einem Treffen derRealos inKassel vor- bewährte Feindschaften undStereotype. jahrelangMacht- undFlügelspiel, pflegt Großfunktionäregrüner mitdembeliebten bewegen, beschäftigt sichdiekleineKaste unbeachtet von derÖko-Partei dasLand ausländische Programmierer weitgehend men wieGenfood oderdieGreencard für wieder keine Zeit.Während The- grüne „hat nichtmehralleTassen imSchrank“. Strukturfrage zurExistenzfrage stilisiere, vertrauten Zirkeln derweil wissen:Wer die getrennt sein. rung: AmtundMandatsollennichtlänger der Partei undverlangt Professionalisie- Faltenreich leideteram„Dilettantismus“ staatstragische Kosovo-Gesicht aufgesetzt. 38 P Grünen-Chefin Radcke, Kandidatin Künast, Minister Fischer*: März 1980 Grünen-Chefin GundaRöstel wurde auf Politik? hatdieÖko-Partei Dafür mal Kabinettskollege Jürgen Trittin lässtin Januar bis Grüne Größen Juni 1980 bis 1981 bis Juni dieKameras für das der GrünenamWochenende hat ünktlich zumKarlsruher Parteitag 1980 Der Nachwuchs istvom Lagerdenken abgestoßen, klare Programmbotschaften fehlen. Vor ihrem Parteitag, derdieReform derFührungsstruktur bringen soll,präsentieren Norbert Mann Norbert Dieter Burgmann Mann Norbert Petra Kelly August Haußleiter August Haußleiter Helmut Neddermeyer Gruhl Herbert „Viel Macht, wenigInhalt“ Bisherige Parteisprecher sich dieGrüneninalter ManieralsFlügelkämpfer. Kelly, 1980 schaftsrecht, beimAtomausstieg oderbei zu präsentieren –obbeimStaatsbürger- tig gebracht, sichsohäufigalsVerliererin Defizite aufgezeigt. lügen, diepersonellenundstrategischen anderMachthatsämtlicheLebens- Alltag nation derWelt mitregieren. Und dieser einhalb Jahren diedrittgrößte Wirtschafts- Partei offenbar entgangen, dasssieseitein- selbst istdenFührungskräften derÖko- Schleswig-Holstein unterzubringen. schers Leute nun,siealsMinisterin in lig verkaufen. ImGegenzug versuchen Fi- musste denRückzugauchnochalsfreiwil- Freund freizumachen, und ihren Fischers PlatzanderSpitze für vergangenen gezwungen, brutal Sonntag beim Politischen Aschermittwoch inPassau. frauentag inBerlin amvergangenen Mittwoch; rechts: mitSchoko-Euros* Links: beieinerAktionzumWelt- Selten hateseineRegierungspartei fer- Beim realitätsblinden Spielmitsich

J. H. DARCHINGER der spiegel 1984 bis 1983 bis 1982 bis 1981 bis 1987 1984 1983 1982 Deutschland „Er monopolisiert Erfolge„Er unddelegiert dieNiederlagen“ monopolisiert Rainer Trampert Jutta Ditfurth Lukas Beckmann Rainer Trampert Rebekka Schmidt Knabe Wilhelm Rainer Trampert Knabe Wilhelm Manon Maren-Grisebach Manon Maren-Grisebach Petra Kelly Dieter Burgmann GRÜNE 11/2000

FOTOS: M. URBAN Trampert, (u.) Ditfurth symptome mehren, istdiePartei zerrisse- rationenprojekt“ bleibe. der Partei, diewomöglich nurein„Gene- rapide. Fischer orakelt schonvom Ende Klientel dereinstigen Jugendpartei altert Grünen biszu 40Prozent ihrer Wähler, die nur PhaseistoderTrend. Krise falen entscheidetsich,obdiegrüne wahl wichtigsten Wahl inNordrhein-West- sonal –undbeidernachBundestags- schieden, imMaiinMünster überdasPer- über eineneueFührungsstruktur ent- (siehe Interview Seite 40). sundheitsministerin meint servativ zugleich“ Ge- sei,wiediegrüne zerrissenen Partei, die„liberal undkon- unter imUngeschick derPräsentation einer umweltfreundlicher Energietechnik gehen weltweit beachtetes GesetzzurFörderung der Altautoverordnung. Erfolge wieein Doch während dieKatastrophen- sich Bei denletzten Wahlen verloren die Auf zwei Parteitagen –inKarlsruhe wird

