„Viel Macht, Wenig Inhalt“
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Deutschland FOTOS: M. URBAN FOTOS: F. HELLER / ARGUM HELLER F. Grünen-Chefin Radcke, Kandidatin Künast, Minister Fischer*: „Er monopolisiert Erfolge und delegiert die Niederlagen“ GRÜNE „Viel Macht, wenig Inhalt“ Vor ihrem Parteitag, der die Reform der Führungsstruktur bringen soll, präsentieren sich die Grünen in alter Manier als Flügelkämpfer. Der Nachwuchs ist vom Lagerdenken abgestoßen, klare Programmbotschaften fehlen. ünktlich zum Karlsruher Parteitag vergangenen Sonntag brutal gezwungen, der Altautoverordnung. Erfolge wie ein der Grünen am Wochenende hat ihren Platz an der Spitze für Fischers weltweit beachtetes Gesetz zur Förderung PJoschka Fischer für die Kameras das Freund Fritz Kuhn freizumachen, und umweltfreundlicher Energietechnik gehen staatstragische Kosovo-Gesicht aufgesetzt. musste den Rückzug auch noch als freiwil- unter im Ungeschick der Präsentation einer Faltenreich leidet er am „Dilettantismus“ lig verkaufen. Im Gegenzug versuchen Fi- zerrissenen Partei, die „liberal und kon- der Partei und verlangt Professionalisie- schers Leute nun, sie als Ministerin in servativ zugleich“ sei, wie die grüne Ge- rung: Amt und Mandat sollen nicht länger Schleswig-Holstein unterzubringen. sundheitsministerin Andrea Fischer meint getrennt sein. Beim realitätsblinden Spiel mit sich (siehe Interview Seite 40). Kabinettskollege Jürgen Trittin lässt in selbst ist den Führungskräften der Öko- Auf zwei Parteitagen – in Karlsruhe wird vertrauten Zirkeln derweil wissen: Wer die Partei offenbar entgangen, dass sie seit ein- über eine neue Führungsstruktur ent- Strukturfrage zur Existenzfrage stilisiere, einhalb Jahren die drittgrößte Wirtschafts- schieden, im Mai in Münster über das Per- „hat nicht mehr alle Tassen im Schrank“. nation der Welt mitregieren. Und dieser sonal – und bei der nach der Bundestags- Politik? Dafür hat die Öko-Partei mal Alltag an der Macht hat sämtliche Lebens- wahl wichtigsten Wahl in Nordrhein-West- wieder keine Zeit. Während grüne The- lügen, die personellen und strategischen falen entscheidet sich, ob die grüne Krise men wie Genfood oder die Greencard für Defizite aufgezeigt. nur Phase ist oder Trend. ausländische Programmierer weitgehend Selten hat es eine Regierungspartei fer- Bei den letzten Wahlen verloren die unbeachtet von der Öko-Partei das Land tig gebracht, sich so häufig als Verliererin Grünen bis zu 40 Prozent ihrer Wähler, die bewegen, beschäftigt sich die kleine Kaste zu präsentieren – ob beim Staatsbürger- Klientel der einstigen Jugendpartei altert grüner Großfunktionäre mit dem beliebten schaftsrecht, beim Atomausstieg oder bei rapide. Fischer orakelt schon vom Ende Macht- und Flügelspiel, pflegt jahrelang der Partei, die womöglich nur ein „Gene- bewährte Feindschaften und Stereotype. rationenprojekt“ bleibe. * Links: mit Schoko-Euros bei einer Aktion zum Welt- Grünen-Chefin Gunda Röstel wurde auf frauentag in Berlin am vergangenen Mittwoch; rechts: Doch während sich die Katastrophen- einem Treffen der Realos in Kassel vor- beim Politischen Aschermittwoch in Passau. symptome mehren, ist die Partei zerrisse- Grüne Größen Bisherige Parteisprecher 1981 bis