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Sendung vom 29.1.2013, 21.00 Uhr Dr. Edmund Stoiber Bayerischer Ministerpräsident a. D. im Gespräch mit Werner Reuß Reuß: Verehrte Zuschauer, ganz herzlich willkommen zum alpha-Forum. Unser heutiger Gast ist Dr. Edmund Stoiber, Bayerischer Ministerpräsident in den Jahren 1993 bis 2007 und damit 14 Jahre lang. Er war 25 Jahre lang Mitglied der Bayerischen Staatsregierung, 34 Jahre lang Mitglied des Bayerischen Landtags und in den Jahren 1999 bis 2007 Vorsitzender der CSU. Heute ist er Ehrenvorsitzender in der CSU und er war Kanzlerkandidat von CDU und CSU im Jahr 2002. Ich freue mich, dass er hier ist. Herzlich willkommen, Herr Ministerpräsident. Stoiber: Vielen Dank für die Einladung, Herr Reuß. Reuß: Man sieht Sie zwar nicht mehr jeden Tag in den Nachrichtensendungen, dennoch sind Sie nach wie vor politisch aktiv. Sie selbst haben einmal geschrieben: "Wenn man sein Leben so sehr der Politik gewidmet hat, dann bleibt man ein politischer Mensch, auch wenn man keine Ämter mehr aktiv ausübt." Und an anderer Stelle haben Sie gesagt: "Ein wirklich politischer Mensch kann das Politische gar nicht hinter sich lassen, selbst wenn er es wollte." Ihr Nach-Nachfolger im Amt des Ministerpräsidenten, Horst Seehofer, sagte einmal: "Politik kann so etwas wie eine Sucht werden." War das bei Ihnen auch so? Ist das noch so? Stoiber: Als Sucht habe ich es nicht empfunden, aber als eine große Verantwortung und natürlich auch als Chance und Herausforderung. Wenn man sich für sein Land intensiv interessiert von der Geschichte her, wenn man die Menschen mag und wenn man ein bisschen mitgestalten will an diesem großen Prozess, dann ist das einfach eine Passion. Und entweder hat man diese Passion oder man hat eben andere Interessen und interessiert sich nur für sich oder die eigene Familie und nimmt das, was im weiteren Umfeld passiert, nicht mehr so wahr. Bei mir war es bereits in der Schule, also auf dem Gymnasium in Rosenheim so, dass ich mich z. B. im Sozialkundeunterricht sehr engagiert eingebracht habe. Dies wurde bei mir dann auch immer im Zeugnis vermerkt. Damals ist diesbezüglich also sicherlich schon die Grundlage gelegt worden. Ich hatte an diesem Gymnasium in den 50er Jahren auch einen Freund, nämlich Gerd Wagner, den Klassenbesten. Leider ist Gerd Wagner bereits gestorben. Gerd Wagner war ein absoluter Sozialdemokrat und damals eben Ollenhauer- Anhänger. Ich hingegen habe aufgrund meines Elternhauses Adenauer favorisiert. Im Laufe der Jahre haben wir das dann immer wieder kultiviert. Er ist später auch in die Fraktion der SPD gekommen und war dort wissenschaftlicher Mitarbeiter und später Diplomat. Ich hingegen habe die aktive politische Rolle übernommen. Ja, damals ist für all das sicherlich die Grundlage gelegt worden. Reuß: Sie haben ein spannendes und sehr gut lesbares Buch geschrieben mit dem Titel: "Weil die Welt sich ändert. Politik aus Leidenschaft – Erfahrungen und Perspektiven." Das ist nicht nur eine sehr persönliche Bilanz, sondern auch ein leidenschaftlicher Blick nach vorn. Es ist aber sicherlich nicht ganz einfach, 40 Jahre politischer Arbeit Revue passieren zu lassen und zwischen zwei Buchdeckel zu bringen. Was fiel Ihnen den schwerer zu entscheiden? Was Sie schreiben oder was Sie weglassen, was Sie nicht schreiben? Stoiber: Ach, wissen Sie, das ist ja eine Autobiografie, dieses Buch beansprucht nicht unbedingt die absolute Objektivität. Ich schreibe diese Dinge so, wie ich sie empfunden habe, wie ich sie sehe. Man kann natürlich nicht über alles schreiben, das ist klar. Aber ich wollte auch auf keinen Fall irgendwelche kritischen Auseinandersetzungen wiederbeleben, die längst passé sind, sondern ich wollte ein Gesamtbild bringen. Ich wollte darlegen, wo ich überhaupt herkomme, wie ich in die Politik gekommen bin, wie ich mich um ein Mandat beworben und dann auch eines bekommen habe, wie ich schließlich Ministerpräsident geworden bin und wie ich letztlich auch eine Gesamtverantwortung für die CDU/CSU im Wahlkampf 2002 und darüber hinaus übernehmen durfte. Dabei hat es natürlich unendlich viele Begegnungen und unendlich viele herausfordernde Situationen gegeben. Die kann man nicht alle beschreiben, man kann nicht alle Gespräche und Auseinandersetzungen wiedergeben. Stattdessen geht es darum, was dabei am Ende herausgekommen ist: Was ist die Bilanz meines Lebens? Gut, es gibt da in politischer Hinsicht vielleicht zwei wesentliche Punkte in meiner langen Arbeit und dann vor allem in meiner Amtszeit als Ministerpräsident, die mich stolz machen. Es ist mir schon sehr, sehr frühzeitig gelungen, die Vorgabe eines ausgeglichenen Haushalts – dass also der Staat keine Schulden machen darf – einzuhalten: In den acht Jahren von 1998 bis 2006 ist mir das in sechs Jahren gelungen, und das in