Plenarprotokoll 782

BUNDESRAT Stenografischer Bericht 782. Sitzung

Berlin, Freitag, den 8. November 2002

Inhalt:

Zur Tagesordnung ...... 483 B Staatsminister Josef Miller (Bayern) zum Beauftragten des Bundesrates 1. Ansprache des Präsidenten . . . . . 483 B gemäß § 33 GO BR ...... 497 A Präsident Prof. Dr. Wolfgang Böhmer 483 B 4. Vorschlag für eine Verordnung des Rates Gerhard Schröder, Bundeskanzler . 487 A über die Zuständigkeit und die Anerken- nung und Vollstreckung von Entschei- Roland Koch (Hessen) ...... 490 B dungen in Ehesachen und in Verfahren (Rheinland-Pfalz) . . . 494 C betreffend die elterliche Verantwortung, zur Aufhebung der Verordnung (EG) 2. Geschäftsordnungen für den Vermitt- Nr. 1347/2000 und zur Änderung der Ver- lungsausschuss, für den Gemeinsamen ordnung (EG) Nr. 44/2001 in Bezug auf Ausschuss und für das Verfahren nach Unterhaltssachen – gemäß §§ 3 und 5 Artikel 115d des Grundgesetzes (Druck- EUZBLG – (Drucksache 642/02) . . . . 503 A sache 792/02) ...... 496 D Beschluss: Stellungnahme ...... 503 B Beschluss: Zustimmung gemäß Art. 77 Abs. 2 Satz 2 GG, Art. 53a Abs. 1 Satz 4 5. Vorschlag für eine Verordnung des Eu- GG, Art. 115d Abs. 2 Satz 4 GG . . . 496 D ropäischen Parlaments und des Rates mit spezifischen Vorschriften für die amtli- 3. Entwurf eines Gesetzes zur Aufhebung che Überwachung von zum menschlichen des Gesetzes zur Modulation von Direkt- Verzehr bestimmten Erzeugnissen tieri- zahlungen im Rahmen der Gemeinsamen schen Ursprungs – gemäß §§ 3 und 5 Agrarpolitik und zur Änderung des EUZBLG – (Drucksache 660/02) . . . . 503 B GAK-Gesetzes – Antrag der Länder Beschluss: Stellungnahme ...... 503 C Bayern, Baden-Württemberg, Sachsen, Sachsen-Anhalt, Thüringen und Ham- 6. Vorschlag für eine Entscheidung des burg, Hessen, Saarland – (Drucksache Rates zur Annahme eines Mehrjahres- 775/02) ...... 496 D programms (2003 – 2005) zur Überwa- Josef Miller (Bayern) ...... 505*A chung und Beobachtung von eEurope, zur Verbreitung empfehlenswerter Ver- Willi Stächele (Baden-Württemberg) 505*D fahren und Verbesserung der Netz- und Dr. Gerald Thalheim, Parl. Staatsse- Informationssicherheit (MODINIS) – ge- kretär bei der Bundesministerin für mäß §§ 3 und 5 EUZBLG – (Drucksache Verbraucherschutz, Ernährung und 711/02) ...... 503 C Landwirtschaft ...... 506*C Beschluss: Stellungnahme ...... 503 D Beschluss: Einbringung des Gesetzent- wurfs gemäß Art. 76 Abs. 1 GG beim 7. Vorschlag für eine Richtlinie des Eu- Deutschen Bundestag – Feststellung ropäischen Parlaments und des Rates zur der Eilbedürftigkeit gemäß Art. 76 Änderung der Richtlinie 95/2/EG hin- Abs. 3 Satz 4 GG – Bestellung von sichtlich der Verwendungsbedingungen

Druck: MuK. Medien- und Kommunikations GmbH, Berlin Vertrieb: Bundesanzeiger Verlagsgesellschaft mbH, Postfach 13 20, 53003 Bonn Telefon: 02 28/3 82 08 40, Telefax: 02 28/3 82 08 44 ISSN 0720-7999 II Bundesrat – 782. Sitzung – 8. November 2002

für den Lebensmittelzusatzstoff E 425 14. Fünfte Verordnung zur Änderung der Konjak – gemäß §§ 3 und 5 EUZBLG – Risikostruktur-Ausgleichsverordnung (Drucksache 736/02) ...... 503 D (5. RSAÄndV) (Drucksache 730/02) . . 504 B Rudolf Köberle (Baden-Württemberg) 508*A Beschluss: Stellungnahme ...... 507*B Beschluss: Zustimmung gemäß Art. 80 8. Vorschlag für einen Beschluss des Eu- Abs. 2 GG in der festgelegten Fassung 504 C ropäischen Parlaments und des Rates über ein Programm zur Verbesserung der Qua- 15. Vierte Verordnung zur Änderung der lität der Hochschulbildung und Förde- Verordnung zur Durchführung der §§ 4, 5 rung des interkulturellen Verständnisses und 5a des Soldatenversorgungsgesetzes durch die Zusammenarbeit mit Dritt- (Drucksache 746/02) ...... 503 D ländern (ERASMUS WELT) (2004 – 2008) – gemäß §§ 3 und 5 EUZBLG – (Drucksa- Beschluss: Zustimmung gemäß Art. 80 che 681/02) ...... 503 D Abs. 2 GG ...... 507*D

Beschluss: Stellungnahme ...... 504 A 16. Verordnung zur Änderung der Verord- nung über den Ausgleich gemeinwirt- 9. Verordnung zur Aussetzung und Ergän- schaftlicher Leistungen im Straßenper- zung von Merkmalen nach dem Agrarsta- sonenverkehr (PBefAusglV) und zur tistikgesetz (Erste Agrarstatistikverord- Änderung der Verordnung über den Aus- nung – 1. AgrStatV) (Drucksache 732/02) 503 D gleich gemeinwirtschaftlicher Leistungen im Eisenbahnverkehr (AEAusglV) (Druck- Beschluss: Zustimmung gemäß Art. 80 sache 744/02) ...... 504 C Abs. 2 GG – Annahme einer Ent- schließung ...... 507*C Beschluss: Zustimmung gemäß Art. 80 Abs. 2 GG – Annahme einer Ent- 10. Verordnung zur Festlegung lebensmittel- schließung ...... 504 C, D hygienerechtlicher Anforderungen an die Herstellung, Behandlung und an das In- 17. Benennung eines Mitglieds und eines verkehrbringen von Speisegelatine und stellvertretenden Mitglieds für den Beirat an deren Ausgangserzeugnisse (Speise- des Klärschlamm-Entschädigungsfonds gelatine-Verordnung – GelV) (Drucksa- – gemäß § 2 Abs. 5 KlärEV – (Drucksache che 733/02) ...... 503 D 739/02) ...... 503 D

Beschluss: Zustimmung gemäß Art. 80 Beschluss: Zustimmung zu den Empfeh- Abs. 2 GG – Annahme einer Ent- lungen in Drucksache 739/1/02 . . . 508*A schließung ...... 507*C 18. Benennung von Vertretern in Beratungs- 11. Verordnung zur Änderung der Flächen- gremien der Europäischen Union (Aus- zahlungs-Verordnung und zur Änderung schüsse der Kommission für die Durch- der Zweiten Verordnung zur Änderung führung der Programme OISIN II, der Flächenzahlungs-Verordnung (Druck- HIPPOKRATES, GROTIUS II-Strafrecht sache 745/02) ...... 503 D und STOP II) – gemäß § 6 Abs. 1 EUZBLG i.V.m. Abschnitt IV der Bund-Länder-Ver- Beschluss: Zustimmung gemäß Art. 80 einbarung – (Drucksache 587/02) . . . 503 D Abs. 2 GG nach Maßgabe der beschlos- Beschluss: Zustimmung zu den Empfeh- senen Änderungen ...... 507*B lungen in Drucksache 587/1/02 . . . 508*A

12. Tabakprodukt-Verordnung (Drucksache 19. Bestellung eines Mitglieds des Verwal- 758/02) ...... 504 A tungsrates der Kreditanstalt für Wieder- aufbau – gemäß § 7 Abs. 1 Nr. 3 und Abs. 3 Beschluss: Zustimmung gemäß Art. 80 KfW-Gesetz – (Drucksache 770/02) . . 503 D Abs. 2 GG nach Maßgabe der beschlos- senen Änderungen ...... 504 B Beschluss: Minister Prof. Dr. Karl-Heinz Paqué (Sachsen-Anhalt) wird bestellt . 508*A 13. Verordnung zu dem Übereinkommen vom 27. Februar 1995 zur Gründung des 20. Entwurf eines Gesetzes zur Aktivierung Internationalen Instituts für Demokratie kleiner Jobs (Kleine-Jobs-Gesetz) – ge- und Wahlhilfe (IDEA) (Drucksache 747/ mäß Artikel 76 Abs. 1 GG – Antrag des 02) ...... 503 D Freistaates Bayern gemäß § 36 Abs. 2 GO BR – (Drucksache 803/02) Beschluss: Zustimmung gemäß Art. 80 Abs. 2 GG ...... 507*D in Verbindung mit Bundesrat – 782. Sitzung – 8. November 2002 III

21. Entwurf eines Gesetzes zum Fördern Mitteilung: Überweisung an die zustän- und Fordern arbeitsfähiger Sozialhilfe- digen Ausschüsse ...... 501 B empfänger und Arbeitslosenhilfebezieher (Fördern-und-Fordern-Gesetz) – gemäß 24. Entschließung des Bundesrates zum Ge- Artikel 76 Abs. 1 GG – Antrag der Länder setz zur Ausführung des Zusatzprotokolls Bayern und Baden-Württemberg gemäß vom 18. Dezember 1997 zum Überein- § 36 Abs. 2 GO BR – (Drucksache 804/02) 497 A kommen über die Überstellung verurteil- Dr. (Bayern) . . . 497 B ter Personen – Antrag der Freistaaten Sachsen und Bayern gemäß § 36 Abs. 2 Mitteilung zu 20 und 21: Überweisung an GO BR – (Drucksache 807/02) . . . . . 501 B die zuständigen Ausschüsse . . 498 D, 499 A Dr. Thomas de Maizière (Sachsen) . 501 C 22. Entwurf eines Gesetzes zum optimalen Alfred Hartenbach, Parl. Staatsse- Fördern und Fordern in Vermittlungs- kretär bei der Bundesministerin der agenturen (OFFENSIV-Gesetz) – Antrag Justiz ...... 502 B des Landes Hessen gemäß § 36 Abs. 2 GO Beschluss: Die Entschließung wird gefasst 503 A BR – (Drucksache 812/02) ...... 499 A

Silke Lautenschläger (Hessen) . . . 499 A 25. Entwurf eines ... Gesetzes zur Änderung Beschluss: Erneute Einbringung des Ge- dienstrechtlicher Vorschriften – gemäß setzentwurfs gemäß Art. 76 Abs. 1 GG Artikel 76 Abs. 1 GG – Antrag des Landes beim Deutschen Bundestag – Bestel- Berlin gemäß § 36 Abs. 2 GO BR – lung von Staatsministerin Silke Lauten- (Drucksache 819/02) schläger (Hessen) als Beauftragte des Mitteilung: Absetzung von der Tages- Bundesrates gemäß § 33 GO BR . . . 500 B ordnung ...... 483 B

23. Entschließung des Bundesrates zum Ge- setz über eine bedarfsorientierte Grund- Nächste Sitzung ...... 504 D sicherung im Alter und bei Erwerbs- minderung (GsiG) – Antrag der Länder Beschluss im vereinfachten Verfahren gemäß Bayern und Baden-Württemberg gemäß § 35 GO BR ...... 504 B/D § 36 Abs. 2 GO BR – (Drucksache 805/02) 500 B Christa Stewens (Bayern) . . . . 500 C Feststellung gemäß § 34 GO BR . . . 504 B/D IV Bundesrat – 782. Sitzung – 8. November 2002

Verzeichnis der Anwesenden

Vorsitz: Bremen:

Präsident P r o f . D r . W o l fgang Böhmer, Dr. Henning Scherf, Präsident des Senats, Bür- Ministerpräsident des Landes Sachsen-Anhalt germeister, Senator für kirchliche Angelegen- heiten und Senator für Justiz und Verfassung

Dr. Kerstin Kießler, Staatsrätin, Bevollmächtigte Schriftführer: der Freien Hansestadt Bremen beim Bund, für Europa und Entwicklungszusammenarbeit Dr. Manfred Weiß (Bayern)

Schriftführer: Hamburg:

Jochen Dieckmann (Nordrhein-Westfalen) Dr. Jörg Dräger, Senator, Präses der Behörde für Wissenschaft und Forschung

Baden-Württemberg: Hessen: Rudolf Köberle, Minister und Bevollmächtigter des Landes Baden-Württemberg beim Bund Roland Koch, Ministerpräsident

Willi Stächele, Minister für Ernährung und Länd- Jochen Riebel, Minister für Bundes- und Euro- lichen Raum paangelegenheiten und Chef der Staatskanzlei

Silke Lautenschläger, Sozialministerin

Bayern:

Dr. Edmund Stoiber, Ministerpräsident Mecklenburg-Vorpommern:

Reinhold Bocklet, Staatsminister für Bundes- und Dr. , Ministerpräsident Europaangelegenheiten in der Staatskanzlei, Bevollmächtigter des Freistaates Bayern beim Bund Niedersachsen: Christa Stewens, Staatsministerin für Arbeit und Sigmar Gabriel, Ministerpräsident Sozialordnung, Familie und Frauen Wolfgang Senff, Minister für Bundes- und Euro- Dr. Manfred Weiß, Staatsminister der Justiz paangelegenheiten in der Staatskanzlei Josef Miller, Staatsminister für Landwirtschaft und Forsten Nordrhein-Westfalen:

Berlin: , Ministerin für Bundes- und Eu- ropaangelegenheiten im Geschäftsbereich des , Regierender Bürgermeister Ministerpräsidenten und Bevollmächtigte des Landes Nordrhein-Westfalen beim Bund Karin Schubert, Bürgermeisterin und Senatorin für Justiz Jochen Dieckmann, Justizminister

Brandenburg: Rheinland-Pfalz:

Jörg Schönbohm, Minister des Innern Kurt Beck, Ministerpräsident

Barbara Richstein, Ministerin der Justiz und für Margit Conrad, Ministerin für Umwelt und Europaangelegenheiten Forsten Bundesrat – 782. Sitzung – 8. November 2002 V

Saarland: Von der Bundesregierung:

Peter Jacoby, Minister für Finanzen und Bundes- Gerhard Schröder, Bundeskanzler angelegenheiten Ulla Schmidt, Bundesministerin für Gesundheit Monika Beck, Staatssekretärin, Bevollmächtigte und Soziale Sicherung des Saarlandes beim Bund Rolf Schwanitz, Staatsminister beim Bundeskanzler

Fritz Rudolf Körper, Parl. Staatssekretär beim Sachsen: Bundesminister des Innern Dr. Thomas de Maizière, Staatsminister der Justiz Alfred Hartenbach, Parl. Staatssekretär bei der Bundesministerin der Justiz

Sachsen-Anhalt: Rezzo Schlauch, Parl. Staatssekretär beim Bun- desminister für Wirtschaft und Arbeit Prof. Dr. Karl-Heinz Paqué, Minister der Finanzen Dr. Gerald Thalheim, Parl. Staatssekretär bei der Curt Becker, Minister der Justiz Bundesministerin für Verbraucherschutz, Ernäh- rung und Landwirtschaft Rainer Robra, Staatsminister und Chef der Staats- kanzlei Franz Thönnes, Parl. Staatssekretär bei der Bun- desministerin für Gesundheit und Soziale Si- cherung Schleswig-Holstein:

Klaus Buß, Innenminister

Claus Möller, Minister für Finanzen und Energie

Thüringen:

Dr. , Ministerpräsident

Jürgen Gnauck, Minister für Bundes- und Euro- paangelegenheiten in der Staatskanzlei

Dr. Karl Heinz Gasser, Justizminister

Bundesrat – 782. Sitzung – 8. November 2002 483

(A) (C)