Dieter Burgmann 1987 bis Jutta Ditfurth 1982 Petra Kelly 1988 Regina Michalik Manon Maren-Grisebach Christian Schmidt Januar bis Herbert Gruhl März 1980 Helmut Neddermeyer 1982 bis Manon Maren-Grisebach 1989 bis Ralf Fücks 1983 Wilhelm Knabe 1990 Ruth Hammerbacher August Haußleiter ARGUS / R. JANKE Rainer Trampert Trampert, Ditfurth (u.) Verena Krieger bis Juni August Haußleiter 1983 bis Wilhelm Knabe 1980 Petra Kelly 1984 Rebekka Schmidt 1990 bis Renate Damus Norbert Mann Rainer Trampert 1991 Heide Rühle Christian Ströbele Juni 1980 Dieter Burgmann 1984 bis Lukas Beckmann bis 1981 Petra Kelly 1987 Jutta Ditfurth 1991 bis Ludger Volmer J. H. DARCHINGER J. 1993 Norbert Mann Kelly, 1980 Rainer Trampert K. HOFFMANN / NOVUM Christine Weiske 38 der spiegel 11/2000 ner als je zuvor, Verunsicherung herrscht auf allen Ebenen darüber, wo die Partei derzeit steht und künftig stehen soll. Ausgerechnet Fischer, der unermüdliche Mahner, einer von Deutschlands popu- lärsten Politikern, zeigt keinen Weg aus der Krise, sondern perpetuiert das Elend. „Fischers Superdominanz“, so der Berliner „Tagesspiegel“, ähnele Helmut Kohls eins- tiger Übermacht in der CDU. Und die ver- hindere Demokratie und Aufbruch. Tatsächlich wird jede neue Parteispitze mit der Nebenregierung im Auswärtigen Amt rechnen müssen, die die Realos im Lande fernsteuert. Auch vor Fischers ge- fürchtetem Mobbing kann sich niemand si- cher fühlen. Dass er mitten in Röstels säch- sischem Wahlkampf den Stuttgarter Frak- tionschef Kuhn und seine Berliner Kollegin Renate Künast als neue Doppelspitze vor- schlug, ist tief im kollektiven Gedächtnis der Partei verwurzelt. „Er monopolisiert die Erfolge und delegiert die Niederlagen“, sagt einer aus Fischers Team stolz. Unter „den fortwährenden Manipula- tionen durch die beiden Jungs“ leidet die Juristin Künast in aller Stille. Ihre politische Karriere ist eng mit dem Flügelproporz verknüpft, der die Partei in Streitfragen immer noch magnetisch in Richtung der beiden Pole namens Jürgen und Joschka auseinander zieht. Künast: „Zwei Herren in dunklen Anzügen, der eine mit, der an- dere ohne Weste – das ist doch nicht grün.“ Obgleich Künast, Tochter eines Reck- linghäuser Kfz-Mechanikers, im Berliner Stadtparlament ihr Talent zum Streit und in Talkshows ihre Fähigkeiten zum Polit-Mar- keting bewiesen hat, ist die Kandidatin für den Parteivorsitz schon fast zerrieben. Denn sie könnte nur die linke Flügelfrau Antje Radcke beerben, die aber schon ver- kündet hat, dass sie bleiben wolle. Ihr Handicap: Weil sie als Wunschkan- didatin des Außenministers gehandelt wird, gilt sie den Linken als zu nah an der Re- gierungsmacht. Dabei will sie „einfach Po- litik machen“, die „handwerklichen Män- gel“ abschaffen, das „ewige Taktieren“ überwinden. Aber im kollektiven Lager- denken kommt auch sie nur als Verhand- lungsmasse vor. Mobilisiert etwa Fischer die grüne Basis für Trittins Atomausstieg, würde der Um- 1993 bis Marianne Birthler 1994 Ludger Volmer 1994 bis Krista Sager Sager, Röstel (u.) 1996 Jürgen Trittin 1996 bis Gunda Röstel 1998 Jürgen Trittin seit 1998 Antje Radcke J. J. EISGunda S. SCHULZ / RETRO Röstel der spiegel 11/2000 39 Deutschland „Wir brauchen gute Nerven“ Gesundheitsministerin