ZWISCHEN NEUBEGINN UND REFORM:

TURBULENTE POSTJAHRZEHNTE Die Deutsche Bundespost 1945–1989

it Kriegsende im Mai 1945 war auch post mit Hans Schuberth als erstem Minister der Post- und Fernmeldeverkehr für das Post- und Fernmeldewesen in der Re- Mzum Erliegen gekommen. Die wich- gierung von . tigsten Einrichtungen lagen meistens in der Die Entwicklung im Osten folgte einer Nähe von Bahnhöfen und waren ebenso zer- eigenen Dynamik. Mit der Gründung der bombt wie die Verkehrswege insgesamt zer- Deutschen Demokratischen Republik am stört. Der Alliierte Kontrollrat mit Vertretern 7. Oktober 1949 wurde die Hauptverwaltung der vier Besatzungsmächte USA, Großbritan- Post- und Fernmeldewesen in der Deutschen nien, UdSSR und Frankreich übte die oberste Wirtschaftskommission für die sowjetische Staatsgewalt aus. In seine Zuständigkeit fiel Besatzungszone in das Ministerium für Post- auch das Post- und Fernmeldewesen. Die ers- und Fernmeldewesen umgebildet. Mit der ten Bestimmungen waren rigide: Technische Leitung der Deutschen Post wurde hier der Einrichtungen mussten eingestellt, Geräte ab- ausgewiesene Postfachmann Friedrich Bur- geliefert werden, auch Brieftauben waren als meister beauftragt. Boten untersagt. Die Besatzungsmächte ver- Im Jahr davor war in den westlichen Be- boten jede private Nachrichtenübertragung. satzungszonen die Währungsreform durch- Dabei hatten die Menschen, die nach Ange- geführt worden. Am 20. Juni 1948 stellten die hörigen, Freunden und Bekannten suchten, Postämter Schalterhallen und Mitarbeiter zur ein großes Informationsbedürfnis und waren Verfügung, damit das sogenannte „Kopfgeld“ Telegramm für Angehörige aus dem Lager Friedland, 1955 auf funktionierende Nachrichtenkanäle an- von 40 Mark möglichst schnell an möglichst Am 20. September 1945 eröffnete die britische Militärverwaltung das Lager gewiesen. Im Herbst 1945 lockerten die Mili- viele Menschen ausgegeben werden konn- Friedland, um Flüchtlinge, Vertriebene, Evakuierte und Rückwanderer zu versorgen. In den 1950er-Jahren wurde Friedland zur bedeutendsten tärverwaltungen die Restriktionen und ließen te. Im regulären Postbetrieb mussten zudem Einrichtung dieser Art und spielte vor allem für die Kriegsheimkehrer aus das Versenden von Postkarten zu, kurze Zeit alle Schalterplätze mit der neuen Währung sowjetischer Gefangenschaft eine große Rolle. Sie wurden hier betreut und später dann auch wieder Briefpost. versorgt werden, vor allem mit Münzen. konnten per Telegramm die Angehörigen über ihre Heimkehr informieren. Briten und Amerikaner einigten sich Im Postscheck- und Postsparkassendienst schließlich darauf, die Post- und Fernmel- wurden die alten Konten geschlossen und desysteme ihrer Besatzungszonen zusam- D-Mark-Konten eingerichtet. menzuführen und unter die Leitung einer Bevor die Deutsche Bundespost in der erkannt, darunter rund eine Million Spar- gemeinsamen Hauptverwaltung zu stellen. noch jungen Republik zu einem Motor des bücher von Flüchtlingen – für diese oft alles, Diese Hauptverwaltung nahm Anfang 1947 ökonomischen Aufschwungs wurde, hatte sie was ihnen geblieben war. Dem Prinzip, für ihre Arbeit in Frankfurt am Main auf und einen wertvollen Beitrag zur sozialen Integ- das Allgemeinwohl Verantwortung zu über- wurde nach dem Inkrafttreten des Grund- ration geleistet. Ehemalige Kriegsgefangene, nehmen, blieb die Post auch in den folgen- gesetzes damit beauftragt, die Geschäfte des Flüchtlinge und Vertriebene fanden hier den den Jahrzehnten treu. Bei der öffentlichen Postministeriums für das vereinigte Wirt- Einstieg in die Erwerbstätigkeit und damit Auftragsvergabe wurden Flüchtlinge aus der schaftsgebiet wahrzunehmen. Am 1. April eine berufliche Heimat. Rund 5,7 Millionen DDR und Werkstätten für Behinderte beson- 1950 entstand daraus die Deutsche Bundes- alte Postsparbücher wurden erfasst und an- ders berücksichtigt.