782. Sitzung

Berlin, den 8. November 2002

Beginn: 9.30 Uhr Dank gebührt nicht zuletzt den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Sekretariats des Bundesrates. Sie haben die Arbeit des Bundesrates in bewährter Präsident Prof. Dr. Wolfgang Böhmer: Meine sehr und perfekt eingespielter Weise unterstützt. Viele verehrten Damen und Herren, ich eröffne die 782. Sit- Verfahren sind fest geregelt und so zur Gewohnheit zung des Bundesrates und darf Sie alle sehr herzlich geworden, dass der jährliche Wechsel der Präsident- begrüßen. schaft den inneren Arbeitsablauf kaum noch stört. Die Tagesordnung liegt Ihnen in vorläufiger Form Nur dadurch ist die Wahrnehmung des Amtes mit den mit 25 Punkten vor. Pflichten eines Ministerpräsidenten in einem entfernt liegenden Land vereinbar. Deshalb auch mein Dank Der Freistaat Bayern hat angekündigt, dass der für die Einbindung in bewährte und tradierte Arbeits- Behandlung des Punktes 25 gemäß § 23 Abs. 4 der abläufe! Geschäftsordnung des Bundesrates widersprochen Mein Vorgänger im Amt hat am Ende seiner Präsi- werde. Ich frage deshalb, ob Fristeinrede erhoben (B) dentschaft auf eine für ihn schwierige Auslegung (D) wird. einer Verfassungsvorschrift hingewiesen, die jetzt (Reinhold Bocklet [Bayern]: Sie wird erhoben!) beim Bundesverfassungsgericht anhängig ist. In der Frage, ob Klarheit über die definitive Uneinheitlich- – Das ist so. Dann wird der Punkt von der Tagesord- keit einer Stimmabgabe bestanden habe oder ob in nung abgesetzt. zulässiger Weise durch den Präsidenten ein Bewer- Die Tagesordnungspunkte 20 und 21 werden ver- tungsspielraum durch Nachfrage genutzt worden sei, bunden und nach Punkt 3 aufgerufen. Anschließend sind wir unterschiedlicher Meinung. Da dieser Mei- werden – in dieser Reihenfolge – die Tagesordnungs- nungsunterschied in direkter Weise mit der Bewer- punkte 22, 23 und 24 behandelt. Im Übrigen bleibt es tung des Abstimmungsgegenstandes korreliert, ist es bei der ausgedruckten Reihenfolge der Tagesord- sicherlich für uns alle hilfreich, wenn das Bundesver- nung. fassungsgericht jetzt darüber entscheidet. Jeder von uns weiß, dass die Ausübung dieses Amtes für jeden Gibt es Wortmeldungen zur Tagesordnung? – Dies von uns erleichtert wird, wenn Entscheidungen im ist offensichtlich nicht der Fall. Dann ist sie so festge- Rahmen der Sitzungsleitung nicht, aus welcher Pers- stellt. pektive auch immer, angezweifelt werden. Entschei- dungen braucht unser Land. Wir kommen zu Punkt 1 der Tagesordnung: Nach der Bundestagswahl vor wenigen Wochen ist Ansprache des Präsidenten Ihnen, Herr Bundeskanzler, erneut dieses Amt über- tragen worden. Namens des Bundesrates darf ich Herr Bundeskanzler! Meine verehrten Kolleginnen Ihnen dazu unseren Glückwunsch aussprechen und und Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Her- Ihnen gute Entscheidungen für unser Land wün- ren! Es gehört zu den guten Traditionen im Bundesrat, schen. Ihre Anwesenheit während der ersten Sitzung dass der für das neue Geschäftsjahr turnusgemäß ge- des Bundesrates nach Ihrer Wiederwahl möchte ich wählte Präsident mit einer kurzen Ansprache sein als Geste der Zusammenarbeit mit dem zweiten Ge- Amtsjahr beginnt. Dabei ist es auch mir ein wichtiges setzgebungsorgan unseres Bundesstaates werten. Anliegen, meinem Vorgänger im Amte des Bundes- ratspräsidenten, Herrn Regierenden Bürgermeister Diese Zusammenarbeit war nicht immer span- Wowereit, sehr herzlich für seine Amtsführung zu nungsfrei und wird es im Sinne unseres Demokratie- danken. In diesen Dank schließe ich die übrigen Mit- verständnisses wohl auch in Zukunft nicht immer sein glieder des Präsidiums und die Mitglieder des Ständi- können. Während der letzten Jahre haben alle meine gen Beirates ein. Vorgänger in diesem Amt auf dringend notwendige 484 Bundesrat – 782. Sitzung – 8. November 2002 Präsident Prof. Dr. Wolfgang Böhmer (A) Reformen in Deutschland hingewiesen und zu Ent- frei gewählte Parlament der ehemaligen DDR die (C) scheidungen darüber aufgerufen. Diese Notwendig- Wiedereinführung der Länder beschlossen. Neben keit ist eher größer geworden. Der Bundesrat wird der Einbindung der Bürgerinnen und Bürger in ihr alle ihm zugestellten Vorlagen fristgemäß bearbeiten. alltägliches Wohnumfeld sind es die Identität mit Er muss aber seinerseits darauf bestehen, dass regel- ihrem Land und die Loyalität zu den gesamtstaatli- haft vereinbarte Zeitabläufe auch respektiert werden chen Institutionen, die die Stabilität unserer Staats- und ihm ausreichend Zeit zur Beratung bleibt. form ausmachen. Wenn unterschiedliche Mehrheiten zu unterschied- Deshalb glauben wir, diese Erfahrungen auch der lichen Entscheidungen kommen, stehen wir regel- Europäischen Union empfehlen zu dürfen. Auf diese mäßig vor der Wahl, uns gegenseitig zu blockieren Weise können die Regionen in einem vereinten Euro- und gemeinsam den Stillstand zu beklagen oder in pa entscheidend dabei mitwirken, aus der Vielfalt Vermittlungsgremien aufeinander zuzugehen und eine politische Einheit wachsen zu lassen. Das setzt miteinander einen demokratischen Konsens zu fin- aber auch voraus, dass wir unter uns die Strukturen den. Ich glaube mich nicht zu täuschen, wenn ich bei tatsächlichen Entscheidungen respektieren, die sage, dass die große Mehrheit der Menschen in unse- wir bei feierlichen Anlässen so schätzen. rem Land genau dies von uns Politikern erwartet. Auch auf einer ganz anderen Ebene werden wir für Ich selbst gehöre zu jenen Bürgern, die nicht in Kompromisse werben und darum bemüht sein müs- diese Strukturen hineingeboren wurden und sie erst sen, wenn wir wenigstens einige für uns wichtige erlernen mussten. Dazu waren mir auch die Anspra- Zielvorstellungen mehrheitsfähig machen wollen. chen meiner Vorgänger in diesem Amt bei deren Amtsübernahme hilfreich. Die vorgesehene Erweiterung der Europäischen Union hat eine lebhafte Diskussion über künftige Meine Damen und Herren, es ist schon beein- Strukturen und deren Kompetenzzuordnung aus- druckend zu lesen – und manche unter Ihnen werden gelöst. Für den Bundesrat ist unser Kollege Erwin sich erinnern –, wie von Jahr zu Jahr aus unterschied- Teufel offizielles Konventsmitglied und dort Mit- licher Perspektive und in unterschiedlicher Modulati- glied der Arbeitsgruppe „Subsidiarität“. Auch von on letztlich die gleichen Schwierigkeiten bei der dieser Stelle aus danken wir ihm für sein großes En- Kompetenzabstimmung der einzelnen Gremien im gagement und für sein Werben für die Respektierung föderalen System der Bundesrepublik angesprochen der regionalen Parlamente. wurden. Viele dieser Probleme konnten immer noch nicht einvernehmlich gelöst werden. Deshalb bitte ich Mitte November wird in Florenz die Dritte Konfe- es mir nicht als Einfallslosigkeit anzurechnen, wenn renz der Präsidenten von Regionen mit Gesetzge- ich das eine oder andere noch einmal anspreche – bungsbefugnissen stattfinden. In acht von 15 Mit- zum einen, weil der Konflikt immer noch besteht, und (D) (B) gliedstaaten bestehen 74 Regionen, in denen 56 % zum anderen, weil möglicherweise jetzt die Voraus- der EU-Bevölkerung leben, die über eigene Parla- setzungen für eine Lösung günstig sein könnten. mente mit Gesetzgebungsbefugnis und eigene Regie- Dabei geht es nicht nur darum, dass der Bundeskanz- rungen verfügen. Alle politischen Ebenen mit Gesetz- ler der fünfte in Folge ist, der vorher Mitglied des gebungsbefugnissen sollten Partner im europäischen Bundesrates war. Bisher wohl erstmalig sind neben Entscheidungsprozess sein und in geeigneter Weise einbezogen werden. Nach unserer Meinung kann die ihm noch drei weitere ehemalige Ministerpräsiden- Europäische Union ihre Ziele hinsichtlich Demokra- tenkollegen eines Landes in seinem Kabinett. Das tie, Transparenz, Effizienz, Flexibilität, Bürgernähe, sollte uns wenigstens zu der Hoffnung berechtigen, Effektivität und politischer Glaubwürdigkeit nur er- auf Gesprächspartner zu treffen, die die Probleme der reichen, wenn sie den Regionen mit Legislativbefug- Länder und des Bundesrates sehr genau kennen – nissen deren Handlungsmöglichkeiten lässt. Aber, und davon gibt es viele. meine Damen und Herren, Sie wissen es: Diese Sicht Es bleibt die ureigene Aufgabe von Bund und Län- wird nicht von allen europäischen Staaten geteilt. dern, sich selbst und ihr Verhältnis zueinander, also Wir sehen in unseren Strukturen eines föderalen die föderale Ordnung, so zu organisieren, dass die an- Bundesstaates eine Garantie für Demokratie und Sta- stehenden Aufgaben in diesem System bewältigt wer- bilität, die wir weiterempfehlen möchten, insbeson- den können. Die Rahmenbedingungen, die durch den dere jenen Staaten mit chronischen regionalen Kon- Staatsaufbau und die Staatsorganisation gesetzt wer- flikten. Nur totalitäre Staaten sind unfähig, mit den, sind natürlich noch nicht die Lösung der gesell- föderalen Strukturen zu leben; dies wissen wir aus schaftlichen Probleme. Sie sind aber eine zentrale unserer Geschichte. Das war bei uns so, als 1933/34 Voraussetzung für einen leistungsfähigen Staat und auf der Grundlage eines Ermächtigungsgesetzes die damit auch für die Leistungsfähigkeit und das Innova- Länderparlamente aufgelöst und die Länderregierun- tionspotenzial der Gesetzgebungskörperschaften. gen als bloße Verwaltungsorgane der Reichsregie- Wenn ich von der Reformbedürftigkeit des Födera- rung unterstellt wurden, und das war wieder so, als lismus spreche, meine ich übrigens nicht den Bundes- 1952 im damals sowjetisch besetzten Teil Deutsch- rat selbst. Mit dem Bundesrat verfügt Deutschland lands die Länderstrukturen erneut aufgelöst wurden, über ein Instrument, das gut geeignet ist zur Bewälti- um einfache nachgeordnete Verwaltungsbezirke zu gung auch großer gesellschaftlicher Herausforde- schaffen. rungen. Das beweisen die Eingliederung der neuen In Respekt vor den bewährten Strukturen der Bun- Länder, die solidarische Begleitung des gewaltigen desrepublik hat nach der politischen Wende das erste Transformationsprozesses in diesen Ländern, die Bundesrat – 782. Sitzung – 8. November 2002 485 Präsident Prof. Dr. Wolfgang Böhmer (A) Assimilation völlig unterschiedlicher Sozialstrukturen Anpassung der Finanz- an die Kompetenzstrukturen (C) und nicht zuletzt das Flutopfersolidaritätsgesetz zur wurden damals schon von ihm gefordert. Ich will es Behebung der Hochwasserschäden. Bundesrat und wenigstens als Hoffnung formulieren, dass die Kennt- Bundestag wirken in der ganz überwiegenden Zahl nis beider Seiten des Problems einer Lösungsfindung der Fälle reibungslos zusammen. Der Bundesrat hat in eher nützen sollte, als dass sie sie erschweren könnte. den vergangenen mehr als 50 Jahren eine hohe An- Es wird andere Probleme geben, bei denen wir unter passungsfähigkeit gezeigt sowie unterschiedlichste uns mit den gleichen Begriffen möglicherweise doch politische Leitbilder und Problemstellungen aufge- nicht das Gleiche meinen. nommen und verarbeitet. Meine Damen und Herren, ich komme aus einem Gefordert sind jedoch Strukturveränderungen bei Land und persönlich aus einer Gegend Deutschlands, der Kompetenzverteilung zwischen Bund und Län- mit der die Geschichte eigene Wege gegangen ist. dern und bei der Finanzverfassung. Auf der Tagesord- Der Begriff der sozialen Gerechtigkeit wurde dort nung stehen Vorhaben zu der Neuordnung der Ge- fast täglich strapaziert mit dem Ziel, die so genannte setzgebungskompetenzen von Bund und Ländern, soziale Frage mit gesellschaftspolitischen Maßnah- der Reform der Mischfinanzierungstatbestände und men zu lösen. Der Elitegedanke war verpönt – übri- der Stärkung der Gestaltungskompetenzen bei den gens mit Ausnahme des Sports, wo er außenpolitisch Landes- und Kommunalsteuern. hilfreich sein sollte. Ansonsten war es erklärtes Es ist zwischen Bund und Ländern unstrittig, dass Staatsziel, soziale Gerechtigkeit durch ein hohes Maß es – angesichts der zunehmenden Vermischung von an Umverteilung von Eigentum und Entgelten zu er- Landes- und Bundeskompetenzen und einer inzwi- reichen. Die so genannte zweite Lohntüte – das waren schen unflexiblen Finanzverfassung – erforderlich ist, die zur Subventionierung von Preisen weit unter die Entflechtungen vorzunehmen, durch die die Eigen- Herstellungskosten umgesteuerten betrieblichen Ab- verantwortung und die Handlungsspielräume von führungen und abgeschöpften Steuern – war am Ende Bund und Ländern erweitert werden. Die Regierungs- größer als die erste, die der ausgezahlten Löhne. Wir chefs von Bund und Ländern haben dazu verschiede- haben erlebt, dass die Menschen schließlich einge- ne Arbeitsgruppen eingesetzt und beschlossen, die mauert werden mussten, um sie auf diese Weise zu Verhandlungen über die Reformschritte bis Ende beglücken. Wir haben erlebt, dass diese Staatsdoktrin 2003 abzuschließen. Die gesetzliche Umsetzung der nicht nur nicht erfolgreich war, sondern am Ende in sich selbst zusammengebrochen ist. Reformen soll bis Ende 2004 erfolgen. In Zusammenhang damit steht auch das Thema der Ich erinnere nur deswegen daran, um zu begrün- Gemeindefinanzreform, für die wir gleichfalls ge- den, dass ein gut gemeintes Ziel noch lange nicht jede (B) meinsam mit dem Bund bis Mitte 2003 Lösungsvor- Methode rechtfertigt, es zu erreichen. Ich erinnere (D) schläge erarbeiten wollen. Es kommt darauf an, unse- nur deshalb daran, weil wir mit dem Begriff „soziale ren Gemeinden durch die künftige Ausgestaltung des Gerechtigkeit“ auch heute noch untereinander argu- Steuersystems eine gesicherte und eigenständige mentieren, ohne dass er jemals definiert worden wäre Finanzierungsbasis zu schaffen. Weitere einseitige und ohne dass wir sagen könnten, worin denn dieses Aufkommens- und Lastenverschiebungen vom Bund Ziel besteht und wann denn dieser Zustand erreicht sein könnte. Er ist – leider – zur beliebigen, den Leis- auf Länder und Kommunen müssen vermieden wer- tungswillen immer demotivierenden Umverteilungs- den. begründung geworden, und das, meine Damen und Die Finanzsituation unserer Kommunen – das trifft Herren, ist eigentlich schade. Wir hätten es besser genauso auf die der Landkreise und Städte zu – wird wissen können. bundesweit als katastrophal empfunden. Sie ist dort Ich bezweifle ausdrücklich nicht die Richtigkeit der am schwierigsten, wo die Einnahmen am geringsten, Forderung von , dass in einer solida- die Wirtschaftskraft am niedrigsten und die Ausgaben rischen Gesellschaft die starken Schultern mehr tra- wegen jahrelanger hoher Arbeitslosigkeit besonders gen müssen als die schwachen. Dafür sorgt die im Sozialhilfebereich relativ am höchsten sind. Die Progredienz der Besteuerungskurve, die schon vor von vielen geforderte Zusammenlegung von Sozial- ihm eingeführt worden war. Aber ebenso richtig ist hilfe und Arbeitslosenhilfe mag formal richtig sein, die schon in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts ist aber ohne eine grundlegende Gemeindefinanzre- von Abraham L i ncoln formulierte Mahnung, dass form nicht denkbar. Mit dem Grundsicherungsgesetz wir die Schwachen nicht stärken, indem wir die Star- haben wir den Kommunen eine zusätzliche Aufgabe ken schwächen. Auch wir werden den Menschen übertragen und eine zusätzliche Summe Geld ange- nicht auf Dauer helfen, wenn wir als Staat für sie tun, boten. Zumindest unsere Kommunen rechnen mir vor, was sie selber für sich tun sollten und können. Als dass damit etwa ein Drittel der Ausgabenverpflich- Verantwortliche in einem Staat sollten wir nur dafür tungen erstattet würde, die sie jetzt übertragen be- sorgen, dass sie es tun können. Deshalb ist es ein kommen haben. richtiges Ziel, zu fördern und zu fordern. Ich vermu- te, dass wir in der nächsten Zeit über nicht wenige Als Anfang November 1998 der damalige hessische Vorschläge dazu werden entscheiden müssen. Auch Ministerpräsident dieses Amt über- dabei halte ich es für wenig wahrscheinlich, dass wir nahm, ist er in seiner Antrittsrede ausführlich auf immer einer Meinung sein werden. diese Probleme eingegangen. Die Beschränkung der Bundesgesetze auf das bundeseinheitlich erforderli- Das wiederum war auch schon so, als Anfang che Maß der Regulierung und eine grundsätzliche November 1997 der damalige niedersächsische 486 Bundesrat – 782. Sitzung – 8. November 2002 Präsident Prof. Dr. Wolfgang Böhmer (A) Ministerpräsident, Sie, Herr Bundeskanzler, seine Ebenso wenig vermag ich es als spektakulär anzu- (C) Antrittsrede als neugewählter Präsident des Bundes- sehen, dass ein Vertreter aus einem so genannten jun- rates gehalten hat. Sie haben damals deutlich ge- gen Land jetzt die Funktion des Bundesratspräsiden- macht, dass es kein Versagen der bewährten ten übernimmt. Die Einheit der Deutschen in einem bundesstaatlichen Ordnung sei, wenn der Bundesrat einzigen Bundesstaat ist inzwischen unspektakuläre Vorgaben der Bundesregierung oder des Bundestages Normalität – sowenig die meisten von uns sich dies ablehnt, sondern nur ein Beweis der Funktionsfähig- vor weniger als zwei Jahrzehnten auch vorstellen keit und der Selbstregulierung in einem föderalen konnten. Bundesstaat. Ihrem damals geäußerten Verdacht, Die Entwicklung des Einigungsprozesses war der dass Bundesregierung und Bundestag den Bundes- Beweis für die Überlegenheit föderaler Strukturen. rat nur politisch vorführen und öffentlich diskreditie- Wir müssen auch den gelegentlich strapazierten Be- ren wollten, wenn sie ihm Gesetze vorlegten, von griff eines Wettbewerbsföderalismus, der nicht nur denen sie wüssten, dass ihnen die Mehrheit des Bun- angenehme Seiten haben mag, dann nicht fürchten, desrates nicht zustimmen könne, würde ich – bei allem wenn wir uns auf die schlichte Selbstverständlichkeit Respekt vor dem jetzigen Amt – nicht beipflichten einigen, dass zu einem fairen Wettbewerb Chancen- wollen. gleichheit beim Start gehört. Dies kann beim besten Willen noch nicht der Fall sein. Die Vorteile des Fö- Aber dabei sollten wir auch nicht übersehen, dass deralismus, aus Ungleichheiten Chancen zu mehr ei- wir nicht von einer Einbahnstraße sprechen. Wer gener Kreativität abzuleiten, verschwinden aber ge- von den Vorhaben des Bundestages spricht, die im genwärtig durch eine zunehmende zentralistische Bundesrat keine Mehrheit gefunden haben, muss Vereinheitlichung. auch bereit sein, über die Initiativen des Bundesrates zu sprechen, die im Bundestag abgelehnt worden Was in der Wirtschaft schlichte Selbstverständlich- sind. keit ist, gilt im öffentlichen Dienst zurzeit bereits als Tabubruch. Auch das Recht der Länder, innerhalb Dass der faire demokratische Meinungsstreit um bundesstaatlicher Rahmengesetze einen größeren ei- den besten Weg und die beste Alternative für ein ge- genen Gestaltungsfreiraum zu bekommen, würde meinsam als dringend lösungsbedürftig empfundenes niemandem schaden, langfristig aber allen nutzen. In- Problem der Sache selbst letztlich mehr dient als ein sofern wird es auch weiterhin Aufgabe des Bundes- blauäugiges Konsensbedürfnis, haben auch jene rates bleiben, den Vereinheitlichungsverheißungen so längst begriffen, die – wie ich – wirklichen demokra- genannter vertikaler Fachbruderschaften zu wider- tischen Parteienpluralismus erst relativ spät miter- stehen und deutlich zu machen, dass nur aus der leben konnten. Aber – auch das will ich freimütig zu- Ungleichheit Chancen zu eigener Kreativität erwach- (B) geben – eine natürliche Skepsis kommt auch bei mir sen. (D) immer dann auf, wenn der Streit über eher neben- Wir sind in vielen unserer öffentlichen Ordnungs- sächliche Unterschiede so groß wird, dass die Sicht systeme überreguliert. Das gilt auch für unsere ge- auf die Gemeinsamkeit in der Hauptsache verdeckt meinsamen Sozialsysteme, für die von uns allen un- bleibt. bestritten dringender Reformbedarf besteht. Da viele Ich hatte große Mühe zu verstehen, warum es jahre- dieser Probleme in die Länderkompetenz hineinrei- langer intensiver Gespräche bedurfte, bis es möglich chen, muss sich auch der Bundesrat im nächsten Jahr war, in einer betont atheistischen Umwelt zwischen damit befassen. den beiden christlichen Kirchen einen gemeinsamen In allen diesen Systemen muss der Weg zu mehr Religionsunterricht für die wenigen Kinder beider Eigenverantwortung weitergegangen werden. Es Konfessionen zu organisieren, die das noch wünsch- wird heute kaum noch verstanden, dass die Einfüh- ten. Mir ist das Problem erst deutlicher geworden, als rung der dualen Finanzierung mit der so genannten ich mir meinerseits sagen lassen musste, dass aus der Bismarck’schen Sozialgesetzgebung ein erster Schritt Sicht der großen Zahl parteiloser Mitbürger wir in den zu mehr Eigenverantwortung und Mitverantwortung