einer schwierigen wirtschaftlichen Zeit! Ich bin stolz darauf, das durchgesetzt und auch Kürzungen vorgenommen zu haben. Heute gibt es keinen mehr, der das kritisiert, heute sagen alle: "Das war die gute Grundlage, dass es uns heute so gut geht. Es war gut, dass Bayern angefangen hat, zu sparen und nicht immer noch mehr Schulden zu machen." Der zweite Punkt ist, dass meiner Regierungszeit so ein bisschen der Spruch "Laptop und Lederhose" nachhängt, also diese Verbindung von Tradition und Fortschritt, dass ich also sehr stark auf Innovationen gesetzt habe auf den Gebieten der Biotechnologie, der Materialwissenschaften, der Werkstoffforschung usw. und dass ich die Industrie in Bayern gehalten habe, und das in einer Zeit, in der überall nur noch der Dienstleistungssektor gepriesen wurde. Die Engländer sind ja das klassische Beispiel dafür: Sie haben ihre gesamte Stahlindustrie mehr oder weniger aufgegeben und haben auch ihre Automobilindustrie relativ massiv aufgegeben. Stattdessen sind sie nur noch in die Finanzdienstleistungen gegangen. Gut, auf diesem Gebiet ist London heute sicherlich ein Zentrum, aber dass es uns heute in Bayern und auch in Deutschland besser geht, hängt auch mit der Industrie zusammen, die wir hier bei uns halten konnten. Reuß: Sie haben in Ihrem Buch geschrieben: "Bayern ist meine Heimat, Deutschland ist mein Vaterland, Europa ist unsere Zukunft." Das sind aber nicht nur Worte, denn Sie sind vielfältig ehrenamtlich engagiert – und eben auch in Europa. Auf Bitten des Kommissionspräsidenten José Manuel Barroso leiten Sie eine Sachverständigenkommission, die die Aufgabe hat, den Bürokratieabbau voranzubringen. Sie haben dabei schon sehr viele Vorschläge erarbeitet, nämlich über 300 mit einem Volumen von über 40 Milliarden Euro. Ein Großteil davon wurde auch schon beschlossen: vom Parlament und auch von Kommission und Rat. Sie haben dabei mal eine Rechnung aufgestellt und ich darf Sie hier zitieren: "Von 1998 bis 2004 sind in Deutschland 21000 Rechtsbefehle entstanden, davon kamen 18000, also 85 Prozent, aus Europa. Sie wirken unmittelbar auf jeden Deutschen, haben erhebliche Auswirkungen auf seinen Alltag." Kann man da wirklich das Rad zurückdrehen? Wenn nun auch eine engere politische Zusammenarbeit gewünscht ist in Europa, kann man dann wirklich mit dem Abbau alter Bürokratieregeln den Aufbau neuer Bürokratieregeln verhindern? Stoiber: Man kann es, man kann die Erfahrungen, die man gesammelt hat, anwenden. Das sind Erfahrungen, die entstanden sind, indem man alte Gesetze und vor allem deren Vollzug untersucht und dabei festgestellt hat: "Da ist etwas zu kompliziert vollzogen worden! Da ist etwas zu detailliert geregelt worden! Da werden zu viele Vorgaben gemacht, die für den Gesetzeszweck überhaupt nicht notwendig sind!" Hier haben wir in den letzten fünf Jahren sicherlich ein wirksames Muster entwickelt, indem wir eine Fülle von Rechtsmaterien untersucht haben. Wir haben z. B. das gesamte Arzneimittelrecht untersucht, den Verbraucherschutz, die Agrarpolitik, die Fischereipolitik, das Gesellschaftsrecht, das Arbeitsrecht usw. Das wird ja alles sehr stark von Europa dominiert, weil wir nämlich einen einheitlichen Binnenmarkt bekommen haben, der natürlich immer mehr an Vereinheitlichung verlangt. Die Grenzen sind ja nicht mehr da, jeder kann in Europa arbeiten, wo er will. Ein Deutscher kann z. B. in Finnland nicht davon abgehalten werden, indem die Finnen sagen würden: "Nein, du bist Deutscher, der Finne wird bei uns bevorzugt!" Das gibt es also alles nicht mehr. Es gibt heute eine völlige Reisefreiheit, eine völlige Berufsfreiheit, man hat völlige Freiheit, sein Geld innerhalb Europas hin und her zu transferieren. Für all diese Dinge braucht es natürlich Vereinheitlichung. Und die Wirtschaft – nicht nur in Deutschland, sondern in ganz Europa – verlangt daher möglichst einheitliche Bedingungen. Es sollen daher z. B. die Voraussetzungen, um einen Firmenwagen zulassen zu können, in Spanien nicht andere sein als in Deutschland. Das verlangt also Vereinheitlichungen und deswegen wird das auch immer weitergehen. Wir verlangen ja auch immer mehr Schutz vom Staat. Denken Sie nur einmal an den Verbraucherschutz. Wenn da irgendwo etwas passiert, dann wird sofort gefragt, warum das passiert ist: Hat das an den gesetzlichen Regeln gelegen oder an der mangelnden Kontrolle? Und sofort geht die Politik her und sagt: "Daraus müssen wir unsere Lehren ziehen, wir müssen das besser machen, wir müssen die Vorgaben enger machen." Ich glaube, dass man da aus den gemachten Erfahrungen einiges lernen kann. Sie haben es ja schon angesprochen: Wir haben einiges erreicht in den fünf Jahren und ich mache das ja länger, als eigentlich vorgesehen, weil die Kommission, aber auch das Parlament und der Rat diese Arbeit als sehr wichtig empfinden. Meine