Lazaun, Vernagt Und Gerstgras 1. Teil
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Lazaun, Vernagt und Gerstgras Zu den Orts-, Hof- und Flurnamen von Schnals Unser Frau, Archeoparc, am 8. Oktober 2015, 20 Uhr Vortrag von und mit Johannes Ortner, Kultur- und Sozialanthropologe, Meran Von 1998 bis 2002 dokumentierte die Universität Innsbruck im Rahmen eines Forschungsprojektes zum dialektalen Sprachgut in Südtirol die Flurnamen in unserer Gegend mittels Befragung von Gewährspersonen. Die Datensammlung erfolge in Zusammenarbeit mit dem Südtiroler Landesarchiv, welches das Projekt fortführt. Insgesamt wurden bisher ca. 173.000 Flurnamenin Südtirol gesammelt. Ende 2015 werden dazu eine Broschüre, eine Datenbank-DVD sowie ein 3-D-Modell vorgestellt. Die Sammlung Schnals: In der Gemeinde Schnals war ich selbst im Mai 2000 unterwegs, Flurnamen zu sammeln. Dabei ist unter der Leitung von Karl Laterner, dem damaligen Vorsitzenden des Kulturvereins Schnals, eine Gruppe von Gewährspersonen aus allen Fraktionen organisiert worden. Ich begann sogleich mit dem hinteren Tal und arbeitete mich auf meinem Scooter in den Schnalser Frühling hinaus. Nach dem Schneeballsystem konnten rasch weitere fähige GPs ausfindig gemacht werden. Die Sammlung erbrachte damals ca. 4100 Flurnamen! Die Übernachtung beim Sepp Santer afn Kloaschtr übernahm übrigens die Gemeinde Schnals, im Gegenzug erhielt sie die Installation des Datensatzes, die kopierten Flurnamenkarten (Technische Grundkarte 1:5000, 1:10000) ‒ damals noch mit File-Maker-Diskette. Sieben Jahre später konnte mit dem Gemeindechronisten, Ing. Siegfried Gurschler, eine weitere kompetente GP ausfindig gemacht werden und zudem der Schnalser Anteil der Gemeinde Sölden (Rofenberg und Niedertal) dank der Kenntnisse von Gottfried Gamper, Zachariasen-Gottfried und Willi Gurschler, Vinzen-Willi, gesammelt werden! Insgesamt haben 52 Gewährspersonen am Zustandekommen dieser Sammlung mitgearbeitet, ein herzliches Vergelts Gott! Aktueller Namenstand Schnals: 4341 Flurnamen Inklusive Rofenberg und Niedertal: ca. 4550 Flurnamen Literatur Tarneller Josef, Die Flurnamen im Burggrafenamt und in den angrenzenden Gemeinden, Kap. 1: Schnals, 1909, Wien; S. 42‒61 1. Teil ‒ Einführung Was sind Flur- oder Riednamen? Benennung kleiner geografischer Einheiten, in der Regel Nicht-Siedlungsgebiete, also Felder, Äcker, Wiesen. Begriff vom Projekt weiter gefasst und auf Gebäude (Hütten, Bildstöcke, Häuser, Höfe und Siedlungen – „Toponomastik“) ausgedehnt, weiters Hydronyme (Gewässernamen, Waale), Hodonyme (Straßen- und Wegnamen) und Oronyme (Bergnamen) gesammelt. Kennzeichen von Flurnamen oder Mikrotoponymen: Mikrotoponyme = geringe kommunikative Reichweite. Flurnamen dienen der Orientierung und der Feldgliederung, in einer Zeit als es noch keine GPS-Geräte und keine topografischen Karten gab und ergeben eine Art Landkarte im Kopf, wo besondere geomorphologische Merkmale wie in Schnals die zahlreichen Taufen „markiert“, also benannt werden. Diese Taufen bilden vielerorts in Schnals eine Art Gitternetz und helfen sich im Gelände zu orientieren. Warum diese Sammlung? Gefährdung des Namenschatzes durch den allgemeinen Kulturwandel: Vor allem ältere Schnalserinnen und