politischen Parteien uns angeblich genauso verhiel- der Person selbst war. Genau diesen Weg werden ten. Kollege Platzeck aus Brandenburg hat kürz- wir weitergehen müssen – auch im Interesse aller Län- lich in einem öffentlichen Vortrag gesagt, dass die der. Ostdeutschen in ihrer Mehrheit weder politikverdros- Wir sagen zu Recht, dass die Stabilität des Sozial- sen noch rückwärts gewandt oder handlungsmüde staates Deutschland in den kommenden Jahren von seien. Aber sie begegneten den parteipolitischen Ritu- unserer Fähigkeit abhängen wird, innovativ neue alen mit Ablehnung, weil in dem Meinungsstreit der Strukturen durch Reformen zu entwickeln. Die Quelle gemeinsame Problemlösungswille häufig eben nicht innovatorischer Entwicklung ist der Wettbewerb mehr erkennbar sei. auch in einem kooperativen Föderalismus. Die Län- der haben die Pflicht, ihre Selbstständigkeit und ihre Ich meine, das trifft auf die Debatten im Bundesrat Vielfalt als Quelle dieser Entwicklung zu erhalten. In nicht zu. Parteipolitische Orientierung und Polarisie- diesem Sinne tragen wir gemeinsam Verantwortung. rung sind bisher im Bundesrat keine Dauersituation gewesen. So gilt sein Verhandlungsstil zwar als nicht Im Geiste dieser gemeinsamen Verantwortung hoffe gerade spektakulär, dafür aber als ausgesprochen ich, als Bundesratspräsident im nächsten Jahr mit sachdienlich. Soweit es mir irgend möglich ist, möch- dazu beitragen zu können, dass wir gemeinsam Lö- te ich alles tun, dass dies auch so bleibt. sungen finden und die Bürgerinnen und Bürger in Bundesrat – 782. Sitzung – 8. November 2002 487 Präsident Prof. Dr. Wolfgang Böhmer (A) ihren Erwartungen an die Politik von uns nicht ent- Aber der Umgang mit der Flutkatastrophe hat auch (C) täuscht werden. – Meine Damen und Herren, ich gezeigt: Aus der deutschen Einheit ist die Einheit der danke Ihnen. Deutschen geworden – eine Einheit in den Köpfen und in den Herzen. Herr Regierender Bürgermeister (Beifall) Wowereit hat gesagt – ich zitiere ihn –, „der Welle der Das Wort hat nun der Herr Bundeskanzler. Verwüstung“ sei „eine Welle der Solidarität, des Zu- sammenstehens und der gegenseitigen Hilfe gefolgt“. Ich denke, er hat Recht; wir müssen an die Solidarität Gerhard Schröder, Bundeskanzler: Verehrter Herr und das Zusammenstehen anknüpfen. Präsident, ich hatte doch glatt vergessen, wer 1997 Bundesratspräsident war. Sollte ich es gewesen sein, Auch der Bundesrat hat bei der Bewältigung der so zeigt das eigentlich nur, was Ihr Zitat angeht, dass Hochwasserfolgen positiv agiert. So ist er auf Bitten jener berühmte Satz von Karl M a r x , dass das ge- der Bundesregierung am 13. September unter sellschaftliche Sein das Bewusstsein bestimme, nicht Zurückstellung aller üblichen Beratungsfristen zu- ganz falsch sein kann. Aber wie auch immer: Ich sammengekommen, damit das Flutopfersolidari- muss, was das Vorhalten des Zitats angeht, verehrter tätsgesetz schnell in Kraft treten konnte. Dafür möch- Herr Präsident, bei Ihnen auf jene Lernfähigkeit und te ich mich auch an dieser Stelle bei den Mitgliedern Lernwilligkeit setzen, die ich mir habe zu Eigen ma- des Bundesrates namens der Bundesregierung aus- chen müssen, als ich in das jetzige Amt gekommen drücklich bedanken. bin. Ich hoffe, das funktioniert. Meine Damen und Herren, unsere Verfassung weist Verehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten dem Bundesrat als Vertretung der Länder eine bedeu- Damen und Herren! Der Bundesrat hat in seiner tende Aufgabe bei den Gesetzesvorhaben zu. Diese Sitzung am 18. Oktober Herrn Ministerpräsidenten Aufgabe – das ist klar – erfordert ein hohes Maß an Professor Böhmer für das neue Geschäftsjahr zu sei- Verantwortung, eine Verantwortung – ich sage das nem Präsidenten gewählt. Ich gratuliere Ihnen, ver- ausdrücklich –, die der Bundesrat in der Vergangen- heit immer wieder wahrgenommen hat. Dabei hat ehrter Herr Böhmer, auch im Namen der gesamten stets das Prinzip zu gelten: „Erst das Land – dann die Bundesregierung sehr herzlich zu Ihrer Wahl. Ich ver- Partei.“ binde diesen Glückwunsch durchaus mit der Hoff- nung, dass wir die im Wesentlichen bewährte Zusam- Ich verlasse mich darauf, dass dies auch in Zukunft menarbeit zwischen Bundesregierung und Bundesrat so ist. Ich gehe sogar einen Schritt weiter und werbe auch in Ihrer Amtszeit fortsetzen können und – dessen ausdrücklich um die Mitarbeit der Länder im Rat bei bin ich mir sicher – fortsetzen werden. den anstehenden großen Reformvorhaben der Bun- desregierung. (B) Ebenfalls im Namen der Bundesregierung möchte (D) ich Herrn Regierenden Bürgermeister Wowereit für In meiner Regierungserklärung vom 29. Oktober seine erfolgreiche Arbeit in den vergangenen zwölf dieses Jahres habe ich von der historischen Aufgabe Monaten danken. In der Amtszeit des Regierenden gesprochen, Gerechtigkeit im Zeitalter der Globali- Bürgermeisters im Bundesrat sind zahlreiche wichtige sierung nicht nur zu definieren, sondern auch zu er- Entscheidungen für die Zukunft unseres Landes ge- reichen. In diesem Zusammenhang habe ich zu einer fallen. echten Verantwortungspartnerschaft aufgerufen. Das betrifft natürlich auch und insbesondere den Bundes- Meine Damen und Herren, in dieser Legislatur- rat. Gemeinsam können wir die aktuellen Schwierig- periode liegen große Aufgaben vor uns. Für die Refor- keiten überwinden und weit über diese Legislatur- men auf dem Arbeitsmarkt und die strukturellen Ver- periode hinaus die Kräfte und das Können unseres änderungen in den Sozialsystemen braucht es mehr Landes für ein in jeder Hinsicht reicheres Leben der als nur die vorhandene Entschlossenheit der Bundes- Menschen in unserem Land mobilisieren. regierung und ihrer parlamentarischen Mehrheit im Deutschen Bundestag. Für die notwendigen Entschei- Dazu brauchen wir eine Wirtschafts- und Arbeits- dungen und ihre Umsetzung brauchen wir die Zu- marktpolitik aus einem Guss. Sie umfasst folgende sammenarbeit aller verantwortlichen Kräfte: in den Kernbereiche: strategische Investitionen in Bildung Unternehmen und Gewerkschaften, bei den Sozial- und Forschung, Infrastruktur, für die Familien und zur versicherern, bei Ärzten, Patienten und den Beschäf- besseren Vereinbarkeit von Beruf und Familie sowie tigten im Gesundheitswesen, aber natürlich auch in für die ökologische Erneuerung; Fortsetzung der den Parteien, soweit das möglich ist, und vor allen Haushaltskonsolidierung und Einsparungen bei den Dingen im Bundesrat. konsumtiven Staatsausgaben, aber auch bei den Sub- ventionen; Strukturreformen am Arbeitsmarkt, bei Wir können uns dabei durchaus ein Beispiel an der Rente und Gesundheit, um die sozialen Sicherungs- Verantwortungsbereitschaft und der Solidarität unse- systeme zukunftsfähig zu machen, und Abbau unnöti- rer Bürgerinnen und Bürger nehmen, wie sie bei der ger Bürokratie. Flutkatastrophe vorbildlich zum Ausdruck gekom- Die dazu notwendigen Maßnahmen und Reform- men sind. Das Hochwasser im August 2002 hat die ansätze werden gewiss nicht einfach sein. Wir werden schwersten Schäden angerichtet, die unser Land in allen etwas abverlangen müssen, auch den Parteien seiner Nachkriegsgeschichte erlitten hat. In einigen und dem Bundesrat. Regionen – verehrter Herr Präsident, Sie wissen sehr gut, wovon ich rede – sind Entwicklung und Aufbau- Oberste Priorität hat weiterhin die Bekämpfung leistungen um Jahre zurückgeworfen worden. der Arbeitslosigkeit. Deshalb beginnen wir mit der 488 Bundesrat – 782. Sitzung – 8. November 2002 Bundeskanzler Gerhard Schröder (A) schnellen und vollständigen Umsetzung der Vor- Aber: Alle aktuellen, durch die weltweite Wirt- (C) schläge der Hartz-Kommission. Das Ergebnis wird schaftslage veranlassten Finanzprobleme lassen sich nichts weniger sein als die größte Arbeitsmarktreform dadurch allein nicht ausgleichen. Deshalb haben wir in der Nachkriegszeit. Mit dieser Reform erheben wir die notwendigen gesetzlichen Maßnahmen in die das Prinzip des „Forderns und Förderns“ zur Leit- Wege geleitet. Sie verhindern einen noch dramati- linie der Arbeitsmarktpolitik. Zum einen fördern wir scheren Anstieg der Beiträge und schaffen eine kon- Arbeitslose durch schnellere Vermittlung in Arbeit, solidierte Einnahmesituation für die Rentenkassen. zum anderen fordern wir von ihnen mehr Verantwor- Ich appelliere an den Bundesrat, diese schnell wir- tung und mehr Mitwirkungspflichten als bisher. kenden Reformgesetze so zügig wie möglich zu bera- Die Rahmenbedingungen für Zeitarbeit beispiels- ten, damit sie bereits ab Januar 2003 greifen können; weise werden wir auf internationale Standards brin- ich denke, die Bürgerinnen und Bürger im Lande er- gen. Gleichzeitig werden wir die Schwarzarbeit durch warten dies von uns. Sie sind notwendig, um die so- steuerliche Begünstigung haushaltsnaher Dienstleis- zialen Sicherungssysteme in Ordnung zu halten. tungen bekämpfen und die Selbstständigkeit durch so Dies gilt auch für die notwendige Haushaltskonso- genannte Ich-AGs fördern. lidierung, die wir nicht nur durch weitere Einsparun- Die Gesetzentwürfe, mit denen die Vorschläge der gen auf der Ausgabenseite betreiben. Wir werden Hartz-Kommission umgesetzt werden sollen, wurden auch ungerechtfertigte und ökonomisch fragwürdige bereits gestern in erster Lesung im Bundestag bera- Subventionen abbauen. ten. Sie sollen in den Ausschüssen zügig behandelt Dazu, meine sehr verehrten Damen und Herren, werden. gehört der Abbau steuerlicher Privilegien. Ich habe Ich bin, verehrter Herr Präsident, zuversichtlich, den Eindruck, dass es breite Übereinstimmung darü- dass die Länder diese Gesetze gewiss kritisch, aber ber gibt, für eine gerechtere Besteuerung vor allem vor allem sachlich beurteilen. Ich bin mir sicher, dass im Unternehmensbereich zu sorgen. In diesem Zu- wir bei den zustimmungsbedürftigen Teilen trotz aller sammenhang steht unser Vorhaben, Verlustverrech- notwendigen Auseinandersetzungen eine einver- nungen zu begrenzen. Wir wollen damit dafür sorgen, nehmliche Lösung zum Wohle des Ganzen finden. Ich dass auch international tätige Unternehmen ihren denke, dass wir in der Debatte in diesem Hause par- Beitrag für unser Gemeinwesen leisten. Dabei werden teipolitische Voreingenommenheit zurücknehmen Verluste auch weiterhin angemessen verrechnet wer- den können, so dass insbesondere der Mittelstand müssen. keinen Schaden nimmt. Meine Damen und Herren, auch bei der Gesundheit Meine Damen und Herren, es gibt einen weiteren und bei der Rente stehen weitere Reformen der sozia- wichtigen Faktor, der sowohl für unseren Arbeits- (B) len Sicherungssysteme an. Dabei geht es uns darum, (D) markt als auch für die Kultur unseres Gemeinwesens die Systeme angesichts des veränderten Altersauf- von entscheidender Bedeutung ist: Ich meine die Bil- baus in der Bevölkerung und angesichts gewandelter dung. Erwerbsbiografien zukunftstauglich zu machen, also die hohe Qualität der sozialen Sicherungssysteme zu Bildung und Forschung – das ist gewiss richtig – erhalten und gleichzeitig die Arbeitskosten auf Dauer sind der Schlüssel zur Sicherung von Wohlstand sowie und nachhaltig zu senken. zur Sicherung und Schaffung von Arbeitsplätzen. Bil- dung ist zugleich die wichtigste Voraussetzung für Wir haben im Gesundheitssektor mit einem Sofort- demokratische Teilhabe, für eine Kultur des Mitei- programm die notwendigen Schritte zur Ausgaben- nanders, für Chancengleichheit und nicht zuletzt für begrenzung bei der gesetzlichen Krankenversiche- ein selbstbestimmtes Leben. rung eingeleitet. Dies ist – es kommt mir darauf an, das deutlich zu machen – nur ein erster Schritt; grund- Ein zukunftsfähiges Schulsystem muss sich an der legende und grundsätzliche Strukturreformen werden Verwirklichung persönlicher Lebenschancen jedes folgen. Es ist unser Ziel, nicht nur den Kostenanstieg Einzelnen, aber genauso an seinem Beitrag zur inter- im Gesundheitswesen zu begrenzen, sondern auch nationalen Wettbewerbsfähigkeit unseres Landes mehr Wettbewerb in die Systeme zu bringen. Wir messen lassen. brauchen mehr Transparenz und Entscheidungsmög- Die PISA-Studie hat erhebliche Schwächen des lichkeiten für Patienten und Kassen, um den Weg für deutschen Bildungssystems aufgedeckt. Ihre Ergeb- eine Begrenzung und, wo immer es möglich ist, für nisse haben deshalb Schule und Bildung in Deutsch- eine Absenkung der Sozialbeiträge freizumachen. land wieder zu einem zentralen Thema der gesell- Die ungünstige Wirtschafts- und Arbeitsmarktlage schaftlichen Debatte, aber auch der Diskussion über hat Konsequenzen nicht nur für das Gesundheitswe- das föderale System und das Selbstverständnis der sen, sondern notwendigerweise auch für das Renten- Länder gemacht. Diese Herausforderung verlangt von system. Einnahmeausfälle – jeder in diesem Hause allen staatlichen Ebenen – vom Bund, den Ländern weiß das – drücken auf die Beiträge, und das, obwohl und den Gemeinden – entschlossenes Handeln. wir unser Rentensystem mit einer umfassenden Struk- Ziel der Bundesregierung ist es deshalb, Deutsch- turreform vor zwei Jahren auf die langfristigen demo- land bei der Bildung in den nächsten zehn Jahren grafischen Veränderungen umgestellt haben. Die wieder an die internationale Spitze heranzuführen, je- zweite Säule der Altersvorsorge ist im Aufbau. Damit denfalls einen Beitrag dazu zu leisten. Ich sage das ist die Gerechtigkeit zwischen den Generationen ge- natürlich in Respekt vor der mir bekannten Kompe- wahrt. tenzverteilung gerade in diesem Bereich. Bundesrat – 782. Sitzung – 8. November 2002 489 Bundeskanzler Gerhard Schröder (A) Was jetzt Not tut, ist eine gemeinsame Anstren- breitet, die zu kleineren Veränderungen geführt (C) gung, um unser Bildungssystem umfassend zu moder- haben. Doch an den Grundstrukturen der politischen nisieren. Das Angebot meiner Regierung steht: Wir Verflechtung von Bundesrat und Bundestag, von Bun- stellen in den Jahren 2003 bis 2007 4 Milliarden Euro des- und Landeskompetenz hat sich wenig geändert. für den Ausbau von Ganztagsschulen zur Verfügung. Dass das, was geändert worden ist, nicht genug ist, Ganztagsschulen – das ist unsere Überzeugung – er- haben inzwischen alle Parteien erkannt. Auf diesem leichtern die individuelle und gezielte Förderung un- parteiübergreifenden Konsens möchte ich aufbauen. terschiedlicher Begabungen. Sie schaffen mehr Raum Die Modernisierung unseres föderalen Systems setzt für kreative, fantasievolle Unterrichtskonzepte und im voraus, dass wir in Ziel und Richtung übereinstim- Übrigen – das wird häufig übersehen – für die persön- men. liche Begegnung zwischen Schülerinnen und Schü- Die Reform unserer föderalen Ordnung hat – auch lern und Lehrkräften. darauf hat der Herr Präsident hingewiesen – eine Auch die Kultusministerkonferenz hat Ganztagsan- wichtige europäische Dimension. Angesichts der be- gebote als vordringliches bildungspolitisches Ziel be- vorstehenden Erweiterung der Europäischen Union zeichnet. Ich begrüße es, dass in diesem Punkt große um zehn Mitgliedstaaten muss der Konvent einen Übereinstimmung besteht. Verfassungsentwurf vorlegen, der auch die erweiterte Viele Länder, meine Damen und Herren, haben auf Europäische Union politisch führbar erhält. Deshalb diesem Gebiet bereits enorme Anstrengungen unter- muss die neue europäische Verfassung eine klarere nommen. Das will ich ausdrücklich anerkennen; denn Kompetenzverteilung zwischen der Europäischen der Ausbau von Ganztagsschulen bedeutet eine er- Union und den Mitgliedstaaten vorsehen. hebliche finanzielle Belastung für sie. Aber es geht Von entsprechender Bedeutung sind die vom Kon- um nicht weniger als die Chancen und die Lebenspers- vent diskutierten Mechanismen zum Schutze des Sub- pektiven künftiger Generationen. Daran erweist sich sidiaritätsprinzips. Wir müssen Gewissheit haben, – übrigens weit mehr als bei der ausbalancierten Ver- dass es nicht zu einer schleichenden Kompetenzaus- teilung nötiger Lasten – unsere Fähigkeit, nachhaltig weitung der europäischen Institutionen zu Lasten von für Gerechtigkeit zu sorgen. Bund und Ländern kommt. Chancengleichheit und Leistungsorientierung im Meine Damen und Herren, es geht bei den europäi- Bildungssystem beinhalten auch, dass alle Kinder un- schen Reformen aber auch und vor allem um mehr abhängig von Wohnort und Einkommen ihrer Eltern Europa. Spätestens seit den Verbrechen des 11. Sep- gleiche Ausgangsvoraussetzungen haben sollen. Des- tember 2001 wissen wir, dass Europa im Bereich der wegen brauchen wir zügig bundesweit verbindliche äußeren und inneren Sicherheit besser als in der Ver- (B) Bildungsstandards. Ich bin sehr froh darüber, dass gangenheit zusammenarbeiten muss. So werden zum (D) dies auch die Länder so sehen. besseren Schutz unserer Bürgerinnen und Bürger vor Wenn wir gemeinsam handeln, beginnt sich also Kriminalität und Terror der Ausbau von Europol, die etwas zu bewegen. Wir können uns auf dem Erreich- Schaffung einer europäischen Staatsanwaltschaft ten aber nicht ausruhen. Deutschland braucht exzel- sowie eine Mindestharmonisierung in ausgewählten lente Fachkräfte; das ist das A und O unseres Wohl- Bereichen des Strafrechts ganz und gar unerlässlich stands. Vernünftige Konzepte liegen auf dem Tisch, sein. Dies ist angesichts der Zuständigkeitsverteilung so denke ich. Es gilt nun, sie rasch und entschlossen zwischen Bund und Ländern nicht unproblematisch. gemeinsam umzusetzen. Gerade in diesem Bereich Aber wir müssen es schaffen. Eine verstärkte europäi- steht unser föderales System vor einer grundlegenden sche Zusammenarbeit in der Kriminalitätsbekämp- Herausforderung. fung muss auch unter Bewahrung der Länderkompe- tenzen möglich bleiben. Meine Damen und Herren, auch aus anderen Grün- den müssen wir unsere bundesstaatliche Ordnung Sehr geehrter Herr Präsident, bei vielen Gesetzge- überprüfen; darauf hat auch der Herr Präsident heute bungsvorhaben arbeiten Bundesrat, Bundestag und hingewiesen. Genauso wie Bund und Länder in Euro- Bundesregierung reibungslos zusammen. Ich denke, pa in Anwendung des Subsidiaritätsprinzips fordern, das gilt es gerade dann zu unterstreichen, wenn es in dass möglichst jede Entscheidung eindeutig der ihr dem einen oder anderen Fall zu Kontroversen, gele- angemessenen Ebene zugewiesen wird, sollten wir im gentlich auch zu deutlich ausgetragenen Kontro- eigenen Land prüfen, ob unsere Zuständigkeiten kla- versen, kommt. Allerdings hat es immer wieder Ver- rer zugeordnet werden können. Denn die klare und anlassung gegeben – ich erinnere an Willy Brandts erkennbare Zurechenbarkeit politischen Handelns mahnende Worte 1973 vor diesem Haus –, ausdrück- ist die elementare Voraussetzung für eine funktionie- lich darauf hinzuweisen, dass der Bundesrat nicht rende Demokratie. Nur auf diese Weise kann ein Aus- etwa politisches Gegenstück des Bundestages ist. Das einanderfallen von Entscheiden-Können und Verant- war wohl auch der Inhalt jener bedeutenden Rede worten-Müssen verhindert werden. Den Bürgerinnen eines niedersächsischen Ministerpräsidenten 1997. und Bürgern muss deutlich sein, wer politische Ent- Schon Ernst Benda hat dafür 1969 den Begriff scheidungen trifft, und damit, wer sie zu verantwor- des kooperativen Föderalismus geprägt und die ge- ten hat. meinschaftliche Verantwortung für eine im Geist der Diese Überlegungen sind nicht neu; das weiß ich Bundestreue abgestimmte Gesamtpolitik betont. Der wohl. In den letzten 15 Jahren haben diverse Verfas- Bundesrat – so hat es einer Ihrer ehemaligen Kollegen sungs- und Enquete-Kommissionen Vorschläge unter- Ministerpräsidenten formuliert – ist kein Konfronta- 490 Bundesrat – 782. Sitzung – 8. November 2002 Bundeskanzler Gerhard Schröder (A) tionsorgan, sondern ein Integrationsorgan. Das im Wählerinnen und Wähler am 22. September über die (C) Grundgesetz angelegte Spannungsverhältnis zwi- Mehrheitsverhältnisse im Deutschen Bundestag ge- schen politischen Parteien und Bundesstaat darf eben troffen haben, und die daraus resultierenden Ent- nicht dazu führen, dass das parteistaatliche Prinzip scheidungen zur Regierungsbildung durch ein ande- die föderative Struktur auch nur partiell außer Kraft res Organ in Frage gestellt werden sollen. Meiner setzt. Ich will an dieser Stelle meinen dringenden Ansicht nach gehört dazu aber auch – dabei knüpfe Wunsch nach einer Zusammenarbeit von Bund und ich an Ihre abschließenden Bemerkungen an –, dass Ländern im Rahmen einer neuen Verantwortungs- das Grundgesetz den Regierungen der Länder, und partnerschaft unterstreichen. zwar jeder einzelnen und nicht nach Fraktionen ge- Herr Präsident, die Fülle und die Komplexität der ordnet, den Auftrag gegeben hat, gemäß den Interes- vor uns