Rheinland-Pfalz, Der Wein Und Europa 1970–1990

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Rheinland-Pfalz, Der Wein Und Europa 1970–1990 Heinrich Küppers Rheinland-Pfalz, der Wein und Europa 1970–1990 Tafelwein und Edeltropfen – der europäische Weinmarkt in seinen schwierigen Anfängen Am 17. Mai 1987 wählten die Bürger von Rheinland-Pfalz einen neuen Landtag. Bei diesem Urnengang büßte die bis zu diesem Zeitpunkt allein regierende CDU fast sieben Prozentpunkte ein. Die Verluste waren gleichbedeutend mit einem Verlust der absoluten Mehrheit, so dass sich die Partei gezwungen sah, eine Koa- lition mit den Liberalen einzugehen, die dann bis zum November 1988 unter dem Ministerpräsidenten Bernhard Vogel amtierte. Helmut Kohl, bis 1976 selbst Ministerpräsident von Rheinland-Pfalz und in der Folge zunächst Vorsitzender der CDU-Bundestagsfraktion und von 1982 an Kanzler der Bundesrepublik, führt in seinen Erinnerungen einige Gründe für die herben Einbußen seiner Partei an. Dazu zählte für ihn auch und vor allem der „massive Verdruss“ über die „Brüsseler Agrarpolitik mit all ihren negativen Aus- wirkungen“. Dieser habe, so Kohl, zu erheblichen „Wahlenthaltungen“ zu Lasten der CDU geführt. Für den damals in Bonn amtierenden Kanzler gab es, obwohl überzeugter Europäer, keinen Zweifel daran, dass der gemeinsame Agrarmarkt verantwortlich war für das „eigentliche Problem“ der Bauern und Winzer, nämlich die Über- produktion.1 Kohl indes sah in dieser unerfreulichen Entwicklung lediglich eine 1 Helmut Kohl, Erinnerungen 1982. München 2005, S. 526. Kohl bezieht sich hier eindeutig auf die Landtagswahl von 1987 in Rheinland-Pfalz. Möglicherweise hat er dabei Erfahrungen aus Niedersachsen mitbedacht. Auch hier hatte die CDU ein Jahr zuvor stark an Stimmen verloren (minus 6,2 %) und auch hier hatte die CDU, die zuvor alleine die Regierung gestellt hatte, eine Koalition mit den Liberalen bilden müssen. In Niedersachsen verfügte das Regierungsbündnis unter dem Ministerpräsidenten Ernst Albrecht nur über eine Stimme, in Rheinland-Pfalz hatte die neue Regierung immerhin noch eine zuverlässige Mehrheit. Für den Verlust der absoluten Mehrheit wurde auch hier vor allem die Brüsseler Agrarpolitik verantwortlich gemacht, außer- dem der Reaktorunfall von Tschernobyl, der sich im Jahre 1986 ereignet hatte. Geschichte im Westen (GiW) Jahrgang 27 (2012), 211–235 © Klartext Verlag, Essen, ISSN 0930-3286 211 Geschichte-im-Westen_2012__3.indd 211 08.01.2013 09:47:01 Heinrich Küppers negative Nebenwirkung einer an sich guten Idee. Den Sinn und das Ziel eines europäischen Agrarmarktes dürfte er ähnlich beurteilt haben wie Beate Weber, SPD-Europaabgeordnete und Vorsitzende des Ausschusses für Umwelt, Gesund- heit und Verbraucherschutz. Weber war im Jahre 1987 fest davon überzeugt, der inzwischen geschaffene gemeinsame Markt für Agrarprodukte müsse gewähr- leisten, „dass Verkäufer und Käufer, Wirtschaft und Verbraucher die gleichen Chancen und Vorteile bekommen“.2 Das war gewiss ein guter wenn auch ambitionierter Vorsatz, von dem 17 Jahre zuvor die Mehrzahl der Gründungsväter eines gemeinsamen europäischen Agrar- marktes generell beseelt gewesen sein dürften. Äußerst schwierig und zäh sollte sich jedoch vor allem der Übergang zu einem