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29. Ausgabe, Feb. 2021 Notizen zur Hamburger Rotkreuzgeschichte

Newsletter des DRK Landesverbandes Hamburg e. V.

„Gute Wünsche allein werden keinen Frieden sichern.“ Alfred Nobel, 1833-1896, Chemiker und Stifter des Nobelpreises

Liebe Rotkreuzfreundinnen und -freunde, liebe an Hamburgs Rotkreuzgeschichte Interessierte,

1901 erhielten Henry Dunant und Frédéric Passy den ersten Friedensnobelpreis der Ge- schichte. Für Dunant war das sicherlich nicht nur eine würdige Anerkennung als geistiger Vater der Rot-Kreuz-Idee und aktiver Mitgestalter in der Entstehungszeit des Roten Kreuzes, sondern auch eine kleine Wiedergutmachung für die Zeit des Ausgestoßenseins aus Genf.

Aber die Verleihung des Friedensnobelpreises an Dunant und später auch noch mehrfach an das Internationale Komitee vom Roten Kreuz, einmal gemeinsam mit der Liga der Rotkreuz- gesellschaften, steht noch für etwas ganz anderes. Sie steht dafür, dass das Rote Kreuz, auch wenn es aus den Leiden des Krieges entstanden ist, eben nicht Kriege führbarer macht, wie manche Kritiker auch heute noch behaupten. Rotkreuz-Arbeit ist Friedensarbeit! Und das Minimum an Menschlichkeit selbst im Kriege ist oftmals der erste Anknüpfungs- Dr. Volkmar Schön punkt für die Zeit des Miteinanders nach Ende der Kampfhandlungen. Insofern ist „per huma- Konventionsbeauftragter nitatem ad pacem“ – durch Menschlichkeit zum Frieden – eben keine leere Floskel, sondern des DRK Landesverbandes Hamburg e. V. der Weg der Rotkreuz- und Rothalbmondbewegung, zu einer friedlicheren Welt beizutragen.

Ihr

Themenübersicht Friedensnobelpreis Henry Dunant

1895 wird die Weltöffentlichkeit durch wichtig erachtet wird, dass er auch Vorwort Seite 1 den Deutschen Dr. Baumberger da- von der Hamburger Polizei-Behörde Friedensnobelpreis Henry Seite 1 rauf aufmerksam gemacht, dass der archiviert wird. 1897 erscheint die in Dunant Gründer des Roten Kreuzes, Henry den letzten vier Jahren gemeinsam mit Dunant, noch am Leben ist. Auch die Dunant erarbeitete „Entstehungs- Weitere Friedensnobelprei- Seite 4 Berliner Volkszeitung berichtet da- geschichte des Roten Kreuzes und se für das Rote Kreuz rüber und veröffentlicht einige Zeit der Genfer Konvention“ des seit vielen später, am 4. September 1896, des- Jahren mit Dunant in Verbindung ste- Nobelpreisträger mit Ham- Seite 5 sen Friedens-Aufruf „An die Presse. henden Stuttgarters Rudolf Müller. Mit burg-Bezug Ein Feuerwort“. Ein Artikel, der als so Hilfe der ein Jahr zuvor in auf Alfred Nobel und die No- Seite 10 seine Initiative belpreise hin gegründe- Henry Dunant Seite 11 ten Dunant Stiftung gelingt Literaturtipp Seite 13 es Müller, im- mer mehr Stuttgart Seite 14 Exemplare Nacht des Wissens Seite 15 seines Buches an bekannte Das Rotkreuzmuseum in Seite 15 Persönlichkei- Heiden ten in aller Impressum Seite 16 Welt zu ver- senden,

Zeitungsauszug vom 4.9.1896 (Fortsetzung auf Seite 2) Seite 2 darunter auch an , Ende der 90er Jahre mit Dunant in dermaßen endet: „Wir haben hier in die lange Jahre mit dem zwei Jahre brieflichen Kontakt tritt und sich mit Norwegen von Anfang an seinem zuvor verstorbenen Alfred Nobel be- ihm über seine Erfahrungen auf dem Kampf mit Interesse und Ergebenheit freundet war. griechisch-türkischen Kriegsschau- teilgenommen. Möglicherweise wird platz aus dem Jahre 1897 austauscht. auch das Schicksal es mit sich brin- Und diese antwortet Müller am Dunant bittet Müller, auch Daae ein gen, daß wir es werden, die den ande- 27. Juni 1897 nicht nur, sondern sie Exemplar seines Buches zukommen ren Nationen es zeigen wird, was man macht auch erstmals eine Andeutung zu lassen. Und Müller nutzt die Gele- Dunant verdankt. Unser Storting wird im Hinblick auf den Friedensnobel- genheit, Daae bald Nobels Frie- preis: „...Das Stuttgarter Comité hat in der Frage denspreis verteilen. zwar schon einen wunderschönen des Friedensno- Wäre nicht Dunant in Erfolg gehabt: Dunant ist aller Not ent- belpreises an jeder Beziehung der- hoben und der Vergessenheit entris- Dunant um Zu- jenige, dem dieser sen; aber es wird sich doch noch am sammenarbeit Preis als eine Selbst- 70ten Geburtstag etwas veranstalten zu bitten. Beide verständlichkeit zuer- lassen, was ihm die Huldigung der treffen sich im kannt werden müß- ganzen Mitwelt und eine wirklich gro- November 1898 te?“ Der Artikel wird ße Summe – ein Vermögen – ein- in Stuttgart, wo auch von der engli- bringt, über das er jedenfalls zum – wie Müller schen Zeitschrift „Re- Wohle der Menschheit verfügen wird.“ später schreibt view of Reviews“ – „der Schlacht- übernommen. Und Müller gewinnt auch den Schweizer plan im einzel- Daae veröffentlicht Pfarrer Hottinger, sich für eine Rehabi- nen ausgearbei- auch weiter Artikel in litierung Dunants einzusetzen. Einen tet wurde“. Und der heimischen Pres- seiner Vorträge „Henri Dunant – Ein Müller ver- se und bemüht sich Abriß seines Lebens und Wirkens“ schickt weiter um Kontakte mit lässt Hottinger im Friedrich Schultess sein Buch, jetzt maßgebenden Per- Verlag in Druck geben. Darin heißt es auch an zahlrei- sönlichkeiten des u. a.: “... Noch ein Punkt ist zu erledi- che Fürsten- öffentlichen Lebens, gen, der nervus rerum. Hat denn nicht häuser und an um sie für sein Anlie- Dunant den in Vorstehendem gezeich- Björnstjerne Rudolf Müller gen zu gewinnen. neten Idealen außer seiner Lebenszeit Björnsen, der und allen disponiblen Kräften auch Mitglied des norwegischen Nobel- In Norwegen wird die Zahl der ge- sein Vermögen geopfert? Von der ein- Komitees ist. nannten Vorschläge und Bewerber gangs erwähnten Dunant-Stiftung immer größer und Müller ist klar, dass nicht zu reden … erinnere ich mich zur Dessen Antwort vom 27.11.98 bedeu- er einen erneuten Vorstoß ins Zent- Beantwortung obigen Einwurfs nur an tet jedoch zunächst einen Dämpfer: rum, also ins Nobelkomitee selbst un- das Testament von Alfred Nobel, das „Leider sagt unsere Instruktion, daß ternehmen muss. So schreibt er er- alljährlich demjenigen, der am meisten wir den zu wählen haben, der im ver- neut an Björnson, warum seiner Mei- oder am besten gangenen Jahr nung nach nur Dunant für den Preis in für die Einbürge- das meiste für Frage komme, beigefügt sind dem rung des dauern- die Friedens- langen, zweiteiligen Brief 19 Anlagen, den Völkerfrie- sache geleistet die die Begründung untermauern sol- dens gewirkt hat, hat. Die Be- len. Und er ist nicht erfolglos in seinem eine Prämie von stimmung ist Bemühen. In seiner Antwort von 9. Juli 200.000,- Kronen, dumm und 1900 geht Björnson nicht erneut auf macht ca. lästig, aber ist das Statutenthema ein, sondern ant- 250.000,- Fran- Bestimmung. wortet u. a.: „Kann Dunant nicht den ken zusichert. Der Dazu kommt, ersten Preis bekommen, so giebt ja norwegische Stor- daß unsere einen jedes Jahr. Ich hoffe ihn belohnt ting ist zum Voll- Belohnung nur zu sehen. Ihr Buch habe ich seinerzeit strecker dieses zu denen ge- gelesen“ (Der Inhalt von Müllers Brief letzten Willens hen kann, die ist wörtlich bei Willy Heudtlass auf den bestellt worden. direkt für die Seiten 160-168 abgedruckt). Müller Wer wäre aber Sache des vermutet in einem Schreiben vom solcher Anerken- Friedens ge- 6.12.1900 an Dunant, dass Björnson nung würdiger als wirkt haben. Ihr ihn erst deshalb für den zweiten No- unserer Dunant?“ großer Freund belpreis vorsähe, da er ein enger Und in Holland hat meine gan- Freund von Frédéric Passy und der setzt sich, ange- ze Sympathie.“ Auffassung sei, dieser müsse den ers- regt durch Müller, ten Preis bekommen. Und dann er- der Journalist Aber Daae gibt wähnt er, dass Daae in einem persön- Dr. Haje für Dun- nicht auf. Im lichen Gespräch mit Björnson den Vor- ant ein. Dr. Hans Daae Januar 1899 schlag aus Müllers Brief untermauert veröffentlicht er habe, doch beiden Personen zeit- Und es findet sich ein weiterer Unter- in der norwegischen Zeitschrift gleich den Preis zu verleihen, und stützer, der 1865 in Oslo geborene „Krinsjaa“ einen sieben Spalten langen Björnson zugestimmt habe. norwegische Sanitätskapitän und spä- Bericht über seinen vorjährigen Be- tere Generalarzt Dr. Hans Daae, der such bei Dunant in Heiden, der folgen- (Fortsetzung auf Seite 3) Seite 3

