die EU-Pläne ver- von Schädlingen wie Insekten, Pilzen oder auch Unkräu- wirklicht werden, nicht mehr möglich sein, wie das Bei- tern besser und die Reaktionsmöglichkeiten selektiver. spiel des Rapsglanzkäfers schon jetzt zeigt. Die Der hohe ökonomische Druck, unter dem die Betriebe in Bundesregierung ist aufgefordert, alles zu tun, um die den vergangenen Jahren bei sinkenden Getreidepreisen Umsetzung der EU-Pläne zu verhindern. Das ist eine arbeiten mussten, hat auch dabei geholfen, die Schwelle zentrale agrarpolitische Frage, die nicht auf Arbeits- für den Einsatz von Pflanzenschutzmitteln anzuheben. ebene entschieden werden kann. Hier muss sich der Mi- Wir sollten genau beobachten, wie sich die aktuell stei- nister endlich erkennbar für deutsche Interessen einset- genden Erzeugerpreise für Feldfrüchte auf die Einsatz- zen. Die Lebensmittelsicherheit ist in Deutschland nicht schwelle für Pflanzenschutzmittel auswirken. durch Pflanzenschutzmittelrückstände gefährdet – der Verbraucher wird auch künftig vertrauensvoll die Pro- Der sinkende Verbrauch von Pflanzenschutzmitteln in dukte aus deutschen Landen genießen können. den vergangenen Jahren ist eine erfreuliche Entwick- lung, die aber weiter befördert werden muss. Das größte Problem im Pflanzenschutz ist nach wie vor die negative Dr. Kirsten Tackmann (DIE LINKE): Die Linke be- Auswirkung auf die Artenvielfalt. Hier ist die Politik in grüßt die Neufassung des Pflanzenschutzgesetzes. Sie der Verantwortung, und mit Blick auf den Erhalt der Ar- bedeutet im Wesentlichen eine Anpassung an EU-Vorga- tenvielfalt müssen die Rahmenbedingungen gesteckt ben und die bessere Berücksichtigung der so genannten werden. Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie der EU. Das bedeutet: Umweltschutz und besonders der Schutz seltener Pflan- Was ist aber zu tun? Ein sehr wichtiger, in Deutsch- zen- und Tierarten werden im neuen Pflanzenschutzge- land und Europa auch sehr erfolgreicher Weg zur um- setz etwas verbessert. Das ist nicht viel, aber man kann weltgerechten und nachhaltigen, weil ressourcenschüt- das nicht ablehnen. Das Thema ist aber wichtig genug, zenden Landnutzung, ist der ökologische Landbau. Das um es breiter als nur im Zusammenhang mit dem Ge- von der rot-grünen Bundesregierung formulierte Ziel setzentwurf zu besprechen. von 20 Prozent Ökolandbau bis 2020 erscheint aus heuti- ger Sicht utopisch. Aber selbst der Deutsche Bauernver- (B) Der Schutz der natürlichen Ressourcen auch durch band hält ein Ziel von 10 Prozent für 2015 für machbar. (D) eine konsequentere Pflanzenschutzmittelgesetzgebung Die Verbrauchsentwicklung der letzten Jahre hat gezeigt, ist aus unserer Sicht sinnvoll und notwendig. Immerhin dass Bioprodukte beliebt sind und von den deutschen werden noch fast 95 Prozent der landwirtschaftlich Verbraucherinnen und Verbrauchern auch zu höheren genutzten Fläche in Deutschland konventionell bewirt- Preisen gekauft werden. Leider hält die einheimische schaftet. Das heißt auf knapp 14 Millionen Hektar Produktion von Biolebensmitteln nicht mit der rasant landwirtschaftlicher Fläche gibt es die Möglichkeit für wachsenden Nachfrage mit. Eine Hürde ist die kosten- Landwirtschaftsbetriebe, chemisch-synthetische Pflan- intensive und risikoreiche Umstellung. Hier muss es eine zenschutzmittel einzusetzen. So wichtig der Ökolandbau verlässliche und auskömmliche Grundförderung geben. auch ist, es ist angesichts der Flächenverhältnisse auch Das ist dann gleichzeitig praktischer Umweltschutz. wichtig zu erreichen, dass die konventionelle Landwirt- schaft ökologischer arbeitet. Denn diese Pflanzenschutz- Die mit dem neuen Pflanzenschutzgesetz etwas aus- mittel haben naturgemäß Auswirkungen auf die Umwelt. geweitete Pflicht zur konkreten Dokumentation der Auch in neueren Erhebungen der Biologischen Bundes- Pflanzenschutzmittelanwendungen auf den einzelnen anstalt und der Umweltbehörden aus Bund und Ländern Feldern ist aus Sicht der Linken notwendig und ange- werden immer wieder zu hohe Rückstände von Pflan- messen. Moderne Landwirtschaftsbetriebe sind heute zenschutzmitteln im Grundwasser gefunden. Dazu kom- problemlos in der Lage, dieser Pflicht nachzukommen. men solche Rückstände in Nahrungsmitteln, die so ge- Betriebe, die diese Arbeiten nicht selbst erledigen, son- ring wie irgend möglich sein müssen. dern zum Beispiel an Lohnunternehmer übertragen, soll- ten selbst daran interessiert sein, zu wissen und zu doku- Dazu sollte auch das Pflanzenschutzmittelreduktions- mentieren, was auf ihren Feldern geschieht. Es kann dem programm beitragen. Ein positiver Trend ist der gesun- Image der einheimischen und europäischen Landwirt- kene Wirkstoffaufwand je Hektar, der in den letzten schaft nur nutzen, wenn die Standards maßvoll, aber 20 Jahren halbiert wurde. Im Durchschnitt beträgt der konsequent erhöht werden und auch verantwortliches Aufwand somit nur noch 1,7 kg/ha – erhoben in 2006. In Handeln transparent und belegbar ist. meinem Bundesland in Brandenburg sind es sogar nur 0,9 kg/ha. Im Vergleich: Ende der 80er-Jahre waren das Pflanzenschutz ist und bleibt ein sensibler Bereich. Er noch 3,5 kg/ha! leistet seinen Beitrag zu einer effizienten und modernen Landwirtschaft und hat in den konventionellen Systemen Natürlich haben sich auch die Wirkstoffe verändert. der Landwirtschaft seinen unverzichtbaren Platz. Das Die Reduzierung der Aufwandsmengen ist also nur ein akzeptiert die Linke genauso, wie sie das Spannungsfeld Teil der Wahrheit. Gleichzeitig sind andere Wirkungs- zwischen Umweltschutz und Anwendungsnotwendigkeit Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 133. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. Dezember 2007 14045

(A) sieht. Gleichzeitig ist klar, dass wir gerade in Deutsch- Negativ ist auch Ihr Änderungsantrag, mit dem die (C) land und Europa heute zu Maßstäben beitragen müssen neuen Regelungen zum Teil wieder abgeschwächt wer- bei der Definition einer modernen, ökologisch verträgli- den sollen. Das betrifft vor allem die Ausnahmemöglich- chen und nachhaltigen Landwirtschaft. keiten von den Anwendungsverboten. Wie weit diese Ausnahmetatbestände greifen und ob damit die FFH- Diese Maßstäbe sollten im Laufe der Zeit weltweit Richtlinie noch korrekt umgesetzt wird, ist überhaupt Gültigkeit erlangen. nicht absehbar. Allein schon deshalb haben wir Ihren Änderungsantrag abgelehnt. Cornelia Behm (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Wir Bündnisgrüne unterstützen einen großen Teil der hier zur Mit der Novelle des Pflanzenschutzgesetzes hätte Abstimmung stehenden Änderungen beim Pflanzen- man noch weitergehende Anliegen des Umwelt- und schutzgesetz. Sie führen zu einem besseren Schutz von Verbraucherschutzes umsetzen können. Die Chance ist Umwelt und Verbrauchern. Dies gilt insbesondere für leider vertan. die Anpassung an die FFH-Richtlinie und für die Auf- Dazu gehört vor allem, die Ausbringung von Pestizi- zeichnungspflicht für die Ausbringung von Pflanzen- den aus der Luft grundsätzlich zu verbieten, um die Ver- schutzmitteln. Wir begrüßen auch die Einführung der driftung von Pflanzenschutzmitteln in Gebiete außerhalb Pflicht zur unverzüglichen Beseitigung nicht mehr zuge- der Zielfläche zu vermindern. Ausnahmen wie beim lassener Mittel und die Vorschrift, dass Pflanzenschutz- Weinbau in Steillagen sollte man auf regionale oder mittel nur mehr zugelassen werden dürfen, wenn vorher durch extreme Kalamitäten bedingte Sondersituationen eine Rückstandshöchstmenge festgelegt wurde. Auch begrenzen. Hier könnte Deutschland bereits heute eine die Einrichtung einer Datenbank zur Erfassung der Ge- Regelung verabschieden. Es wäre nicht unbedingt nötig nehmigungen nach § 8 b ist sinnvoll. gewesen, auf die EU-Richtlinie zur Anwendung von Pflanzenschutzmitteln zu warten, die eine solche Vor- Was die Aufzeichnungspflicht betrifft, so ist sie be- gabe aller Voraussicht nach enthalten wird. reits im Bundesnaturschutzgesetz geregelt. Daher gibt es keinen Grund, über zusätzlichen Aufwand für die Land- Außerdem muss das Zulassungsverfahren biologi- wirte zu klagen. Die Aufregung über Bürokratieaufbau, scher Pflanzenschutzmittel den spezifischen Anforde- die die Agrarverbände an diesem Punkt einmal mehr ze- rungen dieser Mittel angepasst werden. So könnte es im lebriert haben, ist daher völlig überzogen. Es ist aller- Einzelfall sicher auch einfacher und kostengünstiger ge- dings wichtig, dass diese Pflicht auch in entsprechendes staltet werden. Fachrecht und in den Bußgeldkatalog aufgenommen wird. Denn was nützt eine Vorschrift, wenn es keinerlei Auch sollte zur Schließung von Indikationslücken die Möglichkeit der Anerkennung von Pflanzenschutzmit- (B) Handhabe gibt, um die Befolgung durchsetzen zu kön- (D) nen? Deswegen ist es auch gerechtfertigt, dass diese telzulassungen anderer EU-Staaten nach § 5 b besser ge- Pflicht der Cross Compliance unterliegt. nutzt werden. Hier sollten Möglichkeiten zur Erleichte- rung dieser Anerkennungen geprüft werden. Genauso wenig ist der Widerstand des Deutschen Wir werden uns bei der Abstimmung über Ihr Gesetz Bauernverbandes gegen die Umsetzung des Urteils des enthalten, denn es geht uns nicht weit genug und bringt Europäischen Gerichtshofs zur Umsetzung der FFH- neben etlichen Fortschritten auch einige Rückschritte. Richtlinie in deutsches Naturschutzrecht nachvollzieh- bar. EU-Recht muss nun einmal umgesetzt werden. Sonst wehrt sich der Bauernverband doch regelmäßig gegen deutsche Alleingänge. Anlage 12 Zu Protokoll gegebene Reden Es ist gut, dass die Koalition die Forderung des Deut- schen Bauernverbandes und des Bundesrates verworfen zur Beratung: hat, den aus deren Sicht missliebigen Einfluss des Um- weltbundesamtes bei der Pflanzenschutzmittelzulassung – Antrag: Hilfe für irakische Flüchtlinge aus- auszuschalten. Stattdessen wäre es umweltpolitisch so- weiten – Im Irak, in Nachbarländern und in gar angebracht, das Einvernehmenserfordernis auch auf Deutschland die Ausnahmegenehmigungen auszuweiten. – Beschlussempfehlung und Bericht zu dem Falls Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Antrag: Irakische Flüchtlinge in die EU auf- Koalition, nach meinen bisherigen lobenden Worten nehmen – In Deutschland lebende Irakerin- glauben sollten, ich würde Sie heute mit Kritik verscho- nen und Iraker vor Abschiebung schützen nen, dann haben Sie sich allerdings zu früh gefreut. Es – Beschlussempfehlung und Bericht zu dem gibt in der Tat einige Änderungen, die wir Bündnisgrüne Antrag: Schutz für irakische Flüchtlinge ge- durchaus kritisch sehen. Da sind zum Beispiel die Er- währleisten weiterung und Verlängerung der Aufbrauchfristen für nicht mehr zugelassene Pflanzenschutzmittel. Kritisch (Tagesordnungspunkt 18 a und b) sehen wir auch die Streichung des Selbstbedienungsver- botes für Pflanzenstärkungsmittel. Pflanzenstärkungs- Reinhard Grindel (CDU/CSU): Die allgemeine mittel sind integraler Bestandteil eines verantwortungs- Sicherheitslage im Irak ist gerade für die christlichen vollen Pflanzenschutzes. Deshalb bedürfte es eher der Minderheiten bedrohlich. Dem tragen die Verantwortli- zusätzlichen Einführung einer Beratungspflicht. chen auf Bundes- und Landesebene Rechnung. 14046 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 133. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. Dezember 2007

(A) Linkspartei und Grüne zeichnen ein Zerrbild von der hältig waren und hier gut integriert sind – bei ihnen allen (C) Behandlung irakischer Flüchtlinge. Die Durchführung kommt es noch nicht einmal zu einem Widerrufsverfah- der Widerrufsverfahren für irakische Asylberechtigte ren, geschweige denn, dass man sie in den Irak abschie- durch das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge ist ben würde. richtig. Dabei geht es überhaupt nicht um die Frage, ob die irakischen Flüchtlinge dann sofort in ihre Heimat ab- Ich wiederhole deshalb: Die verschiedenen Maßnah- geschoben werden müssen. Es geht ausschließlich um men des Bundes sind eine gerechte Güterabwägung zwi- die Frage, ob die Schutzpflicht unseres Staates für diese schen den berechtigten Interessen der Iraker, nicht in Menschen grundsätzlich noch besteht. Eine solche Prü- eine ungewisse und lebensgefährliche Zukunft abge- fung ist geradezu zwingend, weil viele Iraker deshalb schoben zu werden, und den Sicherheitsinteressen unse- Asyl in Deutschland erhalten haben, weil sie Verfolgte res Landes. Ich will auch nochmals betonen, dass wir des Regimes von Saddam Hussein waren. Da Saddam uns in Deutschland in voller Übereinstimmung mit den Hussein ersichtlich keinerlei Verfolgungsgefahr mehr im Erkenntnissen des UNHCR befinden. Auch der UNHCR Irak darstellt, ist insoweit der Schutzzweck der Asylge- hält Rückführungen in den Irak für zulässig, wenn die währung weggefallen. betroffenen Personen in eine Familie oder in eine stabile soziale Struktur zurückkehren können, wenn sie eine Das bedeutet aber nun nicht, dass die irakischen Chance auf Wiedereingliederung in den Arbeitsmarkt Flüchtlinge in Deutschland jetzt schutzlos wären. Der und eine Wohnung haben. Auch bei der Abschiebung als Widerruf der Asylanerkennung führt nicht zum illegalen Ultima Ratio beachten die Innenminister in Bund und Aufenthalt. Tatsächlich besitzen 75 Prozent dieser iraki- Ländern die Vorgaben des UNHCR. Abgeschoben wer- schen Staatsbürger einen legalen Aufenthaltstitel. Das den – übrigens nun wirklich in sehr kleiner Zahl – nur entspricht auch der hohen Schutzquote für irakische Straftäter oder Gefährder der inneren Sicherheit, wenn Flüchtlinge, die seit 2005 nach Deutschland gekommen sie ihren ursprünglichen Aufenthalt im Nordirak haben. sind. Insbesondere wegen religiöser Verfolgung ist in 87 Prozent der Fälle entweder Asyl oder zumindest ein Dementsprechend muss man sich auch mal mit den Abschiebungsschutz gewährt worden. tatsächlichen Zahlen vertraut machen: Ganze acht Perso- nen sind in diesem Jahr in den Nordirak abgeschoben Die EU-Richtlinien, die in den Anträgen der Opposi- worden. Dabei handelt es sich ausnahmslos um Perso- tion angesprochen werden und die angeblich nicht aus- nen, die den Sicherheitsbehörden erhebliche Probleme reichend umgesetzt sind, haben gerade in letzter Zeit zu bereitet haben. Alle anderen Abschiebungen erfolgten in einer vermehrten Zahl von Asylfolgeanträgen geführt. die Drittstaaten, über deren Staatsgebiet die irakischen Insbesondere vor dem Hintergrund der religiösen Verfol- Flüchtlinge auch eingereist sind. gung im Irak, der christliche Minderheiten ausgesetzt (B) (D) sind, ist umfassend Abschiebungsschutz gewährt wor- Nur noch mal zur Klarstellung, weil immer wieder den. Das ist auch vom Bundesverfassungsgericht und auf die EU-Ebene bei dieser Debatte verwiesen wird: In Bundesverwaltungsgericht ausdrücklich anerkannt wor- keinem EU-Mitgliedstaat gibt es einen Abschiebestopp. den. Das gilt gerade auch für die Länder mit einem relativ ho- hen Anteil von irakischen Staatsbürgern, die teilweise Gerade um die betroffenen Iraker nicht zu verunsi- auch eine Gefahr für die innere Sicherheit darstellen. In- chern, hat das Bundesamt für Migration die Widerrufs- soweit ist bei uns in Deutschland ein konzertiertes Vor- verfahren jetzt sogar auf einen relativ kleinen Personen- gehen von Bundesinnenminister und Landesinnenminis- kreis beschränkt: Widerrufsverfahren werden nur noch tern durchaus sinnvoll. Angesichts einer schon heute bei Straftätern, Gefährdern der inneren Sicherheit, Per- relativ hohen Zahl von irakischen Flüchtlingen, die sich sonen, die zwischenzeitlich im Irak besuchsweise gewe- in Deutschland aufhalten, muss man ganz klar sagen, sen sind und alleinstehenden Männern aus dem Nordirak dass ein allgemeiner Abschiebestopp auch einen deutli- durchgeführt. Das muss man doch wohl klar festhalten: chen Pull-Faktor zur Folge hätte. Ein umfassender Abschiebungsstopp darf doch nicht dazu führen, dass selbst gefährlichste Straftäter nicht Wir wissen ganz genau, dass viele irakische Flücht- mehr abgeschoben werden können. Die staatlichen Insti- linge in Einrichtungen in den Nachbarstaaten des Irak tutionen haben auch eine Schutzpflicht gegenüber den in darauf warten, dass sie durch eine gezielte Schleusungs- Deutschland lebenden Menschen, die nicht ohne Not aktion nach Deutschland gebracht werden können. Es von Straftaten bedroht werden dürfen. Deshalb kann im kommt also darauf an, den Menschen vor Ort zu helfen, Einzelfall eine Abschiebung als Ultima Ratio gerechtfer- etwa in den Flüchtlingslagern in Grenzregionen. Das tigt sein. entspricht auch der Linie der übrigen EU-Staaten. Es gibt keine sonderlich ausgeprägte Bereitschaft innerhalb Ich will in diesem Zusammenhang nur darauf verwei- der EU zu einer Aufnahmeaktion für irakische Flücht- sen, dass 2006 und auch 2007 mehrere Hundert Iraker linge. Das Augenmerk in dieser Frage liegt deshalb bei freiwillig in ihr Land zurückgekehrt sind, vor allem in den EU-Mitgliedstaaten auf der massiven Unterstützung die Regionen des Nordiraks. So dramatisch können sie der Nachbarstaaten des Irak, die viele irakische Flücht- selbst die Sicherheitslage in diesem Teil des Iraks also linge aufgenommen haben. Wir wollen den Menschen nicht eingeschätzt haben. vor Ort eine Chance geben. Wir wollen nicht, dass sie ihr Personen aus dem Großraum Bagdad, alleinstehende ganzes erspartes Geld irgendwelchen Schlepper- und Frauen, Familien mit Kindern, kranke und alte Men- Schleuserbanden in den Rachen schmeißen, die tatsäch- schen und Personen, die langfristig in Deutschland auf- lich nichts zur Verbesserung der Lebensgrundlagen der Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 133. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. Dezember 2007 14047

(A) Menschen beitragen, sondern im Einzelfall auf dem Mit- Bundesamt für Migration und Flüchtlinge mehrfach an- (C) telmeer sogar ihren Tod billigend in Kauf nehmen. Das gesprochen. Im Mai dieses Jahres hat das Bundesamt für ist die Sachlage, und die muss auch einmal ganz klar Migration und Flüchtlinge (BAMF) seine Entscheidungs- ausgesprochen werden. praxis schließlich der dramatischen Sicherheitslage im Süd- und Zentralirak angepasst. Seit dieser Zeit werden Der Bund hat innerhalb der EU insgesamt 10,2 Mil- kaum mehr Widerrufe eingeleitet, bereits aufgenom- lionen Euro für Hilfen zur Grenzsicherung und zu mene Verfahren ruhen. Dies gilt für Personen aus dem Grenzkontrollen und zu einer guten humanitären Unter- Großraum Bagdad ohne inländische Fluchtalternative, bringung der Menschen beigetragen und nochmals für alleinstehenden Frauen ohne Familienbindungen, für zusätzlich 2,2 Millionen Euro für humanitäre Hilfen ge- Familien mit minderjährigen Kindern, für kranke und äl- sondert bereitgestellt. Deshalb sage ich nochmals mit tere Personen sowie für Personen, die sich bereits lange großem Ernst: Die Politik von Abschiebungen und Wi- in Deutschland aufhalten, gut integriert sind und keine derrufsverfahren gegenüber irakischen Flüchtlingen auf eigenen Bindungen zu ihrem Herkunftsland haben. Bundes- und Landesebene entspricht der geltenden Schließlich und wesentlich gilt der Abschiebungsschutz Rechtslage, und die Hilfe für die Flüchtlinge vor Ort ist auch für religiöse Minderheiten wie Christen, Mandäer aus humanitären Gründen wirklich beispielhaft. Deshalb und Yeziden. lehnen wir die Anträge von den Grünen und der Links- partei ab. Der Flüchtlingsschutz ist bei dieser Bundes- In all diesen Fällen wird nicht mehr widerrufen. Bei regierung und insbesondere dem jetzigen Innenminister Erstasylanträgen wird von einer Gruppenverfolgung aus- in guten Händen. gegangen. Diese geänderte Entscheidungspraxis wirkt sich erheblich auf die Gesamtschutzquote für irakische Asylbewerber aus, wie auch die aktuell vom BAMF ver- Rüdiger Veit (SPD): Die politische Lage im Irak ist öffentlichten Zahlen belegen: Im Jahr 2006 lag die Ge- nicht stabil. Sie ist besorgniserregend. Die Gewaltbereit- samtschutzquote noch bei 8,3 Prozent. Vom 1. Januar bis schaft ist erhöht, die Verfolgung ethnischer und religiöser 18. Mai 2007 erfolgte ein Anstieg auf 14,2 Prozent. Minderheiten hält an. Nach Angaben des Flüchtlings- Anschließend, nach der vorgenannten Änderung der hochkommissariats der Vereinten Nationen (UNHCR) Entscheidungspraxis, stieg die Gesamtschutzquote im sind bereits mehr als 2,5 Millionen Iraker ins Ausland ge- Zeitraum vom 19. Mai bis 30. September 2007 auf flohen. Allein im Nachbarland Syrien treffen tagtäglich 90,4 Prozent an. 90,4 Prozent ist doch eine erfreuliche etwa 2 000 Flüchtlinge ein. Für alle Nachbarländer be- Schutzquote. deuten die irakischen Flüchtlinge eine ungeheure Last; die öffentliche Infrastruktur ist ausgereizt. Wasser- und Im Übrigen ist es wichtig, auf Folgendes hinzuwei- Stromversorgung sind längst überlastet. sen: Der Verlust des Flüchtlingsstatus kann zwar zum (B) (D) Verlust des Aufenthaltstitels führen. Das ist aber nicht Hier bedarf es der Hilfe, wie die Anträge ganz richtig zwingend. Obwohl die Praxis in den Bundesländern anmahnen – humanitärer und finanzieller Hilfe, auf EU- diesbezüglich unterschiedlich ist, erhalten zahlreiche und auf Bundesebene. Es kann von den Nachbarländern Betroffene eine Verlängerung ihrer Aufenthaltserlaub- nicht erwartet werden, dass sie die Flüchtlingskrise sel- nis; nach längerfristigem Aufenthalt ist sogar die Ertei- ber schultern. Hier müssen wir tätig werden. Hier wur- lung einer Niederlassungserlaubnis möglich. den wir aber auch schon tätig: Der Abschiebungsschutz wird nunmehr nach einem Das Amt für humanitäre Hilfe der EU hat vier Millio- Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichtshof vom nen Euro für Projekte von UNHCR vor Ort zur Verfü- 19. November 2007 auch für sunnitische Flüchtlinge aus gung gestellt. Weitere 11 Millionen Euro hat die EU dem Irak nochmals auszuweiten sein. Der Bayerische Syrien für Entwicklungshilfe im Gesundheitswesen und Verwaltungsgerichtshof entschied, „dass irakischen im Bildungssektor zugesagt. Gleichwohl halte ich es für Staatsangehörigen sunnitischer Religionszugehörigkeit wünschenswert, dass sich die EU noch stärker finanziell aus dem Zentralirak bei einer Rückkehr in den Irak mit engagiert. Auch unsere Entwicklungsministerin Heidi beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine Gruppenverfol- Wiecoreck-Zeul hat Syrien zugesagt, vier Millionen gung durch nichtstaatliche Akteure droht und eine inner- Euro für den Bau von Schulen bereitzustellen, um staatliche Fluchtalternative nicht besteht.“ Flüchtlingskindern den Unterricht zu ermöglichen. Solange der irakische Staat nicht in der Lage ist, seine Die in den Anträgen aufgestellten Forderungen sind Bürger zu schützen, sollte kein irakischer Flüchtling aus darauf gerichtet, einen generellen Abschiebestopp für Deutschland abgeschoben werden. Selbst das lange als irakische Flüchtlinge durchzusetzen und die Wider- halbwegs sicher geltende Kurdengebiet im Nordirak rufpraxis gegenüber allen irakischen Flüchtlingen auszu- wird immer wieder von Gewalttaten erschüttert. Meines setzen. In den Anträgen wird grundsätzlich ein wichtiges Erachtens kann dies auch nicht mehr als interne Problem angesprochen. Dies Problem muss aber diffe- Fluchtalternative angesehen werden. renziert diskutiert werden. Ich möchte deshalb darauf hinweisen, dass in Bezug auf beide genannten Forderun- Auch was die Frage nach Abschiebungen in den Irak gen schon einiges geschehen ist. Dies gilt zunächst für betrifft, ist sich die Bundesregierung ebenso wie die die Forderung nach Aussetzung der Widerrufspraxis: Länder ihrer humanitären Verantwortung bewusst. Der Kreis der Betroffenen, die seit neuestem wieder in den Auch die SPD hat die durchaus kritisch zu beurtei- Nordirak zurückgeführt werden, beschränkt sich nach lende Widerrufpraxis in unmittelbarem Dialog mit dem den letzten IMK-Beschlüssen auf Personen, die straffäl- 14048 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 133. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. Dezember 2007

(A) lig sind und daher die innere Sicherheit gefährden. Dabei Vor diesem Hintergrund bezweifelt die FDP, dass ein (C) möchte ich betonen, dass sich die genannten IMK-Be- genereller, ausschließlicher und unbefristeter Abschie- schlüsse ausdrücklich auf die Beachtung der Möglich- bestopp, wie ihn die Grünen und die Linkspartei fordern, keiten beziehen, die UNHCR benennt. UNHCR setzt die richtige Antwort ist. Natürlich müssen wir leider da- deutliche Grenzen: Das Amt spricht sich generell gegen von ausgehen, dass es in Irak politische Verfolgung gibt. Abschiebungen von Personen aus, die aus dem Süd- und Aber dafür besteht nach wie vor das Recht für politisch Zentralirak stammen. Das gilt nicht nur für diese Gebiete Verfolgte, in Deutschland einen Asylantrag zu stellen. selbst. Es gilt auch für eine Neuansiedlung der Genann- ten in den kurdischen Autonomiegebieten des Nordirak, Der generelle Abschiebestopp ist ein politisches In- also Sulaymania, Erbil und Dohuk. strument im Falle einer akuten Entwicklung, die rasches Handeln erfordert. Dieses Instrument darf nicht inflatio- Für Personen, die aus den Autonomiegebieten stam- när verwendet werden und stellt uns deshalb immer wie- men und hierher zurückgeführt werden sollen, muss die der vor die Frage, ob wir dieses Instrument nicht Lage differenziert beurteilt werden. UNHCR hält die dadurch entwerten, indem es zur regelmäßigen Anwen- Rückkehr in die Autonomiegebiete, wenn die Betroffe- dung wird. nen aus diesen Gebieten stammen, teilweise für möglich. Dass ihnen dabei weder Verfolgung noch andere Men- In Deutschland gehört die Forderung nach dem Ab- schenrechtsverletzungen drohen dürfen, ist selbstver- schiebestopp zum fast schon berechenbaren Ritual. Hier ständlich. Hinzu kommt, dass die weiteren von UNHCR muss auch darauf geachtet werden, dass eine solche Be- aufgestellten Grundsätze beachtet werden müssen: Ers- rechenbarkeit nicht zusätzliche Sogeffekte auslöst. Lei- tens muss eine zu große Anzahl an Rückkehrern vermie- der besteht diese Gefahr. den werden, weil dies die Stabilität der gesamten Region Das Instrumentarium des Abschiebestopps kann nur gefährden kann. Zweitens müssen die Betroffenen von bei vorübergehenden Katastrophen eine Antwort sein. Es Familien und Gemeinden aufgenommen werden. Drit- ist aber sehr schwierig anzuwenden, wenn sich ein Bür- tens kommt nur eine schrittweise und geregelte Rück- gerkrieg langfristig zu verfestigen droht. Es verhindert, kehr in enger Abstimmung mit den örtlichen Behörden wirklich politisch Verfolgten im Einzelfall gerecht wer- infrage. den zu können. Allerdings bleibt die Lage auch im Nordirak ange- Es verhindert, Straftäter abzuschieben, die ihr Aufent- spannt und unsicher. Das muss bedeuten, dass die IMK- haltsrecht hier missbrauchen. Wenn wir verhindern wol- Beschlüsse keinen unumkehrbaren Kurs eingeleitet ha- len, dass solche Straftäter alle Ausländer in Verruf ben. Im Gegenteil: Sobald sich eine Destabilisierung zei- bringen, dann müssen wir in der Lage sein, Einzelfall- gen sollte, muss von weiteren Abschiebungen abgesehen (B) entscheidungen zu treffen. Ein Abschiebestopp unterbin- (D) werden. det das. Aus all dem wird deutlich, dass die Situation im Irak weiter beobachtet werden muss. Nur so kann die hiesige Die Bundesregierung hat dargelegt, dass Abschiebun- Praxis kontinuierlich überdacht und gegebenenfalls an gen nach Irak außer im Falle von Straftätern kaum mehr die aktuellen Bedrohungen angepasst werden. Die ge- vorkommen, und das es umgekehrt auch eine beträchtli- stellten Anträge übersehen in ihrer Verallgemeinerung, che Zahl von freiwilligen Rückkehrern gibt. Vor diesem dass erste wichtige Schritte gegangen worden sind, de- Hintergrund scheint der FDP eine differenziertere Hal- nen aber – und damit möchte ich schließen – weitere fol- tung angemessen, als sie der Abschiebestopp darstellt. gen können, gegebenenfalls sogar müssen. Dauerhafte Probleme mit der Menschenrechtslage in einem bestimmten Land können mit dem Abschie- Hartfried Wolff (Rems-Murr) (FDP): Die Menschen- bestopp ohnehin nicht gelöst werden. Wir müssen uns rechtslage im Irak ist ohne Frage sehr schwierig. Deshalb darüber im Klaren sein, dass wir nicht alle Nöte der Welt ist es richtig, die Frage von Abschiebung dorthin in der ge- auf dem Staatsgebiet der Bundesrepublik werden lindern genwärtigen Situation zu hinterfragen und zu diskutieren. können. Wir sind allerdings der Auffassung, dass die Ob mit der Maximalforderung nach einem unbedingten Menschenrechtslage im Irak weiterhin großer Aufmerk- Abschiebestopp wünschenswerte Ziele allerdings wirklich samkeit bedarf und individuelle Entscheidungen viel erreicht werden können, muss dahingestellt bleiben. stärker die aktuelle Lage vor Ort berücksichtigen müs- sen. Dramatische Menschenrechtsentwicklungen, etwa aufgrund von Bürgerkriegshandlungen wie im Irak, sind Die Grünen haben in ihrem neuen Antrag zu Recht nicht dadurch lösbar, dass sich ein Sechstel einer nicht darauf aufmerksam gemacht, dass die Flüchtlingssitua- ganz kleinen Nation eine neue Heimat sucht. Humani- tion vor Ort mit entschlosseneren Hilfsmaßnahmen der täre Katastrophen wie im Irak sind durch Migration nicht europäischen Staaten verbessert werden muss. Diese nachhaltig lösbar. Auffassung teilen wir ausdrücklich. Es ist nicht hilfreich, wenn dem rechtsstaatlichen In- Die FDP unterstützt den neuen Antrag der Grünen in strumentarium zur Anerkennung von politisch Verfolg- vielen Punkten, insbesondere, was die Hilfe vor Ort an- ten in Deutschland generell misstraut wird. Dieses belangt. Allerdings können wir der apodiktischen Forde- grundsätzliche Misstrauen, das durchaus auch in den rung, auch Straftäter in jedem Falle von der Abschie- vorliegenden Anträgen durchscheint, teile ich nicht. bung auszuschließen und alle Asylwiderrufe der letzten Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 133. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. Dezember 2007 14049

(A) Jahre von Amts wegen neu aufzurollen, nicht zustim- schen Kirche in Deutschland hat sich Anfang November (C) men. ganz klar für solche Aufnahmeprogramme ausgespro- chen. Auch dazu war von der Bundesregierung keine Ulla Jelpke (DIE LINKE): In den irakischen Städten Stellungnahme zu hören. und den ländlichen Regionen tobt die Gewalt. Auch im Ich komme noch auf einen letzten Punkt zu sprechen. Norden des Landes breitet sich Gewalt gegen Minder- Nach drei Jahren wird bei jedem anerkannten Asylbe- heiten aus. Dort werden vor allem Jeziden immer wieder werber geprüft, ob die Gründe seiner Flucht noch beste- Opfer von Anschlägen. Wie zu Zeiten Saddam Husseins hen. Dabei kennen die Behörden offenbar kein Pardon. müssen sie ihre Dörfer verlassen, um in den nördlicheren Bis Ende September wurden 4 679 Widerrufsverfahren Städten Schutz zu suchen. Der andauernde Terror hat gegen irakische Flüchtlinge eingeleitet. Das sind mehr dazu geführt, dass es an der Universität von Mosul in- als im gesamten Jahr 2006. Seit Beginn des Krieges im zwischen keine jezidischen Studentinnen und Studenten Irak gab es insgesamt 26 000 Widerrufsverfahren. Auf mehr gibt. Noch dazu droht im Norden des Landes ein dem Höhepunkt, im Jahr 2004, führten fast 7 000 Ver- regelrechter Krieg zwischen der türkischen Armee und fahren zu einem Widerruf des Asyl- oder Flüchtlingssta- der PKK. 4 Millionen Menschen befinden sich auf der tus. Das war nicht nur ignorant gegenüber den Verhält- Flucht, 2 Millionen davon suchen im benachbarten Aus- nissen im Irak. Es sollte ganz klar weitere Flüchtlinge land Zuflucht. Wie heute ein Sprecherin der EU-Kom- davon abschrecken, nach Deutschland zu kommen. Zum mission mitteilte, gibt es immer wieder neue Wellen von Glück enden seit Mai nur noch wenige dieser Verfahren Flüchtlingen, die das Land verlassen wollen. mit dem Widerruf der Asylanerkennung. Aber es ist In den Nachbarstaaten des Irak geraten die doch klar, dass die Betroffenen durch dieses ganze Ver- Flüchtlinge immer stärker unter Druck. Im Libanon wer- fahren in Unsicherheit gestürzt werden. Diese bürokrati- den sie mittlerweile in Beugehaft genommen, um die sche Schikane ist eine reine Beschäftigungsmaßnahme Ausreise zu erzwingen. Syrien, das immerhin schon für das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge. Wir 750 000 Flüchtlinge beherbergt, nimmt keine Irakerin- fordern: Nutzen Sie diese Ressourcen für die Aufnahme nen und Iraker mehr auf. Diese Länder fühlen sich au- und die angemessene Betreuung von Flüchtlingen. ßerdem von den westlichen Staaten, auch der Europäi- schen Union, im Stich gelassen. Josef Philip Winkler (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Tatsächlich werden sie auch im Stich gelassen. Die NEN): Nach Schätzung des Hohen Flüchtlingskommis- EU-Kommision hat zwar heute beschlossen, 50 Millio- sars der Vereinten Nationen verlassen derzeit jeden Mo- nen Euro im kommenden Jahr bereitzustellen. Aber wir nat 60 000 Irakerinnen und Iraker ihr Land, weil sie (B) wollen nicht vergessen, wer die Hauptverantwortung für unmittelbar von Verfolgung durch terroristische und ge- (D) die elenden Zustände im Irak trägt. Das sind diejenigen waltbereite Gruppen, aber auch seitens staatlicher Stel- Staaten, die das Land im Jahr 2003 ohne Grund ange- len bedroht sind. Derzeit ist nach Angeben des UNHCR griffen und besetzt haben, und es sind diejenigen, die mit circa 4,4 Millionen Menschen fast ein Sechstel aller den Krieg logistisch unterstützt haben. Dazu gehört auch Irakerinnen und Iraker auf der Flucht. Davon sind die Bundesrepublik. Das ist ein Grund, warum die Bun- 2,2 Millionen Binnenflüchtlinge und 2,2 Millionen Men- desregierung jetzt wenigstens den irakischen Flüchtlin- schen in die Nachbarländer geflüchtet. Damit hat den gen helfen muss. Das ist das Ziel unseres Antrages. Nahen Osten die größte Flüchtlingswelle seit 1948 er- griffen. Das angesprochene finanzielle Engagement der EU reicht nicht aus. Es kommt einerseits viel zu spät. Ande- Die Binnenvertriebenen stammen zumeist aus rerseits nimmt die Europäische Union nur eine ver- Bagdad und sind vor der eskalierten Gewalt in der schwindend geringe Zahl an Flüchtlingen selbst auf. Hauptstadt in den Norden geflohen. Aufgrund des hohen Auch die Bundesregierung sperrt sich dagegen, in wirtschaftlichen und sicherheitspolitischen Drucks ha- Kooperation mit dem UNHCR besonders schutzbedürf- ben die drei kurdischen sowie mehrere andere Provinzen tige Flüchtlinge nach Deutschland zu holen. In einer seit Anfang 2007 den Zugang von Binnenflüchtlingen Antwort auf eine Kleine Anfrage zu dieser Problematik massiv eingeschränkt. Flüchtlinge brauchen einen Bür- sagt die Bundesregierung: Wenn wir gezielt irakische gen, unterliegen strengen Sicherheitsauflagen oder kön- Flüchtlinge holen, dann führt das zu einer Sogwirkung. nen gar nicht einreisen. Vor dem Hintergrund der zuneh- menden Spannungen und verschärften Sicherheitslage Was heißt denn „Sogwirkung“? Sinn des Flüchtlings- im Nordirak ist zudem zu befürchten, dass Flüchtlingen schutzes ist es, dass Menschen Schutz vor Gewalt und der Zugang in die Türkei verwehrt wird und sich ihre Verfolgung finden. Da kann man doch nicht argumentie- dortige aufenthaltsrechtliche Situation verschlechtert. ren: Nein, wir wollen keinen Schutz anbieten, sonst kommen womöglich Schutzbedürftige. – Das ist absurd, Auch die Nachbarländer des Irak sind von der Flücht- menschenverachtend und zynisch. Es ist traurig, dass lingskatastrophe betroffen. Durch circa 750 000 Irake- man dem Bundesinnenminister diese banale Wahrheit rinnen und Iraker im lediglich sechs Millionen Einwoh- immer und immer wieder sagen muss. Auch während ner zählenden Jordanien und circa 1,4 Millionen der EU-Ratspräsidentschaft hat es die Bundesregierung irakische Flüchtlinge in Syrien entstehen enorme wirt- abgelehnt, sich an einem Aufnahmeprogramm für iraki- schaftliche, soziale und politische Herausforderungen. sche Flüchtlinge zu beteiligen. Dabei stehen wir mit die- Libanon, Ägypten und die Türkei sind weitere Hauptzu- ser Forderung nicht allein. Die Synode der Evangeli- fluchtsländer. Sie stehen durch die hohe Zahl von 14050 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 133. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. Dezember 2007

(A) Schutzsuchenden vor enormen Herausforderungen. Die Zum anderen wäre aus der Einsicht, dass auch der Nord- (C) Einreisebedingungen in Jordanien wurden ebenso ver- irak keine adäquate Fluchtalternative bietet, die Konse- schärft wie in Syrien, wo seit 1. Oktober 2007 keine quenz eines generellen Abschiebestopps für alle Grup- Sechsmonatsvisa für arabische Staatsbürgerinnen und pen zu ziehen. Auch der Verweis auf eine inzwischen Staatsbürger mehr ausgegeben werden. Die syrische Re- verbesserte Anerkennungspraxis kann nicht ausreichen, gierung hat ebenfalls den Arbeitsmarkt für irakische solange nur wenige irakische Flüchtlinge überhaupt die Flüchtlinge geschlossen. Die Lage der Flüchtlinge vor Chance haben, Deutschland zu erreichen. allem in Amman und Damaskus ist dramatisch. Allein- stehende Frauen, Alte, Kranke, traumatisierte Flücht- linge und arme Familien sind besonders abhängig von Anlage 13 Hilfe. Zu Protokoll gegebene Reden Die internationale Gemeinschaft reagiert bisher nur unzureichend auf die Flüchtlingskatastrophe. Die USA zur Beratung der Beschlussempfehlung und des als Hauptakteur im Irak haben lediglich einige hundert Berichts: Bürokratie abbauen – Zeitumstellung Flüchtlinge seit der Invasion 2003 aufgenommen, abschaffen und Sommerzeit permanent einfüh- Schweden hingegen allein 9 000 Personen. Der UNHCR ren (Tagesordnungspunkt 20) hat über 13 000 besonders hilfsbedürftige Personen zur Weiterwanderung in Drittländer identifiziert, von denen bisher nur wenige hundert in die Zielländer ausreisen Hans-Werner Kammer (CDU/CSU): Wer hat an der konnten. In der EU gab es einen Vorstoß von Großbri- Uhr gedreht, ist es wirklich schon so spät? Wenn wir, tannien, den Niederlanden und Schweden für eine ge- wie die FDP es vorschlägt, ganzjährig die Sommerzeit meinsame Aufnahme (Resettlement), die aber von der hätten, wäre es noch später. deutschen Ratspräsidentschaft unverantwortlicherweise nicht aufgegriffen wurde. Zunächst möchte ich anmerken, dass die CDU/CSU es begrüßt, dass sich die Mitgliedstaaten in der Europäi- Das Europäische Parlament hat bereits am 12. Juli schen Union auf eine einheitliche Zeitregelung geeinigt 2007 die Mitgliedstaaten aufgefordert, einen Beitrag zur haben. Die mitteleuropäische Sommerzeit beginnt je- Linderung der Flüchtlingstragödie durch aktive Auf- weils am letzten Sonntag im März um 2 Uhr mitteleuro- nahme in Europa zu leisten. Geschehen ist in Deutschland päischer Zeit. Zum Zeitpunkt des Beginns der Sommer- bisher nichts. Angesichts des Ausmaßes der Flüchtlings- zeit wird die Stundenzählung um eine Stunde von 2 Uhr tragödie im Nahen Osten ist dies eine menschenrechtli- auf 3 Uhr vorgestellt. Die Sommerzeit endet jeweils am che Bankrotterklärung. (B) letzten Sonntag im Oktober um 3 Uhr mitteleuropäischer (D) Sommerzeit. Zum Zeitpunkt des Endes der Sommerzeit Wir hoffen, dass durch unseren heute eingebrachten wird die Stundenzählung um eine Stunde von 3 Uhr auf Irak-Antrag die Einsicht wächst, dass auch Deutschland 2 Uhr zurückgestellt. Es ist für die Abläufe innerhalb des aktiv irakische Flüchtlinge, insbesondere ethnischen und EU-Binnenmarktes ein großer Vorteil, dass Tag und Uhr- religiösen Minderheiten, aufnehmen muss. Diese Forde- zeit des Beginns und des Endes der Sommerzeit in der rung wird überdies auch von Kirchen und Menschen- gesamten EU einheitlich festgelegt sind. An dieser Ein- rechtsorganisationen immer wieder vorgetragen. heitlichkeit halten wir fest. Am Ende dieses Jahres wird Nicht nur die Unterlassungen der Bundesregierung die Kommission einen Bericht über die Erfahrungen der sind zu kritisieren. Auch das Handeln von Bundes- und einzelnen Mitgliedstaaten mit der einheitlichen Zeitrege- Landesministern gegenüber irakischen Flüchtlingen in lung vorlegen. Deutschland ist unverantwortlich. Trotz der schwierigen Lage im Irak hat die Innenministerkonferenz im Novem- In Ihrem Antrag argumentiert die FDP vornehmlich ber 2006 den Abschiebestopp nach Irak aufgehoben. Ab- mit Bürokratieabbau und energiepolitischen Gründen. schiebungen aus Deutschland in den kurdischen Norden Zum Bürokratieabbau: Es ist sicher richtig, dass eine sind völlig unverantwortlich, da sie geeignet sind, die Zeitumstellung mit einem gewissen Aufwand verbunden Nordprovinzen in einer Umbruchsituation und schwieri- ist. Mittlerweile ist es jedoch dank moderner Software gen ökonomischen Lage zu destabilisieren. Ein Abschie- gelungen, diesen Aufwand zu minimieren. Die Betriebs- bestopp muss daher bis auf Weiteres für den gesamten systeme der Computer vollziehen die Zeitumstellung au- Irak gelten. tomatisch. Viele Uhren und Wecker werden mittlerweile funkgesteuert, sodass die Opposition nur noch fürchten In europaweit einzigartiger Weise hat die Bundes- muss, die politischen Entwicklungen zu verschlafen, republik außerdem in den vergangenen drei Jahren bei nicht aber die Zeitumstellung. anerkannten irakischen Flüchtlingen in Deutschland 18 000 Widerrufsverfahren durchgeführt. Nach massiver Auch bei einer Umstellung im Bahnverkehr wird die Kritik an dieser aufenthaltsrechtlichen Verunsicherung Zeitumstellung seit Jahrzehnten routiniert und reibungs- hat das Innenministerium das Bundesamt für Migration los vollzogen. Der Flugverkehr, der sowieso über meh- und Flüchtlinge im Mai 2007 angewiesen, die Verfahren rere Zeitzonen abgewickelt wird, ist von dieser Rege- für bestimmte Gruppen auszusetzen. Das ist zwar rich- lung direkt nicht betroffen, da dort mit der koordinierten tig, reicht aber nicht aus. Zum einen müssen auch dieje- Weltzeit (UTC) gearbeitet wird. Lediglich die Ankunfts- nigen, deren Flüchtlingsstatus bereits widerrufen wurde, und Abflugzeiten vor Ort sind davon betroffen. Auch in im Lichte der neuen Erkenntnisse behandelt werden. der Seefahrt ist die UTC die Referenzzeit. Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 133. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. Dezember 2007 14051

