Dr. Günter Rexrodt Bundeswirtschaftsminister Ad

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Dr. Günter Rexrodt Bundeswirtschaftsminister Ad BR-ONLINE | Das Online-Angebot des Bayerischen Rundfunks http://www.br-online.de/alpha/forum/vor0312/20031209.shtml Sendung vom 09.12.2003, 20.15 Uhr Dr. Günter Rexrodt Bundeswirtschaftsminister a.D. im Gespräch mit Werner Reuß Reuß: Verehrte Zuschauer, herzlich willkommen zum Alpha-Forum. Unser heutiger Gast ist Dr. Günter Rexrodt. Er ist Mitglied des Deutschen Bundestages und Bundesschatzmeister der FDP. Günter Rexrodt war Mitte bis Ende der achtziger Jahre Finanzsenator in Berlin und von 1993 bis 1998 Bundeswirtschaftsminister im Kabinett des damaligen Kanzlers Helmut Kohl. Ich freue mich, dass er heute hier ist, herzlich willkommen, Dr. Rexrodt. Rexrodt: Guten Abend. Reuß: Ihr Motto - ich glaube, ich habe es auf Ihrer Homepage gelesen - lautet: "Man sieht sich im Leben immer mehrmals." Was bedeutet Ihnen dieses Motto und welche Konsequenz hat es für Ihr Tun und Handeln? Rexrodt: Das habe ich mal in einer Zeitung geschrieben, in einer Zeit, in der man mir ziemlich übel mitgespielt hat. Da war das so gewissermaßen eine kleine Revanche: "Passt auf, man sieht sich im Leben zweimal oder öfter!" Da wollte ich einfach zurückgeben. Und das ist auch wirklich so: Ich gebe nicht zurück in dem Sinne, dass ich andere niedermachen würde, aber man merkt sich doch, wenn man persönlich verletzt wird. Ich selbst habe mir zum Vorsatz gemacht, dass ich andere Menschen auch dann, wenn ich politisch oder inhaltlich anderer Meinung bin, nach Möglichkeit nicht persönlich verletze, sondern die Auseinandersetzung in der Sache führen möchte. Reuß: "Politik ist Handwerk, nicht Mundwerk", sagt Ihr ehemaliger Kabinettskollege Norbert Blüm. Was ist denn Politik für den Homo politicus Günter Rexrodt? Rexrodt: Das ist die Möglichkeit, gestalten und verändern zu können. Ich glaube von mir sagen zu können, dass ich historisch immer interessiert war, dass ich die Entwicklung der Menschheit, der Staaten, der Gesellschaftssysteme mit großem Interesse verfolgt habe. Wenn man sich dafür interessiert, dann auch ein Stück Gestaltungsmöglichkeit zu bekommen, ist das eine faszinierende Angelegenheit. Das liegt bei mir allerdings auch ein Stück weit in der Familie: erstens, weil mein Vater bereits in der Weimarer Zeit Politiker, liberaler Politiker gewesen ist, und zweitens, weil ich meine Kindheit in der DDR verbracht habe, in einer DDR, die sich noch nicht etabliert hatte, sondern wo die Menschen und eben auch meine Familie – ich lebte damals in der Familie meiner Tante – nicht nur über das Radio immer nach Westen schauten. Die Teilung Deutschlands und die Überwindung der Teilung Deutschlands war damals wirklich noch ein großes Thema für die Menschen. Reuß: Vom französischen Moralisten Joseph Joubert stammt der Satz: "Politik ist die Kunst, die Menge zu leiten. Nicht wohin sie gehen will, sondern wohin sie gehen soll." Das ist ein Satz, der für einen Menschen wie Sie, der in der DDR aufgewachsen ist, sicherlich einen ambivalenten Klang hat. Dennoch die Frage: Muss ein demokratischer Politiker manchmal auch führen, manchmal auch Entscheidungen gegen den Willen der Mehrheit treffen? Rexrodt: Unbedingt, und je älter und erfahrener ich werde, umso wichtiger erscheint mir das. Auf der anderen Seite fange ich aber besser folgendermaßen an: Man kann nicht nur seinen eigenen Willen, seine eigenen Vorstellungen