K. HOFFMANN / NOVUM R. JANKE / ARGUS 1991 bis 1990 bis 1989 bis 1987 bis 1993 1991 1990 1988 Christine Weiske Ludger Volmer Christian Ströbele Heide Rühle Renate Damus Verena Krieger Ruth Hammerbacher Ralf Fücks Christian Schmidt Regina Michalik Jutta Ditfurth

F. HELLER / ARGUM ner als je zuvor, Verunsicherung herrscht auf allen Ebenen darüber, wo die Partei derzeit steht und künftig stehen soll. Ausgerechnet Fischer, der unermüdliche Mahner, einer von Deutschlands popu- lärsten Politikern, zeigt keinen Weg aus der Krise, sondern perpetuiert das Elend. „Fischers Superdominanz“, so der Berliner „Tagesspiegel“, ähnele Helmut Kohls eins- tiger Übermacht in der CDU. Und die ver- hindere Demokratie und Aufbruch. Tatsächlich wird jede neue Parteispitze mit der Nebenregierung im Auswärtigen Amt rechnen müssen, die die Realos im Lande fernsteuert. Auch vor Fischers ge- fürchtetem Mobbing kann sich niemand si- cher fühlen. Dass er mitten in Röstels säch- sischem Wahlkampf den Stuttgarter Frak- tionschef Kuhn und seine Berliner Kollegin Renate Künast als neue Doppelspitze vor- schlug, ist tief im kollektiven Gedächtnis der Partei verwurzelt. „Er monopolisiert die Erfolge und delegiert die Niederlagen“, sagt einer aus Fischers Team stolz. Unter „den fortwährenden Manipula- tionen durch die beiden Jungs“ leidet die Juristin Künast in aller Stille. Ihre politische Karriere ist eng mit dem Flügelproporz verknüpft, der die Partei in Streitfragen immer noch magnetisch in Richtung der beiden Pole namens Jürgen und Joschka auseinander zieht. Künast: „Zwei Herren in dunklen Anzügen, der eine mit, der an- dere ohne Weste – das ist doch nicht grün.“ Obgleich Künast, Tochter eines Reck- linghäuser Kfz-Mechanikers, im Berliner Stadtparlament ihr Talent zum Streit und in Talkshows ihre Fähigkeiten zum Polit-Mar- keting bewiesen hat, ist die Kandidatin für den Parteivorsitz schon fast zerrieben. Denn sie könnte nur die linke Flügelfrau Antje Radcke beerben, die aber schon ver- kündet hat, dass sie bleiben wolle. Ihr Handicap: Weil sie als Wunschkan- didatin des Außenministers gehandelt wird, gilt sie den Linken als zu nah an der Re- gierungsmacht. Dabei will sie „einfach Po- litik machen“, die „handwerklichen Män- gel“ abschaffen, das „ewige Taktieren“ überwinden. Aber im kollektiven Lager- denken kommt auch sie nur als Verhand- lungsmasse vor. Mobilisiert etwa Fischer die grüne Basis für Trittins Atomausstieg, würde der Um-

1993 bis 1994 Ludger Volmer

1994 bis Krista Sager Sager, Röstel (u.) 1996 Jürgen Trittin

1996 bis Gunda Röstel 1998 Jürgen Trittin

seit 1998 Antje Radcke

J. J. EISGunda S. SCHULZ / RETRO Röstel

der spiegel 11/2000 39 Deutschland „Wir brauchen gute Nerven“ Gesundheitsministerin Andrea Fischer über die Probleme der Grünen mit dem Regieren, den Stimmenverlusten bei der Jugend und der Reform der Parteiführung

