11/08/2010 Mafia: Der Pate wohnt hier nicht meh…

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MAFIA Der Pate wohnt hier nicht mehr In Sizilien wächst der Widerstand gegen die Mafia. Alte Mafia-Häuser und -Ländereien werden in touristische Einrichtungen verwandelt. Die Einnahmen gehen an Mafia- Gegner.

VON Helmut Luther 10.6.2010 - 14:36 Uhr

© Matzge / photocase.com

Auf Sizilien versuchen Initiativen, die Mafia mit Tourismus zu bekämpfen

Es ist nicht einfach, Peppino Impastatos Wohnhaus zu finden. Dabei ist , sein Heimatort, eine knappe Autostunde westlich von entfernt. Ein winziges Nest, das sich zwischen der Küste und dem bedrohlich aufragenden Monte Longa hinduckt. Dessen nackte Kalkwände geben noch spätabends die gespeicherte Hitze der glühenden Sonnenstrahlen ab. Auf den steinigen, nicht mehr bearbeiteten Äckern rund um das Dorf leuchtet roter Klatschmohn. Über den knorrigen Olivenbäumen liegt ein silbriges Licht, bis zum Küstenstreifen erstreckt sich das helle Grün und löst sich vor dem azurblauen Meer in eine flirrende Unschärfe auf.

In diesem verschlafen wirkenden Flecken mit ein paar Häuserzeilen im Zentrum und hässlichen Wohnsilos an den ausgefransten Rändern, weist einem kein Schild den Weg zu Peppino Impastatos Haus. Darauf angesprochen, geben die Einheimischen vor, den Namen Impastato nie gehört zu haben. "Impossato, wie?", zeit.de/reisen/…/mafia-reise-italien-2… 1/6 11/08/2010 Mafia: Der Pate wohnt hier nicht meh… sagen die Alten an der Piazza Garibaldi und ziehen ihre Schiebermützen tief über die Augen herunter. Für sie ist das Gespräch mit den Leuten von auswärts nun beendet. Schweigen, Achselzucken auch bei den Jungen, eine drückende, geisterhafte Stille liegt über dem Ort.

Die abweisende Haltung der Dörfler ist wahrscheinlich kein Zufall. Denn Cinisi gilt als eine Hochburg der Cosa Nostra. Und Peppino Impastato hat die Mafia bekämpft. Es war ein ungleiches Ringen: mit Gedichten, einem Radiosender und Satiretexten zog der junge Gewerkschafter gegen die Mafia ins Feld. In Sizilien ist es aber selten der Fall, dass der Schwächere, auch wenn sich das Recht auf seiner Seite befindet, in der Auseinandersetzung mit einem Mächtigen siegt.

Peppino Impastato unterlag den Bossen, er wurde im Auftrag von Gaetano Badalamenti ermordet. Das geschah vor über dreißig Jahren, doch Giovanni, Peppinos Bruder, sagt, dass sich in Cinisi kaum etwas verändert hat. "Hier herrscht immer noch die Cosa Nostra." Giovanni Impastato muss es wissen, denn er ist der einzige männliche Überlebende aus der Familie, die tief in die Machenschaften der Mafia verstrickt war. Sein Onkel Cesare Manzella, ein einflussreicher Pate, wurde 1968 durch eine Autobombe in die Luft gejagt. Der 15- jährige Peppino ging damals auf Gegenkurs. Es folgten endlose Streitigkeiten in der Familie, schließlich kam es zum Bruch mit dem Vater, der später ebenfalls ermordet wurde.