Es bleibe aber zweifelhaft, ob die Sat- Pirquet und einer von Bertha von Sutt- Preissumme verfahren werden könnte. zungen eine gleichzeitige Preisverga- ner zitiert. Und weiter heißt es: „Der Ausdruck be an zwei Empfänger „der im vergangenen zulassen würde. Daae Jahr am meisten ge- bleibt daher in Norwe- leistet hat“ ist ohnehin gen nicht untätig. Er hat fallen gelassen wor- unterdessen u. a. den den; es ist ja unmög- Sanitätsverein der nor- lich auf einem sol- wegischen Damen, chen Gebiet Ver- dessen Vorsitzende die dienste zu erwerben Frau des Justizminis- und deren Wirkung in ters ist, und die Vereini- so kurzer Zeit festzu- gung norwegischer stellen.“ Damen für das Stimm- recht gewonnen, dem Im Folgenden einige Nobel-Komitee Dunant Auszüge aus der Be- als Preisempfänger gründung für die vorzuschlagen. Müller Preisverleihung an schickt Daae dann eini- Dunant: ge Hundert Mark aus seinem eigenen erspar- „Henri Dunant ten Geld, da die Stif- tungskasse inzwischen ist als Kandidat vom leer war, damit dieser Präsidenten des Nor- seine in Norwegisch wegischen Nobel- geschriebene Broschü- Komitees, Reichs- re möglichst weit ver- staatsanwalt Getz – breiten kann. durch Unterzeich- nung eines Vor- Überall in Deutschland, schlags der Sanitäts- der Schweiz, Norwegen vereinigung Norwegi- und Schweden, insbe- scher Frauen –, von sondere dort also, wo den Staatsräten es schon länger Qvam und Sunde – etablierte Nationale ebenfalls durch Un- Rotkreuzgesellschaften terzeichnung eines gibt, nimmt 1901 die Vorschlags [der Zahl an Veröffentli- Landfrauenwahl- chungen und Petitionen rechtsvereinigung] –, zugunsten Dunants zu. sowie von 7 Profes- Vier Wochen vor der soren in Amsterdam Entscheidung in Oslo und 3 Professoren in Brüssel, von 92 versucht Müller noch Urkunde des Nobelpreis-Komitees für Henry Dunant einmal, das Anliegen in schwedischen einem Artikel im Stuttgarter „Neue Im Brief von Pirquet heißt es: „Wir le- Reichstagsabgeordneten, von 40 Mit- Tagblatt“ voranzubringen: „… Wie gen großen Wert darauf, daß nicht ein gliedern des Württembergischen kann man im Ernst behaupten, Dunant Einzelner diesen Preis erhält: wir wür- Landtags und schließlich von dem hätte eher einen Kriegs- als einen den es sehr bedauern, wenn eine Auf- Mitglied der Kommission des Frie- Friedenspreis verdient? Tatsächlich teilung nicht vorgenommen werden densbureaus Baart de la Faille und 24 hat er in seiner vor 40 Jahren verfaß- könnte. Es gibt sicherlich 30 Men- Mitgliedern des Württembergischen ten Erinnerung an beredten schen in der Welt, die sich außeror- Landtags, die ihn jedoch zusammen Ausdruck gegeben, und durch die dentlich um die Sache des Friedens mit anderen Kandidaten genannt ha- Gründung des Roten Kreuzes und die verdient gemacht haben; fast alle wer- ben, vorgeschlagen worden. Herbeiführung der Genfer Konvention den sterben, bevor sie irgendeinen Über keinen der vorgeschlagenen hat er gewiß mehr zur Verbrüderung Preis erhalten haben. Der Preis ist Kandidaten liegt so reichhaltiges Ma- der Völker auf dem Felde der Nächs- allzu hoch; wenn man sich nicht ent- terial vor wie über Dunant…“ tenliebe beigetragen als alle theoreti- schließen kann, ihn aufzuteilen, wer- schen Erörterungen über Weltfrieden den wir es in einigen Jahren bedau- Es folgen Lebenslauf und Leistungen und alle Friedenskongresse bisher ern, daß wir nicht mutig genug gewe- Dunants. vermocht haben. ...“ sen sind, um diese schwierige Angele- genheit richtig in Ordnung zu bringen.“ (Der vollständige Text findet sich In den Unterlagen des Nobelkomitees ebenfalls bei Heudtlass, S. 180-188) sind dann letztendlich 13 begründete Auch Bertha von Suttner, als langjähri- Bewerbungen verzeichnet, die der ge Freundin Nobels, spricht sich für Am 10. Dezember 1901 erreichte Du- Sekretär des Nobel-Komitees, Christi- eine flexible Handhabung aus und sie nant in Heiden folgendes Telegramm an Lous Lange, den Mitgliedern in unterbreitet auch gleich praktische aus Kristiania: einem Schreiben vom 14. November Vorschläge, wie bei einer Vergabe des 1901 vorlegt. In seinem Bericht wer- Preises an zwei oder mehrere Preis- (Fortsetzung auf Seite 4) den insbesondere ein Brief von Baron träger im Sinne des Erblassers mit der Seite 4

„Sehr geehrter Herr! Im Namen des Komitees bitte ich Euer Hochwohlgeboren, die Versicherung Das Nobel-Komitee des Norwegischen unserer ausgezeichneten Hoch- Parlaments erlaubte sich, Ihnen fol- achtung und vollsten Sympathie gendes Telegramm zu übermitteln: entgegen nehmen zu wollen.

„Das Nobel-Komitee des Norwegi- Nobel-Komitee des Norwegi- schen Parlaments gibt sich die Ehre, schen Parlaments Sie davon in Kenntnis zu setzen, daß es den Friedens-Nobel-Preis für das Der Präsident Jahr 1901 an die Herren Henri Dunant und Frédéric Passy je zur Hälfte in Höveland Höhe von ungefähr einhundertviertau- Chr. L. Lange“ send Franken zugeteilt hat. Das Komi- tee verbindet hiermit seine Hochach- Und wie man die Frage der tung und seine aufrichtigen Wünsche.“ Geldzahlungen gelöst hat, … ohne dass diese den Gläubi- gern in die Hand fielen, ist eine Das Diplom und die Goldmedaille, wie andere Geschichte. ▀ sie im Artikel 9 der Statuten erwähnt sind, von denen ich anliegend ein Exemplar übermittle, werden Ihnen später zugesandt. Vorderseite des an Henry Dunant verliehenen Nobelpreises

Streiflichter aus der Rotkreuzwelt

Weitere Friedensnobelpreise für das Rote Kreuz

Nach Dunant 1901 wird 1917, also im 1. Weltkrieg, erneut ein Nobelpreis mit Rotkreuzbezug verliehen. Das Interna- tionale Komitee vom Roten Kreuz (IKRK) erhält diesen aufgrund seines Einsatzes für Kriegsgefangene und Verwundete sowie aufgrund seiner Bemühungen um die Respektierung der Genfer Konvention.

Der zweite Weltkrieg ist erneut Anlass für das Nobelpreiskomitee, dem IKRK 1944 die Auszeichnung zukommen zu lassen. Als Gründe werden genannt der Einsatz für Kriegsgefangene und verwundete Soldaten sowie für die Insassen der deutschen Konzentra- tionslager und für die Zivilbevölkerung während des Krieges. Die Verleihung erfolgte erst 1945.