(A) Zum Energieverbrauch: Durch die Vorverlegung der Regelung zu gewährleisten. Ebenjene Regelungen beste- (C) Heizzeiten, werden eventuelle Energieeinsparungen wie- hen mit geringen Änderungen bis heute fort. Auf euro- der kompensiert. Dies ist jedoch nichts Neues. Bereits päischer Ebene geschieht dies durch eine Richtlinie des bei der Formulierung des Zeitgesetzes Ende der 70er- Rates und des Europäischen Parlamentes vom Januar Jahre, also zu der Zeit, als die Liberalen mit in der Re- 2001, die eine unbefristete Verlängerung vorsieht und in gierung saßen, war dies bekannt und schon damals nicht Deutschland per Verordnung vom 12. Juli 2001 umge- mehr der Grund für die Einführung der Sommerzeit ge- setzt wird. wesen. Das heißt, man erwartet vom bisherigen System auch keine Energiespareffekte mehr. Auch sind keine Das einstige Hauptargument für die Einführung der Umweltbelastungen bekannt. Sommerzeit, nämlich die Möglichkeit, dadurch massive Energiereinsparungen zu erzielen, ist mittlerweile mehr- Ein weiterer Aspekt, über den im Zusammenhang mit fach entkräftet worden. Gestützt auf Erkenntnisse des der Zeitumstellung diskutiert wird, ist die Gesundheit. Umweltbundesamtes ist in der Antwort der Bundesregie- Eine Stunde zu wenig oder eine Stunde zu viel – die rung auf die bereits erwähnte Anfrage der FDP-Fraktion meisten Menschen passieren die Zeitumstellung „im vom April 2005 zu lesen, dass die Sommerzeit im Hin- Schlaf“ und reagieren aus diesem Grund recht unemp- blick auf den Energieverbrauch keine Vorteile biete. Im findlich. Dennoch muss sich auch der menschliche Kör- Gegenteil: „Die Einsparung an Strom für Beleuchtung per bei der Zeitumstellung anpassen. Vereinzelt gibt es [wird], insbesondere durch den Mehrverbrauch an Heiz- dann auch Beeinträchtigungen des Wohlbefindens. Diese energie durch Vorverlegung der Hauptheizzeit, über- dürften jedoch im Zeitalter von Jetlag und Schichtdienst kompensiert.“ nicht nennenswert sein. Langfristige gesundheitliche Auswirkungen sind zudem nicht bekannt. Neben der fehlenden Energieersparnis wird im vorlie- genden Antrag auch das Argument des erhöhten techni- Auf die Lebens- und Arbeitsbedingungen wirkt sich schen und bürokratischen Mehraufwands in privaten Un- die Zeitumstellung insofern aus, als die Menschen des ternehmen und der öffentlichen Verwaltung ins Feld Sommers die Tagesphasen optimaler ausnutzen können. geführt. Dies ist sicher ebenfalls ein Punkt, der hier un- Entsprechend hat sich auch das Freizeitverhalten der strittig ist. Menschen angepasst. Die Zeitumstellung ist jedoch auch nur einer von vielen Aspekten, die das Freizeitverhalten Seit der Wiedereinführung der Zeitumstellung im und die Arbeitsbedingungen der Menschen beeinflussen. Jahre 1980 ist es in dieser Frage immer wieder zu kon- troversen Debatten gekommen. Im Sinne einer Harmoni- Wir könnten jetzt lange die Vor- und Nachteile der jet- sierung der Zeitregelung in Europa hat sich diese Praxis zigen Regelung abwägen. Es ist und bleibt ein Nullsum- jedoch bis zum heutigen Tage gehalten. Während der (B) menspiel. Ich schlage daher vor, wir warten erst einmal deutschen EU-Ratspräsidentschaft im ersten Halbjahr (D) den Bericht der EU-Kommission ab. Die Bundesregie- 2007 standen eine Reihe wichtiger Themen oben auf der rung hat ihre Stellungnahme dazu ja bereits abgegeben Agenda, sodass die Frage einer möglichen Änderung bis und stellt ebenfalls fest, dass es in den angesprochenen dato unerörtert blieb. Jedoch ist auch die deutsche Re- Bereichen keine wesentlichen Beeinträchtigungen durch gierung bestrebt, zu diesem Thema eine erneute europa- die derzeitige Regelung der Europäischen Union gibt. weite Debatte anzustoßen. Solange jedoch keine Eini- Abgesehen davon würden wir uns mit der dauerhaften gung zwischen den Mitgliedstaaten erzielt werden kann, Einführung der Sommerzeit auch dauerhaft eine Stunde sollte auch in der Bundesrepublik an der bisher beste- von unserer geographischen Zeit entfernen. henden Regelung festgehalten werden, da es, folgte man dem Vorschlag, die Sommerzeit dauerhaft einzuführen, Ich kann mich nach sorgfältiger Prüfung dieser Auf- sicher zunächst dazu käme, dass die Bundesrepublik zu fassung nur anschließen. Die CDU/CSU-Fraktion lehnt einer Art Zeitinsel in Mitteleuropa würde. Ihren Antrag daher ab. Dennoch werden wir weiter bestrebt sein, das Anlie- Maik Reichel (SPD): Das Thema Zeitumstellung be- gen der FDP-Fraktion wohlwollend aufzunehmen und schäftigt dieses Haus schon eine ganze Weile, zuletzt in im weiteren Verlauf der bevorstehenden Debatten auf der 15. Wahlperiode, als es ebenfalls die Kollegen der europäischer Ebene die Frage der Zeitumstellung kri- FDP-Fraktion waren, die sich mit einer Kleinen Anfrage tisch zu beleuchten. Die Bundesregierung wird aufgrund an die damalige Bundesregierung wandten. der oben genannten Fakten diese Problematik unter Ein- beziehung aller notwendigen Kriterien positiv mit den Erstmals eingeführt wurde die Zeitumstellung in anderen Mitgliedstaaten der EU erörtern. Aus diesen Deutschland im Jahre 1916. Mit Unterbrechungen, zeit- Gründen erübrigt sich der Antrag der FDP. weise ergänzt durch die sogenannte Hochsommerzeit, bestand sie sogar bis 1950 fort. Im Zuge der Ölkrise Gudrun Kopp (FDP): Welchen Nutzen hat die seit 1973 beschlossen die Europäer in der Absicht, Energie 1981 EU-weit geltende Zeitumstellung? Energieeinspa- einzusparen, die Wiedereinführung der Sommerzeit. In rung, Gesundheitsförderung, Regelungsabbau, Verkehrs- der Bundesrepublik fand dies im Zeitgesetz vom 25. Juli sicherheit? Fehlanzeige. 1978 seinen Niederschlag. In Kraft traten die geplanten Änderungen erst ab 1980, da der Wunsch bestand, sich Es gibt nicht einen Bereich in Gesellschaft und Wirt- in dieser Frage mit den Nachbarn, vor allem auch mit der schaft, der vom zweimaligen Wechsel von Winter- auf DDR, zu koordinieren, um eine möglichst einheitliche Sommerzeit und zurück profitiert. Im Gegenteil: In der 14052 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 133. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. Dezember 2007

(A) Realität haben sich sogar handfeste Nachteile ergeben in tracht der heutigen Lebens- und Arbeitsgewohnheiten (C) Form von mehr Bürokratie, mehr gesundheitlichen Pro- der Winterzeit vorzuziehen ist, wie Sie unserem Antrag blemen durch Störung des Biorhythmus und kein ener- entnehmen können. getischer Nutzen. Ergo sollte gelten: Auf eine Regelung, die keinen erkennbaren Nutzen hat, sollte verzichtet Sie haben jetzt noch einmal die Möglichkeit, die „Al- werden. Genau diese Forderung erhebt die FDP-Bundes- lianz der Untätigen“ zu durchbrechen und die Bundesre- tagsfraktion mit ihrem vorliegenden Antrag. gierung aufzufordern, diesem unsinnigen Treiben ein Ende zu setzen. Bringen Sie mit uns gemeinsam den Bü- Dies ist die Gelegenheit, sogar fraktionsübergreifend rokratieabbau ein Stück voran. Wenn sich Deutschland die vielen verbalen Forderungen nach Bürokratieabbau als einer der wichtigsten Staaten der Europäischen in die Realität umzusetzen. Das sehen erfreulicherweise Union für dieses Thema engagiert, besteht auch die wohl auch etliche Kollegen und Kolleginnen aus den Re- Chance, eine Änderung herbeizuführen. Nutzen wir gierungsfraktionen so. Ich bekam viele zustimmende diese Chance zum konkreten Bürokratieabbau. Reaktionen auf diesen Antrag und den Vorschlag, hie- raus einen gemeinsamen Antrag zu formulieren. Dazu ist Petra Pau (DIE LINKE): Die FDP hat beantragt, die es jedoch leider – wohl aus politisch-taktischen Grün- jährlichen Zeitumstellungen abzuschaffen und die soge- den – nicht gekommen. nannte Sommerzeit permanent einzuführen. Was so ein- Dennoch ist allen Beteiligten schon lange klar: Die fach klingt, ist allerdings viel komplexer und sensibler, Zeitumstellung verfehlt deutlich das ursprüngliche Ziel, als es den Anschein hat. Die Abgeordneten der Fraktion durch bessere Ausnutzung der Tageshelligkeit Energie Die Linke werden daher abstimmen, wie es sich gehört, einzusparen. Den geringfügigen positiven Energieein- ihrem jeweiligen Gewissen folgend und nur dem. Des- spareffekten bei der Beleuchtung stehen ein Mehrver- halb werde ich die Widersprüchlichkeit illustrieren. brauch für Heizenergie sowie ein zusätzlicher Kraftstoff- Was ist die gegenwärtige Praxis? Im März und im Ok- verbrauch wegen des erhöhten Verkehrsaufkommens am tober werden die Uhren um eine Stunde verstellt. Viele Abend, wenn es länger hell ist, gegenüber. In ihrem Be- wissen oftmals nicht, wohin sie die Zeit stellen sollen, richt an die EU-Kommission gesteht die Bundesregie- nach vorn oder nach hinten. Das verschafft den Medien rung diese Tatsache denn auch offen ein. Es wäre also immer wieder dieselbe Quizfrage. Das mag unterhaltsam konsequent gewesen, hieraus eine Forderung nach Ab- sein. Aber diese Unterhaltung geht auf Kosten der Bür- schaffung abzuleiten. Erstaunlicherweise und zu meinem gerinnen und Bürger. Das ist würdelos und das wie- großen Bedauern hat sie das jedoch nicht getan. Fehlan- derum scheint für den FDP-Antrag zu sprechen. zeige auf der ganzen Linie. Aber die Wahrheit ist schlimmer. Regelmäßig im (B) Die jährlich zweimalige Zeitumstellung ist das Para- März werden die Bürgerinnen und Bürger des Nachts (D) debeispiel einer überflüssigen Regelung, die keinen Nut- um eine Stunde beraubt. Dieser Beutezug umfasst allein zen bringt, dabei Schaden anrichtet und nur noch exis- in Deutschland circa 80 Millionen Stunden. Diese Stun- tiert, weil die Mühe gescheut wird, sie abzuschaffen. den werden zwar im Herbst wieder zurückgegeben, aber In ihrem abschließenden Bericht, der die Erfahrungen ohne Zins und Zinseszins. Das wirft natürlich die Frage der europäischen Staaten mit der Zeitumstellung zusam- auf: Wer bereichert sich daran? Die Linke stellt diese menfasst, kommt die EU-Kommission zu dem Schluss, Frage, die FDP verschleiert sie. die Bürger und die Unternehmen hätten die Zeitumstel- Stattdessen will die FDP diesen Aderlass legalisieren, lung „in ihre Aktivitäten integriert“. Die Regelung indem sie permanent die Sommerzeit einführen will. Da- müsse weiter bestehen, damit die Zeitzählung aller Mit- mit wären aber auch die 80 Millionen Stunden futsch. gliedstaaten harmonisiert ist. Das ist wohl die absurdeste Nun weiß gerade die FDP: Zeit ist Geld. Und das ist des Begründung für einen staatlichen Eingriff in die Lebens- Pudels Kern. Die FDP will den Bürgerinnen und Bür- wirklichkeit der Menschen, die man sich nur denken gern wieder mal ans Geld. Das ist die Wahrheit, auch kann: Alle haben sich daran gewöhnt, also machen wir wenn die FDP sich gern als Partei der kleinen Leute lob- weiter wie bisher. Bürokratische und finanzielle Auf- preist. Das Gegenteil ist der Fall. wendungen für die Umstellung, gesundheitliche Pro- bleme bei Menschen sowie bei Tieren in der Landwirt- Ich appelliere zudem ausdrücklich an den aktivierba- schaft, all das soll keine Rolle spielen. Dieses Weiter-so ren Rest christlichen Glaubens in den Reihen der CDU/ ist entlarvend, denn genau dieses Verhalten ist häufig die CSU. Denn wie steht schon in der Bibel: „Ein Jegliches Ursache dafür, dass Gesetze bestehen bleiben, obwohl hat seine Zeit …“ Genau das aber will die FDP nicht. Sie sie keiner mehr braucht. will stattdessen eine Einheitszeit für jeden und alles. Die FDP als neue Einheitspartei, das ist die Botschaft, die Klar ist, dass aus Gründen eines funktionierenden hier so schön versteckt daherkommt. Aber damit kann Binnenmarkts die verschiedenen Wirtschaftssektoren in man Die Linke nicht täuschen. Europa eine einheitliche Zeitzählung benötigen. Doch das ständige Hin und Her ist überflüssig. Wir plädieren Obendrein ist der FDP-Plan wider die Natur. Seit al- daher für die Abschaffung der Zeitumstellung und die ters her ergibt sich die Zeit aus dem himmlischen Gang Einführung einer ganzjährig geltenden Zeit. Welche Zeit der Sterne. Die FDP will nun eine künstliche Zeit ein- das sein soll, ob die jetzige Winter- und frühere Normal- führen. Das wiederum ist typisch: Sie versprechen den zeit oder die Sommerzeit – dabei sind wir prinzipiell of- Leuten eine permanente Sommerzeit, egal ob es draußen fen. Wir meinen jedoch, dass die Sommerzeit in Anbe- fröstelt oder schneit. Solche Täuschungen bewirken aber Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 133. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. Dezember 2007 14053

(A) letztlich nur eines: noch mehr Parteien- und Politikver- Es ist zu erwarten, dass die FDP hier begeisterte Un- (C) druss. Genau das will Die Linke nicht. terstützung von der Linksfraktion erhält. Ihr neues Idol, der Sozialist Chavez aus Venezuela, hat gerade verord- Der neue Wirrwarr beträfe übrigens nicht nur die net, dass die Uhren in Venezuela eine halbe Stunde vor- Menschen. Auch Flora und Fauna würden erfasst. Ich gestellt werden. Damit ticken die Uhren in Venezuela ab sage nur: „Colchicum autumnale“ oder auf gut Deutsch: sofort anders als im Rest der Welt. Der Sozialist, Herr Die Herbstzeitlose. Auch sie, die „Zeitlose“, würde in Chavez, ist fest davon überzeugt, dass diese Maßnahme das Sommerkorsett der FDP gespannt. Das ist nicht frei- zur Beglückung des Volkes beiträgt. Vielleicht ist die heitlich, das ist nicht libertär, das ist einfach nur unan- halbe Stunde ja auch ein geeigneter Kompromissvor- ständig. Also lassen Sie bitte die Finger davon, zumal schlag für die Große Koalition. Sie kann sich ja auch die Herbstzeitlose höchst giftig werden kann. sonst nur auf halbherzige Kompromisse, die nichts lösen Ich könnte auch noch über Wintergerste reden oder und nichts bewegen, verständigen. über Frühlingsblüher. Aber auch in der Tierwelt würde Wir lernen durch den FDP-Antrag, dass Zeit etwas einiges durcheinander geraten. Als Stichwort nenne ich Hochpolitisches ist. Wir sollten allerdings nicht den Feh- nur den Winterschlaf! Wie wollen Sie denn ihren Kin- ler begehen und jetzt bei der Begründung für die Ab- dern und Enkeln erklären, warum sich zum Beispiel die schaffung der Zeitumstellung die Erwartungen erneut Bären ausgerechnet zur schönsten FDP-Sommerzeit auf überhöhen. Eine Vermeidung von Unfällen, weniger die faule Haut legen. Und das Ganze auch noch eine Spritverbrauch und andere Wunderlichkeiten sind kaum Stunde später, als bislang gewohnt. zu erwarten. Die Zahl der Verkehrsunfälle wird nicht Nun sagte ich eingangs: Die Meinungen in der Links- wegen der Zeitumstellung zurückgehen, sondern nur fraktion sind gespalten. So vermuten unsere Umwelt- durch eine vernünftige Tempobegrenzung auf der Auto- schützer, dass die FDP im vorauseilenden Gehorsam für bahn, liebe Kollegin Kopp. die permanente Sommerzeit plädiert. Richtig ist: Es droht eine globale Erderwärmung. Aber wäre es nicht Schon bei der Einführung der Sommerzeit war die klüger, endlich wirklich etwas gegen die Klimakatastro- Euphorie, wie wir heute wissen, fehl am Platz. Bereits phe zu unternehmen, als bürokratisch eine neue Zeit- 1916 führten Großbritannien und Irland eine Sommer- rechnung zu erfinden? zeit ein. In den 70er-Jahren hatten die meisten EU-Mit- gliedstaaten die Sommerzeit eingeführt, Deutschland Gleichwohl gibt es auch Gründe für den FDP-Antrag. schloss sich 1980 an. Seit dem Jahre 2002 ist die Som- So werden die meisten Kinder hierzulande im November merzeit in Deutschland durch eine Verordnung auf unbe- bzw. im Dezember gezeugt. In dieser Zeit sind die stimmte Zeit eingeführt. (B) Nächte länger und der Kuschelbedarf steigt. Bei einer (D) permanenten Sommerzeit würde es noch früher finster Einer der Gründe für die Zeitumstellung war seiner- als normal. Das spräche für den FDP-Antrag. Ich glaube zeit die Hoffnung, die Tageshelligkeit im Sommer besser nur nicht recht, dass die FDP unter Reichtum neuerdings zu nutzen und somit Energie einzusparen. In ihrer Ant- vorwiegend Kinderreichtum versteht. wort auf eine Kleine Anfrage musste die damalige rot- grüne Bundesregierung 2005 jedoch einräumen, dass im Übrigens: Eine permanente Sommerzeit ist eine staat- Hinblick auf den Energieverbrauch die Sommerzeit liche Reglementierung im Schlafzimmer. Die FDP will, keine Veränderungen gebracht hat. Die energiepoliti- dass alle für immer eine Stunde früher aufstehen müs- schen Auswirkungen wurden mithin deutlich über- sen. Übrigens: Sachsen-Anhalt wirbt mit dem Slogan schätzt. Umweltpolitisch haben sich die damaligen Hoff- „Land der Frühaufsteher“. Die FDP will also aus uns al- nungen nicht erfüllt. Es ist also berechtigt, zu fragen, len Sachsen-Anhaltiner machen. Das haben Sie sich fein welchen Sinn dieses zweimalige Umstellen der Uhren ausgedacht, Frau Pieper. Aber auch diesen Trick hat Die im Jahr hat. Linke natürlich durchschaut. Die Bundesregierung hat die große Chance der deut- Abschließend: Einige Fraktionsmitglieder hatten schen EU-Präsidentschaft hier vertan. Wie weiter mit der schon eine Änderung vorbereitet. Im Original der FDP EU-Sommerzeit-Richtlinie 2000/84/EG verfahren wer- heißt es: „Zeitumstellung abschaffen und Sommerzeit den soll, ist ungelöst. Die EU-Richtlinie einfach nur fort- permanent einführen“. Wir hätten beantragt, das Wört- schreiben und verlängern ist unbefriedigend. Einen chen Zeit zu streichen. Geblieben wäre: Umstellung ab- nationalen Alleingang kann es in dieser schwierigen schaffen – Sommer permanent einführen. Das wäre für- Zeitfrage auch nicht geben. wahr revolutionär gewesen, scheiterte aber dann doch am Veto unserer linken Südstaatler und Bergvölker. Mir persönlich ist diese ewige Umstellerei der Uhren eher lästig. Ich weiß auch nach so vielen Jahren nie, ob ich die Zeit jetzt vor- oder zurückstellen soll. Zum Glück Silke Stokar von Neuforn (BÜNDNIS 90/DIE gibt es heute Funkuhren, die über Nacht automatisch die GRÜNEN): Das Topthema dieser Weihnachtssitzungs- Winter- oder Sommerzeit übernehmen. Dies empfinde woche mit der Marathonplenumszeit setzt die FDP mit ich jedoch als einen massiven Eingriff in meinen ganz ihrem Antrag: Schluss mit dem Uhrenumstellen – Som- persönlichen Biorythmus. Von mir aus können wir uns merzeit permanent einführen. Kurz vor Weihnachten ist diese ständige Zeitverschiebung schenken. dem Guido Westerwelle ein Lichtlein aufgegangen. Im Herbst ihres Daseins will die FDP uns jetzt die Erleuch- Das halbjährliche Hü und Hott zwischen Winter- auf tung bringen. Sommerzeit gehört auf den Prüfstand. Deswegen stim- 14054 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 133. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. Dezember 2007

(A) men wir dem Antrag der FDP zu. Möge die Regierung desregierung, sich auch weiterhin so engagiert für einen (C) prüfen, ob Europa sich darauf verständigen kann, die erfolgreichen Abschluss der Wirtschaftspartnerschafts- ewige Sommerzeit einzuführen. abkommen einzusetzen wie bisher. Der jetzt gewählte zweistufige Ansatz ist ein guter Anlage 14 Weg im Sinne der Entwicklungsländer. Er zeigt zugleich einen wesentlichen Charakter dieser Abkommen, näm- Zu Protokoll gegebene Reden lich die sehr flexible Ausgestaltung dieser Verträge. Zu- nächst werden im ersten Verhandlungsabschnitt bis Ende zur Beratung der Anträge: 2007 Interimsabkommen abgeschlossen werden, die ab – Entwicklungsorientierte Wirtschaftspartner- 2008 die Konformität mit den WTO-Regeln gewährleis- schaften zwischen der EU und den AKP- ten. Staaten – Chancen für politische, wirtschaft- liche und soziale Stabilität In der zweiten Stufe wird dann über die entwicklungs- politischen Aspekte verhandelt. Mit diesem Ansatz soll – EU-AKP-Abkommen: Faire Handelspolitik verhindert werden, dass Länder, die nicht zu den ärmsten statt Freihandelsdiktat gehören, ab 2008 eventuell handelsrechtliche Nachteile – Wirtschaftspartnerschaftsabkommen und hinnehmen müssen und es zu einer Unterbrechung der Interimsabkommen zwischen EU und AKP- Güterströme kommt. Nach derzeitigem Stand müssen Staaten entwicklungsfreundlich gestalten sich noch etwa fünf afrikanische Nicht-LDC-Länder, un- ter anderem Angola, Ghana und Kamerun, auf ein Inte- (Tagesordnungspunkt 23 a und b und Zusatz- rimsabkommen einigen. Aber auch hier hat sich die EU tagesordnungspunkt 7) schon bereiterklärt, mögliche erhöhte Zollzahlungen den Entwicklungsländern wieder zurückzuzahlen. Anette Hübinger (CDU/CSU): Wir beraten heute ei- Die WTO-Konformität der Verträge hat meines Er- nen Antrag der Koalitionsfraktionen, der zu den laufenden achtens eine politische Dimension, die noch nicht genug Verhandlungen zwischen der EU-Kommission und den herausgestellt wird. Die bisher größtenteils bilateral aus- Staaten der AKP-Region über den Abschluss neuer Wirt- gestaltete Entwicklungspolitik muss endlich in einen schaftspartnerschaftsabkommen Stellung nimmt. globalgültigen Rahmen eingebunden werden. Gerade für Und ich sage es angesichts der derzeitigen Diskussion die Entwicklungsländer sind weltweit geltende handels- um die Wirtschaftspartnerschaftsabkommen gleich zu und finanzpolitische Regelwerke bedeutungsvoll, um sie (B) Anfang: Die Wirtschaftspartnerschaftsabkommen, die vor der Willkür von machtpolitischen Einzelinteressen (D) eben keine reinen Freihandelsabkommen sind, werden zu schützen. Wenn unsere Bundeskanzlerin auf ihrer den AKP-Staaten völlig neue Möglichkeiten und Chan- Afrikareise Anfang Oktober 2007 nach einer neuen Ent- cen eröffnen, sich schrittweise und abgefedert in die wicklungspolitik, die „weit über die traditionelle Ent- Weltwirtschaft zu integrieren und die Entwicklung in ih- wicklungshilfe“ hinausgeht, verlangt, und Bundespräsi- ren Staaten voranbringen. Die bisher einseitig geltenden dent Horst Köhler in seiner zweiten Berliner Rede Handelspräferenzen haben in den vergangenen 30 Jahren betont: „Wir brauchen eine Entwicklungspolitik für den leider nicht zu einer stärkeren Teilhabe dieser Länder am ganzen Planeten“, dann sprechen beide auch von der Welthandel geführt. Ein Umdenken ist daher nötig. Notwendigkeit, im Sinne von Entwicklungsländern end- lich multilateral einheitliche Regeln zu schaffen: allge- In Afrika, wo sich ein Großteil der AKP-Staaten be- meingültige Regeln, an denen sich erstens alle messen findet, ist die Hälfte der Bevölkerung jünger als lassen müssen und die zweitens besser überprüfbar sind. 18 Jahre. Diese jungen Menschen hoffen auf ein nach- haltig besseres Leben als das ihrer Eltern und Groß- Für die CDU/CSU-Fraktion war immer Kernpunkt der eltern. Und auch wir tragen dabei Verantwortung. Die Wirtschaftspartnerschaftsabkommen deren entwicklungs- Wirtschaftspartnerschaftsabkommen allein werden es förderliche Ausgestaltung über den Charakter bloßer Frei- nicht schaffen, die prekäre Situation in vielen dieser handelsabkommen hinaus. Denn wir wissen: Zusätzliche Länder nachhaltig zu verbessern. Wirtschaftschancen führen keineswegs automatisch zu bes- seren Entwicklungschancen für die betroffenen Menschen. Der Aufbau wettbewerbsfähiger Industrien, die Ge- Es ist deshalb unser Ziel, handels- und entwicklungspoliti- währung von innerpolitischer Stabilität, funktionierende sche Aspekte so zu verbinden, dass die Handelspolitik in Gesundheitssysteme oder auch verbindliche Rahmenbe- den Dienst einer wirksamen Armutsbekämpfung und einer dingungen für internationale Investitionen, um hier nur nachhaltigen Wirtschaftsentwicklung in unseren Partner- einige Faktoren zu nennen, sind gleichermaßen notwen- ländern gestellt wird. Der vorliegende Antrag der Koalition dig, damit Entwicklungsländer endlich die Chancen der unterstreicht dieses Ziel. Globalisierung auch für sich und ihre Menschen nutzen können. Es wird noch vieler weiterer Anstrengungen be- Auf Initiative der deutschen EU-Ratspräsidentschaft dürfen, bevor die millionenfachen Hoffnungen und Er- hat die EU im Mai dieses Jahres ein sehr weitreichendes wartungen dieser afrikanischen jungen Menschen auch Marktzugangsangebot an die AKP-Staaten beschlossen. wahr werden. Die Wirtschaftspartnerschaftsabkommen Dieses Angebot beinhaltet einen zoll- und quotenfreien werden diesen Prozess jedoch wesentlich unterstützen. Zugang aller AKP-Staaten zu den europäischen Märk- Und wir als CDU/CSU-Fraktion appellieren an die Bun- ten; für sogenannte „sensible“ Produkte, wie Reis und Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 133. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. Dezember 2007 14055

(A) Zucker, soll bis 2015 zunächst eine Übergangsregelung Es ist auch keineswegs so, dass mit dem Inkrafttreten (C) gelten. Das ist ein ebenso großzügiges wie weltweit ein- der Wirtschaftspartnerschaftsabkommen die AKP-Staa- maliges Angebot. Zugleich sind die AKP-Staaten nicht ten sich selbst überlassen sind, ganz im Gegenteil. Maß- verpflichtet, ihre eigenen Märkte in gleichem Umfang zu geblich auf Initiative der deutschen Präsidentschaft öffnen: Für den Schutz von in ihren Wirtschaftsstruktu- werden die Wirtschaftspartnerschaftsabkommen ein Mo- ren besonders entwicklungssensiblen Produkten und nitoringsystem enthalten, mit dem die Entwicklungswir- Sektoren können sie sehr lange Übergangsfristen für de- kung der EPAs fortlaufend begleitend bewertet wird; ren Liberalisierung von bis zu 25 Jahren in Anspruch Kurskorrekturen können gegebenenfalls eingeleitet wer- nehmen. Mit diesem Angebot wird das auch von meiner den. Ab dem Jahr 2010 werden den AKP-Staaten im Fraktion befürwortete Konzept einer asymmetrischen, Rahmen von „Aid for trade“ 2 Milliarden Euro jährlich flexiblen und entwicklungsunterstützenden Marktöff- von der Europäischen Union und ihren Mitgliedstaaten nung mit politischem Inhalt gefüllt. zusätzlich zur Verfügung gestellt. Die Wirtschaftspartnerschaftsabkommen bieten her- Die Zusage der EU, bis 2013 alle Formen von Agrar- vorragende Wirtschafts- und Entwicklungschancen für subventionen auslaufen zu lassen, ist einerseits ein wich- unsere Partner. Die schrittweise Öffnung ihrer Märkte tiger Schritt, um die Chancen der Produkte der AKP- werden für die AKP-Staaten auch Anpassungslasten, Staaten zu erhöhen. Zum anderen ist es ein Erfolg auf zum Beispiel sinkende Zolleinnahmen, nach sich ziehen. dem Weg zu einer verbesserten Politikkohärenz. Es be- Die jedoch von einigen NGOs aufgestellten hohen Pro- weist, dass Handels- und Entwicklungspolitik sich im gnosen sind für mich nicht nachvollziehbar und werden Zuge der Globalisierung gegenseitig befördern können. auch von unabhängigen Experten als weit überschätzt Dieser Erfolg sollte uns alle ermutigen, uns weiter und bewertet. Zum derzeitigen Zeitpunkt sind auch aufgrund stärker für mehr Kohärenz zwischen den einzelnen Poli- der noch nicht vollständig verhandelten Liberalisie- tikfeldern einzusetzen. rungsszenarien der Wirtschaftspartnerschaftsabkommen Die Zusagen der EU und deren Beschlüsse im Rah- keine seriösen Angaben über den realen Verlust an Zoll- men der EPA-Verhandlungen sind wichtige Schritte zur einnahmen aufseiten der AKP-Staaten möglich. Sicherung der Entwicklungsförderlichkeit der Abkom- men. Jede Maßnahme wird die Entwicklung der einzel- Wichtig ist jedoch, zu wissen, dass bei den Wirt- nen Länder und Regionen wirksam unterstützen. Den schaftspartnerschaftsabkommen die Effekte der Han- größten Nutzen werden die Länder jedoch haben, wenn delsliberalisierung nicht sofort eintreten. Durch lange sie es schaffen, sich regional auf eine gemeinsame Aus- Übergangsfristen im Liberalisierungsprozess, wie oben gestaltung der EPAs zu einigen. Deshalb möchte ich an schon erwähnt, kann sich der Reformprozess über meh- (B) dieser Stelle nochmals unser gemeinsames politisches (D) rere Jahre hinstrecken. Sinkende Zolleinahmen müssen Anliegen unterstreichen, im Entwicklungsinteresse der daher nicht kurzfristig bewältigt werden, sondern in ei- AKP-Staaten bis zum Jahresabschluss 2007 ein WTO- nem graduellen Prozess. kompatibles Marktzugangsangebot vorzulegen. Die EU stellt weitreichende finanzielle Mittel zur Be- Entwicklung ohne regionale Integration und Teilhabe gleitung der Umstrukturierungslasten zur Verfügung. Im am Handel ist in unserer Welt nicht möglich. Hier setzen 9. Europäischen Entwicklungsfonds wurden, um den die Wirtschaftspartnerschaftsabkommen an: nicht als EPA-Prozess zu unterstützen, insgesamt 730 Millionen bloße Freihandelsabkommen, sondern in einer klaren Euro bereitgestellt. Im 10. EEF, der zeitgleich mit den entwicklungsförderlichen Ausgestaltung als Entwick- EPAs in Kraft treten wird, wurden regionale Integration lungsinstrumente eines völlig neuen Typus in einer glo- und Handel als Schwerpunkte aufgenommen, um die balisierten Welt zum Nutzen der Entwicklung unserer Unterstützung des EPA-Prozesses nochmals zu verstär- Partnerländer, im Interesse der Menschen, besonders der ken. So wird ein substanzieller Teil des EEF für die Um- Armen dort, und im wohlverstandenen – gegenseitigen – setzung der Wirtschaftspartnerschaftsabkommen ver- Interesse von Frieden und Stabilität weltweit. wendet werden können. Ich bitte um Ihre Zustimmung. Neben der schrittweisen Öffnung für den Weltmarkt sind die EPAs nicht zuletzt für die regionale Integration Dr. Sascha Raabe (SPD): Alle, die mit Blick auf der AKP-Länder von großer Bedeutung. Der Abbau re- die schwierigen Verhandlungen zu den Economic Part- gionaler Handelsschranken und die Errichtung einer nership Agreements, den EPAs, zwischen der EU und Zollunion dienen dem wirtschaftlichen Wachstum inner- den Staaten Afrikas sowie des karibischen und pazifi- halb der jeweiligen Region und sind zugleich ein we- schen Raumes auf einen versöhnlichen Jahresausklang sentlicher Faktor zur Stabilisierung und Intensivierung gehofft hatten, sind in dieser Woche eines Besseren be- der Beziehungen untereinander. Wir in Europa wissen lehrt worden. Auf dem EU-Afrika-Gipfel am vergange- am besten, dass von regionaler wirtschaftlicher Integra- nen Wochenende hat die europäische Seite erleben dür- tion alle Beteiligten profitieren. Es kann nicht sein, dass fen, was afrikanischer Stolz ist. Man könnte wohl sagen, es in Afrika durchaus Länder gibt, die einen Nahrungs- der afrikanische Löwe hat gebrüllt und Europa seine mittelüberschuss produzieren, aber aufgrund von beste- Krallen gezeigt. henden Handelsbeschränkungen in den benachbarten Ländern die Menschen an den Folgen von Hunger ster- Vielleicht waren die Gipfelgeschehnisse ein Weckruf ben. Dieses darf es nicht länger geben. zur rechten Zeit. Um im Tierbild zu bleiben: In mancher- 14056 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 133. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. Dezember 2007

(A) lei Hinsicht haben sich die Verhandlungsführer der EU- Produkte zu wettbewerbsfähigen Preisen produzieren zu (C) Kommission bewegt wie der berühmte Elefant im Por- können und die Infrastruktur zu schaffen, damit diese zellanladen. Am Ende waren die Vorbehalte der Afrika- auch exportiert werden können. Die beste Fabrik ist auf ner gegen die EPAs größer als die damit verbundenen sich alleine gestellt, wenn es keine Straßen, Häfen oder Hoffnungen. Möglicherweise hat es daher dieser unge- Flughäfen gibt, um die Produkte weltweit zu verkaufen, wohnt harten Reaktion der Afrikanischen Union bedurft, oder schlicht das Know-how, die Technik und die Mar- um den bisherigen Verhandlungsansatz seitens der EU ketingkonzepte fehlen, wie die Produkte den Anforde- zu überdenken. rungen europäischer Märkte einschließlich der sanitären und anderen Standards genügen können. Deshalb ist es Die EU-Kommission hätte sich viel Ärger ersparen gut, dass die EU ab 2010 jährlich insgesamt 2 Milliarden können, hätte sie sich in den Verhandlungen an unserem Euro für handelsbezogene Entwicklungszusammenarbeit heute hier debattierten Antrag orientiert. Der Antrag aufbringen will und etwa 50 Prozent davon für die AKP- setzt die Akzente eindeutig auf eine nachhaltige und Staaten zur Umsetzung der Wirtschaftspartnerschaftsab- partnerschaftliche Entwicklung der Beziehungen zwi- kommen vorgesehen sind. Darüber hinaus leistet schen der EU und den AKP-Staaten, und das umfassend Deutschland im Rahmen seiner bilateralen und multila- auf mehreren Ebenen unter Beachtung wirtschaftlicher, teralen Entwicklungszusammenarbeit wertvolle Hilfen politischer und sozialer Aspekte. Der Kollege Ruck und zur nachhaltigen Wirtschaftsentwicklung in den AKP- ich haben für die entwicklungspolitischen Arbeitsgrup- Staaten. Diese Mittel werden gemäß des ODA-Stufen- pen der Koalitionsfraktionen unsere Vorstellungen den plans in den nächsten Jahren noch deutlich ansteigen. Kommissaren Mandelson und Michel bereits vorab in ei- nem Brief mitgeteilt. In unserem Antrag haben wir deshalb eine sehr starke Betonung darauf gelegt, dass wir ein entwicklungsorien- Die aktuelle Entwicklung der letzten Tage ist nicht tiertes Partnerschaftsabkommen und nicht primär ein unumkehrbar, aber bedauerlich; denn sie bremst einen Freihandelsabkommen wollen. Wenn sich der Weg der notwendigen Prozess des Zusammenwachsens sowohl Globalisierung nicht in eine Gewinner- und eine Ver- innerhalb der AKP-Regionalgruppen als auch zwischen liererstraße gabeln soll, dann kommt es entscheidend der EU und den AKP-Staaten. Schuldzuweisungen aber darauf an, dass die europäische Seite nicht zum jetzigen bringen nichts. Gleichwohl dürfen wir in unserem Be- Zeitpunkt und mit dem WTO-Spruch im Rücken auf mühen um ein Abkommen nicht nachlassen. Im Grund- eine vollständige gegenseitige Marktöffnung drängt. satz gilt doch: WTO-konforme Wirtschaftspartner- Vielmehr muss die Marktöffnung asymmetrisch erfol- schaftsabkommen sind im gegenseitigen Interesse, gen. Die EU muss ihre Märkte sofort und vollständig zumindest dann, wenn der Begriff Partnerschaft betont öffnen – aus meiner Sicht ohne Übergangsfristen für Zu- (B) wird und keine Worthülse bleibt. Daher ist es jetzt umso cker und Reis – und gleichzeitig den AKP-Staaten – und (D) wichtiger, schnell an den Verhandlungstisch zurückzu- hier nicht nur den am wenigsten entwickelten Ländern – kehren und zunächst über Interimsabkommen zügig kon- lange Übergangsfristen für Liberalisierungsmaßnahmen struktive Lösungen zu erzielen. einräumen. Zudem müssen sensible Produkte von einer Liberalisierung ausgenommen und geschützt werden. Die Tür ist nicht zugeschlagen. Die Verhandlungen mit einigen Regionalgruppen, so zum Beispiel der Kari- Die Asymmetrie, die aus europäischer Sicht auf den bikregion, sind weit fortgeschritten und unproblemati- ersten Blick manchem ungerecht erscheinen mag, ist nur scher als die Verhandlungen mit den afrikanischen Re- logisch. Noch immer werden europäische Produkte, ins- gionen. Und selbst die afrikanischen Staaten bilden ja besondere Agrarprodukte, durch interne Stützungen oder keine einheitliche ablehnende Front. Einige von ihnen, auch durch Exportsubventionen gefördert. Diese han- unter anderem Kenia und Tansania, haben bereits Inte- delsverzerrende Subventionierung ermöglicht es europäi- rimsabkommen unterzeichnet. Trotzdem müssen wir die schen Produzenten, Waren zu Dumpingpreisen zu expor- Bedenken derer, die dem Abkommen skeptisch gegen- tieren. Sensible heimische Märkte in Entwicklungsländern überstehen, ernst nehmen. Wir müssen besonders in würden ohne Schutz zerstört. Als beispielsweise Kenia Afrika verloren gegangenes oder vielleicht nie vorhan- vor einigen Jahren seine Importzölle für Milch abge- den gewesenes Vertrauen zurückgewinnen. Wir müssen senkt hatte und in der Folge der kenianische Markt mit faire Angebote machen, und wir müssen deutlich ma- Milchpulver aus der EU überschwemmt wurde, brach chen, dass es uns nicht um die pure Liberalisierung des die heimische Milchproduktion fast komplett ein. Tau- Marktes und um das Erschließen neuer Absatzmärkte für sende kenianische Milchbauern standen vor dem Nichts. europäische Produkte geht. Heute, nach einer erheblichen Anhebung der Einfuhr- zölle für Milchpulver im Jahr 2002, bildet die erholte Was wir wollen, sind gerechte Handelsbedingungen. Milchwirtschaft wieder das Rückgrat der kenianischen Jeder muss die Chance haben, am Welthandel teilzuha- Agrarwirtschaft. ben. Und dazu reicht eben nicht ein quoten- und zoll- freier Marktzugang alleine, wie ihn die AKP-Staaten Solche Beispiele gibt es auch aus anderen Ländern und LDC-Länder bis auf wenige Produktausnahmen bis- und mit anderen Produktgruppen. Sie zeigen, dass her im Rahmen des geltenden Präferenzsystems hatten. Schutzmechanismen zwingend notwendig sind, damit Die 49 am wenigsten entwickelten Länder verfügen zu- sich die Wirtschaft in den Entwicklungsländern entwi- sammen noch nicht einmal über die Exportkapazität ckeln kann. Das gilt zumindest so lange, bis Europa Südkoreas. Es kommt also darauf an, die Entwicklungs- seine Exportsubventionen und sonstigen Stützungen zu- länder in die Lage zu versetzen, auch weiterverarbeitete rückgefahren hat. Erst danach ist Chancengleichheit an- Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 133. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. Dezember 2007 14057

(A) nähernd denkbar. Das zarte Grün, das in manchen Volks- Warenverkehr bezogenen Interimsabkommen zu verhan- (C) wirtschaften Afrikas durchaus erkennbar ist, darf nicht delnden Themen wie Investitionsschutz und Transparenz vorher unter dem groben Schuh einer marktradikalen Li- im öffentlichen Beschaffungswesen müssen die Ver- beralisierung zertreten werden. handlungskapazitäten und Interessen der AKP-Staaten berücksichtigen und dürfen ihnen nicht aufgezwungen Wir dürfen auch nicht außer Acht lassen, dass viele werden. Auch dies ist eine wichtige Forderung in unse- der Staaten, von denen wir hier reden, kaum eigene Steu- rem Antrag. Allerdings stehen wir dazu, dass sinnvolle ereinnahmen haben und die Importzölle so oft eine der ökologische und soziale Kriterien berücksichtigende Re- wichtigsten staatlichen Einnahmequellen darstellen. geln zum Investitionsschutz für die Entwicklung der Dieses Problem lässt sich nicht von heute auf morgen AKP-Länder ebenso wichtig sein können wie transpa- aus der Welt schaffen und verlangt ebenfalls nach ausrei- rente und damit nicht korruptionsanfällige Regeln bei öf- chend bemessenen Übergangsfristen. Langfristig ist es fentlichen Ausschreibungen. Es kommt eben immer auf allerdings sicher besser, die Importzölle, die oft in frem- die Ausgestaltung und die Akzeptanz beim Partner an. den Taschen landen, durch Steuereinnahmen zu ersetzen, die durch eine florierende Wirtschaft möglich werden. Ebenfalls halten wir es in unserem Antrag für wichtig, dass im Rahmen der Wirtschaftspartnerschaftsabkom- Wir müssen also die von der WTO eingeforderten Li- men auch die internationalen Umwelt-, Sozial- und beralisierungsschritte mit großer Behutsamkeit und mit Menschenrechtstandards und die Transparenz der Kapi- Weitblick vorantreiben. Die Erfahrung zeigt, dass solche talflüsse gefordert und gefördert werden. Entwicklungen nicht übers Knie gebrochen werden dür- fen. So haben sich weder die Länder gut entwickelt, die Mit den Wirtschaftspartnerschaftsabkommen soll vor sich komplett abgeschottet haben, noch die Länder, die allem auch der Süd-Süd-Handel gestärkt werden. Nur ihre Zölle mit einem Federstrich abgeschafft und ihre mit regionalen Zusammenschlüssen und der Schaffung Märkte komplett liberalisiert haben. Immer waren die größerer Binnenmärkte können die AKP-Staaten im glo- Länder am erfolgreichsten, die sich Schritt für Schritt balisierten Wettbewerb bestehen. geöffnet haben. Deswegen fordern wir in unserem An- trag ausdrücklich, dass den AKP-Staaten nicht nur für Europa ist über den gemeinsamen Binnenmarkt zu- ihren Agrarbereich, sondern auch für die im Aufbau be- sammengewachsen. Es könnte den AKP-Regionen als findlichen Dienstleistungs- und Industriezweige ange- Vorbild dafür dienen, dass über gemeinsame Wirt- messene Schutzmöglichkeiten gewährt werden müssen. schaftsinteressen weitere Gemeinsamkeiten zu entde- Falls Liberalisierungsmaßnahmen zu negativen Effek- cken sind. Der Wille dazu muss allerdings aus den Län- ten führen, sollen diese wieder rückgängig gemacht wer- dern selber kommen und darf nicht aufgezwungen (B) den können. Wir fordern in unserem Antrag, dass diese werden. Das europäische Modell ist aber natürlich nicht (D) Überprüfung kontinuierlich durch ein Monitoringsystem eins zu eins übertragbar. Außerdem ist auch in Europa erfolgen soll, das einen zentralen Platz in dem Abkom- die Entwicklung des Zusammenfindens nach mehr als men einnehmen soll. 50 Jahren noch keineswegs abgeschlossen. Europäische Arroganz wäre daher völlig fehl am Platze. Ich sage aber auch: Schritt für Schritt sollte eine Inte- gration in den Weltmarkt erfolgen. Schließlich ist es Wenn sich das Gipfelgewitter vom vergangenen Wo- nicht das Ziel, dass Entwicklungsländer ewig Entwick- chenende verzogen hat, wird es in den kommenden Wo- lungsländer bleiben, sondern nachhaltig starke Wirt- chen und Monaten darauf ankommen, dass sich beide schaftsnationen. Seiten aufeinanderzubewegen. Dann könnten stärker entwicklungsorientierte Wirtschaftspartnerschaftsabkom- Denjenigen, die Wirtschaftspartnerschaftsabkommen men doch noch zu einem Erfolgsmodell werden und ei- generell ablehnen und die bisherige Abschottung der nen wichtigen Baustein im Kampf gegen Hunger und AKP-Märkte bei gleichzeitigem Präferenzzugang zur Armut bilden. EU preisen, sei gesagt, dass die Präferenzregelungen in einigen Bereichen zu Fehlentwicklungen und nicht zur nachhaltigen Wirtschaftsentwicklung beigetragen haben. Hellmut Königshaus (FDP): Gestern hat die Bun- Ein Beispiel hierfür ist der Zuckermarkt. Hier sind oft deskanzlerin an dieser Stelle noch die Erfolge der Bun- ineffiziente Rentensysteme mit veralteten Zuckerrohr- desregierung auf dem EU-Afrika-Gipfel überschweng- plantagen und Fabriken entstanden, während in den la- lich gelobt. Das kann man nur als Versuch bezeichnen, teinamerikanischen Ländern, insbesondere Brasilien, dem Parlament und der Öffentlichkeit hier etwas vorzu- eine wettbewerbsfähige moderne Zuckerindustrie ent- spielen. Zwar wurden die Strategischen Partnerschaften standen ist, gerade weil diese Länder aufgrund fehlender und ein Aktionsplan zwischen EU und Afrika abge- Präferenzen dies durch Effizienz ausgleichen mussten schlossen, bei der entscheidenden Frage der handelspoli- und deshalb heute im Vorteil sind. tischen Beziehungen gab es aber einen bestürzenden Misserfolg. Die Kanzlerin hatte zuvor erklärt, dass die Wir müssen jetzt dafür sorgen, dass die Wirtschafts- Wirtschaftspartnerschaftsabkommen, WPA, demnächst partnerschaftsabkommen auf den richtigen Weg kom- unterschrieben werden. Nun werden aber lediglich Inte- men. Dabei geht Qualität vor Schnelligkeit. Denjenigen rimsabkommen geschlossen. Die Koalition versucht mit Ländern, die sich bis zum Jahresende noch nicht in der Ihrem Antrag, uns und die Öffentlichkeit zu täuschen. Lage sehen zu unterzeichnen, sollten ab Januar 2008 Sie vertuscht, dass wir vor einem ganz großen Scherben- keine Nachteile drohen. Die nach Abschluss der auf den haufen stehen. 14058 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 133. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. Dezember 2007