SPIEGEL: Frau Fischer, müssen sich die Fischer: Indem wir nicht immer nur Proteste gegen Kernkraftwerke sind keine Grünen neu definieren? Schwierigkeiten beklagen, sondern für un- Massenbewegungen mehr. Reibung muss Fischer: Wir sind liberal und konserva- sere Erfolge werben. es geben. tiv zugleich, in einer ungewöhnlichen SPIEGEL: Eine neue Zumutung ist abseh- SPIEGEL: Ein Trend hat sich jetzt in Schles- Mischung. Jeweils ist neu herauszufin- bar: Atomausstieg erst in 30 Jahren. wig-Holstein wieder bestätigt: Rot-Grün den: Was gilt es zu bewahren gegen Fischer: Natürlich sind wir ungeduldig, ist nicht mehr erste Wahl für junge Leute. falsche Modernität? Und wo müssen nach so vielen Jahren Kampf. Aber Wie erklären Sie das? wir uns verändern und uns etwa von ohne die Grünen hätte sich ja gar nichts Fischer: Zurzeit haben wir es mit einer Mythen des Sozialstaats, von Lebenslügen getan. Die Alternative lautet doch nicht: jüngeren Generation zu tun, die wenig im Wirtschafts- und im Steuersystem Wollen wir diesen Atomausstieg oder ei- Sinn für Ideologien hat und sehr viel von verabschieden? Ein schwieriger Such- nen schöneren? Die Alternative lautet: Pragmatismus hält. Ich kenne viele Leute prozess … Wollen wir diesen Atomausstieg oder gar aus verschiedenen Berufen, die finden die SPIEGEL: … der offenbar die Wähler ver- keinen? Grünen recht sympathisch. Sie haben aber wirrt. Die Grünen haben Probleme, die SPIEGEL: Das scheint viele in Ihrer Partei keine Lust, jeden Montagabend zu ir- Fünf-Prozent-Hürde zu nehmen. nicht zu überzeugen. gendeiner Landesarbeitsgemeinschaft zu Fischer: Wir erfahren jetzt, wie gehen. Die wollen vielleicht hart es ist, als kleinere Regie- nur eine Idee loswerden. Für rungspartei eine erkennbare solche Leute haben wir keine Identität zu bewahren. Wir set- Strukturen, keinen Ort, kein zen auf diejenigen, die über offenes Ohr – da entgeht uns konkrete Vorstellungen verfü- ein gewaltiges Potenzial. Dabei gen, wohin sich unsere Gesell- kämen uns die neuen Medien schaft verändern soll, und die wie das Internet für eine Öff- sich auch auf langwierige Ver- nung sehr entgegen. änderungsprozesse einlassen. SPIEGEL: Bisher verstehen sich Da brauchen wir gute Nerven. die Grünen eher als exklusiver SPIEGEL: Sie mussten in der Ko- Club … alition gerade bei einem Fischer: … ich verstehe sie nicht Kernthema, der Ökologie, im- so. mer wieder Abstriche machen. SPIEGEL: Wer nicht einer be- Was ist da vom grünen Profil stimmten Generation angehört noch erkennbar? und von üblichen Denkmus- Fischer: Wir haben die Öko- tern abweicht, fühlt sich nicht steuer eingeführt, wir fördern gerade eingeladen. die regenerierbaren Energien, Fischer: Es bestürzt mich in der