1963, im Jahr des 100jährigen Beste- hens der Rotkreuz- und Rothalbmond- bewegung, erhalten IKRK und Liga der Rotkreuzgesellschaften (heutige Föde- ration) beide den Friedensnobelpreis zuerkannt. Das IKRK für sein Engage- ment zugunsten von Kriegsgefange- nen und -verwundeten sowie für die Verbreitung der Genfer Abkommen und die Liga für Flüchtlingshilfen in Friedenszeiten und für die Hilfen zu- gunsten der Opfer von Naturkatastro- phen. ▀ Seite 5

Unser Hamburg damals

Nobelpreisträger mit Hamburg-Bezug

Auch wenn Hamburg nicht unbedingt kennengelernt und ein Jahr später gemacht – zu 18 Monaten Haft verur- das Image hat, herausragender Wis- geheiratet hatte, war in der Frauen- teilt, kam im Dezember 1932 vorzeitig senschaftsstandort zu sein, so gibt es rechtsbewegung aktiv. Im Januar 1914 wieder frei und wurde auf Betreiben doch eine ganze Reihe von Nobel- reichte Ossietzky seine Kündigung ein, der Nationalsozialisten am 28. Februar preisträgern, die aus Hamburg stam- kehrte jedoch ein Jahr später in den 1933 erneut verhaftet. Nur gut einen men, hier studiert oder wissenschaft- Justizdienst zurück, da für eine frei- Monat später kam er erst in das Kon- lich gearbeitet haben. Gleichzeitig schaffende pazifistische Journalisten- zentrationslager Sonnenburg bei Küs- zeigt diese kleine Übersicht, welch tätigkeit der 1. Weltkrieg nicht die rich- trin, dann in das KZ Esterwegen im unermessliches Leid der Nationalsozi- tige Zeit war und er sich anfangs Emsland. Hier traf ihn im Herbst 1935 alismus über zahlreiche Menschen durchaus kriegsbegeistert gezeigt hat- auch Carl Jacob Burckhardt als Vertre- auch aus der eigenen Bevölkerung te. Nachdem er zunächst als untaug- ter des Internationalen Komitees vom gebracht hat und in welchem Ausmaß lich ausgemustert worden war, wurde Roten Kreuz. Im Mai 1936 wurde er die Ideologie und der Rassenwahn er im Sommer an die Westfront einge- schwerkrank in das Berliner Staats- auch zu einem geistigen Ausbluten zogen. Da hatte er sich aber bereits krankenhaus der Polizei überführt, dort Deutschlands beigetragen haben. wieder dem Pazifismus zugewandt stellte man bei ihm fortgeschrittene und war in Hamburg auch Mitglied der Lungentuberkulose fest. Am Deutschen Friedensgesellschaft ge- 7. November 1936 wurde er aus der worden. Nach Kriegsende kehrte er Haft entlassen und bezog im Kranken- – Friedensnobel- nach Hamburg zurück und quittierte haus Westend – heute eines der Berli- preis endgültig seinen ner Rotkreuzkrankenhäuser – ein Zim- Dienst in der mer. Carl von Ossietzky Justiz. Seinen wurde am 3. Okto- Lebensunterhalt Am 23. November 1936 wurde Carl ber 1889 in Ham- verdiente er sich von Ossietzky rückwirkend der Frie- burg geboren, im als Journalist densnobelpreis für das Jahr 1935 zu- November dessel- und Lektor. 1919 erkannt, eine Reise nach Oslo zur An- ben Jahres im ka- trat er in Ham- nahme des Preises ließ die Gestapo tholischen kleinen burg der Frei- jedoch nicht zu. Vielmehr verfügte Michel getauft und maurerloge Men- Hitler anschließend, dass in Zukunft 1904 in der evange- schenturm bei. kein Reichsdeutscher mehr einen lisch-lutherischen Nobelpreis annehmen dürfe. Am Hauptkirche St. Mi- Im selben Jahr 4. Mai 1938 verstarb Carl von chaelis, also dem siedelte er aus Ossietzky an den Folgen seiner Tuber- großen Michel, kon- beruflichen kulose im Berliner Krankenhaus Nord- firmiert. Er versuch- Gründen, ein end, er liegt auf dem Friedhof te zweimal erfolglos, Angebot als Se- Pankow IV in einem Ehrengrab der die staatliche Prü- kretär der Deut- Stadt Berlin begraben. fung zur mittleren schen Friedens- Reife zu bestehen – gesellschaft, vielleicht auch weil nach Berlin über. die Hamburger Eine Tätigkeit, Theodor Mommsen – Literaturnobel- Schulbehörde skep- die er jedoch nur preis tisch auf diesen für ein Jahr aus- Schüler mit Privat- übte, um sich Christian Matthias Theodor Mommsen wurde am 30. November 1817 in Gar- schulausbildung Carl von Ossietzky (1915) erneut hauptbe- blickte. Am 1. Okto- ruflich dem Jour- ding im Herzogtum Schleswig gebo- ber 1907 trat er, nachdem er zunächst nalismus zu widmen, später übernahm ren. Nach anfänglichem Privatunter- auf der Warteliste für „anzustellende er die Herausgabe und Chefredaktion richt besuchte er ab Oktober 1834 das Hülfsschreiber“ gestanden hatte, in der Wochenzeitschrift „Die Weltbüh- Christianeum in Altona und begann den Justizdienst ein, drei Jahre später ne“. Gemeinsam mit Kurt Tucholsky u. vier Jahre später in Kiel mit dem Jura- wurde er aufgrund seiner Leistungen a. gründete er in Berlin den Friedens- studium. Hier lernte er auch den Jura- ins Grundbuchamt versetzt. bund der Kriegsteilnehmer, engagierte Kommilitonen und späteren Dichter sich in der „Nie wieder Krieg“- Theodor Storm kennen, mit dem er 1908 trat er der Demokratischen Verei- Bewegung und war an der Gründung zeitweise eine Wohnung teilte. Ge- nigung bei, drei Jahre später entwi- der nicht gerade erfolgreichen und meinsam mit dessen Bruder gaben sie ckelte er sich zum eifrigen Artikel- daher nur kurzfristig überlebenden 1843 eine Sammlung von Gedichten, schreiber verschiedener Zeitschriften. Republikanischen Partei beteiligt. En- das „Liederbuch dreier Freude“, her- Der Artikel „Das Erfurter Urteil“ brachte de 1931 wurde Ossietzky wegen Ver- aus. Im selben Jahr wurde er in Kiel ihm wegen „öffentlicher Beleidigung“ rats militärischer Geheimnisse – in promoviert. eine Geldbuße von 200 Mark ein. Sei- einem Artikel hatte er die verbotene (Fortsetzung auf Seite 6) ne Ehefrau, die er in Hamburg 1912 Aufrüstung der Reichswehr öffentlich Seite 6

Berlin auf dem Dreifaltigkeits- Gerhard Herzberg – Chemienobelpreis friedhof II in Berlin-Kreuzberg begraben. Gerhard Herzberg kam am 25. Dezember 1904 in Hamburg zur Otto P.H. Diels – Chemienobel- Welt und war Schüler des Hamburger preis Johanneums. Sein Studium absolvier- te er an der Technischen Hochschule Otto Paul Hermann Diels wurde in Darmstadt, dort wurde er 1928 auch am 23. Januar 1876 in Hamburg zum Dr. Ing. promoviert. Nach einjähri- geboren. Im Alter von zwei Jah- gen Aufenthalten in Göttingen und ren ist er mit der Familie nach Bristol kehrte er von 1930-1935 als Berlin verzogen, besuchte das zweiter Assistent des Physikers Hans Joachimsthalsche Gymnasium, Rau nach Darmstadt zurück. 1935 das sich damals noch in Berlin wanderte Herzberg nach Kanada aus, befand, und studierte anschlie- da ihm aufgrund seiner Ehe mit der ßend an der Friedrich-Wilhelms- aus einer jüdischen Familie stammen- Universität in Berlin Chemie. den Physikerin Luise Oettinger die Dort wurde er 1899 promoviert, Lehrbefugnis entzogen worden war. 1906 wurde er habilitiert und An der University of bekam 1915 Saskatchewan be- in Berlin kam er nach kurzer eine Profes- Zeit eine Professur sur. 1916 in Physik. 1945 wur- wechselte de er kanadischer er nach Staatsbürger. Lehrtätigkeit in Berlin als Nach einem mehr- Theodor Mommsen Lehrstuhl- jährigen Aufenthalt inhaber an am Yerkes-Obser- Obgleich Jurist widmete er sich fortan, die Christian- vatorium der Univer- ausgehend vom Römischen Recht, Albrechts-Univer- sity of Chicago kehr- einem gerade im Entstehen befindli- sität nach Kiel, te er nach Ottawa in chen neuen Fach, der Alten Geschich- deren Rektor er Kanada zurück. Er te. Zunächst verdiente er sich seinen 1925 und 1926 war langjähriges Lebensunterhalt jedoch als Aushilfs- war. Bis 1945 Ehrenmitglied des lehrer an zwei Mädchenpensionaten, leitete er das Fachbeirats des die Tanten von ihm in Altona leiteten. Institut für Che- Max-Planck-Instituts 1844 besuchte er aufgrund eines däni- mie und widmete für Quantenoptik in schen Reisestipendiums – Altona un- sich insbesondere Garching. terstand damals dem dänischen König der organischen – Frankreich und Italien, hier vertiefte Chemie. Schwer- er seine Kenntnisse lateinischer In- punkte seiner schriften. 1848 bekam er einen Ruf als Arbeit waren die Otto Diels (Fortsetzung auf Seite 7) außerordentlicher Professor für Konstitution der Rechtswissenschaft nach Leipzig, be- Steroide, Dehydrie- gann seine umfangreiche Publikations- rungsreaktionen mit tätigkeit, war aber auch politisch aktiv. Selen, bestimmten Wegen Beteiligung am sächsischen Ketonen, Urethan Maiaufstand wurde er 1851 aus dem und Kohlenstoffsub- Hochschuldienst entlassen. oxid. Er war Mitglied mehrerer wissen- 1852 trat er dann einen Lehrstuhl für schaftlicher Akade- Römisches Recht in Zürich an, es folg- mien und erhielt te eine Station in Breslau und 1861 verschiedene Prei- wurde er endlich nach Berlin berufen, se, 1950 zusammen wo er an der Friedrich-Wilhelm- mit seinem Schüler Universität einen Lehrstuhl für römi- Kurt Alder den No- sche Altertumskunde übernahm – hier belpreis für Chemie hielt er bis 1885 Vorlesungen. für die Entdeckung Mommsen erhielt zahlreiche, auch der Diels-Alder- ausländische Ehrungen, 1902 wurde Reaktion. ihm für sein Hauptwerk, „Römische Am 7. März 1954 ist Geschichte“, der Literaturnobelpreis Otto Diels in Kiel zuerkannt. verstorben. Theodor Mommsen verstarb am 1.