(A) Aber lassen Sie mich die komplizierte Materie der Erstens. Nicht einmal ein Wirtschaftspartnerschafts- (C) Reihe nach durchgehen: Es ist schon lange bekannt, dass abkommen wurde unterzeichnet, sondern lediglich ein- die Wirtschaftspartnerschaftsabkommen ab dem 1. Ja- zelne Interimsabkommen zum Warenverkehr. nuar 2008 in Kraft treten müssten, da die Präferenzrege- lungen zwischen der EU und Afrika ab diesem Zeitpunkt Zweitens. Die schwierigen Verhandlungen über In- nicht mehr WTO-konform sind. Das wissen wir nicht vestitionen, Transparenz im öffentlichen Beschaffungs- erst seit gestern, sondern seit dem Jahr 2000, als das wesen sowie Wettbewerb und Dienstleistungen wurden Cotonou-Abkommen geschlossen und ratifiziert wurde. noch nicht einmal begonnen. Seitdem wissen wir auch, dass die Beziehungen zwi- Drittens. Der ab dem 1. Januar 2008 sanktionsbe- schen der EU und Afrika ab dem 1. Januar 2008 durch drohte Verstoß gegen die WTO-Regelungen kann neue Wirtschaftpartnerschaftsabkommen geregelt wer- schmerzhafte Gegenmaßnahmen der WTO auslösen. den müssen. Für die Ratifizierung dieser Abkommen ha- Eine konkrete Folgenabschätzung können derzeit weder ben wir heute also noch genau 18 Tage Zeit, und zwar die Bundesregierung noch die EU-Kommission abge- brutto und ohne die Berücksichtigung der Feiertage. ben. Der deutschen EU-Ratspräsidentschaft kam auch in Zu diesem traurigen Ergebnis hat beigetragen, dass diesem Zusammenhang zeitlich ein besonderer Stellen- die EU auch in dieser Frage nicht mit einer Stimme wert zu. Im ersten Halbjahr dieses Jahres hätte sie die spricht. Das wurde auch auf dem EU-Afrika-Gipfel entscheidenden Weichenstellungen vornehmen müssen, deutlich. Während noch bis vor kurzem die „Hardliner“ zumal die portugiesische Seite wegen ihrer nachfolgen- erklärten, dass es zu den Wirtschaftspartnerschaftsab- den EU-Ratspräsidentschaft ausdrücklich auf ihre kommen keine Alternative gebe, erklärt Kommissions- schwierige Situation als ehemalige Kolonialmacht hin- präsident Barroso jetzt, dass „asymmetrische“ Verhand- gewiesen hatte. lungen geführt werden sollten. Die Kanzlerin spricht von „flexiblen Lösungen“, und der französische Staatspräsi- Dennoch hat die Bundesregierung ihre Position nicht dent erklärt, dass Afrika nicht überlastet werden dürfe, genutzt, um den Verhandlungsprozess voranzubringen. und fordert deshalb längere Übergangszeiten. In Anbe- Vielmehr hat sie sich zurückgelehnt und Schauveranstal- tracht der Tatsache, dass die Verhandlungen schon seit tungen mit afrikanischen Staaten – wie etwa die auf dem 2000 geführt werden, muss man daher nochmals fragen, Petersberg – durchgeführt. Noch im Mai hat die Bundes- weshalb die Bundesregierung Anfang des Jahres nicht regierung erklärt, dass es keine Alternative zu den Wirt- aktiver auf den Prozess Einfluss genommen hat. Machen schaftspartnerschaftsabkommen gebe, und auch keinen Sie, Frau Bundeskanzlerin, mit der Kommission Ihre „Plan B“ für den Fall, dass die angestrebten sechs Ab- Hausaufgaben! Wenn Sie nicht wollen, dass Sanktionen kommen nicht bis Ende des Jahres unterzeichnet wür- (B) der WTO auf uns zukommen, dann müssen Sie sich be- (D) den. Anstatt also selber entscheidend tätig zu werden, eilen, um wenigstens noch Schadensbegrenzung zu be- hat sie die schwierigen und entscheidenden Verhandlun- treiben. gen auf die portugiesische Präsidentschaft abgewälzt. Ich glaube aber nicht wirklich, dass Sie, liebe Kolle- Das Ergebnis ist nun ein Desaster: Keines der sechs ginnen und Kollegen der Koalition, die Dringlichkeit der Wirtschaftspartnerschaftsabkommen konnte abgeschlos- Angelegenheit wirklich erkannt haben. Wie es um Ihre sen werden. Bereitschaft steht, sich mit diesem Thema ernsthaft aus- Es ist daher schlicht Augenwischerei, wenn die Bun- einanderzusetzen, sieht man ja auch an der heutigen desregierung nun so tut, als ob die Interimsabkommen, Platzierung dieses Themas in der Tagesordnung des die jetzt abgeschlossen werden, den eigentlich ange- Bundestages. Sie verstecken die Debatte über dieses strebten Abkommen gleichwertig wären. Sie sind es na- wichtige Thema auf einen der letzten Tagesordnungs- türlich nicht, denn sonst hätten deren Inhalte ja als Wirt- punkte – lange nach Mitternacht. Das zeigt ja, übrigens schaftspartnerschaftsabkommen verabschiedet werden mit großer Deutlichkeit, bereits, wie „stolz“ Sie selbst können. auf diese Leistung ihrer Regierung sind. Für das Scheitern der Verhandlungen über die Wirt- Es ist übrigens erstaunlich, dass Sie den Mut haben, schaftspartnerschaftsabkommen mit Afrika trägt die noch eine Woche nach dem Scheitern der Verhandlungen Bundesregierung also eine traurige Mitverantwortung, hier im Plenum über die Chancen dieser neuen Partner- weil sie ihre Rolle als EU-Ratspräsidenten nicht ausrei- schaften zu fabulieren. Sie hätten wenigstens den Mut chend wahrgenommen hat. Wenn jetzt so getan wird, als aufbringen sollen, das Scheitern einzugestehen und Ih- ob dieses katastrophale Ergebnis allein auf die unzurei- ren Antrag mit dem vor dem eben erörterten Hintergrund chende Verhandlungsführung der EU-Kommission zu- fast schon lächerlich wirkenden Titel komplett zurück- rückzuführen sei, dann wird der Anteil der Bundesregie- zuziehen. rung verschleiert. Wachen Sie endlich auf und handeln – verhandeln – Dass die Koalition nun in ihrem Antrag diesen Miss- Sie! Es ist dringend nötig, endlich Rechtssicherheit in erfolg aber auch noch als Erfolg zu verkaufen versucht, den Handel mit den AKP-Staaten zu bringen. Es wird das setzt dem Ganzen die Krone auf! dramatische Folgen für die Entwicklung haben, dass es jetzt keine Sicherheit für den Handel gibt. Dass neben Lassen Sie uns die Fakten noch einmal in Erinnerung den WTO-Verhandlungen nun auch noch die EPA-Ver- rufen: handlungen auf Eis liegen, ist eine Katastrophe. Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 133. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. Dezember 2007 14059

(A) Immerhin haben Sie von der Koalition den positiven eine Gefahr für die wirtschaftliche und soziale Entwick- (C) Zusammenhang zwischen Handel und Entwicklung ja lung ihrer Länder. Sie lehnen diese Freihandelsabkom- inzwischen offenbar verstanden. Wohl deshalb haben Sie men deshalb ab. in Ihrem Antrag große Teile unseres Antrags zur Aus- dehnung der Handelsliberalisierungen der WPA auf an- Mit dem Gipfel von Lissabon wurde offensichtlich, dere Entwicklungsländer in Ihrem Antrag übernommen. was sich schon lange abgezeichnet hat: Die EU-Kom- Das immerhin spricht für Sie, obwohl Sie darauf auch mission ist komplett gescheitert mit ihrer neoliberalen selbst ohne Abschreiben hätten kommen können. Handelspolitik. Und mit der EU ist auch die Bundes- regierung gescheitert, die die Verhandlungsführung der Die Linken und Grünen bringen in ihren Anträgen da- Kommission voll unterstützt hat. Da gibt es nichts zu be- gegen leider zum Ausdruck, dass sie den positiven Zu- schönigen, auch wenn Frau Merkel gestern noch einmal sammenhang zwischen Handel und Entwicklung noch versucht hat, abzuwiegeln. Sie haben die AKP-Staaten immer nicht verstanden haben. Ich will darum noch ein- gegängelt, unter Druck gesetzt, nicht für voll genom- mal die Gelegenheit nutzen, um auf die Vorzüge des men. Jetzt erhalten Sie die Quittung: Die Zeiten, in de- freien Warenaustausches hinzuweisen. Diese gelten übri- nen die europäischen Regierungen den Menschen im Sü- gens nicht nur für die AKP-Staaten, sondern für alle Ent- den sagen konnten, wo es langgeht, sind vorbei. wicklungsländer gleichermaßen. Diese Unterscheidung ist, ganz nebenbei, sowieso nicht mehr nachvollziehbar. Das heißt: Die EU und die Bundesregierung müssen jetzt neu nachdenken, welche Art von Partnerschaft sie Offene Märkte verbessern vor allem die Entwick- den AKP-Staaten anbieten wollen. Wir fordern bereits lungschancen der ärmsten Länder der Welt. Alle empiri- seit langem, dass die EU einen solidarischen Ansatz ei- schen Untersuchungen belegen: Die Öffnung eigener ner gleichberechtigten Partnerschaft entwickeln muss, Märkte führt zu mehr Wohlstand, Bildung, Gesundheit und zwar gemeinsam mit den AKP-Staaten. Das heißt und Rechtssicherheit, und zwar unabhängig davon, wel- auch: gemeinsam mit den sozialen Organisationen, den che Politik andere Staaten betreiben. Umgekehrt lehrt Gewerkschaften, den Parlamenten hier und dort. Ob sie das Beispiel Simbabwe: Wo Marktkräfte gelähmt oder dazu bereit ist, muss allerdings bezweifelt werden. gar ausgeschaltet werden, verarmen die Menschen und verlieren alle Perspektiven. Nach dem Gipfel reagierten Bundesregierung und Kommission zunächst mit der üblichen Ignoranz. Die Die Öffnung der Märkte darf natürlich keine Einbahn- Kanzlerin hat gestern in ihrer Rede zum Reformvertrag straße sein. Nicht nur die Entwicklungsländer müssen noch einmal betont, dass sie weiter an der Verhandlung ihre Märkte öffnen, sondern selbstverständlich auch die von EPAs festhalten will. Aus der Kommission wurde entwickelten Länder. Das müssen wir uns gelegentlich gar die alte Drohung wiederholt, ohne neue Freihandels- (B) selbst immer wieder in Erinnerung rufen. Dennoch: Die abkommen müssten einige AKP-Staaten mit höheren (D) Entwicklungsländer stehen zuallererst selbst in der Ver- Zöllen für ihre Produkte rechnen. antwortung. Nur der Aufbau von Demokratie, Markt- wirtschaft und funktionierenden Rechtssystemen ermög- Die angemessene Reaktion auf das, was sich in Lissa- licht auf Dauer eine nachhaltige Entwicklung ihrer bon abgespielt hat, und eigentlich schon längst überfällig Länder. wäre, wäre ein Moratorium für die Verhandlungen gewe- sen, damit alle Beteiligten die Gelegenheit bekommen, neu über die Ausgestaltung künftiger Abkommen nach- Heike Hänsel (DIE LINKE): Ich beglückwünsche zudenken. Stattdessen wird unter Hochdruck weiter- die afrikanischen Regierungen zu ihrem neuen Selbstbe- verhandelt, und in totaler Verkehrung des Anspruchs, wusstsein. Noch vor kurzem versuchte Frau Wieczorek- regionale Integration fördern zu wollen, werden Einzel- Zeul uns weiszumachen, es herrsche völliges Einverneh- abkommen von völlig unterschiedlichem Zuschnitt mit men zwischen der EU und den AKP-Staaten – Afrika, Staaten oder Teilregionen abgeschlossen. Das haben etli- Karibik, Pazifik – bezüglich der Verhandlungen über die che entwicklungspolitische Organisationen zu Recht als Wirtschaftspartnerschaftsabkommen, die EPAs. Politik nach dem Motto „Teile und herrsche“ kritisiert. Am letzten Wochenende haben wir dann auf dem Gleichzeitig beginnt die EU mit einer Sache, die sie EU-Afrika-Gipfel den senegalesischen Präsidenten bis vor kurzem noch für unmöglich erklärt hat: Sie führt Abdoulaye Wade gehört, der über die EPA-Verhandlun- Verhandlungen mit der WTO über die Verlängerung der gen sagte: Für uns ist es aus. Etliche Staaten kündigten Sonderregelung, auf der das bisherige Handelssystem an, keine EPAs unterzeichnen zu wollen. Der AU-Präsi- zwischen EU und AKP basiert. Damit böte sich den dent Alpha Oumar Konaré äußerste die Befürchtung, die AKP-Staaten zumindest ein kleiner Aufschub. Plötzlich EPAs brächten „dramatische Kosten für die afrikanische geht es also doch, was AKP-Regierungen, soziale Bewe- Bevölkerung“. Und er schrieb der EU ins Stammbuch: gungen und auch die Linke hier im Bundestag immer Die afrikanischen Staaten sind nicht mehr nur Ex- wieder gefordert haben. Das zeigt: Die EPAs sind nicht porteure von Rohstoffen oder einfache Export- alternativlos. Es gibt immer Alternativen, wenn der poli- märkte. tische Wille vorhanden ist. Nicht nur die Regierungen, auch viele soziale Bewe- Vollkommen unverständlich ist mir deshalb, weswe- gungen in den AKP-Staaten sehen in den EPAs, die auf gen die Koalitionsfraktionen nun einen Antrag vorlegen, die weitgehende Abschaffung von Schutzzöllen und auf der gerade so tut, als wäre nichts gewesen. Der Protest die Liberalisierung der Dienstleistungsmärkte abzielen, aus den AKP-Staaten wird schlichtweg ignoriert. Warum 14060 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 133. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. Dezember 2007

(A) knüpfen Sie nicht an die neuen Möglichkeiten an, die Immer noch ist es nicht möglich, genaue Informationen (C) jetzt diskutiert werden? Stattdessen halten Sie unbeirrt darüber zu bekommen, wie es um die nun verhandelten an den EPAs fest. Interimsabkommen steht, wie weit die Verhandlungen mit den regionalen Handelsblöcken waren, wie die in- Die Forderungen im Antrag der Grünen hingegen haltliche Ausgestaltung der Verträge ist, welche Länder stimmen mit unseren Forderungen weitgehend überein. nun beigetreten sind und zu welchen Bedingungen. Ich sehe da auch eine positive Entwicklung vom ersten Antrag zum aktuellen, der viel kritischer ist. Also, die Über eines jedoch gab es keine Missverständnisse: Grünen sind lernfähig, zumindest in manchen Bereichen. dass die Verhandlungen immer wieder von Drohgebär- den und Säbelgerassel begleitet wurden, während auf Die oberste Maßgabe muss sein: Kein Land darf ab dem diplomatischen Parkett einer neuen Partnerschaft 2008 in seinen Handelsbeziehungen zur EU schlechter mit Afrika auf Augenhöhe das Wort geredet wurde. Da gestellt sein als bisher. Alle Drohungen in diese Rich- hat zum Beispiel ein ranghoher EU-Vertreter zum Besten tung sind strikt zurückzuweisen. Zweitens: Es muss gegeben, dass AKP-Staaten, die nicht bereit seien, frist- ohne Zeitdruck und ergebnisoffen verhandelt werden. gerecht EPAs nach dem Willen der EU-Kommission ab- Zwang zur Liberalisierung darf nicht ausgeübt werden. zuschließen, mit einem extremen Anstieg von Einfuhr- Schon gar nicht darf die Liberalisierung der öffentlichen zöllen rechnen müssten – für Waren, die sie auf dem Beschaffungsmärkte vorangetrieben werden. An die europäischen Markt absetzen wollen, und dass sie oben- Stelle der gescheiterten neoliberalen Konzepte von Frei- drein mit Kürzungen von Mitteln aus dem Europäischen handel und Liberalisierung muss eine solidarische und Entwicklungsfonds zu rechnen hätten. Tatsächlich bleibt partnerschaftliche Politik treten, die die Entwicklungs- den meisten AKP-Staaten nichts anderes übrig, EPAs rechte der Menschen im Süden in den Vordergrund stellt oder zumindest erst einmal Interimsabkommen zu unter- und nicht die Profitinteressen der europäischen Export- zeichnen, wenn sie weiter zu günstigen Konditionen in wirtschaft. Dafür brauchen wir die Einbeziehung breiter die EU exportieren wollen. gesellschaftlicher Kräfte wie Gewerkschaften, soziale Organisationen und Bewegungen. Statt EPAs von oben Ich stimme dem Koalitionsantrag durchaus zu, wenn gerechte Beziehungen von unten. da angemessene Schutzmöglichkeiten für Emährungssi- cherheit verlangt werden. Doch was bedeutet dies für die Thilo Hoppe (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Auf Umsetzung? Hier müssen wir viel weiter gehen. Wir dem EU-Afrika-Gipfel in Lissabon sind die Streitigkei- brauchen volle Flexibilität bei den Interimsabkommen ten, die die Verhandlungen der Wirtschaftspartner- und den EPAs selbst, eine Flexibilität, die es den AKP- schaftsabkommen begleiteten, ans Tageslicht gekom- Staaten erlaubt, den Rhythmus und die Bedingungen der (B) men. Man fragt sich als Unbeteiligter – Unbeteiligte sind Marktintegration entscheidend selbst zu gestalten. Die (D) wir ja leider in gewisser Weise, denn weder hier noch in AKP-Staaten dürfen nicht gezwungen werden, andere den AKP-Staaten sind die Parlamente und die Zivilge- Bereiche wie Liberalisierungen im Dienstleistungsbe- sellschaft in die Verbandlungen wirklich einbezogen reich oder Regelungen zum Schutz des geistigen Eigen- worden –, wie es möglich ist, dass so wichtige und weit- tums in spätere EPA-Verhandlungen automatisch einbe- reichende internationale Handelsabkommen in letzter ziehen zu müssen. Die fragilen Volkswirtschaften der Minute im Hauruckverfahren durchgebracht werden. AKP-Staaten müssen Sich schützen können gegen die Oder ist dies gar politisches Kalkül gewesen, um die subventionierte Dumpingkonkurrenz aus der EU und die Verhandlungen im Sinne der EU-Kommission bis zur regelmäßigen Importfluten an Billiggeflügel, Reis und Deadline am 31. Dezember durchzupeitschen? Dosentomaten. Deswegen brauchen wir eine vollkom- mene Neugestaltung der EU-Landwirtschafts- und Han- Der neueste Stand der Dinge ist nun, dass die Kom- delpolitik, und zwar unabhängig vom Ausgang der fest- mission es wohl geschafft hat, statt mit regionalen Han- gefahrenen WTO-Verhandlungen. delsblöcken der Entwicklungsländer mit sehr vielen Un- tergruppen oder gar einzelnen AKP-Staaten separate Zollpolitik kann eine entscheidende Rolle bei natio- Interimsabkommen abzuschließen. Wie diese Abkom- naler Strukturpolitik spielen, wenn Staaten eine ganz- men im Detail aussehen, wissen wir noch nicht. Aber wir heitliche Bekämpfung von Armut und Hunger wollen. können davon ausgehen, dass diese für die Bemühungen Da nützt auch eine Übergangsregelung von 20 Jahren bis um regionale Integration – besonders in Afrika – ein zur vollkommenen Liberalisierung der Märkte nur we- Rückschlag sind. Dabei war es doch eines der erklärten nig. Denn auch damit macht die EU unmissverständlich Ziele der Abkommen, auch die regionale Integration der klar, wo die Musik spielt. Politik, die langfristig Armut AKP-Länder zu fördern. beseitigen und dabei die Wirtschaft wachsen lassen soll, braucht nicht nur stabile Rahmenbedingungen, sondern Da mutet es schon etwas merkwürdig an, wenn im Ko- viel Zeit und periodische Kurskorrekturen. Handelspoli- alitionsantrag zu den EPAs davon gesprochen wird, dass tische Abkommen müssen in ihren Folgen ständig auf „die Bundesregierung während der deutschen EU-Rats- die Wahrung der Menschenrechte, des Rechts auf Nah- präsidentschaft den fristgemäßen Abschluss entwick- rung, des Rechts auf Bildung, der Rechte von Frauen lungsorientierter Wirtschaftspartnerschaftsabkommen bis und Kindern überprüft werden und notfalls eben geän- Ende 2007 entscheidend vorangebracht hat“. Tatsache dert werden können. ist dass während der Ratspräsidentschaft die EPAs an- scheinend nicht wichtig genug waren, um auf der Priori- Die Palette von Produkten, die durch Zölle geschützt tätenliste im Tagesgeschäft weit genug oben zu stehen. werden können, muss nach Bedarf erweitert oder verän- Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 133. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. Dezember 2007 14061

(A) dert werden können. Hier wünschen wir uns eine viel lichkeiten, weshalb die CDU/CSU-Bundestagsfraktion (C) stärkere Beteiligung und Mitentscheidung der Zivilge- dem Antrag nicht zustimmen kann. Ich will das gerne be- sellschaft und der Parlamente bei der Aushandlung und gründen: Bewertung der Folgen der Partnerschaftsabkommen. Erstens: In diesem Antrag steht, dass sich die Nah- rungsmittelhilfe nicht primär nach den Bedürfnissen der- jenigen Länder richten würde, die von Hunger und Ar- Anlage 15 mut am stärksten betroffen sind, sondern sich „an den Zu Protokoll gegebene Reden Agrarinteressen der Industrienationen“ orientiert. Ich denke diese Aussage trifft in dieser pauschalen Form zur Beratung des Antrags: Für eine neue nicht zu. Wesentliche Beweggründe deutscher – und, effektive und an den Bedürfnissen der Hun- wie ich denke, auch europäischer – Entwicklungszusam- gernden ausgerichtete Nahrungsmittelkonven- menarbeit sind die Solidarität mit den ärmsten Ländern tion (Tagesordnungspunkt 22) dieser Welt und der Wunsch, sie auf ihrem Weg aus der Armut zu unterstützen. Trotz aller Unzulänglichkeiten Sibylle Pfeiffer (CDU/CSU): Die weltweite Ernäh- der Nahrungsmittelhilfekonvention ist ihr Ziel eindeutig: rungssicherung ist eine der größten Herausforderungen Sie will zur weltweiten Ernährungssicherung beitragen unserer Zeit. Nicht von ungefähr steht die Bekämpfung und die Fähigkeit der internationalen Gemeinschaft, auf des Hungers an erster Stelle der Millenniumsziele. Über Notsituationen bei Nahrungsmitteln zu reagieren, ver- 850 Millionen Menschen in der Welt hungern; das sind bessern. Ich will nicht sagen, dass in diesem Bereich al- mehr Menschen als die Bevölkerung der USA, Kanadas, les optimal gelaufen ist; aber ich wehre mich gegen eine Europas und Japans zusammengenommen. Über pauschale Verurteilung der Geberländer, wie sie in dem 815 Millionen von ihnen leben in Entwicklungsländern. Antrag formuliert ist. Die derzeitige Nahrungsmittelhilfekonvention – Food Zweitens. Viele Forderungen des Antrags erübrigen Aid Convention, FAC – ist ein Abkommen zwischen sich, da die Bundesregierung bereits aktiv ist. Das BMZ 23 traditionellen Geberländern. Sie wurde 1967 eta- hat frühzeitig die Notwendigkeit des Handelns erkannt bliert, nachdem es in einigen Entwicklungsländern zu und im Mai 2007 in Berlin eine Konferenz zu den He- Missernten gekommen war. Ursprüngliches Ziel war es, rausforderungen, denen die Nahrungsmittelhilfe in Zu- die Nahrungsmittelüberschüsse in Europa und den USA kunft gegenübersteht, organisiert. Das Ziel dieser Konfe- sinnvoll für die weltweite Bekämpfung des Hungers ein- renz war gerade, die relevanten Fragen zu identifizieren zusetzen. Der Grundgedanke war an und für sich richtig: und zu diskutieren. Sie sollen dann bei der Neuverhand- (B) Die Länder mit Nahrungsmittelüberschuss stellen Nah- lung der Konvention berücksichtigt werden. Ich möchte (D) rungsmittel zur Verfügung, sodass im Notfall darauf zu- betonen, dass diese Konferenz bewusst in den Kontext rückgegriffen werden kann. Im Rahmen des Nahrungs- der deutschen EU-Ratspräsidentschaft und unseres G-8- mittelhilfeübereinkommens verpflichten sich die Geber, Vorsitzes gestellt wurde. Daran können Sie sehen, wie den Entwicklungsländern jährlich festgelegte Minimal- wichtig dieses Thema der Bundesregierung war und ist. mengen an Nahrungsmittelhilfe in Form von Getreide und anderen Produkten bereitzustellen. Die Experten sprachen sich auf der Konferenz in Ber- lin dafür aus, dass die Nahrungsmittelhilfekonvention Die Nahrungsmittelhilfekonvention wurde um letzten fortgeführt und verbessert wird. Der Kern des derzeiti- Mal l999 neu verhandelt. Die letzte, 1999 ausgehandelte gen Vertragswerks, nämlich die bindenden Zusagen für FAC wurde 2000 vom Deutschen Bundestag ratifiziert. Nahrungsmittelhilfe, soll gestärkt werden. Zudem hat Danach ist Deutschland verpflichtet, jährlich Nahrungs- die Konferenz konkrete Reformvorschläge hervorge- mittelhilfe im Wert von über 56 Millionen Euro zu leis- bracht, die von der Bundesregierung in den ausstehen- ten. An dieser Stelle sollte auch erwähnt werden, dass den Verhandlungen mit Sicherheit berücksichtigt wer- sich Deutschland im Rahmen der Not- und Übergangs- den. In meinen Augen ist es sehr wichtig, dass die hilfe für 2008 verpflichtet hat, über 91 Millionen Euro Nahrungsmittelhilfe Teil einer umfassenden Gesamtstra- bereitzustellen. tegie zur Bekämpfung des Hungers wird. Nahrungsmit- telhilfe allein kann eine grundlegende Ernährungssicher- Im Vergleich zu den 70er-Jahren, als die Nahrungsmit- heit nicht ersetzen. Wichtig finde ich auch die Forderung telhilfekonvention begründet wurde, hat sich die Situa- der Konferenz nach mehr Transparenz bei der Nahrungs- tion erheblich verändert. Die Industrieländer haben mittelhilfe und die Beteiligung von NGOs im Rahmen immer geringere Nahrungsmittelüberschüsse. Schwel- der Nahrungsmittelhilfekonvention. lenländer wie China und Indien haben einen immer grö- ßer werdenden Bedarf an Lebensmitteln, was wiederum Darüber hinaus ist meiner Meinung nach eine stärkere die Lebensmittelpreise in die Höhe treibt. Zudem gewin- Einbindung der Empfängerländer notwendig. Es kann nen Lebensmittel im Zusammenhang mit Biokraftstoffen nicht sein, dass es zu völlig abstrusen Situationen kommt eine neue Bedeutung. Nicht vergessen werden dürfen wie Anfang 2006, als im Westen Kenias Bauern nach ei- auch die Auswirkungen der Klimaveränderungen. ner erfolgreichen Ernte auf Maisüberschüssen saßen, Kurzum: Die Nahrungsmittelhilfekonvention, die 2008 während im Norden über 2 Millionen Menschen zu ver- ausläuft, steht vor neuen Herausforderungen. Insofern hungern drohten. Die Bauern weigerten sich, staatlichen weist der Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen in Institutionen den Mais zu verkaufen, weil sie kein Ver- die richtige Richtung. Es hat jedoch sehr viele Unzuläng- trauen in die Zahlungsmoral der Regierung hatten. 14062 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 133. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. Dezember 2007

(A) Ein dritter Punkt in Ihrem Antrag, der problematisch Dr. Sascha Raabe (SPD): Täglich sterben etwa (C) ist, bezieht sich auf den Komplex Biotechnologie bzw. 25 000 Menschen an den Folgen von Hunger und Armut, Grüne Gentechnik. Sie erwecken den Eindruck, dass es circa 850 Millionen Menschen in der Welt sind unterer- grundsätzlich einen Konsens gegen die Grüne Gentech- nährt. Jedes Jahr ist die Ernährung von circa 50 bis nik gibt, sowohl bei uns als auch in den Empfängerlän- 60 Millionen Menschen durch Kriege oder Natur- und dern. Das trifft so nicht zu. Auch auf der Konferenz in Umweltkatastrophen gefährdet. Dabei trifft es in der Re- Berlin wurden keineswegs eindeutige Empfehlungen in gel die ärmsten Menschen unserer Erde. Ihre schon dieser Hinsicht gegeben. Ausdrücklich heißt es in dem schwache Existenzgrundlage wird dann nicht selten der Bericht, dass dieses Thema kontrovers diskutiert wurde. allerletzten Grundlage beraubt. Ich bin durchaus für eine offene Diskussion; aber ich bin Zur Linderung der Not bei Krisen und Katastrophen gegen ideologische Scheuklappen. hat sich die Bundesregierung noch unter der rot-grünen Das Problem ist nämlich, dass die Fraktion Bünd- Regierung verpflichtet, Nahrungsmittelhilfe im Wert von nis 90/Die Grünen grundsätzlich skeptisch – wenn nicht 56,24 Millionen Euro jährlich zu leisten und damit den gar ablehnend – gegenüber neuen Technologien in der betroffenen Menschen aktive Hilfe zukommen zu lassen. Landwirtschaft ist. Das betrifft die Entwicklungsländer Das ist gut und eine wichtige Stütze umfassender Ent- in hohem Maße; denn wir müssen uns fragen, wie wir wicklungszusammenarbeit. Nichtsdestotrotz muss die die Welternährung sicherstellen können. Zurzeit liegt die Nahrungsmittelhilfekonvention weiterentwickelt wer- Weltbevölkerung bei über 6,5 Milliarden Menschen. den. Auf der Expertentagung, die das Bundesministe- Schätzungen zufolge wird sie bis 2050 auf über 9 Mil- rium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwick- liarden ansteigen. Zu 99 Prozent findet das Wachstum lung Anfang Mai dieses Jahres organisierte, war als der Bevölkerung in den Entwicklungsländern statt. Ergebnis dieser Tagung der Auftrag eindeutig: Es bedarf mutiger Reformen, um das Instrument der Nahrungsmit- Die Nachfrage nach Nahrungsmitteln wird drama- telhilfe zu verbessern und effektiver für die Reduktion tisch ansteigen. Ein wesentliches Problem sind jedoch von Hunger und Unterernährung einzusetzen. die begrenzten Ressourcen Ackerland und Wasser. Jähr- lich gehen über 7 Millionen Hektar landwirtschaftlicher Der hier vorliegende Antrag „Für eine neue, effektive Nutzfläche und über 9 Millionen Hektar Waldfläche und an den Bedürfnissen der Hungernden ausgerichtete durch Bebauung und Erosion verloren. Zum Vergleich: Nahrungsmittelhilfekonvention“ der Bundestagsfrak- Deutschland hat eine landwirtschaftliche Fläche von tion Bündnis 90/Die Grünen geht prinzipiell in die rich- 17 Millionen Hektar. Ein weiteres Problem ist die immer tige Richtung, denn die Rahmenbedingungen seit der schlechter werdende Bodenqualität. Bereits heute sind ersten Nahrungsmittelhilfekonvention von 1967 haben 40 Prozent der landwirtschaftlichen Nutzfläche der Welt sich erheblich verändert. Es bedarf also einer Erneue- (B) (D) durch Erosion, Versalzung und Wüstenbildung so stark rung. geschädigt, dass die Ertragsfähigkeit der Böden sinkt. Die ursprüngliche Intention, wachsende Nahrungs- Fakt ist, dass bei wachsender Weltbevölkerung die Le- mittelüberschüsse der europäischen Staaten und der bensmittelnachfrage steigt, aber die verfügbare Fläche je USA sinnvoll für die Hungerbekämpfung einzusetzen, Einwohner sinkt. ist so nicht mehr zeitgemäß. Nicht nur das, es wurde und Wenn wir die Welternährung sichern wollen, müssen wird häufig auch viel Schindluder mit der Nahrungsmit- wir folgende Schwerpunkte beachten: Wir brauchen eine telhilfe getrieben, indem die großen Exportländer, insbe- Agrarpolitik, die allen neuen Technologien in der Land- sondere die USA, die Nahrungsmittelhilfe dazu nutzen, wirtschaft offen gegenübersteht und die Forschung und den Abbau eigener Agrarüberschüsse voranzutreiben. Entwicklung ohne ideologische Vorbehalte unterstützt. Dies kann und darf nicht Sinn und Zweck einer nachhal- Gerade in der Entwicklungszusammenarbeit muss eine tigen und damit langfristig auf Selbstständigkeit der be- umfassende Agrarforschung besser unterstützt und besser troffenen Länder ausgerichteten Politik sein. koordiniert werden. Die Agrarreformen in den Entwick- Nicht zu Unrecht wird daher von verschiedenen Orga- lungsländern müssen unterstützt werden. Die Nahrungs- nisationen der Status quo der Nahrungsmittelhilfe kriti- mittelproduktion in den Entwicklungsländern könnte siert. Entscheidend ist, dass wir auf die neuen weltweiten jährlich um 2 Prozent gesteigert werden, wenn die Er- Veränderungen angemessen reagieren und neue Instru- neuerung der Landwirtschaft Fortschritte machen würde. mente entwickeln und Regelungen treffen, die diesen Gerade die Entwicklungspolitik kann bei den Agrarrefor- Herausforderungen gewachsen sind. Die Situation auf men wichtige Hilfestellungen geben. den Weltagrarmärkten verändert sich gravierend, da be- Die nachhaltige Sicherung der Ernährung und die Re- völkerungsreiche Staaten wie China und Indien einen duzierung der Armut einer wachsenden Bevölkerung ist enorm wachsenden Bedarf an Nahrungsmitteln vorwei- die vordringliche Aufgabe. Hier sind Politik, aber auch sen. Zusätzlich kommt es in einigen Ländern zu einer Wirtschaft und Wissenschaft gefordert. Konkurrenz zwischen dem Anbau von Nahrungsmitteln und dem Anbau von Biokraftstoffen. Diese Entwicklung Ich will nicht leugnen, dass der vorliegende Antrag lässt die Preise für bestimmte Agrarprodukte erheblich der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen wichtige Punkte im steigen. Hinblick auf die Nahrungsmittelhilfekonvention auf- greift. Dennoch weist er viele Unzulänglichkeiten auf. Dazu kommt – gerade davor sollten wir nicht unsere Deshalb lehnt die CDU/CSU-Bundestagsfraktion den Augen verschließen – dass durch die zusehends verän- Antrag ab. derten Umweltbedingungen, insbesondere die Klima- Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 133. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. Dezember 2007 14063

(A) erwärmung, für die wir als westliche Industrienation operative Geschäft zu bestimmen, kann nicht richtig (C) zum überwiegenden Teil die Verantwortung tragen, die sein. Darüber hinaus ist es überhaupt fraglich, warum die Häufigkeit von Naturkatastrophen erheblich zunimmt. FAO hierzu, wenn überhaupt, geeignet sein soll. Was Das hat zwei verheerende Auswirkungen: Zum einen hier benötigt wird, ist eine Vertretung, die über gut aus- wird die Nahrungsmittelhilfe vermehrt in Anspruch ge- gebaute Strukturen in den jeweiligen Empfängerländern nommen werden müssen, zum anderen wird damit der verfügt und die notwendigen Kontakte hat. Beides ist bei schon oft spärlich vorhandenen Grundlage für die eigene der FAO so nicht gegeben. Herstellung von Nahrungsmitteln in diesen Regionen die letzte Basis entzogen. Was wir uns hier eher vorstellen könnten, wäre, dass man die Nahrungsmittelhilfekonvention bei dem unserer Dieser Entwicklung müssen wir vereint entgegentre- Meinung nach offensichtlich stärker aufgestellten Welt- ten. Daher will ich auch ein wesentliches Ergebnis der ernährungsprogramm (WEP) ansiedelt. Möglich wäre Konferenz im Mai aufgreifen. Es reicht einfach nicht, auch eine Kombination verschiedener Vertreter. Aber in nur bilateral die Lösung der Probleme der Nahrungsmit- diesem Punkt – und das ist das Entscheidende – greift telhilfe anzugehen. Es muss gemeinsam und internatio- Ihr Antrag ins Leere. Wenn über ein neues Konzept von nal an den strukturellen Ursachen gearbeitet werden mit Nahrungsmittelhilfe diskutiert und debattiert wird, dann dem Ziel, die negativen Auswirkungen notwendiger muss dieses Konzept wohldurchdacht und in einzelnen Nahrungsmittelhilfeleistungen zu begrenzen. Schritten vorangebracht werden. Eine sofortige Festle- Diese umfassende Perspektive, die hier die Ebene der gung würde bedeuten, dass man der Planung dieses um- Zusammenarbeit streift, vermisse ich leider in dem vor- fangreichen und weitsichtigen Konzeptes die nötige Dy- liegenden Antrag. Ich würde mir wünschen, wenn sich namik entziehen würde, die gebraucht wird, um der hier nicht nur instrumentenorientiert, sondern auch, so geforderten Zielsetzung zu entsprechen. wie es verstärkt einzelne NGOs fordern, programmorien- Ihr Antrag greift viele wichtige und notwendige tiert der ganzen Sache angenommen werden würde. Das Punkte auf, die einer Reform der Nahrungsmittelhilfe- zukünftige Nahrungsmittelhilferegime bedarf daher ei- konvention gerecht werden. Allerdings – das habe ich in nes weit umfassenderen Konzeptes, als es hier dargelegt meiner Rede dargelegt – hat er noch zu viele Schwach- ist. stellen. Es ist schlicht unzureichend, wenn die Kolleginnen und Kollegen der Opposition selbst von einer mittel- und In zwei Wochen ist Weihnachten, das Fest der Liebe, langfristigen Perspektive der Nahrungsmittelhilfe spre- in dem es auch darum geht, durch Nächstenliebe denen, chen, dann jedoch nicht den passenden Instrumentenkof- die wenig bis gar nichts haben, zu helfen. Um dieses Ziel (B) fer öffnen. Die „Humanitarian Aid Convention“ ist für nicht nur auf die Zeit während der Festtage zu reduzie- (D) eine solche langfristige Perspektive unpassend. ren, sondern den Menschen in den betroffenen Regionen langfristig zu helfen, greift der hier debattierte Antrag Der hier vorliegende Antrag enthält einige gute und konzeptionell zu kurz. Trotz seiner nicht zu verleugnen- einige weniger ausgereifte detaillierte Regelungen, die den guten Ansätze brauchen wir ein umfassenderes und auch eine konkrete Umsetzung erfordern. Diese detail- weitreichenderes Konzept. Nur so können wir wirklich lierten Regelungen und die operative Umsetzung können Nahrungsmittelhilfe leisten, die nachhaltig den Empfän- nicht in einem solch allgemeinen und weitläufigen Kon- gerländern nutzt. zept, wie Sie es vorschlagen, angesiedelt sein. Das ist schlichtweg der falsche Weg. Es muss allen Beteiligten daran gelegen sein, eine umfassend neue Struktur und Dr. Karl Addicks (FDP): Der aktuelle Welthunger- Architektur der Ernährungssicherung zu entwickeln, die bericht 2007 hat es wieder einmal gezeigt: Es sind kaum das Problem konzeptionell erfasst und dann auch umset- Fortschritte bei der Bekämpfung des Hungers vorzuwei- zen kann. Daher plädieren wir dafür, einen neuen institu- sen. Besonders in Subsahara-Afrika zeichnet sich ein be- tionellen Rahmen für die Nahrungsmittelhilfekonvention drückendes Bild mit nur wenigen Lichtblicken. Im Ge- zu errichten. Dieser kann unserer Meinung sowie der genteil, die absolute Zahl der Hungernden weltweit ist Meinung vieler NGOs nach nur in einer „Food Assis- seit 1980 nur leicht zurückgegangen, seit einigen Jahren tance Convention“ gefunden werden. Diese geht über steigen die Zahlen wieder. Und das, obwohl sich die in- die klassische Nahrungsmittelhilfe von „Food Aid“ hi- ternationale Gemeinschaft dazu verpflichtet hat, mehr naus. „Food Assistance“ vereint somit eine große Band- Geld zu investieren, um Armut, Krankheit und Hunger breite von Interventionen, angefangen von der Versor- besser und auch schneller zu bekämpfen. Angesichts gung mit Waren über therapeutische Ernährung und dieser Entwicklungen müssen wir uns die Frage stellen, Gutscheinprojekte bis hin zu Barauszahlungen und wei- was wir falsch machen. Denn bisher ist dies nicht von teren finanziellen Systemen. großem Erfolg gekrönt. Ich frage mich auch, warum Sie in Ihrem Antrag fest- Die Beseitigung des Hungers ist und bleibt eine der legen, dass die Nahrungsmittelhilfekonvention unter größten Herausforderungen. Warum hungern Menschen dem VN-Dach bei der FAO anzusiedeln sei. Der Prozess gerade in den ländlichen Gebieten, wo doch die Nahrung der Erneuerung wurde – das möchte ich hier noch einmal herkommt? Hat das vielleicht etwas mit der Verteilung betonen – durch die eingeleitete Konferenz der Bundes- des Agrarlandes zu tun? Ja, aber nicht nur. Krieg, Krank- regierung Anfang Mai überhaupt ins Rollen gebracht. heit, Korruption sind nur einige der Gründe für den Hun- Sich jetzt schon festzulegen und einen Akteur für das ger in der Welt. Deshalb nutzen isolierte Nahrungsmit- 14064 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 133. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. Dezember 2007

(A) telprogramme auch nur, um punktuelle Hungerkrisen zu Dogma Ihrer Ablehnung der grünen Gentechnik verab- (C) bekämpfen und akute Notlagen zu beseitigen. schieden? Nicht alles, was diese Technik hervorbringt, ist Teufelswerk, manches ist geradezu segensreich. Das Liebe Kolleginnen und Kollegen von den Grünen, ich hat sogar Greenpeace erkannt. Erkennen Sie es auch! freue mich, dass auch Sie dies so sehen und Nahrungs- Die Chancen überwiegen die hypothetischen Risiken. mittelhilfe in Notsituationen als zwingend notwendig und alternativlos ansehen. Natürlich muss dabei beachtet Darüber hinaus fehlen mir aber auch noch entschei- werden, dass es nicht zu einem Missbrauch der Nah- dende Punkte in Ihrem Antrag. Wo bleiben Punkte wie rungsmittelhilfe kommt, indem Agrarüberschüsse in Bildung und Ausbildung der Landbevölkerung, wo spre- Entwicklungsländer geschickt werden. Dies hat die FDP chen Sie die Verstärkung der Agrarforschung und den im Hinblick auf die USA auch schon mehrfach gefor- Ausbau der Agrarstrukturen durch Industrie-, Entwick- dert. Derartige handelsverzerrende Praktiken müssen lungs- und Schwellenländer an? Ich vermisse dies in Ih- über die WTO abgebaut werden. Da stimmen wir mit Ih- rem Antrag. nen überein. Und noch ein weiterer zentraler Punkt wird in ihrem Wie schon gesagt, Nahrungsmittelhilfe ist in Not- Antrag nicht ausreichend berücksichtigt: die zuneh- situationen alternativlos. Gleichwohl können auf Dauer mende Konkurrenz zwischen Lebensmitteln und nach- jedoch nur die Maßnahmen Hunger und Armut beseiti- wachsenden Rohstoffen. Sie erwähnen es nur in einem gen, die Staaten auf den Weg zu wirtschaftlicher Ent- Halbsatz, aber eine Lösung bleiben Sie schuldig. In den wicklung, zu Freiheit, Demokratie und Menschenrechten letzten Monaten haben ganz zentrale agrarpolitische Ver- bringen. Denn wer Afrika kennt, der weiß, dass dieser änderungen stattgefunden: Die weltweiten Getreidevor- Kontinent enorme Land- und Agrarreserven besitzt. Der räte wurden wegen der enorm gestiegenen Nachfrage afrikanische Kontinent wäre in der Lage, 2 Milliarden abgebaut. Wir haben nicht mehr das jahrzehntelange Menschen zu ernähren. Doch häufig fehlt es an den Überschussproblem, sondern es entstehen erste Nachfra- schon angesprochenen Elementen wie Demokratie und geprobleme. Dies hat zum einen mit einem weiteren Be- Freiheit. Denn nur durch politische Stabilität wird inves- völkerungswachstum, aber auch mit der steigenden tiert, und Menschen können durch ihrer Hände Arbeit ih- Nachfrage nach Biokraftstoffen zu tun. Hier entsteht ren Lebensunterhalt bestreiten. Dazu müssen die Rah- eine Konkurrenz zwischen Nahrungsmitteln und nach- menbedingungen sie in die Lage versetzen. Das ist die wachsenden Rohstoffen, die sich in den nächsten Jahren kausale Bekämpfung des Hungers. Und das müssen wir weiter verschärfen wird. Besonders für Entwicklungs- fördern und fordern. und Schwellenländer wird diese Entwicklung verhee- rende Folgen haben. Dies sind Herausforderungen, de- wir haben es selbst auf einigen Besuchen in Afrika nen wir uns stellen müssen. (B) gesehen: Es kann funktionieren. Jedoch sind dies nur (D) vereinzelte Projekte, die eine positive Entwicklung ge- nommen haben. Leider noch zu wenige. Hüseyin-Kenan Aydin (DIE LINKE): Hunger hat viele Ursachen. Nur die wenigsten sind natürlich be- Neben politischer Stabilität sind natürlich mehr Inves- dingt. Heutzutage ist Hunger vor allem die Folge der rui- titionen in die ländliche Entwicklung nötig, und das von nösen Konkurrenz auf dem internationalen Agrarmarkt. allen Seiten. Sowohl Entwicklungs-, Schwellen- als auch Dies lässt sich an einem Umstand ablesen: Nach FAO- Industrieländer müssen auf diesem Gebiet mehr machen. Angaben leben drei Viertel der weltweit 854 Millionen In den letzten 20 Jahren wurde dieser Bereich der Ent- Hungernden auf dem Land. wicklungszusammenarbeit stark vernachlässigt. Der ak- tuelle Weltbankbericht hat dies glücklicherweise er- Nehmen wir als Beispiel Ghana. In den 80er-Jahren kannt, auch wenn ich mich frage, warum die Erkenntnis wurden in Ghana fast nur einheimische Tomaten geges- so lang gedauert hat. So hoffe ich, dass sich diese Er- sen. Heute aber gehört Ghana auf dem afrikanischen kenntnis auch in den Taten der Weltbank zeigt und viele Kontinent zu den größten Importeuren von Tomaten- Nachahmer, insbesondere in der deutschen Entwick- mark. Ursache: Mit den Billigimporten der europäischen lungszusammenarbeit, findet. Es kann nicht sein, dass Anbieter können die Bauern nicht mithalten. Die ghane- dieser Bereich weiter so sträflich vernachlässigt wird, sischen Konservenfabriken, die bis vor kurzem noch den obwohl gerade bei der Förderung der ländlichen Ent- Bauern die Ware abgenommen haben, verfallen. wicklung mit den größten Entwicklungsergebnissen zu rechnen ist. Laut Weltbank erreicht man mit der Förde- Zwei Effekte sind zu beobachten: Die Gemüsebauern rung der ländlichen Entwicklung einen um den Faktor 4 auf dem Land verdienen nicht mehr genug. Das Geld höheren Erfolg als in allen anderen Bereichen. Aus die- wird knapp. Zu bestimmten Jahreszeiten, insbesondere sem Grund haben wir Liberale immer gefordert, dass vor der Erntezeit, gibt es nur noch eine Mahlzeit pro Tag. mehr, und zwar viel mehr in Agrarforschung und in den Und: Die Jugend wandert in die Städte ab. Doch auch Aufbau funktionsfähiger Agrarstrukturen investiert wer- dort ist Arbeit knapp, weil die einheimische Industrie den muss; denn nur dann ist dies mittel- und vor allem immer weniger einheimische Produkte zu verarbeiten langfristig Hilfe zur Selbsthilfe. hat. Was bringt der freie Handel, wenn er unter dem Strich nur zur Zerstörung der Lebensperspektiven der Ich komme nun zu einigen Punkten in Ihrem Antrag, Ghanesen führt? denen ich als Liberaler und Entwicklungspolitiker nicht zustimmen kann. Liebe Kolleginnen und Kollegen von Doch nicht genug. Es sind dieselben Apostel des un- den Grünen, warum können Sie sich nicht von dem gebremsten Freihandels, die dann hinterher erklären, die Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 133. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. Dezember 2007 14065