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WALTER SPAHRBIER

DIE POST IM tung überzeugt werden, denn dazu zwingen, WIRTSCHAFTSWUNDER etwa per Gesetz, konnte die Post niemanden. Er war nicht nur persönlich allgemein be- 1955 startete deshalb eine mehr als zehn Jahre kannt in Deutschland, er verhalf auch seinem In der Aufbauphase, in der die anhaltend währende Kampagne. Hauptargument war die Berufsstand – was schon kaum möglich war gute Wirtschaftslage für eine weitere Zunah- Entlastung der Zusteller. „Wir helfen unserem – zu weiterer Popularität: Der Geldbriefträger me des Briefaufkommens sorgte, wurde nach Briefträger“, „Viele Stufen, schwere Lasten“ Walter Spahrbier war der Showmaster-Sidekick Möglichkeiten gesucht, den Informations- oder „Kein Gipfelsturm der Briefträger mehr“ der 1950er- bis 1970er-Jahre in Deutschland, und Warenaustausch weiter zu beschleunigen. hießen die Slogans. streng korrekt und dafür beliebt, seit ihn Peter Der Abgangsdienst fand weitgehend dezentra- Gleich zu Beginn der 1960er-Jahre stellte Frankenfeld in Hamburg für die Fernsehshow lisiert in den sogenannten Einlieferungspost- die Bundespost der Öffentlichkeit ein neues „1:0 für Sie“ entdeckte. Da Spahrbier „ein anstalten statt, die Feinsortierung hingegen in vierstelliges numerisches Postleitzahlensystem wünschenswertes Bild des deutschen Be- der Bahnpost. Das war ein zeitraubendes Ver- vor und startete eine Werbekampagne unter amten“ vermittle, wurde er regelmäßig für fahren, und die Mitarbeiter bei der Briefsortie- dem Motto „Vergiß mein nicht – die Postleit- einige Tage freigestellt, um in Sendungen wie rung waren oft überlastet. Als Reaktion darauf zahl“. Zum ersten Mal nutzte man dabei das „Vergißmeinnicht“, „Drei mal Neun“ und „Der begann die Post ihr Betriebsverfahren syste- Fernsehen als Werbeträger. Viele Quizfragen große Preis“ mit Showmaster Wim Thoelke die „Vergiß mein nicht matisch zu rationalisieren. Die großen Post- in der von Peter Frankenfeld konzipierten und Gewinner zu verkünden. Das gediegene Flair – die Postleitzahl“, verwaltungen entwickelten zusammen mit der moderierten Spielshow „Vergißmeinnicht“ historischer Postuniformen steigerte noch seine 1960er-Jahre Industrie automatische Briefverteilanlagen. drehten sich um das Erraten von vier Ziffern Popularität, die er als erfolgreicher Spenden- Die Post fordert nicht Im Herbst 1954 erhielt das Postamt in Dort- oder einer Stadt, deren Postleitzahl dem Kan- sammler für die „Aktion Sorgenkind“ nutzte. – sie wirbt! Anfang der 1960er-Jahre warb die mund das erste serienfertige Modell, das an didaten genannt wurde. Zu seinem 75. Geburtstag wurde ihm dafür das Deutsche Bundespost ge- einem Tag durchschnittlich 575 000 Sendun- Die automatische Briefbearbeitung baute Bundesverdienstkreuz am Bande verliehen. mäß Postminister Stücklens gen in 100 Richtungen verteilen konnte. 1955 auf den neuen Postleitzahlen auf, und es konn- Devise bei den Bürgern um Aufmerksamkeit für nahm in Darmstadt die Fachgruppe „Automa- ten jetzt auch Hilfskräfte ohne gute geografi- Walter Spahrbier (1905−1982) war die neuen vierstelligen tisierung des Briefdienstes“ ihre Arbeit auf. sche Kenntnisse im Sortierdienst eingestellt Geldzusteller in Hamburg und Glücks- Postleitzahlen. Eine breit Auch die Bedürfnisse des Kunden rückten werden. Das war hilfreich, denn das Personal postbote in verschiedenen Shows der gefächerte Kampagne unter dem Signet kleiner in den Fokus der Aufmerksamkeit, man suchte war knapp in jenen Jahren, auch bei der Post. deutschen Fernsehgeschichte Vergissmeinnicht-Blüten nach einem zeitgemäßen Umgang. Die Klapp- Und der Werbefeldzug für die „Vierstellige“ trug zur Popularisierung und Schiebefenster an den Schaltern wichen hatte Erfolg: Schon nach einem Jahr waren der vier Zahlen bei, die 1962 eingeführt wurden. halbhohen oder geschlossenen Glasfenstern. 85 Prozent der verschickten Sendungen mit Mit der gleichnamigen Damit war der erste Schritt hin zu einer part- den korrekten Postleitzahlen beschriftet. Quiz-Sendung, die von nerschaftlichen Kommunikation vollzogen. Seit 1956 wurde nur noch einmal am Tag 1964 bis 1969 im ZDF lief, festigte sich deren Umgekehrt wurden die „Postbenutzer“ um zugestellt, doch dieser Wegfall an Dienstleis- Bekanntheit in der Bevöl- Mithilfe bei der Zustellung gebeten. Nach- tung wurde schnell ausgeglichen, nachdem kerung. dem das Bundespostministerium beschlossen die Bundespost Anfang der 1960er-Jahre ein hatte, Hausbriefkästen einzuführen, mussten funktionierendes Nachtluftpostnetz aufgebaut die Bundesbürger vom Nutzen dieser Einrich- hatte. Das Netz war sternförmig angelegt, alle