November 1903 in Charlottenburg und liegt in einem Ehrengrab des Landes Gerhard Herzberg Seite 7

Neben zahlreichen Ehrenmitglied- Noch im selben Jahr wanderte Franck sam mit James Franck die Elektronen- schaften, -titeln und Auszeichnungen in die USA nach Baltimore aus, wohin stoßversuche, die unter dem Namen erhielt er 1971 „für seine Beiträge zur er nach einer Gastprofessur 1934/35 Franck-Hertz-Versuch Bekanntheit er- Kenntnis der elektronischen Struktur in Kopenhagen an die Johns Hopkins langen sollten. und Geometrie von Molekülen, insbe- University zurückkehrte; er nahm spä- sondere von freien Radikalen“ den ter auch die amerikanische Staatsbür- Ab 1914 nahm er am 1. Weltkrieg als Nobelpreis für Chemie. gerschaft an. 1938 wechselte er als Offizier teil und gehörte ab 1915 eben- Professor für Physikalische Chemie an falls – wie Franck – der Spezialtruppe Am 3. März 1999 ist Gerhard Herzberg die University of Chicago, wo er 1947 für den Gaskampf an, am 7. Juli 1915 in Ottawa verstorben. emeritiert wurde. Noch am 11. Juni wurde er bei einem Gasangriff auf rus- 1945 hatte er dem amerikanischen sische Truppen in Polen nach einer James Franck – Physiknobelpreis Kriegsminister Winddrehung schwer verletzt. Der persönlich seine mehrmonatige Lazarettaufenthalt führ- James Franck Bedenken gegen te dann auch zu seiner Entlassung. wurde am 26. einen Atombom- Nach der Habilitation 1917 war er bis August 1882 benabwurf auf 1920 Privatdozent für Physik an der als ältester Japan übermittelt. Universität in Berlin. Sohn des jüdi- Neben verschie- schen Banki- denen Preisen 1920 übernahm Hertz für fünf Jahre ers Jacob und Ehrungen, die Leitung des Physikalischen Labors Franck in auch nach seiner von Philips in Eindhoven in den Nie- Hamburg ge- Emeritierung derlanden. Ab 1925 hatte er einen boren und er- – u. a. ist nach Lehrstuhl an der Universität Halle inne, langte am Wil- ihm der Mondkra- 1927 wurde er Ordinarius für Physik helm-Gymna- ter Franck be- und Leiter des neu errichteten Physi- sium 1902 sein nannt –, erhielt er kalischen Instituts an der Technischen Abitur. Nach 1925 zusammen Hochschule Charlottenburg. kurzem Studi- mit Gustav Hertz um der Che- den Nobelpreis 1935 entzogen ihm die Nationalsozia- mie in Heidel- für Physik wegen listen wegen seiner jüdischen Vorfah- berg wechselte des Franck-Hertz- ren die Prüfungsberechtigung, worauf er nach Berlin Versuchs, mit er auch auf den Lehrstuhl verzichtete. zum Studium dem die Existenz Neben seiner Tätigkeit als Direktor des der Physik, wo von diskreten Siemens&Halske-Forschungslabors II er 1906 bei Energieniveaus in in Berlin behielt er lediglich eine Hono- Emil Warburg Atomen belegt rarprofessur bei. promovierte. wurde. Zunächst folg- Da er sich im Rahmen seiner For- James Franck te eine Assis- James Franck schungen auch mit der für den Bau tenz im Physikalischen Verein in verstarb am 21. Mai 1964 anlässlich einer Atombombe wichtigen Fragen Frankfurt am Main und kurz darauf in eines Besuches in Göttingen, er liegt wie Diffusionstrennanlagen für leichte Berlin, 1911 als Privatdozent, ab 1916 auf dem Ohlsdorfer Friedhof in Ham- Isotope beschäftigte, verbrachte ihn als außerordentlicher Professor. Im burg begraben. eine Spezialeinheit Ersten Weltkrieg meldete Franck sich der Roten Armee im als Freiwilliger, 1917 wurde er bei ei- April 1945 nach nem Gasangriff schwer verletzt und Suchumi am erhielt das Eiserne Kreuz Erster Klas- Gustav Hertz – Schwarzen Meer, wo se. Er gehörte neben Otto Hahn und Physiknobelpreis er ein Forschungs- Gustav Hertz zu den Offizieren, die labor für deutsche unter Fritz Haber an der Front den Gustav Ludwig Spezialisten zu Giftgaseinsatz überwachten. Hertz wurde am leiten hatte. Im 22. Juli 1887 in Herbst 1954 kehrte Ab 1918 war er Leiter der Abteilung Hamburg geboren, er in die DDR zu- Physik am Kaiser-Wilhelm-Institut für wuchs hier auf und rück, hier übernahm Physikalische Chemie in Berlin- war wie Gerhard er 1955 die Leitung Dahlem. Herzberg Schüler des Wissenschaftli- der Gelehrtenschu- chen Rates für die Aus Protest gegen die Entfernung aller le des Jonanne- friedliche Anwen- jüdischen Mitbürger aus Staatsstellun- ums. Er studierte in dung der Atom- gen aufgrund des „Gesetz zur Wieder- Göttingen, Mün- energie beim Minis- herstellung des Berufsbeamtentums“ chen und Berlin terrat der DDR; be- nach Machtübernahme durch die Na- Physik mit Schwer- reits ein Jahr zuvor tionalsozialisten legte er sein Profes- punkt Quantenme- wurde er Direktor sorenamt an der Universität Göttingen chanik, 1911 erfolg- des physikalischen Gustav Hertz (1925) 1933 nieder, obwohl er als sogenann- te die Promotion in Instituts an der ter Frontkämpfer – zumindest zu- Berlin. Dort war er dann Assistent am Karl-Marx-Universität in Leipzig. nächst – von diesem Gesetz verschont Physikalischen Institut der Universität geblieben wäre. Berlin. 1912/13 entwickelte er gemein- (Fortsetzung auf Seite 8) Seite 8

Gustav Hertz war u. a. Mitglied der Wolfgang Paul – Physiknobelpreis dierte er Mathematik und Naturwissen- Akademie schaften in München, Freiburg und der Wissen- Wolfgang Paul wurde Breslau. An der Universität Breslau schaften der am 10. August 1913 wurde er 1912 promoviert. Im selben UdSSR und in Lorenzkirch/ Jahr ging er an die Karls-Universität Träger zahl- Sachsen geboren nach Prag zu Albert Einstein und folgte reicher Aus- und nach dem Studi- diesem 1913 an die Eidgenössische zeichnungen um der Physik 1939 Technische Hochschule nach Zürich, und Ehrun- in Berlin promoviert. wo er sich bereits im selben Jahr in gen, darunter Von 1937 bis 1942 physikalischer Chemie habilitierte. auch des war als wissenschaft- 1915 erfolgte an der Johann-Wolfgang Nobelpreises licher Assistent an von Goethe-Universität in Frankfurt am für Physik, der Christian- Main die Umhabilitation auf theoreti- den er 1925 Albrechts-Universität sche Physik; hier blieb er – unterbro- zusammen in Kiel tätig. Er folgte chen vom 1. Weltkrieg, in dem er zu- mit James dann seinem akade- nächst an der russischen Front, dann Franck erhal- mischen Lehrer nach in technischer Verwendung diente – ten hatte. Göttingen, habilitierte bis 1921, bereits ab 1919 mit Profes- sorentitel. Gustav Hertz 1921 erfolgte ist am ein Ruf für ein 30. Oktober Extraordina- 1975 in Ost- riat für theore- Berlin ver- tische Physik storben und an die Univer- wurde auf sität Rostock. dem Ohls- Hans Jensen (1963) dorfer Fried- Bereits zwei hof im Familiengrab neben seinem Jahre später Onkel Heinrich Hertz bestattet. sich 1944 und nahm er die war dort bis Stelle des 1952 als Pro- Ordinarius am fessor tätig. neu gegrün- J. Hans D. Jensen – Physiknobelpreis 1952 folgte deten Institut für physikali- Johannes Hans Daniel Jensen kam sein Ruf nach Bonn, wo er die sche Chemie am 25. Juni 1907 in Hamburg zur an der Uni- Welt. Ab 1926 studierte er an den Uni- Leitung des Physikalischen versität Ham- versitäten Hamburg und der Albert- burg an. Ludwigs-Universität in Freiburg im Instituts über- nahm und bis Breisgau Physik, Mathematik, Physi- kalische Chemie und Philosophie. 1981 lehrte. Von 1964 bis Wolfgang Paul Nach seiner Promotion blieb er in Hamburg als wissenschaftlicher Assis- 1967 war er tent, hier habilitierte er sich auch 1936. zudem Direktor des Physikdeparte- (Fortsetzung auf Seite 9) Ein Jahr später wurde er zunächst ments am CERN und von 1970 bis Dozent, ab 1941 außerordentlicher 1973 Vorsitzender des Direktoriums Professor an der Technischen Hoch- von DESY in Hamburg. schule Hannover. Hamburg ernannte Neben zahlreichen nationalen und ihn 1947 zum Professor h. c. Nach internationalen Auszeichnungen erhielt dem Krieg nahm er 1949 den Ruf der er 1989 zusammen mit Norman Foster Universität Heidelberg zum ordentli- Ramsey und Hans Georg Dehmelt für chen Professor an, dort wurde er auch die Entwicklung der nach ihm benann- 1969 emeritiert. In seine Heidelberger ten Ionen-Falle den Nobelpreis für Zeit fielen mehrere Gastprofessuren in Physik. den USA. Wolfgang Paul ist am 7. Dezember Neben verschiedenen Ehrungen er- 1993 in Bonn verstorben. hielt er 1963 gemeinsam mit Maria Goeppert-Mayer den Nobelpreis für Physik für ihre „Entdeckung der nukle- aren Schalenstruktur“. Otto Stern – Physiknobelpreis