(A) Entwicklungszusammenarbeit sei schuld an dem ganzen Dumpingeffektes noch beschleunigt und insofern das (C) Desaster. Nein, die Freihändler selbst verschärfen das Problem mittelfristig verschlimmert statt verbessert. Problem, und zwar ganz bewusst. Eine neue Studie von Eine Konvention muss her, die hier gegensteuert. Es FIAN und „Brot für die Welt“ – die uns im Entwick- geht darum, dass im Krisenfall ausreichend finanzielle lungsausschuss jüngst vorgestellt wurde – hat das ver- Mittel zur Verfügung stehen, um so weit wie möglich re- deutlicht. Wir können dort lesen, dass das Parlament gional produzierte Lebensmittel aufzukaufen und zu ver- 2003 in Ghana auf die Importflut von Billigreis reagierte teilen. und über eine mäßige Zollanhebung von 20 auf 25 Pro- zent. die einheimischen Reisbauern zu schützen ver- Dies sollte überhaupt zum Prinzip der Entwicklungs- suchte. Doch die Regierung nahm, unter dem massiven zusammenarbeit werden: dass Werkzeuge, Schaufeln, Druck des IWF, nach vier Tagen die entsprechende ge- Zelte, Verpflegung etc. so weit wie möglich vor Ort ge- setzliche Regelung zurück. Ich kann mich nicht daran kauft werden und so der einheimische Mittelstand geför- erinnern, dass die Bundesregierung oder das Bundesent- dert wird. Denn Hilfe zur Selbsthilfe darf keine leere wicklungsministerium dieses undemokratische und ent- Phrase sein. Das gilt auch für den Notfall. Und genau wicklungsfeindliche Verhalten als einen Ausdruck von darauf zielen die im vorliegenden Antrag getroffenen „schlechter Regierungsführung“ gebrandmarkt hätte. Feststellungen und Forderungen. Deshalb sollte er ernst Aber genau das ist es. Die ghanesische Regierung beugt genommen und nicht aus kurzsichtigen, parteiegoisti- sich einer übermächtigen Finanzinstitution, damit den schen Überlegungen heraus vom Tisch gewischt werden. Reisexportgiganten aus den USA und Fernost die Tore nach Ghana offen stehen, obwohl das eindeutig gegen die Interessen der eigenen Bevölkerung geht. Das Nach- Thilo Hoppe (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Nah- sehen haben die einheimischen Reisbauern, die nicht rungsmittelhilfe ist elementar wichtig und notwendig. mithalten können. Ich bin sicher, in diesem Punkt sind wir uns alle einig. Wenn Menschen aufgrund von politischen Konflikten, Solange keine entwickelten industriellen Kerne beste- Kriegen, Naturkatastrophen oder ökonomischen Desas- hen, die auf dem freien Markt mitspielen können, so tern keinen Zugang zu Nahrungsmitteln haben, dann ist lange ist die Absenkung der Außenhandelsmauern es unsere Aufgabe, diesen Menschen zu helfen. In Dar- gleichbedeutend mit der Vernichtung von Einkommens- fur werden im Moment 3,7 Millionen Sudanesen vom quellen für die Bevölkerung. Muss ich Sie daran erin- Welternährungsprogramm der Vereinten Nationen mit nern, dass sich auch im Deutschland des 19. Jahrhun- Lebensmitteln versorgt. Ohne diese Hilfe würden sie derts niemals eine einheimische Industrie gegen die wahrscheinlich nicht überleben. (B) englische Konkurrenz hätte entwickeln können, wenn (D) Bismarck sie nicht unter den Schutz des Staates gestellt Grundlegend für die internationale Nahrungsmittel- hätte? hilfe ist die sogenannte Nahrungsmittelhilfekonvention. Dieses internationale Abkommen legt die Bedingungen Schlimmer: Unter dem Druck des freien Marktes wer- der Hilfe fest, es setzt Standards, umfasst verbindliche den die Reserven dünner, mit denen eine Bauernfamilie Produktlisten und enthält die Zusagen der Gebergemein- heutzutage auf dem Land in Schwarzafrika leben muss. schaft. Die erste Nahrungsmittelhilfekonvention wurde Wenn dann eine natürlich bedingte Minderung der Ern- 1967 verabschiedet. Damals hatten die westlichen Indus- teeinnahmen eintritt – wie jüngst infolge der Über- trienationen zum Ziel, ihre Getreideüberschüsse sinnvoll schwemmungen in vielen Ländern Schwarzafrikas –, für die Hungerbekämpfung in Entwicklungsländern ein- dann macht sich gleich in ganzen Landstrichen eine zusetzen. Inzwischen wurde das Übereinkommen mehr- Hungerepidemie breit. Alle Welt sagt dann: Hunger ist mals neu verhandelt. Seit 2001 steht eine solche Neuver- Folge einer Naturkatastrophe. In Wirklichkeit ist er handlung aus. Herausforderungen wie die steigenden nichts als die Folge des von IWF und WTO erzwunge- Nahrungsmittelpreise weltweit, die wachsende Anzahl nen Freihandelsregimes. an Naturkatastrophen, der vermehrte Anbau von Pflan- Nun nutzt es den Betroffenen solcher vermeintlichen zen zur Energiegewinnung und die Tatsache, dass es Naturkatastrophen unmittelbar wenig, wenn die Abge- noch immer 850 Millionen hungernde Menschen auf der ordneten in Deutschland über die Ursachen des Elends Welt gibt, verdeutlichen einen dringenden Handlungsbe- debattieren. Zunächst einmal muss im Falle einer Hun- darf. Bisher musste jedoch aufgrund divergierender Inte- gerepidemie sofort geholfen werden. Der vorliegende ressen der Geberländer die Neuregelung der Nahrungs- Antrag der Grünen widmet sich diesem Problem, und er mittelhilfe immer wieder verschoben werden. In 2008 findet die volle Unterstützung meiner Fraktion Die läuft das gegenwärtige Abkommen aus. Damit besteht Linke. Die bestehenden internationalen Regelungen für die Hoffnung, dass die dringend notwendige Neuver- den Notfall sind in keiner Weise ausreichend. Insbeson- handlung nun endlich in Angriff genommen werden dere ist es zynisch, dass die Freihandelspolitiker selbst kann. die Hungerepidemien noch für ihre Zwecke ausnutzen wollen. Die gegenwärtige Nahrungsmittelhilfe muss refor- miert werden. Das sagen nicht nur wir Grünen, sondern Im Antrag wird richtig festgestellt, dass kostenlos ein- das sagen auch alle Experten: von NGOs über internatio- geflogene Nahrungsmittelhilfe häufig die Zerstörung der nale Organisationen bis hin zu unseren zuständigen Mi- einheimischen Produktionsgrundlage aufgrund des nisterien. Wir fordern deswegen die Bundesregierung 14066 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 133. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. Dezember 2007

(A) auf, sich bei den internationalen Verhandlungen im kom- sind; die nicht als politisches Instrument missbraucht (C) menden Jahr für eine Neuausrichtung der Nahrungsmit- wird, um agrarische Überproduktionen aus dem eigenen telhilfe einzusetzen. Wir brauchen eine Nahrungsmittel- Land kostengünstig abzusetzen; die keinen negativen hilfe, die effektiv ist, die sich an den Problemen der Einfluss ausübt auf die Preise und Produktion von Le- betroffenen hungernden Menschen ausrichtet und die bensmitteln in den Empfängerländern; die nicht als Er- den Bogen von kurzfristiger Nothilfe zu langfristigen Er- satz dient für andere Instrumente der Nothilfe, sondern nährungssicherungsmaßnahmen schlägt. komplementär mit anderen humanitären Aktivitäten ab- gestimmt wird. Und wir brauchen eine Nahrungsmittel- Diese Forderungen sind zwar schon jetzt in Art. 1 der hilfe, die in langfristige, wirtschaftliche Entwicklungs- Nahrungsmittelhilfekonvention als Ziele benannt, nur und Armutsbekämpfungskonzepte integriert ist. gibt es – wie so oft – eine große Diskrepanz zwischen dem, was auf dem Papier steht, und dem, was in der Pra- Für eine solche Nahrungsmittelhilfe setzen wir uns xis geschieht. In der Realität wird leider immer wieder mit unserem Antrag ein. Dabei sind zwei grundlegende deutlich, dass sich Nahrungsmittelhilfe nicht primär an Erneuerungen entscheidend: Erstens. Inhaltlich fordern den Bedürfnissen derjenigen orientiert, die von Hunger wir eine Nahrungsmittelhilfekonvention, die Bezug und Armut am stärksten betroffen sind. Lassen Sie mich nimmt auf das Menschenrecht auf adäquate Nahrung ge- hierfür zwei Beispiele kurz anführen. mäß Art. 11 des Internationalen Pakts für wirtschaftli- che, soziale und kulturelle Menschenrechte sowie auf Erstens. Nahrungsmittelhilfe wird von den Industrie- die hiermit verbundenen freiwilligen Leitlinien der Welt- nationen zum Teil noch immer als Instrument zur Au- ernährungsorganisation zur progressiven Umsetzung ßenwirtschaftsförderung benutzt, um eigene Überpro- dieses Menschenrechts auf Nahrung. duktionen kostengünstig in Übersee abzusetzen. Wir haben das im vorliegenden Antrag am Beispiel der soge- Zweitens. Strukturell fordern wir eine deutliche Ver- nannten Monetarisierung aufgezeigt. Diese US-amerika- besserung der Steuerungsstruktur der Nahrungsmittelkon- nische Praxis der gebundenen Nahrungsmittelhilfe dient vention. Bisher besteht hier ein enormes Transparenz-, der Agrarlobby des Geberlandes, sie dient den amerika- Partizipations- und Kontrolldefizit, das aufgehoben wer- nischen Reedereien, die das – häufig noch subventio- den muss. Im Moment werden noch nicht einmal die Be- nierte – Getreide aus den USA in die Entwicklungslän- richte der Treffen des Nahrungsmittelhilfekomitees öf- der verschiffen, und sie dient den US-amerikanischen fentlich gemacht, und es gibt keine Mechanismen, mit NGOs, die diese Nahrungsmittel auf den lokalen Märk- denen überprüft wird, ob die Geberländer ihren Ver- ten der Entwicklungsländer zu Dumpingpreisen verkau- pflichtungen nachkommen. Wichtige Interessenvertreter fen, um aus den Einnahmen ihre Armutsbekämpfungs- wie die Regierungen der Empfängerländer und die VN- programme vor Ort zu finanzieren. Eine solche Praxis ist Agenturen, also die Welternährungsorganisation und das (B) (D) absurd. Sie beeinträchtigt die Agrarproduktion in den Welternährungsprogramm, haben bisher keinerlei for- Empfängerländern negativ und führt schlimmstenfalls male Möglichkeiten, in die Entscheidungsprozesse ein- sogar dazu, dass die Existenzgrundlage von Kleinbauern bezogen zu werden. Dies muss sich ändern. und Händlern gefährdet wird. Ich bitte um Ihre Unterstützung unseres Antrags. Zweitens. Ein weiteres Beispiel verdeutlicht, dass sich Nahrungsmittelhilfe nicht am Bedarf ausrichtet, sondern abhängig ist von den Lebensmittelpreisen auf Anlage 16 dem Weltmarkt. So stellen Geberländer – die Nahrungs- mittelhilfe in Form von Naturalien leisten und nicht wie Zu Protokoll gegebene Reden die EU in Form von Geld – immer dann ein bestimmtes zur Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur Produkt als Nahrungsmittelhilfe bereit, wenn die Preise Begrenzung der mit Finanzinvestitionen ver- für dieses Produkt am niedrigsten sind. Andererseits re- bundenen Risiken (Risikobegrenzungsgesetz) duzieren sie ihre Schenkungen, sobald die Preise wieder (Tagesordnungspunkt 25) ansteigen. Dieses Vorgehen ist paradox, wenn wir be- denken, dass es sich eigentlich um eine Maßnahme han- Leo Dautzenberg (CDU/CSU): In den letzten zwei delt, die darauf abzielt, den ärmsten Ländern zu helfen. Jahren hat die Große Koalition vieles geleistet, um die Was wir brauchen ist Nahrungsmittelhilfe, die schnell Attraktivität des deutschen Finanzmarkts zu erhöhen. verfügbar ist; die zu allererst den Menschen zukommt, Mit dem REIT-Gesetz haben wir ein neues, interna- die sie am dringendsten benötigen; die für jede Krisen- tional anerkanntes Finanzprodukt auf dem deutschen situation ausreichend Nahrungsmittel bereitstellt, und Markt eingeführt. Durch die Änderung des Investment- zwar unabhängig von den Lebensmittelpreisen auf dem gesetzes haben wir überflüssige Regulierungen abgebaut Weltmarkt; die verschiedene Instrumente beinhaltet, da- und die Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands als Ver- mit sie jederzeit flexibel auf den ausgemachten Bedarf triebs- und Produktionsstandort für Fondsprodukte ver- reagieren kann. bessert. Im nächsten Jahr werden wir mit dem „Gesetz Wir brauchen Nahrungsmittelhilfe, die die Qualität zur Modernisierung der Rahmenbedingungen für Kapi- der Nahrungsmittel gewährleistet und den Ernährungs- talbeteiligungen“ – kurz MoRaKG – neue Anreize für gewohnheiten der bedürftigen Menschen entspricht; die Investoren und Unternehmen der Wagniskapitalbranche garantiert, dass keine gentechnisch veränderten Lebens- schaffen und so besonders Hightechgründer und junge mittel geliefert werden, wenn diese nicht erwünscht Technologieunternehmen fördern. Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 133. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. Dezember 2007 14067

(A) Die Einführung dieser neuen Finanzprodukte und der reits bei einer Abstimmung im Einzelfall sowie beim (C) damit verbundene Anstieg internationaler Finanzinvesti- Austausch von Informationen im Vorfeld von Jahres- tionen stellen uns als Gesetzgeber vor eine neue Auf- hauptversammlungen vorliegen soll, wird zu einer er- gabe: Wir haben die Pflicht, eine ausreichende Transpa- heblichen Verunsicherung gerade bei ausländischen In- renz aller neuen Marktteilnehmer und Marktstrukturen vestoren führen. Es kann aber nicht in unserem Interesse sicherzustellen, um so unerwünschten Entwicklungen in sein, die Attraktivität deutscher Unternehmen für verant- Bereichen, in denen Finanzinvestoren tätig sind, entge- wortungsbewusste und effizienzfördernde Investoren zu genzuwirken. Dieser Pflicht wollen wir mit dem „Gesetz schmälern. zur Begrenzung der mit Finanzinvestitionen verbunde- Zweitens. Bessere Informationen über Inhaber we- nen Risiken“ nachkommen, das wir heute in erster sentlicher Beteiligungen werden von der Unionsfraktion Lesung beraten. In dem Gesetz geht es um eine Verbes- grundsätzlich befürwortet. Wir möchten, dass die Emit- serung der Transparenz und Rechtssicherheit in ver- tenten rechtzeitig erfahren, welche Ziele mit einer Betei- schiedenen Bereichen des Kapitalmarktgeschehens. Die ligung verfolgt werden. Eine Offenlegung der Mittel- vorgeschlagenen Regelungen betreffen zum Teil börsen- herkunft, unterteilt in Fremd- und Eigenkapital, wird notierte, zum Teil aber auch nicht börsennotierte Unter- unserer Ansicht nach allerdings zu Wettbewerbsnachtei- nehmen. Im Einzelnen umfasst das Gesetz folgende len sowohl für die Kreditgeber als auch für die Mittei- Maßnahmen: erstens Konkretisierung der bisherigen lungspflichtigen führen. Zudem geht eine solche Offen- Acting-in-Concert-Regelung, zweitens Verstärkung der legung der Mittel über die EU-Transparenzrichtlinie Aussagekraft wertpapierhandelsrechtlicher Meldungen, hinaus, die erst im vergangenen Jahr in deutsches Recht drittens mehr Informationen über Inhaber wesentlicher umgesetzt wurde. Sie stellt also eindeutig ein sogenann- Beteiligungen, viertens Verschärfung der Rechtsfolgen tes Goldplating dar. bei Verletzung von gesetzlichen Mitteilungspflichten, fünftens verbesserte Identifizierung der Inhaber von Na- Ein dritter Punkt, bei dem wir noch Klärungsbedarf mensaktien, sechstens Konkretisierung der Informa- sehen, ist die Konkretisierung der Informationsrechte tionsrechte der Belegschaften. der Belegschaften von nicht börsennotierten Unterneh- men. Es ist richtig, den Schutz der Belegschaften durch Die anhaltenden Turbulenzen an den internationalen Informationspflichten bei Übernahme des Unternehmens Finanzmärkten haben einmal mehr gezeigt, wie wichtig zu verbessern. Dabei muss unserer Ansicht nach aber Transparenz, Klarheit und Rechtssicherheit auf dem Ka- auch sichergestellt werden, dass auch die Betriebs- und pitalmarkt sind. Deshalb unterstützt die Unionsfraktion Geschäftsgeheimnisse des Übernehmers gewahrt blei- die Ziele des Gesetzes im Grundsatz. Wir möchten, dass ben. damit die Transparenz auf dem Finanzmarkt erhöht wird. (B) Die Emittenten sollen rechtzeitig erfahren, wer ihre wah- Lassen Sie mich nun auf einen Punkt zu sprechen (D) ren Eigentümer sind und welche Ziele sie verfolgen. kommen, der in dem Gesetzentwurf zwar nur unter der Deshalb begrüßen wir vor allem die von der Regierung Überschrift „weitere Maßnahmen“ aufgeführt wird, der vorgeschlagenen Maßnahmen zur verbesserten Identifi- aber aufgrund der aktuellen Entwicklung immer mehr an zierung der Inhaber von Namensaktien. Sie werden dazu Bedeutung gewinnt. Ich spreche von dem Thema Kredit- führen, mehr Licht in die Aktionärsstrukturen zu brin- verkauf, das in den letzten Monaten häufig für negative gen. Schlagzeilen in den Medien gesorgt hat. Nicht zuletzt das nichtöffentliche Fachgespräch zu diesem Thema im Gleichzeitig ist es uns aber auch wichtig, dass das Ge- Finanzausschuss hat klar gezeigt, dass hier gesetzgeberi- setz – wie im Entwurf im Übrigen auch angekündigt – scher Handlungsbedarf besteht, um Kreditkunden besser solche Finanz- oder Unternehmensaktionen nicht beein- zu schützen. Dabei muss aber auch bedacht werden, dass trächtigt, die effizienzfördernd wirken. Wenn wir die der Verkauf und die Verbriefung von Krediten aus volks- Wettbewerbsfähigkeit des deutschen Finanzstandortes wirtschaftlicher Sicht grundsätzlich zu begrüßen sind. bewahren und weiter ausbauen wollen, müssen wir eine Für mich heißt das: Wir müssen den Schutz der Darle- nationale Überreglementierung in jedem Fall vermeiden. hensnehmer erhöhen, ohne dabei den erfolgreichen deut- Wir begrüßen es deshalb sehr, dass die zunächst vorgese- schen Verbriefungsmarkt zu gefährden. Hier ist eine Er- henen und von Unionsseite kritisierten Regelungen zu höhung der Transparenz von Kreditverkäufen unserer Meldungen bei Leerverkäufen und zur Einführung eines Ansicht nach das geeignete Mittel, um beide Ziele zu er- Präsenzbonus bei Hauptversammlungen aus dem Ge- reichen. setzentwurf gestrichen wurden. Konkret stellen wir drei Forderungen auf. Erstens soll Auch das weitere Gesetzgebungsverfahren wird die der Kreditnehmer bei Vertragsabschluss darüber infor- Union kritisch begleiten, um überzogene Sanktionen für miert werden, dass sein Kredit verkauft werden kann. den Finanzplatz Deutschland zu vermeiden. Eine solche Gleichzeitig soll er die Möglichkeit erhalten, einen Ver- Gefahr der Überregulierung sehe ich durchaus noch bei kauf auszuschließen. Eine solche Verpflichtung wird der Ausgestaltung von drei der vorgeschlagenen Maß- dazu führen, dass es künftig sowohl Kredite geben wird, nahmen. die verkauft werden können als auch solche, die vermut- lich etwas teurer sein werden, aber bei denen dafür ein Erstens. Die geplanten neuen Regelungen zum abge- Verkauf ausgeschlossen sein wird. stimmten Verhalten von Investoren – das sogenannte Acting in Concert – halte ich in der Tendenz für zu res- Zweitens wollen wir, dass der Kunde beim Verkauf triktiv. Die Tatsache, dass Acting in Concert künftig be- des Kredites unverzüglich davon in Kenntnis gesetzt 14068 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 133. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. Dezember 2007

(A) wird und auch erfährt, wer sein neuer Gläubiger ist. Eine Es ist zum Wohle der übrigen Aktionäre, wenn wir (C) solche Informationspflicht sollte allerdings entfallen, unsere Regelungen zum Acting in Concert überarbeiten, wenn die Bearbeitung des Kredits – das sogenannte Ser- damit nicht Aktionäre mit eher geringfügigen Aktienpa- vicing – weiterhin bei der ursprünglichen Bank ver- keten die Strategie des Unternehmens maßgeblich beein- bleibt. Denn in einem solchen Fall ändert sich für den flussen können, weil sie sich mit anderen heimlich ab- Kreditnehmer praktisch nichts. sprechen. Drittens halten wir es für wichtig, dass der Kredit- Ich weiß, wie verunsichert die Mitarbeiter und Mit- kunde rechtzeitig vor dem Auslaufen der Zinsbindung arbeiterinnen von Unternehmen sind, wenn sie sich darüber informiert wird, damit er sich rechtzeitig um plötzlich mit einem neuen einflussreichen Investor kon- eine Anschlussfinanzierung bemühen kann. frontiert sehen: Welche Ziele verfolgt der neue Eigen- Darüber hinausgehende Forderungen, insbesondere tümer mit diesem Investment? Mit welchen finanziellen die Forderung nach einem Sonderkündigungsrecht und Mitteln wurde die Transaktion finanziert? einem Wegfall der Vorfälligkeitsentschädigung – über Diese Beispiele zeigen, was nötig ist, um faire Spiel- einen solchen Vorschlag wurde in der Presse ja bereits regeln auf den Finanzmärkten weiter sicherzustellen: berichtet – lehnen wir ab. Eine solche Regelung würde Wir brauchen in erster Linie mehr Transparenz für alle, den Verkauf von Krediten generell unmöglich machen die an Finanzinvestitionen beteiligt sind. Mit dem vorlie- und den Markt für Kreditverbriefungen zum Erliegen genden Gesetzesentwurf werden die mit Finanzinvesti- bringen. Gerade die Vorfälligkeitsentschädigung ist eine tionen verbundenen Risiken begrenzt, indem wir vor al- wichtige Voraussetzung für die in Deutschland üblichen lem besagte Transparenz herstellen, aber auch klar die Festzinskredite und Pfandbriefe. Die Subprimekrise in rechtlichen Rahmenbedingungen verbessern, um ge- den Vereinigten Staaten hat die Vorteile unseres Systems samtwirtschaftlich unerwünschten Auswirkungen entge- der langfristigen Kreditfinanzierung aufgezeigt. Konti- genzuwirken. nuierliche Zinserhöhungen bei sogenannten Subprime- krediten, die in den USA zu Zahlungsausfällen geführt Eine rechtliche Klarstellung ist insbesondere beim ab- und die Immobilienkrise ausgelöst haben, sind bei uns gestimmten Verhalten von Investoren, dem sogenannten ausgeschlossen. Dieses – meiner Ansicht nach vorbildli- Acting in Concert erforderlich. Unsere derzeitigen kapi- che – System der langfristigen Kreditfinanzierung, für talmarktrechtlichen Vorschriften sind veraltet und er- dessen Erhalt wir gerade auf europäischer Ebene noch schweren, Acting in Concert nachzuweisen, wenn hier gekämpft haben, würde durch ein Sonderkündigungs- mittels moderner Kommunikationswege eine Abstim- recht der Kreditnehmer erheblich gefährdet werden. mung vorgenommen wird. (B) (D) Ich bin davon überzeugt, dass wir gemeinsam mit un- Wir möchten dem Markt zuverlässige und aussage- serem Koalitionspartner sowohl bei dem Thema Kredit- kräftige Informationen zur Verfügung stellen, welcher verkauf als auch bei den übrigen Punkten des Gesetzes Investor wesentliche Beteiligungen an einem Unterneh- zu einvernehmlichen und guten Lösungen kommen wer- men hält. Einen wichtigen Schritt haben wir mit dem den, um das Ziel des Gesetzes, eine Erhöhung der Trans- Transparenzrichtlinie-Umsetzungsgesetz Anfang dieses parenz auf dem deutschen Finanzmarkt, zu erreichen. Jahres bereits gemacht: Seitdem müssen Investoren be- Die Union wird sich dabei dafür einsetzen, Überregulie- reits eine Beteiligung von 3 Prozent melden. Im vorlie- rungen und überzogene Sanktionen zu vermeiden und genden Gesetzesentwurf ist nun vorgesehen, dass die Attraktivität des Finanzstandortes Deutschland wei- Stimmrechte aus Aktien und aus vergleichbaren Positio- terhin sicherzustellen. nen in anderen Finanzinstrumenten zusammengerechnet werden. Damit werden aussagefähige Schwellenwerte Nina Hauer (SPD): Die Finanzmärkte eröffnen Anle- früher erreicht. gerinnen und Anlegern immer komplexere Anlagemög- lichkeiten. In den letzten Jahren haben sich aber auch die Nach dem Gesetzesentwurf wird es künftig auch bes- Akteure auf den Finanzmärkten verändert. Hedgefonds sere Informationen über Inhaber von Beteiligungen ge- und Private-Equity-Firmen spielen inzwischen auf den ben, die mehr als 10 Prozent eines börsennotierten Un- modernen Finanzmärkten eine wichtige Rolle. Manche ternehmens halten. Eine ähnliche Regelung haben die Fonds investieren in börsennotierte, manche in nichtbör- USA und Frankreich bereits schon vor einiger Zeit ein- sennotierte Unternehmen. Der Anlagehorizont der In- geführt. Die Investoren müssen bei Erreichen der Anla- vestoren kann kurz- oder langfristig sein. Gesamtwirt- gegrenze offenlegen, welche Ziele sie mit der Beteili- schaftlich sind Finanztransaktionen deshalb notwendig, gung verfolgen, ob sie beispielweise nur kurzfristige weil sie Unternehmen den Zugang zu neuem Kapital er- Handelsgewinne erzielen wollen oder ein langfristiges möglichen. strategisches Engagement in dem Unternehmen verfol- gen. Außerdem wird offengelegt, inwieweit der Investor Die Politik steht mit dem Anstieg dieser Finanzinves- beim Erwerb der Stimmrechte Fremd- oder Eigenmittel titionen vor neuen Herausforderungen. Es passt nicht einsetzt. zum Bild eines transparenten Finanzmarktes, wenn die Vorstände börsennotierter Unternehmen trotz der Aus- Das sind wichtige Informationen, die sowohl dem gabe von Namensaktien ihre größten Aktionäre nicht Unternehmensvorstand als auch der Belegschaft An- kennen, weil sich diese nicht mit ihrem wirklichen Na- haltspunkte geben, was von dem neuen Eigentümer zu men in das Namensregister eintragen. erwarten ist. Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 133. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. Dezember 2007 14069

(A) Der Gesetzentwurf setzt weiter der häufigen Praxis Schon bei der Vorstellung dieses Gesetzentwurfs hat (C) ein Ende, dass ein Aktionär zwischen zwei Hauptver- die Regierungskoalition angekündigt, dass parallel zum sammlungen seinen Meldepflichten nicht nachkommt, oben erwähnten Entwurf auch Rahmenbedingungen ge- ohne rechtliche Konsequenzen fürchten zu müssen, so- schaffen werden müssen, die unerwünschte Aktivitäten lange er die Meldung zum Stichtag nachholt. Er kann von zwielichtigen und nur auf schnelle Rendite orientier- sich also unbemerkt an das Zielunternehmen anschlei- ten Finanzinvestoren erschweren sollen. Gleichzeitig chen, indem er sich ein Aktienpaket aufbaut, dieses aber sollen aber auch Rahmenbedingungen geschaffen wer- vorläufig nicht meldet. Mit der nachgeholten Meldung den, dass Effizienz fördernde und gewollte Finanztrans- kurz vor der Hauptversammlung kann er jedoch den aktionen nicht beeinträchtigt werden. lange ahnungslosen Emittenten Probleme bereiten, in- Dies regelt der heute vorgestellte Entwurf eines Ge- dem er auf der Hauptversammlung seine Stimmrechte setzes zur Begrenzung der mit Finanzinvestitionen ver- nutzt. Künftig hat eine Verletzung der Mitteilungspflicht bundenen Risiken, kurz: Risikobegrenzungsgesetz. bezüglich der Höhe des Stimmrechtsanteils zur Folge, dass der Aktionär die Mitverwaltungsrechte, also insbe- Ein Aspekt, mit dem ich mich etwas näher beschäfti- sondere das Stimmrecht, die folgenden sechs Monate gen möchte und der derzeit in vieler Munde ist und auch nicht ausüben kann. Bestandteil des vorgestellten Gesetzentwurfs werden soll, ist die verbesserte Regelung bei Verkäufen von Kre- In eine ähnliche Kerbe schlägt die Regelung des Ge- ditforderungen. setzentwurfs, die Aktiengesellschaften ermöglicht, die wirtschaftlichen Eigentümer von Aktien festzustellen. Hierbei ist vor allem die wirtschaftliche Schlechter- Die Emittenten können sogar festlegen, dass Stimm- stellung von Kreditnehmern einschließlich möglicher rechte aus Namensaktien nur dann ausgeübt werden kön- Verletzungen von Datenschutz und Bankgeheimnis zu nen, wenn der Aktiengesellschaft der wirtschaftliche Ungunsten der Betroffenen problematisch. Meist handelt Eigentümer bekannt ist. Einige börsennotierte Unterneh- es sich dabei um sogenannte notleidende Immobilienkre- men dürften an einer solchen Regelung Interesse haben, dite, also Kredite, bei denen der Schuldner in finanziel- um eine effiziente und transparente Investor-Relations- len Schwierigkeiten ist und die durch das Kreditinstitut Arbeit zu betreiben. bereits gekündigt wurden oder kündbar sind. Zurzeit schätzt man, dass das gehandelte Volumen dieser notlei- Von besonderer Bedeutung für die SPD-Fraktion sind denden Kredite allein in Deutschland circa 10 bis Informationsrechte für die betroffenen Belegschaften. 12 Milliarden Euro pro Jahr ausmacht. Gute Erfahrungen mit entsprechenden Regelungen, wie sie der Gesetzesentwurf vorsieht, haben bereits Unter- Dass ein Verkauf von solchen Krediten für die Schuldner nichts Gutes bedeutet, liegt klar auf der Hand, (B) nehmen, Belegschaften und Finanzinvestoren bei der (D) Übernahme börsennotierter Unternehmen gemacht. da die Käufer solcher Forderungen häufig nicht die Fort- Auch für den Fall, dass ein Finanzinvestor bei einem setzung der Kreditverträge, sondern die Zwangsvollstre- nichtbörsennotierten Unternehmen die Kontrolle er- ckung der Immobilien zum Ziel haben. wirbt, sieht der Gesetzentwurf künftig eine Unterrich- An dieser Stelle möchte ich auf das verweisen, was tungspflicht des Unternehmens gegenüber der Beleg- ich bereits in meiner Rede zum Thema „Rechte der Ver- schaft vor. Für eine erfolgreiche Übernahme ist es braucherinnen und Verbraucher beim Verkauf von Im- wichtig, auch die Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen des mobilienkrediten“ am 11. Oktober 2007 in diesem Hause Zielunternehmens zu informieren. Die Belegschaft soll gesagt habe. Dass sich Banken in zunehmendem Maße sich selbst ein Bild vom neuen Besitzer machen können. der Verantwortung gegenüber ihren Kunden entziehen und einer Lösung mit den in Schwierigkeiten geratenen Mit dem vorliegenden Gesetzesentwurf stellen wir für Kreditnehmern immer weniger Interesse haben, zeigt die die Zukunft sicher, dass Finanzinvestitionen in Deutsch- Info-Broschüre einer großen deutschen Bank mit dem land transparenter werden. Risiken für die Wirtschaft, Titel „Notleidende Kredite – eine etablierte Asset- den Finanzmarkt, die Unternehmen und auch die Beleg- Klasse“ vom 5. April dieses Jahres. Dort heißt es auf den schaften dämmen wir so ein. Wir nehmen den Gesetzes- Seiten 7 und 8: entwurf positiv auf und werden ihn eingehend beraten. Während Banken im Allgmeinen und vorwiegend regional tätige Institute im Besonderen Rücksicht Dr. Hans-Ulrich Krüger (SPD): Vor kurzem haben auf ihren Ruf nehmen und deshalb bei der Abwick- wir in erster Lesung unter anderem das neue Wagniska- lung von Krediten behutsamer vorgehen, können pitlabeteiligungsgesetz vorgestellt, welches die Rahmen- Abwicklungsgesellschaften ihre bzw. die Interessen bedingungen Kapitalbeteiligungen neu regeln, verbes- ihrer Auftraggeber bei den Verhandlungen und – im sern sowie vereinfachen soll. Dies haben wir deshalb Falle des Scheiterns – bei der Zwangsvollstreckung gemacht, damit gerade am Finanzmarkt Deutschland offener durchzusetzen versuchen.“ junge, innovative Unternehmen – vor allem in der High- tech- und IT-Branche – besser mit Kapital ausgestattet Die Arroganz, die hinter einem solchen brutalen werden können, um ihre oft sehr teueren Forschungsvor- Marktgeschehen steckt, kann nicht oft genug – auch in haben finanzieren und realisieren zu können. Dies diesem Hause wiederholt werden. Jedenfalls kann eine schafft nicht nur neue Arbeitsplätze in Deutschland, son- solche Entwicklung von uns Sozialdemokraten nicht ak- dern sorgt dafür, dass der Finanzstandort Deutschland zeptiert werden und muss daher gesetzlich geregelt wer- weiter an Attraktivität gewinnt. den. 14070 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 133. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. Dezember 2007

(A) Aus diesem Grund ist die Politik gefragt, damit der Mit diesen Forderungen sollten wir deutliche Akzente (C) Verbraucherschutz nicht auf der Strecke bleibt. Denn es zugunsten von Häuslebauern setzen. Für die Mehrheit sind vor allem die Kreditnehmer, die die wirtschaftlichen der Deutschen stellt die eigene Wohnimmobilie eines der Konsequenzen solcher Transaktionen zu tragen haben. wichtigsten Standbeine der eigenen Altersvorsorge dar. Ich denke, der vorliegende Gesetzentwurf zur Risikobe- Eine Tatsache, die wir im Übrigen auch noch gesondert grenzung ist daher bestens geeignet, um einen möglichst fördern wollen. Deshalb ist es mir sehr wichtig, dass wir umfassenden Verbraucherschutz bei Verkäufen von Im- im Bereich dieser Thematik die Verbraucherrechte so mobilienforderungen aufzunehmen. stärken werden, dass der Traum von den eigenen vier Wänden nicht zum Albtraum wird. Folgende Maßnahmen sind hierbei denkbar: Einfüh- rung eines Abtretungsverbots von Krediten an Nicht- Der Handel mit Krediten in Deutschland wird in Zu- Banken, also speziell an Finanzinvestoren. Jede Bank kunft um ein Vielfaches zunehmen. Bei einem prognos- sollte fähig sein, einem – auch in Finanzschwierigkeiten tizierten Volumen von bis zu 300 Milliarden Euro an gekommenen – Kreditnehmer eine Lösung inklusive An- notleidenden Krediten ist es unsere Pflicht, uns gezielt schlussfinanzierung bieten zu können. für die Stärkung der Verbraucherrechte einzusetzen. Der Kreditnehmer, auch der in Not geratene Kreditnehmer Banken sollten ihren Kunden spezielle Kredite anbie- darf nicht der Dumme sein, ohne die Chance zu erhalten, ten, die ein Abtretungsverbot vorsehen. Die Kunden seine Situation – eventuell mithilfe der kreditgebenden können dann selbst entscheiden, wie wichtig ihnen der Bank – wieder in den Griff zu kriegen und den Kredit or- vertragliche Ausschluss von Forderungsabtretungen ist. dentlich zu begleichen. Ferner sollten Banken verpflichtet werden, ihren Kunden eventuell bereits bei Vertragsabschluss über die Das hier vorgestellte Risikobegrenzungsgesetz wird Möglichkeit von Kreditverkäufen zu informieren und aus gesetzlicher Sicht jedenfalls diese Chance formulie- nicht – wie derzeit üblich – bloß in den immer noch ren. ziemlich kleingedruckten AGBs oder aber spätestens bei erfolgter Abtretung bzw. Übertragung der Forderung. Frank Schäffler (FDP): Der vorliegende Gesetzent- Auch dies ist heute fast nirgendwo der Fall mit der wurf müsste besser Investitionsbegrenzungsgesetz ge- Folge, dass der Kreditnehmer häufig Post von einem ihm nannt werden, denn es begrenzt nicht Risiken, sondern unbekannten Finanzinvestor erhält, der sich dann als oft- die Effektivität des Kapitalmarkts. Die Bundesregierung mals unnachgiebiger Finanzhai outet. sorgt mit Ihrem Gesetzentwurf dafür, dass Investoren er- heblich verunsichert und einen Bogen um Deutschland Weiterhin sollte der Kreditgeber verpflichtet werden, machen werden. dem Darlehensnehmer rechtzeitig ein Folgeangebot zu (B) (D) unterbreiten oder ihn auf die Nichtverlängerung des Ver- Sie will „gesamtwirtschaftlich unerwünschte Aktivi- trages hinzuweisen. Dies schafft Planungssicherheit und täten von Finanzinvestoren“ erschweren oder sogar ver- gibt dem Kreditnehmer die Möglichkeit, sich frühzeitig hindern. Damit setzen CDU/CSU und SPD ihren Kurs auf eventuelle Veränderungen vorzubereiten. fort, in die Eigentumsordnung und die Vertragsfreiheit einzugreifen. Dies ist ein weiterer Schlag gegen die so- Darüber hinaus halte ich die Einführung eines mögli- ziale Marktwirtschaft. Die SPD will entscheiden, was cherweise befristeten Sonderkündigungsrechts ohne am Markt gut und was schlecht ist, und die Union reicht Vorfälligkeitsentschädigung bzw. anteilige Rückzahlung ihr dazu die Hand. Anfangs sah es noch so aus, als gäbe des Disagios für ein geeignetes Mittel, Kreditnehmer es dafür eine Gegenleistung, nämlich ein Private-Equity- besser zu schützen. Denn jede Form des Forderungsver- Gesetz. Das tatsächlich von der Bundesregierung vorge- kaufs ist mit der Kündigung eines Vertragsverhältnisses legte Gesetz zur Modernisierung der Rahmenbedingun- gleichzustellen. Schuldner und Gläubiger sollten – nein: gen für Kapitalbeteiligungen war aber eine einzige müssen – sich auf gleicher Augenhöhe begegnen. Enttäuschung und wurde als solche auch von den Sach- Auch ein verschuldensunabhängiger Schadenersatz- verständigen in der Anhörung des Finanzausschusses be- anspruch bei unberechtigter Zwangsvollstreckung wird zeichnet. Seitdem liegt es auf Eis, Hoffnung auf Besse- zu prüfen sein. Tilgt der Kreditnehmer ordentlich seinen rung besteht jedoch nicht. Einig ist sich die Koalition Kredit und der Kreditgeber betreibt dennoch die immer nur dann, wenn es darum geht, lenkend in den Zwangsvollstreckung, haftet er nach derzeitiger Rechts- Markt einzugreifen. lage nur, wenn ihm ein Verschulen nachgewiesen wird. Mit dem Risikobegrenzungsgesetz sollen die Vor- Bei einem verschuldensunabhängigen Schadenersatzan- schriften im Wertpapierhandelsgesetz und im Wertpapier- spruch wird deshalb ein betroffener Darlehensnehmer übernahmegesetz zum abgestimmten Verhalten von schneller und wesentlich einfacher seinen Schaden er- Investoren – Acting in Concert – erweitert und konkreti- setzt bekommen. siert werden. Diese wurden jedoch erst mit dem Transpa- Auch sollte man nicht abtretbare Unternehmenskre- renzrichtlinie-Umsetzungsgesetz, TUG, vom Beginn die- dite vereinbaren können. Unternehmer sind derzeit nicht ses Jahres überarbeitet. Die Bundesregierung will also in der Lage, mit ihrer Bank zu vereinbaren, dass vorhan- ein eigenes Gesetz, das seine Wirkung noch gar nicht dene Darlehensforderungen nicht abgetreten werden zeigen konnte, schon wieder verschärfen. Eine vernünf- können. Dies muss sich ändern. Auch Unternehmer soll- tige Begründung dafür liefert sie nicht. Tatsächlich ten die Möglichkeit erhalten, Kreditverträge mit ihrer werden durch diesen Aktionismus die Akteure am Bank zu schließen, die nicht abtretbar sind. Finanzmarkt nur kurze Zeit nachdem sie sich auf die Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 133. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. Dezember 2007 14071

(A) Neuregelung durch das TUG eingestellt hatten mit neuen ein bisschen die übelsten Erscheinungsformen der Geis- (C) bürokratischen Pflichten belegt. Dies widerspricht auch ter wieder loswerden, die sie nicht zuletzt selber vorher dem Ziel einer europäischen Harmonisierung. Die vor- gerufen hat. gesehene Definition des Acting in Concert geht viel zu weit. Bei jeder Form von Opposition gegenüber den Un- Die Bundesregierung gibt vor, mit diesem Gesetz die ternehmensleitungen drohen künftig unkalkulierbare Risiken für die Beschäftigten von solchen Unternehmen Rechtsfolgen. Dies liegt daran, dass die Bundesregie- zu begrenzen, die von Private-Equity- und Hedgefonds rung nicht den Schutz der Unternehmen, sondern den übernommen werden. Selbstverständlich ist eine Siche- Schutz der Unternehmensleitungen im Blick hat. rung der Rechte der Beschäftigten richtig und notwen- dig. Statt Sicherheit zu schaffen, wiegt der Gesetzent- Zum Thema Kreditverkauf haben Sie seitens der Re- wurf die Beschäftigten aber in falscher Sicherheit, denn gierung noch kein Konzept. Sie haben deshalb im er räumt ihnen nur einige Informationsrechte, aber keine Finanzausschuss eine Liste möglicher Maßnahmen vor- wirksame Mitbestimmung ein. Durch das vorliegende gelegt, und diese soll nun auch den Sachverständigen für Gesetz würden Betriebsräte dann früher wissen, was mit die Anhörung zur Verfügung gestellt werden. Dabei den Belegschaften gemacht wird, aber ohne dass sie da- wurde seitens der Koalition darauf aufmerksam ge- rauf ernstlich Einfluss nehmen könnten. macht, dass es doch gut sei, wenn das Parlament offen Als Fraktion Die Linke fordern wir stattdessen, dass diskutieren könnte. Eine solche offene Diskussion gab es Übernahmen als „Betriebsänderungen“ im Sinne des Be- jedoch schon bei einem Fachgespräch des Finanzaus- triebsverfassungsgesetzes eingestuft werden, was der schusses am 19. September im Rahmen einer Selbstbe- Belegschaft deutlich stärkere Mitbestimmungsrechte fassung. Eine Anhörung im Rahmen eines Gesetzge- einräumen würde. Ein solcher Schritt müsste mittel- und bungsverfahrens kann sinnvoll jedoch nur auf der Basis langfristig durch eine weitgehende Mitbestimmung der von konkreten Regelungsvorschlägen geschehen, da der Beschäftigten auch in wirtschaftlichen Fragen des Unter- Teufel oft im Detail steckt. Solche konkreten Vorschläge nehmens fortgeführt werden. gibt es seitens der Bundesregierung auch schon. Die Bundesjustizministerin Brigitte Zypries hat am 11. De- Es gibt eine Vielzahl weiterer gesetzlicher Schritte, zember, also einen Tag vor unserer Beratung im Finanz- die die Bundesregierung gehen könnte, wenn sie es mit ausschuss, gegenüber der Presse erklärt, sie habe „dem der Begrenzung von Risiken durch Finanzinvestoren Deutschen Bundestag deshalb konkrete Gesetzesvor- ernst meinen würde. Der wichtigste Schritt bestünde da- schläge unterbreitet, um redliche Darlehensnehmer bes- rin, das Geschäftsmodell der Heuschrecken unattraktiver ser zu schützen“. Wir erwarten seitens der FDP-Frak- zu machen. Sie leihen sich Geld, kaufen damit ein Unter- tion, dass diese Vorschläge auch Gegenstand der nehmen und bürden die Rückzahlung der Kredite dem (B) Anhörung werden. übernommenen Unternehmen auf. Dem könnte einer- (D) seits durch höhere Eigenkapitalanforderungen für Bank- Der vorliegende Gesetzentwurf sieht auch neue Infor- kredite an Finanzinvestoren begegnet werden. Auch mationspflichten im Betriebsverfassungsgesetz vor. könnte man übermäßig kreditfinanzierte Unternehmens- Auch hier handelt es sich um Aktionismus und nicht um übernahmen insgesamt verbieten. Ferner sind die steuer- wirklich notwendige Regelungen, da das bestehende Be- lichen Privilegien, zum Beispiel im Bereich der Gewer- triebsverfassungsrecht schon umfassende Informations- besteuer und der Managergehälter, sofort abzuschaffen. rechte bietet. Darüber hinaus muss verhindert werden, dass Unter- Der Gesetzentwurf ist insgesamt von einem tiefen nehmen durch Finanzinvestoren nach der Übernahme Misstrauen gegenüber dem Markt und gegenüber Inves- ausgesaugt werden. Heute können Heuschrecken durch toren durchzogen. Deutschland braucht jedoch Kapital, Kreditaufnahme Sonderausschüttungen finanzieren und auch aus dem Ausland. Das Risikobegrenzungsgesetz auf diesem Wege das Eigenkapital aus den Unternehmen geht genau in die gegenteilige Richtung und ist damit ein ziehen. Das muss in Zukunft verboten werden. Rückschritt für den Finanzplatz Deutschland. Um Investoren dazu zu zwingen, ihre Unternehmens- Axel Troost (DIE LINKE): Risikobegrenzung, das engagements wieder langfristiger auszurichten, sollte die ist doch einmal ein guter Vorsatz. Besser wäre es frei- Bindung des Stimmrechts an die Haltedauer der Aktien lich, man würde die Risiken gar nicht erst schaffen, statt angestrebt werden. Denn es ist gerade der kurze Investi- sie im Nachhinein zu begrenzen. tionszeitraum, der die Finanzinvestoren dazu verleitet, ihr Geschäftsmodell auf Kosten der Beschäftigten und Wir haben uns natürlich darüber gefreut, dass Herr der langfristigen Innovations- und Wachstumspoten- Müntefering mit dem Begriff Heuschrecken eine breite ziale der Unternehmen durchzusetzen. Debatte über Finanzinvestoren ausgelöst hat. Das Bild der Heuschrecke führt aber in die Irre: Finanzinvestoren All das sind nur einige Beispiele, wie eine ernst ge- sind keine Naturgewalt, die über den Standort Deutsch- meinte Risikobegrenzung aussehen müsste. Der vorlie- land hereingebrochen sind. Vielmehr sind Finanzinves- gende Gesetzentwurf hingegen wird seinem Namen toren in den vergangenen Jahren im Rahmen des Stand- nicht gerecht und wird von uns daher klar abgelehnt. ortwettbewerbs politisch wohl kalkuliert zum Beispiel durch Steuergeschenke nach Deutschland gelockt wor- Dr. Gerhard Schick (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): den. Wenn die Bundesregierung nun also die Risiken Der vorliegende Gesetzesentwurf macht sich aus- von Finanzinvestoren begrenzen will, dann möchte sie weislich des Namens und der Begründung zur Aufgabe, 14072 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 133. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. Dezember 2007

