Sendung vom 29.1.2013, 21.00 Uhr

Dr. Bayerischer Ministerpräsident a. D. im Gespräch mit Werner Reuß

Reuß: Verehrte Zuschauer, ganz herzlich willkommen zum alpha-Forum. Unser heutiger Gast ist Dr. Edmund Stoiber, Bayerischer Ministerpräsident in den Jahren 1993 bis 2007 und damit 14 Jahre lang. Er war 25 Jahre lang Mitglied der Bayerischen Staatsregierung, 34 Jahre lang Mitglied des Bayerischen Landtags und in den Jahren 1999 bis 2007 Vorsitzender der CSU. Heute ist er Ehrenvorsitzender in der CSU und er war Kanzlerkandidat von CDU und CSU im Jahr 2002. Ich freue mich, dass er hier ist. Herzlich willkommen, Herr Ministerpräsident. Stoiber: Vielen Dank für die Einladung, Herr Reuß. Reuß: Man sieht Sie zwar nicht mehr jeden Tag in den Nachrichtensendungen, dennoch sind Sie nach wie vor politisch aktiv. Sie selbst haben einmal geschrieben: "Wenn man sein Leben so sehr der Politik gewidmet hat, dann bleibt man ein politischer Mensch, auch wenn man keine Ämter mehr aktiv ausübt." Und an anderer Stelle haben Sie gesagt: "Ein wirklich politischer Mensch kann das Politische gar nicht hinter sich lassen, selbst wenn er es wollte." Ihr Nach-Nachfolger im Amt des Ministerpräsidenten, , sagte einmal: "Politik kann so etwas wie eine Sucht werden." War das bei Ihnen auch so? Ist das noch so? Stoiber: Als Sucht habe ich es nicht empfunden, aber als eine große Verantwortung und natürlich auch als Chance und Herausforderung. Wenn man sich für sein Land intensiv interessiert von der Geschichte her, wenn man die Menschen mag und wenn man ein bisschen mitgestalten will an diesem großen Prozess, dann ist das einfach eine Passion. Und entweder hat man diese Passion oder man hat eben andere Interessen und interessiert sich nur für sich oder die eigene Familie und nimmt das, was im weiteren Umfeld passiert, nicht mehr so wahr. Bei mir war es bereits in der Schule, also auf dem Gymnasium in Rosenheim so, dass ich mich z. B. im Sozialkundeunterricht sehr engagiert eingebracht habe. Dies wurde bei mir dann auch immer im Zeugnis vermerkt. Damals ist diesbezüglich also sicherlich schon die Grundlage gelegt worden. Ich hatte an diesem Gymnasium in den 50er Jahren auch einen Freund, nämlich Gerd Wagner, den Klassenbesten. Leider ist Gerd Wagner bereits gestorben. Gerd Wagner war ein absoluter Sozialdemokrat und damals eben Ollenhauer- Anhänger. Ich hingegen habe aufgrund meines Elternhauses Adenauer favorisiert. Im Laufe der Jahre haben wir das dann immer wieder kultiviert. Er ist später auch in die Fraktion der SPD gekommen und war dort wissenschaftlicher Mitarbeiter und später Diplomat. Ich hingegen habe die aktive politische Rolle übernommen. Ja, damals ist für all das sicherlich die Grundlage gelegt worden. Reuß: Sie haben ein spannendes und sehr gut lesbares Buch geschrieben mit dem Titel: "Weil die Welt sich ändert. Politik aus Leidenschaft – Erfahrungen und Perspektiven." Das ist nicht nur eine sehr persönliche Bilanz, sondern auch ein leidenschaftlicher Blick nach vorn. Es ist aber sicherlich nicht ganz einfach, 40 Jahre politischer Arbeit Revue passieren zu lassen und zwischen zwei Buchdeckel zu bringen. Was fiel Ihnen den schwerer zu entscheiden? Was Sie schreiben oder was Sie weglassen, was Sie nicht schreiben? Stoiber: Ach, wissen Sie, das ist ja eine Autobiografie, dieses Buch beansprucht nicht unbedingt die absolute Objektivität. Ich schreibe diese Dinge so, wie ich sie empfunden habe, wie ich sie sehe. Man kann natürlich nicht über alles schreiben, das ist klar. Aber ich wollte auch auf keinen Fall irgendwelche kritischen Auseinandersetzungen wiederbeleben, die längst passé sind, sondern ich wollte ein Gesamtbild bringen. Ich wollte darlegen, wo ich überhaupt herkomme, wie ich in die Politik gekommen bin, wie ich mich um ein Mandat beworben und dann auch eines bekommen habe, wie ich schließlich Ministerpräsident geworden bin und wie ich letztlich auch eine Gesamtverantwortung für die CDU/CSU im Wahlkampf 2002 und darüber hinaus übernehmen durfte. Dabei hat es natürlich unendlich viele Begegnungen und unendlich viele herausfordernde Situationen gegeben. Die kann man nicht alle beschreiben, man kann nicht alle Gespräche und Auseinandersetzungen wiedergeben. Stattdessen geht es darum, was dabei am Ende herausgekommen ist: Was ist die Bilanz meines Lebens? Gut, es gibt da in politischer Hinsicht vielleicht zwei wesentliche Punkte in meiner langen Arbeit und dann vor allem in meiner Amtszeit als Ministerpräsident, die mich stolz machen. Es ist mir schon sehr, sehr frühzeitig gelungen, die Vorgabe eines ausgeglichenen Haushalts – dass also der Staat keine Schulden machen darf – einzuhalten: In den acht Jahren von 1998 bis 2006 ist mir das in sechs Jahren gelungen, und das in einer schwierigen wirtschaftlichen Zeit! Ich bin stolz darauf, das durchgesetzt und auch Kürzungen vorgenommen zu haben. Heute gibt es keinen mehr, der das kritisiert, heute sagen alle: "Das war die gute Grundlage, dass es uns heute so gut geht. Es war gut, dass Bayern angefangen hat, zu sparen und nicht immer noch mehr Schulden zu machen." Der zweite Punkt ist, dass meiner Regierungszeit so ein bisschen der Spruch "Laptop und Lederhose" nachhängt, also diese Verbindung von Tradition und Fortschritt, dass ich also sehr stark auf Innovationen gesetzt habe auf den Gebieten der Biotechnologie, der Materialwissenschaften, der Werkstoffforschung usw. und dass ich die Industrie in Bayern gehalten habe, und das in einer Zeit, in der überall nur noch der Dienstleistungssektor gepriesen wurde. Die Engländer sind ja das klassische Beispiel dafür: Sie haben ihre gesamte Stahlindustrie mehr oder weniger aufgegeben und haben auch ihre Automobilindustrie relativ massiv aufgegeben. Stattdessen sind sie nur noch in die Finanzdienstleistungen gegangen. Gut, auf diesem Gebiet ist London heute sicherlich ein Zentrum, aber dass es uns heute in Bayern und auch in Deutschland besser geht, hängt auch mit der Industrie zusammen, die wir hier bei uns halten konnten. Reuß: Sie haben in Ihrem Buch geschrieben: "Bayern ist meine Heimat, Deutschland ist mein Vaterland, Europa ist unsere Zukunft." Das sind aber nicht nur Worte, denn Sie sind vielfältig ehrenamtlich engagiert – und eben auch in Europa. Auf Bitten des Kommissionspräsidenten José Manuel Barroso leiten Sie eine Sachverständigenkommission, die die Aufgabe hat, den Bürokratieabbau voranzubringen. Sie