J. Hans D. Jensen verstarb am Am 17. Februar 1888 wurde in Sohrau/ 11. Februar 1973 in Heidelberg und ist Oberschlesien Otto Stern als Sohn in Partenstein/Bayern beigesetzt. einer wohlhabenden jüdischen Familie geboren. Nach Besuch des gemischt- konfessionellen Johannesgymnasiums in Breslau und dem Abitur 1906 stu- Otto Stern Seite 9

1930/31 war er Dekan der Hamburger schaft, auch wenn dieser ihm Universität und von 1931-32 Mitglied wegen der verbreiteten und von von dessen Senat. Wie so viele Wis- Pauli geteilten Theorie – scherz- senschaftler emigrierte er 1933 wegen haft Pauli-Effekt genannt –, laut seiner jüdischen Herkunft in die USA der alle in Anwesenheit Paulis und nahm sechs Jahre später die durchgeführten Experiment amerikanische Staatsbürgerschaft an. misslängen, Laborverbot erteilte. Von 1933 bis zu seiner Emeritierung 1945 hatte er die Stelle eines For- 1928 folgte er einer Berufung an schungsprofessors der Physik am Car- den Lehrstuhl für theoretische negie Institute of Technology in Pitts- Physik der Eidgenössischen burgh inne. Technischen Hochschule Zürich, wo er mit Unterbrechungen bis Neben weiteren Auszeichnungen er- zu seinem Lebensende tätig hielt er 1943 als „Anerkennung seines blieb. In der Schweiz lernte er Beitrags zur Entwicklung der Moleku- den Psychiater Carl Gustav Jung larstrahl-Methode und für seine Entde- kennen, mit dem er bis zu sei- ckung des magnetischen Moments nem Tod einen regen Briefwech- des Protons“ den Nobelpreis für Phy- sel führte. 1930 postulierte er ein sik. neues Teilchen, das Neutrino, dessen Nachweis erst 1956 ge- Otto Stern ist am 17. August 1969 in lang. Wegen seiner jüdischen Berkeley verstorben. Wurzeln verließ Pauli 1940 die Schweiz und arbeitete während der Kriegsjahre in den USA. Im Gegensatz zu vielen seiner Kol- Wolfgang Pauli – Physiknobelpreis legen wurde er nicht in die Kriegsforschung miteinbezogen Hans Adolf Krebs Wolfgang Ernst Pauli wurde am und widmete sich weiter der 25. April 1900 Grundlagenarbeit. dem Besuch des dortigen Gymnasi- in Wien gebo- ums Andreanum studierte er von 1918 ren. 1918 ab- Obwohl er 1946 die bis 1923 in Göttingen, Freiburg im solvierte er in amerikanische Breisgau, Berlin und München Medizin Wien seine Staatsbürgerschaft und wurde 1925 in Hamburg promo- Matura und erhielt, kehrte er viert. Danach studierte er ein Jahr lang veröffentlichte noch im selben Chemie in Berlin, hier war er auch spä- bereits zwei Jahr an seinen ter bis 1930 Assistent des Nobelpreis- Monate später Lehrstuhl in Zürich trägers Otto Warburg am Kaiser- eine Arbeit zurück und nahm Wilhelm-Institut für Biologie. über Einsteins 1949 die Schweizer Relativitäts- Staatsbürgerschaft Ab 1930 arbeitete er zunächst als Me- theorie. Nach an. Pauli blieb dem diziner in Hamburg-Altona und ab einem dreijäh- Institute for Ad- 1931 als Assistent an der Universitäts- rigen Studium vanced Study in klinik in Freiburg, wo er sich ein Jahr an der Ludwig- Princeton, an dem später habilitierte. Wegen seiner jüdi- Maximilians- er als Gastprofes- schen Herkunft wurde ihm 1933 die Universität in sor tätig gewesen Lehrbefugnis entzogen. Nach seiner München pro- war, trotzdem wei- Flucht nach England setzte er seine movierte er ter verbunden und Studien fort, diesmal an der Universität 1921 und trat besucht die USA in Cambridge in Biochemie. 1935 wurde anschließend den folgenden Jah- er Dozent, 1945 Professor für Pharma- als Nachfolger ren immer wieder kologie an der Universität Sheffield, von Werner auf Vortragsreisen. 1954 erfolgte die Berufung nach Heisenberg Oxford. Noch in Freiburg entdeckte er eine einjährige Wolfgang Pauli (1940) Wolfgang Pauli 1932 gemeinsam mit Kurt Henseleit Assistenzstelle verstarb am 15. den Harnstoffzyklus (Krebs-Henseleit- bei Max Born in Göttingen an. Auf Ein- Dezember 1958 in Zürich an Zyklus) und fünf Jahre später den Ci- ladung von Niels Bohr verbrachte Pauli Pankreas-Krebs. Heute ist der größte tratzyklus. Neben zahlreichen Ehrun- ein Studienjahr in Kopenhagen, bevor Hörsaal des Physikalischen Instituts gen wurde ihm für die letztgenannte er 1923 erst als Assistent und nach der Universität Hamburg nach ihm Entdeckung 1953 zusammen mit dem seiner Habilitation 1924 als Privatdo- benannt. aus Deutschland eingewanderten zent an der Universität Hamburg arbei- Amerikaner Fritz Albert Lipmann der tete. Pauli postulierte in dieser Zeit den Nobelpreis für Physiologie und Medizin Kernspin und formulierte 1925 das verliehen. Pauli-Prinzip, für dessen Entdeckung Hans Adolf Krebs – Medizinnobelpreis ihm 1945 der Nobelpreis verliehen Hans Adolf Krebs starb am 22. No- wurde. Ab 1926 hielt er eine Professur Hans Adolf Krebs kam am 25. August vember 1981 in Oxford. ▀ in Hamburg. Mit seinem Kollegen Otto 1900 in Hildesheim als Sohn einer Stern verband ihn eine gute Freund- jüdischen Arztfamilie zur Welt. Nach Seite 10

Alfred Nobel und die Nobelpreise

Alfred Bernhard Nobel wurde am 1917 verzeichnet 21. Oktober 1833 in Stockholm gebo- übrigens der Jah- ren, er hatte zwei ältere und einen jün- resbericht der geren Bruder. Aufgrund der berufli- Hamburger Ko- chen Aktivitäten des Vaters kam Nobel lonne vom Roten 1842 nach St. Petersburg, erhielt eine Kreuz: „In Geest- hervorragende Ausbildung und reiste hacht [damals zu in den Folgejahren in diverse Länder, Hamburg gehörig] darunter Deutschland und Frankreich. hatten die Mitglie- In Paris lernte er den Entdecker des der bei Unfällen in Nitroglycerins, Ascanio Sobrero, ken- Pulverfabriken nen, der dieses jedoch für nicht praxis- und den dadurch tauglich hielt. 1859 kehrte er nach nötig gewordenen Stockholm zurück. Von da an richtete Transporten in die er seine Bemühungen darauf aus, das Hamburgischen Nitroglycerin sprengstofftauglich zu Krankenhäuser … machen. Um mit größerer Sicherheit häufig Gelegen- sprengen zu können, entwickelte er heit zur Hilfe.“ 1863 die Initialzündung. (S. 13)