(A) Risiken im Zusammenhang mit Finanzinvestoren zu be- Zunächst ist der neue Tatbestand des Acting in Con- (C) grenzen. Der Entwurf der Bundesregierung für das Risi- cert, der das abgestimmte Verhalten von Investoren er- kobegrenzungsgesetz krankt jedoch an einem undiffe- fassen soll, konturenlos. Nicht Rechtssicherheit, sondern renzierten Regulierungsansatz. Die Regelungen werden ausufernde Interpretationsmöglichkeiten wären die der Komplexität der unterschiedlichen Bereiche, na- Folge. Gerade an dieser Stelle muss der Gesetzgeber mentlich der Übernahmen durch Private-Equity-Fonds, eine klare Trennlinie zwischen erwünschten Abreden im Einflussnahmen auf die Leitung von Aktiengesellschaf- Sinne guten „shareholder activism“ und solchen Verhal- ten durch Hedgefonds sowie dem Handel mit immobi- tensweisen ziehen, die eine wechselseitige Zurechnung lienbesicherten Darlehen, nicht gerecht. der Stimmen mit entsprechenden Folgen berechtigt. Hätte die Bundesregierung genau vor Augen, welche Ri- Das Risikobegrenzungsgesetz lässt zunächst eine Be- siken es zu begrenzen gilt, könnte in diesem Fall sinn- schreibung der Risiken vermissen, die es zu begrenzen vollerweise mit einem Regelkatalog gearbeitet werden. wünscht. Nimmt man die Verknüpfung, die die Bundes- In der gegenwärtigen Fassung wird sich die neue Vor- regierung nennt, und sieht das Gesetz als ausgleichendes schrift in puncto Rechtssicherheit als kontraproduktiv er- Korrektiv zum Gesetz zur Modernisierung der Rahmen- weisen. bedingungen bei Kapitalbeteiligungen, MoRaKG, würde das implizieren, dass das Risikobegrenzungsgesetz einer Auch hinsichtlich der verbesserten Informationen Regulierung der Private-Equity-Branche dient. Aller- über Inhaber wesentlicher Beteiligungen und Inhaber dings ist mit der Forderung nach Informationsrechten von Namensaktien ist das Regelungsziel zu begrüßen, der Belegschaften nicht börsennotierter Unternehmen le- der beschrittene Weg jedoch nicht zielführend. Der Um- diglich ein einziger Regulierungsvorschlag im Gesetz stand, dass die Informationspflicht der Aktionäre von ei- enthalten, der direkt im Zusammenhang mit Private- ner Aufforderung der Aktiengesellschaft abhängig ist Equity-Übernahmen steht. Dieses Minimum an Transpa- und der einhergehende Stimmrechtsverlust für sechs renz für Belegschaften ist eine unzureichende Reaktion, Monate bei Pflichtverletzung, macht die neuen Regelun- um den Problemen, die bei Private-Equity-Übernahmen gen zu einem strategischen Instrument für Vorstände entstehen können, zu begegnen. Ein Gesetz zur Begren- deutscher Aktiengesellschaften. So könnten Auskunfts- zung von Risiken der Private-Equity-Branche hätte bei- verlangen kurz vor Hauptversammlungsterminen erfol- spielsweise einer näheren Auseinandersetzung mit typi- gen und anschließend eine nicht fristgerechte oder un- schen Abläufen bei Leveraged Buy-outs bedurft. vollständige Angabe behauptet werden, um unliebsamer Opposition das Stimmrecht zu nehmen. Allein der Mög- Notwendig sind Regelungen, die jenseits bestehender lichkeit eines solchen Missbrauchs darf kein Raum gege- Kapitalerhaltsvorschriften gewährleisten, dass Zielge- ben werden. (B) sellschaften von Private-Equity-Übernahmen durch (D) überhöhte Verschuldung nicht in die Nähe einer Insol- Die Offenlegungspflicht von Investoren, die 10 Pro- venz geführt werden. Zudem bedarf es Vorschriften, die zent der Stimmrechtsanteile auf sich vereinen, sollte da- dem Betriebsrat oder Wirtschaftsausschuss einer Zielge- her automatisch ausgelöst werden und nicht im Ermes- sellschaft stärkere Rechte bei Verhandlungen einräumen. sen des Vorstands liegen. Die Vorschrift würde letztlich Dabei geht es nicht darum, einer Minderheit Blockade- auch zu einer Ungleichbehandlung der Aktionäre führen. möglichkeiten einzuräumen. Gleichwohl kann es für ei- nen reibungslosen Eigentümerwechsel von Vorteil sein, Bei Namensaktien sind die Informationen über den wenn Arbeitnehmervertreterinnen und -vertreter frühzei- wahren Aktionär außerdem dem gesamten Kapitalmarkt- tig eingebunden werden und etwa bei wesentlichen Fra- publikum zur Verfügung zu stellen und nicht lediglich gen einen Zustimmungsvorbehalt fordern können. Das gegenüber dem Unternehmen zu erklären. Diese Infor- sichert einen verträglichen Verlauf der Übernahme und mationen sind für die Aktionäre auch vor dem Hinter- kann auch zur höheren Akzeptanz neuer Eigentümer grund eines Aktionärsforums, das bisher nicht als durch die Belegschaft führen. Kommunikationsplattform angenommen wird, von Be- deutung. Nimmt man die genannten Punkte einmal zu- Zum überwiegenden Teil enthält das Risikobegren- sammen, sieht man, dass die große Koalition sich weni- zungsgesetz Vorschriften, die den Beteiligungsaufbau an ger um die allgemeine Transparenz am Kapitalmarkt Aktiengesellschaften durch Hedgefonds betreffen. So oder um die Risiken für die Unternehmen, sondern vor sollen die Aktionärsstruktur sowie die Absichten bedeu- allem um die Risiken der Vorstände sorgt: Ihr Vorschlag tender Anteilseigner transparenter werden. Des Weiteren führt zu einem Vorstandsrisiko-Begrenzungsgesetz. Ei- wird die Sanktion für Verletzungen gegen Meldepflich- nen solchen Ansatz lehnen wir ab. Unternehmen beste- ten ausgeweitet. Mit den vorgeschlagenen Maßnahmen hen nicht nur aus Vorständen. stimmen wir im Grundsatz überein. Transparenz ist ein wesentlicher Bestandteil funktionierender Kapital- Ein Punkt, der sicher in der Anhörung eine große märkte. Informationspflichten werden von den Kapital- Rolle spielen wird, ist die Problematik verkaufter Immo- marktakteuren außerdem nur dann nachgekommen, bilienkredite. Gut, dass Sie das aufgreifen, nachdem Sie wenn bei Verstoß mit Nachteilen von gewisser Erheb- schon viel zu lange abgewartet haben. Eine Initiative des lichkeit zu rechnen ist. Gesetzgebers ist dringend notwendig, zumal die Verun- sicherung bei Bürgerinnen und Bürgern sowie dem Mit- Die konkrete Art und Weise, wie die Bundesregierung telstand stetig zunimmt. Erst kürzlich wurde in den Me- diese Regelungsziele zu erreichen beabsichtigt, lehnen dien dargestellt, dass zunehmend auch ordnungsgemäß wir allerdings ab. bediente Kredite veräußert wurden und die Finanzinves- Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 133. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. Dezember 2007 14073

(A) toren isoliert aus der vereinbarten Sicherheit vollstreck- und Meeresforschung. Der Antrag ist allerdings bereits (C) ten. Vor diesem Hintergrund ist es allerdings enttäu- überholt und daher abzulehnen. schend, dass die Bundesregierung die entsprechende Die Bundesregierung und die sie tragenden Fraktio- Passage im Risikobegrenzungsgesetz trotz vorausgehen- nen von CDU/CSU und SPD haben es geschafft, die ma- der Anhörung mit Sachverständigen im Finanzausschuss ritime Politik viel stärker in den Fokus der Öffentlichkeit und ausreichend zeitlichem Nachlauf erst kurzfristig vor zu rücken, als dies vorher je der Fall war. Mit unseren der ersten Lesung konkretisiert hat. gemeinsam im Plenum des Deutschen Bundestages Inhaltlich finden sich in den nun vom Bundesjustiz- verabschiedeten Anträgen „Maritime Wirtschaft in ministerium und in den von den Koalitionsfraktionen im Deutschland stärken“ (Drucksache 16/4423), „Für eine Ausschuss vorgelegten Regulierungsvorschlägen eine zukunftsgerichtete europäische Meerespolitik“ (Druck- Reihe von Forderungen unseres Antrags vom 13. Juni sache 16/5731), „Die Tourismusregion Ostsee voranbrin- 2007. Das können wir nur begrüßen. Aber nach monate- gen“ (Drucksache 16/5906), „Ostseekooperation weiter langer Diskussion müssten wir nun eigentlich weiter sein stärken und Chancen nutzen“ (Drucksache 16/5910) und als bei einer unverbindlichen Vorschlagsliste. Sie lassen „Kreuzfahrttourismus und Fährtourismus in Deutschland die Verbraucherinnen und Verbraucher einmal mehr im voranbringen“ (Drucksache 16/5957) haben wir bereits Regen stehen. notwendige und wichtige Weichenstellungen vorgenom- men, die den gesamten Ostsee-Raum mit seinen vor- und Was in den Vorschlägen fehlt, ist eine klare gesetzli- nachgelagerten maritimen Bereichen voranbringen. che Definition des Begriffs notleidender Kredit oder Non-performing Loan. Da sich an die bankinterne Ein- Die maritime Politik der Großen Koalition steht voll stufung eines Kredites als „notleidend“ weitreichende und ganz in der Kontinuität der bisherigen Maritimen Folgen anschließen, müssen betroffene Kreditnehmer Konferenzen der Bundesregierung – von der Ersten Na- Rechtsklarheit haben. Außerdem sollte es bei ordnungs- tionalen Maritimen Konferenz am 13. Juni 2000 in Em- gemäß bedienten Kreditforderungen die Pflicht des ver- den bis zur Fünften Nationalen Maritimen Konferenz am äußernden Bankinstituts geben, eine Zustimmung des 4. Dezember 2006 in Hamburg. Seit der letzten Konfe- Schuldners einzuholen. Das beschränkt zwar die Ver- renz ist ein Jahr vergangen, Zeit, um eine Zwischenbi- kehrsfähigkeit dieser Kredite. Andererseits ist nicht er- lanz zu ziehen. kenntlich, warum die Handelbarkeit von Immobilienkre- Wichtige Punkte im Bereich maritime Wirtschaft sind diten, deren Schuldner regelmäßig zahlen, gegeben sein unter anderem: Die Einführung eines wettbewerbsfähi- muss. Schließlich halten wir es für die Eindämmung von gen CIRR-Systems (Commercial Interest Reference Missbrauch bei Immobilienverwertungen für angezeigt, Rate) – Regelung für Exportkredite für Schiffe – unter (B) wenn die Schuldner vor Einleitung der Zwangsvollstre- Einschluss einer einvernehmlichen Lösung mit den Küs- (D) ckung durch den Gläubiger für einen angemessenen tenländern kommt unserer starken Schiffbauindustrie zu- Zeitraum die Möglichkeit eines freihändigen Verkaufs gute und hält sie international wettbewerbsfähig. der Immobilie erhalten. Wir haben für das Haushaltsjahr 2008 und für die Fol- Das Risikobegrenzungsgesetz wird in der vorliegen- gejahre eine Aufstockung der Innovationsförderung von den Form also nicht das erreichen, was es sich zum Ziel 2 Millionen Euro auf insgesamt 10 Millionen Euro errei- gesetzt hat. Leidtragende sind am Ende die mittelständi- chen können. Zusätzlich wurde für die Haushaltsjahre schen Unternehmen, die Aktionäre sowie die Kreditneh- 2009 bis 2011 die Verpflichtungsermächtigung von menden, die in Zeiten veränderter Rahmenbedingungen 10,5 Millionen auf 20 Millionen Euro mehr als verdop- und unruhiger Finanzmärkte klare ordnungspolitische pelt. Dies führt zu mehr Planungssicherheit für die mari- Maßnahmen erwarten. time Forschung und Werftindustrie. Heute, im Jahr 2007, kann ich auch mit ein wenig Stolz sagen: Es gibt in mei- nem Heimat-Bundesland Mecklenburg-Vorpommern an Anlage 17 den Standorten Warnemünde, Wismar, Stralsund und Wolgast nicht nur europa-, sondern auch weltweit die Zu Protokoll gegebene Reden modernsten Werften. zur Beratung des Antrags: Zukunftschancen Der Deutsche Bundestag hat zusätzliche Mittel für die des Ostseeraums – Wirtschaft, Ökologie, Kultur so immens notwendige Seehafenhinterlandanbindung im und Tourismus Haushalt 2008 sowie für die kommenden Haushalte be- reitgestellt. Wir machen uns stark für leistungsfähige Eckhardt Rehberg (CDU/CSU): Den FDP-Antrag Hinterlandanbindungen und seewärtige Erreichbarkeit. „Zukunftschancen des Ostseeraumes – Wirtschaft, Öko- Angesichts anhaltend hoher Wachstumsraten insbeson- logie, Kultur und Tourismus“, Drucksache 16/5251, des- dere im interkontinentalen Containerverkehr ist unser sen erste Beratung am 6. Juli 2007 erfolgte, wollen wir Land auf den zügigen Ausbau der seewärtigen Zugänge heute abschließend beraten. der deutschen Seehäfen und deren landseitiger Anbin- dungen über Straße (zum Beispiel Ausbau A 14; Neubau Der Antrag enthält ohne Zweifel wichtige und rich- A 39 Wolfsburg–Lüneburg; 6-spuriger Ausbau A 7 in tige Aussagen und Forderungen, was den Ostsee-Raum Hamburg auf dem Weg, Planungsrecht und Finanzierung angeht, wie zum Beispiel die Themen Verkehrssicher- weiterer Bauabschnitte gesichert; Weiterbau A 20 von heit, Fischerei, Tourismus, Kultur, Meeresumweltschutz Lübeck–Stade im Bau, zusätzliche Mittel für weitere 14074 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 133. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. Dezember 2007

(A) Bauabschnitte bereitgestellt; Neubau A 26 Stade–Ham- Nachdruck für die Identifizierung fester Seerouten und (C) burg im Bau), Schiene (zum Beispiel Ausbau der Stre- die Einführung einer Lotsenpflicht für Öltanker und an- cken Rostock–Berlin, Berlin–Pasewalk–Stralsund, Elek- dere Schiffe mit gefährlicher Ladung in der Ostsee ein trifizierung der Strecke Hamburg–Lübeck–Travemünde, sowie für eine allgemeine Lotsenpflicht in engen zurzeit auf dem Weg Hamburg–Lübeck) und Binnen- Schiffspassagen wie Kadettrinne oder Öresund. wasserstraße angewiesen. Hier ist in den letzten Jahren schon viel geschehen. Weiteres muss forciert und umge- Ein weiteres Problem ist die illegale Fischerei. Die setzt werden. Denn zwei Drittel der Wertschöpfung im Große Koalition und die Bundesregierung setzen sich Bereich Schiffbau, Seeverkehr- und Hafenwirtschaft ent- mit Nachdruck für wirksame Maßnahmen zum Stopp stehen in den Küstenhinterländern. Dies kann nicht al- von Überfischung und illegaler Fischerei ein; Stichwort lein Sache der norddeutschen Bundesländer sein. Dorschfangquote. Die 16. Ostseeparlamentarierkonfe- 400 000 Beschäftigte in der maritimen Wirtschaft in renz Ende August dieses Jahres in Berlin war in dieser Deutschland erwirtschaften 54 Milliarden Euro an Brut- Hinsicht ein voller Erfolg. Die verabschiedeten Be- towertschöpfung. schlüsse hinsichtlich Schiffsicherheit und illegaler Fi- scherei werden geprägt durch die Initiative des Deut- Wir haben uns dafür eingesetzt, dass die Seeverkehrs- schen Bundestages; Antrag auf Drucksache 16/5910. und Hafenwirtschaft als die Schlüsselfunktion für den Für die Große Koalition aus CDU/CSU und SPD inner- und außergemeinschaftlichen Handel angemes- bleibt es vorrangiges Ziel, die erfolgreiche Entwicklung sene Berücksichtigung im Masterplan „Güterverkehr der maritimen Wirtschaft weiter abzusichern. For- und Logistik“ der Bundesregierung findet. Nicht nur die schung/Entwicklung, Innovation, Bildung und Ausbil- Bundesregierung, sondern auch die Landesregierungen dung einschließlich der Nachwuchsgewinnung sind und Parlamente der Küstenländer sind aufgefordert, wei- Kernfelder für die Zukunfts- und Wettbewerbsfähigkeit ter in den zügigen Ausbau der Hafeninfrastruktur aller dieser für unser Land so bedeutenden Branche. Vorran- deutschen Nord- und Ostsee-Häfen zu investieren. gige Aufgabe ist und bleibt die Stärkung und Weiter- Schifffahrt, Häfen und Logistik leisten einen wichti- entwicklung der Vernetzungspotenziale innerhalb der gen Beitrag für Arbeit und Beschäftigung in Deutsch- maritimen Wertschöpfungsketten am Schiffbau-, See- land. Die Hafen- und Logistikbetriebe der deutschen schifffahrts- und Hafenstandort Deutschland. Seehäfen wollen bis zum Jahr 2012 rund 2 800 Men- Wir haben es geschafft, die maritime Politik in den schen ohne Job eine neue Beschäftigungsperspektive Fokus der Öffentlichkeit zu stellen. Bereichert wurden bieten. Der Zentralverband der deutschen Seehafenbe- die Debatten durch Initiativen aller im Deutschen Bun- triebe (ZDS) hat dazu in Zusammenarbeit mit dem Bun- destag vertreten Fraktionen, wofür ich mich ausdrück- (B) desverkehrsministerium (BMVBS) und der Bundesagen- lich bedanken möchte. (D) tur für Arbeit (BA) eine Qualifizierungsoffensive für Langzeitarbeitslose gestartet. Die Initiative wurde in der Folge der Nationalen Maritimen Konferenz 2006 entwi- Andrea Wicklein (SPD): Der Ostsee-Raum lebt von ckelt. Die Qualifizierungsoffensive richtet sich zu 75 Pro- uralten Verflechtungen im Norden Europas. Er verbindet zent an Langzeitarbeitslose; davon sind 75 Prozent bis die Anrainerstaaten zu einem gemeinsamen Wirtschafts- 27 Jahre alt. Die Mindestvoraussetzung für eine Teil- und Kulturraum. Die Seefahrt ist das Bindeglied. Sie nahme an dem Programm ist ein Hauptschulabschluss. knüpft Kontakte zwischen Petersburg und Kiel, Kopen- Am Ende einer erfolgreichen Qualifizierung steht eine hagen und Helsinki oder Stockholm und Riga. Zur Zeit garantierte Übernahme in ein Beschäftigungsverhältnis des Kalten Krieges war auch die Ostsee geteilt, die (Pressemitteilung BMVBS vom 7. Dezember 2007). Da- Bande zerschnitten. Es ist daher nicht verwunderlich, nach liegt der Personalqualifizierungsbedarf in allen dass nun im Zeichen der Einheit Europas neue Chancen deutschen Seehäfen für das Jahr 2008 bei 800 Personen, im Ostsee-Raum gesehen und neue Potenziale entdeckt für 2009 bei 700, für 2010 bei 500 und für die Jahre werden. 2010 und 2011 jeweils bei 400 Personen. Mecklenburg-Vorpommern und Brandenburg können Der Ostsee-Raum hat große Zukunftschancen, die wir alte Verbindungen nach Skandinavien wieder auferste- nicht verspielen dürfen. Der Ostsee-Raum ist zu einer hen lassen. Schleswig-Holstein braucht sich nicht mehr Boomregion geworden. In Finnland, Polen, Russland, allein nach Großbritannien oder Skandinavien zu orien- den baltischen Staaten ist das Wirtschaftswachstum grö- tieren, sondern kann das Baltikum wieder für sich entde- ßer als 6 Prozent. Die Seeverkehrsprognose der Bundes- cken. Arbeitsteilung im Ostsee-Raum ist wieder mög- regierung sagt für die deutschen Ostsee-Häfen wegen lich, traditionelle Produkte können eine Wiedergeburt der Entwicklung im Ostsee-Raum, insbesondere wegen erleben. der Entwicklung in den baltischen Ländern und in Russ- Natürlich rücken damit auch die gemeinsamen Pro- land, Wachstumsraten von 5, 6, 7 Prozent voraus. Natür- bleme in den Fokus, so zum Beispiel die Überfischung lich gibt es an dieser Stelle Konkurrenzsituationen, de- der See oder die Verunreinigung des Meeres – Probleme, nen wir uns zu stellen haben. die man gemeinsam lösen muss, die man aber auch ge- meinsam lösen kann. Ein weiterer wichtiger Punkt ist die Meeressicherheit. Schrottreife Schiffe gehören auf den Müll und nicht auf Die Große Koalition hat sich bereits mehrfach mit die Weltmeere. Einhüllentanker gehören runter von den dem Ostsee-Raum beschäftigt. Wir haben mit mehreren Weltmeeren und rein ins Museum. Wir setzen uns mit Anträgen deutlich gemacht, dass wir in den Bereichen Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 133. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. Dezember 2007 14075

(A) Wirtschaft, Verkehr, Schiffssicherheit, Fischerei, Touris- fang des Jahres darauf geeinigt, dass wir im Deutschen (C) mus, Kultur und Umwelt mit den Anrainern der Ostsee Bundestag in Vorbereitung der Ostsee-Parlamentarier- zusammenarbeiten wollen. Dabei ist Kooperation der konferenz, die im August in Berlin stattgefunden hat, Schlüssel, so wie sie sich im Ostsee-Rat manifestiert. eine Debatte über die Ostsee führen wollen. Dazu hat die FDP-Bundestagsfraktion den Antrag „Zukunftschancen Die Forderungspunkte der FDP widersprechen teil- des Ostsee-Raums“ erarbeitet. weise bereits gefassten Beschlüssen – so zur Unterneh- menssteuerreform oder zum Bundesverkehrswegeplan. Die Ostsee-Parlamentarierkonferenz war eine ein- Außerdem sind im FDP-Antrag die Arbeits- und Be- drucksvolle Demonstration, dass die Menschen im Ost- schäftigungsbedingungen im Seeverkehr unerwähnt ge- see-Raum sich seit dem Zusammenbruch des Ostblocks blieben. Gerade sie sind uns als SPD-Fraktion aber be- zunehmend als zusammengehörig empfinden. Seit dem sonders wichtig. Neue Beschäftigungschancen und ein Beitritt der drei baltischen Länder und Polen im Jahr Wachstum der maritimen Wirtschaft entstehen im Ost- 2004 in die EU ist die Ostsee nahezu ein EU-Meer, ein- see-Raum vor allem, wenn die Ziele der Lissabon-Stra- ziger weiterer Anrainer ist Russland mit dem Kaliningra- tegie mit sozialer Gerechtigkeit, Umweltschutz, fairen der Gebiet und St. Petersburg. Wir sind uns alle einig in Wettbewerbsbedingungen und dem Schutz des geistigen unserer Vision einer reinen, einer gesunden Ostsee. Das Eigentums verbunden werden. ist eine sehr, sehr schöne Vision, aber wir wissen, dass Erhebliche Chancen liegen für den Ostseeraum zwei- der Weg dorthin sehr lang sein wird. Die Schadstoffein- felsfrei im Tourismus. Die Zusammenarbeit muss in die- träge in die Ostsee der letzten Jahrzehnte können wir sem Bereich überregional und grenzüberschreitend er- nicht in wenigen Jahren ungeschehen machen. In den folgen. So sind gemeinsame Vermarktungskampagnen, letzten 50 Jahren hat sich das Klarwassermeer Ostsee in wassertouristische Leitsysteme oder Jugendaustausch ein etwas trübes Wasser entwickelt. Seit 20 Jahren sind möglich. Leider kommt im FDP-Antrag die internatio- deutliche Minderungen der Schadstoffeinträge zu ver- nale Zusammenarbeit überhaupt nicht zur Sprache. Da- zeichnen. Wir freuen uns über Erfolge im Umwelt- bei ist doch gerade sie der Schlüssel für einen Erfolg im schutz. Trotz aller Probleme durch die Eutrophierung der Ostsee-Raum. Wer die Ostsee als gemeinsame Region Ostsee ist der Ostsee-Raum ein einzigartiger Natur- und im europäischen Maßstab verstehen will, der muss die Kulturraum, der in jedem Jahr von vielen Urlaubern be- Zusammenarbeit unterstützen – auch im Bereich des sucht wird. Tourismus. In dem Beschluss, den wir auf der Ostsee-Parlamenta- Die Zusammenarbeit wird auch durch die Euro- rierkonferenz verabschiedet haben, sind wichtige Maß- päische Union gefördert. An dieser Stelle möchte ich auf nahmen zur Verbesserung der Kläranlagen, zur Vermei- (B) die INTERREG-Förderung hinweisen, die grenzüber- dung von Schadstoffemissionen aus dem Schiffsverkehr, (D) schreitende Projekte möglich macht. Die Menschen in zur Minderung von Nährstoffemissionen aus der Land- der Region können ihre Erfahrungen austauschen, gelun- wirtschaft benannt worden. Diese Forderungen sind gut gene Maßnahmen auch in anderen Teilen der Ostsee-Re- und richtig. In unserer Resolution fordern wir gemein- gion umsetzen und so voneinander lernen. Der euro- same Anstrengungen, um die Ostsee-Region vor allem päische Gedanke wird damit auch im Ostseeraum in Bezug auf Energiefragen, eine integrierte Meerespoli- lebendig, sogar über die Grenzen der Europäischen tik sowie Fragen des Arbeitsmarktes und der sozialen Union hinweg. Um dies zu fördern, unterstützen wir den Wohlfahrt zu einer europäischen Modellregion zu entwi- Vorschlag des Europäischen Parlaments, eine „grenzen- ckeln. lose Ostsee“ zu schaffen. So soll ein reibungsloses Über- schreiten der Grenzen in der Region möglich werden. Mitte November kamen die Umweltminister der Ost- see-Anrainerstaaten in Krakau zu einer Sondersitzung Um den Umweltschutz zu fördern, haben wir das Ziel der Helsinki-Kommission zum Schutz der Ostsee ausgegeben, bis 2015 die Ostsee zum sichersten und sau- (HELCOM) zusammen. Dort wurde ein Ostsee-Aktions- bersten Meer Europas zu machen. Dazu haben wir ein plan verabschiedet. Zentrale Punkte des Plans sind die Netz ökologisch repräsentativer und wertvoller Mee- Minderung der Eutrophierung, die Schadstoffeinträge, resschutzgebiete vorgeschlagen. Außerdem ist ein die maritimen Aktivitäten und die Biodiversität der Ost- Engagement der Regierungen und der EU nötig, um see. Es ist gut und richtig, dass sich die Ostsee-Anrainer Schadstoff- und Nährstoffeinträge aus der Landwirt- auf gemeinsame Linien einigen und sich dann nach die- schaft, der Schifffahrt und der Industrie zu vermeiden. sen richten. Es ist unbedingt notwendig, dass Russland, Die EU-Osterweiterung hat die Basis für eine Intensi- das sich bisher als Bremser erwiesen hat, in Zukunft mit- vierung der Zusammenarbeit im Ostsee-Raum gelegt. zieht. Es ist ebenso notwendig, dass sich die Länder an Sie bietet die einmalige Chance, dass sich die Anrainer- die Absprachen halten. Ein unrühmliches Beispiel haben staaten auf einen sensiblen und ökologisch verträglichen die polnischen Fischer abgegeben, die sich – gebilligt Entwicklungspfad für die Ostsee-Region begeben. Die von Warschau – nicht an den Fangstopp für Ostsee- Bundesregierung wird – auch durch die Beschlüsse, die Dorsch gehalten haben. der Bundestag dazu bereits getroffen hat – ihren Beitrag Die kürzliche Neufestsetzung der Dorschfangquoten dafür leisten. für 2008 durch die EU stoßen nicht nur bei mir, sondern vor allem bei den deutschen Fischern auf großes Unver- Dr. Christel Happach-Kasan (FDP): Die Mitglie- ständnis. Die Fangquote soll für die westliche Ostsee um der der Ostsee-Parlamentarierkonferenz hatten sich An- 29 Prozent sinken, für die östliche Ostsee nur um 5 Pro- 14076 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 133. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. Dezember 2007

(A) zent. Dies entspricht einer Gesamtreduzierung von Dieser Wirrwarr an Zuständigkeiten, zum Beispiel (C) 19 Prozent. Durch die ungleichmäßige Verteilung der nach dem Kriegswaffenkontrollgesetz, aus der allgemei- Ost-/Westquoten bei den einzelnen Mitgliedstaaten be- nen Gefahrenabwehr, nach dem Grundgesetz, dem See- deutet diese Reduzierung zum Beispiel für Polen nur ein aufgabengesetz oder nach dem Allgemeinen Kriegsfol- Minus von 10 Prozent. Vor dem Hintergrund der Tatsa- gengesetz, muss beendet werden. che, dass Polen den von der EU verhängten Fangstopp nicht eingehalten hat, wirkt diese Entscheidung in den Die Fraktion Die Linke fordert eine einheitliche Zu- ständigkeit für die Beseitigung der Altmunition. Da es Augen der deutschen Fischer wie der blanke Hohn. Ille- sich hierbei um ehemals reichseigene Munition aus dem gale Fischerei darf sich nicht lohnen. Zweiten Weltkrieg handelt, hat letztlich der Bund – auch Die FDP will mit ihrem Antrag Anstöße geben zur als Eigentümer des Gewässers vor der Küste – dafür wirtschaftlichen und kulturellen Weiterentwicklung im Sorge zu tragen, dass diese Munition beseitigt wird. Ostsee-Raum, zur Stärkung des Natur- und Umwelt- Wir können gerade im Dezember singen: Alle Jahre schutzes, zur Verbesserung der Schiffssicherheit, zum wieder … kommt nicht nur das Christkind, sondern auch Ausbau der Meeresforschung. Der Ostsee-Raum hat alle die Diskussion über die Fehmarnbelt-Querung auf. So Chancen, an gute Zeiten in der gemeinsamen Geschichte haben wir nicht nur vor einem Jahr über einen Antrag anzuknüpfen und die Altlasten der Kriege sowie der meiner Fraktion gesprochen; mittlerweile wird schon durch die Blockbildung geprägten Nachkriegszeit abzu- 45 Jahre über eine feste Querung des Fehmarnbelts de- tragen. Im Ostsee-Raum bestehende Gegensätze wie die battiert. unterschiedlichen Vorstellungen über den Bau der Ost- see-Pipeline können ausgeräumt werden, wenn wir alle Wann ist endlich Schluss damit? Die erhofften positi- Planungsschritte transparent machen und den Schutz der ven Effekte sind mehr als fragwürdig. Das sagt auch das Umwelt gewährleisten. Es ist nicht zu übersehen, dass Institut für Weltwirtschaft an der Universität Kiel. Die die Entstehungsgeschichte des Projektes Ostsee-Pipeline negativen Folgen liegen auf der Hand: erstens, der Ver- Ursache für zahlreiche Widerstände ist. Wir müssen da- lust von mehreren Tausend Arbeitsplätzen, nicht nur auf ran arbeiten, gegenseitiges Vertrauen aufzubauen. Dieses Fehmarn, sondern auch in Mecklenburg-Vorpommern; ist eine wichtige politische Aufgabe. zweitens, die Gefahr der Beeinträchtigung der Meeres- ökologie und der Zugvögel; drittens, die Verkehrssicher- heit: Seit 1963 gab es auf der Fährverbindung in Folge Lutz Heilmann (DIE LINKE): Da der Antrag der eines Unglücks nur eine Tote. Die Gefahr tödlicher Un- FDP anscheinend nicht einmal im federführenden Aus- fälle wäre auf der Brücke wesentlich größer als auf einer schuss diskutiert wurde, möchte ich ihm auch jetzt nicht normalen Autobahn. Viertens besteht keine Notwendig- (B) die Ehre erweisen, mich mit dieser unausgegorenen Zu- keit für eine Brücke: Seit kurzem fährt sogar der ICE mit (D) sammenstellung beliebiger und in sich widersprüchli- der Fähre. Über 4 Milliarden Euro für fünfzehn Minuten cher Forderungen auseinanderzusetzen. Ich beschränke weniger Fahrzeit auszugeben, wäre Geldverschwen- mich daher auf zwei Themen, die mir als Schleswig- dung. Dagegen sind Sie von der FDP doch immer! Ganz Holsteiner am Herzen liegen. Das eine ist die unendliche abgesehen davon wird es bei dieser Summe kaum blei- Geschichte der Fehmarnbelt-Querung, das andere ist die ben, wie andere Großprojekte immer wieder zeigen. Am Verseuchung der Ostsee mit Altmunition aus dem Zwei- Rande: 4 Milliarden Euro sind so viel, wie die Bahn vom ten Weltkrieg. Die rostenden Altlasten sind nicht nur Bund pro Jahr für das gesamte Schienennetz zur Verfü- eine Gefährdung für Badende, Sporttaucher und Fischer, gung hat. Diese Milliarden könnten, vernünftig einge- sondern auch für die Lebewesen der Ostsee. Zunehmend setzt, vielen Menschen ein schnelleres Reisen auf der passiert es, dass Tiere, insbesondere Wale, durch unkon- Schiene ermöglichen. trollierte Detonationen getötet werden. Haben sie weni- ger „Glück“, werden sie durch die artfremde Geräusch- Zudem steht die Finanzierung durch die EU noch kulisse der Detonationen – die sich im Wasser stärker, nicht auf stabilen Fundamenten. Deutschland und Däne- schneller und weiter ausbreiten als in der Luft – in ihrer mark gingen immer von einer Förderung von bis zu Ortung fehlgeleitet. So kommt es immer wieder vor, 1,5 Milliarden Euro aus. Jetzt hat die EU 350 Millionen dass Wale nicht nur in der Flensburger oder Kieler Bucht in Aussicht gestellt. Gibt es danach noch mehr Geld? gesehen werden. Sicher ein imposantes Schauspiel für Die Aussagen aus dem Hause Tiefensee sind wider- die Anwohner, aber oft ein qualvoller Tod für die Tiere. sprüchlich: Der Minister sagt Nein, sein Staatssekretär Es ist an der Zeit, zu handeln! weiß es nicht. Was denn nun, Herr Minister? Gänzlich verwirrend waren am Anfang der Woche Einerseits ist die Gefahrenabwehr Ländersache, so- Meldungen der Landesregierung Schleswig-Holsteins, weit diese Aufgabe nicht dem Bund zugewiesen ist. dass die Brücke schon 2014 fertig sein soll. Da frage ich Nach dem Seeaufgabengesetz hat der Bund in Küstenge- mich, ob Herr Carstensen nicht richtig lesen kann, ob wässern die Aufgabe, Gefahren für die Sicherheit und hier der Wunsch Vater des Gedanken war. Oder gibt es Leichtigkeit des Schiffsverkehrs abzuwehren. Anderer- da interne Überlegungen, die der Öffentlichkeit bislang seits ist die Abwehr von Gefahren für Badende, Sport- verschwiegen wurden? taucher und Fischer, die sich außerhalb der Seewasser- trassen bewegen, Ländersache, obwohl es sich um die Die FDP offenbart wieder einmal ihre Inkonsequenz: gleiche Gefahr, die Kampfmittel aus dem Zweiten Welt- Tagein, tagaus hören wir von Ihnen, dass die Staatsquote krieg bergen, handelt. und die Steuern sinken müssen. Doch wenn es um Infra- Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 133. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. Dezember 2007 14077

(A) struktur geht, ist der FDP nichts zu teuer. Fehmarnbelt- ben das in unseren eigenen Anträgen zum Ostsee-Raum (C) Querung, A 7, A 14 etc., alles soll aus Staatsgeldern ge- ja bereits gefordert. baut werden. Es fragt sich nur: Von welchen Staatsgel- dern? Auch deswegen lehnen wir diesen Antrag ab. Auch der Aus- bzw. Aufbau einer Infrastruktur, die ein umweltverträgliches Reisen ermöglicht, ist zu för- dern. Das heißt aber nicht – liebe Kolleginnen und Kol- Bettina Herlitzius (BÜNDNIS 90/Die GRÜNEN): legen der FDP –, dass wir uns dem von Ihnen in Ihrem Wir begrüßen den weitgehend integrierten Ansatz der Antrag geforderten massiven Aus- und Neubau der di- FDP-Fraktion, die Bereiche Wirtschaft, Fischerei, Öko- versen Autobahnen anschließen. logie, Meeresnaturschutz, Seeverkehrssicherheit, Mee- resforschung, Kultur und Tourismus vernetzt zu denken. Die FDP setzt in dem uns hier vorliegenden Antrag weitgehend auf Selbstverpflichtungen statt auf ord- Wir begrüßen den Kampf gegen illegalen Dorschfang, nungspolitische Instrumente wie Steuern und Abgaben. den Schutz der Schweinswale, die Begrenzung der Hier wären zum Beispiel reduzierte Hafengebühren für Schiffsemissionen, eine Verschärfung der Lotsenpflicht umweltfreundliche Schiffe mit geringen Emissionen in der Kadetrinne, die Förderung maritimer Beschäfti- oder an die Ökobilanz der Landwirte gekoppelte Agrar- gungsmöglichkeiten und die verpflichtende Umsetzung subventionen vorstellbar. des Baltic Sea Act Plan der HELCOM (Helsinki-Komis- sion), um die Luft und Meeresverschmutzung einzudäm- Uns gehen die Forderungen der FDP nicht weit ge- men. nug. Im Prinzip ein guter Ansatz, aber der notwendige Tiefgang fehlt. Wir lehnen den Antrag daher ab. Wir gehen auch konform damit, das Problem der ver- senkten Munitionsaltlasten aus dem Zweiten Weltkrieg anzugehen, denn die touristische Attraktivität einer Re- Anlage 18 gion steht in direktem Zusammenhang mit ihrem Um- weltzustand. Zu Protokoll gegebene Reden Der Ostsee-Raum wird von Ihnen – liebe Kollegen zur Beratung: und Kolleginnen der FDP – überwiegend als wirtschaft- liche Ressource und nicht als Lebensraum für Mensch – Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des und Tier betrachtet. Tourismus als ein reiner Wachs- Wahl- und Abgeordnetenrechts tumsfaktor. Dabei sind eine intakte Meeresumwelt und – Entwurf eines Achtzehnten Gesetzes zur intakte Küstenlandschaften die Voraussetzung für den Änderung des Bundeswahlgesetzes (B) Tourismusstandort Ostsee-Küste. (D) – Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Als tourismuspolitische Sprecherin meiner Fraktion Wahlprüfungsgesetzes kann ich nur bestätigen, dass die Inseln und Küsten- regionen des Ostsee-Raums ein wichtiger Wirtschafts- – Antrag: Wahlmanipulationen wirksam ver- und Wachstumsfaktor für die Region sind. Aber gerade hindern die touristische Nutzung des Ostsee-Raumes unterliegt auch natürlichen Grenzen! Es gilt, das Natur- und Kul- (Tagesordnungspunkt 27 a bis d) turgut dieser Region zu erhalten und zu schützen. Der Tourismus lebt von einer gesunden Lebenswelt Stephan Mayer (Altötting) (CDU/CSU): Aufgrund für Bewohner und Gäste. Es ist deshalb unerlässlich, der Erfahrungen, die wir seit den letzten Änderungen des dass die touristische Landschaftserschließung auch um- Bundeswahlrechts gemacht haben, war es notwendig, weltverträglichen Standards folgt. Die individuellen Be- die Regelungen des Wahlrechts auf den Prüfstand zu lastbarkeiten einer Destination müssen zwingend be- stellen. Dabei haben wir vor allem die Erfahrungen bei rücksichtigt werden, und die touristischen Konzepte gilt den Bundestagswahlen 2002 sowie 2005 und der Euro- es auf die jeweiligen Gegebenheiten vor Ort abzustim- pawahl 2004 bewertet und sind in der Koalition zur men. Überzeugung gekommen, dass einige Anpassungen im Bundeswahlrecht und im Europawahlrecht notwendig Die zu erwartenden Klimaveränderungen werden sind. Wir haben hier intensiv beraten und waren als Koa- auch vor dem Ostsee-Raum nicht haltmachen. Wir müs- lition in enger Abstimmung mit der Bundesregierung, sen mit Extremsituationen, wie massiven Algenblüten, weil hier selbstverständlich auch einige ausgesprochen Hitzewellen, Wirbelstürmen oder gar mit dem Verlust technische Fragen zu klären waren. ganzer Küstengebiete infolge ansteigender Flutwasser- stände, rechnen. Wir haben bei unseren Beratungen auch über die Posi- tionen und Vorstellungen anderer Stellen diskutiert, bei- Darauf müssen sowohl die Tourismuswirtschaft als spielsweise des Wahlprüfungsausschusses des Deutschen auch die öffentliche Tourismusförderung reagieren. Ge- Bundestages, des Bundeswahlausschusses, des Bundes- rade angesichts des Klimawandels ist es unverzichtbar, rates und des Bundeswahlleiters. Der Wahlprüfungsaus- Fördergelder für die touristische Entwicklung von Desti- schuss des Deutschen Bundestages in der 15. und nationen an Nachhaltigkeitskriterien zu knüpfen und ein 16. Wahlperiode beispielsweise hat mehrere Prüfbitten einheitliches touristisches Konzept für eine nachhaltige ausgesprochen. Auch der Bundesrat hat eine Änderung Entwicklung des Küstentourismus zu erstellen. – Wir ha- vorgeschlagen für den Fall des Todes eines Wahlkreisbe- 14078 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 133. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. Dezember 2007

(A) werbers nach der Zulassung des Kreiswahlvorschlags, Mitgliedstaaten des Europarates wohnen. Bei Ersteren (C) aber noch vor der Wahl. Hierzu komme ich später. durften nicht mehr als 25 Jahre seit dem Fortzug aus Deutschland verstrichen sein, bei Letzteren nicht mehr Letztlich sind wir übereingekommen, in mehreren als zehn Jahre. Dem lag die Überlegung zugrunde, dass Punkten Änderungen vorzunehmen, die ich hier kurz die Mitgliedstaaten des Europarats stärkere politische darstellen möchte. und sonstige Ähnlichkeiten zu Deutschland aufweisen, Wir möchten, dass bei der Verteilung der Bundestags- sodass anzunehmen sei, dass die dort lebenden Deut- sitze auf die verbundenen Landeslisten der Parteien ent- schen mit den Verhältnissen in Deutschland besser ver- sprechend dem Zweitstimmenergebnis künftig die traut seien als diejenigen, die außerhalb der Mitglied- Berechnungsmethode nach St. Laguë/Schepers zur An- staaten des Europarats leben. Diese Unterscheidung ist wendung kommt. Diese Berechnungsmethode ist gegen- vor dem Hintergrund der rasant verbesserten Informa- über der derzeitigen Methode Hare/Niemeyer, also der tions- und Kommunikationsmöglichkeiten in den letzten Quotenmethode mit Ausgleich nach größten Resten, Jahren nicht mehr zeitgemäß. Künftig wird es ein zeit- vorzugswürdig. Das Verfahren Hare/Niemeyer ermög- lich unbefristetes aktives Wahlrecht für alle im Ausland licht zwar eine sehr exakte Zuteilung der Sitze entspre- lebenden Deutschen geben. chend dem Zweitstimmenanteil einer Partei. Dieses Ver- fahren kann aber in bestimmten, wenn auch seltenen Der Gesetzentwurf beendet des Weiteren einen über- Konstellationen zu paradoxen Ergebnissen führen, die flüssigen Bürokratismus bei der Beantragung eines sich im ungünstigsten Fall auf die Mandatsvergabe und Wahlscheins. Bislang muss der Wahlberechtigte einen be- sogar auf die Mehrheitsverhältnisse auswirken können. stimmten Grund für die Wahlscheinbeantragung glaubhaft Im Extremfall kann eine Zunahme von Zweitstimmen ei- machen, etwa dass er am Wahltag während der Wahlzeit ner Partei in bestimmten Konstellationen zu einer Ab- sich aus wichtigem Grunde außerhalb seines Wahlbe- nahme der Anzahl der Sitze führen. Auch die umge- zirks aufhält. Hier besteht in der Praxis keinerlei Über- kehrte Wirkung ist zumindest denkbar. prüfungsmöglichkeit, sodass wir auf diese unnötige Glaubhaftmachung verzichten wollen. Dies ist auch eine Aus diesem Grunde hat der Wahlprüfungsausschuss Frage der Akzeptanz bei den Wählern. Außerdem ist es in einer Prüfbitte vom September 2004 eine solche Än- in der heutigen Zeit, in der die Menschen wesentlich mo- derung angeregt. Der Innenausschuss und der Wahlprü- biler sind als noch vor Jahren, auch in der Sache nicht fungsausschuss haben nach gemeinsamer Beratung da- mehr zeitgemäß, die Briefwahl nach der Konzeption des raufhin noch im Jahre 2004 den Wechsel zum Verfahren Gesetzes vom Vorliegen bestimmter eng definierter Hin- St. Laguë/Schepers empfohlen. Auch wenn sich die ge- derungsgründe abhängig zu machen. nannte problematische mathematische Besonderheit der (B) Methode Hare/Niemeyer in der Vergangenheit bislang Eine Verfahrensvereinfachung führen wir im Zusam- (D) noch nicht ausgewirkt hat, halte ich es für richtig, dass menhang mit dem Erwerb des Mandates im Deutschen wir dieses Risiko ausschließen. Dies ist vor allem vor Bundestag ein, zumindest für die durch die Hauptwahl dem Hintergrund des verfassungsrechtlichen Grundsat- gewählten Bewerber. Hier wird künftig keine förmliche zes der Gleichheit der Wahl die bessere Lösung. Mandatsannahmeerklärung mehr erforderlich sein. Auf diese förmliche Erklärung kann verzichtet werden, weil Eine Klarstellung nehmen wir beim anzuwendenden die Tatsache, dass sich ein Bewerber zur Wahl stellt und Berechnungsverfahren für die Verteilung der Wahlkreise nominiert wird, die Vermutung nahe legt, dass er bereit auf die Länder vor. Der bisherige § 3 Abs.1 Bundes- ist, das Mandat anzunehmen, wenn er gewählt wird. Nur wahlgesetz enthielt keine Vorgabe für ein bestimmtes für den Fall, dass er entgegen dieser Vermutung das Verfahren. Bislang wurde hierfür in der Praxis in Anleh- Mandat nicht annehmen will, soll er dies ausdrücklich nung an die Verteilung der Sitze auf die Landeslisten die erklären müssen. Quotenmethode Hare/Niemeyer verwendet. Das Verfah- ren St. Laguë/Schepers hat auch hier Vorteile, insbeson- Wir stellen ferner im Gesetz explizit klar, dass eine dere wird das Hin- und Herpendeln von Wahlkreisen Nachwahl auch am Tag der Hauptwahl möglich ist. zwischen Bundesländern bei diesem Verfahren tenden- Stirbt ein Wahlkreisbewerber im Zeitraum zwischen der ziell reduziert. Die Wahlkreiskontinuität wird somit bes- Zulassung des Kreiswahlvorschlags und der Wahl selbst, ser gewährleistet. so findet eine Nachwahl statt, und zwar spätestens inner- halb von sechs Wochen nach der Hauptwahl. In der Pra- Eine wichtige Vereinheitlichung nehmen wir beim ak- xis wurde eine Nachwahl auch am selben Tag der Haupt- tiven Wahlrecht zum Deutschen Bundestag für die im wahl für möglich angesehen, so zum Beispiel bei der Ausland lebenden Deutschen vor. Ursprünglich setzte Bundestagswahl 2002 in den Wahlkreisen Zollernalb- das aktive Wahlrecht voraus, dass der betreffende deut- Sigmaringen und Passau. Diese Praxis ist sinnvoll, schon sche Staatsbürger seinen gewöhnlichen Aufenthalt in der weil sie „taktisches“ Wahlverhalten und die Verzögerung Bundesrepublik hat. Für Beschäftigte des öffentlichen der Feststellung des Wahlergebnisses vermeidet. Aus Dienstes, die im Ausland leben, sowie die Angehörigen diesem Grunde wollen wir diese Praxis auch durch eine ihres Hausstands, gab es seit 1953 eine Sonderregelung, entsprechende gesetzliche Klarstellung sichern. die ihnen in jedem Fall das aktive Wahlrecht für die Wahl zum Deutschen Bundestag einräumte. Im Jahre Das Europawahlgesetz wird an die Änderungen, die 1985 wurde dies auf andere Auslandsdeutsche ausgewei- wir beim Bundeswahlgesetz vornehmen, unter Berück- tet. Hier wurde aber differenziert zwischen solchen sichtigung der von der Sache her gebotenen Unter- Deutschen, die innerhalb, und solchen, die außerhalb der schiede im Wesentlichen angepasst. Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 133. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. Dezember 2007 14079