haben dabei schon sehr viele Vorschläge erarbeitet, nämlich über 300 mit einem Volumen von über 40 Milliarden Euro. Ein Großteil davon wurde auch schon beschlossen: vom Parlament und auch von Kommission und Rat. Sie haben dabei mal eine Rechnung aufgestellt und ich darf Sie hier zitieren: "Von 1998 bis 2004 sind in Deutschland 21000 Rechtsbefehle entstanden, davon kamen 18000, also 85 Prozent, aus Europa. Sie wirken unmittelbar auf jeden Deutschen, haben erhebliche Auswirkungen auf seinen Alltag." Kann man da wirklich das Rad zurückdrehen? Wenn nun auch eine engere politische Zusammenarbeit gewünscht ist in Europa, kann man dann wirklich mit dem Abbau alter Bürokratieregeln den Aufbau neuer Bürokratieregeln verhindern? Stoiber: Man kann es, man kann die Erfahrungen, die man gesammelt hat, anwenden. Das sind Erfahrungen, die entstanden sind, indem man alte Gesetze und vor allem deren Vollzug untersucht und dabei festgestellt hat: "Da ist etwas zu kompliziert vollzogen worden! Da ist etwas zu detailliert geregelt worden! Da werden zu viele Vorgaben gemacht, die für den Gesetzeszweck überhaupt nicht notwendig sind!" Hier haben wir in den letzten fünf Jahren sicherlich ein wirksames Muster entwickelt, indem wir eine Fülle von Rechtsmaterien untersucht haben. Wir haben z. B. das gesamte Arzneimittelrecht untersucht, den Verbraucherschutz, die Agrarpolitik, die Fischereipolitik, das Gesellschaftsrecht, das Arbeitsrecht usw. Das wird ja alles sehr stark von Europa dominiert, weil wir nämlich einen einheitlichen Binnenmarkt bekommen haben, der natürlich immer mehr an Vereinheitlichung verlangt. Die Grenzen sind ja nicht mehr da, jeder kann in Europa arbeiten, wo er will. Ein Deutscher kann z. B. in Finnland nicht davon abgehalten werden, indem die Finnen sagen würden: "Nein, du bist Deutscher, der Finne wird bei uns bevorzugt!" Das gibt es also alles nicht mehr. Es gibt heute eine völlige Reisefreiheit, eine völlige Berufsfreiheit, man hat völlige Freiheit, sein Geld innerhalb Europas hin und her zu transferieren. Für all diese Dinge braucht es natürlich Vereinheitlichung. Und die Wirtschaft – nicht nur in Deutschland, sondern in ganz Europa – verlangt daher möglichst einheitliche Bedingungen. Es sollen daher z. B. die Voraussetzungen, um einen Firmenwagen zulassen zu können, in Spanien nicht andere sein als in Deutschland. Das verlangt also Vereinheitlichungen und deswegen wird das auch immer weitergehen. Wir verlangen ja auch immer mehr Schutz vom Staat. Denken Sie nur einmal an den Verbraucherschutz. Wenn da irgendwo etwas passiert, dann wird sofort gefragt, warum das passiert ist: Hat das an den gesetzlichen Regeln gelegen oder an der mangelnden Kontrolle? Und sofort geht die Politik her und sagt: "Daraus müssen wir unsere Lehren ziehen, wir müssen das besser machen, wir müssen die Vorgaben enger machen." Ich glaube, dass man da aus den gemachten Erfahrungen einiges lernen kann. Sie haben es ja schon angesprochen: Wir haben einiges erreicht in den fünf Jahren und ich mache das ja länger, als eigentlich vorgesehen, weil die Kommission, aber auch das Parlament und der Rat diese Arbeit als sehr wichtig empfinden. Meine Gruppe wird von allen drei Seiten gelobt, dass wir hier ehrenamtlich doch etwas Wichtiges beibringen. Ich kann da auch gerne mal ein Beispiel nennen. Eines der wuchtigsten Vorhaben, das wir umgesetzt haben, war die Frage: "Muss für die Mehrwertsteuerberechnung, also für die Rückerstattung der Mehrwertsteuer vom Finanzamt, wirklich eine papierene Rechnung beim Finanzamt vorliegen?" Das europäische Recht hat das früher wirklich so vorgeschrieben. Ich habe vorgeschlagen, dass hierfür auch eine elektronische Rechnung reichen muss, denn man arbeitet einfach immer mehr mit dem Computer und dem Internet. Das war wahnsinnig schwierig: Da hat Bayern in Person meines Kollegen Fahrenschon Einwände erhoben! Da hat damals Steinbrück als Bundesfinanzminister Einwände erhoben! Alle haben gesagt: "Das ist zu kompliziert, zu schwierig, das geht nicht! Und da wird auch die Betrugsanfälligkeit stärker sein." Wir haben das dann aber dennoch durchsetzen können: Das entlastet die 23 Millionen Betriebe in der Europäischen Union um sage und schreibe 18 Milliarden Euro. In Deutschland ist das bereits so vollzogen: Der deutsche Bundesfinanzminister hat bereits vollzogen, was Europa nun ermöglicht hat. Das spart in Deutschland vier Milliarden Euro. Das sind schon beachtliche Summen. Ich glaube, dass sich da auch die Mentalität in der Europäischen Kommission verändert hat, dass wir es geschafft haben, den Beamten und den Kommissaren in Europa klar zu machen: "Es geht nicht nur um die Regeln, es geht nicht darum, den Baum und das Wasser noch mehr zu schützen, sondern es geht auch darum, mal zu prüfen, ob das alles nicht auch einfacher geht. Müssen das immer fünf Seiten Gesetzestext sein? Müssen das soundsoviele Kontrollen sein? Muss das soundsoviel an Berichtspflicht für den Unternehmer auslösen?" Da hat sich wirklich etwas geändert und man denkt inzwischen bereits von vornherein daran. Wir wollen z. B. jetzt die Feinstäube wesentlich beschränken und deswegen wird auch eine Feinstaubrichtlinie gemacht werden. Die Frage ist aber von Anfang an: Wie soll das vollzogen werden? Kann man das möglichst einfach vollziehen? Das ist also ein Dauerprozess, denn es wird ja auch immer neue Regeln geben, weil wir in einer modernen Gesellschaft leben, die permanent auf Herausforderungen reagieren muss – und eben auch mit Gesetzen auf diese Herausforderungen reagieren muss. Denn die Menschen sagen, wenn irgendwo etwas passiert ist: "Macht es in Zukunft besser! Macht es besser! Mehr Gerechtigkeit! ..." Es gibt eine permanente Gesetzgebungstätigkeit in den einzelnen Ländern und auch in Europa. Man achtet nun aber viel stärker darauf, ob man das Ziel des Gesetzes nicht auch einfach erreichen kann. Reuß: Sie haben in Ihrem Buch zu Recht geschrieben, dass Freiheit und Sicherheit nicht immer übereingehen, denn mehr Sicherheit bedeutet auch mehr Regelungen. Andererseits ist Europa ja nicht nur eine Frage von bürokratischen Regeln, sondern hat auch damit zu tun, was die Menschen fühlen: Was empfinden die Menschen von heute für Europa? Die aktuelle Eurokrise, die ja eine Schuldenkrise ist, führt auch zu Renationalisierungsdebatten, auch in unserem Land. Der ehemalige Kanzler Helmut Kohl hat einmal sehr pathetisch formuliert: "Das Gelingen des europäischen Einigungswerkes ist letztlich eine Frage von Krieg und Frieden." Und Luxemburgs Premierminister Jean-Claude Juncker meinte einmal: "Wer an Europa zweifelt, wer an Europa sogar verzweifelt, der sollte doch mal Soldatenfriedhöfe besuchen." Das klingt pathetisch und in einer Zeit, in der junge Menschen den Frieden fast schon als etwas Selbstverständliches erachten, fast schon ein bisschen überzogen. Die Frage jedoch bleibt: Wie wird Europa wieder eine Herzensangelegenheit? Stoiber: Das ist sehr, sehr schwierig, Sie haben das ja bereits angesprochen. Ich selbst bin noch im Krieg geboren und habe die Nachkriegszeit bewusst miterlebt. Ich kann daher nachvollziehen, was Helmut Kohl angetrieben hat. Helmut Kohl ist Jahrgang 1930, war also 15 Jahre alt am Ende des Kriegs und da auch noch Flakhelfer. Er hat diese Nachkriegszeit noch bewusster miterlebt als ich und damals das "Nie wieder" noch stärker in sich aufgenommen. Man darf ja nicht vergessen, dass die beiden Weltkriege im vergangenen Jahrhundert zusammen fast 60 Millionen Tote gefordert und Verheerungen ohne Ende gebracht haben: in Deutschland, in Russland, in ganz Europa. Dieses "Nie mehr wieder" hat die Menschen nach dem Zweiten Weltkrieg beseelt: Man wollte keinen Krieg mehr, man wollte in Zukunft nicht mehr hören müssen, was einem die Eltern, was einem die Großeltern an Leiden und Schrecken erzählen. Diese "Erbfeindschaft" mit Frankreich sollte endlich aufhören. Vor 100 Jahren wurden den Kindern noch Lieder beigebracht wie "Wir fahren gegen Engeland …". Stattdessen wollte man sich als einheitlicher Kulturraum begreifen. Das war damals einfach nicht begründungspflichtig, denn das hat damals in den 50er und 60er Jahren jeder selbst gespürt. Aber im Laufe der Zeit wurde das alles selbstverständlich und Kriege zwischen Deutschland und Frankreich oder England und Frankreich sind heute nicht mehr vorstellbar. Wenn ich heute meine Kinder und meine Enkel danach frage, dann bekomme ich die Antwort, ob ich verrückt geworden sei. Man nimmt das heute als selbstverständlich zur Kenntnis und sieht vor allem die Belastungen durch Europa und dass man auf diese oder jede Empfindlichkeit eingehen muss usw.: Die Italiener haben in manchen Dingen eine andere Mentalität, die Spanier, die Rumänen, die Ungarn. Das alles zusammenzuführen, ist manchmal sehr, sehr mühsam und deswegen fehlt im Moment sicherlich das Feuer. Aber ich glaube, man muss Europa heute neu schreiben. Die Welt verändert sich, der Pazifik wird z. B. bedeutsamer als der Atlantik. Asien wird in Zukunft unser Leben viel stärker bestimmen: ganz einfach schon aufgrund des Wachstums der Bevölkerung dort, der Fähigkeiten, die diese Länder aufgrund der modernen Technologien entwickeln. Man muss ja nur einmal daran denken, was heute in China alles entwickelt wird an moderner Technologie. Das wird eine große Herausforderung für uns werden. Bei uns in Europa nimmt die Bevölkerung ab, die Asiaten werden mehr. Heute leben auf der Erde sieben Milliarden Menschen, in 30 Jahren werden wir neun Milliarden Menschen sein. Gleichzeitig werden aber die Europäer 50 Millionen Menschen weniger sein. Wie können wir das auffangen? Wie können wir unsere Vorstellungen von Menschenwürde, von Gleichberechtigung von Mann und Frau, wie können wir die Selbstverständlichkeit der Gewissensfreiheit, der Meinungsfreiheit, der Berufsfreiheit behaupten und ausbauen? Denn diese Dinge sind in der Welt ja nicht selbstverständlich, ganz im Gegenteil. Und das alles können wir in der Welt eben nur gemeinsam, als Europäer populär machen. Reuß: Darf ich da mal konkret nachfragen? Ein Grandseigneur der CSU und Ihnen sehr gut bekannt, Wilfried Scharnagl, hat ein Buch geschrieben mit dem Titel "Bayern kann es auch alleine. Plädoyer für den eigenen Staat". Denn er sagt, Bayern habe eine doppelte Transferleistung zu erbringen, einmal in den Bund hinein mit diesen hohen Ausgleichslasten und zum Zweiten auch nach Europa. Er bezeichnet sein Buch als einen Weckruf und verweist darin auf folgende Zahlen: Bayern liegt nach der Bevölkerungszahl an neunter Stelle in Europa und nach der Wirtschaftskraft sogar an siebter Stelle von insgesamt 27 Staaten in Europa. Er plädiert also für mehr Eigenstaatlichkeit und Eigenständigkeit Bayerns. Teilen Sie seine Einschätzungen? Stoiber: Bayern ist der Hort der Subsidiarität. Strauß hat immer formuliert, und das gilt sicherlich auch für Wilfried Scharnagl, der ja nun ein enger Vertrauter von Strauß war: "Bayern ist meine Heimat!" Da lebe ich und ich möchte daher, dass möglichst viel in Bayern geregelt wird. Deutschland ist mein Vaterland: Es gibt natürlich Dinge, die über Bayern hinausgehen. Und heute gibt es durch die Welt eben Veränderungen: Deutschland ist auch nicht mehr genügend, man braucht Europa, man braucht die Gemeinsamkeit mit Frankreich, mit Italien, mit Belgien, mit Holland usw. Man muss immer genau wissen: Muss das alles in Europa geregelt werden? Kann das nicht in Bayern vollzogen werden? Kann nicht Bayern mehr nach eigenem Gusto die Dinge auslegen und vielleicht Dinge selbst regeln im Unterschied zu Nordrhein-Westfalen oder gar im Unterschied zu Belgien oder Holland oder Italien? Das ist ein immerwährender Prozess. Ich glaube, dass hier Bayern gut aufgestellt ist, aber der Weg – und das sage ich auch ganz deutlich – zu einer Re-Nationalisierung wäre verhängnisvoll. Ich will das mal im Zusammenhang mit der Wirtschaft darlegen: Wir sind heute wirtschaftlich dermaßen stark mit diesen Ländern verbunden, dass wir alleine nicht mehr leben können. Das heißt, wir leben von diesen Märkten. Wir merken das ja jetzt beim Absatz der Autos: Opel kann seine Autos in Südeuropa nicht mehr so verkaufen wie früher. Auch BMW und Audi haben Schwierigkeiten, aber diese beiden Firmen können diese Schwierigkeiten austarieren durch die neuen Märkte in Asien, weil dort Premium-Autos stärker gekauft werden. Das heißt, wir sind mit unserem Wohlstand unendlich abhängig vom Ausland und hier vor allem vom europäischen Ausland, denn 60 Prozent unserer Exporte gehen nun einmal in die Europäische Union und 40 Prozent in die europäische Währungszone. Das heißt, wir brauchen eine enge gemeinsame Verbindung in der Wirtschaftspolitik. Aber natürlich sind wir kulturell, aufgrund der Jahrhunderte an eigener Entwicklung, etwas Eigenständiges: Bayern hat seit über 1000 Jahren ein eigenes Staatsbewusstsein, das