VOLKER WICHTER, ANNE FITZGERALD, MARC MEURER Klimaschutz im Hunsrück – die Entstehung des Nahwärmeverbundes -Külz

n der ersten Augustwoche 2016 war es so ges vorzuweisen. Auf den Gemarkungen von Külz weit: Über 70 Grad heißes Wasser lief erstma- und Neuerkirch stehen inzwischen je neun Wind- Ilig durch das 6.100 Meter lange Nahwärme- kraftanlagen. In beiden Gemeinden wird über pri- netz in die ersten Hausanschlüsse von Neuer- vate Photovoltaik-(PV-)Anlagen Strom erzeugt kirch und Külz. Ab der Heizperiode 2016/2017 (31 PV-Dachanlagen mit 311 Kilowatt-Peak in werden insgesamt 143 Anschlussnehmerinnen Külz und 23 PV-Dachanlagen in Neuerkirch mit und Anschlussnehmer in den zwei benachbarten einer Gesamtleistung von 351 Kilowatt-Peak). Bei- Ortsgemeinden mit erneuerbarer Wärme ver- de Gemeinden sind aktuell dabei, ihre Straßenbe- sorgt. Diese wird über zwei Holzhackschnitzel- leuchtung auf LED umzustellen. Zudem betreibt kessel mit einer Wärmeleistung von 900 bzw. Külz bereits seit 2009 ein kleines Nahwärmenetz 360 Kilowatt sowie einem großen Solarthermie- für 12 Häuser, das mit zwei Holzpelletkesseln be- feld mit 1.422 Quadratmetern Kollektorfläche feuert wird. gewonnen. In den beiden Gemeinden werden ab sofort jährlich Einzelfeuerungsanlagen mit einem Verbrauch von rund 400.000 Litern Heizöl Frühzeitige Bürgerbeteiligung

ersetzt und mehr als 1.200 Tonnen CO2-Emissionen einspart. Damit Neuerkirch trotz des demographischen Wandels zukunftssicher gestaltet werden kann, hatte der damalige Gemeinderat ein Entwick- Nachhaltige Dorfentwicklung lungskonzept für Neuerkirch ins Leben gerufen – „Fit für die Zukunft“. Eine Bürgerbefragung zielte Die Idee eines Nahwärmenetzes war kein sponta- darauf ab, die empfundenen Stärken und Schwä- ner Einfall, sondern das Ergebnis einer langfristig chen von Neuerkirch in Erfahrung zu bringen und ausgelegten Auseinandersetzung mit dem Thema die Bereiche mit einem Entwicklungsbedarf zu Dorfentwicklung in beiden Gemeinden. Neuer- identifizieren. Als Ergebnis der Befragungsauswer- kirch und Külz, beides Ortsgemeinden der Ver- tung wurden im Rahmen des jährlichen Bürgerge- bandsgemeinde , liegen dicht aneinander sprächs Interessenten für die Bildung dreier Ar- und werden nur durch den -Rad- beitsgruppen gesucht. Im Mai 2013 trafen sich weg, der über die Trasse der ehemaligen Huns- dann zum ersten Mail die AG Kultur/Vereinsleben, rückbahn von Simmern über nach Em- die AG Familien und Jugend sowie die AG Ökolo- melshausen verläuft, getrennt. Neuerkirch ist mit gie (die „Ökogruppe“). 284 Einwohner und 104 Wohngebäuden die klei- Einige der eingereichten Anregungen hatten nere Gemeinde, die Ortsgemeinde Külz, die süd- einen Klimaschutzbezug und wurden an die lich von Neuerkirch liegt, zählt 465 Einwohner Ökogruppe zur Prüfung delegiert. Die Anschaf- und 165 Wohngebäude. fung eines Elektroautos als Gemeindefahrzeug In beiden Gemeinden besteht seit geraumer oder einer gemeindeeigenen Windkraftanlage Zeit Interesse an einer zukunftsgewandten gehörten ebenso zu den Ideen aus den Rückläu- Dorfentwicklung, und beide haben in Hinblick fen wie auch der Vorschlag eines klimaschonen-

auf Klimaschutz und CO2-Reduktion bereits eini- den Nahwärmenetzes.