Giovanni Impastato empfängt die Besucher bei verschlossenen Fensterläden, aber er versichert, dass er keine Angst habe. Giovanni folgte dem Vorbild seines älteren Bruders und leitet jetzt das Dokumentationszentrum über die Mafia im ehemaligen Wohnhaus der Familie. In Italien ist der mutige Gewerkschafter Peppino Impastato ein Mythos. Zur Erinnerung an den bewunderten Bruder und im Kampf gegen die organisierte Kriminalität, die nicht nur Sizilien betreffe, reist Giovanni durch das ganze Land. Denn etwas ist doch anders geworden in Cinisi sowie im restlichen Sizilien: der Bann des Schweigens, das Gesetz der Omertá , ist gebrochen. Die Menschen schauen nicht mehr weg und bilden Bürgerbewegungen wie , eine Anti-Schutzgeld-Initiative aus Palermo, die auch Touren zu diesem Thema organisiert. ist das sizilianische Wort für Schutzgeld.

Dabei soll es um Information und soziales Engagement gehen, nicht um die voyeuristische Lust am Gruseln. Man muss der Mafia den öffentlichen Raum streitig machen: aus diesem Ansatz ist Addiopizzo entstanden. In einem zweiten Moment kam die Idee zum touristischen Angebot, das bisher vor allem von italienischen Schulklassen genutzt wurde.

An der Piazza Giulio Cesare vor dem Bahnhof von Palermo wartet Francesca zeit.de/reisen/…/mafia-reise-italien-2… 2/6 11/08/2010 Mafia: Der Pate wohnt hier nicht meh… Vannini mit einer blauen Vespa. Sie hat einen zweiten Helm für den Gast mitgebracht, auf dem Motorroller beginnt nun eine Sightseeingtour der besonderen Art. "Palermo hat nicht nur bleierne Tristesse und den Charme eines Todgeweihten zu bieten, unsere Stadt hat viele Gesichter", verkündet Francesca in Richtung Soziussitz und brettert die breite Via Maqueda hinunter. Die dunkelhaarige Süditalienerin ist jung, couragiert und voller Lebensfreude. Sie liebt ihre Heimatstadt, die auf den ersten Blick gar nicht liebenswert aussieht.

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Früher war das hier Mafia-Land. Jetzt ist das "Terre di " ein Bed&Breakfast

In den verwinkelten Gassen, die von der Via Roma und der Maqueda abzweigen, dunkel und schmal, nicht für dicke Autos gemacht, sondern für Maultiere und Fußgänger, riecht es nach Verwesung. Die gelockerten Pflastersteine, von den Einheimischen balate genannt, klappern unter den Schritten der Passanten. An den maroden Fassaden türmen sich Müllberge empor. Man blickt auf vernagelte Fensterfronten und in sich zusammengestürzte Häuser, zwischen den Resten ehemaliger Palazzi wachsen dornige Sträucher.

Etwa 150.000 Menschen lebten einst in einem der größten Altstadtzentren Europas. Heute sind es keine 50.000 mehr – wobei den Fortgezogenen nicht wie andernorts Banken, internationale Geschäftsketten und reiche Palermitaner in schick renovierten Wohnungen folgten, sondern der scheinbar unaufhaltsame Verfall. Auch das, sagt Francesca Vannini, hänge mit der Mafia zusammen. "Die Clanchefs kontrollieren ganze Stadtviertel, wo die Polizei und Stadtverwaltung längst kapitulierten. Offiziell funktionieren auch die Strom- und Trinkwasserversorgung nicht. Wenn die Leute trotzdem über beides verfügen, dann weil die Mafia illegal das öffentliche Netz anzapft." So entstehe ein Kreislauf der Abhängigkeiten. Und dieser bewirke, dass sich die Menschen, wenn sie etwas zeit.de/reisen/…/mafia-reise-italien-2… 3/6 11/08/2010 Mafia: Der Pate wohnt hier nicht meh… brauchen, nicht an die öffentliche Hand wenden, sondern an die Bosse – und dafür die Sache der Cosa Nostra unterstützen.

Doch es wird nicht mehr alles wie eine Schicksalsfügung hingenommen. Es regt sich Widerstand, es gibt Zeichen der Hoffnung. In Palermo, , Messina und Catania, in allen größeren Zentren, sind Addiopizzo-Bewegungen entstanden. Mit Einfallsreichtum und Zivilcourage bieten die Bürger der Krake Mafia die Stirn. Auf ihren Stadtrundfahrten bringt Francesca Vannini die auswärtigen Gäste zu Handwerksbetrieben, Geschäften und Restaurants, die das Logo der Cosa-Nostra- Gegner ziert: ein X in einem orangefarbenen Kreis mit dem Schriftzug Addiopizzo.

