Guck Mal, Wie
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I DEBATTE I 18.12.2020 · Nr. 51/52 I epd medien 3 Guck mal, wie süß Von Babys und Influencern / Von Cornelia Holsten epd Es gibt durchaus Babyfotos von Influencern, die im Schutzraum der Kinder - ihrem eigenen Zimmer - an die Bilder von Anne Geddes erinnern. Für alle, die fotografiert und nicht in einem separaten Studio. nach 1980 geboren sind und vielleicht nicht wissen, wer Anne Geddes ist: Von ihr stammen zahlreiche Fotos Zu Recht verweisen sogar die kürzlich herausgegebenen von Babys in ungewöhnlichen Situationen, zum Beispiel Handlungsempfehlungen einer Arbeitsgruppe um den in der Blüte einer Blume, als Biene oder auch der Verein Media Smart darauf, dass das Kinderzimmer für Oberkörper eines Babys montiert auf einen Blumentopf. Drehaufnahmen tabu sein sollte, um die Privatsphäre von Kindern zu schützen (vgl. Meldung in dieser Ausgabe). Der wichtigste Unterschied zwischen den Fotos von da- Die Empfehlungen richten sich an Kinder-Influencer, die mals und den Posts von heute liegt in der kommerziellen selbst - mit Hilfe ihrer Eltern - Content produzieren. Dem Ausrichtung. Früher ging es vor allem um eine künst- Verein gehören beispielsweise Lego, Ferrero und Super lerische Form der Fotomontage, und die Vermarktung RTL an. Aber es gibt einen großen Unterschied zwischen sollte allenfalls darüber erfolgen, dass diese Bilder ver- Kinder-Influencern und Babys, deren kommerzialisierte kauft wurden. Demgegenüber geht es den Influencern, Fotos von ihren Influencer-Eltern gepostet werden, die Fotos ihrer Babys posten, in der Regel um reines bevor sie sprechen und laufen können. Das sieht auch Marketing. Was zählt, sind Klicks und die Schaffung der Gesetzgeber so. von Reichweite. Den zweiten Unterschied konnte man sich in den 80er Jahren noch gar nicht vorstellen: Keine Regulierungsmöglichkeit Influencer, die Babyfotos posten, nehmen in Kauf, dass hier Bilder und Videos von Kindern mit sensiblen Daten epd Fast jeder hat das wohl schon einmal ge- wie Geburtsdatum, Wohnort und vollständigem Namen sehen: Influencerinnen und Influencer, die verknüpft werden. beispielsweise auf Instagram mit ihren Babys posieren und wie nebenbei für ein Produkt Von Influencer-Eltern, deren Kinder im Grundschulalter werben. Das wirkt nahbar und ruft entzückte sind, hört man als Argument oft: „Die machen das ja Kommentare bei den Followern hervor, ist aber freiwillig“, oder auch: „Draußen kann ja auch jeder mein bei genauerer Betrachtung sehr problema- Kind sehen.“ Aber wie ist die Situation bei den unter tisch, findet Cornelia Holsten, Direktorin der Dreijährigen? Auch Kleinkinder sind immer häufiger auf Bremischen Landesmedienanstalt. Denn da- reichweitenstarken Posts zu sehen. Der nachfolgende durch, so argumentiert die Medienaufseherin Beitrag beschäftigt sich mit diesem Phänomen, dem Ver- in ihrem Beitrag für epd medien, werden Klein- such einer juristischen Einordnung und dem Aufzeigen kinder für die kommerziellen Interessen ihrer von regulatorischen Defiziten. Eltern eingesetzt - und künftig wächst eine Generation heran, die mit einer eigenen Ver- Fehlender Rückzugsort gangenheit im Netz leben muss, ohne darüber aktiv entschieden zu haben. Das Internet ver- Bei den unter Dreijährigen, die auf Social-Media- gisst schließlich nichts. Holsten zeigt auf, dass Werbepostings zu sehen sind, sind ihre Influencer-Eltern es bisher auf keiner Ebene regulatorische Ein- Auftraggeberin und Fürsorger in einer Person. In der griffsmöglichkeiten bei dieser Praxis gibt. Sie Regel haben Influencer bereits eine gewisse Reichweite fordert Sicherheit für Babys und Orientierung erlangt, bevor sie Eltern werden und sodann auch Bilder für Influencer. des Neugeborenen und später älter werdenden Kindes zeigen. Es gibt zahlreiche Beispiele hierfür, ein kurzer Ausflug in die bunte Welt von Instagram reicht aus, Nach dem Gesetz zum Schutze der arbeitenden Ju- um sich ein Bild davon zu machen. Nun könnte man gend (Jugendarbeitsschutzgesetz - JarbSchG) ist die einwenden, dass dies vergleichbar mit einem Werbespot Beschäftigung von Kindern verboten. Kind im Sinne für Windeln sei, in dem in der Regel auch ein Baby des JArbSchG ist, wer noch nicht 15 Jahre alt ist. gezeigt wird. Ein bedeutender Unterschied liegt in dem Zwischen 15 und 18 Jahren ist man nach dem JArbSchG mangelnden Rückzugsort bei Posts, die im eigenen Haus „Jugendlicher“. Wird noch die Schule besucht, gelten aufgenommen worden sind. Denn in der Regel wird aber auch für Jugendliche die Vorgaben für Kinder. das Kind in den eigenen vier Wänden, oftmals sogar Klingt kompliziert? Das ist erst der Anfang! Paragraf 4 epd medien I Nr. 51/52 · 18.12.2020 I DEBATTE I 6 JArbSchG regelt, welche Ausnahmen die Behörden ter als Zielgruppe für Marketingaktivitäten interessant. erlauben