Seine Experimente führte er u. a. auch Im Oktober 1866 in Deutschland durch – in der Zeche nimmt Nobel ei- Dortmund-Dorstfeld im Ruhrgebiet, nen bahnbrechen- aber auch im Raum Hamburg, nicht den Versuch auf zuletzt, weil bei einem Versuch in seinem Elbkahn Schweden 1864 sein jüngerer Bruder vor Geesthacht Emil und vier Mitarbeiter ums Leben vor: Erstmals ver- kamen und ihm daraufhin weitere Ex- bindet er das flüs- perimente in Stockholm durch die Be- sige Nitroglycerin hörden untersagt wurden. Zusammen mit Kieselgur, der mit deutschen Geschäftspartnern baut aus der Lünebur- er Mitte der 60er Jahre auf dem Geest- ger Heide stam- hang von Krümmel bei Geest- menden pulvrigen hacht eine Sprengstofffabrik. Nicht Substanz, die weit vom Hamburger Hafen entfernt, hauptsächlich aus den fossilen Scha- dem Tage nämlich, an dem zwei Ar- lässt sich von dort aus das hoch explo- len von Kieselalgen besteht. Das stellt meen in der Lage sein werden, sich sive Nitroglycerin in die ganze Welt die Geburtsstunde des Dynamits dar, gegenseitig in Sekundenschnelle zu verschiffen. Im Mai 1866 gibt es auch das elastisch und explosiv, aber er- vernichten, werden wohl alle zivilisier- im Geesthachter Werk eine gewaltige heblich besser zu transportieren ist, da ten Nationen vor einem Krieg zurück- Explosion und Nobel nimmt seine Ver- es Erschütterungen besser Stand hält. schrecken und ihre Truppen nach suche, den Sprengstoff sicherer zu Und das „Nobels Sicherheitspulver“ Hause schicken.“ Heimlich nimmt er machen, wieder auf. Für das Jahr genannte Gemisch lässt sich auch in an Friedenskongressen teil und spen- Pappröhren abfüllen und mit einem det Geld für pazifistische Organisatio- Zünder versehen. In Geesthacht nen. 1895 verfügt der kinderlose No- werden jetzt hunderte Arbeiter ein- bel, dass nach seinem Tode – er starb gestellt, es entstehen werkseigene ein Jahr später am 10. Dezember in Siedlungen, Schulen und Straßen San Remo an einem Herzinfarkt und und der Ort wird an das Eisenbahn- liegt in Stockholm begraben – mit dem netz angeschlossen. Bald besitzt größten Teil seines Vermögens eine Nobel 355 Patente, verfügt über 90 Stiftung zu gründen sei, aus deren Fabriken in 20 Ländern und steigt Zinsen Preise an die Menschen verlie- in weitere Industriezweige wie das hen werden mögen, die „im verflosse- Erdölgeschäft ein. Damit erwirt- nen Jahr der Menschheit den größten schaftet er ein ungeheures Vermö- Nutzen gebracht haben“. Die Höhe gen. Aber 1892 werden allein in seines Vermögens betrug bei seinem Europa auch mehr als 1.000 Atten- Tod 31,2 Millionen Kronen. tate mit Dynamit ausgeübt. Die Stiftung wurde am 29. Juni 1900 Doch eigentlich, auch wenn er am gegründet und seit 1901 werden jedes Krieg verdient, war Krieg nicht sein Jahr an Nobels Todestag die Nobel- Ziel. Gegenüber der Friedenskämp- preise für Chemie, Physik, Physiologie ferin Bertha von Suttner, der er oder Medizin und Literatur in Stock- erstmals 1876 in Paris begegnet, holm und für denjenigen, vertritt er vielmehr die These der gegenseitigen Abschreckung. „An (Fortsetzung auf Seite 11) Alter Wasserturm der Dynamitfabrik in Geesthacht Seite 11

„der am meisten oder besten für die sind). Nach den Statuten der Stiftung Gedächtnispreis für Wirtschaftswissen- Verbrüderung der Völker gewirkt hat, obliegt es den Preisvergabeinstitutio- schaften. für die Abschaffung oder Verminde- nen zu entscheiden, ob auch Institutio- rung der stehenden Heere sowie für nen oder nur Personen ausgezeichnet In Norwegen, das zu Lebzeiten Nobels die Bildung und Verbreitung von Frie- werden dürfen. in Personalunion mit Schweden ver- denskongressen“ der Friedensnobel- bunden war, entscheidet ein aus fünf preis in Oslo/Norwegen verliehen In Schweden ist für die Preisverleihung Personen bestehendes Komitee, das (siehe auch den NDR-Beitrag vom der Preise für Physik und Chemie die vom norwegischen Parlament, dem 30.09.2016 „Vor 150 Jahren: Alfred „Königlich Schwedische Akademie der Storting, bestimmt wird, über die Preis- Nobel erfindet das Dynamit“, dem gro- Wissenschaften“, deren Mitglied Nobel träger. Es wird angenommen, dass ße Teile dieses Artikels entnommen selbst war, für Physiologie oder Medi- Nobel das norwegische Parlament zin das Karo- deshalb ausgewählt hat, weil es in der linska-Institut Zeit der Personalunion mit Schweden und für Lite- nicht für Außenpolitik zuständig und ratur die somit weniger von außerhalb zu beein- Schwedische flussen war. Vorschläge für den Preis Akademie können die Mitglieder des Komitees, zuständig. frühere Preisträger, alle Mitglieder ei- ner Regierung oder des Internationa- Seit 1968 len Gerichtshofs in Den Haag sowie gibt es zu- Professoren der Fachrichtungen Sozi- dem den von alwissenschaft, Geschichte, Philoso- der Schwedi- phie, Recht und Theologie sowie Leiter schen von Friedensforschungsinstituten und Reichsbank ähnlichen Organisationen einreichen. gestifteten ▀ Alfred-Nobel- Rathaus von Oslo, in dem der Friedensnobelpreis verliehen wird

Rotes Kreuz – menschlich gesehen

Henry Dunant

Jean-Henri Dunant, auch Henry Du- trag der „Genfer Handelsgesellschaft Schweiz 1858 erhoffte sich Dunant nant, wurde am 8. Mai 1828 in Genf der Schweizer Kolonien von Setif“ Al- eine Erleichterung für seine Geschäfte. als Sohn des Kaufmanns Jean- gerien, Tunesien und Sizilien. Drei Jacques und Jahre später Ein Jahr später beschloss er, sich di- seiner Frau An- gründete er rekt an den französischen Kaiser toinette Dunant- eine eigene Napoléon II. zu wenden, der sich aus Colladon gebo- Kolonialgesell- Anlass des Krieges Sardinien- ren. Seine schaft, erwarb Piemonts, das von Frankreich unter- streng calvinisti- Landkonzessi- stützt wurde, gegen Österreich zu die- schen Eltern onen in Algeri- sem Zeitpunkt in der Lombardei auf- waren in Genf en und stieg hielt. Seine geschäftlich gesteckten politisch und zwei Jahre Ziele konnte er dort jedoch nicht errei- sozial engagiert später mit der chen. 1865 folgten in Algerien auf krie- und verfügten „Finanz- und gerische Auseinandersetzungen eine über großen Industriegesell- Cholera-Epidemie, eine Heuschre- Einfluss. Da er schaft der ckenplage, Erdbeben, eine Dürre und kein guter Schü- Mühlen von ein außergewöhnlich harter Winter. ler war, musste Mons-Djémila“ Dunants Geschäfte brachen zusam- er das Collège ins Mühlenge- men, im April 1867 erfolgte die Auflö- Calvin vorzeitig schäft ein; al- sung der an seinen Unternehmungen verlassen und lerdings waren beteiligten Finanzierungsgesellschaft 1849 eine drei- die Land- und Crédit Genevois und er war gezwun- jährige kaufmän- Wasserrechte gen, Konkurs anzumelden. Am nische Ausbil- nicht klar gere- 17. August 1868 wurde er vom Genfer dung bei einem gelt und die Handelsgericht wegen betrügerischen Geldwechsler zuständigen Konkurses verurteilt. Genf hatte er beginnen. Nach französischen jedoch bereits im März 1867 verlassen erfolgreichem Behörden we- und sollte seine Heimatstadt nicht Von Dunant gezeichnete Aktie „Mons-Djémila“ Abschluss nig hilfreich. mehr wiedersehen. wechselte er als Angestellter in eine Durch Annahme der französischen Bank. 1853 besuchte Dunant im Auf- Staatsbürgerschaft neben der der (Fortsetzung auf Seite 12) Seite 12