gemeinsamen Weinmarkt erwei- sen, weil gerade hier die bislang merkantil geschützten Märkte der Einzelstaaten ein kompliziertes Netz an Interessen gebildet hatten.3 Wein in Europa, das war in den Anfängen der Europäischen Gemeinschaft ein heikles Thema mit vielen Facetten. Es soll und kann hier nicht im Detail ausgebereitet werden. Es genü- gen Stichworte, um die Gegensätze in ihrer Bedeutung zu kennzeichnen. Die Unterschiede beginnen bereits beim Klima, setzen sich fort in den kultivierten und angebauten Rebensorten sowie in den Methoden ihrer Verarbeitung zu Wein und enden bei den betrieblichen Strukturen, dem Weinrecht, der Besteuerung, der Vermarktung und irgendwann bei den Kauf- und Trinkgewohnheiten der Verbrau- cher. Bei einem Riesling von der Mosel, einem Pinot Noir aus dem Burgund und einem Nero d’Avola aus Sizilien lässt sich zwar der gemeinsame Nenner Wein finden und dennoch liegen zwischen den hier beispielhaft vorgestellten Produkten Welten. Ein weiterer Unterschied verbirgt sich hinter dem Begriff Qualität. Hier reicht die Spannweite von den einfachen Tafelweinen bis zu den Spitzenweinen aus besten Lagen, vom Massenwein bis zu weltberühmten Edeltropfen aus Frank- reich und Italien. Angesichts dieser Ausgangslage liegt es auf der Hand, dass in diesem Beitrag wiederholt sozialgeschichtliche Fragen aufgeworfen werden müssen. Aber die stehen nicht im Mittelpunkt. Das Kernanliegen dieses Aufsatzes ist vielmehr die Darstellung des Anpassungsprozesses und der durch ihn wirksam gewordenen Probleme, denen der Weinbau in Rheinland-Pfalz infolge des im Jahre 1970 eingeführten europäischen Weinmarktes ausgesetzt war. Den Übergang von den nationalökonomisch strukturierten Weinmärkten der Vergangenheit zu einem gemeinsamen (west-)europäischen Weinmarkt konnten Betriebe von Weltruf wie etwa Lafite-Rothschild (Bordeaux), Leflaive (Burgund) 2 Archiv der sozialen Demokratie (AdsD), AA 8. Manuskript zur Sitzung vom 8. Mai 1987, Bestand Nachlass Beate Weber. 3 Vgl. Franz Knipping, Rom, 25. März 1957. Die Einigung Europas. 20 Tage im 20. Jahrhundert. München 2004, S. 163. 212 Geschichte-im-Westen_2012__3.indd 212 08.01.2013 09:47:01 Rheinland-Pfalz, der Wein und Europa 1970–1990 oder Antonori (Toskana) gelassen entgegen sehen. Aber für die Winzer in Wein- baugebieten von regionaler Bedeutung wie etwa die Mosel oder die Pfalz bedeu- tete ein grenzüberschreitender Wettbewerb Wagnis und Ungewissheit. Weine aus deutschen Landschaften hatten vor allem die Konkurrenz von Mas- senproduktionen aus Süditalien und Südfrankreich zu fürchten. Die Erzeugnisse aus diesen Gebieten waren zwar qualitativ unterlegen, jedoch äußerst preisgünstig und darum eine große Gefahr für eine wirtschaftlich vernünftige Kalkulation. Otto Meyer, in den Anfängen des europäischen Weinmarktes amtierender Wein- bauminister in Rheinland-Pfalz, schätzte die Situation durchaus richtig ein, als er im Jahre 1971 dazu aufrief, Weine aus deutschen Anbaugebieten „gegenüber den EWG-Tafelweinen scharf abzugrenzen“.4 Im Interesse seiner Zielsetzung schlug er eine neue Kategorie vor: den Qualitätswein aus bestimmten Anbaugebieten (QbA-Weine). Er sollte auf dem europäischen Weinmarkt prinzipiell in seinem höheren Wert zum Tafelwein anerkannt sein. Meyer wollte