dürfen, damit Kinder beispielsweise bei Thea- Nach dem JArbSchG dürfen behördliche Ausnahmege- tervorstellungen oder bei Drehaufnahmen mitwirken nehmigungen für Drei- bis Sechsjährige für bis zu zwei können. Ergänzt wird das Gesetz durch die Verordnung Stunden täglich in der Zeit von 8 bis 17 Uhr erteilt über den Kinderarbeitsschutz (Kinderarbeitsschutzver- werden. ordnung - KindArbSchV), wonach Kinder ab 13 Jahren beispielsweise Zeitungen austragen dürfen. Nur ein Post vom Baby auf der Kuscheldecke mit dem neuen Schnuller oder den neuen Kleidern fühlt sich Überhaupt keine Ausnahmen möglich sind bei Kin- offenbar sehr harmlos an und führt ja auch zu keiner dern unter drei Jahren - das heißt, für Kleinkinder direkten Bedrohung. Aber er schafft Aufmerksamkeit ist jede Beschäftigung grundsätzlich verboten. Kinder für die Influencer, und wer freut sich nicht über Zu- können allenfalls in ihren natürlichen Lebensäußerun- spruch für das eigene süße Kind? Niemand will seinem gen fotografiert oder gefilmt werden, dies liegt im Kind schaden, und mit ein wenig Übung wird das Verantwortungsbereich der Eltern. Eine behördliche entsprechende Foto vielleicht nur zehn Minuten gedau- Ausnahmegenehmigung scheidet aus. ert haben. Gleichwohl: Kinder sind nun einmal umso schutzbedürftiger, je jünger sie sind. Baby-Influencer Erhebliche Rechtslücken sind letztlich nur ein „willenloses Werkzeug“ im Einsatz ihrer Eltern. Die geltende Rechtslage nach dem JArbSchG ist ein weiteres (unbefriedigendes) Beispiel dafür, dass die Über-Kommerzialisierung der Kindheit Anwendung von Gesetzen aus der analogen Zeit auf unsere Gegenwart mitunter zu Defiziten führt. Das Das Hauptproblem liegt darin, dass es für den ge- Gesetz stammt ursprünglich aus 1976 und ist mithin zielten Einsatz von Kindern unter drei Jahren auf deutlich älter als die Erfindung des Smartphones und Social-Media-Kanälen keine regulatorischen Eingriffs- die meisten Influencer. Auch wenn es zuletzt im Oktober möglichkeiten gibt. Dies gilt nicht nur für die deutsche 2020 geändert wurde, sucht man neue Regelungen für Rechtsordnung, auch auf europäischer Ebene sucht man Kinder unter drei Jahren (und ihre Eltern!) vergeblich. vergebens nach Anknüpfungspunkten, beispielsweise Eine Übertragung der entsprechenden Normen aus dem in der EU-Mediendienste-Richtlinie (AVMD-Richtlinie). JArbSchG auf die Gegenwart führt mithin zu erheblichen Ordnungspolitisch ist das sicherlich nachvollziehbar, Lücken und bietet für das hier skizzierte Problem keine da Posts von Babys den Nutzenden in der Regel nicht Lösung. gefährden, jedenfalls dann nicht, wenn jugendmedien- schutzrechtliche Vorgaben erfüllt und die Regeln zur Dies soll nicht als Appell verstanden werden, nun auch Werbekennzeichnung beachtet wurden. Aber hier nimmt Ausnahmeregelungen für Kleinkinder in den Gesetzes- ein Bereich an Fahrt auf, der vielleicht doch Leitplanken katalog aufzunehmen, denn das würde die Problematik verdient, an denen sich junge Eltern orientieren können. schließlich nicht lösen. Kinder unter drei Jahren sind uneingeschränkt schutzbedürftig und von Fürsorglich- Was würde dagegensprechen zu verlangen, dass das keit abhängig. Ausnahmegenehmigungen nach dem Gesicht von unter Dreijährigen im Influencer-Marketing JArbSchG nützen einem Säugling nichts, er würde sich nicht gezeigt werden darf? Oder dass der echte Name im Laufe seines Lebens daran ebenso wenig erinnern nicht angegeben werden darf? Oder dass es keine wie an Fotoaufnahmen mit seinen Influencer-Eltern. Aufnahmen im Kinderzimmer geben darf, keine kompro- Er wird diese Aufnahmen aber auch nicht vergessen mittierenden Positionen? Ist der Wunsch, dass ein Baby können, dafür sorgt das Netz von ganz allein. nicht vermarket werden darf, zu hoch gegriffen? Es ist ein großer Unterschied, ob ein Kleinkind in einem Fern- Daneben gibt es noch den Jugendmedienschutz- sehspot zu sehen ist oder ob viele intime Augenblicke Staatsvertrag (JMStV). Gemäß Paragraf 6 JMStV darf der gesamten Kindheit auf Instagram gezeigt werden. Werbung keine direkten Kaufappelle an Kinder beinhal- Einer Über-Kommerzialisierung der Kindheit sollten wir ten oder das besondere Vertrauen ausnutzen, welches nicht tatenlos zusehen und ratlos mit den Schultern Kinder zu Eltern, Lehrern und anderen Vertrauensper- zucken. sonen haben. Da die einschlägigen Posts sich in erster Linie an junge Eltern richten, dürfte dieser Aspekt Es ist an der Zeit, über Regeln für den Bereich der Baby- vorliegend zu vernachlässigen sein. Er wird erst bei Influencer nachzudenken. Influencer, die ihre Babys für Kinder-Influencern in einem Alter ab fünf bis zu sechs die Generierung von Reichweite und Schaffung zusätzli- Jahren relevant, weil dann auch die eigene Medien- cher Marketingaufträge vermarkten, sollten mindestens nutzung von Kindern steigt und sie entsprechende