66 Der Nahwärmeverbund Neuerkirch-Külz

Artikel zur Einweihung des erneuerbar gespeisten Wärmenetzes in der Lokalzeitung KLIMASCHUTZ & ERNEUERBARE WÄRME

Die Ökogruppe nahm sich des Themas an und Die Umfrage erfasste Angaben zu Gebäudeart, begann damit, die Vor- und Nachteile eines eige- Baujahr, aktueller Heizmethode, Alter der Anlage nen Nahwärmenetzes zu eruieren. Für die Öko- und Jahresbrennstoffbedarf sowie die unverbind- gruppe war das zentrale Thema, von fossilen auf liche Angabe, ob ein konkretes Interesse an einem erneuerbare, klimaschonende Energiequellen Anschluss bestünde. Entgegen der eher konservati- umzusteigen. Es galt, die beste Energiequelle ven Einschätzung der Ökogruppe war der Rücklauf bzw. den besten Energiemix zu finden. Bei der mit insgesamt 54 Antworten überraschenderweise Entscheidung der Energiequelle(n) sollten weite- sehr positiv. Mit ca. zwanzig beteiligten Haushalten re Kriterien wie Regionalität, Nachhaltigkeit, Zu- wäre ein Nahwärmenetz denkbar gewesen. verlässigkeit und Preisstabilität eine maßgebende Die darauffolgenden Monate wurden genutzt, Rolle spielen. Mit der Regionalität sind zwei As- um die Fragen der Energiequellen, der Rechtsform pekte verbunden: die Vorteile der lokalen Wert- sowie des Standortes zu vertiefen. Für die Bürge- schöpfung durch Nutzung regionaler Ressourcen rinnen und Bürger wurden Besuche zu bereits um-

und die Minderung der CO2-Emissionen durch gesetzten Nahwärmeprojekten (Mannebach/Belt- kurze Lieferwege. heim mit Holzhackschnitzel sowie Büsingen am Nach dem ersten Brainstorming wurden fol- Bodensee mit Holzhackschnitzel und Solarther- gende Optionen identifiziert, die die Gruppe nä- mie) organisiert. her untersuchen wollte: der Einsatz von Erdwärme oder Wärmepumpen, der eigene Anbau von Kurzumtriebspflanzen (KUP), die Nutzung von Eigenleistung versus Beauftragung – Brennstoffen wie Biogas, Rapsöl oder Holzhack- die schwierige Entscheidung zwischen schnitzel aus eigenem Gemeindewald und die Unabhängigkeit und Risikominimierung Möglichkeit der Wärmegewinnung durch Solar- thermie. Zwar wurde die letztgenannte Option von Neben der Frage der Energieträger musste ent- den üblichen Witzen über das Hunsrücker Wetter schieden werden, wer das Nahwärmenetz planen, begleitet, doch war die Ökogruppe offen auch für umsetzen und betreiben sollte. Anfangs hatte man Neues und noch Ungewohntes, so dass jedes The- die Hoffnung, dass möglichst viele Eigenleistun- ma von einem Mitglied der Gruppe übernommen gen durch Gemeindemitglieder eingeplant wer- und für die nächsten Treffen vertieft wurde. den können. Aber, während in der benachbarten Gemeinde ein ortsansässiger Planer einen Teil der Auslegung des dortigen Nahwärmenetzes Ermittlung des konkreten Interesses im Dorf übernehmen konnte, fehlten hier entweder die Kenntnisse oder aber die Zeit, um Planungsaufga- In Absprache mit dem Bürgermeister und dem Ge- ben in Eigenleistung zu übernehmen. Die Möglich- meinderat konzipierte die Ökogruppe eine Umfra- keiten der Eigenleistung fielen gering aus. ge zum Thema Nahwärme, um herauszufinden, Ebenfalls musste entschieden werden, welche wie viele Bürgerinnen und Bürger ein ganz kon- Rechtsform der Nahwärmebetrieb haben sollte. Die kretes Interesse an einer Anbindung an ein Ökogruppe stellte die Möglichkeiten und Grenzen Nahwärmenetz hätten. Die Umfrage wurde im Juli einer Genossenschaft oder GmbH einem kommu- 2013 als Beilage zum wöchentlichen Amtsblatt an nalen Eigenbetrieb gegenüber und stellte zähne- die Bürger und Bürgerinnen von Neuerkirch ver- knirschend fest: Während die Unabhängigkeit einer teilt. Sie listete kurz die möglichen Vorteile eines Genossenschaft sehr reizvoll erschien, gäbe es nie- Nahwärmenetzes auf, die – neben der Nutzung manden im Dorf, der/die die technischen und wirt- von umweltfreundlichen und heimischen Produk- schaftlichen Aspekte des Betriebs eines Heizwerks ten mit regionaler Wertschöpfung – auch die Un- und des Netzes übernehmen könnte. Die Beauftra- abhängigkeit von Öl- und Gaspreisen, die bessere gung Externer hierfür käme teuer. Auch würden die Nutzung von Kellerräumen, die Ersparnisse im In- Risiken nicht unerheblich sein, wenn die Anlage als vestitions- und Betriebskostenbereich sowie die Genossenschaft betrieben würde. Steigerung der Attraktivität des Dorfes und damit Nach Gesprächen mit dem Ortsbürgermeister der Hauspreise umfassten. und den Ratsmitgliedern fiel die Entscheidung