liegenden gemeinsam zu bewältigenden Auf- sen ihrer jeweiligen Länder im Bundesrat abzustim- gaben sind beträchtlich. Ich wünsche Ihnen daher für men. Diese Abstimmung ist demokratisch legitim, Ihr neues Amt Mut, Tatkraft und eine glückliche und zwar unabhängig davon, ob eine Regierungsvor- Hand. Sie gelten als versierter Streiter. Als früherer lage angenommen oder abgelehnt wird. Finanz- und als Sozialminister von Sachsen-Anhalt Deshalb wird, was die Kooperation von Bundestag kennen Sie die Wünsche der Bürgerinnen und Bürger, und Bundesrat angeht, die Bereitschaft vorhanden aber eben auch deren finanzielle Grenzen. sein müssen, aufeinander zuzugehen. Die Bereit- Ich fand es wohltuend, dass Sie darauf hingewiesen schaft, miteinander zu verhandeln und aufeinander haben, dass neben mir drei ehemalige Ministerpräsi- zuzugehen, werden Sie, glaube ich, bei der überwäl- denten im Bundeskabinett sitzen und deswegen die tigenden Mehrheit, ja bei allen, die hier im Bundesrat Arbeitsweise des Rates in besonderer Weise kennen. tätig sind, finden. Wer, so denke ich, schon hinter jedem Busch gesessen Deshalb ist es wichtig, zu Anfang zu sagen: Es geht hat, weiß zumindest, wie es dahinter aussieht. Aber er um die Bereitschaft, aufeinander zuzugehen. Wenn weiß auch diejenigen leichter aufzufinden, die sich Sie Bundestreue aber so interpretieren, dass die dahinter verstecken wollen. Mehrheit der Bundesländer in der moralischen Pflicht (Heiterkeit) steht, das zu tun, was der Bundeskanzler sagt, ist das aus meiner Sicht jedenfalls eine Fehlinterpretation Auch das ist ein wichtiger Gesichtspunkt, der unse- der Bundestreue mit möglicherweise gefährlichen re gemeinsame Arbeit bewegen wird. Folgen. Wir alle wissen, dass die Erwartungen der Men- Dass Sie in den ersten Tagen nach Zusammentritt schen an die Politik nicht immer in vollem Umfang er- des neuen Deutschen Bundestages in den Regie- füllbar sind. Unser Ziel muss es jedoch sein, diesen (B) rungsfraktionen des Bundestages die Entscheidung (D) Ansprüchen der Bürgerinnen und Bürger an die Poli- getroffen haben, die traditionelle Zusammensetzung tik so nahe wie möglich zu kommen und vor allem die des Vermittlungsausschusses zu ändern, um so zu Zukunft unserer Kinder und deren Kinder zu sichern. anderen mehrheitsbildenden Entscheidungen im Ver- Daran werden wir uns letztlich messen lassen müs- mittlungsausschuss kommen zu können, ist kein Zei- sen. Auch in diesem Sinne, verehrter Herr Präsident, chen dafür, dass Sie mein Verständnis von Bundes- wünsche ich Ihnen und uns allen eine erfolgreiche treue, nämlich dass wir miteinander kooperieren Präsidentschaft. – Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerk- müssen, teilen, sondern eher ein Zeichen dafür, dass samkeit. Sie versuchen, diesseits und jenseits der „Büsche“ (Beifall) Konstellationen zu schaffen, bei denen Sie für einige Zeit formal die Mehrheit haben, um den Bundesrat wegen eines demgegenüber anderen Abstimmungs- Präsident Prof. Dr. Wolfgang Böhmer: Vielen Dank, verhaltens dann möglicherweise der Illegitimität zei- Herr Bundeskanzler! hen zu können. An dieser Stelle hat Herr Ministerpräsident Koch Wer wirklich vermitteln will, für den ist ein Gleich- aus Hessen um das Wort gebeten. Bitte schön. stand der Stimmen bei unterschiedlichen politischen Grundeinstellungen in beiden Kammern eine Chan- Roland Koch (Hessen): Herr Präsident! Meine sehr ce, aber keine Lästigkeit. Die Antwort auf die Frage, verehrten Kolleginnen und Kollegen! Ich denke, es ist ob Sie darin eine Chance sehen oder ob Sie es als eine ein gutes Zeichen, dass Sie, Herr Bundeskanzler, wie Lästigkeit abtun wollen, beinhaltet eine qualitative zu Beginn der vorangegangenen Legislaturperiode Aussage und wird für die Kooperation zwischen Bun- Bemerkungen zu der von Ihnen beabsichtigten Regie- destag und Bundesrat in den nächsten Wochen und rungspolitik nicht nur vor dem Deutschen Bundestag, Monaten eine Menge an Konsequenzen haben. sondern auch vor dem Bundesrat machen. Angesichts Ich glaube, dass es hier keinen Streit darüber geben dessen meine ich, es ist richtig, dass aus der Mitte des darf: Unabhängig davon, in welchem Land wir Ver- Bundesrates Gelegenheit genommen wird, zum Aus- antwortung tragen, müssen, werden und wollen wir druck zu bringen, dass das, was Sie vortragen, ernst Ihnen die Hand reichen, wenn Sie bereit sind, Wachs- genommen wird, und Ihre Ausführungen zu kommen- tum und Beschäftigung in diesem Lande zu fördern. tieren. Davon sind wir gemeinsam abhängig, wir mit unseren Niemand, der im Bundesrat Verantwortung trägt, ist Landeshaushalten und in unserer Landespolitik ge- der Auffassung, dass die Entscheidung, die die nauso wie Sie in der nationalen Verantwortung. Bundesrat – 782. Sitzung – 8. November 2002 491 Roland Koch (Hessen) (A) Anders noch, Herr Bundeskanzler: Wir brauchen hausgemachte Fehler zurückzuführen ist. Wenn wir (C) bei all dem, was wir in den Bundesländern tun, den darüber nicht mehr reden, weil Sie alles außerhalb Impuls der Bundesregierung für Wachstum und Be- des Landes delegieren, sind wir in den Ländern mit schäftigung. Aber aus der Wahrnehmung der Inte- unseren Erfahrungen, die wir auf Grund von konkre- ressen der Länder heraus müssen Sie sich die Frage ten Kontakten mit den Unternehmen und in Kenntnis stellen lassen: Was tun Sie für Wachstum und Be- der Gründe ihrer Entscheidung dieser Tage machen, schäftigung? Was Abstimmungen im Bundesrat in den falsch aufgestellt. nächsten Wochen angeht, so werden Sie sich fragen lassen müssen: Irren die Wirtschaftsforschungsinsti- Wir erleben zurzeit eine Konsumzurückhaltung in tute, wenn sie sagen, schon die erste Gesetzesnovelle, diesem Land wie – so sagt der Einzelhandel – in der die Sie vorschlagen, werde zu einem halben Prozent Nachkriegsgeschichte, in den letzten 50 Jahren, nicht. Wachstumsschwund, nicht jedoch zu zusätzlichem Dies liegt doch nicht nur daran, dass die Menschen Wachstum führen? Ist es illegitim oder nicht bundes- auf Amerika schauen. Die Amerikaner haben 3 % treu, Herr Bundeskanzler, wenn man die Analyse, die Wirtschaftswachstum und halten das für eine Krise. Es hier im Bundesrat möglicherweise mehrheitlich ge- liegt auch nicht daran, dass alle in Europa schlechter teilt wird, auf die Aussagen Ihres politischen Kon- sind als wir und wir Gott sei Dank die Statistik oben zepts und Ihrer Kabinettskollegen von vor wenigen halten. Wir haben Jahrzehnte hinter uns, in denen der Wochen stützt? Bundesrepublik Deutschland immer abgenommen wurde, sie müsse die Lokomotive des europäischen Sie selbst, Herr Bundeskanzler, haben am 26. Juli Wirtschaftszuges sein. Wenn Sie in diesen Tagen die dieses Jahres – was den Erinnerungswert angeht, zeit- Zeitungen in Paris, in London und in Rom lesen, stel- lich also noch wesentlich näher als die Rede eines len Sie fest, dass man dort über die philosophische ehemaligen Bundesratspräsidenten im Jahre 1997 – Frage diskutiert, wie lange Waggons eine Lokomotive gesagt: Steuererhöhungen sind in der jetzigen kon- ziehen können. Das darf kein Dauerzustand sein. junkturellen Situation ökonomisch unsinnig, und des- halb ziehen wir sie auch nicht in Betracht. – Sehr Deshalb müssen wir fragen, ob die Vorschläge, die verehrter Herr Bundeskanzler, hat sich die konjunktu- Sie machen, hilfreich sind. Wir werden mit Ihnen über relle Situation seit dem 26. Juli dieses Jahres ver- Steuerpolitik reden. Kann man in einer Wirtschafts- bessert? Können Sie heute gelassener über Steuer- krise Steuern erhöhen, oder verschärft man damit die erhöhungen reden, weil sie die konjunkturelle Wirtschaftskrise und vermindert dadurch seine Chan- Situation und das Wachstum in Deutschland nicht cen, zusätzliche staatliche Einnahmen zu erlangen? mehr so gefährden, wie es am 26. Juli dieses Jahres Diese Frage wird uns hier beschäftigen, nicht weil sie der Fall gewesen ist? abstrakt-ökonomisch wichtig ist, sondern weil sie etwas damit zu tun hat, was wir in den Landeshaus- (B) Ihr Finanzminister hat am 15. April gesagt: Es wird (D) halten tun können. keine Steuererhöhungen geben. Die Steuerbelastung wird nicht steigen, sondern sinken. – Stellen Sie sich Wenn Sie die Politik fortsetzen, die Sie in den letz- einmal vor, ein Unternehmen in Deutschland hat sich ten Jahren gemacht haben, sind die Länder auf Grund auf diese Aussage der deutschen Bundesregierung ihrer Haushalte nicht mehr handlungsfähig. Sie wer- eingestellt oder ein internationaler Konzern in diesem den nicht in Besenkammern sparen können, sondern Land hat Investitionsentscheidungen unter Bezug- jeder von uns wird sich der Diskussion stellen müs- nahme auf diese Bundesregierung getroffen, die jetzt sen, ob wir die öffentlichen Güter Bildung, von der in der Erblast eigenen vorangegangenen Tuns steht! Sie gerade gesprochen haben, Sicherheit und Infra- Dann ist es nicht illegitim und verstößt auch nicht struktur noch in der Weise gewährleisten können, gegen die Bundestreue, wenn die Mehrheit des Bun- wie es in der Vergangenheit der Fall gewesen ist. Wir desrates möglicherweise auch nach fünf Monaten – ich denke, wir alle miteinander – wollen sie gewähr- noch der Meinung ist, dass Ihre damalige ökonomi- leisten. Dazu aber brauchen wir Wirtschaftswachs- sche Erkenntnis nicht völlig falsch war. Es muss mög- tum, Wirtschaftswachstum und noch einmal Wirt- lich sein, an dieser Stelle darum zu ringen. Wir wollen schaftswachstum. Wenn wir es nicht bekommen, sind gemeinsam mit Ihnen Wachstum schaffen. Aber wir alle Diskussionen theoretisch. werden nicht zustimmen, dass einseitig eine Defini- tionshoheit dafür entsteht, was Wachstum ist und wie Es gibt einen zweiten Teil, Herr Bundeskanzler: Wir es geschaffen wird. Dann werden wir sehr schnell zu brauchen handwerklich ordentliche Gesetze. Der der Frage kommen: Was ist national verursacht, und Deutsche Bundestag und der Bundesrat gemeinsam was ist auf die Weltwirtschaft zurückzuführen? wollten es – darüber gab es unter uns keinen Streit –, dass die Steuerlast der großen Unternehmen in Ich habe im Augenblick die Sorge, dass Sie versu- Deutschland aus Gründen der internationalen Wett- chen, alles, was an eigenen Taten damit verbunden bewerbsfähigkeit nahezu halbiert wird. Das geschah ist, wegzunehmen. Dann ist ein Gespräch zwischen in Form der Absenkung der Körperschaftsteuer. Ich Bund und Ländern aber sehr schwierig; denn wir kön- unterstelle, dass auch die Regierung, Ihr Finanzmi- nen nur über eigene Taten, nicht über Exegesen der nister, das wollte. Er hat es aber handwerklich nicht Weltwirtschaft reden. fertig gebracht, dieses Ziel zu erreichen, sondern er Wir müssen in diesem Zusammenhang auch die hat ein Gesetz geschaffen, das zur Folge hat, dass Ratschläge Ihrer Vorgänger sehen. Es bleibt der Satz netto Steuern ausgezahlt werden und überhaupt von Helmut Schmidt, dass die Krise in Deutsch- keine aus dem Bereich der Großunternehmen mehr in land nicht weltwirtschaftlich verursacht, sondern auf unseren Buchhaltungen stehen. 492 Bundesrat – 782. Sitzung – 8. November 2002 Roland Koch (Hessen) (A) Wir in Hessen haben im Jahre 2000 – ohne die Ver- de eine Frage des kooperativen Föderalismus. Heute (C) rechnung im Rahmen des Länderfinanzausgleichs; al- steht das Gesetz, das den Vorstellungen des Landes lein das, was aus unseren Unternehmen fließt – rund Hessen entspricht, wiederum auf der Tagesordnung. 3 Milliarden an Körperschaftsteuer eingenommen. Auch die Kollegen aus Bayern machen Vorschläge, Wir werden in diesem Jahr rund 2 Milliarden Körper- was wir tun können. Wir werden uns dazu möglicher- schaftsteuer auszahlen. Das bedeutet, alleine aus der weise im Vermittlungsausschuss wiedersehen. Dort- Wirtschaftsgemeinde des Landes Hessen resultiert hin gehört es; wir wollen eine gemeinsame Lösung – für alle Länder gemeinsam über den Finanzaus- finden. Aber auch dort wird natürlich der Maßstab gleich – ein Verlust von 5 Milliarden Euro. Dies kann bleiben, die Frage zu beantworten: Wirkt es wirklich, keine Sparpolitik ausgleichen. Es ist nicht das Er- und ist es handwerklich in Ordnung? gebnis gewollter Politik, sondern das Ergebnis eines handwerklich falschen Gesetzes. Wenn Sie dieses Sie haben den Bürgerinnen und Bürgern angekün- handwerklich falsche Gesetz nun ändern wollen, lade digt, das Hartz-Konzept 1:1 umzusetzen. Es ist immer ich Sie ein, es rasch zu tun. Sie werden auf offene eine gefährliche These, wenn man eine Kommission Ohren und auf Gesprächsbereitschaft stoßen. Aber von angeblich Unabhängigen oder jedenfalls nicht Sie dürfen nicht gleich wieder neue falsche Gesetze unmittelbar in die Verwaltungsabläufe Eingebunde- machen. Sie legen ein neues Finanzgesetz mit einem nen etwas vorschlagen lässt und dann behauptet, langen und interessanten Titel vor, das 48 Steuer- man könne es 1:1 umsetzen. Sie wissen – deshalb Ihre erhöhungen vorsieht. zeitliche Verzögerung –, dass das nicht 1:1 möglich ist. Ich will Ihnen ein Beispiel nennen. Sie ändern darin einen Punkt, den nie mehr als 2 % der Bürger in Der erste Punkt, den Sie in der Kaskadenpolitik, die Deutschland verstehen werden: Er betrifft die Frage wir zurzeit erleben, selbst zurückgenommen haben, der Organschaft bei der Gewerbesteuerzahlung. ist aus der Sicht von Herrn Hartz jedoch ein zentrales Mein sächsischer Kollege etwa sagt mir, dass, wenn Element für die Wirksamkeit gewesen. Es geht um die Sie das tun, 70 % der derzeitigen Gewerbesteuerzah- Frage, dass Sie in Zukunft Leiharbeitsverhältnisse an lungen in Sachsen in Zukunft nicht mehr geleistet Tarifverträge binden. Wenn Sie das bei den PSA ma- werden – mit Folgen für die Kommunen Sachsens, die chen, werden sie keine Kunden dafür finden. Wenn Sie sich ausrechnen können. Sie es für alle verpflichtend machen, werden Sie den Anteil der Leiharbeit in Deutschland infolge dieses Sie regeln dort einen Punkt in der Gesetzgebungs- Gesetzes reduzieren, anstatt ihn – ein Zustand, der in technik, den nicht einmal 0,2 % der Bürger jemals be- den Niederlanden besteht – prozentual zu erhöhen. merken werden: die Besteuerung von Auslands- Das ist eine der Fragestellungen, über die wir uns hier akquisitionen. Wenn Sie das tun, sage ich Ihnen: Mit natürlich streiten müssen. (D) (B) dem Finanzplatz im Hintergrund werden Sie keine einzige Auslandsholding mehr in der Bun- Sie werden mit dem Hartz-Konzept vorschlagen, desrepublik Deutschland haben. Sie wollen alleine dass die Kommunen keine eigene Funktion mehr in damit mehr als 3 Milliarden Euro einnehmen. Sie tun der Beschäftigungspolitik haben, weil alle prinzipiell Dinge, über die nachher wieder alle sagen werden: Erwerbsfähigen ausschließlich innerhalb der Struktur Um Gottes willen, das haben wir nicht gewusst. der Bundesanstalt für Arbeit betreut und verwaltet werden und die Kommunen sich nur noch mit denje- Sie dürfen aber nicht erwarten, dass der Bundesrat nigen zu befassen haben, die attestiert nicht erwerbs- bereit ist, im Schweinsgalopp handwerklich schlecht fähig sind. Das wird dramatische Folgen für Beschäf- gemachte Gesetze, die dramatische Schäden für Ge- tigungsgesellschaften in allen Bundesländern haben. meinden, Länder und letztlich den Bund zur Folge Es wird dramatische Folgen mit Blick auf die Frage haben, unter dem Gesichtspunkt der Bundestreue haben, ob es gemeinnützige Arbeit als ein Struktur- immer wieder einfach durchzuwinken. element von Angeboten überhaupt noch geben kann. Sehr verehrter Herr Bundeskanzler, ich sage Ihnen ausdrücklich: Ich reiche Ihnen die Hand – und viele Der Glaube, dass eine zentral geführte Bundes- andere auch –, wenn es um die Frage geht, Arbeits- behörde Beschäftigungspolitik vor Ort besser organi- marktreformen durchzuführen. Wir werden es nicht sieren kann, als Kommunen mit einem eigenen wirt- mit der Zusage an die Bevölkerung tun, dadurch schaftlichen Interesse das zurzeit tun, ist ein äußerst werde zwingend mehr Arbeit geschaffen. Wenn Sie es weiter Glaube an zentrale Organisationen, den ich nicht schaffen, mehr Wachstum zu erreichen, können jedenfalls nicht teile und, wie ich meine, im pragmati- Sie die Arbeit noch so oft verteilen, es bleibt immer schen Miteinander in Bezug auf das Konzept auch an- die Verteilung von vorhandener Arbeit. Die größte dere nicht. Herausforderung in Deutschland ist, erst einmal neue Herr Bundeskanzler, ich sage ausdrücklich: Wir Arbeit zu schaffen. Dazu werden Herr H a r t z und sind bereit, den Menschen die Möglichkeit zu mehr seine Kommission nichts Wesentliches beitragen kön- Freiheit, Selbstbestimmung und Lebensqualität zu nen, wie Ihnen alle, die sich fachlich damit beschäfti- eröffnen, wie Sie es in Anlehnung an Willy Brandt in gen, längst gesagt haben. Ihrer Regierungserklärung gesagt haben – auch in der Dennoch ist eine Reform des Arbeitsmarktes drin- Gesundheitspolitik, auch in der Rentenpolitik. Wir gend notwendig, dennoch brauchen wir mehr För- wissen, dass dies ein besonders schwieriges Feld ist. dern und Fordern. Darüber werden wir miteinander Denn die zustimmungsfreien Teile liegen in der Ver- reden. Es ist keine Frage der Blockade, sondern gera- antwortung, die die Wählerinnen und Wähler Ihnen Bundesrat – 782. Sitzung – 8. November 2002 493 Roland Koch (Hessen) (A) übertragen haben. Andere Dinge unterliegen unserer Sie werden entschuldigen, diese Fragen werden wir (C) Mitwirkung, etwa im Rahmen der Verantwortung für mit Ihnen erörtern in Verantwortung für einen Bun- unsere Krankenhäuser. desstaat, in dem wir Bundesländer in der Konsequenz von der Aufsicht über die Kassenärztliche Vereini- Trotzdem gilt dort, dass Sie über die Maßstäbe gung bis zur Situation in den Krankenhäusern Sorge dafür, was Freiheit, Selbstverantwortung und Lebens- dafür tragen, wie der einzelne Patient als Bürger mit qualität heißen, die Sie selbst gesetzt haben, auch im seinem Kummer und seinen Leiden tatsächlich ange- Bundesrat mit uns diskutieren müssen. Heißt das, nommen wird. dass man die Krankenkasse weniger frei wählen kann als in der Vergangenheit? Sie haben hier heute von Ich glaube, der Bundesrat ist gut beraten, wenn er mehr Wettbewerb gesprochen. Aber Ihre Ministerin die Herausforderungen in der Bildungspolitik an- untersagt doch gerade den Wettbewerb, indem sie nimmt, die eine Bundesregierung ihm stellt, so wie Wechseln der Krankenkasse das sogar mit rückwir- Sie gut beraten wären, wenn Sie die Herausforderun- kendem Stichtag zu unterbinden versucht. Ihre Minis- gen der Auseinandersetzung nicht unter dem Ge- terin hat gesagt, ihr reichten statt 300 auch 50 Kran- sichtspunkt „Ich bin gewählt, und ihr habt zu folgen“, kenkassen in Deutschland. Das ist ein machtvoller sondern unter dem Gesichtspunkt „Hier sind zwei Or- Hinweis darauf, dass man in Zukunft mehr Wettbe- gane eines guten Wettbewerbs bundesstaatlicher werb haben will. Ordnung“ annähmen. Ich glaube nicht, dass wir es Verehrter Herr Bundeskanzler, Sie erhöhen Pflicht- einem Bundeskanzler verwehren können, sollten, grenzen für die Versicherung auf Grund der augen- wollen, dass er über Bildungspolitik und die Frage, blicklichen mathematischen Notwendigkeiten der wo Deutschland dabei steht, diskutiert. Wenn die Finanzierung. Dann sagen Sie, dass es eine Notmaß- Bundesregierung meint, dass für Bildung mehr Geld nahme ist! Aber ein Mehr an Freiheit ist es nun doch ausgegeben werden muss, hat sie dafür Instrumente, wahrlich nicht. Über die Frage, ob wir damit – das ist und wenn sie diese nutzt, dann ist das eine Frage der wiederum unsere Verantwortung – eine bessere Qua- Partnerschaft. lität oder eine ausreichende Qualität der Gesund- heitsvorsorge für alle – das ist doch wohl auch Ihr Eines muss allerdings klar bleiben: Es gibt genug Ziel: für alle – gewährleisten können, muss hier dis- Bundesländer – ich glaube, es sind alle –, die auf dem kutiert werden. Recht bestehen, dieses Feld der Politik so zu gestalten, dass auch ein Stück Eigenheit jedes Bundeslandes er- Ich lade Sie herzlich ein: Gehen wir im Monat De- kennbar bleibt – nicht nur im Gesundheitswesen, son- zember durch die orthopädischen Abteilungen unse- dern überall ist Wettbewerb ein qualitätsförderndes rer Kreiskrankenhäuser – in Hessen oder in Nieder- Element und Einheitlichkeit ein qualitätslähmendes sachsen – und versuchen, einen Kassenpatienten zu (B) Element –, und auf dem Recht bestehen, der Einheit- (D) finden, der an der Hüfte operiert wird! Alle Beteilig- lichkeit entfernt zu bleiben. Der Einheitlichkeit ent- ten wissen, dass es auf Grund der Quotierung, dem fernt zu bleiben bedeutet: Wie man Ganztagsbetreu- Gegenteil von Freiheit und Selbstbestimmung, in- ung in Schulen organisiert, muss eine Frage des zwischen folgendermaßen