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RICHARD STÜCKLEN

Sendungen wurden zunächst nach Frankfurt am Main geflogen, dann an die Zielflughäfen „Ein parlamentarisches Urgestein“, so hat weitergeleitet. Durch den Anschluss an die man Bundespostminister Richard Stücklen zu Bahn- und Straßenposten erfolgte die Zustel- Recht genannt. Der geborene Mittelfranke und lung am nächsten Morgen. Damit erreichte ein diplomierte Elektroingenieur leitete nach dem Brief, der nachmittags eingeworfen wurde, be- Krieg zunächst die väterliche Schlosserei. 1949 reits am Tag darauf seinen Zielort. zog er als CSU-Mitbegründer für den Wahlkreis Mit einer enormen Steigerung des Produk- Weißenburg/Roth in den ersten Deutschen tionsvolumens war die Post zu einem maßgeb- ein − und blieb dort für 41 Jahre. lichen Teil des deutschen Wirtschaftswunders Von 1979 bis 1983 war er Präsident des geworden. 1960 beförderte sie doppelt so viele Bundestages, wo er sein Amt „mit Bonhomie Briefe und zweieinhalbmal so viele Reisende und fränkischem Frohsinn“ führte. Stücklens wie noch zehn Jahre zuvor. Auch wickelte man Vorschlag, Abgeordneten ein „politikfreies fast dreieinhalbmal so viele Ferngespräche ab Wochenende“ pro Monat zu gönnen, fand den und zwanzigmal mehr Fernschreiben im Aus- folgenlosen Applaus aller Fraktionen. landsverkehr. Seit 1955 war die Deutsche Bun- Auch seine Zeit als Bundesminister für das despost wieder Mitglied im Weltpostverein Post- und Fernmeldewesen, erst unter Konrad und hatte so auf dem internationalen Parkett Adenauer, dann unter , behält wieder Fuß gefasst. die Nachwelt in guter Erinnerung. Richard Die Postminister der Adenauer-Ära muss- Stücklen erwarb sich große Verdienste bei der ten jedoch die Erfahrung machen, dass sie die Werkzettel mit der Aufforderung, ein Buch Verbesserung und Erweiterung des Selbstwähl- Post- und Fernmeldegebühren nicht unab- in die DDR zu schicken, o. J. ferndienstes, der das „Fräulein vom Amt“ in hängig festsetzen konnten. Vielmehr galten „Lasst sie nicht allein“ oder „Baue eine Brücke“ – den Ruhestand entließ. In seine Amtszeit fiel diese Gebühren als Politikum, mit denen der die Bundesregierung animierte ihre Bürger zudem die Revolutionierung der Briefzustel- regelmäßig, die Landsleute in der „Ostzone“ Staat Signale gegenüber seinen Bürgern setzen nicht zu vergessen. lung durch das neue vierstellige Postleitzahlen- konnte. Eine stabile Gebührenpolitik wurde system. als wesentlicher Beitrag zur Stützung der all- Stücklen war auch sonst seiner Zeit voraus, gemeinen Preispolitik empfunden. So lehnte denn schon damals wollte er aus der „ho- Konrad Adenauer Anfang der 1960er-Jahre ne“, die freilich auf tatkräftige Unterstützung heitlichen“ Post einen Dienstleistungsbetrieb den ausdrücklichen Wunsch des damaligen durch Freunde und Verwandte angewiesen machen, der nicht „Postbenutzer“ bedient, Postministers Richard Stücklen nach einer waren − vornehmlich mit Hilfe der Post. sondern Kunden. Richard Stücklen Gebührenerhöhung ab. Keine Litfaßsäule der 1950er-Jahre, auf der (1916−2002) war von Oft ein wenig pflichtschuldig und manch- nicht an die „Gesamtdeutsche Brücke“ erin- 1957 bis 1966 Minister mal mit pathetischem Gestus gedachten die nert und gemahnt wurde: „Oft schicken, viel für das Post- und Fern- Westdeutschen wenigstens zu den Feiertagen schreiben, beisammen bleiben“. Nicht nur zur meldewesen der „Brüder und Schwestern in der Sowjetzo- Weihnachtszeit schickten Bundesbürger ih-

