Hans Eichel Bundesminister A.D. Im Gespräch Mit Werner Reuß
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BR-ONLINE | Das Online-Angebot des Bayerischen Rundfunks Sendung vom 27.4.2010, 20.15 Uhr Hans Eichel Bundesminister a.D. im Gespräch mit Werner Reuß Reuß: Verehrte Zuschauer, ganz herzlich willkommen zum alpha-Forum. Unser heutiger Gast ist Hans Eichel, er war u. a. Ministerpräsident des Bundeslandes Hessen und in den Jahren von 1999 bis 2005 Bundesminister der Finanzen. Ich freue mich, dass er hier ist, ganz herzlich willkommen, Herr Eichel. Eichel: Guten Tag, Herr Reuß. Reuß: Es gab Zeiten, da hat man Sie fast täglich im Fernsehen gesehen. Vor Ihren sechs Jahren als Bundesfinanzminister waren Sie 16 Jahre lang in Kassel Oberbürgermeister und acht Jahre Ministerpräsident in Hessen gewesen. "Es gibt auch ein Leben nach der Politik", hat Ihr Vor-Vorgänger im Amt des Bundesfinanzministers, Theo Waigel, einmal gesagt. Wie sieht denn Ihr Leben nach der Politik aus? Was macht Hans Eichel heute? Eichel: Ein Leben vollkommen ohne Politik gibt es im "Leben nach der Politik" eigentlich nicht, wenn man ein wirklich politischer Mensch ist. Ich war das übrigens schon von klein auf: Ich habe mit der Zeitung lesen gelernt und habe meine erste Wahlrede als Quintaner, also als Sechstklässler, gehalten – damals noch für Konrad Adenauer. Ich bekam dann sogar noch vor ihm in meiner Klasse die absolute Mehrheit. Das waren halt Jugendsünden, die dann aber spätestens ab der Oberstufe zu Ende waren. Nein, man bleibt einfach immer ein politischer Mensch, und wenn man nicht mehr selbst Politik macht, dann erklärt man sie. Das mache ich jetzt als Leiter des Politischen Klubs der Evangelischen Akademie in Tutzing und als Arbeitskreisleiter bei der Friedrich-Ebert-Stiftung. Man analysiert die Politik auch heute noch ständig und versucht dann da und dort, indem man die eigene Meinung auch einmal schriftlich fixiert und publiziert, doch noch ein bisschen Einfluss zu nehmen auf das Denken der Menschen. Reuß: Ist manchmal auch ein Stück Erleichterung dabei, nicht mehr im Amt sein zu müssen, wenn Sie sich die heutigen Probleme so ansehen, wie sie z. B. der jetzige Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble hat? Ist man da manchmal auch froh, von dieser Last befreit zu sein? Eichel: Nein, denn wenn man etwas mit Leidenschaft macht und wenn man sich für eine Aufgabe etwas vorgenommen hat, dann darf man nicht sagen: In guten Zeiten will ich das gerne machen, in schlechten Zeiten nicht. Wenn man so eine Einstellung hätte, dürfte man auch in guten Zeiten kein Minister sein. Solche Probleme, wie sie heute in der Tat in sehr großem Maße vorhanden sind, fordern einen ja auch heraus. Nein, befreit fühle ich mich da nicht. Reuß: "Politik ist die Kunst, Probleme zu lösen, ohne neue, größere zu schaffen", sagt der Volksmund. Und Ihr Nachfolger im Amt des hessischen Ministerpräsidenten, Roland Koch, meinte einmal: "Politik besteht aus Sache, Kopf und Bauch." Teilen Sie seine Einstellung? Oder was war, was ist Politik für Hans Eichel? Eichel: Politik ist zuallererst die Gestaltung der Lebensverhältnisse der Menschen. Wie gestaltet man ein Gemeinwesen? Als Sozialdemokrat sage ich da ganz dezidiert: Wie viel Freiheit, wie viel Gerechtigkeit gibt es in einem Gemeinwesen? Wie viel Solidarität? Was hält das Gemeinwesen