ist: Wenn Sie eine Hüft- Wettbewerbs unter den Ländern bleiben. Wie man operation brauchen, liegen Sie in dem Quotenkor- das Schulsystem organisiert – gegliedert oder inte- ridor, so dass die Krankenhäuser spätestens Mitte November solche Operationen einstellen, weil sie griert –, sollte auch in Zukunft Angelegenheit der sonst finanziell bestraft werden. Sind Sie aber Privat- Länder bleiben. patient, können Sie natürlich zu dem Zeitpunkt ope- Ich denke, wir werden darauf bestehen, dass diese riert werden, der nach Ihrer Lebensplanung, nach verfassungsrechtliche Unterscheidung nicht ohne Ihrem Gesundheitszustand der richtige ist. eine Änderung der Verfassung aufgegeben wird. Ich Sie sind dabei, mit einem Gesetz die Preise für pa- glaube, man darf unterstellen, dass Sie am Ende auch tentgeschützte Arzneimittel zu kontingentieren – bereit sind, das zu akzeptieren. Es wird eben einen wahrlich kein Akt für mehr Freiheit! Der Tatsache, Streit darüber geben müssen, ob alle Kinder in dass man beschließt, dass ein Wirtschaftsunterneh- Deutschland in Ganztagsschulen gehen müssen oder men Rabatt gibt, liegt ohnehin eine etwas ungewöhn- ob es ein Angebot gibt, in Ganztagsschulen zu gehen. liche Vorstellung von Freiheit zu Grunde. Wenn Sie Es kann Bundesländer geben, in denen es so ist, und das bei patentgeschützten Medikamenten tun, wird Bundesländer, in denen es anders ist. Ich meine ohne- ein Teil der medizinischen Forschung – dazu kann ich hin, Herr Bundeskanzler, eine der Antworten, die wir etwas sagen; denn diese wird zu einem großen Teil in miteinander geben müssen, ist, dass es überall dort, meinem Bundesland durchgeführt – unter dem Ge- wo wir unterschiedlicher Meinung sind, klug ist, uns sichtspunkt, dass es ökonomisch nicht mehr vernünf- gegenseitig ein Stück Freiheit zu lassen. tig ist, Patente in Deutschland anzumelden, dieses Land verlassen, und zwar rasch. Dadurch wird der Einige unserer Kollegen sagen: Die Bildung kann Zugang von Kassenpatienten zu modernsten Medika- man über eine Vermögensteuer finanzieren. – Ich menten sehr bald eingeschränkt. Ein Privatpatient halte das für falsch. Aber ich weiß nicht, warum wird sich diese immer besorgen können, nicht aber wir nicht dazu kommen sollten, dass diese Entschei- derjenige, der Mitglied der gesetzlichen Krankenver- dung in den Bundesländern getroffen werden kann. sicherung ist. Ist das wirklich das, was Sie – in Anleh- Der Bund bekommt ohnehin nichts von dieser Steu- nung an Willy Brandt – unter Freiheit, Selbstbestim- er; dann lassen Sie uns den Wettbewerb doch austra- mung und Lebensqualität verstehen? gen! 494 Bundesrat – 782. Sitzung – 8. November 2002 Roland Koch (Hessen) (A) Ich würde gern in den Wettbewerb eintreten, ohne Präsident Prof. Dr. Wolfgang Böhmer: Herr Minis- (C) Vermögensteuer eine gute Bildungspolitik zu organi- terpräsident Beck (Rheinland-Pfalz) hat um das Wort sieren, und vielleicht auch Menschen bitten, sich in gebeten. Bitte. unserem Land anzusiedeln, die in anderen Ländern eine solche Steuer nicht zahlen wollen. Lassen Sie uns Kurt Beck (Rheinland-Pfalz): Verehrter Herr Präsi- doch den Wettbewerb beginnen! Es muss kein Zwang dent! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich sein. Nur, wenn es einen Wettbewerb gibt, wird nie- finde es gut, dass wir eine Debatte über unser Selbst- mand diese Steuer einführen, meine Damen und Her- verständnis führen, und ich finde es gut, dass dies im ren. Wir sollten gemeinsam erörtern, ob eine Steuer, Beisein des Herrn Bundeskanzlers geschieht. Deswe- die man nur bundeseinheitlich einführen kann, weil gen habe ich mich, wiewohl bei mir keine Landtags- sie im Wettbewerb nicht besteht, wirklich notwendig wahlen ins Haus stehen, in dieser Debatte zu Wort ge- und richtig ist. meldet. Zum Allgemeinen: Wir fangen heute natürlich nicht Ich meine, dass wir sehr wohl über die anstehenden in der Stunde null an – das habe ich im Zusammen- Herausforderungen miteinander streiten müssen, hang mit der Steuerpolitik bereits angedeutet –, son- dass wir dabei aber einige Grundvoraussetzungen, dern wir haben schon in der abgelaufenen Wahlperi- die den Hintergrund für unsere Aufgaben bilden, ode und in der Zeit davor eine kontroverse politische nicht aus den Augen verlieren dürfen. Im Hinblick auf Debatte geführt, in Zeiten, in denen Sie, Herr Bundes- das Befinden der Menschen, auf ihre eigene Einord- kanzler, und diejenigen politischen Kräfte, die Sie tra- nung halte ich es für gut, wenn wir bei einer solchen gen, mit bestimmten Grundaussagen dafür gesorgt Gelegenheit daran erinnern, dass wir in Deutschland haben, Bürgerinnen und Bürger zu überzeugen, so – bei aller Größe und Schwierigkeit der Probleme, die dass die Wahl des Deutschen Bundestages am zu lösen sind – in einer Gesamtsituation sind, um die 22. September mit dem bekannten Ergebnis ausge- uns alle Generationen vor uns auf das Heftigste be- gangen ist. neiden würden. Diese Situation ermöglicht es uns, dauerhaft in Frieden in Europa zu leben, einem Euro- Ich nenne Ihnen ein Beispiel, an das sich viele viel- pa, das nicht durch Mauern und Stacheldraht zerris- leicht erinnern. Das war die Zeitungsanzeige zu dem sen ist. Auf dieser Grundlage entstehen neue Mög- Thema „Rentenbeiträge“, über die wir hier im Bun- lichkeiten – nicht nur im ökonomischen Bereich, desrat diskutiert haben, mit dem Satz „Die Renten- sondern in allen Lebensbereichen –, sich aufeinander beiträge bleiben stabil“ und mit dem Vorwurf an zuzubewegen und eine Position zu bestimmen, die Herrn Kollegen Stoiber und an mich, die Renten- das Gewicht Europas gegenüber anderen Teilen der beiträge würden erhöht. Das war die Kombination. Welt verstärken kann. Das gibt den Menschen die (D) (B) Hoffnung, dass ihre Kinder und Enkel die Zukunft Nun wollen Sie in einem schnellen Gesetzgebungs- nicht auf Schutt und Trümmern aufbauen müssen. verfahren die Pflichtgrenze anheben und die Renten- Das ist eine glänzende Voraussetzung. beiträge erhöhen. Das ist wiederum keine Herausfor- Wir sollten die Alltagsfragen und die Herausfor- derung, sich an das Jahr 1997 zu erinnern, wenn Sie derungen im ökonomischen Bereich nicht so über- sich daran weniger erinnern, Herr Bundeskanzler, zeichnen, dass wir am Ende statt Hoffnung und Chan- sondern es ist eine Herausforderung, sich an die letz- cen nur noch Risiken, Negatives sehen, als bewegten ten vier Monate zu erinnern. Sie müssen bitte verste- wir uns in einem unerträglichen Jammertal. Ein Teil hen, dass unser Erinnerungsvermögen die letzten vier der Schwierigkeiten, vor denen wir stehen, hat neben Monate noch umfasst. Ich glaube, dass es auch vielen den objektiven internationalen Herausforderungen Bürgerinnen und Bürgern so ergeht. Wir sollten des- – sicherlich auch mancher nationalen Entscheidung – halb nicht vergessen, heute alles zu prüfen, was Sie damit zu tun, dass wir Bilder zeichnen, die immer damals für richtig oder sicher gehalten haben. dunkler, immer schwärzer werden. Dann dürfen wir Sie haben sich in der Regierungserklärung im Deut- uns nicht wundern, dass die Menschen keine Zuver- Kauf- und Investitionszurück- schen Bundestag auf John F. Kennedy bezogen. sicht mehr haben und haltung üben. Auch wir in diesem Hause tragen zum Ich werde versuchen, Ihnen mit Abraham Lincoln Teil Verantwortung dafür, dass die Dinge gelegentlich eine Antwort zu geben. Er hat gesagt: Man kann alle nur einseitig und aus der parteipolitischen Interessen- Leute einige Zeit zum Narren halten und einige Leute lage heraus überpointiert negativ dargestellt werden. alle Zeit. Aber alle Leute alle Zeit zum Narren halten kann man nicht. Ich möchte in diesem Zusammenhang ein Zweites ansprechen. Angesichts der Größe der Herausfor- Eine Folge von Wahlauseinandersetzung, Mehrheit derungen ist es für uns alle wichtig, durch eigenes und Legitimität wird auch sein, dass man nicht erwar- Finanzgebaren, durch die Haushaltsführung in den ten kann, dass Bundestreue darin besteht, alles zu Ländern zu signalisieren, dass nicht jede Interessen- vergessen, was vor vier Monaten gesagt worden ist. gruppe in dieser Gesellschaft unsere Unterstützung Deshalb ist es auch Aufgabe des Bundesrates, seine findet, nur weil man sich – ob in den Ländern oder im Kontrollfunktion wahrzunehmen. Rotgrün hat die Bund – gerade in der Opposition befindet, und nicht Mehrheit im Bundestag, aber Rotgrün braucht Kon- den Eindruck zu erwecken, als könne aus der Summe trolle. Auch das ist eine Verantwortung, die die zweite der Einzelinteressen ein gutes Ganzes werden. Wir Kammer des deutschen Parlamentarismus hat. – Vie- wissen sehr wohl, dass das nicht möglich ist. Wir müs- len Dank. sen aufpassen, dass wir nicht die falschen Signale set- Bundesrat – 782. Sitzung – 8. November 2002 495 Kurt Beck (Rheinland-Pfalz) (A) zen, wenn wir solche Diskussionen führen; denn sol- zu zweifeln. Lassen Sie uns darüber noch einmal (C) che Signale, die wir durch unser eigenes Verhalten nachdenken und nicht jede Chance zur Konfrontation – nicht nur in diesem Haus, gegenüber der Bundes- nutzen! tagsmehrheit und der Bundesregierung – aussenden, (Vereinzelt Lachen) würden uns sehr schnell einholen. – Herr Kollege Dr. Stoiber, ich weiß nicht, was es da Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich teile zu lachen gibt. die Auffassung, die hier ausgedrückt worden ist, dass wir nicht in einer Zeit leben, in der Steueranhebun- (Dr. Edmund Stoiber [Bayern]: Ich gen geboten sind. Ich meine aber nicht, dass man erkläre es Ihnen!) alles, was mit einer Bereinigung des Steuerrechts, mit – Ich weiß nicht, ob es Ihnen gelingt, einem Bürger in gerechter Besteuerung zu tun hat, von vornherein Bayern zu erklären, dass die Mehrheit im Parlament verdammen darf, dass darüber nicht nachgedacht nicht der Mehrheit in den Ausschüssen gleichen soll. werden darf. Wir müssen auch an dieser Stelle über Das können Sie niemandem verstandesmäßig erklä- solche Fragen vernünftig miteinander reden können; ren. Das mag in Ihr politisches Konzept passen, aber denn am Ende würden es uns die Bürgerinnen und Bürger zu Recht nicht abnehmen, dass uns zur Bewäl- vermittelbar ist es nicht. tigung der Herausforderungen z. B. im Bereich der in- Meine Damen und Herren, ich möchte noch den neren Sicherheit – sie sind vor dem Hintergrund der Punkt „Bildungspolitik“ aufgreifen. Ich bedanke mich aktuellen terroristischen Entwicklung, die wir erleben bei der Bundesregierung dafür, dass sie in Aussicht müssen, weiß Gott nicht gering – die Finanzen fehlen. gestellt hat, über einen Zeitraum von vier Jahren Das gilt auch für andere Bereiche, etwa das Thema 4 Milliarden Euro für die flächendeckende Einfüh- „Bildung“. rung der Ganztagsschule zur Verfügung zu stellen. Es gibt von unserer Seite das klare Bekenntnis, dass Wir dürfen keine Pappkameraden in die Landschaft wir die Konsolidierungsbemühungen auf Bundes- stellen: Von einem Zwang, die Ganztagsschule zu be- und auf Länderebene fortsetzen. In diesem Ziel dür- suchen, hat niemand geredet; das wird auch niemand fen wir uns nicht auseinander dividieren lassen, so tun. Es geht um die Umsetzung dessen – in Rhein- dass es uns – bei allen Unterschieden im Einzelnen – land-Pfalz sind wir bereits dabei –, was auf Grund Gruppeninteressen am Ende unmöglich machen zu einer Untersuchung, die die deutsche Wirtschaft in handeln. Auftrag gegeben hat, ermittelt worden ist. Danach Wenn man in die Einzelheiten geht, muss man Fol- sollte etwa an jeder fünften Schule ein solches Ange- gendes feststellen: Wir täten gut daran, wenn wir in- bot vorgehalten werden. Es dient der Chancenge- (B) nerhalb und außerhalb dieses Hauses die Vorschläge rechtigkeit für die unterschiedlichen Begabungen: (D) der Bundesregierung zunächst einmal prüfen, statt in Leistungsschwächere Schüler können stärker unter- Bausch und Bogen ablehnen würden, noch ehe es stützt, leistungsstärkere besonders gefördert werden; eine Vorlage gibt. Diese Reihenfolge kann nicht dazu Kinder, die nicht deutschsprachig aufgewachsen sind, führen, Kompromisse, die wir am Ende finden müs- können an das hiesige Sprachniveau herangeführt sen, auch zu erreichen. Kompromisse sind nicht nur werden. Vieles andere ist möglich. im Interesse des Ganzen, des Bundes, sondern auch Es geht darüber hinaus darum, insbesondere Frau- im Interesse unserer Länder und Kommunen not- en ein Stück weit Gerechtigkeit zu verschaffen, näm- wendig, um im Sozialbereich und im wirtschaftlichen lich es ihnen zu ermöglichen, Familie und Beruf zu Bereich – Stichwort: Arbeitsmarktsituation – zu Lö- vereinbaren. Jede Entscheidung – Familie und Beruf sungen zu kommen. Daran kann es keinen Zweifel oder Familie oder Beruf – verdient den gleichen Res- geben. Deshalb dürfen zu Beginn einer Legislatur- pekt. Aber wir müssen Angebote machen, damit die periode des Bundestages keine Gräben aufgerissen freie Entscheidung der Familien auch Realität werden werden. Wir müssen uns die Möglichkeit erhalten, kann. Wenn uns der Bund dabei hilft, nehme ich die aus Gräben, soweit sie vorhanden sind, herauszukom- ausgestreckte Hand sehr gern; denn in dieser Runde men, wir dürfen keine neuen schaffen. wird sicherlich niemand in Abrede stellen, dass wir Herr Kollege Koch, Sie haben die Zusammenset- jeden Euro gut gebrauchen können. zung des Vermittlungsausschusses auf Seiten des Meine Damen und Herren, wenn gefordert wird, Bundestages angesprochen. Dazu muss ich ehrlich jedem Land die Möglichkeit zu eröffnen, den Weg zu sagen: Ein Demokratieverständnis, das davon aus- gehen, der von der jeweiligen Mehrheit als richtig er- geht, dass sich die Mehrheit im Parlament nicht auch achtet wird, habe ich damit kein Problem. Ich schlage in den Ausschüssen widerspiegelt, ist für mich nicht Ihnen vor, darüber nachzudenken, das Angebot des einsichtig. Ich kann mir nicht vorstellen, dass das Bundes in der Weise aufzunehmen, dass wir auf der ernsthaft gemeint ist, und bitte deshalb herzlich da- Grundlage von Artikel 106 des Grundgesetzes staats- rum, noch einmal zu überlegen, ob man dies mit einer vertragliche Vereinbarungen mit dem Bund treffen. Verfassungsklage einfordern sollte. Dann kann man sagen: Wer Angebote machen will, Es gibt eine Mehrheit. Auch eine knappe Mehrheit kann mit dem Bund einen Staatsvertrag abschließen; ist eine Mehrheit. Sie muss sich in den Ausschüssen er erhält seinen Anteil entsprechend der Kinderzahl, widerspiegeln. Ich bin kein Jurist, aber wenn diese die in den Ländern ermittelt worden ist. Auf diese Art Grunderkenntnis nicht mehr richtig sein soll, dann und Weise kann jeder mitmachen. Wer nicht mit- beginne ich an meinem gesunden Menschenverstand macht, muss seinen Bürgern aber erklären warum. 496 Bundesrat – 782. Sitzung – 8. November 2002 Kurt Beck (Rheinland-Pfalz) (A) Ich möchte Ihnen vorschlagen, diesen Weg zu spielt, nicht aus der Interessenlage einiger bestimmt (C) gehen. Dann ist niemand in seiner Freiheit, die so- wird, die das Glück einer besseren Ausgangsposition eben sehr strapaziert worden ist, eingeschränkt, mit- hatten, während die übrigen als diejenigen hingestellt zumachen oder nicht. Ich bitte Sie, dass wir darüber werden, die den Wettbewerb scheuen. Chancen- miteinander nachdenken. gleichheit ist die Grundlage für jeden Wettbewerb. Sonst können die Ergebnisse auch nicht vernünftig Wir sollten im Zusammenhang mit dem Begriff miteinander verglichen werden. „freiheitliche Lösung“ – wer wollte dagegen sein? – ins Bewusstsein rücken, dass Freiheit immer auch mit Ich möchte an uns alle appellieren, die nächsten der Chance verbunden sein muss, dass sie für alle gilt, Wochen, Monate und Jahre dazu zu nutzen, den Men- die in diesem System vernünftig leben wollen. Wenn schen in Deutschland zu signalisieren: In diesem jeder Mann und jede Frau – um das Beispiel aufzu- Haus geht es, wie es über viele Jahre hinweg der Fall nehmen, das Herr Kollege Koch angesprochen hat – gewesen ist, um vernünftige Lösungen. Die parteipo- die Krankenkasse ohne Bedingungen wechseln kön- litische Betrachtung kann natürlich auch hier nicht nen soll, wissen wir doch alle, was dies am Ende be- völlig außen vor bleiben – wir wollen den Leuten kein deutet: Die gesetzlichen Krankenkassen, die AOKen, X für ein U vormachen –, aber wir haben doch immer mit allen schlechten Risiken blieben übrig und könn- wieder die Kraft, aus der eigenen Verantwortung he- ten am Ende nichts mehr finanzieren. Ich würde von raus, auch aus der parteipolitisch unterschiedlich den Kolleginnen und Kollegen aus den neuen Bun- gestreuten Verantwortung in der Bundesrepublik desländern gerne erfahren, wie sie ohne Risikostruk- Deutschland heraus Lösungen zu finden, die am Ende turausgleich die Gesundheitsversorgung aufrechter- nach vorne führen. Wir sollten nicht alles, was von der halten wollen. Mehrheit des Bundestages oder der Bundesregierung kommt, von vornherein ablehnen. Umgekehrt plä- So kann man mit dem Freiheitsbegriff nicht umge- diere ich dafür, dass das, was Ausdruck der Mehrheit hen. Man darf ihn nicht absolut setzen und die Rah- dieses Hauses ist, im Bundestag und bei der Bundes- menbedingungen nicht mit erwähnen. Ich bin mir si- regierung auf offene Ohren trifft. cher, Sie sehen sie; aber sie nicht zu erwähnen ist nicht akzeptabel in einer solchen Debatte. Es bedarf In diesem Sinne, meine Damen und Herren, lassen des Ausgleichs und einer Grundregelung. Auf dieser Sie uns die Schwarzmalerei nicht übertreiben, sondern Basis muss dann so viel freie Entscheidung wie mög- die Herausforderungen sehen, aber auch die Chancen, lich gelassen werden. Alles andere wird am Ende mit denen wir leben, immer wieder betonen! nicht zu einer freiheitlichen Regelung für eine große Zahl der Bürgerinnen und Bürger in Deutschland Präsident Prof. Dr. Wolfgang Böhmer: Weitere führen. Wortmeldungen liegen nicht vor. (D) (B) Verehrte Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Ich rufe Tagesordnungspunkt 2 auf: Kollegen, gestatten Sie mir eine Bemerkung zum Wettbewerbsföderalismus! Ich möchte gern unter- Geschäftsordnungen für den Vermittlungsaus- streichen, was der Herr Präsident in seiner Antritts- schuss, für den Gemeinsamen Ausschuss und rede gesagt hat. Es ist im Interesse des Föderalismus, für das Verfahren nach Artikel 115d des des Ringens um den besseren Weg, des Voneinander- Grundgesetzes (Drucksache 792/02) lernens, des Ausgestaltens der unterschiedlichen Vo- Der Bundestag hat am 17. Oktober 2002 beschlos- raussetzungen in den verschiedenen Teilen der Bun- sen, die Geschäftsordnung für den Vermittlungsaus- desrepublik Deutschland sicherlich wünschenswert, schuss mit einer Änderung und die Geschäftsordnun- dass wir uns auch einem Wettbewerb untereinander gen für den Gemeinsamen Ausschuss sowie für das aussetzen. Doch zunächst einmal müssen wir uns bei Verfahren nach Artikel 115d des Grundgesetzes un- den Startchancen aufeinander zubewegen. verändert für die 15. Wahlperiode zu übernehmen. In den neuen Ländern wird dies besonders deutlich. Sie bedürfen der Zustimmung des Bundesrates. Aber auch das Land, aus dem ich komme, kann man Wer den drei Geschäftsordnungen in der vom nicht einfach mit anderen Regionen gleichsetzen. In Bundestag beschlossenen Fassung zuzustimmen Rheinland-Pfalz hat es nach dem Krieg keine einzige wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. – Dies ist Hochschule gegeben, dort ist aus dem Nichts eine die Mehrheit. Hochschullandschaft entstanden. Man muss zuerst den Nachholbedarf aufarbeiten, auch durch die Dann ist so beschlossen. Mischfinanzierung, die vom Bund angeboten wird. Ich rufe Tagesordnungspunkt 3 auf: Dann bin ich sehr dafür, dass sich die Hochschulland- schaften in den Regionen untereinander messen. Entwurf eines Gesetzes zur Aufhebung des Ge- Wenn der Startnachteil durch gemeinschaftliche In- setzes zur Modulation von Direktzahlungen im teressen und durch gemeinschaftlichen Interessen- Rahmen der Gemeinsamen Agrarpolitik und zur ausgleich aufgearbeitet ist, können wir über Wettbe- Änderung des GAK-Gesetzes – Antrag der Län- werbsföderalismus reden, aber nicht aus dem Stand der Bayern, Baden-Württemberg, Sachsen, Sach- heraus und weil es einigen auf Grund ihrer Situation sen-Anhalt, Thüringen – (Drucksache 775/02) gerade zupass kommt. Dem Antrag der Länder Bayern, Baden-Württem- Ich bitte sehr darum, dass die Diskussion über die berg, Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen sind Frage, welche Rolle der Föderalismus in Europa, das die Länder Hamburg, Hessen und das Saarland bei- immer stärker in unsere Alltagswelt hineinwirkt, getreten. Bundesrat – 782. Sitzung – 8. November 2002 497 Präsident Prof. Dr. Wolfgang Böhmer