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Mitglieder der Kommission „Deutsche Bundespost“, 1969 In seiner Regierungser- klärung im Oktober 1969 wies darauf hin, dass sich die ministeri- ren Freunden und Verwandten in der DDR lesen, wenn diese maschinell erstellt waren. Postminister Kurt Gscheidle formulierte, „An- elle Aufsicht im Post- und Geschenkpakete mit Lebensmitteln und Ge- Standardformate für die Briefpost, fluoreszie- strengungen sparsamster Wirtschaftsführung“. Fernmeldebereich auf das brauchsartikeln, die im Ostteil knapp waren. rende Briefmarken und eine zur Norm erho- Eigenwirtschaftlichkeit zu erreichen und zu be- Nötigste beschränken solle. , Bundesminis- bene Postaufschrift trugen in den kommenden halten, war das Ziel, das man sich auf die Fah- ter für Verkehr und für das Jahren weiter zur Maschinenlesbarkeit bei. Bis nen schrieb. Zu den Sparmaßnahmen gehörten Post- und Fernmeldewesen, INNOVATION UND 1990 richtete die Bundespost flächendeckend Strukturveränderungen im Ministerium sowie berief daraufhin eine Kom- mission ein, die sich mit der RATIONALISIERUNG Standorte zur Briefautomation ein. eine regionale Neuordnung der Oberpostdirek- Unternehmensverfassung Anfang der 1970er-Jahre hatte die Bundes- tionen, deren Größe und Zuschnitt häufig der der Bundespost beschäf- Für die Post in Westdeutschland waren die post den Stand eines modernen, technisch hoch Zufälligkeit historischer Umstände geschuldet tigte. 1960er-Jahre eine Phase der Konsolidierung. entwickelten öffentlichen Dienstleistungsun- waren und vielerorts nicht mehr zu den aktuel- Die neuen automatischen Verteilanlagen sta- ternehmens erreicht. Im Jahr 1970 wurden len Ansprüchen passten. Ende 1980 war dieser bilisierten die Brieflaufzeiten und senkten in 4 252 Millionen Briefsendungen befördert, Prozess der Umgestaltung und Zusammenle- der Folgezeit die Personalkosten. Am 31. Mai das waren mehr als doppelt so viele wie noch gung weitgehend abgeschlossen, und von den 1965 wurde in Pforzheim die erste vollautoma- 1950. Die Paketzustellungen stiegen im selben ehemals über 700 Postämtern mit Verwaltungs- tisierte Briefverteilanlage in der Bundesrepu­ Zeitraum um gut 90 Prozent auf 323 Millio- dienst bestanden jetzt nur noch 409. blik eingeweiht. In drei Arbeitsphasen codier- nen. Trotzdem machte das Unternehmen große War man Anfang der 1960er-Jahre hände- te sie die Sendungen, sortierte vor und dann Verluste und geriet deshalb in die öffentliche ringend auf der Suche nach Personal, waren fein. Sie konnte die vierstelligen Postleitzahlen Kritik. Notwendig wurden, wie es der damalige jetzt von den Rationalisierungsmaßnahmen,