wir betreiben die Entflechtung M. URBAN Tat, dass sich immer weniger des Strommarkts. Hier ist doch Grünen-Politikerin Fischer: „Es gibt Grenzen der Zumutbarkeit“ junge Leute für die Grünen in- eine echte Energiewende ein- teressieren. Die gewinne ich geleitet worden. Wären die Grünen nicht Fischer: Die Alternative heißt dann: In aber nicht, wenn ich auf Plateausohlen in der Regierung, wären all diese Dinge so Schönheit sterben in der Opposition, bei herumlaufe. Viele unserer Formen wirken nicht vorangekommen. der 786. Blockade eines Castor-Transports. offenbar abstoßend – die Antragspakete SPIEGEL: Anscheinend haben viele Partei- SPIEGEL: Nach diesem Motto können Sie und eine Sprache, die keiner versteht. Das freunde Ihre Erfolge nicht richtig mitge- auch Panzer an die Türkei liefern und die heißt, wir müssen die Partei nicht nur an kriegt. Gegner fragen: Wollt ihr etwa die Koaliti- der Spitze demokratischer und durchset- Fischer: Wir müssen das Erreichte viel on aufs Spiel setzen? zungsfähiger machen, sondern auch unten selbstbewusster präsentieren. Aber was Fischer: Das realpolitische Argument ist öffnen. mich wirklich ärgert, ist, wenn die Grünen in jeder Frage neu zu bedenken. Es gibt SPIEGEL: Schreckt den Nachwuchs nicht an dem Bild der Bewegungspartei aus den Grenzen der Zumutbarkeit, etwa beim auch das innerparteiliche Lagerdenken, achtziger Jahren gemessen werden. Die- Waffenexport. Wir werden als Grüne er- das eine offene Diskussion blockiert? selben Spießer, die immer gemäkelt ha- kennbar bleiben. Fischer: Ja, die jüngere Generation kann ben: „Die Grünen sind nicht ordentlich SPIEGEL: Ein Teil der Grünen ist im Regie- mit unseren Flügelkämpfen nichts anfan- angezogen“, sagen nun: „Ihr seid aber an- rungsalltag angekommen. Andere arbeiten gen. Die Aufteilung ist doch längst zum In- gepasst.“ Die kritisieren jetzt, dass die kompromisslos gegen Endlager in Gorle- strument der innerparteilichen Machtver- Grünen dreiteilige Anzüge tragen und so- ben oder Kohleabbau in Garzweiler. Sind teilung verkommen. Politische Entschei- gar mit Messer und Gabel essen. diese Mitglieder abgeschrieben? dungen werden oft pragmatisch getroffen. SPIEGEL: Wie können Sie die Erwartungen Fischer: Nein, hier müssen beide Seiten SPIEGEL: Demnach müsste Joschka Fischer der Gründer und einer neuen Generation ihre Rolle neu finden. Auch die Rolle der Parteichef werden. gleichzeitig erfüllen? sozialen Bewegungen hat sich geändert. Fischer: Er wird nicht antreten.

40 der spiegel 11/2000 an der Basis. „Wir machen hier Interes- senvertretung für die, die sie brauchen.“ Eine vielgliedrige, grün gewirkte Pro- jektlandschaft, in zwei Jahrzehnten zum Netz gewachsen, sichert den Nachkommen der „Alternativen Liste“ auch Wähler weit außerhalb ihres Milieus. Was der Bürger- meister beschreibt, gleicht frappierend dem Erfolgsmodell der PDS mit ihrem Service- Betrieb für Benachteiligte und Entrechte- te. Dazu gehören die alten Gut-böse-Re- zepte und Distanz zu den Regierungsgrü- nen. Den „30-jährigen Ausstieg“ etwa hält Schulz für unerträglich. Dabei ist der linke Kiez-Vorsteher Profi genug, um die Zwänge der Realpolitik zu kennen. Vieles, was die Grünen in der Bun- desregierung verantworten, hält er für „ak- zeptabel“. Doch das sei seine Sicht, nicht die der Anhänger. Die nähmen die Grünen