(A) Dazu geben je eine Erklärung zu Protokoll*): Herr resdurchschnitt weit höher als alle Prognosen der (C) Staatsminister Miller (Bayern), Herr Minister Stächele Bundesregierung liegen: bei mehr als 4,1 Millionen. (Baden-Württemberg) und Herr Parlamentarischer Staatssekretär Dr. Thalheim (BMVEL). – Weitere Wort- Während die Hand des Kanzlers noch gemächlich meldungen sind nicht angezeigt. ruhte, während das großartige Job-AQTIV-Gesetz – wie viele sind dadurch eigentlich vermittelt worden? – Dann kommen wir zur Abstimmung. Dazu liegen zu einem bürokratischen Flop wurde, haben wir im Ihnen die Ausschussempfehlungen in Drucksache Februar dieses Jahres Vorschläge unterbreitet, wie 775/1/02 vor. Ich rufe auf: insbesondere im Niedriglohnbereich neue Beschäfti- gung geschaffen werden kann. Ziffern 1 und 2 gemeinsam! Wer zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. – Dies ist die Mehrheit. Unsere Vorschläge sind als 3-Säulen-Modell be- Damit hat der Bundesrat beschlossen, den Gesetz- kannt. Die Grundgedanken, die wir seinerzeit ent- entwurf beim Deutschen Bundestag einzubringen wickelt haben, bringen wir heute in Gesetzesform in und ihn als besonders eilbedürftig zu erklären. den Bundesrat ein. Im Gesetzentwurf zur Aktivierung kleiner Jobs werden die Säulen 1 und 2, im Gesetz- Herr Staatsminister Josef Miller (Bayern) wird zum entwurf zum Fördern und Fordern arbeitsfähiger So- Beauftragten bestellt. zialhilfeempfänger und Arbeitslosenhilfebezieher Zur gemeinsamen Beratung rufe ich die Punkte 20 wird die Säule 3 umgesetzt. Ich skizziere knapp unse- und 21 auf: re Vorschläge: 20. Entwurf eines Gesetzes zur Aktivierung kleiner Wir wollen – erstens – die Geringfügigkeitsgrenze Jobs (Kleine-Jobs-Gesetz) – Antrag des Frei- auf 400 Euro anheben. Diese Beschäftigungsverhält- staates Bayern gemäß § 36 Abs. 2 GO BR – nisse werden, wie früher, von der Sozialversiche- (Drucksache 803/02) rungspflicht freigestellt. Der Arbeitgeber zahlt ledig- lich eine Pauschalsteuer in Höhe von 20 %. Für den in Verbindung mit Beschäftigten heißt dies: Er bekommt 400 Euro brutto 21. Entwurf eines Gesetzes zum Fördern und For- für netto. dern arbeitsfähiger Sozialhilfeempfänger und Wir wollen – zweitens – bei Beschäftigungsverhält- Arbeitslosenhilfebezieher (Fördern-und-For- nissen von 400 bis 800 Euro pro Monat – sie gibt es dern-Gesetz) – Antrag des Freistaates Bayern regulär praktisch nicht, sondern nur in der Schwarz- gemäß § 36 Abs. 2 GO BR – (Drucksache 804/ arbeit – die Sozialversicherungsabgaben linear von 02) null bis zum üblichen Beitragssatz bei 800 Euro anhe- (B) Dem Antrag des Freistaates Bayern unter Punkt 21 ben. Damit wird die Belastung des Arbeitnehmers mit (D) ist das Land Baden-Württemberg beigetreten. Sozialversicherungsabgaben in diesem Bereich deut- lich reduziert. Das heißt, es lohnt sich wieder, Jobs bis Das Wort hat Herr Ministerpräsident Stoiber. Bitte zu 800 Euro regulär anzunehmen. schön. Schließlich wollen wir – drittens – dem Prinzip des Dr. Edmund Stoiber (Bayern): Herr Präsident! Der Förderns und Forderns einen neuen Stellenwert ver- schaffen und hier klarere Konturen setzen. Wir wollen Bundeskanzler hat in seinem Beitrag die überragende über Kombilöhne wie über Sanktionen die Arbeitsan- Bedeutung der Bekämpfung der Arbeitslosigkeit he- reize für arbeitsfähige Hilfeempfänger stärken, auch rausgestellt. Wir wollen mit unseren Gesetzesanträgen nach dem Motto: Wer arbeitet, soll mehr in der Tasche einen Beitrag dazu leisten. Dieser Beitrag ist aktueller haben als derjenige, der nicht arbeitet. denn je; denn die höchste Arbeitslosigkeit seit fünf Jah- ren im Oktober 2002 ist erneut alarmierend. Wenn Damit können hunderttausende von Menschen man darauf hinweist, Herr Kollege Beck, ist man kein ohne bürokratischen Aufwand und ohne Überregle- Miesmacher, sondern man nennt nur die Realitäten, mentierung in Arbeit gebracht werden. die Handeln erfordern. Ich habe gesagt, dass der Arbeitsmarkt durch Rot- Man kann über das Hartz-Konzept sehr unterschied- grün vier Jahre lang weiter verriegelt worden ist. licher Meinung sein – in der Gesamtheit und in ein- Kurz vor der Wahl wurde dann das so genannte zelnen Vorschlägen. Aber eines ist auch klar: Das Hartz-Konzept – darüber werden wir auch in diesem Hartz-Konzept sagt deutlich aus, dass vier Jahre Rot- Hause noch intensiv reden – auf den Tisch gelegt. 1:1, grün den Arbeitsmarkt verkrustet haben; sonst wie der Kanzler gestern wieder gesagt hat, solle es wären die Hartz-Kommission und ihr Konzept nicht umgesetzt werden. Doch wie so oft in den letzten Wo- notwendig gewesen. chen ist die Halbwertszeit dieser Aussage immer kür- Regelungen von Rotgrün zur Scheinselbstständig- zer geworden. Von 1:1 kann keine Rede mehr sein. keit, zur Teilzeit, zu den 630-DM-Jobs und zur Mitbe- Das Konzept wurde bei dem Thema „Bezahlung der stimmung haben immer mehr Bürokratie, aber immer Leiharbeiter“ bereits verwässert und zerrupft. Die weniger Arbeit gebracht. Die Arbeitslosigkeit hat im Bundesregierung bringt auch die Leiharbeit durch die Jahre 2002 dramatisch zugenommen. Sie wird im Jah- tarifliche Entlohnung auf null; denn sie nimmt ihr den entscheidenden Wettbewerbsvorteil. Teure Leiharbeit verringert die Chancen insbesondere von Langzeitar- *) Anlagen 1 bis 3 beitslosen, Ungelernten und Schwerbehinderten. 498 Bundesrat – 782. Sitzung – 8. November 2002 Dr. Edmund Stoiber (Bayern) (A) Gestern ist im Bundestag gesagt worden, das sei Gewiss ist, dass die Bundesregierung durch die Er- (C) nicht 1:1, sondern 1:0 für die Gewerkschaften. Da ist höhung der Sozialversicherungsbeiträge auf breiter sehr viel dran. Das bedeutet, dass dies letzten Endes Front Arbeitnehmer und Arbeitgeber zusätzlich belas- nicht zu mehr Arbeit führen wird. tet. Dies ist Gift für die Schaffung neuer Arbeitsplätze. Unabhängig davon befürchte ich – und viele renom- Die Probleme am Arbeitsmarkt lassen sich nicht da- mierte Institute und Ökonomen –, dass die „größte durch lösen, dass man die Verwaltung der Arbeitslo- Arbeitsmarktreform seit Bestehen der Bundesrepu- sigkeit verbessert und die Arbeitslosenstatistik blik“, wie das Hartz-Konzept angekündigt wurde, die schönt. Hauptproblem ist nicht die Vermittlung von Erwartungen nicht erfüllt. Denn das Konzept springt Arbeitslosen, Hauptproblem ist der Mangel an Ar- zu kurz: Der Niedriglohnbereich ist zu eng gefasst. Er beitsplätzen. muss auf breiter Front und unbürokratisch gefördert Meine Damen, meine Herren, was Deutschland werden. Er darf zudem nicht auf ein so enges Feld wie dringend braucht, sind neue Arbeitsplätze. Sie ent- den Privathaushalt begrenzt werden. stehen durch neue Betriebe, durch neue Technolo- Nach dem Willen von Rotgrün setzt bereits bei gien, durch Innovationen. Dafür erkenne ich in den 500 Euro die Abgabenlast ein. Damit wird die Zahl jetzigen Plänen der Bundesregierung keinen Ansatz. der geringfügigen Beschäftigungsverhältnisse nicht Wir werden leider sehen, dass die Pläne nichts bewir- vermehrt, sondern eindeutig verringert. Man muss ken. sich einmal vorstellen: Wenn man 500-Euro-Beschäf- Die Bundesregierung testet letzten Endes die Belas- tigungsverhältnisse an Stelle der 325-Euro-Beschäfti- tungsfähigkeit von Wirtschaft und Bürgern weiter, ob- gungsverhältnisse im Niedriglohnbereich nur in wohl Monat für Monat mehr Firmen Pleite gehen, ob- Haushalten zulässt, brauchen wir wiederum ein Heer wohl Monat für Monat die Steuereinnahmen bei von Beamten, die kontrollieren, ob das 500-Euro-Ar- Bund, Ländern und Gemeinden sinken, obwohl beitsverhältnis zulässig ist oder nicht. Ich kann mir Monat für Monat mehr Jugendliche den Osten unse- die Streitigkeiten bei den Sozialgerichten vorstellen. res Landes verlassen, obwohl der Arbeitsmarkt im Es kann nicht sinnvoll sein, etwas zu schaffen, was Oktober bedrohlich stagniert und uns ein harter Win- mehr Bürokratie hervorruft, obwohl wir gleichzeitig ter bevorsteht. mehr Entbürokratisierung erreichen wollen. Diese Regierung hangelt sich ziel- und orientie- Meine Damen und Herren, es ändert sich nichts, rungslos mit Notgesetzen und Notverordnungen von wenn Arbeitslose in Angestellte einer Personal-Ser- Woche zu Woche. Sie wird damit die Zukunft unseres vice-Agentur umgetauft werden. Das ist für mich Landes nicht positiv gestalten. Etikettenschwindel, kein Abbau von Arbeitslosigkeit. Wir wenden uns nicht gegen die Einrichtung von (B) Es ändert sich nichts, wenn Arbeitslosengeld als Ge- Job-Centern, nicht gegen die Verschärfung von Zu- (D) halt ausgegeben wird. Es ändert sich nichts, wenn nur mutbarkeitsregelungen, nicht gegen Bürokratieabbau schneller vermittelt, aber nicht zusätzlich neue Ar- und auch nicht gegen sinnvolle Einsparungen bei der beitsplätze geschaffen werden. Bundesanstalt für Arbeit. Da werden wir sicherlich Wie sieht denn die Realität aus? Den 3,9 Millionen punktuell zu Übereinstimmungen kommen. Was wir aber brauchen, sind eine echte Flexibilisierung des Arbeitslosen im Oktober stehen gerade einmal Arbeitsmarktes, strukturelle Reformen, nicht bloßes 380 000 offene Stellen gegenüber. Im Osten ist die Stückwerk. Relation um ein Vielfaches schlechter: 1,3 Millionen Arbeitslose zu rund 61 000 offenen Stellen. Das Land Im Gegensatz zur Bundesregierung legen wir heute braucht in erster Linie neue Arbeitsplätze, nicht nur mit dem 3-Säulen-Modell ein in sich stimmiges Ge- eine bessere Verteilung von Arbeit. samtkonzept vor, das weniger Bürokratie und Regle- mentierung für den Niedriglohnbereich, dafür aber Meine Damen, meine Herren, der neue Arbeitsmi- mehr Arbeit für tausende von Arbeitslosen verspricht; nister sagt nicht, wie er Existenzgründungen auf brei- denn in diesem Bereich – er ist der einzige – sind Ar- ter Front fördern möchte. Dadurch würden Arbeits- beitsplätze vorhanden. Sie würden angeboten, wenn plätze entstehen. die Regelungen nicht zu kompliziert und die Arbeits- Der neue Arbeitsminister sagt nicht, wie er den Mit- plätze nicht zu teuer wären. Gegenwärtig werden sie telstand, unseren Jobmotor Nummer eins – da sind hauptsächlich auf dem Schwarzmarkt angeboten und Arbeitsplätze geschaffen worden, da werden Arbeits- auch angenommen. Das ist im Übrigen das Einzige, plätze geschaffen –, wieder zum Laufen bringen möch- was bei uns wächst. Die Tatsache, dass bereits mehr te. als 350 Milliarden Euro im Jahr auf dem Schwarzar- beitssektor umgesetzt werden, zeigt, wo wir eigent- Wir brauchen eine Politik, die auf Wirtschafts- lich stehen. Deswegen ist es notwendig, Ansätze ge- wachstum setzt. Bei einem Wirtschaftswachstum von rade im Niedriglohnbereich, die breit diskutiert 0,5 % entsteht in Deutschland auf Grund unserer worden sind, zu verwirklichen. Dazu wollen wir einen hohen Beschäftigungsschwelle nun einmal kein einzi- Beitrag leisten. ger neuer Arbeitsplatz. Selbst wenn im nächsten Jahr das prognostizierte Wirtschaftswachstum von 1,4 % Präsident Prof. Dr. Wolfgang Böhmer: Weitere eintritt, was angesichts des Abgaben- und Steuerer- Wortmeldungen liegen nicht vor. höhungsprogramms von Rotgrün, euphemistisch be- schrieben, mehr als ungewiss ist, wird kein einziger Die Vorlage unter Punkt 20 weise ich folgenden neuer Arbeitsplatz entstehen. Ausschüssen zu: dem Ausschuss für Arbeit und Bundesrat – 782. Sitzung – 8. November 2002 499 Präsident Prof. Dr. Wolfgang Böhmer (A) Sozialpolitik – federführend –, dem Ausschuss für denen es sich auch um Strukturprobleme handelt, an- (C) Frauen und Jugend, dem Finanzausschuss, dem Ge- zugehen und die Reformbereitschaft ernst zu nehmen. sundheitsausschuss und dem Wirtschaftsausschuss – Dafür bietet unser Gesetzentwurf eine gute Grundla- mitberatend. ge; denn durch ihn wird genau das geschaffen, wo- rüber wir heute Morgen bereits diskutiert haben, näm- Die Vorlage unter Punkt 21 weise ich folgenden lich eigene Handlungsmöglichkeiten für die Länder. Ausschüssen zu: dem Ausschuss für Arbeit und Sozi- Wir müssen um den bestmöglichen Weg ringen, um alpolitik – federführend –, dem Ausschuss für Frauen die Chancen der Geringqualifizierten zu verbessern. und Jugend, dem Finanzausschuss, dem Ausschuss Es muss – im Gegensatz zu Hartz – verhindert werden, für Innere Angelegenheiten, dem Kulturausschuss dass Verschiebebahnhöfe entstehen, indem die Ar- und dem Wirtschaftsausschuss – mitberatend. beitslosen- und Sozialhilfe nur bei den Arbeitsämtern Ich rufe Tagesordnungspunkt 22 auf: angesiedelt wird; das muss offen gehalten werden. Die Federführung muss auch den Sozialhilfeträgern über- Entwurf eines Gesetzes zum optimalen För- lassen werden. dern und Fordern in Vermittlungsagenturen (OFFENSIV-Gesetz) – Antrag des Landes Hes- Bei den Sozialhilfeträgern gibt es länderübergrei- sen gemäß § 36 Abs. 2 GO BR – (Drucksache fend Stimmen, die sagen: Wir haben ein eigenes 812/02) Interesse, es darf nicht alles auf die Bundesanstalt für Arbeit, auf die Arbeitsämter verlagert werden. – Als Der Entwurf ist bereits in der letzten Legislaturperi- diejenigen, die heute die Sozialhilfelasten tragen, ode beim Bundestag eingebracht worden. müssen sie daran beteiligt werden, Beschäftigungs- Eine Wortmeldung liegt von Frau Staatsministerin möglichkeiten für Geringqualifizierte vor Ort aufzu- Lautenschläger (Hessen) vor. Bitte. zeigen; denn wenn von der Bundesanstalt für Arbeit entschieden wird, dass jemand nicht mehr arbeits- fähig ist, haben sie die Sozialhilfelasten aufs Neue zu Silke Lautenschläger (Hessen): Herr Präsident, tragen. Die Folge ist ein Drehtüreffekt; niemand wird meine Damen und Herren! Der Handlungsdruck ist, in Arbeit gebracht, neue Verschiebebahnhöfe entste- seitdem wir unsere Vorlage erstmals im Bundesrat hen. Zudem hätten die Länder keine eigenen Hand- eingebracht haben, gestiegen. Massenarbeitslosig- lungsmöglichkeiten, und vor allem der Wettbewerb keit, die Reform der sozialen Sicherungssysteme und würde an dieser Stelle keine Rolle spielen. vor allem die Reform der Arbeitslosen- und der So- zialhilfe sind nach wie vor Themen, die dringend an- Die sozialen Sicherungssysteme sind an die Wand gegangen werden müssen, um neue Beschäftigungs- gefahren. Dies wird allein daran deutlich, dass die chancen gerade für Geringqualifizierte zu schaffen. Rentenbeiträge steigen. Deswegen muss aus unserer (B) Sicht die Chance ergriffen werden – es darf nicht wei- (D) Seit der letzten Beratung im Bundesrat verzeichnen ter abgewartet werden –, Arbeitslosenhilfe und So- wir weiter steigende Sozialhilfeausgaben, bedingt zialhilfe schnell zusammenzuführen. Es muss ermög- durch die hohe Arbeitslosigkeit und die daniederlie- licht werden, dass Job-Center unter unterschiedlicher gende Konjunktur. Die Chancen der Sozialhilfe- und Federführung gegründet werden. Das kann das Ar- der Arbeitslosenhilfeempfänger haben sich in dieser beitsamt sein, das kann der Sozialhilfeträger sein. Ich Zeit nochmals dramatisch verschlechtert. Die Zusam- lege Wert darauf, dass es auch ein Dritter sein kann, menlegung der beiden Systeme ist eine Grundvoraus- etwa eine gemeinnützige Organisation, die sich setzung, um besser vermitteln zu können, um Büro- darum bemüht, besser zu vermitteln. Damit wird auf kratie abzubauen, um tatsächlich zu einem Case- der einen Seite den Ländern und Kommunen der Management zu kommen und dem Prinzip von Leis- Wettbewerb um die beste Vermittlung und die ge- tung und Gegenleistung wieder Ausdruck zu verlei- ringste Bürokratie, auf der anderen Seite werden den- hen. jenigen, die heute in der Sozialhilfe sind, die besten Nun hat die Bundesregierung das Hartz-Konzept Möglichkeiten eröffnet. vorgelegt. Darin werden Teile unseres Gesetzent- Diese Auffassung haben wir vor dem 22. September wurfs aufgegriffen, aber eben nur Teile. Es springt zu vertreten, und sie ist noch gültig. Nachdem die Ar- kurz, wenn die grundlegende Reform von Arbeitslo- beitslosigkeit weiter aus dem Ruder läuft, die Kon- sen- und Sozialhilfe noch einmal verschoben wird. junktur brachliegt und die Bürokratie in den Syste- Wir haben an dieser Stelle sehr frühzeitig neue Wege men nicht abgebaut wird, sondern höchstens die aufgezeigt, um die notwendigen Reformen wirklich Beiträge erhöht werden, hoffe ich, dass nun die Chance durchführen zu können. besteht, zu mehr Wettbewerb unter den Ländern zu kommen – das muss für diese Kammer ein sehr wich- Reformbereitschaft zwar zu signalisieren, die Refor- tiger Aspekt sein –, die Systeme zusammenzulegen men aber nicht anzupacken, das war bereits in der und gleichzeitig das Entstehen neuer Verschiebe- vergangenen Legislaturperiode, vor dem 22. Septem- bahnhöfe zu verhindern. Die Arbeitslosenhilfe- und ber, ein Markenzeichen der Bundesregierung. Sie hat Sozialhilfereform, die wir vorsehen – Gründung von unseren Gesetzesvorschlägen trotz hoher Arbeits- Job-Centern, bessere Vermittlung, Eingliederungs- losigkeit und der Tatsache, dass sich alle über die vereinbarung, aber auch das Prinzip von Leistung und dringende Notwendigkeit einer Reform der Arbeits- Gegenleistung –, bietet die Möglichkeit, schneller aus losen- und Sozialhilfe einig waren, nicht zugestimmt. der Sozialhilfe und der Arbeitslosenhilfe wieder he- Nach der Wahl eröffnen sich vielleicht neue Chan- rauszukommen. Wer sich dem verpflichtet, tritt auch cen, um die Probleme auf dem Arbeitsmarkt, bei dem Thema „soziale Hängematte“ entgegen. 500 Bundesrat – 782. Sitzung – 8. November 2002 Silke Lautenschläger (Hessen) (A) Hand in Hand mit der Reform müssen Impulse in Christa Stewens (Bayern): Herr Präsident! Meine (C) der Wirtschaft gesetzt werden. Allein die Reform der Kolleginnen und Kollegen! Bereits in seinem Be- Systeme, wie sie auch von der Hartz-Kommission zum schluss vom 31. Mai dieses Jahres zum Sozialbericht Teil vorgeschlagen wird, bietet nicht die Chance, die 2001 der Bundesregierung hat der Bundesrat nach- Wirtschaft wieder in Gang zu bringen und den Ar- haltig Kritik am Grundsicherungsgesetz geübt und beitsmarkt zu beleben. den Bund aufgefordert, alle aus diesem Gesetz er- Das OFFENSIV-Gesetz eröffnet den Weg zu Vielfalt wachsenden unmittelbaren und mittelbaren Kosten und Wettbewerb, zum Abbau von Bürokratie. Das so- zu erstatten. zialstaatliche Prinzip „Leistung und Gegenleistung“ Der Ihnen heute vorliegende Entschließungsantrag oder „Fördern und Fordern“ soll wieder an die erste geht einen Schritt weiter. Er fordert die ersatzlose Stelle rücken. Wir haben es heute Morgen gehört: Aufhebung des Grundsicherungsgesetzes, und dies Das Prinzip „Fördern und Fordern“ muss vorange- aus guten Gründen: bracht werden. Ich sage aber auch, dass man die Re- formen sofort anpacken und nicht noch weitere Kom- Zum einen sind insbesondere aus den Reihen des missionen tagen lassen muss. Deutschen Landkreistages verfassungsrechtliche Be- denken gegen das Grundsicherungsgesetz erhoben Wir eröffnen keinen neuen Verschiebebahnhof, worden. indem wir die kommunale Seite stärker belasten; denn wir ermöglichen es der kommunalen Seite, sich Zweitens: Das Grundsicherungsgesetz bringt auch selbst zu helfen, Bürokratie abzubauen und die Kos- für Menschen mit Behinderung nur auf den ersten ten auf Dauer zu drücken. Im Gegensatz zum Hartz- Blick Verbesserungen. Nach dem Grundsicherungs- Konzept und im Übrigen zur Koalitionsvereinbarung gesetz entfällt zwar der Unterhaltsrückgriff gegen- von Rotgrün sagen wir nicht: Die Kosten, die an dieser über Angehörigen bei den Kosten des Lebensunter- Stelle eingespart werden, geben wir für Ganztags- halts, aber bei den viel aufwändigeren Kosten der schulen aus, aber die Kommunen werden nicht von Pflege und der Betreuung sind weiterhin Einkommen der Sozialhilfe entlastet. und Vermögen des Betroffenen und seiner Angehöri- Meine Damen und Herren, mit dem OFFENSIV-Ge- gen einzusetzen. setz haben die Länder, wenn wir die Sache ohne Ich trete nach wie vor für ein eigenständiges Leis- Scheuklappen betrachten, größere Spielräume. Die tungsgesetz für behinderte Menschen ein, das vom Bundesregierung hat die Möglichkeit, wenn nicht von Nachranggrundsatz der Sozialhilfe unabhängig und anderer Seite blockiert, sondern das Thema wirklich auch seriös finanziert ist. Nur damit können die ernst genommen wird, eine neue Hängepartie zu ver- schweren Lebensrisiken, die behinderte Menschen hindern und auf Grund des hohen Druckes durch stei- haben, besser abgesichert werden. Die Grundsiche- (D) (B) gende Sozialhilfeausgaben und Arbeitslosigkeit so zu rung leistet dies nicht. handeln, dass der Föderalismus tatsächlich im Vor- dergrund steht. Vor allem aber schränkt das Grundsicherungsgesetz die finanziellen Handlungs- und Entscheidungsspiel- räume der Kommunen unverantwortlich ein, und das Präsident Prof. Dr. Wolfgang Böhmer: Weitere vor dem Hintergrund der dramatischen Finanzsitua- Wortmeldungen sind nicht angezeigt worden. tion unserer Kommunen. Wir müssen zunächst über die Frage der sofortigen Konkrete Zahlen, was die neue Grundsicherung Sachentscheidung befinden. Wer dafür ist, den bitte denn nun tatsächlich kosten wird, kann derzeit nie- ich um das Handzeichen. – Dies ist die Mehrheit. mand seriös vorlegen. Die Kommunen rechnen bun- Dann frage ich: Wer ist für die Einbringung? Ich desweit mit Mehrbelastungen von bis zu 2,5 Milli- bitte um das Handzeichen. – Das ist die Mehrheit. arden Euro. Demgegenüber wirken die 409 Millionen Euro, welche die Bundesregierung den Kommunen Damit hat der Bundesrat beschlossen, den Gesetz- entwurf beim Deutschen Bundestag erneut einzu- über die Länder erstatten will, wie ein Almosen. Die bringen. Bundesregierung hat offensichtlich keinerlei Hem- mungen, ohne verlässliche Berechnungsgrundlage Wir sind übereingekommen, dass als Beauftragte neue Leistungsansprüche zu schaffen und die Zeche für die Beratung des Gesetzentwurfs im Bundestag hierfür in unbekannter, aber mit Sicherheit enormer Frau Staatsministerin Lautenschläger (Hessen) be- Höhe die Kommunen zahlen zu lassen. nannt wird. Wie anders klingen die hehren Ankündigungen in Ich rufe Tagesordnungspunkt 23 auf: der Koalitionsvereinbarung! Wir haben heute schon Entschließung des Bundesrates zum Gesetz etliches über Halbwertszeiten von Wahlaussagen über eine bedarfsorientierte Grundsicherung gehört. Ähnlich geht es uns bei der Koalitionsverein- im Alter und bei Erwerbsminderung (GsiG) barung. Ich möchte kurz daraus zitieren: – Antrag des Freistaates Bayern gemäß § 36 Zusammen mit den Ländern werden wir darüber Abs. 2 GO BR – (Drucksache 805/02) hinaus die finanziellen Auswirkungen von Bun- Dem Antrag des Freistaates Bayern ist das Land desgesetzen auf Länder und Kommunen über- Baden-Württemberg beigetreten. prüfen. Um das Wort hat Frau Staatsministerin Stewens Wir treten dafür ein, dass Aufgabenverlagerun- (Bayern) gebeten. Bitte. gen im Verhältnis der staatlichen Ebenen – Bund Bundesrat – 782. Sitzung – 8. November 2002 501 Christa Stewens (Bayern) (A) und Länder einschließlich ihrer Gemeinden – im Dr. Thomas de Maizière (Sachsen): Herr Präsident! (C) Rahmen des bundesstaatlichen Finanzausgleichs Meine sehr verehrten Damen und Herren! Zurzeit berücksichtigt werden ... können in Deutschland inhaftierte ausländische Straftäter nicht gegen ihren Willen zur weiteren Voll- Wir werden – ausgehend von dem Ergebnis der streckung in ihren Heimatstaat überstellt werden. Die Kommission Gemeindefinanzreform – die Finanz- Überstellung mit Zustimmung des Betroffenen ist im kraft der Kommunen stärken und auf eine breite Übereinkommen über die Überstellung verurteilter und solide Basis stellen. Personen geregelt. Ein gravierenderes Auseinanderfallen von Worten Seit 1997 gibt es zu dem Übereinkommen ein Zu- und Taten kann man sich kaum vorstellen. Leider satzprotokoll, nach dem Verurteilte unter bestimmten häufen sich in den letzten Tagen, Wochen, Monaten Umständen gegen ihren Willen in ihren Heimatstaat die Beispiele dafür. überstellt werden können, z. B. wenn sie vollziehbar Wie sieht die Realität aus? Auf der einen Seite sorgt ausreisepflichtig, d. h. nach vollendeter Vollstreckung die Bundesregierung mit einer verfehlten Steuerpoli- abzuschieben sind, die Resozialisierung also nicht mit tik dafür, dass den Kommunen die Einnahmen immer dem Ziel des weiteren Lebens in Deutschland, son- mehr wegbrechen und sie ihre bisherigen Aufgaben dern ohnehin im Heimatstaat stattfindet. kaum mehr wahrnehmen können. Ich nenne als Bei- Am 12. Juli dieses Jahres hat der Bundesrat das Ge- spiel die Gewerbesteuerumlage. Andererseits belas- setz zu dem Zusatzprotokoll – kurz „Vertragsgesetz“ tet sie die Kommunen unnötigerweise mit neuen Leis- oder „Ratifizierungsgesetz“ – für zustimmungsbe- tungen und Ausgaben. Dass dies auf Dauer nicht gut dürftig erklärt und ihm zugestimmt. gehen kann, liegt wohl auf der Hand. In der Sitzung des Bundesrates am 27. September Ich bitte Sie, unserem Entschließungsantrag in den 2002 hat der Bundesrat gegen das so genannte Gesetz Ausschussberatungen und anschließend im Plenum zur Ausführung des Zusatzprotokolls Einspruch ein- zuzustimmen. Das Grundsicherungsgesetz muss auf- gelegt. Das Gesetz fiel der so genannten Diskonti- gehoben werden. Es ist vor allem höchst kosteninten- nuität anheim; es ist gescheitert. siv und in einer Zeit, in der Deutschland kein Wirt- schaftswachstum hat und die Steuereinnahmen Das Zusatzprotokoll ist trotz Vorliegens des deut- insgesamt – natürlich auch bei den Kommunen – stark schen Vertragsgesetzes bislang nicht ratifiziert und zurückgehen, nicht vermittelbar und nicht verant- ausgefertigt worden. Es ist genau das eingetreten, wortbar. was ich am 27. September in diesem Haus als „un- gewöhnlichen Vorgang“ bezeichnet habe. Die Bun- (B) Falls Bundesregierung und Bundestag nicht ein- desregierung weigert sich, ein Gesetz, das beide (D) sichtig werden und das Gesetz wie vorgesehen in gesetzgebende Körperschaften beschlossen haben, Kraft tritt, muss der Bund jedenfalls – wie vom Bun- auszufertigen. Die Ausfertigung wird offenbar von desrat bereits gefordert – in die volle Kostenverant- dem gescheiterten so genannten Ausführungsgesetz wortung eintreten. Geben wir hier wenigstens der abhängig gemacht. Ein verabschiedetes Gesetz wird Regierungskoalition die Chance zu beweisen, wie einfach nicht ausgefertigt. Das ist der Sachverhalt. ernst sie ihre eigene Koalitionsvereinbarung nimmt! – Danke schön. Herr Parlamentarischer Staatssekretär Professor Dr. P i c khat am 27. September 2002 hier im Bundes- rat seine Auffassung zu begründen versucht: Erst Präsident Prof. Dr. Wolfgang Böhmer: Meine durch das Ausführungsgesetz werde die Bundesrepu- Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen blik Deutschland in die Lage versetzt, die Einwilli- nicht vor. gung zur Überstellung von ausländischen Strafgefan- Ich weise die Vorlage folgenden Ausschüssen zu: genen gemäß Artikel 3 des Zusatzprotokolls ohne dem Ausschuss für Arbeit und Sozialpolitik – feder- Zustimmung der verurteilten Person zu erteilen; an- führend – und dem Ausschuss für Frauen und Ju- derenfalls fehle es hierfür an einer Rechtsgrundlage. gend, dem Finanzausschuss und dem Ausschuss für Dem kann sich der Freistaat Sachsen auch nach er- Innere Angelegenheiten – mitberatend. neuter rechtlicher Prüfung nicht anschließen. Wir wis- Ich rufe Tagesordnungspunkt 24 auf: sen uns darin einig mit dem Ergebnis eines Gutach- tens, das der Wissenschaftliche Dienst des Deutschen Entschließung des Bundesrates zum Gesetz zur Bundestages zu dieser Frage angefertigt hat. Er hat Ausführung des Zusatzprotokolls vom 18. De- sich ausdrücklich mit dem Gutachten des Bundesjus- zember 1997 zum Übereinkommen über die tizministeriums auseinander gesetzt und lehnt die Überstellung verurteilter Personen – Antrag darin vorgetragene Rechtsauffassung dezidiert ab. des Freistaates Sachsen gemäß § 36 Abs. 2 GO BR – (Drucksache 807/02) Die Rechtsgrundlage für die Ausfertigung und den Umgang nach dem Zusatzprotokoll ist das Zusatzpro- Dem Antrag des Freistaates Sachsen ist Bayern bei- tokoll selbst. Es ist konkret formuliert, in Deutschland getreten. unmittelbar anwendbar und vollziehbar, zumal das Wortmeldungen liegen vor. Zunächst hat Herr gescheiterte Ausführungsgesetz keinen Ausführungs- Staatsminister Dr. de Maizière (Sachsen) das Wort. befehl, wie wir Juristen es nennen, enthält. Im Ge- Bitte. genteil, es schränkt die Zweckbestimmung dieses 502 Bundesrat – 782. Sitzung – 8. November 2002 Dr. Thomas de Maizière (Sachsen) (A) Gesetzes ein. Insbesondere besteht auch ohne das so gierung ist wie die Bundesländer daran interessiert, (C) genannte Ausführungsgesetz angemessener und kon- das Zusatzprotokoll baldmöglichst zu ratifizieren. kreter Rechtsschutz. Dies kommt rechtlich und politisch ohne Aus- Die Ratifikation des Zusatzprotokolls ohne das führungsgesetz nach unserer Überzeugung allerdings rechtlich nicht erforderliche Ausführungsgesetz ent- nicht in Betracht. Wir brauchen ein Ausführungsgesetz spricht dem parlamentarischen Willen am Ende des schon deshalb, weil wir das Gesetz von 1991 über die Gesetzgebungsverfahrens. Im Übrigen war es auch Ausführung des Übereinkommens über die Überstel- Auffassung des Rechtsausschusses des Deutschen lung verurteilter Personen von 1983 natürlich an das Bundestages, dass es sich um zwei getrennte Gesetz- Zusatzprotokoll anpassen müssen. Das Übereinkom- gebungsvorgänge handelt. Deswegen fordert Sach- men von 1983 selbst betrifft bekanntlich nur Personen, sen mit dem vorliegenden Entschließungsantrag die die mit ihrer Überstellung einverstanden sind. Darauf Bundesregierung auf, dieses Ergebnis zu respektie- ist das Umsetzungsgesetz von 1991 zugeschnitten. ren, das Zusatzprotokoll unverzüglich zu ratifizieren Auch die Unionsfraktion im Bundestag hat gesehen, und das Vertragsgesetz auszufertigen. dass wir ein Ausführungsgesetz mit einem Rechtsbe- Auch ohne die nunmehrige weitere Verzögerung helf für die Personen brauchen, die nach dem Zusatz- der Ratifikation hat sich das Verfahren lange genug protokoll gegen ihren Willen überstellt werden sol- hingezogen – zu lange, wenn man auf andere Ver- len. Ich empfehle Ihnen, meine Damen und Herren tragsstaaten blickt: Deutschland hat am 18. Dezember von der Union, die Begründung in jenem Antrag der 1997 unterzeichnet, aber immer noch nicht ratifiziert. CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Bundestags-Drucksa- che 14/9367, nachzulesen. In Österreich dagegen hat es von der Unterzeichnung bis zum Inkrafttreten insgesamt weniger als ein Jahr Die Bundesregierung wird deshalb umgehend das gedauert. Norwegen, Ungarn, Estland und Georgien, in der letzten Wahlperiode nur aus Zeitgründen ge- um nur einige zu nennen, haben das Zusatzprotokoll scheiterte Ausführungsgesetz erneut einbringen und später als Deutschland unterzeichnet, aber deutlich das ihr Mögliche zur beschleunigten Beratung im Par- früher ratifiziert und in Kraft gesetzt. – Sie wollen es lament beitragen. einfach nicht! Mit dem zweiten Teil seines Antrages fordert der Ich fasse zusammen: Freistaat Sachsen, kein Junktim zwischen Ratifikation und Ausführungsgesetz herzustellen. Lassen Sie mich Erstens. Die Bundesregierung hat die Ratifizierung die Argumente, die gegen die Aufgabe des Junktims eines internationalen Übereinkommens zu lange hin- sprechen, zusammenfassen: geschleppt. Eine Ratifikation des Vertragsgesetzes nach Schei- (B) Zweitens. Die Länder warten darauf, von dem inter- tern des Ausführungsgesetzes widerspräche der bis- (D) nationalen Übereinkommen Gebrauch machen zu herigen allgemeinen Überzeugung im Gesetzge- können, damit ausländische Straftäter, auf die sich bungsverfahren, die ein Ausführungsgesetz zur das Zusatzprotokoll bezieht, ihre Haftstrafe in ihrem Ratifikation als erforderlich ansah. Heimatland, nicht bei uns absitzen. Erst durch das Ausführungsgesetz wird die Bundes- Drittens. Die Bundesregierung hat kein Ermessen, republik Deutschland in die Lage versetzt, sachge- ein vollziehbares Gesetz, das ordnungsgemäß zu recht die Überstellung gemäß Artikel 3 des Zusatz- Stande gekommen und verabschiedet ist, nicht zu protokolls ohne Zustimmung der verurteilten Person veröffentlichen, weil ihr das Ergebnis politisch nicht durchzuführen. Eine Ratifikation ohne Ausführungs- passt. Dahinter verbirgt sich auch eine verfassungs- gesetz würde zu erheblichen rechtlichen Problemen politische Grundsatzfrage. Es gibt kein Junktim zwi- führen. So ist unklar, ob das Vertragsgesetz ohne Aus- schen dem so genannten Ausführungsgesetz und der führungsgesetz praktisch angewandt werden kann, Ausfertigung des Zusatzprotokolls. wovon der Freistaat Sachsen in seinem Antrag ohne nähere Begründung und im Gegensatz zur bisherigen Aus diesen Erwägungen heraus bitte ich den Bun- allgemeinen Meinung zu internationalen Rechtshilfe- desrat, dem sächsischen Entschließungsantrag zuzu- verträgen ausgeht. Selbst wenn dies der Fall wäre, stimmen. bliebe unklar, welche Vorschriften zur Regelung des weiteren innerstaatlichen Verfahrens zur Anwendung Präsident Prof. Dr. Wolfgang Böhmer: Für das Bun- gelangen sollen. Soll das Überstellungsausführungs- desministerium der Justiz hat Herr Parlamentarischer gesetz oder das Gesetz über die Internationale Rechts- Staatssekretär Hartenbach um das Wort gebeten. hilfe in Strafsachen angewandt werden? Unklar bliebe Bitte. auch, wie der Rechtsschutz gewährleistet wird. Die Bundesregierung hat schon mehrfach darauf hin- Alfred Hartenbach, Parl. Staatssekretär bei der Bun- gewiesen, dass es sich bei der Bewilligungsentschei- desministerin der Justiz: Herr Präsident! Meine sehr dung nicht um einen Justizverwaltungsakt handelt, so verehrten Damen und Herren! Das Zusatzprotokoll zu dass die vom Freistaat Sachsen vorgeschlagene Lö- sung nach den §§ 23 ff. des Einführungsgesetzes zum dem Übereinkommen zur Überstellung verurteilter Gerichtsverfassungsgesetz rechtliche Zweifelsfragen Personen beschäftigt den Bundesrat zum wiederhol- aufwerfen würde. ten Male. Die mittlerweile bekannten Positionen zum Inhalt des Ausführungsgesetzes haben sich nicht ver- Und letztens: Würde das Zusatzprotokoll jetzt ratifi- ändert, verehrter Herr Staatsminister. Die Bundesre- ziert, käme es auf Grund der dargestellten Probleme Bundesrat – 782. Sitzung – 8. November 2002 503 Parl. Staatssekretär Alfred Hartenbach (A) dazu, dass die Bewilligung der Vollstreckungshilfe – Gelegentlich stimmen Kollegen aus der zweiten (C) trotz Ratifizierung in erheblichem Umfang in Einzel- Reihe ab. Das ist beim Zählen immer etwas schwierig. fällen abgelehnt werden müsste. Das wäre nicht nur Ziffer 12! – 35 Stimmen; das ist die Mehrheit. völkerrechtlich problematisch, sondern mit Sicherheit weder im Sinne der Länder noch im Sinne des Bun- Bitte Ihr Handzeichen für alle übrigen Ziffern der destages und der Bundesregierung. – Vielen Dank. Ausschussempfehlungen! – Mehrheit. Der Bundesrat hat entsprechend Stellung genommen. Präsident Prof. Dr. Wolfgang Böhmer: Weitere Ich rufe Tagesordnungspunkt 6 auf: Wortmeldungen liegen nicht vor. Vorschlag für eine Entscheidung des Rates Ausschussberatungen haben zu diesem Tagesord- zur Annahme eines Mehrjahresprogramms nungspunkt noch nicht stattgefunden. Es ist jedoch (2003 – 2005) zur Überwachung und Beobach- sofortige Sachentscheidung beantragt worden. Da- tung von eEurope, zur Verbreitung empfeh- rüber stimmen wir zunächst ab. Wer ist für sofortige lenswerter Verfahren und Verbesserung der Sachentscheidung? – Das ist die Mehrheit. Netz- und Informationssicherheit (MODINIS) Wer dafür ist, die Entschließung zu fassen, den bitte (Drucksache 711/02) ich um das Handzeichen. – Das ist auch die Mehrheit. Gibt es dazu Wortmeldungen? – Dies ist nicht der Damit hat der Bundesrat die Entschließung gefasst. Fall. Ich rufe Tagesordnungspunkt 4 auf: Zur Abstimmung liegen Ihnen die Empfehlungen der Ausschüsse in Drucksache 711/1/02 vor. Ich bitte Vorschlag für eine Verordnung des Rates über um Ihr Handzeichen für: die Zuständigkeit und die Anerkennung und Ziffern 1, 2 und 9 gemeinsam! Wer ist dafür? – Vollstreckung von Entscheidungen in Ehe- Mehrheit. sachen und in Verfahren betreffend die elter- liche Verantwortung, zur Aufhebung der Ver- Ziffer 3! – Minderheit. ordnung (EG) Nr. 1347/2000 und zur Änderung Ziffer 4! – Minderheit. der Verordnung (EG) Nr. 44/2001 in Bezug auf Unterhaltssachen (Drucksache 642/02) Ziffer 5! – Mehrheit. Gibt es dazu Wortmeldungen? – Dies ist offensicht- Ziffer 6! – Minderheit. lich nicht der Fall. Ziffer 7! – Mehrheit. Die Empfehlungen der Ausschüsse ersehen Sie aus (B) Ziffer 8! – Minderheit. (D) Drucksache 642/1/02. Zur Einzelabstimmung rufe ich auf: Damit hat der Bundesrat entsprechend Stellung ge- nommen. Ziffer 1! – Mehrheit. Zur gemeinsamen Abstimmung nach § 29 Abs. 2 Damit entfällt Ziffer 2. der Geschäftsordnung rufe ich die in dem Umdruck Ziffer 7! – Minderheit. Nr. 10/02*) zusammengefassten Beratungsgegen- stände auf. Es sind dies die Tagesordnungspunkte: Ziffer 16! – Minderheit. 7, 9 bis 11, 13, 15 und 17 bis 19. Ziffer 17! – Ebenfalls Minderheit. Wer den Empfehlungen der Ausschüsse folgen Ziffer 21! – Mehrheit. möchte, den bitte ich um das Handzeichen. – Das ist Jetzt bitte Ihr Handzeichen für alle übrigen Ziffern die Mehrheit. der Ausschussempfehlungen! – Mehrheit. Damit ist so beschlossen. Der Bundesrat hat entsprechend Stellung genommen. Ich rufe Tagesordnungspunkt 8 auf: Ich rufe Tagesordnungspunkt 5 auf: Vorschlag für einen Beschluss des Europäi- Vorschlag für eine Verordnung des Euro- schen Parlaments und des Rates über ein Pro- päischen Parlaments und des Rates mit spe- gramm zur Verbesserung der Qualität der zifischen Vorschriften für die amtliche Über- Hochschulbildung und Förderung des inter- wachung von zum menschlichen Verzehr kulturellen Verständnisses durch die Zusam- bestimmten Erzeugnissen tierischen Ursprungs menarbeit mit Drittländern (ERASMUS WELT) (2004 – 2008) (Drucksache 681/02) (Drucksache 660/02) Gibt es dazu Wortmeldungen? – Das ist nicht der Gibt es dazu Wortmeldungen? – Dies ist offensicht- Fall. lich nicht der Fall. Zur Abstimmung liegen Ihnen die Empfehlungen der Zur Abstimmung liegen Ihnen die Empfehlungen Ausschüsse in Drucksache 681/1/02 sowie drei Landes- der Ausschüsse in Drucksache 660/1/02 vor. Zur Ein- anträge in den Drucksachen 681/2/02, 681/3/02 und zelabstimmung rufe ich auf: 681/4/02 vor. Ziffer 7! – Mehrheit.