Da Dunant seine Eltern schon früh bei und Hilfsgüter. Bei der Hilfe wurde kein häufig nicht die gleichen Vorstellungen ihren Aktivitäten begleitet hat, z. B. Unterschied zwischen den Nationalitä- über das Vorgehen hatten. Nach dem seinen Vater auf eine Reise nach ten der Soldaten gemacht, hier ent- persönlichen Bankrott wurde Dunant Toulon, wo er stand die Lo- dazu gedrängt, zunächst am 25. Au- das Schicksal sung „Tutti fra- gust 1867 als Sekretär des Komitees von Galeeren- telli“ – alle sind zurückzutreten, am 8. September er- häftlingen mit Brüder. Für folgte sein Ausschluss. ansehen muss- sein Wirken te, wurde er erhielt er 1860 Dunant siedelte nach Paris über, wo er bereits früh zusammen mit zeitweilig in ärmlichen Verhältnissen durch diese dem Arzt Louis lebte, ließ jedoch auch dort nicht von Umstände stark Appia 1860 seinen idealistischen Ideen ab. Im geprägt. Als vom sardischen Deutsch-Französischen Krieg 1870/71 Jugendlicher König Emanu- gründete er eine Allgemeine Fürsorge- besuchte er die el II. die zweit- gesellschaft und kurz danach eine All- Sonntagsschu- höchste Aus- gemeine Allianz für Ordnung und Zivili- le der Société zeichnung des sation mit dem Ziel der Verminderung Evangélique de Königreichs bewaffneter Konflikte, der Reduzierung Genève und mit Italien, den Or- des Ausmaßes von Gewalt und Unter- 18 trat er der den des Heili- drückung und dem Schutz der Arbeiter Gesellschaft für gen Mauritius vor unbeschränkter Ausbeutung durch Almosenspen- und Larzarus. ihre Arbeitgeber. Schon früh forderte den bei. Im er die Einrichtung eines Internationa- Jahr darauf Über seine Ein- len Gerichtshofs. In Paris und England gründete er mit drücke verfass- engagierte er sich zugunsten eines Freunden die te Dunant die besseren Loses von Kriegsgefange- „Donnerstags- 1862 veröffent- nen und regte eine entsprechende Vereinigung“, lichte Schrift internationale Konferenz an. Im einen Bund Henry Dunant im Kreise seiner Familie „Eine Erinne- Februar 1874 wurde Dunant auf dem junger Men- rung an Solferi- ersten Kongress der in Paris neu ge- schen, die sich zu Bibelstunden trafen no“, die er auf eigene Kosten drucken gründeten „Gesellschaft für die Ver- und gemeinsam hungernde und kran- ließ und für deren Verbreitung auch an besserung der Bedingungen der ke Menschen unterstützten. Seine den Fürstenhöfen Europas er persön- Kriegsgefangenen“ zu deren erstem freien Abende und Sonntage verbrach- lich Sorge trug. In Genf konnte er den Sekretär ernannt. In der Folge enga- te er oft mit Gefangenenbesuchen und Präsidenten der Genfer Gemein- giert er sich für immer mehr Ziele, z. B. mit der Hilfe für Arme. Aus den Aktivi- nützigen Gesell- die Befreiung der Skla- täten und Eindrücken der Donners- schaft, Gustave ven in Nordamerika tags-Vereinigung heraus gründete Moynier, gewin- oder die Gründung Dunant am 30. November 1852 eine nen, sich mit einer Weltbibliothek. Genfer Gruppe des Christlichen Ver- seinen Ideen in Die internationale Rot- eins junger Männer (CVJM), in der er der Mitglieder- kreuzbewegung hatte die Aufgabe des Schriftführers über- versammlung zu ihn fast vergessen, nahm. Im Alter von 24 Jahren wurde er befassen, mit auch wenn die Gesell- im selben Jahr bis 1859 der Sekretär der Folge der schaften Österreichs, (Leiter) der Schweizerischen Evangeli- Gründung eines Hollands, Schwedens, schen Allianz, die er fünf Jahre zuvor Komitees. Der Spaniens und Preu- mitbegründet hatte. 17. Februar ßens ihn zum Ehren- 1863 war dann mitglied ernannt hatten. Zwar erreichte Dunant in der Lombar- das Gründungs- Er zog sich zunehmend dei nicht seine geschäftlichen Ziele, datum für das aus der Öffentlichkeit aber er war zufällig Zeuge der Auswir- später so ge- zurück und wurde men- kungen einer der blutigsten Schlachten nannte Internati- schenscheu. jener Zeit, der Schlacht von Solferino onale Komitee nahe dem Gardasee. Als er am Abend vom Roten Die Jahre 1874 bis des 24. Juni 1859 vor Ort ankam, la- Kreuz. Es folgte 1886 verbrachte er gen noch immer rund 38.000 Verwun- die erste interna- zumeist in Stuttgart bei dete, Sterbende und Tote auf dem tionale Genfer seinem Freund Rudolf Schlachtfeld, ohne dass sich jemand Konferenz unter Müller, aber auch in um sie kümmerte. Unter der örtlichen Teilnahme von Rom, Korfu, und Zivilbevölkerung, vorrangig unter den Vertretern aus 16 Ländern noch im . 1881 kam Dunant erstmals Frauen und Mädchen, organisierte er selben Jahr, die Gründungskonferenz in Begleitung seiner Stuttgarter Freun- spontan freiwillige Hilfe für die Bedürf- der Internationalen Rotkreuzkonferen- de in das kleine Dorf Heiden im Ap- tigen, in der benachbarten Kleinstadt zen, und ein Jahr später, ebenfalls in penzellerland/Schweiz. Ab 1887, da- Castiglione delle Stiviere wurde in der Genf, die Verabschiedung und Unter- mals in London lebend, erhielt er von größten Kirche des Ortes ein Hilfslaza- zeichnung der Ersten Genfer Konventi- seiner Familie eine kleine Rente, die rett eingerichtet. Weitere Behelfskran- on durch 12 Staaten. Alle Aktivitäten es ihm ermöglichte, kenhäuser folgten und er beschaffte waren maßgeblich von Dunant und auf eigene Kosten Verbandmaterial Moynier geprägt, auch wenn beide (Fortsetzung auf Seite 13) Seite 13

sich in Heiden niederzulassen, zuletzt „Grünes Kreuz“ die Gründung ab dem 30. April 1892 im Spital des eines internationalen Frauen- Ortes. Hier lebte er völlig zurückgezo- hilfsbundes an. gen und beschäftigte sich mit religiös- mystischen Gedanken. 1890 wurde er 1901 erhält Dunant zusam- Ehrenpräsident des im gleichen Jahr men mit Frédéric Passy den gegründeten Heidener Rotkreuz- ersten Friedensnobelpreis der Vereins. Nach einer zufälligen Begeg- Geschichte. Die letzten Jahre nung in Heiden verfasste der Chefre- seines Lebens in Heiden ver- dakteur der Zeitung „Die Ostschweiz“ brachte er in zunehmender aus St. Gallen einen Artikel über den Angst vor seinen Gläubigern Gründer des Roten Kreuzes. Hiernach und seinem Widersacher rückte er wieder in das Bewusstsein Moynier und sie waren ge- der Öffentlichkeit und erhielt auch – prägt von immer häufigeren allerdings nicht seitens des Internatio- Depressionen. Er bezeichne- nalen Komitees vom Roten Kreuz, te sich zwar noch immer als dem noch immer Moynier vorstand – gläubigen Christ, hatte sich internationale Ehrungen. Weiterhin aber von jeder organisierten zurückgezogen lebend stand er jedoch Form der Religion, auch vom z. B. in Briefkontakt mit Bertha von Calvinismus, losgesagt. Am Suttner und verfasste verschiedene 30. Oktober gegen 22.00 Uhr Artikel, so z. B. „Die Waffen nieder“, verstarb Henry Dunant, damit „An die Presse“ oder „Kleines Arsenal überlebte er seinen alten Wi- gegen den Militarismus“ bzw. „Krieg“. dersacher 1897 regte er unter dem Namen um zwei Monate.▀

Literaturtipp

J. Henry Dunant

In mehreren Auflagen – Erstauflage 1962, zuletzt 4. Auflage 1985 – liegt die von Willy Heudtlass verfasste Biographie „J. Henry Dunant. Gründer des Roten Kreuzes. Urheber der Genfer Konvention“ im Umfang 225 Seiten aus dem Verlag W. Kohlhammer – Stuttgart Berlin Köln Mainz – mit Vorworten des damaligen DRK-Präsidenten, Walter Bagatzky, des damali- gen Präsidenten des Schweizerischen Roten Kreuzes, Prof. Hans Haug, und des Altpräsi- denten des Internationalen Komitees vom Roten Kreuz, Prof. Carl J. Burckhardt, vor.

Es ist nach wie vor die wohl umfang- und detailreichste deutschsprachige Lebensbeschrei- bung Dunants. Sie zeichnet sich durch einen großen Anteil an ausführlichen Zitaten unter- schiedlichster Quellen, die im Zusammenhang mit Dunants Werk stehen, aus und bietet da- her einen reichhaltigen Fundus auch für Einzelaspekte aus Dunants Leben. Am Ende findet sich ein Anhang mit 35 Abbildungen, in erster Linie von Personen und Dokumenten.

Das Buch ist immer noch problemlos zu sehr günstigen Preisen antiquarisch erhältlich.

Henry Dunant

Von einem der profundesten Kenner der Lebensgeschichte Henry Dunants, dem Vorsitzenden der Henry-Dunant-Gesellschaft, Roger Durand, stammt diese Biographie in Taschenbuchfor- mat im Umfang von 96 Seiten. Sie ist zeitgleich mit der von Bugnion verfassten Lebensge- schichte Gustave Moyniers, 2010 zunächst in Französisch und ein Jahr später in Deutsch in Genf erschienen, gemeinsam herausgegeben von der Henry Dunant Gesellschaft und dem Deutschen Roten Kreuz. In 27 kurzen Kapiteln widmet sich das Buch zunächst Kindheit, Ju- gend, Ausbildung und Dunants beruflichen Aktivitäten, dann den einzelnen Etappen der Rot- kreuzgründung und Entstehung der 1. Genfer Konvention sowie dem Lebensabschnitt nach dem Konkurs, den Jahren im Exil und in Not bis zur Wiederentdeckung des Rotkreuzgründers, der Verleihung des Friedensnobelpreises und den unversöhnlichen Jahren bis zum Tode Du- nants. Weitere Kapitel gehen auf die anderen Ideale, Ziele und Aktivitäten Dunants, wie CVJM, Allgemeine Allianz für Ordnung und Zivilisation, Schutz der Kriegsgefangenen, Interna- tionales Schiedsgericht, Feminismus u. Ä. ein. Am Ende finden sich eine Chronologie und eine Bibliographie. ▀ Seite 14