Da ist der Laden am Ballaro-Markt, der sich auf die Herstellung der Coppola spezialisiert hat: der berüchtigten schiefen Mütze, dem Markenzeichen des Mafioso, wie es Robert De Niro als Vito Corleone in dem großen Kinofilm Der Pate trug. Oder zur Antica Focacceria di San Francesco gegenüber der gotischen Basilica San Francesco d´Assisi. In dem schönen Jugendstilbau werden traditionelle sizilianische Köstlichkeiten aufgetischt: etwa panierte Schwertfischrouladen mit Pinienkernen. Oder die Panini alla milza, gewöhnungsbedürftig schmeckende Brötchen mit gebratener Kalbsmilz und Ricottakäse.

Als Vincenzo Conticello vor einigen Jahren bedroht wurde, weil er sich weigerte Schutzgeld zu zahlen, erstattete er Anzeige und die Mafiosi wanderten hinter Gitter. Seitdem begibt sich der Restaurantinhaber, dem man seine Leidenschaft für gutes Essen ansieht, nur mehr in Begleitung von Leibwächtern außer Haus. Trotzdem ist Vincenzo Conticello stolz, Mitglied der Addiopizzo-Bewegung zu sein. "Bei uns können die Gäste mit Würde speisen, sie können sicher sein, dass ihr Geld nicht bei der Mafia landet", sagt er. Durch die Unterstützung der deutschen Botschaft können sich Urlauber nun sogar individuell auf eine moralisch einwandfreie Palermotour begeben, denn in den städtischen Tourismusbüros liegt ein kostenloser Stadtplan mit einer Liste sämtlicher Pizzo-freier Betriebe auf.

Das ist ein schöner Erfolg für die Addiopizzo-Aktivisten. Angefangen hat alles vor sechs Jahren, als Francesca Vannini, Edoardo Zaffuto und einige andere junge Palermitaner nach dem Studium eine Kneipe in ihrer Heimatstadt eröffnen wollten. "Aber sehr bald stellte sich die Frage, was wir machen, wenn die Mafia mit Schutzgeldforderungen kommt", erzählt Edoardo Zaffuto, der für die Öffentlichkeitsarbeit in der Gruppe zuständig ist. Die Antwort war eine abenteuerliche nächtliche Aktion. Am nächsten Morgen, es war ein heißer Junitag, rätselte ganz Palermo über weiße Zettel mit einem schwarzen Trauerrand, die an Hunderten von Hauswänden, Ampeln und Büroeingängen befestigt waren. zeit.de/reisen/…/mafia-reise-italien-2… 4/6 11/08/2010 Mafia: Der Pate wohnt hier nicht meh… "Ein Volk, das Schutzgeld zahlt, ist ein Volk ohne Würde", mussten die eingeschüchterten Hauptstadtbewohner lesen. Noch heute grinsen Zaffuto und seine Mitstreiter, wenn sie sich daran erinnern, dass der regionale Nachrichtensender als erste Meldung des Tages von der heimlichen Demonstration berichtete. Der Polizeichef rief seine Leute zu einer Dringlichkeitssitzung zusammen. Inzwischen ist die Zahl der Aktiven auf etwa 40 angewachsen und über 400 städtische Betriebe haben sich verpflichtet, kein Schutzgeld zu zahlen. Das klingt ziemlich bescheiden für eine Stadt mit einer Million Einwohner und rund 20.000 eingetragenen Firmen.