dementsprechend bei uns gewachsen ist. Das hat kein anderes Land in Deutschland in dieser Weise. Das haben nur wenige andere in Europa. Wer kann auf eine Staatstradition von 1000 Jahren zurückblicken, vielleicht sogar auf eine Staatstradition von 1500 Jahren, denn da streiten die Gelehrten noch? Deswegen haben wir eine ganz eigenständige kulturelle Note. Die wollen wir nie aufgeben, die darf nicht in einen europäischen Einheitsbrei übergehen. Europa ist daher ein Kontinent der Vielfalt. Und so muss man das im konkreten Fall immer genau abwägen. Am Ende aber ist es so, dass auf politischem und ökonomischem Gebiet eine Re- Nationalisierung ganz erhebliche negative Folgen für uns hätte. Reuß: Sie haben vorhin schon kurz Ihre Jugendzeit angesprochen; ich würde hier gerne eine kleine inhaltliche Zäsur machen und unseren Zuschauern den Menschen Edmund Stoiber näher vorstellen. Sie sind am 28. September 1941 in Oberaudorf geboren, also im Landkreis Rosenheim hier in Oberbayern. Heute ist das eine Gemeinde mit ungefähr 5000 Einwohnern. Stoiber: Ja, nach der Gemeindegebietsreform, bei der Oberaudorf und Niederaudorf zusammengegangen sind. Reuß: Ihr Vater war Bürokaufmann, Ihre Mutter Laborantin aus Dormagen in Nordrhein-Westfalen. Sie sind mit zwei Schwestern aufgewachsen und waren das jüngste Kind der Familie. Wie war Ihre frühe Kindheit, wie war Ihr Verhältnis zu Ihren Eltern? Stoiber: Mein Verhältnis zu den Eltern war, wenn ich das so sagen darf, glänzend. Das war ja eine materiell arme Zeit, ich habe als Kind natürlich auch Armut erlebt – bis hin zum Hunger. Aber das betraf damals nicht nur meine Familie, sondern viele Familien, wenn sie keine Landwirtschaft hatten. Aber ich habe sehr viel Liebe von meinen Eltern erfahren, vor allem von meiner Mutter, die natürlich immer zu Hause war. Ich glaube, das ist das ganz Entscheidende im Leben: dass man als Kind spürt, die Eltern wollen einen und lieben einen und sehen daher über manche Fehler hinweg und erziehen einen natürlich auch. Das ist mir also bewusst gewesen. Ich glaube, dass ich aber auch eine schöne Kindheit hatte. Natürlich nicht so, wie man sich heute eine schöne Kindheit vorstellt mit vielen materiellen Gütern. Ich lebte in Oberaudorf, in dieser "Perle des Inntals", wie es sich damals nannte und auch heute noch nennt, mit einer wunderbaren Landschaft. Man hatte da wirklich sehr viele Freiheiten. Und ab April ging man barfuß in die Schule: Man besaß nur ein paar Sandalen oder Schuhe. Ich hatte eine Lederhose, die ich den ganzen Sommer über getragen habe. Das war aber überall und bei jedem so und deswegen ist uns das auch gar nicht besonders aufgefallen. Das fällt mir nur auf, wenn ich heute zurückblicke und mir meine Enkel anschaue und sehe, wie sehr deren Rhythmus bereits genormt ist: hier Klavierunterricht, dort Flötenunterricht, dort Ballettunterricht, dort sehr viel Sport. Meine beiden Enkelsöhne sind große Fußballspieler, d. h. sie spielen selbst im Verein Fußball. Da wird das Leben schon sehr stark genormt, verglichen mit früher. Wir damals gingen halt am Vormittag in die Schule und der ganze Nachmittag stand dann zu unserer freien Verfügung. Damals war man auch noch nicht so darauf getrimmt, unbedingt die besten Noten bekommen zu müssen. Das war einfach ein anderes Leben. Reuß: Ich habe irgendwo gelesen, dass Ihnen Ihre Eltern trotz sehr bescheidener materieller Verhältnisse auch Geigen- und Klavierunterricht ermöglichten. Ist da was geblieben? Stoiber: Wenig. Ich war natürlich auch nicht besonders talentiert, und wenn ich gehört habe, dass die anderen Buben draußen auf dem Bolzplatz oder auf dem Fußballplatz waren, dann drängte es mich schon sehr vom Klavier weg. Geigenunterricht hatte ich ohnehin nur ein bisschen im Gymnasium im Nachmittagsunterricht. Klavier habe ich länger gelernt, aber letztlich war es dann einfach so, dass der Unterricht für meine Eltern zu teuer kam. Und ich war ja auch nicht der begabteste Klavierschüler überhaupt, sodass das dann irgendwie im Sande verlaufen ist. Es ist freilich schon was geblieben, denn man hat dadurch als Kind die Musik erfahren, ist ein bisschen eingeführt worden in diese Welt. Ja, da ist schon was geblieben. Reuß: Sie waren ja auf dem Gymnasium und damals musste ja auch noch Schulgeld bezahlt werden, was für Ihre Eltern sicherlich auch nicht ganz einfach gewesen ist. Ich habe gelesen, dass Sie dann zu Hause mit 15 Jahren ein Buch entdeckt haben, nämlich Adolf Hitlers "Mein Kampf". Dieses Buch war ja im "Dritten Reich" den Ehepaaren bei der Trauung als Präsent mitgegeben worden. Sie haben dieses Buch ganz gelesen, von vorne bis hinten, und haben dann auch mit Ihren Eltern darüber diskutiert. War das der Anfang einer Politisierung von Edmund Stoiber? Stoiber: Ich bin darauf gestoßen, weil ich mit 14, 15 Jahren, wenn ich Illustrierte in die Hände bekommen habe – meine Eltern waren in einem Lesering, d. h. wir bekamen die Illustrierten immer drei, vier Wochen nach ihrem Erscheinen, weil sie dann billiger waren –, angefangen habe, mich dafür zu interessieren. Ich habe da in den Illustrierten die Artikel über die Entwicklung Deutschlands aufmerksam gelesen. Und irgendwann fand ich eben in unserem Bücherregal relativ weit hinten ein unberührtes Buch mit dem Titel "Mein Kampf". Ich vermute, dass meine Eltern das Buch 1933 zu ihrer Hochzeit vom Standesamt überreicht bekommen haben. Gut, das weiß ich nicht ganz genau, aber dieses Buch stand jedenfalls ungelesen in unserem Bücherregal. Ich habe mir also dieses Buch durchgelesen. Ich hatte damals ja noch kein abgeschlossenes Weltbild und so habe ich dann meinen Vater gefragt: "Da steht doch eigentlich alles drin, was dann später, wenn auch mit einer gewissen Zeitverzögerung, passiert ist. Da steht drin, dass dieser Adolf Hitler eine Neuordnung Europas mit Gewalt und mit Kriegen durchsetzen wollte. Habt ihr denn das nicht gelesen?" Da kam dann das Gespräch mit meinem Vater zustande: Er hat natürlich gesagt, dass man dieses Buch einfach nicht gelesen hat und dass man davon nur Rudimente im Kopf hatte. Die schlechte Zeit, die Arbeitslosigkeit, die Perspektivlosigkeit gerade dieser Generation der ungefähr 1908, 1910, 1912 Geborenen durch den Versailler Vertrag, durch das Knechten, durch den Young-Plan usw.: Da ist eine Stimmung entstanden, die ich schon auch nachvollziehen kann. Wir haben ja auch die Lehren daraus gezogen, wie wir