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EVA LEITHÄUSER die in den 1970er-Jahren zu einem massiven Personalabbau führten, vor allem Frauen be- Nach bestandenem Abitur 1943 durfte die hatte, stoppte und öffentlich begrub. Allerdings troffen, die 94 Prozent der Beschäftigten im kluge junge Frau nicht an die Hochschule, trug nicht sie die Schuld an dem Debakel, Teilzeitbetrieb stellten. Nicht zuletzt aufgrund weil ihre Mutter „halbarischer Abstammung“ denn das ehrgeizige Unterfangen hatte ihr der der Konjunktureinbrüche als Folge der Ölkrise war. So arbeitete die Tochter − der Vater war Vorgänger überlassen. von 1973 stimmte die Bundesregierung einer Professor für Hochfrequenztechnik − zunächst Als Eva Leithäuser 1978 bei der Post ausschied, Gebührenerhöhung zu − einer der Haupt- als Sekretärin und Prokuristin. Doch nach dem war ihre Karriere nicht zu Ende. Sie wurde gründe, warum die Bundespost ab 1975 zu- Krieg holte Eva Leithäuser nach, was man ihr Justizsenatorin von Hamburg und blieb es bis nächst wieder Gewinne erwirtschaftete. verwehrt hatte, und studierte Rechtswissen- zu ihrem Rücktritt 1986. schaft in ihrer Heimatstadt Berlin. 1957 stieg sie bei der Deutschen Bundespost als Juristin Eva Leithäuser (*1925) war von 1975 KAMPF UM PÄCKCHEN ein und machte schnell Karriere. bis 1978 Präsidentin der Oberpostdi- UND PAKETE Sie leitete unter anderem das Postamt 12, rektion Hamburg damals eines der größten der Stadt. 1970 Zur großen Herausforderung der nächsten gelang ihr der Sprung ins Bundesministerium Jahre wurde das Geschäft mit Päckchen und nach Bonn, fünf Jahre später, im Alter von Paketen. Anders als im Briefdienst hatte die 50 Jahren, schrieb Eva Leithäuser dann Deutsche Bundespost hier kein Monopol. Sie endgültig Postgeschichte: Als erste Frau wurde stand im Wettbewerb mit anderen Anbietern sie Präsidentin einer Oberpostdirektion − bei wie Speditionen und der Deutschen Bundes- der OPD Hamburg als Chefin von 35 000 bahn, vor allem aber mehr und mehr mit pri- Postbediensteten. „Sind wir wirklich schon der vaten Kurierdiensten wie DHL, DPD und UPS. vorbildliche Arbeitgeber für weibliche Beschäf- Die Konkurrenz konzentrierte sich auf die ge- tigte?“ Das Nein, mit dem sie diese rhetorische winnträchtigen Verbindungen zwischen Groß- Frage in einer Zeitschrift 1975 beantworten städten, während die Post Sendungsaufträge musste, parierte sie im Job auf ihre Weise: Zu und Kunden nicht frei wählen konnte, sondern einer Zeit, als bundesweit bei der Post der ihrer Beförderungspflicht nachkommen und Anteil der Frauen abnahm, setzte sie bei der Alle Jahre wieder: Hamburger OPD einen Frauenanteil von rund Plakat, um 1970 40 Prozent durch. Ein seit Jahrzehnten Als resolute und pragmatische Verwaltungsfrau wiederkehrendes Ritual: Paketsortierung am Förderband, o. J. Die Aufforderung der Post verschaffte sich Eva Leithäuser bei der Post an ihre Kunden, Pakete Auch im Bereich der Paketbeförderung und rechtzeitig aufzugeben, um Paketverteilanlagen wurde modernisiert. großen Respekt. Für viel Aufsehen sorgte in der die pünktliche Ausliefe- 1968 entstand in Braunschweig die erste Hansestadt allerdings 1978 eine unpopuläre rung vor Weihnachten zu weitgehend automatische Paketverteil- Maßnahme, als sie das Projekt „Großrohrpost garantieren. Der Lohn für anlage. Dennoch musste am Förderband die Post: Rekordumsätze im noch von Hand sortiert werden – vielfach Hamburg“, das in mehr als 20 Jahren Entwick- Dezember. Frauenarbeit. lungszeit viele Millionen Mark verschlungen