(Widerspruch) *) Anlage 4 504 Bundesrat – 782. Sitzung – 8. November 2002 Präsident Prof. Dr. Wolfgang Böhmer (A) Ich beginne mit dem Landesantrag in Drucksache Die Ausschussempfehlungen liegen Ihnen in (C) 681/2/02. Bitte Ihr Handzeichen! – Das ist eine Min- Drucksache 730/1/02 vor. Zur gemeinsamen Abstim- derheit. mung rufe ich auf:

Jetzt bitte Ihr Handzeichen für Ziffer 2 der Aus- Ziffern 1 und 2! – Mehrheit. schussempfehlungen! – Das ist die Mehrheit. Nun zur Schlussabstimmung: Wer stimmt der Ver- Bitte Ihr Handzeichen für den Landesantrag in ordnung, wie soeben festgelegt, zu? – Dies ist die Drucksache 681/3/02! – Das ist eine Minderheit. Mehrheit. Ziffer 4 der Ausschussempfehlungen! – Das ist die Mehrheit. Dann ist so beschlossen. Jetzt rufe ich den Landesantrag in Drucksache Ich rufe Tagesordnungspunkt 16 auf: 681/4/02 auf. – Das ist eine Minderheit. Verordnung zur Änderung der Verordnung über Ziffer 8 der Ausschussempfehlungen! – Mehrheit. den Ausgleich gemeinwirtschaftlicher Leistun- gen im Straßenpersonenverkehr Bitte Ihr Handzeichen für alle übrigen Ziffern der (PBefAusglV) und Ausschussempfehlungen! – Das ist die Mehrheit. zur Änderung der Verordnung über den Ausgleich gemeinwirtschaftlicher Leistungen im Der Bundesrat hat entsprechend Stellung genommen. Eisenbahnverkehr (AEAusglV) (Drucksache Ich rufe Tagesordnungspunkt 12 auf: 744/02) Tabakprodukt-Verordnung (Drucksache 758/02) Gibt es dazu Wortmeldungen? – Dies ist offensicht- lich nicht der Fall. Gibt es dazu Wortmeldungen? – Dies ist nicht der Fall. Zur Abstimmung liegen Ihnen die Empfehlungen der Ausschüsse in Drucksache 744/1/02 vor. Die Empfehlungen der Ausschüsse liegen Ihnen in Drucksache 758/1/02 vor. Wer der Verordnung entsprechend Ziffer 1 zuzustim- men wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. – Das Ich rufe zunächst Ziffer 4 auf, zu der Einzelabstim- ist die Mehrheit. mung gewünscht wurde. Wer für Ziffer 4 ist, den bitte ich um das Handzeichen. – Minderheit. Damit hat der Bundesrat der Verordnung zugestimmt. Nun bitte das Handzeichen für alle noch nicht erle- Es liegt noch eine Entschließung vor. Wer dafür ist, digten Ziffern! – Mehrheit. der Entschließung entsprechend Ziffer 2 zuzustim- (D) (B) Damit hat der Bundesrat der Verordnung entspre- men, den bitte ich um das Handzeichen. – Dies ist die chend zugestimmt. Mehrheit. Ich rufe Tagesordnungspunkt 14 auf: Damit hat der Bundesrat auch die Entschließung gefasst. Fünfte Verordnung zur Änderung der Risiko- struktur-Ausgleichsverordnung (5. RSAÄndV) Meine Damen und Herren, wir haben die Tagesord- (Drucksache 730/02) nung der heutigen Sitzung abgewickelt.