68 Das Solarthermiefeld soll das Wärmenetz in den Sommermonaten alleine versorgen können

schließlich doch für den kommunalen Eigenbe- stellung von fossiler auf erneuerbare Energie ein- trieb der Energieversorgung Region Simmern. zusetzen. Sie versteht sich primär als Dienstleister für Bevölkerung und Gemeinden zur Ermögli- chung einer nachhaltigen und kostengünstigen Regionale Versorgung – Energieversorgung. regionaler Betreiber Die Nahwärmeversorgung Neuerkirch-Külz ist das dritte und bisher größte Projekt, das von der ERS Errichter und Betreiber der Nahwärmeversorgung seit ihrer Gründung umgesetzt wird. In der Ortsge- Neuerkirch-Külz sind also die Verbandsgemeinde- meinde Fronhofen wurde eine Nahwärmeversor- werke Simmern mit dem Betriebszweig „Energie- gung für 37 Haushalte errichtet, die zur Wärmever- versorgung Region Simmern (ERS)“, der eigens für sorgung ebenfalls zu 100 Prozent regenerative die Durchführung von Energieprojekten wie zum Energien einsetzt. Dazu werden zwei Holzhack- Beispiel die Nahwärmeversorgung eingerichtet schnitzelkessel mit jeweils 300 Kilowatt Wärmeleis- wurde. Die Gründung dieses Betriebszweigs er- tung eingesetzt. In der Stadt Simmern wird ein Be- folgte am 19.12.2013. reich der Innenstadt mit einem Nahwärmenetz Aufgabenträger sind die Verbandsgemeinde- versorgt. Die Wärmeerzeugung erfolgt mit einem werke Simmern als Eigenbetrieb, die auch für die Holzhackschnitzelkessel, einem Erdgas-Blockheiz- öffentliche Wasserversorgung und Abwasserbesei- kraftwerk (BHKW) und Erdgas-Spitzenlastkesseln. tigung in der Verbandsgemeinde zuständig sind. Die Verbandsgemeinde Simmern mit rund 18.000 Einwohnern besteht aus 31 Ortsgemeinden und der Solarthermie – Bedenken ausgeräumt, Stadt Simmern, Kreisstadt des Rhein-Hunsrück- aber (zunächst) zu teuer Kreises. Der Eigenbetrieb verfolgt laut Betriebssatzung Mit der Entscheidung für die ERS als Betreiber und keine Gewinnerzielungsabsicht. Das gilt auch für Errichter entfiel für die Ökogruppe und die Ge- den Betriebszweig ERS. Aufgabe und Ziel der ERS meinden die schwierige Aufgabe, ein Planungsbü- ist es, vor allem heimische Ressourcen zur Um- ro auszusuchen, da nun die ERS als Errichter für