89 II. HISTORIE

KURT GSCHEIDLE

die Gebühren moderat halten musste. Um im Mitte der 1970er-Jahre zu einer verstärkten „Kurt Gscheidle begann seine Laufbahn mit Wettbewerb bestehen zu können, verbesserte Hinwendung zum Markt, zur aktiven „Markt- 14 Jahren als Postlehrling in , ist nun- die Bundespost ihre Dienstleistungen beim na- kommunikation“. Immer mehr Geld wurde mehr seit 8 Jahren Bundespostminister – ein tionalen und internationalen Paket- und Päck- investiert in Werbung, Verkaufsförderung, kompetenter und weitblickender Chef dieses chenversand. 1982 bot sie „Datapost-Inland“ Public Relations und Kundenberatung. Es Unternehmens im Spannungsfeld von Politik an. Auf Kundenwunsch wurden Briefe und war die Geburtsstunde des Post-Marketings. und Wirtschaft, das er aus den roten Zahlen Pakete abgeholt und über fest vereinbarte Ver- Kampa­gnen für das Telefonieren („Ruf doch führte und bei dem er mit den Methoden bindungen zu festen Zeiten ausgeliefert. Damit mal an“) und für den Privatbrief („Schreib mal modernen Managements Wirtschaftlichkeit, erfüllte die Bundespost die Leistungsmerk- wieder“) fanden in der Bevölkerung wie in der Leistungskraft und Kundenfreundlichkeit male eines nationalen Fernkurierdienstes, der Fachwelt große Beachtung. Aber auch auf an- wesentlich gefördert hat“ – so lautet der Laufzeit und Auslieferung der Sendungen für deren Wegen versuchte man, den Konsumen- naturgemäß wohlmeinende Klappentext eines Großkunden wie Banken, Versicherungen und ten zu erreichen und über neue Produkte und von Gscheidle verfassten Buches über die Bun- Handelsunternehmen kalkulierbar machte. Dienstleistungen zu informieren. Die Zeit- despost. Als es 1982 erschien, stand das Ende Über das Portfolio der Post hieß es Mitte der schriftPostbrief richtete sich an alle Nutzer der seiner Amtszeit schon kurz bevor. 1980er-Jahre: „Die Stärke des pos­talischen Deutschen Bundespost, das Postbuch war ein Gscheidle hatte den Ruf, wirklich etwas vom Kleingutdienstes liegt in dem dichten, flä- Nachschlagewerk für Kunden aus Wirtschaft Fach zu verstehen. Dafür erwarb er sich chendeckenden Netz von Annahmestellen, und Verwaltung. Re­spekt, aber auch Gegner, wenn er Fragen die zumeist zugleich Auslieferungsstellen für Auch bei ihren Finanzdienstleistungen aufwarf wie: Können Briefträger durch Roboter angekommene Güter sind, und in der tägli- setzte die Bundespost verstärkt aufs Marke- ersetzt werden? Nach einem Poststreik 1980 chen Zustellung der Güter an die Empfänger. ting. Um im Postbankbereich besser Fuß zu mussten fürs Erste Beamte genügen – das war Kein anderer Beförderungsdienst verfügt über fassen, hatte man bereits Ende der 1960er- unzulässig, entschied 1993 das Bundesverfas- eine ähnliche Annahme- und Auslieferungs- Jahre mit Erfolg zentrale Werbekampagnen sungsgericht. Dass er den Finger in die Wunde kapazität.“ Dennoch lag der Marktanteil der durchgeführt, denen intensive Marktfor- „Elefantenfriedhof“ – hochrangige und auf Bundespost im Kleingutverkehr 1985 lediglich schung vorausgegangen war. Auch die Ein- ihren Posten träge gewordene Beamte – legte, bei 40 bis 50 Prozent – mit leicht rückläufiger führung des allgemeinen Btx-Dienstes 1983 die nur durch „Wegloben“ – mit Beförderung Tendenz. Dieser Wettbewerb sollte sich in den – Postbankkunden konnten erstmals rund – zu mobilisieren seien, nahm die Beamten- folgenden Jahren noch weiter verschärfen. um die Uhr Überweisungen erteilen, Konto- schaft auch nicht für ihn ein. Einen guten Klang stände abrufen und Daueraufträge einrichten Kurt Gscheidle (1924– hat der Name Gscheidle bei Philatelisten: – wurde von zahlreichen Werbe- und Infor- 2003) war ab 1939 bei Der Minister hatte in seinem privaten Besitz AKTIVE mationsmaßnahmen flankiert, auch wenn das der Post, von 1974 bis nicht ausgegebene Sondermarken zu den MARKTKOMMUNIKATION in diesem Fall nicht gefruchtet hat. Ende der 1982 war er Bundesmi- Olympischen Sommerspielen 1980 in Moskau, 1980er-Jahre hatte der Btx-Dienst nur 300 000 nister für das Post- und die seine Frau zur Frankierung benutzte: der Der Rückgang bei der Nachfrage nach Nutzer und wurde dann schnell vom einfacher Fernmeldewesen, bis „Gscheidle-Irrtum“. 2008 erzielte ein Exemplar Telefonanschlüssen Ende 1973 und eben die zu handhabenden Online-Banking abgelöst. 1980 auch Verkehrsmi- auf einer Postkarte 85 000 Euro. schnelle Etablierung neuer Konkurrenten im Veränderungen gab es auch in der direkten nister Paketdienst führten bei der Bundespost seit Kommunikation mit dem Kunden. Die bloße