AP als Umfaller-Partei wahr und ihre Minister Protest gegen grüne Führung*: „Fortwährende Manipulationen durch die beiden Jungs“ als machtkorrumpierte Wichtigtuer. Bis zum September 1998 gelang es der SPIEGEL: Würden Sie seine Kandidatur be- weltminister im Gegenzug stillhalten, wenn Öko-Partei, zugleich alte Anhänger mit grüßen? künftig die Kombination von Parteiamt dem Protest-Habitus und neue Fans mit Fischer: Der Partei ist nicht mit einem Chef und Abgeordnetenmandat zugelassen wird fortschrittlichen Sozialkonzepten zu bin- gedient, der pausenlos in der Welt unter- – und damit das Duo Kuhn/Künast. Von den. Doch der Glaube, es besser zu können wegs ist. Trittin etwa hängt es ab, wie sich NRW- als die Altparteien, erwies sich im Realtest SPIEGEL: Auf dem Parteitag soll in dieser Umweltministerin Bärbel Höhn verhält, an als grandiose Selbstüberschätzung. Woche die vorgeschriebene Trennung von der sich viele Delegierte orientieren. Wie man große Erwartungen schürt, um Amt und Mandat abgeschafft werden, da- Es gibt noch andere Varianten grüner sie nachher umso heftiger zu enttäuschen, mit die richtigen Leute an die Parteispit- Mathematik. Möglichkeit eins: Mehr als machte Trittin beim Atomausstieg vor. An- ze kommen. Wird das weiterhelfen? ein Drittel der Delegierten stellt sich in statt die Szene auf einen Jahrzehnte Fischer: Es geht nicht um einzelne Perso- Karlsruhe gegen die Strukturreform. Dann währenden Ausstieg vorzubereiten, weck- nen. Hier geht es um Konsequenzen aus könnte bei der Wahl im Mai keiner der te er viel zu lange den Eindruck, man kön- den undemokratischen Zuständen, die in Mandatsträger Kuhn und Künast antreten. ne den Kanzler und die Energiekonzerne den letzten Jahren durch informelle Zirkel Die noch perfidere Möglichkeit zwei: zum schnellen Abschalten zwingen. entstanden sind. Koordinationsgremien Die Partei beschließt die Strukturreform, Der langsame Ausstieg geht aber für die wie unser grüner Koalitionsausschuss sind wählt im Mai aber nicht den Super-Realo Stammwähler und viele Mitglieder nicht von niemandem legitimiert, haben aber Kuhn, sondern die Mitte-links-Frau Künast. zusammen mit dem Herzenswunsch nach eine unglaubliche Machtfülle. Parteipos- Mit Radcke würden die Grünen dann von einem K.-o.-Sieg über die Atomwirtschaft. ten werden vor allem als Sprungbrett in zwei eher linken Frauen geführt. Ende vergangenen Jahres aktualisierte die Parlamente verstanden. Mit solchen Rechen- und Ränkespiel- Fraktionssprecherin Kerstin Müller die SPIEGEL: Deswegen fürchten viele Partei- chen hat die Öko-Partei in 20 Jahren Brachialrhetorik, als sie ein Ausstiegsge- freunde, das Regieren bringe den Grünen 25 Bundesvorsitzende verschlissen – und setz forderte, das „hart ist und wehtut“. nichts ein: Jürgen Trittin verursache nur mindestens so viele Kandidaten. Doch Entsprechend tief sitzt nun die Verbitte- Ärger mit seiner Umweltpolitik, Fischer die Proporzpolitik sitzt tief in der grünen rung. Selten zuvor wurde in Deutschland nutze als Außenminister der Partei so we- Kultur. ein Minister von einstigen Anhängern ähn- nig wie Sie als Gesundheitsministerin. Und in manchen Soziotopen hat das alte lich rüde angegangen wie Trittin, als er Fischer: Was ist denn das Kriterium für Denken sogar noch Erfolg. Im Berliner kürzlich im niedersächsischen Celle dem solche Urteile? Szene-Bezirk Kreuzberg blieben die Grü- eigenen Landesverband sein Ausstiegs- SPIEGEL: Die bisherigen Wahlergebnisse. nen bei der letzten Abgeordnetenhaus- konzept schmackhaft machen wollte. Fischer: Das sehe ich völlig anders. Dass Wahl gegen ihren Trend stärkste Partei. Ei- „Judas, Judas“, schallte es. Vor der Hal- unsere Mitglieder nicht unkritisch ihrer nes der beiden Direktmandate holte der le fütterten die Aktivisten der „Bäuerli- Führung folgen, ist doch unser stärkster Deutsch-Türke Özcan Mutlu. Franz Schulz, chen Notgemeinschaft“ rot-grün gefärbte Schutz davor, zu einem Vizekanzlerwahl- seit 1996 Bezirksbürgermeister in Kreuz- Ferkel mit stilisierten Tausend-Mark-Schei- verein zu verkommen. Im Übrigen halte berg, das durch seine ritualisierten 1.-Mai- nen. „Lügt ruhig weiter!“, herrschte der ich die These, dass ausgerechnet Joschka Krawalle internationale Berühmtheit er- Minister die Aufgebrachten an. Fischer den Grünen nichts bringt, für ge- langte, stützt sich auf 32,4 Prozent. Das Unverständnis zwischen Basis und radezu abenteuerlich. Hier ist die kleine grüne Welt noch in- Parteiführung war nie größer. Lilo Wollny, SPIEGEL: Seine große Popularität zahle sich takt. In Schulz’ Büro liegt das „Informa- 74, Symbolfigur der Anti-AKW-Bewegung nicht in Stimmen aus, so die Erklärung, tionsblatt zur Solidaritätsarbeit mit Nica- im Kreis Lüchow-Dannenberg, schwankt ähnlich wie beim ehemaligen FDP-Außen- ragua“ aus, die Vorzimmerdame trägt zwischen Resignation und Durchhaltewil- minister Hans-Dietrich Genscher. Kopftuch. Seinen Erfolg erklärt der pro- len: „Man erkennt die Grünen nicht mehr Fischer: Es wäre merkwürdig, wenn die 70 movierte Physiker mit der Dauerpräsenz wieder, seit sie regieren.“ Prozent, die Joschka für einen prima Po- von Partei und – natürlich – Bürgermeister Seit Wochen bereiten Teile der grünen litiker halten, alle grün wählen würden. Lokalprominenz im Atom-Landkreis den Interview: Paul Lersch, Hajo Schumacher * Auf der Landesdelegiertenkonferenz der nordrhein- kollektiven Ausstieg aus der Partei vor, westfälischen Grünen in Soest am 19. Februar. sollte die in Karlsruhe den Atomkurs der