zusammen? Ich glaube, das ist ein Thema, das uns heute wieder mehr umtreiben muss, denn die Gesellschaft driftet auseinander. Davon handelt gerade eine Tagung, die ich am Wochenende in Tutzing leite. Es geht also darum, die Verhältnisse in der Gesellschaft so zu gestalten, dass die Menschen eine Chance haben, ein glücklicheres, ein besseres Leben zu führen. Darum geht es und um nichts anderes. Reuß: Ein englischer Prediger sagte im 17. Jahrhundert einmal: "Die Politik ist die Kunst, dem lieben Gott so zu dienen, dass es dem bösen Teufel nicht missfällt." Ist also Politik oft ein Balanceakt? Eichel: Ja, sicher, weil man in der Politik oft zwischen zwei verschiedenen Möglichkeiten hindurch muss. Heute haben wir ja auch wieder so einen Fall: Wann beginnt man mit der dringend notwendigen Haushaltskonsolidierung? Fängt man damit zu früh an, dann würgt man dadurch möglicherweise die Konjunktur wieder ab. Fängt man zu spät an damit, hat man möglicherweise kaum eine Chance, mit der Konsolidierung voranzukommen, denn der nächste Abschwung kommt bestimmt. Ja, das sind solche Balanceakte: Da kann man sich täuschen oder man kann richtig liegen. Reuß: Man merkt bei allem, was Sie sagen, dass sie durch und durch ein Homo politicus sind. Der ehemalige Bundespräsident, Ihr Parteifreund Johannes Rau, meinte einmal: "Mit der Politik ist das so wie mit den Erdnüssen. Man denkt, man will eine haben, dann kommt man auf den Geschmack und hört nicht mehr auf, bis die Schale leer ist." Ist das so, macht Politik auch ein ganz klein bisschen süchtig? Eichel: Nein, das ist ein Beruf wie ein anderer auch. Ich habe ja neben der Politik noch einen Traumberuf, nämlich die Architektur. Mich haben in der Tat meine Mitarbeiter bei weiten Flügen ins ferne Ausland oft dabei erwischt, dass ich da saß und ein Haus entworfen habe, wenn ich schon mal Zeit dafür hatte. Oder wenn ich am Abend ins Bett ging und von meiner Frau gefragt wurde, woran ich gerade denke, dann habe ich manchmal gesagt: "Ich baue gerade wieder einmal Häuser in meinem Kopf." Das macht also auch unbändig viel Spaß. Nein, es geht wirklich nicht um Sucht, wie ich glaube, es sei denn, es ist so wie in jedem anderen Beruf auch: Wenn man etwas gerne macht, dann denkt man selbstverständlich fast ständig daran, weil man sich überlegt: "So, was muss ich jetzt tun? Wie kann ich etwas besser machen?" Das ist also nicht anders als in anderen Berufen auch, die man gerne macht. Reuß: "Wer Politik betreibt, erstrebt Macht", schrieb Max Weber einst. Welches Verhältnis hatten Sie zu Macht? Eichel: Ich finde, das ist eine sehr abstrakte Debatte. Es geht darum, was man gestalten kann. Ich war ja fast 16 Jahre lang Oberbürgermeister: Das war die Zeit, in der ich am unmittelbarsten erleben konnte, was ich entschieden habe. Ich hatte ja soeben schon gesagt, dass ich eigentlich einen Traumberuf hatte, nämlich Architekt. Das waren bereits mein Vater und weitere fünf Generationen davor gewesen. Diese Reihe endete dann bei meinem Bruder und mir, denn wir wurden das nicht mehr. Aber es blieb ein Traumberuf und diesen Traumberuf konnte ich in der Kommunalpolitik wunderbar umsetzen. Ich habe z. B. für viele Wettbewerbe gesorgt und mir hat die Gestaltung der Stadt unglaublich viel Freude gemacht. Später war meine politische Arbeit im Hinblick auf meine Entscheidungen abstrakter; ich fand sogar, dass