(A) Ich möchte aber auch etwas zu einigen Punkten sa- tung beikommt. Hier geht es um die Verwurzelung der (C) gen, bei denen wir über möglichen Änderungsbedarf be- Wahlkreisabgeordneten vor Ort in ihren Wahlkreisen raten haben, uns aber im Ergebnis gegen Gesetzesände- und um gewachsene Strukturen. Wir schlagen aus die- rungen entschieden haben. sem Grunde letztlich nur dort Änderungen beim Wahl- kreiszuschnitt vor, wo dies angesichts der aktuellen und Wir als CDU/CSU haben in der letzten Wahlperiode zu erwartenden Bevölkerungsentwicklung zwingend eine Änderung beim Umgang mit bestimmten Zweit- notwendig ist, um den gesetzlichen Wahlrechtsgrundsät- stimmen vorgeschlagen. Es handelt sich um Zweitstim- zen, insbesondere dem Grundsatz der Gleichheit der men von Wählern, die mit ihrer Erststimme einen erfolg- Wahl, gerecht zu werden. Dementsprechend war eine reichen Wahlkreisbewerber gewählt haben, dessen Partei Reduzierung der Wahlkreise um jeweils einen Wahlkreis aber nicht den Sprung in den Bundestag geschafft hat, in Sachsen und Sachsen-Anhalt und die Aufstockung um die aber gleichzeitig mit ihrer Zweitstimme eine andere jeweils einen Wahlkreis in Baden-Württemberg und Nie- Liste gewählt haben, der der Einzug in den Bundestag dersachsen unumgänglich. Insofern war hier den Vor- gelungen ist. Wir meinen, dass der Zweitstimme in die- schlägen der Wahlkreiskommission zu folgen. sem – sicherlich in der Praxis seltenen – Fall ein doppel- tes Stimmgewicht zukommt und hätten uns hier deshalb Nur kurz möchte ich auf den heute ebenfalls zur Ent- eine Änderung vorstellen können. scheidung anstehenden Antrag der Linken eingehen. Wir haben es hier mit einem klassischen Schaufensterantrag Diskutiert haben wir auch über die Fälle, in denen ein zu tun. Es gibt keinerlei Überlegungen in der Koalition, Wahlkreisbewerber im Zeitraum zwischen der Zulas- bei Bundestags- oder Europawahlen eine Stimmabgabe sung des Kreiswahlvorschlags und der Wahl verstorben per Internet zu ermöglichen. Es handelt sich hierbei so- ist. Das geltende Recht sieht hier Nachwahl im betroffe- mit um eine völlig überflüssige Debatte. Was den Ein- nen Wahlkreis vor; das habe ich schon ausgeführt. Bei satz von Wahlgeräten betrifft, so sind nach meiner der letzten Bundestagswahl musste im Wahlkreis Dres- Kenntnis bislang in keinem Falle auch nur irgendwelche den 1 aus diesem Grund eine Nachwahl nach dem Tag Anhaltspunkte für Manipulationen oder Manipulations- der Hauptwahl durchgeführt werden. Dies war Anlass versuche bei Wahlen mit Wahlgeräten in Deutschland für mehrere Wahleinsprüche und eine Gesetzesinitiative bekannt geworden. Es handelt sich somit um eine des Bundesrates. Mit dieser Gesetzesinitiative sollte es Scheindebatte ohne irgendeinen substanziierten Anlass. ermöglicht werden, dass die Parteien und anderen Listen Der Antrag ist deshalb völlig neben der Sache, populis- für solche Fälle Ersatzbewerber aufstellen können. Wir tisch und daher abzulehnen. haben uns hier gegen eine Änderung entschieden. Diese Fälle sind zum einen sehr selten. Bislang gab es bei Bun- Zuletzt noch eine Anmerkung zur Änderung des (B) destagswahlen erst sechs Nachwahlen infolge des Todes Wahlprüfungsgesetzes. Wir wollen eine Klarstellung im (D) eines Bewerbers, wobei in zwei Fällen die Nachwahl am Gesetzestext entsprechend der langjährigen Praxis des selben Tag wie die Hauptwahl möglich war. Für noch Wahlprüfungsausschusses vornehmen. Nach dem bishe- wichtiger halte ich aber, dass die geltende Regelung si- rigen Wortlaut hat der Wahlprüfungsausschuss des Deut- cherstellt, dass durch die Nachwahl im Wahlkreis eine schen Bundestages bei Wahleinsprüchen in der Regel echte Persönlichkeitswahl stattfindet. Die Wähler wäh- eine mündliche Verhandlung durchzuführen. In der Pra- len einen Abgeordneten, der ihren Wahlkreis vertritt. xis hat sich aber gezeigt, dass in aller Regel eine mündli- Das ist der Sinn der Erststimme, und dieses Prinzip wol- che Verhandlung entbehrlich ist, weil von ihr keinerlei len wir auch in diesen Fällen beibehalten. Mehrwert zu erwarten ist. Seit November 1973 ist keine mündliche Verhandlung mehr durchgeführt worden. Mit Diskutiert haben wir auch über die Frage, ob das der künftigen Regelung lehnen wir uns an die Vorausset- Nachrücken von Listenplätzen ermöglicht werden soll, zungen für mündliche Verhandlungen vor dem Bundes- wenn ein Wahlkreisabgeordneter aus einem Land aus- verfassungsgericht bei Wahlprüfungsbeschwerden an. scheidet, in dem seine Partei Überhangmandate errungen Die mündliche Verhandlung wird somit künftig nur statt- hat. Bis zur Entscheidung des Bundesverfassungsge- finden, wenn von ihr eine Förderung des Verfahrens zu richts im Februar 1998 fand auch in diesen Fällen ein erwarten ist. Nachrücken statt. Es war zumindest zu prüfen, ob durch eine gesetzliche Änderung das Nachrücken in Überhang- mandate wieder ermöglicht werden sollte. Wir haben uns Klaus Uwe Benneter (SPD): Wir haben ein bewähr- schließlich dagegen entschieden. Dies halte ich im Er- tes Wahlrecht. Trotzdem ist es veränderungswürdig. Da- gebnis auch für die bessere Lösung, weil Überhangman- für gibt es verschiedene Gründe. Zum einen passieren date im geltenden Wahlrecht eine Ausnahme sind, bei bei jeder Bundestagswahl Fehler; Stichwort Briefwahl der die Erststimme auch auf die Sitzverteilung im Bun- Dortmund. Tausende von Briefwahlstimmen konnten destag Einfluss hat. Um die Auswirkungen dieser Aus- nicht gezählt werden. Der Gesetzgeber muss prüfen, ob nahme möglichst gering zu halten, soll es dabei bleiben, er zu einer Fehlervermeidung oder zumindest zu einer dass in diesen Fällen kein wie auch immer gearteter Er- Schadensminderung beitragen kann. Zum anderen än- satz erfolgt. dern sich die Verhältnisse, unter denen Wahlen stattfin- den. Beispielsweise hat der Wegfall des Postmonopols Noch ein Wort zur Wahlkreiseinteilung. Wir haben Auswirkungen auf die Regelungen zur Beförderung von die beiden Berichte der Wahlkreiskommission sehr sorg- Wahlbriefen. Auch das Wahlverhalten ändert sich. Ein fältig analysiert. Ich bin der Auffassung, dass dem Ge- Beispiel ist die immer stärker in Anspruch genommene sichtspunkt der Wahlkreiskontinuität eine große Bedeu- Briefwahl; auch darauf sollte der Gesetzgeber reagieren. 14080 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 133. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. Dezember 2007

(A) Schließlich führen die Erfahrungen der Vergangenheit, nach alter als auch nach neuer Berechnungsmethode die (C) aber auch die Erfahrungen aus den Ländern immer wie- gleichen Ergebnisse bekommen. der zu einer Überprüfung der mathematischen Berech- Deutlich einfacher als das bisherige Recht ist auch die nungsmethoden, die Grundlage der Ermittlung des vorgesehene Regelung, wonach alle im Ausland leben- Wahlergebnisses sind. den Deutschen künftig ein zeitlich unbefristetes Wahl- Aus allen diesen Gründen sieht der Gesetzentwurf recht besitzen. Bisher werden hier feine Unterscheide Änderungen des Wahlrechts vor, die ich nun im Einzel- gemacht zwischen Auslandsdeutschen, die in den Mit- nen ansprechen möchte. gliedstaaten des Europarates leben und unbefristet mit- wählen können, und sonstigen Auslandsdeutschen, deren Zur Umstellung des Berechnungsverfahrens von der Wahlrecht nur 25 Jahre lang nach Wegzug bestehen soll. Quotenmethode mit Ausgleich nach größten Resten Diese im Zeitalter der Globalisierung schwer zu recht- Hare/Niemeyer auf das Divisorverfahren mit Standard- fertigende Differenzierung soll nun abgeschafft werden. rundung St. Laguë/Schepers. Die neue Berechnungs- methode soll sowohl für die Verteilung der Wahlkreise Eine weitere Änderung betrifft die Briefwahl, die ur- auf die Länder nach § 3 BWahlG als auch für die Vertei- sprünglich als enge Ausnahme konstruiert wurde. lung der Sitze auf die Landeslisten der Parteien nach § 6 Nichtsdestotrotz nimmt der Anteil der Briefwähler kon- BWahlG Anwendung finden. Die Wahlkreiskommission tinuierlich zu. Bei der letzten Bundestagswahl haben für die 16. Wahlperiode hat in ihrem Bericht unter Be- 18,7 Prozent der Wähler per Briefwahl gewählt. Für die zugnahme auf ein Gutachten des Statistischen Bundes- Teilnahme an der Briefwahl müssen Wahlberechtigte ei- amtes diese Umstellung der Berechnungsmethode emp- nen Wahlschein beantragen und dabei bisher auch den fohlen. Warum? Ich will die Auswirkungen der neuen Grund für ihre Verhinderung am Wahltag angeben und Berechnungsmethode für die Verteilung der Wahlkreise glaubhaft machen. Diese Regelung erfüllt keinerlei auf die Länder an einem Beispiel erläutern: In der Funktion mehr, denn eine Nachprüfung dieser Hinde- 15. Wahlperiode ergab sich bei Anwendung des bisheri- rungsgründe ist weder möglich noch erwünscht. Auch gen Hare/Niemeyer-Verfahrens ein Wahlkreisverlust für eine Appellfunktion kann diese Regelung leider, wie ich Schleswig-Holstein. Dies war jedoch kaum nachvoll- meine, nicht erfüllen, wie die Erfahrungen in Nordrhein- ziehbar, weil Schleswig-Holstein erst in der 14. Wahl- Westfalen und Berlin zeigen. Dort wird seit vielen Jah- periode einen neuen Wahlkreis hinzubekommen hatte ren auf die Angabe von Gründen für die Briefwahl ver- und seitdem einen leichten Bevölkerungsanstieg ver- zichtet. Der Briefwähleranteil hat sich jedoch nicht an- zeichnete. Dieses äußerst ungute Hin- und Herpendeln ders entwickelt als in anderen Bundesländern. von Wahlkreisen wäre durch die neue Berechnungs- In diesem Zusammenhang soll auch bemerkt werden, (B) methode vermieden worden. Die neue Methode ist damit dass die Beförderung der Wahlbriefe wie bisher kosten- (D) kontinuitätswahrender. frei für den Briefwähler möglich ist. Nach Wegfall der Aber auch für die Berechnung der Verteilung der Exklusivlizenz der Deutschen Post für Briefe bis zu Sitze auf die Landeslisten der Parteien ist die neue ma- 50 Gramm ist hierfür künftig die Durchführung eines thematische Berechnungsmethode besser. Denn sie kann Vergabeverfahrens erforderlich, auf dessen Grundlage paradoxe Ergebnisse vermeiden, wie sie bei der jetzigen der Bund mit entsprechenden Postdienstleistern Beför- Berechnungsmethode entstehen können. Bisher ist es derungsverträge abschließen wird. zum Beispiel möglich, dass ein erhebliches Minus an Bewerber, die anderen Parteien angehören, sollen Zweitstimmen nicht etwa dazu führt, dass die betroffene künftig auf Landeslisten von Parteien nicht mehr zuge- Partei einen Sitz weniger erhält. Vielmehr kann stattdes- lassen werden. Bei der letzten Bundestagswahl wurde sen eine Sitzverschiebung zwischen zwei anderen die Aufstellung von Kandidaten der WASG auf den Lan- Parteien eintreten. Das neue Berechnungsverfahren deslisten der Linkspartei von den Landeswahlausschüs- St. Laguë/Schepers führt jedoch in diesem Fall zu dem sen zugelassen. Denn das Wahlrecht enthält keine Rege- erwarteten und besseren Ergebnis, dass die vom Zweit- lung dieses Falles. Problematisch ist diese Handhabung stimmenminus betroffene Partei einen Sitz zugunsten ei- aber deshalb, weil nach dem Bundeswahlgesetz Listen- ner anderen Partei verliert, die bisher im Rundungsver- vereinigungen und Listenverbindungen verschiedener fahren am schlechtesten wegkam. Der Bundestag selbst Parteien nicht zulässig sind. Das Gesetz möchte auf verwendet die neue Methode St. Laguë/Schepers bereits diese Weise klare Wahlentscheidungen ermöglichen und für die Berechnung der Zahl der auf die Fraktionen ent- außerdem einer Zersplitterung des im Parlament vertre- fallenden Sitze im Ältestenrat und in den Ausschüssen. tenen Parteienspektrums vorbeugen. Denn eine solche Auch im Landtagswahlrecht von Bremen, Baden- Zersplitterung gefährdet die parlamentarische Hand- Württemberg und Hamburg ist St. Laguë/Schepers be- lungsfähigkeit und damit die politische Stabilität des reits eingeführt. Landes. Es handelt sich aber – um das klarzustellen – insge- Verschiedene Regelungen sichern diese Zielsetzung samt um eine Verfeinerung der Berechnungsmethode, ab, etwa die Fünfprozenthürde bzw. die Grundmandats- keineswegs um eine revolutionäre Neuerung, die nun bei klausel für den Einzug in das Parlament, aber auch das gleicher Stimmabgabe gänzlich andere Ergebnisse er- Unterschriftenquorum für Wahlkreisvorschläge von Par- warten lässt. Denn hinsichtlich der Verteilung der Sitze teien ohne bisherige hinreichende parlamentarische Ver- nach Zweitstimmen auf die Parteien insgesamt hätten tretung. Parteien haben außerdem nach § 27 Abs. 1 wir bei den beiden letzten Bundestagswahlen sowohl BWahlG das Monopol zur Aufstellung von Landeslisten. Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 133. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. Dezember 2007 14081

(A) Alle diese Hürden können durch die Zulassung von Mit- hangmandate für sinnvoll. Sie steht leider noch nicht in (C) gliedern anderer Parteien auf der Landesliste einer Partei diesem Gesetzentwurf, obwohl es ein Unding ist, dass umgangen werden. Das ist nicht sinnvoll. Mandate während der Legislaturperiode ersatzlos weg- fallen können. Eine der wichtigsten Funktionen des Die Kandidatur parteiloser Bewerber auf der Landes- Wahlrechts ist es, dass das am Wahltag festgestellte liste einer Partei wäre übrigens von dieser beabsichtigten Wahlergebnis eine möglichst stabile Grundlage für eine Neuregelung nicht betroffen. Sie soll weiterhin möglich stabile Regierung über die gesamte Legislaturperiode sein. bildet. Wir können im staatspolitischen Interesse nicht Bei vertauschten Stimmzetteln sollen die bisherigen wollen, dass die parlamentarische Mehrheit wechselt, harten Folgerungen abgemildert werden. Leider kann weil zufällig Abgeordnete aus Überhangländern sterben auch das schönste Wahlrecht Fehler bei einer bundes- oder aus anderen Gründen ausscheiden. Ich würde es weiten Wahl mit über 60 Millionen Wahlberechtigten deshalb für richtig halten, wenn wir in den kommenden nicht verhindern. Nicht immer sind allerdings gleich Beratungen in dieser Frage zu einer Änderung des Ent- Tausende von Wählern betroffen, wie es bei der letzten wurfs kommen könnten. Bundestagswahl in Dortmund der Fall war. Dort wurden massenweise Briefwahlunterlagen mit Stimmzetteln für Änderungen des Grundgesetzes haben wir in unserem den falschen Wahlkreis versandt. Im Ergebnis haben Gesetzentwurf nicht vorgesehen. Die Frage einer Verlän- über 10 000 Wähler auf falschen Stimmzetteln gewählt. gerung der Legislaturperiode, die Einführung von Volks- Die bisherige Regelung sieht vor: Falscher Stimmzettel, entscheiden auf Bundesebene oder die Möglichkeit der Stimme ungültig. Deshalb wurden diese Stimmen, also Selbstauflösung des Parlaments bleiben damit auf der Erststimmen und Zweitstimmen, überhaupt nicht ge- politischen Tagesordnung – aber erst in künftigen Wahl- zählt. Da die Stimmen im konkreten Fall auf die Man- perioden. Die damit verbundenen Fragen bedürfen sehr datsverteilung keinen Einfluss hätten haben können, gründlicher Prüfung. blieben alle diese Briefwahlstimmen ohne weitere Fol- Lassen Sie mich noch kurz auf die Änderung der gerungen einfach unberücksichtigt. Künftig sollen in ei- Wahlkreiseinteilung eingehen, wie sie in dem Entwurf nem vergleichbaren Fall – den sich keiner wünschen eines Achtzehnten Gesetzes zur Änderung des Bundes- kann – wenigstens die Zweitstimmen gezählt werden wahlgesetzes vorgesehen ist. Die Bevölkerungsentwick- und gültig sein. Denn für die Zweitstimme ist die lung in den Ländern zwingt uns, die bestehende Stimmzettelverwechslung ohne Belang. Wahlkreiseinteilung zu ändern. Denn das Bundesverfas- Weitere kleinere Änderungen möchte ich noch kurz sungsgericht hat dem Gesetzgeber aufgegeben, im Rah- erwähnen. Der neue Begriff Stimmzettelumschlag an- men des Möglichen annähernd gleich große Wahlkreise (B) stelle des bisherigen Begriffs Wahlumschlag soll für eine zu bilden. Der Gesetzgeber hat die sich daraus ergeben- (D) bessere Verständlichkeit der Begriffe sorgen; falls eine den Anforderungen in § 3 Bundeswahlgesetz näher kon- Nachwahl stattfinden muss, soll klargestellt werden, kretisiert. Danach sind bei der Wahlkreiseinteilung die dass das vorläufige Wahlergebnis sofort nach der Haupt- Ländergrenzen einzuhalten; die Zahl der Wahlkreise in wahl ermittelt und auch bekannt gegeben wird. Für Ab- den einzelnen Ländern muss deren Bevölkerungsanteil geordnete wird die förmliche Erklärung zur Mandatsan- soweit wie möglich entsprechen; die Bevölkerungszahl nahme entfallen. Auf der Grundlage der Vorgaben des eines Wahlkreises soll von der durchschnittlichen Wahl- Bundesverfassungsgerichts wird die Wahlkampfkosten- kreisbevölkerungszahl nicht um mehr als 15 Prozent ab- erstattung für unabhängige Wahlkreisbewerber rückwir- weichen, sie darf nicht um mehr als 25 Prozent abwei- kend erhöht und an die Wahlkampfkostenerstattung für chen; Gemeinde- und Landkreisgrenzen sollen nach Parteien ohne zugelassene Landesliste angeglichen. Möglichkeit eingehalten werden. Entsprechende Änderungen gibt es auch im Europa- Ausgehend von diesen Vorgaben und auf der Grund- wahlrecht. Auch dort wird das mathematische Berech- lage der Bevölkerungszahlen aus der amtlichen Statistik nungsverfahren auf St. Laguë/Schepers umgestellt. Das zum Stand 31. Dezember 2006 verlieren nach dem Ge- Verbot parteifremder Bewerber auf Parteilisten wird setzentwurf die Länder Sachsen und Sachsen-Anhalt je ebenfalls eingeführt. Des Weiteren wird der Verlust der einen Wahlkreis, während Baden-Württemberg und Nie- Mitgliedschaft im Europäischen Parlament aufgrund der dersachsen je einen hinzugewinnen. In der Folge und Wahl in das nationale Parlament künftig richtigerweise entsprechend der weiteren Vorgaben des § 3 BWahlG durch das Europäische Parlament festgestellt und nicht müssen in Sachsen und Sachsen-Anhalt je ein Wahlkreis mehr durch den Ältestenrat des Bundestages. aufgelöst und verbleibende Wahlkreise neu geordnet und bezeichnet werden. Auch in anderen Bundesländern Lassen Sie mich einen weiteren Punkt ansprechen. werden Wahlkreise neu geordnet und bezeichnet, um Unter der Überschrift „Geheimoperation Überhangman- erstens sicherzustellen, dass kein Wahlkreis die 25 Pro- date“ hat die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung zent-Marke überschreitet, und um zweitens eine Anpas- darüber berichtet, dass die Koalition über eine Nachfol- sung an aktuelle und künftige Kreis- und Gemeinde- geregelung bei Überhangmandaten nachgedacht hat. grenzen vorzunehmen. Lassen Sie mich Folgendes klarstellen: Es ist keine kon- spirative Aktion, sondern üblich und richtig, wenn die Durch die Änderung des Wahlprüfungsgesetzes sollen Einbringer eines Gesetzentwurfs vor der Einbringung die gesetzlichen Vorschriften an die tatsächlichen Erfor- prüfen, welche Änderungen sinnvoll sind. Und ich will dernisse der Wahlprüfung angepasst werden. Es hat sich ganz deutlich sagen: Ich halte die Nachfolge in Über- in jahrzehntelanger Übung erwiesen, dass eine mündli- 14082 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 133. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. Dezember 2007

(A) che Verhandlung in Wahlprüfungssachen nicht erforder- men, die für eine Partei nicht abgegeben wurden, einen (C) lich ist. Aus dem bisherigen gesetzlichen Regelfall ist Gewinn an Sitzen für die jeweilige Partei bedeuten. Die- deshalb faktisch die Ausnahme geworden. Die letzte ser Effekt widerspricht dem Anspruch, dass jede Stimme mündliche Verhandlung in Wahlprüfungssachen wurde gleich viel zählen sollte. Er widerspricht auch dem An- im Jahre 1973 durchgeführt. Deshalb soll nach der künf- spruch, dass sich die Stimme nicht explizit gegen den tigen gesetzlichen Regelung ein Termin zur mündlichen Wählerwillen auswirken darf. Auch Ausgleichsmandate Verhandlung nur dann anberaumt werden, wenn die Vor- lösen das Problem nicht, weil die betroffene Partei regel- prüfung ergibt, dass davon eine weitere Förderung des mäßig keine Ausgleichsmandate erhält. Hier wäre eine Verfahrens zu erwarten ist. Lösung erstrebenswert. Die Fraktion Die Linke möchte mit ihrem Antrag Den im Ausland lebenden Deutschen ein zeitlich un- „Wahlmanipulationen wirksam verhindern“ auf das Ver- befristetes Wahlrecht einzuräumen, ist im Zeitalter des bot von Wahlcomputern – die es in Deutschland bereits Internets zu begrüßen. Denn in der heutigen Zeit ist eine gibt – und auf das Verbot der Internetwahl – die es in informierte Mitwirkung bei Wahlen auch möglich, ohne Deutschland bei politischen Wahlen noch nicht gibt – am Ort des Geschehens zu wohnen. hinwirken. Wir schließen uns diesem Antrag nicht an. Denn wir haben bisher keinen ernst zu nehmenden Hin- In diesem Zusammenhang ist auch der Vorschlag im weis darauf, dass es bei dem bisherigen Einsatz von Gesetzentwurf positiv zu bewerten, die Nennung von elektronischen Wahlgeräten tatsächlich zu Wahlmanipu- Antragsgründen bei der Briefwahl abzuschaffen. In den lationen gekommen ist. Es ist auch nicht richtig, dass Beratungen wird allerdings zu erörtern sein, ob die – wie die Linksfraktion meint – eine allgemeine, unmit- Wahlgrundsätze der „geheimen und freien Wahl“ durch telbare, freie, gleiche und geheime Wahl mit der Stimm- eine verstärkte Inanspruchnahme der Briefwahl beein- abgabe per Wahlcomputer nicht vereinbar sei. trächtigt sein könnten. Eine weitere Änderung im Bundeswahlgesetz sieht Gisela Piltz (FDP): Seit den 80er-Jahren sinkt die die Änderung des Zuschnitts der Bundestagwahlkreise Wahlbeteiligung kontinuierlich ab. Kritiker bezeichnen aufgrund der Bevölkerungsentwicklung vor. Um die das Wahlsystem in Deutschland als unverständlich, in- Chancengleichheit aller Wahlbewerber zu garantieren, transparent und partizipationsfeindlich. Es ist daher zu ist eine Überprüfung der Zuschnitte sinnvoll. Wir wer- begrüßen, dass die Regierungsfraktionen einen Gesetz- den in den Berechnungen aber darauf achten, dass Ver- entwurf zur Änderung des Wahl- und Abgeordneten- änderungen nicht aus politischen Motiven vorgenommen rechts vorgelegt haben. Innovative Ideen enthalten die werden. Entwürfe jedoch nicht. (B) Der von der Großen Koalition und uns eingebrachte (D) Außerdem ist wieder einmal das parlamentarische Antrag zur Änderung des Wahlprüfungsgesetzes stellt Verfahren zu kritisieren. Man bekommt den Eindruck, lediglich eine Anpassung an eine geübte Praxis dar. Seit sobald in der Großen Koalition eine Einigung erzielt der 7. Wahlperiode (1973) ist keine mündliche Verhand- wurde, wird das parlamentarische Verfahren im Hau- lung für die Schlussentscheidung des Ausschusses über ruckverfahren durchgeführt. Die von der Großen Koali- Einsprüche mehr durchgeführt worden. Der Gesetzent- tion eingebrachten Gesetzentwürfe sind am Dienstag um wurf stellt daher lediglich den Zustand her, der ohnehin 19.44 Uhr – und damit auch für unsere Verhältnisse au- besteht. ßerhalb der üblichen Bürozeiten – verschickt worden. Heute steht schon die erste Lesung an. Eine ausführliche Der von den Linken eingebrachte Antrag „Wahlmani- Prüfung dieser Entwürfe war in der kurzen Zeit inner- pulationen wirksam verhindern“ geht auf eine Petition halb meiner Fraktion nicht möglich. Ein solches Verfah- gegen Wahlcomputer zurück, die von 45 126 Bürgerin- ren wird damit dem Anliegen, eine Fortentwicklung des nen und Bürgern unterzeichnet wurde. Die Befürchtun- Wahlrechts zu erreichen, erst einmal nicht gerecht. gen der Bürger sind berechtigt. Wahlcomputer zeigen keine nachprüfbaren Ergebnisse an, Wahlcomputer Der Gesetzentwurf sieht vor, das Berechnungsverfah- schließen menschliche Fehler nicht aus, und Wahlcom- ren zu ändern, um eine bessere Verwirklichung des puter bergen Sicherheitsrisiken. In der Bundesrepublik Grundsatzes der Gleichheit der Wahl zu erreichen. Durch gibt es lediglich drei Personen, die nachvollziehen kön- Ersetzung des Hare-Niemeyer-Verfahrens sollen gerade nen, wie bereits eingesetzte Wahlcomputer für politische bei diesem Verfahren vermehrt auftretende Ungereimthei- Wahlen funktionieren. Und diese drei Personen bürgen ten zukünftig vermieden werden. Ob das St. Lague/ auch für die Integrität der Wahl, denn laut Gerichtsent- Schepers-Verfahren aber wirklich vorzugswürdiger ge- scheidung des VG Braunschweig erhalten keine weite- genüber dem Hare-Niemeyer-Verfahren ist, wird sich in ren Personen Einblicke in die technischen Vorgänge. Da- den Beratungen zeigen. Denn auch durch einen Wechsel bei sind Wahlcomputer schon manipuliert worden, lässt sich möglicherweise das Problem des negativen sodass die Datenintegrität nicht gewährleistet ist. Fehler Stimmgewichts nicht grundsätzlich verbessern. können auch durch das Auslesen der Stimmenmodule verursacht werden oder beim Transport der Module ins Das negative Stimmgewicht bezeichnet einen Effekt Wahlamt. bei Wahlen, bei dem sich Stimmen gegen den Wähler- willen auswirken. Durch das Berechnungsverfahren Wahlcomputer werden damit den Grundanforderun- kann trotz Stimmenabgabe für eine Partei dieser Effekt gen demokratischer Wahlen nicht gerecht, denn wesent- ein Verlust an Sitzen bewirken oder umgekehrt Stim- liche Schritte des Wahlablaufs sind der öffentlichen Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 133. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. Dezember 2007 14083

(A) Kontrolle entzogen. Ohne eine verlässliche Nachprüfung und Bürger aus diesem Teil Deutschlands. Wir haben in (C) des Wahlsystems und damit einer Nachzählung von diesem Jahr in diesem Rahmen öfter über den sogenann- Stimmen kann Demokratie aber nicht funktionieren. ten Aufbau Ost und die Wirtschaftsförderung für die Denn nicht selten ist eine Stimme ausschlaggebend für neuen Bundesländern diskutiert, auch um Anreize zu den Sieg oder die Niederlage des Kandidaten. schaffen, das Absterben ganzer Landstriche zu stoppen. Wirkliche Alternativen aber zu den gescheiterten Versu- Mit der Anschaffung von Wahlcomputern sind erheb- chen der vorangegangenen Bundesregierungen, Zuzug liche Kosten verbunden. Die Entwicklung geht aber in und nicht Abzug aus und in den Osten der Republik zu Richtung Onlinewahlen. Die FDP-Fraktion ist der Mei- generieren, hat die Große Koalition bis heute nicht vor- nung, dass man sich technischen Entwicklungen nicht gelegt. Die Folge ist unter anderem der Neuzuschnitt der generell verschließen sollte. Insofern geht der Antrag der Wahlkreise. Ein Beispiel: In meinem Kreis, in dem ich Linken auch zu weit, der die Internetwahl für alle Zeiten politisch aktiv bin, dem Salzlandkreis, wirkt sich die ausschließen will. Wir können doch heute noch nicht ab- Neueinteilung der Wahlkreise in Sachsen-Anhalt beson- sehen, in welche Richtung sich die Technik in den ders stark aus. Der Salzlandkreis wird völlig zerstückelt nächsten Jahren entwickeln wird und welche Lösungen und auf die Wahlkreise 69, 70 und 72 aufgeteilt. Dabei für Onlinewahlen uns angeboten werden. Schließlich steht in dem Gesetzentwurf, dass dieser das Gesetz zur gibt es schon andere Länder, wie zum Beispiel Estland, Kreisgebietsreform, das am 1. Juli 2007 in Kraft getreten die Onlinewahlen als zusätzliche Option für die Wähler ist, berücksichtigt. anbieten. Die Entwicklung technischer und juristischer Lösungen wird von der FDP unterstützt. Der Antrag der Dem Bundesland Sachsen-Anhalt geht mit der Neuein- Linken lässt keinen Spielraum für solche Lösungen und teilung darüber hinaus ein ganzer Wahlkreis verloren. Zu- ist von unserer Seite in dieser Form nicht zustimmungs- künftig wird es nicht mehr zehn, sondern nur noch neun fähig. Wahlkreise geben. Weiter heißt es im Gesetzentwurf, dass „die Toleranzgrenze von plus/minus 15 Prozent durch die Jan Korte (DIE LINKE): Heute werden zum wieder- neuen Wahlkreise 69 und 72 (plus 17,6 Prozent) über- holten Male nicht nur die Abgeordneten des Deutschen schritten“ wird. Dies wird als vertretbar hingenommen, da Bundestages, sondern auch die Bürgerinnen und Bürger dies „durch den zu erwartenden weiteren Bevölkerungs- mit einem Verfahren der Großen Koalition konfrontiert, rückgang kompensiert werden“ dürfte. Dies mag statis- das die Prinzipien und politischen Kategorien der Trans- tisch sicher richtig sein, eine politische Strategie jedoch parenz und der Demokratie ad absurdum führt. zur Verhinderung dieser Abwanderung und zur Steigerung der Geburtenrate, beispielsweise durch eine wirklich fa- Ich spreche davon, dass wiederholt wenige Stunden milien- und kinderfreundliche Politik, lässt die Bundesre- (B) vor einer parlamentarischen Beratung, den Mitgliedern gierung seit nunmehr zwei Jahren nicht erkennen. Ich (D) des Bundestages umfangreiche Gesetzentwürfe durch möchte aber hier erneut die Gelegenheit nutzen, um für die Koalitionsfraktionen nicht vorliegen. Erst in den eine solche gesellschaftspolitische Auseinandersetzung zu Abendstunden des vergangenen Dienstages erreichten werben. die Abgeordneten der Opposition die angekündigten drei Gesetzentwürfe von CDU/CSU und SPD zur Änderung Auch der Gesetzentwurf zur Änderung des Wahl- und des Wahl- und Abgeordnetenrechts, zur Änderung des Abgeordnetenrechts hält einige brisante Änderungen be- Wahlprüfungsgesetzes und zur Änderung des Bundes- reit. Ich möchte mich aber nur auf ein oder zwei Sach- wahlgesetzes. Der Antrag der Fraktion Die Linke „Wahl- verhalte hierin konzentrieren, so zum Beispiel auf die manipulation wirksam verhindern“ lag dagegen rechtzei- Änderung des § 12, in dem die Voraussetzungen für eine tig vor. Eine inhaltliche Auseinandersetzung mit den Wahlbeteiligung für jene deutschen Staatsangehörigen Gesetzentwürfen durch die Bürgerinnen und Bürger geregelt werden, die sich am Wahltag außerhalb der wird durch das Vorgehen der Koalitionsfraktionen ver- Bundesrepublik aufhalten. Die Änderung des Paragrafen hindert. Auch deshalb ist es wichtig, dass es eine linke wird unter anderem damit begründet, dass die bisherige Fraktion im Parlament gibt, die Aufklärung leistet und Eingrenzung auf die Mitgliedstaaten des Europarates für bürgernahe Debatten sorgt. nicht mehr aufrechterhalten werden könne, da die „Ho- mogenität“ zwischen den Mitgliedstaaten des Europara- „Aufgrund der Bevölkerungsentwicklung in den Län- tes durch dessen Erweiterung von 21 auf 46 Staaten dern sowie in einigen Wahlkreisen ist die Einteilung der nicht mehr gegeben sei. Es soll also zukünftig ein zeit- Wahlkreise für die Wahl zum Deutschen Bundestag […] lich unbegrenztes Wahlrecht für sogenannte Auslands- nicht mehr im Einklang mit den Grundsätzen für die deutsche eingerichtet werden, die nach dem 23. Mai Wahlkreiseinteilung nach § 3 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 und 3 1949 und vor ihrem Fortzug mindestens drei Monate un- BWG“ und eine Änderung geboten. Diesem Ansinnen unterbrochen in der Bundesrepublik Deutschland eine ist erst mal nichts Negatives entgegenzusetzen. Dennoch Wohnung innegehabt haben. zeigen die späte Einbringung des Entwurfes und der vor- geschlagene Neuzuschnitt der Wahlkreise, dass eine po- Der Gedanke ist so falsch nicht. Jedoch stellt sich litische Debatte der verwaltungstechnischen untergeord- dem aufmerksamen Wähler und Demokraten nicht ganz net wird. zu Unrecht die Frage, warum nicht im gleichen Atemzug das Wahlrecht für seit vielen Jahren in Deutschland le- Grund für die teilweise Neueinteilung der Wahlkreise bende Ausländerinnen und Ausländern eingerichtet besonders im Osten der Republik beispielsweise ist die wird. Dies wäre doch einmal eine Änderung, die die de- nach wie vor anhaltende Abwanderung der Bürgerinnen mokratische Mitbestimmung durch die Menschen, die 14084 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 133. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. Dezember 2007

(A) sich in diesem Land aufhalten, verbessern und verstär- burg hat als Reaktion darauf von einer Nutzung der (C) ken könnte. Denn das Missverhältnis, einerseits Men- Wahlstifte abgesehen. Die SPD war aufgrund des fahr- schen mit deutschem Pass, die seit Jahrzehnten keinen lässig niedrigen Sicherheitsniveaus nicht bereit, den festen Wohnsitz in der Bundesrepublik ihr eigen nennen Wahlstift länger mitzutragen. Ich hoffe, dass sich die können, das vollständige Wahlrecht zu garantieren und Bundestagsfraktion der SPD dieser Einsicht anschließen andererseits in Deutschland seit Jahrzehnten fest verwur- und auch deshalb unserem Antrag ihre Zustimmung ge- zelten und verankerten Ausländerinnen und Ausländern ben wird. ein solches Recht weiterhin zu verweigern, wird mit die- sem Änderungsvorschlag nicht aufgelöst. Florida, das von massiven Wahlmanipulationen mit Wahlcomputern erschüttert wurde, kehrte schon vor eini- Interessant liest sich allerdings auch der Änderungs- ger Zeit zur Stimmzettelwahl zurück. Die Anschaffung entwurf der Großkoalitionäre zum § 21. Fortan soll es der Wahlcomputer hatte Millionen verschlungen. Aber nun nicht mehr möglich sein, dass Parteimitglieder auf für die Verantwortlichen war der Weg auf den Schrott- den Wahllisten einer anderen Partei kandidieren. Auch platz für die schicken, hochmodernen Wahlcomputer das die Kandidatur als Doppelmitglied oder das Nachrücken kleinere Übel. in den Bundestag als Doppelmitglied soll mit dieser Rechtsänderung unterbunden werden. Ich finde diese Die niederländische Regierung hat ebenfalls die dort Änderung, gelinde gesagt, kleinkariert. Es ist ja bei wei- flächendeckend eingesetzten NEDAP-Wahlcomputer auf- tem nicht so, dass die Kandidatur eines Parteimitgliedes grund ihrer nachgewiesenen Manipulierbarkeit aus dem auf den Listen einer anderen Partei massenhaft vorkam Verkehr gezogen. Und was macht die Bundesregierung? oder vorkommen würde. Im Übrigen hat die Kandidatur Das Innenministerium erteilt von all dem völlig ungerührt des einen oder der anderen parteigebundenen Kandida- neue Bauartzulassungen für NEDAP-Wahlcomputer und ten und Kandidatin auf den Listen einer anderen Partei, suggeriert, dass jetzt alle Sicherheitslücken geschlossen der Demokratie ja wohl kaum geschadet. seien. Das ist hanebüchen! Die Zulassung eines Gerätes zur Wahl wird nach § 35 BWahlG und anderen Vorschrif- Ich möchte die verbleibende Zeit aber auch dafür nut- ten im Wesentlichen erteilt, wenn die Physikalisch-Tech- zen, etwas zum vorliegenden Antrag der Fraktion Die nische-Bundesanstalt im Auftrag des Innenministeriums Linke „Wahlmanipulation wirksam verhindern“ zu sa- bei der Prüfung eines einzigen Geräts einer Bauart keine gen. Ein fundamentales Prinzip der Demokratie ist die Mängel feststellt. Im Gegensatz zu einer Wahl mit Zettel Öffentlichkeit des gesamten Ablaufs von Wahlen. Bei und Urne wird einfachen Bürgerinnen und Bürgern eine Wahlen per Stimmzettel und Urne kann jede und jeder Prüfung der Wahlcomputer verwehrt und deren interne die Korrektheit des Wahlablaufs von der Aufstellung der Funktionsweise geheimgehalten. Ein einzelnes Gerät (B) Urne bis zur Auszählung und Feststellung des Ergebnis- kann von einer Gemeinde eingesetzt werden, wenn der (D) ses kontrollieren. Diese Möglichkeit der Kontrolle durch Hersteller versichert, dass es baugleich zu einem geprüf- jedermann wird aus dem Demokratieprinzip des Art. 20 ten Gerät ist. Eine Kontrolle, ob dies der Fall ist oder ob GG abgeleitet. Werden jedoch Wahlcomputer eingesetzt, das Gerät möglicherweise bis zu seinem Einsatz von Drit- was in den Kommunen aufgrund immer größer werden- ten manipuliert wurde, ist nicht vorgesehen, ist weder für der Probleme, genug Wahlhelfer zu finden, immer öfter Wahlvorstand, noch für Wählerinnen und Wähler sowie der Fall ist, ändert sich die Sachlage völlig: Beim Ein- Wahlbeobachterinnen und Wahlbeobachter möglich. Die satz von Wahlcomputern werden wesentliche Schritte einzige Kontrolle der Geräte findet nach § 35 BWahlG des Wahlablaufs in das Innere eines Gerätes verlegt und durch das Innenministerium und den Hersteller statt. Dies damit der öffentlichen Kontrolle entzogen. Wähler, Öf- ist im Gegensatz zur Kontrolle durch jederman bei Wahl fentlichkeit und selbst Wahlvorstände können nicht mehr mit Wahlzettel und Urne nicht akzeptabel. nachvollziehen, was im Inneren des Gerätes mit den Das Prinzip der öffentlichen Kontrolle ist nicht dele- Stimmen geschieht und wie die Ergebnisermittlung im gierbar, schon gar nicht an das Innenministerium oder Einzelnen vor sich geht. Somit wird ein einfaches, er- den Hersteller der Wahlgeräte. Die demokratische und probtes, evaluiertes und bewährtes System durch ein öffentliche Kontrolle wird durch den Einsatz von Wahl- komplexes, nur von wenigen überprüfbares System er- computern wesentlich erschwert, wenn nicht gar unmög- setzt. Ordnungsgemäßes Funktionieren und Manipula- lich gemacht. tionssicherheit der eingesetzten Wahlcomputer werden zur unabdingbaren Voraussetzung der Integrität einer An dieser Stelle möchte ich ausdrücklich dem Chaos- Wahl. Doch jedem x-beliebigen Menschen, der jemals Computer-Club, der sich trotz aller Geheimniskrämerei einen Geldautomaten oder einen PC benutzt hat, ist klar: bei der Aufdeckung der gravierenden Sicherheitsmängel Das ist absurd. Computer versagen andauernd. Das weiß ein großes Verdienst erworben hat, herzlich für seinen auch das Innenministerium, das erst kürzlich mitteilte, unermüdlichen Einsatz danken. dass es keinen absoluten technischen Schutz vor Wahl- manipulationen geben wird. „Sehr richtig“, kann ich Unser Antrag, für den ich um Ihre Zustimmung dem nur hinzufügen. werbe, fordert daher die Bundesregierung auf, durch Än- derung des Bundeswahlgesetzes den Einsatz von Wahl- Einen klaren Beleg dafür lieferte erst kürzlich der computern und eine Internetwahl bei Wahlen zum Deut- Chaos-Computer-Club in Hamburg, dem es gelungen schen Bundestag und des Europäischen Parlaments war, das für die Hamburg-Wahl am 24. Februar 2008 ge- ausdrücklich auszuschließen und die Bundeswahlgeräte- plante Digitale-Wahlstift-System zu manipulieren. Ham- verordnung entsprechend anzupassen. Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 133. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. Dezember 2007 14085

(A) Wahlcomputer müssen in Deutschland verboten wer- beim Hare-Niemeyer-Verfahren auftretenden Paradoxe (C) den, bevor wir auch hier Zustände wie in den USA be- beim St. Laguë/Schepers-Verfahren tatsächlich nicht vor- kommen. Die hier verwendeten NEDAP-Computer sind kommen und damit dem Prinzip der Gleichheit der Wahl mindestens genauso unsicher und manipulierbar wie die besser Rechnung getragen werden, werden wir uns dem aus den Wahlskandalen in den USA bekannten Systeme. nicht verschließen. Auch ein zeitlich unbeschränktes ak- Es liegt in unser aller Interesse, dass Wahlmanipulatio- tives Wahlrecht für im Ausland lebende Deutsche oder nen wirksam verhindert werden. die Vereinfachung der Briefwahl tragen wir mit. Lassen Sie mich zum letzten Entwurf kommen. Es ist Silke Stokar von Neuforn (BÜNDNIS 90/DIE richtig, das Wahlprüfungsgesetz der jahrzehntelangen GRÜNEN): Lassen Sie mich in aller Kürze etwas zu den Praxis des Wahlprüfungsausschusses anzupassen. Das uns hier vorliegenden drei Gesetzentwürfen und dem Gesetz sieht zwar bisher vor, in jeder Anfechtungssache Antrag der Linken sagen. mündliche Verhandlung anzuberaumen. Doch seit Beginnen möchte ich mit dem Antrag der Linken, in 34 Jahren ist keine solche mündliche Verhandlung mehr dem sie die Abschaffung der Wahlcomputer fordert. Es angesetzt worden. Diese Praxis wird gegenüber den wird Sie nicht verwundern, dass ich für diesen Antrag Einspruchsführern überwiegend damit begründet, der große Sympathien hege. Gerade die Union wird mich Einspruch sei offensichtlich unbegründet. Die Durchfüh- hier verstehen. Wenn es um Wahlen geht, bin ich konser- rung einer mündlichen Anhörung mit dieser Begründung vativ und will Bewährtes bewahren. Ich greife lieber abzulehnen ist zwar im Gesetz ausdrücklich vorgesehen. zum Bleistift und mache damit bei der Wahl mein Kreuz. Doch häufig trifft die Bewertung des Einspruchs als „of- Ich brauche dafür keinen elektronischen Stift und keinen fensichtlich unbegründet“ bei den Einspruchsführern auf Computer. Nur so kann ich genau kontrollieren, ob ich großes Unverständnis. Um auf diese Begründung gegen- auch wirklich mein Kreuz an der richtigen Stelle ge- über den Einspruchsführern künftig verzichten zu kön- macht habe, und bei der anschließenden Auszählung nen, ist zu begrüßen, wenn aus dem bisherigen Regelfall kann ich live dabei sein. Ein transparenteres Verfahren einer mündlichen Verhandlung künftig der Ausnahme- kann ich mir nicht vorstellen. fall wird. Allerdings sollte es von diesem Grundsatz zwei Aus- Wir sollten nicht die gleichen Fehler wie die Nieder- nahmen geben. Erstens sollte eine mündliche Verhand- lande machen. Dort wurden Computer flächendeckend lung ausnahmsweise anberaumt werden, wenn der Ein- eingesetzt, doch der Chaos-Computer-Club überzeugte spruch Fragen von grundsätzlicher Bedeutung aufwirft. die Regierung von den erheblichen Risiken, sodass jetzt In der bisherigen Begründung des Gesetzentwurfs (II. zu wieder auf Papier und Bleistift zurückgegriffen wird. Art. 1 Nr. 2) ist diese Ausnahme schon ausdrücklich ge- Auch hierzulande warnt der CCC vor den Risiken der (B) nannt. Folglich ist es zur Klarstellung angebracht, diese (D) Geräte der Firma Nedap, die fast baugleich sind mit den Ausnahme auch in den Gesetzestext aufzunehmen. Geräten in den Niederlanden. Der Bundesinnenminister Zweitens sollte dies der Fall sein, wenn ein Einspruch in geht hier ohne Not ein Sicherheitsrisiko ein. Wir wollen der Öffentlichkeit großes Interesse gefunden hat und über Politikinhalte diskutieren und nicht darüber, ob die breit diskutiert wurde. Für diesen Vorschlag wollen wir Wahlergebnisse womöglich manipuliert worden sind. im parlamentarischen Verfahren werben. Vielleicht wird es eines Tages sichere Verfahren bei der elektronischen Wahl geben. Solange es berechtigte Für die Einspruchsführer und auch für die Öffentlich- Zweifel gibt, darf es weder Wahlstifte noch Wahlcompu- keit ist häufig schwer nachzuvollziehen, wenn in einer ter geben. Wir stimmen hier dem Antrag der Linksfrak- wichtigen Streitfrage zur Gültigkeit der Wahl von ange- tion zu. sehenen Experten gewichtige Argumente für die unter- schiedlichen Auffassungen öffentlich vorgebracht und Kommen wir nun zu den uns vorliegenden Gesetzent- monatelang diskutiert werden, dass dann aber der Wahl- würfen. Die Neueinteilung der Wahlkreise ist erforder- prüfungsausschuss des Deutschen Bundestages quasi in lich. Zuletzt haben wir in der letzten Legislatur eine der eigener Sache den Einspruch trotzdem ohne öffentliche Bevölkerungsentwicklung in den einzelnen Regionen Verhandlung abhandelt und verwirft. Demgegenüber unseres Landes entsprechende behutsame Anpassung könnte eine öffentliche Verhandlung solcher Einsprüche der Wahlkreise vorgenommen. Auch in dieser Legisla- die Akzeptanz und öffentliche Vermittlung der Wahlprü- turperiode macht die Wahlkommission entsprechende fungsentscheidungen verbessern. Vorschläge, die in diesen Entwurf eingeflossen sind. Ich gehe davon aus, dass die Große Koalition erneut alle Lassen Sie uns diese Fragen in der gewohnten Sach- Fraktionen einlädt und wir uns bemühen, zu einer sach- lichkeit im Ausschuss offen diskutieren. lich begründeten, gemeinsamen Anpassung der Wahl- kreisgrenzen zu kommen. Gert Winkelmeier (fraktionslos): In Art. 20 des Der mit dem zweiten uns vorliegenden Gesetzentwurf Grundgesetzes lesen wir: angestrebten Umstellung auf ein neues Berechnungsver- Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus. Sie wird fahren für die Sitzverteilung und Verteilung der Wahl- vom Volke in freien und geheimen Wahlen und Ab- kreise auf die Länder stehen wir offen gegenüber. Für stimmungen … ausgeübt. die Verteilung der Ausschusssitze im Bundestag wird es ja bereits angewendet und auch in den Bundesländern er- Um diese Wahlen geht es heute; und zwar unter Aus- freut es sich immer größerer Beliebtheit. Sollten die schluss des eigentlichen Souveräns. 14086 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 133. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. Dezember 2007

(A) Nun könnte man argumentieren, die drei hier vorge- Anlage 19 (C) legten Gesetzentwürfe befassten sich mit Kleinigkeiten oder Spitzfindigkeiten, die den Wähler nicht interessie- Zu Protokoll gegebene Reden ren. Nur geben die Volksvertreter dem Volk nicht einmal zur Beratung des Antrags: Bodenprivatisierung die Chance, der Debatte beizuwohnen, da sie ausschließ- neu ausrichten (Tagesordnungspunkt 26) lich in den Anlagen zum stenografischen Protokoll die- ses Sitzungstages stattfindet. Dr. Peter Jahr (CDU/CSU): Mit der Drucksache Dabei wäre eine breitangelegte Diskussion zu Wahlen 16/7135 hat uns die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen und zur Beteiligung des Volkes an politischen Entschei- zum Jahresende noch ein kleines Geschenk in unsere ge- dungen angebracht. Aber die Regierung und die Koali- putzten Nikolausstiefel gelegt: die Neuausrichtung der tionsfraktionen gehen einer solchen Auseinandersetzung Bodenprivatisierung. Das Thema hat uns im Ausschuss bewusst aus dem Weg, indem sie die heute am Donnerstag Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz ja zu debattierenden Gesetze in einer Nacht- und Nebelaktion schon wiederholt beschäftigt. Also nun auf ein Neues im von Dienstag auf Mittwoch den Abgeordneten haben zu- kommenden Jahr. So wenig ich unserer Diskussion im kommen lassen, und das nur, weil sich SPD und Union ELV-Ausschuss vorgreifen möchte: Auf dieses „Ge- nicht auf eine Regelung zu den Überhangmandaten eini- schenk“ hätten wir gut verzichten können. gen konnten. Die bisherige Vermarktung landwirtschaftlicher Flä- Wie soll man denn da noch kritisch prüfen, was einem chen, insbesondere in Ostdeutschland nach der Wieder- auf den Tisch gelegt wurde? Wenn nicht einmal die Ver- vereinigung, ist durchaus eine Erfolgsgeschichte. Sie hat treterinnen und Vertreter des eigentlichen Souveräns die dazu beigetragen, landwirtschaftliche Betriebe in Ost- Gelegenheit erhalten, sich mit den geplanten Änderun- deutschland anzusiedeln und unter schweren Bedingun- gen auseinanderzusetzen, kann man auch nicht wirklich gen marktfähig zu erhalten bzw. konkurrenzfähig zu ma- erwarten, dass sich die Menschen hier im Lande mit dem chen. Zahlreiche Arbeitsplätze wurden gesichert und Gegenstand befassen. Dabei geht es sie etwas an, wenn sind zunehmend sicher. Und das unter dem erschweren- sich ihre derzeit einzige Möglichkeit, politisch zu ent- den Aspekt des europäischen Wettbewerbs und der EU- scheiden, ändern soll. Es wäre auch kein Zacken aus der Osterweiterung. Krone gebrochen, wenn die Debatte ins kommende Jahr verschoben worden wäre. Nun präsentiert uns die Fraktion Bündnis 90/Die Grü- nen ein bürokratisches Monstrum, in dem zahlreiche Be- Die Änderungen im Wahlprüfungsgesetz lassen sich dingungen an die Käufer der möglichen Restflächen ge- (B) abhaken; aber wir brauchen eine breitangelegte Diskus- knüpft werden. Eine Neuausrichtung ist das wirklich (D) sion über den veränderten Zuschnitt der Wahlkreise: Es nicht, weit eher jedoch eine zusätzliche Verbürokratisie- deutet sich doch an, dass im Laufe der Jahre – wenn wei- rung mit einem dafür noch zu schaffenden notwendigen terhin viele Menschen aus den ländlichen Gebieten, vor Kontroll- und Verwaltungsaufwand unvorstellbaren allem im Osten, abwandern – diesen Landstrichen auch Ausmaßes. So sollen die möglichen Betriebskonzepte weniger Wahlkreise, sprich: Abgeordnete, zustehen. Das innerhalb einer Frist von 20 – ich wiederhole das lang- läuft darauf hinaus, dass deren Interessen hier im Bun- sam zum Mitschreiben: 20 – Jahren geprüft werden, und destag immer weniger vertreten werden können. Das es kann vom Kaufvertrag eventuell zurückgetreten wer- kann man nicht einfach so hinnehmen. den, wenn vom Konzept erheblich abgewichen wird.