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Führung bestätigen. Mitglieder der Kreis- Denn die Strömungen gibt es kaum tigkeit vernachlässigen. Der Andrang neu- tagsfraktion wollen fortan als unabhängige noch, wohl aber das Verhalten, die über er Kräfte hält sich noch sehr in Grenzen. Grüne Liste Wendland antreten. Jahre verinnerlichten Feindschaften. Da Die frische Generation Grün, die die Denn mit dem Einstieg in den Ausstieg gelten Kompromisse als Niederlagen, Zu- Partei neu erfindet, die Fischer und Trittin wird manche Protestbiografie abrupt be- geständnisse an den politischen Feind als vereint – die ist auch im Westen rar. endet, werden Weltbilder vernichtet, die Kollaboration. Ein Argument wird selten Vielleicht gehört Klaus Müller, 29, dazu. vielen Halt und den Grünen sichere Stim- als solches verstanden, lieber dagegen als Der designierte Umweltminister der rot- men gaben. Waffe, die persönlich verletzen soll. grünen Koalition in Schleswig-Holstein ist Wollny hat in vier Jahren , bis Ein dritter Weg zwischen Gnadenlosig- mit Lagerkategorien nicht zu fassen. Miss- 1990, gelernt, dass Parteiarbeit „wirklich keit und Weicheierei, den möglichst viele trauische Altgrüne halten ihn jedenfalls die Kunst des Möglichen“ und daher etwas in der Partei akzeptieren und nicht nur als schon mal prophylaktisch für „zu jung und grundsätzlich anderes ist als der kompro- fragilen Waffenstillstand hinnehmen, ist zu ehrgeizig“. misslose Kampf in einer Bürgerinitiative. den grünen Funktionären bis heute we- Finanz- und Steuerexperte Müller hat Aber was soll sie davon halten, dass die sensfremd. Kleinert räumt ein: „Das Den- Blitzkarriere gemacht, ohne dabei nur in Endlagerbetreiber-Gesellschaft DBE in der ken in den Kategorien von Macht und der Partei zu leben. Der Volkwirt arbeite- Lokalpresse weiter Lehrlinge sucht, ob- Mehrheit war so faszinierend, dass ich die te beim neoliberalen Kieler Institut für wohl der Bundesumweltminister ver- Nebeneffekte zu gering geschätzt habe.“ Weltwirtschaft. Er will sich „auch als Poli- spricht, dass die Erkundungsarbeiten in Einer dieser Nebeneffekte wirkt beson- tiker an Widersprüchen reiben und nicht Kürze unterbrochen werden? ders verheerend: Die Strömungen haben bestätigt bekommen, was ich hören will“. Aktivistin Wollny steht nur für einen sich über die Jahre derart verselbständigt, Zur Partei fand Müller über die Renais- Teil der grünen Wirklichkeit. Manch an- dass sie die Partei und ihr Personal aus- sance der Friedensbewegung während des M. LANGER / ZEITENSPIEGEL KLINK T. S. M. ROTHER S. M. ROTHER S. M. ROTHER Grüne Schulz, Olbrich, Müller, Kleinert: „Denken in Kategorien von Macht und Mehrheit“ derer stolzer Widerständler ist längst im einander reißen. Ob Atom oder Struktur- Golfkriegs, als er die Programme von Grü- Reihenhaus angekommen: Hubert Kleinert reform – jedes Thema wird auf seine Ver- nen, SPD und PDS studierte. Bei den Grü- zum Beispiel, vom Fischer-Freund der wertbarkeit im Lagerkampf reduziert. Lin- nen fand er „die größte Schnittmenge mei- ersten Stunde zum Kritiker des Ober-Grü- ke und Realos verkamen zu Hilfstruppen ner Ansichten wieder“. nen gewandelt, der sich heute im Dreitei- ihrer prominenten Repräsentanten. In eineinhalb Jahren Bundestag hat den ler, reine Schurwolle, wohl fühlt. „So bedienen