den Menschen autokratisch aufdrücken. Das wäre auch mit dem Gedanken der Demokratie nicht so ganz im Einklang. Man soll ja Repräsentant des Volkes sein: Man ist vom Volk gewählt und hat die Interessen des Volkes zu vertreten. Dann aber nur blind zu machen, was gerade Zeitgeist ist, würde ich als Populismus bezeichnen: Das ist doch eine ziemlich billige Angelegenheit. Politik zu machen ist andererseits auch nicht eine Sache des eigenen Ziels, das man mit langem Atem verfolgt: Das geht in der Regel nicht auf. Das gibt es zwar, aber in der Regel geht das nicht auf. Deshalb ist es immer eine Wechselbeziehung, inwieweit man etwas aufgreift und umsetzt und wieweit man Eigenes hinzugibt und versucht, dafür Mehrheiten und Anklang zu finden. Ich habe Letzteres, also eigene Ideen und Gedanken, immer einzubringen versucht. Das waren auch unkonventionelle Gedanken und das war daher nicht leicht: Das ist auch oft schief gegangen. Ich will das gleich mal mit einem Beispiel aus meiner Zeit als Bundeswirtschaftsminister illustrieren, ohne mich nun in besonderer Weise irgendwie besserwisserisch machen zu wollen, aber der Beweis des Gegenteils müsste erst noch erbracht werden: Ich habe immer von Liberalisierung der Post, der Energiemärkte, des Ladenschlusses gesprochen, von der Privatisierung, der Veränderung des Arbeitsmarktes und von der größeren Flexibilität des Arbeitsmarktes. Mitte der neunziger Jahre ist mir das jedoch nicht gut bekommen, gar nicht bekommen. Selbst in den eigenen Reihen nicht! Aber auch beim Koalitionspartner nicht! Ich kann mich entsinnen, dass 1994 oder 1995 in einem Papier von mir mal die Aussage enthalten gewesen ist, die Renten seien auf Dauer nicht sicher. Ich bin damals an einem Montagmorgen von Berlin kommend in Bonn gelandet: Das Erste, das ich noch im Auto mitbekommen habe, war ein Anruf des Bundeskanzlers. Er hat mich dermaßen zur Sau gemacht, dass ich dieses Thema aufs Tapet gebracht hatte. Dabei habe ich das ja gar nicht einmal offensiv unternommen: Das hat vielmehr in einem Arbeitspapier gestanden, das irgendwie nach draußen in die Öffentlichkeit gebracht worden war. Er hat mich, wie man sagen kann, bis zum Gehtnichtmehr zur Sau gemacht. Wenn man also eigene Gedanken einbringt, dann muss man auch vorsichtig sein. Aber darauf zu verzichten, wäre doch ein Riesenfehler. Reuß: Sie haben in einem Interview einmal gesagt, Ihnen sei es immer wichtig gewesen, auch die Wahrheit zu sagen, das zu sagen, was Sie für wichtig halten. Nun gibt es aber den schönen Satz des österreichischen Dichters Stefan Zweig: "Wahrheit und Politik wohnen selten unter einem Dach!" Wie offen kann man denn in der Politik überhaupt sein? Wie häufig muss man sich doch taktisch verhalten? Rexrodt: Die Wahrheit sollte man im Allgemeinen schon sagen. Ich glaube sogar, dass das die Regel ist. Ich weiß, dass das jetzt von unserem Publikum wahrscheinlich nur mit großer Skepsis aufgenommen wird: Ich glaube wirklich, dass es sogar die Regel ist, dass Politiker die Wahrheit sagen. Aber sie sagen sie nicht prononciert und zugespitzt. Sondern sie formulieren sie weich, lassen sich ein Hintertürchen und einen Ausweg offen. Das ist aber, wie ich sagen muss, zu einem gewissen Teil sogar notwendig. Denn wenn man als Politiker die Dinge zuspitzt und sie häufig so darstellt, wie sie in der Konsequenz sind oder sein könnten, dann bekommt man einen enormen Ärger von denen, die davon betroffen sind. Deshalb liegt es im Wesen der politischen