Im Bundeswahlgesetz fehlt außerdem eine konkrete Statt bürokratischer Maßnahmen plädiere ich für die Regelung, um Wahlmanipulationen zu verhindern und tatsächliche Stärkung der landwirtschaftlichen Betriebe, die Kontrolle von Wahlergebnissen geräteunabhängig si- besonders in Ostdeutschland. So müssen verstärkter als cherzustellen, wie im Antrag der Linksfraktion gefor- bisher der regionale Markt und der Absatz gefördert dert. Hier muss dringend nachgebessert werden. werden. Die Erzeugung von Bioprodukten aus der Re- gion ist in regionalen Kreisläufen zu verbessern. So blei- Auch die Änderungen im Wahl- und Abgeordneten- ben die Unternehmensgewinne in der Region. Diese gesetz sind an der einen oder anderen Stelle problema- Aufgaben sind jedoch nicht durch die geförderte Neu- tisch und müssen öffentlich diskutiert werden. Ich nenne ausrichtung, der Bodenprivatisierung zu erzielen. hier nur die rückwirkende Entfristung beim Wahlrecht für im Ausland lebende Deutsche – bisher war nach Die Bodenprivatisierung stellt eine durchaus lösbare 25 Jahren Schluss. Sie könnte dazu führen, dass ein NS- und überschaubare Maßnahme dar und sollte nicht mehr Kriegsverbrecher, der nach Südamerika abgehauen ist, nach neuen Regularien erfolgen, die eher zu einer Verzö- jetzt wieder in unserem Land wählen darf. gerung beitragen werden als die Privatisierung so schnell wie möglich abzuschließen. Mit der Bodenprivatisierung In diesem Zusammenhang müssen wir zudem darüber wird bereits den ökonomischen, ökologischen, struktu- streiten, weshalb Menschen, die seit Jahrzehnten in rellen und eigentumsrechtlichen Besonderheiten Rech- Deutschland leben, weiterhin keine Möglichkeit erhalten nung getragen, und auch im Koalitionsvertrag ist verein- sollen, hier auch zu wählen. Teilhabe an demokratischen bart, dass bei der Privatisierung der Treuhandflächen die Prozessen und politischen Entscheidungen muss auch agrarstrukturellen Interessen der neuen Länder Berück- für diese Menschen gewährleistet sein! sichtigung finden. Und dies geschieht. Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 133. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. Dezember 2007 14087

(A) Die Bundesregierung ist sich der ökonomischen und schöpfung in der Landwirtschaft der neuen Bundeslän- (C) sozialen Bedeutung der Landwirtschaft in den neuen der unterstützen wollen, ist richtig. Selbstverständlich ist Ländern bewusst und versucht, mit der bestehenden Pri- die Schaffung von vielen Arbeitsplätzen eine deutlich vatisierungspolitik die wirtschaftliche Tätigkeit der land- positive Indikation. Die Ausstattung landwirtschaftlicher wirtschaftlichen Betriebe dauerhaft zu sichern. Sie be- Unternehmen mit Boden ist ein entscheidender Faktor – rücksichtigt zudem die Interessen derjenigen Betriebe, übrigens nur ein entscheidender Faktor. denen eine Sicherung der Produktionsgrundlage durch Kauf noch nicht möglich ist, weil sie nicht über ausrei- Die von Ihnen gemachten Vorschläge würden zu ei- chend liquide Mittel verfügen. Dies gilt insbesondere für nem hyperbürokratischen Monstrum führen, das von den Unternehmen, die in Wertschöpfung und damit Arbeits- zuständigen Behörden kaum beherrschbar und nicht plätze im ländlichen Raum investieren. Diese Betriebe rechtssicher wäre. Es wäre zudem mit europäischem sind besonders auf eine längerfristige Pacht angewiesen, Recht unvereinbar. Mein Fazit lautet deshalb: Ihr Anlie- um eine mittelfristige Planung gewährleisten zu können. gen ist zwar nachvollziehbar, aber die Mittel sind völlig unzweckmäßig. Aufgrund dieser Tatsache und im Sinne eines rei- bungslosen Ablaufes der Veräußerungen werden ein Großteil der circa 600 000 Hektar landwirtschaftlicher Dr. Gerhard Botz (SPD): Gleich zu Beginn meines Flächen auch weiterhin verpachtet. Insofern wird die Beitrages will ich klarstellen, dass meine Fraktion den BVVG Flächen, deren langfristige Pachtverträge ab Antrag von Bündnis 90/Die Grünen zur Neuausrichtung 1. Januar 2007 auslaufen, nur zum Teil bei Auslaufen der Bodenprivatisierung ablehnen wird. der Pachtverträge zur Neuvergabe ausschreiben. Mit dem Zusammenwirken aus Verpachtung und Verkauf Mit folgenden Begründungen kommen wir zu dieser wird der Spielraum landwirtschaftlicher Unternehmen klaren Entscheidung. Die Antragsteller schränken den für anders produktive Investitionen geschont. Detailliert tatsächlich vonseiten der Bundesregierung bestehenden bedeutet dass, das von den noch verfügbaren rund Handlungsspielraum zu Recht selbst ein, da sie auch auf 600 000 Hektar nur circa 350 000 zur Veräußerung zur den „verfassungs- und europarechtlichen Zulässigkeits- Verfügung stehen. Davon sollen nicht mehr als spielraum“ hinweisen. 25 000 im Jahr zum Verkehrswert verkauft werden. In der Tat ist allen mit der Thematik Vertrauten klar, Etwa 250 000 Hektar werden für den begünstigten Er- dass die EU-Kommission seit der Entschädigungs- und werb nach dem Entschädigungs- und Ausgleichsleis- Ausgleichsleistungsgesetzgebung und bei allen weiteren Novellen äußerst kritisch auf den damit auf einen sehr (B) tungsgesetz (EALG) benötigt. Die entsprechenden Kauf- (D) optionen sind an den Bestand langfristiger Pachtverträge eingeschränkten Personenkreis zugeschnittenen Subven- gebunden und enden mit der Laufzeit dieser Verträge tionssachverhalt geschaut hat. Und dies wird die EU- größtenteils im Zeitraum zwischen 2010 bis 2014. Neue Kommission auch weiterhin verstärkt tun, da die dama- Kaufoptionen nach dem EALG werden nicht begründet lige historisch untersetzte Begründung inzwischen an und bestehende nicht verlängert. Das bedeutet, dass der Überzeugungskraft verliert. begünstigte Flächenerwerb im Wesentlichen bis zum Ende des Jahres 2014 abgeschlossen sein wird. Entscheidend ist aber der folgende Sachverhalt: Seit dem 1. Januar 2007 gilt eine Verwaltungsvereinbarung Obwohl als Vergabeverfahren grundsätzlich die öf- zwischen Bund und Ländern bezüglich der weiteren Pra- fentliche Ausschreibung verwendet werden soll, sind xis im Privatisierungskonzept. Diese hat zwei wichtige auch nach geltendem Recht Direktvergaben an Pächter Schutzkomponenten für bisherige Pächter zum Inhalt, und beschränkte Ausschreibungen für Unternehmen mit die nach einjähriger Einschätzung, auch der Länder, sehr arbeitsintensiven Betriebsformen möglich. So sollen zur gut tragen. Die erste Schutzkomponente besagt, dass bis- Vermeidung von Wettbewerbsnachteilen pro Jahr herige Pachtbetriebe nicht mehr als 20 Prozent der ge- 2 000 Hektar im Wege dieser beschränkten Ausschrei- pachteten Flächen verlieren dürfen, um nicht in ihrer bungen zum Kauf oder zur Pacht für diese Unternehmer Existenz gefährdet zu werden. Die zweite Schutzkompo- zur Verfügung stehen. Im Rahmen der bestehenden Pri- nente erlaubt den dauerhaften Erwerb von 50 Prozent der vatisierung kann keinesfalls davon die Rede sein, dass gepachteten Flächen in einem Schritt durch die bisheri- landwirtschaftsferne gegenüber landwirtschaftlichen gen Pächter. Unternehmen bevorzugt werden, da überhaupt nur ein geringer Teil jedes Jahr zum Verkauf steht und der Groß- Die Intention des Antrages insgesamt erweckt den teil für einen vergünstigten Erwerb nach dem EAGL Verdacht, man neige – zwar im Interesse einer anderen, vorgesehen ist. aber eher kleinen Klientel – zu einer Rückkehr zur Plan- wirtschaft. Die grundsätzliche und endgültige Zielstel- Selbstverständlich werden wir im Ausschuss noch lung der Privatisierungspolitik der BWG muss aber eine sehr detailliert die Dinge besprechen, und ich freue mich Ausrichtung auf den Wettbewerb bleiben. Das natürlich auf die Diskussion im Landwirtschaftsausschuss. umso mehr, als wir alle landwirtschaftlichen Unterneh- men im Zuge der letzten europäischen Agrarreform Meine Damen und Herren von Bündnis 90/Die Grü- Schritt für Schritt in den Wettbewerb am Markt hinein- nen: Ihr Anliegen, dass wir eine möglichst große Wert- führen. 14088 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 133. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. Dezember 2007

(A) Eine der Intentionen des Antrags von Bündnis 90/Die halten wir es durchaus für erfolgversprechend in den (C) Grünen, die stärkere Berücksichtigung arbeitsintensiver Ökolandbau zu investieren. Wir haben nur etwas dage- Betriebsformen bei weiterer Flächenvergabe, will der gen, wenn die öffentliche Hand durch ihre Förderung Bund ohnehin durch Direktvergaben und beschränkte glaubt, Signale dafür setzen zu müssen, was objektiv die Ausschreibungen weiterhin möglich machen. Eine gene- „richtige Landwirtschaft“ ist. Es gibt nur einen der quali- relle Privilegierung ökologisch wirtschaftender Betriebe fiziert ist, dies im Einzelfall zu entscheiden: der Land- widerspräche wiederum dem EU-Recht. Wenn eine sol- wirt, der sein Geld in seinen Betrieb investiert. che politische Zielstellung von der Bundesregierung ver- folgt werden würde, müsste dazu ein spezielles Förder- Angesichts der Diskussion um den Beitrag der Land- programm aufgelegt und von der Kommission in Brüssel wirtschaft zum Klimawandel bzw. Klimaschutz muss genehmigt werden. Nicht zuletzt würde ein Vorgehen, man sich fragen, ob der Ökolandbau in Bezug auf das wie es Bündnis 90/Die Grünen hier vorschlagen, mit der Ziel Klimaschutz wirklich der Weisheit letzter Schluss Prüfung, Genehmigung und noch bis 20 Jahre nach Ver- ist. Jedenfalls sollten wir nicht auch noch zusätzliche tragsabschluss vorzunehmender Kontrolle einen unange- Anreize setzen, indem wir nur noch diesen Betrieben messen hohen Verwaltungsaufwand nach sich ziehen. staatliche Flächen verpachten oder verkaufen wollen. Ein solches Vorgehen widerspricht aber dem von der Während man die Forderungen des grünen Antrags Großen Koalition angestrebten Abbau von Bürokratie soweit ja noch unter den üblichen grünen ideologischen und Verwaltung. Forderungen abhaken kann, bin ich doch einigermaßen Damit kann man zum entscheidenden Fazit kommen: sprachlos über die Forderung, dass Kaufverträge rückab- Dort, wo es praktikable Intentionen des Antrages gibt, gewickelt werden sollen, wenn ein Landwirt innerhalb hat die Bundesregierung bereits konkret gehandelt. Dort, von 20 Jahren von seinem Betriebskonzept abweichen wo die Zielstellung eindeutig die Umsetzungsmöglich- sollte. Ich konnte erst gar nicht glauben, was ich da las. keiten verletzt, lehnen wir die beantragten Punkte ab. Liebe Kolleginnen und Kollegen, denken sie doch bitte einmal ins Jahr 1987 zurück. Wollen sie wirklich verlan- gen, dass niemand auf Marktentwicklungen 20 Jahre Dr. Edmund Peter Geisen (FDP): Der Antrag der lang reagieren darf? Denken sie doch alleine einmal zu- Grünen behandelt zwar ein wichtiges Thema, doch er rück, wie sich die staatlichen Rahmenbedingungen in löst nicht die Probleme bei der Bodenprivatisierung. den letzten 20 Jahren verändert haben. Über diesen Die Forderung nach Bevorzugung arbeitsintensiver Punkt sollten die Grünen noch einmal ganz in Ruhe Betriebe geht ins Leere. Jeder Betriebsteil muss für sich nachdenken. Dann werden sie sicher einsehen, das Sie (B) wirtschaftlich sein, damit der Betrieb zukunftsfähig ist. sich hier vertan haben. Die FDP jedenfalls möchte nicht (D) Hier sollte der Staat bei der Flächenvergabe nicht falsche zurück in die DDR. Anreize setzen. Ebenso wenig, wie die obigen Forderungen sinnvoll Ebenso wenig sinnvoll ist die Forderung, Betriebe mit sind oder funktionieren, ist die Forderung nach der Orts- höchstens zwei Großvieheinheiten zu bevorzugen. Das ansässigkeit in letzter Konsequenz sinnvoll. Schon die Land Mecklenburg-Vorpommern hat bei der Verpach- bisherige gesetzliche Regelung ist Gegenstand vieler tung seiner Landesflächen einmal das Gegenteil gemacht heftiger Diskussionen gewesen. Zu Recht hat auch der und als Vergabekriterium einen Mindestviehbesatz vor- Bauernverband hier Korrekturen verlangt. Gerade bei geschrieben, um so Vieh haltende Betriebe zu fördern. der Erbfolge hat das Ortsansässigkeitsprinzip zu erhebli- Das hat ebenso wenig funktioniert. Solche Regelungen chen Problemen geführt. schaffen nur neue Ungerechtigkeiten und konservieren Zu Recht kritisieren die Grünen und die Bauernver- Strukturen. Moderne Landwirtschaft, vor allem junge bände allerdings, dass landwirtschaftsferne Kaufinteres- Landwirte brauchen aber Strukturwandel. senten Landwirten vor Ort das Land streitig machen. Der Sinn der Forderung, diversifizierte Betriebe zu Doch die Antwort darauf kann doch nicht sein, sich in bevorzugen, erschließt sich auch nicht. Sollen wir jetzt die Betriebskonzepte der Landwirte einzumischen. Ge- vom grünen Tisch aus in die Konzepte der Unternehmer rade die Konkurrenz zu den Kaufinteressenten, die nach- eingreifen? Soll ich also künftig den Edeka vor Ort oder wachsende Rohstoffe für Biogasanlagen anbauen wol- die Bäckerei kaufen oder Touristen beherbergen, damit len, hat doch nicht die Ursache in den Regelungen zur ich Anspruch auf den Erwerb von staatlichen Flächen Bodenprivatisierung in den neuen Ländern, sondern in habe? Nein, hier sollten wir uns tunlichst heraushalten. der Überforderung des Biogases in ganz Deutschland. Die öffentliche Hand hat in den letzten 40 Jahren genug Wenn wir stattdessen bei der EEG-Novelle die Wirt- falsche Marktlenkung betrieben, in Ost wie in West. Da- schaftskreisläufe – also die Nutzung von Reststoffen der mit muss endlich Schluss sein. Lassen wir doch die Land- und Ernährungswirtschaft, wie insbesonde Gülle – Landwirte darüber entscheiden, wo sie ihren unterneh- fördern und nicht ausschließlich nachwachsende Roh- merischen Erfolg sehen. stoffe, werden wir Druck vom Markt nehmen. Solche Folgen kommen nämlich dabei heraus, wenn der Staat Das gilt auch für die Forderung, Ökolandbetriebe zu aus vermeintlich übergeordneten Zielen, ohne das Ganze bevorzugen. Die FDP hat überhaupt nichts gegen den zu betrachten, einzelne Förderungen implementiert. Gut Ökolandbau. Im Gegenteil, angesichts der Marktlage gemeint ist auch hier das Gegenteil von gut gemacht. Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 133. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. Dezember 2007 14089

(A) Dr. Kirsten Tackmann (DIE LINKE): Nicht nur die Natürlich ist es inakzeptabel, wenn Boden aus öffent- (C) Erzeugerpreise steigen aktuell – was ja erfreulich ist –, lichem Eigentum auch noch nach Kriterien verteilt wird sondern auch die Produktionsmittelkosten und die Bo- wie den gebotenen Höchstpreis eines beliebigen Anbie- denpreise, was betriebswirtschaftlich die Freude über ters. Weitere Faktoren wie geschaffene oder erhaltene den Anstieg der Erzeugerpreise zumindest deutlich Arbeitsplätze, ökologische Bewirtschaftungskriterien, dämpft. Die steigenden Bodenpreise kriegen zuallererst ökologischer Landbau oder Grad der Diversifizierung die Landwirtschaftsbetriebe zu spüren, die Pachtland be- wären aber in jedem Fall gesellschaftliche Anforderun- wirtschaften. In Ostdeutschland beträgt der Anteil von gen an die Flächennutzer, denn Boden ist eine natürliche Pachtland im Durchschnitt 80 Prozent. Die kommen zu- Ressource. erst in wirtschaftliche Schwierigkeiten, und zwar auf Aber gerade weil klar ist, dass mit dem Eigentum am zwei Wegen: erstens über das steigende Pachtpreisni- Produktionsmittel Boden wesentliche Weichen für die veau und zweitens über die verteuerten Landzukäufe, die Entwicklung auf dem Land gestellt werden, fragt die für die meist eigenkapitalschwachen Betriebe besonders Linke noch einmal nach: Warum muss mit der Privatisie- nötig, aber gleichzeitig aus Liquiditätsgründen schwierig rung des öffentlichen Bodeneigentums überhaupt ein Ri- zu leisten sind. siko eingegangen werden? Das Ansteigen der Bodenpreise wird durch verschie- Das Mindeste ist aber in jedem Fall die Verhinderung dene Faktoren ausgelöst. Steigende Gewinne, vor allem der Bodenspekulation. Verlierer wären viele Ortsansäs- im Ackerbau, sowie wirtschaftlich positive Erwartungen sige, die oft direkt oder indirekt von den Einkommens- für den Agrar- und Agrarenergiesektor tragen dazu bei. möglichkeiten in der Landwirtschaft abhängig sind. Ar- Aber auch das Agieren der Nachfolgegesellschaft der beitsplätze, existenzsichernd bezahlt, sind in den Treuhand, der BVVG, trägt offensichtlich dazu bei. Da- ländlichen Räumen überlebenswichtig. Dörfer ohne bei ist es nicht nur der von uns immer kritisierte Privati- Landwirtschaft sind undenkbar – eine Landwirtschaft sierungszwang der BVVG, sondern auch die Art und ohne Dörfer allerdings auch. Weise, wie dieser umgesetzt wird. Es geht zum Beispiel um die öffentliche Ausschreibung großer Bodenlose und Aber die BVVG ist für die Entwicklung des Boden- um das Ausschreibungsverfahren selbst, nachdem der marktes nicht allein verantwortlich. Auch viele kleinere Höchstbietende den Zuschlag bekommt. Schon das al- Landbesitzer verkaufen ihren Grund und Boden, zum lein wirkt angesichts der nur begrenzten Verfügbarkeit Teil weil sie aus ihrer sozialen Situation heraus dazu ge- der Ressource Boden preistreibend. zwungen sind, zum Teil weil die gestiegenen Boden- preise einen Anreiz selbst darstellen. (B) (D) Nach langen Jahren stagnierender Boden- und Grund- Mit dem Grundstückverkehrsgesetz hat der Gesetzge- stückspreise geht es aktuell um einen neuen Spekula- ber ein Instrument geschaffen, um ungewollte Eingriffe tionsmarkt. Was ist es anderes als Bodenspekulation, in die Agrarstruktur über Bodenverkäufe zu verhindern. wenn in Nordrhein-Westfalen vor einigen Wochen eine Die Linke hat gerade eine Studie zur Anwendung des eigene Investitionsgesellschaft zum Landkauf in Ost- Grundstückverkehrsgesetzes anfertigen lassen, die unter deutschland gegründet wurde mit dem Ziel, mindestens anderem etwas umfassender die Entwicklung auf den 18 000 Hektar landwirtschaftlicher Nutzfläche zu erwer- Bodenmärkten nachzeichnet. Dabei wird deutlich, dass ben? In der Nähe von Prenzlau im Nordosten Branden- das vor 50 Jahren in Westdeutschland verabschiedete burgs standen Grundstücksgrößen von über 100 Hektar Gesetz sehr wirksam angewendet werden kann gegen zum Verkauf. ungerechte Bodenverteilung und Bodenspekulation. Auch aktuelle Entwicklungen in der EU-Rechtsspre- Zu dieser Entwicklung tragen die Verkäufe der chung erlauben durchaus staatliche Eingriffe und Rege- BVVG als größter öffentlicher Anbieter zumindest bei. lungen, damit Grund und Boden nicht zu einer Spekula- Die Grünen beleuchten nun in ihrem Antrag die Ver- tionsware verkommen. käufe der BVVG, die im Auftrag des Bundesfinanz- ministeriums enteignete und in das staatliche Eigentum Finanzheuschrecken und andere nichtlandwirtschaft- der DDR übergegangene Flächen verkauft bzw. zwi- liche Interessenten sind oft weitaus besser in der Lage, schenzeitlich verpachtet. Den politischen Auftrag an die Höchstpreise für Boden zu bezahlen. Das ist historisch BVVG zum Flächenverkauf haben wir immer kritisiert. auch nichts Neues. Die Beibehaltung des öffentlichen Eigentums würde aus Genau das war der Sinn des Grundstückverkehrsge- unserer Sicht das gesellschaftliche Interesse an einer setzes: der Landwirtschaft als eigenem Wirtschaftsbe- nachhaltigen Landnutzung garantieren. Auch die Folgen reich, dessen Grundlage die Flächennutzung ist, dauer- der Kapitalbindung in die Kaufsumme ist eher negativ haft die Existenzsicherung zu ermöglichen. Nur ist für die Betriebe – vorausgesetzt, die Pachtrechte sind dieses Gesetz offensichtlich seit 1990 in den neuen Bun- längerfristig gesichert. Das Anliegen der Grünen, die desländern nur unzureichend oder gar nicht zur Anwen- Bodenprivatisierung neu auszurichten, kann daher für dung gekommen. uns eigentlich nur Argumente liefern, wenigstens die dramatischsten Risiken des Flächenverkaufs durch die Eine weitere Erkenntnis aus dem Gutachten: das Ver- BVVG abzuwenden. kaufsgebaren der BVVG muss dringend überprüft wer- 14090 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 133. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. Dezember 2007

(A) den. Und eines steht auch fest: Die BVVG ist auch als 535 000 Hektar landwirtschaftliche und circa 130 000 Hek- (C) staatliche Behörde nicht per se vom Grundstückver- tar forstwirtschaftliche Nutzfläche zur Privatisierung be- kehrsgesetz befreit. reithält.

Mit unserem Antrag, die Bodenprivatisierung neu Cornelia Behm (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Die auszurichten, setzen wir uns für eine Neugestaltung der Entwicklung zukunftsfähiger ländlicher Räume in politischen Rahmenbedingungen bei der Privatisierung Deutschland ist eine zentrale Aufgabe, der wir uns in der bundeseigener Land- und Forstwirtschaftsflächen ein. Politik gegenübersehen. Schließlich gibt uns die Verfas- sung auf, gleichwertige Lebensverhältnisse in allen Re- Wir fordern mit unserem Antrag, dass vor allem orts- gionen dieser Republik anzustreben. Angesichts der Tat- ansässige land- und forstwirtschaftliche Betriebe zum sache, dass der Anteil der alten Menschen in unserer Zuge kommen und arbeitsintensive Unternehmen bei der Gesellschaft stetig zunimmt und dass verhältnismäßig Vergabe bundeseigener Flächen besonders berücksich- mehr Alte in ländlichen als in urbanen Regionen leben, tigt werden. Dazu gehören beispielsweise Tierhaltungs- sind wir mit der großen Herausforderung konfrontiert, betriebe mit einer flächengebundenen Tierhaltung von die politischen Rahmenbedingungen so zu gestalten, maximal 2 Großvieheinheiten (GV) pro Hektar, Be- dass diese Menschen auf dem Lande auch in Zukunft triebe, die Ökologischen Landbau betreiben, oder diver- noch lebenswerte Strukturen vorfinden. sifizierende Betriebe, die neben ihrer landwirtschaftli- chen Tätigkeit mindestens einen weiteren Betriebszweig Lebenswerte Strukturen im ländlichen Raum, das sind wie Direktvermarktung oder „Urlaub auf dem Bauern- vor allem Arbeit und Daseinsvorsorge. Die Politik muss hof“ etabliert haben. Um Betriebe, die diese Kriterien also die Steigerung der regionalen Wertschöpfung zum zum Zeitpunkt des Landerwerbs noch nicht erfüllen, Ziel haben, und zwar durch Schaffung zusätzlicher Ar- nicht zu benachteiligen, wollen wir die Vorlage eines beitsplätze und neuer Einkommensperspektiven. So entsprechenden Betriebskonzeptes zur Grundlage der kann es auch gelingen, wieder mehr junge Menschen auf Verkaufsverhandlung machen, so wie es bereits heute in dem Lande zu halten. Dabei darf man nicht nur den seit der Flächenerwerbsverordnung geregelt ist. Jahren wachsenden Dienstleistungsbereich im Blick ha- ben, sondern das gilt auch für die Land- und Forstwirt- schaft, die die ländlichen Räume als gewachsene Kultur- landschaften in besonderer Weise prägen. Anlage 20

Voraussetzung für jeden erfolgreich wirtschaftenden Zu Protokoll gegebene Reden (B) Landwirtschaftsbetrieb ist die ausreichende Verfügbar- (D) keit des zu bearbeitenden Bodens. Mit dem Steigen der zur Beratung: Preise für agrarische Rohstoffe – erstmals seit Jahrzehn- ten – gerät der Boden zunehmend in den Fokus auch – Beschlussempfehlung und Bericht zu den landwirtschaftsferner Kaufinteressenten. Und auch in- Anträgen: Indisch-Deutschen Studierenden- nerhalb der land- und forstwirtschaftlichen Konkurrenz und Wissenschaftleraustausch fördern – wird der Boden zunehmend zu einem knappen Gut, was Mobilitätsprogramm zum Jahr der Geistes- seinen Marktpreis nach oben schnellen lässt. wissenschaften in Deutschland

Die hohen Bodenpreise in Verbindung mit dieser – Antrag: Indisch-Deutschen Studierenden- Konkurrenzsituation wirken sich auf den Strukturwandel und Wissenschaftleraustausch fördern – in der Landwirtschaft insofern aus, als sich Wertschöp- Mobilitätsprogramm zum Jahr der Geistes- fung auf immer weniger Akteure konzentrieren wird und wissenschaften in Deutschland Arbeitsplätze weiter abgebaut werden. Eine verantwor- tungsvolle Politik für ländliche Räume aber muss auf (Tagesordnungspunkt 29 a und b) den Erhalt einer Agrarstruktur setzen, die zur Mehrung der Wertschöpfung für viele beiträgt und Arbeitsplätze Marcus Weinberg (CDU/CSU): Der erst seit dem für die Menschen vor Ort initiiert. 22. November 2007 vorliegende Antrag der FDP (16/7262) Nur wenn ortsansässige Betriebe über die nötige Flä- ist mit der Annahme des Koalitionsantrages (16/6945) zum che für ein existenzsicherndes Wirtschaften verfügen, jetzigen Zeitpunkt überholt und eine Debatte daher un- kann die steigende Tendenz der Betriebsaufgaben aufge- nötig. halten und eine vielfältige Agrarstruktur erhalten wer- den. Wirtschaftlich solide Agrarbetriebe, die regional Deutschland braucht mehr Nachwuchs mit Indien- verwurzelt sind, sind ein Rückgrat der ländlichen Ent- Kompetenz, das ist der Grundgedanke der vorgelegten wicklung. Deshalb müssen diese Betriebe die Chance er- Anträge: „Indisch-Deutschen Studierenden- und Wissen- halten, ihre Flächen arrondieren zu können, wenn Boden schaftleraustausch fördern – Mobilitätsprogramm zum in der Region angeboten wird. Jahr der Geisteswissenschaften in Deutschland“. Der Antrag der Koalitionsfraktionen unterscheidet sich von Bei der Frage der Bodenverkäufe kommt dem Bund den Anträgen der anderen Fraktionen insbesondere eine besondere Verantwortung zu, da er noch circa durch entwicklungspolitische Komponenten. Zudem Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 133. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. Dezember 2007 14091

(A) nimmt er aktuell Bezug auf die Indien-Reise der Bundes- ben, heute sind es rund 4 000. Hier ist eine Verdoppe- (C) kanzlerin (29. Oktober bis zum 1. November 2007). lung der Zahlen anzustreben.

Die gemeinsame Delegationsreise des Bildungsaus- Diese und viele andere ambivalenten Eindrücke wäh- schusses war sehr erfolgreich, besonders vor dem Hin- rend der Indienreise haben mich überzeugt, Initiativen tergrund der Einmaligkeit der Wissenschaftsminister- zur Verbesserung der Nachhaltigkeit der Kooperationen konferenz außerhalb der EU, der Vereinbarungen zu ergreifen und diese zu fördern. Deutsche Studierende zwischen Bundesministerin Schavan und dem indischen müssten bereits in Deutschland die Chance haben, ihre Wissenschaftsminister Sibal, über 500 000 Euro im Rah- „Indienkompetenz“ an Lehrstühlen der Indologie zu ent- men des 7. Europäischen Forschungsrahmenprogramms wickeln. In diesem Zusammenhang fordern wir die Bun- für Anbahnungsmaßnahmen zur Verfügung zu stellen, desregierung auf, Gespräche mit Vertretern von Unter- sowie der Vereinbarungen zum Aufbau eines deutsch-in- nehmen zu führen und für die Kooperation zwischen dischen Wissenschafts- und Technologiezentrums. Wirtschaft und Hochschulen, das Angebot von Praktika und anschließende Arbeitsmöglichkeiten sowie die Ein- In Indien habe ich ein starkes Interesse an der Zusam- richtung von Stiftungslehrstühlen für Indologie zu wer- menarbeit mit Deutschland festgestellt. Dieses Interesse ben. Die Bundesländer werden gebeten, die Möglichkei- und das hohe Ansehen, das Deutschland in Indien hat, ten eines Schüleraustausches zwischen Deutschland und müssen wir nutzen, denn von der gegenseitigen Mobili- Indien zu prüfen. tät und vom Austausch können beide Seiten profitieren. Daher ist zu begrüßen, dass die Bundeskanzlerin, Eine besondere Bedeutung kommt der Stärkung der Dr. Angela Merkel und die Bundesministerin für Bil- Zusammenarbeit im Bereich der Umwelttechnologien dung und Forschung, Dr. Annette Schavan, im Jahr 2007 zu; aber neben Ingenieuren und Naturwissenschaftlern die Bedeutung Indiens als Kooperationspartner unterstri- ist auch eine Intensivierung des Austausches und der chen und mit der Einleitung konkreter Maßnahmen vor Kooperation von Geistes- und Sozialwissenschaftlern er- Ort den bilateralen Wissenschaftsbeziehungen neue Im- forderlich. Unter Bezug auf das „Jahr der Geisteswissen- pulse verliehen haben, zum Beispiel Verabschiedung der schaften“ in Deutschland plädiere ich ausdrücklich für mobilen Wissenschaftsausstellung, sogenannter Science- eine Intensivierung des Austausches und der Koopera- Express. tion von Geistes- und Sozialwissenschaftlern, wie im Koalitionsantrag und den Oppositionsanträgen gefor- Der Vernetzung junger indischer Wissenschaftler mit dert. Ziel ist es, deutsche Studierende aller Fachrichtun- deutschen Kollegen sowie der laufenden Angebote und gen und Studiengänge – Diplom-, Magister-, Staats- der konkreten Einbindung der Gäste in Forschungspro- (B) examens-, Bachelor- und Masterstudiengänge, auch (D) jekte und wissenschaftliche Einrichtungen wird mit Doktoranden und Wissenschaftler – für einen Studien- Recht eine hohe Bedeutung zugemessen. oder Forschungsaufenthalt in Indien zu begeistern. Auf Vor diesem Hintergrund wird die Bundesregierung auf- diese Weise soll eine breite „Humusbildung“ möglichst gefordert, in Zusammenarbeit mit den Wissenschafts- und schon bei jüngeren Studierenden und Nachwuchsfor- Mittlerorganisationen, wie der Deutschen Forschungsge- schern betrieben werden, auf die weiterführende Pro- meinschaft (DFG), der Alexander-von-Humboldt- jekte aufbauen können. Stiftung (AvH) und dem Deutschen Akademischen Aus- tauschdienst (DAAD), den deutsch-indischen Studieren- Als flankierende Maßnahmen sind unter anderem In- den- und Wissenschaftleraustausch vor allem in den dien-Tage an deutschen Hochschulen, Plakataktionen, Geisteswissenschaften durch ein Mobilitätsprogramm zu Informations- und Studienreisen zu planen. Bestehende fördern. und neu zu gründende Kooperationsbeziehungen deut- scher und indischer Hochschulen und Forschungsein- Die Delegationsreise zeigte allerdings auch Mängel in richtungen sowie Kontakte einzelner Wissenschaftler, der deutsch-indischen Zusammenarbeit auf. Ein Aufent- zum Beispiel DAAD- und AvH-Alumni, sollen als halt indischer Studierender in Deutschland beispiels- Schiene genutzt werden, Studierenden und Graduierten weise scheitert häufig an den eingeschränkten finan- den Weg zu kürzeren und längeren Studien- und For- ziellen Mitteln. Deutschland ist aber für indische schungsaufenthalten in Indien zu bereiten. Gerade be- Wissenschaftler nur dann attraktiv, wenn ihnen langfris- währte Muster wie ISAP (Internationale Studien- und tige Arbeits- und Aufenthaltsmöglichkeiten eröffnet Ausbildungspartnerschaften) oder PPP (Programme des werden. Ferner tendiert die Fachauswahl indischer Stu- Projektbezogenen Personenaustauschs) sollen hier als dierender stark in Richtung mathematisch-naturwissen- Grundlage dienen. Das Angebot soll für alle Fachberei- schaftlicher Fächer. Andererseits nehmen zu wenig che offen sein. deutsche Studierende aller Fachrichtungen einen Stu- dienaufenthalt in Indien war. Viele Ideen, die der Koalitionsantrag, aber auch die Oppositionsanträge enthalten, werden bereits durch das Derzeit sind in Indien lediglich knapp 500 deutsche auf Bitten des BMBF im Frühjahr 2007 vom DAAD Studierende registriert. 1996 waren es sogar nur 200. vorgelegte Maßnahmenpaket „A New Passage to India“ Umgekehrt waren vor einigen Jahren noch 800 indische verwirklicht. Dieses Maßnahmenpaket mit einem Fi- Studentinnen und Studenten in Deutschland eingeschrie- nanzvolumen von insgesamt rund 4,3 Millionen Euro 14092 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 133. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. Dezember 2007

(A) soll ab 2009 operationalisiert werden; dies wurde am Austausch von Geisteswissenschaftlern im Besonderen (C) 30./31. Oktober 2007 in Delhi bekanntgegeben. mit einem Mobilitätsprogramm zu fördern.

Zu dem Maßnahmenpaket gehören neben der Aner- Ich möchte zunächst kurz auf ihre Vorgeschichte ein- kennung der Studien- und Forschungsaufenthalte als re- gehen. Der Bildungs- und Forschungsausschuss hat in gulären Bestandteilen des Studiums die Errichtung bina- den vergangenen Jahren bewusst Länder im Umbruch, tionaler Masterstudiengänge, Doppeldiplomen sowie die Schwellenländer als Ziele seiner Delegationsreisen aus- Errichtung eines Exzellenz-Zentrums „Ingenieur- und gewählt, um die Potenziale aber auch Hindernisse von Umweltwissenschaften“ am „Indian Institute of Techno- Kooperationen in Bildung, Wissenschaft und Forschung logy“ (IIT) in Madras. Hier sollen deutsch-indische und Möglichkeiten ihrer Förderung auszuloten. Im Jahr Forschungsprojekte umgesetzt sowie Kooperationen ko- 2004 besuchte er China, und für den Herbst 2007 war ordiniert werden. Außerdem sollen an deutschen Hoch- eine Reise nach Indien vorgesehen. schulen Zentren für zeitgenössische Indologie gegründet werden. Das „Indienjahr“ 2006 in Deutschland und vor allem das Jahr 2007 spielten eine herausragende Rolle für die Die deutschen Hochschulen, Forschungsinstitute oder Weiterentwicklung der strategischen Partnerschaft zwi- Wissenschaftler können Fördermittel beantragen für die schen Deutschland und Indien. Vor dem Hintergrund der Studienaufenthalte ihrer jeweiligen Studierenden – Sti- deutschen EU-Ratspräsidentschaft und des Ziels, auch pendien und Reisekostenpauschalen gemäß den üblichen die deutsch-indischen Partnerschaften in Bildung, Wis- Raten des DAAD – sowie Mittel für die ausländische senschaft und Forschung zu stärken, besuchte die Bil- Partnerhochschule zur Betreuung der entsandten deut- dungs- und Forschungsministerin im Februar und die schen Studierenden während des Aufenthaltes in Indien. Bundeskanzlerin im Oktober Indien. Die Geförderten erhalten für ihren Aufenthalt – bis zu ei- Wir haben die Einladung von Frau Schavan daher nem Jahr – von der Partnerhochschule einen Leistungs- gerne angenommen, denn die gemeinsame Reise einer nachweis. Die fachliche und allgemeine Betreuung der großen politischen, Wissenschafts- und Wirtschaftsdele- entsandten deutschen Studierenden wird zwischen Hei- gation setzt ein eindrucksvolles Zeichen, dass Deutsch- mat- und Gasteinrichtungen abgestimmt. land über die Grenzen von Regierung und Parlament, über die Grenzen von Fraktionen hinweg stark an einer Die deutsch-indischen Wirtschaftsbeziehungen ha- Vertiefung der indisch-deutschen Kooperationen interes- ben sich in den letzten Jahren besonders dynamisch ent- siert ist. wickelt. In nur drei Jahren, 2004 bis 2006, ist es gelun- (B) (D) gen, den bilateralen Handel von 5 Milliarden Euro auf Indien ist als größte Demokratie der Welt dabei, die 10,4 Milliarden Euro zu verdoppeln. Auch bei den Di- Schwelle zu überspringen. Aber ein Land mit circa rektinvestitionen können wir eine weitere Belebung fest- 1,1 Milliarden Einwohnern, wovon knapp ein Viertel un- stellen – erfreulicherweise in jüngster Zeit auch von In- terhalb der Armutsgrenze von einem US-Dollar lebt, das dien nach Deutschland. Allerdings sind die Potenziale Durchschnittseinkommen pro Person und Tag bei etwa hier bei weitem nicht ausgeschöpft: Konsequenterweise 1,5 US-Dollar liegt, 35 Prozent der Erwachsenen An- haben beide Regierungschefs im Rahmen des Indien-Be- alphabeten sind, Hightechzeitalter und mittelalterliche suchs der Bundeskanzlerin Ende Oktober 2007 verein- Agrarstrukturen nebeneinander existieren, braucht Part- bart, eine weitere Verdopplung des Handelsvolumens bis ner, um die eigenen Ressourcen ausschöpfen zu können. 2012 anzustreben. Deutschland könnte in Zukunft als Kooperationspartner eine größere Rolle spielen als bisher. Eine Intensivierung des Wissenschaftleraustauschs zwischen unseren Ländern kann auch einen wichtigen Ich kann mir der Zustimmung der gesamten Aus- Beitrag zum Aufbau der wirtschaftlichen Zusammenar- schussdelegation sicher sein, wenn ich hervorhebe, dass beit leisten. Längere Lern- und Forschungsaufenthalte unsere Delegationsreise sehr erfolgreich war. Aufgrund führen erfahrungsgemäß zu einer besonders engen Bin- der Ergebnisse der zahlreichen offiziellen und informel- dung an das Gastland, die auch nach Rückkehr in das len Gespräche mit Vertretern deutscher Forschungs- und Heimatland fortwirkt. Darüber hinaus kann ein solcher Mittlerorganisationen, der Begegnungen mit hochmoti- Aufenthalt auch zu einer engeren institutionellen Zusam- vierten indischen Studierenden und Wissenschaftlern hat menarbeit von Wissenschafts- und Forschungseinrich- die Delegation bereits während der Reise beschlossen, tungen in beiden Ländern beitragen. Dort, wo Forschung sich mit einem gemeinsamen Antrag für die Stärkung unternehmensnah stattfindet, können Forschungsergeb- des Studierenden- und Wissenschaftleraustausches zwi- nisse überdies direkt den beteiligten Unternehmen zu- schen Indien und Deutschland einzusetzen. gute kommen. Bildung, Wissenschaft und Forschung, eine aufge- klärte Wissensgesellschaft gehören mit zu den zentra- Ulla Burchardt (SPD): Heute liegen zur abschlie- len Grundlagen für Wirtschaftswachstum und nachhal- ßenden Beratung insgesamt vier Anträge mit derselben tige Entwicklung. Wirtschaft und technologische Zielsetzung vor: den Indisch-Deutschen Studierenden- Leistungsfähigkeit des Boom-Landes Indien entwi- und Wissenschaftleraustausch im Allgemeinen und den ckeln sich rasant. Indien erbringt in den IuK-Technolo- Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 133. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. Dezember 2007 14093

(A) gien, der Raumfahrt und der Biotechnologie Spitzen- diengänge in Deutschland auszuweiten, die Indologie in (C) leistungen. Das BIP ist 2006/2007 um 9,2 Prozent Deutschland zu stärken und um Aspekte des modernen gewachsen. Über 10 Millionen Studierende lernen an Indiens zu erweitern und die Wirtschaft in die Koopera- den Hochschulen. tions- und Austauschprogramme einzubinden.