69 KLIMASCHUTZ & ERNEUERBARE WÄRME

Eingehaustes Solarthermiefeld

die Beauftragung eines geeigneten Planers zustän- Überraschend großes Interesse dig war. Die ersten Treffen zum Ideenaustausch und eine ganz neue Ausgangslage fanden mit Beteiligung der ERS, einem Planungs- büro aus Stromberg, der Ökogruppe und der Orts- Die überraschend hohe Beteiligung war Fluch und bürgermeister Anfang 2014 statt, um die Frage der Segen zugleich. Plötzlich war das Netz so groß, möglichen Energieträger zu besprechen. dass eine Anbindung an Külz sinnvoll wurde. Die Verwendung von Holzhackschnitzeln als Schnell wurden die Bürger und Bürgerinnen in Energieträger war eine naheliegende Entscheidung, Külz, die ebenfalls eine eigene Nahwärmeversor- da Neuerkirch über ausreichenden Gemeindewald gung planten, informiert, dass eine gemeinsame verfügt und Holzhackschnitzel gegebenenfalls Lösung sinnvoll sein könnte. Somit konnte das Netz auch lokal bezogen werden könnten. Die Ein- auf über 100 Objekte erweitert werden, und die bindung von Solarthermie dagegen wurde anfangs Einbindung eines solarthermischen Feldes wurde außerhalb der Ökogruppe eher mit großer Skepsis auf einmal doch wirtschaftlich! Die Kehrseite dieser betrachtet. Ein Solar-Fachmann, der von Mitglie- Entwicklung war, dass ein neuer Standort für das dern der Ökogruppe nach Neuerkirch eingeladen Heizwerk gesucht werden musste. Anstatt mitten in wurde, konnte das Bedenken aus dem Weg räumen Neuerkirch musste dieses jetzt direkt zwischen den und die neuesten technischen Daten liefern. Schnell beiden Dörfern liegen. Auch der Kauf eines geeig- wurde klar: Solarthermie ist im Hunsrück machbar neten Grundstückes für die 1.422 m2 Kollektoren in und sinnvoll, aber auch sehr teuer – für ein kleines der Nähe des Heizwerks musste auf den Weg ge- Nahwärmenetz nicht wirtschaftlich. Das Planungs- bracht werden inklusive Verhandlungen mit Grund- büro schlug vor, ganz auf Holzhackschnitzel zu set- stückseigentümern, die Beauftragung von Boden- zen, mit der Option, zukünftig bei sinkenden Prei- gutachten und die Beantragung von neuen sen für Solarkollektoren die Anlage zu ergänzen. Genehmigungen. Dies führte natürlich zu einer Dies war enttäuschend, aber offenbar nicht zu än- komplett neuen Auslegung des Netzes und des dern. Es folgten ein Eckpunktpapier und ein Bürger- Heizwerkes. Gleichzeitig musste die ERS Anträge gespräch im Frühjahr 2014 sowie die Verteilung der auf Fördermittel des Bundes und des Landes für die Vorverträge. zwei Dörfer stellen. Entsprechend verschob sich

70 Der Nahwärmeverbund Neuerkirch-Külz

Einweihung des Solarthermiefeldes zwischen Neuerkirch und Külz im September 2016

der Termin der Inbetriebnahme immer weiter nach Eine weitere, zwar kleinere, aber durchaus wich- hinten. Erst im April 2015 konnte letztendlich mit tige Förderung für die einzelnen Anschlussneh- dem Bau des Netzes begonnen werden. mer stammt von den beiden Gemeinden selbst. Neuerkirch und Külz beschlossen je ein eigenes Förderprogramm, damit jedes Haus, das auf rege- Förderung und Finanzierung nerative Energie umgestellt wird (ob Nahwärme,