diesen Rechtsradikalismus heute bekämpfen. Ich habe dann schon auch in der Schule darüber debattiert, aber ich stieß bei den Lehrern doch auf große Zurückhaltung. Das war damals, also in den Jahren 1956, 1957 noch kein Thema, wie das später z. B. durch den Eichmann-Prozess und die 68er-Zeit zum Thema geworden ist. Heute können wir sagen, dass wir uns wirklich intensiv mit unserer Vergangenheit auseinandergesetzt haben und dass wir das auch weiterhin tun werden. Ich sage das auch ganz offen: Wir sind gut gefahren damit, dass wir das getan haben. Ohne diese intensive Auseinandersetzung mit der deutschen Belastung hätten wir, glaube ich, nicht einen solchen, doch demokratisch intakten Staat auf deutschem Boden aufbauen können, wie das die Generation vor uns und wie das meine Generation gemacht hat und wie das auch die nächste Generation macht und machen wird. Reuß: Ich springe jetzt ein bisschen: Sie haben dann Jura studiert, haben mit Prädikat abgeschlossen, haben promoviert und Sie haben dann im neu geschaffenen Umweltministerium Ihr Berufsleben begonnen. Dieses Bayerische Umweltministerium war ja das erste in Europa. Der damalige Ministerpräsident musste sich für die Schaffung dieses Ministeriums sogar noch ein bisschen belächeln lassen. Sie wurden dann relativ schnell, weil Sie Reden schreiben konnten, auch Referent des Umweltministers Max Streibl. Und Sie hätten sogar kandidieren können für das Amt des Bürgermeisters in Wolfratshausen. Stoiber: Ja, das stimmt. Reuß: Das haben Sie dann aber nicht gemacht, sondern Sie haben sich für den Landtag entschieden, d. h. Sie haben 1974 bei den Landtagswahlen kandidiert. Das war damals das numerisch beste Ergebnis der CSU überhaupt mit 62,1 Prozent der Stimmen. Sie selbst haben in Ihrem Wahlkreis ebenfalls knapp 62 Prozent der Erststimmen erhalten und zogen in den Landtag ein. Damals zog mit Ihnen eine Garde von Jungabgeordneten in den Landtag ein, die heute noch als "goldene Generation" bezeichnet wird: Mit Ihnen waren das , Hans Zehetmair, , Kurt Faltlhauser, Günther Beckstein und viele andere mehr. Sie waren kaum im Landtag – das waren gerade mal zwei Jahre –, als es zu einem dramatischen Beschluss kam. Es kam zum Kreuther Trennungsbeschluss: Franz Josef Strauß hat nach der verlorenen Bundestagswahl im Jahr 1976 als Parteivorsitzender entschieden, man sollte vielleicht getrennt marschieren. Er kündigte die Fraktionsgemeinschaft mit der CDU im Bundestag auf. Die Bundestagsabgeordneten der CSU haben auch mehrheitlich dafür gestimmt. Wie haben Sie das damals als junger Landtagsabgeordneter empfunden? Waren Sie auch dafür? Stoiber: Ich war natürlich unendlich überrascht davon. Ich war bei der Entscheidung in Kreuth 1976 natürlich nicht mit dabei, als die Bundestagsfraktion so entschieden hat. Das war ja keine lang vorbereitete Sache, aber doch irgendwie eine sich dynamisch entwickelnde Mehrheitsmeinung, die sich dann gezeigt hat. Ich war damals von dieser Idee fasziniert, nachdem wir ja in Bayern bei der Bundestagswahl von 1976 60 Prozent geholt hatten. Helmut Kohl hatte diese Bundestagswahl mit 48,6 Prozent verloren! Das kann man sich heute gar nicht mehr vorstellen. Reuß: Er schrammte nur knapp an der absoluten Mehrheit der Mandate vorbei. Stoiber: Ja, selbst diese 48,6 Prozent reichten nicht. Die SPD und die FDP haben unter Helmut Schmidt erneut die Regierung gestellt. Das war schon eine unglaubliche Frustration. Das war in diesen Jahren damals immer ein Dreikampf, wenn man die CDU/CSU als eine Partei aufgefasst hat: Wir gegen die SPD und die FDP, die damals in ihrer Koalition fest zusammengehörten. Eine vierte oder gar fünfte Partei gab es nicht. Die Idee, das zu ändern, indem wir nicht mehr als eine Parteiformation CDU/CSU antreten, sondern stattdessen mit der CSU auch auf Bundesebene und der CDU in Bayern antreten, hat mich fasziniert, denn das hätte einfach das Parteienspektrum in Deutschland erweitert. Ja, davon war ich schon beeindruckt und habe das theoretisch auch durchaus als richtig erachtet. Ich musste dann aber, als ich als Generalsekretär selbst in der Verantwortung stand, eingestehen, dass das kein gangbarer Weg war. Ich wurde 1978 CSU-Generalsekretär, also zwei Jahre nach dem Beschluss von Kreuth: 1978 war "Kreuth" innerlich noch nicht überwunden. Da ist mir dann jedenfalls klar geworden, dass das theoretisch möglicherweise ein guter Ansatz sein mag, dass das aber praktisch undurchführbar ist. Denn das würde dann vor Ort immer zu einem Bruderkampf zwischen CDU und CSU werden. Es hätte dann ja so weit kommen können, dass CSU-Anhänger die CDU-Kandidaten stärker bekämpfen würden als die SPD-Kandidaten. Ich habe dann wirklich einen Beitrag dazu geleistet, dass dieses Thema obsolet geworden ist – vor allem durch die Kanzlerkandidatur von Franz Josef Strauß bei der Bundestagswahl 1980. Fritz Zimmermann und ich waren damals sicherlich die Protagonisten dabei. Ich war damals ja noch nicht so erfahren, ich war 38, 39 Jahre alt und gerade mal zwei Jahre lang Generalsekretär. Dennoch habe ich damals alles dafür getan, dass Strauß Kanzlerkandidat wird. Denn auch für mich war das das Signal für die Einheit der Union. Das war nicht so ganz einfach, die Geschichte zeigt das ja. Das war damals ein schwieriger Wahlkampf mit einem sehr guten Ergebnis nach heutigem Maßstab. Wir haben damals fast 45 Prozent geholt. Aber auch bei dieser Wahl hat es für die Union nicht gereicht. Reuß: Sie galten als das Alter Ego von Franz Josef Strauß und waren als Generalsekretär sehr eng mit ihm verbunden. Er hat Ihre Arbeit auch sehr geschätzt. Er war zwar niemand, der überschwänglich lobte, aber er hat einmal gesagt: "Edmund Stoiber pflegt den Kopf auch dort hinzuhalten, wo es ihn denselben kosten kann." Wie würden Sie denn Ihr Verhältnis zu Franz Josef Strauß beschreiben? Er war 26 Jahre älter als Sie: War er eine Art Vaterfigur für Sie? Stoiber: Ja, aber nicht nur. Er war natürlich eine Vaterfigur, aber er war trotz des Altersunterschiedes auch Freund. Er hat mein Leben unendlich geprägt und meine Tätigkeit war schon auch eine unglaubliche Herausforderung. Franz Josef Strauß war ein wirkliches Kaliber: Er hat unendlich viel gefordert von einem. Als Generalsekretär und vor allem später als Leiter der Staatskanzlei war ich letztlich so etwas wie eine Schleuse: Ich war ja zehn Jahre lang seine rechte oder linke Hand. Alles, was er umsetzen wollte, lief über