Orte der Rotkreuzbewegung

Stuttgart

Seit den frü- Europa nach hen Tagen der 1862 seines Enga- erfolgten gements für Fertigstel- die Idee des lung seines Roten Kreu- Buches zes hatte „Eine Erinne- Dunant en- rung an Sol- gen Kontakt ferino“ in und Vertrau- Stuttgart en zu Stutt- kennen. garter Per- Wagner sönlichkeiten, übersetzte zeitweilig war das Buch ihm Stuttgart dann auch zur vorüber- ins Deut- gehenden sche. Die Heimat ge- Kontakte worden. waren so eng, dass Da ist zu- Dunant nach nächst der seinem promovierte Bankrott Theologe 1868 und Christoph den Jahren Ulrich Hahn in Paris, die zu nennen, Der Württembergische Sanitätsverein im großen Saal des Königsbaus in Stuttgart – im Vordergrund Köni- auch von der – 1805 in gin Olga und König Karl von Württemberg. Holzstich von 1871 nach einer Zeichnung von Gustav Kühn Armut und Stuttgart ge- Obdachlosig- boren – nach seinem Studium in Tü- Ein weiterer Wegbegleiter Dunants ist keit geprägt waren, im Jahr 1876 in bingen als Vikar in Lausanne und Genf der Lehrer Rudolf Müller, der im Som- das Haus des Pfarrers in Stuttgart ein- mit dem Calvinismus in Berührung mer 1877 – damals noch Student in zog und hier die folgenden elf Jahre gekommen war. Seit 1859 hatte er Tübingen – Dunant zufällig bei einem lebte. Das Haus befand sich im heuti- eine Pfarrstelle im Stuttgarter Vorort Spaziergang in Stuttgart kennenlernte. gen Stuttgarter Bezirk Stuttgart-West, Heslach inne. 1863 lernt Hahn auf der Aus diesem Zufall entwickelt sich eine im Stadtteil Hasenberg in der Hasen- Delegiertenkonferenz zur Gründung lebenslange Freundschaft, die bis zu bergsteige Nr. 7. des Roten Kreuzes in Genf als Vertre- Dunants Tod anhält. Ab 1893, damals ter Württembergs Dunant kennen. Er ist Müller Gymnasialprofessor am Anlässlich des 100. Todestages Du- ist sofort von dessen Ideen begeistert Stuttgarter Königlichen Realgymnasi- nants wurde in den Grünanlagen der und ergreift, kaum zu Hause angekom- um, entsteht in Zusammenarbeit mit Hasenbergsteige am 29. Oktober 2010 men, die Initiative zur Gründung einer Dunant Müllers „Entstehungs- ein Gedenkstein in Form einer gebro- entsprechenden Hilfsgesellschaft in geschichte des Roten chenen Stele des seiner Heimat. Noch im selben Jahr Kreuzes und der Genfer Steinbildhauers Mar- wird mit Zustimmung des Württember- Konvention“, die vier tin Raff enthüllt. Die gischen Königs der Württembergische Jahre später im Stuttgar- vier aufeinander ste- Sanitätsverein, die weltweit erste Na- ter Verlagshaus Grei- henden Quader sind tionale Hilfsgesellschaft, gegründet ner&Pfeiffer erscheint. mit den wesentlichen und anerkannt. Ein Jahr später unter- Müller setzte sich maß- Daten der Biographie zeichnet Hahn für das Königreich geblich für die Verlei- Dunants und dessen Württemberg in Genf die erste Genfer hung des ersten Frie- Motto „Tutti fratelli“ Konvention. Den Sanitätsverein beglei- densnobelpreises an beschriftet. Bezug tet er über viele Jahre, auch während Dunant ein. Er starb nimmt das Denkmal der Bewährungsphasen im Preußisch- 1922 in Stuttgart. auch auf die o. g. drei Österreichischen Krieg 1866 und im Stuttgarter Wegbe- Deutsch-Französischen Krieg 1870/71. Und letztendlich ist unter gleiter des Rotkreuz- Am 17. April 1868 ernannte der Würt- den Stuttgarter Freun- gründers, u. a. mit tembergische Sanitätsverein Dunant den Dunants der Dekan dem Zitat Dunants zu seinem Ehrenpräsidenten. Hahn Dr. Ernst Rudolf Wagner „Oh, wie schön ist verstarb 1881 und wurde in Stuttgart zu nennen. Ihn lernte dieses Stuttgart. Ich beigesetzt. Dunant bereits auf sei- liebe das Schwaben- ner Werbetour durch land.“ ▀ Denkmal Hasenbergsteige in Stuttgart Seite 15

Der besondere Tipp

Nacht des Wissens

Seit 2005 findet in Hamburg alle zwei Jahre im Herbst eine „Nacht des Wissens“ statt. Dabei öffnen mehr als 50 Hochschulen, au- ßeruniversitäre Einrichtungen und weitere wissenschaftliche Institutionen in Hamburg und der Metropolregion ihre Türen und Wissenschaftler zeigen in der Regel in über 1.000 Programm- punkten, woran sie gerade for- schen.

Viele Programmpunkte sind auch speziell für Kinder aufbereitet und im Programmheft extra ent- sprechend gekennzeichnet. Die Türen sind von 17.00 bis 24.00 Uhr geöffnet, der Zugang und ein bereitgestellter Busshuttle sind kostenlos. Hauptgebäude der Universität Hamburg

Der jeweils nächste Termin und das jeweilige Programm sind im Internet unter https://nacht-des-wissens-hamburg.de zu finden. ▀

(Rotkreuz)Museen stellen sich vor

Das Rotkreuzmuseum in Heiden

In Heiden, im Appenzellerland/Schweiz brachte Dunant zurückgezogen die 19. Jahrhunderts, präsentiert Texte befindet sich in der Bahnhofstraße 2 letzten Jahre seines Lebens. und Bilder aus Dunants Jugend und das hoch über dem Bodensee gelege- seinem frühen sozialen Engagement, ne „Henry-Dunant-Museum“. In einem In Raum 1 des Museums gibt eine erinnert an seine kolonialen Unterneh- kleinen, zum Teil rekonstruierten Zim- großflächige Ausstellung Einblicke in mungen in Nordafrika und widmet sich mer dieses ehemaligen Spitals ver- das bürgerliche Milieu des frühen der Schlacht und der von Dunant ver- fassten „Erinnerung an Solferino“.

Ein zweiter Raum steht im Zeichen der Gründung des Roten Kreuzes, des Konkurses von Dunants Unternehmun- gen und seiner Flucht durch ganz Eu- ropa. Raum 3 und 4 erinnern an seine Niederlassung in Heiden, die späte Rehabilitation und den Nobelpreis, seinen Tod in Heiden und an Dunants Projekte und Ideen für eine Welt in Frieden und sozialer Gerechtigkeit.

Das Museum ist in der Sommerzeit von Mittwoch bis Sonntag nachmit- tags, am Wochenende auch vormit- tags und in der Winterzeit mittwochs nachmittags und am Wochenende auch ganztägig geöffnet. Ab Juli 2021 ist das Museum vorübergehend wegen Umbauarbeiten geschlossen. ▀ Seite 16

Impressum Herausgeber: DRK Landesverband Hamburg e.V., Behrmannplatz 3, 22529 Hamburg Redaktion/V. i. S. d. P.: Dr. Volkmar Schön Gestaltung: Marleen Maxton Menschlichkeit Fotos: StHH 111-1 Senat CI VII Lit Rf Nr. 64 Rechenschaftsbericht des Cent- ral-Comités der dt. Vereine vom Rothen Kreuz 1880 (S. 1); DRK (S. 1); Unparteilichkeit Staatsarchiv Hamburg, Signatur 331-3–KV108-1 Bd. 2 (S. 1 u.); Willy Heudt- lass: „J. Henry Dunant. Gründer des Roten Kreuzes. Urheber der Genfer Kon- vention“, Abb. 27 (S. 2 o.); Heudtlass, Abb. 29 (S. 2 u.); Heudtlass, Abb. 30 (S. 3); Wikipedia, Henry Mühlpfordt, „Friedensnobelpreis Henry Dunant“, CC Neutralität BY-SA 3.0 (S. 4 o.); Archiv des IKRK (S. 4. u.); Wikipedia, gemeinfrei (S. 5-9); Herzberg G. 2014 May 12. Laureate - Gerhard Herzberg . Accessed 2021 Jan Unabhängigkeit 5. (S. 6 u.); Paul W. 2015 Jun 17. Laureate - Wolfgang Paul . Accessed 2021 Jan 5. (S. 8 m.); Wikipedia, gemeinfrei (S. 10); Wikipedia, Jean-Pierre Dalbéra, Freiwilligkeit „L'hôtel de ville d'Oslo“, CC BY 2.0 (S. 11 o.); Heudtlass, Abb. 4 (S. 11 u.); Heudtlass, Abb. 1 (S. 12 o.); Wikipedia, gemeinfrei (S. 13 o.); Dr. Schön, pri- vat (S. 12-13); Holzstich, Zeichnung von Gustav Kühn, 1871 (S. 14 o.); DRK- Einheit Kreisverband Stuttgart (S. 14 u.); Wikipedia, Merlin Senger, „UniHHHauptgebäude“, CC BY-SA 3.0 (S. 15 o.); Wikipedia, gemeinfrei (S. 15 u.) Universalität Genderhinweis: Aus Gründen der besseren Lesbarkeit wird bei diesem Newsletter auf eine geschlechtsneutrale Differenzierung verzichtet. Entspre- chende Begriffe gelten im Sinne der Gleichbehandlung grundsätzlich für alle Geschlechter. Die verkürzte Sprachform hat nur redaktionelle Gründe und beinhaltet keine Wertung.

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