Aber: Das indische Hochschulsystem wird die interne Alle Anträge sind im Prinzip zustimmungswürdig. Ei- Nachfrage nach universitärer Bildung nicht befriedigen nige Zahlen im Koalitionsantrag sind auf einem neueren können. Zurzeit studieren bereits über 150 000 indische Stand, und er konnte noch aktuelle Entwicklungen ein- Studierende vorwiegend im englischsprachigen Ausland. beziehen. Wir halten uns an die Vereinbarungen mit un- Die prognostizierte „demografische Dividende“ im Jahr serem Koalitionspartner und werden deshalb die Anträge 2020 bis 325 Millionen potenzielle Arbeitskräfte im Al- der Oppositionsfraktion ablehnen. Das ist von der Sache ter von 20 bis 35 Jahren – zahlt sich nur aus, wenn die her sehr bedauerlich, denn alle Fraktionen sind sich ei- Kluft zwischen dem rasant steigenden Bedarf an qualifi- nig. Ein interfraktioneller Antrag wäre der bessere, weil zierten Arbeitskräften und der Zahl tatsächlich gut aus- inhaltlich angemessene Weg gewesen. gebildeter Fachkräfte überbrückt werden kann. Der Fachkräftebedarf wird sich beim Aufbau und der Siche- Dr. Petra Sitte (DIE LINKE): Der Präsident der rung der Infrastruktur, in den Bereichen Energie, Um- Helmholtz-Gemeinschaft, Prof. Jürgen Mlynek, zeigte welt und Verkehr mittelfristig drastisch erhöhen. sich nach einer Indienreise im April diesen Jahres glei- Die Beziehungen zwischen Indien und Deutschland chermaßen überrascht von den technologischen Fort- sind traditionell gut. Wir konnten uns überzeugen, dass schritten wie von den riesigen Problemen im Bildungs-, die Deutsche Botschaft, die DFG, die MPG, der DAAD aber auch im Gesundheitsbereich, die dieses Land und die AvH vor Ort hervorragende und engagierte Ar- prägen. Er sprach von einer Aufholjagd, die zu fördern beit leisten. Aber sie brauchen Unterstützung. In sei. Deutschland studieren knapp 4 000 Inder, in Indien be- trägt die Anzahl deutscher Studierender nicht einmal ein Die Reise unseres Ausschusses, die ein Teil der Mit- glieder des Bildungs- und Forschungsausschusses im Fe- Zehntel davon. Die Sozial- und Geisteswissenschaften spielen bei den Studienaufenthalten und Austauschpro- bruar gemeinsam mit der Wissenschaftsministerin Schavan grammen bisher keine wesentliche Rolle. unternahm, hat uns alle ebenso beeindruckt. Indien wird aus europäischer Sicht als Boomregion mit einem zwei- Die USA räumen der Kooperation mit Indien höchste stelligen Wirtschaftswachstum, mit einem schier uner- schöpflichen Arbeitskräftepotenzial und mit einer aufstre- (B) Priorität ein, Großbritannien macht 12 Millionen Pfund (D) „fresh money“ in drei Jahren zusätzlich für Bildungs- benden technologischen Leistungsfähigkeit etwa in der und Forschungskooperationen mit Indien locker. „The Raumfahrt, der IT-Branche oder der Energietechnologie window of opportunity“ ist weit offen. Es ist gut, dass wahrgenommen. Wir haben auf der Reise die Indian Insti- der Science Express in Indien auf der Schiene ist und in tutes gesehen, die wie britische oder amerikanische Eli- zahlreichen indischen Städten deutsche Hightech zeigt teunis angelegt und auch ausgestattet sind. Die Studieren- und junge Leute über wissenschaftliche Themen und den, mit denen wir dort diskutiert haben, waren froh, die Ausbildungsmöglichkeiten in Indien und Deutschland Auserwählten zu sein, und hatten ihre beruflichen Ziele informiert und die Einrichtung des deutsch-indischen fest im Auge. Wie der DAAD berichtet, wollen immer Wissenschafts- und Technologiezentrums unmittelbar noch viele von ihnen nach einer Studienaufnahme in In- bevorsteht. dien das Land in Richtung USA oder Großbritannien ver- lassen, um dort einen international besser anerkannten Die vorliegenden Anträge haben wichtige Anregun- Abschluss zu ergattern. gen aus dem Kreis der Mittler- und Forschungsorganisa- tionen berücksichtigt. Das Interesse für ein Land muss Doch die Kapazitäten dieser und anderer Hochschu- bereits in den Schulen geweckt werden. Hier erreicht len in Indien genügen an keiner Stelle, obwohl ein Stu- man die meisten Menschen eines Jahrgangs. Die An- dium häufig die einzige Möglichkeit für eine berufliche sprache der jungen Menschen in Indien und Deutschland Qualifikation ist. An den viel schlechter ausgestatteten muss direkt und konkret erfolgen, um die Hemmschwel- „normalen“ Hochschulen und Colleges kommen immer len abzusenken. Daher begrüße ich das Angebot kurzzei- noch 80 Ablehnungen auf eine Zulassung. Insgesamt tiger Orientierungsaufenthalte als Einstieg, die Einbin- studieren nur etwa 7 Prozent eines Jahrgangs – das sind dung von Studierenden und Wissenschaftlern in Projekte in diesem großen Land gut 10 Millionen Menschen –, und Maßnahmen zu ihrer Vernetzung. die allermeisten in Bachelorstudiengängen vergleichbar unserer Berufsausbildung. Für die benachteiligten Volks- Das reicht aber noch nicht. Nachhaltigen Erfolg kön- gruppen und -stämme halten Hochschulen eine be- nen Anbahnungsmaßnahmen und Austauschprogramme stimmte Anzahl von Studienplätzen frei. Dass der Vor- auf beiden Seiten nur haben, wenn es gelingt, die Einrei- schlag des Bildungsministers Arjun Singh im letzten semodalitäten zu erleichtern, eine umfassende Betreuung Jahr, diese Quoten auf die Indian Institutes auszuweiten, für Erstaufenthalte zu gewährleisten, das Stipendienange- mit Entrüstung zurückgewiesen wurde, zeigt die Spal- bot für Inder zu vergrößern, langfristige Aufenthalts- und tung der Gesellschaft im Hochschulbereich – und in der Arbeitsmöglichkeiten zu eröffnen, englischsprachige Stu- Gesellschaft. 14094 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 133. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. Dezember 2007

(A) Erfahrungsberichte von deutschen Studierenden, die An dieser Stelle zeigt sich wieder einmal, wie falsch (C) in Indien einen Teil ihrer Studienzeit verbracht haben, die Föderalismusreform gestrickt ist; denn der Bund bestätigen diesen Eindruck. Übereinstimmend berichten kann gegen die Streichungsmaßnahmen der Länder nur sie von weitgehend guten Bedingungen an den Eliteunis, wenig unternehmen. Die Exzellenzinitiative verstärkt und zugleich wird vor dem Besuch einer „normalen“ eher noch das Sterben der kleinen Fächer, als dass diese Universität wegen der bürokratischen Hürden sowie der in die Profilbildung der Unis einbezogen werden. Da, schlechten Ausbildung eindringlich gewarnt. geehrte Frau Ministerin Schavan, haben Sie es in der Hand, mit einer Förderung für kleine Fächer in Projekten Allerdings verhindert schon die Situation an den auch die Indologie wenigstens vor dem Aussterben zu Schulen eine breitere Beteiligung der Bevölkerung an bewahren. höheren Bildungsgängen. Ein Drittel der Bevölkerung, vor allem auf dem Land, aber auch in den Slums der Die von den Fraktionen hier eingebrachten Anträge Städte sind immer noch Analphabeten. Von Bildungsar- formulieren zum Jahr der Geisteswissenschaften Pro- mut betroffen sind besonders Frauen. jekte und Vorhaben, die sich nicht einfach als Selbstläu- fer aus der wachsenden ökonomischen Verflechtung Ich will damit zeigen, wie stark die Gegensätze zwi- zwischen Deutschland und Indien ergeben. Wir begrü- schen dem wirtschaftlichen Boom im Kernbereich der ßen in dem Zusammenhang, dass das BMBF dem Deut- Städte und der Armut der Landbevölkerung bis auf den schen Akademischen Auslandsdienst im November über Wissenschaftsbereich durchschlagen. Damit soll nicht vier Millionen Euro zur Förderung von Auslandsstudien schwarzgemalt, sondern der reale Hintergrund einer Ko- Deutscher in Indien in Aussicht gestellt hat. Es ist rich- operation in Forschung und Lehre aufgefächert werden. tig, dass in Deutschland diese Studienleistungen leichter Denn Kooperation kann ja nicht heißen, wie DAAD-Prä- anerkannt werden und Zentren für zeitgenössische Indo- sident Berchem im November verkündete, das riesige logie errichtet werden sollen. Die Bundesministerin ver- Land als riesigen Markt zu sehen. Kooperation unter rät uns sicher demnächst, wie sie das konkret umsetzen ökonomisch so ungleichen Partnern bedeutet für die will. Doch auch die Förderung der Studienaufenthalte Linke, gemeinsam an der Überwindung dieser Ungleich- des indischen Nachwuchses in Deutschland sollte ange- heit zu arbeiten. sichts rückläufiger Zahlen seit einigen Jahren nicht ver- nachlässigt werden. Die äußerst schwierige finanzielle Was können wir nun dafür tun? Unsere Gespräche mit Situation setzt die Hürden für viele indische Studierende Vertretern geistes- und sozialwissenschaftlicher Einrich- und Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler ungleich tungen, etwa der germanistischen und romanistischen höher als für Deutsche in Indien. Ein Aufenthalt in (B) Abteilung der Delhi-Universität, zeigten, dass diese Fel- Deutschland scheitert schnell an Reise- und Unterbring- (D) der gegenüber den aufstrebenden Natur- und Technik- ungskosten. wissenschaften deutlich geringer ausgestattet werden. Eine Anmerkungen muss ich zur Entstehung der vier Dabei sind gerade diese Disziplinen in der Lage, die He- fast wortgleichen Anträge doch noch loswerden: Meiner rausforderungen eines solch dramatischen Um- und Auf- Fraktion wird manchmal vorgeworfen, wir würden Posi- bruchs, wie ihn Indien erlebt, zu begleiten und Politikbe- tionen von vorgestern vertreten. Das will ich nicht kom- ratung auf wissenschaftlich abgesichertem Niveau zu mentieren. Wenn aber die gleichen, die da am lautesten betreiben. rufen, zugleich mit Kalter-Kriegs-Manier ihren Fachpo- litikerinnen die Mitzeichnung eines interfraktionell be- Zudem wird Wissenschafts- und Forschungspolitik reits fest vereinbarten Antrags verbieten, dann zeigt zunehmend zur Außenpolitik. Denn wenn die Erfor- dass, dass sie seit vorgestern die Augen vor der Politik- schung der jeweiligen Landeskulturen besonders geför- entwicklung in diesem Land geschlossen halten. Schade dert wird, verbessern sich mit steigendem Wissen bilate- ist es um die aus der Reise entstandenen parteiübergrei- rale Beziehungen zwischen Ländern. Je genauer man fenden Impulse, die nun von allen Fraktionen einzeln sich kennt, je mehr Forschungsergebnisse über das an- vertreten werden müssen. dere Land vor Ort diskutiert und rückgekoppelt werden, umso stärker strahlt diese Kooperation in andere Berei- che der Gesellschaften aus. Priska Hinz (Herborn) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN): Der deutsch-indische Wissenschaftleraustausch Und hier muss unser Land zuerst vor der eigenen liegt allen am Herzen. Dies zeigen die vorliegenden Haustür kehren: Allgemein wird der Niedergang der so- Fraktionsanträge, die fast alle wortgleich lauten. Wir genannten kleinen Fächer beklagt. Davon ist auch die In- sind uns einig, dass wir mehr Stipendien für indische dologie betroffen. Die Hochschulrektorenkonferenz be- Studierende brauchen, die in Deutschland Hochschulen richtete, dass drei Standorte seit 1987 ganz weggefallen besuchen wollen. Insbesondere brauchen wir aber auch sind. Es gibt zudem keinen einzigen Lehrstuhl für zeit- Werbung und Unterstützung für Studierende aus genössische Indienstudien. Dazu kann ich nur sagen: Es Deutschland, die Interesse an einem Auslandsaufenthalt ist ja ehrenwert, dass die DFG den Austausch mit Indien in Indien haben, und in Indien studieren wollen. Wir sind unter deutschen Sozial- und Geisteswissenschaftlern ge- uns auch einig, den Austausch von Nachwuchswissen- sondert fördert. Dazu muss allerdings auch jemand da schaftlerinnen und Nachwuchswissenschaftlern zu stär- sein, der sich austauschen kann. ken. Hier sollte vor allem ein Förderschwerpunkt auf Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 133. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. Dezember 2007 14095

(A) den Geisteswissenschaften liegen. Es ist lobenswert, zess aktiv zu begleiten, wohlwollend, aber auch kritisch, (C) dass die Bundeskanzlerin auf ihrer Indien-Reise nun ohne dabei die Kompetenzen oder die Handlungsspiel- schon einiges von dem umgesetzt hat, was wir bei unse- räume der Regierung einzuschränken. Es ging darum, rer Reise mit der Forschungsministerin als wichtig er- Leitplanken zu setzen für eine europäische Politik, in der kannt haben, so zum Beispiel das gemeinsame Zentrum sich der Deutsche Bundestag – wie in einem Fußball- für Wissenschaft, Forschung und Technologie. spiel – als Mitspieler sieht, der etwas zum Ergebnis bei- trägt, indem er Tore schießt und Eigentore verhindert Es bleibt aber noch viel zu tun: Es fehlen noch Stif- und nicht nur das Ergebnis beglaubigt. Nach dem ersten tungslehrstühle für Indologie mit Schwerpunkt auf dem Jahr können wir sagen: Wir hatten eine Reihe von gut modernen Indien, für die die deutsche Wirtschaft zur gelaufenen Trainingsspielen. Wir waren in der Regel Kooperation mit interessierten Hochschulen gewonnen auch gut vorbereitet. Wir haben die Berichte und Ver- werden muss. Bei der Schaffung von Praktikumsplätzen merke der Bundesregierung gelesen. Wir haben als Bun- und anschließenden Arbeitsmöglichkeiten für junge in- destag dennoch nicht in allen Spielen geglänzt. dische Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler in Deutschland ist die Wirtschaft auch gefragt. Genauso ge- Nach einem Jahr BBV können wir sagen – da sind wir fragt ist aber auch die Bundesregierung, die Regelungen uns ja auch fraktionsübergreifend einig –: Die Zusam- im Aufenthaltsrecht so zu ändern, dass es für Hochquali- menarbeit zwischen Bundestag und Bundesregierung ist fizierte leichter wird, in Deutschland zu arbeiten, ihre im vergangenen Jahr besser geworden. Dies gilt vor al- Familie mitzubringen und sich auch selbstständig wirt- lem für den Teil der Unterrichtung durch die Bundesre- schaftlich zu betätigen. Gerade für Hochqualifizierte ist gierung. Dabei ist wahr, dass auch die Bundesregierung das eine notwendige Option. ihre Anlaufschwierigkeiten hatte; so waren sich zum Beispiel nicht alle Ressorts von Beginn an über die In all diesen Punkten waren wir uns einig. Ein inter- neuen Aufgaben im Klaren. Und deshalb ist es auch fraktioneller Antrag, wie wir auf unserer Delegierten- nicht verwunderlich, dass wir bei den sogenannten um- reise mit Ministerin Schavan in Indien verabredet hatten, fassenden Bewertungen für europäische Rechtssetzungs- wäre ein wichtiges Signal für den DAAD, die vorschläge erhebliche Lücken festgestellt haben und na- Alexander-von-Humboldt-Stiftung und für die Wissen- türlich auch die Qualität der Berichte nicht immer schafterinnen und Wissenschaftler im Kooperationsland unseren Erwartungen entsprochen hat. Aber die Bundes- Indien gewesen. Ich finde es sehr bedauerlich, dass die regierung hat hier Besserung versprochen, nicht zuletzt Union nicht über ihren Schatten springen kann mit ihrem bei der Debatte im EU-Ausschuss am 19. September Grundsatzbeschluss, nie mit den Linken gemeinsame 2007. (B) Anträge zu tragen. Sie entscheidet sich stattdessen für ei- (D) nen kleinkarierten Parteienstreit. Dass diese gemeinsame Die neuen Instrumente für das Zusammenwirken bei- Initiative so endet, diskreditiert dieses für alle wichtige der Verfassungsorgane an den europapolitischen Ent- Thema. Es sollte um Inhalte gehen, nicht um Attitüden. scheidungen, die Stellungnahmen in Verbindung mit Art. 23 GG sowie – auf der Ebene der Bundesregierung – den sogenannten Parlamentsvorbehalt könnten wir noch Anlage 21 deutlich häufiger in Anspruch nehmen, als das bislang der Fall war. Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Antrags: Defizite bei der Ich möchte aber auch noch einige konkrete Punkte Umsetzung der Europa-Vereinbarung abstellen benennen, bei denen wir gemeinsam nachsteuern müs- (Tagesordnungspunkt 28) sen. Ich möchte beginnen mit der Unterrichtung des Bundestages nach Ziffer I der Zusammenarbeitsverein- barung. Die Unterrichtungspflicht der Bundesregierung Michael Stübgen (CDU/CSU): Am 22. September bezieht sich unter anderem auf „die Berichte der Ständi- 2006 hat der Deutsche Bundestag nach mehrmonatigen gen Vertretung über Sitzungen des Rates und der Ar- Gesprächen mit der Bundesregierung unter der Feder- beitsgruppen des Rates, der informellen Ministertreffen führung des Europaausschusses die Vereinbarung über und des Ausschusses der Ständigen Vertreter“ (I. 2. c. die Zusammenarbeit zwischen dem Deutschen Bundes- der Vereinbarung). Die Übermittlung der Berichte an tag und der Bundesregierung in Angelegenheiten der Eu- den Bundestag funktioniert grundsätzlich gut. Die Be- ropäischen Union beschlossen. Der wichtigste Grund für richte selbst weisen jedoch häufig große Defizite auf. die Zusammenarbeitsvereinbarung war es, den Deut- Dies gilt insbesondere für die Sitzungen des Ausschus- schen Bundestag zu einer aktiveren Rolle in der europäi- ses der Ständigen Vertreter (AstV I und AstV II). Abge- schen Gesetzgebung zu befähigen und die im europäi- sehen von einer oft verklausulierten Sprache befindet schen Verfassungsvertrag – zukünftigem Vertrag von sich in den Berichten wiederholt ein Verweis auf Doku- Lissabon – verankerten neuen Rechte der nationalen Par- mente, Stellungnahmen oder Tagesordnungen mit dem lamente besser zu nutzen. Hinweis: „Liegt in Berlin vor“. Diese Verweistechnik ist nicht akzeptabel. Das erste Ziel lautete daher, früher und besser unter- richtet zu werden, das zweite war darauf gerichtet, die Lassen Sie mich ein Beispiel nennen: Es handelt sich Bundesregierung im europäischen Rechtssetzungspro- um den Bericht über den Trilog zur Finanzierung des 14096 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 133. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. Dezember 2007

(A) Europäischen Technologieinstituts vom 19. Juni 2007; über eingeleitete Vertragsverletzungsverfahren gegen die (C) der Bericht datiert vom 20. Juni 2007. In dem Bericht Bundesrepublik Deutschland informiert. Ein Anspruch heißt es: „KOM wolle die wichtige Frage der Finanzie- darauf ergibt sich aus Ziffer IV der Vereinbarung, worin rung so schnell wie möglich klären und lege daher ein es heißt: „Die Bundesregierung unterrichtet den Deut- NON-Paper mit Optionen zur Finanzierung des EIT vor schen Bundestag unverzüglich über Vorabentschei- (wurde erst kurz vor Beginn der Sitzung verteilt, liegt in dungsverfahren und Gutachtenverfahren und diejenigen Berlin vor).“ Und etwas später: „Eine Einigung solle an- Verfahren vor dem Europäischen Gerichtshof und dem hand der folgenden Elemente gefunden werden (Basis Gericht Erster Instanz, bei denen die Bundesrepublik Verhandlungsmandat des Rates, liegt in Berlin vor).“ Deutschland Verfahrensbeteiligte ist. Zu Verfahren, an denen sich die Bundesregierung beteiligt, übermittelt sie Dieses schöne Beispiel zeigt wohl anschaulich, dass die entsprechenden Dokumente. Dies gilt auch für Ur- die Berichte in dieser Form völlig unverständlich sind. teile zu Verfahren, an denen sich die Bundesregierung Es ist unbedingt erforderlich, dass die Bezugsdokumente beteiligt.“ dem Bericht selbst als Anhang beigefügt werden. Glei- ches gilt für die Tagesordnungen der Ratssitzungen, die Der wichtigste Punkt, über den wir in dieser Debatte für die Vorbereitung insbesondere des EU-Ausschusses aber zu reden haben, ist die Frage nach der Herstellung von großer Wichtigkeit sind, da nur so eine sinnvolle des Einvernehmens nach Ziffer VI der BBV. Die Bun- Entscheidung über die Notwendigkeit einer Ratsbericht- desregierung soll sich um das Einvernehmen bei Ände- erstattung getroffen werden kann. rungen der vertraglichen Grundlagen der Europäischen Union und vor Aufnahme von Beitrittsverhandlungen Zu der Berichterstattung über die Ratsarbeitsgruppen- mit dem Deutschen Bundestag bemühen, heißt es in der sitzungen lässt sich noch ein wichtiger Punkt ergänzen. Vereinbarung. Für die CDU/CSU-Fraktion sage ich hier Bislang erfolgt eine Berichterstattung nur, wenn Mitar- noch einmal ausdrücklich, dass wir uns nach den Irrita- beiter der Ständigen Vertretung aus Brüssel an den Sit- tionen vom Sommer im Zusammenhang mit dem Man- zungen teilnehmen („Brüsseler Format“). Für Sitzungen, dat des Europäischen Rates für die Erarbeitung des Lis- die durch Vertreter der Ressorts wahrgenommen werden sabonner Vertrages ein geordnetes und verlässliches („Hauptstadtformat“), wird dem Bundestag kein und bei Verfahren hinsichtlich der Form und des Zeitpunktes der „gemischt“ im „Brüsseler“ wie im „Hauptstadtformat“ Einvernehmensherstellung wünschen. Wir haben dazu in tagenden Ratsarbeitsgruppen nur lückenhaft Bericht er- Gesprächen mit der Bundesregierung auch einen konkre- stattet. Dies führt zu einem beträchtlichen Informations- ten Vorschlag vorgelegt. Mein Eindruck ist, dass auch defizit auf der für Ratsentscheidungen maßgeblichen die Bundesregierung eine für beide Seiten zufriedenstel- (B) Ebene der Arbeitsgruppen und ist unbedingt zu ändern. lende Lösung anstrebt. Ich bin sehr zuversichtlich, dass (D) Nur bei vollständiger Berichterstattung, das heißt bei wir schon bald den Streit beenden können und zu einer Zuleitung auch der Berichte im Hauptstadtformat, kann vernünftigen und für die Zukunft Missverständnisse ver- der Bundestag den Sachstand zu einem Dossier umfas- meidenden Verständigung kommen werden. send bewerten. Nur so werden ihm nicht entscheidende Teile der Verhandlungen vorenthalten. Michael Roth (Heringen) (SPD): Die Vereinbarung Darüber hinaus ist es für den Bundestag und das neu zwischen Bundestag und Bundesregierung über die Zu- eingerichtete Verbindungsbüro des Bundestages in Brüs- sammenarbeit in Angelegenheiten der Europäischen sel von großer Bedeutung, dass die Mitarbeiter des Bü- Union ist seit Oktober vergangenen Jahres in Kraft. Sie ros an den ständigen Briefings, die in Brüssel durch den muss sich noch in der Praxis bewähren. Trotz mancher Ständigen Vertreter Deutschlands bei der Europäischen Fortschritte sind wir noch nicht so weit, wie wir sein Union mit den Ländervertretern durchgeführt werden, könnten und sollten. Aber es hilft nicht, nur zu meckern. teilnehmen dürfen. Da die Briefings aber nicht immer Da machen Sie, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen auf Einladung der Ständigen Vertretung stattfinden, der Grünen, es sich zu einfach: Wir alle sind bemüht, könnte ein eigenes Briefing für das Verbindungsbüro des den Weg zu einer besseren Zusammenarbeit zu finden. Bundestages das Problem lösen. Ein Recht des Bundes- tages, in die Information der Ständigen Vertretung ein- Die Vereinbarung ist Bestandteil des Koalitionsver- bezogen zu werden, ergibt sich aus Ziffer VII der trages. Ihre Unterzeichnung war ein Meilenstein auf dem Zusammenarbeitsvereinbarung. Darin heißt es: „Die Weg zur besseren Europatauglichkeit des Deutschen Bundesregierung unterstützt über die Ständige Vertre- Bundestages. Sie schafft die Voraussetzungen, mit denen tung und gegebenenfalls die bilaterale Botschaft im die in Art. 23 des Grundgesetzes verankerte Mitwirkung Rahmen der gegebenen Möglichkeiten und soweit erfor- des Bundestages in Angelegenheiten der Europäischen derlich das Büro des Deutschen Bundestages in Einzel- Union wirksam umgesetzt werden kann. fragen im Hinblick auf seine Aufgaben.“ Unter das „Büro des Deutschen Bundestages“ fallen natürlich nicht In der Praxis hapert es bei der Umsetzung aber noch. nur die Mitarbeiter der Bundestagsverwaltung, sondern Viele der Mängel, die in dem Antrag der Grünen aufge- auch die Mitarbeiter der Fraktionen. führt werden, kann meine Fraktion durchaus bestätigen. Aber wir sollten nicht nur der Bundesregierung allein Darüber hinaus möchten wir Informationen darüber Defizite und Versäumnisse vorwerfen. Auch seitens des erhalten, inwiefern die Bundesregierung den Bundestag Bundestages gibt es noch erheblichen Verbesserungsbe- Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 133. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. Dezember 2007 14097

(A) darf. Das Verfahren zur Sortierung der wichtigen und der festhalten. Bleiben wir alle an Bord, um unseren berech- (C) weniger wichtigen Dokumente wird gerade erst einge- tigten Interessen weiterhin gemeinsam zum Durchbruch führt. Vom Recht, der Bundesregierung Vorgaben für zu verhelfen. Ihr Antrag leistet dazu leider keinen kon- ihre Verhandlungen in Brüssel zu machen, machen wir struktiven Beitrag. noch viel zu selten Gebrauch.

Enttäuschung hat häufig etwas mit überhöhten Erwar- Michael Link (Heilbronn) (FDP): Als am tungen zu tun. Ich rate eher zu einer nüchternen Selbst- 22. September 2006 der Bundestag – endlich, zehn Jahre einschätzung unserer eigenen Kräfte und Möglichkeiten. nach dem Bundesrat – eine Vereinbarung mit der Bun- Wir haben mit der Vereinbarung zur Zusammenarbeit in desregierung über die Zusammenarbeit in Angelegenhei- Angelegenheiten der Europäischen Union die Vorausset- ten der Europäischen Union schloss, feierten wir dies zungen geschaffen, um in der Europapolitik mehr alle als großen parlamentarischen Erfolg. Jedoch war Verantwortung zu übernehmen. Aber das braucht natur- uns auch allen klar, dass diese Vielzahl an ausformulier- gemäß Zeit. Wie gehen wir intern mit Vorlagen und Do- ten Beteiligungs- und Informationsrechten für den Bun- kumenten um? Wie kooperieren Fachausschüsse und destag nur ein erster, wichtiger Schritt in der notwendi- Europaausschuss? Brauchen wir weitere Verfahrens- und gen „Verbesserung der Europafähigkeit“ des Deutschen Strukturveränderungen? Notwendige Änderungen der Bundestages sein konnte. Denn bei der wesentlichen Geschäftsordnung stehen noch aus. Aufgabe, der Umsetzung der Vereinbarung, – sei es tech- nischer oder politischer Art – befinden wir uns erst am Auch die Bundesregierung muss ihre Abläufe auf die Anfang. neue Vereinbarung ausrichten. Gerade dort, wo Ratsar- beitssitzungen in Brüssel durch Referenten aus Berlin Es ist wichtig, dass der Deutsche Bundestag diesen wahrgenommen werden, gibt es immer wieder Probleme Prozess selbst- und auch regierungskritisch kontinuier- bei der Berichterstattung gegenüber dem Bundestag. lich verfolgt, damit er seinen Rechten und Pflichten bei Hier sehe ich Nachbesserungsbedarf. der Mitgestaltung der Europäischen Union – wie dies auch das Bundesverfassungsgericht angemahnt hat – ge- Aber an der grundsätzlichen Qualität der Vereinba- recht werden kann. Es ist deshalb richtig, dass der Deut- rung darf kein Zweifel herrschen. Die Bundesregierung sche Bundestag nach knapp über einem Jahr eine erste hat mit dieser Vereinbarung den Bundestag entschieden Bilanz zur Umsetzung der Europa-Vereinbarung zieht. gestärkt. Welchen Fortschritt diese Vereinbarung dar- Im Grundsatz teilen wir Liberalen dabei die Analyse der stellt, zeigt sich an den neidischen Blicken vieler Abge- Grünen (Antrag Drucksache 16/7139), dass viel erreicht (B) ordneter anderer Mitgliedstaaten der EU und aus dem wurde, jedoch eine Reihe von Defiziten fortbestehen. (D) Bundesrat. Zwischenzeitlich ist unser Modell Vorbild für Diese gilt es, zügig zu beseitigen. Insbesondere sind andere nationale Parlamente. Darauf sollten wir durch- diese Versäumnisse der Informationsweitergabe im Be- aus ein wenig stolz sein. reich der zweiten und dritten Säule zu bemerken, was besonders unverzeihlich ist, da gerade in diesen Berei- Wir sind bemüht, die Defizite bei der Umsetzung die- chen auch das Europaparlament nicht oder nicht voll- ser Vereinbarung im konstruktiven Dialog mit der Bun- ständig als parlamentarisches Kontrollorgan in den Ge- desregierung abzuschaffen, seien es die fehlenden Draht- setzgebungsprozess eingebunden ist. berichte, die Zuleitung von Dokumenten in den Bereichen Außen- und Sicherheitspolitik oder auch die Bei der Betonung der Informationsrechte muss darauf stärkere Einbindung in vertragsändernde Verhandlun- hingewiesen werden, dass es dem Deutschen Bundestag gen. nicht nur um die Quantität der Informationen geht. Denn dass Menge nicht alles ist, mussten die Abgeordneten Alle Fraktionen des Bundestages haben die Vereinba- schon durch Stapel von Akten und überlaufende E-Mail- rung gemeinsam verhandelt. Darin liegt ihre besondere Briefkästen in ihren eigenen Büros erfahren. Wichtig ist Qualität. In dieser zentralen Frage war es wichtig, ge- es, ein effizientes Filtersystem aufzubauen, um die we- genüber der Bundesregierung parteiübergreifend die sentlichen Informationen herauszukristallisieren. Dabei Stellung des Bundestages zu stärken. Umso mehr bedau- befinden wir uns mit dem Priorisierungsverfahren mei- ere ich, dass nun einige meinen, ihre Oppositionsrolle nes Erachtens auf dem richtigen Wege. Zweitens muss gerade in dieser Frage ausleben zu müssen. Sie tun ja ge- der Bundestag nicht nur die wesentlichen Informationen radezu so, als hätten Sie diese Vereinbarung nicht mit aus der Vielzahl herausfiltern, sondern auch aufpassen, unterzeichnet, und als wären nicht auch Sie an den Ge- dass die „Qualität“ der „formalisierten“ Berichte, bei- sprächen zur Umsetzung im Bundestag umfassend betei- spielsweise der Drahtberichte, nicht abnimmt, indem die ligt, und als wüssten nicht auch Sie, dass viele der von essenziellen Informationen auf anderen Wegen weiterge- Ihnen kritisierten Punkte bereits mit der Bundesregie- geben werden, die nicht wörtlich unter die Vorgaben der rung besprochen sind und eine Klärung in Arbeit ist. Vereinbarung fallen.

Ob Sie mit Ihrem Antrag der besseren Umsetzung Nach einer intensiven Diskussion im EU-Ausschuss, wirklich dienen, wage ich zu bezweifeln. Das Gegenteil in der alle Fraktionen gegenüber der Bundesregierung ist der Fall. Und im Prinzip wissen Sie das auch. Wir die bestehenden Informationsdefizite deutlich gemacht sollten am selbstbewussten Dialog mit der Regierung haben, erwarten wir Liberalen, dass die Bundesregierung 14098 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 133. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. Dezember 2007

(A) tatkräftig an der Beseitigung dieser Mängel arbeitet. der Bundesregierung mit dem Bundestag vor Aufnahme (C) Durch Staatsminister Gloser und den Parlamentarischen von Verhandlungen zur Vorbereitung von Beitritten zur Staatssekretär Hintze wurde dies bereits von Regie- Europäischen Union sowie zur Aufnahme von Verhand- rungsseite zugesichert. lungen zur Änderung der vertraglichen Grundlagen der Europäischen Union eindeutig festgelegt werden. Selbstkritisch ist anzumerken, dass der Bundestag noch stärker lernen muss, mit den neu gewonnenen In- Abschließend ist noch darauf hinzuweisen, dass wir formations- und Beteiligungsrechten effizient umzuge- uns als Bundestag nicht auf die Informations- und Deu- hen. So mutet es makaber an, dass die Bundesregierung tungshoheit der Bundesregierung beschränken sollten. den Bundestag ermutigen muss, seine Beteiligungs- Neben den Informationen aus dem neuen Verbindungs- rechte verstärkt wahrzunehmen. In diesem Punkt muss büro in Brüssel sollten wir uns auch stärker mit unseren der Bundestag sich an die eigene Nase fassen. Denn was parlamentarischen Kollegen im Europaparlament vernet- dient jegliche Information, wenn der Bundestag diese zen. Die FDP-Fraktion hat den engen Austausch mit den nicht dazu benutzt, seiner Kernaufgabe in der Europapo- liberalen Europaabgeordneten auch in einer gemeinsa- litik, der Regierungskontrolle im Rat, gerecht zu wer- men Arbeitsgruppe institutionalisiert, um damit eine den? Hierbei muss der Bundestag der Bundesregierung ständige zweite parlamentarische Informationsquelle zu mit größerer Entschlossenheit gegenübertreten. Dabei generieren. sind vor allem die Regierungsfraktionen gefragt; denn solange diese unabhängig von der Sachmaterie immer Der Bundestag ist erst vor kurzem aus seinem Dorn- nur die Bundesregierung im Rat stützen, ohne ihren par- röschenschlaf in der Europapolitik erwacht. Noch ist er lamentarischen Kontrollpflichten nachzukommen, ver- in der Wahrnehmung seiner Rechte nicht geübt, weshalb pufft der Nutzen der zusätzlichen Informationen. es für eine abschließende Bewertung der BVV viel zu früh ist. Deshalb sollte der Deutsche Bundestag in einem Für uns Liberale hat es mit parlamentarischem Selbst- Jahr eine weitere Evaluierung der Europa-Vereinbarung verständnis zu tun, die rechtlichen Möglichkeiten des durchführen und überprüfen, ob die Bundesregierung ih- Bundestages zur Mitgestaltung der EU – beispielsweise ren Verpflichtungen bei der Umsetzung nun vollständig eine Stellungnahme an die Bundesregierung nach nachkommt oder gegebenenfalls der Deutsche Bundes- Art. 23 Abs. III des Grundgesetzes – auch zu nutzen. tag im Sinne von Best-Practice-Vergleichen in Europa weitere Anregungen aus Nachbarländern wie den Nie- Dabei geht es uns Liberalen nicht darum, den Ver- derlanden oder Schweden aufgreifen sollte, um seinen handlungsspielraum der Bundesregierung derart einzu- Mitwirkungsrechten nach Art. 23 gerecht werden zu (B) schränken, dass die Sprechzettel der deutschen Regie- können. (D) rungsvertreter in den jeweiligen Ratsformationen quasi vom Parlament vorgegeben werden. Uns ist vielmehr wichtig, dass der Deutsche Bundestag gerade bei großen, Alexander Ulrich (DIE LINKE): Selten hat ein An- wegweisenden Entscheidungen, die Deutschland lange trag bei mir ein so zwiespältiges Empfinden hervorgeru- politisch oder finanziell binden, beispielsweise die EU- fen wie dieser. Natürlich stimme ich, stimmt auch die Haushaltsrevision und bei wichtigen Einzelentscheidun- Fraktion Die Linke den wesentlichen Inhalten Ihres An- gen wie der Vorratsdatenspeicherung, qualitativ in die trags zu. Das gilt für die positive Bewertung der Verein- Entscheidungsfindung einbezogen wird. Dies wird dem barung zwischen Bundestag und Bundesregierung, die Deutschen Bundestag ausdrücklich durch die Europa- tatsächlich einen ganz wichtigen Fortschritt in unserer Vereinbarung (BBV) zugesichert. europapolitischen Arbeit darstellt. Ich gebe zu, ich bin auch ein bisschen stolz, an dem Abschluss dieser Verein- Vor diesem Hintergrund ist es besonders schlimm, barung mitgewirkt zu haben. dass vor der Eröffnung der Regierungskonferenz zur Än- derung der vertraglichen Grundlagen der Europäischen Richtig ist auch, dass die Möglichkeiten der Vereinba- Union kein Einvernehmen mit den Fraktionen hergestellt rung bei weitem noch nicht voll genutzt und umgesetzt wurde. Dieser „Sündenfall“ bei der ersten, nach Ab- werden. Das liegt – das sollten wir nicht verschweigen – schluss der Vereinbarung anstehenden substanziellen auch daran, dass wir auf der Seite des Bundestags, im Entscheidung ist nicht mehr rückgängig zu machen. EU-Ausschuss und in den Fraktionen, uns noch nicht ge- Wichtig ist nun, dass ein solches Versäumnis in Zukunft nügend diese Möglichkeiten zu eigen gemacht haben. nicht mehr geschieht, will sich der Deutsche Bundestag Das sollten wir selbstkritisch auch anerkennen und an in der Europapolitik endlich vom Rockzipfel der Bun- praktischen Verbesserungen in unserem Verantwortungs- desregierung lösen. bereich arbeiten.

Wie wir alle wissen, hat dieser Vorfall viel Unmut Diese auch selbstkritische Sicht und auch die Aner- zwischen den Fraktionen ausgelöst. Zurückzuführen ist kennung des Beitrags der Koalitionsfraktionen ändern dies unter anderem auf unterschiedliche Deutung des nichts daran, dass die Bundesregierung in mehrfacher Art. 6 BBV. Deshalb unterstützen wir Liberalen nach- Hinsicht ihren Verpflichtungen aus der Vereinbarung nur drücklich die Forderung der Grünen an die Bundesregie- sehr unvollkommen nachkommt. Schlicht skandalös war rung, eine Klärung zu diesem Artikel herbeizuführen, das Verhalten, das Mandat für die Regierungskonferenz mit der die Abläufe zur Herstellung des Einvernehmens am Bundestag vorbei beschließen zu lassen und die Ver- Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 133. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. Dezember 2007 14099

(A) handlungen um den Reformvertrag ohne Legitimation treter gewählt, um die Regierung zu kontrollieren und (C) durch den Bundestag zu beginnen. So etwas darf es nicht ihr Handeln zu legitimieren. Wir bilden wie auch das Eu- wieder geben. ropäische Parlament eine direkte Verbindung zwischen den Bürgerinnen und Bürgern vom Wahlkreis bis nach Kritikwürdig ist auch – da teilen wir die Stoßrichtung Brüssel. Wir entscheiden gemeinsam mit der Bundesre- des Antrags – die zögerliche und unvollständige Unter- gierung über die Europapolitik, und das ist im Grundge- richtung des Bundestags, das Zurückhalten einer Vielzahl setz auch festgelegt. von wesentlichen Hintergrunddokumenten und Vorarbei- ten. Das muss entschieden anders werden. Es kann auch Deshalb war die EU-Vereinbarung, die wir im letzten nicht sein, dass einerseits eine Vielzahl von Beamten, Jahr gefeiert haben, so zentral. Mit ihr hat der Bundestag auch nicht wenige Pressevertreter, bestens und frühzeitig längst überfällige Rechte erhalten, die es ermöglichen, informiert sind, ihnen interne Schriftstücke vorliegen, an den Rechten und Pflichten, die aus der deutschen Mit- dass andererseits aber die gewählten Volksvertreterinnen gliedschaft in der EU entstehen, mitzuwirken und mitzu- und Volksvertreter erst zuletzt in den Besitz von Informa- entscheiden. Wir alle wissen, dass die damalige Situa- tionen und Dokumenten gelangen. Hier verlangen wir tion nach den Neuwahlen von 2005 diese Vereinbarung umgehende und vollständige Abhilfe. sehr stark begünstigt hat. Ein sehr weitreichendes Papier der CDU/CSU-Fraktion, das noch aus Oppositionszeiten Ich bin allerdings nicht ganz sicher, ob es sinnvoll ist, stammte, ebnete den Weg. Und vier ehemalige Mitglie- den vorliegenden Antrag sehr schnell zur zweiten Le- der des EU-Ausschusses standen nun für die Regierung sung ins Plenum des Bundestags zurückzugeben, um auf der Verhandlungsseite. So haben wir eine gute Ver- hier eine Entscheidung herbeizuführen. Was soll hier einbarung treffen können, die dem Bundestag weitrei- denn geschehen? Erwarten Sie ernsthaft eine parlamen- chende Informations-, Beteiligungs- und Mitwirkungs- tarische Mehrheit gegen die Bundesregierung? Oder rechte in EU-Angelegenheiten einräumt. Zwar haben wollen Sie den Antrag mit seinen vernünftigen und vor- andere nationale Parlamente in der EU, wie das wärtsweisenden Inhalten ablehnen und in der Versen- dänische, noch weiter reichende Rechte. Wir unterstüt- kung verschwinden lassen? zen aber diese Vereinbarung, so wie wir sie getroffen ha- ben. Wir sind entschieden der Meinung, dass der in den EU-Ausschuss überwiesene Antrag dort intensiv mit Mit der Vereinbarung haben wir bereits viel erreicht: dem Ziel der Einigung zwischen Oppositions- und Ko- Wir haben Büros in Berlin und in Brüssel eingerichtet, alitionsfraktionen behandelt werden muss. Wir hoffen die uns mit zentralen Informationen versorgen und her- (B) darauf, dass wir im Ausschuss und in Gesprächen mit vorragende Arbeit leisten. Wir haben in diesem Jahr über (D) Regierungsvertretern – dem Wortlaut und dem Geist der das Strategie- und das Arbeitsprogramm der Europäi- BBV entsprechend – die praktische Umsetzung der Ver- schen Kommission im Bundestag diskutiert und uns so einbarung einvernehmlich weiter voranbringen. Wenn auf das kommende Jahr gut vorbereitet. Ich denke, wir das gelingt, erübrigt sich eine zweite Plenardebatte über haben insgesamt den Bundestag für europäische Angele- den Antrag. genheiten stark sensibilisiert.

Eine letzte Bemerkung kann ich mir nicht verkneifen: Aber viele entscheidende Punkte der Vereinbarung Wenn die Grünen sich im Bundestag als Opposition dar- hält die Bundesregierung nicht ein. In einem unabhängi- stellen wollen, dann ist das Thema BBV ungeeignet. Das gen Monitoringbericht werden gravierende Mängel auf- ist kein Thema für öffentliche Polemiken. Die sind bei gezählt; Mängel, die verhindern, dass wir uns als Parla- anderen Themen geboten, zum Beispiel gegen eine Poli- ment frühzeitig in EU-Angelegenheiten einbringen tik, die Europa an den Menschen und an ihren Interessen können, Mängel, die dazu führen, dass der Bundestag vorbei gestalten will. Da wäre es doch viel besser gewe- seiner Rolle zur Mitentscheidung und Mitgestaltung in sen, wir hätten gemeinsam dafür gekämpft, den „Vertrag EU-Angelegenheiten nicht angemessen erfüllen kann. von Lissabon“ einem Referendum zu unterwerfen und Diese Mängel möchte ich anhand dreier Beispiele ver- die Voraussetzungen für eine Volksabstimmung zu deutlichen. schaffen. Aber auch das kann ja immer noch geschehen. Erstens. Es wurde kein Einvernehmen mit dem Bun- Rainder Steenblock (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- destag vor Eröffnung der Regierungskonferenz gesucht. NEN): Heute wird der EU-Reformvertrag unterzeichnet. Was heißt das? Die Vereinbarung besagt, dass die Bun- Er ermöglicht überfällige Reformen an der EU und desregierung mit dem Bundestag eine Einigung suchen macht die EU handlungsfähiger. Er stärkt das Europäi- muss, bevor die zentrale Konferenz zur Änderung der sche Parlament und führt mit dem Bürgerbegehren ein vertraglichen Grundlagen der EU eröffnet wird. Dies Element direkter Demokratie ein. Er macht die EU bür- war nicht der Fall. Wir wurden nur über die Eröffnung gernäher, transparenter und effizienter. informiert. Eine angekündigte Bundestagsdebatte hie- rüber wurde kurzfristig abgesetzt. Bei der von uns dann Trotz dieser Reformen bleibt der Bundestag für die erzwungenen Debatte durfte über unsere Anträge nicht politische Legitimität der europäischen Institutionen abgestimmt werden. Der erste Praxistest der Vereinba- aber weiterhin sehr wichtig. Denn wir sind als Volksver- rung ist also gescheitert. 14100 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 133. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 13. Dezember 2007

(A) Zweitens. Wir erhalten nicht alle Dokumente, die wir Vorentscheidungen, die in diesen Gruppen getroffen (C) zur Kontrolle und Mitwirkung brauchen. Vor allem in werden. den Bereichen der Außenpolitik und der polizeilichen und justiziellen Zusammenarbeit in Strafsachen erhalten Deshalb fordern wir in unserem Antrag von der Bun- wir gar nicht oder nur teilweise die nötigen Dokumente. desregierung, die EU-Vereinbarung vollständig umzu- Die Vereinbarung legt eine fortlaufende und in der Regel setzen. Wir fordern, den Unterrichtungspflichten voll- schriftliche Unterrichtung durch die Bundesregierung ständig nachzukommen und uns alle für die Arbeit des fest, die aber nicht stattfindet. Bundestages notwendigen und vereinbarten Informatio- nen zuzuleiten. Nur wenn die Vereinbarung mit Leben Drittens. Wir erhalten nur lückenhafte Berichte über erfüllt wird, können wir unsere Rechte und Pflichten in die Ratsarbeitsgruppen. Nach der Vereinbarung sollen EU-Angelegenheiten wahrnehmen. wir Berichte über die Arbeitsgruppen des Ministerrates erhalten, also des Gremiums, das in der EU vorrangig Wir bedauern sehr, dass dieser Antrag kein interfrak- Gesetze macht. Diese Berichte fallen jedoch lückenhaft tioneller Antrag geworden ist. Obwohl alle Fraktionen aus. Denn sie werden zunehmend in einem Format ver- unsere Kritik teilen, wurde unser Angebot, gemeinsam fasst, das wenig darüber Aufschluss gibt, was tatsäch- für die Rechte des Parlaments zu kämpfen, abgelehnt. lich in diesen Arbeitsgruppen besprochen wird. Da- Dies ist im Sinne eines bürgernahen demokratischen und durch werden wir nicht ausreichend informiert über transparenten Europas sehr zu bedauern.

(B) (D)

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