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Das Städtchen Corleone wurde bekannt durch den Roman "Der Pate"

"Es ist ein kleiner Schritt", sagt Edoardo Zaffuto. "Aber in Sizilien, wo schätzungsweise 80 Prozent aller Gewerbetreibenden den Pizzo zahlen, geht davon ein wichtiges Signal aus." Dass Italiens Innenminister Roberto Maroni den Tourismus als wirkungsvolles Mittel gegen die Mafia entdeckt hat, kommt den Aktivisten nur entgegen: Güter der Mafia werden enteignet und mit Mitteln der Europäischen Union in Genossenschaften umgewandelt, darunter Ferienimmobilien, Weingüter oder Olivenölfabriken. In den vergangenen zwei Jahren wurden mehr als zehn Milliarden Euro sowie rund 15.000 Gebäude, Villen, Grundstücke und Fabriken beschlagnahmt. In den Mafia-Hochburgen gelingt vielerorts ein Neubeginn auf verbrannter Erde.

In den von der Mafia konfiszierten Häusern sind nun Agritourismo-Betriebe, die Übernachtungen anbieten. Reisende können die landwirtschaftlichen Produkte kaufen, die auf ehemaligen Feldern der Cosa Nostra heranreifen. Und in Restaurants, die Mitglieder von Addiopizzo sind, die landestypischen Spezialitäten probieren. Selbst in Corleone, der Stadt, die durch den Roman Der Pate von Mario zeit.de/reisen/…/mafia-reise-italien-2… 5/6 11/08/2010 Mafia: Der Pate wohnt hier nicht meh… Puzo bekannt wurde, haben sich die Dinge verändert.

Mehr zum Thema Wie Cinisi steht die Kleinstadt im Mafia Deutscher Verlag verärgert Anti-Mafia- gebirgigen Inselinneren im Ruf, ein Kämpfer Bollwerk der Mafia zu sein. Die Italien Werbung für die Mafia? Bosse Toto Riina, Michele Navarra, Luciano Liccio und der im Jahr 2006 Schlagworte verhaftete Organisierte Kriminalität | Reise | Italien | Kultur stammen alle aus Corleone. Im Auftrag der Clans wurden hier in den vergangenen Jahrzehnten etwa 300 Morde verübt. Auch in Corleone gibt es ein Dokumentationszentrum über die Mafia. Doch die Jugendlichen, die auf ihren frisierten Motorrollern herumlungern, sehen gleichgültig weg, wenn man sie nach dem Weg fragt. Auch die Alten im Centro Anziani, die gerade noch so viel zu erzählen hatten, ziehen es vor, zu schweigen. Die Stille fühlt sich unheimlich an, wenn man durch die engen Holpergassen zum Cidma genannten Dokumentationszentrum hinaufsteigt. Dort hüten die Verantwortlichen erschütternde Fotos von Mafiaopfern und in wandfüllenden Regalen die Akten des Maxiprozesses von 1986 bis 1987, in dem über 400 Mitglieder der kriminellen Vereinigung verurteilt wurden. Leider, sagt Massimiliana Fontana, während sie die Gäste in den Räumlichkeiten herumführt, werde man von der Gemeinde kaum unterstützt.

Auch der Wärter auf dem weitläufigen Friedhofsareal am Stadtrand kann einem nicht zeigen, wo hier die Opfer und wo die Täter begraben liegen. Doch die Mausoleen der Provenzanos und Riinas stechen durch ihren Prunk hervor. Frische Blumen schmücken die Eingänge. "Ich mache hier nur meine Arbeit, um die Angelegenheiten anderer kümmere ich mich nicht", sagt der hagere Mann und lugt skeptisch aus seinem Verschlag hinter dem Eingangsgitter hervor. Dann erzählt er, dass hier in den siebziger und achtziger Jahren ständig Schießereien stattgefunden hätten. "Nachts verschlossen wir die Fensterläden und keiner traute sich aus dem Haus." Aber heute sei es in Corleone wieder friedlich. Nur zwei oder drei Morde habe es in den vergangenen Jahren gegeben. Die Stadt, sagt der Friedhofswärter, gelte jetzt als ruhig. Er sieht sich um. Dann fügt er leise an: "... und absolut mafiafrei."

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