sie auf Landesebene abstrakter war als auf Bundesebene. Die meisten Menschen sehen das allerdings anders und sagen: "Der Bundesfinanzminister hat doch nur mit Zahlen zu tun." Aber diese Zahlen sind ja nur ein äußerlicher Ausdruck, denn in Wirklichkeit geht es bei der Finanzpolitik in ganz extremer Weise um Gesellschaftspolitik: Wem nehme ich über die Steuer Geld weg? Wem gebe ich es über die Ausgaben? Wie beeinflusse ich damit die Lebenssituation großer Gruppen und damit auch von einzelnen Menschen? Das ist in extremer Weise Gesellschaftspolitik: Schafft man Chancen? Für wen schafft man Chancen? Reuß: "Alles, was man sagt, muss wahr sein, aber nicht alles, was wahr ist, muss man sagen." Dieser schöne Satz stammt von Helmuth Graf von Moltke. Gilt das auch ein bisschen für die Politik? Wie offen, wie ehrlich kann man in der Politik sein? Es gibt ja immerhin die Fraktionsdisziplin, die Parteidisziplin: Wie offen konnten Sie in Ihren Funktionen sein? Eichel: Wenn man so ein Amt bekleidet, dann ist man natürlich auch in die Solidarität, in die Loyalität einer Gruppe eingebunden. Das ist immer so, in jeder Partei. Das heißt nicht, dass man mit allem übereinstimmen müsste. Aber wie man die eigene Nicht-Übereinstimmung äußert, das kann man auf verschiedene Arten machen. Ich habe das immer so gemacht, dass es meiner eigenen Partei nicht geschadet hat. Denn wozu wäre ich in einer Partei, wenn ich sage, ich möchte meiner Partei schaden? Auch wenn man im Kabinett sitzt, gibt es selbstverständlich eine Loyalität dem Kanzler gegenüber. Und es gibt auch eine Kabinettsdisziplin. Ich finde, der muss man auch gerecht werden. Das heißt nicht, dass man immer einer Meinung sein muss. Aber die unterschiedliche Meinung sollte man nur dort sagen, wo sie im Kabinett dann auch diskutiert werden kann, wo man auch zu gemeinsamen Ergebnissen kommen kann. Man sollte seine Meinung also nicht nach draußen posaunen, möglichst noch jeder in eine andere Richtung. Nein, das ist und wäre nicht die Aufgabe einer Regierung. Reuß: Fiel es Ihnen denn auch manchmal schwer, loyal zu sein und zu bleiben? Eichel: Nein, denn wenn einem das wirklich schwerfallen würde, dann würde irgendwann der Punkt kommen, an dem man sagen müsste: "Ich kann hier nicht mehr mitgehen!" Solche Punkte hat es natürlich auch in meinem Politikerleben gegeben. Aber als es damals z. B. um den Bundesbankpräsidenten ging und der Kanzler und ich unterschiedliche Vorstellungen hatten, habe ich gesagt, dass ich eine bestimmte Vorstellung von ihm nicht mittragen könnte. Und der Kanzler hat genau begriffen, dass das heißt: Wenn er diese Entscheidung durchsetzen möchte, dann muss er sich einen neuen Finanzminister suchen. Das wollte er aber nicht. Und damit blieb mir dieser Loyalitätskonflikt erspart. Reuß: "Ich finde es ganz schlimm, wenn ich die Frage höre: Wie verkauft sich ein Politiker? In der Demokratie sind wir dazu da, etwas für die Verbesserung der Lebensverhältnisse der Leute zu tun. Allein das ist unsere Aufgabe." So haben Sie das einst selbst formuliert. Aber wird man wirklich daran gemessen, was man konkret tut? Oder wird man in der heutigen Mediendemokratie nicht doch sehr häufig daran gemessen, was man sagt, wie man wirkt, wie man u. U. auf den Gegner eindrischt? Ist das nicht ein Problem in der Politik? Eichel: Dieses Problem wird von Stufe zu Stufe größer.