Sprache, die Dinge weich zu formulieren. Sie hatten mich ja nach mir selbst gefragt: Ich darf von mir sagen, dass ich das zu vermeiden versucht habe. Freilich nicht immer, denn ich formuliere manchmal schon auch so, dass ein Kompromiss erkennbar wird. Aber wenn man genau dieses übertreibt, dann würde man ein unglaubwürdiger Politiker werden. Man würde ein Schwätzer werden und die Leute würden dann von einem sagen: "Der ist doch ein Schwätzer! Was hat der denn überhaupt gesagt? Was war das überhaupt? Das war doch alles und gar nichts!" Man muss also die Dinge nicht nur nicht falsch sagen, sondern man muss sie auch zuspitzen, damit sie die Leute verstehen. Der eine macht das mehr, der andere macht das weniger. Ich neige eher zu denen, die die Dinge wirklich beim Namen nennen. Reuß: Nun wollen ja Politiker wiedergewählt werden. Wir leben in einem föderalen System, was bedingt, dass fast immer irgendwo irgendwelche Wahlen stattfinden. Carl Friedrich von Weizsäcker stellte einmal die pointierte Frage, wie denn eine Regierung das langfristig Notwendige entscheiden könne, wenn dies kurzfristig unbeliebt ist und den Wahlerfolg bedroht. Teilen Sie seine Auffassung, dass das schwer ist? Rexrodt: Das ist zweifellos schwer, aber es führt kein Weg daran vorbei. Wir haben diese Problematik soeben schon ein bisschen angesprochen im Zusammenhang mit der Frage, inwieweit man führen muss. Dinge sind oft unpopulär und müssen trotzdem gemacht werden. Gehen wir doch mal in die gegenwärtige Politik: Wer hat es schon gerne, dass die Rente gekürzt wird oder die Rente nicht erhöht wird oder dass die Zahnbehandlung aus der Krankenversicherung herausgenommen wird? Das hat niemand gerne. Aber es muss gemacht werden, weil wir die Rentensysteme oder die Gesundheitssysteme sonst nicht mehr finanzieren können und irgendwann der große Knall kommt. Ich bin der Auffassung, dass wir aus populistischen Gründen viel zu lange gezögert haben, weil kurzfristig das Unbequeme einfach nicht gesagt wurde und diese Reformen angegangen wurden. Wir haben das so lange wie nur möglich vor uns hergeschoben. Deshalb haben wir nun dieses Desaster. Aber es muss gemacht werden. Reuß: Bleibt die Politik dabei nicht doch manchmal auf halbem Wege stehen? Ich will mal ein Beispiel aufgreifen, das für viele stehen kann. Da wird, um mehr Geld in die Kasse zu spülen, die Beitragsbemessungsgrenze für die Rentenbeiträge erhöht. Das heißt, dies bringt erst einmal mehr Geld in die Kasse. Aber die Rentenansprüche derer, die nun mehr zahlen müssen, steigen damit natürlich auch an. Und dies zu einer Zeit, in der dann später aufgrund der demographischen Entwicklung noch weniger Geld in der Kasse sein wird. Werden also die Probleme in der Politik nicht doch oft ein Stück weit in die Zukunft verlagert? Rexrodt: Das ist leider so, das stimmt. Ein anderes Beispiel von heute ist, dass es sehr populär ist, die Freiberufler oder die Beamten mit in die Rentenversicherung zu nehmen. Bei den Beamten ist das noch einmal ein anderes Thema, das stimmt, darüber müsste man wirklich gesondert sprechen. Aber wenn die Freiberufler heute auch in die gesetzliche Rentenversicherung mit einzahlen, dann kommt damit zwar mehr Geld in die Kasse. Aber am Ende bekommen dann ja auch sie aus dieser Kasse ihre Rente ausbezahlt: Und dies dann in einer demographisch sicherlich sehr schwierigen Zeit! Dies alles liegt ein Stück weit im Wesen der Demokratie begründet.
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