mich, denn ich war letztendlich derjenige, der sowohl in die Staatskanzlei hinein als auch gegenüber administrativ das umzusetzen hatte, was er sich politisch vorgestellt hat. Wir haben natürlich auch unheimlich viel diskutiert, unter vier Augen auch durchaus streitig: Das hat er wirklich mit großer Brillanz gemacht, d. h. es ist falsch, wenn man ihm unterstellt, er hätte nur seine eigene Meinung gelten lassen. Das stimmt nicht. Aber das Diskutieren mit ihm war freilich mühsam, denn eine intellektuelle Diskussion mit Franz Josef Strauß über die Außenpolitik oder über die Gesellschaftspolitik, also über die Frage, wie sich Europa, wie sich Deutschland entwickeln soll, hat einen absolut gefordert, da musste man schon einiges auf dem Kasten haben. Wenn man einfach nur so dahergeredet hat, hat er das nicht akzeptiert. Aber es gab wirklich begeisternde Diskussionen mit ihm und er hat im kleinen Kreis die Dinge auch immer erst vorgeklärt, hat also die Dinge nie ganz alleine entschieden. Ich kann mich noch gut erinnern, dass er immer wieder mal gesagt hat zu mir: "Hol mir den Zimmermann, der Tandler muss auch kommen." Später wurde dann natürlich auch Waigel mit hinzugeholt. Das waren schon interessante Einblicke, die ich da gewinnen konnte. Er wurde 1978 Ministerpräsident und ich war Generalsekretär, 1982 bin ich sein Leiter der Staatskanzlei geworden, d. h. ich war dann in den letzten sechs Jahren seines Lebens Leiter der Staatskanzlei und ganz nah an ihm dran. Ich hatte, wenn ich das so sagen darf, das große Glück, dass ich damals sozusagen Ministerpräsident "lernen" durfte, und zwar direkt in der Werkstatt, im Kabinett und auch im kompletten Vorfeld. Reuß: Ich darf, weil Sie das soeben angesprochen haben, einen großen Sprung machen: Franz Josef Strauß verstarb, für viele überraschend, im Jahr 1988. Die Nachfolge, auch das war überraschend, wurde sehr schnell und einvernehmlich geregelt: Theo Waigel wurde Parteivorsitzender, Max Streibl Ministerpräsident und Sie wurden Innenminister in Bayern. Wenige Jahre später war das Ganze dann weniger einvernehmlich, als Max Streibl aus gesundheitlichen Gründen und wegen der sogenannten Amigo-Affäre – es ging um von einem befreundeten Unternehmen bezahlte Urlaubsaufenthalte – zurücktreten musste. Es gab dann einen kurzen Konkurrenzkampf zwischen dem Parteivorsitzenden und Ihnen um das Amt des Bayerischen Ministerpräsidenten. Sie kannten und kennen Theo Waigel ja schon sehr, sehr lange, beide waren Sie in jungen Jahren Referenten gewesen, er bei Anton Jaumann, dem Wirtschaftsminister, Sie bei Max Streibl, dem Umweltminister. Diese Auseinandersetzung war kurz und wurde zu Ihren Gunsten entschieden. Sind da eigentlich auf beiden Seiten Wunden entstanden oder konnten Sie sich danach wieder aussprechen und die Sache war dann irgendwann beseitigt? Stoiber: Sicherlich war das, wie das halt innerhalb einer Partei in einer Wettbewerbssituation eben so ist, eine harte Auseinandersetzung. Ich war überzeugt davon, dass ich aufgrund meiner Erfahrungen und meines Vorlaufs das Amt des Ministerpräsidenten "kann", wenn ich das so sagen darf. So habe ich das damals auch in der Fraktion gesagt. Theo Waigel war der Meinung, er, mit seiner Reputation als Bundesfinanzminister, als jemand, der in Bonn die Koalition stabilisiert hat, mit seinen Außenkontakten, mit seinen europäischen Kontakten, würde letzten Endes nach dieser Turbulenz mehr Ruhe hineinbekommen. Es gab aber auch viele, die gesagt haben: "Theo Waigel soll in Bonn bleiben. Er macht das dort ja hervorragend. Mit Stoiber haben wir doch einen 'gewachsenen' Ministerpräsidenten, der das auch schon vorher als Leiter der Staatskanzlei gelernt hat." Aber gut, jeder von uns beiden wollte das werden und am Ende bin ich es dann geworden. Wir hatten sicherlich nicht immer ein entspanntes Verhältnis, aber ich kann nur sagen: Wir waren eine erfolgreiche Doppelspitze, er als Parteivorsitzender und ich als Ministerpräsident. Das waren für die CSU damals insgesamt erfolgreiche Zeiten. Später, im Jahr 1998, als das Wahlergebnis bei der Bundestagswahl für uns insgesamt nicht so befriedigend war, hat er dann dafür die Verantwortung übernommen. Die Landtagswahl hatten wir in diesem Jahr ja wieder deutlich gewonnen mit über 50 Prozent der Stimmen. Ich habe dann bis 2007 beide Funktionen innegehabt: Das war schon eine extreme Herausforderung. Aber wir haben heute ein vernünftiges Verhältnis, wenn wir uns sehen, und wir sprechen uns auch hin und wieder. Jeder von uns hat seinen eigenen Lebensbereich, aber wir sind beide Ehrenvorsitzende und also schon wegen der Partei eng miteinander verbunden. Reuß: Sie haben als Ministerpräsident damals einen neuen Stil eingeführt. Von Dr. Friedrich Wilhelm Rothenpieler, dem langjährigen Regierungssprecher, weiß ich, dass Sie damals auch Abteilungsleitersitzungen eingeführt und gesagt haben: "Meine Meinung kenne ich. Mich interessiert Ihre. Auch ein Ministerpräsident hat Anspruch auf Widerspruch." Blieb das so oder schliff sich das im Lauf der Jahre und den als Regierungschef gemachten Erfahrungen ein bisschen ab? Wird mit langer Amtszeit Widerspruch auch mal ein bisschen lästig? Stoiber: Das mag sein, aber ich habe immer den Widerspruch gesucht, weil mir immer bewusst war, dass das nötig ist. Ich habe mich immer intensiv informiert und mir wurde ja auch immer nachgesagt, dass ich die Akten sehr gut kenne. Ich habe auch nicht nur mit den Abgeordneten oder mit den Spitzenbeamten diskutiert, sondern auch mit dem Referenten. Wenn ich mir eine Vorlage durchgelesen habe und mir war darin manches nicht so ganz klar, dann habe ich den Referenten angerufen. Das war ungewöhnlich und das war bei Strauß so sicherlich nicht der Fall gewesen. Ich habe also den Referenten angerufen, der zunächst einmal sehr verdattert war, dass der Ministerpräsident mit dem Regierungsdirektor A oder B über die aktuelle Entwicklung der Kommunalfinanzen spricht, weil ihm im Entwurf das eine oder andere aufgrund der Auslegung des Paragrafen soundso nicht ganz klar geworden ist. Das war ein bisschen neu. Aber jeder hat da nun einmal seinen eigenen Stil. Ich habe mich, bevor ich dann mit einem Entwurf mit meinen Fraktionskollegen oder in der Fraktion oder auch im Kabinett in die politische Arena gestiegen bin, in enger Kommunikation mit den Spitzenbeamten wirklich optimal zu informieren versucht. Ich habe mit ihnen die Sachen vorgeklärt