Die Gesamtinvestitionssumme des Projektes liegt bei fast 5 Millionen Euro, von denen ca. 700.000 Euro für die solarthermische Großanlage anfallen. In ihrer Drei Hausanschlüsse auf engstem Raum für Nahwärme und Glasfaser Rolle als Errichter ist die ERS auch für die Finanzie- rung des Projektes zuständig. Diese Aufgabe umfasst die Identifizierung und Prüfung von möglichen För- derprogrammen und die zum Teil sehr komplexe Be- antragung der Fördermittel auf Bundes-, Landes- und regionalen Ebenen. Nach erfolgreicher Antragsstel- lung konnte das Projekt mit Mitteln aus zwei Förder- programmen finanziert bzw. gefördert werden: • dem Programm Nr. 271 „Erneuerbare Energien – Premium“ der Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW), als Direktkredit mit einem effektiven Jahres- zinssatz von weniger als zwei Prozent und einem Tilgungszuschuss von mehr als einer Million Euro, • einem Zuschuss aus dem Sonderförderpro- gramm des Landes Rheinland-Pfalz im Rahmen des Wettbewerbs Regionalentwicklung Huns- rück-Hahn [1] in Höhe von 480.000 Euro.

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Außenansicht des Heizwerks Neuerkirch-Külz

Pellets, Luft/Wärmepumpe usw.), eine Förderung und aufwändige bau- und immissionsschutzrecht- in Höhe von 4.000 Euro erhält. Für jeden an der liche Anträge, die von der ERS gestellt werden muss- Nahwärme teilnehmenden Haushalt bedeutet ten: vorhabenbezogener Bebauungsplan, Antrag auf dies, dass die einmaligen Anschlussgebühren, Genehmigung nach § 4 Bundes-Immissionsschutz- die auch die Kosten für die Wärmeübergabestati- gesetz sowie ein gesonderter Bauantrag für die so- onen beinhalten, gedeckt sind. Beide Gemein- larthermische Anlage. Alle Genehmigungsverfahren den können diese Förderung dank Pachteinnah- konnten positiv abgeschlossen werden. men aus den Windkraftstandorten gewähren und Erfreulich war, dass sich während der Baupha- damit den lokalen Einstieg in die regenerative se weitere Bürgerinnen und Bürger für den An- Energiewende auch im Wärmebereich erleich- schluss ans Nahwärmenetz entschieden haben, tern. Die Förderprogramme bleiben auch für spä- trotz sinkender Heizölpreise in dieser Zeit. Ähn- tere Anschlussteilnehmenden bestehen, so lange liche Erfahrungen wurden auch in den beiden vor- den Gemeinden die finanziellen Mittel hierfür herigen Projekten der ERS in Fronhofen und Sim- zur Verfügung stehen. mern gemacht. Insgesamt zeigte die Bevölkerung der beiden Gemeinden während der Bauphase des Wärmenetzes großes Verständnis für die ent- Genehmigungen, Planung und Bau standenen Einschränkungen und Behinderungen, so dass der mehr als einjährige Bauverlauf von Baubeginn des Wärmenetzes war im April 2015. dieser Seite kaum Probleme zu verzeichnen hatte. Für die solarthermische Großanlage sowie die Heiz- Im Rahmen des Baus des Wärmenetzes wurde zentrale starteten die Bauarbeiten im Oktober 2015. auch versucht, Synergien zu nutzen und andere Vorausgegangen waren im Jahr 2015 umfassende erdverlegte Medien wie Strom, Kommunikation,