Schnalser werden sich noch an die Zeiten der Subsistenzwirtschaft erinnern, als für viele Bewohner die Viehzucht (Schafe) und Kornanbau die zwei zentralen Säulen ihrer Existenz darstellten. Mittlerweile sind die Kornäcker verschwunden und mit ihnen ein jahrhundertealtes Wissen um Bezeichnungen rund um den Pflug, das Hockenmachen, das Eintragen, das Dreschen, das Aufbewahren, das Mahlen des Korns und das Backen des Brots. Mit den Technologien drohen auch die Namen der Äcker, auf denen das Korn wuchs, aus dem Alltagsgebrauch zu verschwinden. Die Namensammlung des Landesarchivs hatte also auch den Zweck altes Wissen zu bewahren und war in gewissem Sinne dringlich (Urgent research) Aufgrund des langsameren Arbeitsrhythmus und des kleinteiligen Hofgeländes sind also die Mikrobezeichnungen entstanden. Ohne die Vorteile und Erleichterungen der Maschinen schmälern zu wollen (es fehlt ja auch an Arbeitspersonal, von der Gesindewirtschaft zum Ein-Mann-Betrieb), geraten durch Beschleunigung und Rationalisierung der landwirtschaftlichen Arbeit viele Flurnamen aus dem Blickfeld des Landwirts. Allerdings hat gerade in Schnals durch das bairische Anerbe-Recht und des geschlossenen Hofs (Schnolser sain kuane Vinschger!) eine stabile Weitervererbung des ungeteilten Hofs von Generation zu Generation in derselben Familie stattgefunden, sodass viele alte Flur- und Ackernamen im Gedächtnis der Hofbesitzer haften blieben! 2. Teil ‒ Sprachschichten im Mittleren Alpenraum Durch die Jahrtausende ist es im Mittleren Alpenraum, an der breitesten Stelle der Alpen, immer wieder zu Migrationen verschiedener Gruppen, Völker, „Sprecherkollektive“, gekommen. All diese Gruppen haben das Gelände auf dem und von dem sie gelebt haben, benannt. Dies ist eine zutiefst menschliche universale Eigenschaft. Bestehende Namen wurden von neuen Siedlern übernommen und an das eigene Lautsystem angepasst. Eine ursprüngliche Sprache ging verloren ‒ die Namen jedoch blieben erhalten. Namen haben nämlich im Gegensatz zu Worten eine andere Bedeutung: sie bezeichnen (identifizieren, benennen), während Worte bedeuten. Benannte Objekte führen ein Eigenleben, werden mit Inhalt gefüllt; der Namencharakter verstärkt sich um so mehr je weniger man ihn versteht. In den Orts- und Flurnamen konservieren sich früheste Sprachspuren. Dazu als Beispiel Herkunft und Bedeutung des Tal- und Gemeindenamens Schnals! Der Name Schnals (1273 Snalles, 1326 Snalls) stammt aus einer vorrömischen Sprachschicht der Bronzezeit, nämlich dem Alpenindogermanischen und somit über 3000 Jahre alt. Cristian Kollmann, einer der besten Kenner der alpinen Sprachgeschichte, schlägt ein vorrömisches *snallo- „Einschnitt o. Ä.“ vor < *snad(h)-lo- , zum idg. Verb *(s)nad(h)- „einschneiden, schnitzen“ bzw. idg. *sned(h)- „schneiden“. Das Benennungsmotiv wäre somit die eindrucksvolle Mündungsschlucht. Die Benennung ging also vom Haupttal, möglicherweise von der Gegend bei Naturns aus. Die traditionelle ‒ und vielleicht euch bekannte ‒ Deutung des Namens Schnals ist alpenromanisch *casināle > „Gegend mit Sennhütten“. Dieser Name hätte aber im Deutschen Schnol ergeben und muss demzufolge in Zweifel gezogen werden. Eine weitere Schnalser Großflur-Einheit stammt ebenfalls