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Mitarbeiterwerbung, Plakat, um 1970 Kein bisschen von gestern war die Post in der Gestaltung ihrer Werbemateria- lien, darunter Plakate und Broschüren. Zeittypisch im Pop-Art-Stil richtete sich dieses Plakat, sichtlich inspiriert von der Yellow Submarine-Ästhetik des Grafikers Heinz Edelmann, an junge Berufseinsteiger.

Abfertigung des Postkunden am Schalter war endgültig passé. Mit Schulungsmaterialien versuchte die Bundespost den Mitarbeitern im Umgang mit schwierigen Kunden Geduld und Gleichmut anzutrainieren, sie aber auch in die Lage zu versetzen, Produkte und Dienstleis- tungen selbstbewusst vorzustellen. 1975 wur- de in 1 100 Postämtern die „Diskretionszone“ eingeführt, welche die wartenden Kunden am Schalter der Postbank durch eine Acrylsäule und Fußbodenmarkierung auf Abstand hielt. Gut 15 Jahre später verschwanden auch die Schalterverglasungen, die massive, sichtba- re Trennung zwischen Kunden und Beamten wurde aufgehoben.

VOR DER GROSSEN REFORM

Mitte der 1960er-Jahre stand wegen der hohen Verluste im Postdienstbereich die Not- wendigkeit von Reformen zur Diskussion. 1964 beschloss die Bundesregierung, eine Sachverständigenkommission einzurichten, die die Deutsche Bundespost einer gründli- chen Analyse unterziehen sollte. Das Gutach- ten, das Bundeskanzler Ludwig Erhard Ende 1965 vorgelegt wurde, enthielt Empfehlungen wie die Trennung von Hoheits- und Betriebs­ aufgaben, die Trennung von Post- und Fern- meldewesen in zwei Betriebszweige oder die Überführung in ein öffentliches Unternehmen – es blieb aber weitgehend folgenlos. Erst nach den Wahlen im Herbst 1969, unter der sozial- liberalen Koalition, kam wieder Bewegung in die Sache. Bundeskanzler Willy Brandt sprach