Andrea Fischer über die Probleme der Grünen mit dem Regieren, den Stimmenverlusten bei der Jugend und der Reform der Parteiführung SPIEGEL: Frau Fischer, müssen sich die Fischer: Indem wir nicht immer nur Proteste gegen Kernkraftwerke sind keine Grünen neu definieren? Schwierigkeiten beklagen, sondern für un- Massenbewegungen mehr. Reibung muss Fischer: Wir sind liberal und konserva- sere Erfolge werben. es geben. tiv zugleich, in einer ungewöhnlichen SPIEGEL: Eine neue Zumutung ist abseh- SPIEGEL: Ein Trend hat sich jetzt in Schles- Mischung. Jeweils ist neu herauszufin- bar: Atomausstieg erst in 30 Jahren. wig-Holstein wieder bestätigt: Rot-Grün den: Was gilt es zu bewahren gegen Fischer: Natürlich sind wir ungeduldig, ist nicht mehr erste Wahl für junge Leute. falsche Modernität? Und wo müssen nach so vielen Jahren Kampf. Aber Wie erklären Sie das? wir uns verändern und uns etwa von ohne die Grünen hätte sich ja gar nichts Fischer: Zurzeit haben wir es mit einer Mythen des Sozialstaats, von Lebenslügen getan. Die Alternative lautet doch nicht: jüngeren Generation zu tun, die wenig im Wirtschafts- und im Steuersystem Wollen wir diesen Atomausstieg oder ei- Sinn für Ideologien hat und sehr viel von verabschieden? Ein schwieriger Such- nen schöneren? Die Alternative lautet: Pragmatismus hält. Ich kenne viele Leute prozess … Wollen wir diesen Atomausstieg oder gar aus verschiedenen Berufen, die finden die SPIEGEL: … der offenbar die Wähler ver- keinen? Grünen recht sympathisch. Sie haben aber wirrt. Die Grünen haben Probleme, die SPIEGEL: Das scheint viele in Ihrer Partei keine Lust, jeden Montagabend zu ir- Fünf-Prozent-Hürde zu nehmen. nicht zu überzeugen. gendeiner Landesarbeitsgemeinschaft zu Fischer: Wir erfahren jetzt, wie gehen. Die wollen vielleicht hart es ist, als kleinere Regie- nur eine Idee loswerden. Für rungspartei eine erkennbare solche Leute haben wir keine Identität zu bewahren. Wir set- Strukturen, keinen Ort, kein zen auf diejenigen, die über offenes Ohr – da entgeht uns konkrete Vorstellungen verfü- ein gewaltiges Potenzial. Dabei gen, wohin sich unsere Gesell- kämen uns die neuen Medien schaft verändern soll, und die wie das Internet für eine Öff- sich auch auf langwierige Ver- nung sehr entgegen. änderungsprozesse einlassen. SPIEGEL: Bisher verstehen sich Da brauchen wir gute Nerven. die Grünen eher als exklusiver SPIEGEL: Sie mussten in der Ko- Club … alition gerade bei einem Fischer: … ich verstehe sie nicht Kernthema, der Ökologie, im- so. mer wieder Abstriche machen. SPIEGEL: Wer nicht einer be- Was ist da vom grünen Profil stimmten Generation angehört noch erkennbar? und von üblichen Denkmus- Fischer: Wir haben die Öko- tern abweicht, fühlt sich nicht steuer eingeführt, wir fördern gerade eingeladen. die regenerierbaren Energien, Fischer: Es bestürzt mich in der wir betreiben die Entflechtung M. URBAN Tat, dass sich immer weniger des Strommarkts. Hier ist doch Grünen-Politikerin Fischer: „Es gibt Grenzen der Zumutbarkeit“ junge Leute für die Grünen in- eine echte Energiewende ein- teressieren. Die gewinne ich geleitet worden. Wären die Grünen nicht Fischer: Die Alternative heißt dann: In aber nicht, wenn ich auf Plateausohlen in der Regierung,