wir immer nur den par- einstigen Bank-Trainee, der an Sparpaket Die Fotos aus der Kampfzeit – Haupt- teiinternen Mainstream“, klagt Pino Ol- und Steuerreform mittüftelte, der Berliner haar lang und offen wie das Hemd, eine ka- brich, Landesvorsitzende in Sachsen. Ge- Tunnelblick erschreckt. Zu viele Grüne pitale Kette um den Hals – lösen bei Toch- rade die Ostgrünen bekommen die Unat- verlören sich in der Fachperspektive. ter Lea, 10, nur noch Entgeisterung aus. traktivität ihrer Partei voll zu spüren. Wo Das Projekt Verjüngung und Erneuerung Kleinert, der sich als Vordenker der Grü- weder 68er noch Öko-Milieus den Humus allerdings wird Müller auch nicht so ohne nen versteht, hat es nur zu einem Versor- bilden, müssen die Grünen mit schlichten weiteres durchsetzen können. Denn auch gungsposten in der hessischen Landesver- Argumenten, mit echter Politik überzeu- seine Generation hat sich bereits weitge- tretung beim Bund gebracht. Demnächst gen. Das Kerngeschäft, die Ökologie, reicht hend auf die Flügel verteilt. Der Bundes- soll er hessischer Landesvorsitzender wer- im Schnitt für etwa zwei Prozent der Stim- tagsabgeordnete etwa den. Der Vorgänger hat sich als Berater in men. „Wenn wir in der Umweltpolitik auch gehört zu Fischers Lager, sein Kollege die Wirtschaft verabschiedet. noch versagen, verlieren wir die letzten Christian Simmert repräsentiert Trittins Und welchen Anteil haben die Realos Sympathien“, stellt Olbrich nüchtern fest. Linke. an der grünen Krise? Kleinert schweigt, Seit dem Rückzug Röstels jedenfalls prä- So wiederholen sich die Fehler von einst. dann stöhnt er: „Zu viel Macht, zu wenig sentiert sich die Partei als reiner Westver- Ginge es nach Müller, würde die Partei zu- Inhalt.“ Seltsames Paradox: Gerade jener ein. Doch Rücksichten haben die Spitzen- erst einmal zu einer gnadenlosen Inventur Bewegungsbewegung, die unterschied- leute nie genommen. „Wahlkampfauftritte ansetzen: Welche Themen, welche Strate- lichste hoch politische Gruppen vereinte, von Fischer, auf denen gegen die PDS ge- gien brachten der Partei Punkte, was ver- mangelt es heute an Botschaften. wettert wird und man sich mit CDU-Minis- schreckte die Wähler? „Die Strömungen Das mag daran liegen, dass es in den terpräsident solidari- jedenfalls gehören nicht zur grünen Iden- letzten Jahren nur darauf ankam, wer sich siert“, sind für Olbrich „kontraproduktiv“. tität“, meint Müller. Er sieht sich in einem am besten verkaufte, wer seine innerpar- Wie aber könnte eine Erneuerung im imaginären Zentrum der Partei. teiliche Macht vergrößerte. Nach dem Ab- Osten aussehen? Um sich von der Kon- Seinen Aufstieg allerdings hat der Nach- schied der Fundamentaloppositionellen um kurrenz abzuheben, will Olbrich Kräfte wuchsmann dem guten alten Proporz zu Jutta Ditfurth teilten geschmeidige Taktie- anlocken, die keine reine Politikbiografie verdanken. Denn in Kiel gilt er trotz linker rer wie Trittin und Fischer den Laden un- haben – möglichst Leute aus Ökonomie Positionen als Realo – das passte gerade ins ter sich auf. „Die Folgen“, sagt Kleinert, und Wissenschaft, die aber nicht das im Personaltableau. Christoph Mestmacher, „können heute besichtigt werden.“ Osten so wichtige Thema soziale Gerech- Gerd Rosenkranz, Hajo Schumacher

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