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LKW mit Werbeaufschrift „Schreib mal wieder“, 1980er-Jahre 48 Prozent aller Bundesbürger schrieben schon 1975 weniger als einen Brief pro Monat, 54 Prozent waren es vier Jahre später. „Werbung tut not“, erkannte Minister Gscheidle. Die Agentur Lintas komponierte daher ab 1980 für die Kampagne „Schreib mal wieder“ Schreibanlässe zur Inspiration der „Wenigschreiber“; Fahrzeuge der Post trugen das Motto der Kampagne.

gleich in seiner Regierungserklärung die Lage des Post- und Fernmeldewesens an. Wenig später fand sich unter Staatssekretär Kurt Gscheidle eine weitere „Kommission Deut- sche Bundespost“ zusammen, die ein Gesetz über die Unternehmensverfassung der Deut- schen Bundespost entwarf, das im November 1970 dem Bundestag zur Beratung zugeleitet wurde. Postminister Georg Leber gab sich im Postjahrbuch 1971 zuversichtlich, dass das Ziel einer neuen Unternehmensverfassung in absehbarer Zeit erreicht werde. Aber er sollte sich ebenso täuschen wie Gscheidle, der be- reits ein Unternehmen vor Augen hatte, das Postamt in Illingen, 1984 flexibel agieren und planen könne. Tatsäch- Rund 25 000 Gebäude besaß die Post vor der Postreform oder hatte sie gemietet, mehr als lich wurde der Gesetzentwurf von 1971 bis die Hälfte davon war nach dem Zweiten Weltkrieg entstanden und nicht wenige in den 1980er-Jahren, als Ecken und Kanten und Beton en vogue waren. 1976 über zwei Legislaturperioden hinweg diskutiert und schließlich von Kanzler Hel- mut Schmidt ad acta gelegt. Die Deutsche Postgewerkschaft hatte bei der Besetzung des Aufsichtsrats die paritätische Mitbestimmung des Wortes den Anschluss zu verpassen. sich bereits Ende der 1980er-Jahre, ausgehend wie in der Montanindustrie gefordert, was in Die Fortschritte in der Mikroelektronik ver- ebenfalls von Brüssel, Liberalisierungsschrit- der sozialliberalen Koalition nicht einmal bei langten ebenso wie der wachsende Bedarf te ab, die 1990 in einem sogenannten „Grün- den Sozialdemokraten mehrheitsfähig war, an Telekommunikationsleistungen seitens buch Post“ mündeten. Schon im März 1985 und so blieb es beim Postverwaltungsgesetz Wirtschaft und Verbrauchern nach moder- hatte Christian Schwarz-Schilling eine neue von 1953. nen, stärker wettbewerblichen Strukturen. Kommission aus Vertretern von Politik, Wirt- Einen neuen Anlauf wagte dann schließ- Würde man den Markt öffnen – so hinge- schaft und Wissenschaft unter Vorsitz von lich die CDU/CSU-FDP-Koalition unter gen die Bedenken der Postgewerkschaft –, Professor Eberhard Witte eingesetzt, die sich Bundeskanzler . Der Reform- könnten sich neue Anbieter die Rosinen he- aber ausschließlich mit dem Telekommunika- druck kam jetzt maßgeblich von der „grau- rauspicken und die flächendeckende Versor- tionsmarkt befasste. Sie griff viele Ideen der en“ Post, dem Fernmeldebereich, denn die gung würde ebenso auf der Strecke bleiben Vorgänger auf, und ihre Empfehlungen mün- Telekommunikation war massiv im Um- wie die Arbeitsplätze bei der Post. deten schließlich im Poststrukturgesetz, das bruch: Datenverarbeitung, Bürokommuni- Im Jahr 1984 kam Bewegung in die An- am 9. Juni 1989 vom Deutschen Bundestag be- kation, Telekommunikation und Unterhal- gelegenheit, als die EU-Kommission empfahl, schlossen wurde. In Folge wurden neben dem tungselektronik wuchsen zusammen, und den Telekommunikationsmarkt zu liberali- Fernmeldebereich auch die gelbe Post und der Deutschland lief Gefahr, im wahrsten Sinne sieren. Auch für den Postbereich zeichneten Postmarkt in ähnlicher Weise reformiert.

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