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Wasser und Abwasser, aber auch Straßen- und schnitzelbunker erfolgt mit einem Schubboden, Gehwegoberflächen zu erneuern. Das gelang einem Kratzkettenförderer und Doppelstoker- nicht immer ohne Probleme, da sich bei den ver- schnecken zu den beiden Holzhackschnitzelkesseln. schiedenen Medien Höhenlage, Bauablauf, Be- Mit Hilfe von Elektroröhrenfiltern werden die treiber und in Folge auch die ausführenden Firmen erforderlichen immissionsschutzrechtlichen Grenz- unterscheiden. Dies führte natürlich immer wie- werte auch hinsichtlich der Staubemissionen sicher der zu Koordinationsproblemen und Interessen- eingehalten. Die lokale Immissionsbelastung wird konflikten, die aber gelöst werden konnten. Be- durch den Ersatz der vielen kleinen, zumeist älte- sonders erfreulich war, dass im Zuge der ren Heizungsanlagen durch die moderne Feue- Rohrverlegung auch ein Glasfaserleerrohr kosten- rung deutlich zurückgehen. neutral für jedes Haus verlegt wurde. Neuerkirch Ziel ist es, in den Sommermonaten den Wär- und Külz werden also künftig über ein schnelles mebedarf, der sich vor allem aus den Wärmever- Internet mit mindestens 300 Megabit verfügen. Bei lusten des Netzes und dem Warmwasserbedarf der Gestaltung des Heizwerks wurde in Zusam- der Anschlussnehmer zusammensetzen wird, menarbeit mit einem Architekturbüro aus Strom- durch die solarthermische Großanlage mit über berg darauf geachtet, dass sich das Gebäude so- 1.400 Quadratmetern Kollektorfläche in Verbin- weit wie möglich in das Landschaftsbild einpasst. dung mit den beiden je 60 Kubikmeter großen Für die Außenfassade wurde daher eine Holzver- Pufferspeichern zu decken. Darüber hinaus soll kleidung aus unbehandeltem Lärchenholz ge- die solarthermische Anlage auch in den Über- wählt. Die aufgrund der Größe außen stehenden gangsjahreszeiten einen deutlichen Beitrag zur Pufferspeicher und der Kamin wurden hinsichtlich notwendigen Wärmeerzeugung liefern. Daher der Höhe soweit möglich begrenzt und farblich wurde in der Ausschreibung auf die Lieferung von unauffällig beige gestaltet. Dadurch sollte vermie- Vakuumröhrenkollektoren Wert gelegt, die dar- den werden, dass das Heizwerk, das aus vielen über hinaus nur mit Wasser befüllt sind und auf Richtungen gut einsehbar ist, optisch einen indus- sonstige Zusätze wie Frostschutzmittel verzichten. triellen Charakter aufweisen könnte. Dies erhöht weiter den Solarertrag und reduziert Bei der Holzfeuerung wurde auf robuste Tech- Strombedarf und Wartungsaufwand. nik Wert gelegt, die auch die Verbrennung von min- Ein Heizölkessel mit 1.600 Kilowatt Leistung derwertigen, naturbelassenen Holzprodukten mit dient als Redundanz des regenerativen Systems. Auf großer Stückigkeit (G 100) und hohem Feuchtege- dem Dach des Heizwerks ist eine Photovoltaik-An- halt (hackfrisch) ermöglicht. Die Austragung aus lage mit knapp zehn Kilowatt Spitzenleistung instal- dem zu großen Teilen unterirdischen Holzhack- liert, die einen Teil des Strombedarfs abdecken soll.