und mir meine, allerdings noch nicht abschließende Meinung gebildet. Anschließend habe ich dann mit den Ministern darüber gesprochen. Ich glaube, die Minister haben auch alle erkannt, dass ich relativ gut in der Materie drin bin, also in der Materie des Innenministers, des Justizministers bzw. der Justizministerin, des Wirtschaftsministers usw. Reuß: Ich mache jetzt wieder einen großen Sprung. Sie wurden 2002 Kanzlerkandidat. Es gab damals dieses legendäre Wolfratshauser Frühstück, das dann durch alle Gazetten ging. Es gab in dieser Zeit zum ersten Mal ein gemeinsames Wahlprogramm von CDU und CDU und es war dann ein unglaublich spannender Wahlkampf. Es gab auch das erste Mal zwei Fernsehduelle zwischen dem amtierenden Kanzler und dem Herausforderer, die sehr, sehr hohe Einschaltquoten hatten. Dieser Wahlabend, der 22. September 2002, war ein echter Krimi. Ich darf das mal etwas salopp formulieren: Ich bin irgendwann in der Nacht mit dem Kanzler Edmund Stoiber ins Bett gegangen und mit dem Kanzler Gerhard Schröder wieder aufgewacht. Es fehlten am Ende nur 6000 Stimmen: Das ist bei einer Bundestagswahl eine wirklich ganz winzige Zahl. Sie haben einmal gesagt: "Das waren vielleicht die dramatischsten Stunden meines politischen Lebens." Und am Ende waren Sie "ein erfolgreich gescheiterter Kanzlerkandidat". Stoiber: Ja (lacht). Reuß: Wie haben Sie das selbst erlebt? So ein Abend muss doch nervlich eine unglaubliche Belastung sein. Stoiber: Bei dieser Herausforderung war nicht nur dieser Abend nervlich sehr belastend. Sie müssen sich das so vorstellen, dass ich da über Monate hinweg am Vormittag immer in der Staatskanzlei gewesen bin. Und anschließend war ich dann jeden Tag in ganz Deutschland unterwegs. Ich habe mich da wirklich mit allen Verästelungen der deutschen Politik beschäftigt. Um dafür mal ein Beispiel zu nennen: Als ich zum ersten Mal in Cuxhaven bei der dortigen CDU aufgetreten bin, hat mir ein Reporter vom Norddeutschen Rundfunk das Mikrofon hingehalten und zu mir gesagt: "Herr Ministerpräsident, erklären Sie mir doch mal die fischereipolitischen Vorstellungen Ihrer künftigen Regierung." Das war natürlich ein Thema, das nicht unbedingt zu meinen bisherigen politischen Aufgabenbereichen gehörte. Aber ich musste da wirklich die gesamte Breite an politischen Themen abdecken: Man musste überall die Menschen ansprechen und die Fischereipolitik spielt in Cuxhaven nun einmal eine größere Rolle und es hören bei diesem Thema mehr Leute zu als meinetwegen irgendwo in Bayern. Das ist natürlich eine hohe Verantwortung, die man da hat, und es sind auch unglaubliche Hoffnungen auf einen selbst gerichtet. Es gab natürlich auch die Hoffnungen der CDU, die auf mich gerichtet waren. Die CDU hatte ja damals in der Abwägung der Chancen zwischen Merkel und Stoiber gesagt: "Wir kennen Angela Merkel noch nicht so, während wir mit Edmund Stoiber den doch schon erfahrenen CSU-Vorsitzenden und erfahrenen Ministerpräsidenten haben." Ich war damals ja schon fast zehn Jahre Ministerpräsident in Bayern und hatte auch schon einiges vorzuweisen. Ja, es war dann ein harter Wahlkampf zwischen Gerhard Schröder und mir. Er hat am Ende gesiegt. Sie haben soeben die Wahlnacht angesprochen: Als ich in die "Berliner Runde" gegangen bin, war ich quasi noch der Sieger. Die ARD hatte noch um 20.00 Uhr aufgrund von Umfragen und ersten Hochrechnungen einen Wahlsieg von mir prognostiziert: Es hieß, die CDU/CSU käme zusammen mit der FDP auf etwa sieben, acht Mandate mehr als die anderen. Während der "Berliner Runde" mit Westerwelle und Schröder kamen wieder neue Nachrichten herein und es ging mit den Überhangmandaten los. Ich merkte, wie sich Schröder veränderte, der sich ja eigentlich schon aufgegeben hatte. Er hatte vor dieser Sendung bereits zu mir gesagt: "Na ja, jetzt können Sie ja zeigen, ob Sie das durchsetzen können, was Sie mir alles an Fehlern attestiert haben." Er war in der "Berliner Runde" zunächst zwar aggressiv, aber eben auch schon defensiv gewesen. Aber dann merkte ich, wie er sich aufrichtete, weil ihm ein Zettel hingeschoben wurde, dass sich das Wahlergebnis für ihn ständig verbessere, weil es für die SPD Überhangmandate geben werde. Es ging dann auch einige Zeit hin und her mit einer jeweils sehr, sehr knappen Mehrheit. Gut, man muss dann auch Niederlagen akzeptieren können, auch wenn sie noch so bitter oder knapp sind. Und das habe ich auch – ich hatte vielleicht drei, vier Wochen daran zu kauen. Reuß: Niederlage und Sieg liegen ja in der Politik wie oft auch im Fußball sehr eng beieinander, wenn ich mir diesen Vergleich erlauben darf. Stoiber: Ja, das stimmt. Reuß: Denn Sie haben fast auf den Tag genau ein Jahr später hier in Bayern einen triumphalen Erfolg erzielen können. Zum ersten Mal in der Geschichte der Bundesrepublik konnten Sie mit der CSU mit über 60 Prozent der Stimmen eine Zweidrittelmehrheit der Abgeordneten im Landtag erringen. Bei so manchem in Europa hat das sogar Stirnrunzeln hervorgerufen und sie fragten sich: "Wie kann man denn in einer demokratischen Wahl ein solches Ergebnis erzielen?" Ihnen wurden auch immer wieder Spitzenämter angeboten ... Stoiber: Putin hat mir mal, als er in München war, gesagt: "Wir haben bei uns auch eine Zweidrittelmehrheit." Ich habe dann aber schon versucht, im klar zu machen, dass ich doch einen Unterschied sehe zwischen der Duma und dem Bayerischen Landtag und zwischen unserem demokratischen Wahlsystem und dem Wahlsystem in Russland. Reuß: Sie hätten auch Bundespräsident werden können, da man Ihnen angeboten hat, dafür zu kandidieren. Gerhard Schröder hat Ihnen in Absprache mit anderen Regierungschefs in Europa angeboten, EU- Kommissionspräsident zu werden. Sie sind jedoch Ministerpräsident in Bayern geblieben und haben dann als CSU-Vorsitzender bei der vorgezogenen Bundestagswahl 2005 auch Angela Merkel unterstützt. Mit Blick auf die Uhr raffe ich das jetzt alles ein bisschen. Aufgrund dieser Bundestagswahl 2005 wurde Angela Merkel Bundeskanzlerin und es gab eine Große Koalition. Sie selbst waren vorgesehen für ein Spitzenministerium, für ein Superministerium und hatten auch signalisiert, dass Sie sich so ein Amt vorstellen könnten. Alle drei Parteivorsitzenden wären dann in der Großen Koalition in der Regierung gewesen. Aber am Ende musste dann Franz Müntefering wegen einer personalpolitischen Entscheidung in der SPD zurücktreten und Sie haben