aus der alpinen Bronzezeit (1700 ‒ 900 v. Chr.), nämlich Vernagt (mda. F’rnågg) ‒ der Name wiederholt sich im Vernagtferner im Rofenberg/Ötztal. In einem Beleg von 1470 heißt es: von der Marchek unz an den Coffel sind zwo pawrschaften, ob dem Rofenack und under dem Roffenack, die nider paurschaft von Roffenacken (Kaser, Anderleit, Oberhof, Mitterhof). Tatsächlich können viele ältere Schnalserinnen und Schnalser noch mit Untervernagg Unser Frau verbinden, währen Obvernagg das heutige Vernagt am See, genau genommen „im See“ meint! Der Name ist also prähistorisch: *ruvinakku „große, wilde Murgegend; Lahngegend“, zum vorrömischen Ausdruck *ruva „Mure + Suffixe *-īna und *-akku. Der Vernagtgröben, der zuletzt beim Pfingst- Unwetter 1983 und beim Lawinenabgang 1986 Untervernagt verwüstet hat, ist Namen bildend gewesen. Ein weiterer Schnalser Symbolbegriff für die baumfreie Lawinenrinne, den Lawinenzug stammt aus vorrömischer Zeit, es ist das Appellativ Tauf. Es liegt dieselbe Wortherkunft vor wie in Taufers (Münstertal, Pustertal) und Langtaufers vor, nämlich die idg. Wurzel *dheu-b- „tief, hohl“ > alpenrom. *tūvu (lat. tubus „Rohr“). Es handelt sich um die röhrenförmige Lawinenbahn! Im Gemeindegebiet von Schnals konnte ich an die 160 verschiedene Tauf-Namen feststellen! Z. B. im Pfossental: Koattauf, Mahdtauf, Enger Tauf, Holertauf, Steinschlagtäufl, Mittagtauf, Steinetauf, Wiegentauf, Harnsttauf; bei Unser Frau: Welltauf, Dranertauf, Stockertauf, Blumentauf, Rappenspitztauf; in Mastaun: Hirschtauf, Bärentauf, Schwarzbeertauf, Langer Tauf, Gisstauf, Kastauf u.v.m. Der Schnalser Bach hatte einst einen eigene Bezeichnung: Tschermini bzw. Schernini. Historische Belege des Bachnamens: 1474 Schnalspach, 1480 groß wasser Schernini jetzt Snalspach genannt, 1560 Schnalspach, 1768 Mastauner oder Schnalspach (man vermutete den Ursprung des Schnalsbachs im Tal Mastaun), 1770 (Peter Anich) Schnalser Bach und Thal. Josef Tarneller meint, dass es im 19. Jahrhundert in Schnals noch die Erinnerungsform Tschermini gegeben haben könnte. Bedeutung des Namens Tschermini: Kühebacher leitet den Bachnamen Tschermini aus vorrömisch *kiramo – „Zirm“ + romanisches Suffix -inu > *(rivu) kirmīnu „Zirmbach“ ab. Vielleicht hat auch der Hofnamen Zerminig (aufgelassener Hof am Schlanderser Sonnenberg - Schlandraun) dieselben Wortwurzeln. Der Berg Zerminiger (Penaud-Schlandraun) geht jedenfalls auf den Hofnamen Zerminig zurück. Der Name Schernini (15. Jahrhundert) ging allmählich verloren. Im Namen des Naturnser Schinawaales, der das Wasser vom Schernini aufnahm, bewahrte sich der alte Name jedoch: Schernini > Sch(n)ini > Schini > Schina. Volksetymologische Umdeutung im Sinne von „Schienen“! Bei Matthias Ladurner Parthanes 1894 ‒ 1986 (die Ladurner zu Ladurn) finden wir 1419 in der Beschreibung der Wasserrechte für Patleid, dass dieselben das Recht auf Wasser aus dem „Tschermeinerpach“ haben. Alpenromanisch (ab der Zeitenwende) Mit der Einverleibung des Alpenraums durch das Römische Reich (15 v. Chr.) drang das Romanische in den Alpenraum und bildete sich durch das hohe Prestige als Verwaltungs- und Bildungssprache in den ersten Jahrhunderten nach der Zeitenwende aus. Damals muss das heutige Südtirol ein wahres