Im Inneren des Heizwerks

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Sie ist in Richtung Osten und Westen aufgeständert, gerte. Hinzu kamen etliche Verkehrsbehinderungen, um einen möglichst hohen Eigenverbrauchsanteil Umleitungen im Nahverkehr und vorübergehende des erzeugten Solarstroms zu erreichen. Straßensperrungen. Sondertransporte brachten die zwei Pufferspeicher (je 60 Kubikmeter) und den 18 Meter hohen Schornstein. Jeden Tag etwas Neues Allen Hindernissen und Schwierigkeiten zum Trotz: Mit der Inbetriebnahme des Heizwerkes ha- Mit der Entscheidung für einen Nahwärmeverbund ben Külz und Neuerkirch einen konkreten Beitrag mit Külz begann für die beiden Ortsbürgermeister zum Klimaschutz und zur Daseinsvorsorge in ih- eine sehr arbeitsintensive und turbulente Phase, die ren Gemeinden geleistet. Damit soll auch keines- bis zur Inbetriebnahme anhielt. Die Begleitung des falls Schluss mit den Klimaschutzmaßnahmen Projektes entwickelte sich zu einem nervenaufrei- sein. Aktuell werden in den beiden Gemeinden benden Vollzeitjob. Fast jeden Tag waren die Beteilig- neue Ideen in den Bereichen E-Mobilität, Energie- ten mit neuen Herausforderungen konfrontiert: Zum beratung und Stromsparen in Privathaushalten Beispiel musste eine Zufahrt zum Heizwerk inklusive und die Eigennutzung von Solarstrom geprüft. Erst Brücke geplant, bewilligt und gebaut werden. Immer einmal ist allerdings eine Verschnaufpause für die wieder musste der Leitungsverlauf wegen „Überra- beiden Gemeinden angesagt. n schungen“ im Boden, wie beispielsweise falsch ein- gezeichneten Telefonkabeln, Strom-, Abfluss- und Wasserleitungen, umgeplant werden. Besonders Quellenangabe kompliziert waren zwei unterirdische Bachkreuzun- [1] Ministerium für Wirtschaft, Verkehr, Landwirtschaft gen für das Wärmenetz aufgrund der nassen Witte- und Weinbau, Wirtschaftsministerin Lemke gibt die Siegerprojekte des Wettbewerbs Regionalentwicklung rung während der Bauzeit. Bei der Rohrverlegung für Hunsrück bekannt, 01.12.2014. Download unter: das Wärmenetz wurden außerdem an mehreren Stel- mwvlw.rlp.de/de/presse/detail/news/detail/News/ len defekte oder veraltete Abwasserkanäle kurzfristig wirtschaftsministerin-lemke-gibt-die-siegerprojekte- erneuert, was letztendlich auch die Bauzeit verlän- des-wettbewerbs-regionalentwicklung-hunsrueck-be/

VOLKER WICHTER ANNE FITZGERALD MARC MEURER

Ortsbürgermeister Arbeitsgruppe Ökologie Verbandsgemeindewerke Neuerkirch Simmern Business Coach, seit 1998 Gebürtiger Neuerkircher, ehren- wohnhaft in Neuerkirch, Grün- Diplom-Ingenieur (FH), seit amtlicher Ortsbürgermeister dungsmitglied der Arbeits- Mitte 2014 bei den Verbands- seit 2001. gruppe Ökologie, seit Juli 2014 gemeindewerken Simmern im Mitglied im Gemeinderat. Betriebszweig Energieversor- gung Region Simmern (ERS).