auch zurückgezogen. Dies hat dann aber auch Enttäuschung in Ihrer eigenen Partei hervorgerufen, denn hier in München war es ja bereits um Nachfolgefragen gegangen. Es hatte sich auch der eine oder andere diesbezüglich vielleicht schon Hoffnungen gemacht. Nach Ihrer Rückkehr gab es daher ein leichtes Grummeln in der CSU. Schließlich kam es zur Kreuther Klausurtagung im Januar 2007. Und nach heftigen Diskussionen haben Sie dann erklärt, dass Sie mit Wirkung zum 30. September 2007 vom Amt des Ministerpräsidenten zurücktreten werden und auch für den Parteivorsitz nicht mehr antreten würden. Fühlten Sie sich in diesen ganzen Diskussionen – auch von der eigenen Partei – fair behandelt? Stoiber: Ach, wissen Sie, ich kenne die Mechanismen einer Partei. Ich war natürlich einerseits überrascht, aber andererseits war für mich auch klar: Ich will die Partei nicht vor eine Zerreißprobe stellen. Deswegen habe ich dann meinen Rücktritt angekündigt. Ich hatte ja schon im Jahr 2006 gesagt: "Jetzt kommt meine letzte Etappe." Da haben einige aufgehorcht. Ich hätte gerne noch zwei, drei Jahre lang den dann folgenden Übergang moderiert und gemacht. Ich habe jedoch gesehen, dass das der eine oder andere in meiner Partei anders sieht. Ich wollte darüber in meiner Partei aber keine kontroverse Debatte führen. Ich habe die mir angebotenen Ämter des Bundespräsidenten und vor allem des EU-Kommissionspräsidenten – das wäre wirklich eine große Herausforderung gewesen und bei dieser Kandidatur wäre ich ja immerhin von Jacques Chirac, Tony Blair und Gerhard Schröder massiv unterstützt worden – auch deswegen nicht angenommen, weil ich meine Partei, wie ich das Gefühl hatte, nicht im Stich lassen wollte. Es war ja auch so, dass das Präsidium meiner Partei und vor allem Horst Seehofer als mein Stellvertreter gesagt haben: "Du kannst jetzt nicht gehen! Wir brauchen dich noch eine geraume Zeit als Parteivorsitzenden!" Das war für mich wirklich ein wichtiger Punkt und ich wollte natürlich schon auch in der operativen Politik bleiben und z. B. nicht das repräsentative Amt des Bundespräsidenten anstreben. Aber das sind alles Entscheidungen, die eben so getroffen worden sind. Zu der Frage, dass ich aus Berlin nach München zurückgekehrt bin, muss ich sagen, dass das in der Tat besonders mit Franz Müntefering zusammenhing. Wir kannten uns vor der Föderalismuskommission nicht persönlich. Diese Kommission war eine große Herausforderung gewesen, wir waren damals beide jeweils Parteivorsitzende. Er war darüber hinaus Fraktionsvorsitzender der SPD im Bundestag. Ich war Ministerpräsident in Bayern und leidenschaftlicher Föderalist. Wir haben dort in dieser Kommission hervorragend zusammengearbeitet und sind uns im Laufe der Zeit an vielen Abenden auch menschlich – was ich vorher gar nicht geglaubt hätte – sehr nahe gekommen. Als sich dann die Große Koalition abzeichnete, die ja eigentlich keiner wirklich gewollt hatte, war es so, dass Angela Merkel selbstverständlich Kanzlerin werden sollte. Franz Müntefering als der Repräsentant der SPD sollte ebenfalls ins Kabinett eintreten und ich als CSU-Vorsitzender sollte Wirtschaftsminister werden. Ich hatte mir das alles natürlich auch aufgrund der Erfahrungen überlegt, die ich früher als Generalsekretär und als Mitstreiter von Franz Josef Strauß gewonnen hatte. Das Problem, dass damals Strauß nicht in Bonn war, bestand nämlich darin, dass sich vor den Kabinettssitzungen immer die Spitzen der drei Parteien getroffen haben: Kohl, Genscher und Zimmermann als Vertreter von Strauß haben sich da im ganzen engen Kreis vorab verständigt – nur eben ohne Strauß, er war nicht mit dabei. Für mich war klar, dass sich das dann in Berlin wiederholen würde, wenn alle drei Parteivorsitzenden auch Mitglied des Kabinetts sind: Sie werden sich vor den Kabinettssitzungen immer so eine halbe Stunde lang miteinander verständigen. Und genau da werden dann eben oft auch die wichtigen Entscheidungen fallen. Als dann aber Müntefering aus den Gründen, die Sie genannt haben, ausgeschieden ist und Platzeck nachgekommen ist, war damit klar, dass nun nicht mehr alle drei Parteivorsitzenden im Kabinett sitzen. Für mich war das mit ein Punkt, der mich dazu gebracht hat, zu sagen: "Dann wird das Ganze wieder auf den Koalitionsausschuss hinauslaufen. Und dort bin ich ja sowieso mit dabei als CSU-Vorsitzender. Ich habe dort aber eine viel stärkere Position, wenn ich unabhängig von der Kabinettsdisziplin bin." Aber gut, diese schnellen Entscheidungen waren für manche sicherlich eine Herausforderung. Nur, am Ende möchte ich schon auch sagen: Ich habe diese Partei und das Land in einer sehr intakten Form übergeben. Denn das darf ich heute sagen: Die letzten Umfragen z. B. von "Infratest dimap" im Juli 2007 haben erneut eine überragende Position der CSU signalisiert, denn nach diesen Umfragen hätten wir zu dem Zeitpunkt ungefähr 58 Prozent der Stimmen bekommen. Dieses Hoch hielt ja noch unter meinem Nachfolger Beckstein bis in den Januar 2008 hinein an. Und dann muss irgendetwas passiert sein, dass wir so abgestürzt sind. Reuß: Wir sind ganz am Ende unseres Gesprächs angekommen, die Zeit ging wie im Fluge vorüber. Ich darf mich ganz herzlich für das sehr angenehme Gespräch bedanken, Herr Ministerpräsident. Ich würde gerne mit einigen Zitaten von Ihnen selbst enden. Sie haben einmal gesagt: "Nichts ist heute attraktiver als eine konservative Anlage. Wir brauchen die alten Werte für die neuen Herausforderungen." Über Ihren eigenen Politikstil haben Sie einst gesagt: "Wer Everybody's Darling sein will, wird schnell Everybody's Depp." Ein letztes Zitat von Ihnen selbst lautet: "Liberalität heißt doch nicht, für alles offen zu sein. Wer für alles offen ist, der ist nicht ganz dicht." Der damalige DGB-Landesvorsitzende hier in Bayern, Fritz Schösser, hat Sie einmal die "Lichtgestalt der bayerischen Politik" genannt. Der "Tagespiegel" schrieb: "Edmund Stoiber ist unermüdlich, er ist ein Unvollendbarer". Und Ihr Biograf Rudolf Erhard schrieb über Sie: "Keiner hat Bayern bisher so vorangebracht wie Edmund Stoiber." Dem ist nichts hinzuzufügen. Verehrte Zuschauer, das war unser alpha-Forum, heute mit Dr. Edmund Stoiber, dem langjährigen Bayerischen Ministerpräsidenten und ehemaligen CSU- Vorsitzenden. Herzlichen Dank für Ihr Interesse, fürs Zuschauen und Zuhören und auf Wiedersehen.

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