Dazu gibt Herr Minister Köberle (Baden-Württem- Die nächste Sitzung des Bundesrates berufe ich ein berg) eine Erklärung zu Protokoll*). – Gibt es weitere auf Freitag, den 29. November 2002, 9.30 Uhr. Wortmeldungen? – Dies ist nicht der Fall. Ich danke Ihnen. Die Sitzung ist geschlossen.

*) Anlage 5 (Schluss: 11.55 Uhr)

Beschluss im vereinfachten Verfahren (§ 35 GO BR)

Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über die Zusammenarbeit der Gemeinschaft mit den Ländern Asiens und Lateinamerikas und zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 2258/96 des Rates

(Drucksache 738/02)

Ausschusszuweisung: EU – Fz – Wi

Beschluss: Kenntnisnahme

Feststellung gemäß § 34 GO BR Einspruch gegen den Bericht über die 781. Sitzung ist nicht eingelegt worden. Damit gilt der Bericht gemäß § 34 GO BR als genehmigt. Bundesrat – 782. Sitzung – 8. November 2002 505*

(A) Anlage 1 In Bayern würden über die vorgesehene Modulati- (C) on etwa 4 Millionen Euro freigesetzt. Dafür müssten Erklärung wir mehr als 1 Million Euro für den Verwaltungsauf- wand ausgeben. Das Gesetz richtet sich deshalb auch von Staatsminister Josef Miller gegen die Interessen der Länder, denen ein enormer (Bayern) Verwaltungsaufwand aufgebürdet wird. Bauern und zu Punkt 3 der Tagesordnung Agrarverwaltungen brauchen aber nicht mehr, son- dern endlich weniger Bürokratie. Der Bundesrat hat heute über die Einbringung Bereits jetzt zeigt sich, dass bei der Umsetzung des eines Gesetzentwurfs zu entscheiden, dessen Ziel die Modulationsgesetzes enorme Schwierigkeiten im Aufhebung des deutschen Modulationsgesetzes ist. Verwaltungsvollzug und zusätzliche Anlastungsrisi- Gegen das Modulationsgesetz sprechen viele Argu- ken auf uns zukommen. Die Bundesregierung wälzt mente. Ich werde die wichtigsten kurz ansprechen: diese Risiken schlichtweg auf die Länder ab. 1. Die deutsche Modulation darf auf Grund der der- Hinzu kommt: Dieser Verwaltungsaufwand ist auf zeitigen intensiven Diskussion zur Weiterentwicklung Grund der Entwicklungen in der EU eine geradezu der europäischen Agrarpolitik nicht eingeführt wer- historische Fehlinvestition. Das Modulationsgesetz den. wird schon in kurzer Zeit komplett zu überarbeiten Selbst Agrarkommissar Fischler hat wegen der sein. Dies wiederum wird Übergangsregelungen not- jüngsten Entscheidung des Europäischen Rates vom wendig machen, die unsere Verwaltungen vor kaum 24./25. Oktober 2002 zur künftigen Finanzierung der lösbare Probleme stellen. Der damit verbundene Auf- Agrarpolitik seine Vorschläge zur Modulation in wand widerspricht in eklatanter Weise den Geboten Frage gestellt. Eine deutsche Modulation greift völlig der Verhältnismäßigkeit und des sparsamen Einsatzes unnötig der Entwicklung und den Entscheidungen öffentlicher Mittel. auf EU-Ebene vor. Bayern fordert auf Grund dieser Argumente: 2. Das Modulationsgesetz ist ein Affront gegen un- 1. Wir müssen die mit dem Modulationsgesetz ver- sere Landwirte und führt zu einer erneuten Wettbe- bundenen Einkommensverluste und Wettbewerbs- werbsverzerrung. verzerrungen für die deutsche Landwirtschaft verhin- Es verstärkt die von der Bundesregierung in der dern. letzten Legislaturperiode eingeführten Belastungen 2. Verhindern Sie mit uns die Verschwendung von und die in den Koalitionsvereinbarungen vorge- Steuergeldern und die unnötige Vergeudung von Ver- sehenen einschneidenden Verschlechterungen im (B) waltungskräften. (D) steuerlichen Bereich. Diese Wettbewerbsnachteile schwächen die deutsche Landwirtschaft in einer Zeit, 3. Erklären Sie zusammen mit Bayern den Gesetz- in der sie gestärkt werden müsste, um die Wettbe- entwurf als besonders eilbedürftig, damit das Modu- werbsnachteile durch die hohen deutschen Standards lationsgesetz noch im Jahr 2002 aufgehoben werden und die hohen Kosten ausgleichen zu können. kann. Dieses Gesetz darf nicht rechtswirksam wer- den. Die Modulation verschiebt Mittel von den direkt einkommenswirksamen Zahlungen (1. Säule) in Be- Ich bitte Sie, gemeinsam mit Bayern den Gesetzes- reiche, von denen viele durch die Kürzung betroffene entwurf einzubringen mit dem Ziel, das Modulations- Landwirte nicht mehr profitieren, weil die Gelder in gesetz aufzuheben – ein Gesetz, das unseren Land- andere Verwendungszwecke umgeleitet werden. wirten, Steuerzahlern und Verwaltungen schadet und soziale sowie ökologische Kriterien nicht ausreichend 3. Dieses Modulationsmodell ist unsozial und darü- berücksichtigt. ber hinaus ökologisch fragwürdig. Durch nichts gerechtfertigt ist die vorgesehene Kür- zung der Rinderprämien. Gerade die Rindermast er- füllt das in der Modulation geforderte Beschäfti- gungskriterium durch den im Vergleich zum Anlage 2 Getreidebau hohen Arbeitskräftebedarf in besonderer Weise. Erklärung Vollkommen konträr zu den Zielen der Modulation, von Minister Willi Stächele Maßnahmen im Agrarumweltbereich verstärkt zu för- (Baden-Württemberg) dern, wirkt die vorgesehene Kürzung der Mutterkuh- zu Punkt 3 der Tagesordnung und Mutterschafprämien. Diese Tierarten sind unver- zichtbar für die Offenhaltung unserer Landschaft und Fakt ist, dass die EU-Kommission im Rahmen der dienen doch gerade dem Umwelt- und dem Natur- Weiterentwicklung der Gemeinsamen Agrarpolitik schutz. Hier steht die Glaubwürdigkeit der Agrarpoli- eine EU-weite obligatorische Modulation einführen tik auf dem Spiel. will. Eine vorgezogene fakultative nationale Modula- 4. Die Modulation verursacht einen unverhältnis- tion bereits ab 2003, wie sie von der Bundesregierung mäßig hohen Verwaltungsaufwand und ist gegenüber vorgesehen ist, wäre vor diesem Hintergrund nicht den Steuerzahlern nicht vertretbar. verantwortbar. Wir beantragen deshalb, das Gesetz 506* Bundesrat – 782. Sitzung – 8. November 2002

(A) zur Modulation von Direktzahlungen im Rahmen der 2. Säule sind. Wir fordern aber, dass dies EU-weit ab- (C) Gemeinsamen Agrarpolitik und zur Änderung des gestimmt, mit einem deutlich erweiterten Maßnah- GAK-Gesetzes aufzuheben. menspektrum, mit stärker einkommenswirksamen Maßnahmen, mit geregelten Verwendungsmöglich- Wir können doch kein äußerst aufwändiges Verfah- keiten und einer klaren sozialen Komponente gemäß ren installieren, das die Haushalte sehr belasten Artikel 4 der EG-Verordnung Nr. 1259/1999 geschieht. würde, dessen „Haltbarkeitsdatum“ aber nur einen begrenzten Anwendungszeitraum ermöglichte. Denn Baden-Württemberg bittet daher um Unterstützung es spricht viel dafür, dass die Berliner Vorstellungen des Gesetzesantrages zur Aufhebung des Modulati- zur Modulation Korrekturen durch die EU-Kommissi- onsgesetzes. on erfahren werden und damit eine vorschnell ent- wickelte Eigenkreation wieder hinfällig wäre. Ich darf Ihnen diese Kuriosität am Beispiel Baden- Württembergs aufzeigen: Die Ausgleichszahlungen an die Landwirtschaft werden um rund 2 Millionen Anlage 3 Euro gekürzt. Einschließlich der Kofinanzierung von 50 % stehen damit insgesamt rund 4 Millionen Euro Erklärung für Modulationsmaßnahmen zur Verfügung. Wir müss- ten jedoch alleine für die technisch-organisatorische von Parl. Staatssekretär Dr. Gerald Thalheim Umsetzung im ersten Jahr 1,4 Millionen Euro aus (BMVEL) Landesmitteln zusätzlich aufwenden. Aufwand und zu Punkt 3 der Tagesordnung Ertrag würden dadurch geradezu in ein grobes Miss- verhältnis geraten. Auch die Umwelteffekte blieben Die Gemeinsame Europäische Agrarpolitik steht dürftig. Für die gesamte Bundesrepublik würden für trotz einer einschneidenden Reform im Jahre 1992 in 2003 nur etwa halb so viel Mittel aus der Modulation der Kritik, weil es nach wie vor Produktionsanreize zur Verfügung stehen, wie Baden-Württemberg allei- durch Beihilfen gibt, die nicht marktkonform sind. ne schon bisher jedes Jahr für Agrarumweltmaßnah- Mit der Agenda 2000, die unter deutscher Präsi- men einsetzt. dentschaft im Jahre 1999 verabschiedet wurde, ist Eine noch nicht beantwortete Frage ist die Auswir- diese Kritik aufgenommen worden. Bestandteil der kung auf die Finanzierung der Maßnahmen durch die Agenda-Beschlüsse war, die Prämiengelder über die fünfjährige Verpflichtungsdauer im Agrarumweltbe- so genannte Modulation umzuschichten – weg von reich. Sicher ist nur, dass die Bundesregierung die den direkten Beihilfen und hin in die so genannte (B) Mittel für die Gemeinschaftsaufgabe im Jahr 2003 2. Säule, die Förderung des ländlichen Raumes. (D) sogar um 113 Millionen Euro kürzt. Das ist ein klares Dieser Ansatz fand breite öffentliche Unterstützung negatives Signal, das von vornherein die finanzielle nicht nur in der Bundesrepublik, sondern europaweit, Umsetzungsbasis in Frage stellt. weil er Fehlanreize mindert und gleichzeitig Mög- Ein Weiteres kommt hinzu: Die fristgerechte ver- lichkeiten zur weiteren Entwicklung der ländlichen waltungstechnische Umsetzung der nationalen Mo- Räume eröffnet. dulation ab 2003 ist mit einem großen Anlastungsrisi- ko verbunden. Zahlreiche Verfahrensfragen sind auf Auch von den Bundesländern wurde der Modula- Bundesebene noch zu klären. Insbesondere kann das tionsgedanke unterstützt. Bund und Länder haben für die nationale Modulation erarbeitete Maßnah- immer wieder übereinstimmend betont, dass dies eine menpaket erst nach einem PLANAK-Beschluss und geeignete Maßnahme zur Förderung einer nachhalti- anschließender Genehmigung durch die EU-Kommis- gen und umweltverträglichen Landwirtschaft ist. sion umgesetzt werden. Änderungen der Maßnahmen Deshalb ist es umso unverständlicher, dass wir im Verlauf des Genehmigungsverfahrens kann die heute über einen Antrag beraten, das vom Bundestag Bundesregierung aber nicht ausschließen. Im Klar- verabschiedete Modulationsgesetz auszusetzen. Die text: Den Landwirten würde bereits 2003 Geld, das Kritik ist umso unverständlicher, als in Deutschland einkommenswirksam dringend nötig wäre, entzogen. ein sehr moderater Modulationssatz von 2 % gewählt Eine Auszahlung der Modulationsmittel wäre aber worden ist und auf Wunsch der Bundesländer aus frühestens 2004 möglich. Gründen der Verwaltungsvereinfachung kleine Kul- Angesichts der gravierenden Unsicherheiten – so- turen ausgenommen wurden. wohl was die Finanzierung als auch was die endgülti- Die Bundesregierung sieht die Modulation als wich- ge Ausgestaltung der Fördermaßnahmen angeht – ist tigen Teil der auf die Zukunft ausgerichteten Agrar- eine vorgezogene Umsetzung der Modulation im Jahr politik an, indem die Beihilfen von der Produktion 2003 in einem nationalen Alleingang völlig inakzep- schrittweise entkoppelt werden, d. h. weg von den tabel. Marktordnungen, hin zu einer Politik für den ländli- Diese zwingenden Gründe für die Aufhebung des chen Raum. Modulationsgesetzes gelten im Übrigen unabhängig Einig sind sich Bund und Länder darin, dass die davon, wann die obligatorische Modulation nun 2. Säule der Gemeinsamen Agrarpolitik zur Entwick- tatsächlich kommt. lung der ländlichen Räume gestärkt werden muss. Ich betone, dass wir nicht grundsätzlich gegen eine Das trägt nicht nur den strukturpolitischen Erforder- Verlagerung von Mitteln aus der 1. Säule in die nissen Rechnung, sondern macht auch die Gemeinsa- Bundesrat – 782. Sitzung – 8. November 2002 507*

(A) me Agrarpolitik zukunftssicher. Gerade die bisher stimmen, die in der jeweils zitierten Empfehlungs- (C) produktgebundenen Zahlungen stehen international drucksache wiedergegeben sind: in der Kritik. Ein Abbau ist in der Zukunft unvermeid- bar, um den Forderungen der Welthandelspartner zu entsprechen. Punkt 7 Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Die Modulation ist deshalb auch ein wichtiger Teil Parlaments und des Rates zur Änderung der Richt- der Vorschläge der EU-Kommission für die weitere linie 95/2/EG hinsichtlich der Verwendungsbedin- Reform der Gemeinsamen Agrarpolitik. Das gilt un- abhängig davon, zu welchem Zeitpunkt es tatsächlich gungen für den Lebensmittelzusatzstoff E 425 zu einer Einführung kommt. Konjak (Drucksache 736/02, Drucksache 736/1/02) Natürlich nehmen wir zur Kenntnis, dass nach dem Gipfel in Brüssel intensiv über den Zeitpunkt der Ein- Punkt 11 führung einer obligatorischen Modulation diskutiert Verordnung zur Änderung der Flächenzahlungs- wird. Für die Bundesregierung ist es wichtig, dass wir Verordnung und zur Änderung der Zweiten Ver- bereits jetzt dieses Instrument nutzen, um auch auf ordnung zur Änderung der Flächenzahlungs-Ver- europäischer Ebene deutlich zu machen, dass wir die- ordnung (Drucksache 745/02, Drucksache 745/ sen Ansatz zur Reform der Gemeinsamen Agrarpolitik 1/02) unterstützen und als zukunftsfähig für eine erweiterte Union erachten. Genauso wichtig ist es uns, bereits heute die verbes- serten Fördermöglichkeiten auszuschöpfen und die Landwirte auf diesem Wege schrittweise an die neuen II. Rahmenbedingungen heranzuführen. Wir haben mit den Bundesländern konstruktive Gespräche mit dem Ziel geführt, die Modulationsmittel für die Förderung Den Verordnungen zuzustimmen und die in den von erweiterten Fruchtfolgen, von besonders umwelt- Empfehlungsdrucksachen unter Buchstabe B ange- gerechten Produktionsweisen im Ackerbau und beim führten Entschließungen zu fassen: Grünland und von besonders umwelt- und tiergerech- ten Haltungsverfahren einzusetzen. Punkt 9 Sinnvollen Anliegen können auch Sie sich nicht Verordnung zur Aussetzung und Ergänzung von verschließen. Ich möchte Sie deshalb bitten, von die- Merkmalen nach dem Agrarstatistikgesetz (Erste (B) sem Ansinnen Abstand zu nehmen und die Bundesre- (D) gierung in ihrem Bemühen um eine nachhaltige um- Agrarstatistikverordnung – 1. AgrStatV) (Druck- welt- und verbraucherschutzgerechte Landwirtschaft sache 732/02, Drucksache 732/1/02) zu unterstützen. Mit der nationalen Modulation stellen wir sicher, Punkt 10 dass unsere Stimme auch künftig Gewicht in Europa Verordnung zur Festlegung lebensmittelhygiene- hat und wir die Entwicklung im Interesse Deutsch- rechtlicher Anforderungen an die Herstellung, Be- lands weiterhin beeinflussen können. handlung und an das Inverkehrbringen von Spei- Mit der Zustimmung zu dem Gesetzesantrag wäre segelatine und an deren Ausgangserzeugnisse ein falsches Signal für die Diskussion auf europäi- (Speisegelatine-Verordnung – GelV) (Drucksache scher Ebene verbunden. Versagen Sie deshalb dem 733/02, Drucksache 733/1/02) Gesetzesantrag zur Aufhebung des Modulationsge- setzes Ihre Zustimmung!

III. Anlage 4 Den Vorlagen ohne Änderung zuzustimmen: Umdruck Nr. 10/02

Zu den folgenden Punkten der Tagesordnung der Punkt 13 782. Sitzung des Bundesrates empfehlen die Aus- Verordnung zu dem Übereinkommen vom 27. Fe- schüsse dem Bundesrat: bruar 1995 zur Gründung des Internationalen In- stituts für Demokratie und Wahlhilfe (IDEA) (Drucksache 747/02)

I. Punkt 15 Vierte Verordnung zur Änderung der Verordnung Zu den Vorlagen die Stellungnahme abzugeben zur Durchführung der §§ 4, 5 und 5a des Soldaten- oder ihnen nach Maßgabe der Empfehlungen zuzu- versorgungsgesetzes (Drucksache 746/02) 508* Bundesrat – 782. Sitzung – 8. November 2002

(A) IV. Die Länder Baden-Württemberg, Bayern und (C) Hessen stimmen der Fünften Verordnung zur Ände- Entsprechend den Anregungen und Vorschlägen rung der Risikostruktur-Ausgleichsverordnung nicht zu beschließen: zu.

Punkt 17 Der Risikostrukturausgleich (RSA) ist wegen Ver- Benennung eines Mitglieds und eines stellvertre- stoßes gegen die grundgesetzlich garantierte Finanz- tenden Mitglieds für den Beirat des Klärschlamm- autonomie der Länder verfassungswidrig. Die drei Entschädigungsfonds (Drucksache 739/02, Druck- Länder haben deshalb bereits im Jahr 2001 ein Nor- sache 739/1/02) menkontrollverfahren beim Bundesverfassungsge- richt anhängig gemacht. Schon aus diesem Grunde Punkt 18 kommt eine Zustimmung nicht in Betracht. Benennung von Vertretern in Beratungsgremien der Europäischen Union (Ausschüsse der Kom- Das Volumen des RSA lag im Jahr 2001 bei rund mission für die Durchführung der Programme 28 Milliarden DM. Der Länderfinanzausgleich im Jahr OISIN II, HIPPOKRATES, GROTIUS II-Strafrecht 2001 hatte dagegen ein Volumen von ca. 14,8 Milliar- und STOP II) (Drucksache 587/02, Drucksache den DM, also nur rund die Hälfte des RSA-Volumens. 587/1/02) Die Zahlen belegen, dass durch den RSA eine riesige Umverteilungsmaschine betrieben wird. Punkt 19 Bestellung eines Mitglieds des Verwaltungsrates Baden-Württemberg, Bayern und Hessen bekennen der Kreditanstalt für Wiederaufbau (Drucksache sich grundsätzlich zu einem RSA als einem bundes- 770/02, Drucksache 770/1/02) weiten Ausgleichsverfahren zwischen den gesetz- lichen Krankenkassen. Er ist im Kern eine unverzicht- bare Voraussetzung für den Wettbewerb in der solidarisch finanzierten Krankenversicherung. Anlage 5 Der RSA ist jedoch in seiner konkreten Ausgestal- Erklärung tung dringend korrekturbedürftig. Er hat sich durch die Änderungen der Bundesregierung in der 14. Le- von Minister Rudolf Köberle (Baden-Württemberg) gislaturperiode zu einem Wettbewerbs- und Innova- zu Punkt 14 der Tagesordnung tionshemmnis entwickelt. Er setzt kontraproduktive (B) Wirtschaftlichkeitsanreize und wirkt kostensteigernd. (D) Für die Länder Baden-Württemberg, Bayern und Der RSA muss stattdessen gerechter, einfacher und Hessen gebe ich folgende Erklärung zu Protokoll: transparenter ausgestaltet werden.