74 EXKURS > Kommunale Bürgernahwärmenetze im Rhein-Hunsrück-Kreis – eine Erfolgsgeschichte

ereits seit Beginn des Agenda- Dank dieser Entschlossenheit seres Projektes „ZukunftsiDeeen“ [4] B21-Prozesses im Rhein-Huns- machen sich Ortsgemeinden seit finanziert. rück-Kreis im Jahr 1997 beschreitet zehn Jahren auf den Weg, die fatale Von Alexander von Humboldt der Kreis den Weg, „Referenzregion Abhängigkeit vom Heizöl im Rhein- stammt der zu den Dorfwärmepro- für Klimaschutz und innovative Hunsrück-Kreis zu beenden. Bereits jekten im Rhein-Hunsrück-Kreis Energiekonzepte“ zu werden [1]. im Jahr 2006 wurde der erste nach- passende Satz: „Ideen können nur Seit 1999 betreibt der rheinland- barschaftlich organisierte Nahwär- nützen, wenn sie in vielen Köpfen pfälzische Landkreis ein Energie- meverbund in Fronhofen in Betrieb lebendig werden“. In diesem Sinne controlling für seine Gebäude. Hier- genommen. Mittlerweile sind 13 sind wir dankbar für unsere enga- aus wurden ehrgeizige Rückschlüsse kommunal organisierte Nahwärme- gierten Bürgerinnen und Bürger so- für energieeffizientes Bauen und verbünde in Betrieb, darunter drei wie Gemeinden, die sich mit viel Sanieren gezogen. Seit 2002 wer- von der kreiseigenen Rhein-Huns- Herzblut in unsere lokale Energie- den die kreiseigenen Gebäude rück-Entsorgung in Schulzentren wende einbringen! n Schritt für Schritt auf erneuerbare betriebene Anlagen, welche mittels Energien umgerüstet. Im Jahr 2011 regionalem Baum- und Strauch- FRANK-MICHAEL UHLE hat der Kreistag einstimmig das inte- schnitt geheizt werden. Wurden Klimaschutzmanager grierte Klimaschutzkonzept be- durch den ersten Verbund sieben Rhein-Hunsrück-Kreis schlossen. Seit Mitte 2012 ist der Häuser beheizt, so sind aktuell be- Landkreis bilanzieller Stromexpor- reits insgesamt 461 Gebäude im teur, aktuell werden ca. 274 Prozent Kreis an Nahwärmenetze ange- des Strombedarfs aus erneuerbaren schlossen. Vor 11 Jahren konnte in Quellenangaben Energien (überwiegend Windkraft) einer Schule eine erste Hackschnit- [1] European Energy Award, Klimalog: gedeckt. Das nächste ambitionierte zelheizung 60.000 Liter Heizöl im Der Rhein-Hunsrück-Kreis: Referenz- Ziel ist es, bis zum Jahr 2020 bilan- Jahr ersetzen – aktuell werden 2,4 region für Klimaschutz und inno- zieller „Null-Emissions-Landkreis“ Millionen Liter Heizölimporte durch vative Energie-konzepte (Projektstand zu werden. Zur Akzeptanzstärkung lokale Biomasse vermieden. Der 2012). Download unter: www.klima- wird seit dem Jahr 2010 die Wert- Bau eines weiteren Nahwärmever- log.de/projekt.asp?InfoID=14790 schöpfung aus erneuerbaren Energi- bundes ist bereits beschlossen. Wei- [2] Kreisverwaltung Rhein-Hunsrück- en systematisch ermittelt. Der An- tere 18 Gemeinden haben ihr Inter- Kreis, Regionale Wertschöpfung, o.J. sporn besteht darin, 250 Millionen esse bekundet und entsprechende Download unter: www.kreis-sim.de/ Euro jährliche Energieimportkosten Planungen initiiert – zum Nutzen Klimaschutz/Ziele-Motto-und-Konzept/ durch Energieeffizienz und erneuer- der Umwelt und der regionalen Regionale-Wertschöpfung; Agentur für bare Energien in regionale Arbeits- Wertschöpfung. Erneuerbare Energien, Rhein-Hunsrück- plätze und Wertschöpfung umzu- Im Jahr 2015 haben die „lokalen Kreis (Stand 2010). Download unter: wandeln [2]. Macher“ ihre mühevollen und de www.kommunal-erneuerbar.de/ Diese dynamische Entwicklung facto autodidaktisch erarbeiteten Lö- de/energie-kommunen/energie- basiert auf zahlreichen pioniermäßig sungswege in einem Praxisleitfaden kommunen/rhein-hunsrueck-kreis.html entwickelten Vorzeigeprojekten pri- „Bürgernahwärmenetze im Rhein- [3] Kreisverwaltung Rhein-Hunsrück- vater, gewerblicher und öffentlicher Hunsrück-Kreis“ öffentlich bereitge- Kreis (Hrsg.), Leitfaden Bürgernahwär- Akteure. Daher lautet das Motto un- stellt [3]. Für komplizierte technische menetze im Rhein-Hunsrück-Kreis, serer Klimaschutzinitiative „Im Rhein- und kaufmännische Fragestellungen Simmern 2015. Download unter: Hunsrück-Kreis steckt viel Energie… gibt es nun einen Handlungsleitfa- www.kreis-sim.de/Klimaschutz/ wir machen was draus!“ Neben den den für interessierte Gemeinden, und Projekte-und-Kampagnen/B% riesigen Potenzialen, die Sonne, dies in kompakter Form. So muss C3%BCrgernahw%C3%A4rmenetze Wind, Wasser und Biomasse liefern, nicht jede Ortsgemeinde „das Rad [4] Kreisverwaltung Rhein-Huns- ist hiermit ebenfalls die menschliche neu erfinden“. Der Leitfaden wurde rück-Kreis, ZukunftsiDeeen/Projekt- Energie gemeint, welche die Projekte durch das Bundesministerium für Bil- startseite, o.J. Download unter: Wirklichkeit werden lässt. dung und Forschung im Rahmen un- www.zukunftsideeen.de

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