damit im Grunde eine neue Güteklasse ins Spiel bringen. Für deren Qualifikation sollte nicht mehr der Anbauraum vorrangig bestimmend sein, sondern die Traubensorte. Unter dieser Prämisse waren in der Tat die Interessen „seiner“ Winzer in Brüssel besser zu vertreten. Allerdings sollte sich seine Strategie erst nach einer längeren Anpas- sungsphase auszahlen. Als Beispiel sei der Riesling genannt. Er gilt heute neben dem Chardonnay als beste Weißweintraube. Kommt er von der Mosel, so genießt er sogar besonders hohes Ansehen – aber erst seit der Jahrtausendwende. Davor hatte die Winzer gerade in dieser Region trotz dieser hervorragenden Rebe eine wirtschaftlich schwere Zeit durchzustehen. Ein wesentlicher Grund für diese Krise lag in den Schwachstellen und Lücken jener Regeln, die für den seit Juni 1970 existierenden Weinmarkt maßgeblich waren. Problematisch, weil dehnbar, waren hier vor allem die Richtlinien über die Preisbildung. Zwar beinhaltete die nun mehr gültige Marktordnung Aussagen über untere Preisgrenzen, eventuell einzuräumende Ausgleichszahlungen, den aktuellen Bestand an Anbauflächen und eine nach Weinbaugebieten differenzierte Liste über die zu beachtenden Vorschriften bei der Produktion von Wein. Doch der Text war in einigen Passagen zu vage formuliert, um verbindlich für alle zu sein.5 Für den besorgten Weinbauminister Meyer waren die „Schlupflöcher“ im nunmehr geltenden Weinrecht der Europäischen Gemeinschaft Grund genug, bestrebt zu sein, dass möglichst viele Weine seines Landes höher eingestuft wur- 4 Zitiert nach einer maschinenschriftlich gefertigten Aufzeichnung des Pressereferats des rheinland-pfälzischen Ministeriums für Landwirtschaft, Weinbau und Forsten – 17/71 – vom 17.2.1971. Archiv für Christlich Demokratische Politik (ACDP), NL Otto Meyer 01–602. 5 Pressereferat des rheinland-pfälzischen Ministeriums für Landwirtschaft, Weinbau und Forsten vom 23. April 1970. – Vermerk 44/70 – ACDP, NL Otto Meyer 01–602. 213 Geschichte-im-Westen_2012__3.indd 213 08.01.2013 09:47:01 Heinrich Küppers den als einfache Tafelweine. Diese Position vertrat er unverblümt. So zum Bei- spiel auch am 19. Januar 1971 in Koblenz. Es war der Tag, an dem die Landwirt- schaftskammer Rheinland-Pfalz die Weine des letzten Jahrgangs prämierte. Bei dieser Gelegenheit definierte Meyer den Begriff Qualitätswein. Dieser könne, so der Minister, europaweit nur dann Anerkennung finden, wenn „die Blume, die Fruchtsäure und die Harmonie der Geschmackstoffe“ grundsätzliche Ziele der Weinerzeugung seien und blieben. Unter dieser Voraussetzung seien, so Meyer, „die niedergrädigen (sic!) deutschen Moste qualitativ den alkoholreichen südli- chen Weinen überlegen“.6 Bis zum Jahre 1985, dem Ende der Amtszeit Meyers als Weinbauminister und nur wenige Wochen vor dem Bekanntwerden des Skandals um die sogenannten Glykolweine, sollte der Kompass auf das politisch ausgegebene Ziel Qualitäts- wein ausgerichtet bleiben. Kein Zweifel, die von Meyer ausgegebene Parole, den Wein aus Rheinland-Pfalz durch Qualität von Weinquantitäten abzuheben, wurde in den siebziger Jahren strikt und vehement vertreten. Doch als die Wein- wirtschaft zwischen Queich und Ahr Bilanz ziehen musste, kam sie nicht
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